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BIOMEDICAL LIBRARY
Österreichische Zeitschrift
STOMATOLOGIE
Organ
für diewissenschaftlichen und Standes-Interessen der Zahnärzte Österreichs.
Herausgegeben vom
Zentralverband der österreichischen Stomatologen.
.- .t..Redigiert von
Dr. Emil Steinschneider
in Wien.
A
/
XVI. Jahrgang.
1918, - 19
URBAN & SCHWARZENBERG
WIEN BERLIN
I, MAXIMILIANSTRASSE 4 N., FRIEDRICHSTRASSE 105%
1918.
KT
Alle Rechte vorbehalten.
3
Inhaltsverzeichnis.
- Originalarbeiten.
. Seite
Berger: Einige Beiträge zur Frage der schmerzlosen Zahnbehandlung . . . . 172
Cohen de Jonge: Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen
Dimensionen der Zähne des menschlichen Gebisses . . - - .». . 2... 1
— Ein Beitrag zu der Morphogenese des „Dens in dente“ . ....... 229
Frey: Dpr Schußkanalbestimmer. (Ein Hilfsmittel zur Feststellung der topo-
graphischen Lage des Schußkanals bei Kieferschüssen) . . . .» ... . 7
— Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß mit besonderer Berücksichtigung
der nervösen Störungen . . 2: 2m nr e 65, 97
— Lochschußfrakturen des Unterkiefer . . . 2:2 nn nn nen 161
— Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers . . . .. . . .. . -258
Nicklas: Beitrag zur Behandlung putrider Wurzelkanäle. . . .. nau. 193
Pichler: Unterkieferresektion wegen Progenie. .. .. o 2222.00. 190
Pordes: Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Unter-
kiefer. Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre 205, 235, 269, 293
Weiser: Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 23, 40,
85, 113, 133
— und Pordes: Ein Fall von isolierter Nekrose und Sequestration der
Alveole eines kleinen Schneidezahnes in geschlossener Zabnreihe . . . 185
Zilz: Skorbut im Kriege . 2: 22 onen 33
— Kritische Bemerkungen zur Veröffentlichung von Duchange: „Uber die
zweizeitige Behandlungsmethode der Kieferbrüche® . . . . . 2... . 129
Referate und Bücherbesprechungen.
(* Bücher )
Adams: Über Geschlechtsunterschiede. im Bereiche des menschlichen Gesichts-
BCHAGEIB: 2.0. 5, u ra a Be ee er ee Wo € 227
Baracz: Zur Frage der Desinfektion der Hände mit besonderer Berücksichtigung
der Kriegschirurgie . . 2: 2: 2 a a a a a . 266
IV Inhaltsverzeichnis.
Seite
Bolk: Die Beziehung zwischen Reptilien-, Beutler- und Planzentaliergebiß ,. . 156
— Die überzähligen oberen Incisivi des Menschen. . . . . 2. 2 2 22.0. 184
Bühler und Heer: Beziebungen zwischen Zahnkaries und relativer Azidität
des Speichels und des Harnes . . . 2.2: KK Ko rn. 125
Chiari: Zähne, Zabnfüllungen und Prothesen in den tiefen. Luft- und Speise-
WERBEN s Annan A er Een, ee E A A 291
Gohen de Jonge: Die Kronenstruktur der unteren Prämolaren und Molaren.
Inaugural-Dissertation . . 2 2 2 0 Co mn nn 124
— _ Die Morphogenese der oberen Prämolaren . . . . 2.22 222220. 312
Comte: Sechs Wochen Studium an der Klinik für Mundchirurgie des Militär-
spitals Val-de-Grâce in Paris. . 2. CC Lo ron 181
Ertl: Die Chirurgie der Gesichts- und Kieferdefekte Mit Anhang: Zahnärzt-
liche 'Schienensysteme. . . . 4» #2... 2 a 0 we dere 246
Esser: Neue Wege für die chirurgischen Plastiken durch Heranziehung der
zahnärztlichen Technik . . . ... 2... a a a de, See 200
Euler: Die Pseudarthrose des Unterkiefers . . . . 2: 2 2 2 rn 2 0 nen 247
Ganzer: I. Die chirurgisch-zahnärztliche Versorgung frischer Kriegsverletzungen
des Gesichts und der Kiefer. — II. Weichteilplastik des Gesichts bei
Kieferschußverletzungen. — III. Knochenplastik bei Kieferschußver-
Jetzungen 2 32.0.0 2 2.0 A ee ie aeaea 241
Gaugele: Zur Behandlung der Wundrose. . . . . Be dee er a 126
Gerber: Die Untersuchnng der Mund-Rachenhöble . . . .. 2.22 22 .. 126
Goldmann: Die Osteomyelitis des Unterkiefers und ihre tonsilläre Ätiologie . 62
Grunmach: Die Bestimmung der Lage und Wirkung von Steckschüssen mittels
der Röntgenstrabllen . . 2: CL vorn nn. 180
Kolb: Über die Anstrebung der Primärheilung bei der operativen Entfernung
tief im Knochen stekender Geschosse . . . . 2 2 2 2 2 nn nn 204
Körner: Über Granatsplitter in der Kieferhöhle. . . . » 2 22 2 2 2 20. 246
Lickteig: Über schädigende Momente bei Uranoplastik und deren Ausschaltung
durch Schröders Okklusivprothese . . . 2 2: 2 2 2 nr rn I ne. 158
*Mamlock und Caspari: Der Aluminiumguß. Leitfaden. zur Herstellung von
Ersatzstücken aus Aluminium . .. 2 en ren 199
Meyer: Zur Kenntnis der generalisierten Östitis fibrosa und der Epithelkörper-
chenveränderungen bei dieser Erkrankung . . . . . 2 2 2 2 2 200. 201
Mitteilungen aus dem Hannoverschen Lazarett für Kieferverletzte . . .... 249
Moskowitz: Über Verpflanzung Thierschscher Epidermisläppchen in die
Mundhöhle . 2... 0. a a a ee wea eO
Oppenheim: Zur Ätiologie der schwarzen Haarzunge . . . . 2 222.0. 203
Parreidt: Der Einfluß des Durchbruches der Milchzähne auf den Organismns
do- Kindes u 4.0.2.2 Ge re Me ee ee ar G 63
Pfaff, Leipzig: Regierung, Volksvertretung und Zahnheilkunde . . . .... 95
*Pfaff und Schönbeck: Kursus der zahnärztlichen Kriegschirurgie und Rönt-
gentechnik...,. ceca 003 8 8.8 ua a En | |
Pommer: Zur Kenntnis der mikroskopischen Befunde bei Pseudarthrose . . . 199
Inhaltsverzeichnis. V
Seite
Steinkamm: Die exakte Wiederherstellung der ursprünglichen Form und Gestalt
des Kieferskeletts bei Frakturen ist zur Erzielung eines vollen kosme-
tischen Erfolges Hauptbedingung . . . : : 2: KEN En nn nn. 228
Struck: Die Ausmeißelung eines retinierten Zahnes . . . . 2 2 2 2220. 311
Studienordnung für Studierende der Zahnheilkunde und für Zahntechniker
in. Frankreich. o u a 0 ar re, ae a a a ah i a 268
Sudeck: Über die chirurgische Behandlung der Pseudarthrosen . . . . . . ..178
Wederhake: Die Anwendung von Bruchsäcken zur Transplantation . . . . 227
*Wiener Medizinalkalender und Rezepttaschenbuch für praktische Ärzte . . . 29
Wustrow: Zur Kritik der Ursachen der Kieferanomalien . . ... 2... 29
Zahnkliniken bei der Schweizer Armee . ...... he a ED E E 180
Zielinsky: Die Technik der Apparatur der intraoralen Kieferverbände und
das Zielinsky-Band . 2.2.2: Co ver nn 292
Zlozisti: Die kriegschirurgische Bedeutung des Skorbuts . . . .» 2... 177
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Leitsätze zur Beurteilung ärztlicher Wanderpraxis . . 2 2 2 2 2 20... 159
Vereins- und Versammilungsberichte.
Verein österreichischer Zahnärzte:
Ordentliche Monatsversammlung . : 2 2 2 20 0 nn 63
Kleine Mitteilungen.
Pensionen für Ärztewitwen und -waisen 127. — Verlegung der Kriegszahn-
klinik der IV. Armee nach Wien 160. — Zahnärztliches Institut der Wiener Uni-
versität 160.
Personalien.
Julius Scheffs Rücktritt vom Lehramt 127. — Auszeichnungen 204, 228. —
Nobilitierung 228. — Todesfall 268, 312. — Verleihung 252.
Druckfehlerberichtigung - - - . : >: 2 Emm mr nn 64
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
On nen Zahnärzte Österreichs.
XVI. Jahrgang. Januar 1918. 1. Heft.
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Aus dem anatomischen Laboratorium der Universität zu Amsterdam.
Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen
Dimensionen der Zähne des menschlichen Gebisses.
Von Dr. med. dent Th.E.de Jonge Cohen, Assistent für Zahnheilkunde an der
Reichsuniversität zu Utrecht.
Den in vorstehendem Titel genannten Gegenstand beabsichtige ich in
drei Abschnitten zu behandeln, in deren erstem ich mich beschäftigen
werde mit den
Prämolaren und Molaren im Unterkiefer.
Bezüglich der Art meines Untersuchungsmateriales sei bemerkt, daß
mir wiederum das ganze Museummaterial Prof. Dr.Bolks zur Verfügung
stand, Zähne also der rezenten Amsterdamer Bevölkerung.
Die Anzahl dieser Zähne betrug 3918 Prämolaren, 4984 Molaren;
näher spezifiziert:
2024 erste Prämolaren,
1876 zweite y
1713 erste Molaren,
1860 zweite ,,
1411 dritte 3
Diese große Anzahl war darum für meine Untersuchung von so großer
Bedeutung, weil hierdurch der Fehler der persönlichen Beobachtung —
besonders bei der Berechnung der Mittelwerte — so gering wurde, da B er
praktischaußerachtgelassen werden konnte. Außerdem
war es möglich, eine strenge Auswahl durchzuführen und also allein die-
jenigen Zähne zu messen, welche vollkommen intakt und normal waren;
somit blieben außer Betrachtung:
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 1
2 Th. E. de Jonge Cohen.
1. Zähne mit approximalen Höhlungen.
2. Zähne mit approximalen Abschleißungsfassetten.
3. Anomale Formen, wie Hypoplasien, Barockformen, Verschmelzung
mit überzähligen Elementen, rudimentär entwickelte Formen (Kegelzähne)
usw. Die Anzahl gemessener Zähne war denn auch erheblich kleiner
als die oben gegebenen Ziffern:
1861 erste Prämolaren,
1802 zweite ©
1490 erste Molaren,
1572 zweite
1250 dritte
Wie gesagt, wurde der Abstand zwischen den beiden approximalen
Kronenflächen (Kontaktpunkten) gemessen. Diese Wahl war keine will-
kürliche, schien mir aber praktisch die wichtigste zu sein, sowohl vom
phylogenetischen als vom ontogenetischen Gesichtspunkte aus betrachtet.
Man denke nur an die Beziehung, welche zwischen Kieferentwicklung in
sagittaler, respektive frontaler Richtung einerseits und mesio-distaler
Entwicklung von Prämolaren und Molaren, beziehungsweise Vorderzähnen
(Inzisivi und Cuspidati) andererseits besteht.
Meine Notizen habe ich der Bibliothek der Amsterdamsche
Tandheelkundige Vereeniging überlassen; der sich dafür
interessierende Leser kann sich also eventuell persönlich von der Richtig-
keit meiner Angaben über die auf meine Messungen gegründeten Berech-
nungen überzeugen. Überdies sei noch erwähnt, daß ich meine eigenen
Berechnungen von zwei verschiedenen Personen habe kontrollieren lassen,
so daß ich wohl mit einigem Rechte glaube behaupten zu dürfen, daß Irr-
tümer in den nachstehenden Daten ausgeschlossen sind.
??
??
I. Erster Prämolar.
A. Eigene Messungen.
Anzahl gemessener Zähne: 1861
Maximum: 8,1 mm
Minimum: 5,2 mm
Mittel: 6,6 (85) mm.
B. Literaturangaben.
Vergleichen wir die gegebenen Zahlen mit den Literaturangaben,
dann kommen eigentlich nur 4 Autoren in Betracht, nämlich Black,
Lambert, Mühlreiter und M.de Terra.
Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen etc. 3
Die von den übrigen Autoren gebrachten Daten erweisen sich als
ziemlich allgemein oder den Angaben Blacks entlehnt zu sein, so z. B.
bei Choquet (Précis d’anatomie dentaire,, Norman Broomell
(Anatomy and Histology of the Mouth and Teeth) oder aber schon von
Mühlreiter publiziert zu sein: Adloff, Fischer, Zucker-
kandl u.a.zitieren alle Mühlreiter.
Obendrein ist zu bemerken, daß mit Ausnahme de Terras keiner
der genannten Autoren uns etwas über die Quantität des untersuchten
Materials mitteilt; es ist klar, daß dies die Bedeutung ihrer Untersuchung
sehr beeinträchtigt.
I. Black.
Maximum: 8,0 mm
Minimum: 6,0 mm
Mittel: 6,9 mm.
II. Lambert.
Dieser vermeldet ebenso wenig die Anzahl untersuchter Schädel bzw.
Zähne; jedoch folgt er bei seiner Untersuchung der Methode de Quatre-
fages und teilt sein Material anthropologisch nach drei Rassen ein:
die weiße, die gelbe und die schwarze Rasse.
Seine Messungen ergaben die folgenden Resultate:
Gelbe Rasse
Mesiodistale Breite von Weiße Rasse Schwarze Rasse
(Siamesen)
P: Maximum ..... 8,0 mm 9,0 mm —
1? | Minimum. ..... 7,0 mm 8,0 mm —
Jedoch sind die Messungen L amberts — der z. B. zwischen
erstem und zweitem Prämolar keinen Unterschied macht — zu ungenau,
um ihnen großen Wert beizulegen.
Wichtiger sind die Resultate Mühlreiters, der laut seiner Mit-
teilung in der „Deutschen Vierteljahrschrift für Zahn-
heilkunde“ von 1874 eine „sehr große Anzahl von Zähnen der ein-
heimischen und benachbarten Bevölkerung“ untersuchte.
III. Mühlreiter.
Untersuchtes Material | Maximum Minimum
Zähne der Bevölkerung von Salzburg und
Umgebung . .. saosaoa a 8,0 mm 6,0 mm
1%
4 Th. E. de Jonge Cohen.
Ebenfalls sehr wichtig sind die Messungen M.de Terras. Dieser
Autor, der mit einer echt schweizerischen Gründlichkeit und Akkuratesse
die Schädel einer großen Anzahl Rassen untersuchte, gibt nicht nur eine
sehr ausführliche anthropologische Einteilung seines Materials, sondern
ist zugleich der erste, welcher Angaben bezüglich der Quantität seines
Materials macht.
Es muß jedoch bemerkt werden, daß die Messung im Schädel befind-
licher Zähne niemals zu sehr genauen Resultaten führen kann.
IV. M.de Terra.
Herkunft des untersuchten Materials
Prä- und früh-historische Schweizer (Schwei-
zerbild, Ergolswyl, Lunkhoven, Ca-
S|stione ete.) 2 om on
c Alemannen u... 0 a 5 re
= Rezente Schweizer — vorwiegend Disentis-Typus
=
Schädel von der Usa (Syrianen?) .....
Rezente Europäer (Zusammenfassung — ohne
Usa-Schädel) . . 2 2: 2 2: 2 Er nenn.
Malayen (Malayen, Javanen, Bugginezen, Ma-
kassare, Samanapaner, Sunda-Insulaner, Amboi-
nese, Bali, Seilons) . . . 2: 2 2 N m m nn. 27 7,6 6,5
Batta k 2.2.2 2-2 3 2 u Se SS i 22 8,0 6,5
= Birmanen (+ 1 Siamese) . . . 2 2.2 2.. 35 7,5 6,3
= Chinesen (+ Lü [Basel]) . . ... 2.2... 15 8,7 6,4
= Japaner . . 5 2 aa 7 6,6 6,3
Timoresen uncarsr ee ee ie 6 8,0 7,8
AMOS Ea en A ee ee Zack 2 — .
Tataren. ... . Ba ehe an ir De ee a de 3 1,2 6,2
Tamilen (+ Inder, Hindu und Drawida) 7 71 6,0
| Singhalesen . . . 2. 2 2 2 2 nen. i 5 7,3 6,5
Dschagga s 2 a 2 t aa san 22 7,7
= Neger (Nord-Afrika) . . . 2.2 2 2 22. 16 7,9 5,9
Eo Neger (unbestimmter Provenienz) . .... 27 1,3 6,6
= Araber (+ Beduinen) . . . : 2 2 2 202. 7 7,5 5,9
se Neu-Ägypterr . a oo rn 13 7,9 6,6
1° Alt-Ägypter . . 2: oo 2 nen | — 7,9 5,0
| Negroide Afrikaner (Zusammenfassung). . .| 9 7,9 5,9
Eh Nicht-negroide Afrikaner . . . . 22... | 7i 7,9 5,0
1) „Die Zahlen in Klammern“, bemerkt de Terra, „betreffen einen abnorm
großzähnigen Schädel, der in der Basler Anatomischen Sammlung als ,„Basler“ auf-
gestellt ist. Herr Prof Kollmann schrieb mir zwar, „daß der Schädel in einem
Grab in Basel gefunden worden ist und daß ohne Zweifel zum mindesten Europa die
Heimat desselben sein müsse“. Trotzdem wage ich nicht, die eingeklammerten Zahlen
bei der Zusammenfassung der rezenten Europäer zu berücksichtigen.“
Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen etc. 5
Indianer (nordamerik. Indianer, Huronen etc.)
Azteken
Peruaner
8
=
fa
©
=)
<
Australier (+ Neuhbolländer) . . . .... 11 8,5 6,6
Melanesier (Papua, Fidschi-Insulaner, Neu-
Britannier, Neu-Irländer, Bewohner von Neu-Guinea) | 14 7,6 6,5
Eingeborene der Insel Oahu ....... 8 72 | 62
Australien
und
Polynesien
Endlich müssen vollständigkeitshalber noch die Ziffern erwähnt
werden, welche Dewey in seiner kürzlich erschienenen „Dental Ana-
tomy“ publiziert und denen er Folgendes vorausschickt: „The tables of
measurements here given are arranged the same as the measurements by
Black, but vary some in the extremes.“ Wenn der Leser nun jedoch
glaubt, daß ihm in genannter Arbeit das Resultat von Deweys eigenen
Messungen geboten wird, so täuscht er sich gründlich, denn auf gut
holländisch gesagt zeigt sich, daß dieses „but vary some in the extremes“
darauf hinausläuft, daß Dewey die Angaben Blacks — in
einer wirklich sehr originellen Weise — gefälscht
hat. Vergleichen wir nämlich die originalen Ziffern Blacks mit den-
jenigen, welche Dewey bringt — bequemlichkeitshalber übernehme ich die
Angaben beider im Auszug —, so sehen wir, daß die Mittel aller Werte
bei beiden Autoren dieselben sind. Die Maxima einer jeden Messung
gibt Dewey jedoch um ebenso viel höher an als Black, wie seine
Minima niedriger. Nehmen wir als Beispiel den ‚„mesio-distal diameter
of crown“. Als größtes Maß findet Black bei dem ersten unteren Prä-
molar 80mm; Dewey erhöht diese Ziffer um 0,5 mm, doch, da er
stets dieselben Durchschnittswerte gibt wie Black, muß sein Minimum
natürlich um ebenso viele Millimeter unter demjenigen Blacks bleiben
und verändert er dessen Angabe von 6,0 mm in 5,5 mm!
Und daß Dewey dieses System sehr genau durchführt, beweist
wohl ein zweites Beispiel: der höchste Wert für die „length over all“ wird
ebenfalls um 0,5 mm höher gestellt, als Black angibt; ebenso das Mini-
mum um 0,5 mm niedriger. Sowie sich nun aus den beiden darauf fol-
genden Angaben zeigt „length of crown“ und „length of root“, kommen
von diesen 0,3 mm auf Rechnung der Krone, die restierenden 0,2 mm
finden ihren Weg wohl in die Wurzel!
Th. E. de Jonge Cohen.
Angabe Black.
Maße der Zähne.
Tafel der Maße “© no 23 c
der menschlichen Zähne in u f 8 173 $ ® S GS E
Millimetern und Zebntelmillimetern © egoj = E% sag g
Dim TEHE IEEE
Untere Zähne dk ZAS SAS 428 SÉ
Mittlere Durchschnitt 11,8 6,0 2,5
Schneidezähne Größte. . . 16,0 6,5 3,0
Kleinste 9, 5,5 1,5
Seitlicher Durchschnitt || 21,1 9,6 | 12,7 6,4 2,5
Schneidezahn Größte. . . || 27,0 | 12,0 | 17,0 7,5 3,5
Kleinste . .|| 18,0 7,0 | 11,0 6,0 2,0
Eckzahn Durchschnitt || 25,6 | 10,3 | 15,3 2,9
Größte. . .|| 32,5 | 12,0 | 21,0 4,0
Kleinste . . || 20,0 80 | 11,0 2,0
Erster Durchschnitt || 21,6 7,8 | 14,0 6,9 0,8
Backenzahn Größte. . . || 26,0 90 | 18,0 8,0 1,5
Kleinste . .|| 18,0 6,5 | 11,0 6,0 0,5
Zweiter Durchschnitt || 22,3 7,9 | 14,4 7,1 0,6
Backenzahn Größte . . . || 26,0 | 10,0 | 17,5 8,0 2,0
Kleinste . . || 18,0 6,0 | 11,5 6,5 0,0
Erster Durchschnitt || 21,0 7,7 | 13,2 | 11,2 11
Mahlzahn Größte . . . || 24,0 | 10,0 | 15,0 | 12,0 2,0
Kleinste . . || 18,0 70 | 11,0 | 11,0 0,0
Zweiter Durchschnitt || 19,8 69 | 129 | 10,7 0,2
Mablzahn Größte . . . || 22,0 80 | 14,0 | 11,0 1,0
Kleinste . . || 18,0 6,0 | 12,0 | 10,0 0,0
Dritter Durchschnitt || 18,5 6,7 ı 11,8 | 10,7 0,2
Mahlzahn Größte . . . || 20,0 80 | 17,0 | 12,0 1,5
Kleinste . . |! 16,0 6,0 8,0 8,0 0,0
Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen ete. 7
Angabe Dewey.
Maße der Zähne.
Tafel der Maße “oo no r Fr Sa
der menschlichen Zähne in ù i 4 $9|/4729| 56S HE
Millimetern und Zehntelmillimetern || £ © Kpm ea2 | %55 | ZE g 3S
28 es F: Tam | agm s38 EE
g 8 un 1 Sa So
Untors Zähne 3a | a5 | 35 383 383353 1888
Mittlere Durchschnitt || 20,7 88 | 11,8 5,4 3,5 6,0 2,5
Schneidezähne Größte . . . || 24,5 | 10,8 | 16,2 6,5 5,5 7,0 3,3
Kleinste . . || 15,5 6,7 8,8 4,5 2,0 5,0 1,2
Seitlicher Durchschnitt 12,7 8,9 3,8 6,4 2,5
Schneidezahn Größte. . . 17,2 7,0 5,5 8,0 3,8
Kleinste 10,8 4,5 2,5 5,5 1,7
Eckzahn Durchschnitt 2,9
Größte . . . 4,8
Kleinste . . 1,7
Erster Durchschnitt 0,8
Backenzahn Größte. . . 1,8
Kleinste 2
Zweiter Durchschnitt
Backenzahn Größte... . 2,3
Kleinste ,
Erster Durchschnitt 1,1
Mahlzahn Größte . . 2,3
Kleinste 0,0
Zweiter Durchschnitt | 0,2
Mahlzahn Größte . . . 1,0
Kleinste ‚O0
Dritter Durchschnitt 0,2
Mahlzahn Größte . . . 1,5
Kleinste
8 Tb. E. de Jonge Cohen.
Angenommen sogar, daß hier keine absichtlich e Fälschung statt-
gefunden hat, daß Dewey z.B.der Meinung war, daß Black seine
Maxima und Minima zu hoch bzw. zu niedrig stellte, dennoch muß man
sich fragen, was für eine Vorstellung dieser Amerikaner eigentlich wohl
über Wissenschaft hat, daß er seinen Lesern einen derartigen Humbug
vorzusetzen wagt!
ID. Zweiter Prämolar.
A. Eigene Messungen.
Anzahl gemessener Zähne: 1802
Maximum: 9,0 mm
Minimum: 5,2 mm
Mittel: 6,9 (21) mm.
Die außergewöhnlich große Breite des als Maximum verzeichneten
Prämolars findet zum guten Teil seine Erklärung in der selten kräftigen
Entwicklung eines sogenannten variablen sekundären Höckers (Kronen-
formel nr Nähere Besonderheiten hierüber gibt meine Monographie:
„Die Kronenstruktur der unteren Prämolaren und
Molaren“, in der auf Seite 55—57 eine ausführliche Beschreibung von
dem anatomischen Bau des genannten Zahnelementes gegeben wird.
B. Literaturangaben.
I. Black.
Maximum: 8,0 mm
Minimum: 6,5 mm
Mittel: 1,1 mm.
II. Lambert.
Dieser gibt die in untenstehender Tabelle aufgenommenen Ziffern,
jedoch sei gleich gesagt, daß diese Angabe dieselbe wie für den ersten
Prämolar ist:
Gelbe Rasse
(Siamesen)
Weiße Rasse Schwarze Rasse
Mesiodistale Breite von
P: en Se
2' | Minimum .
8,0 mm 9,0 mm —
7,0 mm 8,0mm
Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen etc.
III. Mühlreiter.
Untersuchungsmaterial | Maximum | Minimum
Zähne der Bevölkerung von Salzburg und
Umgebung . . . . : 2: 2 2 2 22 ne. | 8,8 mm 6,2 mm
|
Prä- und früh-historische Schweizer (Sch wei- |
zerbild, Ergolswyl, Lunkhoven, Ca-
A| stione ete. 2 2 nn 31 5,7
E Alemannen .. aaa a n. 23 6,0
5 Rezente Schweizer—vorwiegend Disentis-Typus || 136 5,5 $)
a Schädel von der Usa (Syrianen?) ..... 56 2
Rezente Europäer (Zusammenfassung — ohne
Usa-Schädel) . x. 2’. laa wa 2a ne eu 357 6,6 ')
Malayen (Malayen, Javanen, Bugginesen, Ma-
kassare, Samanapaner, Sunda-Insulaner, Amboi-
nese, Bali, Seilons) . . . ... RER E 27 7,5 7,0
Battak s < 3. we. ee an ci ar 22 7,5 6,3
2 Birmanen (+ 1 Siamese). ... . RE 85 6,8 6,0
2 Chinesen (+ Lü [Basel]) . ........ 15 8,0 6,0
2 Japaner. .. aaa 7 6,6
Timoresen ... aoaaa a a a 6 7,5 7,3
RIO. So Ge Sa A re S 2 _ —
Tataren o o ee 8 2.2 Sa ana 8 6,7 6,0
Tamilen (+ Inder, Hindu und Drawida) 7 7,3 6,5
Singhalesen . . . 2 2 2 2 2 2 nn. 5 7,7 6,5
DSChägpa: ui... ee ee 22 8,0 7,0
Neger (Nord-Afrika) . . . a 2 22.0. 16 7,5 5,9
= Neger (unbestimmter Provenienz) . ... . 27 8,3 6,2
= Araber (+ Beduinen). . . 2... 2.2.0. 7 7,8 6,2
= Neu-Ägypterr . 2: 2: 2 2 Er nr ern. 13 7,8 6,7
= Alt-Ägypter . . 2 CE nen — 7,9 6,0
Negroide Afrikaner (Zusammenfassung). . . 97 8,3 5,9
Nicht-negroide Afrikaner. ... 2... 71 7,9 6,0
8
2 Indianer (nordamerik. Indianer, Huronen etc.) 8 7,5 6,8
h Aztekon s a eoor e u an we a eh 2 8,2 6,9
g Peruaner .. saaa a Ei 13 7,9 6,0
< Feuerländer . . .. 2: om En 6 80 | 5,5
u -- Australier (+ Neuholländer) ....! 1 8,2 6,9
ER Melanesier (Papua, Fidschi-Insulaner,
Sa Neu-Britannier, Neu-Irländer, Bewohner
256| von Neu-Guinea) .. . 2.222200. 14 8,0 6,5
3 7 Eingeborene der Insel Oahu 8 7,6 6,7
‘oa l !
1) Siehe die Note Seite 4.
9
IV. De Terra.
COE E EEE E E E EEE E S E E E S EEEE
Anzahl P,
Herkunft des untersuchten Materials der PO S LSOEE EEE BEN
Schädel Max. Min.
10 Th. E. de Jonge Cohen.
II. Erster Molar.
A. Eigene Messungen.
Anzahl gemessener Zähne: 1490
Maximum: 13,3 mm
Minimum: 9,2 mm
Mittel: 11,100 mm.
B. Literaturangaben.
1. Black.
Maximum: 12 mm
Minimum: 11 mm
Mittel: 12,2 mm.
Il. Lambert.
Mesiodistale Breite von | Weiße Rasse Gelbe Rasse
Maximum: 14 mm
; 9 Si °
M,i 12mm Minimum: 12 mm
III. Mühlreiter.
Untersuchungsmaterial en Minimum
Zäbne der Bevölkerung von Salzbur g und
Umgebung >.. aao aaa ; 12,2 mm 10 mm
IV. De Terra.
Anzahl M,
Herkunft des untersuchten Materials der ea er eh ea te
Schädel | Maximum | Minimum
Prä- und früh - historische Schweizer
(Schweizerbild, Ergolswyl, Lunkho-
2j ven, Castione etc)... . 222000. 31 11,4 8,9
© Alemannen . .. 2. 2 2 2 2 2 nn. 28 10,7 9,9
S Rezente Schweizer — vorwiegend Disentis-
SI Typ e moa aeaa ee 136 |11,3 (12,0) 10,0)
Schädel von der Usa (Syrianen?) . ; 56 12 9,8
Rezente Europäer (Zusammenfassung —
ohne Usa-Schädel) . . ...... ee So 357 |11,3 (12,0) 10,0)
1) Siehe die Note auf Seite 4.
Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen ete. 11
Anzahl M,
Herkunft des untersuchten Materials der
Malayen (Malayen, Javanen, Bugginesen, Ma-
kassare, Samanapaner, Sunda-Insulaner, Amboi-
nese, Bali, Seilons) . . . s. 2 "22 2 2 20. 10,0
Dtti E 2.0, Se: u men ae a er Krk 10,0
E Birmanen (+ 1 Siamese) . . . . 2.2.2... 9,0
‚© Chinesen (+ Lü [Basel] . .. -. 2... 10,5
a Japaner. . . oaa 11,4
= Timoresen 2 2m on 11
P Era a ans ae A a re E 10,0
Tamilen (+ Inder, Hindu und Drawida) . 10,3
Singhalesen . . © 2 2 2 2 m 22. 10,3
Dachagpa. e ieee nn u ech aa 99 12,0 11,5
Neger (Nord-Afrika) k ee nn A 16 12,0 - 9,8
S Neger (unbestimmter Provenienz) . .... -97 12,8 10,3
fe Araber (+ Beduinen) . ... 22220. 7 11,5 10,4
= Neu-Agypter . 2.2.2 202er 13 11,0 11,0
« Alt-Ägypter . . 2 2 oo mn = 11,7 9,7
Negroïde Afrikaner (Zusammenfassung) . 97 12,0 9,7
Nicht-negroïde Afrikaner . . . ...... 71 — —_
8
= Indianer (nordamerik. Indianer, Huronen etc.) 8 12,4 10,6
H Azteken c enine 3 a a a ee E A 2 11,9 11,1
g Peruaner . .. aoaaa a a Er 13 12,1 10,4
< Feuerländer . . 2... 22 2 2 2 20. 6 | 12,0 | 11,0
=)
E 2 Australier (+ Neuholländer) . .... 11 12,7 10,8
igoz Melanesier (Papua, Fidschi-Insulaner,
= 5 a | Neu-Britannier, Neu-Irländer, Bewohner von
a >| Neu-Guinea) . . 2: 2: 222 en en 14 12,2 10,0
ag Eingeborene der Insel Oahu . ... . 8 11,6 10,9
IV. Zweiter Molar.
A. Eigene Untersuchung ergab die folgenden Resultate:
Anzahl gemessener Zähne: 1572
Maximum: 13,9 mm
Minimum: 8,5 mm
Mittel: 10,7 (45) mm.
Stellen wir hierneben die Ziffern, die ich in der Literatur fand,
dann können wir schon sofort feststellen, daß sowohl Lambert als
Mühlreiter ausfallen; der letztere bemerkt, daß der zweite Backen-
zahn „an Größe von dem ersten im Ober- wie im Unterkiefer nur un-
erheblich abweicht“.
14 Th. E. de Jonge Cohen. |
IH. De Terra.
Ansahl M,
der PAE E RER SOEBEN EEE NER SEN '
Schädel | Maximum | Minimum
Herkunft des untersuchten Materials
Prä-und früh-historische Schweizer (S ch w ei-
zerbild, Ergolswyl, Lunkhoven, Ca-
1.861008: 08e.) toe ea art re a 8,2
Ay Alemannen . .. aaa 2 nn nn. 10,7 8,9
Fa Rezente Schweizer — vorwiegend Disentis-
= Typu- ar. 2 ee a a 8 10,5 (12.0) 90°)
Schädel von der Usa (Syrianen?) . : 11 10,2
Rezente Europäer (Zusammenfassung —
ohne Usa-Schăädel!). . .... . a 11,3 (12,0) 9,0 $)
Malayen (Malayen, Javanen, Bugginesen,
Makassare, Samanapaner, Sunda-Insulaner,
Amboinese, Bali, Seilons) . . . . 22 .2.. 27 11,5 8,8
Battak .. u sr es: 8 ee 22 12,0 8,2
” Birmanen (+ 1 Siamese) . . ..... 35 12,5 8,0
‚© Chinesen (+ Lü [Basel]) . ...... 15 12,5 9,7
> Japaner -. 2:2 2000. er 7 10,6
Timoresen . . & 0 03 een % 6 — —
AMO ea 25 0.8, a aae a a a a ao 2 —
Tataren: s 42% aaee ee e 3 10,5 10,0
Tamilen (+ Inder, Hindu und Drawida) 7 11,7 9,5
Singhalesen . . 2. 2: 2 2 2 2 2 nn. 5 | 12,0 10,0
Dschagga . .» 2: 2 2 2 rennen. 22 12,3 11,7
al Neger Nord. Afrika) : u 20 ee a 16 12,2 9,4
= Neger (unbestimmter Provenienz) . . . . 27 10,7 10,0
Ł Araber (+ Beduinen) . . . . a. 7 14,0 9,2
< Neu-Ägypter . . . 2 2 2 2 20m. 13 11,5 9,8
Negroide Afrikaner (Zusammenfassung) 97 12,4 9,4
Nicht-negroide Afrikaner . . 71 ; 8,8
S Indianer (nordamerik. Indianer, Huro
| ronen ete). » » 2. rennen 8 12,5 10,8
© Azteken 2.0: 0 00 aa’ E 2 — —
S Peruaner . . . oa 2 a ee. 13 11,5 10,3
= Feuerländer . . 2:2 2 2 2 000. 6 12,0 9,5
© o Australier (+ Neuholländer) . 11 11,0 9,7
= o2 Melanesier (Papua, Fidschi- Insulaner,
„= 5 | Neu-Britannier, Neu-Irländer, Bewohner
© ">| von Neu-Guinea) a de an ai ae hr 14 15,0 9,5
= nv Eingeborene der Insel Oahu .. . . 8 =
Schließlich mögen noch die nachstehenden Statistiken folgen, in
denen die Ergebnisse aller Messungen von Prämolaren und Molaren im
Unterkiefer zusammengestellt sind:
1) Siehe die Note auf Seite 4.
nd
Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen etc. 15
I. Black.
Mesiodistale Breite
Maximum | Minimum Mittel
8,0 mm 6,0 mm 6,9 mm
P,i 8,0 mm 6,5 mm 7,1 mm
Mii 12,0 mm 11,0 mm 11,2 mm
M,i 11,0 mm 10,0 mm 10,7 mm
M,i 12,0 mm 8,0 mm 10,7 mm
I. Mühlreiter.
Zähne der rezenten Bevölkerung von Salzburg und Umgebung:
Mesiodistale Breite
Maximum | Minimum
Pi 8,0 mm 6,0 mm
P,i 8,8 mm 6,2 mm
M,i 12,2 mm 10,0 mm
Mi l Keine Messungen ausgeführt.
III. De Terra.
Maxima und Minima der bleibenden Zähne von allen Rassen:
Mesiodistale Breite
Maximum | Minimum
Pi 8,7 mm 5,0 mm
P,i 8,8 mm 5,5 mm
M,i 12,8 mm 8,9 mm
M,i 12,5 mm 8,0 mm
M,i 15,0 mm | 8,0 mm
IV. De Jonge Cohen.
Museummaterial von Prof. Dr. Bolk; Zähne der rezenten Amsterdamer Bevölkerung:
Mesiodistale Breite
Anzahl untersuchter
Zähne
Mittel
Maximum Minimum
1681 Pi | 8,1 mm 5,2 mm 6,6 (85) mm
1802 P,i 9,0 mm 5,2 mm 6,9 (21) mm
1490 Mi 13,3 mm 9,2 mm 11,100 mm
1572 M,i 13,9 mm 8,5mm 10,7 (58) mm
1250 M,i 13,8 mm 7,8 mm 10,7 (45) mm
Was lehrt uns jetzt eine Vergleichung dieser Ziffern ?
16 Th. E. de Jonge Cohen. Maximal-, Minimal- und Mittelwerte etc.
Zunächst dieses: In dem von mir gemessenen Zahnmaterial über-
schreiten sowohl die Maxima als die Minima alle die von Black und
Mühlreiter angegebenen Grenzen — zuweilen sogar ziemlich be-
deutend.?) Es ist klar, daß der Grund hierfür in der außerordentlich
großen Zahl von Zähnen, die mir zur Verfügung stand, gesucht werden muß.
Und was insbesondere die Molaren betrifft — obgleich sowohl zweiter
als dritter Molar in ihrer Maximalgröße den ersten übertreffen — bleiben
doch ihre Minima und — was wichtiger ist — ihre Durchschnittswerte
unterhalb denjenigen des ersten Molars.
Dies weist auf dasjenige, was man in der deutschen Literatur wieder-
holt unter der Benennung „Volumabnahme von M, bis M,“ angedeutet
findet. Diese ,„Volumabnahme“ (Größenunterschied) ist namentlich
zwischen Mı und M: vorhanden, nicht — oder nur in geringem Maße —
zwischen M» und M;, wie sich dies außerdem aus der Angabe Topinards
een. M: 10,0 mm
M, 9,3mm
Ms 9,3mm.
Schließlich stimmen meine Mittelwerte ziemlich ganz mit den An-
gaben Blacks überein.
Schließlich sei noch Folgendes bemerkt: das etwas paradoxe Steigen
der Maxima (Mı 13,3 mm; M: 13,9 mm; M: 13,8 mm) findet seine Er-
klärung in dem Vorhandensein der beiden medialen Nebenhöcker der als
Maxima verzeichneten zweiten und dritten Molaren. Ich wies schon bei
einer früheren Gelegenheit darauf hin, daß sich die Entwicklung dieser
Nebenhöcker so gut wie ausschließlich auf unseren M: und Ms beschränkt.
Literaturnachweis: G.V.Black: Anatomie descriptive der dentea
humaines, traduction du Dr.G Darin. 1902. — J. Choquet: Précis d’anatomie
dentaire. 1904. — Martin Dewey: Dental anatomy. 1916. — Th. E.de Jonge
Cohen: Die Kronenstruktur der unteren Prämolaren und Molaren Ein Beitrag
zu der Morphologie des menschlichen Gebisses. 1917. — E.Mühlreiter: Über
Minimal- und Maximalgrößen der Zähne. Deutsche Vierteljahrechrift für Zahnheil-
kunde, Jahrgang XIV, Heft II. 1874; Anatomie des menschlichen Gebisses. 1912.
— Lambert: Morphologie du système dentaire des Races humaines. Bulletin de
lacadémie Royale des Sciences Belgiques. 1877. — M.de Terra: Beiträge zu einer
Odontographie der Menschenrassen. 1905. — P.Topinard: Les Races indigènes
de l'Australie. 1872.
2) Da die von de Terra angegebenen Werte die Maxima bzw. Minima aller
Rassen betreffen und also in gewissem Sinne ungleichartig sind, bleiben sie hier
außer Betrachtung.
Viktor Frey. Der Schußkanalbestimmer. 17
Aus d. zahnärztl. Abt. d. Verwundetenspitales d. Wiener allgem. Poliklinik
(Vorstand O.-St:-A::Pref:Dr.G. Ritter-v. Wunschheim).
Der Schußkanalbestimmer.
(Ein Hilfsmittel zur Feststellung der topographischen Lage des
Schu kanals bei Kieferschüssen.) *)
Von Dr. Viktor :Frey....
| (Mit 36 Figuren.)
i (Schluß.)
Fall 4. Inf. F.E.
Gewehrdurchschuß (vgl. Abbildung 29 und 30), Einschuß 2cm vor
dem rechten Angulus in, der Höhe des unteren Kieferrandes.
Ausschuß im linken Mundwinkel. (Diffuse Schwellung des Zahn-
fleisches zwischen 8—3]; sowie der rechten Sublingualgegend. Am Lingual-
rand des rechten Unterkieferkörpers in der Molaren- und Prämolaren-
gegend die Schleimhaut eingerissen und eitrig belegt. Dortselbst der
Unterkiefer abnorın beweglich. Diagnose: Splitterfraktur des rechten hori-
zontalen Unterkieferastes: bei 4| beginnende und schief nach hinten und
unten bis 1 Querfinger vor dem rechten Angulus endigende Frakturlinie.
Sequester.)
Sehulikanal: Einschuß 2cm vor dem rechten Angulus in der Höhe
des Unterl.ieferrandes, Mundbodengebildes in der rechten unteren Prä-
molarengegend, linker Mundwinkel nach Abschuß der linken oberen Prä-
molaren. |
(Da die linken unteren Prämolaren nicht abgeschossen waren, dürfte
Patient im Moment der Verletzung den Mund etwas geöffnet gehalten
haben.)
Fall 5. J. Tsch. (vgl. Abbildung 31, 32, 33).
Schrapnellfüllkugeldurchschuß:. Am unteren Rand des linken Nasen-
flügels 1 cm von der Mittellinie eine von dem Geschoß herrührende flache
Narbe. Lippen unverletzt. |2 abgeschlagen. Einschußnarbe fehlt. Aus-
schußgegend der linken Glandula submaxillaris.
Diagnose: Splitterfraktur des linken Unterkiefers in der Gegend
von j6 7%. |
Schußkanal: Streifschuß des linken Nasenflügels, das Geschoß schlug
die Krone des |2 ab, drang durch den weitgeöffneten Mund zum horizontalen
Kieferast der linken unteren Molarengegend.
Daß die Oberlippe unverletzt war, kann man sich nur so erklären,
daß Patient den Mund weit geöffnet und die Oberlippe hochgezogen hatte,
”) Vortrag, geh. in der Oktobersitzung (1917) des Vereines österr. Zahnärzte.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 2
18 ! Viktor Frey.
Fig. 29.
Schußrichtung (Gewehrdurchschuß). Einschuß 2cm vor dem rechten Angulus in der Höhe
des Unterkieferrandes, Mundbodengebilde in der rechten unteren Prämolarengegend. Abschuß
der linken oberen Prämolaren. Ausschuß: Linker Mundwinkel. Mund war im Momente der
Verletzung offenbar etwas geöffnet, da die linken unteren Prämolaren intakt sind.
Fig. 30.
Höntgenskizze. Splitterfraktur des rechten horizontalen Kieferastes.
Der Schußkanalbestimmer. 19
wie beim Hurrahschreien. Ferner käme die Tatsache in Betracht, die jeder,
der im Felde war, bestätigen kann, daß die Soldaten, wenn sie ein über
ihnen platzendes Schrapnell beobachten, also mit stark zurückgebeugtem
Kopi in die Höhe blicken, dabei gewöhnlich den Mund geöffnet haben. Die
Einstellung läßt sich am Lebenden bei geöffnetem Munde ohneweiters ver-
Fig. 81. Fig. 32.
Streifachußnarbe am linken Nasenflügel. Schußrichtung. Streifschuß des linken Nasen-
Einschuß durch den weit offenen Mund. flügels (Lippe unverletzt); Eintritt des Geschosses
Ausschuß in der linken Halsseite. durch den weit geöffneten Mund q2 Krone ab-
(Schrapnellkugeldurchschuß.) geschlagen, Zertrümmerung des linken horizon-
talen Kieferastes, Austritt des Geschosses in der
linken Sublingualgegend). Die Einstellung ist
nur bei weitgeöffnetem Mund (Condylus am
Taberkulum !) möglich.
nehmen, am Schädelpräparat aber nur dann, wenn man die normale
Öffnungsbewegung nachahmt, so daß der Condylus am Tuberkulum sitzt.
Fall 6. Oblt. E. P. (vgl. Abbildung 34, 35, 36).
Gewehrdurchechuß. Einschuß 2cm oberhalb des rechten Angulus.
Ausschuß oberhalb und neben dem linken Mundwinkel. Diagnose: Zer-
splitterung im unteren Drittel des rechten aufsteigenden Unterkieferastes
im Querverlauf mit Knechensplittern und Projektilteilchen, Alveclarfort-
satz in der rechten oberen Molarengegend und Alveolarfortsatz im Bereich
y%
20 Viktor Frey.
der linken oberen Frontzähne und Prämolaren in großer Ausdehnung ge
splittert. Abgeschossene Zähne 7 6 5]2, ausgeschossene Zähne B_4 5 6.
Schußkanal: Rechte Angulusgegend, Alveolarfortsatz der rechten
oberen Molaren. quer durch den Mund, Alveolarfortsatz der linken oberen
Prämolaren.
Fall 7. Inf. J. Cz. (Abbildung 8 und 9).
Schrapnellfüllkugelsteckschuß. Einschuß 2 Querfinger nach vorne
und 1 Querfinger nach oben vom linken Meatus auditorius externus.
Fig. 32a.
4 Querfinger unter dem rechten Öhrläppchen eine vertikale, 2 em
lange, lineare Narbe. Das Geschoß, eine vollkommen intakte Schrapnell-
kugel, blieb unter der Haut im rechten Sternocleidomastoideus stecken
und wurde von dort zirka 1 Monat nach der Verletzung durch eine Inzision
entfernt.
Kieferklemme. Röntgenbefund: Splitterfraktur des linken
Processus zygomaticus des Os temporale, ganz oberflächliche, zarte Ab-
splitterung im Bereiche der Ineisura semilunaris des linken Unterkiefers.
Schußkanal: Linker Jochbogen, hinter dem linken Processus ptery-
goideus, Nasenrachenraum, Weichteile der rechten Halsseite zwischen
Processus mastoideus dexter und rechtem aufsteigendem Kieferast
(— Fossa retromandibularis dextra), rechter Sternocleidomastoideus.
Der Schußkanalbestimmer. 21
= Man kann also annehmen, daß der Schußkanal im Be-
reich des Gesichtsschädels durch eine Gerade re-
präsentiert wird: sogenannte Ringelschüsse, deren
Vorkommen wiederholt (allerdings nicht bei Kiefer-
frakturen) angeführt wurde, sind in keinem Falle be-
obachtet worden. Es empfiehlt sich daher bei der
ersten Untersuchung des Patienten, die Rekonstruk-
Fig. 33. Fig. 34.
|
l
:
:
|
i
Einschuß 2 cem oberbalb des rechten Angulus. Aus- Schußrichtung. S. Text der Röntgenskizze.
schuß oberhalb und neben dem linken Mundwinkel.
(Gewehrdurchschuß.)
tion des Schußkanals am skelettierten Schädel mit
dem leicht herzustellenden Schußkanalbestimmer
unter Berücksichtigung der individuellen Eigen-
schaften des Patienten vorzunehmen, um sich even-
tuell spätere unangenehme Überraschungen zu er-
sparen. Es wird dies vielleicht manchem überflüssig
erscheinen, aber dem ist nicht so. Mit einer Plastizität
sondergleichen treten die topographischen Verhältnisse und die eventuellen
292 Viktor Frey. Der Schußkanalbestimmer.
Verletzungsmöglichkeiten vor unser Auge, wenn wir schon bei der ersten
Untersuchung des Patienten die Verletzung am Schädel rekonstruieren, so
daß wir schon dem Röntgenologen wertvolle Winke für die Aufnahme
geben können. Die Kieferverletzung ist es ja nicht an sich, auf die es
hauptsächlich ankommt, die ist ja ziemlich leicht zu konstatieren, aber es
bedenke jeder, der Kieferbrüche behandelt, daß sein Arbeitsfeld höchst
wichtige Organe zu Nachbarn hat, so daß bei einem scheinbar leichten
Fig. 36.
Röntgenskizze. Zersplitterung des untersten Drittels des rechten aufsteigenden Kieferastes
(Knochen- und Geschoßsplitter). Alveolarfortsatz des rechten oberen Molaren und der linken
oberen Frontzäbne und Prämolaren in großer Ausdehnung gesplittert.
Abgeschossene Zähne 7 6 5f2. Ausgeschossene Zähne [8 4066.
Kieferschuß die Nachbarorgane in weitaus schwererer Art verletzt sein
können, wenn sich auch momentane Erscheinungen dieser Art nicht gar
so sinnfällig präsentieren. Wenn ich nur erwähne, daß das Kieferköpfchen
seine Pfanne in der Schädelbasis hat, wie wenige Millimeter von da bis
zum Gehirn und zun Gehörorgan sind, und schließlich wie dünn die obere
Antrumwand ist, die gleichzeitig den Boden der Orbita, dem Gehäuse des
Sehorgans, bildet, so wird man mich verstehen.
Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit etc. 23
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche u ae
im Kieferspitale.
Von Professor Dr. Rudolf Weiser, k. u. k. Oberstabsarzt, Chefarzt der ae
prothetischen Abteilung am k.u. k. Reservespital Nr 17 in Wien.?)
(Fortsetzung.)
Der Inf. Franz Pi. des Landst.-Inf.-Reg. Nr. 25 hat durch Gewehr-
schuß sämtliche Zähne des rechten ÖOberkiefers und den dazugehörigen
Fig. 43a. Fig. 43b.
Alveolarfortsatz verloren. Eine äußerlich sehr entstellende, hochgradige
Ankylose des rechten Kiefergelenkes bedingende und das obere Vestibulum
oris rechterseits verlegende Narbenbildung sollte operativ behoben werden.
Der Weichteilplastiker Esser bewog mich, von meinem ursprünglichen
Plane, vor allem das Vestibulum oris rechts oben herzustellen, auf diese
1) Aus: Beiträge zur Kieferschußtherapie. Aus Anlaß des einjährigen Be-
stehens des k. u. k. Reservespitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für Kieferverletzte)
herausgegeben von der Österr. Zeitschr. f. Stomatologie.
24 Rudolf W eiser.
Weise die die zahnärztlichen Maßnahmen unmöglich machende Ankylose
aufzuheben, dann den Zahnersatz herzustellen und erst zum Schlusse die
Weichteilplastik ausführen zu lassen, in diesem Falle abzusehen, vielmehr
die Herstellung des Vestibulum ‘oris sowie die Eliminierung der Wangen-
narbe in Einem durch die plastische Operation von ihm allein ausführen zu
lassen. Der eine Teil des Operationsplanes Essers ist, wie die Bilder 43 a
und 43b zeigen, in ganz einwandfreier Weise gelungen. Dagegen war ich
nachträglich gezwungen, doch erst das Vestibulum oris und den definitiven
Fig. 44a. Fig. 44b.
Zahnersatz herzustellen, was die intraorale Arbeit erschwerte und zu einer
Verzögerung der Behandlung führte. Diese und zwei andere ähnliche Er-
fahrungen befestigten mich in meinem Grundsatze: erst die innere Ein-
richtung des Mundes zu vollenden und dann erst zur Weichteilplastik zu
schreiten, aufs neue.
Eine ähnliche Narbenbildung als Residuum einer ausgedehnten
Weichteilverletzung der linken Wange wies der von Foramitti ope-
rierte Inf. des k.u. k. Inf.-Reg. Nr. 69/15, István M.auf; der kosmetische
Erfolg ist aus den Figuren 44a und b zu ersehen.
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 25
= Der Landst.-Inf. Adolf M. des k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 92 verlor am
29. Mai 1915 am südlichen Kriegsschauplatze durch Schrapnellschuß den
größten Teil des Oberkiefermittelstückes, so daß nur jederseits die beiden
letzten Mahlzähne samt den ihnen zugehörigen Alveolarfortsätzen stehen
geblieben sind, ferner verlor er das Mittelstück der Oberlippe, so daß nur
rechts und links noch die die Mundwinkel umsäumenden Reste vorhanden
sind, außerdem erlitt er die an schlechte Nasenplastiken erinnernde und im
Bilde 45a charakteristisch wiedergegebene Deformierung der Nase. Nach
Fig. 45a. l Fig. 45b.
einer Wanderung durch verschiedene andere Spitäler wurde der Patient am
20. Juni 1916 in das k. u. k. Reservespital Nr. 17 aufgenommen. Ich schritt
zunächst dazu, das rechts und links durch Narbenstränge verlegte Vesti-
bulum oris des Oberkiefers wiederherzustellen, der Mundspalte ihre normale
Breite wiederzugeben, die der Epithelisierung zu überantwortenden Wund-
flächen durch ein Lippenschild aus Silber, welches mittelst H a up t-
meyerscher Schienen an 8 7|78 angeschraubt und in seinen seitlichen
Partien mit Guttapercha und Jodoformgaze bedeckt wurde, offen zu halten.
Gleichzeitig löste ich den durch narbige Verwachsungen unförmlich in die
Breite und nach einwärts gegen die Mundhöhle verzogenen weichen Anteil
26 Rudolf Weiser.
der Nase von der Spina nasalis ab, hob sie durch eine dem oben be-
schriebenen Lippenschild angelötete Vorrichtung weiter nach vorne und
suchte sie durch Anlegen einer Bleiplattennaht (Figuren 45b und ce)
schmäler zu formen. Die wunden Ränder der aus ihrer narbigen Ver-
wachsung mit den Knochenstümpfen losgelösten Oberlippenreste rechts und
links, sowie die durch Ablösung der Nase von der Spina nasalis gesetzten
Wundflächen benähte ich gemäß dem von Foramitti geübten und uns
empfohlenen Verfahren mit 200%iger in Firnis getauchter +) Jodeformgaze.
Fig. 45c. Fig. 45 d.
teils um sie gegen Infektion in den ersten Tagen zu schützen, teils um
neuerliche unliebsame Verwachsungen hintanzuhalten. Etwa 14 Tage später
entfernte ich die Bleiplattennaht; ich konnte zu meiner Freude tatsächlich
eine Verschmälerung der unförmlich gewesenen Nase konstatieren (Fig. 45 d)
und lötete, nachdem die Nasenspitze noch nicht genügend aus ihrer in-
vertierten Stellung gegen die Mundhöhle gehoben erschien, eine gabel-
förmige, in die Nasengänge hineinragende Vorrichtung auf das Lippen-
schild, welche die Nasenspitze in jene Lage hob, die sie vor der Verletzung
') Der Überschuß an Firnis ist zwischen Verbandmullstückchen abzutupfen
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 97
innegehabt haben dürfte. Da uns einige voraufgegangene Versuche mit
einem Nasenformer nach Cieszyński belehrt hatten, daß die Nasen-
schleimhaut dieses Patienten beim geringsten Drucke (trotz aller Vorsicht)
lebhaft mit Decubitus reagierte, unterließ ich nicht, vorher die ganze
linke Nasolabialfalte des Patienten zu durchtrennen und die Wundfläche
ebenfalls mit Jodoformgaze zu benähen. Hierdurch wurde jegliche Spannung
aufgehoben und es gelang sofort, der Nase die in Figur 45 e dargestellte
Form zu geben und sie in derselben zu erhalten. Der nächste Schritt in
Fig. 45e. Fig. 46a.
der Behandlung dieses Patienten wird die plastische Herstellung der
Schleimhautseite der Oberlippe, sodann die Bedeckung des äußeren Ober-
lippendefektes und womöglich gleich auch die Herstellung eines Filtrums
sein, in welches späterhin ein dreieckiges Stück Knochen implantiert werden
soll, um die Nase ohne Apparat dauernd in ihrer anatomisch richtigen
Lage zu erhalten.
Es gehört zu den schwierigsten Problemen, eine durch Verletzung ver-
loren gegangene Oberlippe zu ersetzen. In der Regel ist man gezwungen,
entweder aus dem benachbarten Teile des Gesichtes oder vom Halse, wo
Fig. 46b. r Fig. 46c.
Fig. 46d. Fig. 46e.
Referate und Bücherbesprechungen. 99
nicht gar von einer oberen Extremität langgestielte Lappen zu Hilfe. zu
nehmen. |
Mitunter gelingt es dem Plastiker jedoch, auch durch Exzision einer
Narbe und Heranziehen mobilisierter Hautlappen aus der nächsten Um-
rahmung des Defektes genügend plastisches Material zu gewinnen, um das
gewünschte Resultat zu erreichen. Einen Fall letzterer Art, der in den
Abbildungen 46a, b, c, d, e (Jäger Franz H.im F.-J.-Baon. Nr.9) dar-
gestellt ist, hatte Esser Gelegenheit, im k. u. k. Reservespital Nr. 17
äußerst glücklich durchzuführen.
(Fortsetzung folgt.)
Referate und Bücherbesprechungen.
Wiener Medizinalkalender und Rezepttaschenbuch für praktische Ärzte.
41. Jahrgang. Wien 1918, Urban & Schwarzenberg.
Das von Urban & Schwarzenberg herausgegebene „Rezepttaschen-
buch“ erscheint seit einigen Jahren unter dem oben angegebenen erweiterten
Titel und mit wesentlich vermehrtem Text nunmehr zum 41. Mal.
In 32 Abschnitten bringt es neben den nicht nur für den praktischen
Arzt bestimmten Rezeptformeln kurze Abrisse aus allen Gebieten der
Medizin. Es wird dadurch ein unentbehrliches Vademekum für jeden Arzt —
auch den, der in einem Sonderfach der Medizin praktiziert. Ein Kalenda-
rium mit den in einem Kalender üblichen Rubriken — Stempeltaxen etc. —,
ein Verzeichnis der in Wien wohnhaften Ärzte und ein Notizbuch für alle
Tage des Jahres ergänzen das trotz des reichen Inhaltes sehr handliche
und übersichtliche Buch, für dessen Unentbehrlichkeit und Beliebheit die
hohe Auflage spricht.
Jeder Arzt wird es sich anschaffen. Steinschneider.
Zur Kritik der Ursachen der Kieferanomalien. Eine neue Theorie zur Ätio-
logie der Kieferverunstaltung des hohen Gaumens. Von Paul Wustrow.
D. M. f. Z., H. 2, Februar 1917.
Die vorliegende Arbeit ist vor allem als Kritik der Ansichten von
Kantorowicz gedacht, die er in seiner Studie: „Über den Mechanismus
der Kieferdeformierung bei behinderter Atmung“ niedergelegt hat. Die
Wichtigkeit der diskutierten Frage rechtfertigt wohl ein ausführliches
Referat. Die Hauptpunkte der Kantorowiczschen Ausführungen
müssen zunächst rekapituliert werden. Bei der normalen Nasenatmung
herrscht während der Inspiration im Atmungstrakt ein negativer, während
der Exspiration ein positiver Luftdruck, die sich in etwaigen Wirkungen
auf die Gesichtsknochen aufheben. In der durch den weichen Gaumen gegen
den Pharynx abgeschlossenen Mundhöhle kommt es während der normalen
Nasenatmung auch zu kleineren Druckschwankungen dadurch, daß der weiche
Gaumen bei der Inspiration etwas pharyngealwärts angesaugt wird und
umgekehrt.
Bei erschwerter Nasenatmung (Adenoide) werden naturgemäß die Inspi-
rationsbewegungen kräftiger, um in derselben Zeit durch die verengte
30 Referate und Bücherbesprechungen.
Stelle. die gleiche Luftmenge fördern zu können, dadurch aber auch der
negative Druck hinter dem Hindernis viel größer als normal. Dieser ver-
größerte negative Druck ist auch in der Mundhöhle durch ein Manometer
nachzuweisen und manifestiert sich sehr schön in dem folgenden einfachen
Versuche: bei verschlossenen Nasenlöchern und geschlossenem Munde werden
bei Inspirationsbewegungen Lippen und Wangen an die Zahnreihen an-
gesaugt. Dem Exspirationsstrom bei erschwerter Nasenatmung wird nun
durch ein eigenartiges Moment trotz des nasalen Hindernisses ein Weg ge-
bahnt, u. zw. durch die Ventilwirkung der Lippen. Diese werden bei dem in
der Mundhöhle während der Inspiration herrschenden negativen Druck an-
gesaugt und verschließen die Mundöffnung nur noch fester, bei der Exspira-
tion genügt aber schon ein kleiner Überdruck innen, um die Lippenspalte
zu öffnen und der Luft einen Weg nach außen zu bahnen. „Sehr häufig ist
deshalb bei Personen mit leichtem, nasalem KRespirationshindernis der
Atmungstypus derart, daß der Patient durch die Nase inspiriert und durch
die sich bei jeder Exspiration leicht hebenden Lippen exspiriert, eine direkte
Demonstration des Ventilverschlusses.‘‘ So kommt es also schon bei gehin-
derter nasaler Atmung — noch ohne Mundatmung — dazu, daß der stark
gesteigerte negative inspiratorische Druck durch den normal hohen ex-
spiratorischen Druck in der Mundhöhle nicht mehr kompensiert wird.
Bei der Mundatmung wird der Luftstrom durch die leicht geöffnete
Lippenspalte geleitet. Dieser Öffnung fehlt die Versteifung durch Skelett- .
bestandteile, wie wir sie an den Nasenflügeln sehen, so daß immer die
Gefahr besteht, daß das weiche Rohr bei innerem negativem Druck kolla-
biert und die Eingangsöffnung gerade bei der Inspiration verkleinert oder
verschließt. (Denselben Vorgang sehen wir in jenen Fällen nach Strumek-
tomie, in denen es durch den Druck der Struma zur Atrophie der Knorpel-
ringe der Trachea gekommen war. Bei jeder Inspiration kollabiert nun das
weiche Rohr.) Beim Wachen wird nun allerdings diese Gefahr des Lippen-
verschlusses durch die Lippenmuskulatur ausgeglichen, anders aber im
Schlafe — bei stark gesunkenem Tonus. Hier kommt es — abgesehen
von jenen wenigen Fällen, wo Patienten mit weitgeöffnetem Munde schlafen
— tatsächlich zum Ansaugen der Lippen während der Inspiration, dadurch
zu einer Verengerung der Lippenspalte und zu einer Erschwerung der Ein-
atmung. Die Exspirationsluft allerdings findet an den nach Aufhören des
negativen Druckes wieder normalgestellten Lippen kein Hindernis. Es tritt
also hier wieder durch die eigenartige Ventilwirkung der Lippen (die man
übrigens an sich selbst einwandfrei feststellen kann, wenn man bei ver-
schlossener Nase durch einen engen Mundspalt atmet) während der Inspi-
ration ein nicht kompensierbarer negativer Druck in der Mundhöhle auf.
Seine unmittelbare Folge ist nach Kantorowicz die allseitige Kom-
pression des Kieferskelettes.
Die allseitige Kompression äußert sich nun in einer Verengerung des
oberen Zahnbogens und in einer Protrusion der oberen Schneidezähne wegen
der Ellipsennatur der Kiefer, da eine Ellipse bei allseitigem Druck in der
Richtung ihrer längeren Achse verlängert wird. Im Unterkiefer findet der
Druck der Weichteile an der kräftigen Kompaktastruktur Widerstand, wes-
halb der Unterkiefer im allgemeinen seine Form bewahrt. Die oberen Front-
zähne werden gegen die auch auf ihnen lastenden Kompressionskräfte
(Retrusionskräfte) aber nur dann protrudiert, wenn die Kontinuität des
Referate und Bücherbesprechungen. 31
Zahnbogens erhalten ist.. Fehlt einer der. Zähne, so kommt es tatsächlich
zur Retrusion der Front.
Nach Kantorowicez ist also die Ursache für die Kieferverände:
rung bei Mundatmung der erhöhte inspiratorische negative Druck in der
Mundhöhle, der wegen der eigentümlichen Ventilwirkung der Lippen durch
den normalbleibenden Exspirationsdruck nicht kompensiert wird.
Wustrow hält den Erklärungsversuch von Kantorowicz für
gescheitert. Zunächst wendet er sich gegen die Auffassung von Kanto-
rowicz, als stelle der Alveolar- und. Zahnbogen ein isoliertes Gebilde
dar, das bei der Mundatmung einer Kompression unterliege. Er erwähnt
ganz richtig, daß der Alveolarfortsatz des Oberkiefers nur im Zusammen-
hange mit dem Gaumendache betrachtet werden darf. Ein allseitiger Druck
auf die Wände der Mundhöhle, wie er dem von Kantorowicz behaup-
teten negativen Inspirationsdruck in der Mundhöhle entspricht, wirkt da-
her nicht nur im Sinne der Kompression der Alveolarfortsätze, sondern
auch — von der Nase aus — im Sinne einer Gaumensenkung. Dem gegen-
über muß man aber darauf hinweisen, daß der Druck auf die Alveolarteile
jedenfalls überwiegen muß, da er eine bedeutend größere Fläche trifft, als
der auf das Mundhöhlendach gerichtete.
Wustrow geht nun weiter und untersucht die Druckverhältnisse
in Nasen- und Mundhöhle bei Nasen- und Mundatmung und kommt auch hier
zu abweichenden Resultaten. Die Hauptdifferenz in den Ausführungen der
Autoren beruht darauf, daß Wustrow eine Art Ventilwirkung des
weichen Gaumens annimmt. Dadurch wird — bei Nasenatmung — während
der Inspiration aus der Mundhöhle Luft abgesaugt, der so entstandene
negative Druck bleibt jedoch während der Inspirationsphase bestehen, da
dann das Gaumensegel durch den intrapharyngealen Überdruck wieder an
den Zungenrücken angelegt wird und so ein Druckausgleich zwischen Pha-
rynx, Nase und Mundhöhle nicht möglich ist. So kommt W. zu dem Schlusse,
daß sich die Druckkräfte, die auf das Gaumendach wirken, zwar während
der Inspiration aufheben; während der Exspiration jedoch wirkt der posi-
tive Druck in der Nasenhöhle mit dem (aus der Inspiration gleich geblie-
benen) negativen Druck in der Mundhöhle zusammen im Sinne einer Gau-
mensenkung bzw. Abflachung.
Während sich aber die Schlußfolgerungen Wustrows nur auf
theoretische Überlegungen stützen, hat Kantorowicz durch messende
Versuche mittelst eines Manometers nachgewiesen, daß in dem kleinen, bei
geschlossenern Munde zwischen Gaumen und Zunge bestehenden Luftraum
nur geringe respiratorische Druckschwankungen zu konstatieren sind. Wir
müssen daher, wie ich glaube, zunächst bei der Ansicht Kantorowic?z
bleiben, daß bei der normalen Nasenatmung in der Mundhöhle keine beson-
deren Kräfte ausgelöst werden, sondern daß der inspiratorische negative
und exspiratorische positive Luftdruck in der Nasenhöhle sich in ihren
Wirkungen aufheben.
“ Bei der Mundatmung wirkt — einen Verschluß am hinteren Nasenende
vorausgesetzt — nach W ustro-w. der. während der Inspiration entste-
hende negative Druck im Sinne einer Gaumensenkung, der Überdruck wäh-
rend der Exspiration im entgegengesetzten Sinne, so daß natürlich ihre
Wirküng gleich Null bleibt. W us tro w schließt daraus: „Es sind also die
veränderten Luftdruckwirkungen der Atmung _ ‚hei verlegtem Nasenweg
32 Referate und Bücherbesprechungen.
nicht das unmittelbar grundlegende Moment für die Kieferverunstaltung
(Gaumenhebung).“ Bei seiner Beweisführung vergißtt Wustrow nur
‚ganz und gar, daß er sich bis dahin in vollkommener Übereinstimmung mit
Kantorowicz befindet, der ja auch der ungehinderten Mund-
atmung (z. B. im Wachen) keinen Einfluß auf die Kieferdeformierung zu-
schreibt. Die Ursache dafür findet Kantorowicz doch erst — wie er
selbst betont — in der behinderten Mundatmung, das Hindernis selbst liegt
in der eigenartigen Ventilwirkung der Lippen. Und diese wieder ist nicht
nur theoretisch wohl begründet, sondern auch durch das Experiment (wie
oben erwähnt) sehr leicht einwandfrei festzustellen. Gerade auf diesen
Punkt kommt aber Wustrow überhaupt nicht zu sprechen.
Wustrow muß nun nach einer Kraft suchen, die die Gaumenhebung
bei der Mundatmung bewirkt, da auch er an dem ursächlichen Zusammen-
hang beider Erscheinungen festhält. Er findet sie in der Keilwirkung, welche
die unteren Molaren auf die oberen ausüben, da die Bißebenen nicht in einer
horizontalen Ebene liegen, sondern infolge der Auswärtsneigung der oberen
und der Einwärtsneigung der unteren Molaren abwärts konvergieren.
Der Kaudruck wirkt daher im Sinne einer Annäherung der oberen Zahn-
reihe aneinander — da die Fixation der unteren durch die Stärke der Mandi-
bula gegeben ist, und diese komprimierende Kraft ist es, welche das bei der
Mundatmung bezüglich der Luftdruckkräfte gegebene Gleichgewicht stört.
Bei der normalen Nasenatmung jedoch wirkt sie der den Gaumen senken-
den Kraft entgegen, die nach Wustrow aus dem Überwiegen des nega-
tiven Druckes in der Mundhöhle resultiert, und kompensiert diese. Wenn man
auch das Bestehen einer solchen Kraft theoretisch zugeben muß, so muß
man doch bedenken, daß ihre Wirkung gerade bei der Mundatmung nur eine
äußerst eingeschränkte sein kann, da ja hier die Zahnreihen, abgesehen vom
Kauakt, nicht in Berührung kommen. Andererseits wissen wir aber, daß
nächtliche Kaubewegungen bei Nasenatmern fast zur Regel gehören, und daß
sie sogar höchstwahrscheinlich in ihrer Wirkung die bewußt ausgeführten
Kaubewegungen während des Wachens übertreffen. Auch diese Überlegung
läßt in der von Wustrow betonten Hauptursache der Gaumendeformie-
rung höchstens ein sekundäres Agens erblicken.
Schließlich legt W ustro w noch besonderes Gewicht auf das erbliche
Moment bei der Akquisition des hohen Gaumens, muß aber diese Behaup-
tung in dem Sinne einschränken, daß wahrscheinlich nur die Disposition zu
adenoiden Wucherungen vererbt, der hohe Gaumen jedoch individuell er-
worben wird. Und in dieser Auffassung dürfte wohl keine Differenz zu den
Ausführungen Kantorowicz’ gelegen sein.
Zusammenfassend müssen wir also sagen, daß die Theorie von
Kantorowicz, die durch die Ventilwirkung der Lippen gestörte Mund-
atmung sei das ätiologische Moment für den hohen Gaumen und die alveo-
lare Prognathie, durch Wustrows Ausführungen nicht erschüttert wer-
den konnte. Sicher.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
— . den L1 Mame y
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, II., Münzgasse 6.'
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ via Seien Zahnärzte Osterreichs.
Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
i XVI. Jahrgang.
l Februar 1918. 2. Heft.
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Skorbut im Kriege.
(Übersichtsreferat.)
Von Oberstabsarzt Doz. Dr. J. Zilz.
Die Ätiologie des Skorbuts ist eine bis zum heutigen Tage noch
vollständig ungeklärte. Als hervorstechende Momente kommen außer un-
hygienischen Verhältnissen, wie Kälte, Nässe und feuchte Wohnräume,
noch andere Faktoren, wie Mangel der Ernährung, verdorbene Nahrungs-
mittel etc., in Betracht.
Nach Garrod besteht das Wesen des Skorbuts in einer Kachexie,
welche durch eine kalisalzarme Nahrung bzw. infolge Mangel an frischen
Gemüsen hervorgerufen wird. Das Fehlen der Kalisalze im Blut und den
Geweben soll unmittelbar die skorbutischen Erscheinungen hervorrufen
Laut Bunge hat die exzessive Zufuhr von Kochsalz eine vermehrte
Abgabe von Kali zur Folge, ein Umstand, der ganz gut mit der Garrod-
schen Theorie vereinbar ist. Trotz zweifelloser Richtigkeit dieser Theorien
sind doch alle Fälle von Skorbut nicht zu erklären. Es sind Fälle
beobachtet worden, die gerade gegen den Skorbutals
Avitaminosesprechen. Daher finden sich auch Autoren,
die den Skorbut als Infektionskrankheit ansehen
(Much). Leitner (1) sieht den Skorbut als eine Avita-
minose an, wofür die beiden von ihm beobachteten
Fälle anamnestisch sprechen.
Von objektiven Befunden seien Schwäche, Appetitlosigkeit und
Gliederschmerzen, objektiv Blässe, Abmagerung und kachektisches Aus-
sehen erwähnt. Blutungen verschiedenen Grades wurden beobachtet, haupt-
sächlich an den Unterschenkeln und Oberschenkeln. In der Umgebung der
Blutungen fand man häufig hartgespannte Infiltrationen. Häufig waren
Blutergüsse in der Kniekehle. In 76% der Fälle wurde Auflockerung und
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 3
34 J. Zilz.
Blutung des Zahnfleisches beobachtet. Schwere Veränderungen
des Zahnfleisches konnten zirkumskript an den hin-
teren unteren Molaren beobachtet werden.
Das Blutbild war bei allen Skorbutkranken ein einheitliches. Die
wichtigsten Erscheinungen waren niedrige Leukozytenzahl, also Leuko-
penie, herabgesetzte Erythrozytenzahl (31/.—4 Millionen), niedriger Hämo-
globingehalt.
Die Vergleiche der Blutbilder bei Beginn der Krankheit und in der
Rekonvaleszenz zeigten, daß die relative Lymphozytose zur Zeit der Re-
konvaleszenz wächst, und ferner war die Zahl der Übergangsformen im
Blute zur Zeit der Rekonvaleszenz bedeutend.
Die Heilung der Fälle ging verhältnismäßig rasch, obwohl das Blut-
bild oft nach über 2 Monaten noch nicht normal war.
Interessant ist die Tabelle der Blutwerte bei den verschiedenen
hämorrhagischen Diathesen.
Schneider (2) beobachtete seit März 1916 hämorrhagische Er-
krankungen, deren Hauptsymptome Blutungen in und um die Haarbälge,
an den Extremitäten, in die tieferen Weichteile der Beine und Arme,
charakteristische Zahnfleischaffektionen und Glieder-
schmerzen waren.
Die Blutungen sind punktförmig-linsengroß im frischen Zustand,
hellrot, dann dunkelrot, später braun. Die Blutungen in die tieferen
Weichteile finden sich besonders in der Gegend der Ursprünge des Gastro-
cnemius. In der Kniekehle finden sich die Blutungen besonders in der
Gegend der Ansätze des Rectus femoris vor. Nächst dem Gastrocnemius
ist die bevorzugte Stelle für Zellgewebsblutung ebenso das lockere sub-
kutane Gewebe an der Ulnarseite des Ellbogengelenks.
Über Schmerzen in den Waden, Tibialgien klagten fast alle Skorbut-
kranken.
Als Begleiterscheinung der hämorrhagischen Diathese bestand oft-
mals Fieber. Die Skorbutkranken waren zumeist fahl, blaß, mit leichter
Ziyanose.
Schneider betont, daß es sich bei seinen Skorbutkranken um
eine Epidemie handelte, die nur die vordersten Kampfstellungen heim-
suchte. .
Der infektiöse Charakter des Skorbuts ist, wie oben erwähnt, mannig-
fach betont worden. Schneider glaubt, daß die meisten aus klimatischen
Ursachen erkrankten. Feuchte Kälte wird ja als disponierendes Moment
angesehen. Der Hauptfaktor ist jedenfalls in mangelnder oder fehlerhafter
Skorbut im Kriege. 35
Ernährung zu suchen, da die Symptome bei geeigneter Nahrung ehestens
verschwinden.
Als Krankheitsursachen werden angesehen:
1. Der durch lange Zeit bestehende Mangel an frischen Vegetabilien.
2. Der Mangel an Rohkost.
Als unterstützende Momente sind relative Eiweißüberfütterung und
Fettmangel zu bezeichnen.
Außerordentlich nahe liegt die Annahme, daß die Veränderung,
welche die Nahrungsmittel durch Kochen und Backen, vielleicht auch durch
Gärung, erfahren, vielleicht durch Zerstörung von Vitaminen, den Skorbut
verursacht.
Ein disponierendes Moment scheint auch relativ hoher Eiweißgehalt
der Nahrung zu sein.
Brüning (3) hat 300—400 Skorbutfälle beobachtet. Nach seiner
Ansicht sind die Zahnfleischveränderungen nicht ty-
pisch, sind solche vorhanden, dann sind sie nicht ein
Gradmesser für dieSchwere der Erkrankung.
Die Munderscheinungen sind keine Gingivitis,
ihrCharakteristikumist, daßjederentzündliche Pro-
zeß fehlt. Es handelt sich nurum Folgezustände der
Gefäßveränderungen, die in ihrer Wandung geschä-
digt, abnorm durchlässig und leicht zerreißbar sind.
Die Blutungen der Haut ähneln kleinen Ekchymosen, die Haut selbst
ist atrophisch, ausgetrocknet und schuppt sich stark.
Gehäufte Furunkelbildung hat der Verfasser nicht gesehen.
Der Sitz der Hautblutung ist besonders am Unterschenkel und Unter-
arın. Tiefe Blutungen kündigen sich nur durch Muskelauftreibungen an, die
Folge ist mehr oder weniger starker Funktionsausfall des betreffenden
Gliedes. Auch hier ist die Wadenmuskulatur bevorzugt. Das Zustande-
kommen dieser Blutungen erklärt er sich so wie bei den Zahnfleisch-
blutungen.
Das wichtigste Allgemeinsymptom ist die Anämie, die in schweren
Fällen, progredient verlaufend, zum Exitus führt. Dabei sind Bluttrans-
fusionen und Seruminjektionen ohne Erfolg geblieben.
Temperatur fehlt bei leichten Fällen, in schweren Fällen leichte
Temperaturerhöhung, den Resorptionsvorgängen entsprechend.
Das Aussehen der Wunden beim Skorbut ist typisch. Die Granu-
lationen sind bläulich verfärbt und neigen zu Blutungen.
3%
36 J. Zilz.
Die Heilungstendenz der Wunden ist wesentlich herabgesetzt. Tst
die Heilung eingetreten, so sieht die Narbe gewulstet aus, die Umgebung
ist dunkelblau verfärbt.
Hämatome neigen zur Infektion durch die Blutbahn. Kallusbildung
fehlt beim chronischen Skorbut.
Während die Prognose für Skorbut im allgemeinen günstig ist, ist
dieselbe als ungünstig zu bezeichnen, wenn er mit anderen Krankheiten
vergesellschaftet ist.
Therapie: Dieselbe besteht in der Verabreichung frischer Gemüse,
Zitronensaft etc.
Wunden sind der Sonnen- und Freiluftbehandlung zuzuführen, da
andere Mittel versagen.
Schließlich erwähnt der Verfasser, daß er den Skorbut als
eine Infektionskrankheit ansieht.
Feig (4) beobachtete 1914/15 eine Skorbutepidemie in einem Ge-
fangenenlager, gegenwärtig bei der eigenen Mannschaft im Felde. Be-
sonders genau war das Studium des ursächlichen Zusammenhanges dieser
Erkrankung mit der Verköstigung möglich, so zwar, daß die Krankheit
schon in ihrem Anfangsstadium durch die entsprechende Diät zu kupieren
war. Als erstes Symptom sind die ziehenden Schmerzen in den Extremitäten
zu nennen, zur selben Zeit die Veränderung der Haarfollikel nachweisbar,
die, an der Außenseite der Oberschenkel beginnend, sich auf die Unter-
schenkelstreckseite der oberen Extremitäten, schließlich auf die Bauch-
und Brusthaut fortsetzen. Die anfangs hellroten Pünktchen vergrößern
sich, werden blaurot, schließlich als lichenartige Knötchen konfluieren sie,
bis ihre Anordnung unter Umständen so dicht wird, daß überhaupt kein
normal gefärbtes Stückchen Haut zu sehen ist. Mundveränderungen sind
fast stets vorhanden. Sie beginnen mit der blauroten Verfärbung des Zahn-
fleischsaumes und führen zur Auflockerung und Schwellung des ganzen
Zahnfleisches.
An schweren Fällen beobachtet man pralle Schwellung der Extremi-
täten, von tiefliegenden Blutungen herrührend. In 3 Fällen war beider-
seitige Lymphdrüsenschwellung im Gesichte, von der Schläfe bis zur Mitte
des Halses reichend, nachzuweisen.
Das Allgemeinbefinden ist anfangs nur mäßig gestört, im Fort-
schreiten der Erkrankung werden die Patienten bettlägerig und schwach.
Anämische bis zyanotische Gesichtsfarbe sind stets vorhanden. Die Sto-
matitis erschwert die Nahrungsaufnahme. Von Seite der Lunge ist Bron-
chitis, eventuell trockene Pleuritis nachzuweisen. Der Urin war in allen
Skorbut im Kriege. 97
Fällen eiweiß- und blutfrei. Dieses Höhenstadium der Erkrankung wurde
nur in wenigen Fällen erreicht, da die Therapie dem Weiterschreiten der
Krankheit Halt gebot.
Die Diagnose Skorbut ist bei der verschiedenen Ausdehnung der
Symptome oft nicht so leicht. In vielen Fällen treten gewisse Symptome
auf, während andere ganz in den Hintergrund treten.
Die therapeutische Diät führt dem Kranken reichlich frisches Ge-
müse zu.
Leichte Fälle heilen in 4 Wochen, schwere in 2 Monaten.
Die Schmerzhaftigkeit im Bereiche der Extremitäten läßt nach, die
Follikel heilen durch Abschuppung, oft Pigmentationen zurücklassend.
Dr.Walter und Dr.Pascher (5), welche seit Jahren an der
Südfront ärztlich tätig sind, ist es aufgefallen, daß regelmäßig bei: sonst
gleichbleibender Ernährung der Truppen, zur Zeit der Schneeschmelze
schwere Fälle von Skorbut gehäuft auftreten, und es ist deshalb die Mei-
nung nicht unberechtigt, daß unbeschadet anderer Ursachen, als Mangel
an vitaminreicher Ernährung bei den Fronttruppen, in diesem Fall durch
den (Genuß des an Salzen armen Schmelzwassers die gehäuften Fälle von
Skorbut zur Zeit der Schneeschmelze hervorgerufen werden.
Durch Zusatz von Salzen, also von Kochsalz, zu dem Schneewasser
kann, falls diese Anschauung sich als richtig erweist, in weiteren Jahren
derartigen Erkrankungen nach Möglichkeit vorgebeugt werden.
Die von Saxl und Melka (6) beobachteten Fälle betrafen Russen,
die im Frühjahr 1917 in Gefangenschaft gerieten. Die Verfasser betonen,
daß die Gefangenen gut und reichlich verpflegt waren, daß aber die Pa-
tienten selbst angeben, daß vor ihrer Gefangennahme im russischen Heere
cine Massenepidemie gewütet habe. Die ersten Beschwerden äußerten sich
in Schmerzen an Armen und Beinen, vorwiegend Tibialgien. Dann traten
Beschwerden in der Mundhöhle Schwellung des Zahn-
fleisches und Neigung zu Blutungen auf. Die Hämorrhagien waren
in der Haut und im Unterhautzellgewebe. Dieselben waren fast aus-
schließlich an den Extremitäten lokalisiert. Von Blutungen aus inneren
Organen wurden eine Lungenblutung und 2 Fälle von Hämatothorax be-
obachtet. 1 Fall von Hämatothorax, der zur Obduktion kam, zeigte neben
einscitigem Hämatothorax zahlreiche Ekchymosen an den serösen Über-
zügen und Schleimhäuten der inneren Organe. Die Darmschleimhaut zeigte
pigmentierte Narben, die offenbar von einem überstandenen Darmkatarrh
herrühren.
Die meisten Kranken fieberten, viele sehr hoch. Von den thera-
peutischen Maßnahmen (Diät, Zufuhr von Säuren und Salzen) scheint
38 J. Zilz.
dieMundpflegesehr wichtig zu sein. Die Zahnfleisch-
erkrankungläßtdeutlicherkennen, daßdieBlutungen
nicht das primäre sind.
Die Blutungen der Extremitäten hatten immer dieselbe Farbe, woraus
die Verfasser den Schluß ziehen, daß es in der betroffenen Region zur
Nachblutung nicht kommt.
Bei einer allgemeinen Gefäßschädigung im Sinne einer erhöhten
Wanddurchlässigkeit mußte es auch zu einer exsudativen Diathese kommen ;
von dieser ist aber beim Skorbut nichts zu bemerken. Nach den mit-
geteilten Beobachtungen muß der Grundsatz aufgestellt werden, daß der
Skorbut keine hämorrhagische Diathese ist Von
einer generalisierten Gefäßschädigung kann beim
Skorbut nach Ansicht der Verfasser keine Rede sein.
Gingivitis den ganzen Prozeß überdauernd.
Gestützt auf seine klinischen Erfahrungen, teilt Hoerschel-
mann(8) die Skorbutfälle nach der Schwere in drei Grade ein. Die Sym-
ptome sind dabei etwa folgende:
1.Grad: Leichte Stomatitis, sich äußernd in livider Verfärbung des
Zahnfleisches, Blutungen aus dem Zahnfleisch, besonders bei Genuß von
hartem Brot, geringe Petechien an den Beinen, vorzugsweise an der Beuge-
seite und den Haarbälgen entsprechend lokalisiert, keine oder geringe
Schmerzen beim Gehen, Puls meist nicht verändert.
2.Grad: Ausgesprochene Gingivitis, die um kariöse Zähne herum
schon ulzerösen Charakter annehmen kann, Petechien und Sugillationen am
weichen und harten Gaumen; zahlreiche Petechien an Beinen, Bauch und
Unterarmen, auch subkutane Sugillationen daselbst; ausgesprochene
Schmerzen in den Beinen, häufig herabgesetzte Ernährung (letzteres durch-
aus nicht immer) und zuweilen allgemeine Anämie und Müdigkeit bzw.
leichte Ermüdbarkeit; Labilität des Pulses, der auf geringe Bewegungen
mit erheblicher Beschleunigung reagiert; zuweilen mäßige subfebrile
Temperaturen, häufig Bronchitis catarrhalis.
3. Grad: Stomatitis ulcerosa, Hämatome am Zahnfleisch, starker
Foetor ex ore, zuweilen ausgebreitete Sugillationen am harten Gaumen.
(Hier sei nochmals darauf hingewiesen, daß gerade in schweren Fällen die
Mundaffektion völlig fehlen kann oder häufig nur leicht angedeutet ist,
Fälle, die man gewöhnlich als Morbus maculosus Werlhofii bezeichnet hat.)
Die Prognose des Skorbuts ist im allgemeinen durchaus günstig.
Die Krankheitsdauer beträgt nach den Erfahrungen der russischen Ärzte
in leichten Fällen einige Monate, in mittleren ein halbes Jahr, in schweren
noch längere Zeit.
hun zu u a 0 Due ZUBE n E E ES Ca DE E R
mm I. une - ` —
Skorbut im Kricge. 39
Von Komplikationen beobachtet Hoerschelmann am häufigsten
durch Sekundäraffektion entstandene Ulcera cruris und Furunkulosis mit
sehr geringer Heilungstendenz. Chirurgische Eingriffe sind an Skorbuti-
kern, wenn irgend möglich, streng zu vermeiden! Die Wunden zeigen
absolut keine Heilungstendenz.
Die Frage nach der Ätiologie des Skorbuts kann klinisch nicht mit
absoluter Sicherheit entschieden werden. Bekanntlich gibt es Autoren,
welche die Ansicht vertreten, es müsse sich beim Skorbut um eine In-
fektionskrankheit mit spezifischem Erreger handeln.
Gegen Infektion spricht: i
1. Das Auftreten der Krankheit im Frühjahr, zu einer Zeit, wo
kein frisches Gemüse vorhanden ist, und ihr Verschwinden mit dem reich-
lichen Verabfolgen desselben.
2. Das Fehlen von Beobachtungen direkter Übertragung der Krank-
heit, z. B. bei Bettnachbarn.
3. Das Verschontbleiben des Offizierskorps. In unserem Armeekorps
erkrankten nur ganz vereinzelt Offiziere und nur in leichter Form. Alle
diese hatten sich an der vorderen Linie längere Zeit aus der Soldaten-
küche verköstigt.
Dank der hygienisch-sanitären Maßregeln während des Krieges ist
in neuerer Zeit ein endemisches Auftreten völlig verschwunden, nur in
Rußland, wo die sanitär-hygienischen Verhältnisse aller Beschreibung
spotten, konnte es zu einer so großen Skorbutendemie kommen.
Unter den von Disqué (9) beobachteten 504 Fällen war nur ein
Fall mit starker Stomatitis ulcerosa auf die Gingiva lokalisiert, bei dem
sich unter Schwellung und Geschwürsbildung mit Blutungen die Schleim-
hautnekrose in großen, weißen Fetzen ablöste und einen widerwärtigen,
aasartigen Foetor ex ore hervorrief. Kleine Ekchymosen entwickelten
sich am weichen Gaumen und Rachen.
Unter geeigneter diätetisch-hygienischer und medikamentöser Be-
handlung gingen die Erscheinungen ziemlich schnell zurück.
Die Kranken erhielten eine allgemeine Diät mit Skorbutzulage.
Diese Zulage bestand aus einem Salat von Kartoffeln, Zwiebeln, Weißkohl
und roten Rüben und wurde von den Kranken sehr gerne genommen.
Einen ganz großartigen Erfolg, selbst bei schwereren Fällen, hatte
er mit der Kalktherapie.
Literatur: 1. Dr. Philipp Leitne r, Beiträge zur Hämatolyse des Skor-
buts. Wiener klin. Wochenschr. vom 2. August 1917, S. 978. — 2 Dr. Erich Schnei-
40 Rudolf Weiser.
dor, Skorbut im Felde. Wiener med. Wochenschr , Nr. 44 und 45, S. 1934—1985. —
3. Dr. F Brüning, Skorbut und Chirurgie. Bruns’ Beiträge zur klin. Chir,
30. Kriegschirurgisches Heft, Bd. 105, 1917, S. 124. — 4. Dr. J. F eig, Beobachtungen
über Skorbut im Kriege. Med Klinik, Nr.31 vom 5. August 1917, S. 837 — 5. R.
v.Jaksch, Schneewasser und Skorbut. Zentralbl. f. innere Med., 1917, Nr.32. —
6. Dr.Saxl und Dr.Melka, Über den Skorbut und seine Beziehungen zu den
hämorrhagischen Diathesen. (Aus einem Epidemiespital der k. u. k. 4. Armee.) Med
Klinik, Nr.37 vom 16. September 1917, S. 986. — 7. Dr. Theodor Zlocisti, Die
kriezechirurgische Bedeutung des Skorbuts. (Aus dem Lazarett der 1. Abordnung
des Deutschen Roten Kreuzes in die Türkei.) Bruns’ Beiträge zur klin. Chir.,
Bd. 103, H. 4 (28. Kriegschirurgisches Heft). Mit 92 Abbildungen. 1916. — 8 Doktor
Ernst Hoerschelmann, Assistent der Chirurgischen Abteilung des II. Stadt-
krankenhauses in Riga, Zur Klinik des Skorbuts in der russischen Armee. Deutsche
med. Wochenschr., 27. Dezember 1917, Nr. 52, S. 1617. — 9 Oberarzt d. R. Dr. Ludwig
Disque6, Entstehung und Verlauf des Skorbuts im Jahre 1916 unter den deutsch-
österreichischen Kriegsgefangenen in Taschkent (Turkestan). Med. Klinik, 1918, Nr. 1.
Ein Jahr ehwurgisch-zahnärztliche Tätigkeit
im Kieferspitale.
Von Professor Dr. Rudolf Weiser, k. u. k. Oberstabsarzt, Chefarzt. der chirurgisch-
prothetischen Abteilung am K. u. k. Reservespital Nr. 17 in Wien.!)
(Vortsetz un g.)
Eine geheilte Fraktur des Ober- und des Unterkiefers und den Ersatz
des rechten Bulbus beim Honved-Inf. Sandor K.des k. u. Honved-Inf.-Reg.
Nr.17, der anı 23. November 1915 in Italien durch Granatschuß verletzt
worden war, stellen die Figuren 47a, b, e dar.
-~ Die Figuren 48a und b stellen den Inf. Anton B. des k. u. k. Inf.-Reg.
Nr. 46/7 dar. Es handelte sich um einen mit der Durchreißung der Unter-
lippe und der Weichteile des Kinns rechts von der Mittellinie komplizierten
Splitterbruch des Unterkiefermittelstückes, kombiniert mit einer erheblichen
Dislokation der Fragmente. Trotz scheinbarer Einfachheit der Verhält-
nisse währte es relativ sehr lange, bis knöcherne Konsolidierung eintrat.
Zum Schlusse heilten doch die Fragmente ohne Pseudarthrosebildung
knöchern zusammen und es war nach Herstellung einer die fehlenden Zähne
und Kieferteile ersetzenden Prothese möglich, durch eine von Fora-
'!) Aus: Beiträge zur Kieferschußtherapie Aus Anlaß des einjährigen Be-
stehens des k. u. k. Reservospitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für Kieferverletzte)
herausgegeben von der Österr Zeitschr. f. Stomatologie.
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Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 41
mitti ausgeführte, gut gelungene Lippenplastik den Patienten von
seinem langwierigen, lästigen, auf dem Bilde 48 a auch ersichtlichen
Speichelflusse zu befreien und frontdiensttauglich zu entlassen.
Vom Standpunkt der Militär-Sanitätspflege nicht uninteressant ist der
Fall Lorenz L., Inf. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 35/4. Patient wurde am
21. Juni 1915 am Dnjestr verwundet, passierte dann drei andere Spitäler
und es kam im Laufe von sechs Monaten ohne eigentliche Behandlung, so-
£E Fig. 47a.7 ' Fig. 47b.
zusagen spontan zur Verheilung der Verletzungen in chirurgischem Sinne.
Immerhin wurde erst bei seiner am 4. Dezember 1915 erfolgten Aufnahme
in unser Spezialspital dazu geschritten, den Defekt an Zähnen und Alveolar-
fortsatz, sowie den mit äußerst lästigem Kolobom verbundenen Defekt von
Unterlippe und Kinn in sachgemäße Behandlung zu ziehen; es gelang durch
Herstellung eines oberen und eines ziemlich komplizierten unteren Zahn-
ersatzstückes, eine vollständig normale Kaufunktion zu erzielen und die
Fig. 49a und b zeigen das von Esser erzielte Resultat einer kombinierten
Cheilo- und Genioplastik.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 4
4? Rudolf W eiser.
Der am 9. September 1914 an der nördlichen Front verwundete Jäger
Franz Sp. (Fig. 50b und c) des Feld-Jäger-Baons. Nr. 12/4 hat einen Teil
des linken horizontalen und den ganzen aufsteigenden Unterkieferast ver-
loren. Für die Vornahme einer Osteoplastik konnte sich der Patient vor-
läufig nicht entschließen; auch das Weichteilbett wäre in seinem damaligen
Zustande zu arm an Substanz und narbig zu sehr verändert. gewesen. Da-
gegen bat der Patient dringend, ihm die sehr entstellende Grube in der
Fig. 47c. Fig. 48a.
linken Wange auszufüllen (Fig. 50a). Um diesem Wunsche zu entsprechen
und gleichzeitig Material für eine später etwa vorzunehmende Knochen-
plastik herbeizuschaffen, schlug ich vor, ein Lipom, welches mein zahn-
ärztliches Assistenzfräulein durch seinen Sitz in der linken Lende in der
Ausübung ihres Berufes belästigte, zu transplantieren. Unser Konsiliarius
Foramitti willigte in den Vorschlag ein und die geplante Operation
wurde am 16. Dezember 1915 ausgefübrt. Die Nachbehandlung verlief
reaktionslos, nur stellte sich eine haarfeine Fistel ein, durch welche ein
sich erweichender Teil der transplantierten Fettgeschwulst in Form von
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 43
Fig. 48b. Fig. 49a.
lig. 49b.
4*
Fig. 50b. Fig. 50c.
41 Rudolf Weiser.
Fig. 50d. Fig. 5la.
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 45
Fetttröpfchen ausfloß. Nachdem das Transplantat überreichlich Material
geboten hatte, um die Grube auszufüllen, blieb nach dem Sistieren der
Vertlüssigung immer noch soviel vom Transplantat zurück, daß der kos-
metische Erfolg befriedigend ausfiel. Die auf dem Bilde 50 d sichtbaren
länglichen Schnitinarben, von voraufgegangenen Operationen stammend,
wurden vorläufig nicht korrigiert, weil der Operateur befürchtete, daß die
in ihrer Ernährung ohnedies stark geschädigte Haut nekrotisch werden
könnte, wenn man ihr auf einmal zuviel zumutete. Die bogenförmige
Fig.51b. Fig. 51e.
Narbe in der Regio submaxillaris entspricht dem für die Bergung des
lipoms ausgeführten Bogenschnitt.!)
Der Inf. Karl P. des k.k. Landw.-Inf.-Reg. Nr. 2 erlitt am nördlichen
Kriegsschauplatze durch Schrapnellschuß außer einer tiefen Rißquetsch-
wunde in den Weichteilen des rechten Schulterblattes und der rechten
') Figur 50 a ist die photographische Wiedergabe einer Handzeichnung.
welche nach der Operation aus der Erinnerung angefertigt werden mußte, weil der
Photograph bedauerlicher Weise vergessen hatte. vor der plastischen Operation eine
Auinahme zu machen.
46 Rudolf Weiser.
Wange eine bis zur Zunge reichende Zerreißung des Mundhöhlenbodens,
den Verlust sämtlicher Zähne des Unterkiefers bis auf die Wurzeln von
33 5 und einen komplizierten Splitterbruch des Unterkiefermittelstückes,
infolgedessen die Fraktur schließlich in Spitzbogenstellung knöchern aus-
heilte. Es gelang mir die Wurzeln des 3B 5, die einzigen feststehenden Zahn-
rudimente, konservierend zu behandeln und miteinander durch ein Brücken-
gerüst zu verbinden, wodurch ihr Halt wohl auf eine längere Reihe von
Jahren gesichert erscheint. Auf diesem Brückengerüste findet ein mit
Fig. 5l d. Fig. 51e.
Basalklammern (siehe Fall H., Orthopädie der Oberkieferfrakturen) ver-
sehenes, die sämtlichen Zähne des Unterkiefers ersetzendes unteres Gebiß
vollkommen sicheren Halt. Durch die Anwendung von Basalklammern ist
es möglich gewesen, trotz des in Spitzbogenstellung ausgeheilten Unter-
kieferbruches die Zähne des Unterkiefers in normal weitem Zahnbogen aufzu-
stellen und mit der durch ein partielles Zahnersatzstück ergänzten Zahnreihe
des Oberkiefers in richtige Artikulation zu bringen. Die Figur 5la zeigt
den Patienten ungefähr in der dritten Woche nach seiner Abgabe an das
Kieferspital mit schon bedeutend verengtem Weichteildefekt und in dem
Momente, als die mit Barthaaren besetzten Wundränder sich trotz der
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 47
lebhaften Eiterung der Unterkieferfragmente und des Splitterherdes, wo-
selbst zahlreiche sequestrierte Knochenpartien sich noch nicht demarkiert
hatten, mit unwiderstehlicher Gewalt einrollten, so daß die Gefahr be-
stand, eine Unterkieferspeichelfistel zu bekommen, in welcher die Barthaare
gegen die Mundhöhle hineinwachsen. Ich war daher genötigt, die narbigen
Wundränder zum Teile zu exzidieren, nach auswärts zu rollen und trotz
der bestehenden Eiterung die Weichteile durch Etagennähte zu vereinigen.
Fig. 52a. Fig. 52b.
Vorsichtshalber ließ ich nur am rechten Ende des vernähten Wundspaltes
einen federkieldicken Gummischlauch zur Drainage der Wunde liegen
(Fig.51b). In kurzer Zeit lösten sich noch einige Sequester, ließen sich
‚auf intraoralem Wege entfernen und von da ab schloß ich auch die drai-
nierende Fistel. Die Bilder 51 e, d, e zeigen den Patienten in dem Momente
seiner Entlassung aus dem Spitale.
Als eine der schwierigsten Behandlungen erwies sich die des Inf.
Johann P. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 35/2, der nach seiner Heimkehr als
Kriegsinvalider aus der russischen Gefangenschaft an eine der chirurgischen
Abteilungen des k. u. k. Kriegsspitales in Grinzing abgegeben und uns von
Stabsarzt Primarius Prof. Dr. Hans Lorenz zur spezialistischen Behand-
48 Rudolf Weiser.
lung anvertraut wurde. Während seines Aufenthaltes in russischen Spitälern
wurde der Patient zwar gepflegt, jedoch weder chirurgisch noch zahnärztlich
behandelt. Noch bei seinem Eintreffen in Wien bestand ein für die Um-
gebung des Kranken äußerst lästiger Foetor ex ore. Infolge narbiger Ver-
engerung der — Unterlippe, Kinn und Mundhöhlenboden durchsetzenden
— Wundspalte und Inversion der behaarten Hautlappen bis an den Grund
der vertikal aufgestellten, dem weichen Gaumen anliegenden Zunge sowie
hochgradiger Ankylose der Kiefergelenke war die Untersuchung der Mund-
Fig. 52c. Fig. 52d.
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höhle außerordentlich erschwert. Immerhin erwies sie, daß sich der
Zahnbestand des Unterkiefers auf den zweiten Mahlzahn links unten, auf
den ersten und zweiten Mahlzahn rechts unten beschränkte.
Zahnformel:
87654321
EEE e e TAE
Der rechte und der linke Kieferstumpf waren infolge Narbenzuges so
hochgradig disloziert, daß die Fragmentenden sich in der Mitte des Mund-
a
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Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 49
höhlenbodens und vor der nach hinten und oben verdrängten Zunge be-
rührten. Die einigermaßen sichtbaren Frontzähne des Oberkiefers waren
gelockert und infolge des Narbenzuges, der sich von den Wundlappen der
l Unterlippe und der unteren Wangenpartien hinauf bis auf die beiden
Hälften der Oberlippe geltend machte, in stark prognathische Stellung
gedrängt. Die Wurzeln des abgeschossenen |1 2 waren in Kiew extrahiert
worden. Der rechte untere Nasengang war durch ein Geschoßmantelstück
verlegt. Es ist begreiflich, daß der Patient infolge dieses Zustandes nur sehr
Fig. 52e. Fig. 52 f.
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schwer mittelst Schlauches aus der Schnabelschale ernährt werden konnte,
daß die Luftzufuhr eine äußerst beschränkte und das Sprechvermögen
vollkommen aufgehoben war; Patient konnte sich nur schriftlich ver-
ständigen. Die Bilder 52a, b, e zeigen den Patienten in der Vorder- und
den beiden Seitenansichten zur Zeit der Übernahme in unser Spital. Trotz
der ganz ungewöhnlichen Schwierigkeiten, welche sich in diesem Falle der
orthopädischen Behandlung entgegenstellte, gelang es Kränzl nach
meiner Anordnung eine Immediatschiene herzustellen, welche aus einem
& 7] und [7 umfassenden Ringe, je einer dem Ringe buccalwärts angelöteten
vertikalen Kanüle mit quadratischem Querschnitte und aus einem nach Maß-
50 Rudolf Weiser.
gabe des oberen Zahnbogens gebogenen, aus zwei Teilen bestehenden und in
der Mitte verschraubbaren horizontalen Unterkieferbügel bestand. Der
Apparat wurde auf einem nach Gipsabdruck von den unteren Kiefer-
fragmenten nach der allgemein üblichen Methode gewonnenen Artikulations-
modelle hergestellt, d.h., das Modell des Unterkieferbruches wurde in der
Mitte durchsägt und die beiden Hälften in idealisierter. Weise zum Gips-
modelle des Oberkiefers in Artikulation gebracht. Unter Berücksichtigung
dieser idealisierten Artikulation wurde der oben erwähnte, aus zwei mit-
Fig. ö2g. Fig. 52h.
einander verschraubbaren Teilen bestehende Unterkieferbügel gebogen.
Diese Immediatschiene hatte die Bestimmung, am Schlusse der geplanten
blutigen Reposition der Kieferfragmente eingesetzt zu werden (Fig. 52 d).
Den nächstfolgenden Eingriff bildete die Entfernung des Fremd-
körpers im rechten Nasengange, die Dozenten Dr. Kofler bei äußerster
Schonung des Patienten prompt gelungen war. Nachdem auf diese Weise
die Luftpassage durch die Nase wieder hergestellt war, hätte im Bedarfs-
falle Patient auch anstandslos einer allgemeinen Narkose unterzogen werden
können; andrerseits hob sich infolge dieses gelungenen rhinologischen Ein-
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. Bl
griffes das subjektive Befinden und Aussehen des Patienten in ganz er-
heblichem Maße.
Am 7. Dezember 1915 führte Professor Lorenz die Durchschneidung
der sehnigen Narben bis auf den Mundhöhlenboden und die Loslösung
der Frakturenden aus dem narbigen Zungengrunde in lokaler Novocain-
Anästhesie aus. Blutung auffallend gering. Die Zunge hat keine be-
sondere Tendenz, sich nach rückwärts zu ziehen. Es gelingt mit einiger
Anstrengung, die Frakturenden mit dem Öberkiefer in annähernd richtige
Fig. 53a. Fig. 53b.
Artikulation zu bringen. Im Verlaufe -der weiteren Behandlung erwies
sich, daß 7 6] nur scheinbar fest am rechtsseitigen Kieferfragmente saßen,
vielmehr mit dem ihnen zugehörigen Alveolarteile abnorme Eigeubewegung
gegenüber dem Corpus mandibulae besaßen und eine ad hoc angeordnete
röntgenologische Teilaufnahme zeigte, daß die Wurzeln dieser beiden
Mahlzähne in halber Höhe frakturiert waren. Es blieb somit nichts übrig,
als diese hochgradig gelockerten, außerdem im Verlaufe der Nachbehaud-
lung in einem periostitischen Abszesse schwimmenden Zahnfragmente zu
entfernen und statt des rechtsseitigen doppelten Ringes eine den ganzen
59 Rudolf Weiser.
Kieferstumpf umfassende und möglichst tief gegen den Mundhöhlenboden
reichende, mit Guttapercha und Jodoformgaze bedeckte Pelotte anzuwenden,
welche fortab auf dieser Seite den Stützpunkt für den metallenen Unter-
_kieferbogen abgeben mußte.
Der Überzug mit 200% iger gefirnißter Jodoformgaze, wie sie nach
Einführung des Jodoforms in die Chirurgie durch Mosetig schon vor
30 Jahren an der Klinik Billroth im Gebrauche war und die in der
operativ-zahnärztlichen Praxis nie verlassen wurde, ermöglicht es, Pelotten,
Fig. 4a. Fig. 54b.
Tampons und dergleichen 8—14 Tage und darüber zu belassen, ohne daß
sie einen fauligen Geruch annehmen; im Gegenteil, im Munde vorhanden
gewesener Fötor schwindet von dem Momente an, als bei einem Patienten
ein größeres Stück hochprozentiger Jodoformgaze in Verwendung steht.
Nach beharrlicher Überwindung aller erdenklichen Schwierigkeiten
gelang es, den durch den Narbenzug prognathisch gewordenen Oberkiefer-
bogen mit einer normal geformten, auf dem Bilde 52e sich gut dar-
stellenden Brücke zu versehen und eine mit den Zähnen des Oberkiefers
tadellos artikulierende Unterkieferprothese herzustellen. Patient hatte
zu dieser Zeit in ganz befriedigender Weise kauen und vollkommen deut-
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 53
lich sprechen gelernt und sah voll Zuversicht der Durchführung unserer
weiteren Heilpläne entgegen. Auf der Abbildung 52f ist auch ersichtlich,
in welcher Weise wir dafür vorgesorgt hatten, daß der Chirurg ein den
anatomischen Verhältnissen, insbesondere der Protuberantia mentalis ent-
sprechendes Substrat für seine Weichteilplastik vorfinde. Der in der Mitte
der unteren Prothese an der Grenze zwischen künstlichem Zahnfleisch und
Ersatz des Kieferknochens auf Abbildung 52 f sichtbare Schraubenkopf ent-
spricht einer Schraube, mittelst welcher Zahn- und Kieferersatz an den
Fig. 54c. Fig. bD5a.
Metallbügel fixiert ist; bei Abnahme dieser Schraube kann infolgedessen
auch die Unterkieferprothese behufs Reinigung entfernt werden.
Am 3. Juni 1916 vollzog Lorenz den ersten Akt der Weichteil-
plastik in folgender Weise: Präparation eines visierähnlichen Haut-
lappens, dessen Spitze in der Schlüsselbeingrube und dessen obere Basis
in der Höhe des oberen Schildknorpelrandes lag. — Der Lappen wurde
hinaufgeschlagen und mit den angefrischten Rändern des Defektes der
beiden Wangen und der Unterlippenreste in der Weise vernäht, daß das
Epithel des Visierlappens mundhöhlenwärts zu liegen kam, um fortab als
Schleimhautauskleidung der zu schaffenden Unterlippe zu dienen. Der
54 Rudolf Weiser.
Hautdefekt in der Mitte des Halses wurde durch Mobilisierung der Nach-
barpartien und Zusammenziehen derselben mittelst Naht gedeckt.
Am 8. Juli 1916 wurde der Visierlappen an seiner unteren Um-
schlagstelle durchschnitten, die Seitenränder angefrischt, desgleichen die
entsprechenden Stellen der beiden Wangen und der Unterlippenreste so wie
im ersten Akte der Plastik. Hierauf werden die Innenflächen des ge-
doppelten Lappens mit flach aufgesetztem Skalpell wund gemacht und die
untere Hälfte des Visierlappens als Verdoppelung an die obere Hälfte ange-
Fig. 55b. Fig. 55c.
näht. An der Stelle des Lippenrotes bleibt die Fläche der eben gewonnenen
Weichteilbrücke vorläufig wund. Etwas unterhalb der oben beschriebenen
Fixationsschraube wird eine zweite Schraube im Kinngrübcehen der Prothese
eingeschraubt, um die neugeschaffene, nahe genug an die Oberlippe heran-
gebrachte Unterlippe in dieser richtigen Lage zu erhalten. Tags darauf wird
eine Kopfkappe mit Gestänge angefertigt und mittelst muskelhakenähnlicher
Vorrichtung die Unterlippe gegen die Oberlippe hinaufgezogen erhalten,
gleichzeitig mittelst dieses Apparates auch die untere Prothese in richtige
Artikulation zum Öberkiefer gehalten, um einer unliebsamen Ein-
wirkung des zu gewärtigenden Narbenzuges beizeiten vorzubeugen
Ein Jahr chirurgisch-zehnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 55
(Fig. 52g). Dieser Apparat konnte übrigens bald fortgelassen werden und
repräsentiert sich das bis dahin erzielte Resultat in Figur 52h.
Am 22. September 1916 schlug Lorenz zur Deckung des rest-
lichen Defektes im Mundhöhlenboden und in der Unterkiefergegend folgen-
den Weg ein: Er entlehnte zur Herstellung der inneren Epithelauskleidung,
das heißt als Schleimhautersatz einen 15cm langen und 5cm breiten
Lappen aus der rechten Oberschlüsselbeingrube mit der Basis knapp vor
und unter dem rechten Unterkieferwinkel, mit der Spitze etwas vor der Mitte
des rechten Schlüsselbeines. Der Lappen wurde um 180° gedreht, nach
oben geschlagen und das freie Ende desselben rings an die angefrischten
Ränder des Mundhöhlenbodendefektes genäht.
Trotz des äußerst günstig fortschreitenden Heilverlaufes zeigte der
Patient schon um diese Zeit wiederholt neurasthenische Erscheinungen, die
sich nach und nach zu Zwangsvorstellungen verdichteten. Nach dem Dafür-
halten des Pflegepersonales dürften an der psychischen Depression des
Patienten mißliche Familienverhältnisse den Hauptanteil gehabt haben.
Um nun keine Zeit zu verlieren und den Patienten so rasch als mög-
lich in der Behandlung so weit zu bringen, daß er in einem geeigneten
Rekonvaleszentenheim Aufnahme und damit eine günstige Beeinflussung
seines psychischen Zustandes finden könne, wurde am 13. Oktober 1916
zur Durchtrennung der Basis des zuletzt beschriebenen .Lappens an seinem
unteren Ende geschritten, seine dadurch frei gewordene untere Hälfte
hinaufgeschlagen und als äußere Hautüberkleidung an die angefrischten
Defektränder genäht. Nach Vollendung dieser Operation blieb für den
nächsten Akt der Mundhöhlenbcdenplastik nur mehr die Spaltung der eben
gewonnenen Hautbrücke an ihrer Umschlagstelle und das Vernähen dieses
Spaltes mit dem entsprechenden Reste des Defektrandes und als Schluß
der ganzen Aufgabe®die Herstellung des Lippenrotes übrig.
Leider hat jedoch der psychopathische Zustand des Patienten be-
ängstigende Fortschritte gemacht und 14 Tage später dazu geführt, daß
der Patient Selbstmord beging.
Der Inf. Johann Ji. des k.u.k. Inf.-Reg. Nr. 13/21 erlitt durch Ge-
wehrkugel in Wolhynien eine Zerreißung der linken Wange, eine Zer-
trümmerung der buccalen Wand der Kieferhöhle, den Verlust des linken
Alveolarfortsatzes und eines Teiles der linken Backen- und Mahlzähne.
Nach Abschluß der Regimentsarzt Steinschneider überantworteten
zahnärztlichen Behandlung, welche in der Wiederherstellung des Vesti-
bulum oris und in der Ausführung eines, der Oberkieferprothese sicheren
Halt bietenden Brückengerüstes bestand, nahm Esser die aus den Bil-
dern 53a und b ersichtliche Weichteilplastik vor.
56 Rudolf Weiser.
Der Inf. Anton L. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 98/3 wurde bei Görz
durch Gewehrschuß verwundet, wodurch er eine schwere Knochenverlet-
zung des Öberkiefers mit Eröffnung der Kieferhöhle, eine komplizierte
Fraktur des Unterkiefers und den aus der Figur 54a ersichtlichen Weich-
teildefekt davontrug. Der Erfolg der plastischen Deckung des Wangen-
defektes, welche Esser ausgeführt hat, ist auf den Abbildungen 54 b und c
zu ersehen. Eine nach der letzten Operation noch zurückgebliebene Speichel-
fistel konnte ich durch eine einmalige Verschorfung mittelst des Thermo-
kauters zum Verschwinden bringen.
Durch seine Komplikation mit zu den schwersten Fällen von Zer-
trümmerung des Unterkiefermittelstückes zählt der Fall Kanonier Stefan K.
des k. u. k. Artillerie-Reg. Nr.33/B5 (Fig.55a). Der Patient wurde am
20. April 1915 am nördlichen Kriegsschauplatze bei Tarnina durch Gewehr-
schuß verletzt, mußte anfangs wegen bestehender Oesophagusfistel mit
dem Schlundrohre ernährt werden. Zu Anfang seiner Behandlung war er
wegen phlegmonöser Prozesse um den in der Mitte des linken Schulter-
blattes befindlichen Ausschußkanal in Lebensgefahr und mußte im späteren
Verlaufe von Prof. Zuckerkandl wegen im Bereiche des Kinnes und
Mundhöhlenbodens aufgetretener Phlegmonen wiederholt operiert werden.
Die orthopädische Behandlung wurde mir von Zuckerkandl während
meiner Tätigkeit an der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitales
der Wiener allgemeinen Poliklinik überantwortet und wurde nach meinen
Anordnungen von Assistenzarzt Dr. Robert Langendorff erfolgreich
durchgeführt. Der Fall ist für mich besonders darum von Interesse, weil
er im Gegensatze zu den von Kränzl in diesem Berichte geschilderten
Mißerfolgen beim Inf. Franz Str. einen Beleg für die unter günstigen
Voraussetzungen bestehende Möglichkeit einer erfolgreichen Über-
brückung von Pseudarthrosen darstellt. Die Zahmformel bei diesem
Patienten lautet:
Patient erhielt selbstredend eine Prothese zum Ersatze der verloren
gegangenen Zähne und Partien des Alveolarfortsatzes im Öberkiefer
(Fig. 55 b). Im Unterkiefer mußten die hoch aus dem Alveolarfortsatze her-
ausragenden 7 6]7 devitalisiert werden und war es dadurch möglich, vollkom-
men sicher sitzende Vollgoldkronen herzustellen. Entsprechend der Divergenz
der Achsen dieser drei Zähne wurden die Brücke rechts und die Vollgold-
kronen linke durch ein in der Mittellinie verschraubbares, sehr kräftiges
Brückengerüste verbunden. Ein die unteren Frontzähne und Prämolaren
ersetzendes Zahnersatzstück fand am Brückengerüste selbst verläßliche
u
%
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 57
Aufruhe und an Buckeln, welche an der Vollgoldkrone 6] und einem dem
Brückengerüste aufgelöteten, gegossenen [6 angebracht waren, vollkommen
sicheren Halt. Nachdem die auf diese Weise geschienten Unterkiefer-
fragmente bei den .Kaubewegungen nicht die Tendenz hatten, sich nach
Art der die Atembewegungen des Thorax mitmachenden Rippenbogen zu
bewegen, funktionierte der Unterkieferkauapparat des Mannes bei seiner
Entlassung in einer für die Ausübung seines Zivilberufes vollkömmen aus-
reichenden Weise. Selbstredend besteht die Gefahr, daß im Lauf der Jahre
Fig. 56a. Fig. 56b.
durch starke Inanspruchnahme der als Pfeiler des Brückengerüstes die-
nenden Zähne eine vorzeitige Lockerung derselben eintreten kann, und es
ist daher um so bedauerlicher, daß der Patient während seiner Behandlung
die Ausführung einer Knochenplastik trotz aller Vorstellungen hartnäckig
verweigerte. Ich bedauere, keine photographische Aufnahme vom Zustande
des Weichteildefektes unmittelbar nach der Verletzung zu besitzen; der
der Figur 55 a entsprechende Zustand stammt aus der Zeit, als der Patient
von Zuckerkandl zur weiteren Behandlung in das k.u.k. Reserve-
spital Nr. 17 transferiert worden war. Fig.55c zeigt den Erfolg der von
Foramitti ausgeführten Weichteilplastik.
58 Rudolf Weiser.
Die Figuren 56a, b, c entsprechen dem Falle Franz Hei., Gefr. im
k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 100/2, bei dem nach prothetischem Ersatze des Al-
veolarfortsatzes und der buccalen Wand der linken Kieferhöhle, sowie des
linken Jochbeines durch den der zahnärztlichen Abteilung des Verwundeten-
spitales der Wiener allgemeinen Poliklinik zugeteilten Regimentsarzt
Dr.Borschke noch eine der häßlichsten Entstellungen der linken Ge-
sichtshälfte der Korrektur überlassen blieb. Figur 56c zeigt den von F o-
ramitti erzielten Erfolg.
Fig. 56c.
Durch eine Reihe photographischer Aufnahmen bin ich in der Lage,
in dem für diesen Zweck sehr geeigneten Falle Franz Z. (Inf. des k. u. k. Inf.-
Reg. Nr. 87) systematisch den Werdegang einer von Foramitti äußerst
glücklich durchgeführten Oberlippenplastik, bekanntlich einer der schwierig-
sten chirurgischen Aufgaben, lehrreich vor Augen zu führen. Der Patient
wurde an der südwestlichen Front angeblich durch Explosivgeschoß ver-
wundet. Ich verdanke seine Zuweisung an das k. u. k. Reservespital Nr. 17
einem befreundeten Chirurgen, der nach abgeschlossener intra- und extra-
oraler Wundheilung mir den Patienten zur weiteren Behandlung überließ.
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 59
Der Status praesens zur Zeit seiner Aufnahme in unser Spital ist aus der
Zahnformel und aus der Abbildung 57a ersichtlich.
Kieferhöhle perforiert
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Die Perforation der buccalen Wand der linken Kieferhöhle, der not-
wendige ausgedehnte Zahnersatz im Oberkiefer und die für die Befestigung
Fig. 57a. Fig. 57b.
des Gebisses, sowie die Befestigung eines Antrumzapfens äußerst ungünstigen
Mundverhältnisse, die den Patienten außerordentlich störende narbige
Veränderung der rechten Mundspaltenhälfte, das vollkommene Verstrichen-
sein des Vestibulum oris von der Mittellinie bis in die Gegend des Pro-
cessus zygomaticus in der ganzen Ausdehnung des rechten oberen Alveolar-
bogens machten vor allem eine Reihe schwieriger zahnärztlicher Maß-
nahmen notwendig. Um dieselben dem mit der orthopädischen Behandlung
betrauten Oberarzt Dr.Göttersdorfer zu ermöglichen, stellte ich durch
entsprechende Schnitte in den strahligen Narbenzügen in der rechten Wange
und in der Gegend des rechten Mundwinkels sowohl die normale Weite
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60 Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztlicher Tätigkeit etc.
der Mundspalte, als auch das verlorengegangene Vestibulum oris im Be-
reiche des rechten oberen Alveolarfortsatzes wieder her. Die gesetzten
Wunden in den Weichteilen der Lippe und der rechten Wange wurden mit
200%iger Jodoformgaze benäht und so vor Infektion während der ersten
Tage nach der Operation geschützt. Um das geschaffene Vestibulum oris
während der Epithelisierung der gesetzten Schleimhautwunden offen zu
halten, wurde ein mittelst Kappen über 8 7] aufzementierter, mit Guttapercha
und Jodoformgaze belegter Metallstreifen verwendet. Figur 57b zeigt die
Fig. 57e'. Fig. 57c".
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erweiterte und mit Jodoformgaze benähte Mundspalte. Die Figuren 57c,
c und c“ zeigen die Umgrenzung des der Wangenhaut entnommenen gestiel-
ten Lappens am Schlusse des ersten Aktes der Weichteilplastik; Figur 57 d
am Schlusse des zweiten Aktes, das ist nach Durchtrennung des Lappens
zur Zeit, als sein vorderes Ende mit den entsprechenden Partien der Ober-
und der Unterlippe solide verwachsen war, so daß die rückwärtige Ernäh-
rungsbrücke durchschnitten werden und der Rest des Hautlappens wieder
an seinen ursprünglichen Ort in der Wange zurückverpflanzt werden konnte.
Das übrigbleibende dreieckige Feld in der Höhe des Jochbeinbogens wurde
mit einem der Außenseite des rechten Oberschenkels entnommenen
Referate und Bücherbesprechungen. 61
Thiersch- Lappen bedeckt. Die Ausführung einiger kleiner Nachbesse-
rūnugen der Weichteilplastik soll bei diesem Patienten bis nach cinem
Fig. 57d.
4wöchentlichen Urlaub in die Heimat verschoben werden, weshalb die
Schlußbilder dieses Falles in diesem Berichte noch nicht gebracht werden
können.
(Fortsetzung folgt.)
Referate und Bücherbesprechungen.
Über Verpflanzung Thiersch scher Epidermisläppchen in die Mundhöhle.
Von Ludwig Moszkowicz. Archiv für klinische Chirurgie, Bd. 195.
Heft 2.
Verfasser berichtet über einen Fall, bei dem es infolge Verlustes
des Unterkieferkörpers und der horizontalen Äste zu einer Verlötung der
Zunge mit den Wangen, der Unterlippe und der Halsnarbe gekommen war.
Um Platz für eine Kieferprothese zu schaffen, mußten die Verwachsungen
der Zunge gelöst und die Wundflächen sofort mit Epithel gedeckt werden.
um eine neuerliche Verlötung zu verhindern. Eine Hautplastik war nicht
durchführbar und eine Transplantation von Epidermislappen wegen der
Infektionsgefahr. schwieriger Fixation und Ruhestellung in der Mund-
höhle wenig Erfolg versprechend.. Moszkowicz bildete durch einen
bogenförmigen Schnitt unterhalb des Kinns eine subkutane Höhle in der
62 Referate und Bücherbesprechungen.
Ausdehnung der einzusetzenden Prothese, pflanzte Epidermislappen ein
und vernähte die Haut über diese Tasche. Nach 4 Wochen wurde durch
einen Bogenschnitt vom Munde her diese Höhle eröffnet und dadurch zum
Mundboden gemacht und hierauf sofort eine von Loos verfertigte Pro-
these eingesetzt. Nach weiteren drei plastischen Operationen waren die
Weichteile genügend mobilisiert, um eine Prothese aufnehmen zu können,
die alle Zähne des Unterkicfers ersetzt und dem Patienten ein normales
Profil gibt.
Moszkowicz empfiehlt dieses geistreiche Verfahren für Fälle,
bei denen die transplantierten Epidermisläppchen mit nicht aseptischen
und dauernd mit'Sekretion benetzten Körperhöhlen in Berührung kommen
sollen. wie Strikturen der Urethra, des Mastdarmes und noch gar nicht
\worauszuschenden Plastiken aller Art.
Kriegszahnklinik, März 191. Zilz.
Die Osteomyelitis des Unterkiefers und ihre tonsilläre Ätiologie. Von
Dr.Goldmann. Zentralblatt für Chirurgie, 1916, Nr. 44.
Öfters schon wurde von Goldmann auf die Beziehungen der
Tonsillen zu verschiedenen septischen Folgezuständen hingewiesen. Am be-
kanntesten ist die tonsilläre Ätiologie des Rheumatismus.. Goldmann
konnte sie aber auch bei Entzündungen der Sehnenscheiden und Nieren
feststellen.
Eine akute Entzündung der Tonsillen durch Eindringen der Erreger
in den peritonsillären Raum schafft die disponierte Einbruchsstelle für
virulente Erreger einer akuten Neuinfektion der Mandeln. Auf dem Wege
der Phlebitis oder Lymphangitis entsteht der infektiöse Thrombus und
durch Verschleppung seiner Teile die Lokalisation der Erkrankung in den
verschiedensten Körperteilen.
Für die Osteomyelitis des Unterkiefers, bei der bisher
höchstens die dentale Ätiologie in Betracht kam, führt Goldmann
2 Fälle an, die den tonsillären Zusammenhang beweisen. In einem dieser
Fälle ist noch die anamnestische Angabe der vorangegangenen Hals-
entzündung in Betracht zu ziehen, beiden ist gemeinsam, daß die genaue
Untersuchung der erkrankten Seite durch Spülung der Krypten die An-
wesenheit putrider Mandelpfröpfe ergab.
Bei dem Mangel jeglicher anderen Ursache, vor allem seitens der
Zähne, glaubt Goldmann, daß bei dem positiven Befund der Mandel-
pfröpfe und den Zeichen der sekundären Infektion in Form der Entzündung
der kollateralen Halsdrüsen, der Annahme, daß die Infektion durch die
Mandeln erfolgt, nichts im Wege stehe.
Goldmann gikt der Meinung Ausdruck, daß bei einem entspre-
chenden Material eine größere Anzahl von Fällen diesen ätiologischen
Zusammenhang bestätigen wird.
Therapeutisch verspricht sich Goldmann in manchen Fällen durch
die Beseitigung des primären Herdes in den Mandeln die Kupierung der
Erkrankung im akuten Stadium. l
Lublin, April 1917. Zilz.
Vereins- und Versammlungsberichte. 63
Der Einfluß des Durchbruches der Milchzähne auf den Organismus des
Kindes. Von Dr. R. Parreidt, Leipzig. D. Z. W., Nr. 45, 1916.
Der Autor kommt zu den zusammenfassenden Sätzen:
Die Zahnung ist als solche niemals imstande, schädigend auf den
Organismus einzuwirken und ein an sich gesundes Kind wird daher seine
Zähne stets ohne die geringsten Beschwerden erhalten.
Hierzu erlaube ich mir zu bemerken, daß es nicht angeht, an eine Er-
scheinung nicht glauben zu wollen oder gar eine solche Lehre zu verkünden,
weil dieses oder jenes Lehrbuch über dieselbe keine Äußerung enthält, zumal
wenn thecretische Überlegungen deren Annahme sehr wohl zulassen.
Wir direkten Schüler Kasso witz’ wissen sehr gut, daß er vor allem
und mit bestem Rechte für die meisten Fälle von maligner Dentition die
Rachitis als Ursache hinstellte. Kann es aber jemand bestreiten, daß das
Einchneiden auch nur eines einzigen Zahnes selbst schon im vorgeschrittenen
Alter mit einer mehr oder weniger heftigen Gesundheitsstörung einhergehen
kann!
Vom Weisheitszahne sagt Elias Metschnikoff in „Studien über
die Natur des Menschen“ (herausgegeben von Ostwald), daß die Ursache
für die Gefahren, die der Weisheitszahn oft bereitet, in seiner weit lang-
sameren Entwicklung und in der Schwierigkeit liege, sich vor der bedecken-
den Schleimhaut zu befreien; wenn er auch oft die Quelle von Störungen sei,
die in der großen Mehrzahl der Fälle keine ernsten Folgen hätten, könne er
doch zuweilen schwere und sogar tödliche Unfälle herbeiführen.
Die erschwerte Dentition irgend eines anderen Zahnes unseres Gebisses,
z.B. des Eckzahnes, oder schwierige, weil unregelmäßige, durch fehlerhaftes
und erschwertes Einschneiden sich ergebende Malokklusionen haben wohl
die meisten Zahnärzte des Öfteren gesehen.
Was von einem Zahne gilt, der in einer späteren Lebensperiode ein-
schneidet, gilt um so mehr von in den früheren und frühesten Abschnitten
unseres Lebens sich abspielenden Vorgängen.
Und so erlaube ich mir schließlich, nochmals auf einen Fall schwierigen
Zahneinschneidens bei einem Kinde hinzuweisen, den ich im Korrespondenz-
blatt für Zahnärzte, Heft 3, 1914 mitgeteilt habe. Dr. Rud. Klein.
Vereins- und Versammlungsberichte.
Verein österreichischer Zahnärzte.
Ordentliche Monatsversammlung vom 24. Jänner 1917.
“Anwesend vom Verein österr. Zahnärzte die Herren DDr.: Borschke,
Breuer, Frey, Friedmann, Karoly, Kraus, Müller, Ornstein,
Fiwnriezka, Smreker, Stanka, Steinschneider, Prof.Weiser, Prof.
v.Wuneschheim.
Als Gäste: Dr. Natzler und Dr.Richard Röhr.
Vom Verein Wiener Zahnärzte die Herren DDr.: Bermann, Fehl, Haas,
S.Hecht, Mittler, Neumann, Sos, Wassermann und v.Z álka.
=- OF TE ee l a E ee at re te
64 Vereins- und Versammlungsberichte.
Tagesordnung:
Herr Hoi- und Gerichtsadvokat Dr. Richard Röhr (als Gast):
„Zeitgemäße Betrachtungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der
Zahnärzte.“
Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit des Themas wurde auch der Verein
Wiener Zahnärzte zum Besuch der Sitzung eingeladen.
Präsident Dr. Breuer eröffnet die ordentliche Monatsversammlung,
begrülst die Mitglieder des Vereines sowie die Gäste des Vereines Wiener
Zahnärzte und Dr. Natzler und Dr.Röhr.
Der Präsident verweist auf die im vergangenen Jahre auf Grund des
$ 14 geschaffene 3. Teilnovelle des bürgerlichen Gesetzbuches und die da-
durch hervorgerufenen Veränderungen desselben und bittet hierauf Herrn
Dr.Röhr, seinen Vortrag zu beginnen.
Der Vortragende Dr.Röhr erörterte zunächst die Entwicklunzs-
geschichte des zahnärztlichen Standes als erwerbenden Berufes und warf
Streiflichter auf die Erwerbsverhältnisse der Vergangenheit und der Gegen-
wart. Sodann gelangt die volkswirtschaftliche Basis zur Sprache, aut
welcher sich die Bildung eines entsprechenden Entgeltes für die zahnärzt-
lichen Leistungen vollzieht. Volkswirtschaftliche Gesetze über Angebot und
Nachfrage, über Gestehungskosten, Einschätzung der Arbeit etc. gelangten
zur ausführlichen Darstellung. Der Einfluß des bürgerlichen Rechtes auf
die Tätigkeit des Zahnarztes, dessen Verhalten zum Patienten und seinen
eigenen Hilfskräften wurden erklärt und hierbei die Neuerungen, welche
durch die dritte Teilnovelle zum a. b. G.-B. hervorgerufen wurden, illustriert.
Den Schluß des lehrreichen Vortrages, welcher mit vielem Beifall
aufgenommen wurde, bildeten Ausführungen über die Kriegszuschläge zu
den direkten Steuern und die Kriegsgewinnsteuer.
In herzlichen Worten dankt der Präsident Dr. Breuer Herrn Doktor
Röhr für den instruktiven und überaus lehrreichen Vortrag und verleiht
der Hoffnung Ausdruck, daß dessen Aufklärungen auf fruchtbaren Boden
fallen werden.
Herr Dr.Röhr erklärte sich bereit, weitere Anfragen gerne zu be-
antworten und bittet die Herren, ihm eventuell schriftlich solche Fragen
zukommen zu lassen. Auch ist er stets gerne bereit, gelegentlich im Verein
wieder einmal einen Vortrag zu halten.
Präsident Dr.Breuer dankt Herrn Dr.Röhr für seine Liebens-
würdigkeit und schließt sodann die Sitzung.
Druckfehlerberichtigung.
In Heft 12 ex 1917 auf pag. 353, 5. Zeile von unten lies Prallschuß statt Prellschuß.
In Heft 1 ex 1918 ist die Numerierung der Abbildungen zu ändern:
Statt Fig. 32a zu setzen Fig. 33
34
nor 3 a a n JÖ
7 g 35 p ” r 36.
—1-+-——
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, III., Münzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ Nr, ge missenschatiichen Zahnärzte Österreichs.
Oftiziclles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
3. Heft.
XVI. Jahrgang. März 1918. |
Nachdruck verboten.
Original-Arbeiten.
Aus der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitals der Wiener
Allgemeinen Poliklinik
(Vorstand: Oberstabsarzt Prof.Dr.v. Wunschheim).
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß mit be-
sonderer Berücksichtigung der nervösen Störungen. ’)
Von Dr. Viktor Frey, Wien.
(Vortrag, gehalten im Verein österr. Zahnärzte am 14. November 1917.)
(Mit 8 Tafeln und 23 'Textfiguren.)
Es liegt auf der Hand, daß die Zähne bei jeder Kieferverletzung
mehr oder minder in Mitleidenschaft gezogen werden, insbesondere aber
bei Schußverletzungen ist das Material groß und interessant (siehe die
Tafeln I—II]).
Zähne als indirekte Geschosse und als Schädlinge
der Heilung.
Vorweg zu nehmen wären jene Fälle, in denen
I. abgeschossene Zähne oder Zahnteile als sekundäre Projektile
wirken, und’
II. jene Fälle, in welchen Zähne als Schädlinge der Heilung ange-
sprochen werden müssen.
Zu der I. Kategorie gehören jene abgeschossenen (natürlichen oder
künstlichen) Zähne oder Zahnteile, die in die Nachbarorgane hineinge-
trieben werden; auf unserer Abteilung wurden solche indirekte Geschosse
in der Zunge, in der Wange, in den Weichteilen des Halses und im Antrum
gefunden (siehe Tafel III, Fig.6a und b).
1) Das Studium zu diesem Thema wurde im Dezember 1914 begonnen, im
Jahre 1915, Jänner und Februar 1916 fortgesetzt. Vom März bis inklusive November
1915 blieb es wegen meiner Felddienstleistung unterbrochen, wurde aber im De-
zember 1916 sofort wieder aufgenommen und kam im September 1917 zum Abschlusse.
Der Verf
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. A
66 Viktor Frey.
Es darf auch nicht vergessen werden, daß abgeschossene Zähne
verschluckt oder aspiriert werden können. — Ferner kann ein abge-
schossener Zahn bei gewissen Körperhaltungen im Momente der Ver-
letzung in entfernt liegende Organe hineingetrieben werden, ja, es kann
sogar ein zweites Individuum durch ein derartiges indirektes Projektil ver-
letzt werden.
II. Kategorie.
a) Dekubitus, hervorgerufen durch Zähne bei gleichzeitiger Ver-
lagerung der Kieferfragmente.
Fig.1.
Zahnverlust nach Hufschlag.
Bei einem Defekt des linken horizontalen Kieferastes vor dem js war das
kleinere hintere Fragment hochgezogen und atypischerweise nach außen ver-
lagert. Da der Patient spät in Behandlung kam, hatte die Zahnkrone des | sich
tief in die Wange eingebohrt und einen schweren Dekubitus mit außerordentlich
starkem Wangenödem erzeugt. Der Zahn war ohneweiters nicht sichtbar, erst die
Röntgenaufnahme brachte Klarheit. ;
Ein verlängerter oberer Weisheitszahn hatte sich in das hochgezogene hintere
Fragment des Unterkiefers eingebohrt und ebenfalls einen schmerzhaften Dekubitus
erzeugt.
b) Zähne oder Zahnsplitter, die in die (vgl. Tafel V, Fig. 12) Fraktur-
linie hineingetrieben wurden, lassen die Fragmente nicht zur Vereinigung
kommen. Ebenso wirken äußerlich (vgl. Tafel V, Fig. 10) intakte Zähne
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 67
mit subgingival sequestrierter Alveole. In solchen Fällen bringt das
Röntgenbild (besonders intraoraler Film) die nötige Aufklärung.
c) Verjauchte oder nekrotische Pulpen scheinbar intakter, aber der
Fraktur nahegelegener Zähne stören die Heilung.
Die sichtbaren Verletzungen der Zähne.
Direkte und indirekte Schädigung der Zähne durch
das Geschoß.
Die Schädigung der Zähne selbst durch den Schuß betreffend müssen
wir unterscheiden:
A. Die direkte Schädigung der Zähne durch das Geschoß.
B. Beschädigung von Zähnen durch Zusammenstürzen des Ver-
letzten nach dem Schuß.
C. Die indirekte Schädigung benachbarter Zähne durch als se-
kundäre Projektile wirkende natürliche und künstliche Zähne, Knochen-
splitter ete.
Ad A. Von den bekannten 5 Schußkategorien (Prell-, Steck-, Durch-,
Streif- und Abschuß) kommt bei der direkten Schädigung eigentlich
nur der Abschuß in Betracht. (Zahnverletzung durch Prellschuß, also bei
nicht perforierter Haut, oder Eindringen eines sehr matten Geschosses
durch den offenen Mund ist unter Umständen denkbar, wurde aber auf
unserer Abteilung nicht beobachtet.) Der Zahn ist zwar das härteste Ge-
bilde des menschlichen Organismus, aber dennoch so spröde, daß er bei
viel geringfügigeren Traumen bricht; um wie viel mehr muß ein am
Zahn gemessener relativ großer Körper, wie ihn das Geschoß darstellt,
bei direktem Auftreffen nur Abschuß oder gänzliche Splitterung be-
wirken. Die in der Schußrichtung liegenden Zähne werden also entweder
mit oder ohne die Alveole zumeist in Gruppen abgeschossen und hängen
oft ganz lose an Zahnfleischbrücken. Oft spucken die Verwundeten die
Zähne gleich nach erlittener Verletzung aus. Bleibt die Alveole mehr oder _
minder intakt, so kann es zum bloßen Abschuß der Krone und Freiliegen
der Pulpa kommen. Eine traumatische Pulpitis ist dann meistens die
Folge. Bezüglich der Schmerzen bei derartigen Pulpitiden ist zu er-
wähnen, daß sie rasend sein oder gänzlich fehlen können, je nachdem die
Fraktur den zugehörigen Nervenstamm verschont oder durchtrennt hat,
ferner ob der betreffende Zahn bei totaler Querschnittsläsion des Nerven-
stammes zentral oder peripher von der Verletzungsstelle liegt. Bei ab-
geschossenen Zahnkronen findet sich die Wurzel oft stark gesplittert.
Ad B. Die Verletzungen der Zähne durch Zusammenstürzen des
Verletzten unterscheiden sich in nichts von den uns bekannten Friedens-
verletzungen. |
5*
68 Viktor Frey.
Ad C. Die indirekten Schußverletzungen der Zähne sind sehr mannig-
facher Art. Wir finden ?):
a) Total herausgeschlagene Zähne mit oder ohne Alveole,
b) luxierte Zähne (der Zahn ist gelockert) mit oder ohne Alveole
(Tafel V, Fig. 10),
c) der Zahn sitzt, durch den Schuß tief im Kiefer verkeilt (Tafel V,
Fig. 12), oder wurde in die benachbarten Weichteile hineingetrieben
(Tafel III, Fig.6a und b).
d) der Zahn ist total zersplittert,
e) die Zahnkrone ist beschädigt:
x) total abgeschlagen (Pulpitis) (Tafel V, Fig. 8),
6) teilweise abgeschlagen (mit oder ohne Freiliegen der Pulpa),
Richtung (Quer- oder Schrägbruch) (Tafel V, Fig. 9),
y) Längsfraktur der Zahnkrone (der Zahn ist in seiner Form
erhalten, weist aber zumeist einen durch Kroneund Wur-
zel gehenden Frakturspalt auf; die beiden Fragmente sind
jedoch durch das Ligamentum circulare (vgl. Tafel V, Fig. 11)
geschient [häufig Pulpitis]). Während die Krone in derartigen
Fällen der Länge nach frakturiert ist, weist die Wurzel mei-
stens einen schrägen Frakturspalt auf.
à) Sprünge und Risse im Zahn (keine Kontinuitätstrennung).
f) Die Zahnwurzel ist selten allein beschädigt (meistens Mitbeteili-
gung der Krone). Die Wurzelfrakturen können in allen drei Dimensionen
des Raumes stattfinden und sind stets durchgängige Frakturen (längs-
quer-schräg). Eine besondere, sonst nie beobachtete Wurzelfraktur muß
ich erwähnen, nämlich die subgingivale bzw. intraalveoläre Querfraktur
(vgl. Tafel VI, Fig. 13—17) einer oder mehrerer Wurzeln. Die Zähne sind
in ihrem Kronenanteile vollkommen intakt, fallen aber im Laufe der Be-
handlung durch Verlagerung der Krone (namentlich bei einwurzeligen
Zähnen), eventuell auch Verfärbung (rötlich) auf. Gewöhnlich treten die
ersten Störungen ein, wenn der Patient bei vorgeschrittener Konsolidation
herzhaft zu kauen beginnt. Ausgesprochene Pulpitis wurde selten be-
2) Misch (1) unterscheidet: Fraktur der Zahnkrone (ganz und teilweise), in-
komplette Luxation (Wurzel gelockert), komplette Luxation (Wurzel vollständig
herausgeschleudert), Zähne sind in den Kieferknochen hineingetrieben, Infraktion
(Sprünge des Schmelzes mit oder ohne Beteiligung des Zahnbeines), partielle
Fraktur (Absprengen von Zahnteilen), einfache Fraktur (ohne Beteiligung der
Pulpa), komplizierte Fraktur (mit Beteiligung der Pulpa). Nach dem Verlauf der
Bruchlinie (Quer-, Längs- und Schrägbrüche), bei vollständiger Durchtrennung in
einer dieser Richtungen (totale Fraktur), Komminutivfraktur (Zersplitterung).
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 69
obachtet, dagegen häufig Resorption an der isolierten Wurzelspitze (vgl.
Tafel VI, Fig. 16, 17). Die Röntgenfilmaufnahme zeigt dann deutlich eine
querverlaufende, meist intraalveolär gelegene Fraktur der Wurzel. Die
Alveole ist bei diesen Querfrakturen sonderbarerweise häufig röntgenologisch
intakt, so daß man annehmen kann, daß das Trauma die Krone getroffen
habe (Subluxation?). Die einwirkende Gewalt wurde auf die Wurzel über-
tragen.
g) Die Pulpa ist bi äußerlicherIntaktheitdes Zahnes
beschädigt. Außer der gesondert zu besprechenden Innervationsstörung
der Pulpa kommen an röntgenologisch intakten Zähnen rosenrot bis grau-
rötliche Verfärbungen vor als Ausdruck einer stattgefundenen Pulpablutung
und Eindringens von Blutfarbstoff in die Dentinkanälchen. Möglicherweise
haben diese Zähne eine Subluxation erlitten, wurden aber wieder fest;
die Pulpa ist aber in derartigen Fällen zumeist verloren und muß behandelt
werden. Auch an Thrombosen im Quellgebiete der Zahnarterie und in-
folgedessen an Stagnation der Zirkulation mit Diapedese der Blutelemente
wäre zu denken.
Die einzige auf unserer Abteilung beobachtete Ausnahme, daß nach intra-
dentärer Blutung dennoch nicht Pulpatod eingetreten war, betraf
den Inf. W.H., der am 3 September 1915 eine sehr schwere Komminutivfraktur des
Unterkiefers durch einen Gewehrschuß erlitten hatte. Nebst massenhaftem Zahn-
verlust fiel der |!_ durch seine zuerst am 18. November 1915 konstatierte rosenrote
Verfärbung der Zahnkrone auf, welche aber später in Grau überging und am
22. Jänner 1916 nur mehr als leicht grauer Schatten am Zahnhals und an den an-
grenzenden Kronenpartien zu erkennen war.
Die Diaphanie, mit dem Glasstabreflektor geprüft, die verloren gegangen
war, kehrte wieder zurück Faradische Reaktion war immer bis zur Entlassung des
Patienten vorhanden; sie war zwar anfangs schwächer, erreichte aber dann normale
Höhe. Patient wurde diesbezüglich das letzte Mal vor seiner am 11. Dezember 1916
erfolgten Entlassung untersucht.
In der Friedenspraxis konnte ich eine gleiche Beobachtung bei einem “s| nach
einem epileptiformen Anfall einer älteren Dame beobachten. Diesen beiden Be-
obachtungen stehen aber genügend andere Fälle gegenüber, in denen es zum
Pulpatod kam, weshalb es gerechtfertigt erscheint, den Kanal derartiger Zähne
zu behandeln. |
h) Im Verlaufe der Behandlung können ferner die Zähne, die zunächst
der Frakturlinie stehen, einen weiteren Schaden erleiden; es können nämlich
die Alveolen atrophieren und die (vgl. Tafel VII, Fig. 18 a und b und 19)
Zähne ausgestoßen werden. (Ausfall der trophischen Nervenfasern?) Bei
mehrfachem Bruch des Unterkiefers treten in den Mittelfragmenten Re-
sorptionserscheinungen an den Wurzelspitzen und atrophische Prozesse an
den Alveolen auf. Partsch(2) führt einen Fall Wernhers an, in
70 Viktor Frey.
welchem infolge Obliteration des Mandibularkanales nach Kieferbruch
Atrophie der gebrochenen Unterkieferhälfte entstanden ist. Ob Friedens-
oder Schußfraktur, ist nicht angegeben, ebenso wird nichts über das Schick-
sal der Zähne mitgeteilt.
Daß Zähne im Bereiche großer kortikaler Sequester häufig (vgl.
Tafel VII, Fig. 20) verloren sein können — wenn auch nicht immer —,
versteht sich von selbst.
Es ist selbstverständlich, daß diese angeführten Zahnverletzungen
nicht isoliert — wie aufgezählt—, sondern in allen möglichen Kombi-
nationen vorkommen können.
Innervations- und Zirkulationsstörungen in den Pulpen bei Kiefer-
verletzungen.
Anatomische Vorbemerkungen.
[Literatur: Zuckerkandl (3), Fischer (4), Bünte-Moral (5),
Langer-Toldt (6).]
Öberkiefer. Jener Teil des II. Trigeminusastes, der im Infra-
orbitalkanal verläuft (Nervus infraorbitalis), versorgt unter anderem auch
die Zähne des Oberkiefers mit sensiblen Fasern. Im Infraorbitalkanal
gibt er nahe dem hinteren Ende desselben die Rami alveolares superiores
posteriores ab, die entsprechend dem Tuber maxillare in der buccalen
Kieferwand über den Mahlzähnen nach vorne ziehen. Nahe dem vorderen
Ende des Kanales entspringen die Rami alveolares superiores anteriores,
unter denen man meistens ein separates Nervenbündel, Ramus alveolaris
superior medius, unterscheidet. Diese letztgenannten zwei Nervenbündel
verlaufen in der fazialen Kieferwand und strahlen fächerförmig gegen die
Eckzahngegend aus.
Die Rami alveolares superiores anteriores medii et posteriores bilden
dann über den Zahnwurzeln ein dichtes Nervengeflecht, aus welchen die
Rami dentales und gingivales superiores hervorgehen, doch kann man
annehmen, daß die Molaren von den Rami alveolares superiores posteriores,
die Schneide- und Eckzähne von den Rami alveolares superiores anteriores
versorgt werden. Die Prämolaren empfangen ihre nervösen Elemente von
dem Ramus alveolaris superior medius, welcher jedoch außerdem noch
Ästchen aus den Rami alveolares superiores anteriores et posteriores be-
zieht. Anastomosen in der Mittellinie kommen vor.
Gefäße: Aus der Arteria maxillaris interna stammen die Ar-
teriae alveolares superiores posteriores; die Arteriae alveolares superiores
anteriores sind Äste der Arteria infraorbitalis, ebenfalls eines Zweiges
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 71
der Arteria maxillaris interna. Die Venen gehören dem Quellgebiete der
Venae faciales an.
Arterien, Venen und Nerven verlaufen zum größten Teile
gemeinschaftlich. Die Arterien kommunizieren miteinander; aus
diesen Verbindungen gehen die Zahnarterien hervor, die Zahnvenen münden
in einen dichten Venenplexus. Nerv, Arterie und Vene ziehen gemein-
schaftlich in die Pulpa durch das Foramen apicale.
Unterkiefer: Der aus dem III. Trigeminus stammende Nervus
alveolaris inferior verläuft im Canalis mandibulae und zerfällt dortselbst
in drei Äste: Ramus posterior für die Molaren, Ramus medius für die
Prämolaren; nach Austritt des Nervus mentalis durch das Foramen men-
tale zieht ein Ramus anterior im Kieferkörper nach vorne für die Eck-
und Schneidezähne. Anastomosen zwischen den Rami anteriores beider-
seits sind konstant. (Geflechtbildung der Nerven wie am Öberkiefer, aus
welchen die Nervi dentales et gingivales hervorgehen.)
Gefäße: Die Arteria mandibularis stammt ebenfalls aus der Ar-
teria maxillaris interna und verläuft im Canalis mandibulae, in welchen
sie zahlreiche Ästchen abgibt; die uns hauptsächlich interessierenden
Ästchen sind die Arteriae dentales. Vor Austritt der Arterien durch das
Foramen mentale gibt die Arteria mandibularis noch einen Ramus anterior
für Schneide- und Eckzähne ab. Gleichnamige Venen verlaufen mit den
Arterien und bilden ebenfalls einen Venenplexus. Die Venen gehören dem
Quellgebiete der Venae faciales an.
Durch das dichte Aneinandergelagertsein von Nerven, Arterien und
Venen sowohl bei den Hauptstämmen als auch bei den Endverästelungen
ist es ziemlich wahrscheinlich, daß bei einer Schußverletzung alle ge-
nannten 3 Gebilde zusammen verletzt werden; isolierte Traumen eines
der genannten Gebilde sind unwahrscheinlich.
Zähne im Bereiche der Fraktur.
Wird nun ein Kiefer knapp über der Wurzelspitze eines Zahnes
durch einen Schuß verletzt, so werden Nerv; Arterie und Vene der Pulpa
sofort außer Funktion gesetzt. Das periphere Nervenästchen degeneriert,
der Inhalt der Pulpagefäße thrombosiert und schließlich fällt die Pulpa
der Nekrose anheim; beim Einwandern von Bakterien in das Pulpa-
kavum vom Apex her kommt es zur Infektion des absterbenden Gewebes,
zur Gangrän, daher ist eine nekrotische Pulpa oder verflüssigter bzw.
gangränöser Kanalinhalt auch der konstante Befund bei einem im Fraktur-
spalt stehenden Zahn.
Ragen bei Komminutivfrakturen die Zahnwurzeln mehrerer Zähne
in den Splitterherd, so gehen die Pulpen dieser Zähne ebenfalls zugrunde;
72 Viktor Frey.
bisweilen findet man in seltenen Ausnahmen blutende Pulpen,
aber selbst in diesen nur degenerierte Nerven.
Einige Beispiele: Inf. M. R. Verletzt im Jänner 1915 durch Schrapnell-
durchschuß. Zahnformel des Unterkiefers: 37 u +32 ı]ı 2 s. Ausgedehnter Splitter-
bruch des Unterkiefers zwischen vj—-[s; hinter îs Defekt (es fehlt alles bis auf
einen Rest des aufsteigenden Astes). Die Zähne +j—]s im Kronenanteil quer ab-
geschossen, die Pulpahöhlen nicht eröffnet Faradische Reaktion fehlt von sf— f8.
Am 19. November 1915 wurden mehrere Zähne (2j — ];) extrahiert und auf-
gesprengt; die Sektion ergab ?1jız2 leere, etwas feuchte, nicht übelriechende
Wurzelkanäle.
Ts nekrotische Pulpa, schlaff, feucht, weiß.
Histologischer Befund: Pulpa ödematös Kerne zeigen eine nur
mangelhafte Tingibilität, Nerven durch Behandlung mit
Osmium nicht nachweisbar. (Behandlung: Müller-Formol|l,
Osmium, Safranin)
3] blutende, schmerzlos entfernbare Pulpa (Wurzelbehandlung).
+] Entfernung einer nekrotischen Pulpa (Wurzelbehandlung)
6j 6. Februar 1916 wegen Periostitis (leerer, nicht übelriechender Wurzel-
kanal) behandelt.
Ins. A. W. Verletzung durch Gewehrexplosivpatrone am 8. April 1915 (vgl.
Tafel II, Fig 4 a,b, c).
Zahnformel:
r r
76 ļ128 7
754321]1234 8
Diagnose: Fraktur des rechten Unterkiefers in der Gegend von s 5f- Aus-
gedehnte Zertrümmerung des Öberkiefere, Perforation des harten Gaumens; das
die Alveolen und Zähne |} 23 enthaltende Fragment stark nach rückwärts und
einwärts verlagert, so’ daß es nahe der Mittellinie und beiläufig in der Mitte des
harten Gaumens steht. 27. Oktober 1915: |! kariös, die blutende Pulpa wird ohne
Schmerz extrahiert.
lı 23 werden später bei einem operativen Eingriff entfernt.
Sektionf23 ergibt scheinbar leere Kanäle; die an den
Wänden haftenden Detritusmassen werden der mikroskopischen
Untersuchung zugeführt: Die Pulpen zeigen vollkommene Ne-
krose bei gleichzeitiger Thrombose der Gefäße; durch die
Osmierung konnte keine Färbung der Nerven erzielt werden
(Müller-Formol, Osmium, Safranin.)
Korp A. Ue. Verletzt durch Gewehrdurchschuß am 22. November 1915. Zahn-
formel des Unterkiefers: 85 432 ı]5 s (siehe Fig.2).
1-3 gingen durch den Schuß verloren.
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 73
Ausgedehnte Splitteriraktur des Unterkieferkörpers zwischen 5] — ]b-
Fig.2. Fig.3.
ij in der (punktierten) Frakturlinie. V4 si in der (punktierten) Frakturlinie.
19. Jänner 1916: 5-1] faradisch unempfindlich.
1] extrahiert (Wurzel total vom Zahnfleisch entblößt, Zahn gelockert).
Sektion ergibt eine blaßrötliche, scheinbar etwas gce-
schrumpfte, an der Oberfläche feuchte, nicht übelriechende
Pulpa.
Mikroskopisch: Nekrotische Pulpa, keine Kernfärbung, Ge-
fäße thrombosiert, Gewebe wenig tingibel, Nerven durch
Osmium nicht nachweisbar (Müller-Formol, Osmium, Sa-
franin)
Inf. A. A. Fraktur des Alveolarfortsatzes im Bereich von V4 3j durch Gewehr-
schuß am 23. September 1915 (siehe Fig. 3).
11. Jänner 1916: Die angeführten Zähne werden wegen starker Lockerung
entfernt.
Mikroskopischer Befund (Müller-Formol, Osmium, Safranin):
Nerven nicht tingibel, im Zerfall. Blutgefäße fast voll-
kommen durch Thromben verschlossen, Pulpagewebe mangel-
haft färbbar und ödematös gelockert.
Zähne peripher von der Fraktur.
Trifft die Schußverletzung Nerv, Arterie und Vene an einer vom Zahn
entfernt. gelegenen Stelle (also zentralwärts), so wird auch der periphere
Anteil aller 3 Gebilde plötzlich außer Funktion gesetzt; da aber zwischen
den Ästen der Arteria maxillaris interna, welche Ober- und Unterkiefer
74 Viktor Frey.
versorgen, und den Verzweigungen der Arteria maxillaris externa Ana-
stomosen bestehen, so kann von Endzweigen der Arteria maxillaris externa
ein Kollateralkreislauf eingeleitet werden, was, wie wir sehen werden,
von Bedeutung ist.
Da sind nun zwei Fälle möglich:
1. Die Nervenfasern sind durch die Leitungsunterbrechung von ihrem
Mutterboden losgelöst und degenerieren, die Zirkulation aber stellt sich
durch den Kollateralkreislauf in kurzer Zeit wieder her (s. oben).
2. Der Kollateralkreislauf kommt nicht zustande: durch Stagnation
der Blutsäule in den Pulpagefäßen bilden sich Thromben; das Pulpa-
gewebe, seiner Ernährung beraubt, fällt der Nekrose anheim; wenn keine
Kommunikation zwischen Foramen apicale und Frakturspalt oder irgend
einem entzündlichen Herd besteht, handelt es sich um:
a) eine reine Nekrose (geruchloser Kanalinhalt);
entgegengesetzten Falles kommt es zu einer mißfarbigen. übelriechen-
den Zersetzung des Kanalinhaltes, der
b) Gangrän.
Ad 1. Wir finden also im ersten Falle eine normal rosarot gefärbte
unempfindliche Pulpa; im Laufe der Zeit ist die Nervensubstanz voll-
kommen degeneriert und durch Bindegewebe substituiert worden. Blutung
nach Extraktion der Pulpa.
Ad 2a) Pulpa unempfindlich, durch die Thrombosen tief dunkelrot
oder unregelmäßig gesprenkelt; im späteren Verlaufe nach Auslaugung
des Blutfarbstoffes findet man eine retrahierte weiße, feuchte Pulpa;
schließlich ist der Wurzelkanal leer, nur seine Wände sind mit einer ge-
ruch- und farblosen Flüssigkeit befeuchtet (sehr häufiger Befund).
Ad 2b) Wurzelkanalinhalt gangränös.
Es entsteht nun die Frage, was geschieht mit solchen Zähnen, deren
Pulpa indirekt durch die Kieferfraktur gelitten hat? 3)
3) Harry Sicher und Berthold Spitzer (7) haben Tierexperimente an-
gestellt: Nach Durchtrennung des Nervus alveolaris inferior blieben die Pulpen —
obwohl nervenlos — intakt. Unterbindung und Durchschneidung der Arterie infolge
rasch einsetzenden Kollateralkreislaufes ohne alle Folgen. B.Spitzer(8) hat
den Canalis mandibularis direkt vor dem Ansatz des Musculus massetericus beim
Hunde freigelegt und bei sorgfältiger Schonung der Blutgefäße ein 1 cm langes Stück
des Nerven reseziert. Tötung des Tieres nach 3 Wochen. Es zeigte sich sowohl
am peripheren als auch am zentralen (Infektion?) Anteil akute Nervendegeneration.
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 75
Degeneration.
Wir müssen uns ganz im allgemeinen das ins Gedächtnis zurückrufen,
was uns die Histologie und pathologische Anatomie über die markhaltigen
Nervenfasern lehrt:
[Literatur: Ziegler (9), Weichselbaum (10), Stöhr (11).]
Jeder markhaltige Nerv hat als Zentrum den Achsenzylinder, um den
sich als konzentrisch geschichtete Röhren die Myelin enthaltende Mark-
scheide, ferner die Schwannsche Scheide gruppieren. (Das normale
Nervenmark färbt sich mit Osmiumsäure schwarz.)
Wird der Achsenzylinder irgendwo in seinem Verlauf von einem
Trauma betroffen, so degeneriert der ganze periphere An-
teil. — Jeder Achsenzylinder hat seinen Ursprungin
einer Ganglienzelle.
Wie sieht nun ein degenerierter Nerv unter dem Mikroskop aus?
Das Lichtbrechungsvermögen der Marksubstanz hat abgenommen, der Nerv
wird doppelkonturiert, das Mark zerfällt in Segmente, dementsprechend
wird die Schwannsche Scheide eingekerbt, die ganze Nervenfaser nimmt
einen welligen Verlauf an; in weiterer Folge ballt sich das Mark infolge
Gerinnung zu Myelintröpfchen zusammen und zerfällt schließlich zu
Myelinschollen, die sich lange im Gewebe nachweisen lassen, welche aber
schließlich resorbiert werden; auch der Achsenzylinder geht rasch zu-
grunde und ist bald nicht mehr nachzuweisen. Wurde das Präparat os-
miert, so ist nach dem Grade der Degeneration die Tinktion der Mark-
scheide nur schwach oder überhaupt fehlend. Myelinschollen färben sich
gelb bis braun.
Welche klinischen Symptome finden wir nun bei
derartig beschädigten Zähnen?
Ist der Nerv degeneriert, so fehlt die faradische Reaktion, und zwar
entsprechend den oben angeführten Nervenzonen, besonders deutlich im
Unterkiefer, z. B. bei Angulusfrakturen und gleichzeitiger Anästhesie des
Nervus mentalis (Taubheit der entsprechenden Lippenhälfte): faradische
Unempfindlichkeit vom mittleren, unteren Schneidezahn bis inklusive zum
Weisheitszahn. Finden sich bei den Inzisiven und bei dem Kaninus träge
Reaktionen, muß man wohl Anastomosen (durch Nervenschleifen) mit der
Gegenseite annehmen. Bei doppelseitiger Unterkieferfraktur sind sämtliche
zwischen den Bruchlinien liegenden Zähne total anästhetisch. Thermisch,
chemisch und mechanisch ist der Zahn natürlich vollkommen indifferent.
Auch die Durchleuchtung mit dem Glasstabreflektor ergibt kein Resultat,
der Zahn ist diaphan; erst wenn Blutungen oder Zersetzungsprodukte
einer Gangrän in die Dentinkanälchen eingedrungen sind, weist der Zahn
76 Viktor Frey.
den charakteristischen Schatten toter Zähne auf. Beim Aufbohren der-
artiger Zähne findet man die oben angeführten Befunde, entweder:
1. eine beim Extrahieren unempfindliche, aber blutende, rosarote
Pulpa (Zahn diaphan!), Nervendegeneration, durch den Kollateral-
kreislauf hergestellte Zirkulation),
2. eine unempfindliche, tiefdunkelrote oder unregelmäßig gesprenkelte
Pulpa (Zahn diaphan!) (Nervendegeneration und Thrombose der Ge-
fäße),
3. eine anämische, ganz weiße, etwas feuchte Pulpa, die sich von der
Kanalwand retrahiert hat (Zahn diaphan) (weiteres Stadium von 2),
4. einen leeren, geruchlosen, aber etwas feuchten Kanal (Zahn
diaphan!) (weiteres Stadium von 2 und 3) oder
5. gangränösen Kanalinhalt bei eingetretener Infektion (Zahn
nicht diaphan!).
Bei nicht durchtrennenden Gewalten (Kompression, Zerrung oder
Quetschung) degeneriert zwar auch der periphere Anteil des Nerven-
stammes, jedoch ergreift die Degeneration nicht den ganzen Stamm auf
einmal, sondern die einzelnen Nervenfasern nacheinander. (Wir müssen dies
für eventuelle Schädigungen durch hypertrophischen Kallus, Sequester,
Geschoßsplitter, einklemmende Narben, entzündliche Vorgänge, unter Um-
ständen auch für Aneurysmen festhalten.)
Ferner kann auch die Nervendegeneration hämatogenen Ursprungs
sein, sei es durch Blutungen in die Nervensubstanz, durch Unterbundensein
der Zirkulation infolge des Traumas, eventuell durch Infektion auf dem
Wege der Blutbahn.
Wir sehen also, wie mannigfach die Ursachen für Degeneration der
Nerven im allgemeinen und für die nervösen Anteile der Zahnpulpen im
besonderen (bei Kieferbrüchen) sein können.
1. Vollständige Durchtrennung,
2. Kompression, Zerrung, Quetschung,
3. hämatogene Schädigung,
a) durch Zirkulationsstörung,
b) durch Infektion.
2 Beispiele: Off -D. W.S. Gewehrschuß, Durchschuß 18. Juli 1915. Ein-
schuß 1 cm oberhalb des unteren Randes des linken Nasenflügels, Ausschuß oberhalb
der rechten Nasolabialfalte, das Geschoß streifte weiter die rechte Wange. Die
zu den oberen Frontzähnen führenden Nervenfasern sicher durchtrennt (siehe Fig. 4,
5 und 6). .
Diagnose: Fraktur des Nasengerüstes, des rechten ÖOberkiefers und des
rechten Jochbogens; Fissur des rechten Processus condyloideus.
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Fig. 4. Fig.5.
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Narben nach der Schuß-
verletzung.
Fig.5.
Schußrichtung. Die Nervi alveo-
lares superiores anteriores waren
sicher beschädigt.
Fig. 6,
Die Pulpa von 2l im mikrosko-
pischen Bilde. Das zuführende
Nervenästchen war zentralwärts
(Nekrose) beschädigt.
18 Viktor Frey.
Jänner 1916: 5 4 8 2 ı] faradisch unempfindlich.
1| verfärbt, es wird eine nekrotische, aber nicht übelriechende Pulpa entfernt.
2] Apexgegend druckempfindlich, Zahn nicht perkussionsempfindlich, Trepa-
nation schmerzlos, Pulpa blutet, bei Extraktion der Pulpa minimale Empfindlichkeit.
Mikroskopischer Befund von 2l: Pulpa schlechttingibel, Nerven-
fasern tinktoriell nicht mehr nachweisbar, an einzelnen
Stellen findet sich ein wellenförmig angeordnetes Binde
gewebe, in dem sich aber keine Myelinschollen mehr ein-
geschlossen finden. Blutgefäße der Pulpa zum Teil throm-
bosiert (Müller-Formol, Osmium, Safranin).
Inf. P. Z. Verletzt durch Schrapnellkugeldurchschuß im Juni 1915. Einschuß
rechte Wange in der Gegend des rechten Jochbogens Ausschuß etwas nach ein-
wärts vom linken Unterkieferrande, senkrecht unterhalb des linken Mundwinkels
(siehe Fig. 7—11).
Röntgenbefund: Großer Substanzverlust im linken Corpus mandibulae hinter
[3 beginnend und bis '/2cm vor |s reichend. Eine Fissur, welche unterhalb des |»
vom vorderen Rande des kleineren Bruchstückes bis zum hinteren Rande des auf-
steigenden Astes ungefähr 1 cm über den Angulus reicht. Im Bereiche des Substanz-
verlustes Knochensplitter. In den Weichteilen Metallsplitter; das rechte Os zygo-
maticum weist einen Substanzverlust von ca.1cm Länge auf.
Zahnformel:
876 21|12345678
87 321 |123 8
November 1915: ı jı wegen Empfindlichkeit und Lockerung (faradische Re-
aktion negativ) extrahiert.
11. Jänner 1916: 327]: s werden behufs Anfertigung einer Prothese (weil
unbrauchbar) extrahiert.
Faradische Untersuchung vor der Extraktion ergab: Unverletzte Seite: 32]
reagieren nur sehr schwach faradisch. Verletzte Seite: [2 s 8 reagieren nicht.
Sektion: 3 2] anscheinend normale Pulpen.
T2 leerer, etwas feuchter Wurzelkanal mit Detritusmassen an der Wand, nicht
übelriechend.
j3 nekrotische, nicht übelriechende Pulpa von schlaffer Konsistenz
fs anscheinend normale Pulpa.
Mikroskopischer Befund: (Müller-Formol, Osmium, Safranin).
33] (unverletzte Seite) Pulpagewebe von fibrösem Bau,
durchgängige Gefäße Kernfärbung mangelhaft, Nerven-
fasern zwar vorhanden, aber nur schwach durch Osmium
gefärbt; an einzelnen Stellen Myelinschollen. (In dem abge-
bildeten Gesichtsfeld nicht sichtbar.) (Siehe Fig. 10.)
Die Pulpen waren ebenfalls stark verändert, möglicherweise dadurch, daß
3 3] im Momente der Verletzung irgendwie traumatisch beschädigt wurden. Das
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 79
Fig. 7.
Fig. 8.
Fig.9.
Fig. 7.
Einschußnarbe: rechte Wange.
Ausschußnarbe: linker Unter-
kieferrand.
Fig. 8.
Röntgenskizze der Unterkiefer-
fraktur (Defekt zwischen B und
|8, unter |8 verläuft eine Fissur).
Fig. 9.
Vorhandene Zähne im \fraktu-
rierten Unterkiefer. (Fraktur =
—» - -> m Tr ur
punktierte Linie.)
80 Viktor Frey.
Fig.10. Fig.11.
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Die Pnlpa des 8| (unverletzte Seite) im mikrosko- Die Pulpa des [3 (verletzte Seite) keine Kernfürbung.
pischen Bild: angelhafte Kernfürbung. Nerven- Nervensubstanz gänzlich in Zerfall. Myelinschollen
fasern nur schwach mit Osmium gefärbt (vgl. Text). (totale Nekrose).
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 81
Geschoß war nach der Einstellung am Schußkanalbestimmer dicht an den Zähnen
vorübergeflogen.
Verletzte Seite: [3 Detritusmassen, zur mikroskopischen Untersuchung nicht
mehr geeignet.
Mikroskopisch: [3 Pulpagewebe nekrotisch, keine Kernfär-
bung Die Nervensubstanz gänzlichim Zerfall, allenthalben
Myelinschollen nachweisbar (siehe Fig. 11).
fs Pulpagewebe leicht ödematös, Kernfärbung vor-
handen, aber nirgends nervöse Elemente nachweisbar.
13 s waren also zugrunde gegangen.
is hatte durch die unterhalb seiner Wurzel verlaufende Fissur zwar die
nervösen Elemente eingebüßt, war aber offenbar durch den aufgetretenen Kollateral-
kreislauf von der Nekrose verschont geblieben.
Regeneration.
(literatur: Ziegler (9), Weichselbaum (10), Marburg (12),
Edinger (13), Tillmanns (14) ]
Vom zentralen Anteil des verletzten Nerven, der nur bis zum nächsten
Ranvierschen Schnürring degeneriert, setzt die Regeneration ein, indem
der zentrale Achsenzylinder auswächst, und zwar unter Abspaltung in
mehrere Fäden. Liegen nun der periphere und der zentrale Nervenstumpf
nahe aneinander, so wachsen die zentralen Achsenzylinderfäden in den
peripheren Anteil der degenerierten Nervenfaser hinein. Hat jedoch eine
derartige Retraktion der beiden Stümpfe nach dem Trauma stattgefunden,
daß keine Berührung möglich ist, so tritt zwar auch Degeneration peripher
und Regeneration zentral auf, jedoch wachsen die aus dem zentralen An-
teil sprossenden Fasern nach allen Seiten aus (die Vereinigung unterbleibt).
Der zentrale Stumpf weist dann ein Neurom auf. Der periphere Anteil
bleibt aber vollkommen degeneriert. Findet jedoch durch Naht und Schie-
nung, wie es die Chirurgen machen, eine Annäherung beider Stümpfe statt,
so wächst der zentrale Achsenzylinder in den degenerierten Nervenstumpf
hinein und wächst immer seinem Verlauf folgend weiter, umgibt sich bald
mit einer neuen Mark- und Schwannschen Scheide, bis eine Restitutio
ad integrum eingetreten ist, die aber relativ lange dauert, da das Längen-
wachstum der neuen Nervenfaser pro Tag ca. 0,2—1,0 mm betragen soll.
Fanlair, zitiert nach Ziegler (9).]
Ich bin mir zwar der Schwächen der folgenden Annahme bewußt,
glaube aber dennoch darauf hinweisen zu sollen:
Wenn die Behauptungen Vanlairs richtig sind und günstige
Lagerung der Fragmente eine Regeneration der Nervenstümpfe vom ersten
Tage der Verletzung an zulassen, so dürfte die Regeneration des Nervus
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 6
82 Viktor Frey.
alveclaris inferior (Distanz: Lingula — Kiefermitte zirka 80 mm beim Er-
wachsenen in 80—400 Tagen, abgerundet bestenfalls in 3 Monaten, schlech-
testenfalls in 13 Monaten) zu erwarten sein.
Regeneration des Nervus alveolaris superior anterior: Distanz: Fo-
ramen infraorbitale — Eckzahnspitze (bei mittlerer Länge des Eckzahnes)
zirka 20 mm 20—100 Tage, abgerundet 1—4 Monate.
Regeneration des Nervus alveolaris superior posterior: Distanz:
Fossa pterygopalatina — Spitze des 2. Molaren (bei mittlerer Wurzellänge)
zirka 20 mm 20—100 Tage, abgerundet 1—4 Monate.
Bezüglich der Regeneration der Nerven bei Kieferbrüchen ist als be-
sonders erschwerender Umstand die Verlagerung der Fragmente (speziell
beim Unterkiefer) zu erwähnen, weil die mit den Fragmenten verlagerten
und durchtrennten Nervenstümpfe total außer Berührung gebracht werden.
Inwieweit die Schienung hier Wandel schafft, ist schwer zu sagen.
Daß der ganze Komplex der Regeneration durchaus nicht so einfach
ist, wie er obenstehend in großen Zügen angeführt ist, geht aus der Fülle
der Literatur über dieses Thema hervor. Marburg (12) betrachtet ‚die
Frage bis heute noch keineswegs als gelöst“. Den divergierenden Meinungen
wird vielleicht am besten die Darstellung Obersteiners gerecht, der
annimmt, daß vorwiegend ‚die Achsenzylinder des zentralen Stumpfes
die Grundlage für die neuzuschaffenden Nervenfasern bilden“, wobei „aller-
dings auch peripher durch die Schwannschen Zellen dem Verlauf der
Nervenfasern entsprechend Protoplasmabänder gebildet werden, daß aber
vom Zentrum her die eigentlichen Achsenzylinder in die Bandfasern hinein-
wachsen“. Auf Grund seiner Untersuchungen, welche auch im peripheren
Stumpf Autoregenerationsprozesse nachgewiesen haben, rät Marburg
am Schlusse seiner Arbeit, „dem peripheren Stück mehr Beachtung zu
schenken, als es von vielen Seiten der Fall ist. Denn, mag man auch
seine Bedeutung für die Regeneration keineswegs hoch anschlagen, es
scheint doch mehr zu sein als ein einfaches Leitband für den einwachsenden
Nerven.“
Edinger(13) schreibt über die Regeneration: „Daß aus dem
zentralen Stumpf Nervenfasern auswachsen, wurde von niemandem be-
stritten, ja, die Mehrzahl der neueren Autoren sieht in diesen Ausläufern
der zentralen Zelle um so mehr den einzigen Quell des neuen Nerven,
als dieser ja durchaus später wieder nur von dem Zusammenhang mit
seiner Zelle abhängig bleibt.“ ...
„Bethe, der die Länge des frei auswachsenden Stückes bestimmte,
fand bei Hunden bis zu 4em.“ ...
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 83
„Welche Rolle aber das peripherische Stück spielt, das ja zunächst
total entartet, in Markscheiden und Achsenzylinder zerfällt, das bleibt bei
der Auswachstheorie ganz offen. Vielleicht, so meint Ramon y Cajal,
so meinen auch andere, stellt es nur das Bett dar, in dem der neue Nerv
besonders gut auswachsen kann. Hier gehen aber bekanntlich Gewebs-
prozesse vor sich, deren Studium eine ganze Literatur gezeitigt hat. Weil
sie schließlich Bilder liefern, die für die frühere Methodik sich kaum von
wirklichen Nervenbahnen unterscheiden, kamen ja sehr viele Forscher zu
der Ansicht, daß nicht im zentralen Stücke, sondern in den Zellen des
peripherischen die Quelle der neuen Nervenfaser liege. Wenn einmal durch
phagozytäre Prozesse alle Zerfallsprodukte des alten Nerven weggeräumt
sind, dann besteht es aus langen, spindelförmigen Zellen, die man aus den
Schwannzellen abzuleiten pflegt, und in diesen treten dann (Ranvier,
Büngner u.a.) lange, zarte Bänder auf, die Achsenbänder. Ein seit
mehreren Monaten abgetrennter Stumpf besteht ganz aus solchen zarten
Bändern, die sich allemal an die Spindelzellen anschließen, ihr oberes
und unteres Ende bilden. Sie sollen eich in die bleibenden Nervenfasern
irgendwie umwandeln, wobei es zunächst offen gelassen wird, welche Art
der Verbindung sie später mit dem zentralen Stücke eingehen.“ . . .
Edinger steht also auch auf dem Standpunkte, daß dem „peripherischen
Stumpfe in der Tat bei der Nervenneubildung eine besondere Rolle zu-
kommen muß“. „Diese Achsenbänder sind nun nur bei jugendlichen Tieren
zu bekommen und durchaus vergänglich.“ ...
Er fährt fort: „Dem, der kritisch nachprüft, was nun eigentlich vor-
liegt, fallen zwei Dinge auf. Die Zentralisten können nicht erklären, warum
über eine gewisse Strecke hinaus das zentrale Nervenende nicht auswächst,
es müßte ja, hätten sie recht, über kurz oder lang schließlich jede Nerven-
trennung ausheilen. Das tut sie leider nicht, wie wir jetzt täglich sehen.
Sie haben auch bisher keine annähernd befriedigende Erklärung dafür
geben können, daß solches Auswachsen stattfindet, wenn nur der peri-
pherische Stumpf erreicht ist. Die Anhänger peripherischer Nervenbildung
sind ganz außerstande zu sagen, warum solche nur bei jugendlichen Tieren
stattfindet, und gar, warum diese neuen Nerven wieder zugrunde gehen.“ ...
Edingers neue Untersuehungen nun schlagen eine Brücke zwischen
den beiden unvereinbaren Ansichten, die beiden Standpunkten gerecht wird.
Er verwendet zu seiner Beweisführung die Achsenzylinderfärbung
mit Silbernitrat nach Bielschowski: „Die Silbermethode läßt jede
neue Nervenfaser sofort tief schwarz in dem peripherischen Stumpf er-
kennen, dessen Zellen und Achsenfasern in lichtem Braun sich nur färben.
In all den zahlreichen peripherischen Stümpfen, die ich (Edinger) von
6*
8A Viktor Frey. Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc.
operierten Menschen und Tieren in den letzten 2 Jahren durchmustert habe,
sind solche neue, immer recht dünne Achsenzylinder nur dann nachweis-
bar gewesen, wenn sie vom zentralen Stumpfe her einwachsen konnten.
Der Tinktionsunterschied der beiden Elemente im peripheren Stumpfe
gestattet mit aller Sicherheit auszusagen, wo peripherische, wo zentrale
Elemente liegen. Die zentralen Fäserchen legen sich an (in?) die Achsen-
fasern und die Zellkörper der Elemente des Stumpfes verzweigen sich um sie
auch mit 2 oder 3 Endästchen. Und nun erkennt man mit aller Sicherheit,
daß die langen Zellspindeln immer kleiner werden, je mehr Nervenfasern
sich zu ihnen begeben, die Zellsubstanz schwindet und zuletzt ist nur der
Kern zwischen den schwarzen Linien der Achsenzylinderfibrillen nachweis-
bar. Auch er wird immer kleiner und schließlich liegt er dicht in den
jetzt aus Fibrillenbündeln zusammengesetzten Achsenzylindern neuer
Nervenfasern. In jedem dieser neuen Achsenzylinder findet man von
Strecke zu Strecke solche Kernreste.“ ...
Edinger deutet nun dies Bild in der Weise: „Daß die aus-
wachsende Nervenfaser sich auf Kosten der Zellen des Stumpfes ver-
längert. Der neue Nerv entsteht also dadurch, daß Fasern aus der zen-
tralen Stelle auswachsen und sich durch die Elemente des peripherischen
Stumpfes verlängern.“ ...
. . . „Wenn der neue Nerv so aus dem zentralen und den peri-
pherischen Elementen zusammen erst aufgebaut oder doch verlängert wird,
so versteht man augenblicklich die Bedeutung des Umstandes, daß erst
Vereinigung des zentralen Stückes mit dem peripherischen Heilung herbei-
führt, während bei Ausbleiben solcher Vereinigung das Auswachsen des
zentralen Stückes nur zu kurzen, neuromartig aufgeschwellten Nerven-
stücken führt; man versteht den Nutzen, den es bringen kann, überlebende
Nerven dem zentralen Stücke vorzuschalten (Bethe) und es fällt auch
sofort die viel erörterte Frage weg, wie es kommt, daß die zentrale Faser
den Weg zur peripherischen Endstätte findet. Sie beantwortet sich sofort
dahin, daß eben nur die zentralen Fasern, welche den peripherischen
Stumpf erreichen, die Möglichkeit haben auszuwachsen, so lange ihnen
dieser Fortpflanzungsmaterial bietet, die anderen gehen zugrunde oder
bleiben als Neurom liegen.“ ...
Ich glaubte im Interesse der Wichtigkeit die ungemein fesselnde
Arbeit Edingers in ihren wichtigsten Punkten wörtlich zitieren zu
müssen, da sich ja in ihr sehr viele Stellen, die für die Regeneration der
Kiefernerven und insbesondere zum Verständnis der Regeneration der
Pulpanerven von größter Bedeutung sind, vorfinden.
(Schluß folgt.)
Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit ete. 85
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit
im Kieferspitale.
Von Professor Dr. Rudolf Weiser, k. u. k. Oberstabsarzt, Chefarzt der chirurgisch-
prothetischen Abteilung am k. u. k. Reservespital Nr. 17 in Wien.')
(Fortsetzung.)
Einen anderen Fall von Oberlippendefekt repräsentieren die Figuren
58a und b, den dalmatinischen Inf. Bozo Fr. des k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 22/2
betreffend. Infolge Dr.Essers Abkommandierung vom k.u.k. Reserve-
spital Nr. 17 ist derselbe noch nicht vollendet und wurde von Regimentsarzt
Dr.Foramitti zur Fertigstellung übernommen. Bemerken will ich zur
Krankengeschichte dieses Patienten, daß ich mich auch in diesem Falle
leider seinerzeit noch bestimmen ließ, von meiner Regel, vor der plastischen
Operation nicht nur die Wiederherstellung des Vestibulum oris, sondern
auch die ganze Einrichtung des Kauapparates zu bewerkstelligen, Abstand
zu nehmen. Die vorläufige Enge der Mundspalte und der Umstand, daß
ich das durch innere Schleimhautplastik mir in Aussicht gestellte, aber
nicht erreichte Vestibulum oris doch nachträglich erst herzustellen ge-
zwungen war, und die Klagen des Patienten, daß er sich infolge der
Straffheit der Oberlippe fortwährend zwischen dem Zahnstumpf des für
den späteren Zahnersatz wichtigen |3 und seinen unteren Zähnen die
Oberlippe einquetsche, was ihm das Kauen unmöglich mache, drängten
die behandelnden Zahnärzte Schneider, spfäterSteinschneider und
zuletzt Kränzl unter enorm erschwerten Umständen nachträglich, das ist
nach der plastischen Operation und doch wieder schon vor Beendi-
gung derselben, den Ersatz der Frontzähne um jeden Preis durchzuführen.
Der ganze Behandlungsgang scheint mir übrigens auch dafür zu sprechen,
daß man in derartigen Fällen doch besser tun wird, in großzügiger
Weise ausgiebige Lappen von weiter entfernt gelegenen Hautregionen (wie
Hals, hinteren Partien der Wange, Stirne, eventuell Unterarm) heran-
zuziehen, als in dem an und für sich gewiß wohl motivierten Prinzipe,
den betreffenden Defekt durch geschickte Verschiebung von Lappen aus der
unmittelbaren Umgebung zu decken, allzuweit zu gehen.
In dieser meiner Empfindung bestärkte mich auch folgender noch nicht
ganz abgeschlossener, Foramitti anvertrauter Fall von Unter- und
1) Aus: Beiträge zur Kieferschußtherapie Aus Anlaß des einjährigen Be-
stehens des k. u k. Reservespitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für Kieferverletzte)
herausgegeben von der Österr Zeitschr. f. Stomatologie.
86 Rudolf Weiser.
Öberlippenplastik. Der Inf. Janos He. des k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 34/3, amı
23. Oktober 1915 an der russischen Front durch Gewehrschuß verletzt.
hatte zu Anfang seiner Zuweisung an unser Spital ein schweres Mar-
tyrium durchzumachen Die von äußerst schmerzhaften Schrunden durch-
zogenen, nach einwärts gerollten und durch Narbenstränge an die Al-
veolarfortsätze des Ober- und Unterkiefers angewachsenen Lippen (Fig. 59 a)
boten ein anscheinend unüberwindliches Hindernis für die dringliche
Fig. 58a. Fig. 58b.
Ordnung der intraoralen Verhältnisse. Der Patient hatte an unaus-
gesetzten pulpitischen und periostitischen Schmerzen, weiterhin an Schmer-
zen von Seite zahlreicher Schleimhautgeschwüre der narbig eingezogenen
und andererseits vielfach ödematös geschwollenen Weichteillappen zu leiden,
welche durch die Reibung an scharfen Spitzen und Ecken hervorgerufen
wurden; die letzteren waren durch Absprengung von nicht weniger als 14
abgeschossenen und durch die Caries von 2 weiteren Zähnen teils im Ober-,
teils im Unterkiefer entstanden. Um Oberarzt Kränzl die Durch-
führung des von mir entworfenen Zahnbehandlungsplanes zu ermöglichen,
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 87
wurde vor allem durch Einschneiden der Narbenstränge und Benähen der-
selben mit Jodoformgaze die Verengerung der Mundspalte behoben. Die
Kaufunktion war durch die rasche Sanierung der Alveolarfortsätze des
Ober- und Unterkiefers und durch die Herstellung eines ideal gelungenen
Zahnersatzes rasch und vollkommen hergestellt. Die sich daran schließen-
den Phasen der Weichteilplastik, welche Regimentsarzt Foramitti
mehrzeitig ausführte, bis zu dem Stadium, in welchem sich der Fall gegen-
wärtig befindet, zeigen die Figuren 59 b und c.
Fig. 59a. Fig. 59b.
Ein wegen der großen Behandlungsschwierigkeiten einerseits und
wegen der vielfach neu eingeschlagenen Behandlungswege andererseits be-
sonderes Interesse bietender Fall betrifft den als Inf. eingerückten Archi-
tekten Viktor F., der am nördlichen Kriegsschauplatz durch Schrapnell-
schuß eine Zertrümmerung des ganzen Unterkiefers und erhebliche Weich-
teilverletzungen, insbesondere im Bereiche der linken Wange und der Regio
submaxillaris erlitten hat. Die orthopädische Behandlung des. Patienten
wird an der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitales der Wiener
88 Rudolf Weiser.
allgemeinen Poliklinik durchgeführt, die chirurgische an der I. Abtei-
lung des k. u. k. Reservespitals Nr. 17, woselbst der Patient auch in
Pflege steht. Die näheren Details über die einzelnen Phasen der Behand-
lung verdanke ich der liebenswürdigen Überlassung der Krankenge-
schichte seitens v. Wunschheims. Die Zahnreihe des Oberkiefers
ist beim Patienten Viktor F. vollkommen geschlossen, von den Zähnen
des Unterkiefers ist nur der rechte Weisheitszahn vorhanden und auch die
Fig. 59c.
Existenz dieses war, wie die Krankengeschichte sagt, durch Entzündungen
des paradentären Gewebes wiederholt gefährdet. Ein Stück des Unterkiefers
wurde bereits anderwärts entfernt. „Die Kinnpartien und die Zunge waren
stark nach rückwärts gesunken, die letztere nicht ganz gegen die Lippe
vorstreckbar. Links berühren die oberen Mahlzähne ein zahnloses Fragment
des horizontalen Unterkieferastes, welcher hochgezogen ist- Vom Mittel-
stück des Unterkiefers waren nur einzelne Knochensplitter vorhanden.
Schließen des Mundes ist bis zur pathologischen Okklusion, Öffnen bis zur
normalen Weite möglich. Der 8| mußte erst durch Anwendung einer inter-
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 89
maxillären Ligatur, welche von einem Ringe um diesen Zahn zu einer
Hakenschiene im Oberkiefer zog, aufgerichtet werden.“ Später wurde mittelst
eines Schraubenbandes um den 8| eine untere Kautschukprothese befestigt und
zu dem Zwecke durch Auftragen von Guttapercha die Lippe herausgedrängt.
Weiterhin wurde eine untere Zahnprothese mittelst Klammer um den X] und
mittelst Gebißfedern auf der linken Seite zum Halten gebracht. Trotz des
großen Eigengewichtes dieser Prothese war nicht zu verhindern, daß Unter-
Fig. 60a. Fig. 60b.
lippe und Mundhöhlenboden infolge des exzessiven Narbenzuges unablässig
sich unter die Prothese zurückzogen und die letztere nach vorwärts dräng-
ten, so daß die anfänglich normale Okklusion der Prothese mit dem Ober-
kiefer nach und nach verloren ging. Diesen Zustand markieren die Abbil-
dungen 60 a und b. Es wurde daher beschlossen, die Narbenstränge zu exzi-
dieren und im Wege einer plastischen Operation normale Haut und Muskel
zur Wiederherstellung der Weichteile des Kinnes und Mundhöhlenbodens
herbeizuschaffen. Der mit der Operation betraute Operateur Esser
führte am 30. März 1916 den ersten Akt der Weichteilplastik in der Weise
90 Rudolf Weiser.
aus, daß er, wie projektiert, das Narbengewebe ausschnitt, die Schleimhaut-
auskleidung im Bereiche des vorderen und linken Vestibulum oris teilweise
wiederherstellte und die äußeren Haut- und Muskellappen der als Schablone
dienenden Unterkieferprothese adaptierte. Aber der Erfolg auch dieser Ope-
ration drohte bald wieder verloren zu gehen. Unter Anlehnung an eine
ursprünglich von Prof.Gersuny in Wien angegebene, in jüngster Zeit
von Dr. Ludwig Moszkowicz zufolge einer Mitteilung in der k.k. Ge-
Fig. 60c.
sellschaft der Ärzte technisch weiter ausgebildete Methode schlug Esser
im zweiten Akt der Weichteilplastik des in Rede stehenden Falles folgen-
den Weg ein:
Rechts und links von einem Schnitte durch die Mittellinie der Kinn-
weichteile schuf er sich teils mit dem Messer, teils stumpf präparierend
mitten im Muskelgewebe je einen taschenförmigen Hohlraum. In. diesen
beiden Hohlräumen wurde je ein der zarten haarlosen Haut an der Innen-
seite des Oberarmes entnommener Thiersch-Lappen untergebracht.
Damit letzterer den taschenförmigen Hohlraum in seiner Gänze faltenlos
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 91
auskleide und nicht aus dem Lager entweichen könne, wurde zuerst von der
Tasche mittelst ‚„Helios“-Abdruckmasse, wie sie die Zahnärzte für ihre
prothetischen Arbeiten benützen, je ein Ausguß von der Form einer
flachen Roßkastanie hergestellt (Fig. 60 c und d). Sodann wurde diese Ein-
lage in Jodoformgaze gewickelt und mit dem Thiersch-Lappen, der
seine Epidermisseite gegen die Jodoformgaze, seine wunde Seite nach
außen kehrte, überzogen. Die so montierte Einlage wurde in die Tasche
Fig. 60e. Fig. 60 f.
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hineingeschoben und die wunden Ränder der letzteren vernäht (Fig. 60 e
und f). Nach etwa 14 Tagen, zu welcher Zeit man darauf rechnen konnte,
daß die Thiersch-Lappen mit den umgebenden Weichteilwandungen
verwachsen seien, was auch zugetroffen hat, wurde von der Mundhöhle
aus auf diese zystenartigen Hautdepots eingeschnitten und durch den
angelegten Schnitt die Einlage mitsamt der Jodoformgaze entfernt.
Die beiden zystenartigen Hohlräume waren späterhin in einen Hohl-
raum konfluiert und wurde der so geschaffene Hautsack, der gewissermaßen
eine Nebenmundhöhle darstellte, dazu benützt, um einen Zapfen von der
92 Rudolf Weiser.
Form eines Flaschenkürbisses aufzunehmen. Dieser Zapfen ist mit einiger
Anstrengung aus der Nebenmundhöhle zu entfernen und trägt im übrigen
in seinem Zentrum einen entsprechend geformten Stift, auf welchen die an
ihrer Basis mit einer Kanüle versehene Unterkieferprothese fest aufgesteckt
werden kann. Auf diese Weise ist erstens erreicht, daß die untere Prothese
nicht nach vorne gleitet und sich nicht von ihrer Unterlage, dem Mund-
höhlenboden, während des Kauaktes und beim Sprechen entfernen kann.
Die Kaufunktion des Patienten ist eine bei häuslicher Verpflegung voll-
Fig. 60g. Fig. 60h.
kommen ausreichende, das kosmetische Resultat ein im Vergleiche mit
den Anfangsstadien der Behandlung ganz überraschendes (Fig. 60g, h, i,
j, k) und selbst das in der ersten Zeit der Verletzung nahezu aufgehobene
Sprechvermögen des Patienten soweit wiedergewonnen, daß er in der
Ausübung seines mit Parteienverkehr verbundenen Berufes nicht wesentlich
gehemmt erscheint. (Auch dieser Fall bedarf noch einiger kleiner Nach-
besserungen, welche für die nächste Zeit in Aussicht genommen sind.)
Die Segnungen des zielbewußten und einmütigen Zusammengehens
von chirurgischer und zahnärztlicher Kunst stellt auch ein den Reserve-Lit.
Walter H. des Feldjäger-Baons. Nr. 25 betreffender und in den Figuren 61a,
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 93
b, c, d, e dargestellter Fall in das richtige Licht. Es handelte sich um eine
Zertrümmerung des rechten Unterkiefers in der Gegend des ersten Prämo-
laren und ersten großen Mahlzahnes infolge von Schrapnellschuß. Der junge
Reserveoflizier erkrankte zum ersten Male Mitte September 1914 an Ruhr.
wurde bei seinem Einrücken an die Front am 15. Mai 1915 durch Schrapnell-
schuß am rechten Unterschenkel verletzt und erlitt bei seinem drittmaligen
Erscheinen auf dem nördlichen Kriegsschauplatze am 14. Dezember 1915
infolge Verletzung durch Granatsprengstück eine Zertrümmerung des rech-
Fig. 60i. Fig. 60j.
ten horizontalen Unterkieferastes. Der schwer Verwundete wurde zunächst
am Verbandplatz verbunden, dann sogleich in das Reservespital Nr.1 in
Lemberg gebracht, wo die Wunde versorgt und ein Sauerscher Not-
verband angelegt wurde. Hierauf wurde er nach Wien transportiert und
traf am 1. Jänner 1916 im k. u. k. Reservespital Nr. 17 ein. Die Fraktur
war mit einer hochgradigen Dislokation und Verschiebung des großen
Fragmentes nach hinten und unten und mit einer Hochlagerung des kurzen
hinteren Bruchstückes verbunden. Haut und Muskulatur der rechten Wange
waren von einer lebhaft eiternden Rißquetschwunde durchsetzt (Fig. 61a,
b und c). Abgesehen von wiederholten Inzisionen, die wir wegen Senkungs-
94 Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit ete.
abszessen während der sofort nach der Aufnahme des Verwundeten in unser
Spital in Angriff genommenen orthopädischen Behandlung ausführen
mußten, schritt Foramitti am 4.Mai 1916 wegen Sequesterbildung
in der rechten Hälfte des Mundhöhlenbodens zur operativen Ordnung der
Bruchstelle. Der Operateur führte einen Bogenschnitt unter der rechten
Hälfte des Kinns und des rechten horizontalen Astes des Unterkiefers,
legte bei präparatorischem Vorgehen einen 3em langen und 1cm breiten
Sequester frei, kratzte die bestehende Haut- und Weichteilfistel aus, ver-
Fig. 60k. Fig. 61a.
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einigte die Lappen und drainierte den alten ausgekratzten Fistelgang
durch einen breiten Jodoformgazestreifen.
Im weiteren Verlaufe der orthopädischen Behandlung veranlaßten
mich ausgedehnte Narbenbildungen im rechten unteren Vestibulum oris,
sowie die durch einen bindegewebigen Strang bedingte Fixierung der (—
die Pseudarthrose im rechten horizontalen Unterkieferaste begrenzen-
den —) Knochenenden in falscher Stellung zu folgendem Eingriffe:
(Fortsetzung folgt.)
Referate und Bücherbesprechungen. 95
Referate und Bücherbesprechungen.
Regierung, Volksvertretung und Zahnheilkunde. Von Professor W. Pfaff,
Leipzig. Herausgegeben von der Zahnärztekammer für das Königreich
Preußen. Verlag Schmitz und Bukotzer, Berlin.
Pfaff, der sich schon seit langem auf dem Gebiete der Orthodontie
einen weit über die Grenzen des Reiches gehenden Namen gemacht hat,
beleuchtet in der vor uns liegenden Broschüre: „Regierung, Volksvertre-
tung und Zahnheilkunde“ die im Deutschen Reiche bestehenden Verhält-
nisse zwischen Zahnärzten und Zahntechnikern oder „Dentisten“.
Das 30 Seiten starke Büchlein enthält in seiner Einleitung die früher
bestehenden gesetzlichen Maßnahmen (Prüfungsordnung usw.), die Bestre-
bungen der Zahntechniker seit Jahren und ihre im Mai 1915 dem Reichs-
rate vorgelegte Eingabe betreffend die selbständige Behand-
lung von Heeresangehörigen.
Die Eingabe stützt sich auf die Beobachtungen und Erfahrungen,
die von den ZahntechnikernimKriegegemachtworden
sein sollen. ;
Pfaff weist nun im weiteren auf die Gefahren hin, welche hierdurch
dem Allgemeinwohl erwachsen würden und gibt der Undurchführbarkeit
dieses Vorschlages wegen der unzulänglichen Vorbildung der Techniker und
wegen der daraus resultierenden schädlichen Folgen beredten Ausdruck.
So schreibt er auf Seite 20: „Unterzieht man die Forderung, die von
Perthes und Kraft, sowie von der Reichstagskommission gestellt
werden, einer Prüfung, so muß dieselbe zu glatter Ablehnung kommen.
Die praktische Durchführung wäre ja schon ganz unmöglich wegen der
unzulänglichen Vorbildung der Zahntechniker. Mit dem Nachweis, daß
die Vorbildung des heute praktizierenden Technikers wirklich unzureichend
ist, brauchen wir uns nicht lange aufzuhalten. Von der Gesamtzahl, die nach
eigenen Angaben 8000 beträgt, haben höchstens 20 Prozent eine Lehrzeit
von 3 Jahren durchgemacht, in der sie fast nur im Laboratorium mit An-
fertigung von Gebissen beschäftigt waren. Die Ausbildung in der opera-
tiven Zahnheilkunde erhielten sie in Schnellpreßkursen von eini-
gen Wochen oder Monaten oder in dem Fortbildungsinstitut des Verbandes
der Dentisten im Deutschen Reich. (Berliner Lehrinstitut.) In diesem In-
stitut waren übrigens 1910 nur 39 Schüler eingeschrieben, was nicht gerade
auf starken Besuch schließen läßt. Die anderen 80 Prozent entstammen
allen möglichen Berufsständen, vor allem dem Barbierberuf. Sie
haben keine oder doch nur eine ganz geringfügige Ausbildung erhalten.“
Ferner auf Seite 23: „Die Forderungen, die darauf hinauslaufen, den
Zahntechnikern in immer weiterem Umfang die selbständige Behandlung
von Zahnkrankheiten zu ermöglichen, sei es durch Einführung staatlicher
Prüfungen, sei es durch Zulassung zur Behandlung von Heeresangehörigen
auf Grund der Reichsversicherungsordnung, müssen aber auch — und das
ist der Haupteinwand — im Hinblick auf die schlimmen Folgen für die
Volksgesundheit abgelehnt werden. Heute, wo in allen Ländern große
Anstrengungen gemacht werden, die Ausbildung der Studierenden den Ar-
beiten und Fortschritten der Zahnheilkunde anzupassen, will man reinen
Empirikern ohne jede Vorbildung eine so entwicklungsfähige Wissenschaft
96 Referate und Bücherbesprechungen.
ausliefern? Welcher Wert Prüfungen beizulegen ist, denen sich Leute
unterziehen, die ihrer ganzen Vorbildung nach dazu ungeeignet sind, haben
wir bereits gesehen. Erfahrung berechtigt uns, zu sagen, daß sehr bald
pseudowissenschaftlicher und phantastischer Empi-
rismus sich blähen und der wissenschaftlichen und
praktischen Zahnheilkunde einen vernichtenden
Stoß versetzen würde. Den Schaden aber hätte das
Volk zu tragen!“
Endlich weiter auf Seite 28: „Und wenn nun auf gesetzlichem Wege
ein Stand der „staatlich geprüften Zahntechniker“ geschaffen würde, wäre
die Entwicklung einfach diese: Die „Geprüften“ würden sich von den bis-
herigen Zahnbehandlern in ähnlicher Weise abheben wie die Zahnärzte
von den Technikern. Sie würden mit der Zeit nach höherer Ausbildung
streben und es begänne bald dasselbe Spiel wie vor einem halben Jahrhun-
dert bei den Vorgängern der heutigen Zahnärzte. Unter dem Gesichts-
punkte einer vorschauenden Politik betrachtet, wäre also durch
Schaffung eines neuen Zahntechnikerstandes gar
nichts gewonnen.“
Ausgehend von der Entwicklung der Naturwissenschaften und der
Medizin, der dadurch bedingten Hebung der Lebenshaltung und dem Sinn
und Verständnis für körperliche Kultur und Hygiene, kommt Verfasser auf
die jetzige Stellung der Zahnheilkunde zu sprechen. Er beleuchtet ihre
enorme Bedeutung in wissenschaftlicher und volkswirtschaftlicher Hinsicht
und beweist uns dadurch das große Verdienst der Zahnärzte für die He-
bung und Erhaltung der Volkskraft.
Zum Schlusse gibt uns Pfaff eine Übersicht über die Prüfungs-
gegenstände und die neue Prüfungsordnung, der sich der Student der Zahn-
heilkunde im Deutschen Reiche in einem 7semestrigen Studium unterziehen
muß, um den Doctor med. dent. zu erlangen. Er schließt mit der bemerkens-
werten Mahnung: „Bei jedem anderen Spezialfach der Medizin oder einer
anderen Wissenschaft wurden bei geplanten gesetzgeberischen Eingriffen
die Vertreter wegen der Wirkung auf ihr Fach um ihre Meinung befragt,
und sie wissen es nicht anders, als daß man auf diese Meinung hört. Warum
soll es bei dem Spezialfach der Zahnheilkunde anders gehalten werden?
Warum? Man sagt und hört so gern Deutschland in der sozialen und
gesundheitlichen Fürsorge an der Spitze der Länder, wenn aber das, was
jetzt verlangt wird, von Volksvertretung und Regierung zum Gesetz er-
hoben wird, dann wäre das ein Schritt, der nicht vorwärts auf der Bahn
vielverheißender Entwicklung, sondern rückwärts zur Entwissenschaft-
nu und zur geistigen wie sittlichen Verflachung und Verödung führen
würde!“ —
Kriegszahnklinik, August 1917. Zilz.
—— -eo <4 0p +... —-...-
Für den wissenschaitlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
R Su ia
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, II., Münzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
nm Zahnärzte Österreichs,
. Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
XYI. Jahrgang. April 1918. 4, Heft.
Nachdruck verboten.
Original-Arbeiten.
Aus der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitals der Wiene
Allgemeinen Poliklinik '
(Vorstand: Oberstabsarzt Prof. Dr. v. Wunschheim).
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß mit. be-
sonderer Berücksichtigung der nervösen Störungen.
Von Dr. Viktor Frey, Wien.
(Vortrag, gehalten im Verein österr. Zahnärzte am 14. November 1917.)
(Mit 8 Tafeln und 23 'lextfiguren.)
(Schluß.)
Beispiele aus der experimentellen Pathologie und
Chirurgie.
In Tillmanns(14) Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie lesen
wir über Beispiele von spontaner Nervenregeneration folgendes:
„Notta beobachtete eine spontane Regeneration nach Durchtren-
nung sämtlicher Nerven des Oberarmes innerhalb 6 Monaten. Tiede-
mann legte bei einem Hunde im August 1827. das Armnervengeflecht in
der Achselhöhle bloß, durchschnitt die einzelnen Nerven und exzidierte
aus jedem ein Stück von 2—2t/, cm. Es erfolgte eine vollständige Lähmung
des Gefühls- und Bewegungsvermögens in der betreffenden Extremität,
aber im Laufe der Jahre 1827—1828 kehrten Empfindung und Bewegung
vollständig zurück. Im Juni 1829 wurde der Hund getötet; es ergab sich,
daß die Nervenenden wieder durch markhaltige Nervenfasern verwachsen
waren. v.Langenbeck und Hueter beobachteten eine Wiederher-
stellung der Leitung nach Zerreißung des Plexus brachialis bei einem
preußischen Offizier, welcher durch eine Kartätschenkugel beim Sturm auf
die Düppeler Schanzen am 18. April 1864 verwundet wurde. Die linke
Lunge war in ausgedehnter Weise verletzt, die erste Rippe zersplittert,
desgleichen zum Teil Klavikula und Skapula. Trotz dieser hochgradigen
Verletzung kam Patient mit dem Leben davon. Im September desselben
Jahres sah v. Langenbeck den Patienten wieder, aber mit vollständig
gelähmtem Arme. Nach Ablauf von 1!/, Jahren stellte sich unter elek-
trischer Behandlung die Funktion des Armes wieder so weit her, daß
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 7
98 Viktor Frey.
Patient wieder dienstfähig wurde und den Feldzug 1866 als Offizier mit-
mächte. 1870 fiel er als Bataillonskommandant in der Schlacht bei Wörth.“
Bezüglich der Erfolge der sekundären Nervennaht finden wir ebenda
eine Aufzeichnung, in welcher es heißt, „daß die Sensibilität meist nach
2—4 Wochen, die Motilität frühestens nach 16 Tagen, meist erst nach
Wochen, zweimal sogar erst nach einem Jahre zurückgekehrt seien“. (Die
rasch eintretende Funktion nach Nervennaht wird aber von sehr vielen
angezweifelt.)
Von den Regenerationsvorgängen finden wir an gleicher Stelle mehrere
Theorien aufgezählt, von denen uns besonders 2 interessieren:
„l. Die alten Nervenfasern des peripheren Nervenstückes gehen nach
Abtrennung vom Zentrum unwiderruflich dauernd zugrunde Die vom
: zentralen Ende neu gebildeten Nervenfasern wachsen analog den ent-
wicklungsgeschichtlichen Vorgängen am peripheren Stumpf entlang, bis in
die. Muskeln, bis in die Haut (Vanlair).
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2. Die Fasern des peripheren Stumpfes degenerieren, beteiligen sich
aber dann, nachdem die zentralen regenerierten Fasern in den peripheren
Stumpf eingetreten sind, ebenfalls an der Regeneration und vereinigen
sich mit dem vom zentralen Ende ihnen entgegenwachsenden Fasern. Beide
Arten der Regeneration dürften nebeneinander vorkommen.“
Bedingungen für die Regeneration der Pulpen bei
Kieferbrüchen. |
Die Regeneration der Pulpanerven ist an folgende Bedingungen ge-
knüpft:
1. Das Bulnagewebe darf weder primär (Erschütterung der Zahn-
krone infolge des Traumas, Abriß der Gefäße und Nerven am Foramen
apicale), noch sekundär (Thrombose der Gefäße, hämatogene Infektion)
geschädigt sein.
2. Peripherer und zentraler Nervenstumpf dürfen nicht so weit von-
einander entfernt liegen, daß eine Wiedervereinigung a priori ausgeschlossen
erscheint (also keine größeren Defekte im Kieferknochen).
3. Die Reposition der Knochenfragmente durch Schienung muß eine
derartige sein, daß die Aneinanderlagerung des zentralen und peripheren
Nervenstumpfes möglich ist. (Interposition von Weichteilen im Fraktur-
spalt kann die Regeneration verhindern.)
4. Der zentrale Nervenstumpf muß in seiner Funktion erhalten sein.
Erfahrungen über Regeneration der Pulpen nach
Kieferbruch.
Faradische Reaktion bei früher unempfindlichen Pulpen konnte auch
bei relativ günstigen Fällen von Kieferbruchverletzungen, die längere Zeit
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 99
bei uns in Behandlung standen, konstatiert werden, wenn auch nicht in
der Mehrzahl. Bei einigen dieser Patienten war schon nach zirka +/ Jahr
Fig. 12.-
Röntgenskizze. Fraktur des rechten Angulus (Aufnahme Dezember 1915).
Fig. 13.
Röntgenskizze. Verheilte Fraktur ders rechten Angulus (Aufnahme August 1917, vgl. Fig.12).
faradische Reaktion — wenn auch träge — in den betroffenen Zähnen
nachweisbar. Die faradische Erregbarkeit steigerte sich im Laufe der
Zeit immer mehr, wenn sie auch selbst nach einem Jahr noch nicht die
normale Höhe erreicht hatte (Vergleich mit der Gegenseite).
q*¥
100 Viktor Frey.
Ob die absolute Zahl der wieder normal empfindlich gewordenen
Pulpen nicht vielleicht eine relativ hohe ist, wäre sehr interessant zu
wissen; die Beobachtungszeit war aber bei vielen Patienten infolge ein-
Fig. 14.
Röntgenskizze. Fraktur des linken Angulus (Aufnahme Dezember 1915).
Fig. 15.
Röntgenskizze. Verheilte Fraktur des linken Angulus (Aufnahme August 1917, vgi. Fig.14).
getretener Heilung eine viel zu kurze; andrerseits ist die Zahl der ne-
krotisch befundenen Pulpen ziemlich groß, was ich um so mehr behaupten
kann, weil jeder aus irgend einem Grunde bei unseren Kieferverletzten
extrahierte Zahn mit der Sektionszange aufgesprengt wird.
Das Verbalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 101
Einige Beispiele: Inf. Joh. R. Bei einer doppelseitigen Angulusfraktur
mit Durchschuß des Zungengrundes war die Geschmacksempfindung derart gestört,
daß Patient alle Speisen stark sauer verspürte. Nach 6 Monaten war Besse-
rung zu konstatieren, normale Geschmacksempfindung erst
nach °ı Jahren (siehe Fig. 12—15).
Die zwischen den beiden Angulusfrakturen stehenden Zähne 5482 1]1 23846
waren lange Zeit total anästhetischh 2 Jahre nach der Verletzung
stellte sich Patient wieder mit neuralgieartigen Schmerzen
in der rechten Unterkieferhälfte vor. Die Ursache war eine
Pulpitis von 6]; die übrigen Frontzähne hatten normale
faradische Reaktion.
Oblt. E. P. Verletzt am 6. Mai 1915 Schwere Splitterfraktur im rechten An-
gulus, langandauernde Eiterung mit wiederholtem Abgang von Sequestern. Heilung.
(Konsolidation 28. Dezember 1915.) Zahnbestand des rechten Unterkiefers7 5 «3 3 11.
Kontrolle am 28 Jänner 1916: Alle Zähne des rechten
Unterkiefers reagieren auf faradischen Strom, nur schwä-
cher als die Zähne des linken Unterkiefere Die Reaktion
ist bei 371| relativ stärker als bei 754] (Nervenschleife).
Inf A.H. Verletzt durch Gewehrdurchschuß am 23. Oktober 1914 Ausge-
dehnte Splitterung fast des’ ganzen linken Unterkieferkörpers. Patient wurde uns
am 29. Dezember 1914 zugewiesen und bekam am 2. Jänner 1915 eine gestanzte
Kappenschiene von 6-2] reichend mit schiefer Ebene in der Gegend von #6].
Im Verlaufe der Behandlung hatten sich mehrere Sequester von verschiedener
Größe abgestoßen, darunter ein ziemlich großer am 10. März 1915, der den Canalis
mandibularis deutlich erkennen läßt (siehe Fig. 16—18).
Am 19. April 1915 ist die Fraktur unbeweglich, so daß die Schiene ab-
genommen werden kann. Das am 19. Mai 1915 aufgenommene Rönt-.
genbild zeigt die Fraktur verheilt, die Zähne der linken
Unterkieferhälfte jizni wurden bei der Entlassung des
Patientenam7” August 1915 faradisch untersucht; Reaktion
schwach.
Kontrolle: 21. Jänner 1916: Die Pulpenlinksunten sind
deutlich empfindlich, jedoch bedeutend schwächer als die
der rechten Seite
23. Juli 1917: Die Pulpen beider Unterkieferhälften
vollkommen gleich empfindlich, nur mehr eine ganz leichte
Herabsetzung der Empfindlichkeit des linken Nervus men-
talis zu konstatieren. Die zu gleicher Zeit (28. Juli 191”)
aufgenommene Röntgenaufnahme ergibt eine fast voll-
ständige Wiederherstellung des Unterkieferknochens
Eines der überraschendsten Momente war für mich, daß Pseud-
arthrosen-Patienten mit allerdings nur geringen, höchstens 1 Querfinger
breiten Substanzverlusten des Unterkiefergs — wie ich zweimal zu beob-
102 Viktor Frey.
Fig. 16. Fig. 17.
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Röntgenskizze. Ausgedehnte Splitterung des linken Röntgenskizze. Die geheilte Fraktur (vgl. Fig. 16) bei
Unterkieferkörpers (Aufnahme Dezember 1914). Entlassung des Patienten (Aufnahme Mai 1915).
Wenngleich der Kallus röntgenologisch nicht durchwegs knöchern erschien, war dennoch die Fraktur
klinisch als geheilt zu betrachten.
Fig. 18.
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Röntgenskizze. Die geheilte Fraktur (vgl. Fig.16 und 17) bei der Kontrolle am 28. Juli 1917.
Der Unterkiefer erscheint wieder vollständig knöchern hergestellt. Mehrere verschieden starke Leisten
im Knochen weisen auf die bestandene Verletzung hin.
achten Gelegenheit hatte — peripher von der Fraktur faradisch empfind-
liche Pulpen und diaphane Zähne hatten, so daß der Gedanke nahelag, daß
trotz der Zertrümmerung des Kiefers der Nervus alveolaris inferior, wenn
nr
Pepe en
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. | 103
auch nicht verschont (weil unwahrscheinlich) geblieben, doch vielleicht
nicht gänzlich durchgerissen war, so daß auf diese Weise eine Regeneration
stattfinden konnte. (Beobachtung 2 Jahre nach der Verletzung.)
Fall I. Inf. J.B., verletzt durch Gewehrschuß am 20. Mai 1915. Diagnose:
Splitterfraktur des rechten horizontalen Unterkieferastes in der Gegend von 65]
mit zirka querfingerbreitem Substanzverlust zwischen den beiden Kieferfragmenten
(siehe Fig. 19). Mehrere Geschoß- und Knochengplitter im Bereich der Fraktur, die
wiederholt Abszesse hervorrufen und operative Eingriffe notwendig machen. Die
Fraktur zeigte trotz Schienung keine Neigung zur Konsolidation Die vor der
Fraktur stehenden Zähne 732 ı] diaphan und faradisch + (14. Dezember 1916),
wenn auch schwächer als [1 23 4.
Fig. 19.
Röntgenskizze. Splitterfraktur des rechten horizontalen Unterkiefers.
Im Februar 1917 Pseudarthrosenoperation nach Dr. Pichler (21): Über-
brückung des Defektes mit einem an einem Muskelstiel hängenden Knochenspan aus
dem Kieferkörper.
12. September 1917: X3 21] faradisch +, wenn auch schwächer als [12 84
Zahnkronen diaphan.
Daß der Nervus alveolaris inferior vom Anfang an gänzlich durchtrennt war,
ist nach der Einstellung des Schusses mittelst meines Schußkanalbestimmers (15) un-
wahrscheinlich; wahrscheinlich dagegen, daß wenigstens einige Nervenfasern trotz
der Verletzung erhalten geblieben waren, von denen aus die Innervation des +]
(32 1] müssen wegen der Anastomose außer Betracht bleiben) besorgt wurde.
Fall I. Inf.M.K., verletzt durch Gewehrschuß am 18 Februar 1915 (siehe
Fig 20 und 21 und Tafel VIII, Fig. 21 und 22).
104 Viktor Frey. |
Röntgendiagnose: Splitterfraktur des linken Angulus und des untersten
Drittels des linken aufsteigenden Astes; gerade im Angulus ein zirka Querfinger
breiter Substanzverlust, Knochen und Geschoßsplitter in der Umgebung der
Fraktürstelle. l
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Röntgenskizze. Splitterfraktur des linken Angulus und des untersten Drittels des aufsteigenden
Astes; gerade im Angulus ein ca. querfingerbreiter Substanzverlust.
Fig. 21.
Vorhandene Zähne im Unterkiefer (punktierte Linie = Fraktur).
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 105-
Ausgang in Pseudarthrose (Operation wurde vom Patienten abgelehnt).
Schlußröntgenbefund vom 5. Jänner 1916: Pseudarthrose des linken Unter-
kiefers in der Angulusgegend; das kleinere hintere Fragment hochgezogen, stufen-
förmig an das vordere Fragment angelagert.
Kontrolle im Jänner ergibt fi 32 34 diaphan und faradisch +, wenn auch
unterempfindlich.
Kontrolle vom 31. August 1917:
Zahnformel des Unterkiefers: 888 21]1ı235
Die Pseudarthrose mit starker Dislokation der Fragmente besteht nach wie:
vor hinter dem fö. Es war bei der jetzigen Untersuchung auffällig, daß sämtliche
Pulpen auf faradischen Strom empfindlich waren. Ja, es waren sogar die Pulpen der
linken Unterkieferhälfte auf faradischen Strom stärker empfindlich als die der
rechten.
Es wurde nun die Frage ventiliert, ob im Falle der gänzlichen Zerreißung des.
linken Nervus alveolaris inferior (die nach Einstellung des Schusses mittelst Schuß-
kanalbestimmers unwahrscheinlich war) und bei ausgebliebener Regeneration vom
zentralen Stumpf aus möglicherweise rückläufig eine Regeneration von Seite der
in der Mittellinie bestehenden Anastomosen zwischen sjs im ]5 hätte stattfinden
können? |
Da nun die beiden 5f5 behufs Anfertigung einer unteren Prothese extrahiert
werden mußten (zirkuläre Halskaries), wurde an der rechten Lingula eine
Leitungsanästhesie vorgenommen.
Nach halbstündiger Wartezeit war die Unempfindlichkeit der rechten Seite:
bis in die Mittellinie eingetreten. Die elektrische Prüfung der Sensibilität sämt-
licher Pulpen des Unterkiefers war vor der Leitungsanästhesie vorgenommen worden.
Nach eingetretener Anästhesie wurde neuerlich mit dem faradischen Strom unter-
sucht. Während nun die Anästhesie des rechten Unterkiefers eine vollständige war,
zeigte sich; daß das Empfindungsvermögen der Pulpen der rechten Unterkieferzähne:
nicht gänzlich geschwunden, sondern nur bedeutend herabgesetzt war. Desgleichen
waren fı 2 s ebenfalls in herabgesetztem Maße empfindlich Dagegen hatte
der fs seine frühere Überempfindlichkeit beibehalten.
Um vollkommen sicher zu sein, wurde nun am rechten Foramen mentale ein
neuerliches Depot gelegt und nach 10 Minuten langer Wartezeit die neuerliche
faradische Untersuchung vorgenommen. Dabei wurde konstatiert, daß die Front-
zähne (ST — 3) noch weniger reagierten als bei der früheren Prüfung. Der Ts
blieb aber gänzlich unbeeinflußt. Es wurden nun beide §f5 ex-
trahiert, die Zähne aufgesprengt und die Pulpen in Müller-Formol behufs mikro-
ekopischer Untersuchung eingebracht.
(Im Anschlusse an die Verletzung bestand infolge der linksseitigen Angulus-
fraktur totale Anästhesie des Nervus mentalis und der linken Zungenhälfte bis
1'/a Jahre nach der Verletzung. Es trat nach diesem Zeitraume Empfindung auf,
doch war dies nicht die normale Empfindung, sondern sowohl die linke Zungen-
hälfte als auch die vom Nervus mentalis versorgte Hautpartie ist auch jetzt bei
Nadelspitzenuntersuchung hyperästhetisch.)
106 Viktor Frey.
Da nun jedenfalls eine Störung der Innervation der linken Seite nach der
Verletzung zu konstatieren war, die Regeneration aber infolge der Verlagerung der
Stümpfe und des ziemlich großen Substanzverlustes bei einer vollständigen
Durchtrennung des Nervus alveolaris inferior durch Verwachsung der beiden
Nervenstümpfe nicht anzunehmen ist, andererseits die Versuche mit der Leitungs-
anästhesie ergeben haben, daß die Anastomosenbildung zwischen rechtem und linkem
Nervus alveolaris inferior tatsächlich nur zwischen sj — js stattfindet, so ist die
Annahme berechtigt, daß trotz der großen Verletzung im linken Angulus der Nervus
alveolaris inferior der linken Seite nicht in seinem ganzen Querschnitt durchtrennt
gewesen sein kann, so daß unter Führung erhalten gebliebener Nervenbrücken die
Regeneration des linken Nervus alveolaris inferior in der Zeit von 1!/a Jahren vom
zentralen Stumpf aus stattfinden konnte, ein Zeitraum, der mit den Angaben
Vanlairs über die Schnelligkeit der Nervenregeneration beiläufig stimmt Für
die Annahme der Regeneration spricht auch der mikrosko-
pische Befund durch die eigentümliche Anordnung der Ner-
venfasern. A
Mikroskopische Untersuchung (Müller-Formol, Osmium, Safranin):
Normaler Nerv:
5j normale Verhältnisse Nervöse Elemente mit Os-
mium deutlich färbbar (vgl.Tafel VII, Fig. 21).
Regenerierter Nerv:
-sj Pulpa erscheint durch Bindegewebsproliferation
dichter (vgl. Tafel VIII, Fig 22).
Die vermehrten Blutgefäße sind allenthalben weit und
mit Blut gefüllt, keine Thrombosen Die Nervenfasern
lassen sich im allgemeinen ganz auffallend gut mit Osmium
färben, hierbei fällt aber auf, daß die Nervenfasern nicht
jene parallele Anordnung aufweisen wie im normalen Ner-
ven, sondern vielfach sich überkreuzen und verflechten, so
daß stellenweise Bilder zustandekommen, die an den Ner-
venverlauf bei traumatischen Neuromen erinnern. i
Spätverfall der Pulpen.
Es soll ferner noch daran erinnert werden, daß anfangs lebensfähig
gewesene Pulpen in einem späteren Zeitpunkte zerfallen können (wie
schon angeführt durch Thrombosen, hämatogene Infektion ete.).
Für Spätverfall der Pulpa seien 2 Beispiele für viele beobachtete angeführt:
I. Obit. D. erlitt im Mai 1915 durclf einen Gewehrschuß eine Splitterfraktur in
der Gegend von 76]; die zerschossenen Zahnfragmente des 7j wurden entfernt
8] : fehlte schon von früher).
.Bei der Aufnahme:
sj (distal von der Fraktur) normale faradische Reaktion
5 4] aufgehobene Reaktion.
821] sehr schwache Reaktion (Nerveneschleife).
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 107
Dezember 1915 (also 7 Monate nach der Verletzung): Alle Zähne der rechten
Unterkieferhälfte faradisch normal empfindlich (Regeneration). sj zeitweilig etwas
schmerzhaft beim Kauen, dem Gefühl nach verlängert, faradisch +
Im September 1916 mußte sj wegen Lockerung und Schmerzen extrahiert
werden. Pulpa abgestorben (Nekrose, aber keine Gangrän), mesiale Wurzelspitze
war arrodiert.
II. Inf. K Verletzt am 3. September 1915 durch Gewehrschuß, Durchschuß.
Einschuß rechte Nasenseite, Ausschuß linke Wange.
Diagnose: Fraktur des linken Oberkiefers, Splitterung im Bereich des linken
Os zygomaticum und der angrenzenden Partien (linksseitiges Antrumempyem)
Bei der Entlassung am 26. Jänner 1916 waren die vorhandenen Zähne fara-
disch normal empfindlich.
Am 21. Dezember 1916 kehrte Patient mit der Angabe, Schmerzen im 13 zu
haben, wieder.
Untersuchung der Frontzähne (alle anderen Zähne hatten normalen Befund)
ergab: 3 212 8 faradisch +, diaphan, 111 faradisch 0, nicht diaphan.
Röntgen: Zwischen 111 ein zirka erbsengroßer Resorptionsherd, der nach
Kanalbehandlung von 111 durch Aufklappung freigelegt und exkochleiert wird,
worauf die in den 18 lokalisierten Beschwerden verschwunden waren.
Sensible Reizerscheinungen.
[Literatur: Strümpell (16), v Wunschheim und Diskussionsredner (7).]
Mit den Verletzungen der Nerven sind sehr häufig Parästhesien ver-
bunden; die Patienten klagen, die Zähne kämen ihnen wie aus Holz ge-
macht vor; es werden unangenehme Sensationen, wie Kribbeln oder Taub-
sein der betroffenen Kieferhälfte oder direkte Schmerzempfindungen an-
gegeben. Diese sensiblen Reizerscheinungen treten oft anfallsweise auf.
Ja, es steigern sich die Symptome oft zu dem ausgesprochenen Bilde einer
Anaesthesia dolorosa. Ein bestimmter Zahn oder auch mehrere Zähne
werden als Sitz der Schmerzen angegeben, aber weder das Röntgenbild
noch die übrigen Untersuchungsmethoden bringen Klarheit. Im Anfange
habe ich solche Zähne prinzipiell trepaniert und war sehr erstaunt, fast
stets — allerdings schmerzlos oder fast schmerzlos entfernbare —, an
der Kanalwand festhaftende, blutende, rosarote Pulpen, die in keiner Weise
entzündeten Pulpen vergleichbar waren, vor mir zu haben. Die Schmerzen
blieben nach der Exstirpation der Pulpa die gleichen. Ja, selbst nach der
Extraktion solcher, nach Angabe der Patienten wie bei Periostitis per-
kussionsempfindlicher Zähne änderte sich die Schmerzempfindung nicht.
Manchmal ähneln die Schmerzen einer Pulpitis oder einer Trigeminus-
neuralgie, manchmal werden sie in einen bestimmten Zahn lokalisiert und
gleichen den Schmerzen bei einer beginnenden Periostitis.. Es ist mir
nun klar, daß derartige Schmerzen in dem zentral gelegenen, lebenden
108 Viktor Frey.
Stumpf entstehen und nur peripher ausstrahlen, ebenso wie Patienten nach
Oberschenkelamputationen Schmerzen in den Zehen des amputierten Beines
zu verspüren glauben. |
Nebenbei sei erwähnt, daß mit Parästhesien des Kiefers auch Hyper-
ästhesien der Wangen, Lippen, des Gaumens, der Zunge und der Mund-
schleimhaut häufig gleichzeitig vorkommen können. (Nagen-, Gaumen- und
Gesichtsradiation des II. Trigeminusastes.) Man übersehe. ein, eventyelles
Antrumempyem nicht!
Diese sensiblen. Reizerscheinungen des zentralen Nervenstumpfes
treten zumeist erst Wochen, ja Monate nach der Kieferverletzung auf und
sind von im Anschluß an die Verletzung bald auftretenden Schmerzen
wohl zu unterscheiden.
Ihre Ursache dürfte liegen: in narbigen Einklemmungen des Nerven
(eventuell auch in einem hypertrophischen Kallus und Exostosen), in
neuritischen oder perineuritischen Prozessen, in Geschoßsplittern und Se-
questern, Amputationsneuromen, eventuell in kleinen Aneurysmen ete.,
kurz gesagt, traumatische Neuralgien durch Kompression des Nerven oder
Neuritiden bzw. Perineuritiden (Entzündung der Nerven oder ihrer Um-
gebung).
Beispiele: Der zuerst beobachtete Fall von Parästhesie war folgender:
Inf. G P., verletzt durch einen Schrapnellstreifschuß am 15. Dezember 1914. Splitter
bruch zwischen Jı-r. Aufnahme am 8. Februar 1915. Sofortige Schienung mittelst
Kautschukschiene. Heilung der Fraktur am 24. April 1915
Mitte März wurde der bisher sehr günstige Heilverlauf durch beträcht-
liche, neuralgieartige Schmerzen in der linken Unterkieferhälfte gestört. [12 8 4 6
faradisch unempfindlich. Anästhesie des linken Nervus mentalis.
Die Schmerzen kommen anfallsweise, machen das bisher mögliche Kaugeschäft
der linken Seite (natürlich mit der Schiene) unmöglich. Die Schmerzen behindern
den Patienten am Tage und im Schlafe. Im Bereich der vorderen Hälfte des linken
Unterkiefers und der darüberliegenden Hautpartien bestanden Anästhesie und trotz-
dem spontan auftretende starke Schmerzempfindung (Anaesthesia dolorosa). Die
Untersuchung des vom Patienten beschuldigten f5 ergab bloß eine Perkussionsemp-
findlichkeit wie bei Periostitis, die Trepanation eine blutige unempfindliche Pulpa.
Patient bat, ihm den Zahn, den er als Ursache des Schmerzes ansah, zu extrahieren
(23. März). Die Extraktion brachte keine Erleichterung. |
20. Mai: Die Zähne fı—+ und [fe sind hyperästhetisch beim Beklopfen. Die
Neuralgien haben sich über den 2. und 3. Trigeminusast ausgebreitet. Nervina
bringen wohl. momentane Erleichterung, aber die Schmerzen verschwinden nie ganz
und kehren immer wieder. Über dringendes Bitten wird dem Patienten am 5. Juni
1915 fe, von dem die Schmerzen ihren Ausgang zu nehmen scheinen, extrahiert
Großer Dentikel in der Pulpakammer, aber blutende Pulpa. Keine Erleichterung
nachher.
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 109
9. Juni 1915: Leitungsanästhesie mit 1cm?” Novokainsuprareninlösung von
der Lingula aus nach dem Vorschlag Prof. Czieszyäskis. Die Schmerzen hören
nach einer Viertelstunde auf und blieben mehrere Tage verschwunden; bei ihrer
Wiederkehr waren sie nicht mehr so hochgradig als früher. Besserung unter täg-
licher Föhnbehandlung.
Heilung der Parästhesie am 22. Juli 1915
Röntgenologisch war nichts als ein hypertrophischer Kallus nachweisbar.
In anderen Fällen von Parästhesien waren versteckte Sequester und Geschoß-
splitter schuld, nach deren Entfernung die Schmerzen schwanden. |
Pilot F.W wurde am 14. April 1916 durch einen Granatstreifschuß verletzt
(siehe Fig. 22 und 23).
Quer über das Gesicht und die Nase unter beiden Augenhöhlen zieht eine
Narbe; Substanzverlust nahe der Nasenwurzel mit Eröffnung der Nasenhöhle
(traumatische Sattelnase). Narbe links linear, rechts eingezogen. #321] samt
Alveole beweglich, 5l [123456 in der Alveole gelockert, überdies Krone des |1
stark beschädigt. Diagnose: Komplizierte Fraktur beider Öberkiefer, beider Joch-
bogen und des Nasenbeines, rechtsseitiges Antrumempyem. Der rechte Nervus
infraorbitalis sicher beschädigt. (Kautschukschiene alle Zähne des Oberkiefers um-
fassend.)
Fig. 22. Fig. 28.
3
s
2
Fig. 22.
Äußere Verletzung (Fall F. W.).
Fig. 23.
Intraorale Filmaufnahme (Fall F. W.).
Rarefiziertes Septum zwischen 1]1.
Frakturspalt über ı—1l.
110 Viktor Frey.
21. August: 5| wurde wegen Eiterung aus der Alveole extrahiert.
20. Dezember: 48 2 1] faradisch 0, diaphan, die Zähne des linken Oberkiefere
(mit Ausnahme des eine Richmondkrone tragenden |!) faradisch +, diaphan, Par-
ästhesie der rechten Gesichtshälfte (Föhn) l
Intraorale Filmaufnahme: Frakturspalt über 4-1l verlaufend, Septum zwischen
ılı stark rarefiziert, außerdem Granulom über |1
5. Mai: |! locker und schmerzhaft extrahiert.
15. Mai: #4], der schon im Februar wegen periostitisähnlichen Beschwerden
und wegen herabgesetzter Diaphanie trepaniert worden und in welchem eine leicht
empfindliche Pulpa vorgefunden worden war, wurde wurzelbehandelt und gefüllt
(5.—14 Februar 1917), mußte aber am 15.Mai wegen. Lockerung und Schmerz
extrahiert werden; Alveole des 4l war stark atrophisch. Die Parästhesie blieb aber
dennoch bestehen, nur lokalisierten sich die Schmerzen in dem lebenden 68l, dessen
Extraktion aber von mir verweigert wurde, da der Zahn vollkommen in Ordnung ist
und fest in seiner Alveole sitzt Das Antrumempyem war bedeutend gebessert. Die
Ursache der Parästhesie ist nicht einwandfrei zu bestimmen. Es kommen in Be-
- tracht: narbige Einklemmungen der Nerven und das Empyem, das vielleicht durch
irgendwelche im Abstoßen begriffene, röntgenologisch nicht nachweisbare Sequester
unterhaltön wird. Patient steht zurzeit noch in Behandlung, ist aber gegenwärtig
von den Parästhesien weitaus weniger gequält.
Zusammenfassung.
I. Wurde durch die Kieferschußfraktur nur der Alveolaranteil des
Kiefers beschädigt, so weisen die in dem betreffenden Alveolarsegment
stehenden Zähne meistens irreparabel zugrunde gegangene Pulpen auf.
II. Hat ein Ausbruch des Unterkieferrandes (der Oberkiefer kommt
diesbezüglich aus anatomischen Gründen nicht in Betracht) stattgefunden,
jedoch ohne Verletzung des Canalis mandibulae, so wird die Innervation
der Zähne hierdurch nicht betroffen. Eine im Anschlusse an die Verletzung
aufgetretene Anästhesie (Kommotio) ist vorübergehender Natur.
III. Bei durchgängigen Kieferfrakturen tritt peripher von der Ver-
letzungsstelle des Nervenstammes Anästhesie der Pulpen auf. In der-
artigen Zähnen ist die Anästhesie eine totale; in Zähnen, welche durch
Nervenanastomosen eine gemischte Innervation besitzen (obere und untere
Frontzähne, obere Prämolaren), kann die Anästhesie auch partiell sein.
IV. Die Pulpenanästhesie ist entweder:
a) eine dauernde (Gangrän, Nekrose oder bindegewebige Um-
wandlung der Pulpa nach Degeneration der nervösen Elemente
bei erhaltener Zirkulation, ferner bei Obliteration des den Nerven-
stamm beherbergenden Knochenkanales) oder
Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 111
b) eine vorübergehende (nach Degeneration der nervösen
. Anteile und bei erhaltener Zirkulation Einsetzen der Nerven-
regeneration).
V. Die im Verlaufe der Heilung auftretenden Parästhesien entstehen
nie in dem peripheren Anteile des Nervenstammes, sondern immer nur im
zentralen, werden aber von dort in die Peripherie (namentlich in bestimmte
Zähne) projiziert.
| VI. Die anästhetischen Zähne können entweder vollkommen harmlos
sein oder eine ganz bedeutende Gefahr für die Heilung der Fraktur be-
deuten, indem die Zersetzungsprodukte der Pulpa der Bildung einer Pseud-
arthrose Vorschub leisten. Als harmlos sind nur die Zähne mit binde-
gewebig umgewandelter Pulpa anzusehen, alle übrigen Veränderungen des.
Ziahnmarkes bedeuten mehr oder minder ein gewisses Gefahrenmoment.
VII. Die Differentialdiagnose zwischen bindegewebiger Umwandlung
der Pulpa und einfacher Nekrose (ohne periostale Affektion) ist mit
unseren gegenwärtigen Hilfsmitteln nicht zu stellen, weil beide Arten von
Zähnen sowohl thermisch als elektrisch unempfindlich und auch beide
diaphan sind. Nur die Trepanation des Zahnes kann Klarheit verschaffen;
sie erscheint aber im Hinblicke auf sicher beobachtete Nervenregeneration
nur in dringenden Fällen indiziert.
VIII. Pulpengangrän kennzeichnet sich durch die verloren gegangene
Diaphanie der Krone. Hartnäckige Fisteln sind für periostale Affektionen
verdächtig, überdies können letztere durch (am besten intraorale) Rönt-
genaufnahmen nachgewiesen werden, so daß ein rechtzeitiges therapeuti-
sches Eingreifen gewährleistet erscheint.
IX. Bei konstatiertem Zerfall des Zahnmarkes (siehe Punkt VIII)
ist unbedingt sofortiges Einschreiten (Kanalbehandlung oder Extraktion)
indiziert, insbesondere sind die in einem Frakturspalt stehenden oder gar
in denselben hineingetriebenen Zähne ehestens zu entfernen; ein gleiches
gilt von faulenden Wurzeln und stark zerstörten, daher unbrauchbaren
Zähnen.
X. In den übrigen Fällen aber empfiehlt sich eine zuwartende Hal-
tung, jedoch unter öfters vorgenommener faradischer Untersuchung (Spät-
verfall der Pulpa), Diaphanieprüfung, eventuell Röntgenkontrolle. Vor
Pseudarthrosenoperationen ist diesen Verhältnissen nach einem Vorschlag
Weisers(17) erhöhtes Augenmerk zuzuwenden.
+ j x
*
Wir müssen uns stets vor Augen halten, daß das wichtigste die
Heilung der Kieferfraktur ist. Wir werden daher schon im Hinblicke auf
112 Viktor Frey. Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc.
‚die fast stets notwendige Prothese bezüglich Erhaltung oder Entfernung
von Zähnen zwar nicht leichtfertig vorgehen, aber auch keinen kleinlichen
Maßstab anlegen. Wir müssen uns stets folgende Fragen vorlegen:
1. Ist der Zahn für die Heilung der Fraktur gefahrdrohend?
‘2. Ist er für die Schienung der Fraktur notwendig?
‘3. Hat er für die spätere Prothese eine Bedeutung?
Nach Abschätzung des Wertes des Zahnes wäre über die Therapie
der sichtbaren Verletzungen der Zähne nur noch folgendes zu sagen:
' Zähne, die entweder allein oder mit der- Alveole luxiert sind, sind
meistens verloren. Man kann sie zwar in die Schienung miteinbeziehen;
tritt aber in absehbarer Zeit keine Festigung ein, so ist die Entfernung
indiziert.
"Total zersplitterte Zähne sind durch Extraktion eventuell nach Auf-
klappung zu entfernen. Treten im Verlaufe der Heilung Resorptions-
erscheinungen an Wurzeln auf, so sind die betreffenden Zähne zu entfernen,
desgleichen Zähne in atrophischen Alveolen.
| Zähne ‚mit total abgesehossener Zahnkrone sind zu entfernen, even-
tuell können sie nach entsprechender Kanalbehandlung für einen späteren
| Ersatz mit künstlicher Krone in Betracht kommen.
- Für Quer- und Schrägbrüche der Zahnkronen und kleinere Dackie
kommen konservierende Maßnahmen in Betracht.
‘ Längsfrakturen der Kronen mit Frakturspalt in der Wurzel srfordern
Entfernung des Zahnes.
Bei hoher intraalveolärer Querfraktur der Wurzeln: könnte bei un-
verletzter Alveole Wurzelbehandlung und nachfolgende Wurzelspitzen-
resektion in Frage kommen [Misch-Rumpel(l)].
Zum Schlusse obliegt mir die angenehme Pflicht, Herrn Professor
v.Wunschheim für die Überlassung des Themas, Herrn Prof. Jo v a-
novics für die Unterstützung im histologischen Teil und sämtlichen
Herren Kollegen der zahnärztlichen Abteilung der Poliklinik für das
verständnisvolle Eingehen auf meine Intentionen bei der Beobachtung ihrer
Fälle wärmstens zu danken.
Literatur: 1.Misch-Rumpel, Die Kriegsverletzungen der Kiefer und
der angrenzenden Teile. Verlag Meusser, Berlin. — 2 Partsch, Verletzungen und
Erkrankungen der Kiefer im Handbuch der praktischen Chirurgie, I(Bergmann,
Bruns, Mikulicz). — 3.Zuckerkandl, Anatomie der Zähne in Scheffs
Handbuch der Zahnheilkunde. — 4. G.Fischer, Lokale Anästhesie (Meusser.
Berlin) — 5. Bünte-Moral, Leitungsanästhesie im Ober- und Unterkiefer
(Sammlung Meusser). — 6. v. Langer-Toldt, Lehrbuch der systematischen und
Tafel I.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3.
V.Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete.
` Fig. 1. Fig. 2.
Vor der Verletzung vollbezahnte Gebisse.
Fig. 1.
Verlust aller Unterkieferzähne bis auf 81. — Komminu-
tivfraktur nach Schrapnellkugeldurchschuß.
Einschuß: Gegend des rechten Foramen mentale.
Ausschuß: Gegend des linken Foramen mentale.
Fig. 2.
Verlust aller Oberkieferzähne bis auf 4 3| samt Alveolar-
fortsatz nach Schrapnellkugeldurchschuß. j6 7 waren
ebenfalls verloren gegangen.
Einschuß: linke Wange.
Ausschuß: rechter Mundwinkel.
Fig. 3.
Zahnverlust [1—5 und Fraktur des entsprechenden Al-
veolarfortsatzes nach Granatsplittersteckschuß. — Die
Abbildung zeigt den Patienten ca. 10 Tage nach der
„operativen Ordnung“.
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie , Wien.
Tafel II. ;
Osterr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3.
V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete.
Fig. 4a. Fig. 4b.
Fig. &c.
Verletzung durch Gewehrexplosivgeschoß.
Einschuß: linke Wange. Ausschuß: rechte Wange.
Fraktur des rechten Unterkiefers in der Gegend 6 bl.
ausgedehnte Zertrümmerung des Oberkiefers, insbe-
sondere der rechten Seite. Perforation des harten
Gaumens.
1 2 3 samt Alveole nach rückwärts und gegen die
Mitte des harten Gaumens luxiert (vgl. Fig. 4b u. c).
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien, Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien.
Tafel III. i
Österr. Zeitschrift für Stomatologic, 16. Jahrg., Heft 3.
V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete.
Fig. 5a. Fig. 6a.
Fig. 5b. Fig. 6b.
Fig. 5au.b: 3fache Fraktur des rechten Unterkiefers, u. zw. zwischen 5 4|, präangulär u. supraangulär.
Die in Fig. 5b abgebildeten lockeren Fragmente wurden leider in einem Feldspital von unkundiger
Hand entfernt.
Fig. 6a. Abgeschossene Prämolarenkrone in der Zungenmuskulatur.
Fig. 6b. Die operativ entfernte Prämolarenkrone, die einen Zungenabszeß verursacht hatte.
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien.
Tafel IV.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3.
V.Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete.
Fig. 7a. Fig. 7b.
Fig. 70.
Gewehrdurchschuß. Einschuß durch den Mund, Aus-
schuß: linker Unterkieferrand unterhalb des linken
Mundwinkels.
Bilaterale Unterkieferfraktur rechts Gegend von 5l,
links Substanzverlust zwischen I —e.
Das Gebiß war vor der Verletzung vollbezahnt.
Die in der Mittellinie stehenden Zähne des Unter-
kiefers sind 4 8 2].
Verlag von Urban & Schwarzenberg. Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien.
Tafel IV.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3.
V.Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete.
Fig. 7a. Fig. 7b.
Fig. 70. y
Gewehrdurchschuß. Einschuß durch den Mund, Aus-
schub: linker Unterkieferrand unterhalb des linken
Mundwinkels.
Bilaterale Unterkieferfraktur rechts Gegend von bÍ,
links Substanzverlust zwischen Te.
Das Gebiß war vor der Verletzung vollbezahnt.
Die in der Mittellinie stehenden Zühne des Unter-
kiefers sind 7321.
Verlag von Urban & Schwarzenberg. Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien.
Tafel V. p
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3.
V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete.
Fig. 8. Fig. 9.
Fig. 10. Fig. 11.
Fig. 8u. 9. Abgeschossene Zahnkronen.
Fig. 10. Die Zähne 5 4| waren samt der
Alveole nach medial luxiert.
Gingiva intakt, Alveolen subgingival se-
questriert.
Fig. 11. Oberer Molar mit Längsfraktur
der Krone und Schrägfraktur der Wurzel.
Die Fragmente waren durch das Ligamen-
tum circulare geschient.
Fig. 12. Links: Zahnfragment im Fraktur-
Fig.12. ;
spalt (Y) verkeilt.
Mitte: Das operativ entfernte Fragment.
Rechts: Röntgenaufnahme nach Entfernung
des Fragmentes.
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien.
Tafel VI.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3.
V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc.
Fig. 13. Fig. 14.
Fig. 17.
Fig. 13—17. Beispiele subgingivaler (intraalveolärer) Querfraktur der Wurzeln.
Man beachte die Resorption der Wurzelspitze in Fig. 16.
Fig. 17. Die Wurzelspitze war überhaupt aufgezehrt.
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien.
Tafel VII.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heit 3.
V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß cte.
Fig. 18a. Fig. 18b.
Fig. 19. Fig. 20.
Fig. 18a. Resorptionserscheinungen an Wurzelspitzen von Zühuen, die nahe dergFrakturlinie standen.
Fig. 18b E (von Fig. 18a) knapp neben der Fraktur (punktierte Linie = Fraktur).
Fig. 19. Ein nahe der Bruchlinie stehender Molar, der durch Atrophie der Alveole ausgestoßen wurde.
Fig. 20. Großer kortikaler Sequester — fast das ganze lingnale Blatt des rechten Untorkiefers mit dem
Canalis mandibulae.
Verlag von Urban & Schwarzenbarg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien.
Tafel VIII.
__ Osterr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3.
V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete.
Fig. 21. Fig. 22.
Fig. 21. Die normale Pulpa des 5] (gesunde Seite) im mikroskopischen Bilde. Man beachte den nvaral-
lelen Verlauf der einzelnen Nervenfasern.
(Schnitt in halber Höbe der Pnulpa.)
Fig. 22. Dieregenerierte Pulpa des Të (kranke Seite) im mikroskopischen Bilde. Man beachte in jedem
einzelnen (teils quer, teils längs getroffenen) Nervenfaserbündel die eigentümliche Anordnung der mit
Osmium auffallend gut gefärbten Nervenfasern.
(Schnitt durch die oberste Kronenpulpa.)
Fall M. K. (Text siehe S. 106.)
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien,
Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit etc. 113
topographischen Anatomie (Braumüller, Wien). — 7. v.Wunschheim, Er-
fahrungen über Kieferschüsse. Diskussion: Harry Sicher, Cieszyński,
Pichler, Oppenheim, Fleischmann, v Wunschheim, Weiser. —
8. B.Spitzer, Die Veränderungen des Ganglion Gasseri nach Zahnverlust,
Österr. Zeitschr. Í. Stomat., 1910, H 7. — Derselbe, Experimentelle Studie zur
Pathogenese der Trigeminusneuralgie. Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1912, H. 8 —
9 Ziegler, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. Verlag Fischer, Jena. —
10. Weichselbaum, Pathologische Histologie. Deuticke, Wien. — 11.Stöhr,
Lehrbuch der Histologie und mikroskopischen Anatomie des Menschen. Fischer, Jena.
— 12. 0.Marburg, Zur Frage der Autoregeneration des peripheren Stückes durch-
schossener Nerven (zentrales und peripheres Neurom). Arb. aus dem neurol. Inst.
an der Wiener Universität, XXI. Bd., Deuticke, Wien 1916 — 13. L.Edinger,
Über die Regeneration des entarteten Nerven. (Aus dem neurol Inst. der Universität
Frankfurt am Main.) Deutsche med. Wochenschr., 1917, Nr. 25. — 14. Tillmanns,
Lehrbuch der Chirurgie. Verlag Veit & Co, Leipzig. — 15. V.Frey, Der Schuß-
kanalbestimmer. Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1917, H. 12, und 1918, H. 1. —
16 Strümpell, Spezielle Pathologie und Therapie. (Nerven.) Bd. 3. Vogel, Leipzig.
— 17. R.W eiser, Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale.
Aus „Beiträge zur Kieferschußtherapie“. Urban & Schwarzenberg, Wien 1917. —
18. J. Zilz, Ergebnisse der bisherigen Kriegserfahrungen auf dem Gebiete der
Kieferverletzungen. Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1916, H. 4, und 1917, H. 3—6. —
— 19 E.H Urbantschitsch, Stomatologische Kriegsverletzungen. Zeitschr. f.
Mund- und Kieferchirurgie (einschließlich Zahnchirurgie) und Grenzgebiete. Die
Kieferverletzungen und ihre Behandlung. — 20. H.Pichler, Einige Fälle aus der
zahnärztlichen Chirurgie. Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1917, H. 11 und 12. —
21. H.Pichler, Über Knochenplastik am Unterkiefer. Österr.-ungar Vierteljahrs-
schrift f. Zahnheilkunde, 1917, H.3.
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit
im Kieferspitale.
Von Professor Dr. Rudolf Weiser, k. u. k. Oberstabsarzt, Chefarzt der chirurgisch-
prothetischen Abteilung am k. u. k. Reservespital Nr. 17 in Wien!)
(Fortsetzung.)
Durchtrennung der Narben im Vestibulum oris und des zwischen den
Knochenfragmenten sich spannenden bindegewebigen Stranges; sofortiges
Einsetzen eines vorbereiteten Apparates zum Öffenhalten des neugeschaffenen
Vestibulum oris und zur Behebung der Dislocatio ad longitudinem.
1) Aus: Beiträge zur Kieferschußtherapie Aus Anlaß des einjährigen Be-
stehens des k. u k. Reserveepitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für Kieferverletzte)
herausgegeben von der Österr Zeitschr. f. Stomatologie.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 8
114 Rudolf Weiser.
' Nachdem im weiteren Verlaufe der orthopädischen Behandlung der
erwähnte Extensionsapparat von Kränzl durch eine die extendierten
Unterkieferfragmente vollkommen verläßlich in der richtigen Stellung
fixierende starke Retentionsschiene ersetzt worden war, zog Foramitti
Fettgewebe aus der Umgebung der Operationewunde zur Ausfüllung des
grubigen Weichteildefektes heran, fixierte sie durch tiefe Catgutnähte in
der gewünschten Lage und vereinigte Muskel- und Hautlappen durch
Fig. 61b. Fig. le.
Etagennaht. Die eben geschilderte Weichteilplastik hatte nicht nur der
Kosmetik zu dienen, sondern war hauptsächlich eine das Weichteilbett
für die im Heilplane vorgesehene Deckung des Knochendefektes durch
Östeoplastik vorbereitende Operation.
Die Osteoplastik selbst wurde am 26. September 1916, angeregt durch
die in letzter Zeit von Lindemann im Düsseldorfer Kieferlazarette
bevorzugte Methode, von Foramitti in folgender Weise ausgeführt:
Freilegung der Frakturstelle durch einen Bogenschnitt in der Regio
submaxillaris dextra; präparatorisches Freilegen der Bruchenden, Anfri-
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 115
schen derselben und Implantieren eines der Crista ossis ilei dextri entnom-
menen Knochenstückes. Fixation des Implantates teils durch Verkeilung,
teils durch eine Serie von 6—10 kräftigen Catgutnähten; Etagennaht der
Weichteillappen, Anlegen einer extraoralen Gipsschiene. Die ganze Opera-
tion war in Skopomorphin-Dämmernarkose und lokaler Novocain-Anästhe-
sie ausgeführt worden.
Am 28. Oktober 1916 zeigte eine Röntgen-Kontrollaufnahme deutliche
Wolkenbildung in der ganzen Ausdehnung des Transplantates, so daß die
Fig. 61d. Fig. 6le.
Einheilung desselben über jeden Zweifel erhaben ist. Hiezu stimmt auch die
vollständige Schmerzlosigkeit, das reaktionslose Verhalten des Kiefers und
die den Patienten sehr befriedigende Kaufähigkeit. In der Gegend der
rechten Crista ilei hat Patient bei längerem Gehen und beim Aufstehen
nach längerem Sitzen sich immer mehr verlierende Schmerzen. Die Figuren
61 d und e zeigen den kosmetischen Effekt der an dem Patienten vorgenom-
menen Behandlungen.
Einen sowohl in kosmetischer wie in funktioneller Hinsicht eine
schwere Schädigung darstellenden Fall sind wir in der Lage in den Figuren
62 a, b, c, d, e, f vorzuführen. Der Inf. Karl W. des Inf.-Reg. Nr. 84/10
116 Rudolf W eiser.
(Figur 62a und b) (32 Jahre alt, Deutsch-Österreicher, Zivilberuf: Hut-
macher +) erlitt durch Gewehrschuß eine Splitterfraktur des rechten Unter-
kiefers in der Gegend des zweiten Molaren und des Weisheitszahnes, des
Angulus und des größten Teiles des aufsteigenden Kieferastes, verbunden
mit einer Abreißung der unteren Hälfte der rechten Wange. Dank der ortho-
pädischen Behandlung, welche Langendorff glücklich durchgeführt
hat, ist der Kauapparat des Patienten gegenwärtig vollkommen restituiert.
Bei Ausführung der Weichteilplastik fand Foramitti nach Aufrollung
Fig. 62a. Fig. 62b.
P n -
der eingezogenen Wundränder genügendes Material zur Deckung des
Hautdefektes vor. Von der Muskulatur war jedoch soviel verloren ge-
gangen, daß eine ausgedehnte, tief eingezogene grubige Vertiefung der
1) Während der Drucklegung dieses Berichtes, jedoch zu einer Zeit, als die
erste Hälfte des Satzes sich bereits im Umbruche befand, haben wir beschlossen,
einer beachtenswerten Anregung folgend, im kasuistischen Teile der Arbeit dem
Namen der einzelnen Patienten Notizen über Nationalität und Zivilberuf bei-
zufügen, da dieselben vom ethnographischen und sozialen Standpunkte zweifellos
statistischen Wert haben.
N ee ae a en ar SEELE 72
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 117
Wange selbst nach ausgeführter Hautplastik zurückgeblieben wäre. Um
diese Grube auszufüllen, führte der Operateur einen langen Schnitt in der
Haut der rechten Halsseite längs des vorderen Randes des Musculus sterno-
cleido-mastoideus, löste die vordere Hälfte des langen Muskelbauches ab,
so daß nur das obere Ende mit der hinteren Hälfte des Muskelbauches ver-
bunden blieb, und schlug die an ihrem kaudalen Ende losgelöste vordere
Hälfte des Muskels nach aufwärts, um sie durch Catgutnähte in den
Muskelresten der Wange in der Umgebung des Wangendefektes durch
Fig. 62c. Fig. 62d.
Naht zu verankern. Diese von Foramitti wiederholt angewendete
Methode hat den Vorteil, daß erstens die durch den Defekt außerordentlich
geschädigte Muskelaktion durch das im Wege der Plastik wiedergewonnene
Gewebe restituiert wird und zweitens, daß das Muskelgewebe nicht so leicht
nachträglich wieder der Atrophie verfällt, wie dies leider nicht selten bei
Fettgewebe der Fall ist. In den Figuren 62c und d ist die lineare Narbe
behufs Entnahme der vorderen Hälfte des Sternocleido-mastoideus als Mus-
kellappen und zweitens die Verwendung von Bleiplattennähten zum Zwecke
der Entspannung der Ränder der Plastikwunde auf der Wange ersichtlich.
118 Rudolf Weiser.
Ein Vergleich zwischen den Bildern 62a, b und e, f wird es begreiflich
erscheinen lassen, daß der junge tapfere Soldat wieder am Leben und mit
Dankbarkeit an den Ärzten hängt, die ihm zu dieser Freude verholfen
haben.
Einen vom Durchschnitt der Fälle ganz abweichenden Verlauf führt
uns die Krankheits- und Behandlungsgeschichte des Fähnrichs Leopold D.
des k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 28 (Deutsch-Tiroler, 25 Jahre alt, Kaufmann) vor
Augen.
Fig. 62 e. Fig. 62f.
Der Fähnrich Leopold D. wurde am 18. Oktober 1914 bei Lezaisk am
San in liegender Stellung durch Gewehrschuß verletzt, Einschuß in der
rechten Wange. Ausgedehnte Verletzung des rechten horizontalen Unter-
kieferastes. Ausschuß zwischen dem rechten Ende des Zungenbeines und dem
oberen Rande des rechten Schildknorpels. f
Auf seinem weiteren Wege ist das Geschoß am oberen Ende des
Sternums wieder in die Haut und Muskulatur bis 2 Querfinger unterhalb der
Magengrube gedrungen und wurde dort aus seinem Bette ausgeschnitten.
Hinter der Front im Feldspital zu Lancut wurden unfaßbarer Weise
am 25. Oktober zwei, wie die nachträgliche Untersuchung des konservierten
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 119
Präparates ergibt, zweifellos lebensfähig gewesene Stücke des horizontalen
Astes mit 8765] operativ entfernt (siehe Figur 63a); die rechte Gesichts-
hälfte des Patienten weist eine vollständige Lähmung fast aller vom Fa-
cialis versorgten Muskeln auf. Ä
Zahnformel:
Am 28. Oktober 1914 wurde Patient im Garnisonsspitale Nr.1 auf-
genommen. Am 18. Juni 1915 erfolgte auf seinen Wunsch die Trans-
ferierung in seine Heimat Innsbruck in das dortige Militärspital; eine
vorübergehende Geistesstörung nötigte zur Aufnahme des Patienten in
Fig. 63a.
die Nervenklinik der Universität in Innsbruck. Nach baldiger Entlassung
aus dieser Anstalt und Passierung einiger Rekonvaleszentenheime fand
der Patient am 2. November 1915 schließlich Aufnahme im neueröffneten
k. u. k. Reservespital Nr.17. Eine aus der Zeit unmittelbar nach der
Verletzung stammende Aufnahme besitze ich leider nicht. Zur Zeit der
Aufnahme in unser Kieferspital, woselbst der Patient wegen seiner Weich-
teil- und Knochendefekte an meiner chirurgischen Abteilung und wegen
seines Zahn- und Kieferersatzes in ambulatorischer Behandlung der zahn-
ärztlichen Abteilung v. Wunschheims steht, wurde vom Patienten
die in Abbildung 63 b wiedergegebene photographische Aufnahme ge-
macht. Von dem Versuche einer Nervennaht zum Zwecke der Be-
hebung der Facialislähmung wurde nach Konsilium mit Foramitti
und dem Neurologen Prof. Dr. Alfred Fuchs Abstand genommen,
nachdem der Stamm dieses Gehirnnerven knapp an der Austrittsstelle
aus der Parotis zerstört worden ist und auch die Auffaserungen des
Pes anserinus major auf eine mindestens 2 Querfinger breite Strecke hin
fehlen. Desungeachtet steckte sich Foramitti nach reiflicher Über-
120 Rudolf W eiser.
legung ein Ziel, mit welchem er nicht nur ein kosmetisches, sondern auch
ein funktionelles Resultat anstrebte. Er wollte an Stelle des gelähmten
Muskels einen aktiven Muskel der Nachbarschaft transplantieren. Nach-
dem er aus kosmetischen Gründen zur Eliminierung der tief eingezogenen
und stark entstellenden Narbe in der rechten Regio masseterica und sub-
maxillaris eine ausgedehnte Narbenexzision vornehmen mußte, erschien
es ihm als das Rationellste, die vordere Hälfte des Musculus sterno-
cleido-mastoideus von seinem sternalen Ansatze loszutrennen, vom gemein-
Fig. 63b.
WE A
à
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Ft) T
ER
samen Muskelbauche bis ungefähr in die Höhe des Angulus mandibulae
abzuspalten. und das so gewonnene freie Ende nicht nur dazu zu ver-
wenden, um die grubige Einziehung der Wangenhaut durch Unterfütte-
rung mit Muskel- (nicht Fett-) Gewebe auszugleichen, wie dies im
Falle Karl W. (Fig. 62c) geschehen ist, sondern auch dazu, die Muskel-
lähmung der rechten Gesichtshälfte nach Tunlichkeit zu beheben. Zu letzte-
rem Zwecke faserte er das freie Ende des Muskellappens fächerförmig auf
und vernähte die Enden der Fasern mit den unter der mobilisierten Haut
der vorderen Wundlefze sich präsentierenden Muskelbäuchen. Das Resul-
tat dieser sozusagen kosmetischen und funktionellen Plastik ist ein über-
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 121
raschend befriedigendes; nicht nur daß der Gesichtsausdruck des Patienten
in der Ruhelage der Muskulatur die aus Figur 63 c und c! erkennbare,
wesentliche Verbesserung aufwies, sondern es trat auch der von Fora-
mitti erhoffte Erfolg ein, daß die im transplantierten Muskelbauche ein-
gebetteten nervösen Elemente mit den unterbrochenen Nervenleitungen
der peripheren Gesichtsmuskel Anastomosen eingehen werden, so zwar, daß
sich ein im Laufe der Zeit und durch fleißige Übung sich immer reger
gestaltendes Mienenspiel beim Patienten eingestellt hat. Figur 63d hält
E, Fig. 630.4 Fig. 63 cl.
den gegenwärtigen Gesichtsausdruck des Patienten beim Lachen fest und
ein Vergleich dieses Bildes mit Figur 63b läßt erkennen, daß die vor
der Operation typisch ausgebildete totale Facialislähmung nach der
Operation in ganz erheblichem Maße verringert ist. Leider wurde es ver-
absäumt, zur Zeit, als noch die unbeeinflußte Facialislähmung auf der
rechten Gesichtshälfte bestand, eine photographische Aufnahme des Offi-
ziers im Momente des Lachens anzuordnen. Der sehr intelligente Patient
hat sich aber bemüht, seiner Erinnerung nach die unbeabsichtigte Grimasse,
zu welcher sich sein Gesicht in der damaligen Zeit verzog, wenn er lachte,
absichtlich zu imitieren. Das Bild 63 e gibt seinen Versuch, sein früheres
122 Rudolf Weiser.
Muskelspiel beim Lachen nachzuahmen, in photographischer Darstellung
wieder.
Die eben geschilderte plastische Operation hat aber außerdem noch
den Zweck, die an sich zu dünne Weichteildecke durch Einlagerung von
Muskulatur und Herbeischaffen von Haut aus der Umgebung für die auf
einen späteren Zeitpunkt verlegte Osteoplastik durch ein genügendes Er-
nährungsbett vorzubereiten. Das ursprünglich beabsichtigte Redressement
der hoch nach oben und innen verlagerten oberen Hälfte des aufsteigenden
Kieferastes mittelst Anwendung der Codivilla-Steinmannschen
Nagelextension wurde aus dem Grunde fallen gelassen, weil man bei Frei-
legung des aufsteigenden Kieferastes die mühsam von der vorderen Hälfte
des Sternocleido-mastoideus entlehnte Wangenmuskulatur damit wieder
gefährdet, wo nicht gar zerstört hätte.
Einen Schulfall für eine am sichersten zum Ziele führende Methode
derintraoralen Hautplastik sind wir in der Lage, in dem Falle
Emanuel M. (Inf. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 1, 23 Jahre alt, Tscheche, Zivil-
beruf: Landwirt) vorzuführen. Infolge des besonders hinfälligen Zustandes,
in dem sich der Patient beim Eintreffen vom Transporte befand, war es
nicht zulässig, den schwer Verwundeten zum Zwecke der photographi-
schen Aufnahme aufzusetzen, und späterhin wurde es bedauerlicherweise
übersehen, das Versäumnis nachzuholen. Die Krankengeschichte besagt:
„Vollständige Durchtrennung der rechten Unterlippe, so daß das Mittelstück
und die linke Unterlippenhälfte gedreht und evertiert nach unten und links
herabhängt. Der Weichteildefekt des Mundhöhlenbodens reicht bis an den
Zungengrund heran, der größte Teil der Wundfläche ist von versprengten
Knochenstückchen in Bohnengröße bedeckt. Vom linken Unterkiefer
ist der horizontale Ast von [i distalwärts angefangen, sowie der aufsteigende
Ast vorhanden und artikuliert sogar mit dem Öberkiefer normal; vom
rechten horizontalen Aste besteht nur die hintere Hälfte mit den Zähnen
8 7 6], welch letztere nahezu normal mit dem Oberkiefer artikulieren. Die
Bruchfläche des rechten Unterkieferfragmentes ist ausnehmend rauh und
zackig gestaltet und bereitet sich augenscheinlich zur Abstoßung vor. Auch
die Zähne des Oberkiefers weisen vielfach Zertrümmerungen auf und sind
insbesondere die Kronen der Frontzähne, sowie die Molaren rechts und links
abgeschossen, wonach sich die Zahnformel folgendermaßen gestaltet:
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 123
Am 26. August entworfener Heilplan: „Zunächst chirurgisch-stoma-
tologische, tunlichst konservierende Behandlung der Weichteil- und
Knochenwunden, sowie der periostitischen Zahnreste mit gangränösen Pul-
pen. Sobald es die Wundheilung zuläßt, die gangränösen Fetzen abgestoßen
sind, ist mit der Fixierung der Unterkieferstümpfe in der richtigen Lage zu
beginnen und allmählich der Ersatz der verloren gegangenen Zähne herzu-
stellen.“ Am 31. August 1915 war entschieden, welche Zähne einer konser-
vierenden Behandlung zugänglich und wert sind. Der behandelnde Zahn-
Fig. 63d. Fig. 63e.
arzt K rän zl notiert: „Chirurgisch-zahnärztliche Ausräumung des Mundes,
intraorale Auslösung der lockeren und nekrotischen Knochenteile, Extrak-
© 8 vo
tion von 6], 678 sowie Ht ; H T AN unter Anwendung einer
kalmierenden Morphium-Injektion (0,02) und lokaler Anästhesie im Ober-
kiefer, mandibularer Leitungsanästhesie im Unterkiefer.“ Am 9. September
1916 erfolgte die operative Ordnung der Splitterherde im Unterkiefer, wo-
bei viele versprengte frakturierte Kronen und Wurzelteile sowie nekro-
tische Knochensplitter ausgeräumt wurden (Operateur: K rän zl).
124 Referate und Bücherbesprechungen.
Nachdem die stark gegen die Mittellinie disloziert gewesenen Unterkiefer-
fragmente unter Anwendung von Dehnschrauben in richtige Artikulation mit den
Zähnen des Oberkiefers gebracht und in der korrigierten Stellung durch H au p t-
meyer-Schienen mit sagittalen Gleitflächen fixiert worden waren, versah Kränzl
im weiteren Verlaufe der orthopädischen Behandlung den abschraubbaren Bügel
noch mit einem für die Retention von Jodoformgazeeinlagen geeigneten, aus Silber-
blech hergestellten Plastikschild. Bei Fertigstellung des Fixationsapparates im
Unterkiefer wurde eine Goldkrone über 7] durch eine mit schwarzer Guttapercha
ausgepolsterte und mit Jodoformgaze überzogene Pelotte unterstützt, um den 7
nicht zu sehr zu belasten und zu lockern, sondern vielmehr das Kieferfragment,
Zähne (871), Alveole und Corpus mandibulae inbegriffen, im ganzen zu beein-
flussen. Sodann wird über Kö eine Hauptmeyer-Schiene angefertigt und die
beiden Zähne werden durch einen starken, abschraubbaren Silberbügel mit dem
rechten Kieferfragmente verbunden. Da das hochgezogene Fragment durch den
gekrönten 7] trotz der Verbindung mit der anderen Seite den Oberkiefer drückt,
wird eine Vulkanitplatte zum Schutze der gedrückten Stelle angefertigt. Im weiteren
Verlaufe der orthopädischen Behandlung stellt es sich zur Erzielung einer genaueren
Artikulation als notwendig heraus, auch eine vertikale Gleitfläche an der
linken Hauptmeyer-Schiene anzubringen.
(Fortsetzung folgt.)
Referate und Bücherbesprechungen.
Die Kronenstruktur der unteren Prämolaren und Molaren. Inaugural-Disser-
tation. Von Th.E.de Jonge Cohen, Amsterdam 1917.
Die vorliegende Untersuchung, unter der Leitung Bolks ausgeführt,
steht natürlich vollkommen auf dem Boden der Dimertheorie und unter-
scheidet demnach als primäre Höcker einen bukkalen und lingualen Haupt-
höcker (P und D) und die bukkalen und lingualen Nebenhöcker (1 und 2
resp. 3 und 4). Die Prämolaren zeigen entweder Formen mit Ausbildung
sämtlicher 6 Höcker, welche, da die Nebenhöcker gewöhnlich recht schwach
entwickelt sind, den „zweihöckerigen‘ Prämolaren der Autoren entsprechen.
Durch Rückhildung des mesiolingualen Nebenhöckers (3) und progressive
Entwicklung des distolingualen (4) entsteht daraus eine fünfhöckerige
Form, welche im allgemeinen als dreihöckerig gezählt wird, da neben den
stark entwickelten Höckern P, D und 4 die schwach sichtbaren 1 und 2
unberücksichtigt bleiben. Zwischen den sechs- und fünfhöckerigen Formen
lassen sich allerlei Übergangsformen finden, die vor allem durch eine
charakteristische, asymmetrische Anordnung der Kronenfurchen gekenn-
zeichnet sind.
Für die Molaren stellt Cohen die schon durch Bolk propagierten
Kronenformeln: SE (fünfhöckeriger Typus) und wa (vierhöckeriger
Typus) auf. Pa und Pp sind zwei Höcker, welche dadurch entstanden sein
sollen, daß sich aus dem hinteren Umfang des bukkalen Haupthöckers P
Referate und Bücherbesprechungen. 125
ein zweiter Höcker entwickelte. Interessant sind die Ausführungen Cohens
über die Variationen, welche in dem Satze gipfeln, daß jeder primäre
Höcker an seinem mesialen und distalen Umfang durch die Bildung eines
Sekundärhöckerchens kompliziert werden könnte. Für Einzelheiten muß auf
die Originalarbeit verwiesen werden.
Die Arbeit kann wohl nicht als Beweis für die Bolksche Theorie
gelten, da sie ja auf ihr als Grundlage aufgebaut ist, zeigt aber jedenfalls,
daß dieser Theorie zumindest ein hoher heuristischer Wert beigemessen
werden muß, da sich auf ihrem Boden in zwangloser Weise kompliziertes
Material übersichtlich ordnen und deuten läßt. Sicher.
Beziehungen zwischen Zahnkaries und relativer Azidität des Speichels und
des Harnes. Von Dr. A.Bühler und O.H eer. Deutsche med. Wochen-
schrift, Nr. 7, 1917.
Bereits vor 4 Jahren hat Bühler kurz eine Methode publiziert, die
eine rasche Orientierung über die relative Azidität des Harns erlaubt. Der
Autor probierte diese Methode auch an einer anderen, leicht erhältlichen
saurenKörperflüssigkeit, dem Speichel.
Als Gegenstand weiterer Forschung ergab sich die Aufgabe, zu prüfen,
ob und welche Beziehungen zwischen der Azidität des Mundspeichels und der
Zahnkaries bestehen.
Die Autoren sprechen vom Mundspeichel als einer sauren Körper-
flüssigkeit und befinden sich im Widerspruch mit der landläufigen Meinung,
daß der Speichel alkalisch und daß gerade diese seine Alkaleszenz für die
Erhaltung der Zähne von Wichtigkeit sei. Wenngleich der Speichel von alka-
lischer Reaktion ist, d. h. er färbt rotes Lackmuspapier blau, so ist doch hier-
mit seine Alkalinität, d. h. sein Gehalt an freiem Alkali nicht bewiesen; denn
mit Lackmus reagieren alkalisch auch die basischen Salze. Und in der Tat be-
sitzt der Mundspeichel trotz seiner Lackmusalkaleszenz eine echte Azidität,
d.h. er enthält einen Überschuß an ungebundenen aktiven Säuren. Die
Speichelazidität ist wesentlich begründet im Gehalt an freigelöster Kohlen-
säure (Külz,Munk, Cohnheim).
Parallel der Speicheluntersuchung machten Bühler und Heer stets
gleichzeitig bei den Versuchspersonen eine entsprechende Harnprüfung, in
der Annahme, es könnten sich daraus Beziehungen in der Azidität beider
Flüssigkeiten ergeben.
Gemäß der Absicht, den Einfluß des Speichels auf die Zahnkaries fest-
zustellen, berücksichtigten Bühler und Heer die Beschaffenheit der
Zähne bei den Versuchspersonen und nahmen eine Einteilung in 3 Gruppen
vor, in gute, mittelmäßige und schlechte Zähne.
Nach genauen Untersuchungen ergab sich als Resultat, daß der Säure-
wert des Speichels am größten ist bei der Gruppe der guten Zähne, am klein-
sten bei den Zähnen mit hochgradiger Karies. Interessant ist das Ergebnis
bei der Untersuchung Chlorotischer und Schwangerer, bei denen trotz stark
kariöser Zähne der Säurewert im Speichel und Harn gleich demjenigen bei
guten Zähnen ist.
Die Autoren fassen die Schlüsse wie folgt zusammen:
1. Der Speichel besitzt eine Azidität, die in ihren Durchschnittswerten
einem Gehalt von */—1% an Normal-Säurelösung entspricht; als Grenz-
werte fanden sie im Maximum 1,76%, im Minimum 0,27%. Der gesunde
126 Referate und Bücherbesprechungen.
menschliche Mundspeichel hat demnach die Azidität von annähernd 1/eso-
Normal-Säurelösung, d. h. er enthält im Liter 0,01 g Molekül Säure.
2. Die Bühlersche Methode zur Bestimmung der relativen Azidität
gibt auch beim Mundspeichel gute Resultate.
. Bei gutem Erhaltungszustand der Zähne finden wir größeren Säure-
gehalt des Mundspeichels; geringe Speichelazidität ist stets in Begleitung
hochgradiger Karies zu treffen. Maßgebend ist hierfür speziell der Säure-
quotient. _
4. Der Säurequotient des Harnes verhält sich analog demjenigen des
Mundspeichels.
5. Demnach ist der Säuregehalt dieser beiden Körperflüssigkeiten be-
gründet in konstitutionellen Stoffwechselvorgängen des Organismus und die
relative Azidität des Mundspeichels spielt eine wichtige Rolle in der Ätio-
logie der Zahnkaries. |
Kriegszahnklinik, April 1917. Zilz.
Die Untersuchung der Mund-Rachenhöhle. Von Prof. Dr. G er b e r - Königs-
berg. Med. Klin., XIII. Jahrg., Nr.18 vom 6. Mai 1917.
Ausgehend von einem Erlasse der Medizinabteilung des Kriegsmini-
steriums, nach welchem das Augenmerk der Ärzte auf die Behandlung chro-
nischer Mundhöhleninfektionen für die Wehrfähigkeit und Rentenansprüche
gelenkt wird, weist Gerber darauf hin, daß die genaue Untersuchung der
Tonsillen, die so häufig der Sitz von Mischinfektionen sind, auch entschie-
den vom rein ärztlichen Standpunkte ein Gebot der Notwendigkeit ist.
Diese genaue Untersuchung ist schon hinsichtlich der latenten Lues der
Mundrachenhöhle nötig. Kein anderes Organ wird nebst den Genitalien so
häufig von Syphilis in all ihren Stadien heimgesucht, als die Mund-Rachen-
höhle. Die Diagnose ist in vielen Fällen gar nicht so einfach und außerdem
sind Geschwüre in dieser Gegend oft leicht zu übersehen, da ja die Mund-
Rachenhöhle so reich an Buchten, Falten und Taschen ist. Auch differential-
diagnostisch begegnen wir vielfach großen Irrtümern. Sodann führt der
Autor an, daß es notwendig sei, diese genaue Untersuchung auch systema-
tisch durchzuführen. Das Instrumentarium besteht aus Mundspatel, ge-
krümmter Knopfsonde, Kehlkopfspiegel und einer Lupe. Sodann zeigt
Gerber, wie das Vestibulum und Cavum oris genau inspiziert wird und
wie schließlich ein Tonsillargeschwür mit der Lupe untersucht wird. Die
vorzüglichen Abbildungen veranschaulichen glänzend die Ausführungen
dieses hervorragenden Forschers und Lehrers.
Kriegszahnklinik, Juni 1917. Zilz.
Zur Behandlung der Wundrose. Von San.-Rat Dr. Gaugele. D. med.
Wochenschr., 43. Jahrg., Nr.15 vom 12. April 1917, S. 467.
Der Verfasser weist in der folgenden Darstellung auf ein altes, schein-
bar in Vergessenheit geratenes Mittel zur Behandlung der Wundrose hin.
Mit dem scharfen Höllensteinstift wird die flammende Röte im Entstehen
kreisförmig begrenzt. Die innerhalb des Kreises gelegene Partie wird mit
20—30% Höllensteinlösung bepinselt. Zeigt sich in den nächsten Tagen,
daß die Rötung weitergeht, wird ein neuer Kreis gezogen. Die tägliche
Pinselung mit der obenerwähnten Lapislösung im Bereiche der entzündeten
Partie führt die rasche Entfieberung des Kranken und geringe Ausbreitung
Kleine Mitteilungen. — Personalien. 127
der Krankheit herbei. Unangenehm ist nur die starke Schwarzfärbung der
Haut, die aber übrigens in wenigen Wochen wieder verschwindet.
Kriegszahnklinik, Juli 1917. Zilz.
Kleine Mitteilungen.
(Pensionen für die Ärztewitwen und -waisen.) In der außerordent-
lichen Generalversammlung der „Witwen- und Waisensozietät
des Wr. medizinischen Doktorenkollegiums“ vom 20. Dezember wurde
Dr. Ferdinand Steiner zum Präses der Sozietät gewählt. Außerdem
erfolgte die Wahl des Dr. Heinrich Reimann zum ersten und des Doktor
Josef Krips zum zweiten Vizepräsidenten. Die Sozietät ist ein durch
van Swieten ins Leben gerufenes und von der Kaiserin Maria
Theresia mit verschiedenen Privilegien ausgestattetes, versicherungs-
technisch aufgebautes und finanziell reichfundiertes Wohlfahrtsinstitut, das
unter relativ sehr günstigen Bedingungen den Witwen und Waisen nach
Ärzten unpfändbare Jahrespensionen bietet. Das Bestreben der
Sozietät geht dahin, in diesen schweren Zeiten, wenn schon nicht alle, so
doch die überwiegende Mehrheit der Ärzte Österreichs für
die Benützung dieser so wertvollen Wohlfahrtseinrichtung zu gewinnen,
um auf diese Weise den Hinterbliebenen der Ärzte eine sichere Ver-
sorgung zu schaffen.
Personalien.
Julius Scheffs Rücktritt vom Lehramt.
Genau 27 Jahre nach Eröffnung des ersten zahnärztlichen Instituts
in Österreich tritt dessen Gründer und seitherige Vorstand, Regierungsrat
o. ö. Professor Dr. Julius Sch eff, nach vollendetem Ehrenjahr vom Lehr-
amt zurück. Die Geschichte von Scheffs Lehr- und Forschertätigkeit
schreiben heißt die Geschichte der Zahnheilkunde in Österreich an der
Wende des Jahrhunderts überhaupt schreiben. War doch Scheff einer
der starken Stämme, an dem sich die Zahnheilkunde emporgerankt hat,
der sie gehalten und gestützt hat, bis sie auch bei uns zu anerkannter
Größe und Blüte kam. Scheff begann, seit 1873 Zahnarzt, seine Lehr-
tätigkeit als Dozent der Zahnheilkunde unter den denkbar ungünstigsten
Verhältnissen. Die Bedeutung und wissenschaftliche Stellung dieser Dis-
ziplin wurde innerhalb und außerhalb der Fakultät nicht gekannt und
die Chirurgen selbst sträubten sich gegen die Abtrennung der Zahnheil-
kunde von ihrem Fach, mit der Begründung, daß sie keine selbständige
wissenschaftliche Disziplin sei und einen integrierenden Teil der Chirurgie
bilde. Und doch geschah in den Vorlesungen über Chirurgie ihrer nicht
einmal eine Erwähnung! In Wort und Schrift hatte Scheff diese Vor-
urteile zu bekämpfen, bis es endlich nach Überwindung unsäglicher for-
maler Schwierigkeiten gelang, im Jahre 1890 das „Zahnärztliche Ambu-
latorium“ zu eröffnen. Mit dessen Leitung wurde Scheff betraut, nach-
dem der gleichzeitig mit ihm hiezu ausersehene Dozent Dr. Philipp Stein-
berger noch vor Eröffnung des Ambulatoriums zurückgetreten war.
128 Personalien.
Von da an beginnt eine an Erfolgen überaus reiche Tätigkeit als O r-
ganisator, Lehrer und Forscher, durch die es dem überragenden
Manne gelang, der österreichischen Zahnheilkunde ihren eigenen Stempel
aufzuprägen. Der leitende Gedanke hiebei war: Der Zahnarzt muß Voll-
mediziner sein, ein Grundsatz, den er in überzeugter und überzeugender
Weise in Wort und: Schrift zur Geltung zu bringen wußte. Und wenn
gerade jetzt in Deutschland die Meinungen über den Umfang der medi-
zinischen Vorbildung des Studenten der Medizin und über die Frage des
Doktors der Zahnheilkunde hart aneinander geraten, so beweist dies, daß
auch dort — mag für den Augenblick die Entscheidung wie immer fallen
— in nicht zu ferner Zeit das Ideal Scheffs erreicht sein wird: daß
der Zahnarzt Vollmediziner sein muß. Von diesem Gesichtspunkt aus
hat Scheff den Lehrplan für sein Institut ausgearbeitet und organisiert,
der in der Folge vorbildlich für alle zahnärztlichen Institute in Österreich
und Ungarn wurde. Und so hat der unvergleichliche Organisator und
nimmermüde Lehrer eine überaus große Zahl von Studenten der Medizin
und Ärzten zu Zahnärzten ausgebildet und alle, die zu seinen Füßen
gesessen, sind tüchtige Zahnärzte geworden, nicht trotz, sondern wegen
ihrer Vorbildung -als Vollmediziner. Neben dieser Tätigkeit als Organi-
sator und Lehrer fand er Zeit, durch eine große Zahl zum Teil grund-
legender Arbeiten seinen Namen in der zahnärztlichen Welt des In- und
Auslandes bekannt und berühmt zu machen.
Von den Arbeiten, mit denen er die Zahnheilkunde bereicherte, seien
erwähnt:
Lehrbuch der Zahnheilkunde für praktische Ärzte und Studierende (Wien
1880 und 1884).
Replantation der Zähne, eine historische und experimentelle Studie.
Handbuch der Zahnheilkunde, 1892 (seither in 3. Auflage erschienen).
Argyria dentium.
Welche allgemeine und spezielle Bildung ist wünschenswert für Personen,
die sich mit Zahnheilkunde beschäftigen?
Sagittalschnitte zur topographischen Anatomie des Ober- und Unterkiefers.
Extraktion der Zähne.
Zur Methode der Pulpenamputation.
Über den Einfluß der arsenigen Säure auf das Pulpagewebe.
Die erste Dentition beim Affen (Makakus rhesus).
: Atypische Extraktionen.
Und viele andere.
So verläßt der an Arbeit und Erfolgen reiche Mann das Institut,
sein Institut, mit ungeschwächter Arbeitslust und Arbeitskraft. Der Samen,
den er in den Jahren seiner Tätigkeit gelegt, ist bei Generationen von
Zahnärzten aufgegangen und in einer großen Schule zur Blüte gelangt,
.die sich an den Namen knüpft: Julius Scheff.
Dr.Steinschneider.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
mæ- ~ . = mg a :
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, II., Münzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ fir, die wissenschanlichen Zahnärzte Österreichs,
Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
XVI. Jahrgang. Mai 1918. 5. Heft.
Nachdruck verboten.
Original-Arbeiten.
Kritische Bemerkungen zur Veröffentlichung von
Duchange: „Über die zweizeitige Behandlungs-
methode der Kieferbrüche.“ )
Von Oberstabsarzt Juljan Zilz.
Die Behandlung der Kieferschußverletzungen war zu Beginn des Welt-
krieges eine sehr unvollkommene, die Heilungserfolge nicht befriedigend.
Prof. Cavalié hatte damals eine drei- resp. vierzeitige Behandlungs-
methode der Kieferschußbrüche in Vorschlag gebracht, die die folgenden
Punkte umfaßt: 1. Richtige Einstellung der Fragmente zueinander (Orien-
tation des fragments); 2. dauernde Fixation in der sub 1. angeführten
Lage (Consolidation); 3. Wiederaufrichtung der normalen Artikulation
(Orientation de l’arcade); 4. Einsetzung einer Prothese oder Brücke (un
appareil masticatoire en vulcanite ou autre matière).
Die Resultate dieser Behandlungsmethode erwiesen sich nicht als die
besten, weswegen Duchange, um die Mißerfolge des Cavaliöschen
Verfahrens zu beheben, eine zweizeitige Methodein Vorschlag
brachte. Diese soll im „Centre de Stomatologie de Bordeaux“ allgemein
angenommen worden sein. Die Folge war die, daß der Erfinder dieser Be-
handlungart die jetzigen Heilungsergebnisse gegenüber den früheren .pro-
zentuell nachzuweisen imstande ist, wobei die gegenwärtige Heilungsdauer
eine bedeutend kürzere Behandlungszeit beansprucht. Den therapeutischen
Vorgang teilt er in folgende Abschnitte ein:
I. Die Notschiene (Prothèse d'urgence). Diese besteht aus einem
hufeisenförmigen Draht von 2 mm Dicke, der mit der Zange jeweils zu-
rechtgebogen wird. An diesen Drahtbügel sind 1—3 mm lange Fortsätze
(„barretts‘“) angelötet, die in Form eines Rechens in die Interdentalräume
1) Roger Duchange (Dr. D. D. S. w Ch. D. D. F. M. P.): „Traitement des
Fractures des maxillaires. Méthode des deux temps.“ Communication au Congrès
Dentaire Inter-Alliés 10. Nov. 1916.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 9
130 | Juljan Zilz.
hineinragen. Dies soll die Erfindung von Duchange darstellen. Wird
der Draht von außen angebogen, so stehen die Fortsätze nach innen und
umgekehrt. Diese Notschiene (arc d’urgence) hält die Bruchstücke
ohne Ligatur zusammen. Die Notschiene kann 1. lingual (palatinal) und
bukkal angelegt werden; 2.bei fehlenden Interdentalräumen an die ein-
zelnen Zähne ligiert werden; 3. eine vollkommene Stabilität erreichen,
wenn die Enden des Drahtes sowie die Interdentalstifte (,barretts‘‘) um
die Zähne gebogen werden.
Die Vorteile des Duchangeschen Bogens sind die folgenden:
l. Er fixiert die Zähne untereinander; 2. Verursachung eines nur unbe-
deutenden Schmerzes für den Patienten; 3.er hält die Bruchstücke so fest
in seiner Lage, daß der Bogen, d.h.die Notschiene, oftmals als Dauer-
schiene getragen werden kann.
Zu dieser Erfindung von Duchange hätte ich zu bemerken, daß
ich schon zu Beginn des Weltkrieges eine Notschiene konstruiert habe,
die sich mit der des Duchange zum Teile deckt.
An einem Drahtbügel, dem die Krümmung der Zahnreihe gegeben
ist, sind nach Art eines Rechens jedem Interdentalraum entsprechend je
zwei Blechzungen angelötet, welche, sobald die Schiene angelegt ist, um
je zwei benachbarte Zähne gebogen werden. Die Blechzungen sind ent-
weder lingual bei bukkalem Bügel oder bukkal bei lingualem Bügel auf-
gelötet. Eine universelle Modifikation der Schiene besteht darin, daß die
einzelnen Blechzungenpaare eine Öse tragen, somit in beliebiger Anzahl je
nach vorhandenen Zähnen auf dem Drahtbügel gleichsam aufgefädelt
werden können. Die Blechzungenpaare haben zirka 10mm Länge, um
fallweise gekürzt zu werden.
Duchange äußert sich über seine Erfindung wie folgt: „Der
Wert und die Bedeutung der Notschiene ist unbestreitbar. Auch unsere
Gegner haben dieselbe anerkannt. Einem aus der Gefangenschaft zurück-
gekehrten Kieferverletzten B. Laurent, 18.1.-R., hat ein deutscher Militär-
zahnarzt am Hilfsplatz eine Notschiene angelegt, die nach den Aus-
sagen des Verwundeten in folgendem bestand: 2 Zähne des Kiefers wurden
mit Ringen versehen, die durch eine Schraubenvorrichtung dem Zahne genau
angepalst werden konnten, von denen jeder ein Röhrchen trug. Durch die
beiden Röhrchen wurde ein A n g le scher Bogen durchgesteckt und dadurch
die Bruchstücke in der richtigen Lage fixiert. (Drahtverband nach Schr o e-
der. Anm.d. Aut.) Wir machen von dieser uns nicht sicher genug er-
scheinenden Methode keinen Gebrauch.“
I.Brüche deshorizontalen Astes (Fractures des arcades
maxillaires). Zweizeitige Methode (Methode des deux temps). Sie
beginnt in der Kieferstation und besteht: A) in der richtigen Einstellung
Kritische Bemerkungen zur Veröffentlichung cete. 131
und Fixierung der Bruchstücke zueinander (R£orientation generale); B) im
Einsetzen einer Prothese oder Brücke (Consolidation).
Zu A. Schiene aus Silber oder Melchiormetall über sämtliche Zähne,
gestanzte Kappen; bei vereinzelten Zähnen Ringe. Die Befestigung der
Schiene an die Zähne wird mit Zement bewerkstelligt. Der Duchange-
sche Drahtbügel mit den rechenförmigen Fortsätzen soll fallweise die
Schiene ersetzen.
Zu B. Bei einfachen linearen Frakturen mit schlechter Heilungs-
tendenz werden die Fragmente nach richtiger Reposition durch cine fest-
sitzende Brücke in ihrer Lage festgehalten. Bei vollkommen erhaltenem
Gebiß und guter Heilungstendenz ist die abnehmbare Brücke zu ver-
wenden. Diese abnehmbaren Brücken sind stets mit einer „Aufruhe
(la base scellee) in Verbindung. Die Idee der Fixationsbrücken stammt
von Dr.H er pin, Präsident des „Centre de Stomatologie de Bordeaux“ (? !).
(Die Aufruhe wird von Steinschneider seit Jahren mit Erfolg
verwendet.) Seit Einführung dieser Behandlungsmethode wurde kein Fall
von Kieferklemme beobachtet, ebenso kam seit 6 Monaten kein Fall von
narbiger Schrumpfung zur Beobachtung, während Duchange früher bei
50% der Fälle schwere Komplikationen beobachten konnte.
II. Frakturen desaufsteigenden Astes (Fractures des
branches montantes): Frakturen hinter der Zahnreihe. Behandlung der-
selben lediglich und ausschließlich mittelst intermaxillärer Züge bzw. Liga-
turen bei normaler Okklusion. Die intermaxilläre Ligatur bleibt 4—8 Tage,
dann kommt ein Tag Ruhe. Heilungsdauer 2—5 Monate.
IV. FrakturenmitgroßemSubstanzverlust (Fractures
avec grande perte de substance osseuse). Sind die Fragmente bezahnt, so
schlägt Verfasser die Fixierung derselben durch eine Brücke vor.
Im Vorliegenden wollte Duchange keine erschöpfende Arbeit
über das Thema der Kieferbrüche liefern, er wollte nur betonen, daß die
Behandlung der Kieferbrüche durch seine Notschiene bedeutend verein-
facht. wird. In seiner zweizeitigen Behandlungsmethode glaubt er bewiesen
zu haben, daß die Brüche im aufsteigenden Ast ausschließlich durch inter-
maxilläre Ligaturen, während die Brüche, die mit großem Substanzverlust
verbunden sind, mittelst gewöhnlicher Überbrückung zur Heilung gebracht
werden können (le brigde de contention). Die Statistik weist
nach, daß es den Militärzahnärzten des „Centre de
Stomatologie de Bordeaux“ gelungen ist, 98% der
KieferverletztenderArmeewiederzurückzuerhalten,
wobei 93% frontdiensttauglich wurden.
Soweit Duchange! Ich will es versuchen, einige kritische Streif-
lichter in seine Arbeit zu werfen. Den ersten Abschnitt seiner zweizeitigen
9%
132 Juljan Zilz. Kritische Bemerkungen zur Veröffentlichung etc.
Behandlungsmethode verlegt Duchange auf den Hilfsplatz. Er befindet
sich jedoch auf dem Holzweg, wenn er glaubt, daß das eine Erfindung der
Franzosen kat exochen sei. Die Deutschen sind mit dem Schröder schen
Instrumentarium in den Krieg gezogen. Es ist sicher, daß ee Duchange
gewußt hat. Das geht aus den oben zitierten Äußerungen hervor.
An der Hand von Fällen demonstriert Duchange seine eingangs
ausführlich erörterte zweizeitige Methode bei Frakturen des horizontalen
Astes sowie bei Frakturen mit großem Substanzverlust. Auf die Brücke des
Oberkiefers geht Verfasser nicht näher ein, auch an die Zertrümmerungs-
schußbrüche sowie solche bei zahnlosen Kiefern vergißt scheinbar der Fran-
zose. Dessen zweizeitige Methode mag ja im Stellungskrieg in Frankreich
bei jedem Kieferverletzten möglich gewesen sein, im Bewegungskrieg — ich
erinnere an Gorlice, Rumänien, Serbien und die 12. Isonzoschlacht — dürfte
die erste Etappe der Behandlung schon aus Mangel an Zeit hinfällig
werden. Die vom Verfasser „erfundenen Schienen“ haben wir alle bereits
1914/15 wohlgekannt und auch häufig angewendet, doch möchten wir
denselben als der allein seligmachenden Behandlungsmethode in unserem
kieferchirurgischen Rüstzeug nur ein bescheidenes Plätzchen einräumen.
Eine schablonenhafte Behandlung der Kieferbrüche nach Duchange
wird und kann unter keinen Umständen unsere Zustimmung finden. Ein
Mann, der Kieferbrüche nach einem Schema heilen will, ein Mann, der von
Individualisierung in der Therapie nichts wissen will, ist nicht der, wofür
er sich hält. Wir haben keinen Grund, die glänzenden Erfolge, die die
Zahnärzte des „Centre de Stomatologie de Bordeaux“ nach der D u ch a n g e-
Methode aufzuweisen haben, anzuzweifeln. Ich beglückwünsche die Herren,
die 98% der kieferverletzten Franzosen der Armee und 93% der Front
geheilt zurückstellen!
Die Erfolge des Duchange sind nicht ernst zu nehmen, wenn
er sich auf S.29 seiner Arbeit wie folgt äußert: „Die Pseudarthrose
existiert für uns nicht, im Gegenteil: sie unterstützt uns.“ (En somme,
la pseudarthrose n’existe pour ainsi dire plus, nous ne la traitons plus:
elle nous aide.) Infolgedessen scheint ihm und sämtlichen Mitgliedern des
Congrès Dentaire Inter-Alliés die Behandlung der Pseudarthrose und der
Iinochendefekte nach Schußbrüchen des Unterkiefers unbekannt zu sein.
Denn selbstredend wo keine Pseudarthrose, dort bedarf es keiner Operation.
Was aber Duchange bewogen hat, in dem gleichfalls auf Seite 29
wiedergegebenen Satz: „Les appareils à butoir ou à bielle, employés en
Allemagne, ne servent quà masquer une infirmité et ne résolvent pas la
question“ — eine derartig abfällige Kritik über unsere Gleitschiene und
schiefen Ebenen zu fällen, wissen wir nicht. Uns waren, sind und bleiben
Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit etc. 133
sie auch in Hinkunft die wertvollsten und unentbehrlichsten Behelfe in der
Behandlung der Kieferbrüche.
Der Congrès Dentaire Inter-Allies, auf dem Duchange den in
Rede stehenden Vortrag hielt, tagte vom 10.—13. November 1916 in Paris.
M.G.Villain fungierte als Generalsekretär des Kongresses. Als er in
der Sitzung der Société dodontologie de Paris (Sitzung vom
26. Juni 1916) die Gründung des in Rede stehenden Kongresses vorschlug,
wiederholte er diesen Antrag der British Dental Association
in London, die sich diesem Kongreß anschloß. 14 Monate nach der Kongreß-
tagung in Paris, das war im September 1917, erschien der Bericht über
den Kongreß. Derselbe besteht aus 2 Bänden von je 800 Seiten, die mit
1100 Bildern illustriert sind. Es wurden, beiläufig, 18.000 Exemplare heraus-
gegeben. Der Kongreß stand im Zeichen der Kieferschußverletzungen und
der durch Feuerwaffen verschiedenster Art hervorgerufenen Verletzungen
des Gesichtes. Die mannigfaltigsten Apparate und Schienenverbände, die
bei diesem Anlaß demonstriert wurden, lieferten in hohem Maß den Beweis
des Könnens der Zahnärzte. In einer dem Kongreß angegliederten Aus-
stellung waren interessante Schienenverbände, Apparate, lehrreiche Rönt-
genbilder und Moulagen zu sehen.
Der gegenwärtig von den Dozenten Dr.Szabo undDr.Salamont')
(Budapest) ins Leben gerufene „Mitteleuropäische Zahnärzte-Bund‘“, der
den Zusammenschluß der Zahnärzte Österreich-Ungarns, Deutschlands, der
Türkei, Bulgariens und des Königreiches Polen propagiert, scheint ähn-
liche Ziele zu verfolgen.
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit
im Kieferspitale.
Von Professor Dr. Rudolf Weiser, k. u. k. Oberstabsarzt, Chefarzt der chirurgisch-
prothetischen Abteilung am k.u. k. Reservespital Nr.17 in Wien.?)
(Fortsetzung und Schluß.)
Am 16. November 1916 schritt unser Konsiliarchirurg zur Weichteil-
plastik. Foramitti sorgte vor allem für eine reichliche, in aller Zu-
1) Dr.Salamon Henrik: „Elnöki szekfolglalo.“ Fogorvosi szemle Novem-
ber X évfolyam. 1917, S. 18.
2) Aus: Beiträge zur Kieferschußtherapie. Aus Anlaß des einjährigen Be-
stehens des k u k. Reservespitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für Kieferverletzte)
herausgegeben von der Österr Zeitschr. f. Stomatologie.
134 Rudolf Weiser.
kunft verläßlich funktionierende intraorale Epithelauskleidung des
Defektes und ging zu diesem Behufe im ersten Akte der als mehrzeitig
gedachten Weichteilplastik folgendermaßen zu Werke:
Durch Exzision der Narbe (Fig. 64a) wird der Weichteildefekt an-
nähernd in seiner ursprünglichen Ausdehnung wieder hergestellt, damit man
sich über die Größe des Substanzverlustes nicht selbst täusche und ihm
entsprechend für die Beschaffung von reichlichem Deckungsmaterial sorge;
Fig. 64b.
sodann wird die falsch nach rechts unten verlagert gewesene und am distalen
Fragmentende angewachsene Unterlippe mobilisiert.
Der Operateur umschneidet hierauf einen großen Haut- und Platysma-
myoides-Lappen, dessen Basis vom rechten Ende des Zungenbeinhornes
schräg nach hinten und unten drei Querfingerbreit sich erstreckt und dessen
abgerundetes freies Ende am oberen Rande des Manubrium sterni liegt
(Fig. 64b). Exakte Vereinigung des freien Randes mit der Schleimhaut
des Mundhöhlenbodens und den angrenzenden Partien des Unterlippen-
defektes. Restitution des rechtsseitigen Unterlippenrotes und eines Teiles
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 135
der Unterlippenhaut durch Verschiebung von Lappen aus der unmittelbaren
Nachbarschaft. Einsetzen des oben erwähnten Zinnschildes, welches bei
den weiteren Akten der Plastik dem Operateur als Schablone und der
Jodoformgazeeinlage zur Fixation dient. 14 Tage später beschränkte sich
Foramitti im zweiten Akte der Plastik auf die Durchtrennung
der halben unteren Basis des hinaufgeschlagenen Weichteillappens, auf
die Ausbreitung der eingerollten Randpartien und auf das Fixieren der-
Fig. 64d.
selben an der darunterliegenden Halshaut mittelst einiger loser Nähte.
Eine Woche später, während welcher Zeit der auf seine halbe Basis
reduzierte Hautlappen sich als vollkommen lebensfähig erwiesen hatte,
schritt Foramitti zum dritten Akte seiner Weichteilplastik.
Nach Durchtrennung der ganzen Basis wird die wunde Seite des
Lappens mit dem scharfen Löffel blutig geschabt, sein vorderer und
hinterer Rand mit Schere und Messer beschnitten. Der zu doppelnde Lappen
wird nun hinaufgeschlagen, so daß sein unterer, durch Abschneiden von der
Basis wundgemachter Rand gegen die Halshautgrenze des Defektes, nach-
136 Rudolf Weiser.
dem letzterer in einem schmalen Saume abgelöst und dadurch mobilisiert
worden ist, exakt angenäht werden kann. Zum Schlusse wird die Wangen-
und Unterlippengrenze des Defektes angefrischt und mit den mit Schere
und Messer beschnittenen Rändern des Lappens vernäht (siehe Figur 64 c).
Es sieht also am Ende dieser Phase der Plastik der zum zweiten Male
umgeschlagene, somit gedoppelte Lappen, wie ebenfalls auf Figur 64 c
deutlich zu ersehen ist, mit der die zukünftige äußere Wangenhaut bildenden
Hälfte noch nach unten gegen die Halsseite des Patienten, noch nicht gegen
den Beschauer hin und bleibt immer vorläufig ein für 2 bis 3 Finger durch-
gängiger Spalt an der Grenze zwischen rechter Wange und Mundhöhlen-
boden offen.
Im vierten Akt der Plastik wurde der gedoppelte Hautlappen
von seinem oberen freien konvexen Rande aus in eine linguale und eine
buccale Hälfte gespalten. Der wunde Rand der buccalen Hälfte wird mit
dem angefrischten Rande der oberen Wangenschleimhaut — den letzten zur
Mundhöhle führenden Spalt überbrückend — durch Catgutnähte mit
Knüpfung in der Wunde vereinigt (vergleiche Fall Karl H., Fig. 42 k).
Der wunde Rand der buccalen Hälfte dagegen wird natürlich mit dem
angefrischten unteren Rande der äußeren Wangenhaut durch feineSeiden-
knopfnähte dicht vernäht. Figur 64d zeigt den Patienten unmittelbar
nach Abschluß der Weichteilplastik. Nach Ablauf von ein bis zwei Monaten
soll, wenn das Weichteilbett sich als genügend aufnahmsfähig erweisen
wird, zur Vornahme einer Osteoplastik geschritten werden.
Intraorale Narben nach Kieferverletzungen.
In diesem Berichte habe ich wiederholt die Gelegenheit wahrgenommen,
darauf hinzuweisen, daß die Narbe der böseste Feind unserer ärztlichen
Bestrebungen ist, anatomisch und physiologisch richtige intraorale Verhält-
nisse wieder herzustellen. Diese Narbenbildungen treten in verschiedenen
Formen auf. Ein sehr häufig wiederkehrender Typus ist ein sichelförmiger
sehniger Narbenstrang, der vom Alveolarbogen des Oberkiefers längs der
Wangenschleimhaut bis zum Alveolarfortsatze des Unterkiefers herabzieht.
Ein anderes Mal kommt es zur Anwachsung der Muskulatur und Schleim-
haut der Wange an ein Kieferfragment des Unter- oder des ÖOberkiefers.
Gar nicht selten ist die mehr oder weniger verletzte Zunge entweder auch
durch einen sehnigen Narbenstrang oder mittelst eines ausgedehnten Rand-
stückes mit einem Kieferfragmente verwachsen. Oft und oft zwingt ein
völliges Verstrichensein des Vestibulum oris im Ober- und Unterkiefer
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 137
dazu, diesen pathologischen Zustand auf blutigem Wege wieder zu be-
heben, weil sonst das Abdrucknehmen, die Anwendung von Klammern,
Federn und ähnlichen Befestigungsvorrichtungen für die Prothese — un-
möglich gemacht wird.
Der rationellste und jener Behandlungsweg, welcher für alle Zukunft
das beste Resultat sichern würde, wäre der, einen gestielten aber haar-
losen Lappen der äußeren Haut nach einwärts in die Mundhöhle zu drehen
und an der Stelle des nach Exzision der Narbe zurückbleibenden Schleim-
hautdefektes anzunähen. In dem von mir immer wieder zitierten Lehrbuche
von Perthest) finden wir die ingeniösen diesbezüglichen Methoden von
Gussenbauer, Israel, Gersuny und von Perthes selbst in
überaus klaren Illustrationen festgelegt. Vollkommen einwandfrei erscheint
mir jedoch wenigstens für unsere Zwecke und für männliche Patienten
nur die Israelsche und die von Perthes angegebene Modifikation
der Israelschen Methode, weil sie allein haarlose Hautpartien zum Er-
satze von Schleimhaut verwenden.
Die Anwendung dieser idealen Mundschleimhautplastiken ist bei den
komplizierten Kieferverletzungen eine überaus häufige, kommt aber erst im
letzten Akte der therapeutischen Maßnahmen in Betracht, weil wir, wenn
wir uns unsere Aufgabe nicht unnützer- und unzweckmäßigerweise er-
schweren und ein gutes Endresultat unbedachtsamerweise von Haus aus
in Frage stellen wollen, zuerst mit der inneren Einrichtung des Kauappa-
rates fertig sein müssen, bevor der Weichteilplastiker mit der Deckung
äußerer Defekte an die Reihe kommt. — Würden wir nun schon, um
intraorale Narbenstränge, das Verstrichensein des Vestibulum oris, Ver-
wachsungen der Unterkieferfragmente mit der Zunge oder das breit-
flächenhafte Hineinwachsen von Narben in die eröffnete Kiefer- oder in
die perforierte Nasenhöhle zu beheben — extraorale haarlose
Hautlappen zu Hilfe nehmen, so hätte dies drei gewichtige Nachteile:
erstens würde wegen der zumindest anfänglich notwendigen behut-
samsten Schonung frischer Plastiken die keinen Aufschub duldende rein
zahnärztliche und orthopädische Behandlung der Kiefer in folgenschwerer
Weise aufgehalten;
zweitens würde bei Verwendung haarloser extraoraler Haut-
lappen nur allein zur inneren Auskleidung der Mundhöhle — späterhin
1) Deutsche Chirurgie, herausgegeben von P. v. Bruns. Lieferung 33 a.
Prof. Dr. Georg Perthes: Die Verletzungen und Krankheiten der Kiefer. Stutt-
gart; Verlag von Ferdinand Enke, 1907.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 10
138 Rudolf Weiser.
der periphere Anteil dieser Hautlappen, der bei Durchführung der
Weichteilplastik in einem Zuge zur Deckung des äußeren Hautdefektes
dient, am Schlusse der Behandlung nicht mehr zur Verfügung stehen;
drittens sind die Wundverhältnisse zu jener Zeit, wo die ortho-
pädische Behandlung bereits einsetzen muß, noch keineswegs so rein, daß
man bereits Weichteilplastiken gefahrlos und mit Erfolg durchführen
könnte.
Die Schwierigkeiten, die sich aus diesen Umständen ergeben, machen
es begreiflich, daß wir Zahnärzte bestrebt sein müssen, zu Beginn der
Behandlung auf andere Weise intraorale Schleimhautdefekte zu decken;
und in dieser Beziehung haben unsere Bestrebungen in einer ganzen Reihe
von Fällen Erfolg gehabt. So haben ich und die mir zugeteilten Zahn-
ärzte das Vestibulum oris gewöhnlich dadurch freigemacht, daß wir die
Schleimhaut vom Processus alveolaris bei Schonung des Kieferperiostes
mittelst eines — Mucosa und submucöses Gewebe durchtrennenden Schnittes
mobilisierten und haben weiterhin mit der Fixierung einer die Wund-
fläche unmittelbar nach Beendigung der Operation und während der ganzen
Zeit, welche für die Epithelisierung notwendig ist, bedeckenden Vorrich-
tung das Auslangen gefunden.
Diesem Zwecke dienende Vorrichtungen sind bei bezahnten Kiefern
entsprechend modifizierte Hauptmeyer-Schienen, Häkchen- oder
` Spindelbogen, in neuerer Zeit die von Steinschneider angegebe-
nen Aufruhebogen, bei zahnlosen Oberkiefern Kautschuk- oder Metallplatten,
die mittelst Kopfkappe und intra-extraoralen Gestänges in der richtigen
Lage erhalten werden; beim bezahnten Unterkiefer ebenfalls auf-
zuzementierende oder anzuschraubende und entsprechend modifizierte
Hauptmeyer-Schienen, Häkchen-, Spindel- oder Aufruhebogen. Bei
zahnlosen Unterkiefern dagegen Schienen, welche ich weiter unten
ausführlich beschreiben muß. Die Modifikation besteht in einer das Vesti-
bulum oris offenhaltenden Erhöhung der entsprechenden Randpartie. Alle
diese Vorrichtungen werden unmittelbar nach dem ausgeführten operativen
Eingriffe mit ausgekochter Guttapercha und einer doppelten Lage 200 % iger
Jodoformgaze bedeckt, sodann für 2—3 Wochen, mitunter auch für länger,
zur Bedeckung der Wundfläche im Munde fixiert. Die 200%ige Jodoform-
gaze gestattet es, diese Vorrichtung ohne Verbandwechsel 14 Tage liegen zu
lassen. Nach 14 Tagen wird die Vorrichtung abgenommen, neuerlich ausge-
kocht, mit frischer Jodoformgaze überzogen und für einen je nach dem
Stande der Epithelüberkleidung sich richtenden Zeitraum wieder eingesetzt.
Ein zweiter Weg, die störende Wirkung von intraoralen Narben zu
eliminieren, besteht in der Exzision der Narben. Gerade in Fällen, wo die
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferepitale. 139
oberwähnte Form von sichelförmigen, im Vestibulum oris vorspringenden
Strängen unsere zahnärztlichen Manipulationen unmöglich macht, habe ich
das sehnenartige Gewebe mittelst zweier längs der Narbe geführter Schnitte
exzidiert und die benachbarte Schleimhaut durch Knopfnähte zusammenge-
zogen. Dieses Verfahren weist, wo die Naht exakt ausführbar ist, gute Re-
sultate auf.
Andere Mundchirurgen ziehen es vor, derartige Narben quer zu durch-
schneiden und die — durch den Querschnitt entgegenstehende klaffende
rhombische Wundfläche dadurch zu decken, daß sie die benachbarte nor-
male Schleimhaut mit Knopfnähten zusammenziehen.
Bei mehr flächenhafter Ausbreitung des Narbengewebes einerseits am
Alveolarfortsatze, andrerseits in der Wangen- oder Lippenschleimhaut habe
ich mich mit bestem Erfolge der intraoralen Verwendung von Thiersch-
Lappen bedient. Bei teilweise bezahnten Kiefern, wie z.B.in den Fällen
Alois R., Korp. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 87/15, und Franz F., Inf. im
k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 4/7, habe ich den Thiersch-Lappen dadurch gegen
Infektion und vor Verschiebung während der ersten Stunden und Tage der
Anheilung bewahrt, daß ich die basale Platte eines partiellen Zahnersatz-
stückes mit doppelter Lage 200%iger, mit Mastisol aufgeklebter Jodoform-
gaze bedeckt, darnach den Thiersch-Lappen — mit seiner E pi-
dermisseite gegen die Jodoformgaze gerichtet — aufgelegt und das
Ganze rasch auf die im letzten Momente noch mit 1%iger Lysoformlösung
gereinigte Wundfläche des Alveolarfortsatzes gebracht habe. Es wurde
sowohl in diesen als auch in allen weiteren Fällen dafür gesorgt, daß die
so eingesetzte Prothese 10—14 Tage unverrückbar in ihrer Lage festhielt.
Der Anwendung der 200%igen Jodoformgaze ist es zu verdanken, daß dieses
Verfahren vollständig reaktionslos und unter Ausbleiben von jeglichem
Foetor ex ore verläuft. Bei zahnlosen Kiefern erscheint mir dieses Ver-
fahren ganz besonders indiziert, weil man bisher, abgesehen von aus extra-
oralem Gebiete hergeholten Epidermislappen als Bedeckung der Schleimhaut-
wundfläche, kein einfacher ausführbares und sichreres anderes Verfahren
besitzt. So relativ leicht es gelingt, Thiersch-Lappen auf Wundflächen
der äußeren Hautpartien anzunähen, so schwierig ist es, eihe derartige Naht
unter Speichelsekretion, Blutung, während der Schluck- und Abwehrbe-
wegungen von Mundhöhlenboden und Zunge intraoral auszuführen. Bei
zahnlosen Kiefern habe ich mein Verfahren einfach in der Weise modifiziert,
daß ich nicht nur eine innere Schiene behufs Retention des Thiersch-
Lappens an der richtigen Stelle verwendete, sondern rasch noch eine extra-
orale Gegenschiene improvisierte.
Die Figur 65a zeigt den durch eine Schrapnellkugel seiner ganzen
Zähne bis auf die Weisheitszähne beraubten Unterkiefer des Zugsführers
10*
140 Rudolf Weiser.
Anton W. vom Sappeur-Baon. Nr. 2/2, der sonst aus der Behandlung
wegen doppelten Unterkieferbruches von Kränzl vollkommen geheilt
zu entlassen gewesen wäre. Abdrucknahme und Herstellung eines unteren
Zahnersatzes waren jedoch durch einen das rechte vordere Vestibulum
oris verlegenden Narbenstrang in der Form eines gleichschenkeligen
Dreieckes unmöglich gemacht. Die etwa 5em lange Basis des in seiner
Form an ein Pterygium erinnernden Narbengebildes saß an der Schleim-
haut der rechten Unterlippe und des rechten vorderen Anteiles der Wangen-
schleimhaut. Die Spitze des gleichschenkeligen Dreieckes ragte über den
entsprechenden Alveolarfortsatz hinüber bis auf den Mundhöhlenboden. Ich
löste das Narbengebilde von seiner Unterlage in der Weise ab, daß ich mit
der Spitze des gleichschenkeligen Dreieckes begann und mit der Mobili-
sierung gegen die Basis hin solange fortschritt, bis die Unterlippe an-
standslos beweglich erschien. Den nur mehr mit seiner Basis und mit
der benachbarten Schleimhaut in Kontakt gebliebenen dreieckigen Schleim-
hautfleck benützte ich zur teilweisen Deckung des durch die Ablösung
entstandenen Substanzverlustes; den ziemlich beträchtlichen Rest der
Wundfläche überkleidete ich mittelst eines ausgiebigen, nicht allzu dünn abge-
lösten Thiersch-Lappens, der von der zarten haarlosen Haut an der
Innenfläche des linken Oberarmes gewonnen worden war. Der Thiersch-
Lappen erstreckte sich über einen erheblichen Anteil des Alveolarfortsatzes
und ebenso über die Wundfläche des Vestibulum oris und der oralen Seite
der Unterlippe. Figur 65a zeigt auch, in welcher Weise eine vorbereitete
gestanzte Schiene aus Zinnblech mit der aus Guttapercha und Jodoformgaze
bestehenden Unterlage dem Alveolarfortsatze des Unterkiefers aufliegt.
Ferner ist auf dieser Figur ersichtlich, daß die Schiene einen gegen die
orale Seite der rechten Unterlippe aufstrebenden hahnenkammartigen
Fortsatz besitzt; die der Wundfläche der Unterlippe zusehende, mit Jodo-
formgaze bedeckte Fläche ist auf Figur 65 b dargestellt. Der Thiersch-
Lappen wurde auf diese mit Guttapercha und Jodoformgaze montierte und
mit vielfachen Löchern versehene Schiene ausgebreitet und im Munde durch
zwei dicke Seidenligaturen befestigt. Die Seidenfäden waren an beiden
Enden mit starken geraden Nähnadeln, die man durch die Löcher der Zinn-
schiene und von da durch den Mundhöhlenboden bzw. durch das Vestibulum
oris durchführte, in der richtigen Lage unverrückbar geknotet. Um einem
Durchschneiden der mesialen und distalen Ligatur vorzubeugen, dazu diente
die oberwähnte improvisierte extraorale Schiene, welche auf Figur 65c in
ihrer Anwendungsweise gezeigt wird.
In drei anderen Fällen, deren einem die Figuren 66a, b und c ent-
sprechen, und den auch unter Weichteilplastik in Fig. 39 c abgebildeten Pa-
tienten Josef C. betreffen, habe ich die — den intraoralen Thiersch-
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 141
Lappen fixierenden Schienen 14 Tage im Munde belassen; beim Zugsführer
Anton W.schnitt jedoch der Grat eines der Löcher zum Durchführen der
Nadel die Seidenligatur schon nach 8 Tagen durch. Ich war infolgedessen
genötigt, auch die zweite Ligatur mit der Schere zu lösen, die Schiene
zu entfernen und war im Begriffe, das Schienenpaar neuerlich anzulegen,
konnte mich aber zu meiner Freude überzeugen, daß der Thiersch-Lappen
Fig. 65a. Fig. 65c.
Fig. 65b.
schon nach diesen 8 Tagen vollkommen festgewachsen war. Belehrt durch
diesen Zufall, werde ich die beiden Fixationsnähte mit vergoldetem Messing-
draht besorgen, um nicht Gefahr zu laufen, daß die beiden Schienen allzu
früh, etwa schon am 3. oder 4. Tage, ihren Zweck verfehlen. Patienten mit
Thierseh-Lappen im Munde werden gleich allen anderen Kiefer-
patienten angehalten, außer der täglich mindestens dreimaligen Zahn-
reinigung mit Zahnbürste und Konservator-Zahnpulver, zweistündliche Aus-
spülungen mit !/.%iger Wasserstoffsuperoxydlösung vorzunehmen. Er-
4
142 Rudolf Weiser.
freulicherweise zeigen die mit Thiersch-Lappen bedeckten Partien
gar keine Tendenz, gegen Druck von Seite der Unterkieferprothesen mit
Decubitus zu reagieren.
Ankylose der Kiefergelenke.
Überaus häufige Begleiterscheinungen von Kieferverletzungen sind
Ankylosen des einen oder des anderen, in manchen Fällen auch von beiden
Kiefergelenken. Die Behandlung darf keine schablonenmäßige, sondern
muß naturgemäß eine streng ätiologische und individualisierende sein,
Fig. 66a. Fig. 66b.
das heißt, man muß zunächst erheben, ob die Ankylose die Folge von
entzündlichen Erscheinungen der Umgebung der Gelenke (der Gelenkskapsel,
der Bänder, der Faszien, des Bindegewebes) ist, ob sie im Muskelapparate
oder in den Gelenksenden selbst, ob sie im Mechanismus der dislozierten
Fragmentenden begründet ist, oder ob sie etwa nur in dem Vorhandensein
von intra- oder extraoralen Narben ihre Ursache hat. Weitaus die häufigsten
Fälle, welche zur Behandlung kommen, betreffen zum Glück solche, bei
welchen intra- oder extraorale Narbenstränge die Bewegungsstörung im
Kiefergelenke bedingen. Der chirurgischen Behandlung dieser letzteren
Ursachen habe ich ein eigenes Kapitel in diesem Berichte unter dem Titel
„Intraorale Narben nach Kieferverletzungen“ gewidmet.
Weitaus die häufigsten und am leichtesten behebbaren Ursachen von
Ankylose des Kiefergelenkes sind periartikuläre Veränderungen, und zwar
entweder entzündlicher Natur, durch Blutextravasate, durch Ödeme hervor-
EL
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 143
gerufen, oder einfach durch langen Nichtgebrauch des Gelenkes bedingte,
sogenannte Inaktivitäts-Ankylosen. Dieselben weichen mitunter schon
nach 1 oder nach 2—3 Wochen der Anwendung des Heisterschen Mund-
spiegels, der Holzschraube, von Wäschekluppen oder der Anwendung des
bei uns sehr beliebten Steinkammschen Extensionsapparates (Fig. 67 a
und b).
Fig. 66c.
Ist die Bezahnung eine unzulängliche, sind die Frontzähne gelockert
oder ist die frontale Zahnreihe durch pathologische Separationen gestört,
dann ist es mitunter notwendig, über die obere oder die untere Frontzahn-
reihe, wohl auch über beide gleichzeitig gestanzte oder gegossene all-
gemeine Schienen zu legen und mittelbar durch die letzteren erst den
Extensionsapparat nach Steinkamm angreifen zu lassen.
Eine nur zu oft wahrzunehmende und eine pathologische Veränderung,
welcher sehr schwer beizukommen ist, besteht in dem Hochgezogensein des
kleineren distalen Fragmentes des gebrochenen Unterkiefers. Die Wege,
144 Rudolf Weiser.
um einen therapeutischen Erfolg hierbei zu erzielen, sind verschieden.
Leichter sind natürlich jene Fälle zu behandeln, in welchen das distale
Unterkieferfragment noch mit mehr oder weniger festen Mahlzähnen be-
wehrt ist, die als Angriffspunkte für eine Richtmaschine dienen. Viel
schwieriger gestalten sich jene Fälle für die orthopädische Behandlung, in
welchen das hochgezogene und meist nach innen, mitunter buccalwärts
verlagerte Bruchende zahnlos ist. Sind die übrigen Teile des Kiefers ge-
nügend mit verwendbaren Zähnen ausgestattet, so werden eine an die
letzteren befestigte Pelotte oder ähnliche Apparate in der Regel genügen,
um, während das große Fragment etwa durch elastische Züge in richtige
Artikulation mit den Zähnen des Oberkiefers gebracht wird, gleichzeitig
einen Druck auf das dislozierte zahnlose distale Fragment auszuüben.
Hierbei dient das auf dem hochgezogenen Fragment sattelförmig aufsitzende
Ende der Pelotte als kurzer Hebelarm, ein oder zwei wenn nötig durch eine
aufzementierte Kappe verlängerte Zähne des Oberkiefers als Hypomochlion,
um welches sich das große Fragment bei seiner durch die elastischen Züge
bewirkten Bewegung nach aufwärts, rechts oder links dreht und gleich-
zeitig das distale Fragment nach abwärts drängt.
Da in sehr vielen Fällen der Druck, welchen der sattelförmige, selbst-
redend mit Guttapercha und Jodoformgaze zu fütternde kurze Hebelarm auf
die Schleimhaut des hochgezogenen Fragmentes ausübt, Dekubitus erzeugt,
häufig auch eine stark entwickelte Linea obliqua oder in anderen Fällen ein
mächtiges, vielleicht auch ödematös angeschwollenes Fettpolster ein
sicheres Fassen des kurzen Fragmentes mittelst der Pelotte ausschließt,
habe ich mir in mehreren Fällen (z. B. beim Kpl. Adolf H. des k.u. k. Inf.-
Reg. Nr. 42, der bei Schabatz eine fünffache Fraktur des Unterkiefers er-
litten hatte) mit sehr gutem Erfolge in der Weise geholfen, daß ich nicht
eine sattelförmige Pelotte, sondern an Stelle derselben den von der Haupt-
meyer-Schiene des langen Fragmentes ausgehenden Metallbogen am di-
stalen Ende mit einem rechtwinkelig abgebogenen, etwa 1—1'!/zcm langen
Spieße versehen habe, welcher, Schleimhaut und Periost durchsetzend, sich
direkt in den Knochen des distalen Fragmentes einhakte und so in sicherer,
verläßlicher und, was hierbei wohl die Hauptsache ist, in schmerzloser
Weise und ohne Dekubitus oder irgend eine andere Reaktion zu erzeugen,
seine Aufgabe, d.i. das Abwärtedrängen des distalen Fragmentes, klaglos
besorgte. Ist das lange Fragment der unverwundeten Kieferseite nicht ent-
sprechend bezahnt, dann läßt sich auf die eben beschriebene Weise das
orthopädische Redressement des hochgezogenen kurzen Kieferfragmentes
nicht bewerkstelligen. Der erste Fall, der mich bereits im Sommer 1915 auf
die Idee brachte, durch einen extraoralen, am Schädel mittelst Kopfkappe
zu befestigenden Extensionsapparat das in eine — Weichteile und Knochen
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 145
durchsetzende — Drahtschlinge gefaßte kurze Kieferfragment in seine
anatomisch richtige Lage zu ziehen, war der in Figur 4 abgebildete
Hynek J., Inf. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 28/2. Infolge der vom Patienten gc-
wünschten Transferierung in seine Heimat nach Prag (Reservespital Nr. 6,
Prag-Zizkov) kam mein Plan nicht zur Ausführung.
Die anfangs 1916 erschienenen Hefte Nr. 4 und 6 der „Gegenwärtigen
Behandlungswege der Kieferschußverletzungen“ (herausgegeben von Prof.
Fig. 67a. Fig. 67b.
Dr. Christoph Bruhn, Wiesbaden, Verlag J. F. Bergmann, 1915) brachten
dann zur freudigen Überraschung der Fachwelt die nach allen Richtungen
wohldurchdachte, für die Sonderbedürfnisse der Kieferlazarette von August
Lindemann modifizierte Codivilla-Steinmannsche Nagel-
extension. Die ausgezeichneten Erfolge des Düsseldorfer Kieferlazarettes
und das bei uns vorwaltende Bestreben, wo es irgend angängig ist, die
langwierigen orthopädischen Methoden durch rasch wirkende und im
großen ganzen die Widerstandsfähigkeit des Patienten und seine, sowie
die Geduld des Arztes weit weniger in Anspruch nehmende blutige Eingriffe
146 Rudolf Weiser.
zu ersetzen, werden für unsere weiteren Behandlungspläne sicherlich maß-
gebend sein und uns insbesondere bei Vorbereitungen zu Knochentransplan-
tationen bewegen, die modifizierte Codivilla-Steinmannsche
Methode häufig in Anwendung zu bringen.
Zum Glücke ziemlich selten sind jene Kieferankylosen, in welchen
die Ursache im Mechanismus der Fragmentenden gelegen ist. Bei der
Diagnosestellung von 3 bei uns in Behandlung gekommenen derartigen
Fällen kam ich per exclusionem zu der Annahme, daß sie in diese Gruppe
von Ankylosen gehören. Die röntgenologische Untersuchung des Lst.-Inf.
Franz Sv. des k. k. Ldst.-Inf.-Reg. Nr. 57/I nach der Methode unseres
Röntgenologen Dr.Pordes (Bestrahlung des zu untersuchenden Gelenkes
durch die Incisura semilunaris des gegenüberliegenden Kieferastes hin-
durch) zeigte, daß der linke aufsteigende Kieferast in seinem oberen
Drittel, also etwas unterhalb des Processus condyloides und coronoides
quer abgebrochen war und daß das Gelenkköpfchen mit dem vorderen
Dritteil seiner Peripherie auf die Kante des Tuberculum zu sitzen gekom-
men war, sich somit in Öffnungsstellung des Gelenkes befand. Der mit
dem horizontalen Aste in Verbindung stehende untere Anteil des aufstei-
genden Kieferastes stand nicht in einer Geraden mit dem kurzen Frag-
mente, sondern bildete mit demselben einen nach vorne offenen Winkel
von beiläufig 140°. Aus diesem Sachverhalte ist es uns sofort klar gewor-
den, warum die systematisch, gewissenhaft und unter der vertrauensvollen
Mithilfe des Patienten durchgeführten Extensionsversuche mittelst des
sonst so prompt wirkenden Steinkammschen Apparates und die Durch-
trennung intraoraler Narbenstränge ergebnislos geblieben sind. Das Un-
vermögen, trotz aller Anstrengungen die Zahnreihen weiter als auf eine
Distanz von 7 mm von einander zu entfernen, erklärte sich eben daraus,
daß beide Kieferfragmente in der Weise miteinander verwachsen waren.
daß das kurze periphere Fragment sich in Öffnungs-, das untere große
Fragment sich in Schlußstellung befand. Zufolge dieser Erkenntnis und
nach reiflicher Überlegung schritten daher Foramitti und ich zur
blutigen Freilegung des linken Kiefergelenkes und der oberen Hälfte des
aufsteigenden Kieferastes. Die Verhältnisse zwischen Gelenkkopf und Ge-
lenkpfanne erwiesen sich als übereinstimmend mit dem röntgenologischen
Befunde. Die in einem Winkel von 140° knöchern miteinander verbundenen
Fragmente zeigten auch flächenhafte Verwachsungen mit
den Weichteilen. Beim Versuch, dieselben von der schwieligen Unter-
lage zu mobilisieren und den dislozierten Kieferast zu reponieren, trat eine
ungewöhnlich starke Blutung auf. Dieselbe konnte der Lage der Verletzung
und der Stärke nach nur aus der Maxillaris interna stammen. Sie wurde
entweder beim Loslösen der Fragmente durch das Raspatorium oder durch
u a
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 147
einen spitzen Knochensplitter, jedenfalls also durch die operative Mani-
pulation verletzt. Die Stillung der Blutung am Orte der Verletzung wäre
ohne weitgehende Entfernung von Knochen nicht durchführbar gewesen;
mit raschem Entschlusse wurde der gewandte Operateur Herr der gefahr-
vollen Blutung, indem er die Carotis externa doppelt ligierte. Durch
diesen ernsten Zwischenfall nicht beeinflußt — führte Foramitti
seinen weiteren Öperationsplan restlos durch, trennte die in falscher
Stellung miteinander verwachsenen Frakturenden, gestaltete das Ende
des langen peripheren Fragmentes konvex und glättete die neugeschaffene
Gelenkfläche mittelst Messerfräse an der Bohrmaschine. Die Bewegung
im rechten Kiefergelenke und in der operativ erreichten Nearthrose
war bei dem in Lokalanästhesie befindlichen Patienten sofort am Schlusse
der Operation aktiv und passiv bis zu einer Distanz von Acm im Be-
reiche der mittleren Schneidezähne möglich geworden. Vom Operations-
tage an konnte Patient normale Kost („vierte Diät“) kauen und war nicht
bettlägerig. Wundverlauf afebril. Heilung per primam intentionem. Der bis
dahin äußerst gedrückte Gemütszustand des dankerfüllten Patienten wich
einer lebensfrohen hofinungsvollen Stimmung.
Ein zweiter ähnlicher Fall betrifft den Inf. Nikolaus D. des k.u.k.
Inf.-Reg. Nr. 61/12. Der Patient wurde uns im November 1915 septisch
und moribund vom südlichen Kriegsschauplatze eingeliefert. Außer an
einer komplizierten Zertrümmerung des rechten horizontalen Kieferastes
litt der Schwerverletzte auch noch an beiderseitiger eitriger Mittelohr-
entzündung und machte während des weiteren Wundverlaufes wiederholte
Abszeßbildungen in der Nähe des Kiefergelenkes mit Durchbruch des
Eiters in der rechten Nackengegend hinter dem Musculus sternocleido-
mastoideus durch. Zuletzt aber überwand er alle Komplikationen und
erfreute sich am Schlusse der Behandlung einer tadellosen Artikulation
des aus der Zahnformel
BETRETEN |.234
56
-.43211123456
TR
78
zu beurteilenden natürlichen Kauapparates. Aus der äußerst geringen
Wirksamkeit des Steinkam m schen Extensionsapparates, ferner aus
dem Ausbleiben eines nennenswerten Erfolges nach Durchtrennung myo-
sitischer Narben im rechten Vestibulum oris und aus der Beurteilung
des röntgenologischen Befundes mußten wir jedoch bei diesem Patienten
ebenfalls auf eine Verheilung des distalen kurzen und des mesialen langen
Kieferfragmentes in falscher Stellung schließen. Desungeachtet wurde bei
148 Rudolf Weiser.
ihm von der Osteotomie, — d. h. in derartigen Fällen von der operativen
Anlage einer Nearthrose vorläufig Abstand genommen. — Hierzu
bestimmte uns die Tatsache, daß der Ernährungszustand des Patienten,
obwohl er die beiden Zahnreihen im Bereiche der linken seitlichen Schneide-
zähne nur auf 18 mm entfernen kann, doch ein ganz zufriedenstellender
ist, und die Möglichkeit, daß in der Umgebung des rechten Kiefergelenkes
wahrscheinlich noch immer infektiöse Einschlüsse schlummern, zumal die
Röntgenplatte zahllose Geschoßsplitter im periartikulären Gewebe und im
Bereiche des aufsteigenden Kieferastes aufweist und nachdem der Patient
wiederholt nach scheinbarer Dauerheilung wieder an schweren Abszessen
zu leiden hatte. Der Verlauf eines Redressement forcé oder das Anlegen einer
beabsichtigten Pseudarthrose, einer Nearthrose könnte hierdurch ungünstig
. beeinflußt werden. Für den Patienten wird vielmehr eine Prothese zum
Ersatz seiner verloren gegangenen Zähne der rechten Oberkieferhälfte
hergestellt und erst, wenn der weitere Verlauf das Anlegen einer Nearthrose
immer noch indiziert erweisen sollte, wird dieselbe wirklich ausgeführt
werden.
Ein dritter Fall betrifft den Patienten Anton B., Inf. im k. u. H.-Inf.-
Reg. Nr. 2, der teils über ein Jahr anderwärts, teils viele Wochen bei uns
wegen doppelseitiger, fast totaler Ankylose vergeblich mittelst Extensions-
apparates behandelt wurde, trotz seines überaus bedauernswerten Zu-
standes gerade nicht schlecht ernährt ist und sich unbegreiflicherweise
hartnäckig gegen jeden operativen Eingriff stemmt.
Osteoplastische Operationen.
Auf dem Gebiete der osteoplastischen Operationen und insbesondere
auf dem der Überpflanzung von Knochenstücken, welche dem Schlüsselbeine,
dem Schienbeine, einer falschen Rippe, einem Mittelhandknochen etwa oder
dem Kamm der Darmbeinschaufel entnommen sind, an Stelle eines Kiefer-
defektes, sind unsere Erfahrungen derzeit leider noch recht gering, so daß
wir uns nicht berechtigt fühlen, in diesem vielumstrittenen Gebiete der
modernen Chirurgie heute schon ein Wort mitzureden. Wenn wir noch nicht
oft in die Lage gekommen sind, Knochenplastiken, bzw. Transplantationen
auszuführen, hat dies seinen Grund erstens in dem kurzen Bestande unseres
Spezialspitales. Auch fällt der Umstand ganz gewichtig in die Wagschale,
daß sich ein großer Teil der Patienten weigert, zur Entnahme von Knochen
aus einem anderen Körperteile zum Zwecke der Transplantation in den
Kiefer die Einwilligung zu geben, und der Umstand, daß wir in Österreich-
Ungarn im Dienstreglement keine Handhabe finden, die Patienten zu
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 149
diesem Schritte zu zwingen. Im Laufe eines Jahres sind wenigstens unter
frischen Fällen solche, welche für Osteoplastiken bereits reif wären, natur-
gemäß noch nicht sehr häufig, denn im allgemeinen stellt sich erst nach
9—12 Monaten heraus, ob noch Hoffnung auf eine spontane Knochenneu-
bildung bzw. OÖssifikation von Callus vorhanden ist oder nicht. Da wir
ferner dank unserem Prinzipe, bei länger als 3—4 Wochen bestehenden
Eiterungen systematisch den Knochenherd aufzudecken und nach der
Ursache der Verzögerung der glatten Knochenwundheilung zu forschen,
welchen Vorgang wir eben mit dem Terminus technicus „operative
Ordnung“ (siehe Kapitel „Operative Ordnung“) bezeichnen, eine relativ
geringe Anzahl von Pseudarthrosen zu beklagen haben, entfällt wahr-
scheinlich von Haus aus ein wesentlicher Prozentsatz an Indikationen
für Osteoplastiken. Außerdem sei nicht verhehlt, daß wir in der Beur-
teilung von Erfolgen bei Osteoplastiken sehr rigoros vorzugehen pflegen,
weil wir wissen, daß ein nicht zu unterschätzender Prozentsatz von Fällen,
die chirurgisch-klinisch aufgefaßt vielleicht schon als vollkommen gelungen
bezeichnet werden, vom zahnärztlich-kritischen Standpunkte aus betrachtet
noch nicht als einwandfrei gewertet werden können. Nicht zuletzt muß
auch der sehr beklagenswerte Übelstand für die noch geringe Anzahl von
Östeoplastiken in unserer Statistik hervorgehoben werden, daß wir zwar
überreichlich operatives Material (darunter 50% osteoplastische Fälle) für
einen täglich, und zwar vor- und nachmittags operierenden Fachchirurgen
besitzen, jedoch leider nur einen jeden zweiten Vormittag sich uns
zur Verfügung stellenden Konsiliar-Chirurgen zugeteilt bekommen konnten.
Wir haben in der Zeit vom 2. November 1915 bis 2. November 1916 erst 20
knochenplastische Operationen vorgenommen, davon 17 mit positivem, 3 mit
negativem Erfolge, das sind 15% Mißerfolge. Für die allernächste Zeit sind
jedoch 37 Fälle, in welchen Knochentransplantationen oder lokale Verschie-
bungen von Kieferknochen-Muskellappen nicht nur indiziert sind, sondern bei
welchen auch der Patient in die Operation einwilligt, in Aussicht genommen.
Es wird Gegenstand einer späteren Publikation sein, unsere diesbezüglichen
Erfahrungen niederzulegen.
Im Hinblicke auf die ganz überraschend günstigen Resultate, welche
der Zahnarzt Linienschiffsarzt der Res. Dr. Hans Pichler, zugeteilt der
ersten chirurgischen Universitätsklinik des Admiralstabsarztes Hofrates
Prof. Dr. Freiherrn von Eiselsberg mit der Bestimmung, sämtliche
dort untergebrachten Kieferverletzungen chirurgisch-zahnärztlich zu be-
handeln, mit der Anwendung von Kieferknochen-Muskellappen bei den
von ihm selbst operierten Fällen bei Pseudarthrosen und Kieferdefekten
erzielte, werden wir dieser Öperationsmethode, mit welcher wir übrigens
auch dreimal vollkommen einwandfreie Erfolge erzielt haben, in Zukunft
ein ganz besonderes Augenmerk zuwenden.
150 Rudolf Weiser.
OÖsteoplastische
(+ = Erfolg,
A. Osteo-periostale Plastiken.
+ Wenzel H. (Operative Ordnung der jauchenden Weichteil-Knochenwunde:
Fixieren der Fragmentenden in reponierter Stellung durch eine
dachrinnenförmige, dem Margo mandibulae angeschraubte Nickel-
blechschiene, welche drei Monate später als nicht mehr notwendig
entfernt wurde.)
-+ Jakob K.
+ Karl K. (Operative Reposition von dislozierten, lebensfähigen Knochen-
splittern; Periostnaht.)
+ Josef S. (Operative Reposition von dislozierten, lebensfähigen Fragmenten ;
Periostnaht.) |
+ Josef M. (Pseudarthrose; Exzision interponierten Gewebes; Anfrischen der
Fragmentenden, Periostnaht, Lexerschiene, letztere später ent-
fernt.)
+ Andreas T.
+- Georg B. (Freilegen des Margo mandibulae. Die im Röntgenbilde noch vor
einer Woche in einer Flucht gelegenen Frakturenden sind jetzt
gegeneinander verschoben, so daß das distale Ende tiefer steht
als das mesiale. Ein Teil der freigelegten Splitter ist lose und
wird gleich dem impaktierten Weisheitszahn entfernt. Ein großer
Splitter erweist sich als lebend und mit einem zur Ernährung
ausreichenden Weichteilstiele ausgestattet. Die durch teilweise
Resorption abgerundeten Enden der großen Fragmente werden
angefrischt und der oben beschriebene, gut ernährte, lebende
Knochensplitter in den Knachendefekt kunstgerecht eingelagert
und in seiner Lage durch eine rinnenförmige Nickelblechschiene
[nach Weiser] befestigt. Die Schiene ist entsprechend der Mitte
des Horizontalastes, dem Angulus und dem untersten Drittel des
aufsteigenden Astes abgeknickt und an ihren Enden mittels
Schrauben an den Margo mandibulae, bzw. den aufsteigenden
Kieferast angeschraubt. Die Bruchstücke erscheinen auf diese
Weise vollkommen fixiert, die abnorme Beweglichkeit bei intra-
oraler Untersuchung aufgehoben. Oberflächliche Naht, Jodoform-
gazedrainage, Lokalanästhesie. Vier Monate nach der Operation
konnte die Schiene entfernt werden; Fraktur knöchern ausgeheilt,
Patient frontdiensttauglich entlassen.)
Peter W. noch in Behandlung. (Splitterherd in der Mitte der vom Unterkiefer
allein zurückgebliebenen linken Unterkieferhälfte. Entfernen von
zwei Sequestern; Abtragen von die Weichteile insultierenden Kno-
chenspitzen; Adaptierung der geordneten Sägeflächen durch Catgut-
Periostnähte. Resultierende Verkürzung der linken Unterkiefer-
hälfte um 1!/. cm spielt keine Rolle, da sie zahnlos ist.)
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 151
Operationen.
— = Mißerfolg.)
B. Transplantationen.
a) Kieferknochen-Muskellappen.
4- Marton Sz. Kieferknochen-Muskellappen.
=- Ferencz M. Kieferknochen-Muskellappen.
-+ Sándor B. (Bildung eines Kieferknochen - Muskellappens aus dem peri-
pheren Unterkieferfragmente. Esser trieb nach seiner Me-
thode einen vernickelten Drahtstift zur Verbindung des rechten
horizontalen Unterkieferastes mit dem zahnlosen aufsteigenden
Aste. Anbinden des Kieferknochen-Muskellappens- an dem zwi-
schen den Fragmentenden freiliegenden 21/s cm langen Teile des
Stiftes und Vernähen des Periostendes des Transplantates mit
dem Perioste der die Pseudarthrose begrenzenden angefrischten
Frakturenden mit Catgutfäden. Der Drahtstift wurde reaktionslos
vertragen, erzeugte aber in seiner Umgebung einerseits starke
Resorption, andererseits hat er lebhafte Callusbildung erregt.
Lokale Anästhesie.)
b) Freie Knochentransplantation.
-*- Gabor K. (rechter Hüftkamm).
= Anton J. (rechter Hüftkamm).
-+ Karl T.-H. (rechter Hüftkamm).
-— Franz J. (rechter Hüftkamm). (Als Ursache des Mißlingens ergab sich das
erst während der Operation entdeckte Bestehen einer von der
Wurzel des f4 ausgehenden Zahnfistel. Dieser Fall veranlaßte mich,
den mir zugeteilten Hilfsärzten aufs Neue einzuschärfen, daß vor
Ausführung einer osteoplastischen Operation alle eine Pseudar-
throse oder einen Kieferdefekt begrenzenden Zähne oder Wurzeln
auf ihre Vitalität zu prüfen, im Falle der Entdeckung abge-
storbener Pulpen die in Betracht kommenden Zähne zu trepanieren
und die Wurzelkanäle antiseptisch zu füllen, oder nötigenfalls die
abgestorbenen Zähne oder Wurzeln zu extrahieren sind.)
— Gyula F. (rechter Hüftkamm).
Latif Z. (linker Hüftkamm).
Lt. Walter H. (rechter Hüftkamm).
-- Emmerich K. (linke Clavicula).
— Johann S. (linke Tibia).
oOo]
-p -H
assau a nn an ER 3
152 Rudolf Weiser.
Speichelfisteln.
Gleich eingangs will ich bemerken, daß ich unter obiger Bezeichnung
nur solche Fisteln verstanden haben möchte und hier zur Sprache bringe,
welche direkt von einer Speicheldrüse zu einer Öffnung in der äußeren
Gresichtshaut führen, dagegen jene mitunter auch als Speichelfisteln bezeich-
neten, nur mit der Mundhöhle in direktem Zusammenhang stehenden
Öffnungen, welche lediglich Überbleibsel größerer Weichteildefekte in den
unteren. Gexichtspartien darstellen, nicht in Betracht ziehen will. An
solchen echten Speichelfisteln, welche namentlich während des Essens reich-
lich sezernierten und insbesondere durch die Durchnässung des Hemdkragens
ganz erheblich belästigten, so daß die Patienten vom Arzte dringend Abhilfe
verlangten, sind uns im Laufe eines Jahres 9 Fälle vorgekommen; 5 davon
sind operativ behandelt worden, die anderen 4 habe ich einfach durch Ver-
schorfung mit dem Thermokauter dauernd zum Verschwinden gebracht. Von
den 5 operativ angegangenen möchte ich den Fall Nr. 5 für sich besprechen.
Er betraf den Feldwebel Leopold N. des k. u. k. Lir. Nr. 1/M. G. A., bei dem
ich eine in der Mitte der Wange mündende Fistel der Ohrspeicheldrüse zu-
erst kauterisiert habe. Da nach einigen Wochen die Fistel wieder rezidi-
vierte, habe ich die sie umgebende narbige Partie der äußeren Haut um-
schnitten, die Fistel bis an die Mundschleimhaut verfolgt, sodann eine tiefe
Muskelnaht ausgeführt, die vernähte Muskulatur mit mobilisierten Fett-
lappen aus der Umgebung bedeckt und zum Schlusse die Epidermis mit dicht-
gestellten feinen Seidennähten verschlossen. Nach diesem Eingriffe blieb der
Patient rezidivfrei.
Interessant war die von Esser bei dem Patienten Anton I., Inf.
im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 98/3, ausgeführte Operation. Die Krankengeschichte
besagt: Operation am 11. Mai 1916. Umschneidung des trichterförmigen
äußeren Fistelmaules, tabakbeutelähnliche Einstülpung desselben und
Fixierung in dieser Lage durch Catgutnähte, so daß ein hautwärts verschlos-
sener Sack entsteht, wobei anzunehmen ist, daß der Speichelfistelgang
irgendwo mit dem normalen Ausführungsgange der Speicheldrüse kommuni-
ziert und nunmehr in den letzteren allein sich entleert. Plastische Deckung
der äußeren Hautwunde. So ingeniös diese Operation durchdacht war,
trat doch im Verlaufe von 3 Monaten die Speichelfistel neuerlich auf und
veranlaßte mich, in der ersten Hälfte September die Fistel mit dem Thermo-
kauter zu verschorfen, worauf der Patient von der Speichelfistel dauernd
geheilt blieb.
Auch in den auf der unten ausgewiesenen Tabelle angeführten
Fällen 1 und 2 handelte es sich um plastische Behebung größerer Defekte
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 153
in der Muskulatur der rechten Wange und den gleichzeitigen Bestand
einer Parotisfistel. In beiden Fällen wurde die äußere Hälfte des Fistel-
ganges exzidiert und der Verschluß der inneren Hälfte durch Deckung mit
Muskulatur und Fettgewebe angestrebt; letzteres wurde auch in dem
Falle 2 Foramittis erreicht, während in dem Falle 1 ein Rezidiv
der operierten Fistel nach einmaliger Verschorfung mit dem Thermo-
kauter dauernd behoben wurde.
Im Falle 3 korrigierte Foramitti eine sich über die ganze
rechte Wange erstreckende, die Muskelfunktion erheblich störende Narbe,
füllte die durch den Weichteildefekt bedingte Grube in der rechten Wange
durch Verlagerung der vorderen Hälfte des Sternocleido-mastoideus,
also mit aktivem Muskelgewebe aus, suchte den Speichelgang auf und trach-
tete die Speichelfistel, welche in der Mitte der Narbe gemündet hatte, durch
Exzision der äußeren Hälfte und durch Überdeckung des Restes mit Musku-
latur und Fettgewebe aus der Umgebung zum Verschluß zu bringen. Nach
daran sich schließender Korrektur des mit der Narbe verwachsenen rechten
Ohrläppchens war der kosmetische Erfolg in diesem Falle ein äußerst zu-
friedenstellender. Nach beendigter Wundheilung stellte sich jedoch die Spei-
chelfistel wieder ein. Sie verschwand aber dauernd, nachdem ich sie ein
einziges Mal mit Pacquelin kauterisiert hatte.
Nach-
Behandeinder
Arzt behandlung
Patient | Tberapie
Rezidiv
1.| Adolf K., Inf. im Esser Operativ Thermo- | Dauernd
k. u. k. I.-R. 12/2 kauter | geheilt
2.| Janko D., Inf. im || Foramitti | Operativ | Dauernd — —
b.-h. I.-R. 2/2 i geheilt
3.| Josef C., Zgsf. im || Foramitti | Operativ | Rezidiv | Thermo- | Dauernd
k. u. k. I.-R. 76 kauter | geheilt
4.| Anton L., Inf. im Esser Operativ | Rezidiv | Thermo- | Dauernd
k. u. k. I.-R. 98/3. kauter | geheilt
5. | Leopold N., Fldw.im!|| Weiser | Thermo- | Rezidiv | Operativ | Dauernd
k. k. Lir. 1/M.-G.-A. kauter geheilt
6. | Savan B., Inf. im Weiser | Thermo- | Dauernd
b.-h. 1.-R. 2/3 kauter | geheilt
7. | Alexander L., Inf.im|| Weiser | Thermo- | Dauernd
k. u. k. I.-R. 43/6 kauter | geheilt
8. | Josef P., Honv. im | Weiser | Thermo- | Dauernd
k. u. H.-L-R. 12/11 kauter | geheilt
9.| Franz V., Inf. im Weiser | Thermo- | Dauernd
k. k. Lir. 24/4 kauter | geheilt
154 Rudolf Weiser.
Die vorstehende, aus dem Verlauf dieser Fälle zusammengestellte
Liste scheint uns dahin zu belehren, daß die Behandlung von Speichelfisteln
mit dem 'Thermokauter der operativen Therapie mindestens die Wagschale
hält und in allen geeigneten Fällen als erstes therapeutisches Mittel zu ver-
suchen wäre.
Exostosen im Gefolge von Kieferverletzungen.
Ganz abgesehen von unregelmäßigen, allen erdenklichen Zufällig-
keiten ihren Ursprung verdankenden Knochenvorsprüngen, welche als Folge-
zustände nach Kieferverletzungen aufgetreten sein können, möchte ich hier
zweier ganz gleichartiger Fälle von Exostosen an der Spina mentalis interna
Erwähnung tun, die etwa 2cm nach rückwärts in die Muskulatur des Mund-
höhlenbodens ragten und deren Entfernung von den Patienten dringlich
begehrt wurde, weil sie ihnen Schmerzen beim Schlucken und bei den Kau-
bewegungen verursachten. Sowohl in dem von Foramitti am 24. Juni
1916 operativ behandelten Falle Rudolf M. (Inf. im k. u. k. Inf.-Reg.
Nr. 84/14), als auch in dem von mir operativ behandelten Falle Stephan M.
(Inf. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 8/13), den ich der Empfehlung O p pen-
heims verdanke, schwanden die Beschwerden prompt nach Abmeißelung
der Exostose und Vernähen der Sehnen des M. genio-hyoideus und M. genio-
glossus mit dem Periost des Unterkiefers.
Steckschüsse.
Aus den vielen Fällen von Steckschüssen, über deren Zahl und
Lokalisation die statistischen Aufzeichnungen unseres Sekundarius Doktor
S.Schaar in diesem Berichte Aufschluß geben, will ich einiges Be-
merkenswertere hervorheben.
Im Falle Franz D. (Jäger im Tiroler Kaiser-Jäger-Reg. Nr. 4) de
durch die Heiserkeit, die Atmungsbeschwerden und die laryngologische
Untersuchung, sowie durch Röntgenaufnahme der Sitz einer Spitzkugel in
dem vom rechten Schildknorpel und oberen Zungenbeinhorne umschriebe-
nen Raume, knapp nach hinten und unten von der Teilungsstelle
der Karotis konstatiert. Foramitti markierte sich den direkt zum
Fremdkörper führenden, mittels Röntgendurchleuchtung ermittelten
Weg mit steriler Tuschinjektion. Nach lokaler Anästhesierung spaltete
unser Konsiliarchirürg mittels eines Bogenschnittes Haut und Platysma
des rechten oberen Halsdreieckes, legte die Teilungsstelle der Karotis präpa-
ratorisch frei, umging stumpf die Gefäße und tastete sich längs der leitenden
Tuschmarke bis zum Fremdkörper durch. Die Extraktion des Geschosses
Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 155
gelang glatt, die durchtrennten Weichteile wurden schichtweise genäht
und nach Anlegen eines Verbandes konnte der Patient weiterhin der zahn-
ärztlichen Behandlung seines frakturierten Unterkiefers überantwortet
werden.
In dem Falle Johann H. (Jäger des Feldjäger-Baons. Nr.9) gelang es
mir nach Behebung einer die Operation im Anfange unmöglich machenden
Ankylose mittelst des Steinkammschen Extensionsapparates, am
28. März 1916 den im linken Arcus palatoglossus sitzenden deformierten
Mantel eines Geschosses in lokaler Anästhesie zu entfernen.
Beim Inf. Georg B. (k.u.k. Inf.-Reg. Nr. 6/6) blieb eine Schrapnell-
kugel, nachdem sie den horizontalen Kieferast zertrümmert hatte, in der
Fossa supraclavicularis sinistra, in dem dreieckigen Raume zwischen dem
hinteren Rande des Scalenus medius und dem Plexus brachialis stecken.
Nach Freilegung des tief unter der Faszie liegenden Geschosses und
Beiseiteschieben der Arteria transversa colli gelang es Foramitti, das
Geschoß mittels Zange zu entfernen.
In einem ganz ähnlichen Falle hatte sich eine Spitzkugel nach Zer-
trümmerung des rechten horizontalen Kieferastes im rechten äußeren
Halsdreiecke in der halben Höhe des hinteren Sternocleido-Mastoideus-
Randes festgesetzt. Unter Anwendung von lokaler Anästhesie präparierte
ich schichtweise Platysma myoides und die Gefäßscheiden hinter dem
Sternocleido-mastoideus ab, spaltete den Muskelbauch des Musculus scalenus
medius und fand unterhalb desselben das Geschoß in einer mit getrübtem
Serum gefüllten Gewebshöhle eingelagert. Arteria transversa colli und
Nervus accessorius fielen nicht in den Schnitt. Die Vena jugularis externa
wurde doppelt unterbunden. Anwendung von Etagennähten und Einführen
eines Jodoformgazestreifens in die Höhle, in welcher das Geschoß gebet-
tet war.
Schließung einer Magenfistel.
Trotz des fast konstanten Überbelages unseres Spitales und des allzu
häufigen Eintreffens Schwerverwundeter besonders vom südwestlichen
Kriegsschauplatze sind wir bisher noch in keinem Falle genötigt gewesen,
Kieferverletzte durch eine Magenfistel künstlich zu ernähren. Dagegen war
es nach Eröffnung des Spitales eine der ersten Aufgaben für unseren Kon-
siliar-Chirurgen, den Patienten Ferencz M., den wir in diesem Berichte
unter den mit vollem Erfolge osteoplastisch Operierten aufgezählt haben,
von seiner Magenfistel zu befreien, welche ihm wenige Tage nach seiner
Verletzung in Krakau zum Zwecke der künstlichen Ernährung angelest
werden mußte. |
156 Referate und Bücherbesprechungen.
Ich habe zu Beginn meines Berichtes in geziemender Dankbarkeit
des Schöpfers, des Kommandanten und der Förderer unseres Kieferspitales
gedacht. Nun erachte ich es aber auch als meine angenehme Pflicht, am
Schlusse meiner Abhandlung in gebührender Weise hervorzuheben, mit
welcher fachlichen Begeisterung, mit welchem Pflichteifer und welch voller
Hingebung an ihren erhabenen Beruf die mir als Sekundarärzte zugeteilten
Kollegen und Kameraden jederzeit mit Anspannung all ihrer physischen
Kraft und ihres Scharfsinnes an die Lösung der an sie gestellten Aufgaben
herangetreten sind. Ich darf auch nicht unterlassen, ausdrücklich zu be-
tonen, mit welchem Stolze es die an unser zahntechnisches Laboratorium
kommandierten Hilfskräfte jederzeit erfüllte, ihre Kunstfertigkeit in den
Samariterdienst stellen zu dürfen, mit welch regem Interesse sie sich in ein
für sie bis dahin fremdes Gebiet der Technologie führen ließen, und ich
darf nicht vergessen, darauf hinzuweisen, mit welcher Opferfreudigkeit,
Unverdrossenheit, mit welch regem Pflicht- und Mitgefühl die dem Spitale
zugeteilten Schwestern die ihnen anvertrauten Kriegsverwundeten betreut
haben. Wenn es den leitenden Ärzten gelungen ist, bemerkenswerte Re-
sultate zu erzielen, so verdanken sie dies nicht minder der tatkräftigen
Unterstützung durch ihren Stab von Hilfskräften, als ihrem eigenen Können
und Wollen.
Referate und Bücherbesprechungen.
Die Beziehung zwischen Reptilien-, Beutler- und Plazentaliergebiß. Von
Br A: k, Amsterdam. Zeitschr. für Morphologie und Anthropologie,
Die Grundanschauungen Bolks über die Beziehungen des Säuger-
gebisses zu dem der Reptilien — seine Dimertheorie — lassen sich vielleicht
am einfachsten darstellen, wenn wir zwei Fragen beantworten, die die Haupt-
differenzen der beiden Gebisse zum Gegenstand haben. Die erste Frage würde
lauten: Wie verhält sich der Zahnwechsel der Säuger zu dem der Reptilien ?
Die zweite: Wie ist der komplizierte Säugerzahn aus dem einfachen Kegel-
zahn der Reptilien entstanden ? Die erste Frage beantwortet Bolk in fol-
gender Weise. Die Anlage des Reptiliengebisses bilden zwei Reihen von
Zahnmatrizes, eine äußere (Exostichos) und eine innere (Endostichos),
deren Glieder alternieren. Auch die ersten aus dieser Matrizes hervorgehen-
den Zähnchen sind zunächst distichisch (in zwei Reihen) angeordnet, beim
Durchbruch jedoch schieben sich die Zähne des Endostichos zwischen jene
des Exostichos ein und funktionieren gleichzeitig mit ihnen (hamastichisch).
Jede Matrix produziert aber nicht nur einen Zahn, sondern auch dessen Er-
satzzähne, die zusammen gleichsam die Glieder einer „Zahnfamilie“
bilden (merobolischer Zahnwechsel). Bei den Säugern ist die Anlage des
Gebisses auch distichisch, also zweireihig. Aber die Zähne des Endostichos
Referate und Bücherbesprechungen. 157
haben nicht mehr die Aufgabe, sich zwischen die des Exostichos einschiebend
mit ihnen gleichzeitig zu funktionieren, sondern sie erfahren (viel-
leicht wegen der Kieferverkürzung) eine Entwicklungsverzögerung und ver-
drängen bei ihrem Erscheinen die Zähne des Exostichos. Die exostichale
Reihe ist so zum Milchgebiß, die endostichale zum Ersatzgebiß geworden.
Aus der Hamastichie (dem gleichzeitigen Funktionieren der Reihen) ist die
Choristichie (das gesonderte Funktionieren der Reihen) geworden, der
Zahnwechsel ist nicht mehr merobolisch sondern stichobolisch (Reihen-
wechsel). Denn — und das bildet gleichzeitig die Beantwortung der zweiten
Frage nach der Formkomplikation des Säugerzahnes — die Matrix des Säu-
gers produziert nicht mehr eine ganze Zahnfamilie, sondern sie erschöpft sich
gleichsam in der Produktion eines Zahnes, allerdings eines hochkomplizier-
ten, denn die Potenz der Zahnmatrix, mehr zu bilden, als einen einfachen
Kegelzahn, ist erhalten geblieben und funktionelle Reize vermögen es, diese
Fotenzen zu erwecken. Die Anschauung, daß die Zahnmatrix, die bei den
Reptilien eine Folge vun einfachen Zähnen bildet, beim Säuger
eineu komplizierten Zahn hervorbringt, dadurch, daß das in ihr
enthaltene Keimmaterial mit der Potenz der sukzessiven Bildung einer gan-
zen Zahnfamilie konzentriert bleibt, ist die Bolksche Fassung der
Konkreszenztheorie.
Das eigentümliche Gebiß der Beutler mußte natürlich im Hinblick auf
diese neue Theorie erhöhte Aufmerksamkeit erwecken. Es war ja seit langenı
vor allem deshalb ein Gegenstand lebhafter Diskussion, weil nur ein Zahn,
der dritte Prämolar, gewechselt wird. Deshalb versucht auch B o l k zunächst
die Frage nach der Zugehörigkeit des funktionierenden Gebisses zu beant-
worten. Zu diesem Zwecke greift er nochmals zurück zur Beschreibung der
jungen Zahnanlagen der Reptilien. Die Zähne des Endo- und Exostichos
zeigen neben ihren topographischen Charakteristika noch eine besondere
Eigentünlichkeit in ihrem Verhalten zur Zahnleiste. Während nämlich die
endostichalen Zahnanlagen am freien Ende der Zahnleiste selbst entstehen
— terminal —, liegt die papilläre Einstülpung der exostichalen Anlagen an
der Außen fläche der Zahnleiste — parietal. Dadurch ist, allerdings nur
bei jungen Embryonen, jede exostichale Anlage daran zu erkennen, daß an
ihrer Innenseite ein freies Zahnleistenende zu finden ist, während ein
solches der endostichalen fehlt. Bolk findet bei Reptilien dieses Verhalten
so konstant, daß er daraus die Umkehrbarkeit dieses Satzes folgert: Eine
Zahnanlage, neben welcher ein freies Zahnleistenende gefunden wird, gehört
dem Exostichos an. Allerdings gilt auch dieser Satz nur für junge Stadien.
B o l k untersuchte nun Embryonen von Parameles, um festzustellen, ob
das Beutlergebiß eine distichische Anlage überhaupt zeigt und welcher der
beiden Reihen das funktionierende Gebiß zugehört. Mit Hilfe des früher
erwähnten Charakteristikon der exostichalen Zähne (freies Zahnleistenende)
zeigt nun Bolk, daß die Zähne von Perameles beiden Reihen ange-
hören. Wenn auch die bekannten rudimentären Anlagen mitgezählt werden,
ergeben sich (mit Ausnahme einer Stelle) zwei vollständige alternierende
Reihen. Noch aber schieben sich hier, wie bei Reptilien, die Zähne des Endo-
stichos beim Durchbruch zwischen die exostichalen, wobei allerdings die
Regelmäßigkeit durch das Rudimentärwerden einzelner Anlagen (different
im Ober- und Unterkiefer) gestört ist. Das funktionierende Beutlergebiß ist
also ein hamastichisches, das heißt seine Elemente gehören beiden Reihen
158 Referate und Bücherbesprechungen.
an, dem Endo- und Exostichos, oder um in der geläufigeren Nomenklatur zu
sprechen, dem Milch- und Ersatzgebiß. Nur ein Zahn, nämlich der endosti-
chale Pa verdrängt bei seinem verspäteten Durchbruch den exostichalen
P». So bildet das Gebiß der Beutler einen Übergang zwischen Reptilien-
und Plazentaliergebiß dadurch, daß hier an einer Stelle der stichobole
Zahnwechsel auftritt. | |
Die so vielfach bekämpfte Theorie Bolks scheint also für die so oft
diskutierte Auffassung des Beutlergebisses eine einfache Klärung zu bringen.
Doch ist gewiß die allgemeine Gültigkeit des Ausspruches von Bolk, daß
das freie Zahnleistenende die Zähne des Exostichos charakterisiere, noch
nicht einwandfrei erwiesen. Es werden wohl noch eingehende Nachprüfungen
am Säuger- und Reptiliengebiß nötig sein, um volle Klarheit zu schaffen.
Gerade aber, weil der Grundgedanke der Bolkschen Theorie eine viel
einheitlichere Auffassung der Zahnentwicklung ermöglicht, als andere Theo-
rien, wird man mit Interesse die weiteren Mitteilungen Bolks über das
Beutlergebiß und vor allem eine von ihm angekündigte Arbeit eines seiner
Schüler erwarten, die eine ins Detail gehende Untersuchung der Zahnent-
wicklung der Reptilien bringen soll. Sicher.
Über schädigende Momente bei Ursnoplastik und deren Ausschaltung durch
Schröders Okklusivprothese. Von Eugen Lickteig. Zeitschr. f. Mund-
u. Kieferchir. u. Grenzgeb., II. Bd., 3. H. J. Bergmann, Wiesbaden 1917.
Während in Friedenszeiten fast nur angeborene Spaltbildungen des
Gaumens Gegenstand einer chirurgischen Behandlung bildeten, haben die
vielen traumatischen Perforationen des harten und weichen Gaumens im
Verlaufe des Krieges ein reichhaltiges Behandlungs- und Beobachtungs-
material ergeben. Die Schwierigkeiten einer operativen Beseitigung von
Gaumendefekten beruhen einerseits auf den anatomischen Verhältnissen
(Begrenztheit des Materials) und andrerseits auf den Schädlichkeiten, welche
sich aus den physiologischen Funktionen der Mundhöhle ergeben.
Während die anatomischen Schwierigkeiten durch die v. Langen-
becksche Operationsmethode und deren Modifikationen behoben sind,
bildet die Unmöglichkeit, die Mundhöhle außer Funktion zu setzen, ein
noch immer nicht ganz beseitigtes Gefahrenmoment. Die mechanische und
chemische Reizung der Wundränder beim Kauakt bietet ebenfalls eine
Hauptschädlichkeit. Liekteig weist nach, daß in den verschiedenen
und rasch wechselnden Luftdruckzuständen in der Mund- und Nasenhöhle
die größte Gefährdung der Naht besteht. Durch eine sinnreiche Ver-
suchsanordnung gelang es Lickteig, die verschiedenen positiven und
negativen Druckschwankungen in der Mund- und Nasenhöhle direkt zu
messen. Die Versuche ergaben, daß gewaltsame Ex- und Inspirationsfunk-
tionen in stoßweiser Form, wie Schneuzen, Niesen und Schnupfen, die gröh-
ten Luftdrucksteigerungen hervorrufen. Auch Saugen und Schlucken (selbst
das sogenannte Leerschlucken) verursachen ziemliche Drucksteigerung.
Nasenspülungen, die Nies- und Schluckreflexe auslösen, sind daher nach
der Operation kontraindiziert.
Lickteig verwendet bei allen seinen Fällen die von Schröder
im Jahre 1911 in seinem Handbuche der zahnärztlich-chirurgischen Ver-
bände und Prothesen beschriebene Okklusivprothese, welche aus einer
l mm starken, den harten Gaumen und die vorhandenen Zähne überkappen-
den Zelluloidplatte besteht. Die Prothese wird mit Gaze unterpolstert und.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 159
hält das Wundgebiet von der Mundhöhle abgeschlossen, wodurch die Gra-
nulationsbildung im günstigsten Sinne beeinflußt wird. Auch die Gefahr,
die durch die Luftdruckschwankungen zwischen Mund- und Nasenhöhle be-
steht, wird durch die Anwendung der Prothese ausgeschaltet. Zum Schlusse
weist Lickteig an einer Reihe von Krankengeschichten den ungestörten
Heilungsverlauf einer Anzahl von ihm durchgeführter Uranoplastiken nach.
Kriegszahnklinik, Juli 1917. | Zilz.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Leitsätze zur Beurteilung ärztlicher Wanderpraxis.')
Mit dem Erlasse vom 23. Mai 1914, Z. S-900, wurden die politischen
Behörden I. Instanz von einer anläßlich eines speziellen Falles in Angelegen-
heit der Ausübung ärztlicher Praxis im Umherziehen erflossenen Ministerial-
Entscheidung zur eigenen Information in Kenntnis gesetzt.
Im Nachhange zu diesem h. o. Erlasse werden nunmehr gemäß Mini-
sterial-Erlasses vom.1. August 1917, Z. 3204/S ex 1915 aus einem im Gegen-
stande unterm 27. Februar 1915, Z. 420/VGH. gefällten Erkenntnisse des
k.k. Verwaltungsgerichtshofes folgende Leitsätze zur Kenntnis und Dar-
nachachtung gebracht:
1. Ais Niederlassung eines Arztes ist die dauernde Stätte anzusehen,
an der oder von der aus er regelmäßig seiner Berufs- und Erwerbstätigkeit
nachgeht. | |
l 2. Eine ärztliche Praxis, die ohne feste Niederlassung lediglich im
Umherziehen ausgeübt wird, ist grundsätzlich ausgeschlossen.
3. Auch in jenen Fällen, in welchen die Praxis ausnahmsweise außer-
halb des Ortes des ständigen Wohnsitzes ausgeübt wird, hat — von der
Berufung in einzelnen Fällen abgesehen — ein, wenn auch nur vorüber-
gehender, abeı doch relativ stabiler Aufenthalt (Niederlassung) die Voraus-
setzung der Ausübung dieser Praxis zu bilden, mit anderen Worten: die
Ausübung der ärztlichen Praxis an einem Orte setzt eine, wenn auch nur
vorübergehende, so doch relativ stabile Niederlassung voraus.
4. Die Anzeige über die Ausübung der Praxis hat sich auf alle jene
örtlichen und zeitlichen Daten zu erstrecken, die zur Beurteilung der not-
wendigen Voraussetzung, ob es sich um eine stabile oder doch wenigstens
um eine relativ stabile Niederlassung handelt, erforderlich sind.
Die Anzeige verfolgt nicht nur den Zweck, die zuständige Sanitäts-
behörde in die Lage zu setzen, das Vorhandensein der Voraussetzungen zu
prüfen, unter denen dem Anzeiger das Recht auf Ausübung der ärztlichen
Praxis zusteht, sondern auch den weiteren Zweck, dieser Behörde die Er-
1) Rurderlaß der K. k. n.-ö. Statthalterei vom 3. September 1917. Z.S-1349/13
(M. A.X, 8445.)
160 | | Kleine Mitteilungen.
füllung der ihr nach § 2 des Reichs-Sanitätsgesetzes obliegenden Pflicht zur
Überwachung dieser Praxis zu ermöglichen.
Selbst die Annahme einer ordnungsmäßigen Anzeige, betreffend die
Ausübung einer ärztlichen Praxis, bietet keinerlei Freipaß für eine gesetz-
widrige Form der Ausübung der Praxis.
Hienach wird es zwar statthaft sein, daß ein Arzt außerhalb seines
ständigen Wohnsitzes an im vorhinein periodisch genau bestimmten Tagen
und Orten die ärztliche Praxis ausübt — zum Beispiel jeden Montag im
Gasthofe X im Orte Z —, denn in diesem Falle kann bei dem Umstande,
als hier dje Periodizität das Moment der relativen Stabilität der Nieder-
lassung begründet, von einer relativ stabilen Niederlassung gesprochen
werden; unstatthaft wäre es aber — außer in den Fällen der sogenannten
Saisonpraxis, die ein vorübergehendes Aufgeben der ständigen Praxis im
Domizile bedingt — unter Beibehaltung des ständigen Wohnsitzes lediglich
für kurze Zeit außerhalb desselben die ärztliche Praxis auszuüben, weil in
diesem Falle von keinerlei Stabilität der zweiten Niederlassung gesprochen
werden kann und ein derartiger Vorgang alle Kriterien der unerlaubten
Wanderpraxie in sich schließt.
Anzeigen über die Ausübung der ärztlichen Praxis, aus deren Wort-
laut sich schon ergibt, daß es sich um eine unzulässige Praxis im oben
angedeuteten Sinne handelt, oder die von Ärzten erstattet werden, die sich
erwiesenermaßen mit einer solchen Wanderpraxis befassen, werden nicht
zur Kenntnis zu nehmen sein, wie es überhaupt in jedem speziellen Falle
Sache der politischen Behörden I. Instanz sein wird, zu prüfen, ob es sich
unter Zugrundelegung dieser Leitsätze um eine Praxisausübung von einer
stabilen oder doch wenigstens von einer relativ stabilen Niederlassung
aus handelt.
Kleine Mitteilungen.
(Zahnärztliches Institut der Wiener Universität.) Mit der Supplierung
des zahnärztlichen Univ.-Instituts wurde Doz. Dr. Bruno Klein betraut.
(Verlegung der Kriegszahnklinik der IV. Armee nach Wien.) Die
Kriegszahnklinik der IV. Armee wurde von Lublin nach Wien verlegt.
Dieselbe wurde in den Räumen des Reservespitals Nr. 17 untergebracht
und mit diesem Spital unter dem Kommando des Oberstabsarztes Dozenten
Dr. Juljan Zilz vereinigt.
— — 4 pee —
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Drick von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, II., Münryasse 6.
mn rn De TEE
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ fr, ds wissenschaflichen Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnlirzte,
XVI. Jahrgang. Juni 1918. 6. Heft..
Nachdruck verboten.
Original-Arbeiten.
Aus der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitals der: Wiener
allgemeinen Poliklinik
(Vorstand: Oberstabsarzt Prof. Dr.v. Wunschhei N
Über Lochschußfrakturen des Unterkiefers.
(Der Lochschuß als Ausgangspunkt für die ty KI tarih Unterkiefer-
perforationsfrakturen durch rasante Projektile.)
Von Dr. Viktor Frey, Wien.
(Mit 11 Figuren.)
Unter Lochschußfraktur versteht man einen dem Durchmesser des
Projektils entsprechenden Defekt im Knochen -bei erhaltener Kontinuität
des letzteren.
Was das Vorkommen der Teditalhiren anbetrifft, so sind es nach
Öettingen!) zumeist die platten Knochen, in denen Lochschüsse an-
getroffen werden, hauptsächlich der Oberkiefer, ferner die Beckenschaufel,
das Schulterblatt, das Brustbein, selten der Unterkiefer, ausnahmsweise
das Schlüsselbein, die Rippen und das Schambein.
Eine ganz gesonderte Stellung nimmt der Hirnschädel wegen seiner
Hohlform und wegen der Sprengwirkung der breiigen Gehirnmasse ein.
Hirnschädelschüsse mögen. daher hier ganz außer Betracht bleiben...
Von den großen Röhrenknochen wäre,gu erwähnen, daß in der Dia-
physe bisweilen, in der Epiphyse häufiger Lochschüsse zu be-
obachten sind. Von kleineren Knochen sind in Wirbelkörpern, im Talus
und Calcaneus und merkwürdigerweise auch in Metakarpen und na augen
Lochschüsse beobachtet worden.
Lochschüsse im Oberkiefer sind keine besondere Seltenheit. Man
trifft vom kreisrunden Loch bis zum ziemlich lang gezogenen Oval alle
!) Oettingen, Leitfaden der praktischen Kriegschirurgie.. Verlag Stein-
kopff, Dresden und Leipzig.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 11
162 Viktor Frey.
Übergänge, teils mit, teils ohne Splitterung. Am Unterkiefer sind jedoch
die Lochschüsse eine große Seltenheit und auf unserer Abteilung unter
1007 Kieferschüssen nur neunmal beobachtet worden — nicht einmal 0,9%.
Diese neun beobachteten Patienten waren zwischen 19 und 41 Jahre alt,
die meisten standen im dritten Lebensdezennium.
Die Lokalisation betreffend, kommen Lochschüsse nur in unbezahnten
Teilen des Unterkiefers vor. Bei Auftreffen des Projektils auf den mit
Zähnen versehenen Alveolarfortsatz kommt es durch die als sekundäre
Projektile wirkenden Zähne ausnahmslos zur Splitterung.
Ist der lochförmige Defekt allseits von einer knöchernen Umrandung
umgeben, so handelt es sich um eine komplette Lochfraktur. Von dem
Defekt gehen bisweilen Fissuren in die angrenzenden Knochenpartien hinein;
Fig.1.
EZZ ZUUR GARL
2 PN WGAETESDOZULLÄNNN
a MRE
a = dentale Kiefersone, b = infradentale Kieferzone, c= retrodentale Kieferzone.
durchsetzen die Sprünge den Knochen jedoch vollständig, so ist der Splitter-
bruch fertig.
Von einer inkompletten Lochfraktur spricht man, wenn die
knöcherne Umrandung des Defektes teilweise unterbrochen ist, je-
doch nur dann, wenn der Defekt deutlich lochförmig ist.
Aus dem zuletzt Gesagten geht hervor, daß inkomplette Lochfrak-
turen mit einem kleineren Teile ihres Umfanges in die
natürlichen Grenzlinien des Knochens fallen, so daß dortselbst kleinste
Knochenfragmente mehr minder verlagert anzutreffen sind oder durch Ab-
schuß verloren gegangen sein können.
Hat jedoch nur ein kleiner Teil des Projektilquerschnittes den
Knochenrand betroffen, so handelt es sich um keine Lochfraktur, sondern
um eine Aussprengung.
Die bei Lochschüssen entstandenen Knoehendefekte sind teils kreis-
rund oder oval, teils polygonal, bisweilen sternförmig. Manchmal sind im
Über Lochschußfrakturen des Unterkiefers. 163
Defekt selbst oder in seiner nächsten Umgebung Partikelchen der aus-
geschossenen Knochenlamelle nachweisbar.
Kasuistik der auf unserer Abteilung beobachteten Fälle.
Fall 1 (s. Fig. 2). Schütze F. B., Schützen-Reg. Nr. 21, 30 J., verletzt
am 24. November 1914, unserer Abteilung zugewiesen am 24. Mai 1916, Ge-
wehrdurchschuß. Einschuß einen Querfinger vor dem rechten Öhrläppchen,
erbsengroß verheilt. Ausschuß 2—3 Querfinger vor dem linken Ohrläppchen,
erbsengroß verheilt. Quer über den weichen Gaumen zieht eine Narbe in
der Richtung Einschuß— Ausschuß. Röntgenbefund: 24. Mai 1916: Aus-
gesprochene Lochfraktur des rechten aufsteigenden Kieferastes am Ansatze
des Processus coronoideus von zirka 1cm Durchmesser. Linker Unter-
kieferast unverletzt.
Fig. 2.
Fall 1. Komplette Lochfraktur des rechten aufsteigenden Unterkieferastes.
Symptome: Kieferklemme 15 mm.
Therapie: Dehnung (aktive Öffnungsübungen, passiv durch
Heister und Holzkeil). Verschlechterung am 19. September 1917. Maximal-
öffnung 9 mm. 21. September 1917: Forcierte Dehnung in Narkose gelingt,
aber hinterher Verschlechterung; Kopfschmerzen, diffuse Schwellung der
Kiefergelenke. Maximalöffnung in den ersten Tagen nach der forcierten
Dehnung 2 mm. Am 17. Oktober 1917 Maximalöffnung 5 mm. Am 24. Ok-
tober 1917 Patient mit Superarbitrierungsantrag (!/s Jahr Urlaub) aus
der Behandlung entlassen.
Komplette Lochfraktur des E T T aufsteigen-
den Kieferastes am Einschusse durch Gewehrdurch-
schuß.
11*
1064 Viktor Frey.
Fall 2 (s. Fig. 3). Zugsf. J. B., Kaiserschützen-Reg. Nr. 1, 28 J., ver-
wundet am 22. November 1914, unserer Abteilung zugewiesen am 2. Jänner
1915. Gewehrdurchschuß. Einschuß knapp unterhalb des rechten Ohr-
läppchens, vollkommen verheilt. Ausschuß in der linken Wange einen
Querfinger breit unterhalb des vorderen Jochbogenansatzes in Form einer
strahligen, eingezogenen Narbe. Röntgenbefund vom 4. Jänner 1915: Loch-
fraktur des rechten aufsteigenden Kieferastes unterhalb der Incisura man-
dibulae mit nach vorne verlaufender Fissur. Zertrümmerung der linken
ÖOberkieferwand und des linken Processus zygomaticus entsprechend der
Ausschußstelle. l
Fall 2. Komplette Lochfraktur des rechten aufsteigenden Kieferastes mit Fissur.
Symptome: Kieferklemme 1cm. Sehstörungen durch Verletzung
des linken Auges (Abduzenslähmung, Chorioidealriß, Pigmentschollen in
der Retina), Verletzung des linken Antrums.
Dekursus: Wiederholte Abszesse der linken Wange von Sequs-
stern, Zähnen und Zahnteilen, die als indirekte Geschosse in die linke
Wange gedrungen waren. 1. Februar 1915: Kieferklemme gebessert (3 cem).
Patient wegen seines Auges superarbitriert. Am 6. September 1915 ent-
lassen. |
Komplette Lochfraktur des rechten aufsteigen-
den Kieferastes mit in der Schußrichtung verlaufen-
der Fissur am Einschusse durch Gewehrdurchschuf.
Über Lochschußfrakturen des Unterkiefers. 165
Fall 3 (s. Fig. 4). Inf. Sch. H. vom Inf.-Reg. Nr. 94, 19 J.alt, verletzt
am 11. Juni 1916, unserer Abteilung zugewiesen am 26. Juni 1916. Gewehr-
durchschuß. Einschuß einen Querfinger unter dem rechten Ohrläppchen,
erbsengroß verheilt. Ausschuß in der rechten Wange, 3cm über dem
rechten Mundwinkel.
Fig. 4.
Fall 3. Komplette Lochfraktur des rechten aufsteigenden Unterkieferastes mit Fissur.
Symptome: Kieferklemme 13 mm. Der 7| samt der Alveole
luxiert. Der 6] verstümmelt. Hyperästhesie des Nervus mentalis dexter.
Empyem der rechten Oberkieferhöhle. Keine abnorme Beweglichkeit. Rönt-
genbefund: Sternförmige Lochfraktur im aufsteigenden Aste des rechten
Unterkiefers unterhalb der Ineisura mandibulae. Von dem Defekt zieht
bis an den vorderen Rand des Knochens eine spaltförmige Frakturlinie.
Am 11. August 1916 in ein Reservespital seiner Heimat transferiert.
Komplette Lochfraktur des rechten aufsteigen-
den Unterkieferastes mit in der Schußrichtung ver-
laufender Fissuram Einschusse durch Gewehrdurelh
schuß.
Fall 4 (s. Fig. 5 u. 6). Inf. J. T. vom Inf.-Reg. Nr. 86, 21 J., verletzt am
24. Oktober 1917, unserer Abteilung zugewiesen am 31. Oktober 1917. Ge-
wehrdurchschuß. Einschuß 1cm oberhalb des linken Angulus in Form
einer mit Borke bedeckten, linsengroßen Delle. Ausschuß !/zcm oberhalb
des rechten Angulus, ebenfalls in Form einer mit einer Borke bedeckten,
linsengroßen Delle.
Symptome: Kieferklemme 23 mm. Anästhesie beider Nervi men-
talis. Schwellung und Schmerzhaftigkeit des Unterzungengrundes. Röntgen-
befund: Links: 2 Querfinger oberhalb des linken Angulus ein erbsengroßer
166 Viktor Frey.
lochförmiger Defekt. Rechts: Splitteriger Ausbruch der Zirkumferenz des
rechten Angulus.
Fig. 5. Fig. 6.
Fall 4. Komplette Lochfraktur oberhalb des lin- Fall 4. Splitteriger Ausbruch aus der Zirkum-
ken Angulus. ferenz des rechten Angulus.
Therapie: Föhn, Öffnungsübungen, derzeit, Jänner 1918, in Be-
handlung.
Komplette Lochfraktur oberhalb des Angulus am
Einschusse durch Gewehrdurchschuß. Splitteriger
Ausbruch aus der Zirkumferenz des Angulusam Aus-
schuß.
Fall 5 (s. Fig. 7). Schütze W. F., Schützen-Reg. Nr. 9, 20 J., verwundet
am 29. Oktober 1915, unserer Abteilung zugewiesen am 29. November 1915.
Fig.7.
Fall 5. Komplette Lochfraktur der linken Angulusgegend.
Gewehrdurchschuß. Einschuß 2,5 cm nach abwärts und etwas nach rück-
wärts vom rechten Öhrläppchen, erbsengroß verheilt. Ausschuß einen Quer-
|
|
Über Locbschußfrakturen des Unterkiefers. 167
finger nach vorne und oben vom linken Angulus, erbsengroß verheilt.
Röntgenbefund: Lochfraktur im linken Angulus.
Symptome: Kieferklemme leichtesten Grades 25 mm. Beobach-
tung. Am 15. März 1916 geheilt entlassen.
Komplette Lochfraktur der Angulusgegend am
Ausschusse (Einschuß durch Weichteile) durch Ge
wehrdurchschuß.
Fall 6 (s. Fig. 8). Zugsf. K. G. vom Inf.-Reg. Nr. 8, 28 J., verwundet am
28. Juni 1916, aufgenommen am 12. März 1917. Granatsplittersteckschuß.
Einschuß unmittelbar vor dem linken Ohrläppchen in Form einer linearen,
kaum sichtbaren Narbe. Geschoß blieb ungefähr 3 Querfinger unterhalb
des Einschusses stecken und wurde von dort am 8. Juli 1916 operativ ent-
fernt. Ausschuß fehlt. Röntgenbefund: Unter dem Processus coronoideus
und zirka 1cm tiefer als die Incisura mandibulae ein zirka erbsengroßer
Defekt mit kleinen Knochensplittern.
Fig. 8.
Fall 6. Komplette Lochfraktur des linken aufsteigenden Unterkieferastes.
Symptome: Kieferklemme 6 mm.
Therapie: Aktive und passive Dehnung. Föhn.
Am 28. August 1916 Kieferklemme gebessert (13!/; mm). Mit Super-
arbitrierungszeugnis für Hilfsdienste ohne Waffe entlassen (28. August
1917).
Komplette Lochfraktur des aufsteigenden Unter-
kieferastes durch Granatsplittersteckschuß am Ein-
schusse.
Fall 7 (s. Fig. 9). Kadett R.M. vom Inf.-Reg. Nr. 56, 22 J., verwundet
am 9.Mai 1915, aufgenommen am 2. August 1915. Gewehrdurchschuß.
Einschuß 1 Querfinger unterhalb und etwas nach vorne vom rechten Angulus,
168 -> Viktor Frey.
erbsengroß verheilt. Ausschuß senkrecht unterhalb des linken Mundwinkels
in der Höhe des Unterkieferrandes in Form einer zweihellerstückgroßen,
dreistrahligen Narbe. Keine Kieferklemme. Röntgenbefund: Ovaler Sub-
stanzverlust des linken Unterkieferkörpers knapp über dem unteren Rand
desselben in der Gegend des linken Foramen mentale, dessen untere
Knochenbegrenzung weggesprengt und etwas nach abwärts verlagert ist.
21. September 1915 geheilt entlassen.
Fig. 9.
Fall 7. Inkomplette Lochfraktur des linken horizontalen Unterkieferastes.
InkompletteLochfrakturdeshorizontalen Unter-
kieferastes am Ausschusse (Einschuß durch Weich-
teile) durch Gewehrdurchschuß.
Fall 8 (s. Fig. 10). Inf. G. K., Honved-Inf.-Reg. Nr. 16, 22 J.alt, ver-
wundet am 18. März 1915, aufgenommen 9. April 1915. Gewehrdurchschuß.
Fig. 10.
Fall 8. Inkomplette Lochfraktur des linken horizontalen Unterkieferastes, (Der linke
Unterkiefer ist in diesem Falle von außen gesehen skizziert.)
Über Lochschußfrakturen des Unterkiefers. 169
Einschuß 1cm vor dem linken Angulus knapp am Rande des Unterkiefer-
körpers, vollkommen verheilt. Ausschuß 2 Querfinger breit unterhalb des
rechten Angulus, erbsengroß, vollkommen verheilt. Keine Kieferklermme.
Röntgenbefund: 1 cem vor dem linken Angulus eine Lochfraktur hart am
Unterkieferrande mit Heraussprengung des unteren Randes.
Lokale Abszedierungen. 8. Mai 1915 zum letztenmal erschienen.
InkompletteLochfrakturdeshorizontalen Unter-
kieferastes am Einschuß durch Gewehrdurchschuß.
Fall 9 (s. Fig. 11. Gefr. H. K. vom Landst.-Baon. Nr. 4/39, 41 J.alt,
verwundet am 16. Mai 1917, aufgenommen am 8. Juni 1917. Schrapnell-
kugelsteckschuß. Einschuß etwas über 2 Querfinger vor dem rechten An-
gulus. In der Gegend der Mitte des linken Musculus sternocleidomastoideus
blieb das Geschoß stecken und wurde am 1. Juni 1917 operativ entfernt.
gn
t
Fall 9. Inkomplette Lochfraktur des rechten horizontalen Unterkieferastes.
Symptome: Kieferklemme 16mm. Im linken Nervus mentalis
herabgesetzte Empfindlichkeit. Röntgenbefund: Vor dem rechten Angulus
eine unregelmäßige Aussprengung des Corpus mandibulae; von der zackigen
Höhle läuft eine Fissur bis in die Prämolarengegend zirka 1 cm über dem
Unterkieferrand. Zahlreiche Metallsplitter im Bereiche der Fraktur. Kon-
tinuität des Kieferkörpers nicht unterbrochen.
Dekursus: Dehnung (Heister, Föhn). 18. Juli 1917: Öffnen 22 mm.
18. September 1917: Die Lochfraktur noch nicht mit Knochen ausgefüllt.
19. Oktober 1917: Kieferklemme behoben. 15. Jänner 1918: Höhle deutlich
kleiner. 21. Februar 1918 geheilt entlassen.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 12
170 Viktor Frey.
InkompletteLochfrakturdes horizontalen Unter-
kieferastes am Einschuß durch Schrapnellkugel-
steckschuß.
Aus der Untersuchung unserer Fälle geht hervor: Die Lochfrakturen
am Unterkiefer entstanden in der überwiegenden Anzahl der Fälle am
Einschuß. Am Ausschuß wurden Lochfrakturen nur dann angetroffen,
wenn das Projektil vorher bloß Weichteile passiert hatte. Komplette
Lochschüsse wurden an dem hinter der Zahnreihe liegenden Unterkiefer-
abschnitte (retrodentale Zone des Unterkiefers) (s. Fig. 1)
angetroffen, und zwar Angulusgegend, aufsteigender Ast bis nahe an die
Ineisura mandibulae und am Ansatze des Processus coronoideus. Am Unter-
körper, soweit er dem zahntragenden Alveolarfortsatz entspricht (infra-
dentaleZonedesUnterkiefers) (s.Fig.1), kamen ebenfalls Loch-
schüsse vor, aber im Gegensatze zur früher erwähnten Region handelte es
sich hier ausnahmslos um inkomplette Lochfrakturen, was durch die Schmal-
heit des Unterkieferkörpers ohne weiteres verständlich ist. Misch-Rum-
pel?) bringen zwar (pag. 33) ein Röntgenbild eines Lochschusses des Unter-
kiefers mit Abschuß der Wurzelspitze des zweiten rechten unteren Prä-
molaren ohne Kontinuitätstrennung des Unterkiefers durch ein japanisches
Infanteriegeschoß aus 600 ın Entfernung. Es handelt sich hier um die
außerordentliche Seltenheit eines kompletten Lochschusses im Kieferkörper.
Es scheint aber in’diesem Falle ein ziemlich massiger Unterkieferkörper
vorgelegen zu haben.
Die Geschosse waren in 7 Fällen Gewehrprojektile von großer Durch-
schlagskraft, in einem ein offenbar ziemlich kleines und spitziges Granat-
sprengstück, in einem anderen eine Schrapnellfüllkugel.e. Die Gewehr-
projektile haben die getroffene Knochenoberfläche mit Ausnahme von
Fall 2 und 3 in nahezu senkrechter Richtung durchquert. In den Fällen 2
und 3 traf das Geschoß in spitzem Einfallswinkel den Knochen und es
zeigte sich in diesen beiden Fällen je eine vom Lochdefekt ausgehende
und in der Schußrichtung verlaufende Fissur.
Was nun die klinischen Symptome einer Lochfraktur des Unter-
kiefers anbetrifft, so wäre zu erwähnen, daß die Diagnose nur auf Grund
der Röntgenaufnahme zu stellen ist, weil die Kontinuitätstrennung, die
abnorme Beweglichkeit und die Krepitation fehlen. Der Bruchschmerz ist
anfangs infolge Mitbeteiligung der Weichteile ebenfalls nicht zu verwerten
und die Funktionsstörung hängt nicht so sehr von der Lochfraktur, als
hauptsächlich von den weiteren Verletzungen ab.
°) Misch-Rumpel, Die Kriegsverletzungen der Kiefer und der angren-
zenden Teile. Verlag Meusser, Berlin.
Über Lochschußfrakturen des Unterkiefers. 171
Lochfrakturen in der retrodentalen Zone des Unterkiefers rufen
wegen Verletzung der Kaumuskulatur Kieferklemme hervor. Die Kiefer-
klemme ist anfangs entzündlich-myogen, in späterer Zeit auf Narben in
der Kaumuskulatur zurückzuführen. Bei gleichzeitiger Verletzung des
Canalis mandibulae kommt es zur Anästhesie, eventuell Hyperästhesie des
betreffenden Nervus mentalis.
Bei Lochfrakturen in der infradentalen Zone fehlt die Kieferklemme
außer am Übergange von der infradentalen in die retrodentale Zone. (Siehe
Fall 9 Musculus masseter.) Anästhesie bzw. Hyperästhesie des Nervus men-
talis ist wegen der relativen Schmalheit des Kieferkörpers häufiger zu
erwarten.
Die Lochschüsse sind schon wegen der Seltenheit ihres Auftretens
interessant, noch mehr aber deshalb, weil sie als Ausgangspunkt für die
Erklärung der typischen Kieferverletzungen durch rasante Gewehrprojektile,
welche den Kiefer durchquert haben, herangezogen werden können. Jede
perforierende Unterkieferschußverletzung kann man sich aus einem Loch-
schuß entstanden denken. Wären in den Fällen 2 und 3 die Fissuren in
größerer Ausdehnung oder größerer Zahl aufgetreten, so wäre aus dem
Lochschusse eine Querfraktur oder eine Splitterfraktur mit der typischen
Verlagerung der Fragmente entstanden. Bei Lochschüssen, die durch senk-
rechtes Auftreffen des Geschosses zustande gekommen sind, können ebenso
gut Fissuren vorhanden sein, sind vielleicht vorhanden gewesen, nur waren
sie röntgenologisch nicht nachweisbar. So läßt sich auch in diesen Fällen
das Zustandekommen von Splitterfrakturen erklären. Findet eine Aus-
sprengung in der Gegend des Eckzahnes statt, dessen tief herabreichende
Alveole schon eine natürliche Schwächung des Unterkiefers bedeutet, so
wird es sehr wahrscheinlich sein, daß eine Fissur von der Aussprengung
den kurzen Weg bis in die Eckzahnalveole durchmißt. Auf diese Weise
erklärt sich das häufige Zustandekommen einer linearen Fraktur an dieser
Stelle.
So kann man sich vorstellen, daß jede perforie
rende Unterkieferschußverletzung wenigstens im
Bruchteile einer Sekunde ein Lochschuß war.
Je mehr durchgängige Fissuren um die momentane Lochfraktur sich
bilden, eine desto größere Splitterung entsteht. In der dentalen Zone
wird sich die Geschoßwirkung auf die spröden Zähne übertragen und
diese werden als sekundäre Projektile das Zustandekommen einer Splitte-
rung begünstigen.
172 Paul Berger.
Einige Beiträge zur Frage der schmerzlosen
Zahnbehandlung. ’
Von Zahnarzt Dr. Paul Berger, Wien.
Die gerechte Forderung unserer Patienten nach möglichst schmerz-
loser Behandlung stellt an die Geschicklichkeit und konzentrierte Auf-
merksamkeit des modernen Zahnarztes die allergrößte Anforderung. Wenn
wir uns die Frage vorlegen, ob es nach dem heutigen Stande der Zahn-
heilkunde möglich ist, die Maßnahmen im Munde unserer Patienten mit
Ausschaltung des Schmerzes vorzunehmen, so können wir die Frage ruhigen
Gewissens mit Ja beantworten, vorausgesetzt, daß der Zahnarzt Zeit und
Willen hat, auf die Individualität des Patienten einzugehen und mit den
Behandlungsmethoden der modernen Zahnheilkunde vertraut ist.
Es lassen sich natürlich für die Behandlung jedes Einzelnen nicht
bestimmte feste Thesen aufstellen und wollen wir uns heute mit den all-
gemeinen Mitteln und Wegen, die es uns ermöglichen, zur Zufriedenheit
unserer Patienten zu arbeiten, beschäftigen. Nehmen wir den einfachsten
Fall einer oberflächlichen Karies. Eine brüske Sondierung mit der ab-
gebogenen Stahlsonde würde Schmerz verursachen, deshalb vorerst Aus-
spülung der Lücke mit lauwarmem Wasser, langsames Exkavieren mit gut
schneidenden Exkavatoren, immer von den Rändern zur Mitte, niemals um-
gekehrt. Sind die kariösen Massen schwer zu entfernen, so wird eine Ein-
lage von einem Chlorphenolikristall bis zur nächsten Sitzung die Prä-
paration vollkommen schmerzlos ermöglichen. Handelt es sich um eine
kariöse Stelle, die noch von Dentin gedeckt ist, das aber zur Präparation
der Kavität entfernt werden muß, so empfiehlt es sich, mit einem gut
schneidenden Schmelzmesser entweder durch den Druck der fest aufge-
stützten rechten Hand oder verstärkt durch ein paar leichte Schläge des
Blei- oder Hornhammers die überhängenden Zahnteile zu entfernen. Die
Präparation der Kavität, die bei fest aufgestützter Hand mit gut schnei-
denden Bohrern erfolgen muß, können wir für den Patienten wenig un-
angenehm bewerkstelligen, wenn wir nur mit halber Geschwindig-
keit einen selbstverständlich scharfen Bohrer rotieren lassen, was vor
allem das stark surrende Geräusch des Motors, das ja die nervösen Patienten
schwerer als jede andere Maßnahme vertragen, vermeidet und, wie paradox
es auch klingen mag, Sie werden mit dem langsam rotierenden Bohrer
bei trockenem Operationsfeld viel schneller fertig und ersparen dem Pa-
1) Vortrag. gehalten im Verein Wiener Zahnärzte.
Einige Beiträge zur Frage der schmerzlosen Zahnbehandlung. 173
tienten schmerzhafte Sensationen. Ist die Karies schon so weit vorge-
schritten, daß nach den typischen Angaben des Patienten die Vermutung
auf bloßliegende lebende Pulpa naheliegt, dann empfiehlt es sich, nach
Ausspülung mit lauwarmem Wasser nicht sofort ein Kaustikum anzu-
wenden, sondern durch 24 Stunden ein in Eugenol getränktes Wattebäusch-
chen unter Mastixabschluß einzulegen. Sie erreichen damit erstens, daß
der bis jetzt stark schmerzende Zahn nach wenigen Minuten schmerzfrei
und gleichzeitig durch das Eugenol desinfiziert wird. Die Kauterisation
des Nerven mit Arsen am nächsten Tage wird für den Patienten voll-
ständig schmerzfrei verlaufen, während ohne vorherige Eugenoleinlage der
bekannte Arsenschmerz durch 2 bis 3 Stunden eintritt. Nach zweimal
24 Stunden wird der Nerv wohl in den meisten Fällen schon tot sein und
ist es jetzt möglich, mit scharfen Bohrern die Kronenpulpa zu entfernen.
Ich lege jetzt für einige Tage einen in Trikresolformalin getränkten Watte-
bausch unter Fletcher- oder Gilbert-Abschluß ein und ist es mir dann
möglich, den durch die Einwirkung des Trikresolformalin gegerbten Nerv
in toto vollkommen schmerzlos zu entfernen. Die Versuche, Alaun oder
Acidum tannicum purum statt Trikresolformalin einzulegen, führten nicht
zu denselben guten Resultaten. Sollte durch Zufall der Nerv trotz aller
dieser Vorsichtsmaßregeln doch noch nicht ganz tot sein und eine wieder-
holte Arsen- und Trikresolformalineinlage nichts nützen, so gelingt auch
in diesem Falle die Extraktion vollkommen schmerzfrei, wenn man die
Donaldsonnadel mit einem Brei von Karbolsäure- und Kokainkristallen be-
feuchtet. |
Nehmen wir den Fall eines periostitischen Zahnes, der angebohrt
werden muß, so kann auch dies, wenn die Leitungsanästhesie kontraindi-
ziert ist, dadurch erleichtert werden, wenn wir den Zahn durch zwei Finger
der linken Hand fixieren und zuerst mit kleinen montierten Steinchen den
oberflächlichen Schmelz und hierauf erst mit feinen Bohrern den Zahn bis
zum nekrotischen Nerven durchbohren. Nach Erweiterung des Bohrloches
soll die Entfernung des Nerven und die Reinigung vorerst nicht versucht
werden, sondern ein kleines Wattebäuschchen, getränkt mit Eugenol-Tri-
kresolformalin, ganz leicht auf den Kanaleingang bis zum nächsten Tage
gelegt werden. Hiedurch erreichen Sie erstens eine Herabsetzung der Viru-
lenz der Bakterien und zweitens wird die weitere Behandlung des Zahnes,
der nach Eröffnung der Pulpa sich baldigst beruhigen wird, viel leichter
möglich sein. Bei der Füllung der Zähne ist stets unter eine Silikat- oder
eine Metallplombe eine Unterlage aus Harvardzement zu legen, die den .
besten Schutz für die Pulpa abgibt. Ist die deckende Dentinwand des
Nerven schon sehr dünn, so rühre man in das Zement etwas Eugenol mit
Thymolkristallen vermischt ein.
174 Paul Berger.
Immer wieder hören wir von unseren Patienten, daß sie die Ex-
traktion eines Zahnes nicht so sehr fürchten als den Schmerz beim Ein-
stich unserer Injektionsnadel. Auch dieser Schmerz läßt sich vermeiden.
Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, vor jeder Injektion die ab-
getrocknete Einstichstelle am Zahnfleisch zur Desinfektion mit Jodtinktur
zu bestreichen, und war immer sehr angenehm überrascht, zu sehen, wie
wenig der Stich in die durch die Jodtinktur anämisch gemachte Schleim-
haut verspürt wird. Natürlich muß die Nadel dünn und das Ende scharf
und gut abgeschrägt sein. Gewöhnlich empfinden die Patienten auch
Schmerzen, wenn kalte Injektionsflüssigkeit eingepreßt wird; daher er-
wärme man die Phiole oder Flasche auf Körpertemperatur in warmem,
kochendem Wasser und auch dieser Schmerz ist ausgeschaltet. Die obligate
Wartezeit verkürze ich mir dadurch, daß ich die Quaddeln mit dem
Primus-Vibrationsapparat an beiden Seiten des Kiefers durch je eine Minute
gut verarbeite und ist es mir dadurch möglich, die Wartezeit um die
Hälfte zu verkürzen. Der Zahn soll bei gut übersichtlicher Kopfstellung
sicher gefaßt und langsam luxiert werden, denn die meisten Frakturen
entstehen durch brüskes und unüberlegtes Arbeiten. Ist die Anästhesie
gut gelungen, so ist es für den Patienten gleichgültig, ob Sie für die Ex-
traktion eines Zahnes fünf oder zwanzig Sekunden brauchen, wobei bei
allzu rascher Arbeit die Möglichkeit von Frakturen größer, dem Patienten
mehrere Eingriffe also noch bevorstehen, während bei langsamem, festem
Zugreifen die glatte Extraktion eher gewährleistet wird. Nach Extrak-
tionen von schwer periostitischen Zähnen ist es ratsam, die Höhle mit
einem scharfen Löffel gut zu exkochleieren, die überstehenden scharfen
Knochenränder mit der Knochenzange oder mit Bohrern zu glätten, mit
Wasserstoffsuperoxyd auszuspülen und dem Patienten warme trockene
Umschläge und Ausspülung des Mundes mit irgend einem Mundwasser oder
Teeabsud zu verordnen. So werden Sie gewiß dem sehr quälenden Schmerz
nach Extraktionen begegnen können. Von der Tamponade der Wunde, sei
es mit Gaze oder mit in Chemikalien getunkten Streifchen, ist die moderne
Mundchirurgie ganz abgekommen. Ist es doch zur Infektion der Wund-
höhle gekommen, so leisten uns die Ba yerschen Ortizon-Wundstifte und
nachherige Tamponade mit Jodoform- oder Vioformgaze das erwünschte
Resultat.
Den häufigen Klagen unserer Patienten über Schmerzen bei kalter
Luft liegt gewöhnlich, wenn Karies ausgeschlossen werden kann, ein oder
mehrere vom Zahnfleisch entblößte Zahnhälse zugrunde, zu deren Be-
handlung, wenn bei Frontzähnen von Argentum nitricum abgesehen werden
muß, eine heiß gesättigte Lösung von Kaliumkarbonat in Glyzerin (Sachs)
sehr empfehlenswert ist. Der zu behandelnde Zahn wird trocken gelegt.
ER
Einige Beiträge zur Frage der schmerzlosen Zahnbehandlung. 175
mit heißer Luft abgepustet und ein mit der Lösung getränktes Watte-
bäuschehen für 4—5 Minuten auf die empfindliche Stelle gelegt. Nach zwei-
maliger Behandlung ist der Zahnhals bestimmt schmerzfrei, ohne verfärbt
zu sein. |
Die Entfernung des Zahnsteines, der leider noch immer von vielen
Ärzten als Binde- und Befestigungsmittel für die Zähne angesehen wird,
der aber im Gegenteil der Erreger vieler Zahnfleischerkrankungen ist, muß
auf das Peinlichste besorgt werden. Um auch beim Ablösen der Zahn-
steinstücke jeden Schmerz zu vermeiden, anästhesiere man das Zahnfleisch
durch Auflegen eines Kokainkristalles, fasse das Instrument schreibfeder-
artig mit der rechten Hand, stütze sie gut auf und fixiere den zu be-
handelnden Zahn mit zwei Fingern der linken. Durch die Fixation wird
dem Patienten vor allem das Gefühl des Herausdrückens von Zähnen ge-
nommen und durch die Anästhesie wird die Reinigung der Zahnhälse bis
weit unter das Zahnfleisch möglich, ohne daß der Patient irgend einen
Schmerz empfindet.
Die Separation zweier eng stehender Zähne durch Apparate oder
. Hölzchen verursacht immer Schmerz, daher ist die Separation durch Ein-
lagen von Woattebäuschchen bis zur nächsten Sitzung als vollständig
schmerzlos, aber doch sicher wirkend vorzuziehen.
Ein sehr wichtiges Kapitel und wohl auch das schwierigste betrifft
die Behandlung der Kinder. Hier kann der Zahnarzt für die Zukunft viel
verderben oder aber eine zahnärztliche Untersuchung für den kleinen Pa-
tienten zu einer angenehmen Unterhaltung machen. Schon Altmeister
Black gibt den Rat, kariöse Kinderzähne lieber mit Lapis zu ätzen und
sie so vor weiterer Verderbnis zu bewahren, als den Kindern durch schmerz-
hafte Präparationen die Lust zu weiteren Besuchen zu nehmen. Ich ver-
suche stets langsam mit ganz scharfen Exkavatoren und mit Schmelzmessern
mit möglichster Umgehung der Maschine den kranken Zahn zu präparieren,
mache Einlagen, wenn das Kind den geringsten Schmerz äußert. Bei Milch-
Zähnen ätze ich die bloßliegende Pulpa nur mit Chlorphenolkristallen und
finde vollends mein Auslangen, ohne Gefahr zu laufen, durch Arsen irgen:l
eine Nekrose an der Wurzelspitze zu verursachen. Als Füllungsmaterialien
bevorzuge ich für rückwärtige Zähne Amalgam und Oxydphosphatzement,
für vordere Milchzähne Harvardzement. Handelt es sich um die Extraktion
eines entzündeten Milchzahnes, so anästhesiere ich das Zahnfleisch durch
Applikation eines Kokainkristalles; dadurch erfolgt die Extraktion vollends
schmerzfrei. Wenn das Kind zum behandelnden Arzt Vertrauen gefaßt hat
und in ihm nicht das Schreckgespenst, sondern den Kameraden sieht, so
läßt es immer ruhig alles mit sich geschehen. Es bedarf natürlich vieler
Geduld, die aber durch die Freude am Erfolg vollauf gelohnt wird.
176 Paul Berger. Einige Beiträge zur Frage etc.
Es erübrigt sich jetzt noch die Erörterung der Frage der Schmerz-
verhütung bei den technischen Maßnahmen im Munde der Patienten. Es
wäre vor allem das Zuschleifen von lebenden Zähnen für Kronen zu er-
wähnen. Da bewährt sich der langsam rotierende, gut befeuchtete Karbo-
rundumstein wohl am besten und es gelingt, da der befeuchtete Stein durch
die langsame Rotation nicht so rasch heiß wird, ohne Schwierigkeit, den
Zahn zu präparieren. Zum Zuschleifen der approximalen Teile des Zahnes
setze man den Separierstein niemals zwischen die Zähne, sondern direkt
an den zu behandelnden Zahn an, da dadurch die Verletzung des neben-
stehenden Zahnes und die konsekutiven Schmerzen vermieden werden. Um
die Empfindlichkeit des abgeschliffenen entblößten Zahnbeines gegen ther-
mische und chemische Reize zu verhindern, bestreiche man den abge-
schliffenen Zahn nach Trockenlegung mit Lapis oder Kaliumkarbonat. Ein
zylindrisch zugeschliffener Zahn bietet die Gewähr, daß der Kronenring
überall gut anliegt und nirgends das Zahnfleisch schneidet. Um aber bei
furchtsamen Patienten auch den leisesten Schmerz, der entsteht, wenn der
Kronenring zwischen Zahn und Zahnfleisch geschoben wird, zu vermeiden,
lege man ein Kokainkristall auf den marginalen Rand und die Probe
sowie das Aufsetzen der Krone wird völlig schmerzlos möglich. Um dea
Nachschmerz sowie die Entzündung des abgedrängten Zahnfleisches nach
Aufzementieren von Kronen und Brücken auszuschalten, ist es notwendig,
mit peinlichster Sorgfalt das überschüssige Zement zu entfernen und be-
sonders aus der Falte zwischen Krone und Zahnfleisch. Ich habe selbst
mehrere Fälle beobachtet, die nach einem halben Jahr nach Einsetzung
einer Molarkrone mit dem typischen Bilde eines schweren Zahnfleisch-
abszesses zu mir kamen und die ganze Ursache war in einem Zement-
stückchen gelegen, das damals aus der Zahnfleischfalte nicht entfernt wurde.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie, meine Herren, auf einen Kunst-
griff aufmerksam machen, der es ermöglicht, beim Einsetzen ganzer unterer
Brücken das Öperationsfeld vollkommen trocken zu erhalten. Man be-
tupfe unmittelbar vor dem Einzementieren die Ausführungsgänge der Sub-
lingualdrüsen und der Parotis mit Jodtinktur. Unter ihrer Einwirkung
schließen sich die Ausführungsgänge und die Speichelsekretion wird für
kurze Zeit vollständig sistiert.
Meine Herren! Sie könnten jetzt am Schlusse meines Vortrages den
Einwurf machen, daß alle diese eben vorgetragenen verschlungenen Wege
zur Schmerzverhütung bei der Zahnbehandlung durch eine einzige Injektion
eines Anästhetikums nutzlos werden, doch kann ich diesen Einwurf wider-
legen. Erstens bin ich der Ansicht, daß wir bei Eingriffen, die wir ohne
Injektion vielleicht schwerer, aber doch völlig schmerzfrei machen können,
daven absehen sellen, die Blutbahn des Patienten mit einem Anästhetikum,
Referate und Bücherbesprechungen. 177
und wenn es auch völlig giftfrei ist, zu beschweren, und zweitens wird
eine Injektion durch das somatische Befinden der Patienten oder durch
die Lokalisation der Karies an verschiedenen Kieferhälften oft kontra-
indiziert sein.
Wenn Ihnen, meine Herren, meine Anregungen, die auf Originalität
keinerlei Anspruch machen, bei der Behandlung Ihrer Patienten von Nutzen
sind, so ist der Zweck dieses Vortrages vollends erreicht.
Referate und Bücherbesprechungen. -
Die kriegschirurgische Bedeutung des Skorbuts. Von Dr. Theodor Zlo-
cisti. (Aus dem Lazarett der 1. Abordnung des Deutschen Roten
Kreuzes in die Türkei.) Bruns’ Beiträge zur klinischen Chirurgie,
Bd. 103, H. 4 (28. kriegschirurgisches Heft). Mit’92 Abbildungen. 1916.
Der Symptomenkomplex beim Skorbut, der gemeinhin zusammen-
gefaßt wird — Mattigkeit bis zur Schlafsucht, Zahnfleischentzündungen,
Austrocknung der Haut, Follikulitis mit mehr oder weniger großen Extra-
vasierungen um die Haarwurzeln, ausgedehnte, flächenhafte Blutungen in
und unter die Haut, in und um die Muskeln; gelegentlich in die Gelenke
und serösen Säcke — wird selten ‘in aller Vollständigkeit gefunden. Oft
prävaliert nur ein Symptom, so zwar, daß andere kaum mehr als an-
gedeutet erscheinen. Vor allem aber entwindet sich die Symptomenfolge
jedem Schema. Zudem kommt, daß gerade die sinnfälligste und zugleich
bekannteste Erscheinung, die der Entzündung des Zahnfleisches, sowohl
in ihrer Intensität als in ihrer Regelmäßigkeit durchaus nicht konstant ist.
Außer diesen Veränderungen kommen an der Haut mancherlei für
den Skorbut charakteristische bläuliche und bräunliche Flecke zur Be-
obachtung. In Wirklichkeit handelt es sich meist um Abszedierung kleiner
wie Blutblasen anmutender Gebilde. Eröffnet zeigen sie ein blutiges Ge-
rinsel. Überläßt man sie sich selbst, so schuppt sich die Haut über
‚dem Gebilde; die Schuppen lagern sich übereinander. Später sinkt das
Zentrum ein und der geschwürige Grund, der meist ziemlich tief ist, so
daß die Ränder hart überragen, füllt sich mit einer zäh-eitrigen Masse.
Das Charakteristische dieser Furunkel und Geschwüre ist wieder ihr Saum.
. Dabei ist zu .bemerken, daß der Skorbut — der die unteren Extremi-
täten besonders häufig belästigt — mit ausgesprochener Vorliebe ein-
seitige Blutungen macht. Oft wird der Muskel umblutet, so zwar, daß
die palpierende Hand nur eine feste, nahezu steinharte Masse fühlt. Die
Haut und das Unterhautzellgewebe sind nicht ödematös; wir haben
nur eine in die Tiefe dringende Starrheit vor uns. Die Abgrenzung gegen
Ödeme aus nephritischer oder kardialer Ursache ist leicht. Weiterhin
sichert die Differentialdiagnose gegen nephritisches und Stauungsödem, daß
die Masse nicht teigig, sondern hart ist.
Kleine oberflächliche Extravasate haben genügend Raum, sich
fläcbenhaft auszubreiten. Anders liegen die Verhältnisse bei zirkum-
und intramuskulären Blutungen; also jenen Erscheinungen, für die sich
178 Referate und Bücherbesprechungen.
die zutreffende Bezeichnung der „Sklerose“ eingeführt hat. Der
Schenkel imponiert beim Skorbut als eine harte Masse. Die Haut ist ge-
spannt, bleich, stumpf.
Der Skorbut ist eine vorübergehende Krankheit, deren Grundlage
die gesteigerte Durchlässigkeit unterernährter Gefäßwandungen ist. Sie
dauert Monate, hat Tendenz zur Selbstheilung, die schon durch klimatische
Veränderung, immer durch Wechsel der Nährmittel gesteigert wird und
gewinnt schon nach Wochen die Fähigkeit zur Resorption der ausge-
schütteten Blutmasesn.
Für das Zustandekommen skorbutischerPseudarthrosen
werden natürlich zunächst alle jene Ursachen anzuschuldigen sein, die
gemeinhin diese Gelenkbildung am falschen Orte ermöglichen: perfo-
rierende Traumen, die große Stücke aus dem Knochen mit Hinterlassung
zahlreicher Splitterungen an den Bruchenden herausschlagen; Zwischen-
wucherungen bindegewebiger Stränge; vor allem weitergehende Zerstörung
im Periost. Diese letzte Ursache schlägt die Brücke zum Skorbut. Das
Periost kann eben außer durch Traumen und phlegmonöse Prozesse durch
Blutmassen zerstört werden, die sich etwa allein durch den Skorbut ent-
wickeln.
Zusammenfassend darf somit gesagt werden, daß sich — in kriegs-
chirurgischer Betrachtung — auch für die Zustände am Knochensystem
einige differentialdiagnostische Anhalte geben lassen, die den Weg zur ver-
mutlichen Diagnose des Skorbuts andeuten: Stärkere Tendenz zur Se-
questrierung, Neigung zur Pseudarthrosenbildnug, Fehlen oder doch über-
raschendes Hinauszögern der Kallusbildung; alle drei Besonder-
heiten als der Ausdruck der allgemeinen Erschlaf-
fung der regenerativen Tendenzen in dieser Krank-
heit.
Die Verbundenheit des Skorbuts mit den mannigfaltigsten Krank-
heiten macht das Regellose zur Regel und das System zum künstlich
Erzwungenen.
Das widerspenstigste Symptom aber bleibt die Zahnfleischentzün-
dung. Sie kann bestehen und kann fehlen, im Beginne der Krankheit auf-
treten oder am Schluß. Sie kann bei tadellosem Gebiß bis zu fungösen .
Wucherungen ausarten und einen Mund voller Lücken und kariöser Zähne
verschonen. Sie kann schnell vorübergehen, wenn auch in der Regel die
Gingivitis den ganzen Prozeß überdauert. Die vorzügliche Arbeit Z1o-
cistis läßt sich im Rahmen eines Referates nicht wiedergeben, wird
aher jedem Leser auf das angelegentlichste zum Studium empfohlen.
Kriegszahnklinik, September 1917. Oberstabsarzt Doz. Z ilz.
Über die ehirurgische Behandlung der Pseudarthrosen. Von Prof.Sudeck
in Hamburg. Deutsche med. Wochenschrift, Nr. 6, 45. Jahrg. von 1917.
Die allgemein bekannten Ursachen der Pseudarthrosen übergehend,
wendet sich Sudeck in seinem Vortrage den von ihm versuchten Behand-
lungsmethoden zu. Einige schöne Erfolge wurden mit der alten subperi-
ostalen Resektion erzielt. Die vom Periost entblößten Knochenenden
un ur nn REED ne A
Referate und Bücherbesprechungen. 179
werden aus der Wunde herausgehoben, reseziert und vereinigt, darüber
dann das Periost vernäht. Einen größeren Vorzug räumt Sudeck der
periostalen Resektionin situ ein. Hier legt man die Pseud-
arthrose frei bis zu der beabsichtigten Resektionsstelle und resezieri die bei-
den Knochenenden mitsamt der dazwischenliegenden Narbe im Zusammen-
hange in situ, ohne die Knochenenden aus der Knochenwunde herauszuheben.
Nach der Resektion werden die Knochen aneinander genäht, und man hat
die günstigsten Verhältnisse für die Heilung, einen Zustand, genau so, wie
bei einer frischen Knochenfraktur. Die bei erstgenannter Methode bisweilen
vorkommenden Nachteile durch die Nekrosenbildung infolge eingeschlosse-
ner Sequester, die die Operationswunde infizieren und durch die subperiostale
Resektion nicht aufgedeckt werden, lassen sich bei der periostalen Resektion
in situ vermeiden.
Anfrischung mit Transplantation eines gestielten
Periostlappens auf die Knochennahtstelle hat den Vorteil
einer möglichst geringen Verkürzung für sich, steht jedoch an Sicherheit
und Zuverlässigkeit der vorigen Methode nach. Der gestielte Periostlappen
wird vom gesunden Knochen in der Nachbarschaft der Pseudarthrose ent-
nommen, so zwar, daß in der Nähe inserierende Muskeln subperiostal abge-
löst und auf die Nahtstelle verlagert werden. Vollständig im Stiche ließen
die Transplantationen von freien Periostlappen.
Einer besonderen Behandlung bedürfen die Knochendefekte. Da bei der
autoplastischen Überpflanzung freien, lebenden Knochens in der Regel eine
Vermehrung der Festigkeit und Periostwucherung nicht eintritt, so muß
nach Sudeck das Transplantat an und für sich kräftig genug sein, die
neue Funktion auszuhalten. Der Umstand, daß die freie Knochentransplan-
tation durchaus aseptische Wundverhältnisse verlangt und bei den Kriegs-
verletzten häufig in der Tiefe der Wunde latente Infektionskeime um einen
kleinen eingeschlossenen Sequester aufgedeckt werden, wonach diese Opera-
tion unbedingt abgebrochen werden muß oder wenigstens eine andere Me-
thode zu wählen ist, läßt Autor die Heilung größerer Defekte durch Über-
brückung gestielter Periostlappen unbedingt wertvoller erscheinen. So ist
es ihm gelungen, besonders am Kiefer größere Defekte in mehreren Fällen
auf diese Weise zu heilen. |
Die sichersten Resultate gab Sudeck die Resektion in situ, allerdings
aber auch beträchtliche Verkürzungen. Nach seinen bisherigen Beobachtun-
gen ist die Anpassungsfähigkeit der Muskeln an den verkürzten Zustand
erstaunlich. Nach seiner Meinung läßt sich mit dieser Methode der Resek-
tion in situ mehr erreichen als mit der freien, autoplastischen Knochen-
transplantation und ist zu Gunsten einer sicheren und festen Knochenver-
einigung- die größere Verkürzung in Kauf zu nehmen. Die Mißerfolge auf
diesem Gebiete seien zu erklären in der:
1. Wundinfektion infolge Ungunst des Materials
und
2. in der mangelnden Entschlossenheit in der
Durehführung der obenerwähnten allgemeinen For-
derungen.
Kriegszahnklinik, Juni 1917. Zilz.
180 Referate und Bücherbesprechungen.
Die Bestimmung der Lage und Wirkung von Steckschüssen mittelst der
Röntgenstrahlen. Von E.Grunmach. D. med. Wochenschr., 43. Jahrg.,
Nr.15 vom 12. April 1917.
Das Röntgenverfahren zeigt sich zur Fremdkörperlokalisation im
jetzigen Kriege sehr erfolgreich, sowohl zur Lagebestimmung der in den
Knochen und Weichteilen steckenden Geschosse als auch zur Ausführung
der notwendigen Operationen. Zur genaueren Durchführung dieser Lokali-
sation gibt Grunmach einen Universal-Präzisionsapparat*) an, der den
durch Pelotten fixierten Patienten in verschiedener Lage und Stellung ganz
besonders bei Drehung um die Längsachse in beliebigem Durchmesser bei
Zentral- und Parallelprojektion der Körperteile zu untersuchen gestattet.
Zur Orientierung wird wohl stets die einfache wie die Stereo-Aktino-
graphie herangezogen. Einige Krankengeschichten zeigen die genaue Loka-
lisation solcher Fremdkörper. Die Röntgenstrahlen sind demnach den alten
Untersuchungsmethoden bedeutend überlegen. Bei steckenden Geschossen
ist die Beurteilung besonders wichtig wegen Rentenansprüchen bei Organ-
verletzungen.
Kriegszahnklinik, Juli 1917. Zilz.
Les Cliniques dentaires dans l’armee. (Die Zahnkliniken bei der Schweizer
Armee.) Revue trimestrielle suisse d’Odontolögie, Vol. XXVI, Nr. 4, 1916.
Die zahnärztliche Behandlung der Soldaten des Schweizer Heeres
war vor dem Kriege eine untergeordnete. Die Militärärzte der Truppen
behandelten die Zähne der Soldaten und die Behandlung bestand meist in
der Extraktion des schmerzenden Zahnes. In den Rekrutenschulen wurde
der Pflege des Gebisses schon eine erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet
und die regelmäßige Inspizierung und Behandlung der Zähne war einem
Zivilzahnarzte anvertraut. Seit dem Kriege wuchs die Erkenntnis von dem
Werte eines gesunden Gebisses für den Mann und die damit eng verbundene
körperliche Leistungsfähigkeit und Diensttauglichkeit und man ging
daran, die zahnärztliche Behandlung des Soldaten zu organisieren. In Gar-
nisonen, wie Z. B. auf dem St. Gotthard, konnte die Mannschaft ohneweiters
zahnärztlicher Behandlung zugeführt werden, schon schwieriger war die
Sache bei den mobilen Truppen, und man suchte diesem Übelstande auf ver-
schiedene Weise abzuhelfen, sei es durch Kontrakte mit Zivilzahnärzten,
sei es, daß man Zahnärzte ausfindig machte, die militärischen Rang hatten.
Da sich all das aber als unzulänglich erwies, ging man daran, versuchsweise
Zahnkliniken den Etappenlazaretten anzugliedern und begann mit zweien,
dem von Olten und Soleure. Durch die daselbst gemachten Erfah-
rungen angeregt, wurde vom Sanitätschef der Schweizer Armee der Vor-
schlag gemacht, den zahnärztlichen Dienst in der Armee zu reorganisieren
und einheitlich auszugestalten. Der Vorschlag umfaßte weiters die Schöp-
fung eines militärzahnärztlichen Korps, dessen Mitglieder nach Absol-
vierung der vorgeschriebenen Kurse den Rang eines Sanitätsoffiziers
(officier sanitaire) erhalten sollten. Die Tätigkeit dieser Regimentszahn-
ärzte (dentistes de regiment) besteht in Extraktion der für die Konser-
1) Die Abbildung und Beschreibung dieses Apparates befindet sich in der
„Diagnostik mittelst Röntgenstrahlen“ von Grunmach, Leipzig 1914.
nn a a SE
Referate und Bücherbesprechungen. 181
vierung ungeeigneten Zähne und im Herstellen ganz einfacher, aber dauer-
hafter Füllungen. Jede Division erhält eine Divisionszahnklinik (clinique
dentaire de division), in welcher Prothesen angefertigt werden, dort sind
-auch Zahntechniker eingeteilt. Dieses System hat den Vorteil, daß die zahn-
ersatzbedürftigen Soldaten bei ihrem Korps bleiben und nach Herstellung
einer Prothese sofort wieder ihrem Truppenkörper überstellt werden können.
Dadurch entfällt eine oft langdauernde Beurlaubung des Soldaten, denn
der Zeitraum von der Extraktion bis zur völligen Ausheilung des Kiefers
beträgt oft viele Monate. |
Diese Neuorganisierung der Armee auf zahnärztlichem Gebiete ist
nur für die Zeit des Krieges vorgesehen, im Frieden wird die große Menge
der Zahnleidenden an verschiedenen Stellen aufgeteilt werden und das
Material wird dem Studium der Militärzahnärzte vorbehalten. Diese müssen
in der Prothetik, der Kieferbruchbehandlung und in der Mundchirurgie
bewandert sein. Wegen der großen Tragweite und Bedeutsamkeit dieser
Organisation hat der Armeesanitätschef im Februar 1916 eine Anzahl
von Zahnärzten in Spezialkurse berufen, die in Zürich stattfanden. Die
Schweizerische Bundesverwaltung hat die nötigen Geldmittel zur Entsen-
dung einer Kommission von Schweizer Zahnärzten zur Besichtigung der
spezialistischen Kieferstationen bei den einzelnen Kriegführenden bewilligt.
Die Neuaufstellung von Zahnkliniken und die Aktivierung eines Korps
von Militärzahnärzten hat sich bei der großen Bedeutung dieses Zweiges
der Medizin als eine Notwendigkeit erwiesen, aus welcher der Armee der
größte Nutzen erwachsen würde.
Kriegszahnklinik, Juli 1917. Zilz.
Six semaines d'études a la Clinique stomatologique de Hospital militaire
du Val-de-Grâce à Paris. (Sechs Wochen Studium an der Klinik für
Mundchirurgie des Militärspitales Val-de-Gräce in Paris.) Vortrag, gehal-
ten von M. E. Comte, Orthodontist, in der „Société de Chirurgie den-
taire de Genève“ am 4. Dezember 1916. Revue trimestrielle suisse
d’Odontologie, Vol. XXVI, Nr. 4, 1916.
Der von dem Orthodontisten M. E. Comte unter obigem Titel
gehaltene Vortrag bildet einen wertvollen Beitrag zur Therapie der Kiefer-
verletzungen in Feindesland und enthält eine ausführliche Beschreibung
der im Militärspitale von Val-de-Gräce üblichen und daselbst mit Erfolg
angewendeten Behandlungsmethoden der Kieferschußverletzungen. Ver-
fasser schildert uns in einer kurzen Einleitung die Entstehung des Militär-
spitales Val-de-Gräce.
Das Militärspital Val-de-Gräce, ein vormaliges Kloster aus dem
Jahre 1645, wurde auf Befehl der Königin Anna von Österreich, der Mutter
Ludwigs XIV., nach einem Plane von Mausard erbaut; nach der französi-
schen Revolution wurde es von Napoleon in ein Spital umgewandelt, seit-
dem ist es durch eine Anzahl von neuen Baulichkeiten wesentlich ver-
größert worden. Die stomatologische Abteilung in Val-de-Gräce untersteht
dem Stabsarzte Dr. Frey, welcher dieselbe, unterstützt von einem Stabe
von zwölf Operateuren, mit seltener Umsicht leitet. Gleichzeitig hatte
Verfasser Gelegenheit, andere Pflegestätten der Zahnheilkunde kennen zu
lernen; so erwähnt er die Ecole dentaire, die Ambulance americaine,
l'Hospital Michelet und l’Hospital canadien.
182 Referate und Bücherbesprechungen.
Im Kapitel „Generalites“ teilt Verfasser die Kieferverletzten ein in
frische Verletzungen und Verletzungen älteren Datums. Die Behandlung
der ersten Kategorie ist die einfachere und zeitigt viel bessere Resultate
als jene alter Verwundungen. Die Reposition der Bruchstücke kann so-
gleich erfolgen, ihre Fixation geschieht durch eine Schiene. Verwundete
älteren Datums kommen häufig mit vernarbten Wunden an, die Behand-
lung ist daher eine viel langwierigere, die Narbenzüge und Verwachsungen
behindern die Reposition der Fragmente und diese selbst kann nur mit
Hilfe von sehr stark wirkenden Apparaten bewerkstelligt werden. Die
Apparatur der Kieferbrüche besteht in Drahtverbänden, gestanzten oder
gegossenen Schienen und Kautschukschienen.
In Val-de-Grâce werden hauptsächlich Drahtverbände verwendet,
in der Ambulance americaine gestanzte Schienen und in der Ecole dentaire
Schienen aus Silber.
Die unter dem Namen „Appareils de restauration maxillo-faciale“
und „Apparails tuteurs pous Autoplasties“ beschriebenen Behelfe bei
den diversen Plastiken im Bereiche des Gesichtes sind uns bekannt. Ver-
fasser beschreibt einen von M. Ruppe erfundenen Apparat, der verstell-
bar ist und für jeden beliebigen Fall von Gesichtsplastik verwendet werden
kann. Derselbe besteht aus zwei auf den Zähnen fixierten gegossenen
Schienen, die durch einen horizontal verlaufenden, abnehmbaren Barren
verbunden sind, welcher 2 vertikale und 2 horizontale sehr kurze Hülsen
trägt, ferner aus einem Walle mit zwei für die horizontalen Hülsen bestimm-
ten Stiften für die Lippen und zwei für die vertikalen Hülsen bestimmten
Stiften für das Kinn. Während der Operation sind diese Unterlagen in der
gewünschten Distanz fixiert. Im Oberkiefer sind die vertikalen Hülsen ganz
kurz und auf dem Barren ist ein Stützgerüst für die Nase angebracht.
Wenn die Plastiklappen eingeheilt sind, kann derselbe Apparat auch zur
Narbendehnung verwendet werden. Für das Kinn verwendet man eine Form
aus Zinn, die durch ihr eigenes Gewicht wirkt. Dadurch entsteht der große
Vorteil, den Apparat nicht abnehmen zu müssen und eine andere Vorrich-
tung zu konstruieren, was viel Zeit und Mühe erfordern würde. Dieser
Apparat läßt sich jedem einzelnen Fall adaptieren, sein Hauptprinzip be-
steht in der Möglichkeit, alle Teile verschieben zu können.
Das Kapitel „Trismus‘ handelt von den Apparaten und Vorrichtun-
gen zur Behebung der Kieferklemme. Interessant ist die von Dr. K o-
nindjy mit Erfolg angewendete physiotherapeutische Behandlung der
Kieferklemme bei Kranken, die von ihm mit dem Namen „reeduques spas-
modiques‘“ bezeichnet werden. |
Im Kapitel „Greffe cartilagineuse‘ berichtet Verfasser über die guten
Resultate der Knorpeltransplantation. Dr. Morestin vom Val-de-
Gräce wendet dieselbe in schweren Fällen an Stelle der Knochentransplan-
tation an. Das Transplantat, das meist von den Rippenknerpeln genom-
men wird, resorbiert sich nur schwer. Dr. Morestin bedient sich dieser
Methode, um dem weichen Gewebe eine Unterlage zu geben, z. B. um eine
eingezogene Narbe zu beheben, um die Form der Wange oder Lippe
wiederherzustellen, um einen Defekt am Schädelknochen zu schließen, selbst
zur Wiederherstellung des Unterkiefers, in welchem Falle der Knorpel an-
statt des Knochens verwendet wird. Verfasser ist der Ansicht, daß die
Referate und Bücherbesprechungen. 183
STE Dal von viel besserem Erfolge begleitet ist als die Knochen-
plastik.
Eine, meines Wissens auch bei uns nicht bekannte, vom Verfasser
sehr gepriesene Methode ist das schichtenweise Abtragen der wulstigen
Narben mit einer Ebonitfraise (Rabotage des cicatrices). Dieses Verfahren
ist eine Erfindung des schon an anderer Stelle erwähnten Dr. Konindjy
und wird im Val-de-Gräce häufig und mit gutem Erfolge angewendet.
Der letzte Abschnitt ist der Faradisation gewidmet.
Der Vortrag bietet an der Hand guter und recht interessanter Abbil-
dungen manches Interessante und führt uns in anschaulicher Weise die
Tätigkeit der französischen Zahnärzte vor Augen, was jedoch in gegen-
wärtiger Zeit für uns noch neu ist.
Kriegszahnklinik, Juli 1917. Zilz.
Die überzähligen oberen Inzisivi des Menschen. Von L. Bolk, Amsterdam.
D. M. f. Z., H.4, April 1917.
Bezüglich der Deutung der überzähligen Zähne stehen noch immer
ziemlich unvermittelt jene Ansichten entgegen, von denen die eine alle
solche Bildungen als Atavismen, die andere als reine Zufallsbildungen an-
sieht, während eine dritte in manchen Fällen Atavismen, in den meisten
dagegen bedeutungslose Varietäten sieht. Für die Varietäten im Bereiche
der oberen Schneidezähne versucht nun Bolk in der vorliegenden Arbeit
die geltenden Gesetzmäßigkeiten ausfindig zu machen. Vor allem bemer-
kenswert ist dieser Versuch schon aus dem einen Grunde, weil Bolk hier
wiederum ein ganz besonders reiches Material zur Verfügung stand, das er
überdies vollzählig abbildet.
Zunächst ist es wichtig festzustellen, welches die ursprüngliche Zahl
der Schneidezähne der Säuger war. Bolk zählt deren drei, welche Zahl
ja auch für die Plazentalier als Maximalzahl gilt. Der Befund von fünf
Schneidezähnen bei Beutlern, der als maßgebend für die Säugerahnen
zitiert wird, erklärt sich nach der Meinung Bolks daraus, daß hier Zähne
beider Generatienen gleichzeitig funktionieren. (Die diesbezügliche Arbeit
Bolks wurde im dieser Zeitschrift ausführlich besprochen.) So wäre also
beim Menschen natürlich nur ein Schneidezahn jederseits verloren ge-
gangen. Die Frage nach der Lokalisation dieses Zahnes beantwortet sich
nach Bolk aus dem Umstande, daß sich einer der anomalen Zähne in der
Inzisivengegend „durch seine Form und sein weiteres Betragen“ durchschnitt-
lich von den übrigen unterscheidet. Es ist jener, der in typischen Fällen knapp
neben der Medianebene zur Anlage kommt, dem Bolk daher den Namen
Mcesiodens gibt. Der Mesiodens ist im allgemeinen ein Kegelzahn, der
bei besonders kräftiger Ausbildung dütenförmige oder mehrspitzige Kronen
zeigen kann, ja sogar in zwei Zähnchen sekundär zerlegt sein kann; nie-
mals zeigt er die typische Schneidezahnform. Er liegt zumeist hinter der
Zahnreihe, kann jedoch auch in diese verlagert sein, wobei es aber als
charakteristisch gelten kann, daß dadurch die Anordnung der Inzisivi schwer
gestört wird.
Die zweite Gruppe überzähliger Schneidezähne unterscheidet sich ge-
rade in bezug auf den letzten Punkt von Mesiodens. Hier ist der überzählige
Zahn gewöhnlich der Reike ohne jede Störung des Zahnbogens eingeordnet.
184 Referate und Bücherbesprechungen.
Seine Form kann entweder die eines normalen Schneidezahnes sein, so daß
man tatsächlich von einer Verdopplung des I» reden kann, oder — und
diese beiden Extreme sind durch alle Übergänge verbunden — es finden sich
an der Stelle des lateralen Schneidezahnes zwei rudimentäre Kegelzähnchen.
Bolk vertritt nun die Ansicht, daß man bei den letzteren Varietäten nicht
eigentlich von einem überzähligen Elemente sprechen kann, „sondern daß
hier immer zwei Zähne zusammen die Stelle eines einzigen vertreten“. Zu
dieser Ansicht kommt B o 1k vor allem durch das Studium solcher Fälle, in
denen auf der einen Seite ein „Doppelzahn‘“, auf der anderen jedoch eine
unvollständige, oft nur angedeutete Spaltung eines Schneidezahnes vorliegt.
Solche Fälle sowohl am medialen als am lateralen Inzisivus sind ja genügend
bekannt.
Im Gegensatz zu dem als Atavismus zu deutenden Auftreten des
Mesiodens sind die anderen Fälle als schizogene Variationen, als Spalt-
bildungen eines Zahnes aufzufassen. Zur Erklärung des Zustandekommens
dieser Spaltungen greift Bolk wieder auf seine Theorie der: Entstehung
des Säugerzahnes zurück. Dessen Keim enthält die Potenz zur Bildung
zweier, dreizackigen Reptilienzähnen homologer Anteile, eines bukkalen
Protomers, eines lingualen Deuteromers (Dimertheorie). An den mensch-
lichen Schneidezähnen zeigen sich diese drei bukkalen Höcker noch an der
Schneidekante in Form der bekannten Zackenbildung, doch ist — besonders
am lateralen Inzisivus — die mittlere Zacke rudimentär. Aus dem gänz-
lichen Fehlen dieser Mittelzacke und des ihr entsprechenden Kronen-W urzel-
teiles erklärt Bolk nun die Spaltung des Schneidezahnes. Eine andere
Möglichkeit zur Entstehung eines überzähligen Schneidezahnes als die
1. durch das Auftreten des Mesiodens und 2.durch die Spaltung in einen
mesialen und einen distalen Anteil gegebenen, wäre 3. die Spaltung in einen
bukkalen und einen lingualen Anteil, d.h. in das Protomer und das Deute-
romer. Da letzteres durch das Tuberculum dentale manifestiert wird, bedeutet
dies also eine Abtrennung dieses hypertrophierten Höckerchens vom Zahne.
Übergroße Tubercula dentalia sind ja öfters beschrieben worden. Doch kann
Bolk für diese letztere Gruppe keinen einwandfreien Fall beibringen.
Der Versuch einer Deutung und Klassifizierung der überzähligen
oberen Schneidezähne, den Bolk hier bringt, ist eine durchaus originelle
und dabei höchst einfache Lösung dieser Frage. Er wird jedenfalls auch zu
einer erneuten Durchsicht der hierhergehörigen Fälle anregen, was eine
äußerst erwünschte Bereicherung des Bolkschen Materials er une
icher.
01-410 +: - ———
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cile., Wien, III., Mühzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ % die wissenschaflichen Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
XVI. Jahrgang.
Juli 1918. | 7. Heft.
Nachdruck verboten.
Original-Arbeiten.
Ein Fall von isolierter Nekrose und Sequestration
der Alveole eines kleinen Schneidezahnes in ge-
schlossener Zahnreihe.
Vor k.u.k. Oberstabsarzt Prof. Dr. Rudolf Weiser, Chef der chirurgisch-
prothetischen Abteilung, und Dr. Fritz Pordes, Vorstand des Röntgen-
institutes am k.u.k. Reservespital Nr.17 in Wien.
(Mit 5 Figuren.)
Nekrosen an den Kieferknochen können bekanntlich — nebst den
Ursachen, die Nekrosen auch an allen Teilen des Organismus zu setzen
pflegen — noch aus einer Anzahl spezieller Ursachen entstehen. Als in
früheren Zeiten häufigste und darum meist genannte mag die Phosphor-
nekrose der Mandibula zunächst angeführt sein.
Eine weitere Ursache häufiger Nekrosen des Processus alveolaris ist
die arsenige Säure, das allgemein verwendete Devitalisierungsmittel. Ver-
einzelte Nekrosen medikamentösen Ursprunges kommen nach subgingivalen
Injektionen vor. Auch beobachteten wir eine ausgedehnte Nekrose des
(Graumendaches, bei der allerdings post festum nicht mehr feststellbar war,
ob es sich um eine selten schwere Gefäßschädigung durch das injizierte
Adrenalin oder um eine Verwechslung von Medikamenten gehandelt hatte.
Nicht ganz selten setzt auch das als Pulpkanal-Desinfiziens verwendete
Formalin mehr oder minder ausgedehnte Nekrosen.
Bei dem hier darzustellenden Falle ist erst in zweiter Linie die --
allerdings unsicher bleibende — Ätiologie, vor allem jedoch die seltsame,
sit venia verbo „schöne“ röntgenographische Morphe und der dem Röntgen-
beiunde völlig adäquate Operationsbefund das Interessierende.
L.S., 24 Jahre alt. Vielfach behandeltes Gebiß. 2] Richmondkrone.
1| devitalisiert und wurzelgefüllt. 2 1) tragen miteinander verlötete Rich-
mondkronen. Entsprechend der Mitte des Jugum alveolare der Wurzel
des 2| ein linsengroßer, flacher, Schleimhaut und Periost durchsetzender,
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 13
au. ee E S
186 Rudolf Weiser und Fritz Pordes.
scharf begrenzter Defekt, auf dessen Grunde die entsprechende Partie des
Jugum alveolare als Sequester freiliegt.
Wiewohl dieser Befund zu der Hoffnung berechtigt hätte, daß es sich
in diesem Falle vielleicht um eine ganz zirkumskripte Nekrose infolge
eines Traumas, etwa einer mißglückten therapeutischen Maßnahme (Igni-
Fig.1.
SSS
b)
Kombinationsskizze der Röntgenanalyse (Diagnostogramm) von 2l, 1l und E
Die unten stehenden Ziffern bezeichnen den Zahn.
Orientierungsziffern in der Skizze: 1 Foramen incisivum. 2 Sutura mediana palati. 3 ver-
schiedenes Füllungsmaterial am l. 4 Wurzelfüllung. 5 hanfkorngroßer, scharf begrenzter
periapikaler Resorptionsherd. 6 miteinander verlötete Richmondkronen des 1] und 2].
7 Stift, mesial exzentrisch. 8 Wurzelfüllung. 9 Arrosionen am Apex des 1]. 10 mäßig scharf
begrenzter linsengroßer periapikaler Resorptionsherd am 1|. 11 Stift. 12 Wurzelfüllung in
2 Etagen gelegt. 13 normale Alveolarkompakta. 14 ein 2mm breiter Streifen resorbierter
Alveole.
Die mesiale 2| Alveolarkompakta leicht aufgefasert. Die distale 1| Alveole knapp oberhalb
Fi des Limbus verdünnt (eröffnet?). >
punktur, Ätzschorf durch konzentrierte Karbolsäure, Trichloressigsänre
u. dgl. m.) handelt und somit der pathologische Zustand einfach durch Ab-
hebelung einer nekrotischen Lamelle, Mobilisierung und Naht der benach-
barten Schleimhaut und Beinhaut zu beheben gewesen wäre, wurde doch
zur Sicherheit und zur Vervollständigung der Ätiologie der Fall der rönt-
genologischen Analyse zugeführt.
Ein Fall von isolierter Nekrose und Sequestration der Alveole etc. 187
Die weitere Anamnese kann, da Patient wiederholt in verschiedener
zahnärztlicher Behandlung stand, nicht klar genug festgestellt werden.
Namentlich bleibt die Frage, ob der Zahn vom Zahnarzt devitalisiert
wurde oder an Pulpitis gangraenosa e carie penetrante gelitten hatte,
unbeantwortet.
Der Röntgenbefund ergibt (s. Fig. 1): |I zu vier Fünfteln mit
schwerem Material gefüllter Pulpakanal. Periapikal ein hanfkorngroßer,
kugelrunder, gut begrenzter Resorptionsherd. 1| Richmondkrone mit dem
gekrönten 2| zu einer zweizähnigen Brücke verbunden. Mäßig langer,
leicht mesial deviierter Stift. Pulpkanal bis über die Hälfte hinauf er-
weitert und gefüllt. Der Apex arrodiert. Periapikal ein linsengroßer,
ziemlich gut begrenzter, runder Resorptionsherd.
Fig.2. Fig. 8.
NUN
ai f
T T D
2| Richmondkrone mit mäßig langem, abgerundetem, gut stehendem
Stift ausgestattet. Der Pulpkanal ist zu neun Zehnteln stark erweitert, die
Radix zu einer dünnen, an den Mantel eines Spitzgeschosses erinnernden
Schale ausgehöhlt, die Höhlung (mit Guttapercha) gefüllt.
Um die Wurzel zieht sich der normal breite Periodontalraum, auf
den die distal und periapikal röntgenologisch voll-
kommene, nur gegen den mesialen Limbus etwas aufgefaserte Alveolar-
kompakta folgt. Jenseits der Alveolarkompakta folgt ein Streifen von
l!/.—2 mm Breite, in dem die Alveolarspongiosa vollständig fehlt. In
der angegebenen Distanz beginnt — ohne reaktive Kompaktabildung, ohne
Randsklerose, kurz ohne jegliches reparatives oder sonst entzündliches
Symptom — die normale Spongiosatextur, so daß die freien Enden der
Spongiosabälkchen gegen den Resorptionsstreifen vorragen.
13*
188 Rudolf Weiser und Fritz Pordes.
Der Resorptionsstreifen ist knapp oberhalb des mesialen Alveolar-
limbus am breitesten und verdünnt sogar etwa 2 mm oberhalb desselben die
Alveolarkompakta des 1| an einer Stelle. Diese gewinnt jedoch bis zum
Limbus» wieder ihre normale Breite und Textur.
3] röntgenologisch normal.
Ein vorsichtiger Versuch, den oben beschriebenen linsengroßen Schleim-
haut- und Periostdefekt durch einen 2 mm langen vertikalen Schnitt nach
aufwärts zu vergrößern und die zutage liegende sequestrierte Partie des
Jugum alveolare abzuhebeln, wurde als aussichtslos sofort wieder eingestellt.
Vielmehr schritt man am 9. Dezember 1917, nachdem schon der röntgeno-
logische Befund der periapikalen Verhältnisse des rechten oberen mittleren
Schneidezahnes (1|) eine Wurzelspitzenresektion als indiziert erscheinen
ließen, um so lieber zur operativen Behandlung, in diesem Falle sozusagen
zur Autopsia in vivo der klinisch rätselhaften Wurzel des seitlichen
rechten oberen Schneidezahnes (2]), zumal auf diese Weise sich beide Ein-
griffe zu einem Akte verbinden ließen. Es wurde somit ohne Rücksicht
auf den linsengroßen Substanzverlust in der Mitte des Jugum alveolare des
seitlichen Schneidezahnes der typische flache Bogenschnitt von der Höhe
der Wurzelspitze des rechten oberen Eckzahnes ohne Schonung des Lippen-
bändchens bis zur Höhe der Spitze des linken oberen Schneidezahnes durch
Schleimhaut und Periost geführt; hierauf erfolgte die Abhebelung der
Weichteile von der Kortikalis des Alveolarfortsatzes und nun stellte sich
sofort ein überraschendes Bild ein:
Die Alveole des seitlichen Schneidezahnes lag in ihrer Gänze, das
heißt bis zur Wurzelspitze hinauf, in Form und Struktur als eine an einen
Auerlichtstrumpf erinnernde Schale über der Wurzel des seitlichen Schneide-
zahues klar zutage (Fig. 2) und war beim Einsetzen einer starren Sonde in
eine Masche des Strumpfes deutlich in einer Elongation von etwa 2 mm
nach auf- und abwärts verschieblich. Dieser dem Operateur bisher noch
nicht untergekommene autoptische Befund gewann an Interesse noch mehr,
als die in der Höhe der Wurzelspitze beginnende Kortikalis des Os maxillare
auch noch auf etwa 3mm nekrotisch war. Der Operateur umschrieb durch
eine Serie von kleinen Löchern (s. Fig. 3), die mit einem feinen Rosen-
bohrer an der Grenze gegen die gesunde Kortikalis gebohrt und hierauf
mit einem schlanken Fissurenbohrer untereinander verbunden wurden, die
abgestorbene Partie des Knochens, worauf es ein Leichtes war, die vordere
Wand eines von Granulationen ausgefüllten Hohlraumes in der Spongiosa
abzuhebeln. Nach dieser Vorbereitung gelang es überraschenderweise, den
in Fig.4 abgebildeten mantelförmigen Sequester der Schneidezahnalveole
so vollständig von der entsprechenden Wurzel abzustreifen (Fig. 5). so daß
das Präparat — mit Ausnahme cines kleinen Schlitzes an der vom Beschaucer
Ein Fall von isolierter Nekrose und Sequestration der Alveole etc. 189
abgewandten Seite — unversehrt auf den zahnärztlichen Instrumententisch
gelegt werden konnte. Auf diese Phase der Operation folgte die Resektion
eines — gegenüber der Norm — etwas größeren Stückes Wurzel, was aber
dank dem Umstande, daß genügend Periost und Schleimhaut zur Be-
deckung des Wurzelrestes vorhanden und daß der gekrönte seitliche
Schneidezahn, wie oben beschrieben, durch eine kleine Brücke mit der
krätigen Wurzel des mittleren Schneidezahnes verbunden war, weiterhin
zu keiner Besorgnis erregenden Lockerung der Krone des seitlichen Schneide-
zahnes führte. — Den Schluß des operativen Eingriffes bildete die Resektion
eines 2 mm langen Stückes Wurzelspitze des mittleren Schneidezahnes, die
ganz typisch verlief und insoferne auch von einem besonders schönen Erfolg
gekrönt war, als es in diesem Falle gelang, mit dem resezierten Wurzel-
spitzchen gleichzeitig den daran festhaftenden Abszeßsack in toto zu ex-
trahieren.
Es handelt sich demnach um isolierte Nekrose der Alveole des rechten
oberen seitlichen Schneidezahnes (2|) ohne Zeichen von reaktiven oder
reparativen Prozessen von seiten des umliegenden (Gewebes.
Die röntgenographische Morphe schließt entschieden einen meta-
statischen osteomyelitischen oder sonst allgemeinen, d. h. dyskrasischen
Prozeß aus; vielmehr deutet alles auf eine lokale Noxe, am wahrschein-
lichsten arsenige Säure, an zweiter Stelle Formaldehyd.
190 H. Pichler.
Unterkieferresektion wegen Progenie. ')
Von Dr. H. Pichler.
Die Progenie ist eine typische, keineswegs seltene Anomalie (nach
Kantorowiez 1!/% aller Menschen), welche im wesentlichen in einer
abnermen Länge des horizontalen Unterkieferastes besteht. Sie ist ohne
Zweifel in hohem Maße erblich. Während in einfachen Fällen von Angles
Ci. III der Okklusionsanomalien eine deutliche Anpassung der schlecht
gestellten Zahnreihen aneinander zu bemerken ist, welche noch zur Ent-
wicklung eines relativ brauchbaren Gebisses führt, ist in hochgradigen
Fällen von Progenie das Wachstum des Unterkiefers gewissermaßen
schrankenlos, so daß die Zahnreihen schließlich den Kontakt miteinander
fas, ganz verlieren. Während erstere Fälle sich noch relativ ungezwungen
so wie andere Stellungsanomalien aus mechanischen Momenten erklären
lassen, scheint bei den letzteren ein besonders pathologisches Moment mit-
zuspielen oder zu überwiegen, das wir nicht genügend kennen. Die ortho-
dontische Therapie kann bei schwach ausgebildeten Fällen vollen Erfolg
erzielen, namentlich dann, wenn sie schon prophylaktisch bei den ersten
Anzeichen der Anomalie einsetzt. In hochgradig ausgebildeten Fällen ist
es evident, daß nur eine chirurgische Verkleinerung der Mandibula von
Erfolg sein kann, wie das bekanntlich Angle schon hervorgehoben hat.
Die große Entstellung des Gesichtes und die hochgradige Störung der
Kaufunktion verlangen bisweilen gebieterisch nach Abhilfe.
So war es bei einem 2ljährigen Studenten; seine unteren Schneide-
zähne standen 1'/»cın vor den oberen, die Zahnreihen trafen überhaupt
nicht aufeinander, nur ein mesialer Höcker von 7J streifte beim Kiefer-
schluß eben noch die distale Fläche des 8], die anderen Molaren am Unter-
kiefer waren durch voreilige Extrakiionen verloren gegangen, so daß iede
Kautätigkeit unmöglich wurde und Ernährung und Gesundheit des Patien-
ten wesentlich litten.
Nach Besprechung mit Prof. W eiser, dem Autor die Zuweisung des
Patienten verdankt, ging er folgendermaßen vor:
Zusammenstellung der Gipsmodelle in der besten erreichbaren Ok-
klusion, darnach Herstellen einer Kautschuk-Scharnierschiene für die
untere Zahnreihe; ein schwalbenschwanzförmiger Fortsatz derselben paf
in eine Kavität einer auf den defekten | aufgebauten Krone und war
durch eine Querschraube daran sicher zu befestigen. Auf der anderen Seite
Verbindung der Schiene mit dem Öberkiefer durch eine Schrödersche
Grleitschiene. Der weibliche Teil derselben war an einen Drahtbogen ge-
1) Vortrag, gehalten in der k k. Gesellschaft. der Ärzte in Wien am 3. Mai
1915 und Diskussionsbemerkung von Oberstabsarzt Professor Dr. Rudolf W eiser
Unterkieferresektion wegen Progenie. | 191
lötet und wurde schon vor der Operation mit Bändern und Drahtligaturen
au der oberen Zahnreihe befestigt, ebenso die Krone von 5| festzementiert;
die untere Scharnierschiene wurde erst nach der Resektion aufgesetzt und
mit gj verbunden.
Um die genaue Größe der Knochenstücke bestimmen zu können,
welche herausgesägt werden sollten, wurde die Resektion zuerst versuchs-
weise an einem Leichenknochen ausgeführt, auf den das Gipsmodell der
unteren Zahnreihe in natürlicher Lage aufgekittet war. Der Schnitt wurde
nicht gerade geführt, sondern in .einem nach vorne offenen Winkel, so
daß am hinteren Fragment eine knöcherne Zacke stehen blieb, die sich
dem unteren Rand des vorderen Fragmentes anlegen und verhindern sollte,
daß das distale Fragment durch die Kaumuskeln hochgezogen würde. Durch
die genaue Messung der entfernten Stücke und die nötigen kleinen Kor-
rekturen wurden zwei Blechschablonen gewonnenn, welche bei der Ops-
ration an der äußeren Unterkieferfläche aufgelegt, die nötigen Schnitt-
linien genau anzeigten. Links war ein Stück von 10 mm Breite zwischen
8] und 5| zu entfernen, rechts ein Keil mit der schmalen Seite am unteren
Kieferrand aus der Gegend der fehlenden Mahlzähne von einer durch-
schnittlichen Breite von 16 mm. Da der Schnitt in den Bereich von 5f ge-
fallen wäre, wurde dieser Zahn schon vier Monate vor der Operation
entfernt.
Die Resektion wurde am 14. Juli 1916 in Leitungsanästhesie aus-
geführt und verlief vollkommen programmgemäß. Die Durchtrennung des
Knochens konnte mit der Giglisäge subperiostal ohne Eröffnung der Mund-
höhle ausgeführt werden. Die Adaptierung der Sägeflächen war ohne jede
nachträgliche Korrektur nach Einsetzen der Retentionsschiene eine ideale.
Um auf der linken Seite zu verhindern, daß etwa der Fortsatz des hinteren
Fragmentes am vorderen vorbeirutsche, wurde hier eine Drahtnaht hinzu-
gefügt. Die Kiefer wurden nach der Operation für 19 Tage durch Draht-
ligaturen miteinander verschnürt. Auf der linken Seite nach 8 Wochen
klinisch völlige Festigkeit, auf der rechten Seite geringe federnde Be-
weglichkeit, welche erst 10 Monate später völlig behoben war, nachdem
der 8], der um die abgeknickte Wurzelspitze ein kleines Granulom zeigte,
entfernt worden war. Dann Ersatz der fehlenden unteren Zähne durch
eine Prothese. Tadellose Okklusion, nur die 4] erreichen ihre Antagonisten
nicht ganz, sie sind zirka lınm zu kurz. Ausgezeichnete Kaufunktion,
Behebung der Entstellung. Der Patient wurde am 15. Februar 1918 in der
k. k. Gesellschaft der Ärzte kurz vorgestellt, weil er ins Feld abgehen
mußte.
Wesentlich für den Enderfolg und zum Teil neu waren:
192 H. Pichler. Unterkieferresektion wegen Progenie.
1. Die genaue Vorausbestimmung des Operationsplanes und die ziel-
bewußte zahnärztliche Vorbereitung der Fixationsschiene;
2. die ganz extraorale, subperiostale Ausführung der Resektion.
3. die treppenförmige Durchsägung des Knochens.
Erschwerend: Das Fehlen von Zähnen hinter der Resektionsstelle
auf der linken Seite und die chronische Entzündung um die Wurzelspitze
von 8|. Die letztere war auch die Ursache der einseitig verzögerten Heilung.
Es handelt sich um eine typische Operation einer typischen Ano-
malie, welche auf Grund der großen Fortschritte in der Behandlung der
Kieferbrüche heute mit großer Wahrscheinlichkeit des Gelingens emp-
fchlen werden kann, wenn Chirurg und Zahnarzt entsprechend zusammen-
arbeiten.
Diskussion: Weiser: Meine Herren! Ich erbitte mir Ihre
Aufmerksamkeit für einige Erläuterungen, welche notwendig sind, wenn
dem von Herrn Pichler erzielten glänzenden Erfolge in seinem nicht
nur vom kosmetischen, sondern auch vom funktionellen Standpunkte aus
nach Abhilfe schreienden Falle von Progenie (Malokklusion III. Klasse
nach dem Orthodontisten Dr. Eduard Angle) die verdiente Wertung zu-
teil werden soll. Die in Rede stehende Mißbildung gehört nicht gerade
zu den großen Seltenheiten und die Orthodontie führt, wie Herr Pichler
erwähnt hat, mit mehr oder weniger Glück leichtere Grade der Pro-
genie der unblutigen Behandlung zu; hat man sich dagegen in der
Literatur umgesehen, wie es bisher mit der blutigen, chirurgisch-
zahnärztlichen Therapie von Fällen hochgradiger Progenie
stehe, so ergab sich die deprimierende Tatsache, daß die hervorragendsten
spezialistischen Autoren eigentlich die Frage nur theoretisch mit dem Ent-
wurfe von Behandlungsplänen beantworten und mit der Beratung sich be-
schäftigen, wie weit der Zahnarzt mit seinen vorbereitenden Maßnahmen
zu gehen habe und in welcher Weise der Chirurg seine blutig-orthopädische
Aufgabe lösen solle. Unterzogen wir aber gar die Fälle, in, welchen je
ein Chirurg und ein Zahnarzt sich schweren Herzens und nach reiflicher
Erwägung der großen Verantwortung und nach strenger Prüfung
der Indikation zur praktischen Durchführung der operativen Be-
handlung eines Falles von Progenie aufgerafft haben, einer sachlichen
Kritik, so muß man sich gestehen, daß die Resultate eher abschreckend als
ermutigend wirkten. Hiebei muß ich jedoch zu meinem Bedauern gestehen,
daß mir die beiden von Pichler zitierten und von Chirurgen allein
behandelten Fälle weder aus der Literatur noch aus eigener Anschauung
bekannt waren.
Anton Nicklas. Beitrag zur Behandlung putrider Wurzelkanäle. 193
So maneher heroische Meister des Messers wird vielleicht ironisch
lächeln, wenn ich die Ausdrücke „bangen Herzens“, „große Verantwor-
tung“ und „aufraffen“ gebrauche; dennoch halte ich diese Ausdrücke für
den in Rede stehenden Gegenstand aufrecht und gebe zu bedenken, in welch
peinliche Lage der praktische Zahnarzt und in welch krüppelhaften Zustand
ein Patient kommt, wenn eine osteotomische Korrektur von Progenie gänz-
lich oder aueh nur teilweise mißlingt, wenn der Patient eine kosmetische
Entstellung und eine mehr oder weniger bedeutende Beeinträchtigung der
K:ufunktion, welch letztere sich bis dahin vielleicht durch eine sorgfältige
Regelung der Diät einigermaßen päralysieren ließ, eintauscht gegen eine
halb- oder beiderseitige Pseudarthrose, gegen ein Herabsinken des Unter-
kıefermittelstückes mit Eintritt von „offenem Bisse“, Ausfließen des
Speichels und von Flüssigkeiten dureh die habituell offen gewordene Mund-
spälte, gegen Dislokation auch der distalen Fragmente und was sonst die
Feolgezustände einer mißglückten derartigen Operation sein können.
Tritt man überhaupt an die operative Korrektur einer hoch-
gradigen Progenie heran, so muß einem von vornherein so viel klar sein,
daß die einwandfreie Durchführung solcher Behandlungen weder das all-
gemeine Können des Chirurgen noch das Maß von chirurgischer
Technik, welches der Durchschnittszahnarzt aufweist, für sich
allein ausreicht. Dies ist auch der Grund, weshalb sich in den literarisch
niedergelegten Fällen operativer Behandlung von Progenie in der Regel,
ein gewiegter Zahnarzt und ein hervorragender Chirurg zu treukamerad-
schaftlicher Arbeit: zusammengefunden haben.
Der erste — vom Entwurf des Behandlungsplanes bis zum Siänzenden
Endresultate — ideal und mit klarem Zielbewußtsein durchgeführte, in
der Literatur niedergelegte Fall von operativer Korrektur hochgradigster
Preogenie ist der von Herrn Pichler. Dieser Fall bedeutet einen Triumph
der österreiehischen Ärzteschaft, der wohl zweifellos dem, glücklichen Um-
stande zuzuschreiben ist, daß eben Herr Pichler die Eigenschaften dos
tiichtigen Chirurgen mit den Fähigkeiten eines das Durchschnittsmaß weit
überragenden Zahnarztes in einer Person vereinigt.
Beitrag zur Behandlung putrider Wurzelkanäle.
Von Dr. Anton Nicklas, Baden.
Die hier zu beschreibende Behandlungsmethode ist so einfach, daß
ich lange im Zweifel war, ob eine Publikation derselben überhaupt ratsam
wäre. Da ich aber nunmehr mehrere hundert Fälle gesammelt habe.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 14
194 Anton Nicklas.
wclche mir die zuverlässige Wirkung erwiesen haben, diese Fälle auf
mehr als 3 Jahre zurückreichen und es schließlich eine ganze Menge von
Behandlungsarten gibt, nach welchen putride Wurzelkanäle erhalten werden
können, glaube ich berechtigt zu sein, den Herren Fachkollegen meine
Methode mitzuteilen, wobei ich bemerken will, daß ich nicht bestimmt sagen
kann, ob dieselbe nicht schon früher versucht worden ist. Ich konnte jedoch
in der Literatur keine diesbezügliche Arbeit finden.
Das Prinzip ist, daß fast alle Bakterien durch heiße Desinfektions-
mittel rascher getötet werden als durch kalte.
Ich koche daher den Wurzelkanal mit einem Desinfiziens aus und
mache ihn steril. Man könnte einwenden, daß dies ein etwas brutales
Verfahren sei. Doch trifft dies nicht zu. Die Patienten vertragen das
Auskochen recht gut, da es sofort unterbrochen wird, wenn der leiseste
Schmerz auftritt. Sehr häufig wurde mir ein „viel wohleres Gefühl“ im
Zahn als das Resultat der Behandlung angegeben. Da ich in der Aus-
wahl der zu behandelnden Fälle vorsichtig bin und nur jene der Behand-
lung zuführe, welche eine Erhaltung des Zahnes als berechtigt erscheinen
lassen, dagegen alle ablehne, in welchen die Wurzel mehr als die Hälfte
faulig erweicht erscheint oder aus einem anderen Grunde — z.B. höher-
gradige Alveolarpyorrhoe — nicht dauernd erhalten werden kann, habe
ich, von den ersten Versuchen abgesehen, noch keinen Mißerfolg aufzu-
weisen. In einer Sitzung wird gereinigt und sterilisiert, in einer zweiten
die Wurzel gefüllt, in einer dritten definitiv geschlossen.
Wenn ich auf die zahlreichen, viele Wochen währenden Behandlungen
früherer Jahre zurückblicke, fühle ich eine große Erleichterung bei dem
Gedanken an die rasche, erfolgreiche Arbeit nach der zu schildernden
Methode, und auch die Patienten sind damit zufrieden, da die endlose An-
zahl der Sitzungen sich auf 3 oder höchstens 4 reduziert. „Zeit ist Geld“
für Arzt und Patienten.
Nun zur Beschreibung der Methode.
Mein Instrumentarium besteht aus einer sogenannten Rumpelnadel,
elektrisch erhitzt, und einem kleinen elektrischen Ventilator, wenn ich von
den übrigen zahnärztlichen Instrumenten, wie Bohrer, Millernadeln etc.,
absehe.
Als Desinfiziens verwende ich das alte Trikresol-Formalin 2:1.
Der Wurzelkanal wird möglichst übersichtlich freigelegt und gründ-
lich erweitert, und zwar bis zum Foramen apicale. Eine vorherige Sterili-
sation ist überflüssig, da eventuelle tiefer in die Wurzel eingebrachte In-
fektionskeime bei der sofort angeschlossenen Desinfektion sicher, wie die
Tatsache beweist, vernichtet werden. Zur Entfernung der Bohrspäne und
sonstigem Detritus verwende ich Aqua regia, welches in die Wurzel hinein-
Beitrag zur Behandlung putrider Wurzelkauäle. 195
gepumpt wird, und den kleinen Irrigator. Dann wird mit Alkohol und
Hieilsluft getrocknet.
Es ist vorteilhaft, den Zahn unter Cofferdam zu halten. In Ermang-
lung des letzteren genügt jedoch angefeuchtete Watte, die Umgebung
gegen Verätzung oder Verbrennung zu schützen.
Aul bekannte Weise wird dann mit einer Pinzette Trikresol-Formalin
au den Wurzeleingang gebracht und in die Wurzel mittelst verkehrt
rotierendem Beutelrockbohrer hineingepumpt.
Hierauf führe ich die kalte Rumpelnadel möglichst weit in den
\Wurzelkanal ein und schließe den Stromkreis.
Dabei wäre zu bemerken, daß es nicht vorteilhaft ist, die Platin-
spirale zur intensiven Rotglut zu bringen, sondern es genügt eine schwache
Rötung, da bei zu starker Erhitzung einerseits bald Schmerzen auftreten,
andrerseits leicht Verbrennungen durch die Wurzelwand hindurch ver-
ursacht werden könnten. Schließlich dürfte auch eine längere Einwirkung
der heißen Desinfektionsflüssigkeit für die sichere Abtötung der Bakterien-
flora samt Sporen sprechen. Die in den Depots erhältlichen Rumpelnadeln
sind gewöhnlich zu dick — die Kupfernadel nämlich —, und man wird gut
tun, die Nadel möglichst dünn zu feilen, damit sie auch gekrümmten Kanälen
leicht folgen kann.
Wo eine elektrische Stromquelle nicht vorhanden ist, kann man auch
die einfachen, ganz aus Kupfer bestehenden und mit massiver Heizkugel
versehenen Nadeln verwenden. Leider widersteht der Fibregriff nicht lange
der Hitze, die Nadel wird locker und fällt schließlich heraus. Ein selbst-
gefertigter Griff aus Gips, Schamotte und Bimsstein dürfte besser ent-
sprechen.
Nach Erhitzung der Platinspirale entwickeln sich alsbald Formalin-
dämpfe und die Lösung beginnt am Eingange der Wurzel sichtbar zu
kochen. Damit nun die sich entwickelnden Dämpfe nicht Respirations- und
Geruchsorgane reizen, entferne ich die ersteren durch den erwähnten Ven-
tilator, welcher an entsprechender Stelle aufgestellt wird und die Dämpfe
wegbläst.
Rationeller würde ein Luftbläser mit verkehrt rotierendem kleinen
‘Luftkompressor, wie solche seinerzeit in den Depots erhältlich waren,
wirken, da derselbe die Dämpfe wegsaugen würde. Doch sind gegenwärtig
derartige Apparate nicht zu bekommen.
Die Nadel bleibt so lange in der Wurzel, bis der Patient leichten
Schmerz verspürt — meist 1—2 Minuten —. Dann wird sofort unter-
brochen und die Nadel entfernt.
14*
196 Anton Nicklas. Beitrag zur Behandlung putrider Wurzelkanäle.
Es empfiehlt sich, die Nadel im Wurzelkanal nicht ruhig zu be-
lassen, sondern langsam hin und her zu bewegen, damit einerseits die
Lösung überall hin gebracht und andrerseits Verbrennung verhütet wird.
Der geschilderte Vorgang — Einbringung der Lösung, dann der Nadel
und Erhitzung — wird 1—2mal nach dem Grade der vorher bestandenen
Fäulniserscheinungen wiederholt, dann die Wurzel nach Einlegung eines
Trikresol-Formalin-Wattefadens fest mit Guttapercha, Zement etc. ver-
schlossen und 8 Tage in Ruhe gelassen.
Nach 1—2 Tagen auftretende leichte Schmerzen im Zahn dürften
auf Exsudationsvorgänge in dem durch die Erhitzung und vielleicht auch
durch die Trikresol-Formalindämpfe irritierten periapicalen Gewebe zurück-
zuführen sein. Die Schmerzen schwinden jedoch ohne weitere Folgen rasch.
Innerhalb erwähnter 8 Tage aus dem Wurzelkanal entnommene Wattefäden,
welche ich experimenti cauga bloß sterilisiert einlegte, blieben geruchlos.
In einigen Fällen habe ich der Sicherheit halber nach 8 Tagen nochmals
behandelt, da die Tampons an der Spitze verfärbt waren.
Besondere Erwähnung verdient die Tatsache, daß ältere Fisteln — die
älteste, nach meiner Methode behandelte reichte ca. 4 Jahre zurück — nach
1—2maliger Behandlung öfter schwinden und nicht wiederkehren.
Die längste Beobachtung über Dauerheilung einer Fistel beträgt
3 Jahre und 4 Monate. Doch gelang es mir nicht immer, Fisteln zur
Ausheilung zu bringen. Von 94 von mir binnen ca.4 Jahren behandelten
Fisteln kamen 52 zur Heilung, deren Dauerbestand seit 3 Jahren bis in
die letzte Zeit beobachtet wird. Meist war beim Erscheinen der Patienten
zur zweiten Sitzung die Fistel verschwunden. In einigen Fällen waren
2—3 Sitzungen bzw. Behandlungen nötig.
Natürlich kommen viele Patienten — namentlich in einem Kurorte
wie Baden — nicht mehr in die Ordination, wenn sie scheinbar geheilt sind.
Daher ist die Statistik nicht einwandfrei. Doch habe ich nur solche Fälle
aufgenommen, welche ich in den letzten Jahren beobachten konnte.
Vielleicht handelt es sich bei Fisteln um direkte Einwirkung des
Trikresol-Formalin auf die Granulome. Leider war es mir aus äußeren
Gründen nicht möglich, exakte wissenschaftliche Untersuchungen anzu-
stellen und muß ich mich auf die experimentellen beschränken.
Jedenfalls war es für die Patienten und auch für mi’ recht er-
-freulich, wenn in vielen Fällen von operativen Maßnahmen Abstand ge-
nommen werden konnte.
Die beschriebene Behandlungsweise wurde sowohl bei akut-suppı-
rativen als chronisch-gangränösen Fällen mit Erfolg angewendet. Die
Dauer des pathologischen Prozesses spielte quoad sanationem keine Rolle.
Referate und Bücherbesprechungen. 197
Die Grundlage für den Erfolg erblicke ich in der vorsichtigen Indikations-
stellung.
Nach weiteren 8 Tagen wird die Wurzel gefüllt. Ich verwende hiezu
eine weichbleibende Paste aus Paraffinum liquidum, Zinc. oxydat., Bismut.
subnitr. mit 10% Thymolzusatz. Bismut setze ich zu, da es manchmal
wünschenswert erscheinen mag, auch im Röntgenbild die exakte Wurzel-
füllung nachweisen zu können.
Die definitive Füllung der Kavität, lege artis präpariert, könnte
unmittelbar angeschlossen werden. Doch ist es ratsam, damit noch weitere
8 Tage zu warten, um sicher zu sein, daß die Wurzel „ruhig“ geblieben ist.
Indem ich die Herren Fachkollegen bitte, diese Methode gütigst
prüfen zu wollen, würde es mich freuen, wenn dieselben ihre Wirksamkeit
bestätigen könnten. |
Referate und Bücherbesprechungen.
Kursus der zahnärztlichen Kriegschirurgie und Röntgentechnik. Von Pfaff-
Schönbeck. Klinkhardt, Leipzig 1916.
Das vorliegende Buch, „den im Heeresdienste tätigen Zahnärzten
gewidmet“, ist ein in Buchform niedergelegter Zyklus von Vorträgen, die
im September 1914, bald nach Kriegsbeginn, von den Autoren gehalten
wurden. Die Wichtigkeit des behandelten Gegenstandes und das aktuelle
Interesse an demselben haben in kurzer Zeit eine Neuauflage des Buches
notwendig gemacht, was wohl schon allein für die Verwendbarkeit des-
selben spricht.
In der Einleitung wird die Aufgabe besprochen, die die Zahnheilkunde
im Kriege zu erfüllen hat, und die Notwendigkeit der Heranziehung zahn-
ärztlicher Mitwirkung bei Behandlung von Kieferverletzten betont. Um
den Anforderungen zu genügen, die der Krieg an den Zahnarzt stellt, bedarf
es der Heranbildung von Kriegszahnärzten, deren Wirkungskreis weit in
das Gebiet allgemeiner ärztlicher Tätigkeit reicht. Was hier als Postulat
zahnärztlicher Ausbildung aufgestellt wird, mag im Folgenden wieder-
gegeben werden, da es dem österreichischen Doktor der gesamten Heil-
kunde, der allein bis jetzt bei uns zur Ausübung der Zahnheilkunde be-
a ist, freut, derartiges aus der Feder eines deutschen Zahnarztes
zu lesen.
Je mehr der Zahnarzt von der sogenannten kleinen Chirurgie ver-
steht, desto nützlicher wird er sich machen können. Die Verbandslehre sollte er
ganz beherrschen, so daß er im Notfalle auch einmal selbständig neben den wich-
tigsten typischen Verbänden für obere und untere Extremitäten, Rumpf, Kopf,
einschließlich der Tuchverbände, die feststellenden Verbände, Schienenverbände,
Lagerungsapparate und besonders auch die erhärtenden Verbände (Gipsverband,
Leimverband) regelrecht anzulegen vermag. In gleicher Weise muß er mit der Ein-
richtung der Knochenbrüche überhaupt und mit den Lagerungsvorrichtungen für
solche Verletzte vollkommen vertraut sein. Daß ihm die Grundsätze der modernen
198 Referate und Bücherbesprechungen.
Wundbehandlung geläufig sein müssen, ist selbstverständlich. Hierzu gehört natürlich
auch die Verhinderung jedes unnötigen Blutverlustes. Die Biutstillung durch
Tamponade, durch Fingerdruck auf die großen zuführenden Gefäße und durch Ab-
schnürung des ganzen (rliedes, zentral von der Verletzungsstelle mittelst einer
Gummibinde muß der Kriegszahnarzt ebenso nach allen Regeln der Kunst aus-
zuführen verstehen, wie ihm auch in dringenden Fällen die Unterbindung von
Arterien, das Legen der Situationsnähte keine Schwierigkeiten bereiten dürfte. Ge-
legenheit, sich nach dieser rein ärztlichen Seite zu betätigen, wird es für den
Zahnarzt in Hülle und Fülle geben. Wenn Gefahr im Verzug und der Arzt be-
schäftigt oder überhaupt nicht zu erreichen ist, so muß eben auch der Zahnarzt
nach Kräften behilflich sein, um zu retten, was zu retten ist. Natürlich nur dann,
wenn er sich sicher genug fühlt und seine Hilfe wirklich erforderlich ist. Warum aber
der Zahnarzt in dieses Teilgebiet des Chirurgen sich nicht so sollte einarbeiten
können, daß ihm ein selbständiges Handeln nach den genannten Richtungen zur
Pflicht gemacht werden könnte, ist nicht einzusehen.
Mit den angeführten Tätigkeiten ist jedoch die Beihilfe des Zahnarztes im
Felde noch keineswegs erschöpft. Auch bei den jetzt notwendigen zahlreichen
Impfungen gegen Cholera, Typhus und Pocken könnte er unter Anleitung eines
Arztes mitwirken und auch beim Katheterismus, Blut- und Harnuntersuchungen
u. dgl. m. würde er eine wertvolle Hilfe für den Arzt bedeuten. Besonders aber nach
einer großen Schlacht, wenn in den Lazaretten viele Hunderte von Verwundeten
ankommen, muß alles zugreifen, um Hilfe zu bringen, wo sie gerade nottut. Das
Hilfspersonal kann .deshalb gar nicht groß genug sein. Kommen rubigere Zeiten,
dann tritt eben wieder eine strenge Scheidung der ärztlichen und zahnärztlichen
Tätigkeiten ein.
Angesichts dieser weitgehenden, für die Verwendung des Zahnarztes an
der Front gestellten Forderungen war man sich in zahnärztlichen Kreisen selbst-
verständlich sehr wohl bewußt. daß der Kriegszahnarzt der Zukunft einer besonderen
Ausbildung bedürfe, die auf chirurgischem und orthopädischem Gebiet liegen müsse.
Denn die Ausbildung, die ihm auf der Universität vermittelt wird, langt bei weitem
nicht zu, was besonders auf die alte Prüfungsordnung zutrifft. . . .“
Das im Vorhergesagten geforderte Maß von Kenntnissen bildet denn
auch den Gegenstand des Buches, das in einzelnen Kapiteln das aufgestellte
Thema in recht erschöpfender Weise behandelt. Eine Anzahl dem Texte
einverleibter Bilder unterstützt das geschriebene Wort.
Das vorliegende Buch bildet einen empfehlenswerten Beitrag zu der
im gegenwärtigen Kriege entstandenen, recht umfangreichen Literatur der
Kieferverletzungen. Freilich ist es nur eine notwendige Anleitung für den
sich mit der Behandlung beschäftigenden Fachmann, der erst aus der Praxis
die nötige Erfahrung sammeln und sich das für jeden einzelnen Fall er-
forderliche Urteil bilden muß. Orn.
Der der Röntgenologie gewidmete Teil umfaßt 42 Seiten, von denen
18 die Einführung in die Physik der Röntgenstrahlen und den Bau der
Apparate enthalten. Die übrigen 24, gut zur Hälfte durch Abbildungen
konsumierten Seiten beinhalten einen Abriß der Aufnahmetechnik des Ge-
sichtsschädels, insbesondere des Kiefers. Bei dem besagten Umfange ist
es von vornherein klar, daß man an die Ausführlichkeit der Behandlung des
Stoffes keine irgendwie höheren Anforderungen stellen darf. Der Kursus
der Röntgentechnik ist von Dr. phil.F.Schönbeck, chemischem Assi-
stenten des zahnärztlichen Instituts Leipzig.
Dem Fache des Verfassers entsprechend ist der physikalische und
technische Teil vorzüglich geraten. In kurzer, prägnanter Form, dennoch
klar genug reichlich alles Wissenwerte. Vom medizinisch-röntgenologischen
Referate und Bücherbesprechungen. a 199
Teil kann dies nicht so restlos behauptet werden. Widersprochen muß ins-
besondere dem werden, was Schönbeck über die Durchleuchtung sagt.
Die 10 Zeilen, die diesem für die Zahnradiologie allerdings minder wich-
tigen, im allgemeinen jedoch bekanntlich grundlegenden und integrierenden
Bestandteil der medizinischen Radiologie gewidmet sind, sind zwar nicht
geeignet, irgend welche brauchbaren Kenntnisse zu vermitteln, jedoch im-
stande, mit der Anweisung, mit mittelweichen Strahlen zu durch-
leuchten, die Schädigungen hervorzurufen, vor denen der Autor sonst
mit Unrecht warnt. Die Kiefer-Röntgenologie ist im weiteren, inso-
ferne es die Kürze des Textes erlaubt, allerdings ohne Berücksichtigung
der letzten Verbesserungen gut geschildert. Pordes.
Der Aluminiumguß. Leitfaden zur Herstellung von Zahnersatzstücken aus
Aluminium. Von H.J.Mamlok, Berlin, Oberassistenten am zahnärzt!.
Institut der Universität, zurzeit Leiter der Korpszahnstation in Berlin,
und Dr. G. Caspari, Wiesbaden, zurzeit Zahnarzt der Korpszahn-
station in Berlin. Mit 84 Abbildungen im Text, 1917, Verlag von Her-
mann Meusser, Berlin.
Die Verfasser suchen in ihrer ausgezeichneten, von zahlreichen vor-
trefflichen Bildern unterstützten Darstellung das Augenmerk auf die Alu-
miniumarbeit und speziell den Aluminiumguß zu richten. Schon seit ge-
rau.ner Zeit hat sich das Aluminium überall dort, wo eine Massenpraxis
zu bewältigen ist, als sehr geschätzter Ersatz des knapp gewordenen
Kautschuks eingebürgert und bewährt.
Das kleine Buch ist die Frucht der Erfahrungen zweier Jahre und
wird sicher dazu beitragen, allen, die es lesen, dazu zu verhelfen, das
Aluminium klaglos zu verarbeiten. Steinschneider.
Zur Kenntnis der mikroskopischen Befunde bei Pseudarthrose. Von Pro-
fessor Dr.G.I’ommer in Innsbruck. W.kl. W., Nr. 11, 191%.
Im Anschluß an die von Dr. Mitterstiller in der wissenschaft-
lichen Ärztegesellschaft mitgeteilten zwei Fälle von Pseudarthrose — der
erste nach einer Tibiafraktur, deren Gipsverband trotz Lockerung nicht
erneuert wurde, der zweite nach einer yernachlässigten Ulnafraktur —
unternimmt es Pommer, den Nachweis über die ursächliche Entstehung
der Pseudarihrose aus den histologischen Befunden zu er-
bringen.
Bei beiden jugendlichen Individuen entwickelte sich ein luxurie
render Kallus, der als sogenannter Kallustumor imponiert.
Was die Besonderheit der beiden neben luxurierender Kallusbildung ent-
standenen Pseudarthrosen anlangt, so sind die Entstehungsum-
stände in andauernder Verschiebung und Reibung
beider Bruchendenerklärt. Die Präparate ergeben vielfach An-
zeichen von Zerrung, Reibung, Abrollung und Druckwirkung.
Bemerkenswert für die Entstehung der Pseudarthrose sind die man-
nigfachen örtlichen Übergänge der die weiche Pseudarthrosenschicht zu-
sammensetzenden Bindesubstanzentwicklungen zu Knochen.
Diese innerhalb der knorpelig und fibrös gebauten Gebiete entstehen-
den Knochengewebsbildungen sind bisweilen lamellöser Bauart. Nach
200 Referate und Bücherbesprechungen.
v. Ebner darf dieser örtliche Übergang nicht als Anzeichen von Meta-
plasie gedeutet werden, nämlich Anläufe zum Ersatz des knorpelig gebau-
ten Gewebes durch Knochengewebe, es handelt sich vielmehr um lakunäre
Resorption durch Osteoklastenzellen, Ossifikationsvorgänge beim typischen
Ablauf sonstiger physiologischer und pathologischer Prozesse. Das Knochen-
gebälke sämtlicher Kallusgebiete läuft, gleichwie das faserige Markgewebe
seiner Markräume, in das verbindende fibröse und faserknorpelige Gewebe
der Pseudarthrosenschicht aus, ohne daß es zwischen ihnen zur Über-
brückung und Zusammenhang käme.
Die auffallend geradlinige Streifenanlage der Fasergewebe des Pseud-
arthrosestreifens, die unmittelbar in das Fasergewebe des Periosts aus-
strahlen, kennzeichnet sich im vorliegenden Falle bei Verschiebung des
unteren Lrurhstückes nach vorne im Sinne R o u x’ als zur Aufnahme dau-
Pe starker Druckeinwirkung geeignet, genannt „Druckautťna hme-
ächen“.
Am Befunde des zweiten Falles, der Pseudarthrose nach Ulnafraktur,
ist die winkelige Verlaufsrichtung des faserigen Zwischenstreifens ent-
sprechend der Einteilung des unteren Bruchstückes in das obere hervorzu-
heben. Eine weitere Besonderheit liegt in dem Umstande vor, daß das
knöcherne Kallusgebälke hier einen mehr weitmaschigen Bau besitzt. Die
Weitmaschigkeit im Vergleiche zu den Tibiabefunden dürfte darin be-
gründet sein, daß die Ulna den funktionellen Reizen der Belastung und
Erschütterung in geringerem Maße ausgesetzt ist, als die Tibia. Den die
Ulna besonders treffenden Einwirkungen drehender und zerrender Vorder-
arm- und Handbewegungen entspricht der zur Bruchflächenrichtung
schräge Verlauf der Faserung des weichen Zwischengewebes.
Die funktionellen trophischen Reize des Kno-
chens zeigen sich niemals in Reibung, wohl aber in
einem Druck oder in einem Wechsel von Druck und
Zug gegeben, in intermittierendem Druck in Form
von Erschütterungen.
Überblickt man die geschilderten Befunde, so läßt sich nochmals be-
tenen, daß die Ursache der Pseudarthrosenin der man-
golhaften oder ganz fehlenden Kuhiestellung der
Bruchenden zu erkennen ist. Zilz.
Neue Wege für die chirurgischen Plastiken durch Heranziehung der zahn-
ärztlichen Technik. Von Esser. (Aus der II. chir. Univ.-Klinik in Wien.)
Bruns’ Beiträge zur klin. Chirurgie, 103.
Autor beschreibt ein ingeniöses Verfahren, von dem er sagt, daß es
sicher sei, um einen operativ hergestellten Hohlraum mit Thiersch-
Läppchen auszukleiden. In 24 sehr verschiedenen Fällen hatte er einen
einzigen Mißerfolg. Der Hohlraum wird in der Regel scharf, ausnahms-
weise stumpf präpariert. Mit steriler, zahnärztlicher Abdruckmasse wird
dann ein Abdruck von der Höhle gemacht und so zugeschnitten, daß sich
die Ränder der Höhle „unter Spannung“ darüber schließen lassen. Dann
wird der Abdruck mit einem einzigen sehr dünnen Thiersch-Lappen
umwickelt und dieser, wenn nötig, mit Eiweiß darauf festgeklebt. So wird
der Abdruck wieder in den Hohlraum eingeführt und die Haut darüber
Referate und Bücherbesprechungen. 201
vernäht. Nach 2 Wochen kann man den Hohlraum eröffnen, die Abdruck-
masse herausziehen und findet nun die Höhle mit glattem Epithel aus-
gekleidet. Der gleichmäßige Druck der vernähten Haut gegen die feste
Unterlage hat den Lappen überall zum genauen Anliegen gebracht und
auch eine eventuelle Blutung gestillt, so daß die Bedingungen für die An-
heilung sehr günstig sind. Die Eröffnung der Höhle geschieht entweder in
die Nahtlinie oder etwa von einer anderen Körperhöhle aus; so wird
z. B.der Thiersch-Lappen von einem Schnitt unter dem Augenlid ein-
geführt und die Höhle nach der Einheilung von der Conjunctiva aus er-
öffnet, wodurch eine Vergrößerung des Conjunctivalsackes zur Aufnahme
einer Augenprothese geschaffen wird. Die anderen Anwendungen waren
folgende: 2. Herstellung einer Ohrmuschel aus der haarlosen Haut hinter
dem Ohre. 3. Vergrößerung der Schleimhautfläche des Mundes. 4. Vergröße-
rung der Wundhöhle. 5. Plastik des harten und weichen Gaumens. 6. Vor-
bereitung zu verschiedenartigen Hautplastiken (Herstellung doppelt epi-
thelisierter Lappen und Deckung des Sekundärdefektes). 7. Urethralplastik.
Schon aus dieser Aufzählung geht hervor, daß die Operation auch
intraoral gelingt. Die Gaumenplastik geschieht in der Weise, daß ein
Lanescher Lappen vor seiner Umklappung auf der zweiten Seite mit
Epithel versehen wird. Verschiedene andere Anwendungsmöglichkeiten
werden noch erwähnt, z. B. ein Fall, in dem W eiser an eine Wundfläche
innen an der Wange einen Thiersch-Lappen mit einer Metallplatte an-
preßte, welche mit durch die Wange gehenden Schrauben an eine zweite
äußere Platte sanft angedrückt wurde. Zur Gewinnung des Thiersch-
schen Lappens wird die Haut von der Innenseite des Oberarmes trocken sehr
gründlich rasiert, bis sie gerötet ist, so daß die oberflächlichen toten Zellen
möglichst vollkommen abgeschabt werden. Im Munde legt Verfasser auf den
Rat Weisers eine Lage Jodoformgaze zwischen Oberhautlappen und
Abdruckmasse. H. Pichler.
Zur Kenntnis der generalisierten Ostitis fibrosa und der Epithelkörperchen-
veränderungen bei dieser Erkrankung. Von Prosektor Dr. Oskar Meyer.
Frankfurter Zeitschrift für Pathologie, 20. Bd., Heft 1. Seite 115—159.
Mit 5 Textliguren und 10 Abbildungen auf Tafel 5/9.
Meyer beschreibt zwei Fälle, die typische Vertreter der v. R eck-
linghausanschen Ostitis fibrosa, sowohl hinsichtlich ihres
klinischen Verlaufer wie ihres anatomischen Befundes sind.
Der Fall I betrifft eine Frau von 43 Jahren, der Fall II einen Mann
von 36 Jahren. Die Erkrankung erstreckt sich in beiden Fällen auf mehrere
Jahre und läßt zwei Hauptstadien erkennen. Das erste Stadium ist gekenn-
zeichnet durch heftige Schmerzen in den Extremitäten, starke Empfindlich-
keit gegen Berührung und allmählich auftretende Gangstörungen unbe-
stimmten Charakters. Im zweiten Stadium stehen die Verbiegungen und
Frakturen der Knochen im Vordergrund. Von besonderem Interesse ist,
daß Fall I eine Frau betrifft und daß hier ein zeitlicher Zusammenhang
zwischen einem Partus und dem Ausbruch der Erkrankung nicht unwahr-
scheinlich ist.
Der anatomische Befund ist in beiden Fällen charakterisiert:
a) durch die typischen Knochenveränderungen, die in beiden Fällen
wahrscheinlich das gesamte Knochenskelett betreffen (im Falle I war aus
nie ee I E rn EEE
202 Referate und Bücherbesprechungen.
äußeren Gründen keine vollständige Sektion möglich) und von denen
hier nur hervorgehoben seien: hochgradiger Schwund der kalkhaltigen
Knochensubstanz, Ersatz derselben durch fibröses Markgewebe, das be-
sonders in den Extremitätenknochen im Überfluß gebildet zu einer diffusen
- Verdiekung der Rindenschicht geführt hat, ohne daß die äußere Knochen-
kontur dadurch verloren gegangen wäre; das Vorhandensein von multiplen
Frakturen der weichen, mit dem Messer schneidbaren Extremitätenknochen;
das Vorhandensein multipler Zysten in den Extremitätenknochen und mul-
tipler brauner, nach dem Typus von Riesenzellensarkomen gebauter Herde
in den verschiedensten Knochen des Skeletts;
b) durch den Befund von Kalkmetastasen mit reaktiven entzündlichen,
vielfach bereits in Narbenbildung übergegangenen Prozessen in den Nieren;
c) durch den Befund eines Epithelkörperchentumors im Falle II (im
Faile I Sektion der Halsorgane unterblieben).
es un beınerkenswertesten histologischen Untersuchungsergebnisse sind
volgende:
a) Neben Knochenschwund nach dem Typus der lakunären Resorption
mit Bildung zahlreicher Riesenzellen und Ersatz durch fibröses Markge-
webe konnte im Falle II in mehreren Knochen eine vorgeschrittene Atrophie
der Knochensubstanz und Ersatz derselben durch reines Fettmark fest-
gestellt werden, wobei die atrophischen Knochenbalken schmale, glatte
osteoide, vən Lakunen und Riesenzellen freie Keime aufwiesen. Dieser Be-
fund spricht sowohl gegen die Ansicht von Pommer, Axhausen u.a.,
daß es keine Halisteresis gibt, wie gegen die Ansicht von Fujii-Kauf-
mann, daß die histologischen Veränderungen der Osteomalacie und Ostitis
fibrosa grundsätzlich verschieden seien.
b) Die aus Riesenzellen zusammengesetzten braunen Tumoren der
Ostitis fibrosa sind weder durch ihren histologischen Bau noch durch den
Charakter und den Pigmentgehalt der Riesenzellen verschieden von vielen
epiphysären Riesenzellensarkomen und Epulisgeschwülsten. Diese Riesen-
zellen-,.Geschwülste‘‘ sind keine wahren Blastome, sondern gutartige hyper-
plastische, auf der Basis eines chronischen Reizzustandes zur Entwicklung
gelangte Bildungen. Die Ansicht von v. Recklinghausen, daß hier
nach Ursache und Wesen verwandte Krankheitsbilder anzunehmen sind,
erscheint berechtigt.
c) Die Zysten entstehen durch allmähliche Verflüssigung des fibrösen
Markgewebes, mechanischen Einwirkungen kann nur eine sekundäre Be-
deutung zuerkannt werden.
Die Ursachen der Ostitis fibrosa sind wahrscheinlich in Störungen
des K.alkstoffwechsels unbekannten Ursprungs und nicht in der fibrösen
Metaplasie des Knochenmarks zu suchen. Die in dem fibrösen Markgewebe
vorhandenen entzündlichen Infiltrate können nicht als Beweis für eine ent-
zündliche Genese der Markfibrose angesprochen werden. Die eigentlichen
Ursachen der Ostitis fibrosa und der osteomalazischen Knochenerkran-
kungen sind noch immer unbekannt.
Der im Falle II gefundene Epithelkörperchentumor a nach seinem
histologischen Bau als eine gutartige Hyperplasie aufzufassen. Das wich-
tigste Ergebais der bisherigen Befunde von Epithelkörperchenveränderungen
bei Osteomalazie, Ostitis fibrosa und Rachitis ist darin zu erblicken, daß
dieselben stets den gleichen histologischen Typus der einfachen gutartigen
Referate und Bücherbesprechungen. 203
Hyperplasie aufweisen. Die wahrscheinlichste Deutung dieser Epithelkör-
perchenbefunde bei den genannten Knochenerkrankungen ist die von E r d-
heim, der dieselben als Ausdruck einer vermehrten Arbeitsleistung im
Zusammenhang mit dem gesteigerten Kalkstoffwechsel auffaßt.
EininderKlinikbeobachteterFalleinerseltenen
v. Reeklinghausenschen Ostitis fibrosa im Unterkie«
ferknochen veranlaßte mich zur Abfassung eines Referates über die
vorliegende vorzügliche und wertvolle Publikation M e y ers. Zilz.
Zur Ätiologie der schwarzen Haarzunge. Von Prof. Dr. Moriz O p pen-
heim. Wiener klin. Wochenschr., 1917, Nr. 23.
Unter schwarzer Haarzunge versteht man jene selten zu beobachtende
Veränderung der Zungenoberfläche, bei der es zu einem fadenförmigen Aus-
wachsen der Papillae filiformes unter gleichzeitiger Schwarz- oder Braun-
färbung dieser kommt, so daß ein am Dorsum der Zunge, meist in der
Mitte befindlicher, verschieden großer Teil der Zungenoberfläche rasen-
förmig beschaffen und dunkelbraun bis schwarz gefärbt erscheint. — Die
histologische Untersuchung ergibt Hyperkeratose mit fadenförmiger Ver-
längerung der Papillenenden und Hypertrophie der Papillen; die Färbung
der Papillen ist bedingt durch diffuse Imbibition der verhornten Papillen-
spitzen mit einer braunen oder schwarzen Farbe; die Papillae circum-
vallatae und fungiforımes sind klinisch und histologisch intäkt.
Die Ätiologie dieser Erkrankung ist bisher unklar gewesen. Die
meisten Autoren, namentlich die französischen, Laveau, Lancereau,
Raynaud und andere, stehen auf dem Standpunkte, daß die schwarze
Haarzunge eine Pilzerkrankung ist, eine Anschauung, der ich schon im
Jahre 1911 in meiner Abhandlung über die schwarze Haarzunge
mit dem Hinweis entgegentrat, daß nach meinen Forschungen auf diesem
Gebiet alle die Befunde von Pilzen und Mikroben zwischen den gewucherten
und pigmentierten Pap. filiformes nur als zufällige Nebenbe-
funde ohne ätiologisch-pathologische Bedeutung an-
zusprechen sind.
Die übrigen Autoren leugnen die parasitäre Ätiologie und machen
für die Entstehung der schwarzen Haarzunge Reizungen der Zungenober-
fläche A (Heidingsfeld, A. Blau, Leviseur, Ma-
raval).
Bernhardt, Coffin und andere zogen die Syphilis als Ursache
in Erwägung; es war ihnen aufgefallen, daß bei manchen Fällen von Lues
und Stomatitis mercurialis die Lingua pilosa nigra auftrat.
Oppenheim machte gleicherweise die Beobachtung, daß Luetiker
P schwarze Haarzunge in verschiedenen Graden häufiger zeigen als Nicht-
uetiker.
Dals die Entstehung der schwarzen Haarzunge mit der Lues nicht im
direkten Zusammenhang stehen konnte, war Oppenheim dadurch klar
geworden, daß von denjenigen Luetikern, die die Quecksilberkur machten,
nur jene diese Affektion bekamen, die die auf seiner Abteilung ge-
bräuchliche Mundpflege mit chlorsaurer Kalilösung als Gurgelwasser und
Tinetura Ratanhiae et Gallarum (aa. partes aequales) als
Zahntinktur einzuhalten hatten. Bei mit Jod oder Salvarsan oder durch
204 Referate und Bücherbesprechungen. — Personalien.
längere Zeit überhaupt nicht behandelter Lues zeigte sich die schwarze
Haarzunge ebenso selten, wie bei Nichtsyphilitikern.
Da demnach nur in den bei der Mundpflege gebrauchten Mitteln die
Ursache gelegen sein konnte, versuchte Oppenheim experimentell mit
der Tinctura Ratanhiae et Gallarum die schwarze Haarzunge künstlich zu
erzeugen. — Es zeigte sich nun, daß alle Patienten bis auf einen auf die
Pinselung reagierten und daß die Tinctura Ratanhiae et Gallarum, zu
gleichen Teilen auf die Zunge gepinselt, die schwarze Haarzunge hervor-
riefen. Wurden die Kranken mit Tinctura Ratanhiae allein gepinselt, war
die Intensität der Veränderung eine geringe und blieb bei der Pinselung
mit der anderen Flüssigkeit, Tinetura Gallarum, ganz aus.
Aus diesen Versuchen ist zu ersehen, daß gewisse Substanzen elektiv
auf die verhornten und der Verhornung fähigen Bestandteile der Zungen-
schleimhaut im Sinne einer Hypertrophie und Hyperkeratose einzuwirken
vermögen.
Oppenheim zieht aus seinen Versuchen folgende Schlüsse:
1. Die schwarze Haarzunge kann artefiziell erzeugt werden.
2. Die Ansicht von der Pilznatur der Erkrankung
ist abzulehnen.
3. Gewisse Substanzen, wie Tinctura Ratanhiae, Tinctura Gallarunı,
sind imstande, eine Hyperkeratose und Hypertrophie der Papillae filiformes
zu erzeugen bei gleichzeitiger Imbibition mit färbenden Substanzen in Ana-
logie mit der Hyperkeratose der Haut, wie sie durch Teer, Anilin, unreines
Vaselin verursacht werden können. Zilz.
Über die Anstrebung der Primärheilung bei der operativen Entfernung
tief im Knochen steckender Geschosse. Von Kolb. Zentralbl. f. Chirur-
gie, 1917, Nr. 18.
Kolb gibt die Anregung, im Knochen eingeheilte Geschoßteile, die
sich später als störend erweisen, in der Weise zu entfernen, daß man den
Knochen so eröffnet, daß man einen Deckel aus der Corticalis bekommt,
Be man nach der Entfernung des Geschosses wieder an seine Stelle setzen
ann.
Kolb versichert, daß man durch dieses Verfahren die Möglichkeit
erhält, die Knochenwunde primär zum Verschluß und zur Heilung zu
bringen. Wichtig ist allerdings, daß das Geschoß reaktionslos eingeheilt
ist und daß sich bei der Operation keine Entzündungsprozesse nachweisen
lassen. Zilz.
Personalien.
(Auszeichnung.) Den Öberstabsärzten Prof. Dr. Rudolf Weiser
und Prof. Dr. Gustav Wunschheim Ritter v. Lilienthal wurde
das Komturkreuz II. Kl. des königl. schwedischen Wasa-Ordens verliehen.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, III., Münzgaase 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ Ma Sanette ia Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
XVI. Jahrgang. August 1918. 8. Heft.
Nachdruck vesboten.
Original Arbeiten.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne
und der Kiefer.
Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre. Von Dr. Fritz Pordes.')
(Mit 15 Figuren.)
Vorbemerkung.
Die vorliegende Studie ist ein Versuch der Darstellung der topogra-
phischen Anatomie der Zähne und Kiefer aus dem Gesichtspunkte der Rönt-
genprojektionslehre. Sie behandelt dieses eine Kapitel aus dem großen Ge-
biete der Kieferradiologie. Die übrigen Kapitel: Röntgentechnik, das Lesen
der Zahnröntgenbilder und die Röntgenpathologie der Zähne mögen nach Zeit-
und Raumverhältnissen Gegenstand folgender Arbeiten sein.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle den Herren k. u. k.
Oberstabsarzt Professor Dr. G. Holzknecht, k. u. k. Oberstabsarzt Professor
Dr. R. Weiser und k. u. k. Oberstabsarzt Dozent Dr. Julian Zilz für ihren mir
bei Abfassung der Arbeit in liebenswürdigster Weise aus dem reichen Schatze
ihrer Erfahrung gewidmeten Rat und ihre tatkräftige Unterstützung meinen
aufrichtigst ergebenen Dank auszusprechen.
Allgemeines.
Die Röntgenographie des Rumpfes und der Extremitäten findet fast immer
mit zwei Hauptprojektionsrichtungen und Ebenen, der sagittalen und der
frontalen, ihr Auslangen. Dem Verlangen, zwei möglichst differente, am besten
unter dem Winkel von 90 Graden anfgenommene Röntgenbilder zu erhalten,
kann überall — Dank Lilienfelds axialen und Queraufnahmen — auch
an Schulter und Beckengürtel Genüge getan werden. Lediglich der Gesichts-
schädel und an ihm insbesondere das Skelett der Kiefer setzen diesem
Wunsche unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Die Kompliziertheit der
räumlichen Anordnung der Zähne gestattet nicht, mehr als streng genommen
einen Zahn, höchstens noch den mesialen und distalen Nachbar in brauch-
1) Wir beginnen mit dem Abdruck einer Artikelserie, die in Buchform im
Verlage Urban & Schwarzenberg im Erscheinen begriffen ist.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 15
206 Fritz Pordes.
barer Deutlichkeit und Unverzerrtheit gleichzeitig auf eine Platte zu bringen.
Der parabolische Zahnbogen zwingt uns von vorneherein, die bequemen und
leicht zu findenden Hauptorientierungsrichtungen der sagittalen und fron-
talen zu verlassen. Praktisch genommen alle Einstellungsrichtungen stehen
zu diesen Hauptebenen geometrisch gesprochen windschief. Fixe Richtungs-
behelfe lassen sich wegen der großen .individuellen Verschiedenheiten nicht
geben.
Tatsächlich bleiben die bisher angegebenen mechanischen Hilfsmittel
zur Einstellung (Dieckscher Zirkel, Cieszyhskische Einstellkappe u.a.) in
der Hand des Ungeübten — mechanische Hilfsmittel. Der Geübte wird
ohne sie mit geringerer Fehlerbreite arbeiten. Erfahrung und Übung sind
wie überall zur Erfassung der Schwierigkeiten und ihrer Überwindung das
Alpha und Omega.
Ich fühle mich versucht zu sagen, daß es vor allem notwendig und
Sache der Erfahrung ist, die Schwierigkeiten, die Fehler und Fehlerquellen
zu erkennen. Die meisten Fehler werden nicht deshalb gemacht, weil der
Untersucher nicht imstande ist, sie zu vermeiden, sondern weil er sie nicht
erkennt. Jeder Zahn hat seine Spezialaufnahme, seine eigene Ein-
stellrichtung, zu der als korrigierende Konstante die indivi-
duelle Form der betreffenden Mundhöhle zuzurechnen ist.
Zu dieser Formel die Werte zu liefern, soll nach ein paar allgemeinen
Worten über Projektionslehre überhaupt Aufgabe dieser Studie sein.
Die Projektion, in der sich die röntgenographierten Objekte abbilden,
ist eine Zentralprojektion. Von einem Punkt, dem Fokus der Röntgenröhre
als Zentrum, gehen nach allen Richtungen des Raumes Strahlen ab. Wird
zwischen Fokus und eine irgendwie röntgenempfindliche Ebene (die unter
Röntgenlicht fluoresziert oder sich chemisch ändert), ein Röntgenstrahlen ab-
sorbierender Körper gebracht, so entsteht auf der Ebene (dem Leucht-
schirm, der Platte) ein Schattenbild des Körpers.
Unter möglichster Vermeidung der Mathematik, bzw. in Beschränkung
auf das Allernötigste, seien die wichtigsten uns interessierenden Gesetze der
Zentralprojektion angeführt.
Und zwar interessiert uns hier vor allem die Frage: Wie bildet sich
zentralprojektivisch ein stabförmiger Körper (Zahn, Wurzel), geometrisch ge-
sprochen eine Strecke auf einer Ebene ab?
Auf einer Ebene, denn absichtliche oder unabsichtliche Verbie-
gungen der Projektionsfläche (Film) sind eine der gar nicht seltenen Fehler-
quellen.
Ich sah eine Aufnahme von der Hand eines ganz vorzūglichen Allgemein-
radiologen, die die Gegend der oberen Inzisiven darstellen wollte und folgender-
maßen (Fig. 1a) aussah: Die Kronen und unteren Wurzeldrittel normal groß, von
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 907
Fig la. Fig. 1b.
Der Film liegt dem Ganmen genau adaptiert. Resultat: Die okere Wurzelbälfte lacbkabinett-
artig in die Länge gezogen, die Wurzeln und Spitzen abgeschnitten (Einstellung und Resultat).
Fig. 2.
|
Zur Zentralprojektion: Eine Strecke S—S, wird unabhängig von der Lage der Projektions-
ebene punktförmig abgebildet, wenn sie in der Richtung eines Strables liegt.
15*
208 Fritz Pordes.
da nach oben alles wie in einem Lachkabinettzerrspiegel ins Überlange zerdelınt,
die Wurzelspitzen abgeschnitten. Ursache (Fig. 1b): ein Film war den Zähnen und
dem Gaumen wirklich möglichst genau adaptiert worden, d. h. winkelig abgeknickt
gelegen; der untere Teil hatte ein richtiges Bild aufgenommen, der obere dem
flachen Gaumen entsprechend fast horizontale, jene Lachkabinettverzerrung. Re-
sultat: unbrauchbar!
Fig. 8.
F
Eine schräg im Strahlenbündel liegende Strecke (S—S,) wird nach der Lage der Projek tions-
ebene (E—kı. Ey, E) verschieden lang projiziert. Am kürzesten, wenn die Ebsne senkrecht
zum Mittelstrahl des abbildenden Bündels steht.
Die Zentralprojektion einer Strecke auf einer Ebene wird bestimmt:
1. Von der Lage der Strecke im Strahlenbündel. Die Strecke wird
punktförmig erscheinen — unabhängig von der Lage der Projektionsebene
nur in einem einzigen Falle, nämlich wenn sie in der Richtung eines
Strahles liegt (Fig. 2).
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 209
- 2. Liegt die Strecke nicht in der Richtung eines Strahles, so hängt die
Länge des Bildes, der Projektion, sowohl von der Lage der Strecke (Zahn)
im Strahlenbündel als auch von dem Winkel ab, unter welchem die Projek-
tionsebene (Film, Platte) das Strahlenbündel schneidet (Fig. 3).
3. A. Strecke (Zahn): Je weiter sich diese aus der Richtung des ab-
bildenden Strables entfernt, desto breiter wird das „abbildende Strahlen-
bündel“, desto größer ceteris paribus das Bild. Am größten, wenn die
Strecke normal auf dem Mittelstrahl steht.
B. Projektionsebene (Film, Platte): Die Projektion einer zum Strahlen-
bündel unter einem bestimmten Winkel stehenden Strecke (das Röntgenbild)
Fig. 4.
Abbildung in „natürlicher Größe“.
Hauptstrahl auf die Wüurzelspitze gerichtet, senkrecht auf die Halbierungsebene des Winkels
zwischen Platte und Zahbnachse.
ist am kürzesten, wenn der mittelste Strahl des Strahlenbündels (Zentral-
strahl) auf der Projektionsebene normal steht. Jeder andere Winkel ver-
längert die Projektion, und zwar entsprechend dem wachsenden Winkel
(Fig. 3). Ich zitiere als Spezialfall das Diecksche Gesetz.°) Ein Zahn wird
dann in natürlicher Größe abgebildet, wenn der abbildende Zentralstrahl auf
die Wurzelspitze gerichtet, senkrecht auf der Halbierungsebene des von Zahn-
achse und Platte eingeschlossenen Winkels steht (Fig. 4).
2) Dieses Gesetz ist von Cieszyński zum erstenmal formuliert, läuft aber
unter dem Namen Diecks. Die Prioritätsfrage fühle ich mich nicht berufen zu ent-
scheiden.
910 Fritz Pordes.
Praktische Anwendung und spezieller Teil.
Das Innenrelief der menschlichen Mundhöhle ist nichts weniger als ein
Reißbrett. Geometrisch geradlinig begrenzt bleibt nur das Strahlenbündel und
Fig. 5.
Haltung für die Aufnahme oberer Zähne auf dem Gaumen angelegte Platte.
(bei Glasplatten) die Projektionsebene. Die Zähne sind in allen Richtungen des
Raumes auf das eigenwilligste ausgedehnte körperliche Gebilde, die zudem in
zwei Parabelbogen angeordnet sind und der Einbringung von Projektionsebenen
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 211
eine Reihe von Knochen-, Weichteil- und Reflexhindernissen entgegenbringen.
Beginnen wir mit dem
Oberkiefer,
so stehen uns folgende Möglichkeiten der Einbringung von Aufnahmematerial
(Platten, Film) zu Gebote. Die Platte (Film) wird zwischen den Zähnen gehalten,
liegt in der „Bißebene“, Schichtseite nach oben bei geschlossener Zahnreihe.
Die Zähne halten die Platte fest, die Lippen legen sich lose darüber. Die Ein-
bringung gelingt so gut wie immer leicht. Seltenerweise ist der beim tiefer
Hineinschieben auftretende Rachenreflex (Würg- und Brechreiz) ein ernsteres
Hindernis. In der Regel gelingt es durch Zureden, tief atmen lassen u. dgl.,
auch erregbarere Patienten zur Beherrschung und Ruhe zu bringen. Oft gelingt
es, durch Reiben der hintersten Partien der Gaumenschleimhaut den Reflex
auszuschalten (Holzknecht). Bei dieser Gelegenheit sei bezüglich des Würg-
reflexes bemerkt, daß ich, obwohl über ein ziemlich reiches Material verfügend,
niemals eine Aufnahme aus diesem Grunde aufgeben mußte. Ein einziges
Mal war ich gezwungen, ich glaube mehr ut aliquid fieri videatur, eine sehr
schwache Kokainpinselung des Velum zu machen.
Die zweite Art der Lage des Aufnahmematerials für obere Zähne ist
die Anlegung einer Platte (Film) 3X45 cm an die palatinale Seite des Zahn-
bogens und Fixation durch die Hand des Patienten.
Die Platte wird vom Arzt eingelegt, Schichtsefte röntgenröhrenwärts
gerichtet. Der untere Rand soll mindestens ein Viertelzentimeter über die
Kaufläche vorragen. Ist die Platte in der für die Aufnahme gewünschten Lage
gut und sicher angelegt, wird der Patient aufgefordert, mit dem Daumen der
kontralateralen Hand (für die linke Zahnreihe die rechte Hand) die Platte zu
fixieren, indem er sie nach oben und außen leicht andrückt. Man achte darauf,
daß Films nicht durchgebogen, Ecken nicht umgebogen werden! Die vier
Finger der Hand legt der Patient an die nicht bestrahlte Wangenseite und
stützt mit der freien Hand den Ellbogen der haltenden (Fig. 5). Bei sämtlichen
Aufnahmen des Öberkiefers lasse ich den Patienten im zahnärztlichen Opera-
tionsstuhl sitzen. Ich ziehe diese Lage als bequemer und wegen der geringeren
nötigen Neigung des Kästchens, insbesondere bei Wasserkühlröhren dem Liegen
vor. Als Fixation genügt im allgemeinen bequemes Anlehnen an die richtig
eingestellte Kopfstütze. Die sonst bei allen Aufnahmen verwendete Schlitzbinde
(Robinsohn) ist in dieser Lage für kurzzeitige Aufnahmen erfahrungsgemäß
überflüssig.
Untersuchung der einzelnen Zähne.
Übersichtsaufnahme der oberen Frontzühne.
Großer Schneidezahn.
Die Platte (Film) liegt in der Bißebene, Schicht nach oben. Einstellung
des Hauptstrahls in der medianen Sagittalebene, der Fußpunkt des Haupt-
212 Fritz Pordes.
strahles steht auf der Mitte der Verbindungslinie der Wurzelspitzen von 1Jl.
Neigung (nach dem Dieckschen Gesetz) normal auf die Halbierungsebene des
Winkels zwischen der Achse der großen Schneidezähne und der Platte. Bedeu-
tend leichter gesagt als getroffen. Es ist vor allem notwendig, das nach einer
Einstellung resultierende Bild nach der Lage von Zahn, Platte und Hauptstrahl
voraussehen zu lernen. Die mehr theoretische Erkenntnis vom rechten Winkel
Vig. 6.
p=
C
Canalis incisivus.
A Röntgenbild (Diagramm): Canalis incisivus bisquitförmig. Obere Rundung = nasales Ostium.
Untere Rundung = palatinales Ostium.
B, C, D: Sagittalschnitte des harten Gaumens mit verschiedenen Verlaufsrichtungen des Cana-
Jis incisivus (nach Corning).
zur Halbierungsebene usw. ist für das wirkliche Einstellen ein recht schwacher
Behelf. Für den Anfänger ist es empfehlenswert, sich den Hauptstrahl bis zur
Platte verlängert vorzustellen und die Länge der so erzielten Projektion zu
beurteilen. Man läßt zu diesem Zwecke den Patienten bei eingelegter Platte
die „Zähne zeigen“ und zielt mit dem Zentralstrahlindex (Holzknechtsches
Schwebekästchen) oder dem Teleskopauszug (Diecksche Zahnblende am Lam-
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 913
bertzstativ) dabei die Größe der entsprechend ihrer individuellen Schräglage
unter dem gegebenen Winkel auf die Platte projizierten Zähne ins Auge
fassend. Diese Anweisung — des Zielens und den Patienten dabei gleich-
sam Skelettierens — gilt für die Einstellung aller Zahn- und Kiefer-
aufnahmen. Dieses die Weichteile hinwegdenken können, die Fähigkeit, auch
durch ein Parulisödem oder durch einen voluminösen Verband durchzusehen,
ist das nicht lehrbare Imponderabile, das eben die — — — Manus artificis
ausınacht. Wie das Imponderabile der Ars medica überhaupt.
Das richtig eingestellt so gewonnene Bild gibt eine gute Übersicht über
die 1ft, bei sehr flachen Zahnbogen manchmal auch noch über die medialen
Alveolarwände von 2] und |2. Gut zu sehen ist die Sutura palatina, das Fo-
ramen incisivum und der vorderste Winkel der Nasenhöhlen. Will man den
harten Gaumen und die Nasenhöhlen besser sehen, so geht man mit dem Fuß-
Fig. 7.
Radialebenen oberer Zähne in verschiedenen Zahnbogenformen. Man beachte die große
individuelle Verschiedenheit der Radialebenen.
punkt des Zentralstrables höher an den Nasenrücken und stellt ihn steiler.
Die Zähne werden dann verkürzt, die palatinale Seite des Alveolarfortsatzes
deutlicher sichtbar. Das Bild des großen Schneidezahnes ist nach dieser Auf-
nahme allein, auch wenn sie wohl gelungen sein sollte, niemals zu beurteilen.
Es ist stets an die räumliche Nähe des Canalis incisivus zu denken. Dieser
hat, was oft vergessen wird, eine erhebliche Längsausdehnung und dement-
sprechend ein oberes — nasales und ein unteres — palatinales Ostium (Fig. 6).
Es besteht also die Möglichkeit, das eine oder das andere auf die Spitze des
großen Schneidezahnes zu projizieren und einen periapikalen Resorptionsherd
vorzutäuschen. An Kontrolleinstellungen mache ich noch folgende: Auf Platte
in Bißebene, Zentralstrahl auf die Wurzelspitze des zu untersuchenden großen
Schneidezahnes, also etwa auf die Basis der Cartilago alaris (der Nasentlügel)
genau sagittal und eine zweite ebenso, jedoch nicht sagittal, sondern in der
genauen Radialebene des Zahnes. Unter Radialebene eines Zahnes versteht
man eine durch die Achse des Zahnes normal auf die Zahnparabel gelegte
Ebene. (Fig. 7 zeigt die Radialebenen für verschiedene Zahnbogenformen des
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 16
314 ' Fritz Pordes.
Oberkiefers.) Dann jedenfalls noch eine dieser paramedianen (die sagittale
oder die in der Radialebene eingestellte) Aufnahmen auf die an den Gaumen
. angelegte, mit der Hand des Patienten fixierte Platte.
Die Neigung des Zentralstrahles ist dabei entsprechend der anderen
Lage der Projektionsebene eine größere (Fig. 8). Handelt es sich vornehmlich
um die Darstellung der dem Halse benachbarten unteren Hälfte der Wurzel
(Fausse route) oder des Limbus (Alveorlarpyorrhoe, paradentäre Abszesse), so
ist bei allen Zähnen des Oberkiefers der Zentralstrahl nicht auf die Wurzel-
spitze, sondern auf die Wurzelmitte zu richten und stärker zu neigen. Es wird
Fig. 8.
Die Neigung des Hauptstrahles zur Erzielung des „natürlichgroßen“ Bildes ist auf angelegter
Platte größer als auf Platte in Bißebene.
dabei auf die Darstellung der Wurzelspitzen möglicherweise verzichtet, was
jedoch bei einer Platte unter den vielen Aufnahmen einer Analyse irrelevant
ist. (Genauere Bestimmung der Lage einer Fausse route s. u.)
Kleiner Schneidezahn.
Die Darstellung dieses Zahnes ist die relativ leichteste. Beirrende Nach-
bargebilde sind kaum je vorhanden. (Ich sah ein einziges Mal ein bis zum
kleinen Schneidezahn vorragendes Antrum Highmori.) Eine Aufnahme auf Platte
in der Bißebene in natürlicher Größe und in der Radialebene genau eingestellt
und eine ebensolche auf dem Gaumen angelegte Platte genügen in vielen
Fällen. Zu erwähnen ist die Neigung von Spitzenresorptionsherden des kleinen
Schneidezahnes, nach palatinal vorzudringen und am Gaumen zu perforieren.
Es ist bei diesem Verdacht eine möglichst steil von oben her und in der
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 215
Radialebene eingestellte Aufnahme auf Platte in Bißebene anzuschließen, um
die palatinale Gegend des Processus alveolaris durchmustern zu können.
(Näheres über genauere Lokalisation von Spitzenprozessen im Abschnitt über
den ersten Prämolar.)
Bei diesem Zahn als dem wohl am häufigsten falsch durchbohrten sei
die röntgenographische Auflösung der Fausse route erläutert.
Besteht Verdacht auf Fausse route, so genügt eine einzige noch so gute
Aufnahme niemals, um ihn zu entkräften. Wäre die Fausse route genau fazial
oder palatinal, so wird sie sich auf der in der Radialebene eingestellten Auf-
nahme mit dem Pulpkanal decken und unerkannt bleiben. Aber auch wenn
man auf der ersten „orthoradial“ eingestellten Aufnahme mesial oder distal
vom Pulpkanal eine auf Fausse route verdächtige Stelle sieht, bedarf dies zur
genaueren Lokalisierung noch weiterer nach folgenden Richtlinien eingestellter
Aufnahmen:
Der Hauptstrahl kann von der „orthoradialen“ Einstellung nach Dieck
in dreifacher Weise sich entfernen. Er kann |
1. nach mesial geneigt (mesial exzentrisch),
2. nach distal geneigt (distal exzentrisch) sein.
3. Er kann steil von oben (vom Apex her axial) eingestellt sein.
Nehmen wir an, daß die Höhe der Fausse route, d. h. die Entfernung
der Perforationsstelle von der Wurzelspitze schon nach der ersten Aufnahme
(orthoradial und nach Dieck) bekannt gewesen wäre, so bliebe aufzuklären,
an welcher Stelle der Peripherie des Wurzelquerschnittes die Perforations-
stelle liegt.
Die von mesial eingestellte (mesialexzentrische) Aufnahme zeigt alles
fazial vom Pulpkanal Gelegene distalwärts, alles Palatinale mesialwärts dislo-
ziert. Die distalexzentrische Aufnahme weist die Verschiebung im umgekehrten
Sinne auf. Die steil von oben (vom Apex) her eingestellte Aufnahme zeigt den
Zahn in maximaler Verkürzung, gleichsam in seinen Querschnitt projiziert,
zeigt also günstigsten Falles direkt die Stelle der Peripherie, an welcher die
Fausse route perforiert. Diese Serie ermöglicht dann die Lokalisation der
Fausse route nach dem aus Fig. 9 ersichtlichen Schema. Das an diesem Spe-
zialfall angewendete allgemeine (esetz der Auflösung von Tiefenbeziehungen
durch Aufnahme aus verschiedenen Winkeln lautet:; |
Bei Verschiebung der Röntgenröhre verschieben sich die Bilder aller
projizierten Punkte im umgekehrten Sinne wie die Röhre. Die Bilder der pro-
jizierten Punkte verschieben sich auf der Platte um so mehr, je weiter die
Punkte von der Projektionsebene (Platte) und je näher sie dem Zentralpunkt
(Fokus der Röntgenröhre) gelegen sind. Z. B. die Röhre wird mesialwärts
verschoben (mesialexzentrische Einstellung). Die Bilder aller Punkte wandern
auf der Platte distalwärts. Der faziale Teil des Zahnes als der plattenfernere
16*
916 Fritz Pordes.
wandert weiter nach distal als der palatinale, es erscheint demnach auf dieser,
Aufnahme der faziale Teil als der distale, der palatinale als der mesiale.
(Siehe Fig. 9.) Eine mesial exzentrisch eingestellte Aufnahme des großen
Schneidezahnes projiziert das nasale Ostium des Canalis incisivus nach distal
über die Spitze des großen Schneidezahns.. Fine distal exzentrisch eingestellte
Aufnahme ist geeignet, die Einserspitze über das palatinale Ostium des Canalis
Fig. 9.
3 2°
B
Analyse einer Fausse route am kleinen Schneidezahn.
A = Querschnitt des Alveolarfortsatzes mit eingezeichneter Einstellung.
B = resultierende Bilder. OR = bei orthoradialer Einstellung erscheint die Fausse route als
unbedeutende Ausbuchtung des Pulpkanales. Erst bei DE = distalexzentrischer Einstellung er-
scheint dieso in voller Ausdehnung und es kommt die Perforationsstelle zur Ansicht.
incisivus zu werfen und ebenso einen periapikalen Resorptionsherd vorzu-
täuschen.
Dieses Gesetz (angewendet auch in Holzknechts Dreiplattenmethode)
wird uns weiterhin fortwährend beschäftigen und sollte vielleicht deshalb etwas
ausführlicher dargestellt werden.
Der obere Eekzahn.
Von der Darstellung des normal stehenden oberen Eckzahnes gilt an-
näherungsweise dasselbe wie für den kleinen Schneidezahn. Eine Aufnahme
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 217
nach Dieck und in der Radialebene auf Platte in Bißebene und eine eben-
solche auf angelegte Platte werden in der Mehrzahl der Fälle genügen. Doch
ist der Trefferprozentsatz des Gelingens dieser zwei Aufnahmen geringer als
beim Zweier. Bei keinem Zahn macht sich nämlich die individuell verschiedene
Krümmung des Zahnbogens so unangenehm fühlbar als bei diesem Eckpfeiler.
Bei dem einen Fall liegt die Radialebene des Caninus noch nahe der sagittalen,
bei dem anderen ist sie fast frontal (Fig. 7). Dem richtigen Treffen der Radial-
bene ist daher bei diesem Zahn besonderes Augenmerk zuznwenden. Ob die
Radialebene richtig getroffen wurde, erkennt man daran, daß die beiden
dreieckigen mesial und distal gelegenen Septa interalveolaria gleich breit und
breiter als alle übrigen mitabgebildeten erscheinen. Umgekehrt kann man die
Radialebene, in der der Hauptstrahl des ein Röntgenogramm darstellenden
Strahlenbündels gelegen war, aus dem breitesten Interalveolarseptum erkennen.
Und das ist wichtig, denn: Falsche Radialebene bedeutet ein un-
brauchbares Bild!
Beim normal stehenden Caninus ist ferner noch die Konfiguration des
(aumens beim Anlegen der Platte 3 X 4'5 zu beachten. Niedrige Gaumen
lassen die Platte schwer adaptieren und auf schlecht — zumeist nach distal
verschobener — angelegter Platte kann es einem passieren, daß man die
Wurzelspitze dieses längsten Zahnes abschneidet.
Eine weite Indikationsbreite und ein großes Betätigungsfeld findet die
Röntgenanalyse an den retinierten Zähnen, deren Untersuchung hier bei dem
am häufigsten retinierten Eckzahn besprochen werden soll. Die erste Auf-
nahme einer solchen Analyse hat festzustellen, ob und wo ein retinierter
Zahn vorhanden ist. Es ist also erforderlich, das in Betracht kommende
Gebiet in möglichst breiter Ausdehnung auf die Platte zu bekommen. Platte
in Bißebene, Einstellung in der Radialebene des gesuchten Zahnes, jedoch
steiler, als es für die Darstellung der durchgebrochenen Zähne in natürlicher
Größe notwendig wäre, damit diese verkürzt abgebildet, dem Gaumenskelett
mehr Platz einräumen. Der auf dieser Aufnahme festgestellte und in seiner
Lage ungefähr erkannte retinierte Zahn wird nun in seinen Lagebeziehungen
zu den übrigen Gebilden — Zahnwurzeln, pneumatischen Höhlen etc. analysiert
durch eine in der Radialebene zwischen eins und zwei und eine in der Radial-
ebene des zweiten Prämolaren auf die Platte in Bißebene etwas steiler als
normal eingestellte Aufnahme, ferner durch eine Aufnahme auf angelegte
Platte orthoradial und weniger steil als normal. (Normal, d. i. so, daß die
stehenden Zähne sich in natürlicher Größe abbilden würden.)
Auf diesen Aufnahmen sind nun genügend viel Verschiebungen im
Bilde fixiert, um alle Fragen nach l.agebeziehungen zu beantworten. Auf der
aus der Radialebene des Fünfers gemachten Platte erschiene beispielsweise
die Spitze der Krone des retinierten Eckzahnes in der Mitte der Wurzel
218 Fritz Pordes.
des kleinen Schneidezahnes (Fig. 10A). Auf der aus der Radialebene der
Schneidezähne eingestellten Aufnahme wäre der kleine Schneidezahn über dem
Eckzahn nach distal gewandert, die Eckzahnspitze läge zwischen dem großen
und kleinen Schneidezahn (Fig. 10 B). Die Spitze des Eckzahnes liegt demnach
Fig. 10.
B
12 4
Einfuches Beispiel der Analyse eines retinierten oberen Caninus.
A= Aufnahme in der Radialebene des ersten Prämolaren.
B = Aufuahme in der Radislebene zwischen erstem und zweitem Schneidezabn.
Der Eckzahn liegt mit der Spitze im Septum 1/2 etwas hinter den Zahnachsen.
im Septum interalveolare 1/2 knapp hinter der Ebene der Pulpkanäle. Die
anzuschließende Aufnahme auf Platte in Bißebene orthoradial und steil von
oben (axial) eingestellt vervollständigt und verifiziert die Analyse.
Der erste obere Prämolar.
Für die Aufnahme der oberen Zähne vom ersten Prämolaren aufwärts
am im zahnärztlichen Operationsstuhl sitzenden Patienten wird die geeignetste
Position so hergestellt, dad man den Kopf vom Blick geradeaus seitwärts
wendet. Patient lehnt mit der unbestrahlten Wange in den Polstern der zahn-
ärztlichen Kopfstütze, die Drehung geht so weit, daß die Radialebene des auf-
zunehmenden Zahnes an Stelle der Sagittalebene bei Blick geradeaus zu liegen
kommt. Ist die Einstellung mit dem Röhrenstativ fertig, so folgt die feine
Nachkorrektur mit dem Kopf des Patienten.
Der erste obere Prämolar ist ein zweiwurzeliger Zahn. Die Wurzeln
stehen einander bukkal und palatinal gegenüber. In der Radialebene (ortho-
radial) eingestellt decken sich die Projektionen der beiden Wurzeln. Man erkennt
an einem solchen Bild nur — und auch das nicht immer deutlich — eine
längere und eine kürzere Wurzel, d. h. man sieht unterhalb der Wurzelspitze
eine zweite Spitzenkontur durch. Die kürzere Wurzel ist die bukkale, die
längere die palatinale. Die bukkale Wurzel schneidet das abbildende Strahlen-
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 219
bündel unter einem geringereren Winkel als die palatinale, gleichgültig ob
auf Platte in Bißebene oder auf angelegte Platte eingestellt wird (Fig. 11).
Man beginnt die Analyse dieses Zahnes dennoch mit einer orthoradial ein-
gestellten Aufnahme auf Platte in Bißebene. Das Gesetz von der Projektion
in natürlicher Größe ist hier, wie die Figur zeigt, nur für die palatinale Radix
anwendbar. Die Radialebene des ersten Prämolaren ist ähnlich wie beim Eck-
zahn nach der individuellen Konfiguration des Zahnbogens außerordentlich
verschieden. Sie liegt nicht selten fast frontal. Zur Differenzierung der Wurzeln
Fig. 11.
Erster oberer Prämolar (Einstellung und Bild). Aufnahme auf angelegte Platte.
Die bukkale Wurzel erscheint verkürzt, der bukkale Höcker verlängert.
ist auf Platte in Bißebene oder auf angelegte Platte eine mesialexzentrisch
eingestellte Aufnahme anzuschließen. Störend auf dieser stellt sich bei stärkerer
Mesialdeviation die Überschattung der bukkalen Radix mit der des zweiten
Prämolaren ein. Wenn diese Deckung die Diagnose wesentlich hindert, ist als
weitere eine steil von oben (axial) eingestellte Aufnahme auf Platte in Bißebene
zu machen. Dabei wird die bukkale Wurzel wirklich axial] in ihren Querschnitt
projiziert, die palatinale differenziert. Die distalexzentrische Aufnahme liefert
wegen der zwischen drei und vier stärkeren Krümmung des Zahnbogens
weniger gute Resultate.
Nach diesem Schema
1. orthoradial
2. mesial (distal) exzentrisch
3. steil von oben (axial)
290) Fritz Pordes.
ist auch vorzugehen, wenn es sich um die genauere Feststellung der Tiefen-
lage und Ausdehnung von pathologischen Gebilden, insbesondere periapikalen
Resorptionshöhlen handelt. Allgemeine Regel: Das bei einer Verschiebung
der Röhre in mesiodistaler Richtung sich stärker verschiebende
Gebilde liegt bukkal, das im Verhältnis weniger gewanderte
palatinal. Merkpunkte zur Beurteilung der gegenseitigen Verschiebungen
bei verschiedener Röhrenstellung finden sich in dem reichen Material eines
Zahnröntgenbildes zur Genüge. Genauestes Plattenstudium ist Vorbedingung.
Die mesiodistale Ausdehnung pathologischer Gebilde (über mehrere
Waurzelspitzen sich ausdehnende Resorptionsprozesse, Zysten u. dgl.) wird durch
serienweises Aneinanderreihen von Analysen aller in Betracht kommenden Zähne,
am besten auch noch der gesunden Nachbarn festgestellt. Sparen mit Auf-
nahmen heißt die Exaktheit der Diagnose gefährden. >)
Der zweite obere Prümolar.
Dieser in der Regel einwurzelige Zahn setzt in vielen Fällen der Analyse
kaum größere Schwierigkeiten entgegen als der kleine Schneidezahn. Nicht ganz
selten jedoch beginnt bei ihm ein Hindernis, das ich als den Kampf mit dem
Jochbein bezeichnen möchte.
Die Lage und Größe des Jochbogens ist bekanntlich nach Rassenzuge-
hörigkeit und individuell außerordentlich variabel. Dem mongolischen Typus
sich nähernde Gesichtsbildung mit tiefem Abgang des Jochbogens konfiguriert
das bei einer orthoradial auf Platte in Bißebene eingestellten Aufnahme vom
Hauptstrahl zu durchdringende Gebiet derart, daß entweder die Wurzelspitze
selbst vom vorderen Rande des Jochbeinschattens gedeckt wird, oder daß diese
sehr intensive Schattenlinie knapp hinter dem Apex verlaufend das periapikale
Gebiet der Spongiosa der genauen Durchmusterung entzieht. In solchen Fällen
ist es angezeigt, die Radialebene zu verlassen und mesialexzentrisch einstellend
sich dieses Gebiet freizulegen. Es ist auch gestattet, den Fußpunkt des Haupt-
strahles von der Fünfer- auf die Viererspitze zu verlegen. Namentlich gilt dies
für die Aufnahmen auf Platte in Bißebene. Bei angelegter Platte ist ja die
zur Erreichung einer dem Zahne gleichgroßen Projektion notwendige Einstellung
geneigter und es findet das abbildende Strahlenbündel auch unter dem tiefer
abgehenden Jochbogen leichter seinen Weg (Fig. 13, 14).
Zu beachten ist auch noch die häufige Nähe des vordersten Kieferhöhlen-
divertikels. Perforationen von Spitzenprozessen des zweiten Prämolaren ins
Antrum Highmori sind keine Seltenheiten, weshalb in Fällen dieses Verdachtes
nach dem angegebenen Lokalisationsschema vorzugehen ist.
*) Die obere Grenze der Aufnahmezahl ist die Erythemdose der getroffenen
Hautstelle. Bei welcher Zahl von Aui Pe Milim > erreicht wird, ist Sache der Er-
fahrung an der speziòllany Appara ir. /, M eter Aluminiumfilter ist geeignet,
ohne irgendwie zu stören, diese G 1 Vielfaches hinauszuschieben.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 291
and
Zum Beginn einer Analyse der Prämolarengegend empfiehlt sich auf
Platte in Bißebene Einstellung auf die Spitze des ersten Prämolaren, orthoradial
und normal auf die Halbierungsebene zwischen Platte und Zahnachse. Das
Bild liefert eine gute Übersicht von drei bis fünf, unter günstigen anatomischen
Verhältnissen werden auf der genügend weit eingeschobenen Platte auch die
Spitzen der palatinalen Molarenwurzeln sichtbar.
Der erste obere Molar.
Der obere Sechser setzt der Röntgenanalyse eine Reihe von Hindernissen
entgegen, die man kennen muß, um ihnen methodisch zu Leibe gehen zu können.
Die Gestalt und Lage seiner drei Wurzeln macht ihn, von allem anderen ab-
gesehen, für die projektivische Analyse zu einem schwer aufzulösenden Objekt.
Betrachten wir den Zahn (Fig. 12B) von bukkal, so sehen wir die ziemlich
gleichlangen Wurzeln — vor uns die bukkomesiale und bukkodistale —, da-
zwischen durch die seltenerweise ein wenig längere palatinale. Eine von dem
Zahn nach den bisher ermittelten Regeln angefertigte normale Röntgenaufnahme
auf Platte in Bißebene gibt typisch das Bild in Fig. 12C. Die bukkalen Wurzeln
sind stark verkürzt, beinahe in den Querschnitt projiziert, die palatinale
— richtige Einstellung vorausgesetzt — in natürlicher Größe abgebildete
imponiert als scheinbar stark verlängert. Was verständlich wird, wenn wir uns
den Strahlengang Fig. 12B (Pfeil) betrachten. Die relativ leichte Aufnahme auf
Platte in Bißebene ist daher nur für die palatinale Wurzel verwendbar.
Um die bukkalen Radices zu sehen, müssen wir ‘die angelegte Platte
heranziehen. Inwieweit man dabei zum Ziele kommt, hängt wiederum von der
Wölbung des betreffenden Gaumens ab.
Hat das Individuum ein sehr flaches Gaumendach oder einen so engen
Gaumen, daß die Anlegung der Platte sehr erschwert wird, so ist der Winkel
zwischen der Lage der angelegten und der Platte in Bißebene nur ein geringer,
die Einstellung differiert demnach ebenfalls nicht genügend und die scheinbare
Kürze der bukkalen Radices bleibt bestehen. Diese in natürlicher Größe dar-
zustellen, gelingt nur dann, wenn man die palatinale übermäßig verlängert bzw.
mitunter die Spitze vom oberen Plattenrand abschneiden läßt. Dazu kommt
noch, daß die Überschattung mit der massiven palatinalen Wurzel das Gebiet
des Septum interradiculare mit den anliegenden Alveolarwänden der bukkalen
Wurzeln den Blicken entzieht. Auch die bukkalen Wurzelspitzen kommen bei
der eigenwilligen Konfiguration dieses Zahnes bei nahem Aneinanderliegen oder
bei der nicht seltenen Konkreszenz bei orthoradialer Einstellung in den Schatten
der palatinalen Wurzel und müssen durch mesial- oder distalexzentrische Auf-
nahmen aus dem Schattenbereich hervorgeholt und isoliert dargestellt werden
(Fig. 12 D, E, F). Diese in der Konfiguration des Zahnes gelegenen Unannehmlich-
keiten werden durch die topographische Anatomie der Maxilla und des Jochbeines
39) Fritz Pordes.
empfindlich verschärft. Ein Blick auf das Gesichtsskelett (Fig. 13) zeigt das
dem abbildenden Strahlenbündel sich in den Weg stellende Jochbeinmassiv.
Fig. 12.
|
OO QO
A und B=der obere erste Molar von außen und von vorne gesehen. C= orthoradiales Bild
auf Platte in Bißebene. D=Orthoradiale Einstellung auf den Wurzelquerschnitt. E= mesial-
exzentrische Einstellung zur F = [Isolation der distobukkalen Radix.
Der Frontalschnitt (Fig. 14) zeigt die — richtiger eine — Jage dieses Zahnes
zu der sehr variablen Kieferhöhle und zum Jochbogen. Das Diagramm eines
Röntgenbildes dieser Gegend (Einstellung in der Radialebene des ersten Molaren
Die radiograpbische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 923
— normale Neigung) (Fig. 15) zeigt ein Gewirre von über das Bild laufenden
Schattenlinien und Aufbellungsbezirken. Die wichtigste Schattenfigur ist der
V-förmige Schatten des Jochbogens, dessen vorderer Schenkel im vorderen
oberen Bildwinkel schmal beginnend schräg nach unten und hinten verläuft,
dabei breiter werdend an seiner tiefsten Stelle die größte Breite und Dichte
erreicht, von da bogenförmig steil nach hinten und oben abbiegt, sich dabei
schnell verschmälernd.
Der breite Schatten an der tiefsten Stelle entspricht dem Corpus ossis
zygomatici. Der nach hinten aufsteigende Ast des V entspricht dem Processus
Fig. 18. Fig. 14.
Crista zygomatico alveolaris und vorderer Frontalschnitt des Schädels in der Höhe
Jochbogenteil (Corning). des ersten Molaren (Corning).
temporalis des Jochbeines und weiter hinten dem Processus zygomaticus des
Schläfenbeines. Der dichte Schatten des Jochbeines versteckt alles Detailwerk
der Wurzeln und des Processus alveolaris. Von den Ästen des schattenden V
eingeschlossen sehen wir in einer serpiginösen Umgrenzungslinie die Wur-
zeln und die Spongiosa besonders deutlich und kontrastreich. Dieser helle
Bezirk ist die Projektion der lufthältigen Kieferhöhle. Verschiedene in
Zacken zusammenlaufende, flache und engere Bogen sind die Schatten der in-
dividuell variablen, die Winkel und Divertikel des Höhleninnenreliefs bildenden
Cristen und Vorsprünge. Der störende Schatten des Jochbeinkörpers, die tiefste
Stelle des V-förmigen Schattens fällt, wie erwähnt, nach Rassenzugehörigkeit
und individuellem Gesichtszuschnitt auf eine andere Stelle des Zahnbildes und
294 ‚ Fritz Pordes.
ist ebenfalls nach Rasse, ferner Alter und &eschlechtszugehörigkeit verschieden
dicht. Bei Aufnahme aus der Radialebene des oberen ersten Molaren fällt
dieser Schatten meistens auf das Wurzelgebiet des Sechsers und seines di-
stalen Nachbarn, verstärkt durch den Schatten der in der Höhe desselben
zwischen den Juga alveolaria der bukkalen Radices von der Maxilla abgehen-
den Crista zygomatico-alveolaris (siehe Fig. 13, 14, 15). Dieser störenden
Deckung auszuweichen, gibt es eine bestimmte, allgemein gültige Einstellungs-
regel nicht. Es ist vielmehr, wenn man nicht nach dem Gesichtszuschnitt sich
richtend gefühlsmäßig aufs erstemal einen Treffer erzielt und den ersten
Molaren freibekommt, notwendig, den Zahn wie ein artilleristisches Ziel „ein-
zugabeln“. Man kann an dem Hindernis des Jochbeinschattens vorbeikommen:
1. Von vorne, indem man mit mesialexzentrischer Einstellung den
Jochbeinschatten distalwärts wegprojiziert.
2. Drunterweg, auf angelegte Platte, Einstellung so geneigt, da es
möglich ist, ohne die palatinale Wurzel allzusehr zu verlängern. Diese Ein-
stellungsart ist angezeigt bei hohem Gaumen und hohem, schmalem Jochbogen
(langes Gesicht, angelsächsischer Typus). Die beiden Aufnahmen ergeben ganz
gute, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle suffiziente Resultate. Die
zweite Einstellungsart zeigt sehr schön die bukkalen Radices. Eine Deckung
mit dem unteren Rande des Jochbeinschattens, dort, wo er noch zart ist, noch
nicht die massive Undurchsichtigkeit des Corpus erreicht hat, ist mitunter
noch zweckgenügend transparent. Die schwierigsten Fälle sind die Gesichter
mit mongoloiden, breiten, massiven, tiefabgehenden Jochbogen (Slawen, Magya-
ren, Beethoventypus, „Quadratgesicht“). In solchen Fällen bleibt als Ultimum
refugium:
3. durchs Antrum zu projizieren. Man muß so zielen, daß der
den darzustellenden ersten Molaren abbildende Strahl durch die Kieferhöhle
geht. In solchen Fällen ist die erste Aufnahme natürlich fast nie verwertbar und
dient vielmehr lediglich dazu, sich über die Lage und Größe der Kieferhöhle und
ihre Beziehung zu dem abzubildenden Zahne zu orientieren. Der bessere Schütze
wird nach den wenigsten Fehlern den Treffer zu verzeichnen haben. Es wird
dann die gesuchte palatinale Wurzelspitze in der Aufhellung des Antrum
deutlich zu sehen sein. Die bukkalen Wurzeln sind auch bei ungünstig kon-
figurierten Jochbeinen so gut wie immer nach der zweiten Art (drunterweg)
auf die Platte zn bekommen, hier allerdings meistens unter Verzicht auf den
palatinalen Apex.
Der erste obere Molar erfordert demnach unter Umständen eine große
Anzahl von nicht immer zum erstenmal gelingenden Aufnahmen, will man sich
wirklich über alle erreichbaren Fragen möglichsten Aufschluß verschaffen.
Die Entscheidung, in welcber Beziehung zur Kieferhöhle die projektivisch
darin erscheinende Wurzel steht, ist Sache der hier nicht zu erörternden Röntgen-
pathologie.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 295
Eine orthoradial oder leicht mesialexzentrisch auf den ersten Molaren
eingestellte Aufnahme auf Platte in Bißebene gibt ein gutes Übersichtsbild
des ganzen Molarengebietes.
Der zweite obere Molar.
Der obere Siebener hat eine dem ersten Molaren analoge Konfiguration.
Er unterscheidet sich von diesem in der Regel durch geringere Wurzellänge
und engeres Zusammenstehen der Wurzeln, häufige Konkreszenz der bukkalen,
hie und da aller dreier. Für seine Darstellung gilt somit im allgemeinen
das für den ersten Molaren Gesagte, abgesehen von einigen durch seine anderen
Beziehungen zu den umliegenden schattenden Gebilden bedingte Abänderungen.
Der tiefste Teil des V-förmigen Jochbeinschattens liegt über den ersten Mo-
A Fig. 15.
Röntgenbilder (Diagramme) der oberen Molarengegend mit dem V-förmigen Schatten des Joch-
bogens und dem Aufhellungsbezirk der Kieferhöhle. Man beachte die individuellen Ver-
schiedenheiten.
laren. Es ist individuell sehr variabel, in welcher Radialebene, ob sechs oder
sieben, dieser Schatten seine größte Dichte und Breite erreicht. Der Siebener
unterscheidet sich .insoferne günstig vom Sechser, als in seiner Radialebene
die Kieferhöhle breiter und tiefer ist, als über dem Sechser. Aus diesem Grunde
ist die orthoradiale Aufnahme auf Platte in Bißebene beim Siebener häufiger
suffizient, da sie die palatinale Siebenerradix häufiger im Aufhellungsbezirk
der Kieferhöhle zeigt. Die beim Sechser als erste Aushilfsmethode angegebene
mesialexzentrische Einstellung ist nicht anwendbar, weil es begreiflicherweise
nicht möglich ist, den Jochbeinschatten bis über den Siebener hinaus nach
distal wegzuprojizieren. Dagegen ist die zweite Methode (drunterweg) leichter
ausführbar, da das Jochbein etwa in der Radialebene der distobukkalen Sie-
benerradix in den Processus temporalis übergeht, d.h. der Einfallsraum sich
verbreitert. Mit einer minimalen, distalexzentrischen Deviation kommen wir
demnach unter dem hinteren Schenkel des V-förmigen Schattens durch.
. Die dritte Methode (durchs Antrum) ist, wie anfangs erwähnt, hier leichter
und kommt häufig als Zufallstreffer (Fig. 15, A. B). Bei Einbringung der Platte
226 Fritz Pordes. Die radiographische Darstellung etc.
— namentlich beim Anlegen, weniger bei Platte in Bißebene beginnt sich beim
zweiten Molaren der Gaumenreflex störend bemerkbar zu machen. Die An-
weisung, tief und ruhig zu atmen, hilft dem Patienten meistens darüber hin-
weg. Umbiegen der hinteren oberen Filmecke (was jedoch zur Vermeidung
von Verzerrungen möglichst scharfkantig unter einem Winkel von 90 Grad
gemacht werden muß, so daß die umgebogene Ecke auf dem Bilde als solche
deutlich erkennbar ist — Film mit Bleifolie hinterlegt — oder die Verwen-
dung einer Glasplatte mit abgeschrägten Ecken und abbiegbarer Bleifolien-
hinterlage, wie ich sie für den Unterkiefer verwende, s. dort) ist das zweite
Hilfsmittel. Führt dies nicht zum Ziele, so ist zunächst zu versuchen, mit einer
Platte in Bißebene zur Darstellung der palatinalen Radix und eventuell, wenn
dies möglich ist, mit weniger hoch hinaufgeschobenen angelegten Platten zur Dar-
stellung von Krone und Hals und etwa der ein wenig zu verkürzenden Buk-
kalradices den diagnostischen Anforderungen zu genügen. Es wird mitunter
möglich sein, auch mit einer Aufnahme auf Platte in Bißebene den Fragen
des speziellen Falles Genüge zu tun. Ich kann mich nicht erinnern öfter, als
zwei- oder höchstens dreimal zum Verzicht auf die Anlegung der Platte ge-
zwungen worden zu sein. Zum Aufgeben der Untersuchung war ich, wie
gesagt, nie gezwungen. Ein einziges Mal mußte ich, wie erwähnt, den weichen
Gaumen mit Kokainlösung pinseln, um den schon beim Einlegen der Platte in
Bißebene auftretenden sehr heftigen und unüberwindlichen Würgreiz auszu-
schalten. Es handelte sich um einen 5ijährigen Mann. Gerade bei den als
empfindlich gefürchteten Frauen bin ich mit dem Rachenreflex immer ganz
gut ohne das fertig geworden. Das hysterische Symptom des Fehlens dieses
Reflexes hatte ich zu wiederholten Malen Gelegenheit zu beobachten.
Der obere Weisheitszahn.
Die anatomische Gestaltung dieses Zahnes ist, wie bekannt, individuell
ungemein verschieden. Von drei kräftigen, wohl separierten Radices bis zu
einem kümmerlichen Wurzelrudiment bekommt man alle Übergänge zu Ge-
sicht. Seine Lage zum Jochbogen unterscheidet sich von der des zweiten Mo-
laren im selben Sinne. wie die dieses Zahnes von der Lage des ersten Mo-
laren. Der hintere Ast des V-förmigen Schattens — der Processus temporalis
des Jochbeines — ist selten mehr störend. Die hintere Wand der Kieferhöhle
ist de norma mesial vom Weisheitszahne gelegen. Häufig liegt der Weisheits-
zahn dem Antrum Highmori von hinten an. Die orthoradial zum Sapiens auf
Platte in Bißebene eingestellte Aufnahme zeige diesen in der Regel in ge-
nügender Deutlichkeit. Eine Aufnahme auf angelegte Platte kann zur genauen.
Darstellung des häufig mit der Kaufläche über der Bißebene liegenden, noch
nicht durehgebrochenen, mitunter gegen die distale Siebenerflächen mehr oder
minder geneigten Zahnes nicht entraten werden. Itetinierte Weisheitszähne
werden pach den beim Ecekzahn angegebenen Regeln lokalisiert. Es ist oft
Referate und Bücherbesprechungen. 297
angezeigt, zu ihrer Bestimmung der Analyse die eine oder andere extraorale
Aufnahme anzuschließen, z. B. eine postero-anteriore und eine reinfrontal auf
den Weisheitszahn eingestellte, nötigenfall seine axiale. (Einstellung dieser Auf-
nahmen s. u.) Eine distalexzentrisch — vom Ohr her — eingestellte Aufnahme
auf Platte in Bißebene projiziert die Sapienswurzel hie und da in den Auf-
hellungsbezirk der Kieferhöhle.
Das über den Rachenreflex und dessen Überwindung beim zweiten Mo-
laren Gesagte gilt in vermehrtem Ausmaße für den Sapiens. (Fortsetzung folgt.)
Referate und Bücherbesprechungen.
Über Geschlechtsunterschiede im Bereiche des menschlichen Gesichts-
a Von Dr. Eugen Adams, Straßburg i. E. D. M. f. Z., H. 6,
uni 1917.
Aus der detaillierten, ausführlichen Arbeit können nur die wichtigsten
Punkte in der Kürze eines Referates hervorgehoben werden: Die linearen
Maße am weiblichen Gesichtsschädel sind nicht nur alle absolut kleiner
als am Männerschädel, sondern die meisten auch relativ, d.h.in ihrem
Verhältnis zur Schädelbasislänge. Nur Gaumenbreite und Maxillo-Alveolar-
breite sind relativ größer. Der Gesichtsschädel der Frau ist außerdem
im Verhältnis zum Hirnschädel kleiner, jedoch auch nicht in allen seinen
Mazen gleichmäßig. Durch die größere Breite wird das Gesicht rundlicher-
chamaeprosop. Auffallend ist die Angabe Adams’, daß zwar Obergesichts-
höhe und Unterkieferhöhe relativ kleiner, die Okklusionshöhe
dagegen relativ größer ist als beim Mann. Der Unterkiefer zeigt beim
Weibe statt der männlichen V- die U-Form. Die Stellung des Oberkiefer-
alveolarfortsatzes zur Schädelbasis ist bei beiden Geschlechtern gleich,
doch besteht beim weiblichen eine relative alveoläre Prognathie, da hier
der Alveclarfortsatz gegen den Kieferkörper mehr vorgelagert er-
scheint. Als zusammıenfassendes Resultat ergibt sich die Bestätigung einer
schon lange bekannten Tatsache, daß nämlich der Weiberschädel reichlich
infantile Merkmale besitzt. Sicher.
Die Anwendung von Bruchsäeken zur Transplantation. Von Dr. W eder-
er S e. Feldärztliche Beilage Nr.24 der M. med. Wochenschr., S. 785
69).
Auf Grund einer bereits auf Jahre zurückreichenden Erfahrung emp-
fiehlt Wederhake die Verwendung von Bruchsäcken zur freien Über-
pflanzung, um Weichteilverluste und große granulierende Flächen zu decken
und feste, schmerzlose und. verschiebliche Narben zu erzielen.
Die Technik ist sehr einfach. Der bei einer Leistenbruchoperation
gewonnene Bruchsack wird bis zum Schlusse der Operation in einem sterilen
Tupfer aufbewahrt und dann auf die zu deckende Fläche, welche gute Granu-
lationen aufweisen, aber nicht mehr stark eitern soll, derart aufgelegt, daß
die wunde Seite des Bruchsackes auf die Wundfläche, die Endothelschicht
nach außen zu liegen kommt. Die zu deckende Fläche wird, wenn möglich,
298 Referate und Bücherbesprechungen. — Personalien.
einige Tage vor der Transplantation mit verdünnter essigsaurer Tonerde
behandelt. Falls Blutserum zur Verfügung steht, ist es vorteilhaft, die
granulierende Fläche gut mit frischem Serum zu befeuchten. Ein ähnlicher
Effekt wird erreicht, wenn das Glied, an dem die Transplantation vor-
genominen werden soll, 2—3 Stunden vorher nach Bier gestaut wird
(blaue Stauung). Dann wird der Bruchsack aufgelegt und mit einem
trockenen oder mit Vaselin bestrichenen Tupfer bedeckt; darüber kommt
ein nicht drückender Verband. In den Fällen, in welchen das Transplantat
nicht anheilt, ist trotzdem eine Besserung erzieht, wenn unter dem Bruch-
sack zahlreiche kleine Epithelinseln aufschießen. Tritt Einheilung des
Transplantates ein, so wird durch Pinselung mit 10% alkoholischer Tannin-
lösung die neue Haut gehärtet. Unter dem Bruchsack tritt eine lebhafte
Gewebswucherung ein, wodurch die Unterpolsterung und Verschieblichkeit
der Narbe resultiert.
An der Hand von zahlreichen Beispielen zeigt Wederhake die
fast unbegrenzte Anwendungsmöglichkeit seines Verfahrens, welches berufen
scheint, neben den alten bewährten Transplantations-
methoden eine wichtige Rolle in der Chirurgie zu
spielen. i
Kriegszahnklinik, August 1917. Zilz.
Die exakte Wiederherstellung der ursprünglichen Form und Gestalt des
Kieferskelettes bei Frakturen ist zur Erzielung eines vollen kosmetischen
Erfolges Hauptbedingung. Von Jul. Steinkamm, Essen. D.M.f. Z.,
H.5, Mai 1917.
Durch einige Krankengeschichten wird der im Titel fixierte Leitsatz
anschaulich erörtert. Zu erwägen hierbei ist nur die von Euler auf-
geworfene Frage, ob man licber bei geringeren Defekten durch die exakte
Einstellung der Fragmente eine Pseudarthrose begünstigen soll, die nach-
träglich eine Osteoplastik erfordert, oder ob man nicht geringe Fehler
der #instellung bei der Erzielung einer knöchernen Primärheilung in Kauf
nehmen soll. Gewiß wird die Entscheidung keine allgemein gültige sein
dürfen, sondern sich jedem Falle anzupassen haben, aber gerade deshalb
halte ich Leitsätze. wie der Tite] der vorliegenden Arbeit, a
icher.
Personalien.
(Nobilitierung.) Reg.-Rat Prof. Dr. Julius Scheff, der kürzlich mit
dem Orden der Eisernen Krone III. Kl. ausgezeichnet wurde, ist in den Adels-
stand erhoben worden.
(Auszeichnung.) Der Kaiser hat dem Zahnarzt Dr. Viktor Frey in
Anerkennung Ihrer Majestät und a. h. Ibrer Familie geleisteten vorzüglichen
Dienste den Titel eines Regierungsrates mit Nachsicht der Taxe verliehen.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, DI., Mlinzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift ar Stomatologie
Organ ir, die wissenschantiouen Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
XVI. Jahrgang. September 1918. H 9. Heft.
Nachdruck ae
Original Arbeiten. |
(Aus dem anatomischen Laboratorium der städtischen Universität zu
i Amsterdam.)
Ein Beitrag zu der Morphogenese des „Dens in dente“.
Yon Dr. med. dent. Th. E. de Jonge Cohen, Assistent für Zahnanatomie an | der
Reichsuniversität in Utrecht. ')
(Mit 6 Figuren.)
Der Gegenstand, dem ich einige Worte widmen möchte, ist nicht mehr
neu: die erste Beschreibung des Dens in dente datiert bereits aus einer Zeit,
die mehr als 20 Jahre zurückliegt. Doch können wir diesem Hinweise hinzu-
fügen, daß diese erste Beschreibung bisher zugleich die einzige dieser Art
geblieben ist, woraus gefolgert werden kann, daß die genannte Formabweichung
wohl zu den außerordentlichen Seltenheiten zu rechnen ist, und daß es wohl
ein sehr glücklicher Zufall war, daß ich bei einer Untersuchung nach der
Wurzeldifferenzierung unserer Prämolaren Gelegenheit hatte, nicht nur die
Abweichung selbst in ihrer reinsten Form festzustellen, sondern gleichzeitig
an Hand einer Serie von Präparaten die allmähliche Entwicklung des Dens
.in dente verfolgen zu können.
Der erste, der sich mit der Formbeschreibung und Formerklärung des
Dens in dente beschäftigte, war Professor Busch, der drei Fälle beschrieb: einen
‚ersten Schneidezahbn und einen überzähligen Schneidezahn, beide im Ober-
kiefer, sowie einen zweiten Schneidezahn im Unterkiefer. Bei allen drei war
die linguale Hälfte des Zahnes — das Deuteromer‘°) also — so stark ent-
wickelt, daß sich auch bei dem unteren Schneidezahn — was wohl eine auBer-
ordentlich seltene Erscheinung ist — auf der Krone ein selbständiges lin-
guales Höckerchen (D):) manifestierte.
1) Während der Drucklegung der vorliegenden Arbeit teilt uns der Autor
mit, daß ihm der in der Österreichisch-ungarischen Vierteljahrsschrift für Zahnheil-
kunde, Heft 1/2, 1918, erschienene Aufsatz von Prof. Dr. Hans Moral (Rostock):
„Eine seltene Zahnmißbildung (Dens in dente)“ aus Gründen, die durch die Kriegs-
verhältnisse bedingt sind, zur Zeit der Abfassung seines Artikels unbekannt war
und er daher Morals Arbeit nicht erwähnen bzw. referieren konnte.
3) Nomenklatur Bolks.
Österr. Zeitschriit für Stamatolngie. 17
u
230 Th. E. de Jonge Cohen.
. Man bemerkt in der genannten Beschreibung sofort, daB Busch selbst
kejnen Verband zwischen der letztgenannten -Strukturangmalie: und, den Ent-
wicklungen des Dens in dente legt; im Gegenteil betrachtet er die kräftige
Entwicklung der lingualen Hälfte der drei -beschriebenen Ineisivi, abgesehen
von einem Falle, als Koaleszenzerscheinung: gerade daher bespricht er seine
Fälle unter der Rubrik: „Verschmelzung und Verwachsung der Zähne des
Milchgebisses und des bleibenden Gebisses*. Den Dens in dente betrachtet
er als Komplikation und erklärt er dementsprechend, daß „das eine Zahn-
gebilde das andere zirkulär umwachsen hatte“.
Diese Hypothese wird durch kein einziges positives Argument bestätigt:
im Gegenteil erweist sie sich strittig gegenüber dem ebenfalls von Busch
festgestellten Vorhandensein einer radiären Schmelzbekleidung des Dens in
dente. Diese Schwierigkeit fällt indessen weg, sobald wir den Dens in dente
auf. eine „leilerscheinung“ einer im Nachstehenden noch näher zu behandeln-
den progressiven Formvariation zurückbringen.
. Selbst traf ich den Dens in dente nicht nur bei Schneidezähnen an,
sondern ebenfalls bei dem ersten unteren Prämolar. Ebenso wie in den von
Busch beschriebenen Fällen war die Entwicklung des Dens in dente mit
einer ausgesprochen progressiven Entwicklung des Deuteromers verbunden.
so daß ich es als angebracht erachtete, der Frage näher zu treten, ob der
Koinzidenz von Dens in dente mit progressiver Entwicklung der lingualen
Zahnhälfte nicht eine bestimmte Bedeutung zukommt.
Eine nähere Besprechung des Verlaufes dieser Entwicklung wird uns
(relegenheit bieten, diese Frage zu beantworten.
In den meisten Handbüchern der Zahnanatomie werden unsere unteren
Prämolaren schlichtweg einwurzelig genannt. Diese Auffassung ist richtig, so-
lange wir auf dem rein formbeschreibenden Standpunkt stehen: denn Mani-
festierung von mehreren, vollkommen getrennten Wurzeln kommt bei den
unteren Prämolaren verhältnismäßig wenig vor. Eine um so häufigere Er-
scheinung ist, besonders bei dem ersten Prämolar, unvollständige Spaltung in
eine bukkale und eine linguale Hälfte. Diese Spaltung erfolgt, wie aus
den Photos der Präparate erhellt, von einigen besonderen Abweichungen abge-
sehen, konstant von der mesialen Seite aus (siehe Fig. 1!nd?2), so daß
in einem weiteren Stadium zwischen mesialer und distaler Wurzelfläche nur
ein dünnes Septum übrig bleibt (siehe Fig. 1%und+), das noch immer eine Ver-
bindung zwischen Protomer und Deuteromer bildet.
Erst wenn auch dieses Septum verschwindet, kann man von bukkaler
und lingualer Wurzel sprechen: jedoch kommt vollständige Trennung, wie
schon gesagt, nicht allzu oft vor.
Dancben ist als zweite Progression Spaltung des bukkalen Wurzel-
gebietes in eine mesio- und eine distobukkale Wurzel bekannt, so daß wir als
Ein Beitrag zu der Morphogenese des „Dens in dente“. 231
Endstadium der Wurzeldifferenzierung volaandigs :Spaltung in zwei bukkale
Wurzeln und eine linguale kennen.
Soweit über die normalen Spaltungserscheinungen Pr Wurzeln. Wie
gesagt: primär ist die von der mesialen Seite ausgehende Wurzelspäl-
tung. Kleine Abweichungen in dem historischen Verlaufe der beschriebenen
Progression können vorkommen; sie sind jedoch nicht von prinzipieller Be-
deutung und können also hier des weitern außer Betracht bleiben. Hauptsache
ist, festgestellt zu haben, daß die mesiale Wurzelwand, die auf horizontalem
Querschnitt ursprünglich als schwach gebogene Linie von bukkal nach lingual
verläuft, sich auf ungefähr einem Drittel ihrer Länge (von lingual an ge-
rechnet) umzustülpen beginnt, wodurch der ganze Aspekt von Radix und
Pulpa verändert wird.
Soweit über den Fig.1.
horizontalen (Querschnitt.
Nehmen wir nun
einen bukko - lingualen
(vertikalen) Durchschnitt
der Wurzel vor, und
zwar derartig, daß die
mesiale Einstülpung in-
takt bleibt — in der
Regel erweist sich dies
nur bei noch jungen
Exemplaren als möglich,
wo die Aussicht auf teil- Horizontaler Durchschnitt Ei Wurzel des ersten unteren
weise oder völlige Obtura- Prümolaren.
tion der Wurzelpulpa noch
so gut wie ganz ausgeschlossen ist —, dann sehen wir, daß diese Einstülpung
gleichsam einen Knochenmantel?) in der Pulpa bildet, dessen Aspekt sich
je nach dem Entwicklungsstadium, in welchem sich dieser Knochenmantel be-
tindet, ändert (siehe Fig. 21,2und5),
Würden wir den Mantel von Fig. 2° in mesio-distaler Richtung treffen,
dann würden wir einen Durchschnitt erhalten, wie in nachstehender Figur.
Wir finden also einen Knochenmantel, der nicht mehr seiner ganzen
Höhe nach mit der mesialen Wurzelwand verbunden ist, sondern sich teil-
weise von der Einstülpung abgeschnürt hat.
Sollte diese Abschnürung sich bis unten hin fortgesetzt haben, dann ist
es klar. daß sich in dem Lumen der Wurzel eine neue, sekundäre Wurzel ent-
1381p
mesial
') Histologisch besteht dieser Knochenmantel natürlich nicht aus Knochen-
gewebe, sondern aus Dentin und Zement.
36°
232 Th. E. de Jonge Cohen.
wickeln muĝ, die ebenso wie die primäre aus Zahubein und Zement USERN
und im Durchschnitt ihr gleich ist.
Wenn diese Hypothese jedoch richtig sein soll, dann ist es klar, dab
sich der Zement der sekundären Wurzel des Dens in dente also zentral von
der Dentinbekleidung befinden muĝ.
Tatsächlich habe ich nun in der Zahnkollektion des Herrn Professor
Bolk einen unteren Prämolar gefunden, bei dem sich völlig frei in der Pulpa-
höhle eine sekundäre Wurzel entwickelt hatte. Nicht nur war der Zement der
sekundären Wurzel — man könnte von einer Radix centralis sprechen —
peripher mit Dentin bekleidet, sondern es gab noch ein weiteres beredtes Ar-
gument für die Richtigkeit meiner Auffassung, nämlich die Lokalisation der
sekundären Wurzel, welche, obwohl sie völlig frei in der primären Wurzel
liegt (wenn auch nicht in der gleichen Achse), doch so weit nach mesialwärts
Fig. 2.
Bukko-lingualer Durchschnitt durch die Wurzel des ersten unteren Prämolaren.
verschoben ist, daß sich die mesialen Wurzelflächen von beiden beinahe be-
rühren, insbesondere dort, wo Einstülpung und Abschnürung stattgefunden
haben müssen.
Auch Busch weist bei der Beschreibung seiner Fälle auf die Topo-
graphie der beiden Wurzeln hin: „Aus der mikroskopischen Betrachtung der
Zahnschliffe sowie aus den Photographien geht nun klar und deutlich hervor,
daß hier in der Tat. das eine Zahngebilde das andere zirkulär umwachsen
hatte. Das höchst merkwürdige Verhalten besteht nun aber darin, daß bei dem
äußeren Zahngebilde der Schmelz nach außen gewandt war, bei dem innern
Zahngebilde aber nach innen. Das Verhältnis der beiden Zähne war also das-
jenige von zwei Handschuhfingern, von denen man den einen in den andern
hineingesteckt hat, so aber, daß der innere Handschuhfinger zuerst umgewen-
det wurde, so daß seine farbige Seite nach innen kam. An der Dentinseite
waren beide Zahngebilde zum Teil miteinander verschmolzen, zum Teil aber
Ein Beitrag zu der Morphogenese des „Dens in dente“. 233
=
ließen sie einen freien Raum übrig, welcher jedenfalls während des Lebens
von weicher Pulpenmasse erfüllt war.“ 1)
Von einer nähern Besprechung der Incisivi will ich indes absehen, da
dieser Gegenstand schen vor geraumer Zeit seitens van Loon studiert wurde
und die Publikation seiner Untersuchungen in kurzem zu erwarten ist.
Die Frage, ob wir den Dens in dente in der Krone oder aber in der
Wurzel antreffen werden, ist völlig von der Art und Weise der Differenzie-
rung abhängig, und so werden wir sehen,‘ daß. bei den Prämolaren der Dens
in dente in der unteren Hälfte der Wurzel lokalisiert bleibt. Bei den Ineisivi,
Fig. 3. Fig. 4.
Mesiale Wurselfläche.
1838 1p
mesial
1835p
.Mesgo-distaler Durchschnitt.
Um den Dens in dente besser nach oben
hin verfolgen zu können, ist der bukko-
apikale Teil der Wurzel weggenommen.
wo sich die Einstülpung, was beiläufig bemerkt sei, von inzisal nach apikal
entwickelt, wird auch die Krone die besprochene Abweichung aufweisen.
Schließlich ist noch zu bemerken, daß sich sowohl die von Busch be-
schriebenen Fälle als die meinen dadurch auszeichnen, daß bei keinem von
ihnen die Spitze noch ganz entwickelt ist, und die Frage ist also berechtigt,
welchen Einfluß die Entwicklung der primären Wurzel auf die Form der se-
kundären Wurzel ausüben wird: wird diese letztere wirklich in der primären ganz
frei bleiben?
!) Prof. Dr. W. Busch, Über Verschmelzung und Verwachsung der Zähne des
Milchgebisses und des bleibenden Gebisses. (D. M. f. Z. 1897. H. 11.)
234 Th. E. de Jonge Cohen. Ein. Beitrag zu der Morphogenese etc.
Hier zeigt uns nun die Wurzelformation der Prämolaren mit normaler
Wurzeleinschnürung den Weg: bei diesen biegt sich der sekundäre Knochen-
mantel an drei Seiten —- bukkal, distal und lingual — in die gleichnamigen
Flächen der primären Wurzel um, und so wird der Knochenmantel, falls der-
selbe sich auch mesial abschnürt (und er also auch mit der mesialen Fläche
völlig frei in der primären Wurzel zu liegen kommt), ebenfalls in die gleich-
namige Fläche der primären Wurzel umbiegen.
Fig. 5.
l- Mesisiery,
Distaler prs
Linguale Hälfte Bukkale Hälfte
Auf diese Weise erhalten wir dann statt eines mehr oder weniger ko-
nisch verlaufenden Apex, einer Wurzelspitze, eine ‚Einstülpung, welche sich
am besten mit der Einstülpung des Bodens einer Flasche vergleichen
läßt. Von derartig geformten Präparaten bilde ich in Fig. 5 zwei ab; die eine
ist in sagittaler Richtung offengelegt, die andere verdanke ich der Freundlichkeit
des Herrn Backer, Arzt in Amsterdam, der so bereitwillig war, eine Röntgen-
aufnahme anzufertigen (Fig.5*, links bukkal, rechts lingual): Bei beiden ist
zu bemerken, daß die sekundäre Wurzel — Dens in dente — auch im er-
wachsenen Zustande hohl bleibt: die Exkavation endigt aufwärts in einer ziem-
lich scharfen Spitze — ebenso wie übrigens der Dens in dente selbst.
Fritz Pordes. Die radiographische Darstellung ete. 25D
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne
und Kiefer.
Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre.
| Von Dr. Fritz Pordes.
(Fortsetzung?)
Einschaltung.
Die Darstelluny der zu Behandlungs-, Füll- oder Ersatzzwecken in
die Mundhöhle eingebrachten und absichtlich oder wunabsichtlich
darin belassenen Fremdkörper.
Das Kapitel wäre Gegenstand des „allgemeinen Teiles“ und gehörte „rite‘
vor die enoralen Aufnahmen gestellt. Daß es dennoch im „speziellen Teil“ Platz
findet, ist darin begründet, daß das Kapitel die Vertrautheit mit den z. T. neuen,
meistens aber ungewohnten Grundbegriffen und Terminis der Einstellungsarten und
der allgemeinen Projektionsgesetze erfordert. Da den Abschnitten über intraorale
Aufnahmen sowohl beim Ober- als auch beim Unterkiefer je ein Kapitel über extra-
orale Aufnahmen der betreffenden Gegenden folgt, die architektonisch allenfalls
richtigere Stellung dieses Abschnittes an den Schluß aus diesem Grunde ebenfalls
nicht angeht, so sei hier dieses, die intraoralen Aufnahmen beider Kiefer be-
treffende Kapitel zweckmäßiger als schön untergebracht
Die Kenntnis von der anatomischen Gestalt des Gebiiaes hütet uns
im allgemeinen davor, röntgenographisch-projektivisch entstandene Ver-
zeichnungen allzu kraß zu mißdeuten und einen ersten oberen Molaren mit
einer langen palatinalen Wurzel und zwei winzigen bukkalen Stümpfchen
etwa für eine anatomische Varietät oder Mißbildung zu halten. Wir
wissen, daß die bukkalen Wurzeln durch ihre Lage im abbildenden Strah-
lenbündel verkürzt erscheinen müssen, und nehmen erst, wenn wir auf einer
stark geneigt eingestellten Aufnahme auf angelegter Platte einen identi-
schen Befund erheben können, wirklich an, daß die bukkalen Radices kür-
zer sind, als der Norm entspricht. Nun gibt es aber auf den Röntgenbildern
der Zähne eine Gruppe von Gebilden, deren Gestalt und relative Größe
wir a priori gar nicht kennen. Es sind dies die vom Zahnarzt — anato-
misch gesprochen — in willkürlich vielgestaltig geformte Höhlen, in die
verschiedenartig erweiterten Pulparäume und Kanäle etc. ete. eingebrach-
ten Einlagen und Füllungen, die verschiedenen Bestandteile von Kronen
und Brücken, zuletzt, doch, wie bekannt. nicht allzuselten, in- und außer-
halb der Zähne frakturierte Bohrerköpfe, Miller- und Donaldson-Nadeln,
Injektionskanülen, über das Foramen apicale oder das Ostium einer Fausse
route übergepreßtes Füllmaterial, seltenerweise auch einmal vom Patien-
1) s. Nr.8, 1918, der Österr. Zschr. f. Stomatologie. Abdruck der im Verlage
Urban & Schwarzenberg in Buchform demnächst erscheinenden Artikelserie
236 Fritz Pordes.
ten zu mehr oder weniger klugen Manipulationen eingebrachte Fremd-
körperchen verschiedenster Art.?)
Die Form und Lage dieser Fremdkörper — denn auch Füllungen sind
für den Röntgenologen Fremdkörper — zu erkennen, ist wegen der, wie
gesagt, willkürlichen Form schwerer als bei den Zähnen.
Vor der Besprechung des eigentlich Projektivischen sei eine Ex-
kursion ins Röntgentechnische bezüglich der Sichtbarkeit der in Betracht
kommenden Substanzen gestattet. Die Sichtbarkeit einer Substanz im
Röntgenbilde, der Grad der Durchlässigkeit für Röntgenstralen ist, wie
bekannt, eine Funktion der spezifischen Dichte bzw. des spezifischen Ge-
wichtes. Der Schatten — das Röntgenbild — ist um so intensiver, je spezi-
fisch schwerer eine Substanz ist.
Die spezifisch schweren Metallfüllungen (Amalgam, Gold) und alle
sonstigen schwermetallischen Körper, Kronen-, Brückenbestandteile, Stifte,
Metallringe, Drahtbügel, Nadeln, Bohrer etc. geben daher den dichtesten,
bei genügender Ausdehnung ohneweiters erkennbaren Schatten.
Auch spezifisch schwere Körper können, wenn ihre Größe ein gewisses
Mindestmaß unterschreitet, schwerer sichtbar werden bzw. im Knochenschatten ver-
schwinden, z. B kleinste Fragmente von Donaldsonnadeln, die an Schattenintensität
eine normale Alveolarkompakta durchaus nicht übertreffen müssen.
An nächster Stelle in der Sichtbarkeitsreihe stehen die durch che-
mische Beimengung spezifisch schwerer Substanzen dichte Schatten geben-
den Sorten von Guttapercha (Gilbert, Hill, Guttapercha-Point). Gut
sichtbar sind ferner alle jodoformhältigen Materialien (Pasten, Dochte).
Völlig unsichtbar ist eine Substanz nur dann, wenn sie sich im spezi-
fischen Gewicht gar nicht oder nur in so geringem Maße vom Dentin unter-
scheidet, daß sie sich nicht mehr differenzieren läßt (gewisse Arten von
Phosphatzementen). Substanzen, die spezifisch leichter sind als Dentin,
sind zwar im Zahnschatten nicht zu sehen, doch wird die von ihnen erfüllte
Höhle als solche sichtbar. Es ist dann allerdings nicht zu entscheiden,
ob die von ihnen erfüllte Höhle, etwa der Pulpkanal, überhaupt gefüllt
ist oder nicht. Solche leichte Füllungen sind z. B. Trieresol-Formalin-
wattefäden oder unbeschwerte Paraffinfüllung (Wismut oder Zinkoxyd-
zusatz macht die Füllungen sichtbar).
Wenden wir uns nun wieder der projektivischen Seite der Fragen zu,
so wollen wir zunächst die an der Zahnkrone in Betracht kommenden Mög-
?) Ich sah eine im Pulpkanal eines kleinen oberen Schneidezahnee von
einer an periostitischen Schmerzen leidenden Patientin durch die palatinale Trepa-
nationsöffnung eingeführte und 1?/z em lange, abgebrochene Nähnadel (!). Die Dame
wollte die vom Zahnarzt gesehene und ihr damals Erleichterung schaffende Prozedur
des dem Eiter durch den Pulpkanal Auswegschaffens imitieren.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 237
lichkeiten ins Auge fassen. Die .Zahnkronen waren bisher in der Projek-
tionslehre ein wenig vernachlässigt. Ihre Konfiguration, ihre etwaigen
durch Caries gesetzten Defekte sind dem Auge und der Sonde ohneweitere.
zugänglich und daher im allgemeinen nicht Gegenstand der Röntgenunter-
suchung.
Nebenbei bemerkt, höchst ungerechtfertigt, da der Sonde verborgene Caries
(z. B. Halscaries) rätselhafte Schmerzen verursacht, was bei einer infolge anders-
gestellter Vermutungsdiagnose (Neuralgie, Dentikel etc.) vorgenommenen Röntgen-
untersuchung als überraschender Befund zutage zu treten pflegt.
Der gefüllte und abgeschlossene Zahn jedoch kann im Röntgenogramm
eine Summe von Fragen stellen lassen und kann vor allem Quellen von Irr-
tümern bergen.
1. Überstehende Füllungen.
Öfter, als man vermuten würde, enthüllt das Röntgenbild zervikal
überbaute Füllungen (oft genug auch okkulte Caries). Die Überschüsse
Fig.16.
Cervikal überbaute Füllung.
1. Bukkopalatinale Orthoansicht. 2. Meso-distale Orthoansicht und Einstellung zur Frzielung
von 1 und 3. 3. Ansicht nach der gebräuchlichen Schrägprojektion. Der cervikale Überschuß
erscheint stark verbreitert.
am Zahnhalse sehen im Röntgenogramm massiger aus, als sie es wirklich
sind. Die gebräuchlichen Aufnahmen sowohl auf der Platte in Bißebene als
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 18
238 Fritz Pordes.
auch auf angelegter Platte sind alle mehr oder weniger schräg von oben,
das heißt vom Apex her nach innen unten projiziert. Der kleine Überschuß
erscheint dadurch in die Füllung hineinprojiziert, zwar weniger hoch, je-
doch breiter (Fig. 16). Praktisch erscheint dies wohl nicht übermäßig rele-
vant zu sein. Macht man jedoch ein genaues Diagramm mit einem solchen
massigen Überschuß als Nebenbefund, so zieht man sich von dem betreffen-
den Zahnarzt, für den das einen Vorwurf bedeutet und der seinen Fehler
korrigieren will, wobei er über die Konfiguration falsch informiert ist, mit
Recht den Gegenvorwurf eines ungenauen Befundes zu.
Remedium: vollkommen angelegte Platte, praktisch genau recht-
winkelige Einstellung auf den Zahnhals. Man ist natürlich eo mitunter
nicht imstande, die Wurzelspitze auf die Platte zu bekommen, was jedoch,
da die anderen Bilder das Fehlende enthalten, gleichgültig ist.
2. Füllung und Kronenhöhle. — Wurzelkanal, Füllung und Fremdkörper.
Daraus, daß das Röntgenbild einen Teil einer Füllung auf dem Bilde
der Pulpahöhle zeigt, kann weder geschlossen werden, daß die Füllung sich
innerhalb der Pulpahöhle befindet, noch daß diese überhaupt eröffnet ist.
Eigentlich eine Banalität, muß dies doch betont werden. Es gilt dies
namentlich von den großen Füllungen (Inlays, Amalgam in Stufenkavitä-
ten etc.) an Molaren. Es gibt Füllungen, die in jeder möglichen Projek-
tion in Deckung mit Teilen der Kronenhöhle erscheinen. Man kann natür-
lich alle möglichen Projektionen versuchen, namentlich wenn die Frage
besteht, ob ein faradisch nicht reagierender Zahn wurzelbehandelt oder
„spontan“ abgestorben ist. Es empfiehlt sich insbesondere die letztange-
gebene Orthoprojektion, die überhaupt für Krone, Hals und Limbus alveo-
laris häufige Anwendung verdient. Ist man imstande, ein intaktes Pulpa-
horn zu sehen, so ist die Frage, ob lege artis wurzelbehandelt wurde, da-
mit selbstverständlich verneint. Nicht aber die Möglichkeit der Läsion der
Pulpahöhle an einer anderen, nicht sichtbar zu machenden Stelle ausge-
schlossen (Fig. 17). Sieht man oberhalb einer Schwerfüllung eine weniger
dichte, ungefähr den Umrissen der Pulpahöhle entsprechende, in einen
Kanal sich fortsetzende Füllung, so ist mit an (Grewißheit grenzender
Wahrscheinlichkeit dies als Füllung der Kronenhöhle anzusehen.
Die Pulpahöhle entspricht bei einwurzeligen Zähnen praktisch ge-
nommen der Zahnachse, bei mehrwurzeligen den Wurzelachsen. Es ist wohl
möglich, einen außerhalb der Pulpahöhle befindlichen Körper durch Pro-
jektion mit derselben zur Deckung zu bringen. Ein innerhalb der Pulpa-
höhle (des Zentralkanales) liegender Körper kann jedoch niemals projekti
visch außerhalb desselben erscheinen.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 239
Mit anderen Worten: Ein Bild, auf dem ein schattender Körper (Fül-
lung, Fremdkörper wie etwa Miller- und Donaldson-Nadelfragmente, Boh-
rerspitzen) im Wurzelkanal zu liegen scheint, beweist noch nicht, daß er
darin liegt. Erst wenn mehrere möglichst verschiedene Projektionen dio-
selben Verhältnisse zeigen, kann das angenommen werden. Ein einziges Bild
Fig. 11. Fig. 18.
5
Füllung und Kronenhöhle. Gekrönter Molar und Röntgenbild desselben in „natür-
1, 2 bukkale und mesiale An- licher Größe“ auf Platte in Bißebene. Wirkliche und
sicht derselben Füllung. 3 No- scheinbare Kronenhöhe und Wurzellänge.
larenfüllung in teilweiser Dek-
kung mit der Kronenhöhle. Das
sichtbare Pulpahorn beweist, daß
eine Wurzelbehandlung (lege ar-
tis) nicht gemacht worden sein
kann.
aber, auf dem ein Teil außerhalb des Kanales erscheint, beweist,
daß mindestens dieser Teil wirklich außerhalb liegt. (Siehe Fig.9.) Die
Lokalisation eines außerhalb der Pulpahöhlen liegenden Körpers, die Fest-
stellung seiner Lagebeziehungen zu dieser geschieht nach dem allgemeinen
Lokalisationsschema :
1. orthoradial auf normale Größe,
2. mesial, — distalexzentrisch,
3. steil von oben (axial).
240 Fritz Pordes.
3. Para- und periradikuläre Fremdkörper.
Dahin gehören über das Foramen apicale oder über das periodontale
Ostium einer Fausse route übergepreßtes Füllmaterial, seltenerweise auch
im Periodontalraum frakturierte Nadeln, frakturierte Injektionskanülen.
Die im Periodontalraum befindlichen Fremdkörper projizieren sich,
wenn sie sich nicht gerade an der Approximalseite der Wurzel be-
finden, bzw. die Wurzel tangential getroffen wird über bzw. in die Wurzel.
Ihre Lagebeziehung zur Wurzel wird auf dieselbe Art festgestellt wie die
intraradikulärer Fremdkörper zum Wurzelkanal. Dieselbe Serie von drei
bis vier Lokalisationsaufnahmen ist zur Lagebestimmung heranzuziehen.
Prinzipiell ebenso zu lokalisieren sind paramaxillär liegende Injek-
tionskanülenfragmente.
Als Behelf empfiehlt sich folgendes Verfahren: Nachdem mittelst
orthoradialer Aufnahme an Stelle des vermutlichen Sitzes des Nadelfrag-
mentes dessen Radialebene ungefähr bestimmt ist, wird (da man ja weiß,
ob die Nadel palatinal oder bukkal steckend abgebrochen ist) an der
Außen- oder Innenseite entsprechend der vermuteten Lage eine kleine
Metallmarke an der Schleimhaut fixiert. Ich habe den Knopf einer bieg-
samen Sonde mit einem gefirnisten Gazestückchen an die sorgfältig ge-
trocknete Schleimhaut befestigt. Diese mitröntgenographierte Marke wird
auf den Aufnahmen der Serie als Lokalisationsbehelf zum Ersatz des
fehlenden Punctum fixum an der Kieferspongiosa ausgezeichnete Dienste tun.
4. Kronen und Brücken. Regulierungsapparate.
Die Metallteile der Kronen- und Brückenarbeiten geben, wie erwähnt,
sehr intensive, häufig recht störende Schatten. Bei ihrer radiographischen
Projektion ist vor allem daran zu denken, daß sämtliche gebräuchlichen
Aufnahmen, insbesondere des Oberkiefers, schräg von oben her eingestellt
sind, daß also der Hauptstrahl von außen oben nach innen unten verläuft.
Daher kommt es, daß die Stifte aller Richmondkronen im
Röntgenbild abnorm kurz aussehen, ferner daß die
Ränder der Kronen und Kollars palatinal hoch hin-
aufzureichen, daß schwebende, gut durchspülbare
Brückenteile dem Alveolarrande anzuliegen bzw.
ihn zu überschneiden scheinen. Der schräge Strahlengang
projiziert ein dreieckiges Stück des über dem Metallteile liegenden Raumes
der Wurzel, der Spongiosa in den palatinalen Rand des dichtechattenden
Metallteiles hinein, und entzieht es so der Abbildung. Die Basis dieses
Dreiecks ist die Fortsetzung der bukkalen Wand des Metallteiles, die Spitze
des Dreiecks liegt dem palatinal oberen Rande des Brückenteiles, der Krone
an. Die Größe der Basis dieses Dreieckes, somit des durch Überschattung
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zäbne und Kiefer. 241
mit Metall sich der Betrachtung entziehenden Zahnteiles wächst, je steiler
von oben der Hauptstrahl eingestellt wird. Bei axialer Einstellung ver-
schwindet der Zahn völlig im Moetallschatten. Die Basis des Dreieckes
wird gleich Null, d. h. der über dem Metallteil liegende Raum wird neben
der unverzeichneten Metallkontur völlig sichtbar, wenn der Hauptstrahl
parallel zum oberen Rande des Metallteiles verläuft (Fig. 18, 19, 20). So
selbstverständlich diese Art der Verzeichnung erscheint, zeigt die Erfah-
rung dennoch, daß die Erörterung keineswegs überflüssig ist. Die vielen
Fig.19. ` Fig.20.
‚Prämolar mit Krone und Stift. Einstellung Frei schwebender Anteil einer durchspül-
and Röntgenbild wie Fig. 18. Scheinbare baren Brücke (wird sich am Röntgenbild
Verkleinerung des Stiftes. mit dem Rand des Alveolarfortsatzes über-
schneiden).
Möglichkeiten der Fehldiagnose machen sie notwendig. Es ist wichtig zu
wissen, daß man die Länge eines Stiftes nach einem in gebräuchlicher
Weise schräg eingestellten Röntgenbild nicht beurteilen kann. Ohnehin ver-
kürzte, bukkale Radices oberer Molaren verschwinden in der Projektion des
palatinalen Kronenrandes nicht selten bis auf winzige Stümpfchen.
Anders steht die Angelegenheit bezüglich der Frage, ob Kronenränder
— Ränder von Richmond-Collars — der Wurzel anliegen oder von ihr
abstehen.
Hier gilt: der Satz: Was der Zahnarzt zusammengefüigt
hat, kann der Röntgenologe nicht trennen.
349 Fritz Pordes.
Eine zwischen Wurzelrand und Kronenrand im Röntgenbilde er
scheinende Stufe besteht auch in Wirklichkeit. Es ist ausgeschlos-
sen, daß dies, wie man nicht ganz selten Gelegenheit zu hören hat, „in der
Projektion“ liegt. Der der Wurzel anliegende Kronenrand kann niemals
von der Krone distanziert erscheinen. Die Betonung dieser Selbstverständ-
lichkeit ist ebenfalls erfahrungsgemäß keineswegs überflüssig.
Fig. 21. Fig. 22 A.
Regulierungsbogen. Postero-anteriore Schädelaufnahme.
Der faciale erscheint kauflächenwärts, der pala- Skelettbild: Lage von Schädel- und Hals-
tinale apikalwärts verschoben. wirbelsäule. Auge des Beschauers = Focus
der Röntgenröhre.
Für die zwecks orthodontischer Maßnahmen angelegten Ringe gilt
dasselbe wie für Kronen. Drahtbügel (A n gle- oder Schröder-Bogen)
(Fig. 21) erscheinen, wenn sie fazial liegen, auf den gebräuchlichen schrä-
gen Aufnahmen kauflächenwärts, wenn palatinal, wurzelwärtse verschoben.
Die extraoralen Aufnahmen des Oberkiefers.
Für die Röntgenanalyse der Zähne des Oberkiefers ist die intraorale
Aufnahme in jeder Beziehung konkurrenzlos. Extraorale Aufnahmen kom-
men beim Oberkiefer nur für die Darstellung des übrigen Knochengerüstes,
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 243
insbesondere der Kieferhöhle in Betracht. Die Aufnahmsrichtungen liegen
wie am übrigen Körper in den zwei Hauptrichtungen, der sagittalen und der
frontalen.
1. Die postero-anteriore Aufnahme des Gesichtsschädels.
Patient sitzt am Tische und legt das Gesicht auf die vor ihm liegende
‚Platte 18 X 24 oder 24 X 30 oder liegt auf dem Aufnahmetische, Gesicht
nach unten. Fixation mittelst Schlitzbinde nach Robinsohn. Die beste
Fig. 22 B.
TED
Postero-anteriore Schädelaufnahme.
Das resultierende Röntgenbild im Diagramm. Z = Aufhellungsband der Zwischenwirbelscheiben.
Einstellungsrichtung für den Gesichtsschädel, bei welcher der störende
.Schatten des Hinterhauptes genügend weit nach cranial wegprojiziert wird,
ist die von Cieszyński als zweite postero-anteriore bezeichnete. Kinn
und Nase liegen der Platte an; zu beachten, daß die Pfeilnaht des Patienten
senkrecht zur Platte steht und nicht nach rechts oder links schräg. Ein-
-stellung des Hauptstrahles in der Mediansagittalen in einem nach kaudal
offenen Winkel von 60 bis 70°, so daß seine Verlängerung durch die
Mundspalte des Patienten geht (Fig. 22a, b). Die Aufnahme gibt eine gute
244 Fritz Pordes.
Übersicht- über Nasenhöhlen und Nebenhöhlen, insbesondere gute Vergleichs-
bilder der Kieferhöhlen und Siebbeinzellen. Über die Mitte des Gesichts-
skelettes zieht der Schatten der Halswirbelsäule, doch sind die Schatten der
Wirbel durch Strahlendivergenz und Sekundärstrahlenschleier um sehr viel
weniger deutlich als das der Platte anliegende Gesichtsakelett, und daher
wenig störend. Gekannt müssen jedoch die den: Zwischenwirbelscheiben ent-
sprechenden querverlaufenden Aufhellungslinien sein, die sonst Fehldia-
gnosen verursachen können (Fig. 22Z). Auch der Luftraum zwischen Zun-
genrücken und Gaumendach liefert ein ähnliches queres Aufhellungsband.
Die verschiedenen kleinen Varianten dieser Aufnahmerichtung, wie etwa
Auflegen des Obergesichtes auf die Platte, Einstellung auf die Protuberan-
tia oceipitalis externa, Hauptstrahl senkrecht oder in bestimmten anderen
Winkeln, Einstellung auf das Lambda, bezwecken Projektion von schatten-
den Gebilden (Felsenbeinpyramide etc.) auf bestimmte Punkte und von
ihnen weg. Die Details sind nicht Gegenstand der spezifisch zahnärztlichen
Radiologie. Für diese ist vor allem die
2. Ariale Projektion (Lilienfeld)
wichtig. Sie liefert die schönsten, von störenden Überschattungen am
wenigsten behinderten, detailreichsten Bilder des Gesichtsskelettes, der
Nasenhöhlen und Nebenhöhlen, ist ferner die einzige Aufnahme, die die
Zahnbogen in Artikulation zu zeigen vermag und das Jochbein genau ana-
lysieren läßt. Ausführung: Patient sitzt auf einem niedrigen Sessel mit
überstrecktem Hals, die Unterseite des Kinns und die Kehlgegend auf die
am Tische befindliche Platte legend. Schlitzbinde. Der Hauptstrahlfuß-
punkt liegt je nach der gewünschten Projektion an einem bestimmten
Punkte einer von der Glabella zum Lambda verlaufenden mediansagittalen
Linie.
Die Richtung des Hauptstrahles ist entweder senkrecht zur Platte
oder ventral oder dorsal exzentrisch. Lilienfeld gibt fünf Typen av.
Die Auswahl des Punktes und der Richtung erfolgt nach der darzustellen--
den Region. Je weiter vorne der Punkt liegt, desto mehr werden die Gebilde
des Gesichtsschädels auf dem Röntgenogramm zusammengedrängt und auf-
einander projiziert, desto freier ausgebreitet die Schädelbasis. Die optimale
Einstellung für das Gesicht ist auf dem Punkte, der in der Kreuzung der
oben beschriebenen mediansagittalen mit einer knapp vor den Ohrmuscheln
frontal durchgehenden Linie liegt, senkrecht oder leicht: dorsal exzentrisch
eingestellt (vordere Ohrvertikale senkrecht) (Fig. 23). Das: Diagramm zeigt
besser, als eine Beschreibung es vermöchte, die Deutliehkeit der Auflösung
des bis dahin „unangenehmen“ (Gebietes Joehbogen Fossa infratemporalis,
Tuber maxillare. Von den frontalen Schädelaufnahmen kommt
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 245
3. Die seitliche Gesichtsaufnahme
in Betracht. Patient genau seitlich auf der Platte liegend, Einstellung rein
frontal auf den Jochbogenscheitel. Aufklärung für zahnärztliche Fragen
bringt diese Aufnahme im allgemeinen nur durch die Darstellung des har-
Fig. 23.
Axiale Aufnahme. Diagramm.
S. F. = Sinus frontalis, Orb. = Orbita, N. = Nasenhöble, AM. A. = Maxilla, Fi. = Foramen in-
fraorbitale, A. H. = Antrum Highmori, Z. ==Zygomaticum,' T. M. = Tuber maxillare, P. T. =
Processus temporalis des Jochbeins, T. A. = Tuberculum articulare, P. = Pyramide des Felsen-
beines, At. = Atlasbogen, E. = Epistropheus, M. = Mastoid, K. G. = Kiefergelenk, Cor. = Pro-
cessus coronoideus mandibulae, A. = Angulus mandibulae, M.A. = Corpus mandibulae,
M.e. = Spina mentalis, Sph. = Sinus sphenoidalis.
ten Gaumens in Kantenansicht. Die paarigen Gebilde sind, da sie sich
gegenseitig decken, nicht so gut zu sehen als auf den axialen Aufnahmen.
Gut zu sehen ist auf technisch gelungenen seitlichen Aufnahmen die knorpe-
lige und knöcherne Nase. (Fortsetzung folgt.)
246 Referate und Bücherbesprechungen.
Referate und Bücherbesprechungen.
Die Chirurgie der Gesichts- und Kieferdefekte. Von Dr. Johann v. E rtl.
Mit Anhang: Zahnärztliche Schienensysteme. Von Dr. Leopold G a-
dänyi. Verlag Urban & Schwarzenberg.
Das Buch bringt in seinem Hauptteile die chirurgischen Behand-
lungswege, welche die ungarische Schule unter v. Ertl eingeschlagen hat,
zur Heilung der durch die Schußverletzungen der Kiefer-und der-sie um-
gebenden Weichteile gesetzten Wunden und Defekte. Der interessanteste
Teil der gediegenen Arbeit sind wohl jene Kapitel, welche über die Ver-
hütung und Behebung der Pseudarthrosen und die knöcherne Über-
brückung der Defekte der Kiefer handeln, vor allem aber jene über die
„biegsamen Implantate“! v.Ert] beschreibt sein Vorgehen darin
so ausführlich und einleuchtend, aus Mißerfolgen lernend, durch die vielen
Erfolge beweisend, daß die Arbeit als ein äußerst wertvoller Beitrag für
die Behandlungswege der Kieferschußverletzungen angesehen werden kann
und wir seine Methode unbedingt als gute werten müssen, wenn wir sie
auch nicht als allein selig machende anerkennen können. Sehr enttäuscht
durch seine Kürze hat uns Zahnärzte der Anhang Gadäanyis über
zahnärztliche Schienensysteme. Wir hätten gerne Ausführlicheres über die
Schienen der ungarischen Schule erfahren, besonders über intraorale Fi-
xierung der Fragmente nach Knochenplastiken. Von hervorragender Güte
sind die zur Erläuterung der Kasuistik dem Schlusse angefügten 35 Tafeln
mit photographischen Reproduktionen hauptsächlich von Röntgenauf-
nahmen. Alles in allem kann das Buch jedem, der sich mit der Behand-
lung der Kieferschüsse beschäftigt, besonders aber den Kieferchirurgen,
wärmstens empfohlen werden. Dr.Kränzl.
Über Granutsplitter in der Kieferhöhle. Aus der Ohren- und Kehlkopf-
klinik der Universität Rostock. Von O.Körner. Zeitschrift für Ohren-
heilkunde, Bd. 74, H. 3, November 1916, S. 107.
Körner beschreibt 2 Fälle von Granatsplitterverletzung der Kiefer-
höhle, die für die Prognose und Therapie für solche Verwundungen lehr-
reich sind. Im ersten Fall war der Splitter durch die linke Augenhöhle,
den oberen Teil der linken Kieferhöhle und beide Nasengänge gedrungen,
um im vorderen Teil der rechten Kieferhöhle stecken zu bleiben. Das
linke Auge des Fatienten wurde zertrümmert, außerdem zeigte sich ein
Empyem der linken Kieferhöhle durch die Verletzung. In der Folge traten
ausgedehute narbige Verwachsungen zwischen den Seitenwänden und der
'Scheidewand der Nase auf. Die rechte Kieferhöhle, in der der Splitter
jetzt 2 Jahre steckt, blieb ohne Eiterung. Im zweiten Falle war der große
Splitter auf der linken Seite oberhalb des inneren oberen Augenwinkels
durch die Stirnhöhle eingedrungen, hatte den Augapfel zerstört und war
mit seiner FHauptmasse in die hintere Hälfte der Kieferhöhle eingedrungen,
während eine kleine Zacke in die Orbita ragte und eine andere größere
die hintere kieferhöhlenwand durchdrungen hatte, den vorderen Teil des
aufsteigenden Unterkieferastes berührte und nur ein sehr geringes Öffnen,
des Mundes zuließ. Von der Seite her konnte der Splitter wegen des ihn
deckenden U'interkieferteiles nebst Kaumuskulatur, Parotis und Nervus
facialis unmöglich entfernt werden; es gelang aber, ihn vom Vestibulum
Referate und Bücherbesprechungen. 47
oris aus nach subperiostaler Wegnahme der fazialen Kieferhöhlenwand
dureh die Kieferhöhle zu extrahieren, obwohl eine feste Einkeilung. im
Knochen und die im Verhältnis zu seiner Größe wenig geräumige Zugangs-
öffnung einige Schwierigkeiten bereitete. |
Kriegszahrkklinik, August 1917. | Zilz.
I. Die ehirurgisch-zahnärztliche Versorgung frischer Kriegsverletzungen
. des Gesichts und. der Kiefer. -— II. Weichteilplastik des Gesichts bei
- Kiefersehußverletzungen. — Ill. Knochenplastik bei Kieferschußver-
- letzungen. Von Dr.Ganzer, Berlin. D.M.f.Z., H.7, Juli 1917.
In zusammenfassendem Vortrage bringt Ganzer alle jene thera-
‚ peutischen Maßnahmen, für die er bereits in einer Reihe von Publikationen
eingetreten ist: Primäre Naht der Weichteilwunden nach vorheriger
Schienung, möglichenfalls unter Verwendung eines „Behilfsersatzes“ —
‘soll heißen Operationsprothese! ! —, Kopfkinnkappe, Drahtgußschiene,
Aufbißschiene.
Bei der Weichteilplastik vertritt Ganzer mit Recht die Methode
der mehrzeitigen Loslösung des zur Deckung verwendeten Lappens, um
Ernährungsstörungen möglichst auszuschalten. Zur Naht empfiehlt er die
Drahtnaht nach Kocher-Kilian, zur Entspannung eventuell die
Plättchennaht. l
bei der Besprechung der Knochenplastik weist Ganzer darauf hin,
daß er die innige Berührung des Knochens selbst für wichtiger hält als
das Vorhandensein des Periosts. „Dies letztere hat für mich vorwiegend die
Bedeutung. das Einwuchern von Bindegewebe usw. zwischen Kieferende
and Pilanzstück zu verhindern.“ Diese Auffassung: deckt sich ganz mit
der auch von mir vertretenen Meinung Macewens, dessen grundlegende
Versuche die Lehre von der uncersetzbaren Bedeutung des Periosts als
Knochenmatrix widerlegt haben. Nur die Osteoblasten sind zur Knochen-
neubildung erforderlich und diese liegen zwar unter, aber nicht im
Periost und sind außerdem im Innern des Knochens reichlich vorhanden.
Sicher.
Die Psendarthrose des Unterkiefers. Von Prof. Dr. Euler, Erlangen.
D. M. f. Z., H. 5, Mai 1917.
Euler bringt in der vorliegenden Arbeit in sehr dankenswerter
Weise eine Zusammenfassung eigener und der in der Literatur verstreuten
Angaben über die Pseudarthrose des Unterkiefers nach Schußverletzungen.
Vorausgeschickt sei, daß er unter Pseudarthrose alle Fälle versteht, in
denen eine knöcherne Vereinigung der Kieferfragmente ausbleibt.
Als wichtigste ätiologische Momente werden in den verschiedenen Be-
sprechungen folgende angegeben: 1. Zu großer Knochenverlust bei der
Verletzung, womit ein anderer Faktor zusammenfällt, es ist dies die arte-
fizielle Entfernung von noch lebensfähigem Knochen als Folge einer zu
radikalen Behandlungsweise, 2. langdauernde Eiterungen oft als Folge von
Entzündungen an den Wurzelspitzen der der Fraktur benachbarten Zähne,
3. Interposition von Weichteilen, 4. Atrophie des Knochens an der Fraktur-
stelle, 5. zu späte oder unrichtige Schienung und endlich, aber wohl nur
als begünstigendes Moment 6. Ankvlose des einen Kiefergelenkes.
248 Referate und Bücherbesprechungen.
Was die Diagnose der Unterkieferpseudarthrose anlangt, ist zunächst
der Zeitpunkt zu bestimmen, bis zu welchem wir überhaupt eine knöcherne
Heilung der Fraktur erhoffen dürfen. Die Termine sind da recht ver-
schieden gestellt worden und variieren von 8 Wochen bis zu 12 Monaten.
Gewiß wird sich bei der genügend bekannten langsamen Heilungstendenz
der Mandibula ein längeres Zuwarten unbedingt empfehlen. Mit Recht
macht Euler auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die die Diagnose der
Pseudarthrose oft genug bietet, besonders wenn straffes Bindegewebe die-
durch Muskelzug fast zur Berührung genäherten Fragmente fixiert, wobei
dann nur das Röntgenbild Aufklärung bringen kann. Für die oft ein-
tretende Atrophie der Bruchenden hat man zunächst den Umstand ver-
antwortlich gemacht, daß der Unterkiefer infolge seiner Entwicklung als
Beleg(Bindegewebs)knochen nur geringe Neigung zur Kallusbildung
besitze. Mit mehr Recht spricht Soerensen von Inaktivitätsatrophie,
während Euler auch die Zerreißung der Unterkiefergefäße als ätiolo-
gischen Faktor heranzieht, besonders wenn es sich um Frakturen in der
Gegend der Kieferwinkel handelt, wobei die Restitution der Zirkulation
durch die medianen Anastomosen vom anderseitigen Canalis incisivus
schwerer vor sich geht. Ich möchte nur betonen, daß die Hauptanastomose
der intramandibulären Art. alveolaris inferior nicht in der Medianebene,
sondern am Foramen mentale zu suchen ist, wo die Verbindung durch
einen Ast der Arteria labialis inferior aus der Art. maxillaris externa
hergestellt wird. — Über die Häufigkeit der Pseudarthrose läßt sich aus
den Angaben der Literatur vorläufig kein einheitliches Bild gewinnen.
Eine besondere Disposition scheint keine Stelle des Unterkiefers zu bieten.
Bei der Therapie der Pseudarthrose kommen einerseits Überbrückung
durch Brückenarbeiten oder Prothesen, andererseits operative Behand-
lungsmethoden in Betracht. Zweifellog gebührt letzteren — den osteo-
plastischen Operationen — der Vorrang. Dabei wird es sich bei kleinen
Defekten um die lokale Plastik nach Pichler, bei größeren um freie
Transplantation handeln müssen, bei der neuerdings vor allem dem Darm-
beinkamm entnommene Stücke bevorzugt werden.
‘Wohl das wichtigste Augenmerk ist auf die Prophylaxe der Pseud-
arthrose zu lenken. Zwei Punkte sind vor allem wichtig: Möglichst früh-
zeitige sachgemäße Schienung und möglichste Erhaltung aller lebensfähigen
Knochensplitter. Fragmente sind zu erhalten, nur Sequester zu entfernen.
Bei aer Entscheidung, was schon als Sequester zu betrachten ist, wird
das Symptom der Eiterung und das der größer werdenden Beweglichkeit,
vor allem aber die Erfahrung maßgebend sein.
Wichtig scheint mir vor allem auch eine Mahnung Eulers, die-
orthodontischen Maßnahmen bei der Behandlung komplizierter Frakturen
nicht zu übertreiben. Lieber geringe Fehler der Artikulation, die sich
prothetisch ausgleichen lassen, und eine knöcherne Heilung, als exakte-
Artikulation und — Pseudarthrose. Er zieht hieraus geradezu die Lehre,
die Tendenz der Bruchstücke, sich zu nähern, in geeigneten Fällen zu
unterstützen, um erst nach eingetretener Konsolidierung die Dehnung
der Kieferbögen vorzunehmen. Sicher.
. Referate und Bücherbesprechungen, 249
Mitteilungen aus dem Hannoverschen Lasarett- für. Kielerverletzte. Vor- _
träge, gehalten auf der 65. Hauptversammlung des zahnärztlichen Vereins
für Niedersachsen am 5. und 6. Februar 1916 in Hannover. Deutsche
Zahnheilkunde, Heft 39.
Das Heft enthält sechs Vorträge der Herren, welche im Kieferlazarett.
tätig sind.
Biıastein, Leiter der Anstalt, vertritt in seinem Vortrage die An-
schauung, daß die rein orthodontische Behandlung der Kieferbrüche die
einzig richtige Behandlung ist. Er nennt jeden Kieferbruch eine künstliche
Anomalie der Zahnstellung. Nach seinen langjährigen Erfahrungen’ (schon
aus der Friedenszeit 1902/11) kann man jeden Kieferbruch nach den ortho-
dontischen Frinzipien schienen, und hat der Standpunkt Schröders —
auf keine besondere Methode zu schwören, sondern den für den einzelnen Fall
passenden Apparat auszusuchen — seine Berechtigung verloren. Nach
dem corthodontischen System haben wir nur Apparate, welche an den
Kronen der Zähne befestigt werden. Die Alveolarfortsätze und Schleim-
häute bleiben frei; das ist die erste Bedingung für jede Schienung. Kaut-
schukplattenapparate werden ganz verworfen und die Hauptmeyer-
sche Zahnschiene hätte nur dann Berechtigung, wenn sie nur die Zähne
umfaßt und aufzementiert wird.
Hierauf führt Bimstein die Hilfsmittel an, welche bei der Kiefer-
schienung nach orthodontischem System zu Gebote stehen und welche all-
gemein bekannt sind. wie die verschiedenen federnden und nichtfedernden
Drahtbogen, die Bänder, Ringe, Röhren, Gleitschienen, schiefe Ebenen ete.
Bei zahnlosen Kiefern muß man zur Schienung mittelst Kautschukplatten-
stücken greifen, auch die Knochennaht wäre hie und da angezeigt. Bei
starker Verschiebung des aufsteigenden Astes wird die Nagelextension nach
Lindemann-Hauptmeyer, aber auch die Guttaperchapelotte nach
Warnekros empfohlen. Der Knochenplastik soll nach genügend langem
Zuwarten jede Fseudarthrose zugeführt werden.
Becker betont die Notwendigkeit der Zusammenarbeit des Chirur-
gen mit dem Zahnarzt. Er beschreibt zunächst zwei Fälle von schwieriger
Projektilentfernung sowie Operationen zwecks Deckung von Gaumendefekten
nach dem Prinzip der Langenbeckschen Operation. Die folgenden
Unterlipper-, Munuwinkel- und Wangenplastiken betreffen nicht schwierige
Fälle, bei welchen in Lokalanästhesie nach der Narbenexzision und aus-
giebiger Monilisierung der benachbarten Hautpartie die direkte Vereini-
gung der Wundränder vorgenommen wurde. Die Knochentransplantation
hat Becker aus dem Schienbein häufig mit gutem Erfolg ausgeführt.
Die Nagelextension nach Lindemann-Hauptmeyer wurde in
vielen Fällen gemacht und in der letzten Zeit wurde die Einpflanzung des
Knochenstückes in derselben Sitzung vorgenommen.
Welke beschreibt einige Apparate zur Deckung großer Hautdefekte
bis zur Operation. Er verwendet Kautschuk- und Zinnpelotten zur Deh-
nung von geschrumpften Lippennarben in Verbindung mit der Bim-
steinszhen Dehnvorrichtung und demonstriert den von ihm modifizierten
intra-extrauralenVerband bei der von Lindemann-Hauptmeyer
angegebenen Nugelextension. Bei hochgezogenem aufsteigendem Ast wird
die Extension und auch die Knochenplastik in einer Sitzung gemacht. Um
250 Vereins- und Versammlungsberichte.
gleich während der Operation den Nagel in richtiger Lage fixieren zu:
können, ‘schaltet Welke an den aus dem Mund herausragenden Draht-
bogen einen Grelenkkopf und eine — dürch einen Druckknopf in beliebiger
Höhe einstellbare — längsgeschlitzte flache Schiene ein.
Fenner spricht über die Wundbehandlung frischer Kieferverletzter,
dann über die’Notwendigkeit der Saugbehandlung, die guten Erfolge bei
Bestrahlung mit künstlicher Höhensonne und Quarzlampe, über die Massage
und die Heißluftbehandlung der Wunden im weiteren Heilungsverlauf. Bei
Kieferdehnung verwendet er in leichten Fällen die einfache photographische
Klammer und die Holzschraube, bei schwereren Fällen Scherenapparäte
und die Bimeteinsche Dehnvorrichtung mit Überkappung der Zähne.
Krause bespricht ausführlich einige Apparate zur Nasendehnung
und Nasenformung. Die von Ernst seinerzeit geschaffene Dehnvorrich-
tung wurde seither verschieden umgeändert und verbessert. Die Apparate
haben ihren Stützpunkt entweder im Munde oder am Kopf von der Stirn
aus, von wo aus ein Stirnbügel oder ein U-förmiger Bügel in die Höhe
der Oberlipve zieht. Das Prinzip ist immer dasselbe: Die in die Nasen-
löcher hineinragenden Oliven sind auf Hebeln befestigt, welche an einem
Eude durch Scharniere mit dem Hauptbügel verbunden sind, am andern
durch Gummizug in Tätigkeit gesetzt werden. Bei frischen Nasenverletzun-
gen genügen gewöhnliche Drahtstreben als Oliventräger, welche durch
Klemmschrauben eine leichte Einstellung in jeder Lage zulassen. Außerdem
werden, um ‚lie Haut der Wange und der inneren Augenwinkel vor Ver-
zerrung zu schützen, in dieser Gegend Kautschukplättchen, welche eben-
falls von Drähten getragen werden, aufgesetzt.
Ueckermann trägt über die Methoden der Fremdkörperbestim-
mung durch das Röntgenbild vor. Die Methode der Messung durch den
Orthoröntgenographen nach Moritz ist wegen der komplizierten Appa-
rate weniger zu empfehlen als der Röntgentiefenmesser von Fürstena u.
Fürstenau hat einen Zirkel angegeben, mit welchem man die Entfernung
des Fremdkörpers vom Leuchtschirm oder von der Platte direkt ablesen
kann. Schließlich wird noch der Apparat von Günther und Vogel
zur Ortsbestimmung von Fremdkörpern und das Fremdkörpertelephon von
Holzknecht und Wacht] beschrieben.
Im Feine, August 1917. Dr.Klagsbrunn.
Vereins- und Versammlungsberichte.
Verein österreichischer Zahnärzte.
Ordentliche Monatsversammlung vom 3. Oktober 1917.
Anwesend die Herren DDr.: v.An der Laan, Ballasko, Borschke,
Breuer, Bum, Eifinger, Hofrat Eiselsberg, Medizinalrat Friedmann,
Frey, Hillischer, Jarisch, Karolvi, Kraus, Müller, Ornstein,
Peter Josef, Schlemmer, Schönwald, Schwabe, Smreker, Stau-
ber, Steinsehneider. Prof. Weiser und Prof.v. Wunschheim.
Als Gäste: Dr. Natzler, Dr.Kalmar, Dr.O.Hecht und Dr. Lanzen-
dorff.
Vereins- und Versammlungsberichte. 251
Tagesordnung.
1. Trauerkundgebung für weiland Vizepräsiden-
ten Dr. Otto Zsigmondy. |
2. Mitteilungen des Präsidenten.
3. Dr. Viktor Frey: Demonstration eines Apparates zur Bestim-
mung der topographischen Lage des Schußkanales (mit Projek-
tionen).
4. Allfälliges.
Präsident Dr.Breuer: Am Morgen des 2. Juli 1917 erhielt ich die
erschütternde Nachricht, daß Dr. Otto Zsigmondy am 30. Juni d.J.
sanft entschlafen sei. Ich war hierdurch aufs tiefste ergriffen, hatte ich -
doch unseren lieben Freund erst vor wenigen Tagen besucht und ihn
voll Hoffnungen und Freude gefunden. Ein Kreis engerer Kollegen hatte
sich beim Begräbnisse eingefunden und am Besuche der Kirche konnte
man erkennen, welcher Wertschätzung sich Dr. Zsigmondy bei Kol-
legen, Freunden und Patienten erfreute. Prof. Weiser sprach am Grabe
unseres Freundes vom Herzen kommende Worte des Gedenkens.
Präsident Dr. Breuer hält nun Dr. ng einen tief
empfundenen Nachruf (s. Österr. Zeitschr. f. Stomatologie, H.7, 1917) und
fährt dann fort:
Groß ist die Zahl seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Ich führe nur
die Titel der bekanntesten an: „Über die Einwirkung von Säuren auf die
Zähne.“ „Die zahnärztlichen Verhältnisse in England und Amerika.“
„Über die Veränderungen des Zahnbogens bei der zweiten Dentition.“
„Über die Resorption von Wurzeln permanenter Zähne.“ „Die Anbohrung
der Highmorshöhle von den Zahnalveolen aus.‘ ‘ ‚Mißbildung eines zweiten
unteren Molarzahnes.“ „Über die kongenitalen Schmeldefekte.“ „Beiträge
zur Kenntnis der Entstehungsursache der hypoplastischen Schmelzdefekte.“
„Über die keilförmigen Defekte an den Fazialflächen der Zahnhälse.“
„Zur Frage über die Behandlung pulpakranker Zähne, deren Wurzel-
wachstum noch nicht vollkommen zum Abschlusse gelangt ist.“ „Rückblick
auf die Entwicklung der Zahnheilkunde in Österreich.“ „Über die Ent-
stehung der Fissuren in der die Kauflächenfurchen überkleidenden Schmelz-
decke bei Prämolar- und Molarzähnen.“ „Über Einteilung und Nomen-
klatur der Bißarten.“ „Über die Präparation von Kavitäten an den Be-
rührungsflächen der Backen- und Mahlzähne.“ „Die Ansichten Professor
M.Heiders, des Gründers und ersten Präsidenten des Zentralvereines
deutscher Zahnärzte, über die Stellung der Zahnheilkunde zur gesamten
Heilkunde.“ „Über die Hypoplasie des Schmelzes.“ „Über die Erweiterung
der Wurzelkanäle mit Natriumsuperoxyd.“ „Die Kieferbaugrundlagen des
anomalen Arcus dentium mit Rücksicht auf die Odontorthopädie.“ „Zur
Kariestheorie.“ „Georg v. Carabelli.“ „Über das Wachstum des Ober-
kiefers in sagittaler Richtung.“ „Uber die Bewegungen des Unterkiefers
beim Kauakt.“ „Über die Retziusschen Parallelstreifen im mensch-
lichen Schmelze.“ ‚Ist die moderne Zahnheilkunde als ein von der Medizin
getrenntes Sonderfach entstanden ?“ „Über Fundamente und Geschichte der
konservierenden Zahnheilkunde.‘ „Zur Abwehr unberufener Kritik.“ „Zum
Gedächtnis an Prof. Dr. Moritz Heider.“
252 Vereins- und Versammlungsberichte. -- Personalien.
I
Nachdem Präsident Dr. Breuer noch des Todes des korr. Mitgliedes
des Vereines Dr. Wilhelm Herbst in warmen Worten gedacht hatte,
wird zur Tagesordnung übergegangen.
=- Dr.Kraus stellt einen Kriegsinvaliden iit verstümmelter Nase vor,
bei dem er eine Methode des künstlichen Nasenersatzes, die von Doktor
Henning eingeführte Gelatineprothese, in Anwendung brachte. Doktor
Kraus erklärt sich bereit, gelegentlich über die Herstellung der Methode
einen Vortrag zu halten.
Präsident Dr.Breuer: Meine Herren! Wir sind schon lange nicht
beisammen gewesen und der Einlauf ist ziemlich groß geworden. Mit
Rücksicht darauf, daß Dr. Frey heute seinen Vortrag halten will, möchte
ich Sie bitten, im November bei einer Sitzung zu erscheinen.
Dr. Frey: „Der Schußkanalbestimmer“ (ein Apparat
zur Bestimmung der topographischen Lage des Schußkanals).
. Nach einer Statistik aller in den ersten zwei Kriegsjahren auf der
` zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitals der Wiener Allgemainen
Poliklinik behandelten Kieferverletzungen (706) und nach Besprechuug
der Wirkungsweise der einzelnen Geschosse demonstriert der Vortragende
seinen Schußkanalbestimmer, der dem Wesen nach aus zwei auf einem
Stativ angebrachten, zwangsläufig in einer geraden Linie gegeneinander
verschieblichen Eisenstäben besteht. Die Spitzen der Eisenstäbe werden
unter gleichzeitiger Kontrolle am Patienten am skelettierten Schä-
delpräparat auf Ein- und Ausschuß eingestellt, in der Verbindungs-
linie beider Stäbe liegt der Schußkanal. Die Messungen an allen Gewehr-
durchschüssen bei unverändertem Stahlmantelgeschoß sowie an allen
Schrapnellkugeldurchschüssen, bisweilen auch bei Steckschüssen ergaben
nach den Residuen der Knochen- und Weichteilverletzungen, der Funk-
tionsstörung und an Hand der Röntgenkontrolle, daß der Schußkanal bei
rasanten Projektilen im Gesichtsschädel immer eine gerade Linie
ist. Sogenannte Ringel- oder Konturschüsse kommen am Gesichtsschädel
nicht vor. Bei der Einstellung am Schädel ist die Stellung der beiden
Kiefer zu einander (offener oder geschlossener Mund etc.) zu berück-
sichtigen.
Aus praktischen Gründen empfiehlt nun der Vortragende, bei jedem
frisch einlangenden Verwundeten sich über den Verlauf des Schußkanals
am Schädelpräparat Rechenschaft zu geben, um über die eventuellen Ver-
letzungsmöglichkeiten orientiert zu sein.
(Der Vortrag ist in Nr. 12, 1917 der Österr. Zschr. f. Stomatologie er-
schienen.)
Präsident Dr.Breuer dankt Herrn Dr. Prey für seine Ausfüh-
rungen und schließt die Sitzung mit der Aufforderung. die Herren mögen
zur nächsten Sitzung im November zahlreich erscheinen.
Personalien.
(Verleihung.) Dem Zahnarzt Dr. M. Günzig in Wien wurde der
Titel eines Medizinalrates verliehen.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Drue von Gottlieb Gistel & Cie.. Wien, HI., Miinzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ % de ri a Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines Meutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
XVI. Jahrgang. Oktober 1918. 10. Heft.
Nachdruck verboten.
Original-Arbeiten.
Aus der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitals der allgemeinen
Poliklinik (Vorstand: Oberstabsarzt Prof. Dr. v. Wunschheim).
Über indirekte Sehußfrakturen des Unterkiefers.
Von Dr. Viktor Frey, Wien.
(Mit 12 Figuren.)
Jeder Knochenbruch ist nach dem Entstehungsmechanismus entweder
eine direkte oder eine indirekte Fraktur. Die direkte Fraktur kommt
unmittelbar am Orte der Gewalteinwirkung durch Stoß, Schlag, Fall,
Schuß etc. zustande, die indirekte jedoch entsteht entfernt
vom Orte der Gewalteinwirkung, wenn die Elastizi-
tätsgrenze des Knochens durch Biegung, Quetschung,
Kompression, Abknickung, Abquetschung, Zug, Riß
oder Torsion überschritten wurde, und zwaranjenen
Punkten, diedurchdieeinwirkendeGewaltammeisten
beansprucht werden.)
Beispiele von indirekten Frakturen aus der Chirurgie: Fraktur der
Clavicula bei Fall auf die Hand bei ausgestrecktem Arme oder auf den
Ellbogen (Biegung), Fraktur des Femurs nach Fall auf den Fuß (Biegung,
Kompression), Fraktur des Olecranons bei Hyperextension des Ellbogen-
gelenks (Abknickung, Abquetschung), Fraktur des unteren Radiusendes
bei forcierter Dorsalflexion des Handgelenkes (Zug), Schädelbasisfrakturen
1) Lexer(1) schreibt hierüber: „Vollständige Frakturen entstehen durch
Gewalteinwirkungen, welche die Grenze der Elastizität und der Festigkeit eines
Knochens überschreiten; dabei handelt es sich zum Teile um den Zug plötzlich
und heftig kontrahierter Muskeln oder gedehnter Bänder, zum Teil um äußere, direkt
oder indirekt wirkende Gewalten. Der Bruch erfolgt unmittelbar an ihrem Angriffs-
punkte oder entfernt davon, übertragen durch einen ganzen
Skelettabschnitt, welcher durch Muskelkontraktion oder
Gelenkshemmung festgestellt war, wie z. B. der Schlüsselbeinbruch
durch den Fall auf die Hand eintreten kann.“
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 19
254 Viktor Frey.
durch Hineingetriebenwerden der Wirbelsäule in das Foramen occipitale
magnum [Tillmanns(?2)].
Beim Unterkiefer unterscheidet man ebenfalls zwischen direkten und
indirekten Frakturen, und zwar ist der Unterkiefer der einsige Ge-
.sichteknochen, bei dem auch indirekte Frakturen vorkommen [v. H o-
chenegg (3)].
Direkte Unterkieferfrakturen kommen am Orte der Gewalteinwirkung
Inach Perthes(4)] „durch Hufschlag eines Pferdes, den Stoß einer ge-
ballten Faust, durch einen Steinwurf, eine Kegelkugel oder auch durch
Aufschlagen des Kiefers beim Fall auf einen Stein, eine Leitersprosse
oder scharfe Kante, desgleichen durch Schuß zustande. Auch rohe Zahn-
extraktionen mit dem Schlüssel haben in früheren Zeiten Anlaß zu Unter-
kieferfrakturen gegeben“. Bezüglich der indirekten Frakturen lesen wir
bei demselben Autor: „Seltener sind indirekte Unterkieferfrakturen. Sie
entstehen dadurch, daß eine seitlich angreifende Gewalt den
Kiefer in frontaler Richtung komprimiert, den Kiefer-
bogen so weit verkleinert, daß die Elastizitätsgrenze überschritten wird.
Dieser Mechanismus macht sich geltend, wenn ein Wagenrad über den
Gesichtsschädel des am Boden Liegenden hinweggeht, wenn der Kopf
zwischen einem Wagen und einem Pfosten eingeklemmt oder zwischen den
Puffern zweier Eisenbahnwaggons zusammengequetscht wird. Indirekte
Frakturen durch Fall auf das Kinn betreffen gewöhnlich nicht den
Kieferkörper, sondern den Hals des Processus condyloideus. Dabei kann
es auch zur Schädelbasisfraktur durch Zertrümmerung der Cavitas gle-
noidalis kommen . . . .“
„Wie auch der Eitelehunsemechanishns der Fraktur des Unter-
kiefers sein mag, stets gehört eine bedeutende Gewalt dazu, um einen so
kompakten Knochen zu brechen. Erst unter einem Gewicht von 1100 Pfund
sah O.Weber bei direkter Belastung des Kinns den Unterkiefer eines
44jährigen kräftigen Mannes brechen, während eine Belastung von
150 Pfund, die seitlich auf die Kieferwinkel einwirkte, bei einem 52jährigen
Manne eine indirekte Fraktur erzeugte.“
Indirekte Unterkieferfraktur kann auch „bei de rGeburtdurceh
die Zange des Geburtshelfers entstehen, wenn sie den
Unterkiefer des Kindes von beiden Seiten zusammendrückt“ [v.Hochen-
egg(3)].
Partsch(5) schreibt über das Zustandekommen indirekter Unter-
kieferfrakturen: „Von indirekten Gewalten kommt neben der Biegung
die Dehnung am Öftesten vor; die Torsion, die bei den Extremitäten-
knochen eine große Rolle spielt, kommt bei den Unterkieferfrakturen
kaum in Frage. Druck auf den Kiefer vermehrt die Spannung des Kiefer-
Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. 955
bogens oft so weit, bis die Elastizität des Knochens nachgibt und von
der Gewalt übertroffen wird.. ..
Brüche, die mit Vorliebe durch indirekte Gewalt zustande kommen,
sind die beim Aufprall auf das Mittelstück erfolgenden
Biegungsbrüche des Halses der Gelenksfortsätze,
während dieAbbrüche der Kronenfortsätze viel öfter
durch Muskelzug erfolgen, indem namentlich beim
Aufbeißen auf harte Gegenstände der kräftig an-
gespannte Schläfenmuskel den Fortsatz abreißt“
Derselbe Autor (6) schreibt an anderer Stelle: „Die ursächlichen
Momente bestimmen sofort die Art der Fraktur, insofern diese entweder
an der Stelle der Gewalteinwirkung (direkter Bruch) oder bei Biegung
und Pressung des Knochens entfernt von der getroffenen Stelle an dem
am stärksten auf Biegung beanspruchten Punkte zustandekommt (indirekter
Bruch). Die bogenartige Gestalt des Unterkiefers gibt häufig Gelegenheit
zu Biegungsbrüchen, indem die seitliche Pressung der Äste den Kiefer-
bogen nahe seiner Mittellinie springen läßt. Daß es nicht genau in der
Mitte zum Bruche kommt, hat darin seinen Grund, daß die stark ent
wickelte Spina mentalis die Mitte stark verdickt und hier die Rinden-
schicht erheblich stärker ist als in der Gegend des tief in den Kiefer
reichenden Eckzahnes und des die äußere Wand schwächenden Foramen
mentale.‘
Wir sind also bei den Prädilektionsstellen für Kieferbrüche über-
haupt angelangt.
Diese sind nach Partsch (6): „Das Mittelstäck, der Über-
gang desselben in den horizontalen Ast und die Um-
schlagstelle in den aufsteigenden; also Eckzahn-?°)
und Angulusgegend. Als dritte Stelle kommt noch
der Hals des Kieferköpfchens in Betracht.“ Nach Per-
thes(4) sind in einer Kasuistik Gurlts unter 153 — 18 Kiefer-
brüche in der Mittellinie beobachtet worden. Er schreibt hier-
über: „Beim Neugeborenen bestehen hier zwischen den beiden Unterkiefer-
hälften noch Knorpelreste und es ist Symphysenlösung intra partum bei
Extraktion des Kopfes mittelst des in den Mund ein-
geführten Fingers des Geburtshelfers beobachtet worden
?) Perthes(4) schreibt hierüber: „Vor allem ist die Gegend des Eck-
zahnes prädisponiert. Da sich hier das Foramen mentale befindet und die Wurzel
“des Eckzahnes weit in die Tiefe des Kiefers hinabreicht, so liegt hier die schwächste
Stelle des Kieferkörpers. Die Bruchlinie beginnt gewöhnlich am Alveolarrande
zwischen äußerem Schneidezahne und Eckzahne und geht von da schräg nach
unten und außen durch das Foramen mentale hindurch.“
19*
356 Viktor Frey.
(Pajot). Nach der Verknöcherung der Symphyse, welche bereits im
ersten Lebensjahre vollendet ist, kommen eigentliche Frakturen des Unter-
kiefers in der Medianlinie vor allem durch indirekt einwirkende Gewalten
zustande. . . . Die Bruchlinie verläuft bei dieser Verletzung entweder
genau sagittal oder sie beginnt zwischen den mittleren Schneidezähnen
in sagittaler Richtung, um dann an der Basis des EMIERBIEIGEE nach der
einen Seite abzuweichen.“
Misch-Rumpel (7) schreiben über das Zustandekommen in-
direkter Unterkieferbrüche: „Quetschungen rufen häufig indirekte Brüche
der Kieferknochen hervor, z. B. durch Überfahrenwerden $), durch Ein-
klemmen zwischen zwei sich bewegenden Körpern oder zwischen einem fest-
stehenden und einem sich bewegenden Körper. Wird beim Überfahren-
werden der Unterkiefer in der Angulusgegend plötzlich und sehr heftig
zusammengedrückt, so kann derselbe in der Mittellinie brechen; wirkt
die Kraft aber ungleichmäßig auf die beiden Kieferwinkel, so wird der
Bruch in der Regel in der Eckzahngegend (Foramen mentale) erfolgen.“
Aus dem Gesagten geht hervor, daß die indirekten Unterkieferbrüche,
von den intra partum erfolgten: Unterkieferbrüchen abgesehen, in folgender
Weise zustande kommen:
1. Bei seitlicher Kompression in der Angulusgegend entsteht eine
Fraktur in der Mittellinie oder im Bereiche des Mittelstücks (Biegung).
2. Bei Einwirkung einer stumpfen Gewalt in der Kinngegend kommt
eine Fraktur der Gelenksköpfchenhälse (mitunter auch Schädelbasisfraktur)
zustande (Biegung, Gegenstoß).
3. Durch kräftige Muskelaktion (Musc. temporalis) kommt eine
Fraktur des Processus coronoideus zustande (Riß).
Das bisher Angeführte bezog sich auf die Friedensfrakturen des
Unterkiefers. Die uns jetzt so geläufigen Schußfrakturen *) sind direkte
— —
3) Als Beweis, daß nicht immer in solchen Fällen indirekte Frakturen cnt-
stehen müssen, diene ein Fall unserer Abteilung: Durch das Scheuwerden der
Pferde, die vor den vom Patienten, einem Trainsoldaten, gelenkten Wagen gespaunt
waren, wurde Patient vom Wagen geschleudert. Das hintere Wagenrad ging über
die rechte Gesichtshälfte des Verletzten und erzeugte an Ort und Stelle cine
Querfraktur vor dem rechten Angulus, also eine direkte Fraktur.
^) Wir lesen bei Helferich (3): „Die modernen Kriegswaffen . . . be-
wirken bei Schüssen bis zu 800 m Entfernung meistens eine starke Splitterung in
der Diaphyse des Röhrenknochens. Diese mächtige Wirkung wurde schon im Jahre
1870 bei Chassepotschüssen aus großer Nähe beobachtet und zuerst durch die
Annahme erklärt, daß auf französischer Seite Sprenggeschosse zur Verwendung
kommen. Wie sich diese Annahme als irrtümlich erwiesen hat, so ist auch die
darnach versuchte Erklärung durch Annahme einer hydrostatischen Druckwirkung
Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. 957
Frakturen, und zwar Frakturen gewöhnlich mit starker Splitterung an
beliebiger Stelle des Unterkiefers. Die indirekten Unterkieferschußfrak-
turen sind sehr vereinzelt. Perthes(4) schreibt vor dem Kriege: „Weit
seltener als die Schußfrakturen durch direktes Auftreffen des Geschosses
sind indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. Wenn der Schuß eines
Selbstmörders aus unmittelbarer Nähe unter dem Kinn gegen den Mund-
boden abgefeuert wird, so kann der Unterkiefer, ohne von dem Geschoß
getroffen zu werden, in zwei Teile auseinandergesprengt werden. Auch
dann, wenn vom Munde aus der selbstmörderische Schuß gegen den Gaumen
gerichtet wurde, kamen außer den explosionsartigen Wirkungen am Gaumen-
gewölbe Frakturen des Unterkiefers zustande (Beobachtung von Heath),
ein Beweis dafür, daß in solchen Fällen die Expansionskraft der Pulver-
gase das wirksame Moment war. Der Verlauf der Bruchlinie dieser
indirekten Schußfrakturen ist ein ziemlich gerad-
liniger ohne Splitterung“
Helferich(8) bemerkt noch bezüglich der indirekten Frakturen:
„Da bei dem direkten Bruch die Erscheinungen der verletzenden Gewalt
(Kontusion und dadurch Bluterguß) an der Frakturstelle selbst sich finden,
so gelten die direkten Brüche mit Recht im allgemeinen für schwerere
Verletzungen als die indirekten.“
Zilz(9) schreibt hierüber: „In diesem Kriege haben wir die ın-
direkten Brüche bei Schußfrakturen besonders häufig beobachtet. Die Ur-
sachen dafür liegen in den anatomischen Verhältnissen und in der Ver-
letzungsart selbst. Contrecoupbrüche am Halse unterhalb der beiden Ge-
lenksköpfehen der Mandibula sind schon deswegen an dieser Stelle ein-
leuchtend, weil wir es hier mit dem schwächsten Punkt am ganzen Unter-
kieferknochen zu tun haben.
Entweder kommt diese Bruchart so zustande, daß die horizontalen
Teile des Kiefers durch seitlich angreifende Gewalt über die Elastizitäts-
grenze des Knochens hinaus zusammengedrückt werden, oder aber werden
die indirekten Brüche dadurch erzeugt, daß die einwirkende Gewalt, von
vorne her das Kinn treffend, den Kiefer in sagittaler Richtung kom-
primiert und das Köpfchen abbricht. Insbesondere aus der Fixation des
Unterkieferknochens im Gelenke wird es leicht erklärlich, daß durch die
Einwirkung der Kraft gegen den einen horizontalen Ast oder gegen die
Symphyse auf der entgegengesetzten Seite bzw. im Angulus oder oberhalb
im Knochen (Knochenmark) nicht aufrecht zu halten. Heute erklärt man
diese Schußwirkung durch die plötzliche und gewaltige
Verschiebung der Knochenteilchen, die weit über die gc-
troffene Stelle hinaus zur Wirkung kommt.“
258 Viktor Frey.
desselben oder bei den beiden Köpfchen (Processus condyloideus und coro-
noideus) geradlinige Spontanfrakturen auftreten. Die außerordentlich
seltenen Brüche des Kronenfortsatzes scheinen hauptsächlich durch den
Zug des Musculus temporalis (Rißfrakturen) zustande zu kommen ...
„Wir waren oft überrascht, eine Fraktur des Processus coronoideus
zu finden in Fällen, in denen wir eine Oberkieferverletzung der entgegen-
gesetzten Seite vor uns hatten. Der Bruch an jener Stelle fernab von der
Schußwunde, unmöglich auch nur irgendwie in einen direkten äußeren Zu-
sammenhang mit ihr zu bringen, läßt einen unzweifelhaften Schluß auf
Contrecoup zu. Diese fissurenartigen Brüche bei intakter äußerer Haut
und dem Fehlen jedweder pathologischer Erscheinungen der betreffenden
Region sind geradezu typisch. Die empirische Erfahrung ist es, die uns
bei derartigen Verletzungen diese antagonistischen Brüche geradezu suchen
heißt und uns heute nicht mehr wie einst zu Beginn des Krieges in ihnen
ein unerklärliches Novum finden läßt . . .“
„Inwieweit die Explosionskraft bei den Contrecoupverletzungen in
Betracht kommt, läßt sich schwer sagen. Die Gasexplosionen können nur
bei Nahschüssen und Handgranatenverletzungen in Betracht kommen.
Dasselbe gilt auch für die Minenexplosionen.“
Zilz(9) hat ferner Schießversuche an den Schädeln Justikzierter
angestellt; er konnte zwar Lochschüsse mit Splitterung, Rinnenschüsse,
Abschuß des Angulus, ferner mehrfache Brüche erzeugen. Contrecoups
konnten wir an der Leiche durch Gewehrschüsse weder aus der Nähe noch
aus der Entfernung erzeugen.
Es ist also — wie oben erwähnt — nicht die Gasexplosion allein
dasjenige, was die indirekten Frakturen hervorruft, sondern es spielen da
wohl noch andere Momente mit, so die vitalen Verhältnisse (Luftdruck-
verschiedenheiten) im Bereiche der Mundhöhle selbst, die elastische Fi-
xation des Unterkiefers am Schädelskelett, schließlich die anatomischen
Verhältnisse im Oberkiefer und die verschiedenen Richtungen der Kraft-
wirkungen der Geschosse.“
Zilz bringt nun in der erwähnten Arbeit mehrere Beispiele iu-
direkter Unterkieferfrakturen, die in der Kriegszahnklinik der IV. Armee
in Lublin in seine Beobachtung kamen. Diese indirekten Frakturen waren
durch Schuß, Explosionen, auch durch Sturz verursacht worden. Besonders
wertvoll sind die Schädelpräparate von in der Klinik verstorbenen Pati-
enten, die derzeit im Museum des Reservespitals Nr.17 in Wien auf-
bewahrt sind, welche zu besichtigen ich dank dem Entgegenkommen des
Kommandanten (Oberstabsarzt Doz. Dr. Zilz) kürzlich in der Lage war.
Vor der Kasuistik selbstbeobachteter Fälle von indirekten Frakturen
des Unterkiefers will ich zwei Krankengeschichten anführen, in denen es
Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. 259
sich um direkte Frakturen handelt, die aber bei flüchtiger Beobachtung
als indirekte gedeutet werden könnten.
* *
k
Fall A (siehe Abb. 1). Der Infanterist G. E. wurde durch einen
Schrapnellkugelstreifschuß in der rechten Kinngegend am 19. Oktober 1914
verletzt. Bei seiner am 2. Jänner 1915 erfolgten Aufnahme waren die in
dieser Region befindlichen, von der Verletzung herrührenden Narben senk-
recht unterhalb des rechten Mundwinkels sofort ins Auge fallend. Nach
dem Verlaufe der Narbe und nach dem Röntgenbilde muß der Unterkiefer
vom Projektil rein tangential getroffen worden sein. Der Unterkiefer
war in vier größere Fragmente zerbrochen (siehe Abb. 1). Die Fraktur-
linien verlaufen beiderseits von den Eckzahnalveolen nach hinten und ab-
wärts; das Mittelstück ist durch eine gegen die Horizontale leicht gesenkte
Frakturlinie in Alveolarfortsatz und Kinnpartie des Kieferkörpers zerlegt.
Im Bereiche der linken Frakturlinie zwei kleinere ee a in 1 des
Unterkieferrandes,
Es wäre falsch, die linke Frakturlinie in der Eckzahngegend als in-
direkte Fraktur anzusehen, denn die zwischen den beiden vertikalen Fraktur-
linien liegende Knochenschicht ist nicht unverletzt, sondern durch einen
quer verlaufenden Frakturspalt in zwei Fragmente zerlegt. Die iinke
Bruchlinie verläuft nicht linear, sondern zeigt Splitterung; die rechte
Frakturlinie (wo also das Trauma stattfand) verläuft dagegen rein linear.
Es ist also der ganze Komplex als Splitterbruch im Mittelstück, und zwar
als direkte Folge des Traumas zu werten. Die Abgrenzung der Splitterung
fand im Bereiche der besonders prädisponierten Eckzahnalveolen statt.
260 Viktor Frey.
Fall B. Infanterist W.H. (siehe Abb. 2 u. 3), verletzt am 3. September
1915, zugewiesen am 20. September 1915. Gewehrdurchschuß. Ausge-
schossene Zähne u Der größte Teil des Projektils trat durch die
Ausschußöffnung aus. Splitter — offenbar des Geschoßmantels — blieben
jedoch zurück. Wahrscheinlich war das Projektil beim Aufprall auf die
Zähne der linken Seite zu einem Geller durch Trennung in Mantel nd
Bleikern geworden.
Fig. 2. Fig. 8.
Einschuß einen Querfinger nach rückwärts und etwas nach aufwärts
vom linken Mundwinkel. Ausschuß einen Querfinger nach oben und etwas
nach rechts von der Mitte der Cartilago thyreoidea.
Das Röntgenbild ergibt folgende 5 Frakturlinien: Rechter Angulus,
rechte Eckzahngegend (zwischen 4 3|), zwischen [I 2, zwischen RP 3 und
Komminutivbruch der linken Angulusgegend. Mehrere Geschoßsplitter in
den Weichteilen (Mittellinie und rechte Angulusgegend).
Wären keine Projektilteile in der rechten Unterkieferhälfte vor-
handen, so hätte man an indirekte Frakturen des rechten Angulus und
der Eckzahngegend denken können, so aber sind alle Frakturlinien als
direkte Brüche anzusehen.
Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. 961
Kasuistik selbst beobachteter Fälle von indirekten Frakturen.
Fall 1 (Poliklinik) (Abb. 4, 5, 6). Einjährig-Freiwilliger G. K.,
22 Jahre. Verletzt am 10. Mai 1915, zugewiesen am 30. Juni 1915. Gewehr-
steckschuß.
I. Einschuß 3 Querfinger lateral vom rechten Angulus scapulae. Aus-
schuß in der rechten Supraclaviculargrube hart hinter der Clavicularmitte.
II. Einschuß desselben Projektils in der Mitte des rechten horizontalen
Unterkieferastes am unteren Rande desselben. Das Projektil blieb dort-
selbst stecken und fiel später von selbst heraus.
Fig. 4. Fig. 56.
Der Patient gab an, daß er zuerst einen Weichteilschuß des linken
Oberschenkels erlitten hatte; am Wege zum Hilfsplatze mußte er wegen
starken feindlichen Feuers in einem Granattrichter Schutz suchen; später,
262 Viktor Frey.
als die Gefechtstätigkeit einigermaßen ruhte, wollte er seinen Weg fort-
setzen; gerade als er im Herauskriechen den Grabenrand erreichte, traf
ihn der zweite Schuß in den Rücken.
Röntgenbild vom 3. Juli 1915 ergibt rechts eine durchgehende Splitter-
fraktur im Bereiche von 6 5] (s. Abb.5). Knapp vor dem linken
Angulus besteht eine durchgehende lineare Fraktur
(s. Abb. 6), die außer einem leichten Vorgelagertsein
des linken Angulus keinerlei Symptome macht.
Die linke präanguläre Fraktur ist nur als in
direkte Fraktur anzusprechen.
Fall 2 (Poliklinik) (Abb. 7, 8, 9). Infanterist E.W. Verletzt am
14. Februar 1915, zugewiesen am 30. März 1915. Gewehrschuß, Streifschuß,
Fig. 7. Fig.8.
Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. 263
jedenfalls aus ziemlicher Nähe. In der linken Wange eine vom linken
Mundwinkel ausgehende große Weichteilzerreißung (s. Abb. 7).
Röntgenbefund (s. Abb.’8 und 9): Links zwei Hauptfrakturlinien:
hinter [5 und oberhalb des linken Angulus im aufsteigenden Aste.
Ferner weist der Rest des linken aufsteigenden Astes eine nicht voll-
ständig durchgehende Frakturlinie zwischen Processus condyloideus und
Processus coronoideus auf. Das linke Jochbein ist nahe seinem vorderen
Rande gesplittert. | |
Überdies besteht im rechten Unterkiefer vor
dem rechten Angulus und hinter 8 eine lineare
Fraktur.
Die rechte präanguläre Fraktur ist eine in
direkte.
Fall 3 (Poliklinik) (s. Abb. 10, 11, 12). Offiziersdiener W.S., Gewehr-
sechuß, Durchschuß. Einsehuß 1cm oberhalb des unteren Randes des
linken Nasenflügels, Ausschuß oberhalb der rechten Nasolabialfalte;
das Geschoß streifte weiter die rechte Wange. In der den Ansatz des
rechten Nasenflügels mit dem: Ansatze des rechten Öhrläppchens ver-
bindenden Linie, 5 resp. 7'/;cm vom Nasenflügel entfernt, zwei erbsen-
große Narben.
Röntgenbefund: Splitterfraktur des rechten Jochbogens in seinem
vorderen Drittel. |
Außerdem sieht man im Collum des rechten Pro-
cessus condyloideuseinen schräg verlaufenden Frak-
turspalt (Abb. 12).
Daß es sich um eine indirekte Fraktur handelt,
ist aus der Schußrichtung und aus dem Fehlen jeder
sonstigen nachweisbaren Verletzung der nächsten
Umgebung des rechten Kiefergelenkes zu ersehen.
Die Ätiologie dieser Collumfraktur ist unklar; es
wäre aber auch denkbar, daß der Patient nach dom
Trauma zusammenstürzte und mit dem Kinn zu Boden
schlug.
Fall 4 (im Felde). Bei einem Tentamen suicidii habe ich im Jahre
1914 im Grodecker Truppenspital folgendes beobachtet: Der Patient hatte
sich die Mündung des Gewehrlaufes in den Mund gesteckt und dann eine
scharfe Patrone abgefeuert. Die Verletzungen waren für den Nahschuß
typisch. Die Weichteile waren vom Munde bis in die Nähe des Kehlkopfes
weit aufgerissen; Perforation des harten Gaumens in großer Ausdehnung
nach Zertrümmerung fast des ganzen Oberkiefers und des Nasengerüstes.
Abschuß einer ganzen Anzahl von Zähnen; der Ausschuß am Nasenrücken.
264 Viktor Frey.
Der Unterkiefer bis auf eine sägeschnittartige
Fraktur zwischen&5] unverletzt.
Über indirekte Schußfrakturen der Unterkiefers. 965
Daß die Unterkieferfraktur durch die Expansion
der Pulvergase auf indirektem Wege zustande ge-
kommen war, steht außer Frage. |
+ $
*
Wenn wir unter mehr als 1000 Fällen von Kieferschußfrakturen
in der Wiener Poliklinik nur 3 indirekte Unterkieferfrakturen, von welchen
eine (Fall 3) möglicherweise (?) durch Sturz auf das Kinn hervorgerufen
war, beobachten konnten, so kann man die indirekten Unterkieferschuß-
frakturen als seltene Verletzungen bezeichnen. Sie kommen wie die
Friedensfrakturen durch gewaltige Erschütterungen des Knochens, je-
doch zum Unterschiede von der indirekten Friedens-
fraktur nicht isoliert, sondern neben der direkten
Fraktur zustande Direkte und indirekte Fraktur
sind durch eine gesunde Knochenspange voneinander
getrennt. Die Frakturlinie der indirekten Fraktur
verläuft linear.
Es mag immerhin zugegeben werden, daß manche indirekte Unter-
kieferfraktur infolge ihres linearen Verlaufes bei fehlender Dislokation
der Fragmente übersehen werden könnte, insbesondere dann, wenn die
Röntgenkontrolle fehlt; außerdem sollen jene gewiß vorkommenden Fälle
indirekter Unterkieferfrakturen nicht vergessen werden, die bei derart
schweren Schädelverletzungen vorkommen mögen, infolge welcher der Ver-
wundete gleich am Schlachtfeld der Verwundung erliegt.
Die Gegend vor dem Angulus scheint eine besondere Prädilektions-
stelle für indirekte Schußfrakturen abzugeben. Daß die anderen Prä-
dilektionsstellen für Kieferbrüche überhaupt gelegentlich indirekte Frak-
turen aufweisen könnten, soll nicht geleugnet werden. Ebenso hat Zilz
an Stellen, die von vornherein nicht prädisponiert erschienen, aber durch
frühzeitigen Zahnverlust und nachfolgende Atrophie des Alveolarfort-
satzes geschwächt waren, indirekte Frakturen beobachtet. Bemerkenswert
ist, daß die beobachteten indirekten Frakturen unserer Fälle gerade bei
Verletzungen durch größere Geschosse (Granatsprengstücke) nicht, da-
gegen bei Verletzungen durch kleinkalibrige Projektile (Gewehrprojektil
und Schrapnellkugel) zur Beobachtung kamen, woraus man wieder auf die
Gewalt dieser kleineren Projektile schließen kann. |
Schließlich sei noch erwähnt, daß in den beobachteten Fällen das
Projektil nicht senkrecht, sondern mehr tangential auf den Knochen auftrai.
Das Zustandekommen indirekter Unterkieferfrakturen durch Ex-
pansion der Pulvergase bei Explosionen bzw. Nahschuß wurde gleich dem
angezogenen Falle von Heath sowohl von Zilz als auch von mir be-
966 Referate und Bücherbesprechangen.
obachtet. Zilz hat in seinem Falle multiple indirekte Frakturlinien an
typischen und atypischen Stellen des Unterkiefers gesehen.
Literatur: 1.Lexer, Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie. Verlag Enke.
Stuttgart. — 2. Tillmanns, Lehrbuch der Chirurgie. Verlag Veit & Co, Leipzig.
— 3.v. Hochenegg, Lehrbuch der speziellen Chirurgie. Verlag Urban &
Schwarzenberg, Wien-Berlin. — 4.Perthese, Verletzungen und Krankheiten der
Kiefer. Verlag Enke, Stuttgart. — 5.Partsch, Verletzungen und Erkrankunzon
der Kiefer im Handbuche der praktischen Chirurgie von Bergmann, Bruns
und Mikulicz. Verlag Enke, Stuttgart — 6.Partsch, Die chirurgischen Er-
krankungen der Mundhöhle, der Zähne und Kiefer. Verlag Bergmann, Wiesbaden.
— 7.Misch-Rumpel, Die Kriegsverletzungen der Kiefer und der angrenzenden
Teile Verlag Meusser, Berlin. — 8.Helferich, Atlas und Grundriß der trau-
matischen Frakturen und Luxationen. Verlag Lehmann (medizinische Handatlanten).
— 9. Zilz, Pathologisch-anatomische Befunde bei Kieferverletzungen. Österr.-ungar.
Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., XXXIII. Jahrg., H.2 u.3, 1917.
Referate und Bücherbesprechungen.
Zur Frage der Desinfektion der Hände mit besonderer Beräcksichtigung
der Kriegschirurgie. Von Prof.Dr.R.v.Baracz in Lemberg. (Sonder-
abdruck aus dem Zentralblatt für Chirurgie, 1917, Nr. 21.)
Trotz der großen Menge der bis jetzt empfohlenen Methoden der
Händcdesinfektion stimmen wohl sämtliche Chirurgen darin überein, daß
wir bis jetzt kein Mittel besitzen, das imstande wäre, unsere Hände keim-
frei zu machen. Den meisten mit mechanischen, sowie chemischen und kom-
binierten Mitteln arbeitenden Methoden haftet jedoch der Mangel an, daß
die Hände bei ihrer Anwendung leiden, Schrunden und Ekzeme bekommen,
die die Wiederhclung der Desinfektion hindern. Auch die am meisten ange-
wandten Methoden, wie die Fürbringersche HeißwasserAlkohol-An-
tiseptikumdesinfektion, die Seifenspiritusdesinfektion nach Hanel und
v. Mikulicz und die Ahlfeldsche Heißwasser-Alkoholdesinfektion
schädigen die Hände, da sie eine peinliche Bearbeitung derselben und der
Nägel erheischen.
Die Untersuchungen der letzten Jahre haben nachgewiesen, daß die
reine Alkoholdesinfektion das gleiche leistet; sie hat aber den Vorzug
der Einfachheit, läßt sich schneller durchführen und mit dem Brennspiritus
ersetzen (Schunburg). Was die Art und Weise der Wirkung des Alko-
hols anlangt, so handelt es sich nach einem (M. v. Brunn) um Härtung
der Epidermis, wodurch die Bakterien fixiert und ia
den tieleren Hautschichten festgehalten werden, nach
dem anderen (Sechumburg) um direkte Tötung der Bakterien
durchdiewasserentziehendeKraftdes Alkohols (osmo-
tischer Druck).
Es wurden auch Kombinationen desAlkohols mit anderen
Antisepticis empfohlen, von welchen sich der Jodalkohol am meisten
bewährt hat. Man suchte auch durch mechanische Fesselung
der virulenten Keime das Operationsfeld und die Hände mittelst
undurchdringlicher Stoffe von jeder direkten Berührung mit der Wunde
Referate und Bücherbesprechungen. 967
auszuschalten durch Umhüllung der Haut mit undurchdringlichem chemi-
schen Materiale. Von diesen Firnissen hat sich das Mastisolvonv.Öt
tingen noch am meisten bewährt, Auch zu ähnlichen Zwecken empfahl
bekanntlich v. Mikulicz seine Zwirnhandschuhe.
Der Schutz der Wunde seitens sterilisierter Gummihand-
schuhe ist nicht sicher, da bei länger andauernden Operationen der
Handschuh unwillkürlich angestochen werden kann, wodurch der sogenannte
Handschuhsaft in die Operationswunde gelangen und unsere verstärkte
Asepsis vereiteln kann.
Der Autor konnte während seines kurzen Aufenthaltes in Amerika
im Jahre 1902 im Roosevelt-Spitale in Newyork bei Robert F. Weir
ein Händedesinfektionsverfahren kennen, das wegen seiner Billigkeit und
Einfachheit nicht nur Berücksichtigung verdient, sondern auch einen ge-
wissen Vorzug vor anderen zu haben scheint. Es ist die Mischung des
unterchlorigaauren Kalkes, d.i. des käuflichen Chlor-
kalkes Ca(Cl0) mit Natriumkarbonat, d. i. der gewöhn-
lichen Waschsoda NaCO, die bei geringem Woasserzusatz zur
lHiändedesinfektion gebraucht wird. Diese Mischung verseift und löst das
Hautfett und Hautepithelium. Hierbei soll sich das freie Chlor in statu
nascendi entwickeln und das wichtige Agens dieser Desinfektionsme-
thode sein.
un In den letzten Jahren desinfizierte der Autor die Hände auf folgende
eise:
1. 3—5 Minuten langes Waschen mit gewöhnlicher Seife oder Seifen-
spiritus, jedoch ohne Bürste.
2.2—3 Minuten langes Verreiben mit dem Sodakristall und zirka ein
Eßlöffel voll Chlorkalk, unter Zugabe von ein wenig Wasser in die Hohl-
hände, bis auf diesen sich eine dicke, sahneartige Pasta bildet.
3. 1—2 Minuten langes Verreiben der dicken Pasta in die Hände,
Finger und Vorderarme. Abwaschen des Breies mit warmem Wasser.
4. Eintauchen der Hände für 2 Minuten in 3%iges Borwasser bzw.
Waschen der Vorderarme mit demselben und Trockenlegung mit sterilisier-
tem Handtuch.
Diese Desinfektionsmethode wirkt mechanisch die Bakterien beseiti-
gend und chemisch die Bakterien tötend. Eines der mächtigsten
Antiseptikawirktdabeidirektbakterizid: der Sauer-
stoffinstatunascendi. Eshandeltsichalsobeidiesem
Verfahren höchstwahrscheinlich nicht nur um eine
Tiefen-, aondern auch um eine Dauerwirkung, wenigstens
für die Zeit der Operationsdauer und darüber. Die Hände bleiben bei die-
sem Verfahren immer glatt und geschmeidig, daher für Bakterien weniger.
empfänglich, besonders aber, wenn man sie nach jeder Operation mit
Glyzerin einreibt. |
Nach meiner persönlichen Erfahrung eignet sich zu diesem
Desinfektionsverfahren nur höchstgradiger und ga-
rantiert reiner Chlorkalk, in wasser- und luftdichter
Verpackung.
Der Autor fühlt sich gewissermaßen verpflichtet, dieses einfache,
sehr billige, vielfach von ihm erprobte, auf wissenschaftlicher Grundlage
beruhende Händedesinfektionsverfahren, das mit sehr leicht anzuschaffenden
Mitteln sich ausführen läßt, nicht nur den Fachchirurgen, sondern auch den
268 Referate und Bücherbesprechungen. — Personalien.
unter dürftigen äußeren Verhältnissen arbeitenden Landärzten, besonders
aber zum Gebrauch in den Feldspitälern, nicht nur als Schutz der Wunde
gegen Infektion, sondern auch zum Selbstschutz gegen Infektion bestens zu
empfehlen.
August 1917 | Zilz.
Studienordnung für Studierende der Zahnheilkunde und für Zahntechniker
in Frankreich. (Circulaire ministerielle relative aux etudiants en Chi-
rurgie dentaire et aux Mecaniciens-Dentistes.) République Française
Ministère de la guerre. Sous Secrétariat d’etat du service de Santé
militaire. 1re division technique, Paris le 25 février 1918.
Das Sekretariat des Militär-Sanitätswesens verlautbart eine Ministe-
rialverordnung für jene Studierenden der Zahnheilkunde und Zahntechniker,
welche auf Grund des Gesetzes vom 10. August 1917, Artikel II, $3, um
Enthebung vom Waffendienste und um eine Spezialverwendung in ihrem
Fache bittlich werden.
1. Studierende der Zahnheilkunde haben ein Gesuch
vorzulegen, welchem ein Zeugnis beizuschließen ist, in welchem ein zwei-
jähriges Studium an einer medizinischen Fakultät und die am Ende dieser
zwei Jahre erfolgreich bestandene Prüfung bestätigt wird.
Zahntechniker haben ein Gesuch vorzulegen, welchem ein
cder mehrere Zeugnisse von Doktoren der gesamten Heilkunde beiliegen
müssen, aus denen ersichtlich ist, daß sie durch zwei Jahre bei den be-
treffenden Zeugnisgebern als Zahntechniker in Verwendung gestanden sind.
Diese Zeugnisse werden dem Referenten für Zahnheilkunde und bei
der Armee dem Chefarzt der Militärzahnärzte zur Begutachtung vorgelegt.
Können die Bewerber auf Grund ihrer Zeugnisse nicht als Zahntechniker
Verwendung finden oder können dieselben aus irgendeinem Grunde kein
Zeugnis vorweisen, so müssen sie sich einer praktischen Prüfung unter-
ziehen. Von dem Resultat dieser Prüfung hängt es ab, ob der Bewerber
als Zahntechniker Verwendung finden kann oder nicht. Im ersteren Falle
wird der Korpskommandant von dem guten Resultate der Prüfung und
der damit verbundenen Verwendung des Bewerbers als Zahntechniker in
Kenntnis gesetzt, im anderen Falle wird der Bewerber zur Verfügung
seines militärischen Kommandanten gestellt. Zilz.
Personalien.
(Todesfall.) Am 19. September starb im Alter von 79 Jahren der
. Zahnarzt Mag. chir. Eduard Mühlreiter. Er betätigte sich im Zentral-
verein deutscher Zahnärzte anfangs der 70er Jahre lebhaft und redigierte
die „Deutsche Vierteljahrsschrift‘ in den Jahren 1870—72. Sein bekann-
testes Werk „Anatomie des menschlichen Gebisses“ hat viel Verbreitung
S Mühlreiter war Ehrenmitglied des Vereins österreichischer
‚ahnärzte.
— e 40 p
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, w., Münzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ fir, die wissenschatlichen Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
XVI. Jahrgang. November 1918. 11. Heft.
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne
und Kiefer.
Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre.
Von Dr. Fritz Pordes.
(Fortsetzung.?!)
Die Zähne des Unterkiefers.
Die Aufnahme auf die intraorale Platte (Film) ist wie für den
Oberkiefer auch für den Unterkiefer aus vielen Gründen vorzuziehen. Die
beste Aufnahme auf extraorale Platte kann unmöglich so detailreich sein,
so viel Strukturfeinheiten aufweisen, wie eine mittelgute intraorale Platte.
Der Grund liegt in dem bei der extraoralen Aufnahmeanordnung röntgen-
technisch ungünstigeren Weg des abbildenden Strahlenbündels. Bei der
mtraoralen Platte hat der abbildende Strahl nur die Weichteile der Wange
zu passieren, trifft dann auf die durchzuzeichnenden Gebilde und diesen
liegt die Platte direkt an (idealer Fall). Oder es ist nur ein kleiner Weg
durch Luft zurückzulegen.
Die extraorale Aufnahme führt den Röntgenstrahl günstigstenfalls
quer durch den Mundboden, öfters aber schräg durch das ganze Massiv
der Halsmuskulatur, bis sie ihn zu dem abzubildenden Kieferteil gelangen
läßt. Die Projektionsebene ist von dem Gegenstand hier nicht wie dort
ungünstigsten Falles durch Luft, sondern durch die Weichteile der Backe
getrennt. Die Dicke der vor und hinter dem abzubildenden Objekt zu
durchstrahlenden Weichteile ändert im ungünstigen Sinne das Verhältnis
der relativen Dichte des Abzubildenden zu dem übrigen, was den Kontrast-
reichtum von vorneherein bedeutend herabmindert. Mit anderen Worten:
Der Bruchteil der Massendichte, den ein Zahn auf der intraoralen Auf-
nahme darstellt, ist ein wesentlich größerer als auf der extraoralen. Es
ist demnach die Schattendifferenz a priori eine geringere.
1) S. Nr. 8 u. 9, 1918, der Österr. Zschr. f. Stomatologie. Abdruck der im Verlage
Urban & Schwarzenberg in Buchform demnächst erscheinenden Artikelserie
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 20
970 Fritz Pordes.
Wenn wir dennoch der extraoralen Aufnahme beim Untergebisse
einen breiteren Spielraum einräumen müssen, so kommt dies von der ihr
umgekehrt wie beim Oberkiefer bei Kenntnis ihrer Technizismen
zuzuerkennenden projektivischen Überlegenheit. Während une beim Ober-
kiefer eine auf die Radialebene des ersten Prämolaren eingestellte Auf-
nahme auf Platte in Bißebene ein Übersichtsbild vom Eckzahn bis zum
zweiten, ja bis zum dritten Molaren mii genügender Durchmusterungs-
möglichkeit des Kieferskeletts zu geben vermag, ist beim Unterkiefer eine
mehr als höchstens zwei Zähne umfassende Aufnahme regelmäßig und mit
Sicherheit nur im Gebiet der Schneidezähne möglich. Die übrigen Auf-
nahmen geben einen Überblick über höchstens zwei Zähne und ein ganz
knappes Gebiet von Spongiosa. Man kann daher auch zur zahnärztlichen
Analyse der extraoralen Übersichts- und Orientierungsaufnahme nicht ent-
raten. Für die Darstellung des Kieferwinkels des aufsteigenden Astes und
des Kiefergelenkes sind sie a priori die einzig möglichen. Der Übersicit-
lichkeit halber seien zunächst nur die Aufnahmen auf intraorale Platte
abgehandelt und erst dann die extraoralen Aufnahmen zusammengefaßt.
Aufnahmen auf intraorale Platte (Film).
Allgemeines.
Die Einbringung des röntgenlichtempfindlichen Materiales (Platte
oder Film) geht für den Oberkiefer, abgesehen von den reflektorischen,
eigentlich ohne wesentliche Hindernisse vor sich. Der Gaumen ist ein flaches
oder höheres Gewölbe, innerhalb dessen man, so weit es die räumliche
Ausdehnung überhaupt zuläßt, nach Belieben Platten und Films einlegen
und postieren kann, wie und so viel man will. Er unterscheidet sich da-
durch vorteilhaft vom Unterkiefer, daß er mit dem Schädel knöchern fix
verbunden ist, was, wie wir später sehen werden, eine unangenehme Fehler-
quelle (Verwackelung) bedeutend hemmt.
Beim Unterkiefer ist nur die Platte in Bißebene gleich leicht ein-
bringbar wie oben, da dies ja nur ein Umdrehen der Schichtseite nach
unten erfordert.
Es ist aber die Indikationsbreite der Aufnahme auf Platte in Biß-
ebene beim Unterkiefer eine weit geringere als oben aus folgendem Grund:
Die oberen Zähne stehen de norma alle zur Bißebene in einem nach pala-
tinal offenen Winkel, der weniger als 90° beträgt. Es ist also zur Darstel-
lung in natürlicher Größe die Vorbedingung vorhanden. Von den unteren
Zähnen schließen lediglich die vier Schneidezähne, seltenerweise die Eck-
zähne mit der Bißebene lingual offene Winkel von weniger als 90° ein.
Die Werte sind meist hart daran. Die Prämolaren und Molaren stehen de
norma in einem stumpfen Winkel zur Bißebene. Betrachtet man sich für
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 271
einen solchen Fall die Einstellung zur Projektion auf natürliche Größe
(Fig. 24—1), so sieht man auf den ersten Blick, daß das Resultat kein
brauchbares ist. Die Projektionsrichtung des Zahnes, mit anderen Worten
seine Lage zum Strahlenbündel, nähert sich der axialen. Das schmale
Strahlenbündel gäbe ein stark verkürztes Bild, das nur durch die schräge
Schneidung der Projektionsebene künstlich auseinandergezogen wird, bis
Fig. 24.
1 Untere Backen- und Mahlzähne sind wegen des stumpfen Winkels, den ihre Achse mit
der Bißebene einschließt, zur Aufnahme auf Platte in Bißebene nicht geeignet.
2 Für einen oberen Zahn müßte die Platte zur Erzielung gleich ungüustiger Verhältnisse so
stark abwärts geneigt sein. wie P—P\.
es die Länge des Zahnes erreicht hat. Wenn wir uns die Verhältnisse in
Fig. 24—2 für einen oberen Zahn in gleicher Weise darstellen wollen, so
sehen wir die stark abwärts geneigte Lage der Platte, die notwendig wäre,
um analoge Verhältnisse zu schaffen. Brauchbare Aufnahmen auf Platte
in Bißebene lassen sich somit zwecks Darstellung der Zähne im Unter-
kiefer nur im Gebiete der Schneide-, seltenerweise der Eckzähne herstellen.
Es wächst damit das Bedürfnis nach Aufnahmen der unteren Zähne auf
angelegte Platte. Die Einbringung der Platte an die linguale -Seite des
20*
272 Fritz Pordes.
Alveolarfortsatzes ist im Unterkiefer a priori schwieriger als oben. Oben
bietet das Gewölbe des harten Gaumens, wie bereits bemerkt, breiten
Spielraum. Unten steht der Platte nur der schmale Spalt zwischen Kiefer
und Zunge zur Verfügung. Dem tiefen Eindringen der Platte bietet die
Mundbodenmuskulatur eine Grenze. Als Methoden zur Einbringung kom-
men zwei fremde und eine eigene Hauptart in Betracht.
1. Die Fingerfixation (Fig. 25).
Platte oder Film werden nach Gutdünken und Möglichkeit an die
liingualseite des zu untersuchenden Zahnes gebracht und durch den Finger
Fig. 25.
Alte Methode der Fixation des Films Filmbalter nach Cieszynaki in situ.
mittels des Fingers des Patienten.
des Patienten (niemals des Arztes oder eines Assistenten ?) über die Dauer
der Aufnahme dort festgehalten.
2. Filmhalter verschiedener Modelle, verschiedener
Autoren (Fig. 26).
Das Wesentliche aller Modelle besteht in einem zwischen den Zahn-
reihen durch Aufbiß fixierten Klotz, an dessen unterer, innerer Kante
eine Rinne zur Aufnahme des Films angebracht ist.
2) Für den Patienten völlig unbedenklich, für Arzt oder Assistent durch
Summation kleiner Röntgenlichtmengen sichere Hautschädigung.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 273
3 Eigene Methode der Aufnahme auf rechtwinklig
abgebogenen Film und Modifikation derselben Me-
thode für die Verwendung von Glasplatten (Ersatz-
methode).
Die Methode der Fingerfixation hat zunächst den Nachteil, vom
Patienten, von dessen Geschicklichkeit und gutem Willen abhängig zu
sein. Dieser Nachteil fällt hier störender ins Gewicht als bei den „ange-
legten“ Aufnahmen der oberen Zähne, weil wir hier verlangen müssen,
daß der Patient sich die Platte zur Erhaltung der notwendigen Lage unter
Anwendung einiger Kraft gegen den Mundhöhlenboden drückt. Ein Selbst-
versuch lehrt, daß das heißt, vom Patienten zu verlangen, daß er sich
selbst Schmerzen bereite. Eine Minorität von Beherzten mag diesem Ver-
langen wirklich nachkommen. Viele lassen nach oder sie sind zumindestens
nicht imstande, den Unterkiefer dabei ruhig zu halten, was um so schwerer
ist, als jede Möglichkeit fehlt, diesen irgendwie zu fixieren, wenn der
Patient sich nicht etwa zu diesem Zweck in den Finger beißen will, was
ich übrigens bis zur Hinterlassung von tiefen, viertelstundenlang bleiben-
den’ Bißmarken bei willensstarken Individuen zu beobachten Gelegenheit
hatte. Neben der Abhängigkeit vom Patienten und der mangelnden Fixa-
tion der Mandibula, die einen großen Teil der Bilder durch ‚„verwackeln“
unbrauchbar, fast alle aber, namentlich bei Exposition von mehr als ein
bis zwei Sekunden unscharf macht, hat diese Methode den Nachteil des
offenen Mundes.
Bei offenem Munde sind die Mundöffner, die den Mundboden bildenden
Muskeln, naturgemäß kontrahiert, angespannt, verkürzt. Der Boden der
Mundhöhle ist gehoben und hart. Dem Eindringen des Films — der Platte —
an die Lingualseite der Mandibula ist eine frühe Grenze gesetzt, die oft
so ungünstig liegt, daß die geringe erreichbare Tiefe die Wurzelspitzen
entweder ganz abschneidet, oder eine genügende Durchmusterung des
Periapikalgebietes der zu untersuchenden Zähne nicht mehr ermöglicht.
Die zweite Methode — Filmhalter — unterscheidet sich zwar inso-
ferne günstig von der Fingerfixation, als die Mandibula durch den Aufbiß
auf den Klotz des Filmhalters gegen den Kopf im Kiefergelenke genügend
fixiert erscheint, wodurch bei sonstiger genügender Ruhelage die Aufnahme
scharf wird. Sie ist aber auch darum besser als die Fingerfixation, weil sie
uns vom Willen des Patienten unabhängig macht. Zubeißen kann jeder,
selbst Kinder sind, wenn sie nur überhaupt genügend vernünftig sind, mit
Leichtigkeit dazu zu bringen. Wohl aber haftet den Filmhaltern der Fehler
des geöffneten Mundes an. Ein Übelstand, der, je weiter distal der zu unter-
suchende Zahn liegt, desto unangenehmer zu werden pflegt. Der harte
Mundboden hebt den Film, das tut weh — mangelnde Bißkraft — Cir-
274 Fritz Pordes.
culus vitiosus. Der distalste Zahn, der untere Weisheitszahn, der auch
sonst quoad radiographiam sprödeste Geselle kommt demnach bei der An-
spannung des Mundbodens infolge der bei gleichgroßem Klotz in distal
am weitesten vorgeschobener Position relativ größten Mundöffnung am
übelsten weg.
Dem dringenden Bedürfnis, diesem Circulus vitiosus auszuweichen,
entspricht die (1914) angegebene Methode der Aufnahme auf rechtwinkelig
abgebogenen Film.
Forderungen: Die Möglichkeit genauer lingualer Adaptation einer
Anufnahmefläche bei geschlossenem Munde, d. h.erschlafftem Mun d-
boden und Fixation durch den Aufbiß.
Zu deren Durchführung bedarf es eines geeigneten Aufnahmemate-
rials, wie ein solches in der Robinsohn-Spitzerschen Filmpackung
gegeben ist. Zwei Planfılm 4X6 (groß) beziehungsweise 3X4 (klein),
beide mit der Schichtseite röntgenröhrenwärts, hinter der Zelluloidseite
des Films ein im Format zugeschnittenes Stück einen Millimeter dicke
Bleifolie. Das ganze in doppeltes schwarzes Papier gepackt nach derselben
Art wie Platten in Einzelpackung. Die gleichsinnig gelegten Schichten er-
möglichen jederzeit die richtige Seitendiagnose, die Films gestatten aber
infolge ihrer geringen Dicke, auch bei dieser Aufnahmeanordnung die fer-
tigen trockenen Doppelfilms zur Erzielung des Doppelplatteneffektes (Ver-
stärkung) übereinanderzulegen und so zur Deckung zu bringen.
Die hinterlegte Bleifolie gibt außer ihrer strahlentechnisch $) wichtigen
Funktion dem System einerseits die nötige Festigkeit, um unbeabsichtigtes
Durchbiegen zu verhindern, sie macht aber andererseits den .elastisch
immer wieder in seine Form zurückkehrenden Planfılm zu einer platisch
modellierbaren Platte, die jede ihr gegebene Form behält. Zur Verwen-
dung der darzustellenden Methode ist die letztere Eigenschaft — die
Plastizität — die wichtigste. Zur Aufnahme der unteren Zähne auf ange-
lextem Film wird ein kleines (3X4) wie beschrieben gepacktes Plättchen
verwendet. Dieses wird parallel zu einer kürzeren Kante rechtwinklig
umgebogen, so zwar, daß es in einen etwa Dreiviertel der Fläche umfas-
senden größeren und einen Einviertel umfassenden kleineren Teil zerfällt.
Der größere Teil der Fläche dient als Projektionsebene Man gibt ihm
zweckmäßig die Länge, die individuell die günstigste Projektionsebene
darstellt. Diese ermittelt man approximativ durch Messung der lingualen
Kieferseite des aufzunehmenden Zahnes mit dem eingeführten Zeigefinger.
Die Umbiegung geschieht so, daß die Schichtseite die innere, die Bleifolie
3) Zum Schutz gegen die nach Durchdringung der Schichte hinter derselben
entstehenden Sekundärstrahlen.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 275
die äußere Seite des rechten Winkels darstellt (Fig. 27a,b). Die so ge-
bogene Platte wird nun dem Kiefer in der Weise adaptiert, daß die größere
Fläche dem zu untersuchenden Zahne lingual anliegt, die kleinere recht-
winkelig abgeknickte in der Bißebene auf die Kaufläche zu liegen kommt.
im Momente des Einführens macht das Andrücken der unteren Kante an
den Mundboden ein wenig Schmerzen. Läßt man nun den Mund schließen, so
erschlaflt die Mundbodenmuskulatur, der Schmerz läßt sofort nach und
der Film sinkt in die richtige Position, in welcher er durch den Aufbiß
auf den rechtwinkelig umgebogenen, auf der Käufläche liegenden kleineren
Filmteil unverrückbar festgehalten wird. Damit ist den Bedingungen der
Fig. 27a: Fig. 27b.
Eigene Methode der rechtwiukeligen Abbiegung des Films.
Fig.27a. Art der Abknickung. Der obere, kleine Streifen ist aus der Bildebene heraus 90°
abgeknickt zu denken.
Fig.275b. Abgeknickter Film in situ. K = Kieferhöble, N = Nase, W= Wange, Z = Zunge,
V.O. = Vestibulum oris, M = Mandibula.
Unabhängigkeit vom Patienten, Fixation durch den Aufbiß bei durch
Mundschluß erschlaffter Mundbodenmuskulatur Genüge getan. Über die
Einstellung dieser Plattenposition das Nähere an den entsprechenden
Stellen (Fig. 27 b). Mit den infolge der Kriegsverhältnisse eingetretenen
Sehwierigkeiten in der Materialbeschaffung und Beschaffenheit verschlech-
terte sich die Qualität und die Haltbarkeit der uns gelieferten Röntgen-
films zusehends. Die Fehlerquote infolge unzureichenden Materials er-
reichte eine unangenehme Größe. Zu dem kam die begreifliche Unregel-
mäßigkeit und Unberechenbarkeit der Anlieferung. Der Grund der Schwie-
rigkeiten der Planfilmerzeugung soll nach der Aussage eines Wiener Fach-
mannes im Mangel der früher zur Verwendung gelangenden indifferenten
276 Fritz Poriles.
Materialien zur Herstellung der Filmgrundlagen gelegen sein; die als Er-
eatz zur Verwendung kommenden Materialien sollen die Schichte chemisch
angreifen. Bei der Aussichtslosigkeit einer Remedur wären die intraoralen
Aufnahmen mit dem zur Neige gehenden Vorrat an guten oder halb-
wegs brauchbaren Films auf den Aussterbeetat gesetzt worden. Wir adap-
tierten daher die Methode auf die Verwendung von Glasplatten, die wir in
den gebräuchlichen Formaten (9X12 bis 40X50) ohneweiters geliefert.
bekommen und uns auf die benötigten Größen mit dem Glaserdiamanten
selbst zurecht schneiden. Für die Aufnahmen in Bißebene und die ange-
legten Aufnahmen der oberen Zähne bot das nur geringe Schwierigkeiten.
Die Röntgenplatten werden mit dem Glaserdiamanten in der Dunkel-
kammer auf der Glasseite eingeritzt, in Streifen von 4 bzw.6cm Breite
zerschnitten und aus diesen Streifen durch Querzerschneiden die Platten-
größen von 4X6 und 3X4 hergestellt. Die so erhaltenen Glasplättchen
werden nun auf der Glasseite mit derselben Bleifolie wie die Films hinter-
legt, über die Schichtseite kommt ein passendes Stückchen des auch von
den Fabriken als Schutz über die Schichtseite der Platten gelegten Stückes
dünnen, weißen Seidenpapieres. Das schwarze Papier der Packung ist
chemisch nicht indifferent und greift bei längerem Liegen die Schichte an.
Das ganze wird nun nach derselben Art wie die Platten in Einzelpackung
doppelt. in schwarzes Papier geschlagen, so zwar, daß aus der Lage der
überstehenden umgefalzten Enden der äußeren Papierhülle Schicht- und
Bleiseite erkennbar ist. Die Bleihinterlage erfüllt doppelten Zweck: 1. als
Sekundärstrahlenschutz, 2. erhöht sich bedeutend die Bruchfestigkeit der
Glasplatte, was insbesondere bei der Platte in Bißebene notwendig ist.
Dessen ungeachtet ist es angezeigt, bei der Einlage der Platte in Bißebene
den Patienten aufzufordern, daß er den Mund nur leicht und keineswegs
unter Anwendung der ganzen Kaukraft schließe. Tut er es aus Unacht-
samkeit dennoch, so ist, der deutlich hörbare Knacks beim Zerspringen der
Platte das Zeichen, sofort noch vor der Aufnahme die Platte durch eine
andere zu ersetzen und dem Patienten eine Warnung zukommen zu lassen.
Für die Aufnahme der unteren Zähne auf angelegte Platte ist Glas zur
Methode der rechtwinkeligen Abbiegung a priori unverwendbar. Aber auch
Fingerfixation und Filmhalter gestatten die Anwendung der Glasplatte
3x4 nicht oder nur schlecht. Um die Vorteile der rechtwinkelig abge-
knickten Platte auch auf Glas übertragen zu können, schneide ich jetzt
die Glasplatte nur so groß, als der lingual anliegende „größere“ Teil des
abgeknickten Films, also ungefähr dreiviertel so hoch, schräge überdies
die unteren Enden ganz wenig ab und hinterlege dann dieses kleine der
Kürze halber im Laboratoriums-Slang ‚untere Plättchen“ genannte Glas-
plattenstückehen mit einer gewöhnlichen Bleifolie 3X 4, so zwar, daß die
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 277
abgeschrägten Ecken an den einen Schmalrand der Folie zu liegen kommen.
Es steht dann am anderen Schmalrand ein etwa 4—8 mm breiter Streifen
Bleifolie hervor. Platte und Folie werden nun wie gewöhnlich verpackt
und dann der überstehende Rand des Bleibleches hart über den Rand der
Glasplatte rechtwinkelig abgebogen (Fig.28a, b, c, 29). Die Abbiegung.
sofort nach dem Einpacken dient zum Erkennen der gepackten vorrätigen
Platten. Ich halte mir solche Platten mit Bleihinterlage für die Aufnahme
in Bißebene (4X6), obere angelegte (3X4) und untere „rechtwinkelige“
(3X 4 minus oberem Streifen) vorrätig, die ich mir zuschneide.*) Im Handel
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Adaptation der Methode der rechtwinkeligss Abknickung auf die Benützung von mit Blei
hinterlegten Glasplatten.
Fig.28 a. Zugeschnittene Glasplatte mit Bleihinterlegung.
Fig.285. Die abgebogene Bleifolie mit Glasplatte (Seitenansicht).
Fig.238c. Bleihinterlegte Glasplatte in situ. (Die Papierhülle ist in der Zeichnung weggelassen.
sind sie derzeit noch nicht erhältlich. Doch ist die Herstellung für gutge-
schultes Hilfspersonal unter Aufsicht des verbrauchenden Arztes meiner
Erfahrung nach keine allzu schwierige, durch Erfolgverbesserung reich-
lich gelohnte Arbeit. Das Abschneiden der Streifen von den 3X4 Platten
geschieht nach dem Augenmaß. Die sich so ergebende Ungleichmäßigkeit
ist mir zur Erzielung von individuell anpaßbaren Größen erwünscht.
Das Glas hat sicher dem biegsamen, dünnen, leichten Film gegen-
über eine Reihe von Nachteilen. Am störendsten empfinde ich das Fehlen
*) Über die spezielle Form von Glaeplatten für den unteren Weisheitezahn
s. bei diesem.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 21
Fig.2%9.
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Die abgebogene Platte wird eingelegt. Stellung und Handhaltung.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 379.
des Doppelplattenverfahrens, da man wegen der Dicke des Glases nur
immer ein Plättchen einpacken kann. Andererseits stehen dem eine Reihe
von unleugbaren Vorteilen gegenüber. Abgesehen von der derzeit dem Film
überlegenen gleichmäßigen Qualität der Schichte und deren gleichfalls
temporär größeren Haltbarkeit ist die Gewißheit, eine absolut plane Pro-
iektionsebene gesichert zu haben, eine nicht zu unterschätzende Annehm-
lichkeit. Die störenden Ecken, die man am Film abbiegen konnte, kann
man abschneiden und die Bleiecke umbiegen. Das Verwirrende der umge-
bogenen Filmecke, das für Ungeübte oder weniger Geübte eine Fehler-
quelle bedeutete, fällt weg. Das Arbeiten mit Grlasplättchen ist, wie ich
aus nunmehr ein- und einhalbjähriger Erfahrung weiß, nach Überwindung
der Kinderkrankheiten — namentlich des im Rotlicht Glaszuschneidens
und Packens — ganz genau so schwer oder so leicht und elegant wie mit
Films. Es erfordert allerdings penibel exaktes Arbeiten. Doch wer das
nicht vermag, taugt weder zum Radiologen noch zum Stomatoradiologen,
noch, wie ich wohl glaube, überhaupt zum Arzt.
- Ob das Arbeiten auf Glasplatten nach dieser Methode, obwohl es
bekanntlich der Uranfang war und zugunsten der Films (in Friedensqualität) ver-
lassen wurde, nicht wieder das Verfahren der Zukunft ist, kann erst der Vergleich
mit wieder gelieferten guten Films — die Friedenszeit — entscheiden. Ich ad
personam bin vom Glas so befriedigt, daß ich nicht sicher bin, ob ich es nicht
wenigstens zum Teil beibehalten werde, umso mehr, wenn die fabriksmäßige Her-
stellung der von mir jetzt eingeführten Formen und Packungen die Mehrarbeit
des Selbstschneidens und Packens beseitigen wird.
Die Übersichtsaufnalhme der unteren Schneidezühne auf Platte in
Bißebene.
Die Aufnahme ist nach dem oben Gesagten nur dann möglich, wenn
der Winkel zwischen Zahnachse und Bißebene höchstens 90° beträgt.: Als
Bißebene muß die eingelegte Platte verstanden werden, was die Statistik
insoferne bessert, als in diesem Falle die Zahnreihen nicht okkludieren,
sondern um die Höhe der Höcker und um die Dicke der Platte voneinander
abstehen. Liegt die Platte lege artis zwischen den Weisheitszähnen, so
bedeutet diese Differenz immerhin eine nicht zu vernachlässigende Senkung
des Unterkiefers, zahnärztlich gesprochen Hebung des Bisses. Je mehr aber
der Unterkiefer sich senkt, desto geneigter wird die Lage aller Zahnachsen
zur Querebene bzw. desto spitzer der Winkel zwischen Schneidezähnen
und Bißebene lingualseits. (Zum Verständnis: Bei maximal geöffnetem
Mund stehen die unteren Schneidezähne nahe der Horizontalen.)
Die physiologische Einstellung der Schneidezähne ist de norma so
nahe an 90°, daß durch diese kleine Korrektur praktisch genommen alle
Fälle in den Indikationsbereich dieser Einstellung fallen.
21*
280 Fritz Pordes.
Lagerung: Patient liegt auf dem Rücken mit unter die Schulter
geschobenen Sandsäcken oder Keilkissen — Spitze des Keiles kaudal,
Breitseite kranial —, so dag der Hals überstreckt wird und der Kopf
hinten überfällt (Fig. 31). Oder er sitzt im zahnärztlichen Operationsstuhl
bei herabgelassener Kopfstütze mit maximal nach hinten übergelegtem
Kopf. Die Platte wird, Schichtseite nach unten, so weit als möglich nach
hinten geschoben. Im allgemeinen in der Längsrichtung, d. h. die kürzere
Seite (4em) frontal, die längere (6cm) sagittal. Bei der Aufnahme der
Kinngegend kann man, wenn es sich um möglichste Querausdehnung des
zu überblickenden Gebietes handelt, eine Aufnahme auf Platte in Quer-
stellung — längere Plattenseite frontal — anschließen. Einstellung zur
Fig. 80a. Fig. 30b.
Die Aufnahme der unteren Frontsähne auf Platte in Bißebene ist für Einstellungsfehler
sehr empfindlich.
Fig.80a. Bei einem oberen Zahn bedingt derselbe Fehlerwinkel eine ganz geringe
Verseichnung, die — Fig.305 — einen unteren Frontzahn um die Hälfte verlängert.
Darstellung der Zähne, insbesondere des periapikalen Gebietes: auf die
Spitzen der mittleren Schneidezähne in der Sagittalebene, Neigung zur
Erzielung einer naturgroßen Projektion, normal auf die Halbierungsebene
des Winkels zwischen Platte und Zahnachse, d. i. bei einem Winkel von 90°
45° zur Platte. Zu beachten, daß, je größer der Winkel zwischen Zahn
und Platte, desto größer die Distanz zwischen Wurzelspitze und ihrer
Projektion, desto größer und desto störender bei gleichem Einstellungs-
fehler die Verzeichnung (insbesondere die Verlängerung). Fig. 30 zeigt
bei gleichem Einstellungsfehler bei einem oberen Zahn auf angelegte
Platte eine zu vernachlässigende ganz geringe und bei einem unteren
Zahn auf Platte in Bißebene eine Verlängerung um die Hälfte (!) der
Zahnlänge. Die Einstellung ist demnach die für Fehler empfindlichste. Es
Die radiographische Darstellung der’ einzelnen Zähne und Kiefer. 381
empfiehlt sich, lieber etwas steiler einzustellen, da man aus Bildern von
ein wenig verkürzten Zähnen doch eher noch eine Diagnose zu stellen im-
stande sein wird, als wenn die Bilder der Zähne unförmig in die Länge
gezogen mit ihren Spitzen knapp den Plattenrand berühren oder diese
gar abgeschnitten sind. Allzuweit darf man in der Verkürzung jedoch
Fig. 81.
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Lagerung und Einstellung zur Aufnahme der unteren Frontzähne auf Platte in Bißebene.
nicht gehen, weil, abgesehen von dieser selbst, der dichte Schatten der
Protuberantia mentalis auf das Spitzengebiet fiele und es verschattete.
Hat man eine gelungene Übersichtsaufnahme der unteren Schneidezähne,
so ist zur Durchmusterung der ganzen Kinngegend ohne Rücksicht auf er-
wähnte Überschattung eine solche steiler eingestellte Aufnahme anzu-
schließen,
282 i Fritz Pordes.
Extrem steil eingestellte Aufnahmen, auf denen die Zähne axial in -
ihren Querschnitt projiziert erscheinen, kommen für dieselben Indikationen
wie im Oberkiefer und noch für die der Kantenaufnahme des horizontalen
Astes (s. dort) in Betracht.
Die in der Mediansagittalebene eingestellten Übersichtsaufnahmen
der unteren Schneidezähne geben in der Regel eine gute Auflösung von
2 1f1 2 besser als an denselben oberen Zähnen, u. zw. deshalb, weil der Bogen
Fig. 22.
Radislebenen unterer Zähne bei verschiedenen Bogenformen.
Fig. 38. Fig. 34.
Fig.33. Abgebogene Platte in situ zur Aufnahme unterer Schneidezähne. — Sagittalschnitt.
Fig. 34. Dasselbe wie Fig. 33. Ansicht von hinten. Die Platte durchsichtig.
der unteren Zähne anders als der obere in seinem Frontalteil flacher zu
sein pflegt und am Eckzahn schärfer nach hinten umbiegt.
Wie aus Fig. 32 ersichtlich, sind die Radialebenen der unteren
Schneidezähne fast parallel. Bei der Schmächtigkeit der unteren Inzisiven-
wurzeln, sind daher die Septa interalveolaria auch auf einer Median-
sagittalaufnahme bis zum 23 Septum gut sichtbar. Liegen die individu-
ellen Verhältnisse seltenerweise wenig günstig, so erfordert dies zur Ein-
stellung in der Radialebene beispielsweise des äußeren Schneidezahnes
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 283
eine Verschiebung des Hauptstrahls fast parallel zur Mediansagittalen
nach lateral.
Die Aufnahme der unteren Schneidezähne auf angelegte Platte.
Die Einbringung der Platte an die linguale Seite des Kinnteiles ist
deshalb schwierig, weil in der Mittellinie das Unterzungenbändchen und
weiterhin der Muskelzug des Genioglossus hinderlich in den Weg tritt. Die
lingual angelegte Platte kommt nicht sehr tief hinunter und pflegt außer-
dem nicht gut adaptiert zu sein, sondern nach hinten abzustehen. Es ist
darauf zu achten und so einzustellen, daß die erzielte beste Adaptation in
Betracht gezogen wird (Fig. 33).
Um dem Frenulum linguae auszuweichen, lege ich die an den Ecken
abgeschrägte Glasplatte zur Aufnahme des i] mit dem inneren Rande
Fig. 35.
Lage der Platte zur Aufnahme des unteren Eckzahnes, von der Kaufläche ber gesehen.
knapp paramedian an. Die untere abgeschrägte Ecke ermöglicht dann tie-
feres Eindringen, da das Frenulum sich der Abschrägung anlegt (Fig. 34).
Man kann so den inneren Rand der Platte durch späteres Weitervorschieben
wieder über die Medianlinie hinüberbringen. Bei den unteren Schneide-
zähnen ist die Neigung periapikaler Resorptionsherde, gegen das Kinn
vorzudringen, bei der Auswahl der Aufnahme zu berücksichtigen, es ist
daher immer auch eine Kinnübersichtsaufnahme mit genügend weitem
Überblick anzuschließen. Bei der Kinngegend ist ferner eine genau quere
(frontale) Aufnahme auf extraorale Platte möglich (s. dort).
Lagerung bei angelegter Platte: flach auf dem Rücken liegend, die
Sandsäcke unter den Schultern, wie sie bei Aufnahmen bei Platte in Biß-
ebene zur Überstreckung der Halswirbelsäule gebraucht wurden, sind
überflüssig. Die nötige Neigung kann ohne diese Hilfsmittel ohne weiteres
hergestellt werden. Fixation: Schlitzbinde.
984 Fritz Pordes.
Im zahnärztlichen Operationsstuhl sitzend, bei leichter Rückwärts-
neigung des Kopfes ist der Hauptstrahl annällernd horizontal. Schlitz-
binde ist, wenn sich der Patient in die zahnärztliche Kopfstütze zurück-
lehnt, bei kurzen Expositionszeiten überflüssig.
Der untere Eckzahn.
Wie besprochen, macht der Bogen der unteren Zähne am Eckzahn
eine scharfe Wendung von annähernd frontal nach fast sagittal. Wenn
dieser Wendepunkt — es kommt auf Millimeterbreite an — etwas mehr
lateral liegt, so ist es möglich, den Eckzahn auf Platte in Bißebene dar-
zustellen, vorausgesetzt, daß seine Achse mit der Bißebene bzw. mit der
in Bißebene liegenden Platte einen lingualwärts offenen Winkel von nicht
mehr als 90° einschließt. Treffen diese Voraussetzungen zu, was in über 50%
der Fall sein dürfte, dann stellt man auf Platte in Bißebene in der Radial-
ebene des Eckzahnes wie gewöhnlich zur Darstellung in natürlicher Größe
ein. Die Radialebene des Eckzahnes ist von der des äußeren Schneide-
zahnes bedeutend mehr different als die des 2. von der des 1. und indi-
viduell sehr variabel.
Für die seltenen Fälle von Retention des unteren Eckzahnes wählt
man zur Lokalisation Übersichtsaufnahmen der Schneide- und Eckzahn-
gegend aus verschiedenen Radialebenen und mit verschieden steilen Ein-
fallswinkeln auf Platte in Bißebene und auf angelegte Platte. Die Loka-
lisation geschieht nach den beim oberen Eckzahn erörterten Regeln und
Kriterien.. Extraorale Aufnahmen sind falleweise heranzuziehen. Lage-
rung und Fixation wie bei Aufnahme der unteren Schneidezähne in Biß-
ebene. Durch Drehung des Kopfes wird die Radialebene des aufzunehmen-
den Zahnes in die Lage der sagittalen bei Blick geradeaus gebracht (all-
gemeine Regeln für alle Zahnaufnahmen), d.h. man gibt dem Kopfe des
Patienten eine solche Lage, daß die Radialebene des aufzunehmenden
Zahnes auf den gerade gegenüber stehenden Beschauer gerichtet ist. Die
Feineinstellung ist mit dem Kopfe des Patienten besser nachkorrigierbar
als mit dem besten Röhrenstativ. Stativeinstellung und Nachkorrektur
durch Drehung des Kopfes des Patienten verhalten sich wie etwa am
Mikroskop Zahntrieb und Mikrometerschraube.
Von dieser allgemeinen Regel zum unteren Eckzahn zurückkehrend,
kommen wir zum Problem der Einlage der zugeschnittenen Plättchen für
Aufnahme auf angelegte Platte. Der Eckzahn steht am Scheitel der schar-
fen Umknickung vom Kinn zum horizontalen Ast. Das richtig angelegte
Plättchen bildet eine Sehne zur inneren Seite dieses relativ engen Bogens
(Fig. 35). Es ist wichtig, daß die Ebene des Plättchens normal zur Radial-
ebene des Eckzahnes liege. In annähernd dieser Richtung liegt jedoch die
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 285
‚aruncula sublingualis mit dem Ausführungsgang der Glandula sublin-
gualis ete. Man kollidiert daher immer mit diesen Gebilden, darf sich aber
dadurch in der richtigen Einlage nicht beirren lassen. Der beim Einführen
der Platte auftretende Schmerz hört beim Mundschluß durch die Entspan-
nung des Genioglossus und Biventer sofort auf oder mildert sich zumin-
destens bis zur Erträglichkeit.
An dieser Stelle sei auch der störenden Salivation gedacht. Bei den
Öberkieferaufnahmen und bei Platte in Bißebene wird das umhüllende
schwarze Papier nur in geringem Maße feucht. Die Nässe dringt kaum
durch die oberste Papierhülle, die doppelte Packung wird nie durchfeuchtet.
Es sind also, wenn man die Platten sofort oder nur kurze Zeit nach
der Aufnahme entwickelt, weitere Umhüllungen überflüssig.
Bei den angelegten Unterkieferaufnahmen liegen die Platten jedoch
im Unterzungenspeichelsee. Außerdem wird durch den Schmerz beim Ein-
legen die Salivation reflektorisch gesteigert. Der durch die doppelte Pa-
pierhülle zur Platte dringende Speichel verklebt das Schutzpapier mit der
Schicht und verdirbt die Platte. Man umhüllt deshalb die fertig gepackte
„untere Platte“ noch mit wasserbeständigem Papier (sog. Butterbrot-
papier, Ölpapier, Billrothine).
Das Umhüllen kann sich auf die „größere“ Aufnahmefläche der um-
gebogenen Platte beschränken und die in Bißebene liegende „Fixations-
fläche“ außer acht lassen. Ich pflege auch diese Platten in der Regel ohne
Schutzhülle zu lassen. Das nochmalige Einschlagen macht die Platte zu
diek und zehrt am kostbaren Raum. Wenn man vom Mund in die Dunkel-
kammer fix arbeitet, geht das ganz gut trotz Speichels.
Für extreme „Speichler“ halte ich Billrothine vorbereitet.
Die unteren Prämolaren.
Die unteren Prämolaren sind einwurzelige Zähne; sie liegen im
vorderen Teile des horizontalen Unterkieferastes nach der schärferen Eck-
zahnkrümmung am Beginne des sehr flachen, kaum merkbaren Bogens,
den die Zahnreihe von 4 bis 8 bildet. Zwischen dem ersten und zweiten
unteren Backenzahn liegt an der Außenseite des Corpus mandibulae unter-
halb der Höhe der Wurzelspitzen das Foramen mentale. Zur Dar-
stellung der Prämolaren eignet sich wegen ihrer stumpfwinkeligen Lage
zur Bißebene einzig die angelegte Platte. Deren Einbringung pflegt beim
ersten Prämolaren noch Resten der Eckzahnschwierigkeiten zu begegnen,
indem der vordere Plattenrand an den Bogen der Eckzahnkrümmung an-
stößt. Beim “zweiten Prämolaren gleitet die Platte in der Regel ohne
besondere Schwierigkeiten an ihren Platz. Einstellung in der Radialebene
auf die Wurzelspitzen des betreffenden Zahnes. Da die Platte lingual
986 Fritz Pordes.
u
praktisch parallel zur Zahnachse liegt, so steht der abbildende Haupt-
strahl senkrecht auf der Zahnachse und Platte, d.h. am aufrecht sitzenden
Patienten horizontal. Lagerung und Fixation wie bei derselben Aufnahme
am Eckzahn.
Bei dieser Einstellung erscheinen die Zähne in natürlicher Größe,
doch wird von dem jenseits des Apex liegenden Spongiosaareale nur wenig
sichtbar.
Will man dieses im weiteren Umfange durchmustern, z.B. um pa-
thologische Veränderungen mit größerer räumlicher Ausdehnung nach
Fig. 36. Fig. 37.
Fig.36. Aufnahme eines unteren Prämolaren auf angelegte Platte. Das Foramen mentale
wird über den Apex projiziert und kann einen BResorptionsherd vortäuschen.
Fig.37. Orthoprojektion zur Darstellung von Krone und Hals eines unteren Molaren unter
Verzicht auf den Apex. Die Platte ist zwischen Mundboden und Kaufläche der oberen Zähne
gestützt.
unten gegen das Corpus mandibulae allseitig zu Gesicht zu bekommen,
oder um die Lagebeziehungen der Wurzelspitzen der Prämolaren zum
Canalis mandibularis und zum Foramen mentale zu studieren, so neigt
man den Hauptstrahl stärker nach unten (kaudal). Dadurch werden die
Projektionen der Zähne verkürzt, es wird aber der ganze Unterkieferkörper
sichtbar. Fehlerquelle: das Foramen mentale projiziert sich auf eine
Wurzelspitze und täuscht einen periapikalen Resorptionsherd vor. Siche-
rung dagegen: Aufnahmen mesial und distal exzentrisch, wodurch infolge
der Verschiebungen die Lagebezeichnungen klargestelit werden (Fig. 36).
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 987
Wenn die obere Kante des Bleiplättchens nicht hart über den Platten-
rand abgebogen ist, was vorkommen kann, so ist es möglich, daß die
Kaufläche nicht mehr zur Darstellung kommt, „abgeschnitten“ wird.
Um dies gegebenenfalls, namentlich wenn es sich besonders um die Dar-
stellung von koronar gelegenen Gebilden handelt, zu vermeiden, läßt man
die Zahnreihen nicht vollkommen schließen. Die Stütze, die das zwischen
oberer Zahnreihe und Mundboden eingeklemmte Plättchen darbietet,
genügt zur Aufbißfixation völlig. Tiefes Eindringen in den Mund-
hoden ist in diesem Falle ja überflüssig. Einstellung exaktest rechtwin-
kelig zur Platte, vollkommene Orthoprojektion (Fig. 37).
Fig.83. Fig. 39.
Fig.38. Einstellung zur Kantenaufnahme unterer Zähne auf Platte in Bißebene (Frontal-
schnitt).
Fig. 898. Diagramm einer wie Fig.38 eingestellten Aufnahme.
Für Aufnahmen auf Platte in Bißebene kommen die Zähne jen-
seits des Eekzahnes wohl nicht mehr in Betracht. Wohl aber ist diese
Aufnahme zur Darstellung in Axialprojektion als Kantenansicht der Man-
dibula für eine Reihe von Indikationen notwendig und reich an Auf-
klärung. Das von der Kante gesehene Bild der Mandibula zeigt alle Lage-
beziehungen in linguo-bukkaler Richtung auf. Es zeigt bukkale und linguale
Defekte, Auftreibungen und Appositionen an der Mandibula. Der Mund-
boden und die Zunge erscheinen frei von Überschattungen. Auf genügend
weit nach hinten geschobener Platte erscheint bei Steileinstellung in gün-
stigen Fällen der vordere Rand des Zungenbeinkörpers. Fremdkörper in
der Zunge und im Mundboden gelangen so zur Darstellung. Konkremente
288 Fritz Pordes.
im Ausführungsgang der Glandula submaxillaris und sublingualis (Spei-
chelsteine) sind auch bei nur geringem Kalkgehalt sehr gut sichtbar.
Die Herstellung der Aufnahme geschieht ähnlich wie die Übersichts-
aufnahme der unteren Schneidezähne. Es empfiehlt sich, die Platte quer
— mit der größeren Kante frontal — möglichst tief und nach der aufzu-
nchmenden Seite hin drückend, einzuschieben. Kopf über dem unter den
Schultern befindlichen Sandsack maximal hinten übergeneigt. Einstellung
entsprechend der Lage des Corpus mandibulae, d.h. auf die untere Kante
des Unterkiefers auf die abzubildende Stelle steil von unten mit leichter
Neigung nach außen (Fig. 38, 39).
Der erste untere Molar.
Dieser Zahn ist im Gegensatz zu seinem Antagonisten einer der
leichtest darstellbaren. Bei richtiger Technik ist das zugeschnittene Glas-
Fig. 40.
Effekt einer unabsichtlich exzentrisch eingestellten Aufnahme eines unteren Molaren.
1 Distal exzentrische, 2 richtige orthoradiale Einstellung.
plättchen unschwer an seinen Platz zu bringen. Zu beachten ist bei der
Einstellung, dafi seine beiden Wurzeln quer ovalen bzw. biskuitförmigen
Querschnitt haben. Wenn man nicht genau in der Radialebene einstellt,
so verbreitert sich die Projektion der Wurzeln unverhältnismäßig und die
Septa interalveolaria bzw. das Septum interradikulare verschwindet zum
größten Teil (Fig. 40). Man macht sich dann eine ganz falsche Vorstellung
von der Konfiguration der Wurzeln. Eine eventuelle Krümmung nach der
Kante kann dadurch verdeckt werden, was beispielsweise für eine Extrak-
tion unangenehme Konsequenzen haben kann.
Zwecks Durchmusterung des Corpus mandibulae ist wie beim 5 eine
etwas von unten her eingestellte Aufnahme zu machen. Statt den Haupt-
strahl zu neigen, kann man den Kopf nach der entgegengesetzten Seite
neigen lassen.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 280
Diese Neigung des Kopfes nach der anderen Seite kommt namentlich
bei Aufnahme im zahnärztlichen ÖOperationsstuhl durch allzu bequemes
Anlehnen in die Kopfstütze als unbeabsichtigte Lage vor, die man kennen
muß, um nicht unfreiwillig die Wurzeln zu verkürzen. Es ist, wie schon
erwähnt, auch zur Vermeidung dieser Fehlerquelle notwendig, die fertige
Einstellung mit dem die Lage des Hauptstrahles anzeigenden Stab (Index,
Teleskopauszug je nach Stativtype) vor der Einschaltung der Röntgen-
röhre noch einmal genau aus verschiedenen Richtungen revidierend zu
betrachten, die aufzunehmende Gegend mit den Blicken gleichsam skelet-
tierend, die Lage von Abzubildendem und Projektionsfläche ins Auge zu
fassen und die erzielte Projektion vorauszusehen. Macht man sich diese
letzte Revision zur Gewohnheit, so erspart man sich viele Fehlresultate.
Anmerkung in parenthesi zur Röntgentechnik: Die Regel: vor dem Ein-
stellen noch ein alles revidierender Blick! sollte in leuchtenden
Lettern über jeder Schalttafel hängen. Leider lernen das die meisten erst nach
dem Schaden. Das Reparaturpauschale eines Laboratoriums zeigt unweigerlich, ob
lie Regel befolgt wird.
Der zweite untere Molar.
Die Radialebene dieses Zahnes ist zu der des mesialen Nachbarn
annähernd parallel um Zahnbreite nach distal verschoben. An Schwierig-
keit der Darstellung auf angelegtes Glasplättchen mit Bleikante in Biß-
ehene steht der Zahn einen Grad höher als der erste Molar. Das Schieben
der Plättchen nach distal ist etwas weniger leicht, da es nicht ganz selten
mehr schmerzt als beim mesialen Nachbar. Der Schmerz läßt allerdings
heim Mundschlusse nach, doch schiebt der Patient im Moment des
Schließens das Plättchen aus der unbequemen Lage mit der Zunge oft
ein wenig nach vorn. Es muß daher die bukkal überstehende Bleikante mit
leichtem Druck nach hinten fixiert werden, bis der Aufbiß die Fixation
übernimmt.
Die übrigen Fehlerquellen sind dieselben wie beim ersten unteren
Molaren und dort erörtert.
Dazu käme noch die Darstellung des mesial gekippten Siebeners. Bei
dem hei älteren Individuen so häufigen Fehlen der Sechser werden die
zweiten Molaren bekanntlich mesial gerückt und gekippt.
Ihn auch in dieser Stellung auf die Platte zu bringen, macht ja in
der Regel kaum größere Schwierigkeiten als bei normaler Stellung. Er-
geben sich dennoch solche, so wäre der gekippte Siebener so zu behandeln
wie ein unterer Weisheitszahn (s. unter diesem). Allein wenn man schon
ein Röntgenogramm von ihm hergestellt hat, ist die Erkennung der ge-
kippten Stellung auf einem nur diesen einen Zahn oder auch den ebenfalls
290 Fritz Pordes. Die radiographische Darstellung etc.
mesial gekippt stehenden Weisheitszahn umfassenden Bilde mangels einer
tixen Örientierungsrichtung nicht ohne weiteres möglich. Die Bestimmung
des Neigungswinkels ist klinisch nur bei intakter Krone möglich. Abge-
kaute, stark kariöse oder mit großen Füllungen versehene, gekrönte oder
sonst stark veränderte Zahnformen gestatten die klinische Diagnose der
Kippung nicht, ja sie verschleiern sie mitunter geradezu (z. B. distaler
Brückenpfeiler).
Die Kenntnis vom Vorhandensein und Grad der Mesialneigung ist
jedoch notwendig, die Unkenntnis kann bei einer Extraktion oder beim
Devitalisieren (fausse route!) sehr unangenehme Konsequenzen haben.
Fig. 41.
Fig. 41. Bestimmung des Neigungswinkels eines gekippten Molaren darch eine Hilfsplatte,
die von diesem und dom nächsten gerade stehenden Zahn nur ein Segment abbildet.
=... „= Hilfeplatte.
Es ist daher, will man nicht von vorneherein eine Übersichtsauf-
nahme auf extraorale Platte machen, sehr erwünscht, den nächsten gerade-
stehenden Zahn zur Bestimmung des Neigungswinkels mit dem gekippten
wenn irgend möglich auf eine Platte zu bringen. Wenn dies nicht geht,
weil das Plattenformat nicht ausreicht, so ist der Winkel des nächstgele-
genen und des gekippten Zahnes zum oberen Rand des zahnlosen Kiefers
zu bestimmen, um so den Neigungswinkel indirekt erkennen zu können.
Es genügt, ein kleines Segment vom Örientierungs- und von dem zu be-
stimmenden Zahn auf einer Platte zu haben, um mit Hilfe der anderen
Aufnahmen die Winkel zu bestimmen. Fig. 41 zeigt dieses Hilfsplatten-
verfahren.
(Fortsetzung folgt.)
Referate und Bücherbesprechungen. 291
Referate und Bücherbesprechungen.
Zähne, Zahnfüllungen und Prothesen in den tiefen Luft- und Speisewegen.
Von Prof. Dr. v.Chiari. Wiener med. Wochenschr., 1917, Nr. 22, 23
und 24.
Chiari gibt eine ausführliche Statistik der Fälle, in denen Zähne,
Zahnfüliungen und Prothesen in die tieten Luft- und Speisewege gelangten.
Zähne und Zahnstücke kamen bei der Extraktion, vielfach auch bei
Fällen, die in der Narkose vorgenommen wurden, in die Luft- oder
Speisewege. In 2 solchen Fällen trat Bronchitis und Lungenabszeß und
einmal Empyem auf. Dies geschah allerdings zu einer Zeit (1898), da
eine direkte Bronchoskopie noch sehr wenig bekannt war. In anderen
Fällen wurden Zähne, Plomben oder Goldfassungen zufällig von den Pat.
entweder verschluckt oder aspiriert.
In den kehlkopf gelangten ein Kunstzahn und ein soeben ausge-
zogener natürlicher Zahn und erzeugten dort einen so heftigen Glottis-
krampf, daß sofort Erstickung eintrat. Am ungefährlichsten ist das Ver-
schlucken des Zahnes. in der größeren Anzahl der Fälle wurden aus der
Speiseröhre die geschluckten Zähne extrahiert, in einem Teil der Fälle
gingen sie anstandslos mit dem Stuhle ab.
Gelangten Zähne, Plomben oder Goldfassungen in die Bronchien,
so starben von den 31 beobachteten Fällen 7 meist schon nach einigen
Tagen oder Wochen an Pneumonie, putrider Bronchitis, Abscessus pul-
monis, Empyema pleurae oder Gangraena pulmonum, die übrigen 24 ge-
nasen, wenn auch oft nach langer Krankheit.
In einzelnen Fällen — Chiari gibt 11 an — gelang es, den Fremd-
körper auf bronchoskopischem Wege zu entfernen. Gegenüber den gefähr-
lichen Symptomen heim Eindringen des Zahnes in die Luftwege veran-
lassen die in die Speiseröhre geratenen Zähne verhältnismäßig wenig
Beschwerden.
Vor allem ist durch den Spezialisten durch eingehende Untersuchung
mit allen modernen Behelfen die Lokalisation des Fremdkörperse festzu-
stellen; hierauf hat sofort die Entfernung des Fremdkörpers auf ösopha-
goskopischem oder bronchoskopischem Wege zu erfolgen. Der Erfolg dieser
Therapie ist sehr erfreulich.
Verschluckte Gebisse werden gewöhnlich in der Speiseröhre fest-
gehalten und rufen dort sehr schnell eintretende Schmerzen und Behinde-
rung des Schlingaktes hervor. Zur Entfernung dieser in die Speiseröhre
gelangten Gebisse wurden verschiedene Methoden angewandt, zum größten
Teil durch Oesophagoskopie, zum Teil aber mußte zur Oesophagotomie
gegriffen werden. In 25 der 214 beobachteten Fälle gingen Gebisse mit
dem Stuhlgang ab. Von den beobachteten Fällen blieben 22 im Rachen
stecken, die unter der Leitung des Kehlkopfspiegels extrahiert werden
konnten. Sollte die Lokalisation eines Gebisses nicht gleich sichergestellt
sein, so zeigte indirekte Laryngoskopie das Gebiß schnell und deutlich.
Gebisse in der Trachea wurden zweimal beobachtet und diese Stücke
konnten durch die untere Bronchoskopie entfernt werden.
Der Tod erfolgte in 10 Fällen, und zwar 2mal an Erschöpfung, 3mal
an Pneumonie, 2mal an Blutung, imal infolge der Verletzung, Imal an
Mediastinitis und 1mal an Sepsis.
2399 Referate und Biücherbesprechungen. - Personalien.
Chiari zieht folgende praktische Folgerungen: Bei der Extraktion
vun Zähnen oder Wurzeln, besonders in der Narkose, achte man darauf,
daß kein Stück in die Tiefe falle. Wenn aber dieser Unfall eingetreten ist,
kat der Operateur die Pflicht, den Pat. genau zu untersuchen oder ihn zu
einem Spezialisten für Kehlkopf- und Speiseröhrenerkrankungen zu bringen. `
Selbstverständlich ist im Falle drohender Erstickung der Arzt, welcher die
Extraktion vornahm, auch zum sofortigen lebensrettenden Eingriff ver-
pflichtet, entweder zur laryngoskopischen Extraktion oder Tracheotomie.
Ergibt die spezialistische Untersuchung den Fremdkörper, so ist dieser
sofort auf bronchoskopischem oder ösophagoskopischem Wege zu ent-
fernen, damit er nicht durch längeres Verweilen die oben beschriebenen
schweren Folgen veranlasse.
Alle Personen, welche künstliche Zähne, Brücken, Goldkappen,
Plomben oder Prothesen tragen, sollen diese oft revidieren lassen.
Kriegszahnklinik, September 1917. Oberstabsarzt Doz. Zilz.
Die Technik der Apparatur der intraoralen Kieferverbände und das Zie-
linsky-Band. Von Zahnarzt W.Zielinsky (Berlin). D. Zahnärztl.
Wochenschr., XIX. Jahrg., Nr. 38.
Im Anschluß an Herbers Ausführungen in den vorhergehenden
Nummern derselben Wochenschrift bringt uns Zielinsky sein Band
in Erinnerung, das er wörtlich folgendermaßen schildert: „Das Zie
linsky-Band ünterscheidet sich von allen bisher eingeführten Zahn-
schraubbändern und vom Angle-anchor-clamp-Band nur dadurch, daß der
eigentliche Bandstreifen hohl gezogen, d.h. bei gleichmäßiger Wandstärke
nach außen flach-konvex, nach innen flach-konkav profiliert ist. Dadurch
erhält das fertige Band eine tonnenförmige oder trauringähnliche Gestalt.“
Und weiter heißt es wörtlich: „Das Zielinsky-Band hat eine Wand-
stärke von 0,2 mm, eine Höhe von 5mm und eine feste Schraubspindel mit
tiefgeschnittenen Gewindegängen und entsprechend gearbeiteter Vierkanten-
mutter. Durch die Konturierung des Schraubbandes ist das Aufsetzen dieser
Bänder zur Spielerei geworden und die starke Zugschraube gewährleistet
ein vollkommenes Anschmiegen an die anatomische Form der Zahnkrone.
Ideal ist jedenfalls das fertige, schon vergoldete Band mit Ankerröhre auf
dem Zahn so adaptieren zu können, daß dieses keinerlei Lötprozeß mehr
unterworfen zu werden braucht.‘ Schließlich erfahren wir noch, „daß das
Zielinsky-Band ebenso ohne Ankerröhre als mit einer solchen ver-
sehen im Handel sich befindet, und zwar in sechs verschiedenen Abarten
von der Grundform“, deren Besprechung uns der Autor in einer weiteren
Arbeit verspricht. Dr. Rudolf Klein.
Personalien.
(Todesfall.) Der chemalige Vorsitzende des Vereins oberöster-
reichischer Zahnärzte Dr. Eduard Singer ist gestorben.
m A o a - ——
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, HI., Münzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
a an Zahnärzte Österreichs,
Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
XVI. Jahrgang. Dezember 1918. 12. Heft.
7
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne
und Kiefer.
Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre.
Von Dr. Fritz Pordes.
(Fortsetzung.!)
Der untere Weisheitszahn.
Er ist der auf enoraler Platte am schwierigsten darzustellende Zahn
des ganzen Gebisses. Das Einlegen der Platte gestaltet sich bei empfind-
lichen Patienten zu einer Geschicklichkeit und Geduld auf eine harte Probe
stellenden Prozedur, so daß man geneigt sein könnte, die relativ viel leich-
tere Aufnahme auf extraorale Platte überhaupt vorzuziehen. Daß man
dies nicht tut, liegt an den wesentlich genaueren Bildern, die die enorale
Aufnahme liefert. Die Gründe dafür — Distanz von Gegenstand und Platte,
Dicke der durchstrahlten Weichteile — sind bereits angeführt. Dazu kommt
noch, daß die ostevanatomischen Verhältnisse beim unteren Sapiens be-
sonders ungünstig liegen. Das Corpus mandibulae ist innen und außen
von den Weisheitszahnwurzeln besonders breit (Linea obliqua externa,
crista mylohyoidea), die Kompaktaschichten dichter als sonst am Processus
alveolaris. Die Wurzeln differenzieren sich am Röntgenbilde durch die
dichten Knochenschatten annähernd ebenso schlecht als die des oberen
ersten Molaren im Schatten des Jochbeinkörpers. Ein Grund mehr, für diese
Gegend die bessere Resultate liefernde, wenn auch schwierigere enorale
Aufnahme vorzuziehen.
Steht der untere Sapiens normal, so ist die Platteneinlage zwar
schwierig, gelingt aber mit gutem Resultate nach höchstens zwei Fehl-
schüssen. Anders liegt die Sache, wenn der Zahn mit einem Teil der Wur-
zeln distal vom vorderen Rand des aufsteigenden Unterkieferastes ge-
legen ist, welche Lage bei noch nicht durchgebrochenen, impaktiert schräg
1) S. Nr.8, 9 und 11 der Österr Zeitschr. f. Stomatologie. Abdruck der im
Verlage Urban & Schwarzenberg in Buchform demnächst erscheinenden Artikelserie.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 22
294 Fritz Pordes.
im Processus alveolaris liegenden oder infolge Fehlens des zweiten oder
ersten Molaren mesial gekippt stehenden Weisheitszähnen ein sehr häufiges
Vorkommnis ist. In diesem Fall ist man überhaupt nicht imstande, den
Zahn nach einer der gebräuchlichen Methoden auf enorale Platte zu
bringen, auch auf abgebogene Plättchen nicht, da der distale Rand der
Platte an dem vorderen Rand des aufsteigenden Astes anstößt. Dieser
Schwierigkeit zu begegnen, dient die Modifikation der schrägen Abbiegung
(1916). Die Linie der rechtwinkeligen Abknickung läuft dabei nicht paral-
lel, sondern in einem Winkel von annähernd 45° zur oberen (kleineren)
Kante des Films. Das eine Ende der Knickungskante läuft in eine Ecke
des Filmrechtecks. Die Filmfläche zerfällt dabei in einen kleinen dreiecki-
gen und einen größeren, von einem Trapez begrenzten Teil. Der kleinere
Fig. 42.
Fig.42. Modifikation der Abbiegung des Films für die Aufnahme gekippter Weisheitszähne.
Oberer Pfeil: Biegung zum Beschauer hin. Unterer Pfeil: Biegung vom Beschauer weg.
dreieckige Teil kommt an Stelle der oberen Kante auf die Kaufläche des
Zahnes. Die Knickungslinie liegt horizontal, die vordere und hintere Kante
verlaufen nicht senkrecht lingual am Processus alveolaris herunter, son-
dern unter einem Winkel von 45° nach mesial oder distal, d. h. bei richtiger
Seitenlage nach distal. Es wird für die Aufnahme des rechten Sapiens die
rechte obere Ecke, für links die linke obere Ecke abgeknickt. Das Bild er-
klärt dies besser, als eine Beschreibung es vermöchte. Die der abgeknickten
“cite gegenüberliegende Spitze würde in den Mundboden stechen. Sie wird
daher nach lingual abgebogen. Wie Fig. 42, 43 zeigen, gelangt hierbei, wenn
der hinterste Punkt der umgebogenen Ecke am vorderen Rande des auf-
steigenden Astes liegt, die Platte tief hinter diesen Rand, d. h. in ein der
Darstellung sonst verschlossenes Gebiet.
Wie man sich durch Palpation in seinem eigenen Munde überzeugen
kann, befindet sich lingual von den Sapienswurzeln ein tief nach hinten
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 995
fast bis zum Angulus sich erstreckender Recessus neben der Zungenwurzel,
wie geschaffen zum Sustentakulum für den Film.
Die Einbringung des Films in diesen Raum gelingt bei einiger
Übung ganz leicht.
Die Adaptation dieser für den Film geschaffenen Modifikation der
Abbiegung an den — temporären (?) — Gebrauch von zugeschnittenen
Glasplatten geschieht in der Weise, daß die rechte bzw. linke obere Ecke
unter 45° abgeschnitten wird. Die unteren Ecken werden wie gewöhnlich
knapp abgeschrägt. Bleihinterlage und Packung wie für „untere Plätt-
Fig. 43.
Eine nach Fig. 42 abgubogene Platte in situ.
chen“. Je nach der Schräglage unterscheidet man dann „untere Weisheits-
zahnplättchen für rechts und links“ (Fig. 44). Die Schnittlinie läuft vor-
teilhaft nicht in die obere Ecke, sondern zwei bis drei Millimeter davor
in die obere Kante. Die Handhabung geschieht wie bei Film. Die mit der
Art erzielten Resultate waren durchaus befriedigend, fallweise überraschend
schön. Von möglichen Fehlerquellen seien erwähnt:
1. Die Bleiecke ist nicht hart über die Plattenkante gebogen. Patient
beißt sich die sonst vordere nun untere abgeschrägte Ecke tiefer in den
Mundbogen als nötig. Erschwerter Mundschluß. Raumverlust.
2. Die Einlage geschieht mit zustarker Distalschiebung,
die mesiale Wurzel wird abgeschnitten.
22:
296 Fritz Pordes.
3. Die richtig eingelegte Platte wird im Momente des Mundschlusses
nach vorne geschoben.
Um letzteren häufigen Mißerfolgsgrund zu vermeiden, überzeugt man
sich, bei geschlossenen Zahnreihen mit dem Finger ins Vestibulum oris ein-
gehend, ob die bukkal überstehende Zacke der Bleiecke an der richtigen
Stelle über der 8-Kaufläche liegt. Man kann auch den Finger des Patienten
insofern zur Hilfe benützen, als man ihn neben der Aufbißfixation noch
vom Vestibulum oris aus die überstehende Bleiecke nach hinten drücken
läßt. Der Finger muß, um nicht mitröntgenographiert zu werden, von der
oberen Zahnreihe aus nach unten und hinten drücken. (Zeigefinger der kon-
tralateralen Hand, Daumen unterm Kinn.)
DD
Fig.44.
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Adaptation der Methode zur Verwendung von Glasplatten. Form der zugeschnittenen, mit
Bleifolie hinterlegten Platten für den rechten und linken Weisheitszahn.
Die Bißfixation aufzugeben und nur durch Fingerdruck die auf der
Kaufläche liegende Bleiecke halten zu lassen, ist entschieden zu widerraten.
Die Mundöffnung spannt den Mundbogen drückt die Platte heraus und die
mangelnde Fixation verwackelt das Bild. Zu beachten wäre allenfalls noch
der hier wie beim oberen Weisheitszahn sich unangenehm fühlbar machende
Würgreflex. Abhilfe wie dort. An Stelle der Aufnahme in Bißebene tritt
hier als ultimum refugium die Aufnahme auf extraorale Platte.
Die Aufnahme des Unterkiefers auf extraorale Platten.
Warum und wie sehr die extraorale Aufnahme zur Darstellung der
Zähne für die Zwecke des Zahnarztes der Aufnahme auf enoral liegendes
Material inferior ist, wurde zur Genüge erörtert.
Daß dennoch dieser Aufnahme in der Stomato-Radiologie nicht
entraten werden kann, ist eine Binsenwahrheit. Was die Aufnahme auf
Platte in Bißebene oben, das ist im allgemeinen die extraorale Platte unten.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 997
Sie wird gebraucht, um die nötige Übersicht über eine Gruppe von
Zähnen im Zusammenhange miteinander und mit dem Corpus mandibulae
zu gewinnen. Traumatische, endzündliche und neoplastische Veränderun-
gen von größerer räumlicher Ausdehnung sind nur auf diese Weise in ihrer
Totalität zu überblicken. Das Gebiet des aufsteigenden Astes und das
Kiefergelenk bedürfen ihrer a priori zu ihrer Darstellung.
Die extraoralen Unterkieferaufnahmen sind reichlich beschrieben
worden. Ihre Technik ist ein vielbeschrittenes Gebiet. Es ist nicht Gegen-
stand dieser Erörterung, eine Geschichte dieser Aufnahme zu geben.
Ohne daher irgend einer der vielen angegebenen Methoden Vorteile oder
- Nachteile nachrechnen zu wollen, soll im Folgenden, von der Projektions-
lehre der Aufnahme ausgehend, eine Darstellung des Modus procedendi ver-
sucht werden, wie er sich an meinem ziemlich zahlreichen Material als günstig
bewährt hat. Vorausgeschickt muß allenfalls noch werden, daß die Art als
Arbeitsanweisungen für den Arzt selbst und nicht zur Ausführung durch
Hilfspersonal gedacht ist. Die vorzügliche Mechanisierung der Kieferauf-
nahmen durch die Cieszyähskische Einstellkappe liefert für die
Röntgenschwester ein Optimum. Das freihändige Einstellen schrä-
ger Projektionen ist für die extraorale Platte wie für den intraoralen Film
individuell dem Fall angepaßt, nicht mechanisierbar, streng genommen
nicht lehrbar und lernbar, sondern Sache — ich fühle mich versucht zu
sagen — der künstlerischen Begabung des Einzelnen. Die Anhaltspunkte
mögen in derselben Weise wie für die intraoralen Aufnahmen folgen.
Die Hauptaufnahmsrichtungen — sagittal und frontal — kommen z}
folgenden Zwecken in Betracht:
Die sagittale Aufnahme postero-anterior. Lagerung und Einstellung
s. Seite... .
Die Aufnahme zeigt den Bogen des Unterkiefers und die aufsteigen-
den Äste von hinten gesehen. Die letzteren erscheinen nicht, wie man von
vorneherein erwarten sollte, in reiner Kantenansicht, sondern ihrer leicht
von hinten außen nach vorne innen gedrehten Stellung entsprechend einer-
seits, andererseits infolge der Divergenz der abbildenden Strahlen in einer
allerdings ziemlich verkürzten Flächenansicht.
Da der Hauptstrahl von hinten und unten eingestellt ist, erscheinen
die in ihrer Querausdehnung abgebildeten Köpfchen über den Processus
coronoidei. Der äußere sichtbare Rand entspricht dem hinteren, der innere
dem vorderen (Fig. 49 A).
Über das obere Drittel der horizontalen Äste fällt (bei größerer
Neigung des Hauptstrahles höher liegend) der quere untere Rand des
Hinterhauptschattens. In der Gegend der Gelenke sieht man die wabige
Zeichnung der Warzenfortsatzhöhlen. Die horizontalen Äste erscheinen
298 Fritz Pordes.
in starker Verkürzung, die Schatten der in postero-anteriorer Richtung
abgebildeten Zähne decken einander. Die Kinngegend wird gut übersehen.
Über sie projiziert sich, durch die Strahlendivergenz vergrößert und da-
durch sowie durch die Sekundärstrahlenbildung unscharf und die scharfen
Bilder des .plattenanliegenden Kinnes wenig beeinträchtigend die Hals-
wirbelsäule. Kennen muß man jedoch insbesondere die sonst eine Fehler-
quelle bildenden Zwischenwirbelscheiben, bzw. die durch sie bedingten Auf-
hellungsquerbänder (Fig. 49 A Z.). Im ganzen bietet die Aufnahme eine
gute, grobe Veränderungen sicher anzeigende Übersicht.
Die zweite in sagittaler Richtung zu gewinnende Übersichtsaufnahme
ist die axiale, deren Lagerung und Einstellung ebenfalls bei den Oberkiefer-
aufnahmen angeführt ist (s. Seite. ..). Für Unterkieferübersichtsauf-
nahmen empfiehlt sich als Fußpunkt der Punkt der sagittalen, der an ihrer
Kreuzung mit einer frontal über das Schädeldach die vorderen Ränder der
Ohrmuscheln verbindenden Linie liegt (vordere Ohrvertikale, Lilien-
feld). Einstellung auf diesen Punkt mit 30° dorsaler Neigung. Resultat
siehe Fig. 23 wunderschöne Vergleichsaufnahme beider Kiefergelenke aus
der Vogelperspektive. Man sieht das Köpfchen durch die Pfanne in seiner
Querausdehnung und Schrägstellung, davor die durch das Tuberculum arti-
culare gebildete Verstärkung des vorderen Pfannenrandes als Querleiste.
Die Aufnahme ist ferner die einzige Vergleichsaufnahme des Processus co-
ronoidei. Vorzügliche Ansicht des Unterkieferbogens in seiner Totalität.
Kenntnis von Form und Lageveränderungen im Sinne außen-innen bzw.
vorne-hinten. Die Aufnahme gibt die Möglichkeit der Darstellung von pa-
lato-bukkaler Malokklusion. Weniger gut ist wegen der Dicke der zu durch-
strahlenden Gebilde die Strukturzeichnung.
Aufnahme in frontaler Richtung.
Rein frontale Einstellung projiziert die Bilder beider Unterkiefer-
hälften übereinander. Diese Überschattung läßt im allgemeinen die Art
der Einstellung wenig empfehlenswert erscheinen. Es wäre denn, daß man
durch die Herstellung von stereoskopischen Röntgenbildern (s. u.) die
Tiefendifferenzierung erleichtert.
Als dennoch notwendig erscheint die reine Quereinstellung zur Gewin-
nung einer Seitenansicht des Kinnes.
Der liegende oder vor dem Tische sitzende Patient legt das Gesicht
mit einer Wange auf die Platte. Schlitzbinde. Das Kinn wird entweder
ebenfalls seitlich auf die Platte gelegt oder mit einem Wattebausch unter-
stützt. Im ersteren Falle ist die Frontalebene des Patienten gegen die
Platte etwas nach vorne geneigt. Im zweiten steht sie zu ihr senkrecht.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 299
Die Einstellung auf das Kinn hat jedoch in jedem Falle genau in der
Frontalebene des Patienten zu erfolgen. Der Hauptstrahl
wird demnach im ersten Falle ebenfalls etwas nach vorne (ventral) geneigt
sein müssen, um eine genaue Queransicht des Kinnes (Fig. 45) zu liefern.
Rein quere Aufnahmen sind auch zur Darstellung der Zunge er-
forderlich. Lagerung wie eben beschrieben, Patient öffnet maximal den
Mund, streckt die Zunge vor. Einstellung rein quer zwischen die geöffneten
Zahnreihen. u
Fig. 45.
Diagramm einer Queraufnahme der Kinngegend.
Zur Lokalisation eines Fremdkörpers in der Zunge kann man eine
zweite Aufnahme anschließen, bei der ceteris paribus die Zunge nicht
vorgestreckt gehalten wird. Ein in der Zunge sitzender Fremdkörper hat
dann seine Lage verändert. Um Mitbewegung mit der Zunge auch für bei
‚Durchleuchtung nicht mehr sichtbare kleinste Fremdkörper wahrnehmbar
zu machen, habe ich diese beiden Aufnahmen und eventuell noch eine dritte
‚gemacht, bei welcher bei ruhig offen gehaltenem Munde die Zunge während
der Aufnahme langsam vorgestreckt wird. Die Fremdkörper zeichnen dann
entsprechend ihrer Größe und stärkeren oder schwächeren Mitbewegung
300 Fritz Pordes.
ein Schattenband ein. Die zur queren Zungenaufnahme unter 90° stehende
Einstellung ist die steil von unten her auf Platte in Bißebene (s. Seite . .).
Rein quer ist auch die Aufnahme zur Darstellung des Zungenbeins.
Lagerung wie zur Kinnaufnahme, jedoch mit dem Zungenbein in die Mitte
der Platte. Zur Differenzierung der Zungenbeinhörner eine zweite kaudal
exzentrische Aufnahme. Das nach kranial wegprojizierte war der Röhre
Fig. 46.
Diagramm einer Queraufvuahme der Kehlkopfgegend.
A = Angulus mandibulae., E= Epiglottis. H = Os hyvoides, L—L = Tracheopharyngeale
Luftsäule, G = Glottis, C = Cartilago cricoidea, T = Cartilago thyreoidea.
näher, der Platte ferner gelegen, also bei rechter Seitenlage das linke
Zungenbeinhorn (Fig. 46).
Praktisch rein quere Richtung hat ferner der Hauptstrahl der vom
Verfasser angegebenen Spezialeinstellung zur isolierten queren Darstellung
des Kiefergelenks. Das abbildende Strahlenbündel nimmt seinen Weg hie-
bei durch die Incisura semilunaris der anderen Seite. Betrachtet man einen
Schädel von der Seite, so kann man sehen, daß der untere Rand des Joch-
beinfortsatzes des Schläfebeinas mit dem halbmondförmigen Ausschnitt
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 301
des Unterkiefers eine Lücke von der Form einer halben Ellipse einschließt,
durch welche man das gegenüberliegende Kiefergelenk frei von Überschat-
tungen anvisieren kann (Fig. 47). Man sieht dabei das Köpfchen in prak-
tisch reiner Profilansicht. Die Blickrichtung, d. h. die zur Erzielung der-
selben Projektion im Röntgenbild notwendige Einstellung ist dabei durch
die Mitte dieser halbelliptischen Lücke quer und wenige Winkelgrade nach
hinten und noch weniger nach oben.
Die Lagerung für diese Aufnahme ist rein quer. Als Indices zur Be-
urteilung, ob die Frontalebene des Patienten wirklich senkrecht zur Platte
steht, dienen die Supraciliarbogen, deren Verbindungslinie einen Winkel
von 90° mit der Platte einschließen muß. Ferner legt man die Spitzen der
Zeigefinger an die Anguli mandibulae und beurteilt, ob diese übereinander
stehen, d. h., ob nicht der eine gegen den anderen kaudokranial oder ventro-
dorsal verschoben ist.
Die penibelste Exaktheit in der Lagerung ist deshalb notwendig;
weil die geringste Verschiebung aus der reinen Querlage bei der Enge der
Pforte das abbildende Strahlenbündel am darzustellenden, plattenanlie-
genden Kiefergelenke vorbeiführt, mit anderen Worten dieses dann
nicht frei, sondern in Deckung mit irgendwelchem anderen störenden
Schatten erscheint. Das Diagramm (Fig. 47a) zeigt ein richtig eingestell-
tes Bild bei geschlossenem Mund.
Der als Fußpunkt des Hauptstrahles zu ermittelnde Mittelpunkt der
halbelliptischen Lücke wird durch Palpation des Kieferköpfchens und des
Processus zygomaticus des Schläfebeins gefunden und am besten mit Fett-
stift markiert. Einstellung wie beschrieben auf diesen Punkt in rein querer
Richtung und sekundärer Abänderung, so daß der Hauptstrahl ganz wenig
nach hinten und oben gerichtet ist.
Zur Darstellung des Kiefergelenkes bei geöffnetem Munde (,„Streck-
stellung des Gelenkes‘“‘) ist der Einstellungspunkt um die Exkursionsbreite
des Kieferköpfehens nach vorne und unten zu verlegen. Man ermittelt
praktisch zuerst palpatorisch die Vorwanderung des Köpfchens bei maxi-
maler Mundöffnung, markiert sich den Einstellungspunkt, lagert wie ge-
wöhnlich, stellt auf den gewonnenen Punkt ein und läßt erst unmittelbar
vor der Exposition den Patienten den Mund öffnen.
Die Bilder zeigen bei richtiger Lagerung und Einstellung im Rahmen
der kontralateralen Incisur wie in einer Blende, in der Regel noch verdeut-
licht durch die Aufhellung der darüber projizierten pharyngealen Luft- -
säule das Profilbild des Kiefergelenks. Die Aufnahme bei Öffnungsstellung
zeigt das Köpfchen auf das Tubereulum vorgewandert und die Konturen
von Kopf und Pfanne noch deutlicher als beim Mundschluß, wo der Pfan-
nenrand das Köpfchen doch ein wenig verschleiert. Wozu noch kommt,
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 23
302 Fritz Pordes.
a Diagramm einer Kiefergelenksspezialaufnahme. — b Schädelseitenansicht; punktiert die
halbelliptische Lücke. 1== Processus zygomaticus des Temporale, 2 = Köpfchen, 3 = Pro-
cessus coronoideus, 4 = Jochbein, 5= Einstellpunkt. — o In der halbelliptischen Lücke er-
scheint das kontralaterale Kiefergelenk.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 303
daß bei Mundöffnung die Eingangspforte des Strahlenbündels — die halb-
elliptische Lücke — größer wird, die Trefferchance damit wächst. Zur
Stereoaufnahme eignet sich diese Einstellung nicht, weil sie, wie aus dem
Gesagten hervorgeht, die Verschiebung des Focus um 7 cm nicht oder nur
schlecht verträgt.
Schräg eingestellte Aufnahmen des Unterkiefers.
Zur Darstellung der horizontalen Unterkieferäste in linguobukkaler
Ansicht ist es notwendig, die bei querer Einstellung auftretende Über-
schattung des darzustellenden durch den kontralateralen Ast zu vermei-
den. Es ist wünschenswert, den darzustellenden Teil des Unterkiefers frei
von störenden Überschattungen auf die Platte zu bekommen.
Die ganze Technik der schrägen Unterkieferaufnahmen ist ein Kampf
gegen die störenden überschattenden Skeletteile insbesondere den kontra-
lateralen horizontalen Unterkieferast.
Das Ziel der Lagerung und Einstellung ist es, den kontralateralen
Ast von den abzubildenden Regionen möglichst wegzuprojizieren, seine
Projektion möglichst wenig Raum einnehmen zu machen.
Um diesem Ziele ganz unabhängig von den übrigen Umständen der
Lagerung und Einstellung unter sonst gleichen Bedingungen näher zu
kommen, wende ich folgenden als Hilfsdrehgriff bezeichneten La-
gerungskunstgriff an.
Nach den allgemeinen Lagerungsvorbereitungen am liegenden oder
sitzenden Patienten dreht man den mit der aufzunehmenden Stelle der
Platte anliegenden Kopf in einer frontalen Ebene um eine sagittale Achse
in dem Sinne, als ob die Stirne des Patienten der Platte zu, das Kinn von
der Platte weggewendet werden sollte. Die Drehung kommt anatomisch
einer Flexion der Halswirbelsäule nach der darzustellenden Kieferseite
gleich.
Ausgeführt wird der Hilfsdrehgriff, indem man hinter dem sitzenden
bzw. neben dem liegenden Patienten stehend, den Kopf von Stirne und
Nacken her umfaßt. Die geschlossenen vier Finger beider Hände berühren
sich dabei auf der Unterseite des Kopfes zwischen diesen und der Platte,
die Daumen liegen oben auf Schläfe bzw. Nacken (Fig. 48 a, b). Liegt Patient
auf der rechten Seite, so liegen die rechten vier Finger des Untersuchers
unterm Nacken, der rechte Daumen auf der linken Seite des Hinterhauptes;
die linken vier Finger liegen auf des Patienten rechter Schläfe, der linke
Daumen auf der linken Schläfe. Liegt der Patient auf der linken Seite, so
liegen die Hände des Untersuchers entsprechend umgekehrt, die Daumen
jedoch immer oben. Hat man nun den Schädel so fest in den Händen, dann
erfolgt die Drehung, die Daumen drücken den Schädel zur Platte, die vier
Finger das Untergesicht, bzw. den Nacken von der Platte weg. Die erzielte
23*
Fig.48A.
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ff. Fixation: Schlitzbinde.
Lage der Hand am Nacken.
Der Hilfsdrehgri
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 305
Drehung in Winkelgraden ist natürlich nicht immer gleich groß und
keineswegs immer beträchtlich.
Sie hat jedoch in allen Fällen den Effekt, den kontralateralen
Kieferast kranialwärts wegzubringen, arbeitet also der kaudalen Neigung
Fig. 48 B.
Der Hilfsdrehgriff. Fixation : Schlitzbinde.
Lage der Hand an der Stirne. Position des Patienten.
Übersichtstafel der Unterkieferaufnahme.
Fig. 49 A.
Stellung des Kopfes bei angelegtem Hilfsdrehgriff. A antero-posteriore
Aufnahme. B Aufnahme der Eckzahngegend.
Übersichtstafel der Unterkieferaufnahmen.
l Fig. 49 A.
Bei den linksstehenden Positionen een 2 ah en tgenogramme in
objektiven Diagramm
Übersichtstafel der Unterkieferaufnahmen.
Fig. 49 C.
Fig. 49 D.
C Aufnahme der Molarengegend.
D Aufnahme der Gelenksgegend.
Cbersichtstafel der Unterkieferaufnahmen.
Fig.49 C.
C und D Objektive Diagramme von bei den linksstehenden Positionen
aufgenommenen Röntgenogrammen.
310 Fritz Pordes. Die radiographische Darstellung ete.
des Hauptstrahles entgegen. Die Verbesserung der Resultate ist auch bei
geringen Winkelgraden unverhältnismäßig bedeutend.
Das Gebiet der schrägen Unterkieferaufnahme ist von Cieszyński
mechanisiert. Die von ihm gegebene Darstellung bildet, wie bereits bemerkt,
Fig. 49 E.
E Zum Vergleich die der Abbildung D entsprechende Aufnahme aus
Cieszynskis Schema. Man beachte die Stellung des kontralateralen
Kieferastes mit /D/ und ohne /E] Hilfsdrehgriff!
für die mechanische Ausführung das Optimum. (Die Einstellkappe und
ihre Anwendung ist von Cieszyüski im zweiten Bande des R ieder-
Rosenthalschen Lehrbuchs der Röntgenologie ausführlich dargestellt.)
Die Methode hat ihre Grenzen, die nur durch die freihändige individuell
elastisch sich anpassende Arbeit gesprengt werden können. Die folgende
Beschreibung der Aufnahmen kann daher im Prinzip nichts anderes sein
als die Erweiterung der Cieszy úskischen, der mechanischen Methode
durch die Korrekturmöglichkeit der Freihändigkeit.
Unter- und Öberkiefer bilden osteologisch ein nach unten und nach
hinten offenes hohes und steiles Kuppelgewölbe. Die untere Apertur dieser
Kuppel- oder Glockenform bildet der untere Rand des Kinnes und der
horizontalen Äste. Die hintere Apertur wird gebildet von den hinteren
Rändern der aufsteigenden Äste und weiter vorne von der hinteren Fläche
der oberen Weisheitszähne und der hinteren Kante des harten Gaumens
(Processus pterygoidei des Sphenoid und Ossa palatinalia).
Die untere Apertur ist nur durch Weichteile abgeschlossen, also
röntgenologisch frei zugänglich. Der hinteren Apertur vorgelagert ist die
Referate und Bücherbesprechungen. 311
Halswirbelsäule, die (Fig. 49 A) über die Nasenhöhlen, oberen und untere
Frontzähne und das Kinn störende Schatten zu werfen geeignet ist.
Läßt man das abbildende Strahlenbündel paravertebral, also zwischen
der Wirbelsäule und beispielsweise der linken Angulusgegend einfallen, so
bekommen wir in diese Skelettlücke beiläufig die rechte Eckzahngegend
(erste schräge Aufnahme Cieszynskis). Lagerung: Patient sitzt vor
dem Tisch, legt das Gesicht wie zur Aufnahme in postero-anteriorer
Richtung auf die Platte. Hierauf erfolgt die Drehung des Kopfes, bis die
abzubildende Eckzahngegend zu tiefst der Platte zunächst liegt.
Hilfsdrehgriff wie beschrieben. Effekt: Das Kinn nähert sich der
Brust, der Hals wird an der Stelle des Hauptstrahlfußpunktes maximal
gedehnt. Der Hauptstrahl wird nun so eingestellt, daß er durch die Mitte
der Skelettlücke zwischen Wirbelsäule und kontralateralem Kieferast die
gewünschte Gegend findet. Die Beschreibung klingt komplizierter, als die
Sache ist. Im Momente der richtigen Lagerung „sieht man“ förmlich,
insoferne man überhaupt „skelettierende Augen“ hat, die gewünschte Ge-
gend von Überschattungen freiliegen. Der Hauptstrahl ist in der durch
den Hilfsdrehgriff verminderten nötigen Kaudalneigung auf die verlangte
Gegend zu zielen; er passiert dabei das Massiv der Halsweichteile (zweites
Bild der Übersichtstafel). |
Bei dieser Aufnahme war der Patient zur Darstellung des rechten
Eckzahnes nach links gewendet.
Drehen wir ihn in der gleichen Lagerung ein wenig weiter nach links,
wenden dann wieder den Hilfsdrehgriff an, dann erscheint in der Skelett-
lücke zwischen dem vorne steil nach oben laufenden kontralateralen
Kieferast und der den aufsteigenden Ast der abzubildenden Seite abschnei-
denden Halswirbelsäule die Gegend vom rechten ersten Prämolaren bis zum
zweiten Molaren. Der Umfang des Dargestellten ist in der überwiegenden
Majorität der Fälle weit größer. Gute Lagerung ermöglicht es ohne weite-
res, vom kleinen Schneidezahn. bis über den zweiten, ja bis zum dritten
Molaren den darzustellenden !'nterkiefer freizubekommen.
(Schluß folgt.)
Referate und Bücherbesprechungen.
Die Ausmeißelung eines retinierten Zahnes. Von Wilhelm Struck, Par-
chim. D. M. f. Z., H.3, März 1918.
Das Charakteristische in Strucks Arbeiten, die wissenschaftliche
Plauderei, verdeckt auch hier ganz die Beschreibung des sonst interessan-
ten Falles eines retinierten Eckzahnes, dessen Krone lingual, die Wurzel-
312 Referate und Bücherbesprechungen. — Personalien.
spitze labial aus dem Unterkiefer vorragte. Hervorgehoben sei die stili-
stische Ungeheuerlichkeit, von „ganz“ und „halb retinierten Fällen“ —
statt Zähnen — zu sprechen, ferner die Bemerkung, daß unter den am
häufigsten retinierten Zähnen die oberen seitlichen Inzisivi zu nennen
wären. Weder aus der Literatur noch aus der Beobachtung ist ein reti-
nierter oberer zweiter Schneidezahn bekannt. Fehlt der Zahn im Zahn-
bogen, dann kann man mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß er über-
haupt fehlt, was ja aus seiner fortschreitenden Rückbildung beim Menschen
genügend erklärbar ist. Sicher.
Die Morphogenese der oberen Prämolaren. Von Dr. Th.E.de Jonge
Cohen, Utrecht. Anat. Anzeiger, H.2/3, 1918.
Einer sehr anregenden Publikation de Jonge Cohens, die auf
Grundlage der Bolkschen Dimertheorie die Kronenstruktur der unteren
Prämolaren und Molaren einer detaillierten Betrachtung unterzieht, folgt
nunmehr die Beschreibung der oberen Prämolarkronen. Diese Arbeit ist
vor allem dadurch wichtig und interessant, weil hier Bauelementen des
Zahnes eine bedeutsame Rolle zugeschrieben wird, die mit den Haupt-
und Nebenhöckern des Bolkschen dimeren Zahnes nichts zu tun haben;
und eben damit zeigt vielleicht zum erstenmal das oft zu starre System
Bolks und seiner Schüler eine fließende Stelle, die zur Verständigung mit
anderen Theorien einen Weg weist — der allerdings gewiß nicht so
bald begangen werden wird. Die Gebilde, welche in Frage kommen, sind
nach der Beschreibung des Autors je eine mediale und distale Leiste,
welche bukkalen und palatinalen Haupthöcker an den approximalen Kau-
flächenrändern verbinden. Sie haben nach Jonge Cohen lediglich me-
chanischen Wert, sie verstärken die Krone gegen die Keilwirkung der unteren
Antagonisten. Als Elemente, die mit den sechs Primärhöckern nichts zu
tun haben, werden sie vor allem auch gekennzeichnet durch den Umstand,
daß neben ihnen auch die bukkalen Nebenhöcker — allerdings meist
rudimentär — zur Ausbildung gelangen können. Im Bau der unteren
Prämolaren mit hochentwickelten Nebenhöckern und der oberen ohne solche,
jedoch mit akzessorischen Leisten, ergibt sich also ein ziemlich tief grei-
fender Unterschied. Sicher.
Personalien.
(Todesfall.) Dr. Gottfried Michael Scheff, der erste Dozent für
Zahnheilkunde an der Wiener Universität, ist im hohen Alter von
85 Jahren in Wien gestorben.
— so e o p oo
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschnelder.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, III., Münzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift
STOMATOLOGIE
Organ
für diewissenschaftlichen und Standes-Interessen der Zahnärzte Österreichs.
Herausgegeben vom
Zentralverband der österreichischen Stomatologen.
Redigiert von
Dr. Emil Steinschneider
in Wien
XVII. Jahrgang.
1919.
URBAN & SCHWARZENBERG
WIEN BERLIN
i, MAXIMILIANSTRASSE 4 N., FRIEDRICHSTRASSE 105»
i 1919.
Alle Rechte. gleichfalls das Racbt der Übersetzung in die russiechea Sprache
vorbehalten.
Inhaltsverzeichnis. vl
b Seit»
Stenereinhebungsgesetz . . 2 2 oo. %
Verjährung der ärztlichen Honorarforderungen . . 2 2 22 2 2 222.76
Zentralärzterat . . . 2 oo oo...
Zentralverband der österr. Stomatologen . . . . 2 2.2.22 2222.02 n 3)
Kleine Mitteilungen.
Adreßkalender der Zahnärzte 237, 266. Ambulatorium für Geschwulstkranke
147. Ärztegesetz in Tschechoslowakien 296, Aufruf der wirtschaftlichen Organisation
der Zahnärzte Deutschösterreichs 98, Ausübung der ärztlichen Praxis durch Un-
berufene 121. — Errichtung einer Schulzabnklinik in Wien 324. — Qummi, Auf-
hebung der Verkehrsbeschränkung 78. — Honorarerhöhung für die Zahnärzte der
Gremialgehilfenkrankenkasse 212. — Mangel an Arzneimitteln 98, Mangel an Zahn-
ärzten 78. — Niederlassung 98. — Schulzahnkliniken 32, 55, 97, 238. — Weib-
liche Lehrlinge der Zahntechnik 212, Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte
Deutschösterreichs 98, Wohnungsrequisition bei Ärzten 121. — Zahnärztliche Be-
handlung der Schulkinder in Ungarn 122, Zentralstelle für medizinische Kine-
matographie in Berlin 147, Zahntechnikergewerbe in der tschechoslowakischen
Republik 56.
Personalien.
| Auszeichnung 324. — Ehrung 324. — Ernennungen 148, 238. — Feier 148,
2366. — Habilitierung 238, 324. — Todesfälle 56, 122, 324. — Universitätsnach-
richten 122.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ fir, die wissenschaflichen Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
Original Arbeiten.
Die Wurzelbehandlung, mit besonderer Berück-
sichtigung des Antiformins.
Von Dr. B. Gottlieb.?)
I. Die Arseneinlage.
Über die Arsenverwendung herrschen im Allgemeinen einmütige An-
schauungen. Das üblichste Rezept ist Acid ars., Coc. hydrochl. aa. partes
aequales.
Es wird, um Schmerzen hintan zu halten, nach Eröffnung der Pulpa-
kammer direkt auf die Pulpa appliziert. Bei abgeschlossenem Wurzel-
wachstum werden auch accidentel eröffnete Pulpen abgeätzt. Nur bei noch
nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum ist der Versuch, durch Überkap-
pung die Pulpa am Leben zu erhalten, nicht nur bei accidenteller Eröff-
nung, sondern auch bei Pulpitiden in den ersten Anfängen lohnend, da
wir für die Gefahr von Komplikationen nach Überkappung die Möglich-
keit eintauschen, daß das Wurzelwachstum noch beendigt wird, und wir
hernach eine regelrechte Wurzelbehandlung durchführen können. Von dem
gleichen Gesichtspunkte wäre die Amputation der Kronenpulpa ohne vor-
hergehende Abätzung (nach Fischer) bei fortgeschrittener Pulpitis an
Zähnen mit unfertigen Wurzeln des Versuches wert. Von dem Brauch, bei
akuten Pulputiden vor der Abätzung Einlagen von Karbolsäure oder äthe-
rischen Ölen zu machen, ist man im Allgemeinen abgekommen.
II. Die Pulpaeztraktion.
Nach 48 Stunden wird die Arseneinlage entfernt. Es ist weder emp-
fehlenswert, das Arsen länger liegen zu lassen, noch es gegen eine neutrale
Einlage oder ein Adstringens wie Trikr. Formalin, Tannin, Alaun u. dgl.
auszutauschen, um der Pulpa Zeit zu lassen, sich am Foramen apicale
1) Vortrag, gehalten im Verein Wiener Zahnärzte am 21. November 1918.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 1
9 | B. Gottlieb. .
organisch von der Umgebung loszulösen und so einerseits die Extraktion
schmerzlos und blutleer zu gestalten, andererseits die Pulpa zu härten
oder zu gerben, um sie dann um so sicherer in einem extrahieren zu kön-
nen. Die auf die Pulpa applizierten Chemikalien kennen kein Foramen
apicale. Sie werden zentralwärts fortgeleitet, so lange der Vorrat reicht
und leider reicht er in nicht wenigen Fällen für eine Reizung des peri-
apikalen Gewebes aus. Auch bei reizlosen Einlagen haben wir keine Ge-
währ dafür, daß sich die Pulpa bei weiterem Zuwarten gerade am Foramen
apicale demarkieren wird. Es ist entweder nur ein Teil der Pulpa abge-
storben, der sich bei weiterem Verbleiben in situ zersetzt und auf den
noch lebenden Teil einen Reiz ausübt oder die Nekrose ist bereits bis in
die Nähe des Foramen apicale gediehen und Zersetzungsprodukte belästi-
gen das veriapicale Gewebe. Diese Fälle treten, wenn auch nicht immer,
so doch genügend oft auf, um uns zur Regel zu drängen, die Pulpa nach
48stiindiger Arsenwirkung zu extrahieren. und, was man durch die Ein-
lage zu bewirken sucht, auf kurzem Wege in gleicher Sitzung zu erreichen.
In manchen Fällen sind die Gefäße nicht in ihrer ganzen Ausdehnung
thrombosiert, so daß eine bei der Extraktion auftretende Blutung dem
glatten Vorwärtskommen im Wege steht. Ferner sind die Nervenfasern in
manchen Fällen nicht in ihrer ganzen Ausdehnung degeneriert um eine
schmerzlose Extraktion zu ermöglichen. Das sind die zwei Momente, die
bei einer Extraktion nach 48 Stunden unangenehm werden können. Es ist
daher zweckmäßig, (wie ich es bei Oppenheim zuerst gesehen habe)
folgendermaßen vorzugehen: Mit einer dünnen Millernadel tastet man
sich vorsichtig an der Wand des Kanals hinauf. Tritt bis zum Erreichen
der Gegend des Foramen apicale oder einer durch Dentikel oder Krüm-
mung nicht weiter sondierbaren Stelle Empfindlichkeit auf, so befeuchtet
man die Nadel mit Trikr. Formalin, taucht sie hierauf in Kokainpulver
und führt sie in den Kanal bis zur empfindlichen Stelle ein. Dies wieder-
holt -man so lange und pumpt den Brei in den Kanal hinein, bis keine
Empfindlichkeit mehr vorhanden ist. Nach kurzem Zuwarten kann man
dann in der Regel die Extraktion ohne Schmerzen, meist auch ohne Blu-
tung vornehmen. Das Kokain macht die Nervenfasern unempfindlich und
bringt die Gefäße zu starker Kontraktion. Kommt es doch zu einer Blu-
tung, so ist es ratsam, die Operation zu unterbrechen, und ein Bäuschchen
mit Trikr. Formalin in der Kammer zu verschließen. Die Fortsetzung
der Behandlung erfolgt dann in der nächsten Sitzung.
Nach Extraktion der Pulpa ist es empfehlenswert, den Kanal mit
Antiformin auszuwaschen. Auch wenn keine Blutung eingetreten ist, wird
noch oft genug Detritus zutage gefördert. Ist jedoch eine Blutung ein-
getreten, oder die Pulpa nicht in Einem herausgekommen, oder der Kanal
Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 3
an einer Stelle undurchgängig, so ist es das beste Mittel um die Behand-
lung zu einem gedeihlichen Ende zu führen. Das Antiformin (von Mayer-
hofer 1912 in die Zahnheilkunde eingeführt) ist ebenso wie das Radiein
(Lepkowski) imstande, organische Substanzen zu lösen. Wenn wir
den Wurzelkanal damit überschwemmen, indem wir mit einer Pinzette
tropfenweise ein Depot in der Kammer anlegen und mit Nadeln in die
Kanäle hinaufpumpen und die Wände abkratzen, so mobilisieren wir alles
was sich im Kanal befindet. Enge, auch für die dünnsten Millernadeln un-
passierbar scheinende Kanäle, werden mit Antiformin und Geduld er-
schlossen. Das trübgewordene Antiformin wird weggetupft und frisches
eingeführt so lange bis es nach dem Hinaufpumpen klar bleibt. Es ist
weiters ratsam, stets zwischendurch einen Tropfen Schwefelsäure einzu-
führen, das beim Zusammentreffen mit Antiformin aufbraust, durch das
Aufschäumen etwaigen Detritus heraus schwemmt und überdies die Ka-
näle erweitern hilft. Bleibt das Antiformin klar, so wird es ausgetupft,
der Kanal mit Thymolalkohol ausgewaschen und mit heißer Luft so gründ-
lich als möglich getrocknet. Der trockene Kanal bleibt nun leer, in die
Pulpakammer kommt ein Bäuschchen mit Trikr. Formalin oder Karbol-
säure und darüber Fletscher.
Kanäle, die nach geduldigster Antiforminbehandlung nicht weiter
sondierbar gemacht werden können, mit Beutelrockbohrern zwecks wei-
terer Erschließung anzugehen ist nicht empfehlenswert. Diese sollten, ab-
gesehen von der Behandlung periapikaler Erkrankungen, bloß dazu ver-
wendet werden, bereits durchgängig gemachte Kanäle zwecks besserer
Aufnahme der Wurzelfüllung zu erweitern.
Die Pulpaamputation ist a limine zu verwerfen. Ich habe sie im Felde
teils aus Zeitmangel, teils infolge Mangels geeigneter Pulpaextraktoren oft
genug üben müssen, da es ja ohne Zweifel vorzuziehen ist, die Pulpa zu am-
putieren, als den Zahn zu extrahieren. Bei ruhiger Friedensarbeit sind jedoch
alle bisher von den verschiedensten Seiten geltend gemachten Argumente nicht
stichhältig, wiewohl nicht geleugnet werden soll, daß Zähne nach Pulpa-
amputation oft jahrelang, ja dauernd reaktionslos bleiben können. Durch
die regelmäßige Verwendung von Antiforminschwefelsäure nach jeder
Pulpaextraktion erreichen wir eine Zerstörung der von Fischer, Preiswerk
und anderen beschriebenen Querspangen im Kanal: und damit auch die
vielen Verzweigungen der Pulpa innerhalb des Kanals, die auch bei einer
Pulpaextraktion in einem Strange drin noch verbleiben. Daß in den Ver-
zweigungen, in der Nähe des Foramen apicale, die lange nicht so oft und
so zahlreich vorkommen, wie von den Anhängern der Pulpaamputation
manchmal glauben gemacht wird, daß weiters in den apikalen Teilen scharf
abgebogener Wurzeln nicht entfernbare Pulpareste zurückbleiben, kann uns
1*
4 | B. Gottlieb.
doch nach gar keinen existierenden logischen Grundsätzen veranlassen, er-
reichbare Teile der Pulpa mutwillig drin zu lassen. Die Infektionsgefahr
ist bei der Pulpaextraktion nicht höher anzuschlagen als bei der Ampu-
tation. Von diesem Gesichtspunkte aus kommt es wohl ausschließlich auf
das „Wie“ und nicht auf das „Was“ an. Hingegen können wir bei der Am-
putation nie eine Gewähr dafür haben, daß noch lebende Pulpareste früher
oder später in Entzündung übergehen oder Reize von Zersetzungsprodukten
über das Foramen fortgeleitet werden. Beide Fälle kommen oft genug an
von anderen Seiten behandelten Zähnen zur Beobachtung. Abgesehen von
der Zeitersparnis gibt es kein Argument für die Amputation, wohl aber
manche dagegen. Zeitersparnis jedoch auf Kosten der Qualität dürfen wir
nicht gelten lassen. Daß wir bei der Pulpaamputation der großen Vorteile,
die uns eine feste Wurzelfüllung bietet, nicht teilhaftig werden können,
ist ja selbstverständlich.
III. Gangränbehandlung.
Vor 1892 war man bestrebt, den gangränesen Inhalt aus den Ka-
nälen auf mechanischem Wege zu entfernen und den Kanal durch anti-
septische Einlagen zu desinfizieren. Es sind auch mit dieser Methode so
manche Dauererfolge erzielt worden, wie denn überhaupt unser Organis-
mus oft genug sich um unsere Methoden nicht kümmert, Erfolge zeitigt,
die wir nach unserem Wissen und unserer Logik nie erwarten würden, und
in anderen Fällen, wo wir das Beste geleistet zu haben glauben, wir Ver-
sagern begegnen, wie wir sie nur bei den ärgsten Kunstfehlern voraussagen
würden. Das darf uns jedoch davon nicht abbringen, immer die nach dem
jeweiligen Stand der Wissenschaft besten Methoden zu üben. Nach dem
heutigen Stand unserer Kenntnisse können wir sagen, daß die Methoden
vor 1892 als sehr mangelhaft anzusehen sind. Im genannten Jahr hat
Schreier die Behandlung mit Kalium-Natrium angegeben und seither
herrscht das Bemühen vor, den Inhalt gangränöser Kanäle in lösliche
Form zu bringen und ihn dann, sei es durch Anschwemmen, sei es durch
einen im Aufbrausen bewirkenden chemischen Prozeß aus den Kanälen zu
fördern. Die Empfehlung von KHO durch Schreiter (1894), von Na»O;
durch Kirk (1895), von N20: und H:SO, durch Boennecken, von
Radiein durch Lepkowski und endlich von Aniiformin durch M a y e r-
hofer gehören hieher. Die genannten Prinzipien bedeuten einen grund-
legenden Fortschritt in der Gangränbehandlung.
Das im Jahre 1906 von Buckley eingeführte Trikresolformalin
hat die vor 1892 üblich gewesene Methode für einige Zeit wieder zu
Ehren gebracht und wohl ausschließlich Unheil angestiftet, ohne das ge-
ringste positive Equivalent dafür zu bieten. Die Desinfektionskraft des
Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 5
T. F. ist reklamehaft propagiert und, zwecks Erleichterung der Arbeit,
gerne geglaubt worden. Allem Anscheine nach befindet sich der ganze Tri-
kresol-Formalinrummel im Abklingen, es sei besonders auf die gründliche
Abrechnung durch Mayerhofer hingewiesen, und es ist zu hoffen, daß
nun wieder eine gedeihliche Vorwärtsentwicklung der Gangränbehandlung
stattfinden wird. Die von Callahan angegebene bloße Verwendung von
Schwefelsäure kann überhaupt nicht als Gangränbehandlung angesprochen
werden. Nicht einmal für die Erweiterung der Kanäle kann die Schwefel-
säure allein empfohlen werden, da die entstehenden Sulfate unlöslich sind.
Säuren sollten lediglich alternierend mit starken Alkalien, wie es das
Antiformin ist, verwendet werden, wobei nie vergessen werden darf, daß
das Antiformin der hauptsächlich wirksame Bestandteil ist und nicht
lediglich zur Neutralisation der Säure verwendet wird.
Ich möchte das Antiformin für die Gangränbehandlung aufs wärmste
empfehlen. Es ist ebenso wie das Radicin ein Gemisch von Hypochlorit-
lösungen mit Laugen, die imstande sind, organische Substanzen zu lösen.
Es ist im Prinzip die Sehreiersche Methode, jedoch weniger stürmisch
in ihrer Anwendung. Das Aufbrausen und Herausschwemmen des Inhaltes
wird durch die schon erwähnte dazwischen geschaltete Ausschwemmung
mit Schwefelsäure bewerkstelligt.
‘In praxi gestaltet sich der Vorgang folgendermaßen: Nach breiter
Eröffnung der Pulpakammer, wird diese mit Antiformin überschwemmt
und je nach der Weite der Kanäle mit stumpfen Nervenextraktoren oder
mit Millernadeln hineingepumpt Der Kanalinhalt wird auf diese Weise
aufgeschwemmt und zum Teil in Lösung überführt. Das trübe gewordene
Antiformin wird weggetupft und so lange durch neues ersetzt, bis es rein
bleibt. Ein- oder zweimal wird zwischendurch in gleicher Weise mit Schwe-
felsäure ausgeschwemmt. Es findet ein kräftiges Aufschäumen statt und
es entsteht. ein Geruch nach Chlor. Hierauf folgt das Auswaschen mit
Thymolalkohol, kräftiges Trocknen und nun zum Unterschiede vom Vor-
gang nach der Pulpaextraktion mit Trikr. Formalin ausgeschwemmt, das
sich überall in die getrocknete Wand hineinsaugt. Ein Bäuschchen mit
T. F. wird in der Pulpakammer mit -Fletscher verschlossen. Je nach
der Durchgängigkeit der Kanäle wird die Behandlung zwei- bis höchstens
dreimal vorgenommen. Allenfalls wird vor der Wurzelfüllung in der glei-
chen Sitzung noch einmal mit Antiformin und Schwefelsäure gereinigt
und mit Thymolalkohol getrocknet.
Die Komplikationen vom Periodont her werden als zu diesem Thema
nicht gehörig unberücksichtigt gelassen, da sie Gegenstand eines in diesem
Vereine vor kurzem gehaltenen Vortrages waren.
6 B. Gottlieb.
IV. Wurzelfüllung.
Als Wurzelfüllung wurden die mannigfachsten Materialien vorge-
schlagen. Am originellsten ist wohl der Vorschlag, das was sich im Kanal
jeweils befindet zu „desinfizieren“ und als „Wurzelfüllung“ zu belassen.
Auf diesem Prinzip beruht ja die Pulpaamputation und die sogenannte
Bäuschchenmethode bei der Gangränbehandlung. Diese Methoden können
wir nach den früheren Ausführungen wohl unberücksichtigt lassen. In
Betracht kommen die flüssigen und die festen Wurzelfüllungen. Von den
flüssigen wären zu erwähnen die verschiedenen Pasten, besonders die T. F.-
Pasta und der Perubalsam (Mayerhofer). Von der festen die Gutta-
perchapoints und die Paraffinfüllung. Ich bin gegen jede flüssige oder
pastöse Wurzelfüllung aus folgenden Gründen: Wenn an einem wurzel-
behandelten Zahn die Pulpakammer neuerdings eröffnet wird, sei es durch
primäre Karies von einer anderen Stelle aus, als ursprünglich die Wurzel-
behandlung vorgenommen wurde, oder durch sekundäre Karies von der
gleichen Stelle aus, oder durch Abbrechen der Krone oder eines Teiles der-
selben oder durch künstliches Abtragen der Krone zum Zwecke einer
technischen Arbeit, so findet man in der Regel im Kanal eine schmierige
Masse und muß allenfalls ihn als gangränös ansprechen, ob er nun einige
Zeit mit der Mundhöhle in freier Kommunikation stand oder nicht. Ferner
ist das Ausfüllen von Kanälen mit weichen Massen illusorisch. Es kann nur
gelingen, in den der Kammer benachbarten Partien ein Depot anzulegen,
während der restliche Hohlraum infolge des Luftgehaltes leer bleibt.
Auch das Einführen des Füllungsmateriales mit einer Spritze unter vorher-
gehender Erweiterung des Kanaleinganges wird nicht viel mehr erreichen
können, als den Kanal bis dorthin zu füllen, bis wohin das Nadelende vor-
dringen kann. Der erste Tropfen wird die apikalwärts sich befindende Luft
absperren und damit sich selbst den weiteren Weg. Das Hinaufpumpen der
Pasta mit einem Wurzelstopfer ist ein unsauberes, ebenfalls nicht ans
Ziel führendes Vorgehen, dem man nicht das Wort reden kann. Von einem
Abschließen der Mikroorganismen in den Dentinkanälchen, also einem Vor-
beugen der Reinfektion kann somit keine Rede sein.
Das Paraffin wäre sicherlich für Wurzelfüllungszwecke sehr geeig-
net, nur leidet es unter demselben Mangel. Trotz aller vorgeschlagenen
Behelfe werden wir solange nicht imstande sein, eine gute Paraffinwurzel-
füllung auszuführen, als es uns unmöglich ist, die Wände der Wurzel über
den Paraffinschmelzpunkt zu erwärmen.
Eine rationelle Wurzelfüllung mit Guttaperchapoints ist das sau-
berste und verläßlichste. Bei den engen, mezialen Kanälen der unteren
Molaren und bukkalen der oberen ist eg empfehlenswert, während der Anti-
Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 7
forminbehandlung die Kanäle in der Ausdehnung ihrer Sondierbarkeit mit
dünnen Beutelrockbohrern zu erweitern, um eie für die Aufnahme der
Points geeigneter zu machen. Nach erfolgter Trocknung mit Thymol-
alkohol und heißer Luft wird die Pulpakammer mit Chloroform über-
schwemmt. Die Points werden dauernd in Thymolalkohol aufgehoben. Es
wird nun ein Point aus der Lösung genommen, die Spitze in Jodoform-
pulver getaucht (bei Frontzähnen in Orthoform) und durch das Chloro-
form der Pulpakammer hindurch in den Kanal geschoben. Die Ober-
fläche des Points wird durch das Chloroform erweicht und legt sich den
Kanälen eng an. Durch Nachschieben von weiteren Points, wobei man
das Chloroformdepot in der Kammer auf der ursprünglichen Höhe erhält,
erreicht man eine feste Ausfüllung des Kanals mit Jodoform-Guttapercha.
Die Füllung legt sich an die Wände an und enthält ein Antiseptikum,
das dauernd seine Wirksamkeit behält, da das Jodoform bekanntlich erst
beim Zutritt von Zersetzungsprodukten durch Abspaltung von Jod seine
desinfizierende Wirkung ausübt. Von den alten Wurzelfüllungen, die wir
gelegentlich zu entfernen in die Lage kommen, sind nächst den Points
die Jodoformwattefüllungen verhältnismäßig die einwandfreiesten. Wenn
wir einen Teil einer Guttaperchafüllung zwecks Unterbringung eines Stiftes
im Wurzelkanal entfernen müssen, können wir uns immer wieder über-
zeugen, wie dicht die Füllung den Wänden anliegt. Von einem Schlottern
der Füllung im Kanal, wie auch schon behauptet wurde, kann keine
Rede sein. Ist nach der Pulpaextraktion der Kanal mit Antiformin und
Schwefelsäure bearbeitet worden, so ist, wie schon erwähnt, der größte
Teil der Dentinquerspangen geschwunden und damit auch die einzigen
etwa in Betracht kommenden Hindernisse für das Vordringen der Points.
Mit Points werden sowohl Wurzeln nach Extraktion abgeätzter Pulpen
als auch nach Gangränbehandlungen gefüllt, von den Frontzähnen bis zu
den Weisheitszähnen. Ist man einmal durch periostitische Komplikationen
gezwungen, eine solche Füllung zu entfernen, so ist es mit Chloroform
ohne weiteres zu erreichen.
Diskussion.
Prof. Dr. R. Weiser: Ich bin den Ausführungen des Herrn Kollegen
Gottlieb mit großem Interesse gefolgt und möchte — seinen Anschauungen
in den weitaus meisten Punkten folgend — die von ihm befolgte Methode als
machahmenswert erklären. Sein Vortrag wird indes ja sicher im Druck erscheinen
und aus diesem Grunde muß ich in manchen Punkten zu einer vorsichtigeren
Fassung raten. Er hat gesagt, daß die Behandlung der gangränösen Molaren
und Prämolaren erst im Jahre 1892 eingesetzt habe. Die Berliner Schule wurde
ungefähr im Jahre 1880 eröffnet und Miller war einer der ersten Zahnärzte,
der gangränöse Molaren und Prämolaren konservierend behandelte. Er hat zwar
nicht Kalium-Natrium, das Dr. Emil Schreier in die Zahnheilkunde eingeführt
und mit glänzendem Erfolge verwendet hat, benützt, sondern Karbolsäure in An-
8 B. Gottlieb.
wendung gezogen; im Jahre 1884, zu welcher Zeit ich mich der Zahnheilkunde
zuwendete, wurde die Behandlung gangränöser Molaren und Prämolaren schon von
verschiedenen Autoren und Praktikern geübt. Es gibt bekanntlich verschiedene
Methoden der Wurzelbehandlung; ob sie von Erfolg begleitet sind, hängt letzten
Endes davon ab, ob ein periapikaler Prozeß im Kieferknochen vorhanden ist oder
nicht. Ist er vorhanden, so wird man mit keiner Methode, die sich nur bis
zum Foramen apicale erstreckt, einen Erfolg erzielen können. Man muß dann eben
zur Wurzelspitzenresektion schreiten. Bei aller Anerkennung also, welche ich der
Methode Dr.Gottliebs zolle, muß ich doch daran erinnern, daß schon zwölf
Jahre vor 1892 gangränöse Molaren und Prämolaren konservativ behandelt wurden.
— Ferner erinnere ich an die von Bauer angegebene und von Zsigmondy
propagierte Natrium-Superoxydmethode. Dann ist eine Methode nicht erwähnt
worden, die auch eine epochale ist. Das ist die von Hoffendahlund Zierler
ausgebildete Elektrosterilisation. Besonders bei den engen und verkrümmten Kanälen
der bukkalen Wurzeln oberer und der mesialen Wurzeln unterer Molaren leistet
die Elektrosterilisation ausgezeichnete Dienste. Ich habe sie während meiner
Assistententätigkeit an Prof.v. Wunschheims zahnärztlicher Abteilung an der
Poliklinik eingeführt und sie liefert auch dort ausgezeichnete Resultate. Ferner
hat Herr Dr.Gottlieb erwähnt, daß das Jodoform ein vorzügliches Desinfziens
sei. Es hat eine Reihe von Jahren gegeben, wo es auch für unsere Zwecke
vielfach verwendet wurde, dann aber wurde behauptet, daß das Jodoform bei
gangränöser Pulpitis nicht wirke, weil es eigentlich kein Desinfiziene sei, es wirke
wohl bei schlecht heilenden Wunden und ganz besonders bei schlaffen Granulationen
Tuberkulöser ganz ausgezeichnet, aber nicht so sehr als Desinfiziens, sondern nur
als kräftiges Stimulans für die Bildung gut durchbluteter Granulationen. In neuester
Zeit sind nun wieder Versuche in der Schweiz gemacht worden, welche doch
wieder bewiesen haben, daß das Jodoform ein sehr gutes Desinfiziens ist. Die
Wirkung hält länger an, als von anderen Medikamenten behauptet werden kann.
Auch Thymol ist ausgezeichnet und es sind eine Reihe von Autoren, die durch
Zerschmelzen von Thymolkristallen in den Wurzelkanälen gleiche Resultate erreicht
haben. Ich glaube, daß es vorzügliche Dienste leistet. Man muß die Thymol-
kristalle mittelst heißer Platinnadeln einbringen, weil es sonst schwierig ist, das
Thymol bis an die Wurzelspitze hinaufzuleiten.
Widersprechen muß ich der beiläufigen Bemerkung Dr.Gottliebs, daß
durch Dermatol dasselbe erreicht wird wie durch Jodoform. Viel Gewicht ist
darauf zu legen, daß zur Wurzelfüllung ein Stoff genommen wird, der sich nicht ver-
flüchtigt, der sich nicht sehr rasch im Speichel oder in sonstigen Gewebsflüseig-
keiten auflöst. Auch darin stimme ich nicht bei, daß es nicht gelingen sollte,
die bukkalen Kanäle oberer Molaren mit Fäden zu füllen. Wenn man sich darauf
einübt, die Fäden so auf millimeterdünne Nadeln aufzudrehen, daß die Fäden die
Form des Wurzelkanals haben, so gelingt die Füllung erweiterter bukkaler Wurzel-
kanäle der ersten Molaren und auch zweiter Molaren jugendlicher Patienten häufig
recht gut.
Dr. 8. Hecht: Ich beneide den Vortragenden um seinen Optimismus, der
ihn zur Annahme verleitet, es gelänge ihm in allen Fällen und aus jedem
Zahne, mag es sich um einen ein- oder mehrwurzeligen handeln, die Pulpa
restlos zu extrahieren. Genügt doch schon ein bloßer Hinweis auf den ana-
tomischen Bau insbesondere der Molarenwurzeln, um einer solchen Annahme jede
reale Basis zu entziehen. Die Beschaffenheit dieser Wurzeln weist eine solche
Mannigfaltigkeit von Kurven auf, daß ein Eindringen mit unseren noch so bieg-
samen Instrumenten von vornherein ausgeschlossen erscheint, eine Manipulation,
von der zu allernächst die totale Entfernung der Pulpa aus den Wurzelkanälen
abhängt. Aber auch bei weniger stark gekrümmten Wurzelkanälen können wir
nie mit absoluter Sicherheit behaupten, die Pulpa ohne jeden Rückstand entfernt
zu haben, da einschlägige Untersuchungen zur Evidenz ergeben haben, daß eine
solche Entfernung selbst bei extrahierten Zähnen, also außerhalb des Mundes, nicht
Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 9
L
immer möglich ist, was ja in Anbetracht der anatomischen Struktur der Zahn-
wurzel ohneweiters einleuchtet. Wie vielfach der Hauptwurzelkanal Verzweigungen
und Nebenkanälchen, insbesondere gegen den Apex zu besitzt, haben diesbezügliche
Forschungen von Preiswerk, Fischer, Feiler u.a.zur Genüge erwiesen.
Die Vorstellung daher, es gelänge, die Pulpa aus allen Kanälen vollständig zu
entfernen, ist eine arge Selbsttäuschung, vor welcher bei einer so schwierigen
und noch immer nicht gelösten Frage der exakten Pulpabehandlung nicht ein-
dringlich genug gewarnt werden kann.
Das vom Referenten angeführte Antiformin, welches sich als eine mit
Natronlauge versetzte Hypochloritlösung darstellt, ist nicht, wie er irrigerweise
meint, ein absolutes Auflösungsmittel für organische Substanzen, denn selbst im
Reagensglase, wo das Mittel die Pulpa allseitig umspült, wird dieselbe oft erst,
wie meine eigenen Versuche ergaben, nach Tagen und auch da nicht ganz auf-
gelöst, im engen Wurzelkanal hingegen, wo die Verhältnisse viel anders liegen, .
kommt diese auflösende Wirkung nur wenig zur Geltung. Ich verweise da auf,
die von Möller vor mehreren Jahren veröffentlichte Arbeit über die modernen
Wurzelfüllungsmethoden. Dieser um die Wurzeltherapie sehr verdiente Autor be-
handelte die Wurzeln frisch extrahierter Zähne mit Antiformin derart, daß er
die Wurzelkanäle nach Entfernung der Pulpa mit Antiformin vollgepumpt und
verschlossen im Thermostaten bei Körpertemperatur mehrmals zu je 24 Stunden
beließ und dennoch nachher größere Mengen unauigelösten Gewebes in den Kanälen
nach Spaltung der Zähne vorfand. Um wieviel ungünstiger mögen nun die Ver-
hältnisse im Munde liegen? — Aber auch als Desinfektionsmittel kommt dem
Antiformin nicht jene Bedeutung zu, die ihm insbesondere von Mayerhofer
und Fischer zuerkannt wurde. So zeigen z. B. Tuberkelbazillen, wie von
Dunges nachgewiesen wurde, dem Antiformin gegenüber eine ausgesprochene
Resistenz, wofür übrigens die Isoliermethode dieser Mikroorganismen mittelst Anti-
formin spricht. Hingegen ist das Antiformin, da es ein Alkali ist, als Neutra-
lisationsmittel bei der Schwefelsäurebehandlung nach Callahan sehr gut zu
verwenden. Eine absolute Trockenheit des Wurzelkanals ist, wie der Vortragende
meint, kaum zu erzielen, da bei noch so langer Anwendung selbst der glühenden
Sonde immer wieder Sekret aus den umgebenden Dentinkanälchen nachsickert,
daher das beständige Zischen beim Einführen des heißen Instrumentes. Die voll-
ständig hermetische und wasserdichte Ausfüllung der Kanäle, die der Referent
mit Points, deren nähere Applikationsmethode er übrigens nicht angibt, erreicht
haben will und für die er uns jeden Beweis schuldig bleibt, wird, wie ich glaube,
noch lange ein pium desiderium bleiben. Über die Desinfektionskraft des Jodo-
forms sind die Akten noch lange nicht geschlossen. Diese ihm durch lange Zeit
zugeschriebene Eigenschaft wurde, wenn ich nicht irre, von Alexander Fränkel
wissenschaftlich widerlegt. Nach ihm soll das Jodoform wohl entwicklungshemmend,
keinesfalls aber abtötend auf Mikroorganismen wirken. Baumgartner ist es
sogar gelungen, aus einer Jodoformwurzelfüllung heraus Kokken zu züchten. Das
Jodoform demnach als Dauerdesinfiziens anzusprechen, ist zum mindestens sehr
gewagt. Der sich jahrelang erhaltende penetrante und die Fäulnis deckende
Geruch des Jodoforms darf mit seiner Desinfektionskraft nicht verwechselt werden.
Es wäre freilich nicht nur zu wünschen, sondern ausdrücklich zu fordern, daß
die Wurzelfüllungsmittel dauernd desinfizioerend zu wirken vermögen. Ein solches
Dauerantiseptikum erfüllt seine Aufgabe schon bei Wurzelbehandlungen nach frisch
abgeätzten und extrahierten Pulpen, weil wir bei noch so peinlich aseptischem
Verfahren und trotz der mit vollem Rechte von Schreier stets geforderten
Kofferdamanwendungen bei Wurzelbehandlungen — eine Forderung, die, nebenbei
bemerkt, aus technischen Gründen nicht immer erfüllbar ist, es sei nur auf distale,
tief unter das Zahnfleisch reichende Kavitäten sowohl bei unteren als oberen
Weisheitezähnen, die keinen Halt der Kofferdamklammer bieten, hingewiesen —
mit einer Infektion des Kanals rechnen müssen. Haben wir es mit einer Wurzel-
behandlung nach einer erkrankten Pulpa zu tun, dann muß die Forderung gestellt
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 2
10 B. Gottlieb.
werden, daß das Antiseptikum der Wurzelfüllung nicht nur etwa dauernd zu des-
infizieren, sondern überdies noch durch organisches Gewebe zu diffundieren befähigt
wäre. Denn, da wir aus oben angeführten anatomischen Gründen — übermäßige
Krümmung der Wurzel, oft vorhandene Nebenkanälchen — stets mit Pulparesiduen
rechnen müssen, ist es von weittragender Bedeutung, daß das Wurzelfüllungs-
material vermöge seiner Diffusionsfähigkeit diese Pulparückstände durchzudringen
vermag, um derart die in denselben enthaltenen Mikroorganismen einzuschließen
und unschädlich zu machen. Das Postulat der dauernden Desinfektionskraft wurde
von Mayerhofer auch noch deshalb gestellt, damit die in den Dentinkanälchen
lagernden Mikroorganismen, welche nach Einwanderung in den Wurzelkanal leicht
zu einer Reinfektion desselben führen, unschädlich gemacht werden können. Nun
ist es bislang aber noch nicht gelungen, ein solches Mittel ausfindig zu machen,
denn sowohl die von Albrecht angegebene Wurzelfüllung ale auch das Thymol,
denen man anfänglich diese zwei Eigenschaften zuschreiben zu dürfen glaubte,
haben diese Erwartung nicht erfüllt. Möller, der die Albrechtsche Wurzel-
füllung für die derzeit beste hält, konnte nachweisen, daß sie schon nach wenigen
Wochen ihre desinfizierende Eigenschaft einbüßt. Aber auch das Thymol, dessen
Desinfektionsstärke eine ganz eminente ist, da eine Thymollösung von 1:8000
noch imstande ist, die Entwicklung der Milzbrandbazillen zu hindern, behält diese
Eigenschaft auf die Dauer nicht. Das Thymol, das nach Adolf MüllerundLewin
für unsere Zwecke zunächst von dem Schweizer Zahnarzt Foucon angegeben
wurde, dann in Vergessenheit geraten ist, um nachher wieder von Adloff ent
deckt zu werden, verschwindet nämlich durch Verdampfung aus dem Wurzelkanal,
der nach wenigen Monaten leer vorgefunden wird (Adolf Müller). Allerdings
ist die Annahme gestattet, daß die Thymoldämpfe beim Durchstreifen durch die
Dentinkanälchen die pathogenen Bakterien abtöten und somit unschädlich machen
(Wustrow).
Ziehe ich aus dem oben Angeführten den Schluß, so sehen wir, daß unsere
derzeitigen Wurzelbehandlungsmethoden noch lange nicht den an sie zu stellenden
Ansprüchen genügen und daß wir somit bei unserem therapeutischen Verfahren
bis zu einem gewissen Grade noch immer auf den Selbstschutz der Natur an-
gewiesen sind. Um aber nicht mißverstanden zu werden, will ich mit allem Nach-
druck betonen, daß es mir ganz ferne liegt, etwa der Pulpaamputation das
Wort zu reden. Im Gegenteil, ich zähle zu denjenigen, die mit aller Rigorosität
für die möglichst exakte Exstirpation eintreten, um den Wurzelkanal von allen
nur erreichbaren organischen Bestandteilen frei zu bekommen und zu erhalten,
ein Standpunkt, den sowohl Möller in seiner oben zitierten Arbeit vertritt, als
auch Fildermann als obersten Grundsatz aufstellt, denn, so meint Filder-
mann, „die Belassung organischer Materie im Wurzelkanal steht im strikten
Widerspruch zu den allgemeien Regeln der Medizin und Chirurgie“. Diese Forderung
darf und kann mich jedoch nicht zum Optimismus derjenigen bekehren, die glauben,
daß man in allen Fällen imstande ist, die Pulpa rückstandslos zu entfernen, wenn
man nur die nötige Geduld und Zeit aufbringt (Oppenheim).
Dr. H. Reschofsky: Siehe S. 14: Über Pulpaamputation.
Dr. E. Sös: Ich glaube es nicht, daß es irgend einem Zahnarzt gelingt, in
jeden Wurzelkanal Guttaperchapoints einzuführen. Ich selbst habe seit mehreren
Jahren Wurzelfüllungen mit Paste gemacht und damit gute Erfolge erzielt. Als
Dauerantiseptikum verwende ich Thymol. Als Paste verwende ich das Fletcher-
pulver mit ganz reinem Nelkenöl in ganz dicker Konsistenz, das dann, mit einem
Tropfen Alkohol verdünnt, in den Kanal eingeführt werden kann. Der Überschuß
der nach 24 Stunden hart gewordenen Paste wird mit Exkavator oder Bohrer ent-
fernt und das Pulpakavum mit Guttapercha hermetisch verschlossen. Diese Paste
kann auch als provisorische Füllung auf Arseneinlagen und in sonstigen Fällen
gebraucht werden. Sie wird nach längerem Verweilen im Munde nahezu kreidehart
und kann häufig nur mit Hilfe des Bohrers entfernt werden.
Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 11
Prof. Dr. L. Fleischmann: Zunächst einige Bemerkungen anatomischer
Natur mit Rücksicht auf die Arbeiten, welche die Verzweigungen der Pulpa an
der Wurzelspitze betreffen. Die anatomischen Verhältnisse sind derartige, daß die
Wurzelspitze lediglich aus Zement besteht, daß also in ihr keine Dentinkanälchen
vorhanden sind. Bei Betrachtung von mazeriertem Zement sind allerdings viele
Kanälchen bzw. Hohlräume vorhanden, die, durch Metalle oder Zelloidin ausgefüllt,
das Bild von Dentinkanälchen vortäuschen. In vivo sind sie wohl von Weich-
teilen ausgefüllt, aber von solchen, die praktisch für die Wurzelbehandlung keine
Rolle spielen, das sind Sharpeysche Fasern und Zementkörperchen, die mit der
Pulpa selbst in keiner Verbindung stehen. Ich habe das nur bemerkt, weil die
Verteidiger der Pulpaamputation in diesen Befunden einen Beweis sehen für «lie
Richtigkeit ihres Vorgehens. Ich will über Pulpaamputation oder -extraktion nicht
weiter sprechen, aber die anatomischen Befunde sind nicht geeignet, für die Frage,
ob Pulpaamputation oder -extraktion, eine entscheidende Stütze abzugeben. Was
die Ausführungen des Referenten anbelangt, so muß ich sie im großen ganzen
billigen. Nur ist mir sein Vorgehen nach der Extraktion der nicht infizierten
Pulpa etwas zu aktiv. Es ist ein Unterschied, ob wir eine Pulpa vor uns haben,
die nicht infiziert ist oder nur eine Entzündung in der Spitze zeigt, oder eine
mit einem Abszeß oder mit Gangrän. Wenn man eine nicht infizierte Pulpa
extrahiert, so ist es nicht notwendig, daß man so aktiv vorgeht. Bilutgerinnsel
müssen allerdings entfernt werden, sie sind eine Quelle für die Infektion, da sie
ein guter Nährboden für Bakterien sind. Es läßt sich eine Blutung vermeiden,
wenn man auf die Pulpa nach der Arseneinlage und nach breiter Eröffnung der
Kammer nicht Adstringentien, sondern Formalin gibt. Formalin hat vor allem
die Eigenschaft der Durchdringbarkeit der Gewebe (deswegen eignet es sich am
besten zur Konservierung von Präparaten). Wenn man für 48 Stunden einen
Bausch mit Formalin auf die bloße Pulpa legt und dann extrahiert, gibt es
keine Blutung. Reine Verhältnisse vorausgesetzt, ist es nicht notwendig, dann
noch den Kanal mit Antisepticis zu behandeln. Durch die Desinfektionsmittel
bringt man reizende Substanzen in den Wurzelkanal hinein, die möglicherweise
die Heilung am Apex verzögern oder zumindest den Zahn für einige Tage emp-
findlich machen können. Einen solchen Wurzelkanal kann man in derselben
Sitzung oder in einer nächsten füllen. Etwas anderes mag es sein, wenn es eich
um eine Pulpa handelt, die bereits in toto infiziert ist. Dafür haben wir aber im
allgemeinen klinische Unterscheidungsmerkmale. Wir können klinisch diagnosti-
zieren, ob wir eine Infektion der Kronenpulpa oder eine Pulpitis totalis vor uns
haben. Im letzteren Falle oder bei Gangrän ist natürlich das Vorgehen des
Referenten gerechtfertigt.
Dozent Dr. B. Klein: Mit den Ausführungen des Referenten bin ich in-
soferne einverstanden, als er uns seine Methode der Pulpabehandlung dargelegt
hat, mit der er ausgezeichnete Erfolge erzielte. Wenn Kollege Gottlieb !/s bis
3/a Stunde dazu verwendet, um einen engen Wurzelkanal zu erweitern, so bin ich
überzeugt, daß ihm die Erweiterung auch tatsächlich gelingt, und bin weit davon
entfernt, auch nur den geringsten Zweifel in seine Worte zu legen. Diese Methode
sowie zahlreiche andere geübte Methoden lassen jedoch eine Reihe von Fragen -
offen. Z.B.die Kardinalfragen: 1. Ist es unbedingt erforderlich, den engsten Wurzel-
kanal bis zum Foramen apicale zu erweitern, d.h. ist dann die Möglichkeit einer
Periostitis ausgeschlossen ? 2.Ist die Wurzelkanalfüllung bis zum Foramen apicale
unbedingt erforderlich, kann, wenn das geschehen ist, keine Periostitis mehr auf-
treten? Die Bejahung dieser Fragen konnte bis jetzt von keinem gewissenhaften
Zahnarzt voll und ganz erfolgen, und zwar aus dem Grunde, weil das ganze
Verfahren der Wurzelbehandlung immer noch empirischer Natur und wissen-
schaftlich ungenügend fundiert ist. Es wird viel zu wenig Rücksicht auf den
jeweiligen Zustand der Pulpa genommen. Wir müssen wohl unterscheiden zwischen
der absolut nicht infizierten Pulpa und der ausgesprochenen Pulpitis. Bei der
Behandlung einer nicht infizierten Pulpa ist die Prognose hinsichtlich des Auftretens
2%
12 B. Gottlieb.
einer Periostitis unvergleichlich günstiger als bei der Behandlung einer bereits in-
fizierten Pulpa. Nach Entfernung der nicht erkrankt gewesenen Pulpa haben wir
einen reinen Wurzelkanal vor uns, der, wenn er während der Behandlung nicht
infiziert wurde und auch nachher nicht verunreinigt werden kann, keine Veranlassung
zu einer periostalen Erkrankung geben sollte. Ganz anders verhält es sich bei der
Behandlung einer bereits entzündeten Pulpa. Wir können niemals beurteilen, wo der
Entzündungsprozeß aufhört; in den meisten Fällen geht mit der Entzündung der
Pulpa gleichzeitig eine solche des Periosts einher. Unsere Therapie besteht darin,
die entzündete Pulpa zu entfernen. In vielen Fällen geht die Entzündung des
Periosts dadurch zurück, jedoch nicht in allen. Oft treten die periostalen Er-
schanungen trotz exaktester Wurzelbehandlung erst nach längerer Zeit auf und
dürften ihre Ursache in der bereits vor der Behandlung erfolgten Infektion des
Periosts haben. In 70% der Fälle kann man im Röntgenbilde Veränderungen im
Bereiche der Spitze wurzelbehandelter Zähne konstatieren. Ob alle diese Ver-
änderungen pathologischer Natur oder als physiologische Folgeerscheinungen der
Pulpaentfernung zu deuten sind, läßt sich nicht ohneweiters entscheiden.
Diejenigen Wurzelkanäle, die einen gangränösen Inhalt aufweisen, geben
bekanntermaßen die ungünstigere Progose hinsichtlich einer künftigen Periostitis.
Meinem Ermessen nach gibt es gar keine Gangraena pulpae ohne nachweisbare
periostale Veränderung. Trotz genauester Behandlung cines solchen Kanals, auch
wenn nachher die Möglichkeit einer Reinfektion ausgeschlossen wäre, kann jeder-
zeit die im Periost gesetzte Infektion aufflammen und ganz akute Erscheinungen
hervorrufen. Hiezu wäre noch Folgendes zu erwähnen: Wir sind für gewöhnlich
bei Konstatierung einer akuten Periostitis auf die Angaben des Patienten, be-
sonders auf dessen Schmerzempfindung angewiesen. Bei der chronischen Periostitis
fällt schr oft dieses diagnostische Hilfsmittel weg. Sind die anatomischen Ver-
hältnisse im Bereiche der Wurzelspitze so günstig gelegen, daß sich das Granulum
rasch zur entsprechenden Größe entwickeln kann, fallen jene Druckerscheinungen
fort, die den Schmerz auslösen, dann kommt es gar nicht selten vor, daß die
akute Form der Periostitis so rasch in die chronische Periostitis übergeht, daß
überhaupt keine Schmerzempfindung geäußert wird. Als Beweis hiefür diene der
Umstand, daß wir gar nicht so selten bei radiologischen Aufnahmen als Neben-
befund ein großes Granulom an einem Zahn konstatieren, der trotz genauester
Eruierung niemals Schmerzen verursacht hat. Andrerseits finden wir radiologisch
kaum nachweisbare Veränderungen an Zähnen, die dem Patienten die rasendsten
Schmerzen bereiten. In diesen Fällen kann das Granulom infolge ungünstiger
anatomischer Verhältnisse nicht schnell genug zur genügenden Entfaltung kommen.
Als letzten Punkt möchte ich noch darauf hinweisen, daß es Individuen
gibt, die auf jede Art der Wurzelbehandlung prompt mit einer Periostitis reagieren.
Patienten aus den besten Häusern, die in Behandlung bekannt gewissenhafter Zahn-
ärzte standen. antworten auf die Frage, wieso sie diese oder jene Zähne verloren
haben, oft mit dem Hinweise, daß jeder wurzelbehandelte Zahn bei ihnen nach
einiger Zeit entfernt werden müßte. Und doch ist die hauptsächlichste Beschäftigung
des Zahnarztes die Wurzelbehandlung, dieselbe resp. der Wunsch nach einer solchen
treibt den Patienten zum Arzt oft solange, bis die Wurzelspitzenresektion radikale
Abhilfe schafft.
Dr. E. Schreier: Die Mitglieder unseres Vereines haben durch ihr zahl-
reiches Erscheinen ihr Interesse an dem Gegenstande des Vortrages dargetan.
Es scheint mir nun sehr wünschenswert, daß dieses Interesse wachgehalten wird.
daß immer mehr und mehr Mitglieder sich versammeln und ausharren. Um dieses
erstrebenswerte Ziel zu erreichen, gibt es nach meiner Erfahrung nur ein wirksames
Mittel, das ist die Vorführung von praktischen Demonstrationen (Clinics). Theo-
retische Vorträge allein sind nur selten imstande zu fesseln und kaum einmal zu
überzeugen. Ich schlage vor, daß das heute besprochene Thema für die nächsten
Sitzungen beibehalten wird und daß der Vortragende die Methode, welche er
beschreibt, vorführt.
Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 13
Zum Gegenstande selbst bemerke ich, daß die Füllung der Kanäle mit
Points eine Kontrolle durch das Röntgenbild ermöglicht. Herr Dozent Dr.Klein
hebt hervor, daß nach seiner Erfahruf®& Patienten, die von den angesehensten
Zahnärzten behandelt werden, trotzdem zahlreiche Zähne verlieren. Wenn er damit
beweisen‘ will, daß die Wurzelbehandlung nur selten einen bleibenden Erfolg
ergibt, so muß ich entschieden widersprechen. Für mich folgt daraus nur, daß
auch ein angesehener Zahnarzt, ein Hof-, Kammer- oder Leibzahnarzt eine Wurzel-
behandlung schlecht machen kann. Wenigstens 70% der Zahnärzte arbeiten ohne
Kofferdam, ohne jede Sorgfalt. Danach sind natürlich auch die Resultate. Ich
bin vollständig überzeugt, daß die Ergebnisse der Behandlungen, welche er selbst
durchführt, nicht regelmäßig zu einem Verluste der Zähne führen.
Dozent Dr. B. Klein: Ich bitte, meine Ausführungen nicht mißzuverstehen.
Selbstverständliche Voraussetzung bei jeder Wurzelbehandlung ist die möglichst
erreichbare Asepsis resp. Antisepeis. Ich bin fest davon überzeugt, daß dadurch die
Reaktionen von seiten des Periosts wesentlich herabgesetzt werden, besonders bei
intakten Pulpen. Bei allen anderen Formen gilt das, was ich gesagt habe, unter
der Voraussetzung, daß wir zu den bereits vorhandenen Keimen, die wir ja ver-
nichten wollen, nicht noch frische hinzubringen.
Prof. Dr. R. Weiser: Ich wollte anknüpfend an die Bemerkungen des Herrn
Dozenten Klein sagen, daß er nicht deutlich genug hervorgehoben hat, . daß
er selbst bei aseptisch und glatt durchgeführten Wurzelbehandlungen devitalisierter
Zähne Reaktionen sah. Er hat aber zugegeben, daß dies immerhin keine Peri-
ostitiden sind, sondern andere, vielleicht physiologische Reaktionen. Ob
eine Periostitis mit Einschluß von Bakterien vorliege, bleibe dahingestellt. Wenn
das, was er röntgenologisch nachweist, immer Infektionen wären, so müßten wir
viel mehr Mißerfolge sehen. Wir kennen doch eine erdrückende Reihe von Fach-
leuten, die über langjährige Praxis verfügen und sagen, daß sie sowohl. mit der
Konservierung pulpakranker und gangränös gewesener als auch devitalisierter Zähne
ausgezeichnete Erfolge haben. Ich bin überzeugt, wenn man solche konservierte
Zähne röntgenologisch auf ihr periapikales Verhalten untersucht, daß man Ver-
änderungen finden wird. Man darf nur nicht vergessen, daß die Zähne sowohl
vom Periost ale vom Zahnmark her ernährt werden. Es ist nur möglich, daß
das Periost, wenn es allein die Ernährung des Zahnes übernehmen muß, dadurch
hypertrophisch wird und in diesem Zustande ein verändertes röntgenologisches
Verhalten aufweist.
Dozent Dr. A. Oppenheim: Seit 15 Jahren bin ich Zahnarzt und so
lange ich mich erinnere, war und ist das Thema über Wurzelbehandlung offen
und nie konnte man sich auf eine bestimmte Behandlungsmethode einigen. Jeder
hat sich eine bestimmte Methode ausgearbeitet und denkt nicht daran, daß die
meisten Mißerfolge nicht wieder unter seine Augen kommen, da sie sich in andere
Behandlung begeben; wir sehen immer nur unsere Erfolge. Es wäre doch an der
Zeit, daß man sich schließlich an erfahrene und aufrichtige Leute wendet, die
sich die Mühe nehmen, eine Methode auszuarbeiten. Bei vielen besteht auch eine
Flucht vor der Arbeit. Wenn man sich der Mühe unterzieht, die Zähne in mehreren
Sitzungen von stundenlanger Arbeit zu behandeln, so kann man mit großer Wahr-
scheinlichkeit annehmen, daß die Behandlung reaktionslos verlaufen wird. Ein
eventuell verbleibender geringer Pulpenrest wird weniger Anlaß zu irgendeiner
Reaktion geben, als der in den Kanälen belassene ganze Pulpenstrang. Selbst auf
die Gefahr hin, in einzelnen Fällen die Geduld der Patienten auf die höchste
Probe zu stellen, schrecke ich doch vor diesen Schwierigkeiten nicht zurück. Ich
weiß, daß ich im Verlauf von 15 Jahren nur vier gesunde Zähne zu Brücken-
arbeiten devitalisiert, durch die Wurzelbehandlung verloren habe; jedenfalls ein
sehr geringer Prozentsatz im Vergleich zu den vielen Gefahren der Amputations-
methode. Ich arbeite nach der von Dr.Gottlieb eben geschilderten Methode
vielleicht mit der Ausnahme, daß ich die Kanäle vor der Füllung mit Thymol
14 - Heinrich Reschofsky.
desinfiziere und nach Füllung mit Points das Kavum mit Chloroform überschütte,
um durch Aspirationswirkung ein Aufsteigen in die Kanäle zu bewerkstelligen. Es
kommt in manchen Fällen vor, daß mag infolge anatomischer Besonderheiten die
Pulpa nicht vollkommen extrahieren kann, und stellen sich periostale Beschwerden
ein, so bleibt dann noch immer als ultimum refugium der operative Eingriff.
Daß tatsächlich oft nur der Mangel an Zeit, Überbürdung und die Honorarfrage
mitbestimmend sind, steht außer Frage. Meiner Meinung nach hat die Pulpen-
amputation als soziale Indikation und nur als solche eine Berechtigung ebenso
wie in der Orthodontie die symmetrische Extraktion der ersten Molaren.
Dr. R. H. Schleyen: Wir haben diese Methode seit einem Jahre bei einer
Massenpraxis im Garnisonsspital Nr. 1 ausprobiert und haben keine ernstlichen
Mißerfolge gehabt, wie sie allgemein vorkommen. Wir konnten sehen, welche Miß-
erfolge die anderen hatten, und man kann sagen, daß 80% zur Revision gekommen
sind. Es waren nur minimale periostale Reizungen zu konstatieren, die ohne
Therapie verschwanden. Man kann daher die Methode wärmstens empfehlen und
es sollte sich jeder Kollege der Mühe unterziehen, dieselbe auszuprobieren.
Dr. B. Gottlieb: (Schlußwort): Ich möchte vor allem gegen die
falsche Auffassung des Antiformins Stellung nehmen. Das Antiformin ist ein Mittel
für sich und dient nicht bloß zur Neutralisierung einer angewendeten Säure Man
kann auch die Schwefelsäure auslassen. Das Antiformin ist das Mittel, mit dem
man bei der Wurzelbehandlung alles Wünschenswerte erreicht. Die Reinigung
des Kanals nach der Extraktion auch ohne Blutung möchte ich wärmstens emp-
fehlen; ich habe immer gesehen, daß das Antiformin schmutziger herauskommt, als
es eingeführt wurde. Daß man für die Frontzähne Jodoform nicht verwenden
kann, ist sicher, aber wir können nichts anderes als ein Dermatolpulver nehmen.
Herr Prof. Weiser hat mich mißverstanden oder ich habe mich nicht richtig
ausgedrückt. Ich habe behauptet, daß die rationelle Gangränbehandlung erst
im Jahre 1892 begonnen hat, die bloß mechanische Reinigung war nach unseren
heutigen Kenntnissen eben nicht rationell. Weiters habe ich mich auf keine Theorie
eingelassen. Deshalb, weil man die Wurzelfüllung nicht bie zum Apex hinaufführen
kann, auf die feste Füllung verzichten, ist unlogisch. Die Gründe für die feste
Wurzelfüllung haben damit nichts zu tun, ob der letzte Millimeter am Apex gefüllt
ist oder nicht. "
Über Pulpaamputation.
Ein Epilog zur Versammlung des Vereines Wiener Zahnärzte vom 21. November 1918.
Von Dr. Heinrich Rescholsky.
Bei dieser Versammlung hielt Kollege Gottlieb ein Referat über
Antiforminbehandlung der Wurzelkanäle, in welchem er die Kanalfüllung,
selbst bei zufällig eröffneter Pulpa, geschweige denn bei den übrigen Pul-
pitiden als kategorischen Imperativ aufstellte. Die Herren Doz. O p p en-
heim und Dr.Hecht stimmten mehr oder minder energisch bei. Doz.
Oppenheim insinuierte sogar den Kunstfehler aus Bequemlichkeit.
Ich werfe den Herren den F'ehdehandschuh hin und trete für die
Pulpaamputation in die Schranken. Ich behaupte auf Grund tausendfacher
Erfahrung, daß ich bei Pulpaamputationen nicht mehr Mißerfolge habe
als bei Wurzelkanalfüllungen.
Über Pulpaamputation. 15
Solche Mißerfolge können ja durch eine gelegentliche Nachlässigkeit
hervorgerufen werden, sonst aber bei richtig gestellter Indikation nur in
Fällen von ererbter Konstitution oder fallweiser Disposition als Idiosyn-
krasie oder verminderter Widerstandsfähigkeit. Da diese letzteren auch
dem exaktesten Kanalfüller mißlingen werden, welche Möglichkeit doch
die fanatischesten Katexochen-Kanalfüller seufzend zugeben, zählen sie
bei der vergleichenden Statistik nicht mit.
Und nun zur Ausführung.
Ich ätze die Pulpa ab, in der nächsten Sitzung reinige ich sorgfältig
die Zahnhöhle und lege zum Schluße ein Wattebäuschchen ein, das in 40%
Formalinlösung (ohne Trikresol!) getaucht und dann fest ausgepreßt
wurde. Dieses Bäuschchen bleibt 24—48 Stunden drinnen, wenn es sich
um zufällige Eröffnung oder oberflächliche Pulpareizung handelt. Bei Pul-
pitiden, je nach dem Grade, längere Zeit.
Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß totale Pulpitie und Gangrän
von dieser Methode ausgeschlossen sind.
Der jedesmalige Verschluß mit irgend einem provisorischen Füllungs-
material ist unerläßlich.
Bei der nächsten Sitzung wasche ich die Höhle nach der mechanischen
Reinigung mit Hs Oz und Alkohol aus, glühe dann ein Asbestbäuschchen,
tauche es in Alkohol, dann in eine Spur Formalin, presse es wieder aus,
rolle es in Jodoformpulver und lege es dann in den Eingang des Wurzel-
kanales. (Um keinen Überschuß der Formalinlösung zu erzielen, tauche ich
‚das Bäuschchen nicht in die Flüssigkeit, sondern entnehme nur dem, was
den Stöpsel befeuchtet. Man kann aber auch die Lösung verdünnen.) Sind
mehrere Kanäle, so kommen natürlich auch mehrere Bäuschchen.
Endlich lasse ich De Treysche Calxine darüberfließen. Es kann
natürlich auch ein anderes, nicht reizendes Füllungsmaterial sein, das keinen
Druck ausübt; deshalb soll auch keine Guttapercha verwendet werden.?)
Die meisten Mißerfolge der Pulpaamputation bertihen auf der Nicht-
beachtung der Tatsachen, daß der Querschnitt des Pulpastumpfes eine
‘Wunde ist, wie auch Dr.Hecht hervorhob, deren Vernarbungsprozeß
durch konzentrierte, ätzende Chemikalien gestört wird. Manchmal sitzt
die Einlage nicht fest genug, man fühlt sich verpflichtet, sie energisch
hineinzupressen, außerdem wird gewöhnlich Guttapercha fest darauf ge
drückt. Dies wirkt auch auf eine schon entstandene Narbe schädlich.
1) Uber Empfehlung des Kollegen Kneucker.
2) Welches Material zur definitiven Füllung verwendet wird, ist gleichgültig.
Notwendig ist jedoch bei größeren Füllungen eine Zwischenschichte von plastischem
Zement, welche jeden Druck auf die Unterlage auffängt.
16 Heinrich Reschofsky. Über Pulpaamputation.
Die meisten, in den Nervbehandlungen angewendeten Medikamente
wirken nicht nur ätzend, sondern auch gewebe- und blutlösend; die auf-
gequollene oder gelöste Wurzelpulpa schmerzt infolge Raumenge oder
Fermentgasspannung. Im weiteren Verlaufe Nekrose und Eiterung. Genau
s0, wie wenn man auch unter den strengsten aseptischen Kautelen in ein
anderes, lebendes Gewebe ätzende Flüssigkeiten einspritzt. Auch durch
direkten oder fortgepflanzten Druck kann infolge Zirkulationshemmung
Absterben der Pulpa und dessen Folgeerscheinungen eintreten.
Das Hauptprinzip der Behandlung bei Pulpaam-
putation ist die schonendste Versorgung des Pulpa-
stumpfes.
Gewiß können hier, wie auch bei der exaktesten Kanalfüllung, gele-
gentlich Nachschmerzen kommen; aber selbst da genügt meist eine Wieder-
eröffnung und Nachbehandlung mit milden Mitteln. Als ultima ratio
bleibt dann noch immer die Kanalfüllung.
Bei schon ausgeführter Kanalfüllung dürfte es schwieriger sein, im
Falle einer Reaktion die feste Kanalfüllung herauszulockern. Es wird
mit Recht behauptet, daß besonders bei engen und gekrümmten Wurzel-
kanälen, die Pulpaextraktion eine hohe Amputation ist mit einer zer-
stochenen Rißquetschwunde als Querschnitt.
Daß bei der Kanalfüllung selten Mißerfolge (Amputationsneurome
und Druckneurose) auftreten, ist dem Umstande zuzuschreiben, daß die
Füllung diesen malträtierten Stumpf meist gar nicht erreicht und daß e
eben Fälle gibt, welche die unglaublichsten Behandlungen ohne Nachteil
ertragen. Kollege Gottlieb meinte auch ironisch, es sei nicht gleich-
gültig, ob man ein winziges Stümpfchen oder mehrere Zentimeter Stumpf
beläßt. Stimmt schon, aber in dem Sinne, daß es nicht gleichgültig ist,
ob man jemandem ohne zwingende Notwendigkeit das Bein beim Collum
femoris oder nur den Fuß beim Calcaneus amputiert.
Und nun kommen wir zur sozial-ökonomischen Seite der Frage.
Alle gewissenhaften Kanalfüller geben zu, daß die Behandlung. eines
Molaren bis drei Stunden in Anspruch nimmt und wenn auch diese. drei
Stunden auf mehrere Sitzungen verteilt sind, ist die Endsumme dieselbe,
d.h. ein halber Arbeitstag. i
Wer von den Kollegen, der nicht Kriegsgewinner zu seiner Klientel
zählt, kann von zwei Patienten im Tage leben? Wenn auch solche Tage
nur 2—3mal in der Woche vorkommen. 6—8 Nervbehandlungen mindestens
in der Woche hat jeder beschäftigte Zahnarzt, somit bedeutet deren Be-
handlung 12—24 Stunden, also zwei bis vier Arbeitstage wöchentlich —
nur für Wurzelkanalfüllungen.
B. Gottlieb. Erwiderung auf vorstehenden Artikel. 17
Der Beamte oder kleine Geschäftsmann, der unsere Klientel bildet
und mit seiner Familie zu uns kommt, wo jedes Mitglied 2—3 Nervbehand-
lungen hat, ist nicht in der Lage, einen Tausender auszuzahlen. Dann
möchte ich gerne den Kollegen sehen, der zu behaupten wagt, daß er bei
Absolvierung von 12—20 Patienten täglich für die Nervbehandlungen 3
bis 4 Stunden aufwendet.
Es ist selbstverständlich, - daß die unsorgfältige Wurzelfüllung
schlechter ist als eine leichter ausgeführte sorgfältige Pulpaamputation,
somit bedeutet die Verurteilung der letzteren und der Zwang für Wurzel-
kanalfüllungen bei einer stärkeren Praxis direkt die Propagierung von be-
wußten Kunstfehlern. Durch eine überhastete Vielgeschäftigkeit wird viel
Unheil angerichtet.
Wenn man nun zwischen zwei Methoden zu wählen hat, die gleiche
Resultate ergeben, so ist es sozial und auch praktisch wissenschaftlich
vollkommen gerechtfertigt, die für beide Teile weniger zeitraubende, weniger
mühev olle und pekuniär billigere Methode zu wählen.
` Theoretische BAnMpienteiterel hält die BeaeungeDzoNe der Praxis
nicht aus.
Ich bin überzeugt, daß viele von den T anwesenden Kollegen
die Pulpaamputation mit Erfolg und daher mit ruhigem Gewissen: übten
und auch weiterhin üben; wenn sie sich auch vor dem ironischen und
aggressiven Tone in Schweigen hüllten.
Ee gibt nur einen Weg, um diese Frage im Interesse des Gemein-
wohles zu klären. Und das sind Versuche unter öffentlicher Kontrolle.
Ich bin bereit, mich dieser Kontrolle zu unterwerfen, dann möge in
foro publico die Methode empfohlen oder der Stab über sie gebrochen werden.
Erwiderung auf vorstehenden Artikel.
Von Dr.B. Gottlieb.
Herr Dr.Reschofsky spricht immer wieder von einer Wunde
bei der Pulpaamputation. Die Pulpaamputation wird. an einer kauterisier-
ten Pulpa vorgenommen, der Querschnitt am Kanaleingang ist also nicht
als Wunde zu betrachten. Es dreht sich ja die ganze Fragestellung dar-
um, ob die tote Wurzelpulpa imprägniert als Wurzelfüllung belassen wer-
den soll oder nicht. — Ferner ist es höchstens als Lapsus- calami zu er-
‚klären, wenn Dr..R. die imprägnierte Wurzelpulpa funktionell in die gleiche
Reihe mit dem Ober- plus Unterschenkel: stellt. Das kann doch kaum
‚sein Ernst sein.
18 Winke für die Praxis.
Auch die Stundenberechnung stimmt nicht. In der Regel geht ja die
Pulpaextraktion glatt vor sich und dauert auch bei Molaren in mehr
als 90% der Fälle durchschnittlich ?/» Stunde. Die ganze sozialökonomische
Frage fällt hiemit weg. Ich möchte aber bei der Gelegenheit daran er-
innern, daß die Patienten, bei denen mit „Rücksicht auf ihre mangelhafte
Zahlungsfähigkeit“ „einfachere Methoden“ verwendet werden, in der
Mehrzahl der Fälle ratenweise in Summa für jeden Zahn, den sie
dauernd erhalten wollen, mehr Geld ausgeben, als wenn von Anfang
an die verläßlichste Methode ohne Rücksicht auf Zeit und Kostenaufwand
zur Anwendung gekommen wäre. Eine mit Points gefüllte Wurzel ist fürs
Leben erhalten und erledigt. Solche Patienten bezahlen die Wurzelbe-
handlung eines Zahnes nur einmal in ihrem Leben. Es ist eben hier, wie
auch sonst überall wahr, daß das Teuerste auch das Billigste ist. Ich
habe die Methode der Wurzelbehandlung mitgeteilt, die ich gegenwärtig
für die beste halte und deshalb auch übe.
Winke für die Praxis.
Zur Technik der Leitungsanästhesie am Foramen
mandibulare und Foramen infraorbitale.
Von Dr. Harry Sicher.
So gründlich durchgearbeitet auch die anatomischen Grundlagen und
ihre Verwertungsmöglichkeit für die Anästhesie im Bereiche der Mund-
höhle sind, lassen doch die immer erneut auftauchenden Modifikationen
einerseits, die auch bei großer Erfahrung nicht immer zu vermeidenden
Mißerfolge andererseits keinen Zweifel übrig, daß auch geringfügige Ver-
besserungen oder Vereinfachungen, wenn sie sich auf richtige theoretische
Befunde und genügende-klinische Erfahrung stützen, von einigem Wert sein
können. Von diesem Gesichtspunkte mögen auch die folgenden Bemerkun-
gen aufgefaßt werden.
Es kann wohl als bekannt. vorausgesetzt werden, daß der Nervus
alveolaris inferior zum Zwecke der intraoralen Leitungsanästhesie nicht
bei seinem Eintritt in das Foramen mandibulare aufgesucht werden soll,
sondern etwas darüber, in der vom Foramen nach hinten und oben ziehen-
den, gegen den Processus condyloideus allmählig verflachenden Furche. Was
aber meines Wissens bisher nicht betont wurde, ist die Tatsache, daß diese
Furche in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle beim Erwachsenen wäh-
rend der Vornahme der Injektion mit der Nadelspitze ausgezeichnet ge-
tastet werden kann. Legt man bei der Injektion an der rechten Seite des
Winke für die Praxis. 19
Patienten t) den linken Zeigefinger auf die untere Zahnreihe, schiebt die
Fingerkuppe in das Trigonum retromolare, dessen Grenzen, die Linea
obliqua externa und interna, dabei gleichzeitig getastet werden und sticht
nun die Nadel über dem Fingernagel hinter der Linea obliqua interna ein,
so trifft sie in geringer Tiefe den Knochen. Dabei läuft die Richtung der
Spritze, wie bekannt, von der Prämolarengegend der Gegenseite nach der
Einstichstelle. Schiebtt man nun die Nadel in stetem Kontakt mit dem
Knochen nach hinten, wobei man eventuellen Widerständen durch leichte
Schwenkungen der Spritze ausweicht, auch wohl die Spritze ein wenig
zurückzieht, um erneut in der gewünschten Richtung in die Tiefe zu
gehen, so fühlt man etwa in der Tiefe von 1,5 cm die Nadel deutlich
über eine Konvexität hinweg in die oben beschriebene Furche glei-
ten. Bei einiger Erfahrung — besonders durch Versuche am Skelett
— läßt sich dieser Tastbefund aber nicht nur zur gröberen Orien-
tierung verwerten, sondern gibt auch einen. brauchbaren Anhaltspunkt ab,
nach dem man die Variationen der betreffenden Gegend beurteilen kann.
Wie Klein und ich nachweisen konnten ?), ist nämlich die vordere Be-
grenzung des Sulcus mandibularis individuell sehr verschieden ausgebildet.
An dieser stumpfen Leiste setzt sich der vordere Anteil des Ramus ascen-
dens mandibulae gegen den hinteren ab. Eben dadurch, daß der vordere
Anteil dicker ist als der hintere, entsteht sowohl Leiste als Furche. Das
Dickenverhältnis der beiden Knochenpartien variiert nun insoferne, als die .
vordere bei vielen, besonders bei kräftigen Personen in ihrer Stärke außer-
ordentlich zunehmen kann, während die Dimensionen der hinteren Partie
viel geringere Schwankungen aufweisen. Je größer nun die relative Dieke
des vor dem Sulcus gelegenen Knochens ist, um so weiter wird die Nadel
bei ihrem Vordringen hinter die Furche, gegen den hinteren Rand des auf-
steigenden Kieferastes, abgelenkt werden, vorausgesetzt, daß man ihr in
allen Fällen die gleiche Richtung gibt. Ist man aber einmal auf die
Tastbarkeit der genannten Furche aufmerksam geworden, dann läßt sich
auch leicht die geringere oder größere Tiefe derselben abschätzen und da-
durch auch im letzteren Falle die notwendige Aberration der Nadel in die
Tiefe leicht korrigieren. Man hat nichts anderes zu tun, als .die Spritze
mehr oder weniger stark mit dem freien Ende nach hinten zu schwenken,
wobei sie ein wenig zurückgezogen wird, so daß sie beim neuerlichen Vor-
dringen in die Tiefe das Hindernis der verstärkten Knochenleiste umgehen
kann. Um Raum zu gewinnen, läßt man hiebei den Mund des Patienten
1) Bei der Injektion an der linken Seite des Patienten führt man am besten
die Spritze .mit der linken Hand, während die rechte tastet.
2) Vierteljahresschrift f. Zahnheilkunde, H.1, 1915.
20 Winke für die Praxis.
leicht schließen. Hinzugefügt sei nur noch, daß in einzelnen — aller-
dings seltenen — Fällen das Relief an der Innenseite des aufsteigenden
Astes so wenig ausgebildet ist, daß die Tastbarkeit der Furche sehr er-
schwert wird.
Was die Aufsuchung des Foramen infraorbitale bei der intraoralen
Leitungsanästhesie des gleichnamigen Nerven anlangt, so kann es sich
hier, wie in allen anderen Fällen, immer nur um die Bestimmung von ana-
tomischen Orientierungpunkten an der Körperoberfläche handeln, die den
Variabilitäten Rechnung tragen. In der Tiefe kann und darf immer nur
das Tasten mit der Injektionsnadel den letzten Ausschlag geben. Eine
Einzwängung der topographischen Anatomie in geometrische Konstruktio-
nen, kann durch den Schein der Exaktheit, den sie erwecken, nur gefährlich
wirken. Nach den Angaben von Bünte und Moral wird die Injektion
an das Foramen infraorbitale derart ausgeführt, daß man von der Über-
gangsfalte des Vestibulum oris über dem Eckzahn nach oben und innen
eineticht, wobei der auf das Foramen aufgelegte Zeigefinger als Zielpunkt
dient. Das Foramen selbst tastet man etwas über einen Zentimeter unter-
halb der Stelle des Margo infraorbitalis, an welcher bei vielen Personen
die Sutura zygomatico-maxillaris als Verdickung des Knochenrandes fühlbar
ist. Die Aufsuchung des genannten Loches durch den tastenden Finger kann
nun in einfacher Weise und mit aller nötigen Genauigkeit auch durch den
folgenden Handgriff erzielt werden. Läßt man den an den Nasenrücken an-
gelegten Zeigefinger ?) an der seitlichen Abdachung der Nase herabgleiten,
bis er mit seiner volaren Fläche der Wangenfläche des Oberkiefers, mit
seinem der Nase zugekehrten Rand aber noch der seitlichen Abdachung
der Nase anliegt — in diese Lage stellt sich der Finger bei’ der angege-
'benen Bewegung von selbst ein — und zieht ihn nun soweit nach abwärts,
daß sich die Fingerkuppe, die zuerst dem Margo infraorbitalis anlag, etwa
einen Zentimeter nach der Mundspalte verschiebt, dann liegt die Finger-
kuppe über dem Foramen infraorbitale. Gegen diesen Punkt wird, wie oben
erwähnt, eingestochen. Nach Entleerung einiger Tropfen der Injektions-
flüssigkeit, tastet man mit der Nadel das kleine, von der Fingerkuppe be-
deckte Knochenareale ab, und wird leicht den Augenblick feststellen kön-
nen, in dem die Nadel in das Ende des Kanales hineinfällt. Dies ist da-
durch möglich, daß der Kanal bei seinern von hinten oben außen nach
vorne unten innen gerichteten Verlaufe an der facialen Öberkieferfläche
schief. ausmündet und die Nadel die längere innere Wand über die kürzere
3) Anders als bei der mandibularen Anästhesie wird hier bei Injektion
an der rechten Seite des Patienten die rechte Hand zum Tasten, die linke zur
Führung der Spritze verwendet und umgekehrt an der linken ‘Seite.
Referate und Bücherbesprechungen. 2
äußere hinweg erreicht. Auch für die perkutane Injektion in den Canalis
infraorbitalis ist die angegebene Methode völlig ausreichend, wenn man
nur auch hier dem vorsichtigen Tasten mit der Nadel mehr vertrauen will,
als einer komplizierten und scheinbar exakten geometrisch konstruktiven
Bestimmung der Einstichstelle.
Referate und Bücherbesprechungen.
*Praktikum der klinischen, chemischen, mikroskopischen und bakterio-
logischen Untersuchungsmethoden. Von Dr.M. kKlopstock und Dr.
A.Kowarski. Fünfte, umgearbeitete und vermehrte Auflage. Urban
& Schwarzenberg, 1918.
Daß innerhalb relativ sehr kurzer Zeit fünf Auflagen, davon drei
während der Kriegszeit, notwendig wurden, ist wohl der beste und sicher-
ste Beweis für die Qualität des Buches, das an Quantität das reichlich Ge-
nügende in kompendiöser Form bietet. 500 Seiten Text, in welchem 30 Ab-
bLildungen, ferner 24 farbige Tafeln umfassend, erschöpft es das Gebiet deı
gesamten klinischen Diagnostik, das Kapitel: „Untersuchung der Sekrete
und Beläge des Mundes und Rachens“ sei als das uns am meisten interes-
sierende hervorgehoben. Eingehend abgehandelt sind darin: Gewinnung des
Untersuchungsmateriales, Diphtheriediagnose, Soor, Angina Vincenti (Ba-
cillus fusiformis und Mundspirochäte), Stomatitis ulcerosa, Noma, Menin-
gokokken. i
Die in praxi noch viel zu wenig eingebürgerte mikroskopische Dia-
gnose der genannten Erkrankungen wird neuerdings als durchaus im Be-
reich des behandelnden Arztes der Erwägung nahe gebracht.
Das Postulat der Einbeziehung der verwandten Wissenszweige in
den Bereich des einzelnen Spezialisten erfährt bei der Lektüre des. leicht
faßlich und merkbar geschriebenen Buches neue Unterstützung.
Das Werk überschreitet nicht wesentlich den Umfang der bekannten
„Kleinen Kompendien“ ohne jedoch in deren Fehler der Oberflächlichkeit
zu verfallen.
Die übrigen Abschnitte — Untersuchung der Sekrete und Exkrete
(Nase, Konjunktivalsack, Sputum, Mageninhalt, Fäzes, Harn, Harnröhre,
Prosata, Uterus), ferner Blut, Punktionsflüssigkeiten, bakteriologische
Untersuchung der Haut sowie allgemeine Methodik der bakteriologischenı
Färbung und Züchtung machen in ihrer Gründlichkeit und zusammenfas-
senden Kürze das Buch zu einem vollgültigen Nachschlagewerk für den
Kliniker und Praktiker.
Über die Ausstattung, die der Verlag dem Buche hat angedeihen
lassen, ist zu sagen, daß man ihr die Kriegszeit und — Not in keiner
Weise anmerkt. Wohl das höchste Lob, das jetzt vergeben werden kann.
—des.
22 Referate und Bücherbesprechungen.
Vorschläge für eine einheitliche Bezeichnung der Zähne und ihrer Teile.
Von H.Türkheim, Hamburg. D.M.f.Z., H.2, Februar 1918.
| Der vorliegende Versuch Türkheims, die zahnärztliche Nomen-
klatur zu reformieren, ist gewiß dankenswert und zum mindesten an-
regend. — Sprachlich völlig korrekt wäre der Ersatz der Bezeichnung
mesial durch medial. Dagegen scheint mir der Vorschlag, die den
Lippen und Wangen einerseits, der Zunge und dem Gaumen andrerseits
zugekehrten Zahnflächen mit frontal und dorsal zu bezeichnen, nicht glück-
lich, da wir mit diesen beiden Benennungen ganz bestimmte anatomische
Lagebeziehungen verbinden. Und von der tatsächlichen Lage der einzelnen
Zähne ganz abzusehen, brächte wohl Verwirrung hervor. Da eine einheit-
liche Bezeichnung gleichwohl sehr vorteilhaft wäre, sollte man die Namen
„oral“ und „vestibular“ für die Innen- und Außenfläche der Zähne in Er-
wägung ziehen. — Wenn sich Türkheim gegen die stets willkürlich
wechselnde Bezeichnung der Prämolaren mit Recht wendet, so fehlt mir
andrerseits der Vorschlag zur Ausmerzung einer wissenschaftlich noch un-
logischeren Benennung, nämlich der „Milchmolaren“, die ja doch Milch-
prämolaren sind. — Was seine Bedenken gegen die Schreibweise der
Zähne im Koordinatenkreuz anlangt, so bin ich doch der Ansicht, daß die
allgemein geübte Art die bessere ist. Wir sind eben gewohnt, uns z. B. bei
der Lektüre über irgend einen zahnärztlichen Eingriff, das uns zugekehrte
Gesicht des Patienten vorzustellen, wie wir es täglich so oft im Operations-
raum sehen, und teilen demnach automatisch die am Papier rechts von
der Ordinate stehenden Ziffern der linken Gesichtshälfte des Patienten zu.
— Nochmals sei aber hervorgehoben, daß die Vorschläge Türkheims
in ihrem Grunde gewiß berechtigt sind und daß eine kommissionelle Fest-
stellung einer neuen resp. einheitlichen Nomenklatur für unser Spezialgebiet
sicher sehr vorteilhaft wäre. Sicher.
. Weiteres zur Theorie über die Ursachen der Kieferverunstaltung de»
„hohen Gaumens“. Von Paul Wüustrow. D. M.f. Z., H.1, 1918.
In der Dikussion, ob nach Kantorowicz die behinderte Mund-
atmung — bei primärem Atmungshindernis in der Nasenhöhle — oder
nach W. die Keilwirkung der nach innen geneigten Unterkieferzähne auf
die nach außen geneigten des Oberkiefers ätiologisch für die Entstehung
des hohen Gaumens in Frage komme, ergreift nochmals Wustrow das
Wort. Obwohl sich wieder der Hauptteil der Arbeit damit beschäftigt,
ob der Gaumen als „Gewölbe“ anzusehen sei oder ob der Alveolarfortsatz
selbständig mechanisch betrachtet werden darf, liegt meiner Meinung das
Hauptgewicht doch auf zwei anderen Momenten, wie ich dies schon seiner-
zeit gelegentlich eines Referates hervorhob. Nach Kantorowicz folgt
bei normaler Nasenatmung einer geringen negativen inspiratorischen
Schwankung in der Mundhöhle eine entsprechende positive exspiratorische,
festgestellt durch manometrische Messungen. W ustrow hingegen leugnet
die letztere, aber ohne Messungen beizubringen.
Die Entstehung des hohen Gaumens bei verlegten Nasenwegen erfolgt
nun nach W. durch die Keilwirkung der Molaren während des Kauaktes, da
sie nicht in horizontaler, sondern in nach innen und unten konvergent ge-
neigten Kauebenen aufeinandertreffen. Dazu wäre nun zu bemerken, daß die
Annahme Wustrows, die Zahnreihen seien in der Nacht stets voneinander
Referate und Bücherbesprechungen. 23
entfernt, keineswegs richtig ist. Mit der größten Leichtigkeit kann man
sich davon überzeugen, daß ein großer Teil der Nasenatmer während des
Schlafes sehr energische Knirschbewegungen macht oder doch die Zähne
krampfhaft aufeinanderpreßt. Die hier auftretenden Kräfte — die, neben-
bei bemerkt, oft an eigentümlich gelagerten Schliffflächen kenntlich sind
— sind zweifellos vielfach größer als die während des normalen Kauaktes
wirkenden. Und gerade diese Kräfte können bei Mundatmern nicht
auftreten. Sollte nun wirklich die Keilwirkung der Molaren gerade hier,
wo diese nächtlichen Bewegungen fehlen, deformierend wirken, während
bei normaler Atmung die durch das nächtliche Knirschen oft so sehr
gesteigerte Druckwirkung durch den negativen Atmungsdruck in der Mund-
höhle kompensiert wird? Ich kann vorläufig nur wiederholen, daß mir
die Ausführungen von Kantorowicz noch immer als wohlbegründet
erscheinen. Sicher.
Über die chirurgisch-bakteriologische Theorie der Wurzelbehandlung. Von
Paul Wustrow. D. M.f. Z., H. 12, 1917.
Die Arbeit gilt hauptsächlich der Untersuchung über die Brauch-
barkeit der Thymolwurzelfüllung. In der Literatur findet sich nämlich die
Behauptung, daß die mit Thymolkristallen gefüllten Wurzelkanäle durch
Verflüssigung und Verflüchtigung bald leer sind (Müller). Daß tatsäch-
lich eine Verflüssigung des Thymols eintritt, konnte auch Wustrow
nachweisen. Dagegen glaubt er nicht an eine rasche Verflüchtigung des
Thymols, dem ja nur die Wege durch die Dentinkanälchen und das Fora-
men apicale offen stehen; zumindest läßt sich nach angestellten Versuchen
erwarten, daß das Thymol länger im Kanal erhalten bleibt, als unter
seiner Einwirkung Bakterien keimfähig bleiben können. Um doch die Mög-
lichkeit einer Verflüchtigung tunlichst einzuschränken, empfiehlt Wastow
entweder das Bepinseln der Kanalwände mit einer Mastisollösung, um die
Dentinkanäle zu verschließen, und die nachfolgende Füllung mit einer
Jodoformthymolpaste (?/s Thymol, t/s Jodoform mit Thymolwasser ange-
rührt) oder den Ersatz des Thymolwassers in der angegebenen Paste durch
Mastisol oder Harwardlack. Die Nachprüfung der Brauchbarkeit dieser
Wurzelfüllungen, die theoretisch wohl begründet ist, wird hoffentlich bald
und in möglichst ausgedehntem Maße erfolgen. Sicher.
Über Gefäßverletzungen bei Lokalanästhesie im Gebiete der Mundhöhle.
Von Hermann Kühns, Rostock. D. M. f. Z., H.3, 1918.
Als Kriterium für eine erfolgte Gefäßverletzung kommt nach Kühns
eine im Bereiche des Gesichtes auftretende anämische Hautstelle in Be-
tracht. Sie betrifft natürlich mehr minder genau das kutane Verbreitungs-
gebiet des betreffenden Gefäßes oder seiner Äste. Am häufigsten ereignet
sie sich — besser wäre es zu sagen, manifestiert sie sich — bei der
Leitungsanästhesie am Foramen infraorbitale, wo die gleichnamigen Ge-
fäße, eventuell die A. maxillaris externa verletzt wird; durch Verbreitung
des suprareninhaltigen Anästhetikums erfolgt dann. eben die fast totale
Kontraktion der Gefäßäste und demgemäß treten an Wange, unterem
Augenlid und Nase die anämischen Bezirke auf. — Die Injektion an der
hinteren Austrittsstelle der Nervi palatini descendentes aus dem Canalis
94 Referate und Bücherbesprechungen.
pterygopalatinus — also an dem Foramen palatinum posterius majus,
nicht anterius, wie Kühns in Anlehnung an Bunte und Moral
schreibt — läßt entweder eine Verletzung der gleichnamigen Gefäße oder
eine interstitielle Verbreitung der Injektionsflüssigkeit durch den Canalis
pterygopalatinus in die Fossa sphenopalatina zu. Dadurch kommt es zu
Beeinflussungen ebenfalls der Infraorbitalgefäße und zu entsprechenden
Anämien. — Einmal hatte Injektion am Foramen incisivum (palatinum
anterius) ein streifenförmig von der Mundspalte bis zur Haargrenze längs
der Mittellinie aufsteigendes anämisches Gebiet zur Folge. Es ist wohl
nur durch Beeinflussung der A. maxillaris externa, durch eine Anastomose
(wohl mit der Angularis) und dieser selbst zu erklären. Die mandibulare
Leitungsanästhesie hatte unter 1000 Fällen nur einmal eine Anämie in
der Gegend des Foramen mentale zur Folge, deren Erklärung ja selbst-
verständlich ist.
Was vor allem praktisch wichtig ist, wäre der Umstand, daß keine
dieser Gefäßverletzungen üble Folgen gezeitigt hat. Zu erwägen wäre
nur noch, ob wirklich in allen den Fällen, in denen anämische Hautbezirke
zu beobachten sind, eine Gefäßverletzung angenommen werden muß, oder
ob nicht vielleicht die Injektion knapp an das Gefäß besonders bei emp-
findlichen Personen bereits mittelgroße Arterienstämme zur vollen Kon-
traktion bringen könnte und damit die Erscheinung bereits zu erklären
wäre. Fraglich ist ferner, ob Injektion in eine Vene überhaupt Anämien
erzeugen kann. Zur Entscheidung dieser Fragen wären eben Tierversuche
noch nötig. Sicher.
* Über die Behandlung alter Knochenfisteln nach Schußverletzungen. Von
Emil Kautt. (Aus der chirurgischen Abteilung des Reservelazaretts
Ettlingen.) Gedruckt mit Genehmigung des Sanitätsamtes des 14. Armee-
korps. Inaugural-ID)issertation, Heidelberg 1917.
Unter den zahlreichen Kriegsverletzungen fällt eine Erkrankung be-
sonders auf, da sie unter der Zahl der chirurgischen Fälle bedeutend über-
wiegt. Es sind das die hartnäckigen Knochenfisteln nach Schußverletzungen
mit Zertrümmerung eines Knochens oder eines Gelenks. Bei der großen
Mehrzahl dieser Fälle liegt der Zeitpunkt der Verwundung schon sehr
lange, bei einigen sogar bis zu Anfang des Krieges zurück, und heute be-
steht noch immer eine Knochenfistel, die nicht die geringste Neigung zur
Ausheilung zeigt.
Bleiben nun längere Zeit nach der Konsolidierung einer Schußfraktur
Knochenfisteln bestehen, die keine Neigung zur Ausheilung zeigen, so kann
man mit ziemlicher Bestimmtheit auf die Anwesenheit von Sequestern
schließen. Es können dies primäre Knochensplitter sein, die nicht mehr
einheilten und nekrotisierten, oder auch solche, die erst durch den osteo-
myelitischen Prozeß am Knochen sich gebildet haben.
Über den Aufschluß, den uns das Röntgenbild über Anwesenheit,
Form, Größe und Zahl von Sequestern geben soll, gehen die Ansichten
sehr auseinander. Das Röntgenbild kann wohl die Diagnose unterstützen,
häufig aber nur einen mangelhaften Aufschluß über Lage, Zahl und Größe
der Sequester geben. Meist bekommt man kein klares Bild, wie bei der
chronischen Osteomyelitis, wo man Knochenhöhle und Sequester deutlich
erkennen kann, sondern vielmehr decken sich im Bilde einer älteren Splitter-
Referate und Bücherbesprechungen. 25
fraktur der mächtige Kallus, Knochenhöhle und Sequester, und häufig ist
nicht zu unterscheiden, was atypisch gestellter und eingeheilter oder was
abgestorbener Knochen ist.
Ist weder durch Sondieren noch durch das Röntgenverfahren ein
Sequester festzustellen, so ist damit nicht gesagt, daß auch wirklich keiner
vorhanden ist. Denn einerseits kann er, wie gesagt, von so starken Kallus-
massen umgeben sein, daß er auf der Röntgenplatte nicht sichtbar wird,
andrerseits können auch die Fistelgänge bis zu der Stelle, wo der Sequester
liegt, vielfach gewunden oder verlegt sein, so daß er mit der Sonde nicht
zu erreichen ist. Auch in diesen Fällen wird man, wenn man einige Zeit
abgewartet und die Fistel keine Neigung zur Heilung gezeigt hat, zur
Operation schreiten und häufig wird sich doch noch irgendein verborgener
Sequester finden, der die Eiterung unterhielt und die Heilung verhinderte.
Die Behandlungsmethode der Knochenfisteln nach Schußverletzungen,
die am meisten Aussicht auf Erfolg hat, ist die Radikaloperation, wie
sie für die chronische Osteomyelitis angegeben und während des Krieges
für die Behandlung von Knochenfisteln nach Schußfrakturen erneut von
Axhausen, Franke, Janssen u.a.m. empfohlen worden ist.
In Anbetracht dessen, daß die Operationen von Knochenfisteln meist
eine große chirurgische Erfahrung und Technik erfordern, wäre die Frage
zu erörtern, ob man nicht auch bei den Knochenfisteln nach Schußver-
letzungen eine Konzentration der Fälle in bestimmten Lazaretten an-
streben soll, wie das bei anderen Kriegsvefletzungen bereits durchgeführt ist.
Oberstabsarzt Zilz.
Zum Krankheitsbilde des Skorbuts. Von R.Pfeiffer. Deutsche med.
Wochenschr., Nr. 23, 1918.
Hautveränderungen zeigten sich in der überwiegenden Mehr-
zahl und überaus wechselnder Form. Relativ selten war das typische Bild
der Purpura. Seltener war eine großfleckige Form mit spärlicher Aussaat.
Flächenhafte Hämorrhagien mit heller oder dunkler Tönung waren
scharf gegen die Umgebung abgesetzt oder wiesen allmähliche Übergänge
und gelegentliche Ausdehnung über große Gliedabschnitte auf.
Die Beteiligung des Muskelapparats am Skorbutprozeß war
häufig und verlief in wechselvollen Bildern. Im Beginne fehlten oft ob-
jektiv nachweisbare Veränderungen, oder sie beschränkten sich auf leichte
Druckempfindlichkeit bei lebhaften, spontanen, als Rheumatismus gedeu-
teten Schmerzen. Mit zunehmender Erkrankung änderte sich die Konsi-
stenz; die befallenen Muskeln fühlten sich fester an, die Derbheit stieg
bis zur steinernen Härte. |
Schleimbeutelerkrankungen kamen nicht zur Beobach-
tung. Freibleiben de Knochensystems war :Ausnahme, Mitbeteili-
gung am Skorbutprozesse die Regel. An den Oberschenkelknochen entwickel-
ten sich gelegentlich Bilder, die an Osteomyelitis, Tumoren und Ba r-
lowsche Krankheit erinnerten.
Zahnfleischerkrankung fehlte gelegentlich in einwand-
freien, diagnostisch sicheren Skorbutfällen während des ganzen Verlaufs
völlig oder war nur in leichtem Grade und in einer an sich uncharakteri-
stischen Form sichtbar. Umgekehrt war und blieb eine typische Mundaffek-
tion gelegentlich das alleinige Symptom der Skorbuterkrankung. Die Be-
26 Referate und Bücherbesprechungen.
schaffenheit der Zähne hatte — entgegen früheren Anschauungen — kei-
nen maßgebenden Einfluß: man sah normales Zahnfleisch bei schlechten
Zähnen und schwere Entzündungen trotz wohlerhaltenen Gebisses.. Wich-
tiger schien das Fehlen der Zähne; die dadurch geschaffenen Lücken waren
meist verschont oder nur wenig beteiligt.
Bei typischer und starker Ausbildung war die Skorbutaffektion im
Munde nicht zu verkennen. Das Zahnfleisch war geschwollen, blaurot, blu-
tend, mit zapfenförmigen Ausläufern. Besonders am Oberkiefer entstanden
zu beiden Seiten der Zahnreihen durch gleichmäßige Schwellung dicke
Wülste, die vorn zwischen den geöffneten Lippen sichtbar waren und sich
hinten als daumendicke, wurstähnliche, zum Teil nekrotische Gebilde in
der Mitte des harten Gaumens fast berührten. Blutungen erfolgten nicht
nur beim Kauen und Sprechen, auch spontan sickerte Blut dauernd her-
vor, die Zähne lockerten sich, starker Foetor ex ore stellte sich ein. Na-
türlich waren so hochgradige Entzündungen Ausnahmen, meist war der
Prozeß weniger intensiv oder beschränkte sich in typischer Form auf ein-
zelne Stellen, an denen man zwischen zwei Zähnen blaurote Zapfen
gewahrte.
Das Allgemeinbefinden blieb in leichten Fällen gut, hart-
näckige Schmerzen und starke Zahnfleischentzündung mit ihren Folgen
zeitigten erhebliche Kräfteabnahme.
Die Prognose war quoad vitam günstig. Kein Patient ging an
unkompliziertem Skorbut zugrunde.
Für die Ätiologie ergaben sich aus dem anamnestischen Materi-
ale keine brauchbaren Anhaltspunkte. Eine infektiöse Ursache des Skorbuts
ist nach den Erfahrungen des Autors sehr unwahrscheinlich, Auslösung
durch alimentäre Schädigung nahezu sicher. Zilz.
Spirochätenbefunde und Salvarsan bei Alveolarpyerrhoe. Von Dr. Fritz
Lesser und Zahnarzt Witkowski, Berlin. Med. Klinik, Nr. 48, 1917.
Die beiden Autoren sind bereits im Jahre 1913 der Frage der Alve-
olarpyorrhoe und Salvarsan nähergetreten. Die Versuche, die durchwegs
gute Resultate zeitigten, wurden jedoch zu zaghaft durchgeführt, indem
niemals mehr als 2 intravenöse Injektionen verabreicht wurden. Trotzdem
ergaben die nach 31/2 Jahren kontrollierten Fälle die ganz überraschenden
Erfolge der Salvarsantherapie. Objektiv nachweisbar war das frische rosige
Zahnfleisch, die Zähne sind vollzählig erhalten und haben keine Lockerung
oder Dislokation erfahren. Die Patienten selbst bestätigen, daß das
schmerzhafte nervöse Gefühl aus dem Kiefer verschwunden und während
der ganzen Zeit nicht wieder aufgetreten ist. Die beiden Autoren nehmen
wegen der ungenügend durchgeführten Therapie keine Priorität in An-
spruch, sondern wollen nur die günstige Wirkung des Salvarsans auf Al-
veolarpyorrhoe bestätigen.
Kriegszahnklinik, Jänner 1918. Hofer.
Zur Klinik der dentalen Aktinomykose. Von Dr. Kantorowicz,
München. D. M. f. Z., H.2, 1918.
An 6 Fällen von bakteriologisch sichergestellter Aktinomykose den-
talen Ursprungs hebt Kantorowicz vor allem die besondere Gutartig-
Vereins- und Versammlungsberichte. 97
keit der beobachteten Fälle hervor. Sie haben als gemeinsames das Fehlen
von Knochenveränderungen, obwohl ja die Prozesse den Kiefer durch-
setzten. Sie heilten sämtlich auf Inzision, eventuell Exkochleation mit
nachfolgender Drainage ohne Jodkalium- oder Röntgentherapie. Verfasser
spricht wohl mit Recht die Vermutung aus, daß viele derartige aktino-
mykotische Prozesse unerkannt behandelt und geheilt nn i
icher.
Vereins- und Versammlungsberichte.
Verein österreichischer Zahnärzte.
Ordentliche Monatsversammlung vom 14. November 1917 in der Poliklinik.
Tagesordnung.
1. Mitteilungen des Präsidenten.
2. Dr. Viktor Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß mit
besonderer Berücksichtigung der nervösen Störungen.
3. Allfälliges.
Präsident begrüßt die Anwesenden und teilt mit, daß vor dem an-
gesetzten Vortrag des Dr.Frey Herr Dr.Schwabe und Herr Prof.
W eiser kleine Demonstrationen abzuhalten wünschen.
Dr.Schwabe demonstriert einen Fall von schiefem Biß infolge
Arthritis deformans des Gelenkköpfchens des Unterkiefers, bei einem 34-
jährigen gesunden Mann. Die Verschiebung des Unterkiefers nach rechts
beträgt 14mm in der Mittellinie, so daß i] auf |3 beißt, und ist im Laufe
von drei Jahren spontan ohne vorhergegangenes Trauma oder Luxation
entstanden. Früher bestand völlige Symmetrie der beiden Kiefer, dies ist
deutlich an den Modellen der oberen und unteren Zahnreihe zu sehen, die
in die frühere normale Okklusion recht gut eingestellt werden können.
Patient hatte keine Gonorrhoe oder Lues durchgemacht, auch für Akro-
megalie besteht kein Anhaltspunkt. Die Röntgenbilder der Sella turcica
zeigen normale Verhältnisse. Bemerkenswert ist bloß eine Hyperästhesie
im zweiten Ast des linken Trigeminus und gelegentliche leichte neural-
gische Schmerzen in dessen Bereiche. Die Röntgenbilder der Kiefergelenke
zeigen rechterseits normale Verhältnisse, das linke Gelenkköpfchen ist be-
trächtlich vergrößert, zeigt unscharfe Grenzen gegen die Nachbarschaft,
hat die Gelenkgrube verlassen und steht bei geschlossenem Munde auf
der Eminentia articularis. Sehr charakteristisch für das Krankheitsbild
und ein Beweis dafür, daß der aufsteigende Ast und Körper des Unter-
kiefers nicht verändert ist, ist der Umstand, daß beim Öffnen des Mundes
die Asymmetrie völlig verschwindet. |
Zwei analoge Krankheitsbilder hat Prof. von Eiselsberg im
Archiv für klinische Chirurgie Bd. 76, S.587 beschrieben, die beide, ganz
gleich wie in unserem Fall, allmählich ohne Schmerzen oder Kieferklemme
entstanden sind. Beide wurden durch Resektion des Gelenkköpfchens ge-
heilt, so daß normaler Biß eintrat; die reseziertten Köpfchen waren be-
trächtlich vergrößert und wiesen eine unregelmäßige rauhe Oberfläche auf.
28 Vereins- and Versammlungsberichte.
Diese Operation ist auch im vorgestellten Falle geplant, nur soll die rich-
tige Einstellung nach der Operation durch Gleitschienen gewährleistet
werden. Somit ist der beschriebene Fall, ganz analog den beiden operier-
ten, ein. abgegrenztes Krankheitsbild eine isoliert auftretende Arthritis
deformans in einem Kiefergelenk.
Prof. Weiser: Der Fall erinnert durch sein spontanes Auftreten
einer schweren Artikulationsstörung und wegen seiner Komplikation mit
Trigeminus-Neuralgie an .den im K. u. k. Reservespital Nr. 17 (Kieferspital)
ambulatorisch behandelten k.u.k. Militär-Rechnungsrat M. Patient hat
in der genannten Anstalt über Empfehlung seines Neurologen Hilfe ge-
sucht, um seine völlig darniederliegende Kaufunktion tunlichst zu heben.
Die anfangs dunkle Ätiologie der Funktionsstörung wurde in richtiger
Weise durch den Chefarzt der zweiten Abteilung des Reservespitals Nr. 17
R.-A. Dr. Emil Steinschneider gedeutet und durch den röntgeno-
logischen Befund erhärtet. Steinschneider konstatierte eine ver-
altete irreponible Luxation des rechten Kiefergelenkes und erkannte in
genialer Weise als Ursache derselben eine durch vorausgegangene thera-
'peutische, vom Neurologen ausgeführte Alkoholinjektionen in den Stamm
des dritten Trigeminusastes, wodurch die bekanntlich vom Trigeminus in-
nervierten Kaumuskel +) gelähmt worden waren. Durch das Übergewicht
der funktionstüchtigen Kaumuskulatur der linken Seite des Unterkiefers
war die scheinbar spontane Luxation habituell geworden. Die Trigeminus-
neuralgie blieb während der sich auf zwei Jahre erstreckenden Beobachtungs-
zeit völlig aus und die Artikulationsstörung konnte bei dem vielfache und
ausgedehnte Zahnlücken aufweisenden unteren Zahnbestande des Patien-
ten durch ein entsprechendes Zahnersatzstück in ganz befriedigender Weise
behoben werden. Während nun dieser Fall auf den ersten Blick auch als
eine artheritische Gelenksdegeneration imponiert hatte, erwies er sich bei
genauerer Differenzierung als eine auf Nervenläsion basierte Luxation.
Prof. W eiser demonstriert einen Fall, der in der serbischen Kriegs-
gefangenschaft Skorbut durchgemacht hat.
Dem Patienten fehlen im Unterkiefer alle Zähne bis auf die beiden
letzten Molaren links unten, wovon außerdem der vordere stark ge-
lockert und kariös ist, der Weisheitszahn in lingualer Malokklusion sich
befindet. Zu Beginn der Behandlung wies der Patient Ankylose höchsten
Grades an beiden Kiefergelenken auf. Außerdem bestand völliges Verstri-
chensein des Vestibulum oris im Bereiche des ganzen Unterkiefers. Lippen
und Wangenschleimhaut gingen direkt in die Schleimhaut des Mundhöhlen-
bodens über.
Behufs operativer Wiederherstellung des Vestibulum oris und Herbei-
führung von anatomischen Verhältnissen, welche die Ausführung und die
Gebrauchsfähigkeit einer Unterkieferprothese gewährleisten würden, wandte
sich die zahnärztliche Abteilung der Wiener allgemeinen Poliklinik an die
I. Abteilung des Kieferspitales in Wien (Reservespital Nr. 17).
Der zu jener Zeit dem Kieferspital zugeteilte holländische Spezia-
list für Weichteilplastiken Dr. J.F.Esser legte rechts und links von
der Gegend des Lippenbändchens je einen Epitheleinschluß längs des Al-
veolarrandes des Unterkiefers an. Er ging dabei in Anlehnung an die
1) Der Fazialis versorgt nur die mimischen Muskel.
Vereins- und Versammlungsberichte. 29
seinerzeit von Gersuny ausgeführte plastische Wiederherstellung einer
Vagina und die von Moszkowicz daraus geschöpfte Anregung für
andere Weichteilplastiken in folgender Weise zu Werke:
Von einem vertikalen extraoralen Schnitte in der Kinngegend drang
er, sich mit dem Hefte eines Skalpells stumpf einen Kanal in die Weich-
teile bohrend, längs der den unteren Eck- und Backenzähnen entsprechen-
den Partien des Alveolarkammes rechts und links vor. Für die so
geschaffenen Kanäle stellte er über meine Empfehlung aus Stents-Abdruck-
masse geformte und mit hochprozentiger Jodoformgaze überzogene Ein-
lagen her, welche als die Träger von mit ihrer Epidermisseite gegen die
Jodoformgaze, mit ihrer wunden Seite gegen die Wundkanalwände sehen-
den „Thierschlappen‘“ dienten. Die letzteren waren der Haut der Innen-
geite des linken Oberarmes entnommen worden und heiltn nach Knopfnaht
der Operationswunde reaktionslos ein.
Ungefähr 14 Tage später wurden die Epitheleinschlüsse durch intra-
orale Längsschnitte entsprechend dem Alveolarkamm von 5 4 3[3 45 frei-
gelegt, die Stent- und Jodoformgazeeinlagen entbunden, wobei sich zeigte,
daß die Thierschlappen in der ganzen Ausdehnung prompt angeheilt waren,
Um das so erreichte Vestibulum oris dauernd offen zu halten, wurde
an der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitales der Wiener All-
gemeinen Poliklinik (Vorstand Prof. Dr. Gustav Wunschheim Ritter
von Lilienthal) trotz der Ankylose ein unteres Gebiß hergestellt. Das
Letztere diente auch dazu, um bei der Dehnung der Ankylose durch den
Steinkam m schen Extensionsapparat die Schleimhaut des Unterkiefers
gegen Decubitus zu schützen. Hierauf folgte die plastische Deckung eines
lochförmigen Defektes von Hellerstückgröße im Bereiche der rechten
Hälfte der Unterlippe durch Stabsarzt Dr. Foramitti.
Das bereits erwähnte Zahnersatzstück erfüllte seine Aufgabe bei der
Dehnung der Ankylose vorzüglich, konnte jedoch als Kauapparat nicht
zur Geltung kommen, erstens aus dem Grunde, weil das Gebiß nur links
verklammert war und weil rechts weder ein einem Alveolarfortsatz auf-
biegender Sattel, noch eine Klammer oder auch nur eine Gebißfeder an-
gebracht werden konnte.
Zur Behebung dieser Übelstände schlug Prof. Weiser folgenden
teils chirurgischen, teils zahnärztlichen Behandlungsweg ein:
a) Die im linken Vestibulum oris „plica-faleiformis“-artig vorsprin-
gende Narbe wurde an der Grenze gegen die Mundhöhlenboden-Schleimhaut
abgetrennt und der so freigewordene Schleimhautrand mittels durchgehen-
der, an die Epidermis der Wangenschleimhaut über Jodoformgazeröllchen
geknoteter Seidennähte in der passenden Lage fixiert. Der freie Rand der
Schleimhaut des Mundhöhlenbodens wird an das freigelegte Periost der
lingualen Partie des Alveolarfortsatzes angenäht.
b) Der durch Ablösen der pterygiumartigen Narbenstränge in der
Mitte des Unterkiefers entstandene Schleimhautdefekt wird mit Epidermis-
lappen gethierscht, welche der Haut der Beugeseite des rechten Oberarmes
entnommen wurden. Diese Thierschlappen wurden durch eine intraorale,
schleimhautwärts mit Jodoformgaze benähte Schiene, welche mittels das
Kiefermittelstück umfassender Drahtnaht und Knüpfung über extraoralen
Bleiplättchen fixiert worden war, festgehalten.
30 Vereins- und Versammlungsberichte.
c) Um das Vestibulum oris im Bereiche der einstigen rechten unteren
Molaren zu vergrößern, bediente er sich, um noch sicherer als Esser zu
Werke zu gehen, eines gestielten haarlosen Hautlappens aus dem rechten
seitlichen Halsdreieck. Das freie untere Ende dieses um 180° nach auf-
wärts gedrehten Lappens wurde, nach präventiver doppelter Unterbindung
der Arteria maxillaris externa und der Vena facialis anterior am Margo
mandibulae durch einen knopflochartigen, in das Vestibulum oris führen-
den Schlitz in die Mundhöhle eingeführt, hierauf der freie Rand des haar-
losen Hautlappens mit dem oberen Rande des Schleimhautschlitzes vernäht.
Nach Einheilung des in die Mundhöhle verpflanzten Anteiles der
Halshaut wurde der Hautlappen extraoral durchschnitten und der knopf-
lochartige Schlitz vernäht. Der als Appendix herabhängende Rest des
Hautlappens wurde an seinem ursprünglichen Fußpunkte so abgetragen,
daß ein entsprechend kleinerer Rest zurück bleibt, mittels dessen die an-
gefrischte Narbe im seitlichen Halsdreiecke plastisch gedeckt werden konnte.
d) Durch die Plastik Dr.Essers, Foramittis und durch die
von Weiser vorgenommenen operativen Eingriffe war das Vestibulum
oris des Patienten für alle Zukunft gesichert und in einen Zustand ver-
setzt, daß eine untere Prothese mit vollem funktionellen Erfolge ge-
braucht werden konnte. Die neue Prothese wies zunächst eine Klammer
um den invertierten |8 auf, nachdem der |? wegen zunehmender Lockerung
aufgegeben worden war. Rechterseits wurde die Prothese unverrückbar
festgehalten und insbesondere auch am Aufsteigen, sowie an einem Ver-
schieben nach vorne oder rückwärts verhindert. Diese die Kaufunktion
ganz überraschend fördernde Fixation ist dadurch bewerkstelligt, daß der
rechte äußere Rand der unteren Kautschukprothese einen flügelförmigen
Fortsatz von 2!/zcm Länge und 1!/2cm Breite schräg nach unten und
außen in die. mit haarloser Epidermis ausgekleidete von Weiser ope-
rativ hergestellte taschenförmige Versenkung des rechten unteren Vesti-
bulum oris herabsendet.
Weiser meint, es sei die Frage nicht von der Hand zu weisen,
ob nicht in der Verletzungspraxis des Friedens und in manchen sehr
schweren und desolaten Fällen von Atrophie des Unterkiefers (praecox
oder senil) mutatis mutandis eine oder die andere der hier erwähnten Me-
thoden zur Verwertung kommen kann.“
Dr.Breuer beglückwünscht Herrn Professor Weiser zu dem
schönen Erfolge und stellt die Anfrage, ob derartige Transplantationen
En der Mundschleimhaut nicht zu nachträglichen starken Schrumpfungen
ühren.
Prof. Weiser erklärt, daß nach seinen bisherigen Erfahrungen
dies nicht der Fall sei.
Dr.Schwabe berichtet über die Art, wie die Alveolarkammplastik
durch Thierschung von Dr. Pichler geübt wird. Das Einlegen der mit
Thierschläppchen beklebten Form als Abdruckmasse geschieht in der von
Esser angegebenen Weise. Darüber läßt man die Zahnprothese weiter-
tragen. Nach 10—14 Tagen wird die Nahtlinie, wenn sie nicht von selbst
aufgegangen ist, was meist der Fall ist, an entsprechender Stelle gespal-
ten und die Stentseinlage rasch provisorisch mit der Zahnprothese ver-
bunden. Die gegenseitige Lage der beiden Teile zu einander läßt sich durch
einen kleinen Gipsabdruck leicht festhalten. Die so umgeformte Prothese,
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 31
welche an der Basis mit schwarzer Guttapercha bestrichen wird, lassen
wir ein paar Tage tragen, — sie umfaßt bereits genügend den Alveolar-
kamm — dann wird der Stentskloß durch Kautschuk an der Prothese er-
setzt und die Prothese ist den neuen Verhältnissen entsprechend umzuge-
stalten, wobei der Umstand, daß nur wenige Stunden der Patient ohne
Prothese bleibt, die sonst recht unangenehme Schrumpfung an den Rän-
dern der Bucht fast völlig verhindert.
Dr. Breuer dankt den Herren für die überaus interessanten Demon-
strationen und erteilt Herrn Dr. Frey das Wort zu seinem Vortrage:
Dr. Frey spricht über „Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß
mit besonderer Berücksichtigung der nervösen Störungen.“ (In extenso
erschienen in der Österr. Zeitschr. f. Stomatologie, Heft 3 u. 4, 1918.)
Dr. Breuer dankt dem Vortragenden für seine interessanten Aus-
führungen und schließt, da sich niemand zum Worte meldet, die Sitzung.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
(Zentralverband der österreichischen Stomatologen.) Im Herbst des
Jahres 1918 hat der Ausschuß des Zentralverbandes der österreichischen
Stomatologen seine regelmäßige Tätigkeit wieder aufgenommen. Wohl
hatte er auch während der Kriegsjahre, soweit es durch die Umstände
ermöglicht war, pflichtgemäß die Interessen der Zahnärzte gewahrt und
von Fall zu Fall Sitzungen abgehalten.
Erst mit der Sitzung vom 5. Oktober 1918 aber begann
wieder die Reihe der regelmäßigen Ausschußsitzungen. In dieser wurde
über die Gründung eines Mitteleuropäischen Zahnärzte
bundes Bericht erstattet, die vom Verein Ungarischer Zahnärzte aus-
ging und die zur Aufgabe hatte, die Zahnärzte der Mittelmächte zu
vereinigen. Nach einer langen, von allen Teilnehmern bestrittenen De-
batte wurde eine Beschlußfassung hierüber mit Rücksicht auf die gegen-
wärtigen politischen Verhältnisse ausgesetzt. Ein Schreiben dieses Inhalts
wurde an den Verein abgesendet.
In der Sitzung vom 10. Oktober 1918 stand die Regie-
rungsvorlage 1917 über das „Gesetz betreffend das Zahntechnikergewerbe“
zur Beratung, in der das von Dr.Breuer verfaßte Referat verlesen
wurde, das er, dem in der Sitzung des Zentralverbandes vom Juni 1917
ausgesprochenen Wunsche entsprechend, verfaßt hatte. Nach langer De-
batte wurde der Beschluß gefaßt, den Gesetzentwurf an der Hand des
Referates genau durchzugehen, jedoch die Beschlußfassung für einen
späteren Zeitpunkt zu vertagen.
In der Sitzung vom 12. Dezember 1913 stand zur Dis-
kussion 1. die Frage der Reorganisation des Verbandes
und 2. die Stellungnahme zur wirtschaftlichen Organisation
der Zahnärzte.
Hinsichtlich des ersten Punktes wurde nach leidenschaftlich geführter
Debatte beschlossen, die im Hinblick auf die geänderten Verhältnisse
notwendig gewordene Reorganisation des Verbandes mit Rücksicht darauf
32 | Kleine Mitteilungen.
zu vertagen, daß klare politische Verhältnisse noch nicht geschaffen seien
und man einer endgiltigen Reorganisation durch einen Beschluß, der nur
provisorischen Charakter haben würde, nicht vorgreifen wolle Aus den-
selben Gründen wurde ein Antrag auf Änderung des Titels der Österr.
Zeitschrift für Stomatologie abgelehnt.
Die Stellungnahme zu der neu gegründeten wirtschaftlichen Organi-
sation wurde dadurch veranlaßt, daß der Präsident der vorerwähnten
Organisation, Herr Dr. K. R. Stein, in einem Artikel in der „Ärzt-
lichen Standeszeitung‘ vom September 1918 namens aller Zahnärzte
Österreichs das Wort ergriff, in dem er hinsichtlich der Regelung der
Zahnärzte-Zahntechnikerfrage Ansichten vertrat, die vom größten Teil
der Zahnärzte nicht geteilt werden. In dieser Sitzung waren auch zweı
Vertreter der wirtschaftlichen Organisation anwesend, die das Verhalten
ihres Präsidenten ebenso zu entschuldigen versuchten wie die befren:-
dende Tatsache, daß die Gründung der „Organisation“ keinem der be-
stehenden Vereine zur Kenntnis gebracht wurde, und darauf hinwiesen.
daß der Präsident in einer Zuschrift an die „Ärztliche Standeszeitung“
erklärt habe, im eigenen Namen und nicht im Namen der Zahnärzte ge-
sprochen zu haben. Es wurde beschlossen, an Herrn Dr. Stein eine
Zuschrift des Inhalts zu richten, daß er nicht das Recht hatte, im Namen
aller Zahnärzte zu sprechen und daß diese und ähnliche Publikationen
geeignet seien, die Bestrebungen der Zahnärzte zu stören. Schreiben ähn-
lichen Inhaltes wurden übrigens auch vom Verein österreichi-
scher Zahnärzte und vom Verein Wiener Zahnärzte ab-
gesendet.
Im Laufe der Debatte wurde auch die Möglichkeit einer Fusion der
wirtschaftlichen Organisation mit dem Zentralverband erörtert, ohne daß
die Aussprache vorderhand zu einem greifbaren Ergebnis geführt hätte.
Kleine Mitteilungen.
(Gründung von Schulzahnkliniken.) Das Staatsamt für Volksgesund-
heit hat an alle Landesregierungen einen Erlaß gerichtet, ungesäumt mit
der Errichtung von Schulzahnkliniken zu beginnen und für deren Förderung
die Gemeinden, Schulbehörden, Krankenkassen und die gemeinnützigen
Vereine zu interessieren. In Wien sollen vorläufig etwa zehn solcher
Schulzahnkliniken errichtet werden. Das Staatsamt für Volksgesundheit
wird durch Beistellung von Instrumenten und unter Umständen auch von
Geldmitteln die Aktion fördern.
—_—— 109°. ——
Für den wissensehaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gettlieb Gistel & Cie., Wien, II., Mlinzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
m Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
Februar ` 1919. 2. Heft.
| XVII. Jahrgang.
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Interessante Fälle aus der Praxis.
Von Dr. Franz Peter, Wien.
Die Fälle, die ich mir im folgenden zu publizieren erlaube, sind
„praktische Fälle“ aus dem Feldzahnambulatorium des ehemaligen k. u. k.
7. Korps. Es sind Fälle, die jedem Praktiker unterkommen können und
deren Behandlung insbesondere auf dem Lande, wo die diagnostischen
und therapeutischen Behelfe der Großstadt fehlen, sich in denselben Bahnen
bewegen, die der Feldzahnarzt betreten muß. Die zahnärztliche Pflege
des Feldheeres oblag den Zahnambulatorien und den Kieferspitälern.
Diese letzteren, in größeren Zentren als moderne Spitäler eingerichtet,
haben den schwierigen Teil der Kieferverletzungen übernommen, die ge-
wöhnliche zahnärztliche Behandlung wurde in den Ambulatorien ausge-
führt. Bei der Größe der im Kriege verwendeten Truppenmassen war
natürlich der Zugang zu den Ambulatorien ein unbegrenzter; hat es doch
Zeiten gegeben, wo drei Divisionen mit allen ihren Trains, Kommandos,
wo einige Feldspitäler und die übrigen korpsunmittelbaren Formationen
alle ihre Zahnkranken an das einzige Korpszahnambulatorium abgegeben
haben. Über die organisatorischen Verfügungen, Einrichtungen etc. Be-
trachtungen anzustellen, hat heute wenig Zweck, da ja die ganze militä-
rische Organisation aufgehört hat und ein Zukunftskrieg in undenkbarer
Weite liegt. Was wir Ärzte der Feldambulatorien während der langen
Kriegszeit in mühevollen Jahren geleistet haben, das war Kulturarbeit
und -Praxis.
Und nun die Fälle:
Blutungen, welche nach Zahnextraktionen auftreten, können
zweierlei Art sein:
1. Blutungen, welche ihren Grund in der veränderten oder patho-
logischen Beschaffenheit des Blutes haben, und `
2, Blutungen infolge ungünstiger anatomischer Verhältnisse, also
infolge ungünstigen Verlaufes oder ungewöhnlicher Größe eines
Blutgefäßes.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 3
34 Franz Peter.
In der Feldambulanz, die ich 3 Jahre lang geführt habe, sind — den
Verhältnissen entsprechend — eine sehr große Zahl von Zahnextraktionen
vorgekommen. Doch erinnere ich mich nur einer ganz geringen Anzahl
von wahren Nachblutungen. Zwei Fälle betrafen Offiziere, in deren
Familien bereits Todesfälle infolge von Zahnextraktionen vorgekommen
sind; ein Umstand, auf den die Herren mich nicht vor der Extraktion
aufmerksam gemacht hatten. In beiden Fällen waren starke Nachblutungen,
die aber durch exakte Jodoformgazetamponade gestillt werden konnten.
Auch in allen anderen Fällen, es sind aber unter Tausenden von Fällen
nur einige vorgekommen, genügte die Tamponade und festes Aufbeißen
auf einen Wattebausch zur Blutstillung. Ich habe nie von irgendwelchen
chemischen oder medikamentösen Mitteln Gebrauch gemacht.
Zur zweiten Gruppe von Blutungen gehören Fälle, wo die abnorme
Nähe der Art. alveolaris zur Wurzelspitze oder zum : Wurzelspitzenprozeh
eine Zerreißung dieser Arterie, insbesondere im Unterkiefer bewirkt; auch
Fälle, bei denen in der Schleimhaut eine kleinere Arterie sich befindet, die,
bei der Extraktion lädiert, die Blutung verursacht. Die Blutung in letzterem
Falle ist durch die Naht einfach zu sistieren. Solche Fälle kommen
relativ häufig vor, oft an der Injektionsstelle. In einem Fall war bei der
Eröffnung eines palatinalen Abszesses ein Ast der Arteria palatina ge-
troffen worden; der operierende Arzt hat in diesem Fall den Schnitt
über die größte Vorwölbung des Abszesses geführt. Da die Blutung auch
nach längerem Zuwarten nicht aufhören wollte, mußte die Wahl zwischen
Umstechung und Tamponade getroffen werden; nach der Tamponade stand
die Blutung. Entfernung des Tampons am dritten Tag; sofort hat die
Blutung wieder begonnen; erneute Tamponade, Entfernung nach weiteren
drei Tagen, keine Reaktion. Jedenfalls möchte ich, um Blutungen in
diesen Fällen zu vermeiden, vorschlagen, bei der Eröffnung eines pala-
tinalen Abszesses von der allgemeinen chirurgischen Regel, den Schnitt
über die größte Vorwölbung zu führen, abzuweichen und den Abszeß
in jedem Fall dort zu eröffnen, wo die fixierte Schleimhaut sich abhebt
und in die Abszeßschleimhaut übergeht, und zwar in dem Teil des Ab-
szesses, der dem verursachenden Zahn am nächsten liegt, parallel zum ent-
sprechenden Teil des Alveolarbogens.
Nun will ich einen Fall mitteilen, der aus mehreren Gesichtspunkten
Aufmerksamkeit verdient. l
Im Juni 1916 erschien im Ambulatorium der Fahrvormeister M.
einer Divisions-Munitionskolonne und verlangte die Entfernung der Zahn-
wurzeln behufs späterer Anfertigung eines Gebisses. Der Befund ergah
das Vorhandensein sämtlicher Zahnwurzeln im Oberkiefer. Es wurde mit
der Extraktion der Wurzeln der rechten Seite begonnen und die Wurzeln
Interessante Fälle aus der Praxis. 35
des II. Prämolaren sowie der beiden ersten Molaren in Lokalanästhesie
extrahiert. Die Extraktion war sehr leicht, da die Molarenwurzeln bereits
getrennt waren. Die Alveolarsepta wurden in der üblichen Weise ab-
gezwickt und der Patient zum Ausspülen entlassen; als Ausspülraum
fungierte die andere Ecke des Ordinationszimmers. Als ich aber nach
ein paar Sekunden auf den Patienten blickte, gewahrte ich, daß sich aus
seinem Munde ein heller, dicker Blutstrom ergoß: das Bild einer Blutung
aus einem großen Blutgefäß. Sofort nahm ich ihn wieder vor und legte
das Öperationsfeld frei. Das Blut ergoß sich in dickem Strahl aus der
Tiefe der Alveole, und als ich nun der Quelle der Blutung nachging,
gelangte ich durch eine für den kleinen Finger bequem durchgängige
Öffnung in die Highmorshöhle. Nun wurde die ganze Höhle mit Jodo-
formgaze tamponiert. Die Blutung aus der Wundhöhle stand; es erfolgte
aber ein Abgang von Blut durch die Nase, der aber nur tropfenweise
vor sich ging und nach einigen Minuten von selbst stand. Der Patient
(es war zirka 3 Uhr nachmittags) blieb in der Ordination. Um 5 Uhr,
als gerade ein Arzt bei mir war, dem ich den Fall referierte, erfolgte
plötzlich neben dem Tampon eine neuerliche Blutung, die so heftig war,
daß der betreffende Herr, ein Nasenspezialist, nicht glaubte, daß der
Blutung ohne Unterbindung der Karotis beizukommen wäre. Trotzdem
versuchte ich, da im Ort kein Spital war, noch einmal eine exakte dichte
Tamponade der Highmorshöhle, die ohne Schwierigkeit gelang. Nun wurde
Patient in das nächstgelegene Feldspital transferiert und der Chirurgen-
gruppe Prof. Albrecht übergeben. Dort wurde der Tampon am 5. Tag
gewechselt und der Patient nach einem zweiten Tamponwechsel zur Weiter-
behandlung dem Ambulatorium rückgesendet. Ich entfernte den Tampon
und nun erfolgte die Verheilung der Kommunikationsöffnung ziemlich
rasch und ohne Reaktion. Die Extraktion der übrigen Zahnwurzeln ging
glatt. Offenbar war es in diesem Fall zu einer tiefgehenden Zerstörung
des Oberkieferknochens gekommen, wodurch eine Alveolararterie ver-
ändert war; das Gefäß war sicherlich erweitert, die Wand morsch, so
daß das Abzwicken der Alveolarlamelle die Zerreißung der Wand bewirkte.
In dem geschilderten Falle, der bis Mitte Juli des Jahres beobachtet
wurde, ist es zu keiner Erscheinung von seiten der Highmorshöhle ge-
kommen, obwohl einige Male tamponiert worden war und später einige
Wochen hindurch breite Kommunikation mit der Mundhöhle bestanden hatte.
Und das ist ein Punkt, der meiner Erachtung nach Aufmerksamkeit
verdient. Der Zahnarzt kommt häufig in die Lage, mit der Highmors-
höhle bei der Extraktion in Konflikt zu geraten und das Entschlüpfen
einer Wurzel in die Highmorshöhle gehört zu den unangenehmsten Kom-
plikationen der Zahnextraktion. Während aber in diesem Fall der ein-
3%
36 Franz Peter.
zuschlagende Weg nicht zweifelhaft sein kann, ist bei der einfachen Er-
öffnung der Highmorshöhle noch keineswegs entschieden, ob es besser
ist, die Höhle als noli me tangere zu betrachten und ihrem Schicksal
zu überlassen, oder aber ob dieser Weg als grober Fehler aufzufassen und
die Kommunikationslücke durch ein Stückchen „vorgelagerte“ Jodoform-
gaze, eventuell durch eine Prothese fixiert, zu schützen sei. Nun habe ich.
wie es an der zahnärztlichen Klinik in Wien üblich war, in sehr vielen
Fällen die eröffnete Highmorshöhle, wo ich nach regelrechter Extraktion
durch die Äußerung des Patienten, das Wasser fließe durch die Nase,
erst auf die Eröffnung aufmerksam wurde, gar nicht beachtet und in
keinem Falle sah ich eine Störung. In einem Fall erfolgte zwar eine
nachfolgende geringgradige Schwellung der Gesichtsweichteile und die
Patientin gab an, einige Tage einen sehr übelriechenden Ausfluß aus
der Nase gehabt zu haben, nur konnte der Grund dieser gering-
gradigen Antrumentzündung auch darin gelegen sein, daß die Extraktion
sich sehr schwierig gestaltet hatte, der betreffende Kollege damit lange
Zeit verbracht und inzwischen durch Wattetupfer etc. das Prinzip der
Unberührtheit der Highmorshöhle nicht beachtet hatte. Auch hier gingen
die Erscheinungen spurlos zurück und es war auch in den folgenden andert-
halb Jahren, in denen ich die Patientin zu beobachten Gelegenheit hatte.
zu keinen weiteren Erscheinungen gekommen.
Nun folgt eine Krankengeschichte, wo ebenfalls Komplikationen de:
Antrums vorlagen, ein wahrlich praktischer Fall, welcher sowohl bezüg-
lich der Diagnose als auch des Verlaufes einige Beachtung verdient.
Am 12. Dezember 1917 wurde ich beim kranken Obersten v. P. einem
Konsilium beigezogen. Patient, der an Angina erkrankt war, verspürte
heftige Schmerzen in der rechten Oberkiefergegend. Ich fand den II. und
III. Molaren mit großen Amalgamfüllungen versehen, offenbar wurzel-
behandelte Zähne. Beide zeigten geringgradige Pyorrhoe, waren aber
sonst ohne Erscheinungen; erster Molar fehlt, übrige Zähne gesund. Die
Schmerzen hörten noch im Laufe des Tages auf und als ich am 15. wieder
den Patienten sah, war der Zustand insoweit verändert, daß am Gaumen
im Bereiche des zweiten Molaren sich eine Fistel etabliert hatte. Erst am
15. Jänner sah ich wieder den Patienten, der wieder heftige Schmerzen
angab, ohne einen von den beiden Zähnen beschuldigen zu können. Jetzt
eröffnete ich den II. Molaren, fand einen gangränösen Kanalinhalt, ins-
besondere im palatinalen Wurzelkanal; da der Zahn bereits etwas ge-
lockert war und schon früher eine Fistel hatte, entschloß ich mich zur
Extraktion; dieselbe ist normal verlaufen. Um sicher zu gehen, prüfte
ich noch. ob nicht eine Kommunikation mit der Highmorshöhle bestand:
weder Luft noch Wasser gingen durch und so entließ ich den Patienten.
Interessante Fälle aus der Praxis. 37T
Der Tag war vollkommen schmerzfrei; denselben Abend jedoch erschien
er wieder und gab enorme Schmerzen an. Es wurde nun der Weisheitszahn
ebenfalls trepaniert, kein lebender Nerv, keine vorangehende Wurzel-
behandlung, die Pulpahöhle voll mit einer Dentikelmasse, ein einziger
schwer sondierbarer Kanal. Der Zahn wurde offen gelassen; Patient
{uhr noch denselben Tag nach Wien und kehrte nach 4 Tagen zurück.
Er erzählte, daß die Schmerzen nach 24 Stunden aufgehört hätten, seit-
dem sei er vollkommen beschwerdefrei. Ich gestehe offen, daß ich in
diesem Stadium der Krankheit trotz des Extraktionsbefundes mir Vor-
würfe gemacht hatte und der Meinung war, daß die Schmerzen nur
vom dentikelgefüllten Weisheitszahn ausgegangen seien. Um so inter-
essanter ist nun der folgende Krankheitsverlauf. In der Nacht vom 28. auf
den 29. Jänner bekam der Patient wieder heftige Schmerzen in der Gegend
des extrahierten Zahnes und plötzlich erschien eine großhaselnußgroße
Geschwulstmasse in der bis dorthin reaktionslos verheilenden Operations-
wunde. Am 29. Jänner früh fand ich, die Ränder der Extraktionswunde
auseinanderhaltend, die derbe, blutende Geschwulstmasse fast schwarz ver-
färbt und stellte die Diagnose entweder auf ein altes, großes Wurzel-
granulom oder aber auf Polyp der Highmorshöhle. Jetzt erst gab Patient
zu, daß er seit Jahren ein Druckgefühl in der rechten Wangengegend
verspüre, weswegen er bereits mehrere Nasenärzte konsultiert hätte. Der
zum Konsilium beigezogene Chirurg glaubte sogar, infolge der Derbheit der
Geschwulst, es mit einem Sarkom zu tun zu haben. Da ich nun ohne
Röntgendurchleuchtung keinen weiteren Eingriff vornehmen wollte, wir
aber nach 2 Tagen beide auf Urlaub nach Wien zu fahren die Absicht
hatten, wartete ich ab, um in Wien mit anderen Fachkollegen den Fall
besprechen zu können. Die Geschwulstmasse wurde im Laufe des Tages
durch Zungenbewegungen gelockert und in der darauffolgenden Nacht,
wie Patient erzählte, immer längerer und lockerer, bis sie über den
Weisheitszahn gestülpt und abgerissen ist. Ob es nun im Halbschlaf
verschluckt oder ausgespuckt wurde, entzieht sich der Beobachtung.
Um auf alle Fälle sicher zu gehen, konsultierten wir in Wien einen
hervorragenden Nasenarzt, der die Extraktionswunde vollkommen in Ord-
nung fand, die Highmorshöhle durchleuchtete, jedoch auch hier nichts
Pathologisches bemerkte. Am 28. Februar kehrte Patient vom Urlaub
zurück und in dieser Nacht gewahrte er plötzlich, daß Nase und Mund-
höhle miteinander kommunizieren. Ich fand am 1. März eine, für die
Knopfsonde bequem durchgängige Kommunikationsöffnung, aus der
bukkodistalen Wundecke ausgehend. Da es außer der Störung, die das Vor-
handensein einer Kommunikationsöffnung zwischen Mund- und Nasenhöhle
verursacht, sonst zu keinen Erscheinungen gekommen ist, wartete ich zu,
38 Fritz Pordes.
verfertigte weder einen Obturator, den der Nasenspezialist anriet, noch
nahm ich irgend einen chirurgisch-plastischen Eingriff vor; nach sechs
Monaten, während deren der Patient ständig kontrolliert wurde, heilte die
Öffnung zu und seitdem ist Patient vollständig beschwerdefrei.
Sicherlich sind die Schmerzen von beiden schuldigen Zähnen — der
Weisheitszahn war inzwischen behandelt und gefüllt worden — ausge-
gangen. Das seit Jahren bestehende Druckgefühl wäre wohl auf Kosten
des ständig wachsenden Wurzelspitzengranuloms zu setzen, das ja auch
in die Highmorshöhle durchgebrochen war, aber doch zu keinen mani-
festen Entzündungserscheinungen geführt hatte. Merkwürdig ist und bleibt
das Manifestwerden der Kommunikation, die erst 5 Wochen nach erfolgter
Extraktion zu Gesicht kam.
Ich glaube nun, auch diesen Fall in Betracht ziehend, für die ob-
turatorfreie Behandlung der Highmorshöhle eintreten zu können. Wenn
dagegen angeführt wird, daß Speisereste sicherer durch eine Platte ab-
gehalten werden, so sprechen meine Erfahrungen unbedingt dafür, daß es
in keinem einzigen Fall, selbst dort, wo, wie in den beschriebenen Fällen,
eine breite Kommunikation längere Zeit bestanden hatte, zu Entzündungs-
erscheinungen infolge des freien Zutrittes der Speisereste gekommen ist.
Eher könnte ich mir vorstellen, daß Speisereste, die ja unter einer Platte
sicherlich vorhanden sind, zu Entzündungen Veranlassung geben.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne
und Kiefer.
Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre.
Von Dr. Fritz Pordes.
(Schluß.!)
Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule sowie die bei stärkerer Seiten-
drehung sich dem abbildenden Strahlenbündel in den Weg schiebende
Schulterwölbung bilden allerdings eine individuell verschieden große Grenze
des Möglichen (drittes Bild der Übersichtstafel).
Zur „Beseitigung“ der Schulter läßt man den Patienten sich mit der
betreffenden Hand an der Sessellehne festhalten (Fig. 48 B). Ferner soll
der Hilfsdrehgriff nicht dazu verleiten, daß das Kinn namentlich bei den
Seitenaufnahmen sich der Brust nähert. Die durch den Hilfsdrehgriff er-
zielte Lageverbesserung wird nicht geschädigt, wenn das Kinn gestreckt
wird. Wohl aber wird die Schulter dadurch außer Störungsbereich ge-
1) S. Nr.8, 9, 11 und 12, 1918 der „Öst. Zeitschr. f. Stomat.“. Abdruck der im
Verlage Urban & Schwarzenberg in Buchform demnächst: erscheinenden Artikelserie.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 39
bracht. (Bei der oben beschriebenen paravertebralen, im Laboratoriums-
Slang sogenannten „beinahe“ — p.a.—- postero-anterioren Aufnahme
stört die Schulter überhaupt nicht, daher dort das Kinn an die Brust ge-
zogen werden darf.)
Wird die Drehung (für den rechten Unterkiefer nach links) weiter
fortgesetzt, so 'überwandert der dank dem Hilfsdrehgriffe am vorderen
Bildrand steil aufwärts strebende kontralaterale Ast allmählich die Zähne
vom Eckzahn aufwärts, die den aufsteigenden Ast überschattende Hals-
wirbelsäule tritt mehr und mehr zurück und gibt den Processus coronoi-
deus, die Incisura semilunaris und das Kiefergelenk den Blicken frei. Es
ist Sache der Übung und der individuellen Möglichkeiten des Falles, bei
Darstellung des Kiefergelenks gleichzeitig möglichst viel gegen den Eck-
zahn hin frei zu bekommen (viertes Bild der Übersicht). .
Es geht, wie betont, bei entsprechender Lagerung weiter, als man
denken sollte.
- Die Einstellung ist zielend unter möglichst geringem Neigungs-
winkel. Man muß das gesuchte Gebilde durch die Skelettlücke erblicken
können. Zu beachten ist, daß als projektivische Fehlerquellen je nach
Drehung und Neigungswinkel die tracheopharyngeale Luftsäule als ent-
sprechend dem Larynxinnern und der schrägen Projektion zackiges und
verschieden breites Aufhellungsband über verschiedene Bildatellen hinzieht,
ebenso die Luftsäule über dem Zungenrücken, zwischen welchen beiden
Aufhellungsbändern die Uvula als Schatten sichtbar wird. Als kleiner
Schattenhalbmond erscheint am vorderen Rande der trachealen Luftsäule
ferner der Zungenbeinkörper, von ihm nach hinten und nach oben ziehend
die Schatten der Zungenbeinhörner und hie und da das Ligamentum stylo-
hyoideum (wenn verkalkt). Es sind dies Fehlerquellen, an die man denken
muß, um diagnostische Irrtümer zu vermeiden. Als Regel gilt, daß eine
z.B. als Fissur ansprechbare Linie, wenn sie den Rand des anscheinend
gesprungenen Knochens überschreitet und sich in den Weichteilen verfolgen
läßt, nicht im verdächtigten Knochenteil liegt.
Zur Lagerung der hier projektivisch besprochenen Aufnahme: Der
Patient sitzt auf einem Stuhl, dessen Höhe durch Verstellung oder Auf-
stellung von Unterlagen variabel ist. Der Kopf liegt auf dem Tisch, der
abzubildende Teil auf der Platte. Der Hilfsdrehgriff, der den kontralate-.
ralen Kieferast kranialwärts fortbringt, hebt mitunter die abzubildende
Partie von der Platte ein wenig ab, was nicht sehr viel zu bedeuten hat.
Um die Lagerung von vorneherein im Sinne des Hilfsdrehgriffes zu ver-
bessern, liegt die Platte auf einem mit der Basis zum Patienten gekehr-
ten Holzkeile Will man das dennoch allenfalla durch den „Drehgriff be-
wirkte Abstehen des Kiefers von der Platte ganz beheben, so kann man
40 Fritz Pordes.
die Platte mit einem von der Assistenz während der Ausführung des Dreh-
griffes noch unterzuschiebenden Sandsack auch jetzt exakt adaptieren.
Fixation: Schlitzbinde.
Die Anwendung des Kompressionstubus ist sehr empfehlenswert,
weil bedeutend resultatverbessernd. Doch erschwert das primäre Anbringen
des Kompressionstubus die exakte Einstellung. Zur feinen Einstellung
dieser Schrägaufnahmen ist der lange Zentralstrahl des Holzknecht-
schen Schwebekästchens wegen seiner großen Ausschläge bei relativ ge-
ringen Winkeln ein ausgezeichnetes Mittel und durch nichts ersetzbar. Um
dieses Mittels trotz Anwendung des Kompressionstubus nicht entraten zu
müssen, stelle ich zuerst mit dem Schwebekästchen ein, entferne dann den
Zentralstrahl wie zur Aufnahme und schiebe sekundär den Kom-
pressionstubus ein, was bei der Länge des Hauptstrahlindex und der dadurch
bedingten Dietanz des Blendenkästchens ohne weiteres zu gehen pflegt.
Will man ein übriges tun, so kann man über die Antikathode visierend
feststellen, ob der Tubus nichts vom Bild notwendiges abschneidet.
Es gibt Fälle, bei denen die zur Darstellung des aufsteigenden Astes
und der Gelenksgegend nötige starke Seitendrehung nicht möglich ist oder
bei denen mit dieser Drehung die Exkursionsfähigkeit ihrer Wirbelgelenke
oder ihrer Muskulatur so völlig erschöpft ist, daß der Hilfsdrehgriff sich
nicht mehr ausführen läßt, ja daß die Schulter zu sehr im Wege steht, um
iiberhaupt ein brauchbares Bild zu ermöglichen. Das Strahlenbündel kommt
durch den Engpaß zwischen Schulterwölbung und kontralateralem Ast.
einfach nicht mehr in genügender Breite durch. Gründe dafür können sein:
Frische traumatische oder entzündliche Veränderung größeren Umfanges,
Torticollis, Spondylitis u. dgl. Dieser Schwierigkeit begegnend, wende ich
Bückenlage mit sekundär seitwärts gewendetem Kopf
au. Legt man den Patienten auf den Rücken und dreht dann den
Kopf auf die abzubildende Seite, so bietet der angespannte Hals dem ab-
bildenden Strahlenbündel ein breites Einfallsfeld dar. Hauptdrehung auf
die Seite des abzubildenden Astes und Hilfsdrehgriff werden, so gut es
cben geht, ausgeführt. Die Einstellung geschieht zielend auf das gewünschte
Gebilde; Neigung so groß, daß man entsprechend dem durch den Hilfsdreh-
griff erzielbaren Effekt mit dem abbildenden Strahlenbündel unter dem
kontralateralen Ast eben durchkommt.
Auch bei stark gehemmter Beweglichkeit erzielt man damit sehr gute
Übersichtsbilder immerhin vom ersten Molaren bis zum Gelenk. Ich hatte
wiederholt Halswirbelverletzte mit bis zur Exkursionsfähigkeit von 30°
gehemmter Beweglichkeit und konnte so den Erfordernissen der Kieferanalyse
ohne weiteres nachkommen, was auf andere Weise ganz unmöglich gewesen
wäre. Fig. 50 zeigt Lagerung und Einstellung. Die Resultate dieser Auf-
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 41
nahmen sowie der entsprechenden Aufnahme im Sitzen mit Hilfsdrehgriff
sind der homologen Aufnahme mit C.scher Einstellkappe, wie ein
Blick auf das entsprechende Bild aus C.s Schema (Fig. 49E) zeigt,
durch die Darstellung der ganzen Gegend im Zusammenhang ohne Über-
sehattungen überlegen. Die Serie von Skelettbildern und jeweils in derselben
Projektion hergestellten Röntgenbildern (Diagrammen) zeigt in fortlau-
Fig. 50.
EE 2
Lagerung zur Aufnahme entsprechend Fig.49 D bei behinderter Beweglichkeit des Halses.
fender Reihe die Wege des abbildenden Strahlenbündels von der paraverte-
bralen (.,‚beinahe postero-anterioren“) bis zur schrägen Gelenksaufnahme.
Die den störenden gegenseitigen Kieferast projektivisch verkleinernde Wir-
kung des Hilfsdrehgriffes kommt dabei deutlich zum Ausdruck.
Stereoskopische Röntgenaufnahmen der Kiefer.
Die Röntgenstereographie besteht wesentlich darin, zwei unter sonst
gleichen Umständen mit um Pupillardistanz verschobener Röhrenstellung
eingestellte Aufnahmen herzustellen. Die Betrachtung der Originalnega- .
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 4
42 _ Fritz Pordes.
tive im Wheatstoneschen Spiegelstereoskop bzw. allgemein die physio-
logisch optische Vereinigung der betreffenden Bilder ergibt analog der als
bekannt voraussetzbaren Photostereographie und Stereoskopie ein „Körper-
liches“ Bild. Die auf diese Weise sinnfällig erscheinenden Tiefenbeziehun-
gen bergen jedoch in der Röntgenstereographie eine Reihe von Fehler-
quellen, deren Besprechung der eigentlichen Behandlung der projektione-
technischen Fragen der Bildherstellung vorausgeschickt werden muß.
Die Stereographie im allgemeinen hat den Zweck, die Kenntnis der
Tiefenbeziehungen bzw. der Distanzen der einzelnen Punkte eines be-
trachteten Gebildes vom Auge des Beschauers sinnfällig zu machen, in
derselben Weise, wie wir die Tiefenbeziehungen der Gebilde der Umwelt
ohne weitere Überlegung „instinktiv“ zu erkennen imstande sind.
Diese instinktive Erkenntnis ist nichts anderes, als die ohne aktiven
Denkvorgang automatisch, i. e. subcortical sich vollziehende Verwertung
einer Reihe von Merkmalen. Wir vermögen in der Regel ohne weiteres zu
erkennen, welches von zwei räumlichen Gebilden unserem Auge näher,
welches ihm ferner liegt.
Die Merkmale, die Kriterien, nach welchen wir unbewußt die Entfer-
nung eines Gegenstandes zu beurteilen imstande sind, sind folgende:
1. Der Gesichtswinkel, die scheinbare Größe eines Körpers, dessen
wirkliche Größe uns aus Erfahrung bekannt ist, mit anderen Worten die
perspektivische Verkleinerung. Die Überschneidung des ferneren durch das
nähere Objekt. |
2. Die Deutlichkeit der kleinsten noch sichtbaren Details und deren
mit wachsender Entfernung immer weiteres Verschwinden. Hierher gehört
für unseren Fall allerdings irrelevant auch die Änderung der Farbe durch
die Luftschichten („wo dort die grünen Fluren den Blick noch blau sich
färben“).
3. Die durch Licht- und Schattenverteilung gewonnene Plastik.
4. Die durch den Muskelsinn wahrgenommene Anstrengung der zum
Fixieren eines Gegenstandes in der Nähe notwendigen Konvergenz und
Akkommodation. Diese beiden sind bei emmetropen Augen zwangsläufig
verbunden. Bei nicht emmetropen und den vielen gewohnheitsmäßig uni-
okulär Sehenden nicht verbunden.
5. Die parallaktische Verschiebung. Die dadurch beim Betrachten
der Umwelt gewonnene Tiefeneinsicht ist im allgemeinen größer, als es die
infolge der Pupillardistanz gewonnene Verschiedenheit der Bilder des
rechten und linken Auges in ihrer physiologischen Vereinigung bewirkt.
Auch der wirklich oder durch gewohnheitsmäßiges uniokuläres Sehen Ein-
Augige wird ihrer teilhaftig, wenn er sich bewegt.
Die bildende Kunst mit Ausnahme der Bildhauerei, die letztere
- ebenfalls im Relief bedient sich zur Vortäuschung der dritten Di-
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 43
mension lediglich der drei erstgenannten Kriterien, nämlich der Per-
spektive (Luftperspektive), der Deutlichkeit und der Licht- und
Schattenplastik. Wir sind gewohnt, auf einem Bilde, einer Zeich-
nung, einer Photographie aus diesen drei Kriterien uns ohne weiteres
in den Tiefenbeziehungen der dargestellten Gebilde zurecht zu finden, ohne
dazu der Akkommodations- und Konvergenzdifferenzen bzw. der parallak-
Fig. 61 A.
Fig.51 A. Schema des Spiegelstereoskopes. Fig.51.B. Schema des Linsenstereoskopee.
4%
44 Fritz Pordes.
tischen Verschiebung zu bedürfen. Betrachten wir nun ein Stereo-Paar pho-
tographischer Bilder im Linsenstereoskop (Brewstersches), so kommt
zur Erhöhung der Sinnfälligkeit der Tiefenbeziehungen der blendend schöne
Effekt der parallaktischen Verschiebung. Die Gegenstände im Vorder-
grunde des Bildes springen geradezu aus der Bildebene hervor. Die Akkom-
modation und Konvergenz sind dabei außer acht gelassen, da das Bild
ja de facto in einer Ebene liegt. Die Sinnfälligkeit des stereoskopischen
Bildes hat etwas bestechende. Über die Lagebeziehungen wäre jedoch
auch aus dem einfachen Photogramm ohne weiteres Klarheit gewinnbar.
Der Hauptvorteil besteht dabei in dem Deutlicherwerden von Details, das
unbewußt durch das stereoskopische Phänomen des gleichsam „hinter die
Dinge schauen Könnens“ hervorgerufen wird. Der Stereoeffekt ist wie die
Verwertung der obgenannten Kriterien überhaupt ein unter der Schwelle
des Bewußtseins sich abspielender physiologischer Vorgang.
Wenden wir nun diese Erkenntnisse auf die Betrachtung von Cies
röntgenogrammen an, so gelangen wir zu Folgendem:
Die aus zwei um Pupillardistanz differierenden Röhrenstellungen ge-
wonnenen Röntgennegative werden im Spiegelstereoskop betrachtet als Bilder
des rechten und linken Fokus vom rechten und linken Auge gesehen, physio-
logisch vereinigt. Man sieht, richtige Technik vorausgesetzt, ein pracht-
voll körperliches Gebilde. Bei einer postero-anterioren Aufnahme des Schädels
zum Beispiel glaubt man die Siebbeinzellen, die Augenhöhlen, die Warzen-
fortsätze „greifen zu können“. Ein etwa auf das Antrum Highmori pro-
jizierter metallischer Fremdkörper schwebt wunderschön im Raum. Legen
wir uns aber die Frage vor, ob dieser metallische Fremdkörper hinter dem
Tuber maxillare oder in der Kieferhöhle liegt, und bemühen wir uns, das
aus dem stereoskopischen Bilde zu beantworten, so beginnt ein Vorgang,
den ich mich versucht fühle als den „Kampf der Netzhäute“ zu bezeichnen.
Man bemüht sich krampfhaft, diesen physiolo-
gischen Vorgang, der der Erkenntnis der Tiefenbezie-
hungen sonst unbewußt vorangeht, durch Bewußt-
seinskontrolle in Gang zu bringen, und man fühlt,
sit venia verbo, daß die Netzhäute den Dienst ver-
sagen: „Non possumus!“ und das hat seinen Vorteil.
Denn das zentralprojektivisch und als Schattenbild der Dichtigkeits-
unterschiede gewonnene Röntgenbild weist von den gewohnten Kriterien
der Tiefenbestimmung keines oder zumindest keines in der vom Tages-
lichtbild gewohnten Beurteilungsmöglichkeit auf. Die scheinbare Größe
der Körper nimmt mit ihrer wachsenden Deutlichkeit nicht zu, sondern
ab. Auf einer postero-anterioren Schädelaufnahme ist das plattenan-
liegende (Gresichtsskelett am deutlichsten, jedoch gleichzeitig am nächsten
seiner natürlichen Größe. Je weiter weg von der Platte ein Skeletteil liegt.
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 45.
desto undeutlicher, desto größer aber auch infolge der Strahlendivergenz
wird sein Schattenbild.e Am stärksten vergrößert und gleichzeitig am
wenigsten deutlich ist die über dem Bilde als nebuloses Schattenbild
schwebende Halswirbelsäule.
Licht- und Schattenverteilung gibt es im Röntgenogramm nicht,
bzw. nicht im Sinne des Licht und Schattens der Gegenstände im Tages-
licht. Akkommiodation und Divergenz fallen a priori fort. Es bleibt als ein-
ziges Merkmal die parallaktische Verschiebung. Alle anderen Kriterien
sind, wenn nicht geradezu umgekehrt, doch in stärkster Weise dissoziiert.
Am Beispiel des Metallfremdkörperschattens über dem Schatten der Kiefer-
höhle auf der postero-anterioren Schädelaufnahme überrascht beispiels-
weise beim ersten Anblick, wie gesagt, die sinnfällige Schönheit des kör-
perlich Sehens. Der Eindruck der Körperlichkeit wird vollends zum Gefühl,
jede Knochenleiste in die ihr zukommende Tiefe lokalisieren zu können,
um so mchr, ala die Kenntnis der Lagebeziehungen der anatomisch bekann-
ten (Gebilde dies a priori unterstützt. Die anatomische Kenntnis tritt da-
bei gewissermaßen an die Stelle der Erinnerung an die erfahrungsgemäße Ge-
etalt bekannter Dinge, die den ungeübten Beschauer durch unbewußt auto-
suggestive Korrektur bei einer fehlerhaften Zeichnung ein Vergehen gegen
die Gesetze der Perspektive nicht erkennen läßt.
Der geübte Beschauer wird sich jedoch von diesen urteilshemmenden
Erinnerungsbildern zu emanzipieren und unbefangen zu „sehen“ sich be-
mühen und dabei finden, daß es aus den erörterten Gründen nicht möglich
ist, irgend eine Tiefenbestimmung mit Sicherheit vorzunehmen.
Insbesondere der dichte Schatten des metallischen Fremdkörpers ist
. in seiner aufdringlichen Helligkeit nicht in einer bestimmten Ebene unter-
zubringen. Das Kriterium der Deutlichkeit ist dabei völlig außer Geltung
gebracht. Man kann sich jede Ebene suggerieren, um so mehr, als eine „er-
fahrungsgemäße“ Größe oder Lage dabei ebenfalls nicht in Betracht
kommt. Das Phänomen der Durchsichtigkeit der Knochenschatten ist, so
sehr wir beim Lesen der Röntgenplatten daran auch gewohnt sind, für den
physiologischen Vorgang der stereoskopischen Lokalisation außerordent-
lich störend.
Diese Erörterungen sind keineswegs nur eine Polemik gegen die Me-
thodik der stereoskopischen Fremdkörperlokalisation. Es wird
hoffentlich niemanden einfallen, nach einer einzigen — auch stereo-
skopischen — Aufnahme einen Fremdkörper operativ angehen zu wollen.
Die publizierten und noch mehr die nicht publizierten Mißerfolge von
Fremdkörperoperationen nach ungenügender Lokalisation sind zu bekannt.
Es handelt sich vielmehr darum, eine an sich ganz ausgezeichnete
Methode vor Diskreditierung zu schützen, die unausbleiblich ist, wenn
man von ihr verlangt, was sie potentia nicht zu leisten imstande ist.
46 Fritz Pordes.
Das physiologisch optisch verwertete Stereoröntgeno-
gramm ist zur exakten Tiefenmessung nicht geeignet. Anders natürlich
‚verhält es sich, wenn ein Röntgenstereoplattenpaar Gegenstand photo-
grammetrischer Ausmessung wird. Die Photogrammetrie ist als exaktes
Verfahren von physiologischen Täuschungen unabhängig.
Ob und inwieweit diese mathematischen Ausmessungsmethoden
(lasselwanders stereophotogrammetrische, die eine Kontrolle der
physiologischen Resultate ermöglicht, u. v. a.) für die bei verschiedenen
Projektionen anders aussehenden, vielgestaltigen Knochengebilde anzu-
wenden sind und ob, wenn schon einmal gemessen und gerechnet werden
soll, nicht eine breitere Standlinie als sieben Zentimeter günstiger wäre,
ist hier nicht der Ort zu entscheiden.
Der unleugbar sehr große Wert der Stereoröntgenographie liegt
meines Erachtens — und ich weiß mich keineswegs isoliert — nicht in
ihrer lokalisatorischen Auswertung, sondern vielmehr in der unter sonst
gleichen Bedingungen größeren Deutlichkeit und Schönheit der Rönt-
genogramıme.
Die lokalisatorische Arbeit muß bereits auf andre Art geleistet
sein, die Lagebeziehungen müssen feststehen, bevor man in das Studium
der Stereoröntgenogramme eingeht.
Lokalisation d. h. durchaus nicht nur von Fremdkörpern, sondern
aller in Betracht kommender röntgenographierter Gebilde — Fragmente,
Knochenhöhlen, Sequester.
Ist man sich diesbezüglich über das Meritorische klar, “dann gewährt
die Betrachtung des Stereogramms reiche Belehrung über eine Summe von
Details und ich möchte sagen ein ästhetisches Vergnügen, auf das man
ungern verzichtet. Die dadurch gewährte Ergänzung der diagnostischen Er-
kenntnis erstreckt sich jedoch, wie nicht genug betont werden kann,
nicht auf prinzipielle Entscheidungen, sondern auf den im schöneren
Bilde vermehrten Detailreichtum.
So wie das gewöhnliche Photogramm, auf dem die Tiefenbeziehun-
gen fraglos klar sind, an Sinnfälligkeit und Instruktivität
vom Stereogramm übertroffen wird, ist auch das Stereoröntgenogramm
lediglich durch den erhöhten didaktischen Anschauungsawert
vor der einfachen Röntgenplatte ausgezeichnet, steht aber an Wert
für die Tiefenlokalisation einem unter 9P oder
auch nur unter 45° eingestellten Plattenpaar ganz ent-
schieden nach. |
Dieses zur Dignität der Methode vorausgeschickt, erübrigt nur die
Schilderung der technischen Ausführung.
Es sind zur Röhrenverschiebung um Pupillardistanz verschiedene
Spezialstative angegeben (Hasselwander, Albers-Schönberg
Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 47
u. a. ın.), doch sind diese nur für stereogrammetrisch auszuwertende Stereo-
gramme erforderlich, die mathematisch exakte Einhaltung der Verschie-
bung und Plattenfokusdistanz erfordern.
Zur „physiologischen Stereoskopie“ brauchbare Bilder lassen sich
\edoch ohne weiteres mit einem gut funktionierenden Stativ von der
Lambertz-Type anfertigen.
Die Platte liegt in einer Schiebekassette, die es gestattet, den Plat-
tenwechsel vorzunehmen, ohne den Patienten zu berühren. Lagerung und
Finstellung wie gewöhnlich zu der eben gewünschten Aufnahme. Fixation:
Schlitzbinde. Zu beachten ist, daß der röhrentragende Stativarm genau
parallel dem oberen Plattenrande verlaufe. Ist die Einstellung für
die gewünschte Aufnahme vollendet, dann notiert man sich die
Stellung des röhrentragenden horizontalen Stativarmes an der da-
solbet. befindlichen Zentimetereinteilung und schiebt von dieser Stel--
lung die Röhre 3°/;, em nach links (zur Vermeidung von Irr-
tümern ist es gut, obwohl meritorisch gleichgültig, immer eine Seiten-
verschiebung, beispieleweise die linke, gewohnheitsmäßig als erste vorzu-
nehmen). Nun erfolgt die erste Aufnahme. Unmittelbar nach Schluß der
Exposition wird zunächst die Röhre aus dieser Linkestellung in die Mittel-
stellung und von da 3!/2cm nach rechts verschoben, so daß die Gesamt-
verschiebung 7 cm beträgt. Es ist gut, die Verschiebung in diesem Zeit-
punkte vorzunehmen, damit bis zur zweiten Exposition die Röhre Zeit
hat, auszuschwingen' und vollkommen zur Ruhe zu kommen. Inzwischen
wird, ohne die Lage des Patienten zu verändern (!!), die Platte ausge-
wechselt und dann die zweite Aufnahme exponiert. Die Platten werden
durch mitphotographierte Bleibuchstaben als R und L signiert. Es ist bei
einiger Übung nicht sehr schwer, aus der Verschiebung oder aus einer
vom Bilendentubus abgeschnittenen Plattenecke auch ohne Signatur die
Seite zu erkennen.
Schlußwort.
Die richtige Auswahl der zur Auflösung eines Falles erforderlichen
Aufnahmen nach Einstellung und Lagerung von Objekt und Platte ist
Vorbedingung zur richtigen Diagnose. Der gut gewählte Gang der
Analyse ist die halbe Diagnose.
Es ist notwendig — von Übersichts- zu Spezialaufnahme schreitend
-- die Klammern dieses schwierigsten Problems von außen nach innen
aufzulösen.
Die Übersichtsaufnahme, sei es intra- oder extraoral, weist den
Weg zur Auswahl der notwendigen Spezialaufnahmen und enthüllt zu-
gleich so viel von den individuellen Faktoren des Falles, daß es danach
48 Fritz Pordes. Die radiographische Darstellung ete.
in der Regel schon möglich sein wird, die korrigierende individuelle Kon-
stante in der Einstellung der Spezialaufnahme zu berücksichtigen.
Den typischen Spezialaufnahmen sind solange atypische — mesial —
distalexzentrisch — axial etc. ete. Einstellungen anzuschließen, bis alle
möglichen Fragen bis zur Grenze der Methode erschöpft sind.
Eine ‚schlecht aussehende“ Aufnahme muß nicht eine schlecht ge-
machte sein, es gibt genug außergewöhnliche Fälle, bei denen es ohne
„BEingabeln‘“ wie bei der Artillerie nicht abgeht.
Niemals darf man ruhen, bevor nicht das jeweilige Ölen
erreicht ist. Die volle Kenntnis der Methode besteht in der Erkenntnis
ihrer Grenze — zu wissen, daß das erreichte für den Fall das er-
reichbare Optimum darstellt.
Ich bin mir bewußt, die Angaben der Einstellungen nicht völlig de-
terıniniert, die zur Einführung in mechanisierte Betriebe in Zentimetern
und Winkelgraden wünschenswerten Angaben nicht gemacht zu haben.
Der ganze menschliche Körper gestattet und verlangt auch mit wenigen
Ausnahmen für die Einstellung optimaler Projektionen derartige ziemlich
absolut determinierte Angaben. Lediglich das Skelett des Kiefers weist
derartig reichliche und vielgestaltige individuelle Variationen auf, die
Einstellung von optimalen Aufnahmen hängt hier so sehr von der indi-
viduellen Konfiguration ab und die zur Erreichung des individuellen Opti-
mum notwendigen Positionen vori Kopf und Platte sind wiederum indivi-
duell so verschieden gut erreichbar, daß allgemein gültige Determinationen
nur Mittelwerte geben können.
Der Vorteil des freihändigen Arbeitens jedoch besteht in der Erken-
nung des individuellen Optimum und in der Produktion von diesem Opti-
mum individuell möglichst nahekommenden Röntgenbildern zum Zwecke
der Erschöpfung aller Möglichkeiten der Methode.
Alle angegebenen Mittelwerte bedürfen zur Erreichung dieses Zweckes
einer individuellen Korrektur. Sie sind zum Mechanisieren im großen Be-
trieb unentbehrlich. Allein die Röntgenologie der Kiefer liefert dabei nicht
das Optimum. Von der Auswahl der indizierten Aufnahmen an erfordert
jede Phase: Einstellung am Kopf des Patienten, Hilfedrehgriff, Fixation,
Technik der Aufnahme selbst und Diagnose, strengstes Individualisieren.
Dazu lassen sich didaktisch zwar die erfahrungsgemäß gewinnbaren
Richtlinien, nicht aber allgemein gültige determinierte Anweisungen for-
mulieren. .
Derartige Richtlinien für die oben genannten Phasen mit Ausnahme
der zwei letzteren habe ich versucht zu geben.
Winke für die Praxis. 49
Winke für die Praxis.
l. Anschmiegen verbogener oberer Kautschuk-
platten.
‘Die Platte wird auf das Modell gesetzt und mit Stents ein Abdruck
genommen. Sollte sich an der Stelle, wo die Platte nicht anliegt, Abdruck-
masse hineingeschoben haben, so schabt man diese weg.
Jetzt wird das Modell ohne Platte auf dem Rechaud oder Dreifuß
erwärmt, dann die aus dem Abdruck genommene Platte so weit erwärmt,
bis sie weich wird. Inzwischen liegt der Abdruck in einer Tasse mit
kaltem Wasser. Wenn die Platte durch Erhitzen genügend weich ist, läßt
sie sich ans warme Modell sehr schön anschmiegen.
Nun nimmt man den Abdruck aus der Tasse, schleudert das über-
schüssige Wasser weg, fügt die Platte mitsamt dem Modell in den Ab-
druck ein, stellt das Ganze (Abdruck nach oben) in die Kuvettenpresse.
Dort bleibt das Ganze bis zum Abkühlen.
Ein Springen der Zähne ist nicht zu befürchten, da diese nicht stark
erwärmt werden und überdies während des Anschmiegens etwas abkühlen.
2. Unterfütterung unterer Platten.
Bei nichtpassenden unteren Stücken verfährt man anders.
Ist es ein altes Stück, wo infolge Kieferschwundes die oberen und
unteren Zahnreihen nicht mehr schließen, rauht man die Kieferseite des
Stückes auf, belegt sie mit zwei, drei vorher zusammengeschmolzenen,
entsprechend zugeschnittenen Wachsplatten, schmilzt diese an das Stück
an, steckt das Ganze ins heiße Wasser, damit das Wachs gleichmäßig
weich wird, gibt es dann dem Patienten in den Mund und läßt ihn dann
beißen.
Handelt es sich um ein neues Stück, wo die Artikulation zu hoch ist
und man die Molaren verschleifen müßte, um eine richtige Artikulation
herzustellen, so sägt man vom unteren Saume des Stückes 1—2 mm breit
weg und belegt es wie bei dem vorigen mit Wachs.
Zum Schlusse kommt es in die Kuvette. |
Dr. Heinrich Reschofsky.
Um älteren Kindern das gesundheitsschädliche Nägel-
beißen abzugewöhnen, bewährt sich die Erhöhung des Bisses durch
Aufbißkappen auf das beste. Mir ist es gelungen, ein 12jähriges Mädchen
durch Aufzementieren zweier Aufbißkappen beiderseits von 6-313—-6
nach einer Tragdauer von 6 Wochen von dieser üblen Gewohnheit dauernd
zu befreien. Dr. Paul Berger.
50 Referate und Bücherbesprechungen.
Referate und Bücherbesprechungen.
Resectio apicis. Von Wilhelm Struck, Parchim. D. M. f. Z., H. 2,
Februar 1918.
Eine zusammenfassende Darstellung eines auch gut bekannten Ge-
bietes, besonders auf Grund eigener Erfahrungen, die eine kritische Sich-
tung der vorhandenen Methoden erlauben, ist gewiß verdienstvoll. Nur
muß eine solche Arbeit ganz besonders gewissenhaft und keinesfalls sche-
matisch durchgeführt werden, weil sonst der Verdacht gar zu nahe liegt,
sie sei nur geschrieben, weil der Autor für seine Publikationslust kein
anderes Feld fand. Und dies scheint — besonders im Zusammenhalt mit
früheren Arbeiten Strucks — hier der Fall zu sein. Ganz abgesehen von
der Schematisierung des Themas und gänzlich überflüssigen Ausführlich-
keiten, enthält die vorliegende Arbeit aber auch Stellen, die geeignet
scheinen, die Methodik der Wurzelspitzenresektion direkt zu verschlechtern.
Struck reinigt die Kanäle nur mit sterilem Wasser und absolutem
Alkohol. Besteht denn der Kanalinhalt eines gangränösen Zahnes wirklich
nur aus wasserlöslichen und fettigen Substanzen? Außerdem wissen wir,
daß die bakterizide Kraft gerade des absoluten Alkohols keine hervor-
ragende, jedenfalls eine kleinere ist als die des verdünnten und daß ihm
vor allem jede Tiefenwirkung fehlt. — Nach dieser „Sterilisation“ des
Kanals und Einlage eines Jothionalkoholfadens verschließt Struck die
Trepanationsöffnung mit Watte (sic!). Nach 24 Stunden füllt er mit Ze-
ment, nachdem der Kanal durch Einführung von reinem Jothion „läufig“
gemacht wurde. Was dieses ölige Jothion zwischen Zement und Kanal-
wand weiterhin macht, ist natürlich nicht zu beurteilen. Höchst eigentüm-
lich ist es, daß die Operation nicht an die Wurzelfüllung angeschlossen
wird (es würde dadurch Zeit für andere Patienten geraubt!). Wir wissen
doch zur Genüge, wie oft bei einem apikalen Prozeß der Verschluß des
Kanals fast sofort heftigste Reaktion auslöst. — Nach der Wurzel-
füllung wird röntgenisiert. Und vorher? Allerdings benötigt Struck
zur Durchführung der Operation zwei Assistenten. Leider wird uns
nicht gesagt, was denn nun drei Operateure in dem kleinen Operations-
gebiet machen. Daß der Hammer bei der Aufmeißelung des Herdes von
dem Assistenten geführt werden muß, ist nicht recht einzusehen. Der
Operateur hat ja schließlich doch zwei Hände. Dies die wichtigsten Ein-
wände. Daß Struck, wie er sagt, nicht einmal einen Mißerfolg,
resp. eine Rezidive gesehen hat, würde erst dann für seine Methodik sprechen,
wenn wir wüßten, ob er seine operierten Patienten nach einer gewissen Zeit
auch alle wieder gesehen hat. Ich möchte mir zum Schlusse nur noch eine
Bemerkung erlauben: Ginge es nicht an, daß die Schriftleitung einer sonst
so durchaus ernst-wissenschaftlichen Zeitung, wie es die „Deutsche Monats-
schrift“ ist, derartige journalistische Spaziergänge in die Wissenschaft zur
Publikation als ungeeignet erklärt? In der fleißigsten, gewissenhaftesten
Arbeit sind Irrtümer möglich, aber in einer wissenschaftlichen Arbeit soll
vor allem der wissenschaftliche Ernst deutlich kennbar sein. Und den
gerade vermisse ich bei Struck. Sicher.
Referate und Bücherbesprechungen. 51
Über wichtige und strittige Punkte der modernen Kieferbzuchbehandlung.
Von Prof. Dr.H.Schröder, Berlin. D.M.f.Z., H.10, Oktober 1917.
Auf Grund reicher Erfahrung wird eine ganze Reihe von besonders
wichtigen Fragen in der Therapie der Kieferbruchbehandlung kritisch be-
leuchtet. Als oberstes Prinzip gilt auch Schröder der Grundsatz, nicht
einseitig an irgendeiner Methode festzuhalten, sondern aus der Fülle guter
Methoden für jeden Fall die beste zu wählen. Von: wichtigen. Behandlungs-
arten führt Schröder genauer zunächst die Anwendung des Ang le-
schen Zugbalkens an, der durch symmetrische oder asymmetrische Ein-
stellung an dem dislozierten Fragment oder durch Verbindung mit ver-
schieden gerichteten Fortsätzen eine Beeinflussung des Fragmentes in fast
jeder Richtung hin erlaubt. Bei doppelseitigen Defektfrakturen wird mit
großem Erfolg zwischen ÖOberkiefer und mittlerem Fragment des Unter-
kiefers eine extraorale Gelenksverbindung hergestellt, die gleichzeitig Fixa-
tion und natürliche Beweglichkeit der Fragmente gewährleistet. — Was den
Wert der Pelottenfixation zahnloser Bruchstücke betrifft, so schätzt ihn
Schröder auch als Fixation bei Osteoplastiken recht hoch ein. — Be-
herzigenswert sind die Ausführungen Schröders über die Nagelexten-
sion, besonders wenn man endlich die Richtigkeit des Satzes allgemein
anerkennt, daß jeder im Knochen implantierte Fremdkörper, wenn er auf
Zug oder Druck beansprucht wird, durch Resorption in seiner Umgebung
sich unbedingt lockern muß. Um deshalb besonders bei folgender Osteo-
plastik die Einheilung des Transplantates nicht zu gefährden, muß vor
allem der Extensionsnagel weit genug von der Transplantationszone an-
gebracht sein, er muß möglichst sicher fixiert sein und muß vor allem
vor Überlastung geschützt werden. Auch hierbei erweist sich die extraorale
Gelenksverbindung oft von großem Nutzen. Daß die Fixierung von Frag-
menten durch im Knochen verschraubte Stahlschienen erfolglos bleiben
mußte, ist selbstverständlich. Wenn fremdes Material zur Überbrückung
: von Defekten verwendet werden soll, so können Metalle gewiß nicht in
Frage kommen. Die Tierversuche Schröders haben in der Umgebung
von implantierten Schwermetallen stets Resorptionserscheinungen gezeigt,
während Leichtmetalle, vor allem Magnesium rasch resorbiert werden. An
Elfenbeinimplantaten zeigt dagegen der Tierversuch eine gleichen Schritt
haltende Neubildung von Knochen an der Stelle des resorbierten Elfen-
beins. Bei der Implantation von zugespitzten Elfenbeinspänen in Defekte
des Kiefers kam die Knochenneubildung der Resorption des Elfenbeins
nicht nach — vielleicht auch wegen der vorangegangenen Schädigung des
Knochens — und das Implantat verfiel der Lockerung. Daher empfiehlt
auch Schröder nur mehr die Autotransplantation. wobei die Knochen
sich möglichst breitflächig berühren sollen. Überschuß von Periost ist zur
besseren Vereinigung der Knochenenden recht gut, Einhüllung des Trans-
plantates in Periostlappen aber der Einheilung direkt schädlich, was übri-
gens besonders nach den Experimenten Macewens vorauszusehen ge-
wesen wäre. Besonders für den Chirurgen berücksichtigenswert ist endlich
die Angabe Schröders, man solle Operationsprothesen als Unterlagen
für Plastiken nicht deshalb zu klein halten, weil die Ausführung der
Plastik selbst dadurch schwieriger würde. Der funktionelle und kosıne-
tische Erfolg einer formgerechten Prothese wiegt die Schwierigkeiten, die
die Mobilisierung eines größeren Hautlappens verursacht, reichlich auf.
52 : Vereins- und Versammlungsberichte.
Gerade wegen des großen Wertes der eben besprochenen Arbeit kann
die Bemerkung nicht unterdrückt werden, daß sinnstörende Druck- oder
Schreibfehler, wie z. B. die Vertauschung von rechts und links bei der Be-
schreibung desselben Falles, oder regenerativ statt degenerativ, sich dabei
wohl hätten vermeiden lassen. Sicher.
Some new forms of orthodontic mechanism and the reasons for their
introduction. (Einige neue Formen orthodontischer Apparate und die
Gründe für ihre Einführung.) Von Edward H. A n g le, MD. D. D. S. Sc. A.
The Dental Cosmos, Vol. LVIII, Nr.9, September 1916.
. Angle gibt in einem vor der Schülervereinigung der Angle-
schen Schule für Orthodontie gehaltenen Vortrag eine Modifikation des
Stift- und Röhrenapparates an, dessen Handhabung sich für viele als zu
schwierig erwiesen hat. Er streift zuerst allgemeine orthodontische Fra-
gen, richtet sich gegen die Praxis, einen oder mehrere aus der Reihe ste-
hende Zähne zu extrahieren und führt die Folgen eines derartigen Verfah-
rens an. Ferner warnt er vor zu spät einsetzender orthodontischer Behand-
lung, was das Resultat bedeutend beeinflussen kann. Nachdem er weiter
über die Bewegung der Zähne, über die anzuwendenden Kräfte, über
ihre Größe ‘und Richtung gesprochen, gibt er die Forderungen an, die wir
an einen brauchbaren Regulierungsapparat stellen müssen. Die Modifi-
kation seines Stift- und Röhrenapparates besteht im wesentlichen in der
Verwendung eines elastischen flachen, ungeteilten Expansivbogens mit
parallelen Seiten und abgerundeten Rändern, die Verschlußschraubenmutter
der Anker-Klammerbänder sind nicht gerade, sondern gekrümmt, wodurch
ein besseres Anlegen des distalen Teiles der Scheiden bedingt ist, die ze-.
mentierten Metallbänder sind im Zentrum ihrer Labialfläche mit einem
oben offenen Röhrchen versehen, das zum Aufhängen des Expansions-
bogens dient.
Am Schlusse bespricht der Verfasser noch die Anwendungsart und
demonstriert denselben an einem Falle von Infraokklusion und einem von
Supraokklusion. Zilz.
Vereins- und Versammlungsberichte.
Verein Wiener Zahnärzte.
Sitsung vom 21. Februar 1918.
Vorsitzender: Prof. Dr. Fleischmann.
Schriftführer: Dr.Bermann.
Der Vorsitzende Prof. Fleischmann begrüßt die Anwesenden,
begründet den Ausfall der Sitzungen und bittet die Mitglieder, die Führung
des ständigen Programmpunktes „Aus der Praxis“ durch Demonstrationen
oder Vorträge zu unterstützen. Er gedenkt in warmen Worten des plötz-
lich aus dem Leben geschiedenen Dr.Schild (die Anwesenden erheben
sich von ihren Sitzen). Ferner erbittet er sich vom Plenum die Vollmacht,
den Verein als Mitglied des in Bildung begriffenen Vereines „Wissenschaft-
liche Vereinigung der Zahnärzte der vier Zentralmächte“ anzumelden.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 53
Dr.Friedmann berichtet über den Statutenentwurf dieses neuen
Verbandes und will in der nächsten Sitzung ausführlich darüber referieren.
Vorsitzender bittet das Plenum, den vom Ausschuß kooptierten
Dr.Berger als zweiten Schriftführer zur Entlastung des kriegsverletzten
Dr.Bermann zu bestätigen. (Geschieht.)
Vizepräsident Dr.Steinschneider übernimmt den Vorsitz und
erteilt Prof. Fleischmann das Wort.
Prof. Dr. Fleischmann berichtet über mehrere Fälle von Spon-
tanfrakturen nach Osteomyelitis.
1. Bei einem Pat., der im Felde mit einer heftigen Schwellung des
linken Unterkiefers erkrankte, trat nach vierwöchentlichem Aufenthalte
im Spitale Spontanfraktur des rechten Unterkiefers ein. In der ihm zu-
gänglichen Literatur konnte er einen analogen Fall finden. Vielleicht spiele
die beginnende Tabes eine Rolle bei diesem Pat. mit.
2. Infanterist N. erkrankte an einer Schwellung der rechten Wange,
Diagnose: Osteomyelitis des aufsteigenden Kieferastes mit vollständiger
Auslösung des Knochens und Fraktur ohne traumatische Einwirkung.
Dr.Pordes bespricht das atypische Röntgenbild dieses Falles, an
dem sich keine Entzündung und keine Randsklerose nachweisen läßt.
3. Infanterist N. wurde vor drei Jahren durch Steinschlag in einen 30 m
ticfen Abgrund geschleudert. Es kann an dem Pat. heute keine andere Er-
krankung oder Anomalie nachgewiesen werden, als ein offener Biß. Nach der
von Dr.Pordes gemachten Röntgenaufnahme läßt sich eine veraltete
Fraktur des oberen Kiefers konstatieren, mit Senkung im rückwärtigen
Anteile. In der Diskussion an diesem Befund beteiligten sich Dr. Spitzer,
Dr.Pordes und der Vortragende.
Doz. Dr.Spitzer erwähnt einen analogen Fall von Osteomyelitis
des Unterkiefers. Eine Frau, die sich eine Brücke anfertigen ließ, erkrankte
rıach Befestigung der Brücke unter großen Schmerzen. Als Pat. die Klinik
aufsuchte — die Brücke war bereits entfernt — waren alle Zeichen einer
floriden Osteomyelitis vorhanden. Es wurde breit ineisiert. Aus der Wunde
entleerten sich viele Knochensplitter. Nach zwei Tagen war eine Fraktur
des Kiefers zu konstatieren. Redner will Pat. in einer der nächsten Sitzun-
gen vorstellen.
Dr.Friedmann stellt einen Fall von Brückenersatz mit Ober-
kiefer eines Pat. vor. Es handelt sich um Totalersatz. Er betont, daß er,
wenn sich die Pfeiler ohne zu große Schädigung nicht herstellen lassen,
es vorzieht, ungeteilt den Ersatz anzubringen. Es entwickelt sich eine leb-
hafte Diskussion über den Wert und Zweck abschraubbarer Brücken, an
der sich fast alle Anwesende beteiligen. Hierauf schließt der Vorsitzende
die Sitzung.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Was nun?
Das alte Österreich ist zerfallen und hat sich in eine Reihe von
Einzelstaaten aufgelöst. Damit stehen die Organisationen, deren Wirken
den ehemaligen Gesamtstaat umfaßte, vor der Aufgabe, sich den neuen
34 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Verhältnissen anzupassen. Auch der Zentralverband der österreichischen
Stomatologen wird an dieser Aufgabe nicht vorübergehen können.
Hervorgegangen aus dem vor etwa 20 Jahren gegründeten „Exekutiv-
komitee“, das sich als Ziel gesetzt hatte, den immer anspruchsvolleren
Übergriffen der Zahntechniker auf ärztliches Gebiet entgegenzutreten, das
Assistentenwesen — oder besser gesagt Unwesen — zu regeln und viele
andere Standes- und wirtschaftliche Fragen der gesamten Zahnärzteschaft
in sein Programm aufzunehmen, hat der Zentralverband in diesen Be-
langen allerdings Anerkennenswertes geleistet und die sich gestellten Auf-
gaben, soweit es gegen die Unvernunft der Behörden und gegen sonstige
Hemmnisse des alten Staates möglich war, erlüllt. Aber er war schon
lange reformbedürftig. Es war kein glücklicher Gedanke, den Zentral-
verband auf die Grundlage zu stellen, daß sowohl Zahnärzte einzeln
Mitglieder werden konnten als auch zahnärztliche Vereine als solche, die
dann Delegierte in den Ausschuß zu entsenden hatten. So konnte —
gewiß ein Unikum — es geschehen, daß alle Mitglieder eines Vereines
für eich Mitglieder des Zentralverbandes sein konnten, während ihr Verein
nicht Mitglied wurde. Tatsache ist, daß bei weitem nicht alle Zahnärzte
und nicht alle zahnärztlichen Vereine des ehemaligen Österreich, selbst
nicht alle des heutigen Deutschösterreich seine Mitglieder sind. Daß er
unter solchen Umständen die außerhalb der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage
gelegenen Interessen der Zahnärzteschaft nicht mit dem nötigen Nach-
druck zu vertreten vermochte, ist einleuchtend. -In dieser Frage war ein
Zusammengehen der Zahnärzte und zahnärztlichen Vereine zur Not zu
erzielen, eine Einigung in anderen wirtschaftlichen Fragen auf die Be-
lastungsprobe zu stellen, wäre unter solchen Umständen aussichtsios
gewesen.
Und doch soll ein „Zentralverband“ das ausführende Organ aller
zahnärztlichen Vereine bilden, soll alle Organisationen umfassen,
gleichsam über den Vereinen stehen, die dann, von wirtschaftlichen und
Standesfragen entlastet, sich nur der Pflege der wissenschaftlichen Be-
dürfnisse der Zahnärzte widmen könnten.
Das alles kann und soll nicht verschwiegen werden: Denn nur wenn
wir uns der Fehler seiner Organisation bewußt werden, können wir
an eine Reorganisation schreiten.
Wohl hat es schon vor dem Kriege an Bemühungen nicht gefehlt,
die Organisation der Zahnärzte des alten Österreich weiter zu fassen und
insbesondere die nichtdeutschen Vereine für die gemeinsame Sache zu
gewinnen. Nach dem bemerkenswerten Kongreß in Prag im Jahre 1913
war man nahe daran, die tschechischen, polnischen und italienischen Vereine
mit allen deutschen zu einem großen Verband zusammenzuführen. Da
hrach der Krieg aus, da kam das Ende des Krieges und damit die Frage
— was nun?
Der Zentralverband sieht sich nun auf Deutschösterreich beschränkt.
Und welches das Schicksal dieses Staates immer sein mag, an ein Fort-
spinnen der in Prag geknüpften Fäden ist selbst für den unwahrschein-
lichen Fall nicht zu denken, daß es zu der sogenannten Donauföderation
käme. Viel wahrscheinlicher, weil natürlicher, ist unser Anschluß an
Deutschland. Damit ist der Reorganisation ein neuer Weg gewiesen. Die
7,ahnärzte-Zahntechnikerfrage, die gerade im Hinblick auf die wahrschein-
Kleine Mitteilungen. 55
liche Vereinigung mit Deutschland bereinigt werden muß, wird wieder
akut. Wir haben ganz andere Bedingungen, zur zahnärztlichen Praxis
zu gelangen, als in Deutschland und wir haben keine Kurier- und Gewerbe-
freiheit, die dort besteht. Es sind jetzt und werden nach Friedensschluß
noch mehr wirtschaftliche Fragen zu lösen sein. Und da tut eine
festgefügte Organisation not. Diese durchzuführen, alle Zahnärzte
Deutschösterreichs zu einen, es verhindern, daß die Vereine eigene Wege
gehen, daß sich neue gründen, die abseits stehen, muß unsere Sorge sein.
Nie war ein Zusammenschluß notwendiger als jetzt, und hoffentlich ge-
lingt er in dem kleinen Deutschösterreich leichter als in dem vielsprachi-
gen, national und gesellschaftlich zerrissenen alten Österreich. Aber Eile
tut not, sonst gehen die Ereignisse über uns hinweg und während wir
beraten oder richtiger, noch nicht beraten, stehen wir vor vollendeten
Tatsachen und der Zentralverband ist eine Erinnerung gewesen. Caveant
consules! E. P.
Kleine Mitteilungen.
(Zahnpflege in den Schulen, Errichtung von Sehulsahnkliniken.!) In
der Zeit vor dem Kriege hat erfreulicherweise die Erkenntnis von der
Wichtigkeit der Zahnpflege in den Schulen an Ausbreitung gewonnen, was
besonders in der Bildung von Vereinigungen, die eich die Förderung der
Errichtung von Schulzahnkliniken zur Aufgabe machten, Ausdruck ge-
funden hat. Namentlich hat außer mehreren lokalen Vereinen die Öster-
reichische Gesellschaft für Zahnpflege in den Schulen sehr verdienstvoll
gewirkt. Leider hat der Krieg die Fortsetzung dieser Bestrebungen unter-
brochen. Nunmehr soll von neuem darangegangen werden, Schulzahn-
kliniken, und zwar in möglichst ausreichender Anzahl zu errichten, da
das Bedürfnis nach diesen Einrichtungen gerade jetzt infolge des durch die
Kriegs- und Ernährungsverhältnisse äußerst ungünstig gewordenen Ge-
sundheitszustandes der Schuljugend ein sehr dringendes ist. Der gegen-
wärtige Zeitpunkt ist für die Einleitung einer solchen Aktion deshalb be-
sonders günstig, weil einerseits zahlreiche Zahnärzte wieder in ihr bürger-
liches Verhältnis zurückgekehrt sind und verhältnismäßig viele junge
Ärzte während der abgelaufenen Kriegsjahre in der Zahnheilkunde aus-
gebildet wurden und anderseits zahnärztliche Einrichtungen und Instru-
mente durch die Demobilisierung für die Friedensverwendung verfügbar
geworden sind. Die Landesregierung wird daher eingeladen, ungesäumt
mit den für die Errichtung von Schulzahnkliniken, beziehungsweise für
deren Förderung in Betracht kommenden Faktoren (Schul- und Gemeinde-
behörden, Krankenkassen, Ve&reinen, namentlich auch mit der Österreichi-
schen Gesellschaft für Zahnpflege in den Schulen in Wien, VII., Neubau-
gasse Nr. 72) das Einvernehmen wegen ehester Errichtung von Schulzahn-
kliniken zu pflegen. Wegen Bereitstellung von zahnärztlichen Einrichtun-
gen für den gedachten Zweck wird hierseits das Geeignete veranlaßt wer-
den. — Zusatz an Wien: Hinsichtlich der Stadt Wien wäre auf die
Errichtung von mindestens zehn geeignet gelegenen Schulzahnkliniken hin-
1) Erlaß des Staatsamtes für Volksgesundheit vom 13. Dezember 1918, Z. 2115,
an alle Landesregierungen. der aus.ugsweise im Heft 1 erschienen ist.
56 Kleine Mitteilungen. — Personalien.
zuwirken. Auch wäre anzustreben, daß die vor dem Kriege geplanten
Schulzahnkliniken in Liesing, Mödling, Wr.-Neustadt ehestens in Betrieb
gesetzt werden, daß die schon eingerichtete Schulzahnklinik im Wiener
Gemeindebezirke Ottakring sofort eröffnet und daß, falls dies nicht schon
geschehen sein sollte, die während des Krieges geschlossene Schulzahn-
klinik in Baden wieder eröffnet wird. — An alle: Die Landesregierung
wolle sonach ungesäumt die geeignet erscheinenden Veranlassungen treffen,
beziehungsweise möglichst umgehend berichten, welche Einrichtungen und
Instrumente benötigt werden. Allfällige Gesuche um einmalige staatliche
Beiträge zu den Errichtungskosten sind entsprechend instruiert mit einem
ziffernmäßigen Antrage über die Höhe der zu gewährenden Subvention
hieher vorzulegen.
(Das Zahntechnikergewerbe in der tschechoslowakischen Republik.)
Eine Neuregelung des Zahntechnikergewerbes bezweckt ein der tschecho-
slowakischen Nationalversammlung vorgelegter Antrag des Abgeordneten
Slavitek: das Zahntechnikergewerbe soll ein konzessioniertes Ge-
werbe sein. Das Gewerbe soll auf technisch-mechanischen Arbeiten — Er-
zeugung von künstlichen /ähnen und Gebissen und Reparaturen dieser
künstlichen Ersatzteile — beruhen. Weiters soll der Zahntechniker befugt
sein, falls er gewissen Vorbedingungen entspricht: Zahnstein zu entfernen.
Zähne zu reinigen, Zähne und Wurzeln zu schleifen; Gebißabdrücke für
künstliche Platten, Zähne, Gebisse, Kronen und Brücken abzunehmen.
künstliche Zähne, Gebisse, Kronen und Brücken zu befestigen und einzu-
setzen; Zähne zu plombieren; Zähne zu ziehen, Zahn- und Wurzelreste
zu entfernen, soweit dies zur Durchführung eines Zahnersatzes notwendig
ist. Der Gesetzentwurf sieht auch vor, daß für die Fachausbildung der
Zahntechniker jedes Jahr in Prag ein Kurs abgehalten werde. Nach Ab-
solvierung des Kurses werden praktische Prüfungen aus den vorgetragenen
Gegenständen abgelegt werden. Die Prüfung kann wiederholt werden; wer
aber bei der zweiten Prüfung nicht besteht, erhält keine zahntechnische
Konzession.
Personalien.
(Todesfall.) Am 14. Februar 1919 ist Dr. Ludwig Skorscheban
nach langem, schwerem Leiden gestorben. Er war der Gründer und Obmann
der wirtschaftlichen Organisation der Ärzte Wiens, für die er jahrelang
eine aufreibende, erfolgreiche Tätigkeit entwickelte. Ihm allein ist es zu
danken, wenn als Frucht seiner nimmermüden Arbeit nunmehr eine fast
lückenlose Organisation der Ärzte dasteht, die gerade jetzt so dringend
notwendig ist. Jeder Arzt wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
— bh —
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, HI., Münrgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ fir, die wissenschaflichen Zahnärzte Österreichs...
“ Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
-des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte,
XVII. Jahrgang. März 1919. | 3. Heft.
Nachdruck verboten.
Otiginal Arbeiten, Be TE
Aus der I.anatomischen Lehrkanzel der Wiener Universität
(Vorstand: Prof. Julius Tandler). 5o “in.
Die enganon am Nervus EE
` Von Harry Sicher. CT eds
(Mit 1 Tafel.) |
Bekanntlich wird die Schleimhaut des :Alveolarfortsatzes des Helen
kiefers nur zu einem geringen Teile von Ästen des Nervus alveolaris. in-
ferior versorgt. Die gesamte Mukosa an der: Innenseite ist dem Vertei-
lungsgebiet des Nervus lingualis zugehörig, während an der Außenseite
neben dem N. alveolaris der N. buceinatorius jenen: Anteil der Schleim-
haut versorgt, der neben der distalen Hälfte des II. Prämolaren, dem
I: Molaren und der mesialen Hälfte des II. Mahlzahnes gelegen ist. Dieser
Bezirk ist in seiner Größe variabel. Durch die : Untersuchungen von
Scharlau wissen wir, daß er sich in seiner größten Ausdehnung vom
Eckzahn bis zum Weisheitszahn ausbreiten oder aber auf das Gebiet
der distalen Hälfte des zweiten Prämolaren und der mesialen Hälfte
des ersten Molaren beschränkt‘ sein kann. Unf'also im Unterkiefer schmerz-
los ‘operieren zu können, ist ‘neben'der Aussehaltung des N. alveolaris in-
ferior auch die des N. lingualis und des N. buccinatorius notwendig. Wäh-
rend der'’Zungennerv bei der mandibtlaren Leitungsanästhesie leicht mit
‘erreicht werden kann, sind wir gezwungen,“ den ‘N, buccinatorius geson-
dert aufzusuchen. In den meisten Fällen‘igenügt hiezu ja eine submuköse
Iniektion am Alvedlarfortsatz neben‘ idem zù extrahierenden Zahn::: Hàn-
delt es sith aber entweder um einen operätiven Eingriff in der ‘Ausdehnung
mehrerer Zähne oder machen Entzündungserscheinungen eine‘ lokale Ein-
-spritzung unmöglich, dann ‚wird auch hier eine ERDE des
“ Nerven nötig werden:
| In. der Literatur konnte ich: über diesen Genai nur” die Bener-
“kungen - 'Willigers finden; die auch vòn Fischer ‘und Bünte:-und
-Mo rât zitiert werden.‘ Willig-er:sägt darüber folgendes: „Nun. findet
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. H
58 a e p any Bicher.
Paa
Porre
“man aber i gelungener :Mandibularanästhesie fast a in der
Wangenschleimkgut. etwa. 3—4 om ‘oberhalb der Übergangefalte nach vorn
„pon der Mündung des Ductus Stenonianus eine in ihrer Größe nicht genau
:bestimmbare anästhetische Zune. Sie wird vermutlich von einem mit dem
Nervus buccalis anastomosierenden Ast des Nervus mandibularis versorgt.
„Wenn man nun von dieser Stelle aus nach unten zu unter die Wangen-
schleimhaut ein anästhesierendes Medikament injiziert, so wird auch die
Leitungsfähigkeit des Nervus buccalis aufgehoben und damit eine absolute
Unempfindlichkeit des Unterkiefers und seiner weichen Bedeckungen
erzielt.‘
Die anatomische Betrachtung lehrt nun ohne weiteres, daß bei dieser
Methode nur einzelne | vordere Äste des N. buceinatorius ausgeschaltet
werden können, daß aber der Stamm des Nerven weitab von. der Injek-
tionsstelle liegt. Da nun aber gerade die weiter zentral vom Stamm
abgehenden Äste in ihrem Verlauf gegen die Schleimhaut des Alveolar-
fortsatzes des Unterkiefers verfolgt werden können, ist es, glaube ich, nötig,
-:nach einer Methode zu suchen, die eine totale Ausschaltung des Nerven
erlaubt. Eine solche höchst einfache Methode ergibt sich nun auch tat-
-:sächlich unmittelbar aus dem anatomischen Verhalten des Nerven.
Der Nervus buceinatorius verläßt den dritten Trigeminusast am Fo-
ramen ovale in enger Verbindung mit den motorischen Ästen für den Mus-
- oulus"ieraporalis, dalfer’der’alte Name N: crotaphiticobuccinatorius —
-Schläfenwangennerv — für den gemeinsamen Stamm. Er wendet sich nun
absteigend gleichzeitig nach vorne und außen, wobei er zum Musculus
pterygeideus externus ein variables Verhalten zeigt, indem er entweder
' -anulen oder innen von diesem’ ‚Müskel gelegen’ sein’ kann, ihn auch oft' per-
foriert. Immer aber gelangt er, an der medialen Seite des Kieferastes ab-
wärisziehend, an die Innenfläche der Sehne des Musculus temporalis, dort,
.wo sich diese an den Processus coronoideus anheftet. Dessen vorderen
: Rand überkreuzt der Nerv fast. genau in der Höhe, in welcher sich bei
‚ geöffneten Munde die Kauflächen der Zähne des ÖOberkiefers befinden.
Knapp nach dieser Kreuzung teilt sich der Nerv und seine Äste erst durch-
brechen den ‚Musculus buccinatorius, der ihn bisher von der Mundhöhle
‚trennte, um in der Wangenschleimhaut und in dem früher beschriebenen
' Bezirke am Alveolarfertsatz zu enden. Seine Ausbreitung reicht dabei bis
«zum Mondwäünkel.
‚Gerade die : verher erwähnte Kreuzungsstelle des Nerven mit dem
vorderen Rand des Processus coronoideus ist der Ort der Anästhesie.
: Stechen wir nämlich in der Ebene der oberen Kauflächen knapp vor dem
' yorderen ‘Rande des Processus corenoideus in die Wangenweichteile ein.
'.9 :haben wir. mit: der Nadel nur Mukosa, die submuköse Drüsenschiehte
Die Leitungseanästhesie am Nervus buccinatorius. 59
und die dünne Platte des Musculus buceinatorius zu durchsetzen, um in die
unmittelbare Nähe des Nerven zu gelangen. Da die Dicke der darübergela-
gerten Schichten eine variable ist, so tut man gut, während des Einstiches
oder auch beim Zurückziehen der Nadel eine Strecke etwa in der Tiefen-
ausdehnung von fünf Millimetern zu infiltrieren, so daß die Anästhesie in
einer Tiefe von 5—10 mm zur Wirkung gelangt.
Die beschriebene Stelle entspricht fast vollkommen derjenigen, die
zur intraoralen Resektion des Nerven von Panas, später von Nelaton
vorgeschlagen wurde, eine Methode, die durch Holl 1881 eine sichere
anatomische Grundlage erhielt. Ho1ll sucht den Nerven am Grunde einer
Turche, die sich bei geöffnetem Munde im hinteren Ende des Vestibulum
oris findet. Sie wird lateral von der Wange begrenzt, medial durch eine
Falte, die vom hinteren Ende des oberen Alveolarfortsatzes gegen den:
letzteren unteren Mahlzahn absteigt. Die Falte enthält die Rhaphe pterygo-
mandibularis, die vom Hamulus pterygoideus zum oberen Ende der Linea
mylohyoidea abwärts zieht und an ihrem hinteren Rande vom Musculus
buccopharyngeus, an ihrem vorderen von Fasern des Musculus buccina-
torius zum Ursprung benützt wird. Die Furche selbst nannte Holl
Sulcus buccinatorius, eben wegen ihrer topographischen Beziehungen zum
gleichnamigen Nerven. Dort soll nach Holl der Nerv von der Mund-
höhle nur durch die Schleimhaut getrennt sein, eine Angabe, die später
auch Zuckerkandl wiederholt, die aber sicherlich unrichtig ist. Der
Nerv liegt hier stets an der Außenfläche des Musculus buceinatorius, even-
tuell der Rhaphe pterygomandibularis. „Wird am Lebenden oder Kadaver
ein Schnitt am lateralen Rande dieses Sulcus geführt (die Schneide des
Messers gering gegen den Processus coronoides gewendet), der die Schleim-
haut und einige Glandulae molares durchtrennt, so trifft man sofort den
Nervus buceinatorius, wie er auf der Sehne des am Processus coronoides
sicn anheftenden Musculus temporalis aufliegt, und man hat ihn nur von
dem ihn wenig einhüllenden Fettgewebe zu isolieren.“
Die Abbildung zeigt die Topographie des Nerven, die ganz der Be-
schreibung H olls entspricht, wenn man davon absieht, daß eben auch
der Musculus buccinatorius zu seiner Auffindung gespalten werden mußte.
Die Abbildung unterrichtet auch über die Topographie der Injektions-
stelle am vorderen Randes des Processus coronoideus, so daß weitere Aus-
führungen wohl überflüssig sind. /
Nur auf einen Punkt muß noch die Aufmerksamkeit gelenkt werden.
Nach gelungener Leitungsanästhesie des Nervus bucceinatorius treten näm-
lich am Mundwinkel Parästhesien auf, die aber nie eine größere Aus-
dehnung erfahren. Da aber die bukkale Anästhesie immer zur Ergänzung
der. mandibularen Leitungsunterbrechung ausgeführt wird, können sie even-
5e
60 'Emil Steinschneider und Fritz Pordes.
tuell Veranlassung geben zur Verwechslung mit den nach Ausschaltung
des Nervus alveolaris auftretenden Parästhesien an der Unterlippe. Für
die letzteren ist aber immer ganz charakteristisch, daß sie sich über die
ganze Unterlippenhälfte der betreffenden Seite ausbreiten.
Literatur: Holl, Arch. f. klin. Chir. 1881. — Scharlau, Ergeb. d. ges.
Zahnhlk. 1914. — Williger, D. Mschr. f. Żahnhlk. 1909. — Zuckerkandi,
Langen b. Arch. 37. | | —
Kinnfistel und kommunizierende paradentäre und
periapikale Resorptionshöhlen — Traumaspätfolge ().
Ein kasuistischer Beitrag zur zahnärztlichen und En
Diagnostik. e
Von Dr. Emil Steinschneider und Dr. Fritz Pordes.
(Mit 1 Figur.)
| Die 35jährige Pat. kam — vom Hausarzt mit der Vermutungs-
dixgnose: Atherom der Kinngegend — in die zahnärztliche Ordination.
Der erste Blick zeigte, daß es sich keinesfalls um eine Balggeschwulst
handeln konnte. Die Kinngegend trägt eine — angeblich vor einigen Mo-
naten spontan und unmerklich langsam entstandene, unscharf abgegrenzte.
‚dem Knochen festaufsitzende, mit der Haut unverschieblich verwachsene,
derbe, fast indolente Intümeszenz von der Größe einer kleinen Pflaume.
Die Haut darüber ist gerade merkbar gerötet. Die Zähne des Unter-
gehisses sind vollkommen intakt. Lediglich der linke untere Ecekzahn
fällt durch cine leichte Verfärbung auf. Auch der veränderte Perkussions-
schall macht ihm auf Pulptod verdächtig. Die Trepanation ‚bestätigt den
Verdacht — es wird eine gangränöse Pulpa zutage gefördert.
Um die Zusammenhänge mit dem mentalen Infiltrat klarzustellen.
wird die Röntgenuntersuchung vorgenommen. Die äls erste gemachte
Kinnibersichtsaufnahme enthüllt einen um die Wurzelspitzen der mittleren
Schneidezähne gelegenen, mäßig scharf begrenzten Resörptionsherd von
über Kirschkerngröße, dessen linker oberer Winkel einen fingerförmigen
Fortsutz zeigt. Dieser Befund hätte zur Erklärung des Infiltrates völlig
auszereichl und man hätte aus der in diesem Zeitpunkt erfolgten Been-
digung der Röntgenanalvse schwer einen Vorwurf erheben können.
Mit Rücksicht auf die klinisch erhobene Gangrän der linken Eck-
zuhnpulpa wird dennoch eine Spezialeinstellung für den Eckzahn ge-
məcht, mit ‘dem Resultat, daß die Eckzahnwurzel marginal von einem
woane und apikal von einem periapikalen' Resorptioüsherd von je
H: unlkomeruß umgeben ist. Die beiden ‘Höhlen liegen " RKäuptsächlich
Kinnfistel und Resorptionshöhlen — Traumaspätfolge (?). | 6l
distal und sind konfluiert — wovon eine stehen gebliebene vorspringende
Zacke Zeugnis gibt. Von der periapikalen Höhle geht ein etwa 1!/s mm
breiter „Kanal“ gegen die Höhle um die Einserspitzen, ohne den linken
äußeren Schneidezahn einzubeziehen. Es ergibt sich der in der Figur
ekizzierte Befund von zwei konfluierenden Höhlen am Eckzahn und einer
mit diesen kommunizierenden Höhle an den Einserspitzen. Die ‚seltsame
Morphe, die die Vermutung erweckt, als ob vom Eckzahn aus ein Sen-
kungsabszeß zu den Einsern und von da das Kinninfiltrat entstanden sel,
regt zu neuerlicher eingehender klinischer Untersuchung an. |
Bei genauem Zusehen entdeckt man eine feine, blasse Narbe links
neben dem Infiltrat. Auf genaues Inquirieren erinnert sich Pat., vor mehr
Fig.1.
47%;
a?
Kombinationsskigse als Ergebnis der Röntgenuntersuchung.
als 30 Jahren — als Kind — auf diese Stelle gefallen zu sein. Ob
nun cin Zusammenhang zwischen diesem Trauma und den Resorptions-
prozessen überhaupt besteht, kann nicht sicher entschieden werden: Wenn
es der Fall ist, könnte es nur in der mechanischen Schädigung der Pulpen
und in der dadurch bedingten geringeren Resistenz der betreffenden Stellen
bestanden haben, da die dem Alter der Trägerin entsprechend engen Fo-
ramina apicalia Anzeigen, daß die Pulpen nn allzu lange tot sein
können,
Die faradische Untersuchung zeigt: daß alle vier Schneidezähne
tebende (!) Pulpen haben. Die Pulpen der Einser haben also. die Re-
sorption ihrer Spitzenalveolen überdauert und die Weichteile der .Pulpen
müssen als durch die Resorptionshöhle ziehend angenommen werden.
Es wird die operative Freilegung der Höhlen und Resektion der be-
troffenen Apices beschlossen, muß aber aus äußeren Gründen von seiten
62 Emil Steinschneider und Fritz Pordes. Kinnfistel etc.
der Pat. um 14 Tage verschoben werden. Inzwischen kommt das Infiltrat
am Kinn zur suppurativen Einschmelzung und zum Durchbruch, so daß
sich eine typische Kinnfistel etabliert und knapp unter dieser eine dem
Durchbrechen nahe bohnengroße fluktuierende Stelle.
Öperationsbefund: Nachdem die Pulpen der ITi mit Arsen
abgetötet und extrahiert worden waren, wird zur Operation geschritten.
In typischer Weise werden unter Leitungsanästhesie die Wurzeln von [3
und 1]i freigelegt. Um die Spitze des ß ein gut erbsengroßer, mit Gra-
nulationen erfüllter Resorptionsherd, der sich an die distale Seite bis zur
halben Wurzelhöhe fortsetzt. Um die beiden mittleren: Schneidezähne
ein fast ebenso großer Hohlraum. Die freigelegten Spitzen der drei Zähne
werden abgetragen — die des 3| ausgiebiger — die Wurzelkanäle mit
Antiformin-Schwefelsäure gereinigt und mit Guttaperchapoints gefüllt.
Mit einer Knopfsonde wird nun versucht, über Lage und Verlauf der
Fistelgänge sich zu orientieren. Die durch die Kinnfistel geführte Sonde
kommt leicht durch die Weichteile — und zwar nur durch diese — vor der
Resorptionshöhle der 3 zum Vorschein. Von der Höhle der T[i kann
man andererseits mit der Sonde wie durch ein Tunnel hinter dem intakten
RB in der Höhe des unteren Drittels der Wurzel in die Resorptionshöhle
des |3 gelangen.
Der Weichteilfistelgang wird mit dem scharfen Löffel ausgekratzt,
die fiuktuierende Stelle unterhalb des äußeren Fistelmaules inzidiert und
ebenfalls mit scharfem Löffel behandelt.
Von einer Naht wird sowohl innen als auch außen abgesehen, die
inneren Wunden mit Jodoformgaze leicht tamponiert, die äußeren mit
steriler Gaze bedeckt und verbunden. Am 3. Tage nach der Operation ist
die Kinnfistel geschlossen, die Inzisionswunde verklebt. Die Jodoform-
gaze wird entfernt und die Wunden nur mehr ganz leicht mit solcher
bedeckt. Der [2 reagiert auf faradischen Strom nicht, was ja zu er
warten war.
Der Fall ist nach vielen Seiten hin lehrreich. — Man bedenke
den Weg von der hausärztlichen Diagnose Atherom bis zum detail
lierten klinischen und röntgenologischen Befund. Und selbst diese mit
allen Hilfen gewonnene Erkenntnis erhält noch intra operationem insofern
eine Modifikation, als die Kinnfistel nicht, wie man erwarten müßte, von
dem Resorptionsherd an den Einserspitzen, sondern vom Eckzahnapex
echräg nach unten vorne als reine Weichteilfistel verlief.
\
Zusammenfassung: Man kann zwar zu wenig genau, nie
mals aber zu genau und. vielgestaltig untersuchen.
Winke für die Praxis. 63°
Winke für die Praxis.
Repetitorium der Brückentechnik.
Von Dr. Emil Steinschneider.
Bei der ungeheuren Verbreitung der Anfertigung von Kronen und
Brücken sollte man meinen, daß die Grundprinzipien, die Technik, die
Indikationen und Gegenindikationen ihrer Herstellung eo ins Fleisch und `
Blut der Zahnärzte übergegangen sind, daß füglich dar&ber nichts mehr:
zu sagen wäre. Wenn man aber die Arbeiten, die einem iù- jahrelanger
Praxis zu Gesicht kommen, kritisch prüft, wird man finden, daß dem
nicht so ist. Jeder Tag bringt wieder den Beleg dafür, daß Unwissen-
heit, Nachlässigkeit und Handeln gegen die bessere Überzeugung Arbeiten
zustande kommen läßt, an die nicht einmal der Maßstab des Mittelmäßigen
gelegt werden kann, die ein Schaden für den Patienten und letzten Endes.
für den Verfertiger sind, Arbeiten, die danach angetan sind, die ‚ganze.
Kronen- und Brückentechnik zu diskreditieren.
Die folgenden Zeilen sollen also durchaus nichts Neues bringen, nur
Altes und Bewährtes wiederholen, dazu bestimmt, ein Repetitorium für
jene weniger erfahrenen Kollegen zu bilden, die gewissenhaft genug sind,
vor jeder Brückenarbeit unter Berücksichtigung aller in. Betracht kom-
menden Umstände das Für und Wider zu erwägen, um den Hilfe suchenden
Patienten das Beste zu geben. Freilich ist es hiebei oft nicht leicht,
der Indicatio morbi und der Indicatio causalis zu genügen: leider haben
wir Zahnärzte in den meisten Fällen auch mit der Indicatio socialis zu
rechnen, die sich nicht einfach mit dem Grundsatze in Einklang bringen
läßt, daß das Beste gerade gut genug für die Patienten ist. Dann wird
man sich bescheiden müssen und das tun, was unter den gegebenen Um-
ständen erreichbar ist. i
. Nach diesen Worten, die es zu rechtfertigen versuchen, daß das so
oft bebaute Gebiet der zahnärztlichen Technik wieder Gegenstand einer
Abhandlung ist, gehe ich daran, die gesamte Brückentechnik zu besprechen
und von den folgenden Gesichtspunkten zu betrachten: Definition
der Brücken, Brückenpfeiler und Art der Befestigung der
Brücken, Stabilität und Bruchfestigkeit der Brücken,
Einsetzen der Brücken, Kosmetik und Ökonomie sowie
Hygiene der Brücken, und will zum Schluß noch einiges sagen über
Schraubenbrücken und den Weiterbau der Brücken..
| Unter Brücken verstehen wir einen für den Patienten nicht ab-
nehmbaren Zahnersatz, der mindestens auf zwei Widerlagern — Brücken-
pfeilern — ruht und das Kauvermögen wiederherstellt. Demnach fallen
64: Winke für. die Praxis.,
nicht unter den Begriff der Brücke die fälschlich als solche bezeichneten
Prothesen, die nur an dem einen Ende fixiert sind und einen oder gar
mehrere Zähne freisehwebend angehängt haben. Dies ist. nur ausnahms-
weise am Ende einer größeren Brücke gestattet, also dort, wo die ein-
eeitige Befestigung stark ‚genug ist, die Mängel dieser Art von Brücken
nicht auftreten zu lassen. Diese Mängel bestehen darin, daß der als Hebel
wirkende Schwebezahn den Stützzahn lockert und dadurch und infolge
der Dehnbarkeit des Goldes labial respektive axial verschoben wird und
auf diese Weise nicht nur den hygienischen und kosmetischen Effekt ver-
eitelt, sondern auch den Zweck jeder Brücke, dem Kauakt zu dienen, .
nicht erfüllt.
Auch die vom Patienten herausnehmbaren Prothesen mit mehr oder
weniger kleinen Platten oder Bügeln, sogenannte abnehmbare Brücken,
werden wir, wie Kronfeld-richtig bemerkt, nicht unter die Brücken.
rechnen; der Patient will in seinem psychischen Verhalten nicht beein-
trächtigt werden, wenn er sich eine Brücke machen läßt, und das kann
nur durch eine im Munde fixierte Brücke gewährleistet werden — wenn
sie möglich ist. Das darf ung aber nicht verführen, dort Brücken zu
machen, wo sie unmöglich sind, weil sie dureh ihre Insuffizienz dann
den Patienten mehr irritieren, als die kleinen Unbequemlichkeiten einer
herausnehmbaren Prothese.
Wie müssen nun die Pfeiler dei Brücken beschaffen sein?
Grundbedingung ist, die als Pfeiler dienenden Zähne zu devitalisieren.
Nur so läßt sich ein Zahn schmerzlos und ohne Gefährdung der Pulpa
so zuschleifen, daß der Kronenring fehlerfrei paßt. Die Nachteile eines
nicht passenden Kronenringes — Auftreten von Karies, Reizung und
chronische Entzündung des Zahnfleisches, Durchbeißen des zu dünnen
Kronendeckels — sind nur zu bekannt, um noch besprochen werden zu
müssen. Freilich, leichter, rascher und dem Patienten .mehr zu Gefallen
läßt. sich so arbeiten. Aber sind das die Prinzipien, nach denen wir
unser Tun und Lassen einrichten sollen? Nur ausnahmsweise ist es bei
niedrigen, wenig gebauchten Zähnen und günstigem Biß, insbesondere bei
Weisheitszähnen, möglich, ohne zu devitalisieren, den Zahn richtig. zu-
zuschleifen. Andrerseits müssen sehr tief zerstörte Brückenpfeiler nach.
durchgeführter Wurzelbehandlung aufgebaut werden, und zwar ausnahms-
los mit gutem Amalgam oder Gold, nicht mit Kupferamalgam und. nicht
mit Zement, nötigenfalls mit Hilfe von in die Wurzeln eingelassenen
Stiften aus Platiniridium, gegebenenfalls auch aus unedlen Metallen (nicht
aus Gold). Kupfer soll deswegen nicht verwendet werden, weil es das
Gold der Kronen amalgamiert und brüchig macht. Auch alte, jahrelang.
Winke für die Praxis. 63
getragene Kupferamalgamfüllungen amalgamieren das Gold und müssen
entfernt werden, während ein Aufbau aus gutem Amalgam schon nach
einigen Tagen bedenkenlos als Träger einer Krone verwendet werden kann.
Zement deswegen nicht, weil es, wenn der Aufbau bis unter das Zahnfleisch
reicht, sicher aufgelöst und zur Unterminierung des Stützzahns Anlaß gibt.
Das Zuschleifen geschieht mit großen und kleinen Steinchen, Schmelz-
reißern, Fissurenbohrern und ist keine einfache Sache. Dazu gehört Ge-
wissenhaftigkeit und viel Ausdauer. An mit chronischen Abszessen be-
hafteten Zähnen, die unbedingt erhalten werden müssen, wird man die
Wurzelspitzenresektion machen, die aber oft zweckmäßig erst nach dem
Einsetzen der Brücke verschoben werden kann, wenn keine akuten Er-
scheinungen zum sofortigen Eingriff drängen.
Im allgemeinen sind Brücken mittelst Vollgold- bzw. Richmondkronen
an den Pfeilern zu befestigen. Zu verwerfen und bei Befolgung des Grund-
satzes der Devitalisierung der als Brückenpfeiler dienenden Zähne un-
nötig sind die sogenannten Fensterkronen und die Inlays mit und ohne
Stift. Man übt vielfach diese Art der Befestigung einerseits aus kosme-
tischen Gründen, andrerseits um den Stützzahn nicht devitalisieren zu
müssen. Aber die Fensterkronen können unmöglich am Zahnhals passen,
da ja der lebende Zahn sich nicht bis auf die Zirkumferenz des Zahn-
halses zuschleifen läßt. Karies und Pulpitis sind die Folgen. Inlays,
auch Satteleinlagen, werden schon durch die physiologische Beweglichkeit
‘der Zähne in den Alveolen beim Kauakt gelockert und das Ende ist
wieder Karies und Pulpitis. Man muß eben den Mut haben, auch ganz
gesunde Zähne zu devitalisieren und abzutragen, um der Hygiene, Kos-
metik. und Stabilität der Brücke entsprechen zu können. Auch die früher
vielfach geübte Methode des Befestigens der Brücken durch Inlays mit
Stift in einem entnervten Zahn ist unzweckmäßig, weil das an die Brücke
angelötete Inlay schwer tadellos passend gemacht werden kann. Nach
Auswaschen des Zementrandes ist Karies des Zahnes und der Untergang
‚der Brücke die Folge. |
Eine andere Befestigung als durch Voll- oder Richmondkronen ist.
nur unter besonderen Verhältnissen gestattet. Ganz kurze Brücken mit
einem, höchstens zwei Zwischengliedern können an dem einen Ende sehr
wohl durch ein Inlay befestigt werden, aber nur auf die von Sachs
angegebene Art, daß das eine Ende der Brücke eine Vollgoldkrone trägt,
-das andere einen kurzen, starken horizontalen Platiniridium- oder Gold-
'zapfen, der in eine Aussparung an der Kauflächenseite eines Inlays des
‘Pfeilers paßt. Es ist selbstverständlich, daß die Goldeinlage nach Allen
‚Regeln der Extension for Prevention gebaut sein muß. In diesen Fällen ist
der physiologischen Beweglichkeit der Zähne beim Kauakt dadurch Rech-
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 6
66 Referate und Bücherbesprechungen.
nung getragen, daß in der Aussparung der Goldeinlage der Zapfen einen
gewissen Spielraum während des Kauens hat. Auch die von Weiser an-
gegebenen Bars — starke, von dem einen Ende der Brücke ausgehende
Platiniridiumbalken zum Einplombieren mit Amalgam in den Stützzahn
— sind für die Dauer nicht praktisch, weil das Amalgam bald gelockert
wird. Zu erwägen wäre diese Art der Befestigung ebenso wie die durch
sogenannte Halbkronen dann, wenn Zähne als Pfeiler benützt werden
müssen, die sich für die Herrichtung und als Träger von Vollkronen des-
wegen nicht mehr eignen, weil sie stark aus dem Kiefer herausgetreten
eind und die Teilungsstelle der Wurzeln zutage liegt. Die Halbkronen
bestehen darin, daß der Kronenring nur bis zur größten Zirkumferenz
der Zahnkrone reicht. In solchen Fällen kann man besser — nach De-
vitalisierung — große, die ganze Kaufläche einnehmende, in der Pulpa-
kammer verankerte Goldeinlagen als Brückenstütze verwenden. In allen
diesen Fällen muß aber die der Zahnlücke zugewendete Seite des Zahnes
vorher mit Gold oder Amalgam wieder nach allen Regeln der Extension
for Prevention zur Verhütung von Karies gefüllt werden.
(Fortsetzung folgt.)
Referate und Bücherbesprechungen.
*Röntgenologie. Eine Revision ihrer technischen Einrichtungen
und praktischen Methoden. Gemeinsam mit Prof.v.Eiselse-
berg, Dr. Fr. Eisler, Dr.M. Haudek, Prof.R. Kienböck, Dr.
R. Lenk, Dr. med. et chem. L. Lilienfeld, Ing. R. Mayer, Dr.
P.Odelga, Dr.Fr.Pordes, Prof.E.Sommer, O.Sommer, Dr.
H.Wachtel, Dr.phil. Weissenberg bearbeitet und herausgegeben
von Prof. Dr.G. Holzknecht. I. Teil: Fremdkörper, Verletzungen,
chronische Eiterung. Urban & Schwarzenberg, Wien und -Berlin 1918.
Der fast 600 Seiten starke, mit Illustrationen reich versehene vor-
liegende erste Band dieses als großes Handbuch konzipierten Werkes bringt
— soweit dies bei dieser rapid sich fortentwickelnden Wissenschaft über-
haupt möglich ist — endgültige Klärungen der vielen im Kriege teils neu
aufgetauchten, teils doch in den Prämissen’ wesentlich modifizierten Pro-
bleme der Röntgendiagnostik. Im Kriege und durch den Krieg entstanden,
vermittelt es dennoch alles eher als die in nicht allzu gutem Rufe stehende
„Kriegsradiologie“ — der „behelfsmäßigen Verfahren‘ —, gibt vielmehr
gründlichst Erforschtes, reiflichst Erwogenes und vielfach Erprobtes aus
dem Kriege für den Frieden. — Wollte man versuchen, den Charakter-
des Werkes, auf dessen reichen Detailinhalt näher einzugehen der Raum
verbietet, kurz zu kennzeichnen, so könnte man sagen, daß produktives
Ersinnen mit geduldigstem Erproben die vielen neuen Methoden auf die
Formel: Einfachst, expeditiv und dennoch exaktest — gebracht hat. —
Ein wesentlicher Grundzug der Schule Holzknechtse — die prä-
valierende Verwertung der Röntgenoskopie — der Durchleuchtung —
Referate und Bücherbesprechungen. 67
kommt in der Methodik überall zum Ausdruck. Mit welchem Effekt —
das kann nur der ermessen, der sich durch die Sintflut der röntgenographisch-
stereometrischen Verfahren der Fremdkörperbestimmung, wie sie sich durch
4 Jahre allwöchentlich über die Leser ergoß, — theoretisch und praktisch
durchgearbeitet hat und mit deren Ergebnissen die Erkenntnis vergleichen
kann, die beispielsweise mittelst „Durchleuchtung in Rotation‘ und mittelst
des unübertrefflichen „Blendenrandverfahrens‘ wörtlich im Handumdrehen
gewonnen wird. — Die Krönung des Gebäudes der Fremdkörperradiologie
bildet die Operation unter direkter Leitung des Röntgenlichtes, wie sie
von Holzknecht und Grünfeld als ersten 1904 ersonnen und von
jenem im Verein mit Eiselsberg, Eisler, Odelga mit allem
Raffinement der Technik an die aktuellen Bedürfnisse adaptiert und aus-
gestaltet worden ist. — Die Methodik und ihre Haupt- und Nebenerkennt-
nisse sind auch ohne „Projektil“ für alle Zwecke höchst wertvoll; so wird
uns Bestimmung des Geschoßsitzes durch Mitbewegung mit einem be-
stimmten Muskel — myologische Lokalisation — Lilienfeld —,
ferner die Mitbewegung im Thorax — Kienböck — und in der Orbita
— Holzknecht und Haudek — gewiß für die Friedensdiagnostik
ebenso viel auszuwerten geben als in der Zeit der Steckschüsse. — Das
Kapitel „Quere Rumpfaufnahmen“, Lilienfeld, mit den prachtvollen
neuen Einstellungen, die die Schulter, das Brustbein, das Becken in Seiten-
ansicht in ganz unerreichter Schönheit und Deutlichkeit zeigen, sind ein
Produkt reinster Friedensarbeit und für sie bestimmt. Ebenso sind die
Pathologie der Skelettverletzung und der chronischen Eiterung — Som-
mer, Haudek — sowie die Methode der Füllung der Fistelgänge
mittelst Kontraststäbchen zwecks radiographischer Darstellung — Holz-
knecht, Lilienfeld, Pordes — überaus wertvolle Bereicherungen
der Diagnostik — letztere insbesondere für die kommende Zeit des Über-
ganges und der Nachbehandlung fast wichtiger als für die Kriegszeit.
| Von besonderem Interesse ist die zusammenfassende Darstellung der
Kieferröntgenologie von Fr.Pordes. In kurzer Weise, an Schlagworte
gemahnend, wird übersichtlich das Instrumentar, die Aufnahmetechnik,
Lagerung und Einstellung beschrieben. Ganz neu ist die vom Autor an-
gegebene Methode der Spezialaufnahme des Kiefergelenkes, die es ermög-
licht, die störenden Überschattungen auszuschalten. Welchen Wert diese
einwandfreie Methode hat, kann nur derjenige ermessen, der sich oft vpr-
geblich bemüht hat, die zweifellos vorhandenen Veränderungen im Be-
reiche dieses Gelenkes festzustellen. Das Kapitel über den „Gang der
Untersuchung“ zeigt in erfreulicher Weise, daß in der Methode System
gelegen ist. Diesem Umstande dürfte nicht in letzter Linie der schöne
Erfolg und die neuen Ergebnisse zuzuschreiben sein. Doz.Dr. Klein.
Zur Verankerung künstlicher Gebisse im zahnlosen Ober- und Unterkiefer.
Ein neues Öperationsverfahren. Von Oskar Zeller, Berlin-Wilmers-
dorf. D.M. f. Z., H.1, 1919.
Ein recht interessanter operativer Plan zur Erzielung einer Fi-
xation totaler Ersatzstücke, der nur leider bisher lediglich auf Versuchen
am Kadaver beruht. Er bezweckt — kurz gesagt — in beiden Kiefern
die Schaffung epithelausgekleideter Kanäle, die in linguobukkaler Rich-
tung den Alveolarfortsatz durchsetzen und Fortsätze der Prothesen auf-
Ge
68 Referate und 'Bücherbesprechungen.
nehmen könnten. ‘An der technischen Durchführbarkeit ist gewiß nicht
zu zweifeln, doch läßt sich natürlich über die Verwertungsmöglichkeit der
Methode nichts sagen, bevor nicht Versuche am Lebenden gemacht sind,
die ja in der Hand eines geschulten Chirurgen völlig aubeten en wären.
cher.
Schweizerische Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde. Bd. XXVIII, Nr.1, 2
und 3. Sammelreferat.
W.ild referiert in Nr.1 über „die im Bereich der Zähne
lokalisierte Tuberkulose“, eine infolge der verschiedenen
'Sehutzvorkehrungen der Mundhöhle seltene Erkrankung, von der er in
der Literatur nur 72 Fälle ausfindig machen konnte. Von eigentlichen
tuberkulösen Tumoren der ‘Schleimhaut sind nur zwei beobachtet worden,
u. zw. von Clarke und Zilz. Beide Fälle betreffen den Unterkiefer.
'Tuberkulöse Periostitis und Osteomyelitis lassen sich selten voneinander
trennen; meist ergeben sie zusammen das Bild der tuberkulösen Ostitis.
Die Frage, ob es eine tuberkulöse Pulpitis gibt, läßt Wild offen. Die
tuberkulöse Lymphadenitis unterscheidet sich von der gewöhnlichen
Drüsenentzündung bei Periostitis dadurch, daß nicht nur die zum Lymph-
gebiet des Z ahnes gehörigen Drüsen anschwellen, sondern auch die benach-
‚harten.
| Prof. Gysi äußert sich an der Hand instruktiver schematischer
Darstelungen über die Fehlerquellen, die bei Anfertigung einer
"Kautschukplatte entstehen können, wenn den physikalischen und chemi-
‘schen Eigenschaften der verwendeten Materialien nicht genügend Rechnung
getragen ‚wird. Zwischen 10 Sekunden gerührtem Gips und 60 Sekunden
'gerührtem verhält sich die Ausdehnung wie 1:21/2 und die Erhärtungszeit
‘wie 2'/2:1. Langes Rühren beschleunigt also, wie bekannt, das Hart-
werden, vermehrt aber die Ausdehnung. Gysi empfiehlt also bei Ge-
‘brauch des zur Erhärtung gewöhnlich verwendeten Kochsalzes oder Kali-
‘layns nur kurzes Rühren. Neuartiger sind seine Erwägungen über die
-ungleiche Ausdehnung des Gipses beim Modellgießen. Zur seitlichen Aus-
dehnung kommt immer die vertikale hinzu, die außerdem noch ungleich
‘ist, weil der Gips bei Oberkiefermodellen über der tiefsten Gäumenpartie
‘zirka ein Drittel dünner ist als über den Alveolarrändern.. Da Alaun und
"Kochsalz im Mischwasser die Härte des Gipses beeinträchtigen, muß der
“Ausdehnung des Modellgipses auf andere Art begegnet werden. Von größter
"Wichtigkeit ist das richtige Mengenverhältnis von Gips zu Wasser (2: 1),
man muß kräftig und kurz rühren und sofort gießen. Besonderen Wert
legt Gysi darauf, daß Wasser oder Gips nie nachgemischt werde. Durch
diese Maßregeln verringert sich die Expansion auf ein Minimum. Um das
Aufquellen des Gipsmodells beim Vulkanisieren zu. verhindern, weiß
Gysi kein verläßliches Mittel. Nur durch. Boraxhärtung des Modells
"könnte dem entgegengearbeitet werden.
„Ein neuer künstlicher Zahn“ wird von Bürcher-
'Hinnen propagiert. Um die infolge der Lage der Stifte bei den bisher
‘üblichen Zähnen häufigen Brüche zu vermeiden, werdet er eine LameHe
-an, aus der zur Befestigung mit der Porzellanmasse zwei zungenförmige
Lappen ausgestanzt sind. Diese liegen zum Unterschied von den bisher
sehräuchliehen ‘Zähnen: in einer senkrecht zur Ebene der Hauptbearispru-
Referate und Bücherbesprechungen. 69°
chung: stehenden Ebene. Mittels der zungenförmigen Lappen wird die La-.
melle so in Zahnmasse eingebrannt, daß sie bündig mit der Rücken-
seite der Porzellanmasse zu liegen kommt. Zürcher-Hinnen hält
diese Verankerung für solider als. mit Stiften und. betont das geringe.
Volumen. Auch läßt sich bei Verwendung des Lamellenzahnes die Zahn-
masse ohne Beeinträchtigung der Festigkeit - wesentlich schlanker gestal- :
ten. Es ist ADZUWATIEN, wie sich der neue Zahn in: der Praxis be-
währen wird.
Nr.2 bringt in einem Sitzungsprotokoll der T A odi
tologischen Gesellschaft bemerkenswerte Ausführungen über das .alte:
Thema „Amputation oder Exstirpation“. Matter hat in
langjähriger Praxis nicht einen Mißerfolg mit der Amputationsmethode :
zu verzeichnen. Prof. Hess ist überzeugt, daß eine Totalexstirpation aus.
anatomischen Gründen im günstigsten Fall nur bei Eck- und ‚Schneide-
zähnen durchgeführt werden kann. Klei n hält jede Exstirpation nur für-
eine tiefere Amputation.
= Prof. Henschen bringt in Nr. 3 Demonstrationen aus.
dem Gebiete der Deformitäten und der Geschwulst-,
pathologiedes Kiefers“. Er erwähnt u. a. eine seltene und merk-,
würdige sekundäre Metamorphose der bekannten Kieferepulig.: Neben einer.
gewöhnlichen Epulis sitzt eine zweite, über -kirschgroße Epulis, die durch
Anlagerung von Zahnstein eine knochenharte. Schale und dadurch .das,
ussehen der Miesmuschel erhalten hat. Der Autor. weist zur Behandlung
der Epuliden nachdrücklich auf die Röntgenbestrahlung hin, die bei diesen
Eeiden bisher. weder angewendet noch vorgeschlagen worden ist. Einen sehr:
interessanten Fall bildet eine chronische, durch Bacillus fusiformis be-.
dingte Periostitis, die ein Unterkiefersarkom vortäuscht. |
„Über die Resorption an Zähnen in Dermoid-
eysten“ berichtet Marthaler. Höhlen an Zähnen in Dermoidceysten
werden zumeist einfach als Karies bezeichnet; doch beweist die Unter-
suchung eines Falles, daß es sich um Resorption handelt, da in der Ent-,
kalkung keine Zonenbildung zu erkennen ist, da sich ferner in-den Höhlen.
unzählige Resorptionslakunen finden, die denen bei der Resorption der
Milchzähne und bleibenden Zähne vollständig gleichartig sind, und da
schließlich in und an den Höhlen Mikroorganismen fehlen, .
Geisbach hat einen „Pitceolo-Motor”“ an’'die Tretbohr-
maschine montiert und auf diese sehr einfache Art einen brauchbaren Er-
satz für nicht vorhandene oder Yerdorbene &ektrische Bohrmaschinen aus-
findig gemacht. Wallisch jun.
aan > -= eP
Zar Deckung von Gaumendefekten "mit gestielten Halshantlappen: Von
Max Kappis. Zentralbl. f. Chir., 1918,, Nr. 23.
Der Autor würde für die Gaumendefektdeckung mit, "Zestielten Hais-
lappen folgenden Weg vorschlagen:
l 1. Sitzung: Bildung -eines genügend großen Hanklappene. am Hals
Lappenbett und Lappenrückseite werden sofort nach T.h iersch: trans;
plantiert..Zur genügenden Ausspannung wird der. ‚transplantierte Lappen,
entweder Haut. gegen Haut mit Situationsnähten, völlig a usgespannt,,
nach außen umgeschlagen oder in den: Defekt w jeder. eingenäht,, Traaplon.
70 Vereins- und Versammlungsberichte.
tat gegen Transplantat liegend, am besten mit zwischenliegender Stent-
masse (Esser).
2. Sitzung: Mobilisierung des Lappens bis zum Kieferrand, wobei:
die Schnitte aus kosmetischen Gründen nicht zu hoch kommen dürfen.
(Die Mobilisierung kann auch [Perthes] in mehreren Sitzungen er-
folgen.) Eröffnung der Wangentasche von unten her an der Umschlagstelle
zwischen Kiefer und Wange, wobei ‚besonders auf sichere Unterbindung
der Maxillaris externa und auf genügende Erweiterung der Öffnung zw-
schen Kiefer und Wange zu achten ist. Bei günstigen Umständen wird
weiter gegangen; sonst
3. Sitzung: Kann die Gaumenspalte genügend breit auf beiden
Seiten angefriseht-werden, fehlt jede Spannung im Lappen, so kann unter
Umständen der Lappen unmittelbar in die Spalte, und zwar an beiden
Seiten eingenäht werden, Haut gegen Mundhöhle, transplantierte Seite
gegen die Nasenhöhle. Breite Annähung, möglichst Entspannungsnähte,
sind nötig, da der Lappen allmählich immer stärker gegen seine Ursprungs-
Fa nach unten gezogen wird. Ist eine breite Anfrischung der Spalte,
<ire spannunealose Naht nicht möglich, so erscheint es Kappis besser,
das Lappenende im Munde in einem Wanderlappen zu bilden, dessen Stiel
am Halse allmählich durchtrennt wird.
4. Sitzung: Endgültige Durchtrennung des Stieles des Wander-.
lappens und Einnähen des Lappene in den Defekt, Haut gegen Nase,
Transplantat gegen Mund.
5. Sitzung: Nach völliger Anheilung wird der Lappen von der
Wange wieder abgetrennt und der Defekt endgültig geschlossen, auch auf
der Entnahmeseite.
Um den Zahnschluß und das Zerbeißen des Lappens zu verhindern,
wird am besten ein kronenartiger Aufsatz auf den Zähnen befestigt.
| Der Autor hält die Uranoplastik vom Halse aus in der beschriebenen
Form bei den Gaumendefekten, bei denen die örtliche Plastik unmöglich
oder mißlungen und eine Plastik aus der Nähe nicht gegeben ist, für die-
einfachste und wenigst entstellende Methode. Zilz.
Vereins- und. Versammlungsberichte.
Verein: Wiener Zahnärzte.
Sitzung vom 21. März 1918.
Vorsitzender: Prof. Dr. Fleischmann.
Schriftführer: Dr.Berger. `
Nach Eröffnung der Sitzung wird, da keine Mitteilungen an das Ple-
num zu machen sind, zum zweiten Punkte der Tagesordnung übergegangen
und Vorsitzender erteilt Doz. Dr. Spitzer das Wort.
' 1. Doz. Dr. Spitzer stellt eine Pat. vor mit Spontanfraktur des
Unterkiefers infolge Osteomyelitis. Der Pat. wurde von einem Techniker
nach vorgenommener Wurzelbehandlung eine Brücke eingesetzt. Bald
darauf setzten heftige Schmerzen ein und es trat eine Schwellung des Kie-
fers ein. Nach Aufnahme in die Klinik wurde durch ausgiebige Incisionen
Vereins- und Versammlungsberichte. iı
Erleichterung geschaffen. Aus der Wunde wurde Sequester abgestoßen. Nach
zwei Tagen kam es zur Spontanfraktur in der Gegend des Eckzahnes. `
Heute ist die Fraktur geheilt.
Prof. Dr. Fleischmann schildert einen analogen Fall von
Fraktur in der Nähe des Gelenkköpfchens.
2. demonstriert Dr. Spitzer zwei nekrotische . Alveolarsequester
nach Arsennekrose, hervorgerufen durch Behandlung eines :Weisheitszahnes.
3. Eine operierte Alveolarzyste, die durch die Nase durchzubrechen
drohte. Sie bestand seit 8 Tagen, wurde nach Partsch mit bestem Br-
folge opertert ohne Tamponade.
Dr. Steinscehneider demonstriert einen operativ geheilten Fall.
einer an einem oberen Eckzahne vorhandenen „Fausse route‘ durch Auf-
klappung der Schleimhaut und Füllung des Wurzeldefektes durch Amalgam.
Bemerkenswert ist, daß überschüssiges Amalgam, das trotz BE ET
Säuberung zurückgeblieben war (durch Röntgenbild nachgewiesen), reak-
tionslos einheilte.
Hierauf wurde .die Sitzung geschlossen.
Sitzung vom 18. April 1918.
Vorsitzender: Dr.Steinschneider.
Schriftführer: Dr.Berman n.
Vorsitzender entschuldigt den verhinderte Präsidenten. Er macht
dem Plenum Mitteilung von dem Rücktritte Prof. S ch e ffs vom Lehramte
und gedenkt in warmen Worten neuerlich der Verdienste, die sich Scheff
ym den Verein erworben und gibt der Überzeugung Ausdruck, daß das
Scheiden Prof.Scheffs bei allen Mitgliedern tiefen Eindruck üben und
daß ihm alle, der fast allen Lehrer war, ein treues, dankbares Angedenken
bewahren werden. Hierauf erteilt er Doz. Dr. Klein das Wort.
Doz. Dr. Klein zeigt einen Fall von persistierendem Milchgebiß.
Ätiologisch wäre nur Heredität nachzuweisen, da auch bei dem Vater
des Pat. nur sechs bleibende Zähne durchgebrochen - waren. Röntgeno-,
logisch keine retinierten Zähne nachweisbar. Pat. zeigt im Äußeren nichts
feminines, was eventuell als Ursache angeführt werden könnte. Das Kiefer
hat fast normale Größe, nur der Alveolarfortsatz ist zart entwickelt.
Dr.Berger hält seinen angekündigten Vortrag: Über le
Arbeiten (erscheint ausführlich in der „Öst. Zeitschrift für Stomatologie“ ),
. Dr.Sös zeigt einen Fall von ausgedehnter Pyorrhoe, hei dem ne ihm
gelang, durch eine infolge der schlechten Artikulation bedingte modi zie
ißkappe Besserung zu erzielen.
Hierauf wurde die Sitzung geschlossen.
Sitzung vom 15.Mai 1918.
Vorsitzender: Dr. Steinschneider.
Schriftführer: Dr. Bermann.
Da keine Mitteilungen zu machen sind; wird zum zweiten Punkte des
Programmes geschritten. .
Doz. Dr. Klein: Referat über Wurzelspitzenresektion. Vortr. wili
ein Referat teilen, und zwar will er erst eine ‚Wurzelspitzenresektion an
Pat. ausführen und dann sein Referat halter” '
12: Vereins: :und. Veersammlungsberichte.
Die Anwesenden begeben sich in den Operationssaal,. wo -der Vortr.
eine- Wurzelspitzenresektion an einem Pat. vornimmt. Das Referat wird,
da die Zeit zu TE n ist, für die nächste Sitzung verschoben.
Sitzung vom 13. Juni 1918.
Vorsitzender: Dr.Steinschneider.
Schriftführer: Dr.Bermann.
Dr. Steinscehneider übernimmt den Vorsitz’ da Prof. Doktor
Fleischmann durch eine Vorlesung verhindert ist.
.. Doz.Dr. Klein hält das Referat über Wurzelspitzenresektion (er-
scheint in der „Zeitschrift für Stomatologie“).
- Dr. Reschofsky ist für die Füllung des Wurzelkanales vor der
Operation oder während derselben und empfiehlt Amalgam. |
‘. Dr. Klein ist unbedingt für die Füllung vor der Operation, da nur.
so eine vollständige Trockenheit des Kanales gewährleistet ist. Fisteln
am Gaumen werden auch von fazial operiert, da sich das Fistelmaul nach
der Operation schließt. Die Fortsetzung der Diekussion wird für die
nächste Sitzung nach den Sommerferien verschoben.
Sitzung vom: 24. Oktober 1918.
Vorsitzender: Prof. Dr. Fleischmann.
- Schriftführer: Dr.Bermann. Ä
i Prof. Dr. Fleischmann: Ich eröffne die erste Sitzung nach den
Ferien und begrüße die Herren. Wir gehen trüben Tagen entgegen und
fühlen dies als Staatsbürger und Berufsmenschen. 'Es ist klar, daß die
Lage Wiens in nächster Zeit nicht die sein wird, wie sie es vor dem
Kriege, ja selbst wie sie während des Krieges war. Wien wird verarmen,
dies wird sich auch in unserer Praxis äußern. Die Entwicklung unseres
Berufes bedarf einer wohlhabenden Atmosphäre, welche aber in künftigen
Tagen fehlen wird. Deshalb müssen wir uns enger im Verein zusammen-
schließen und durch Selbsthilfe, Kollegialität und: ‚fleißige Arbeit Ersatz
zu schaffen suchen.
T Als: Mitteilung hätte ich ihnen folzendes ansufuhzen: Vor einigen
Monaten kam eine Aktion ungarischer Zahnärzte ins Rollen, die den Zu-
sammenschluß der Zahnärzte der verbündeten Mächte bezweckte. Infolge
der gegenwärtigen politischen Lage mußte dieser Plan vertagt werden.
© Dr.Steinschneider übernimmt. den. Vorsitz und erteilt Prof.
Fleischmann das Wort zum nächsten Punkt der Tagesordnung :
Demonstrationen.
Prof. Dr. Fleischmann: Es gibt Fälle, wo eine Wurzelspitzen-
resektion nicht möglich ist, oder aus verschiedenen Gründen nicht durch-
geführt werden kann. Auch Fälle; wo Pätienten eine Operation verweigerten.
Für solche Fälle ist es gut, sich einen permanenten Zugang zum Wurzel-
kanal frei zu halten. Wir kennen das Bild solcher Zähne. Der Zahn ist
periostitisch.. Es gelingt durch Maßnahmen die Periostitis oder: die Rei-
zung zum Schwinden zu bringen. Der Zahn beruhigt sich. für kürzere oder
längere. Zeit und hierauf wiederholt sich das Bild von neuem. In Fällen,
wa der. Zahn Träger. einer Krone ist, auch als. Brückenpfeiler, bleibt, in
diesen Fällen nur die Wurzelspitzenresektiop. als, ultimum - refugium
oio -Vereins- und Versammlungsberichte.- - - 713
zur definitiven Heilung übrig- Wenn nun eine sölehe aus irgendwelchem
Grunde nicht möglich ist, so ist es gut, im vorhinein sieh einen Zugang
zum Wurzelkanal frei zu halten. Ich verfuhr in einem solchen Falle fol-
'gendermaßen: Bei einem Pat., der chon den zweiten Molar verloren hatte,
kam der Weisheitszahn, der nur mit der Hälfte der Krone sichtbar war, aber
mit dem oberen Molar sehr gut artikulierte, als Brückenpfeiler in Frage. Der
‘Zahn verursachte zeitweilig Schmerzen, nach einer Influenza traten hef-
tigere Schmerzen auf und nun sollte überdies dieser "Zahn als Brücken-
pfeiler benützt werden. Von einer Krone mußte, da ja der Zahn höchst
unvollständig durchgebrochen war, Abstand genommen werden. Es blieb
also nur die Befestigung mittels eines Inlays übrig, welches durchbohrt
war, so, daß ich mir durch dieses den Zugang zu dem Wurzelkänal offen
hielt. Dies - 'bewährte- sieh nicht, weil die Sekrete des Wurzelkanales das
Zement immer mehr auflösten, so daß schließlich das Inlay in der Luft
lag. Ich suchte nun einen Weg, um die Sekrete von Zement, das das Inlay
befestigte, abzuhalten. Ich ging so vor, daß ich mittels Folie-Abdruck von
der Pulpakammer nahm. Hierauf wurde die Folie durchbohrt und in die-
selbe ein Röhrchen bis in den Wurzelkanal reichend verlötet, und nun erst
-konnte das eigentliche Inlay gegossen werden, so daß nun die Sekrete des
Kanales mit dem Zement nirgends in Berührung kamen. Pat. trägt jetzt
-die Brücke sechs Jahre. Vortragender demonstriert das Modell und die
Röntgenbilder.
Doz. Dr. Klein: Ich erlaube mir einige Fälle aus der Ambulanz
‚vorzuführen, bei welchen eine falsche Diagnose gestellt wurde, sei es aus
"Unkenntnis der anatomischen Verhältnisse, sei es aus ‚Mangel an Hilfs-
mitteln und nicht entsprechender Auslegung von Radiogrammen. :
1. Bei der Extraktion einer Wurzel eines ‘kleinen Schneidezahnes
schlüpfte die Wurzel nach aufwärts. Der Pat. wurde der Klinik zuge-
schickt, mit der Weisung, die' Wurzel aus dem Antrum zu entfernen. D
‘das Antrum selten bis in die Gegend des kleinen Schneidezahnes reicht,
war es wohl klar, daß es sich um eine Zyste handelte, in welche die Wurzel
hineingeschlüpft war.
Einem jungen Mädchen fehlte der erste Molar, oberhalb desselben
bestand eine Fistel, in einer Gegend, wo also der Zahn bereits extrahiert
war. Granulome heilen nach Extraktion des betreffenden Zahnes voll-
ständig aus. Zysten aber nicht. Es wurde lege artis nach Partsch
operiert. Nach 14 Tagen war. eine große Höhle zu sehen. Pat. sagte,
sie könne keine. Nahrung zu steh. nehfhen. ohne ‘daß Speisen in- die Nase
gelangten. Man bemerkte von der. ‚genannten Öffnung aus den Hiatus.
. Das „Antrum war sehr breit .offen und..der Hiatus. von der Seite sichtbar.
‚Ich. fragte beim Rhinologen an, ob nicht bereits Polypenbildung einge-
treten sei und habe dann durch Operation den Verschluß bewirkt, Die Me-
_ thode, durch, eine Pelotte mit. Stift ein durch den Mynd zugängliches.Antrum
zu schließen, wurde bereits von dem Rhinologen veranlaßt. Der Stift ruft
Störungen hervor, wie ich oft: Zu. beobachten Gelegenheit hatte. Oft habe
ich dem Pat. daher den Stift im Einverständnis mit dem Khinologen weg-
genommen.
2. Es wurde mir ein Fall zur. Behandlung. zugewiesen, wo an dem.
Pat. wegen habitueller Luxatio mandjbulad beiderseits- das: Unterkiefer-
köpfchen. reseziert worden war; Sin: Vorgang; : dor gewiß nicht, zy recht-
fertigėn ist.
T4 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
3. An Röntgenbildern zeigt Vortr., daß oft eine falsche Auslegung
der Bilder Veranlassung zu unnötigen Operationen gebe.
4. Riesenzellensarkom, hervorgerufen wahrscheinlich durch Wuche-
‚rung der Gingiva infolge bestehenden Kreuzbisses in der Gegend des großen
Schneidezahnes.
5. Hypertrophie des Zahnfleisches infolge schlecht sitzender Prothese.
6. Im Anschluß und Verlauf der Grippe gibt es eine Stomatitis, die
mit Hämorrhagien an den Papillen ohne Nekrose einhergeht, im Gegen-
satz zur ulzerösen Stomatitis. Zur Behandlung empfiehlt Vortr. gründ-
liche Spülung mit 12% H:O;. 5 Minuten Spülen, 5 Minuten Pause. Bei
‚den Spülungen muß die Flüssigkeit fest durch die Zwischenräume der
Zähne gepeitscht werden.
Vorsitzender dankt Doz. Dr. Klein für das reiche Material, das er
‚vorgeführt.
Prof. Weiser erwähnt einen Fall von Stomatitis im Anschluß an
Influenza, der infolge Sepsis zum Exitus führte. Dabei traten ungeheure
Eiterungen und Schorfbildungen bis zu den Knochen auf. Ein diphtheriti-
scher Belag hatte sich auf der Schleimhaut etabliert. Temperaturen über
‚40°, später .schwanden die Membranen. Pat. starb jedoch unter dem Bilde
einer Sepsis.
Doz. Dr. Klein: Der Rhinologe, der heute Fälle von Kommunikation
des Antrums mit der Mundhöhle zu behandeln hat, wird dem Pat. immer
zur radikalen Operation raten, wie es auf den Kliniken Urbant-
schitsch und Chiari sehon seit langem geübt wird. Bezüglich des
von Professor Weiser erwähnten Falles ist er sehr skeptisch, denn
es läßt sich ja heute schwer entscheiden, ob nicht die Sepsis das Primäre
war und die Stomatitis hinzugetreten ist.
Prof. W eiser erwähnt einen Fall, wo trotz radikaler Operation
‚ein Rezidiv aufgetreten sei. Im übrigen ist es seiner Ansicht nach immer
noch . angenehmer für den Pat. einen Ausfluß aus dem :Antrum in die
Mundhöhle, als durch die Nase nach auswärts zu haben.
Dr. Hecht ist in allen Fällen für die Radikaloperation wegen der
Unannehmlichkeiten, welche die Kanüle dem Pat. verursacht.
Hierauf wird die Sitzung geschlossen.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
‚(Mölrtärische Zahnambulatorien.) Dem Erlaß des Staatsamtes für
Volksgesundheit vom 14. Februar 1919 über Zahnambulatorien ist zu
entnehmen:
Künftig haben nur folgende zahnärztliche Ambulatorien in Betrieb
zu verbleiben, und zwar beim
1. Rainer-Militärepital in Wien, XIII.,
2. Garnisonsspital Nr.1 in Wien,
3. Garnisonsspital Nr.2 in Wien,
4. Reservespital Nr.17 in Wien,
5. Garnisonsspital Nr. 7 in Graz,
6. Garmissnsepital Nr. 10 in Innebruck,
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 15
7. Reservespital in Salzburg,
8. Garnisonsspital Nr.4 in Linz,
9. Reservespital in Klagenfurt.
Die angeforderten Zahnärzte für die unter Post 5, 6, 7 und 9
genannten Ambulatorien können von hier aus nicht zugeteilt werden. Falls
unter den Berufsmilitärärzten des Territorialbereiches keine Zahnärzte zur
Verfügung stehen, ist eine Vereinbarung mit Zivilzahnärzten zu treffen.
Diese Vereinbarungen sind anher zur Genehmigung vorzulegen.
Zahntechniker sind in der nur unbedingt nötigen Anzahl zu orts-
üblichen Löhnen aus dem Zivil aufzunehmen.
Auf unentgeltliche Behandlung haben Anspruch:
a) alle aktiven Mannschaftspersonen, bei denen ärztlicherseits die
Vornahme einer zahnärztlichen Behandlung notwendig befunden wurde,
b) alle Kriegsbeschädigten (Gagisten, Mannschaftspersonen), die eine
Verletzung der Kiefer bzw. der Zähne im Kriege erlitten haben oder an
den Folgezuständen einer solchen Verletzung noch leiden. Kriegsbeschä-
digte, die nicht mehr in spitalsärztlicher Behandlung stehen, haben nach-
zuweisen, daß bei ihrer seinerzeit stattgefundenen Superarbitrierung er-
wiesen wurde, daß es sich um eine Kriegsbeschädigung hinsichtlich der
Kiefer bzw. Zähne gehandelt hat.
Auf entgeltliche Behandlung haben Anspruch: alle aktiven Gagisten;
sie haben für die zahnärztliche Behandlung eine nach dem zuliegenden
Tarife: bemessene Entschädigung, welche nur die Materialkosten deckt, zu
‚entrichten. Desgleichen können die nächsten Angehörigen (Frau und
Kinder) der Berufsgagisten und Berufsunteroffiziere die zahnärztlichen
Ambulatorien- gegen“ Entgelt nach dem zuliegenden Tarife in Anspruch
nehmen.
Tarif
für diejenigen MUNATBEIEAR, die in den zahnärztlichen Ambulatorien entgeltlich
behandelt werden.
Gültig vom 1. Dezember 1918.
Extraktion eines Zahnes . . Chr SE E Ea
Extraktion eines Zahnes mit Anästhesie a Fe a Er
Amalgamfüllung . . . . 2 2.2.2.2. K5.— bis „ 10.—
OOE 05% a ae et at
DEDERE = s 05 ae ee a a IM
ODAO 2 a S a ee a
Arseneinlage . E E E WE:
Wurzelbehandlung pro Sitzung und Zahn . . „ 2.—
Entfernen des Zahnsteines . . ..K3— bis „ 6.—
Myeiliche 2 Zähne (Platinzähne nach Tageskurs) DR
hn . i ; <» 6—
„ Kautschuk hiezu für ie ein Ersatastück E aeea a a a | 5
Umarbeitung pro Zahn . . . ; E T
Kautschuk für je ein Ersatzstück Er ne A ee
Reparatur für jeden neueingesetzten Zehn... . „ 6.—
a OER a a0 a ee re a A
Rauhesauger pro Stück . . ee a M
Gummiplättchen hiezu pro BE an „ l.—
76 'Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Goldkrone pro Stück Herstellungskosten . `. :: .K 20:—
(Gold nach Gewicht und nach Tageskure Zi 10% ze“
Schwendung.)
Richmondkrone pro Stück Heisiellunsässten Zr „ 20.—
(Gold nach Gewicht und nach Tageskurs plus 10%
Schwendung.’— Porzellanzahn nach Tageskürs.) |
''Brückenglieder pro Stück Herstellungskosten . `% . „ 20.—
(Gold nach Gewicht und nach Tageskurs ' plus 10%
. Sehwendung. — Porzellanzahn nach Tageskurs.) -
Goldplattierung eines ` Zahnes Herstellungskosten . . 19. —
(Gold nach Gewicht.) È ea.
Klammern aus Gold Herstellungskosten . . u 3.—
‘(Gold nach Gewicht und nach Tageskurs.)
Klammern äus unechtem Metall pro Stück . „.4—
'Magnaliumgebisse pro Zahn o a a y D
- Pro ‘Ersatzstück . .*% x ng p | ‚10.—
: Anmerkung: a) Das verwendete Gold ‚wird zum ' jeweiligen
A E berechnet, : wobei ein 10%iger Zuschlag für Schwendung in
"Anschlag gebracht wird. b) Die- Behandlungskosten sind zu Beginn der
z..nus zu erlegen.
un (Die Verjährung der ärztliehen TEE LE ) Die dritte Tei-
“ovelle zum bürgerlichen Gesetzbuche änderte den § 1486 dahin ab, daß
„Forderungen der: Ärzte, Tierärzte etc. in 3 Jahren (früher 30 Jahren)
verjähren. Der Beginn dieser Verjährung war mit 1. April 1916 festgesetzt,
‚so daß diejenigen Honorarforderungen,. die bis zum 31. März 1919 ent-
weder nicht neuerdings anerkannt oder gerichtlich eingeklagt wurden,
am 1. April 1919 der Verjährung bereits verfallen gewesen wären.
Die Vollzugsanweisung des -Deutschösterreichischen Staatsamtes für
. Justiz vom 13. Dezember 1918, Nr.:-105 bestimmt jedoch, daß. die Ver-
jährung für die Honorarforderungen der Ärzte (nebst anderen, dortselbet
aufgezählten Forderungen) nicht-vor :Ablauf des: Kalenderjahres, das auf
das Kriegsende folgt, eintritt. Der Tag, der als Kriegsende zu gelten hat,
wird durch eine Vollzugsanweisung, : die bisher nicht erschienen ist,
bestimmt.
Es liegt im Interesse aller Kollegen, ältere Forderungen entweder
sofort gerichtlich einzuklagen oder, wo dies aus. Opportunitätsgründen
untunlich wäre, die Partei zu veranlassen, eine S E An-
erkennung der Forderung zu geben.
Bloße Mahnung, genügt nicht, um die Verjährung zu unter-
brechen.
4
(Deutschösterreichisches Steuereinhebanziselek) 1. Direk Er
die am 22. Dezember 1918 bereits fällig waren, sind (nötigenfalls“nach dem
letzten .Zahlungsauftrage für die ' betreffende . .Steuerärt) spätestens am
29. Januar‘ 1919 einzuzahlen. ' Sonst werden: bei Zahlung zwischen:
30. Januar und 15.'Februar 1919 eine Krone für je. 100. Kronen und Rest
über 50. Kronen, 16: Februar und 15. März 1919 'zwei Kronen: für je
100 Kronen und Rest: über 50 Kronen; 16. März und 15. April drei 'Kronen
für je 100 Kronen und Rest über, ‚Ho Kronen, USW. an Verzugszinsen
berechnet. (81.)
var
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
2. Kriegssteuer und Kriegsgewinnsteuer, über welche der Zahlungs-
a zwischen dem 23. Mai und dem 21. Dezember 1918 dem Steuer-
pllichtigen zugekommen ist, ist zur Gänze bis 29. Januar 1919 einzuzahlen,
sonst werden Verzugszinsen wie unter 1. berechnet. (§ 2.)
3. Kriegssteuer und Kriegsgewinnsteuer, über welche der Zahlungs-
auftrag vom 22. Dezember 1918 an den Steuerpflichtigen zukommt, ist
spätestens am 14. Tage nach dem Zustellungstag ganz zu bezahlen, sonst
werden vom Tage nach der Zustellung bis zum Zahlungstage für jeden
Tag 2,6 Heller für je 200 Kronen an Verzugszinsen berechnet. (§ 4, Ges.
9. März 1887, Nr. 23, §$ 1, 3 und Ges. vom 23. Januar 1892, Nr. 26, Art. 1.)
4. Im Jahre 1919 bleiben nur die Einzahlungstermine folgender
direkter Steuern unverändert: Hauszinssteuer, fünfprozentige Gebäude-
steuer, Rentensteuer im Abzugswege, Einkommensteuer, die vom Dienst-
geber abgeführt wird, Besoldungssteuer und Tantiemenabgabe. Für die
übrigen direkten Steuern gelten folgende besondere Einzahlungstermine:
1. Februar 1919: Grundsteuer ganz, Hausklassensteuer ganz, Renten-
steuer nach Bekenntnis ganz, Einkommensteuer (soweit sie nicht vom
Dienstgeber abzuführen ist) ganz, allgemeine Erwerbsteuer ein Drittel, be-
sondere Erwerbsteuer ein Drittel; 1. April 1919: allgemeine und besondere
Erwerbsteuer, das zweite Drittel; 1. Juni 1919: allgemeine und besondere
Erwerbsteuer, das letzte Drittel. Die Zahlung hat spätestens am 15. des
betreffenden Monates zu erfolgen, sonst werden vom 2. des betreffenden
Monates bis zum Zahlungstage für jeden Tag 2,6 Heller für je 200 Kronen
an Verzugszinsen berechnet. ($3, und wie unter Punkt 3.)
5. Die Zahlung hat zunächst nach dem letzten Zahlungsauftrage zu
erfolgen, der dem Steuerpflichtigen für die betreffende Steuerart zuge-
kommen ist. Nur Kriegsgewinn- und Kriegssteuer sind nur auf den ein-
zelnen Zahlungsauftrag hin einzuzahlen. (§$ 3 und 4.)
6. Die Steuerbehörde kann für die früheren Jahre ab 30. Dezember
1918, für die Einkommensteuer für 1919 und die Kriegssteuer von 1918
ab 1. Februar 1919, nach dem Bekenntnisse (nur wenn dieses in auffälligem
Maße bedenklich erscheint oder überhaupt noch fehlt, nach ihren Behelfen )
vorläufige Zahlungsaufforderungen erteilen, deren Betrag (eventuell Diffe-
renz gegenüber der bereits bezahlten letzten Vorjahrsvorschreibung) spä-
testens am 30. Tage nach dem Zustellungstage zu erlegen ist, sonst werden
vom 31. Tage an für jeden Tag 2,6 Heller für je 200 Kronen an Verzugs-
zinsen berechnet. Gegen die vorläufige Zahlungsaufforderung ist nur
Stundungsgesuch (siehe Punkt 8) zulässig. Der ordnungsgemäßen Be-
steuerung wird durch sie nicht vorgegriffen. Stellt sich Überzahlung her-
aus, so können an Vergütungszinsen für je 100 Kronen Überzahlung
50 Heller für jeden vollen Kalendermonat und für mehr als einen halben
Kalendermonat am Anfang oder Ende gefordert werden. (8 5.)
7. Steuerbeträge bis 100 Kronen unterliegen keinen Verzugszinsen.
8. Ansuchen um Stundung (2 Kronenstempel) eines nach diesen Be-
stimmungen fälligen Steuerbetrages oder eines Teiles desselben und um
Nachsicht der Verzugszinsen können nur aus einem der folgenden drei
Gründe ausnahmsweise bewilligt werden: a) wenn der Steuerpflichtige an
der Hand von Belegen dartut, daß die endgültige Steuervorschreibung für
das betreffende Jahr in wesentlich geringerer Höhe erfolgen wird, für die
Differenz, b) wenn der Steuerpflichtige an der Hand von Belegen dartut, daß
18 Kleine Mitteilungen.
er durch die Zahlung in wirtschaftliche Bedrängnis gerät, c) wenn örtliche
Verhältnisse (z. B. fremde Besetzung) die rechtzeitige Steuerzahlung vor-
übergehend ausschließen. ($ 6.)
9. Liqùide Forderungen an ehemalige österreichisch-ungarische Heeres-
stellen oder k.k. österreichische Staatsstellen werden bis zwanzig Prozent
ihres Betrages mit fälligen Steuerzahlungen kompensiert. Der Nachweis
ist der Steuerbehörde zu erbringen.
10. Kriegssteuer und Kriegsgewinnsteuer kann mit vierter bis achter
österreichischer Kriegsanleihe zu folgenden Kursen entrichtet werden:
amortisable Anleihe: IV. 92,50, V.92,—, VI. 92,—, VII. 92,—, VIII. 92,—;
Schatzscheine: IV. 95,—, V.96,—, V1. 93,50, VII. 94,—, VII. 95,50.
Kleine Mitteilungen.
(Zahnärztemangel in Obersteier.) Vom Stadtamt Rottenmann wird
berichtet: Für Rottenmann ist die Distriktsarzt-Stelle ausgeschrieben.
In ganz Öbersteiermark macht sich der Mangel eines Zahnarztes fühlbar.
Von Leoben bis Aussee einerseits und bis Amstetten anderseits ist kein
Zahnarzt, weshalb solchen Ärzten, welche Zahnarzneikunde betreiben, dıe
Bewerbung um die Distriktsarzt-Stelle nahegelegt wird. (Grazer „Ar-
beiterwille“ vom 11. Jänner 1919.)
(Mangel an Zahnärzten in Deutschland.) In den „Münchner Neuesten
Nachrichten“ schreibt Prof.Dr. Walkhoff: Während bei den meisten
wissenschaftlichen Berufen seit. vielen Jahren ein starker Zugang, ja eine
bedeutende Überfüllung festzustellen ist, ist für das Studium der Zahnheil-
kunde auf den deutschen Universitäten bisher das Gegenteil der Fall. Viele
Jüngere Kriegsteilnenmer, die einen neuen Beruf ergreifen wollen, sollen
aas nun bei der Wahl des Studiums bedenken. Sie haben im Felde geschen,
in welch außerordentlichem Unmmfange Zahnerkrankungen im Heere auf-
traten und von allen Leiden die größte Ursache für die temporäre Feld-
dienstunfähigkeit unserer Soldaten darstellten. Auch die Schulunter-
suchungen in Friedenszeiton haben schon gezeigt, daß mehr als 90—95 %
ailer Kinder kranke Zähne hatten. Es können jedenfalls noch viele Tau-
sende von Zahnärzten in Deutschland eine sehr nützliche und einträgliche
Tätigkeit für unser deutsches Volk ausüben.
(Aufhebung der Beschränkungen des Verkehres mit Gummi.) Das
Staatsamt für Kriegs- und Thergangswirtschaft hat durch Vollzugs-
anweisung vom 12. Februar 1919 (St.-G.-Bl. Nr. 128) die Bestimmungen
der Ministerialverordnung vom 31. Juli 1917 (R.-G.-Bl. Nr. 325), betreffend
den Verkehr mit Rohgummi, Guttavercha, Balata, Gummimischungen,
Guemmilösungen, Factis, Gummiabfällen und daraus hergestellten Re-
gencraten, soweit sie sich auf den Verkehr mit Gummimischungen, Gummi-
lösungen, Factis, Gummiabfällen und daraus hergestellten Regeneraten
beziehen, außer Kraft gesetzt.
_-- s> 8 > «e - —
Für den wissenrchaftlichen Teil verantwortlicher Redaktenr: Dr. Emil Steinschneflder.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TIT., Münrgasse 6.
Tafel 1.
Harry Sicher: Die Leitungsanästhesie am Nervus buceinatorius.
=e a nali
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Ir S u
An einem median zersägten Schädel wurde durch Spaltung der Schleimhaut der Wange und
des Musculus buccinatorius der gleichnamige Nerv bloßgelegt.
D. St. = Sonde, in die Mündung des Ductus Stenonianus eingeführt.
N.b. = Nervus buceinatorius.
T, = oberfläehliche Portion der Temporalissehne am vorderen Rand des Processus coronoideus
inserierend.
.T,=tiefe Portion der Temporalissehne an der Crista temporalis mandibulae haftend.
Zwischen T, und T, das obere Ende der Fovea retromolaris.
Vor dem vorderen Anteil der Temporalissehne ist die Innenfläche des M. masseter sichtbar.
Osterreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ ir, die wissenschattlichen Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs.
XVII. Jahrgang. April 1919. 4. Heft.
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Über einen Fall von „Adamantinoma cysticum Hesse“.
Von Dr. Franz Péter.
(Mit 1 Figur.)
Der in Folgendem zu beschreibende Krankheitsfall reiht sich an die
Fälle, die ich in der „Österreichischen Zeitschrift für Stomatologie“ +)
publizierte. Wie diese, ist auch er ein Fall, der aus der großen Reihe der
„praktischen“ Fälle einer langjährigen Feldambulanz herausgerissen wurde
und als vom Täglichen abweichend der Öffentlichkeit übergeben zu werden
verdient.
Am 3. August 1918 erschien in meiner Ordination der Feldwebel F.K.
eines Epidemiespitales und gab an, daß er sehr starke Schmerzen im
rechten Unterkiefer verspüre. Ich fand eine kariesfreie, komplette Zahn-
reihe, sämtliche Zähne im Oberkiefer und Unterkiefer vorhanden, mit Aus-
nahme des rechten unteren Weisheitszahnes. Der rechte untere zweite
Molar klopfempfindlich, keine Karies, auch sonst keine Spur einer krank-
haften Veränderung zu sehen. Der Zahn wurde außer Artikulation gesetzt,
Patient fühlte sich erleichtert und wurde entlassen. Zwei Tage später,
‚also am 5. abends, telephonierte mir sein Kommandant, daß der Mann Sonn-
tag abends plötzlich erkrankt sei, heftiges Fieber bekommen und sich bei
ihm im Laufe des Tages eine starke Schwellung der rechten Gesichtshälfte
eingestellt hätte. Dienstag den 6. früh übernahm ich den Patienten in
Spitalsbehandlung. Nun hat sich aber in der Zwischenzeit das Bild einer
schweren Erkrankung ausgebildet. Patient fieberte bis 40°, bekam Schüttel-
frost, es trat eine starke Schwellung der rechten Gesichtshälfte auf von
einer eigentümlich teigigen Konsistenz, auf den Hals übergreifend und mit
starker Kiefersperre und enormer Druckempfindlichkeit des Unterkiefer-
astes, besonders am hinteren Rand einhergehend. Ich untersuchte den
Patienten nun gründlich, fand aber, daß der Unterkiefer im Bereiche der
1) Siehe H.2, 1919.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie.
=]
80 Franz Péter.
Zähne beiderseits gut abzutasten und ohne Infiltrat war, und schloß da-
durch eine mit den Zähnen zusammenhängende Periostitis aus. Die teigige
Konsistenz der Schwellung erinnerte an das Bild der Parotitis epidemica
und hätte nicht die Halbseitigkeit der Schwellung diese Erkrankung aus-
geschlossen, hätte ich mich sicherlich zu dieser Diagnose entschlossen.
Da nach den allgemein üblichen Behandlungsarten (Umschläge, Mund-
spülungen etc.) der Zustand des Patienten sich nicht besserte, konsultierte
ich am andern Morgen, Mittwoch, den Konsiliarchirurgen des 7. Korps;
ich konnte die Diagnose nur auf eine Zyste stellen, welche sich am Unter-
kieferwinkel um den retinierten Weisheitszahn entwickelt und welche sich
durch Schrunden, die in der Schleimhaut des Trigonum retromolare durch
den tief hinein beißenden oberen Weisheitszahn verursacht wurden, infiziert
hatte und zur Vereiterung gekommen war. Ich extrahierte nun diesen über-
zähligen oberen Weisheitszahn; und da der II. untere Molar an diesem Tage
deutlich etwas gelockert war und die Schleimhaut an dessen distaler Seite
gerötet und geschwollen erschien, auch diesen Zahn, in Anbetracht der
drohenden Symptome, insbesondere der Kiefersperre, des Übergreifens der
Schwellung auf den Hals und des sich wiederholenden Schüttelfrostes. Es
entleerte sich aus einer hinter dem Zahne gelegenen Höhle Eiter. Patient
fühlte sich erleichtert. Nur kurze Zeit dauerte aber diese Erleichterung,
der Zustand hat sich im Laufe des Tages nicht wesentlich verändert;
von aulsen kein Zeichen eines zirkumskripten Infiltrates, geschweige denn
einer eitrigen Einschmelzung im Bereiche der Schwellung, was uns einen
Fingerzeig für einen Eingriff von außen hätte abgeben können. So ent-
schlossen wir uns im Laufe des Nachmittages, den Eiterherd von innen her
breit freizulegen, und ich nahm nun von der die Höhle bedeckenden Schleim-
haut so viel weg, als ich nur konnte. Nun ging eine Unmasse Eiter ab;
allerdings machte ich diesmal die Entdeckung, daß wir es nicht mit einer
einfachen Abszeßhöhle zu tun haben, sondern daß diese Abszeßhöhle am,
aufsteigenden Unterkieferast sehr weit eine Ausbuchtung haben muß, denn
beim Druck knapp unterhalb des Gelenkkopfes strömte schon Eiter aus
der Wunde. Nach diesem reichlichen Eiterabgang besserten sich tatsäch-
lich die Erscheinungen; Schüttelfrost kam nicht wieder, obwohl die Tem-
peratur ständig in der Höhe blieb; 38—39° abends; die Schwellung wurde
etwas weicher, die Schmerzhaftigkeit am Unterkieferast ließ nach; wir
warteten zunächst zu. Sonntag den 11. August erfolgte nun plötzlich eine
Verschlimmerung des Zustandes, indem die Schwellung innerhalb weniger
Stunden rasch zunahm und sich insbesondere am Halse als breites Ödem
ausbreitete. Nun bat ich den Chirurgen, von einem Eingriff von außen
abzusehen und noch einmal von der Mundhöhle aus einzugreifen. Ich habe
nun einen Hebelversuch gemacht, da ich in der Tiefe der Abszeßhöhle die
Über einen Fall von „Adamantinoma cysticum Hesse“. 8I
Höcker des Weisheitszahnes zu tasten glaubte und die leere Alveole des
zweiten Molaren einen günstigen Angriffspunkt für den Hebel abgab.
Den Weisheitszahn bekam ich nicht, förderte aber durch 2—3 kräftige
Hebelversuche eine Reihe von Sequestern zutage und nun strömte der Eiter
wieder von allen Seiten. Jetzt erfolgte erst eine rapide Besserung, die
Schwellung ging zurück, die Kiefersperre ebenfalls ziemlich rasch, Schmerzer
haben vollständig aufgehört und innerhalb weiterer vier Tage sank auch
die Temperatur zur Norm. Im Laufe dieser Behandlung wurde zwar schon
eine Röntgenaufnahme gemacht, die aber nicht besonders gelungen war,
man konnte sich nicht recht auskennen; einen Schatten im Unterkiefer-
winkel deutete der Röntgenologe als den retinierten Weisheitszahn. Ich
hatte nun allen Grund, die Richtigkeit meiner Diagnose sowie der Be-
handlungsart nicht anzuzweifeln. Ich behandelte die breite offene Höhle
mit Wasserstoffsuperoxyd-Ausspülungen weiter, Patient war vollkommen
beschwerdefrei und am 20. August entließ ich ihn zu seiner Abteilung mit
dem Auftrag, bei der geringsten Störung sich bei mir wieder vorzustellen.
Am 5.September erschien Patient wieder im Ambulatorium. Er gab
an, absolut keine Schmerzen zu haben, sich wohl zu fühlen. Nur kommt hie
und da, besonders in der Früh, aus der immer noch offenen Wunde Eiter.
Tatsächlich war die Wunde selbst reaktionslos, der Unterkiefer schmerz-
los, beim Druck am oberen Teile des Unterkieferastes entleerte sich reich-
lich dünnflüssiger, grünlichgelber Eiter. Viel auffallender war, daß der
kräftige Patient vollständig abgemagert war und in dem rasch abge-
magerten Gesicht erschien die rechte Unterkieferregion, besonders in der
(Gegend des Kieferwinkels deutlich geschwollen. Nur ein Sequester konnte
der Grund sein! Ich machte die Anästhesie, legte wieder die Höhle frei und
entfernte einige kleine Sequester; sonst konnte ich nichts finden; die Sonde
rutschte aus der Abszeßhöhle entlang dem rauhen Unterkieferast in die
Höhle. Jetzt erst konnte ich ein besseres Röntgenbild bekommen. An
diesem war kein Weisheitszahn zu sehen, es war also unsere Diagnose nicht
richtig. Der ganze Unterkieferast erschien ganz eigentümlich zerklüftet
und gelockert. Als ganz merkwürdiger Nebenbefund erschien aber in der
Mitte des Unterkieferkörpers eine haselnußgroße separierte Cyste und im
vorderen Anteil des Körpers noch eine kleinere. Ich war nunmehr nicht im
klaren über die Krankheit und fuhr mit dem Patienten ins Kieferspital
nach Udine, wo ich mit tüchtigen Fachkollegen konsultierte. Auch hier
gelangten wir zu keiner Diagnose. Erst im Laufe der Zeit ist es mir
gelungen, das Krankheitsbild zu diagnostizieren. Hesse hat dasselbe
unter dem Namen Adamantinoma eysticum beschrieben.
Nach dem Handbuch von Partsch finden sich in diesem Falle
multiple Zystenbildungen im Unterkiefer, welche ihren Ursprung von ver-
7%
82 Franz Péter. Über einen Fall von „Adamantinoma cysticum Hesse“.
sprengten Schmelzkeimen nehmen. Manchmal erscheint der ganze Unter-
kiefer wie aus lauter Waben bestehend, sie durchbrechen den Kieferkörper
und liegen unter dem Periost.
Daß versprengte Epithelzellen zur Zystenbildung Veranlassung
geben, sehen wir oft an den follikulären Zysten. Der große Unterschied
diesen gegenüber besteht darin, daß die Zysten multipel auftreten und tief
im Unterkieferkörper eingebettet liegen. Der Kiefer ist nun im ganzen
aufgetrieben und wir haben es mit einer Tumorenbildung zu tun.
Fig.1.
ms
Im vorliegenden Fall ist es nun wahrscheinlich zu einer Konfluenz
mehrerer Zysten im aufsteigenden Ast gekommen; die so entstandene große
Zyste ist nun vereitert, woran wahrscheinlich die vom oberen Weisheits-
zahn verursachten Schrunden die Schuld tragen, die ja schon öfters zur
Vereiterung von Weisheitszahnzysten Veranlassung gaben. Der kompli-
zierte Verlauf ist durch diese Annahme leicht zu erklären.
Der Fall hat viel Ähnlichkeit mit dem, den Bock in seiner Arbeit
(„Öst.-ung. V.-J.-Schr. f. Z.“ 1906) als Fall 7 publiziert hat. Nur ist der
Fall erst im 4. Jahre der Erkrankung zur Beobachtung gekommen, während
Winke für die Praxis. 83
hier der Patient sofort nach Beginn der akuten Erkrankung beobachtet
werden konnte.
Die anderen Zysten im Unterkiefer sowie der schleppende Verlauf,
die totale Zerklüftung und Zerstörung des Unterkieferastes sichern die
Diagnose. z
Was den weiteren Verlauf des Falles anbelangt, so ist der Mann einige
Zeit im Kieferspital in Udine geblieben; dort wurde er noch einmal
operiert, wieder wurden Sequester entfernt; ich sah den Mann Anfang Sep-
tember: im Zustand keine nennenswerte Änderung. Er wurde dann ins
Hinterland abgeschoben und vor einigen Tagen erhielt ich Bericht über
seinen Zustand. Er ist noch immer nicht gesund, schon einige Male
wurden wieder Sequester aus seinem Unterkiefer entfernt und wenn auch
der Zustand sich etwas gebessert hat, ist er noch immer geschwollen. Die
Chirurgen, die ihn jetzt behandeln, denken an Osteomyelitis.
Das beigefügte Röntgenbild (Fig.1) verdanke ich ebenfalls dem .-
Kollegen, der mir über den Fall berichtete, da ich die ursprünglichen Auf-
nahmen im Rummel des Rückzuges verlor.
Es ist wohl äußerst interessant, daß eine Versprengung von embryo-
nalen Zellen hier gerade in einem Fall stattgefunden hat, wo sonst in
Bezug auf die Zahnbildung ein geradezu idealer Zustand, eine intakte
Zahnreihe, fast kariesfreie, kräftige, gesunde Zähne, sich vorfanden. Ein
lehrreicher Fall aus den Grenzgebieten, denn der klinische Verlauf führt
vom Zahnarzt zum Chirurgen, von der einfachen Periostitis zur allge-
meinen Tumorenlehre.
Uber die Literatur verweise ich auf das Handbuch von Partsch,
Bd.1, S. 216.
Winke für die Praxis.
Repetitorium der Brückentechnik.
Von Dr. Emil Steinschneider.
(Fortsetzung.)
StabilitätundBruchfestigkeit der Brücken hängen von
zwei Momenten ab: Von der Beschaffenheit des verwendeten Materials und
der Art der Arbeit einerseits und von der Beschaffenheit und der Zahl der
Pfeiler andererseits. Es ist überflüssig zu sagen, daß man nur bestes
Material verwenden soll. Für gegossene Brücken verwenden wir nur nicht
verunreinigtes Gold (18—22 Karat). Die oft beliebte Verwendung von
Überbleibseln, Gekrätz usw. zum Gießen rächt sich durch Poröswerden
84 Winke für die Praxis.
des Gusses und Bruch der Brücke. Nebst gutem Material ist natürlich auf
saubere und exakte Arbeit zu sehen. Der Brückenkörper muß immer auf
der Kaufläche der Pfeilerkronen, eventuell mit Hilfe von vom Körper aus-
gehenden Fortsätzen angelötet werden. Zweckentsprechend ist es, die
ganze Brücke durch Platin-Iridiumdraht, der von den Kronen auf den
Brückenkörper läuft, zù verstärken. Niemals ist der Brückenkörper nur
an den Wänden der Pfeilerkronen anzulöten, weil die Gefahr des Reißens
des Goldes dort am größten ist. Fehler, die aus der Beschaffenheit des
Materials und der Art der Arbeit fließen, lassen sich bei einiger Gewissen-
haftigkeit immer vermeiden, viel schwieriger die, die sich aus der Be-
schaffenheit der Pfeiler ergeben, ihrer Unzulänglichkeit, ihrer unzweck-
mäßigen Belastung und aus Fehlern in der Konstruktion der Brücke. Über
die in ihrer Konstruktion verfehlten „Konsolen“ wurde schon gesprohen. Es
ist sicher, daß eine Brücke um so dauerhafter sein wird, auf je mehr Pfeilern
sie ruht, aber auch hier ist ein Zuviel von Schaden und man wird von den
“zur Verfügung stehenden Stützzähnen mit weiser Vorsicht extrahieren, um
ein besseres Passen bzw. Einsetzen und damit eine größere Dauerhaftigkeit
der Brücke zu ermöglichen. Es wäre z.B. eine Brücke zu machen vom
ersten Molaren links bis zum ersten Molaren rechts unten und es wären die
Zähne und Wurzeln nach folgender Formel zur Verfügung
..6.4r82111.3.56.., wobei die 35.1]1.3 ganz gesund, der 2] und die
Wurzeln von 4] mit gangränöser Pulpa, der’ 2| überdies gefistelt, die f6
mit harter Karies behaftet waren. Ich habe in diesem Falle die gesunden
1Ti1 und die 2%] rechts und f links mit Gangrän der Pulpa extrahiert, so
daß die Formel der Zähne, auf denen die Brücke ruht lautet 6..3..]
[..3.6, sicher Pfeiler genug, und ich bin gewiß, daß die Ringe der Kronen,
die ja einzeln passen müssen, auch nach dem Einsetzen dieser großen
Brücke fehlerfrei sitzen, besser, als wenn ich alle Stützzähne mit Kronen
resp. Richmondkronen versehen hätte. Dabei läuft der Träger der Brücke
nicht Gefahr, von einem der Zähne mit Gangrän der Pulpa später einmal
eine Periostitis zu bekommen, wenn sie auch vorerst gut behandelt und
reaktionslos sind. Auch habe ich hier nicht zwei oder mehrere kleine
Brücken hergestellt, denn ich halte dafür, daß man bei einem Gebiß mit
allenthalben zerstreuten Lücken nicht mehrere kleine, sondern eine große
Brücke herstellen soll, die allenfalls aus mehreren miteinander verschraub-
ten Teilen bestehen kann. Dem Einwand, daß bei so großen Brücken, bei
denen man also viele Pfeiler verwendet, die Ringe der Kronen nicht genau
passen können, weil die absolute Parallelität so vieler Pfeiler nicht herzu-
stellen ist, begegne ich dadurch, daß man ja die Brücken, wie gesagt, in
mehreren Teilen, die miteinander verschraubt werden, herstellen kann und
daß, wenn man, wie ich schon oben bemerkte, die Zahl der Pfeiler weise
Winke für die Praxis. 85
beschränkt, diese sich so weit parallel schleifen lassen, daß alle Ringe
passen müssen. Nur auf diese Weise wird man vor Verlegenheit bewahrt,
in die man kommt, wenn eine der kleinen Brücken insuffizient wird. Ich
habe jüngst zwei Brücken entfernen müssen, die ein sonst tüchtiger Kollege
bei der Zahnformel ..6..321 [12.456 wie folgt hergestellt hatte:
1 [1 blieben stehen, 32 ] rechts Richmondkronen, 45 ] schwebend, mit. einer
im j rechts einplombierten Bar und [2 Richmondkrone f$ schwebend,
ff Richmondkrone. Die I Ti wurden nun locker und das Amalgam im 6]
rechts war herausgebröckelt. Ich habe die i [T extrahiert und eine
Brücke vom 6| rechts bis zum 3] links mit Vollkronen über diesen beiden
Zähnen gemacht. Der Patient wäre besser daran gewesen, wenn der Kollege
gleich den Mut gehabt hätte, die IJ1 zu extrahieren oder in die Brücke
einzubeziehen und diese dann so zu bauen, wie ich es nachträglich tun
mußte.
Noch viel schwieriger ist, bei der Konstruktion einer Brücke die Be-
lastung richtig zu verteilen, wenn wenig Pfeiler zur Verfügung stehen oder
wenn diese durch Alveolarpyorrhöe gelockert sind. Im allgemeinen muß
man sich so helfen, daß die Schwäche des Pfeilers an dem einen Ende der
Brücke durch Einbeziehung mehrerer Pfeiler an dem anderen Ende zu para-
lysieren ist. Es ist ja klar, daß z. B. die Pfeiler einer Brücke von 3 bis 8
zu stark belastet werden. Nimmt man aber noch einen oder zwei Schneide-
zähne dazu, wird die Brücke der in vertikaler und in horizontaler Richtung
wirkenden Kaukraft gewachsen sein. Dasselbe gilt auch dann, wenn —
auch bei kleineren Brücken — der eine Stützzahn gelockert ist. Ist in
diesen Fällen die Einbeziehung mehrerer Stützen an einem Ende der Brücke
nicht tunlich, so leistet der von Bryan angegebene Entlastungsbügel aus-
gezeichnete Dienste. Dieser wird, am besten abschraubbar, von einem
geeigneten Punkt der Brücke quer über den Gaumen und diesem anliegend
zu einer gut gestützten Brücke oder einzelnen Kronen der anderen Kiefer-
hälfte geführt. Andererseits geben auch lockere Zähne, die, durch eine
Brücke mit festen Zähnen verbunden, in ein starres System einbezogen
werden, der ersteren einen guten Halt und man soll nicht wahllos von den
zur Verfügung stehenden Stützen die gelockerten Zähne ziehen, sie viel-
mehr zum Halt der Brücke heranziehen. Die Brücke hält die lockeren
Zähne und umgekehrt die Zähne halten die Brücke.
Besondere Vorsicht muß angewendet werden, wenn ein gestürzter,
also schiefstehender Zahn als Brückenpfeiler verwendet werden soll. In
diesen Fällen wird, da ja die Pfeiler bei weitem nicht parallel stehen, in
den meisten Fällen eine Schraubenbrücke gemacht werden müssen, über die
ja noch zu sprechen sein wird. Das Bedenkliche an solchen schiefstehenden
Pfeilern ist aber, daß sie nicht in der Richtung ihrer Längsachse belastet
g6 Referate und Bücherbesprechungen. Pr
werden; die Kraft, die einen derartigen Zahn beim Kauen trifft, wird in
zwei Komponenten zerlegt, die eine wirkt in der Richtung der Längsachse,
die andere Komponente in der Richtung der Neigung des Zahnes, hat also
das Bestreben, die ungünstige Lage des Zahnes noch zu erhöhen. Um der
schädlichen Wirkung dieser Komponente möglichst zu begegnen und die
Brücke nach den Gesetzen der Statik richtig zu bauen, werden wir ihr eine
„Sprengung“ geben. Zu diesem Zwecke sollten wir die ganze Brücke bogen-
förmig gestalten, da dies aber selbstverständlich untunlich ist, werden wir so
vorgehen, daß der Brückenkörper nicht in einem mehr oder weniger stumpfen
Winkel den Pfeiler trifft, sondern werden uns bestreben, den Brückenkörper
an der der Gingiva zugewendeten Seite in der Richtung gegen den schiefen
Pfeiler bogenförmig zu gestalten. Diese Konstruktion wird die in der
Richtung der Neigung des schiefstehenden Zahnes wirkende Komponente
der Kaukraft paralysieren, bedingt aber die Anbringung einer eventuell
notwendigen Schraube an dem anderen Pfeiler.
Die Frage, ob Sättel bei sonst schwachen Pfeilern die Haltbarkeit
der Brücken erhöhen, möchte ich auf Grund meiner Erfahrungen verneinen.
Sattelbrücken sind nur in gewissen später zu erörternden Fällen indiziert.
(Fortsetzung folgt.)
Referate und Bücherbesprechungen.
* Anleitung zur Feststellung der Erwerbseinbuße bei Kriegsbeschädigten.
Von Dr. Adolf Deutsch, Arzt des Invalidenamtes Wien. Wien 1919. Ver-
legt vom Staatsamte für Volksgesundheit, Wien.
Das Heft soll entsprechend den neuen Superarbitrierungsvorschriften
den Ärzten als Grundlage für die Schätzung der Erwerbseinbuße dienen.
Im Gegensatz zu den früheren Schätzungen der Berufsunfähig-
keit wird hier de Erwerbsunfähigkeit der Kriegsbeschädigten
unter billiger Berücksichtigung des Berufes als Schätzungsgrundlage an-
genommen.
Die Verletzungen und deren Folgezustände werden in Prozenten der
Erwerbseinbuße angegeben, derart, daß nicht die anatomische Schä-
digung, sondern der funktionelle Ausfall entschädigt wird.
Allen Ärzten, die mit der Schätzung von Folgen nach Kriegsverletzun-
gen zu tun haben unentbehrlich, nur ist es sehr zu bedauern, daß der
Verfasser fast gar keine Rücksicht nimmt auf die so zahlreichen Kriegs-
beschädigten, die an den Folgen von Kieferverletzungen leiden.
Dies nachzutragen wäre um so verdienstlicher, als gerade bei diesen
Kriegsbeschädigten ein Leitfaden für die Schätzung der Erwerbseinbuße
dringlicher ist als bei allen anderen, für die ja schon im Frieden Schemata
hiefür bestanden. Steinschneider.
Referate und Bücherbesprechungen. 87
Okzipitalneurose infolge von Alveolarpyorrhöe. Von Wilhelm Struck,
Parchim. D.M,.f.Z., H.11, November 1918.
Der publizierte F all, in welchem die Pyorrhöe speziell des [7 eine
Okzipitalneuralgie — nicht Neurose — hervorgerufen haben soll, ist vor
allem dadurch bemerkenswert, daß an demselben Zahn bei seiner Extrak-
tion die freiliegende Pulpa nachgewiesen werden konnte. Und doch scheut
sich Struck nicht, der gleichzeitig vorhandenen Pyorrhöe, die zur Gra-
nulationsbildung im Periodontalraum geführt hatte, die Schuld beizu-
messen. Allerdings wird ja dadurch der Fall zu einem interessanten! Die
Ätiologie ist zweifellos die folgende. Der nicht devitalisierte Mə wurde als
Brückenpfeiler benützt. Bald war er überempfindlich, was nicht zu ver-
wundern ist. Die Klagen des Pat., daß vor allem kalter Luftzug die
Schmerzen im Hinterkopfe auslöse, hätte ja auf diesen Umstand auf-
merksam machen können. Die später auftretende Karies am Zahnhals,
die dann zur Pulpitis führte, steigerte allmählich die Krankheitserschei-
nungen bis zur Unerträglichkeit. Die ganze Publikation bringt nur wieder
einen Beweis für meine öfter geäußerte Ansicht von der eigenartigen
Leichtfertigkeit Struckscher Arbeit. Sicher.
Verletzung des Nervus lingualis in , der Mundhöhle. Von H.Kron, Berlin.
D. M. f. Z., H. 10, Oktober 1918.
Kron berichtet über zwei einschlägige Fälle, die ja durch das
anatomische Verhalten des Nervus lingualis bei seinem Eintritt in die
Mundhöhle sehr begreiflich sind. Er liegt unter der Schleimhaut des Mund-
höhlenbodens neben den Molaren vollständig oberflächlich, so daß er durch
die Schleimhaut bei mageren Personen oft durchschimmert. Der erste Fall
stellt sich als eine Schnittverletzung des Nerven bei der Eröffnung eines
Abszesses nach Extraktion des unteren Weisheitszahnes dar. Leider leitet
Kron aus diesem Falle nicht die notwendige Folgerung ab, daß bei In-
zisionen lingual der Molaren des Unterkiefers der Schnitt unmit tel-
bar am Knochen und diesem parallel geführt werden muß. Dann
erscheint. eine Gefährdung des Zungennerven ausgeschlossen. Im zweiten
Falle führt Kron die Läsion auf die lingual der Molaren ausgeführte
Injektion von Novokain-Suprarenin zurück. Beim Endstich wurde der
Nerv zweifellos getroffen. Daß diese Schädigung allein aber zu einer blei-
benden Lähmung der Nerven führte, ist meiner Meinung nach — im Gegen-
satz zu der Krons — wenig wahrscheinlich; die nachfolgende ausge-
dehnte Weichteilnekrose läßt an eine Verunreinigung der Injektionsflüssig-
keiten denken. Aus diesem Fall den Vorschlag zu deduzieren, man solle
bei Iniektionen in der unteren Molarengegend die linguale Seite, vor allem
aber den Mundhöhlenboden vermeiden, geht, glaube ich, zu weit. Wird
doch gerade diese Stelle oft genug zur Leitungsunterbrechung des N. lin-
gualis verwendet. Daß man aber aseptisch vorgehen muß, ist dabei natür-
lich eine Voraussetzung ebenso wie bei allen Injektionen in der Mund-
höhle. Sicher.
Kontraindikationen bei Anwendung der Nervkanalbohrer. Von Walk-
hoff, München. D.M.f.Z., H.5, Mai 1918.
Durch das Hinausdringen der Nervkanalbohrer über das Foramen
apicale bei Gangraena pulpae entstand in einem Falle im Oberkiefer ein
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 8
88 Referate und Bücherbesprechungen.
Antrumempyem, in einem anderen Falle durch Eindringen in den Canalis
mandibularis eine schwere Osteomyelitis des Unterkiefers mit septischen
Erscheinungen. Weil gerade das Überschreiten des Foramen apicale selbst
bei größter Übung nicht mit Sicherheit zu vermeiden ist, verwendet W.
die Beutelrockbohrer nur zur Eröffnung der Kanäle, führt aber die totale
Ausräumung mit Handinstrumenten unter Zuhilfenahme von Säuren
durch. Sicher.
Zahn und Augenleiden. Von Adam, Berlin. D. M. f. Z., H.8, August 1918.
Eine etwas kursorische Übersicht über Erkrankungen der Orbita
im Gefolge von Zahnleiden. Im Vordergrund stehen natürlich die ent-
zündlichen Veränderungen. Im inneren Augenwinkel gelegene Fisteln von
periostitischen Schneide- oder Eckzähnen ausgehend, können Tränensack-
fisteln vortäuschen. Akute Periostitiden können direkt oder durch Ver-
mittlung des Sinus maxillaris zu Orbitalphlegmonen führen. Andrerseits
können sie zur Thrombose der Vena ophthalmica und weiter des Sinus
cavernosus führen, die fast immer letal endet. Hiezu wäre zu bemerken,
daß wohl der Ausdruck Thrombopblebitis besser angebracht wäre; bezüg-
lich der anatomischen Grundlagen für diesen Prozeß kommt meiner Mei-
nung nach nicht so sehr eine Verbindung kleiner Venenäste der Alveolen
mit solchen der Kieferhöhle und weiter der Orbita in Betracht, als viel-
mehr die breite, direkte anastomotische Verbindung, in welcher die Vena
facialis anterior in ihrem obersten Anteil — Vena angularis — mit dem
Anfangsstück der Vena ophthalmica superior am inneren Augenwinkel
steht. Die nervösen Erkrankungen stellen sich fast alle als Reflexneural-
gien oder -neurosen dar, können sich auch seltener als motorische Stö-
rungen manifestieren. Eine von den bisher genannten Erkrankungen völlig
abzugrenzende Gruppe bilden jene Fälle, in denen eine übergeordnete,
allgemein wirkende Noxe Schädigungen an Zähnen und Augen hervorruft.
Diese Scheidung fehlt bei Adam. Hicher gehören Hutchinson sche
Zähne und Keratitis parenchymatosa bei Lues hereditaria (?) und der
Schichtstar bei gleichzeitigen rachitischen ATVETTE i
icher.
Über angeborene Zähne. Von Schröder und Moral, Rostock. D.M.
f. Z., 1918, H. 4.
Nach einer eingehenden Übersicht über die aus der Literatur be-
kannten Fälle folgt eine genaue Beschreibung eines angeborenen Zahnes,
der bei einem Kinde von S Tagen entfernt wurde. Das Kind kam mit
2 Zähnen zur Welt, die beide locker am Unterkiefer saßen. Der eine
wurde am 4. Tage scheinbar verschluckt. Die histologische Untersuchung
ergab folgendes: Eine Wurzel fehlte vollkommen Der Schmelz ist nur
sehr mangelhaft entwickelt. Das Dentin zeigt gegen die Basis des Zähn-
chens immer weniger Kanälchen in der vermehrten Grundsubstanz. Be-
sonders interessant ist der Befund von osteodentinähnlichem Gewebe an
der Zahnbasis, das an einer Stelle sogar in Knochen übergeht. Das zellen-
haltige Osteodentin scheint dadurch gebildet zu sein, daß bei der Ver-
kalkung des Dentins Fortsätze gebildet werden, die die Zellen umgreifen
und endlich einschließen. Im Pulpagewebe, das nur aus dem Parenchym
und der darüber gelagerten Ödontoblastenschichte besteht, finden sich
Vereins- und Versammlungsberichte. 89
zahlreiche kleinere Blutungen. Das ganze Gebilde ist nach S. u. M. weder
als ein verfrüht durchgebrochener Milchzahn, noch als ein Teil eines
solchen anzusehen, sondern stellt eine durchaus pathologische ans Vor.
icher.
Vereins- und Versammlungsberichte.
Wirtsehaftliche Organisation der Zahnärzte
Deutschösterreichs.
Generalversammlung vom 1. März 1919.
Vorsitzender: Dr. Stein.
Schriftführer: Dr. Elkan.
Dr.Stein eröffnet die Generalversammlung. Nach Begrüßung über-
s A den Vorsitz dem Schriftführer und erstattet den Rechenschafts-
richt.
Dr. Stein referiert über die Tätigkeit des Vorstandes
im abgelaufenen Vereinsjahr, hebt insbesondere die Tätigkeit der drei ge-
wählten Ausschüsse hervor, u.zw.: des wirtschaftlichen Aus-
schusses, ferner des mit der Regelung der Zahntechniker-
Irage sich befassenden und des wissenschaftlichen
Ausschusses und weist darauf hin, daß die Vertreter dieser Aus-
schüsse im Laufe der Verhandlung Spezialberichte erstatten werden. Red-
ner referiert weiters über die Schritte, die unternommen wurden, um den
im (rewerbeausschuß angenommenen Gesetzentwurf betreffend das Zahn-
technikergewerbe zu verhindern, was auch durch die Bemühungen bei den
kompetenten Stellen gelungen ist. Es wurden 14 Vorstandssitzungen ab-
gehalten und die Zahl der Mitglieder hat sich auf 120 erhöht.
Im Punkte der Sachdemobilisierung wurden die nötigen Schritte
unternommen und es wurde vom Staatsamt für Volksgesundheit der Wirt-
schaftlichen Organisation das weitgehendste Entgegenkommen zugesichert,
um die vorhandenen Bestände für Fortbildungszwecke sowie für
kriegegeschädigte Zahnärzte zu reservieren. Schließlich er-
wähnt noch der Vorsitzende, daß seitens der Wirtschaftlichen Organi-
sation ungezählten Kollegen Rat und Hilfe geleistet wurde und daß
Dr. Stark als Gerichtssachverständiger vorgeschlagen wurde.
Das Referat des Präsidenten wurde mit großem Beifall auf-
genommen.
Hierauf sprach Dr.Stark über die Einkaufszentrale und
über die zu errichtende Zentraltechnik, für welch letztere sich
eine große Anzahl von Kollegen interessiert. Eine bedeutende Firma hat
sich bereit erklärt, kostenlos die Technik einzurichten. Sie stellt ein ge-
eignetes Arbeitslokal zur Verfügung, ebenso die sonstigen Behelfe und
das nötige Material. Die Verrechnung geschieht derartig, daß die einlau-
fenden Beträge der Firma übermittelt werden, worüber monatlich Aus-
weis erfolgt. (Siehe Bericht hierüber S.93 d. H.)
Der Bericht Dr.Starks wird mit großem Beifall zur Kenntnis
genommen und die Bedenken Dr.Mittlers und Dr.Länghs betrefis
8
90 Vereins- und Versammlungsberichte.
des Einvernehmens mit den Zahntechnikergehilfen und der Schwierigkeiten
der Zustellung der angefertigten Arbeiten werden von den Referenten zur
Zufriedenheit der Interpellanten zerstreut.
Hierauf erhält Herr Dr. Rieger zur Erstattung seines Referates
über die Zahntechnikerfrage das Wort. Er berichtet über die
Verhandlung zwischen Zahnärzten und Zahntechnikern, sowohl mit den
Meistern, als auch mit den Gehilfen, die, wenn sie auch kein vollständiges
Resultat ergeben haben, doch zur Hoffnung berechtigen, daß endlich diese
über 20 Jahre währende unerquickliche Streitfrage erledigt wird.
Die Ausführungen Dr. Riegers wurden mit großem Beifall auf-
genommen und ihm über Antrag Dr.Mittlers der Dank der Versamm-
lung für ecin vortreffliches Referat ausgesprochen.
Dr.Kneucker verspricht als Vertreter des wissenschaft-
lichen Ausschusses, für die Zukunft mehr Vorträge veranstalten
zu wollen, und zwar nach dem Grundsatze: „Aus der Praxis für die
Praxis“ und hofft, daß die allgemeinen Verhältnisse für die Abhaltung der-
selben sich besser gestalten werden. Diese Ausführungen werden beifällig
zur Kenntnis genommen.
Der hierauf vom Kassier Dr. Stark erstattete Kassabericht erhielt
gleichfalls das Absolutorium. Der Mitgliedsbeitrag wurde mit 10 Kronen
festgesetzt.
Es erfolgten die Neuwahlen, welche folgendes Resultat ergaben:
Dr. Kneucker Präsident; Dr. Stark Vizepräsident; Dr. Elkan
1. Schriftführer; Dr.Rot 2. Schriftführer; Dr. Markus Kassier;
Dr. Gilanyi, Dr. Rieger, Dr. Natzler, Dr. v. Hauer, Dr. Ha-
sterlik, Dr.Stein Ausschußmitglieder.
Weiters wurde beschlossen, die Österr. Zeitschrift für
Stomatologie als offizielles Organ der Wirtschaftlichen Organisation
zu bestimmen.
Auf Antrag Dr. Länghs wurde der Vereinsleitung der Dank für
die bisherige erfolgreiche Tätigkeit ausgesprochen.
Vorstandssitzung am 11. März 1919.
Vorsitzender: Dr. Markus.
Schriftführer: Dr. Elkan.
Anwesend sämtliche 12 Vorstandsmitglieder, und zwar: Dr. Kneucker,
Dr.Markus, Dr.Rieger, Dr.Stein, Dr.Roth, Dr.Gilanyi, Dr.Haster-
lik, Dr.v.Hauer, Dr.Stark, Dr.Martens, Dr.Natzler und Dr. Elkan.
Der Vorsitzende drückt dem bisherigen Präsidenten Dr.Stein für
seine erfolgreiche Tätigkeit um die Wirtschaftliche Organisation den
wärmsten Dank aus. Dr.Stein resigniert auf seine Stelle als Präsident
und schlägt Herrn Dr. Kneucker als Präsidenten vor, welcher auch ein-
stimmig als solcher gewählt wird. Herr Dr. Kneucker übernimmt hier-
auf den Vorsitz und verfügt die weitere Besetzung der Vorstandsstellen.
Als II. Präsident wird Herr Dr.Stark gewählt, als Kassier Herr
Dr.Markus, als I. Schriftführer Herr Dr. Elkan, als II. Schriftführer
Herr Dr.Roth an Stelle des Herrn Dr.Gilanyi, der aus Gesundheits-
rücksichten seine Stelle niederlegt.
Hierauf entwickelt der Präsident folgendes Programm:
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 91
Da die großen Ziele der Organisation, wie
Regelung der Zahnärzte-Zahntechnikerfragen,
Errichtung einer Zentraltechnik,
Bau des deutschösterreichischen Zahnärztehauses,
des Zentraleinkaufshauses,
Einführung von periodischen Fortbildungskursen etc.,
nur dann erreicht werden können, wenn möglichst alle Kollegen der
„Wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs“ ange-
hören, wird der Präsident bei den allgemein medizinischen und Fach-
zeitungen (Österr. Zeitschrift für Stomatologie, Wiener Vierteljahrsschrift
für Zahnheilkunde, Zahnärztliche Rundschau Berlin, Wiener klinische
Wochenschrift, Wiener klinische Rundschau, Wiener medizinische Wochen-
schrift, Ärztliche Standeszeitung) um Aufnahme eines Aufrufes ansuchen,
wonach die Kollegen aufgefordert werden, der Organisation beizutreten.
Desgleichen wird der Präsident sich an die zahnärztlichen Vereinigungen
(Verein österr. Zahnärzte, Verein Wiener Zahnärzte, Zentralverband österr.
Stomatologen, Verein steiermärkischer Zahnärzte) wenden mit der Bitte,
möglichst alle ihre Mitglieder zum Beitritte in die „Wirtschaftliche Or-
ganisation der Zahnärzte Deutschösterreichs“ auffordern zu wollen. Weiters
wird der Präsident mit dem Präsidentstellvertreter beim Vorstand der
zahnärztlichen Universitätsklinik bittlich vorsprechen, der Wirtschaftlichen
Organisation einen Raum der Klinik für Fortbildungszwecke zur Ver-
fügung stellen zu wollen, da sich die Organisation mit den Absichten trägt,
für die in der Praxis stehenden Zahnärzte die Wiener Dozenten und Pro-
fessoren der Zahnheilkunde um Abhaltung kurzfristiger Fortbildungskurse
zu bitten. — Der Präsident behält sich vor, weitere Vorschläge, welche
die Ausdehnung der Organisation bezwecken, nach Beendigung der oben-
genannten Aktionen zu machen. — Das Programm des Präsidenten wurde
mit Beifall aufgenommen.
In den wirtschaftlichen Ausschuß wurden noch die Herren Dr. Stein,
Dr.Martens, Dr.Hasterlik gewählt, denen hauptsächlich die Auf-
gabe zufallen soll, die Idee des Zahnärztehauses oder eines vorläufigen
Ersatzes zu verwirklichen.
Schluß der Sitzung 8!/4 Uhr.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Zur Frage der Reorganisation des Zentralverbandes
der österreichischen Stomatologen.
Durch den Artikel „Was nun ?“ im Februarhefte d. Z. wurde ich in der
Absicht, meine persönlichen Gedanken über einen möglichen Zusammen-
schluß aller Zahnärzte Deutechösterreichs zu einem großen Verbande zu
Papier zu bringen, bestärkt. Es ist ja klar, daß wir Zahnärzte den
kommenden Aufgaben, wie sie die angebahnte Auseinandersetzung mit
den Zahntechnikern, der Anschluß an Deutschland und damit die drohende
Kurierfreiheit und auch die Stellungnahme zu unseren künftigen Fach-
992 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
kollegen, den deutschen Zahnärzten, mit sich bringen werden, viel besser
gerüstet gegenüberstehen würden, wenn wir, statt in einzelne kleine Ver-
eine zersplittert, in einem großen Verbande vereinigt wären. Der Zentral-
verband österreichischer Stomatologen ist derzeit doch nur mehr ein
Verein unter Vereinen, ebenso wie derzeit noch die neugegründete
„Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs“. Die Auf-
gabe des Zentralverbandes wäre es aber, wie der Verfasser des „Was nun?“
ganz richtig meint: „das ausführende Organ aller zahnärztlichen Vereine
zu bilden, die dann, von wirtschaftlichen und Standesfragen entlastet,
sich nur der Pflege der wissenschaftlichen Bedürfnisse der Zahnärzte
widmen könnten.“ Diese Aufgabe kann er aber nur erfüllen, wenn es ge-
länge, alle zahnärztlichen Vereine in einem Verbande zu vereinigen, dem
aber auch jene Zahnärzte, die sich keinem Vereine anschließen, der Organi-
sation sich aber doch nicht entziehen wollen, angehören könnten.
Es schwebt mir da vor Augen die Organisation des Lese- und
Redevereines der deutschen Hochschüler in Wien, Germania. Diesem
gehören sowohl sämtliche Korporationen, die einen ihrer Mitglieder-
zahl entsprechend abgestuften Jahresbeitrag leisten, als auch eine
große Anzahl reiner „Finken“ an. Die Einführung dieser Organisierung
der Mitgliedschaft hatte einen durchgreifenden Erfolg. ähnlich könnte
man ja auch den „Zentralverband der Zahnärzte Deutschösterreichs“
bilden. Die einzelnen Vereine, Verein österreichischer Zahnärzte, Verein
Wiener Zahnärzte, die Orthodontische Gesellschaft, die Wirtschaftliche
Organisation und die verschiedenen Provinzvereine treten zu einem Zen-
tralverbande zusammen, bilden also den Grundstock des großen Verbandes,
dessen Leitung einem Ausschusse obliegt, zu dem sämtliche Vereine ihren
oder ihre „Beauftragten“ zu entsenden haben. Jeder Verein leistet ent-
sprechend seiner Mitgliederzahl einen Jahresbeitrag, den er ja dann auf
seine Vereinsangehörigen überwälzen kann, da für diese der Beitrag an
den Stomatologenverband wegfällt. Später, wenn die Zahl der Einzelmit-
glieder im Verbande eine gewisse Höhe erreicht haben wird, wird man
diesen auch eine entsprechende Vertretung im Ausschusse einräumen
müssen. Die Anzahl dieser „Finken‘ wird gewissermaßen den Maßstab
fü: die Rührigkeit des Ausschusses und für die Erfolge seiner Arbeit ab-
geben.
Die Vorteile des Zusammenschlusses würden sich nicht nur nach
außen hin erstrecken, sondern auch für die einzelnen Vereinsmitglieder
würden mannigfache Vorteile herauswachsen. So zum Beispiel könnten jene
wissensdurstigen Mitglieder, von denen freilich jeder Verein immer nur
einen ganz bestimmten kleinen Kreis hat, der sogar bei den Wiener Ver-
einen vielfach die gleichen Personen umfaßt, als Verbandsmitglieder auch
die Vorträge anderer Vereine als Gäste besuchen, ohne als Schmarotzer
angesehen zu werden. Das hat aber zur Voraussetzung ein entsprechend
oft erscheinendes Fachorgan mit Bezugspflicht für alle Mitglieder, in dem
die jeweiligen Monatsversammlungen mit ihren Programmen veröffentlicht
werderı könnten, da ja eine schriftliche Verständigung aller Verbandsmit-
glieder hoffentlich infolge der zu großen Anzahl untunlich wäre.
Fachorgan! Auch ein wunder Punkt der deutschösterreichischen
Zahnärzteschaft! Zersplitterung der Kräfte auch hier, so daß das Ver-
handsorgan darunter leidet. Wie ganz anders ist dagegen die Deutsche
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 93
Monatsschrift für Zahnheilkunde gestellt, hinter der geschlossen der große,
rührige Zentralverband der deutschen Zahnärzte steht. Die Publizisten
und Vortagenden unter diesen sind verpflichtet, in erster Linie der D.M.
f. Z. ihre Arbeiten anzubieten; die Dentaldepots und einschlägigen Ge-
schäfte und Fabriken sind verhalten, dort zu inserieren, und die Mitglieder
halten auch alle ihr Verbandsorgan, weil es durch alle diese Umstände
reich und gediegen ausgestattet werden kann und doch infolge der großen
Auflage keinen unverhältnismäßig hohen Bezugspreis zu verlangen braucht,
so wie die zwei Zeitschriften, die in Wien erscheinen! Eine ähnliche Ver-
pfiichtung der Vortragenden besteht auch in der Gesellschaft der Ärzte
in Wien bezüglich deren Organ, der „Wiener klinischen Wochenschrift“.
Warum sollte es bei den Zahnärzten unmöglich sein?
Wer aber soll die Umgestaltung in die Hand nehmen und wie soll
sie durchgeführt werden? Auszugehen hat sie zweifelsohne vom Zentral-
verbande österreichischer Stomatologen. Als solcher hat er sowieso keine
Existenzberechtigung mehr, da es ein Österreich nicht mehr gibt und er
schon aus diesem Grunde zu einer Statutenänderung schreiten müßte. Auch
gehen die Ansichten über die Tätigkeit des Verbandes in den 20 Jahren
seines Bestandes vielfach dahin, daß das einzige Ergebnis seiner Arbeit
auf wirtschaftlichem Gebiete das sei, daß die Streitfrage zwischen Zahn-
ärzten und Zahntechnikern nicht zu einer Lösung gebracht werden
konnte. So könnte er als seinen Schwanengesang die Zusammenrufung
aller zahnärztlichen Vereine Deutschösterreichs zur Beratung über die
Gründung eines alle umfassenden Zentralverbandes ins Werk setzen und
dürfte in dem Einigungsbestreben wohl nicht auf unüberwindlichen Wider-
stand stoßen. Hat doch der 16. Februar 1919 zur Genüge gelehrt, wohin
Zersplitterung führt. Daher wird bei uns Zahnärzten der Wille zum Zu-
sammenschlusse zu einem großen Verbande, der unsere wirtschaftlichen
und Standesfragen nach außen hin einheitlich vertreten kann, doch wohl
vorhanden sein. Und wo ein Wille ist, wird hoffentlich auch ein Weg zu
finden sein. Dr.Kränzl.
Über die Gründung einer Zentraltechnik. >»
Von Dr. Wilhelm Stark, Wien.
Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte ich Ihnen die Ziele und
Arbeiten der Organisation nach den vortrefflichen Ausführungen unseres
verehrlichen Obmannes nochmals vor Augen führen. Ich habe bereits bei
der ersten informativen Versammlung, zu der ich die Herren noch vor der
Konstituierung unseres Vereines einberufen hatte, Ihnen gesagt, daß an-
läßlich der wirtschaftlichen Not ein Zusammenschluß ein Ding der Not-
wendigkeit sei, und will Sie nicht mit dem politischen Schlagwort: „dem
kleinen Mann muß geholfen werden“ ködern, aber Tatsache ist, daß die
Not der Gesamtheit uns zusammenführte. Es gibt keinen indolenteren
Stand als den der Ärzte, und da galt es, Sie aufzurütteln und zu gemein-
1) Referat, erstattet am 1.März 1919 in der Generalversammlung der Wirt-
schaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs.
t
94 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
samer Arbeit anzuregen. Aus den Ausführungen des Herrn Obmannes
werden Sie ersehen haben, daß wir die Zeit nicht ungenützt verstreichen
ließen. Unsere Sektionen arbeiteten fleißig, und die Sektion, der anzu-
gehören ich die Ehre hatte, u. zw. die wirtschaftliche, blieb auch nicht
hinter den anderen zurück. Daß ich auch der Sachdemobilisierung mein
Augenmerk zuwandte und Erfolge erzielte, werden Sie bereits heute er-
fahren haben.
Nun hatten wir uns noch andere Ziele gesetzt, deren Verwirklichung
ich anstrebe, u. zw. die Zentraltechnik, Einkaufszentrale und
Zahnärztehaus. Was die Zentraltechnik anbelangt, bin ich an
einige Firmen herangetreten und ist es mir gelungen, mit einer Firma ein
Abkommen zu erzielen. Dieselbe richtet uns eine Technik komplett mit allen
dazugehörigen und erforderlichen Apparaten sowie Installierungen ein.
Den Entwurf eines Vertrages hat mir die Firma durch ihren Anwalt
übermittelt und ich erlaube mir hiemit, Ihnen denselben im Wortlaut vor-
zulesen. „Die Firma .. . hat sich prinzipiell dazu bereit erklärt, die Er-
richtung der zahntechnischen Zentrale in der nachstehenden Form und
unter den folgenden Bedingungen zu ermöglichen. Die Firma .. . stellt
zunächst ein zum Betriebe der Zentrale geeignetes Lokal für eine noch
zu vereinbarende Dauer kostenlos zur Verfügung und richtet unter einem
dieee Lokalitäten gleichfalls kostenlos mit allen zur Ausführung aller
zahntechnischen Arbeiten in vollendeter technischer Form geeigneten Be-
helfen ein, des weiteren wird die genannte Firma auch alle Materialien
zu zahnmtechnischen Arbeiten aus ihren Beständen direkt an die Werk-
stätten liefern, so daß angesichts der Leistungsfähigkeit der genannten
Firma auch auf diesem Gebiete für einen ungestörten, von außen unab-
hängigen Betrieb der Zentrale Vorsorge getroffen ist. Die Verrechnung
aller zakntechnischen Arbeiten soll in folgender Form erfolgen. Für die
Zentrale wird von der Organisation ein Vertrauensmann bestellt, der
die Aufsicht und die buchhalterischen Arbeiten, speziell die interne Ver-
rechnung zu führen hat. Derselbe wird die jeweils notwendigen Materi-
alien von der Firma abfordern und hierüber quittieren. Die für die zahn-
technischen Arbeiten eingehenden Beträge übernimmt die genannte Firma
in ihre einstweilige Verwahrung. Die Glattstellung der Konti der Firma
für die gelieferten Materialien soll allmonatlich erfolgen. Die Entschädi-
gung der Firma für die kostenlose Überlassung des Lokales sowie des
Instrumentariums soll folgendermaßen erfolgen. Zu den von der Organi-
sation aillmonatlich festzusetzenden Preisen für die zahntechnischen Ar-
beiten wird ein 10%iger Aufschlag hinzugerechnet, wovon die eine Hälfte
der Organisation zufallen soll, die andere Hälfte dieses Aufschlages soll
die obige Entschädigung für die Firma bilden. Außerdem wird sie gegen
die Organisation keine wie immer gearteten Ansprüche stellen. Bei einem
500.000 Kronen jährlich übersteigenden Umsatze der Zentrale wird sie
1% des Mehrbetrages an .die Organisation abführen, selbstverständlich
außer den oben angeführten 5%. Bei einer zehnjährigen Dauer des Ver-
tragsverkältnisses fällt das Eigentum der gesamten Einrichtung der Zen-
trale kostenlos in das Eigentum der Organisation.“
Nun handelt es sich mir darum, eine bestimmte Zahl von Kollegen
zusammenzubringen, die sich bereit erklären werden, in der Zentrale ihre
Arbeiten anfertigen zu lassen. Bei der knappen Zeit, die mir zur Ver-
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 95
fügung stand, habe ich mich telephonisch nur mit einigen Herren in Ver-
bindung gesetzt und meine Idee wurde von denselben mit Begeisterung
aulgenoinmen. Dieselben warten darauf, daß ich sie zusammenberufe, da-
mit wir gemeinsam unseren diesbezüglichen Arbeitsplan ausarbeiten. Ich
kann jedoch nicht mit weniger als 30 Herren anfangen und gedenke dem-
nächst eine Versammlung der Interessenten zustandezubringen, um unser
Projekt zu perfektionieren. Was die Rentabilität dieses Unternehmens an-
belangt, will ich Ihnen Folgendes mitteilen. Ich rechne approximativ, daß
ein Techniker, der für einen Zahnarzt außer Haus arbeitet, durchschnitt-
lich wenigstens 30% verdient. Von einem Durchschnittsverdienst von
zirka 400 Kronen monatlich, wie ihn der Techniker hat, würde ich mit
Rückeickt darauf, daß wir billiger arbeiten wollen, bloß 250 Kronen mo-
uatlich berechnen. Das würde für 30 Mitglieder 7500 Kronen monatlich
ausmachen und wenn wir die genannte Firma mit 50%, d. i. mit der Hälfte
partizipieren lassen, ergäbe sich für uns ein monatlicher Reingewinst von
3750 Kronen. In einem Jahre hätten wir dann ein Kapital von 45.000 Kro-
nen. Ich betone ausdrücklich, daß wir nur erstklassige Techniker
und erstklassiges Material verwenden wollen, um unseren Kollegen, die
durch die Verhältnisse gezwungen sind, außer Haus arbeiten zu lassen,
zu beweisen, daß sie eine solche erstklassige Arbeit wie bei der Organi-
sation von keinem einzeln arbeitenden Techniker erhalten können. Ich
kann Ihnen nicht ausdrücklich genug betonen, daß es uns in erster Linie
darum zu tun sein wird, alle Ihre Wünsche und Forderungen zu erfüllen
und den Betrieb klaglos abzuwickeln.
Ich glaube Ihnen über die zu gründende Zentraltechnik genügend
Aufschluß gegeben zu haben und will Ihnen noch betreffs der E in ka u fs-
zentrale bemerken, daß infolge der jetzigen desolaten Verkehrsverhält-
nisse und ungeklärten Zustände wir vorläufig von einer eigenen Einkaufs-
zentrale absehen müssen. Nichtsdestoweniger habe ich auch auf diesem
Gebiete Schritte unternommen und eine Firma wird uns Benefizien ge-
währen, die sie Zahnärzten, die nicht unserer Organisation angehören,
nicht bewilligt. Ich muß nochmals auf die Zentraltechnik zurückgreifen,
wenn ich auch das Ideal, das uns vorschwebt, nämlich die beabsichtigte
Gründung des Zahnärztehauses mit einigen Worten andeuten will.
Wie bereits erwähnt, dürfte die Zentraltechnik zirka 45.000 Kronen jährlich
eintragen, das macht in 5 Jahren zirka t/a Million Kronen aus. Ich bin
ein großer Pessimist, wenn ich diese minimale Ziffer nenne, denn ich bin
überzeugt, daß, wenn die Zentraltechnik so funktioniert, wie ich es mir
vorstelle, ein großer Andrang zu derselben erfolgen wird und daß unser
Kapital sich bedeutend vermehren und die Ziffer eine viel höhere sein
wird, da ich entschlossen bin, die besten Zahntechniker zu beschäftigen.
Andrerseitse glaube ich, daß wir durch gesellschaftliche Veranstaltungen
zugunsten unseres Projektes auch einen bedeutenden Fond zusammen-
bringen werden, so daß ich mich der angenehmen Hoffnung hingebe,
daß wir in zirka 5 Jahren an den Bau des Zahnärztehauses schreiten
werden, in welchem wir Fortbildungsinstitute, Auskunftei, Bibliothek,
Gesellschaftsräume, Röntgen-, technisches und Versuchslaboratorium er-
richten werden, und ich wünsche, daß wir nach 5 Jahren in unserer
Generalversammlung unseren Jahresbericht mit den Worten einleiten, die
Prof. Guttmann auf der am 20. Jänner 1919 stattgehabten Haupt-
96 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
versammlung gesprochen hat: Im Jahre 1913 leitete das Komitee für Er-
richtung des deutschen Zahnärztehauses seinen Jahresbericht mit dem Satze
ein: „Das deutsche Zahnärztehaus ist im Bau, wir können wohl unseren
Bericht mit kaum bedeutungsvolleren Worten beginnen.“
Ich schließe hiemit meine Ausführungen und hoffe, daß Sie uns Ihre
Mithilfe zur Erreichung unserer Ziele nicht versagen werden und uns er-
möglichen, mit vereinten Kräften zur wirtschaftlichen und wissenschaft-
lichen Hebung unseres Standes beizutragen.
Kompromißverhandlungen zwischen Zahnärzten und
Zahntechnikern.
Die „Zeitschrift für Zahntechnik“ berichtet unter oben angeführtem
Titel im Heft 2, 1919 über Verhandlungen zwischen Zahnärzten und Zahn-
technikern und knüpft ihre Bemerkungen daran. Es entzieht sich unserer
Kenntnis, was die Zeitschrift für Zahntechnik bewogen hat, sich über die
Vereinbarung, die von allen Beteiligten an den Verhandlungen getroffen
wurde, hinwegzusetzen, nämlich nichts zu veröffentlichen, bevor nicht die
Verhandlungen in welchem Sinne immer zu einem formalen Abschluß ge-
langt wären. Infolge dieses Vorgehens soll auch hier über die erwähnten
Verhandlungen kurz berichtet werden.
Ende Jänner d. J. traten Vertreter aller Wiener zahnärztlichen Kor-
porationen und die der Zahntechniker — Meister und Gehilfen — zunächst
inoffiziell und ohne Mandate zusammen, um die Möglichkeiten eines Aus-
gleichs in der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage zu suchen. Als Grundlage
diente ein Gesetzentwurf des Herrn Zahntechnikers Fischer, der bis
auf einen Punkt für die Zahnärzte diskutabel erschien. Es wurde demnach
beschlossen, sich von den Korporationen Mandate zu holen und dann offiziell
weiter zu verhandeln. Die von den zahnärztlichen Korporationen gewählten
Mandatare traten am 8. Febraur 1919 zu einer Beratung zusammen, in der
einstimmig folgender Beschluß gefaßt wurde:
„Die am 8. Februar 1919 stattgehabte Versammlung des Ausschusses
des Stomatologenverbandes hat mit Zustimmung von Vertretern der Ver-
eine österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte und der
wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs beschlos-
sen, den §8 des Antrages des Zahntechnikers Herrn Fischer auf
Grund des Sanitätsgesetzes abzulehnen. Die übrigen Paragraphen des An-
trages sind einer wohlwollenden Beratung zu unterziehen. Die Ablehnung
des 88 erfolgt auch mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Extrak-
tionen einen Teil der allgemeinen ärztlichen Praxis bilden, besonders der
Landärzte, und ein solches Zugeständnis seitens der Zahnärzte den schärf-
sten Widerstand der gesamten Ärzteschaft finden würde.“ (Im $8 des
Fischerschen Entwurfes wurde den Zahntechnikern das Zahnziehen
gestattet.)
Der Präsident des Vereines österreichischer Zahnärzte Dr. Richard
Breuer wurde gebeten, diese Entschließung in einer für den 10. Fe-
bruar anberaumten gemeinsamen Konferenz der zahnärztlichen und zahn-
technischen Vertreter mitzuteilen. Dr.Breuer tat dies und fügte einige
Kleine Mitteilungen. 97
Worte der Begründung bei. Der Widerstand der Zahnärzte stütze sich
auf das Sanitätsgesetz, das bestimmt, daß die Ausübung sämtlicher
Zweige der ärztlichen Praxis nur den an einer inländischen Universität
promovierten Doktoren der gesamten Heilkunde gestattet ist. Wenn die
Zahnärzte jetzt entgegenkämen, so könnten sie es nur so weit, als
es Rechte ihrer engeren Spezialwissenschaft, keineswegs aber blutige
Operationen betrifft, die in den Umfang der gesamten ärztlichen Praxis
fallen. Extraktionen spielen in der Praxis des Landarztes eine große
Rolle. Demnach hätte über diese Frage eigentlich die Gesamtheit der
Ärzte zu entscheiden. Auch wenn wir Zahnärzte Extraktionen den Zahn-
technikern zugestehen würden, ist es mehr als fraglich, ob die Ärzte-
schaft zustimmen würde, denn es herrsche infolge der durch den Krieg
geschaffenen Verhältnisse und infolge der von der Regierung geplanten
Erweiterung der Krankenversicherung eine solche Gereiztheit, daß eine
Ablehnung bestimmt zu erwarten sei.
Nun erklärten die Zahntechniker — ohne über die anderen Punkte
des Entwurfes, über die eine Einigung fast erzielt war, weiter zu verhan-
dein —, ihren Korporationen zu berichten und dann den zahnärztlichen
Vertretern Bescheid zukommen zu lassen und die Verhandlungen eventuell
zu Ende zu führen. Das geschah nicht. Statt dessen erschien der Artikel
in der „Zeitschrift für Zahntechnik“.
Kleine Mitteilungen.
(Errichtung von Schulzahnkliniken in Wien.) Um die zahnärztliche
Behandlung unbemittelter Schulkinder in Wien zu ermöglichen, sollen für
die Stadt Wien zehn Schulzahnkliniken errichtet werden, deren Betrieb
durch den Verein für Zahnpflege in den Schulen erfolgen wird. Von den
Bezirken kommen für die Errichtung in Betracht der2., 10., 11., 12., 13.,
14., 16., 17., 20.und 21. Bezirk mit je einer Schulzahnklinik. Eine von
diesen soll zur Ausbildung von Ärzten und Pflegerinnen besonders aus-
gestaltet werden. Dem Vereine würden durch die Errichtung der Schul-
zahnkliniken jährliche Betriebskosten von 350.000 Kronen erwachsen. Der
Wiener Stadtrat hat folgende Anträge angenommen: Die Errichtung von
Schulzahnkliniken in der Gemeinde Wien wird grundsätzlich genehmigt.
Das Gesundheitsamt wird beauftragt, die nötigen Lokale sicherzustellen
und wegen Durchführung des Betriebes im Einvernehmen mit der Schul-
behörde die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Außerdem hat dasselbe mit
dem zahnärztlichen Universitätsinstitut und der zahnärztlichen Abteilung
der Poliklinik .und mit den anderen in Betracht kommenden Stellen im
Einvernehmen mit der Schulbehörde Vorbesprechungen wegen eventueller
Übernahme der zahnärztlichen Behandlung der Schulkinder zu pflegen.
Ferner wird der Magistrat angewiesen, sich wegen Beistellung der zahn-
ärztlichen Einrichtungen aus den .Militärspitälern mit dem Staatsamte für
Volksgesundheit in Verbindung zu setzen und die Auswahl mit dem städti-
schen Gesundheitsamte durchzuführen. Auch für die städtischen Humani-
tätsanstalten, Jubiläumsspital, Versorgungshäuser, Kinderheilanstalten,
städtische Kinderübernahmsstelle, Tuberkulosenheilstätte Steinklamm usw.,
98 Kleine Mitteilungen.
sollen die nötigen Behelfe für Zahnheilkunde aus der Sachdemobilisierung
erworben werden. Für die auflaufenden Kosten wird im laufenden Jahr
ein Kredit von 100.000 Kronen genehmigt.
(Mangel an Arzneimitteln.) Durch einen Erlaß des Staatsamtes für
Volksgesundheit vom 21. Februar 1919 an alle Landesregierungen wird auf
den Mangelan Mutterkorn hingewiesen. Auch eine Reihe anderer
Arzneimittel ist gegenwärtig nur in geringer Menge oder überhaupt nicht
verfügbar. Nur in geringer Menge vorhanden sind: Wismutsalze, organische
Silberverbindungen, Pepsin, Perubalsam, Styrax, Sennesblätter, Sene-
gawurzel, reiner Akaziengummi. Nicht mehr zu beschaffen oder nur mehr
in seltenen Fällen in Apotheken vorhanden sind: Hypophosphite, Kalium
sulfoguajacolicum und daraus hergestellte Zubereitungen, Resorcin, Theo-
brominverbindungen, Lebertran, Ipecacuanhawurzel. Bei diesem Anlasse
werden den Ärzten auch die Bestimmungen des § 10 der Verordnung des
Ministeriums des Innern vom 1. Juni 1918 (R.-G.-Bl. Nr. 190), ferner die
Erlässe des Ministeriums des Innern vom 1. Juni 1918, Zahl 3403/S, und
des Ministeriums für Volksgesundheit vom 15. Oktober 1918, Zahl 1450, in
Erinnerung gebracht. Es wird daran die Mahnung geknüpft, nicht nur
bezüglich der verordneten Mengen möglichste Sparsamkeit zu beachten,
sondern auch im Hinblick darauf, daß die meisten Arzneiwaren aus dem
Auslande eingeführt werden müssen, zur Schonung der Valuta bei der Ver-
schreibung die wohlfeilen Mittel in erster Linie in Betracht zu ziehen und
von der Verschreibung teurer ausländischer Präparate tunlichst abzusehen.
(Die wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs)
erläßt folgenden Aufruf:
An die Zahnärzte Deutschösterreichs!
Kollegen! Tretet der „Wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte
Deutschösterreichs“ bei. Nur durch einmütigen Zusammenschluß aller
Kollegen können dig großen Ziele, wie:
Regelung der Zahnärzte- und Zahntechnikerfrage,
Errichtung einer Zentraltechnik,
Zentraleinkaufshaus,
Bau des deutschösterreichischen Zahnärztehauses,
Einführung von periodischen Fortbildungskursen etc.,
durchgeführt werden.
Anmeldungen mögen gerichtet werden an den derzeitigen Präsidenten
der Organisation: Dr. Alfred Kneucker, Wien, VIII., Alserstraße 39.
(Niederlassung.) Der ständige Mitarbeiter dieser Zeitschrift, Dr. Fritz.
Pordes, hat sich niedergelassen und ordiniert für Röntgendiagnostik und
Therapie, IX., Spitalgasse 1a (3—5). Spezialeinrichtung für zahnärztliche
Röntgenaufnahmen. Tel. Nr. 21563 ev. 95924.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, III., Münzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
. Organ für, die wissenschaftlichen Zahnärzte Österreichs. |
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs.
XVII. Jahrgang. Mai 1919. 5. Heft.
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Aus dem Laboratorium der Spiegler-Stiftung in Wien
(Vorstand: Prof. Dr. Siegmund Fränkel).
Über den heutigen Stand der Rhodanfrage. ')
Von Dr. Frans Peter, Wien. 3
Seitdem Miller bei den ätiologischen Forschungen der Zahnkaries
die Untersuchung des Speichels, der in diesem vorkommenden fermentativen
Vorgänge, sowie dessen pathologische Veränderungen in den Vordergrund
der Untersuchung stellte, wurde die Frage der Speichelphysiologie eine
der wichtigsten der zahnärztlichen Forschung. Seine Zusammensetzung
sowie die übrige Physiologie ist sowohl bei Menschen wie auch bei Tieren
in zahlreichen Arbeiten untersucht und bewertet worden. Für uns Zahnärzte
hat die Physiologie des Speichels tatsächlich eminente Bedeutung. Es er-
scheint für mich nicht zweifelhaft, daß zur normalen, gesunden Mundhöhle
auch die Sekretion des normalen Speichels gehört, wenn auch die Unter-
suchung von Gottlieb und Sicher die Rolle des Speichels bei der
natürlichen Resistenz bei Schleimhautverletzungen in Frage stellen. Trotz-
dem können wir wohl sagen, daß wir in jedem Falle von kariesfreier, nor-
maler Mundhöhle bei gesunden Individuen wahrscheinlich einen in seiner
Menge, Zusammensetzung und Alkaleszenz normalen Speichel finden
werden; andererseits aber auch, daß Veränderungen des Speichels bei Er-
krankungen auch oft von Veränderungen des Gesundheitszustandes der Mund-
höhle begleitet werden. Ich verweise z. B. auf die veränderte Speichel-
beschaffenheit bei der ulzerösen Stomatitis. Ebenso ist es ja möglich, daß
wir bei fortgeschrittener Zahnkaries Veränderungen des Speichels finden
werden und daß es einmal faktisch gelingen wird, den Zusammenhang
zwischen Karies und Speichel, sei es in der Veränderung der Speichel-
zusammensetzung, sei es in der Veränderung der Spaltungsprodukte und
Bakterienflora, sei es auch in dem Versagen einer natürlichen Schutz-
1) Vortrag, gehalten im Verein Österreichischer Zahnärzte am 2. April 1919.
Österr. Zeitschrift für Stomatolcgie. 9
100 | | , Frauz Peter.
wirkung einwandfrei festzustellen. Wenn die Arbeit uber wirklich gelingen
sollte, dann müßte der experimentelle Weg, wie ihn eben Miller betreten
bat, weiter betrieben werden, dann müssen eben einwandfreiere Resultate
herauskommen. So lange der Speichel einer Mundhöhle aber nicht als Ganzes,
Unteilbares betrachtet wird, so lange einzelne Bestandteile oder Pigen-
schaften desselben aus dem organischen Ganzen herausgeriesen werden,
so lange hauptsächlich auf dem Weg der Statistik, nicht aber des Expe-
rimentes, gearbeitet wird, mögen zwar auch auf diesem Wege interessante
Einzelheiten der Speichelphysiologie gefunden werden, aber ich glaube
nicht, daß man einwandfreie Resultate bekommen wird. Und so eine
Einzelfrage ist die Rhodanfrage.
Michel, der in seinen Arbeiten für die Wichtigkeit des Speichels
bei der Ätiologie der Zahnkaries besonders eintrat, hält vier Eigen-
schaften des Speichels für die Gesunderhaltung der Schlgmhaut und Ab-
wehrung der Zahnkaries verautwörtliech:
1. Die Flüssigkeit als Spülmittel,
2.das Alkali des Speichels,
3. das Rhodansalz, eventuell seine Säuren (?1) und
4, elektrische Ladungen.
- [eh will mich heute nur mit der Rhodanfrage befassen und die anderen
drei gar nieht berühren, obwohl auch ich die Wiehtigkeit der Flüssigkeit
als Spülmittel sowie den Grad der Alkaleszenz als wirklich wichtige
Eigenschaften des gesunden Speichels selbstverständlich anerkenne.
Bevor ich mich nun mit den Ausführungen Michels, durch dessen
Untersushungen die Rhodanfrage hauptsächlich aufgerollt wurde, näher
beschäftige, möshte ich tiber das Wesen, Vorkommen und die Reaktion der
Rhodanverbindungen eine kurze Übersicht mir erlauben. Die Rhodanwasser-
stoffsäure ist die geschwefelte Blausäure CNSH, welche in Form von
Salzen, des Kalium-, Natrium- und Ammoniumsalzes im Speichel vorkommt.
Im Speiehel ist Rhodan zuerst von Treviranus gefunden worden, jedoch
erst epätervon Tiedemann und Gmelin als solches erkannt. Es ent-
steht durch Abbau der Eiweißstoffe und stellt nach neueren Untersuchungen
‚ein Entgiftungsprodukt des Organismus dar. Zahlreiche Untersuchungen
beweisen, daß es im Tierepeichel fehlt, ebenso daß es bei vielen Krankheiten
im. Speichel vermißt wird. Zum Nachweis dienen. mehrere Reaktionen. Die
- älteste und am meisten gebrauchte ist die Reaktion mit Ferrisalzen. Ferri-
-Balze (gewöhnlich wird Eisenchlorid genommen) färben Rhodansalze rot,
die Farbe verschwindet nicht bei Zusatz von Salzsäure. Eine zweite Reak-
tion stammt von Solera und besteht darin, daß Jodsäure durch Rhodan
reduziert wird und das freiwerdende Jod durch Stärkekleister leicht nach-
‚gewiesen werden kann. Eine dritte Reaktion, smaragdgrüne Färbung auf
Über den heutigen Stand der Rhodanfıage. 101
Lnsats son werdünmter Kupfersulfetlösung, ist von Colosanti ange
sehen. Zur quantitativen Bestimmung können die oben erwähnten Reek-
tionen dienen, indem maa Rhodanlösung mit bestimmtem Rhodangehalt be-
reitet, diese Standerdlösungen mit dem entsprechenden Reagens versetzt und
an mit dem Speichel vergleicht, Eine exakte gewichtsanalytische Methade
jet von Mun ck angegeben und besteht darin, daß der Schwefel der Rho-
danverbindungen durch Oxydation in Schwefelsäure übergeführt und als
schwefelsaurer Baryt gewogen wird.
Michel ist also derjenige, der für die außerordentliche Wichtigkeit
der Rbodanverbindungen im menschlichen Speichel eintrat. Er geht vom
Grundprinzipe aus, daß bei Vorhandensein größerer Mengen: solcher
Stoffe weniger Karies vorkommt und beim Fehlen oder geringeren Mengen
die Karies überhandnimmt, sogar parallel zur Verminderung.
Er hat eine große Reihe von Untersuchungen vorgenommen and ist
eben zu dem oben erwähnten Resultat gekommen. —— -
Nach ihm waren es insbesondere Michaels, Low, Bea ch, mehrere
amerikanische Autoren und Lohmann, die die Untersuchungen wieder-
holten und seine Resultate gänzlieh oder teilweise bestätigen konnten.
Miller selbst hatte schon seine Aufmerksamkeit auf das Rhodan gelenkt.
Er hatte durch seine Versuche nachgewiesen, daß der Speichel keine entwiek-
lungsbemmende Wirkung auf die Bakterien zeigt. Daß speziell die Rho-
dansalse auch nicht als antibakterielle Mittel aufgefaßt werden können;
beweisen die Versuche von Nikolas und Dubi ef. hre Versuche stellten
die Unwirksamkeit des Rhodans in der Verdünnung, wie es im Speichel vor-
kommt, einwendfrei fest. Die Ansehauung Martinottis, daß Rhodan-
wasserstoffsäure die Infektion mit "Tuberkelbazillen verhindere, ist von
Edinger,Schleger und Miller genügend widerlegt, diese Tatsache
wad won Michel auch nicht negiert.
dis gibt gewiß eine Anzahl von Autoren, welche insbesonders vor de
Publikation von Nikolas und Dubief eine keimabtötende Wirkung des
Rhodans angenommen ‚haben, so Ziegler, Wehrmann und eine
Reihe anderer, die von Freyvogel in seiner Arbeit zitiert werden:
Allerdings hat gerade dieser Autor auf die Versuche der beiden erwähnten
Autoren keine Rücksicht genommen, obwohl diese Versuche auch nach
Michel einwandfrei sind.
. Wir ‚können also nach Miller, Nikolas und Dubief wohl an-
nehmen, daß die Rhodanikonzentration von 0,1 pro Mille nicht imstande ist,
die Tätigkeit der Bakterien zu ‚beeinflussen. Trotzdem versucht Michel
gegen diese Ansicht zu kämpfen, indem er sagt: „Wenn man sich erinnert,
daß in der Mundhöhle aktiver Sauerstoff und Wasserstoffsuperoxyd ge
funden werden kann, so wäre es nicht unmöglich, daß das schwefelsyansaure
9%
10? Franz Péter.
Salz unter Blausäurebildung zersetzt werden könne, und diesen, wenn auch
verschwindend geringen Mengen Blausäure muß eine außerordentlich bak-
terizide Kraft zugesprochen werden.“ Wohl nur eine Hypothese, bei der aber
bereits der Ausgangspunkt, das Vorhandensein von aktivem Wasserstoff-
superoxyd, noch keineswegs bewiesen ist, wenigstens werden die diesbezüg-
lichen positiven Resultate von Wuster durch Dubny negiert. Ich
glaube, entgegen den Anschauungen Michels, daß betreffend die bak-
terizide Kraft eines Mittels Versuche in vitro schon genaue Resultate geben
können, jedenfalls aber so lange, als das Gegenteil durch exakte Versuche
noch bis heute riicht bewiesen ist. Bis heute ist es nicht bewiesen, daß das
Rhodan in der Mundhöhle als freie Säure vorkommt, sondern eben nur als
unwirksames Rhodansalz. Ebenso spricht meiner Anschauung nach der
Umstand, daß der Tierspeichel kein Rhodan hat, fast absolut dafür, daß
der Schutzstoff nicht Rhodan sein kann und auch der Tierspeichel läßt die
Bakterien auch ohne Rhodan ebenso gedeihen, wie der menschliche (R u f-
fini, Fiocca). Keineswegs will ich damit sagen, daß das Rhodan infolge-
dessen — diese Folgerung wäre die natürlichere wie die von Michel —
sogar schädlich ist, es ist eben nur nichts anderes, als ein Stoffwechselprodukt
der Eiweißstoffe, vielleicht ein Entgiftungsprodukt des Organismus, der zu-
fällig im Speichel ausgeschieden wird, aber auch im Magensafte; ebenso
auch durch andere Exkretionsorgane ausgeschieden werden könnte, wie es
auch bei Einverleibung in größeren Mengen in erhöhtem Maße ausgeschieden
wird und auch im Harne erscheint. Auch andere Stoffe werden bei erhöhter
Zufuhr durch den Speichel ausgeschieden (Kochsalz, Quecksilber, Morphin,
und andere Alkaloide), auch solche, die ansonsten durch andere Organe aus-
geschieden werden, z. B. Albumosen bei Albumosurie.
Schwieriger anzufechten sind die Resultate Michaels, da er die
Rhodanfrage mit der Hypo- und Hyperazidität verbindet, insbesondere
aber mit dem im Speichel befindlichen Ammoniak in der Weise, daß bei
den Hypoaziden, wo also der Ammoniakgehalt die Menge Rhodanwasser-
stoff übertraf, rapide Karies zu bemerken war, bei Gesunden und Hyper-
aziden, wo das Verhältnis der beiden Bestandteile gleich oder umgekehrt
ist, fehlt die Karies.
Sicherlich betritt Michaels, wenn er mit dem allgemeinen Stoff-
wechsel im Körper sich beschäftigt und nun pathologische Vorgänge der
Mundhöhle damit in Zusammenhang bringt, einen sehr richtigen Weg, ob-
wohl er bei stark alkalischem Speichel gerade rapide Karies sieht und da-
durch den nun herrschenden Ansichten selbst Michels gegenüber sich
in diametralem Widerspruch befindet.
Ganz merkwürdig sind aber die Resultate von Low, Beach und
einigen amerikanischen Autoren. Sie. fanden in jedem Falle von kariösen
Über den heutigen Staud der Rhodanfrage. 103
Gebissen Fehlen oder nur geringe Spuren von Rhodansalzen, bei Rhodan-
darreichung aber schon nach 14 Tagen allmähliche Heilung. Nach ihren Er-
folgen kann ich wirklich nicht verstehen, weshalb wir alle nicht heute unsere
Patienten mit Rhodan füttern; daß natürlich bei Verfütterung von Rhodan-
salzen die Menge derselben sich im Speichel vergrößert, ist selbstverständ-
lich, sie müssen irgendwo aus dem Organismus ausgeschieden werden, da
der Körper sie nicht benötigt und nicht brauchen kann.
Waugh ist durch seine Untersuchungen zu dem Schlusse gekommen,
daß Rhodankalium schon in vitro einen hemmenden Einfluß auf die Bildung
von Bakterienplaques ausübe (referiert nach Michel). Leider wird nicht
angegeben, wie stark die Lösung war, die er verwendete.
In zahlreichen Arbeiten ist Lohmann, der Begründer der Muzin-
theorie, für die Wichtigkeit der Rhodansalze eingetreten. Interessant ist es,
daß sich hier Michel, der ja sonst die Ansichten Lohmanns so scharf
bekämpft, und Lohmann treffen. Karies wird durch Säure verursacht,
nur ist diese Säure nach Lohmann nicht die durch Zersetzung von
stärkehaltigen Nahrungsmitteln durch die Einwirkung von Bakterien ge-
bildete Milchsäure, nicht eventuell andere in der Mundhöhle selbst gebil-
dete oder von außen eingeführte Säuren, sondern das Muzin des Speichels,
welches durch die alkalisch reagierenden Rhodansalze paralysiert wird.
Diese Alkaleszenz des Speichels ist der beste Schutz gegen Zahnkaries. Nun
ist die Muzintheorie keineswegs eine erwiesene Tatsache, wenn aber Muzin
tatsächlich eine die Zähne angreifende Säure ist, so ist es gewiß sehr merk-
würdig, warum es gerade durch die minimalen Mengen Rhodansalze neutrali-
siert werden soll, nicht aber durch die Stoffe, welche die Alkaleszenz des
Speichels bedingen und die in einer vielfach größeren Menge dortselbst vor-
handen sind. (Widerlegung der Lohmannschen Theorie bei Michel
und Kantorovicz.)
Durch alle diese Tatsachen will ich natürlich nicht in Zweifel ziehen,
daß im pathologisch veränderten Speichel auch die Rhodanmenge vermin-
dert ist oder auch ganz fehlt. Wir wissen ja, daß in sehr vielen Krank-
heiten der Speichel pathologisch verändert ist. Freyvogel zitiert eine
Reihe solcher Krankheiten, auch Fleckseder hat sie in einer Reihe von
Krankheiten untersucht. Entsprechend den Veränderungen kann Rhodan auch
fehlen. Rhodan ist eben ein Stoffwechselprodukt und wird bei Erkran-
kungen, die den Stoffwechsel beeinflussen, eventuell in verminderter Menge
oder gar nicht ausgeschieden, vielleicht wird es noch im Inneren des Kör-
pers weiter zersetzt. Es unterliegt ja schon bei normalen Individuen kolos-
salen Schwankungen. Es kann nun vorkommen, daß diese Krankheiten solche
sind, bei denen wir eventuell rapid fortschreitende Karies, Pyorrhoe oder
andere Erkrankungen der Zähne oder der Mundschleimhaut beobachten. Es
104 Franz Peter.
können also wehl die beiden Phänomene Mundkrankheit und Rhodanmangel
ia diesen Fällen Arm irn Arm gehen, sie können sogar regelrecht angetroffen
werden, es wäre aber noch immer unmotiviert, die beiden rein nach dem sta-
tistäschen Befund in direkten Zusammenhang za bringen. Hier ist die Ur-
sache die primäre, allgemeine Erkrankung, die anderen Ersekeinungen —
solange nicht das Gegenteil bewiesen ist — near von einander unabhängige
Folgeerscheinungen.
Aueh Schönauer hat bei einer großen Zahl von Soldaten mit
unbehandelten Mundhöhlen den Rhodangehalt untersucht. Aus seiner Sta-
tistik entnehme ich, daß er bei jedem Grad der Michelschen Skala
(Karies I—V) bei %0—28°o der untersuchten Fälle eine Verminderung
des Rhodangehaltes findet, durchwegs normales Verhalten.
Habe ich bis jetzt mieh hauptsächlich mit der Karies beschäftigt wand
iasbesondere die hieher gehörenden Arbeiten berücksichtigt, se komme ich
nun zu der zweiten Gruppe von Erkrankungen, die ebenfalls mit Rhodan-
mangel in Zusammenhang gebracht werden, die Pyorrkoe, ferner Schleim-
hauterkrankımgen der Mundhöhle, Stomatitiden verschiedener Art, ins-
besonders die Storhatitis luetiea.
Was die Pyorrhoe anbelangt, so liegt nur eine Arbeit von Guido
Fischer vor. Er findet ie jedem Falle seiner Pyorthoefälle vollständigen
Rhodanmaagel. Nach mehrwöchiger Darreichung von Rhodan findet er
ständig ein Ansteigen des Rhodangehaltes im Speichel, in eiaigen Fällen
auch eine Besserung der Pyorrhoe. Diese Besserung können wir wohl auf
die gleichzeitig durchgeführte rein zahnärztliche Behandlung zurückführen.
Er arbeitet mit verdünntem, nieht filtriertem Speichel, so daß seine Reset
tate wohl angezweifelt werden können. Ich habe in drei Fällen von viru-
lenater allgemeiner Pyorrhoe (unbehandelte Fälle) den Speichel
untersucht, jedoch insämtlichendrei Fällen hohen Rhodan-
gehalt feststellen können.
Auch in gwei Fällen von Stomatitis ulcerosa fand ich no r-
malen Rhodangehalt. Die Fälle betrafen Kinder.
| Schmitt stellte durch seine Untersuchungen fest, daß Rhodan-
mangel für durch Quecksilber und Jodkalium behandelte Syphilis eharak-
teristisch sei und dasselbe Resultat gewann Freyvogel im München.
Beide glauben, daß der bei Luetikern ah und für sieh verminderte Rhodan-
gehalt im Laufe der Behandlung noch weiter zurückgeht, eventuell gaat
schwindet. Die Stomatitis mercurialis wäre ein F'olgesustand dieses Rho-
danmeangels und durch Darreichung von Rhodalzid der Firma Reißholz
leicht zu bekämpfen.
Ich bin diesen Anschauungen auf Grund eigener Untersuchungen oat-
gegengetreten, die ich in der Wiener klinischen Wochenschrift im Früh-
Über den heutigen Stand der Rhodanfrage. 105
jahre 1917 publiziert habe. Bei einer großen Anzahl von Luskikem in
allen Stadien der Krankheit und mit den verschiedensten Erscheinungen
babe ich sehr genau den Rhodangehalt des Speichels bestimmt und bin
dabei zu dem Schlusse gekommen, daß ein Zusammenhang zwischen Rhor
daamaagei und Syphilis nieht existiert und daß Luetiker ebense Rhodan
aussgheiden, in ebenso sehwankenden Gremzen, wie normale Individuen.
Wenn wir also zu so verschiedenen Resultaten gekommen sind, so
müssen wir uns fragen, was die Ursache sein kann und man kommt leicht
zu dem Schlusse, daß eben Fehler in der Methodik schuld sein müssen. Das
von den meisten Autoren benützte Reagens ist Eisenchlorid. Die Bestim-
mungen damit können aber nur richtig sein: 1. wenn zu den Bestimmungen
immer frisch bereitete, verläßliche Lösungen genommen werden, 2. wenn
die Standardlösung selbst bei jeder Gelegenheit frisch mit Eisenchlorid
versetzt wird, d.h. eine mit einer bestimmten Menge von Eisenchlorid ver-
setzte Rhodanlösung darf nicht von einem Tag auf den anderen aufgehoben
werden, und 3. es muß gleiches mit gleichem verglichen werden, d.h. eine
klare Lösung mit einer möglichst klaren. Ich glaube also, daß die Methode,
ein Filterpapier mit Eisenchloridlösung zu tränken und die Untersuchung
gleich in der Mundhöhle vorzunehmen, eine ständige Fehlerquelle ist und daß
ebenso das Aufstellen einer Farbentafel zum quantitativen Vergleich seine
Schwierigkeiten hat. Die Resultate mit dem Michelschen Kolorimeter,
der nach Versetzung von 5 cm? Rhodanlösung mit 5 cm* Eisenchloridtösung
hergestellt wurde, können meiner Anschauung nach also nicht einwandfrei
sein, um so mehr, weil zum Färben der minimalen Menge Rhodansalze eine
ungleich große Menge Eisensalz genommen wurde und zweitens, da zur
Speichelprobe im Gegensatze zur Vergleichsprobe nicht 5, sondern 1 em?
Eisenchloridlösung zugegeben wird. Nur auf ganz gleiche Art, in gleicher
Schichtendicke vorhandene Lösungen mit dem gleichen Teil Fisenchlorid
— es genügt ein Tropfen — versetzt, können einwandfreie Resultate geben.
Die Lösungen müssen klar sein, und zwar entweder soll der filtrierte 8peichel
mit Eisenchlorid versetzt oder der mit Eisenchlorid versetzte Speichel fil-
triert werden. Erst dann kann man den Vergleich mit der Standardlösung
richtig beurteilen. Wenn man dann jedem Speichel genügend Zeit opfert,
wenn täglich und täglich wieder mit frischen Standardiösungen gearbeitet:
wird, wenn man eventuell den klar filtrierten Speichel mit verschieden kon-
zentrierten Eisenchloridlösungen prüft und auf das Zugeben von Salzsäure
nicht vergißt, kommt man zu dem richtigen Resultate. |
Was die Untersuchungen mit Jodsäure anbelangt, müssen wir in
Betracht ziehen, daß Jadsäure ein ungemein labiler Körper ist, der durch
eine Reihe von Stoffen zu Jod reduziert wird. Es müßte also ausgeschlossen
106 Frauz Peter. Über den heutigen Stand der Rhodanfrage.
werden, daß der Speichel solche Stoffe, eventuell von der Außenwelt stam-
mend, gerade zur Zeit der Untersuchung gehabt hat.
. „Eine weitere Fehlerquelle, die bei den Untersuchungen bis jetzt nicht
beobachtet wurde, ist.die Milchsäurereaktion des Speichels. Milchsäure gibt
mit Eisenchlorid eine kanariengelbe Färbung, die wohl imstande ist, die
Rhodanreaktion abzuschwächen oder auch, als chemisch stärkeres Agens,
ganz zu verwischen. In der früher erwähnten Arbeit habe ich genau ange-
geben, wie oft ich im Speichel der Luetiker Milchsäure fand. Ich glaube
nun, daß gerade bei geringer Rhodanmenge diese Reaktion oft übersehen
wurde, was ebenfalls an manchen Statistiken zu Rektifizierungen Veranlas-.
sung geben könnte.
Und auf Grund dieser Überlogungen muß ich Freyvogel, dessen
Arbeit fast gleichzeitig mit meiner erschienen ist und der genau entgegen-
gesetzte Resultate erhielt, scharf entgegentreten. Der Behauptung gegen-
über, daß das Rhodanometerpapier der Firma Reißholz bei Massenunter-
suchungen zu quantitativen Bestimmungen sich am besten eignet, glaube
ich entgegnen zu können, daß lieber wenige Untersuchungen, aber mit a b-
solut zuverlässigen Methoden am Platze sind. Krüger hat die
quantitativen Untersuehungen nach der gewichtsanalytischen Methode ge-
nauestens ausgeführt und er fand keinen Zusammenhang zwischen Rhodan-
mangel und Karies. Daß bei mehrwöchentlicher Rhodandarreichung die aus-
geschiedene Rhodanmenge größer ist, bezweifle ich nicht. Das ist selbst-
verständlich, daß, wenn ein Stoff in vermehrter Menge in den Körper ein-
verleibt wird, er auch in vermehrter Menge ausgeschieden wird. Ebenso
glaube ich, daß man durch hygienisches Ordnen der Mundhöhle und Spü-
lungen mit Wasserstofisuperoxydlösung die Stomatitiden ebenso vermeiden
kann, wie durch die Darreichung von Rhodalzid.
Es wäre nun sehr interessant gewesen, das Verhalten des Rhodans,
mit Berücksichtigung der vorgebrachten Tatsachen bei einer sehr großen
Zahl von Personen mit stark kariösen Gebissen einwandfrei zu bestimmen.
Ich begnügte mich aber mit der Untersuchung von 27 Mundhöhlen, von
denen ein Teil absolut zugrunde gegangene Gebisse (Gruppe V nach.
Miehel) aufwies, der andere Teil bereits die Zähne durch Karies verloren
hat. Diese Leute haben viele Jahrzehnte Karies im Munde gehabt und jetzt,
wo sie ihre Zähne verloren haben, würde ja kein Grund hier sein, daß das
Rhodan, wenn durch dessen Mangel die Karies florierte, plötzlich wieder im
Speichel erscheint. Im Gegenteile, die meisten von diesen Personen sind
magenleidende, abgemagerte kranke Frauen. Diesmal habe ich immer nur
zwei Standardlösungen bereitet, von denen die eine 0,04, die andere 0,08
pro Mille Rhodankalium enthielt. Wir müssen noch in Betracht ziehen die
gegenwärtigen kümmerlichen Ernährungsverhältnisse in Wien. Die Pa-
Alfred Kneucker. Weitere Bemerkungen zur Verwendung etc. 107
tienten haben tagelang kein Fleisch gesehen, das Rhodan bildet eich aus:
dem Fleischeiweiß, es war also von vornherein mit einer etwas vermin-
derten Rhodanmenge zu rechnen. Von diesen 27 Fällen fand ich in 18 Fällen
einen Rhodangehalt von 0,04 pro Mille und darüber, in 9 Fällen einen ge-
ringeren Rhodangehalt oder ein Fehlen, wobei ich bemerke, daß in 4 Fällen
Milcheäure vorhanden war. Untersuchte Kontrollpersonen zeigten durch-
schnittlich den Rhodangehalt von 0,04, selbst der eigene Speichel, der im
Frieden ja ständig den Gehalt 0,1 pro Mille hatte.
Resumierend müssen wir also sagen, daß dem Rhodan die Be
deutung, wie Michel und seine Anhänger behaupten,
nicht zukommt. Ich habe bei keiner Art einer Mund-
höhlen- oder Zahnerkrankung eine regelmäßige Rho-
danabnahme finden können. Eskannalso dem Rhodan
keine wie immer geartete Schutzwirkung im mensch-
lichen Speichel zugeschrieben werden.
Weitere Bemerkungen zur Verwendung der 4pro-
zentigen Novocain-Suprareninlösung in der Zahn-
chirurgie.
Von Dr. Alfred Kneucker, Zahnarzt in Wien. |
Gelegentlich meines in der wissenschaftlichen Sitzung der wirtschaft--
lichen Organisation der Zahnärzte Österreichs am 28. Jänner 1919 gehal-
teren Vortrages über die Anästhesie bei der Extraktion periostkranker
Zähne („Zahnärztliche Rundschau“ Berlin, 2/3, 1919) habe ich auseinander-
gesetzt, daß dort, wo eg sich um die Entfernung nur eines oder höchstens .
zweier periostkranker Zähne handelt, und wo man die Leitungsanästhesie
mit der 1—2%igen Novocain-Suprareninlösung weder anwenden kann oder
will, und wo die lokale Anästhesie mit der niederer dosierten Lösung ver-
sagen würde, die 4%ige Lösung mit Erfolg verwendet werden kann.
Die Fälle, in denen man die Leitungsanästhesie nicht anwenden kann, -
kommen in der Praxis verhältnismäßig häufig vor, und: zwar dann, wenn
der periostale Eiterherd bereits dem betreffenden Foramen vorgelagert ist, -
durch das der zu anästhesierende Nervenstamm zieht. So zeigen sich relativ .
oft diese Verhältnisse beim Foramen infraorbitale, wenn der betreffende .
Eckzahn eitrig erkrankt ist, — beim Foramen palatinum majus bei distal .
gelegenen Gaumenabszessen — beim Foramen mentale bei periostitischen
unteren Prämolaren, beim Foramen mandibulare hingegen ist man oft
deehalb nicht in der Lage, die Leitungsanästhesie intraoral anzuwenden, -
Österr. Zeitschrift für Stomatnlapie. 10
108 2 Alfred Kneucker. -
weil eine mehr oder minder starke Kieferklemme die exakte LE
der Ausschaltung verhindert.
Einen diesbezüglichen interessanten Fall aus .der ahire idhe
Praxis möchte ich bei dieser Gelegenheit sofort schildern. Er zeigt, wie:
sehr unter Umständen die höher dosierte Lösung wegen ihrer hervor-
ragenden hohen . Anästhesierungsfähigkeit imstande ist, die sonst kaum
behebbaren Schwierigkeiten schließlich doch zu überwinden:
Ein Kollege frakturiert den rechten unteren Weisheitszahn. Patientin
ist nach der Fraktur einstweilen wohl von den Zahnschmerzen befreit.
Einige Wochen später traten unter heftigen Schmerzen Fieber, Ödem und
Kieferklemme ein. Der Kollege sendet mir nun die Patientin mit dem Er-
suchen, die frakturierte Wurzel zu entfernen. Bei der Untersuchung zeigt
sich, daß Patientin die Zahnreihen nur 1—2 mm voneinander ent-
fernen kann.
In solchen Fällen steht man nun vor besonders komplizierten Ver-
hältnissen, wenn man sich die Frage beantworten soll, welche Methode der
Anästhesie für den nun durchzuführenden zahnchirurgischen Eingriff zu
wählen sei. Lokalanästhesie mit der sonst gebräuchlichen 1—2%igen Lösung
ist- nicht anwendbar, weil ihre Injektion sicher Schmerzen ‚hervorrufen
wird, Vereisung ist wegen der kurzen Dauer der Anästhesie und wegen der
beengten Raumverhältnisse nicht anwendbar, Chloräthylrausch ist nicht
durchzuführen, weil er sich ebenfalls nur für kurz dauernden Eingriff eignet
und weil in diesem Fall die systematisch-chirurgische Freilegung der
Wurzel immerhin ein verhältnismäßig länger dauernder Eingriff zu werden
versprach. Leitungsausschaltung am Foramen mandibulare war wegen der
Kieferklemme unmöglich. In dieser Lage nun kam ich auf die Idee, die
A%ige Lösung zu verwenden, und ging hierbei so vor, daß ich die Wange,
8o gut es nur überhaupt ging, weit abzog und vorerst buccal in die mesiale
Zahnfleischpapille die so stark anästhesierende Lösung injizierte. Der
Vorteil dieses Verfahrens zeigte sich bald darauf, da die gewissen
Schmerzen, welche beim gewaltsamen Öffnen mit dem Heister erzeugt
werden, nach wenigen Minuten lange nicht mehr so intensiv waren wie
vorher, so daß ich, vorsichtig an der Schraube des Heister drehend, nun
den Mund so weit öffnen konnte, um die eingrammige P ra v a z spritze,
mit der langen, sonst für die Leitungsanästhesie bestimmten Nadel armiert,
nun lingual zur lokalen Injektion verwenden zu können. Die Anästhesie
war komplett, die systematische Freilegung der Wurzel gelang leicht und
dann auch verhältnismäßig leicht die Extraktion.
Was nun die Herstellung der 4A%igen Novocain-Suprareninlösung be-
trifft, so wird dieselbe auf die Art am praktischsten erreicht, daß man, streng
aseptisch vorgehend, eine Tablette Form A in 3cm® gekochten Wassers
e.. O r - 9s apa 3
Weitere Bemerkungen zur. Verwendung etc. 109
in dem von Seidel angegebenen Tiegel löst. Bei dieser. Gelegenheit
möchte ich erwähnen, daß man in Fällen ganz besonderer Empfindlichkeit
ruhig statt der 3cm® nur 2t/ Wasser nehmen kann, wodurch eine über
4%ige Lösung entsteht, d.h. man gehe so vor, daß man den Tiegel nur
bis zum Teilstrich 2%/, füllt.
‘Durch die so günstigen Resultate, welche mir die 4%ige Lösung
-durch 3 Jahre ergab, wurde ich veranlaßt, das ursprünglich verhältnis-
mäßig engere Indikationsgebiet zu erweitern und die Anwendung der 4%-
igen .Novocain-Suprareninlösung nicht mehr streng. nur auf die. ausge-
‚sprochen periostitischen Fälle zu beschränken, sondern auch dann anzu-
wenden, wenn irgend ein Symptom dafür spricht, daß neben der. ae
bereite schon eine Periostitis vorliegen könnte.
Die Gründe hierfür sind folgende:
_ Wenn man vor der. Extraktion eines Zahnes der as Diagnose
sein genausstes Augenmerk zuwendet und neben: den übrigen Unter-
suchungsmethoden zur Beurteilung des Falles das Röntgenbild heranzieht,
so wird man finden, daß die geringfügige, aber bei sensiblen Periostnerven
unter Umständen so sehr empfindliche partielle akute. — vielleicht erst vor
wenigen Stunden entstandene — Periodontitis sich BADTETAN nn rönt-
genologisch nicht nachweisen läßt. |
Führt man, ähnlich wie es die pathologischen Anatomen achen.
‚sofort nach der Extraktion eines Zahnes ‚gleichsam dessen Autopsie durch
— man spüle unter rinnendem Wasser das Blutgerinnsel vom Zahne ab
— so wird man Gelegenheit haben, die verschiedenen durch die Infektion
‚bedingten Veränderungen an der Wurzelhaut zu erkennen, und sehen, wie
oft. die anatomischen Veränderungen gar nicht mit den Symptomen im Ein-
klange stehen, welche die eigentliche Veranlassung zur Extraktion waren;
ader mit anderen Worten; Oft findet man. als Zeichen der Entzündung
nur zarteste, leichte stellenweise Injektionen der Gefäße, kein Granulom,
keine Eitermengen etc. und doch waren die Schmerzen, derentwegen man
hatte zur Zange greifen müssen, unerträglich gewesen. Bei. langwierigen
ehronischen Entzündungen hingegen hat der Patient: oft ausgedehnte Ver-
änderungen am Periost und am, Knoehen; die Schmerzen aber, eben, deg
chronischen Verlaufes wegen, warön verhältnismäßig gering gewesen.. Ing-
‚besondere bei mehrwurzeligen Zähnen kann es vorkommen, daß vielleicht
die eine Wurzel an Pulpitis, die zweite. an 1 ANETAR, die dritte bereite
an Periostitis leiden kann. - l
Wendet man nun in diesem Falle iiir der Vorenn einen
pulpitischen Zahn zu extrahieren — die Symptome, namentlich. die Tem-
peraturempßndlichkeit hatten zu dieser Diagnose geführt —, die sch wä-
chere Lösung an, so kann es. auf Grund der eben geschilderten. Verhält-
10*
110 Alfred Kneucker.
nisse durch die Injektion selbst statt zur Schmerzlosigkeit zur Schmerzemp-
findung kommen. Wohl könnte der Einwand erhoben werden, daß jeder rou-
tinierte Zahnarzt die sichere Diagnose Pulpitis oder Periostitis zu stellen
imstande sein müsse. Grewiß ist dies im allgemeinen der Fall. Bei jenen
Patienten, die zur Konservierung eines Zahnes a priori Zeit, Mühe, Rönt-
genbild, Exkavieren des Zahnes, Wurzelbehandlung usw. unter allen Um-
ständen aufwenden wollen, wird man ja in der Regel durch präzise Arbeit
auch zur klaren Diagnose kommen.
Anders aber steht es mit dem Patienten aus der Extraktionsambulanz
der Kliniken, Spitäler, Krankenkassen etc., von denen der größere Teil
darauf dringt, nicht durch die Konservierung, sondern durch die Extraktion
von den Schmerzen befreit zu werden. Und gerade in diesen letzteren
Fällen kann man sich bei aller Genauigkeit der vorher gestellten Diagnose
kaum verbürgen, ob sich nicht — besonders bei einem mehrwurzeligen,
scheinbar nur pulpitischen Zahne — auch mit der Pulpitis eine eben
entstandene Periostitis bereits etabliert hat.
Es ergibt sich demgemäß — mit weiter unten zur Besprechung
‘kommenden Ausnahmen — folgender Standpunkt:
Bei der Extraktion eines oder höchstens zweier Zähne oder Wurzeln
wende ich die 4%ige Novocain-Suprareninlösung an. Man hat dadurch als
Operateur den Vorteil, dem Eingriffe von vornherein mit voller Ruhe
'entgegensehen zu können, da man ja weiß, daß eine selbst okkulte Peri-
ostitis durch die so stark anästhesierende Wirkung der höher dosierten
Lösung in ihrer Empfindlichkeit überwunden wird, und demgemäß weiß,
daß die Injektion selbst nicht Schmerzen hervorrufen und sichere An-
ästhesie erzielen wird. Nur muß hervorgehoben werden, daß die 4%ige
Lösung nur lokal, nicht aber zur Leitungsanästhesie verwendet werden
soll, da sie, bei derselben verwendet — nach meiner Erfahrung — häufig
— allerdings harmlose — Nebenerscheinungen, wie z. B. zirkumskripte
Hautanämie, hervorruft. Bei der lokalen Injektion in das verhältnismäßig
straffe Gewebe der Gingiva kommt die Lösung so langsam zur Resorption,
daß sie keinerlei Intoxikation hervorruft; bei der Injektion hingegen, z. B.
'an der Schleimhautumschlagsfalte, wo das Gewebe gleichsam weitmaschig
ist, wird die Lösung rascher resorbiert und kann, höher dosiert etc., zu
Nebenerscheinungen: führen. Nebst dieser langsamen Resorption hat die
lokale Injektion noch den Vorteil, daß vielleicht ein Teil des Injektione-
anästhetikums durch die an Ort und Stelle erfolgte Extraktionsverletzung
wieder nach dem Eingriff ausgeschieden werden dürfte, während die hei
der Leitungsanästhesie erfolgte Deponierung des Medikamentes ein voll-
ständiges Aufsaugen desselben bedingt. Die übrigen Nachteile der Leitungs-
ausschaltung, die Gefahr des Nadelbruches, welche gerade bei der Mandi-
Weitere Bemerkungen zur. Verwendung etc. 1il
bularanästhesie recht folgenschwer werden kann, oder die allerdings seltene,
aber bei aller Peinlichkeit in der Asepsis immerhin mögliche Ein-
schleppung von Infektionskeimen in die Tiefe und die hierdurch bedingte
Erzeugung von Abszessen seien hier nur nebenbei erwähnt.
Und nun noch zur Besprechung jener Fälle, bei denen sich die ii
wendung der 4%igen Lösung verbietet:
1. Bei der Extraktion eines völlig gesunden Zahnes.
2. Bei jenen Fällen, wo die unkomplizierte Pulpitis absolut sicher
diagnostiziert werden kann, wo also sicher keine Periostitis
vorliegt.
3. Bei jenen Fällen von Periostitis suppurativa, wo der Zahn bereits `
von Eiter umspült ist, und schließlich im allgemeinen |
4. bei jenen Fällen, wo irgend eine andere Methode (V ereisung, Chlor-
äthylrausch, Leitungsanästhesie mit den nieder dosierten Lösungen)
leichter, rascher und sicherer zum Ziele führt.
Um Beispiele anzuführen: Man exkaviert einen eiiwursellgen Zahn;
beim Exkavieren findet man die Pulpa bloßliegend, empfindlich, blutend.
Patient verweigert aus irgend einem Grunde die weitere konservierende
Behandlung und: besteht auf der Extraktion; in diesem Falle Konigi a die
1%ige Lösung natürlich völlig.
Ä Oder: Es wäre eine allein stehende, ko, lockere Wurzel zu ent-
fernen. In diesem Falle wäre es unpraktisch, Injektionsanästhesie überhaupt
anzuwenden. Am Platze ist Vereisung, da der Eingriff sicher rasch er-
ledigt werden kann.
Oder: Ein ringsum von Eiter umspülter, Derieeikranker stark ge-
lockerter Zahn. Da verbietet sich der Gefahr wegen, die Eiterkeime durch
Injektion in die Tiefe zu bringen, naturgemäß die Lokalanästhesie und
man wird je nach der Situation — falls noch durchführbar — zur: Leitungs-
anästhesie mittelst der 1—2%igen Lösung oder zum ii ai
greifen.
l Oder: Es wäre zum Zwecke eines: Ziiinersatzes inè Reihe von
Wurzeln zu entfernen, eine ganze Kieferpartie gleichsam auszuräumen. In-
dikation: Anwendung der 1—2 %igen Lösung und Leitungsanästhesie..
Ähnliche Beispiele ließen sich noch viele anführen, doch: genügen sie
zur Orientierung und beweisen : ausdrücklich, daß man im Interesse des
Gelingens der Anästhesie der Diagnose, an 'welcher Erkrankung der Zahn
leidet, sein besonderes Augenmerk zuwenden soll; wobei aber die übrigen
Verhältnisse im Munde und der Körperzustand des Patienten (Alter, all-
gemeine Erkrankungen, Ernährungs- und Kräftezustand usw.) mit in Be
tracht zu ziehen sind, oder mit anderen Worten: Man wähle, um in
112 Alfred Kneucker.
derAnästhesiemöglichstdenMißerfolgzuvermeiden,
je nach der Diagnose die entsprechende Methode.
Diesbezüglich interessant und instruktiv. ist folgender Fall:
Ein 17jähriges Dienstmädchen bittet um die Extraktion des U von dessen
"Konservierung sie nichts wissen will.
Die Anamnese und Untersuchung ergibt, daß der Zahn an akuter 'Bulpitis
leidet. Da derselbe aber nebst der Temperaturempfindlichkeit auch bereits leicht
‚klopfempfindlich ist, entschied ich mich, um möglichst in der Anästhesie sicherzu-
gehen, für die lokale Anwendung der 4A%igen Novocain-Suprareninlösung, um 80
mehr, als dabei die Gefahr des Nadelbruches bei der Leitungsausschaltung des
Nervus mandibularis vermieden war; die Tatsache nämlich, daß die im Kriege
‘erzeugten Nadeln spröde sind und glasartig leicht brechen, darf derzeit nicht
übersehen werden.
Während der Extraktion aber gab Patientin Schmerzensäußerungen von sich.
Die Autopsie des Zahnes von außen ergab keinerlei Zeichen von Peri-
ostitis; die Autopsie von innen — der Zahn wurde mit dem Hammer zerschlagen —
erklärte, wieso es zur Schmerzempfindung gekommen war. Die Anästhesie hatte
wohl die Pulpa der einen Wurzel unempfindlich gemacht — sie war nämlich
infolge der Suprareninwirkung anämisch geworden —, die Puülpa hingegen der
zweiten Wurzel war, so wie man es bei Pulpitis totalis zu sehen gewohnt ist,
stark blutreich, ohne die anämisierende Wirkung zu zeigen, und a aus dem
zerschlagenen geöffneten Wurzelkanal gleichsam heraus,
In diesem Falle mußte die Lokalanästhesie selbst unter Kugending der
höher dosierten Lösung versagen. Hier wäre die Leitungsanästhesie eher am
Platze gewesen, da durch sie der Nervus alveolaris inferior sicher und mit ihm. die
Pulpa des [7 ausgeschaltet worden wäre.
Der Schmerz bei der Extraktion läßt sich nur so erklären, daß de kräftige
zusammenpressende Druck der Zange auf die geschwollene, stark entzündete, dabei
aber nicht genügend anästhesierte Pulpa besonders heftige Schmerzen ausgelöst
hatte, wenn auch die Dehnung der Alveole, die Zerrung am Periost, das Los-
reißen des Zahnes aus demselben durch die starke anästhesierende Wirkung der
Lösung kaum empfunden worden sein dürfte. -
Ich kehre zu dem Hauptthema zurück und möchte nochmals hervor
heben:
Vor der Extraktion eines Zahnes verschaffe man sich zumindesten
über folgende Punkte Klarheit:
1. Ist der Zahn gesund oder krank ?
2. Steht der Zahn isoliert oder ist er von gesunden oder kranken
Zähnen umgeben ?
3. Woran leidet der Zahn? Pulpitis oder Periostitis ?
4. Ist der Zahn ein- oder mehrwurzelig ?
5. Wie alt ist der Patient?
Weitere Bemerkungen zur \erwendung etc. 113
6. Ist derselbe im allgemeinen, namentlich was Herz und Niere be-
trifft, gesund?
7. Wird der Eingriff voraussichtlich glatt, rasch oder kompliziert
verlaufen ?
8. Ist nur ein oder sind mehrere Zähne oder Wurzeln zu extrahieren ?
Geht man nun nach den genannten Gesichtspunkten vor und wählt
man, individualisierend, je nach der Lage, aus der großen Zahl der uns
zur Verfügung stehenden Methoden (Lokal- oder Leitungsanästhesie unter
Verwendung der 1-, 1:!/»-, 2-, 3, 4, eventuell sogar etwas über 4%igen
Lösung, Vereisung, Chloräthylrausch usw.) die für den betreffenden Fall
geeignetste, so wird man die Mißerfolge in der Anästhesie bei Zahnextrak-
tionen auf ein Minimum reduzieren.
- Noch ein Wort über die Anwendung. der 4A%igen Lösung bei der
Durchführung der Wurzelspitzenresektion.
In den meisten Fällen kommt man dann, wenn die Leitungsanästhesie
überhaupt ausführbar ist, mit der 1%igen Lösung tadellos aus. Trotzdem.
aber kommt ee nicht so selten vor, daß die Entfernung der Granulationen,
namentlich bei den oberen Frontzähnen, wenn die Granulation sehr tief
sitzt, nicht immer mit kompletter Anästhesie gelingt, und gerade das kann
den ganzen Eingriff recht peinlich machen, wenn die empfindlichste Partie
bei der immerhin längeren Operation nicht ausgeschaltet ist. Um nun
ganz sicher zu gehen, schlage ich folgenden Weg ein:
Ich schalte mit Leitungsanästhesie unter Anweridung der 1efigen Lb-
sung aus, spritze aber ein ganz kleines Quantum der höher dosierten Lösung
auch lokal ein und erreiche damit, daß das entzündete Gewebe nicht nur‘
blutleer, sondern auch sicher unempfindlich gemacht wird.
Bevor ich schließe, möchte ich noch einmal hervorheben, daß, wie
bereits in der oben zitierten Publikation ausführlich besprochen wurde,
die Verwendung von nicht mehr als 3cm? der 4%igen: Lösung absolut
gefahrlos ist, daß damit die Erfolge herrlich sind in so manchem Falle,
der sonst, was die Anästhesie betrifft, versagt hätte.
Eben diese durch mehrere Jahre gleichmäßig erzielten Erfolge waren
für mich die Veranlassung, das Verfahren den Kollegen bekanntzugeben
mit dem Wunsche, dieselben mögen mit der 4%igen Lösung bei den hierfür
geeigneten Fällen ähnliche glänzende Resultate erzielen, wie sie. mir be-
schieden waren. | |
Literatur: Anästhesie bei der Extraktion periostitischer Zähne Von
Dr. Alfred Kneucker. Zahnärztliche Rundschau, Berlin, 2/3, 1919.
114 Winke für die Praxis.
Winke für die Praxis.
Repetitorium der Brückeutechnik.
Von Dr. Emil Steinschneider.
(Fortsetzung.)
Beim Einsetzen der Brücken ist auf verschiedene Um-
stände zu achten. Es kommt selten vor und ist auch gar nicht erwünscht,
daß die Pfeiler absolut parallel sind, denn die Brücke soll nicht
nur durch das Befestigungsmittel allein gehalten werden, sondern auch
durch eine gewisse Spannung, die dadurch entsteht, daß die Brücke auf
die mit ihren Längsachsen ein wenig divergenten Stützzähne geschoben
wird. Man wird also ein wenig Gewalt anwenden müssen, um die Brücke
an ihren Platz zu bringen. Unterstützen kann man den Handdruck durch
leichte Hammerschläge mit einem Bleihammer auf eigens hiezu konstru-
ierte Eintreibungsgeräte, die man aber leicht ersetzen kann durch einen
Zahnbürstenstiel aus Bein oder ein Holzbrettchen, ca. 15 cm lang und 2 cm
breit, das zweckmäßig an den Enden Metallzwingen trägt. Beim Versuch,
die Brücke an ihrem Ort im Munde einzusetzen, ist es zweckmäßig, mit
den mit Wurzelstiften versehenen Kronen zuerst zu beginnen, die Hohl-
kronen gehen dann leichter auf den Pfeiler. Ist nun die Brücke auf
diese Weise auf ihren Platz gebracht, wird es sich empfehlen, sie zu-
nächst — besonders dann, wenn beim Hinauftreiben größere Schwierig-
keiten zu überwinden waren — provisorisch 24 Stunden tragen zu lassen.
Dadurch wird die durch die mäßig divergente Stellung der Pfeiler hervor-
gerufene Spannung gemildert und die Brücke läßt sich nach dieser
Zeit leichter herausnehmen und wieder einsetzen. Dieses letztere ist des-
halb von Wichtigkeit, weil das schnellhärtende Zement, das in den weit-
aus meisten Fällen zur Befestigung der Brücken dient, bei den Versuchen,
eine schwer aufzusetzende Brücke an ihren Platz zu bringen, erhärten
könnte, bevor das erstere geschehen ist, ein Mißgeschick, das sich nicht leicht
gutmachen läßt, ohne die Brücke zum Teil zu zerstören. Wenn auch eine
gut gearbeitete Brücke nach Überwindung der kleinen Schwierigkeit sofort
gut an ihrem Platze sitzen soll, kommt es doch insbesondere bei größeren,
auf mehr als 2 Pfeilern sitzenden Brücken vor, daß durch das Verlöten
der Teile kleine Mängel entstehen, die es verhindern, diese Brücke voll-
ends auf ihren Platz zu bringen. Diese Mängel bestehen meistens darin, daß
das im Innern der Ringe oder Kronen früher verwendete Lot verfließt und
mehr oder weniger starke Wülste bildet, auf denen die Brücke dann reitet.
Läßt man sie aber einen Tag unzementiert tragen, wird man den Fehler
leicht entdecken und beheben können. Aber auch Brücken, die ganz ohne
Winke für die Praxis.. 115
Fehler sind, werden sich auf diese Weise besser an ihren Platz lagern. Ein
Befestigungsmittel für das provisorische Einlegen ist gewöhnlich nicht not-
wendig, die Brücke hält auch ohne ein Mittel 2—3 Tage. Länger soll es
schon wegen des auftretenden üblen Geruches nicht’ dauern. : Im Notfalle
wäre Guttapercha, Paraffin oder dgl. zu versuchen.
Sind wir nun so weit, gehen wir an das definitive Einsetzen der
Brücke. Das geschieht, wie schon erwähnt, meistens mit schnellhärtendem
Zement. Man schützt die betreffende Partie des Mundes mit Watterollen
vor Feuchtigkeit und legt die entsprechenden Zähne trocken. Der Zement-
wird sahneartig angerührt in die Krone gegeben und mit einem Spatel
an die Wände allenthalben verteilt. Dadurch werden auch sich allenfalls
bildende Luftblasen beseitigt.
Die Zahnstümpfe werden mit dem Zement bestrichen und die. er-
weiterten Wurzelkanäle mit diesem gefüllt. Dieses letztere ist nicht ganz
einfach, da sich allzu leicht Luftblasen bilden, die man versuchen muß,
mit einem Wurzelkanalstopfer oder sonst einem geeigneten Instrument
wegzubringen. Zum Vollfüllen der Kanäle mit Zement benutzt man am
besten die Gelatinefülltuben, die man mit Zement vollfüllt, in den Kanal
so hoch als möglich einführt und während des Herausziehens ausdrückt.
Nur so ist man sicher, den Kanal voll mit Zement zu haben. Nun wird
die Brücke, wie oben beschrieben, eingesetzt und zweckmäßig das über-
fließende Zement mit dem. in Vaselin getauchten Finger weggewischt.
Zweckmäßig ist es, in diesem Augenblick zubeißen zu lassen, um rasch die
Artikulation zu prüfen und dann bei offenem Munde die Brücke so lange
durch Fingerdruck an ihrer Stelle zu halten, bis der Zement erhärtet:
ist. Sonst kann es passieren, daß nach dem Erhärten die Brücke ein wenig
herausgetrieben erscheint und die Artikulation nicht ganz stimmt, was zu
unangenehmen Korrekturen zwingt. Ist der Zement hart geworden, bröckelt
man den Überschuß ab und beseitigt die Zementstückchen und Krümel aus
den Zahnfleischtaschen und Zwischenräumen.
Wie schwer eine solche Brücke wieder abzunehmen ist, weiß jeder,
der es einmal versucht hat. Nun kann es vorkommen, daß man Brücken
provisorisch einsetzen muß, die man nach einer gewissen. Zeit abnehmen
und erst dann definitiv einsetzen muß. Auch kommt man oft in die Lage,
von vornherein provisorische Brücken machen zu müssen, die erst später
durch eine definitive zu ersetzen sind. Das erstere kann z.B.dann vor-
kommen, wenn wir die Brücke weiterbauen wollen, das letztere z. B. dann,
wenn — besonders bei vorderen Zähnen — die Extraktionswunden noch
nicht verheilt sind und man den Patienten nicht ohne Ersatz lassen will.
In diesen Fällen ist das schnellhärtende Zement zum Befestigen.
der Brücken ungeeignet. Es wäre naheliegend, in solchen Fällen Flet-
116 Referate und Bücherbesprechungen.
cher zu benutzen. Ich habe aber damit keine guten Erfahrungen
gemacht. Die Brücke lockert sich viel zu rasch. Auch die Befestigung
mit Guttapercha ist nicht zu empfehlen. Es gehört eine sehr große Ge-
schicklichkeit dazu, dieses in der Zahnbeilkunde sonst unentbehrliche Mittel
als Befestigung für Brücken zu benützen. Leicht dagegen und sicher läßt
sich eine Kombination von Zement und Guttapercha verwenden, so daß
ich sehr oft diese zur definitiven Befestigung verwende. Es gibt
im Handel ein fertiges Guttaperchazement für diesen Zweck, mit
dem aber recht schwer umzugehen ist und zu dem eigene Geräte nötig
eind. Am einfachsten und sichersten geht man so vor: Man löst ein Stück
Guttapercha in Chloroform auf und bepinselt mit dieser Lösung die als
Stützen dienenden Kronen und Ringe von innen aus. Natürlich auch
die Stifte der Ringstiftkronen. Nach dem Verdunsten des Chloroforms bleibt
ein dünnes, gleichmäßig aufliegendes Häutchen von Guttapercha liegen.
Man füllt nun die betreffenden Kronen (und Ringstiftkronen) mit schnell-
härtendem Zement und setzt die Brücke ein. Sie hält nun im Munde so fest,
daß man diese Art der Befestigung als definitive belassen kann. Andrer-
seits läßt sich die Brücke dadurch verhältnismäßig leicht entfernen, daß
man mit einem ganz kleinen, heiß gemachten Lötkolben — allenfalls auch
mit einem großen Amalgamstopfer oder ähnlichem Instrument — die Pfeiler
der Brücke erwärmt und mit kräftigem Zug die Brücke herunterreißt.
Referate und Bücherbesprecehungen.
*Chirurg und Zahnarzt. Herausgegeben von Dr. J. Soere nsen und
Prof. Dr. L.Warnekroe. Zweites und drittes Heft. Berlin, Groß-
- Lichterfelde 1918.
Das Doppelheft bringt is Fortsetzung des 1917 erethiekenen erstem
Heftes die Methoden der Kieferstation der 3. deutsehen Armee. Zuerst
einen kurzen Überblick der Röntgenauwfnabmen und wie sig dort geübt
wurden, von Anny Warnekros. Dann in sechs Kapiteln geteilt die
chirurgische Behandlung der Weiehteil- und Knochenverletzungen von
Dr. J.Soerensen. Diese Kapitel bilden den wertvollsten Teil des
Buches, da sie klar und faßlich geschrieben sind und von den gewöhnlichen
Methoden Abweichendes, daher Interessantes bringen, so z.B. die Befesti-
gung von Goldschienen unter dem Perioste bei Knochenüberpflanzungen
im Pereiche des Unterkieferwinkels oder bei zahnlosen Kiefern. Sehr be-
merkenzwert sind auch die Ausführungen Soerensens über die ein-
zeitire Fertigstellung großer Hautplastiken, sei es nun die Bildung der
Oberlippe oder des Kinns. Zum Vergleiche mit den Erfolgen der mehr-
zeitigen Operationen wünschte man nur ausgedehntere und vertiefte
Kasuistik. In mystisches Dunkel gehüllt bleibt aber immer noch die
Referate und Bücherbesprechungen. 117
Methodo Warnekros mit seinen mit Guttapercha ausgepolsterten
Rautschtk- oder Metallschienen, Bandschienen, auch abnehmbarer Verband
genannt. Trotz vieler, allerdings recht kleiner Abbildungen und einiger
Filmaufnahmen kann man sich kein rechtes Bild über die Indikation und
die Anwendungsart der Bandschienen, sowie über ihre Detailherstellung
machen. Auch die übrigen Kapitel über Notverbände, Befestigung der
Goldschienen unter dem Perioste und die Verwendung des abnehmbaren
Verbandes bei Schließung von Wolfsrachen gehen nicht anf den Kern
der Sache ein, sondern bringen meist kur Anpreisung = nr ne |
Ä ‚E.Kräanzl.
* Leitiaden für den Phantomkars der konservierenden Zalmkeilkande. Von
Prof. Dr. med. Erich Feiler. Verlag Hermaan Meusser, Berlin 1919.
(Leitfäden der Zahnheilkunde, H. 1.)
= Verfasser sucht in diesem Büchlein allgemeine Regeln der prak-
tfschen zahnärztlichen Tätigkeit aufzustellen. Wenn es auch in erster
Linie für den Gebrauch an den deutschen zahnärztlichen Sehulen ge-
sehrteben ist, wird es doch überall, wo Zahnheilkunde gelehrt und gelernt
wird, vom Lehrer und Lernenden mit Nutzen verwendet werden können.
Überall muß ja der Schüler zunächst am Phantom arbeiten und er und
der Lehrer werden es freudig begrüßen, wenn hier die schematischen,
theoretischen Grundlagen des Ftillens der Zähne klargemacht werden. Das.
Buch zerfällt in 8 Teile, die die anatomischen Vorbemerkungen, die Be-
handlung des Zahnmarks, die Formen der Kavität, die plastischen Fül-
tingen, die Folienfüllungen, die Einlagefüllungen, das Anlegen der Gummi-
platte, das Reinigen der Instrumente durch sehr gute, zum großen Teil
schematische Abbildungen unterstützt, sehr instruktiv darstellen. Nur ein
Kapitel hat Referent vermißt, das über die prov. Füllungen (Fletcher,
Guttapercha usw.).
Nicht nur der Student, der in dem Büchlein alles klar und über-
sichtlich findet, um ihn in die konservierende Zahnheilkunde einzuführen,
auch der fortgeschrittene und der in der Praxis stehende Zahnarzt wird
mit Nutzen die praktischen Anweisungen und Rezepte durchsehen und
sehließlich wird auch der Lehrer dem Verfasser dankbar sein für einen
Leitfaden, der jenem so viel Arbeit abnimmt. Steinschneider.
—
Schweizerische Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde. Bd. XXVIII, Nr. 4.
Auf eine Erledigung der alten, wieder zeitgemäß gewordenen
Frage „Amputation oder Totalexstirpatiom“ drängt Prof.
W.Hess. (Vergl. Referat im 3. Heft 1919 dieser Ztschr.) Nach Auf-
zählung der zur Genüge bekannten Nachteile der Exstirpation beruft sich
Autor auf Boenneckens Statistik, derzufolge die Amputationsmethode
1/,%, die Exstirpation 21/2% Mißerfolge aufweist, gibt aber schließlich zu,
„es müssen weitere Untersuchungen an größerem Material gemacht werden,
118 Referate und Bücherbesprechungen.
um die Amputationsmethode als eine selbständige, für alle -Zähne gültige
Wurzelbehandlungsmethode auszubauen, die der Exstirpationsmethode als
gleichwerte Methode anzugliedern wäre.“
„Das Bleichen verfärbter, toter Zähne vermittelst
Entwicklung von Sauerstoff und Ozon“ bespricht E.H ell-
müller im Anschluß an E.Me&trals Mitteilungen über dessen diesbe-
zügliches Verfahren. Die Vorbereitung des Zahnes erfolgt nach beiden
Autoren durch gründliche mechanische Reinigung der Pulpakammer und
des Wurzelkanals, Erweiterung des letzteren und Abschluß des Apex ver-
mittels Guttapercha oder noch besser Zement. Knapp vor der Behandlung
wird eine Perhydrittablette (Hellmüller zieht das M er ck sehe Präparat
jedem anderen vor) in einem Mörser zerstoßen und mit möglichst neutraler
Wasserstoffsuperoxydlösung à ca. 30 Volumsprozente zu einem dicken, brei-
artigen Magma gemischt. Hellmüller aziduliert dieses mit reiner Salz-
säure, so daß es 1% davon enthält. In einem anderen Näpfchen wird 1%
neutrale Lösung von Kalihypermanganat bereitgestellt und in einem
dritten Wasserstoffsuperoxydlösung zu 30 Volumsprozenten, welche 1%
reiner oder 7,5% verdünnter Salzsäure enthält. Vermittels eines mit dem
Magma getränkten Wattebäuschchens wird nun die Zahnhöhle locker voll-
gestopft. Ein zweites Wattebäuschehen wird nun mit der Kalihypermangan-
lösung getränkt, und man läßt nun dieses auf das Magma wirken, was eine
starke Schaumentwicklung zur Folge hat. Hört diese auf, so wird, immer
auf Watte, neues Kalihypermanganat solange zugeführt, bis das Magma
vollständig verschwunden ist. Dieses Verfahren wird — nach Métral in
einer Sitzung — fortgesetzt, bis die Bleichung den gewünschten Grad erreicht
hat. Dann wird die Höhle mit der azidulierten Wasserstoffsuperoxydlösung
ausgewaschen, was die Bleichung noch intensiver werden läßt, und nachher
wird mit Natrium bicarbonatum oder Borax neutralisiert. Darauf werden
Wurzelkanal und Höhlenwandungen mit einem Zinkoxydchlorid-Zement ge-
füllt; darüber wird dann die definitive Füllung gelegt. Hellmüller
verteilt die Bleichung auf mehrere Sitzungen, da er oft nach einiger Zeit
ein gewisses Nachdunkeln des Zahnes festgestellt hat. Deshalb nimmt er
das definitive Füllen des Zahnes erst nach mehreren Wochen vor, um der
Gefahr eines Rückschlags zu begegnen.
In Erwiderung auf v. Rottenbillers Arbeit nimmt Prof. Hess
„Zur Frage der Wurzelramifikationen‘“ nochmals das
Wort. Rottenbiller hat bei 600 Zähnen nur zweimal Wurzelkanal-
ramifikationen gefunden, was Hess zur Überzeugung bringt, daß sich
dieses Resultat durch das zu kleine Untersuchungsmaterial und vielleicht
auch zum größeren Teil durch die ungenügende Technik erklärt. Die von
zahlreichen Autoren hergestellten Korrosions- und histologischen Präparate
haben nach Hess’ Ausführungen deutlich erwiesen, daß die Anatomie der
Wurzelkanäle bedeutend komplizierter ist, als sie in den bisher veröffent-
lichten Arbeiten und Lehrbüchern beschrieben wird. Wallisch jun.
© Vereins- und Versammluugsberichte. 119
Aus Vereinen und Versammlungen.
Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte
Deutschösterreichs.
Vorstandssitzung vom 27. März 1919.
Anwesende: Dr. Kneucker, Dr.Stark, Dr.Rieger, Dr.Martens,
Dr.Stein, Dr.Roth, Dr. Natzler, Dr.Markus, Dr.Gilanyi und Dr. El-
kan. Als Gast Dr.Steinschneider.
Vorsitzender: Dr. Kneucker.
Schriftführer: Dr. Elkan.
Das Protokoll der letzten Vorstandssitzung wird verifiziert.
Der Präsident berichtet über seine bisherige Tätigkeit und erwähnt,
daß die Anlage von Büchern (Journal, Kataster, Verteilungsplan usw.),
die zur ordentlichen Führung der Organisationsangelegenheiten notwendig
sind, bereits durchgeführt wurde, und gibt den Inhalt seiner Besprechungen
bekannt, die er mit dem Präsidenten des Zentralverbandes österreichischer
Stomatologen — Dr.Herz-Fränkl—, mit dem Präsidenten des Vereins
österr. Zahnärzte — Dr. R. Breuer — und mit dem Verein Wiener Zahn-
ärzte — Vizepräsident Dr. Steinschneider — geführt hat. Der An-
trag, die „Zeitschrift für Stomatologie“ als offizielles Organ der Organi-
sation zu erklären, wird angenommen. Die Zeitschrift wird den Mitgliedern
zum ermäßigten Preise zugestellt werden können.
Für die Wirtschaftliche Organisation der Ärzte Wiens, deren Neu-
wahlen knapp bevorstehen, wird Dr.J.Markus nominiert. Präsident
teilt mit, daß allen Mitgliedern der Wirtschaftlichen Organisation zwecks
Einsendung des Jahresbeitrages Erlagscheine übersendet wurden. Der Post-
sparkasse wurde über die derzeitige Zusammensetzung des Vorstandes der
Wirtschaftlichen Organisation Mitteilung gemacht. Gleichzeitig hat der
Präsident dafür Sorge getragen, daß an alle Kollegen Deutschösterreichs
Karten mit Rückantwort ausgeschickt werden, mit welchen sie zum Bei-
tritt in die Organisation aufgefordert werden, und die die Ziele und Bestre-
bungen der Organisation bekanntgeben.
Der Sitzung wohnt der Redakteur der „Österreichischen Zeitschrift
für Stomatologie“ — Dr.Steinschneider — bei, der den Antrag
stellt, daß die Vorträge, welche von der Organisation veranstaltet werden,
pflichtgemäß in dem genannten Organ publiziert werden. Angenommen.
Vorstandssitzung vom 6. April 1919.
Debatte über die Zahntechnikerfrage. Es wird beschlossen, daß eine
Abordnung aus dem Vorstande, bestehend aus Dr. Kneucker, Dr. Rie-
ger, Dr.Elkan, zur Regierung entsendet werde mit der Bitte um Ein-
berufung einer Enquete, da die derzeitige Situation — Überhandnehmen
des Strohmännertums, Agentenunwesen usw. usw. — einen dringenden Ein-
griff von seiten der Regierung notwendig machen. Dr.Stark bringt den
Antrag ein, es möge ein Mitglied in den Ausschuß für Sozialisierung ent-
sendet werden. Es wird beschlossen, der dringend gewordenen Frage der
120 Standes- und wirtschaftliche Angelegenbeiten.
Sozialisierung eine eigene Sitzung zu widmen. Dr.Rieger bringt den
Antrag ein, an den Verein Wiener und Österreichischer Zahnärzte sowie
an den Verband österreichischer Stomatologen heranzutreten mit dem Er-
suchen, je ein Vorstandsmitglied der genannten Vereine in den Vor-
stand der Wirtschaftlichen Organisation zu entsenden. Der Antrag wird
einstimmig angenommen.
(An die Mitglieder der „Wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte
Beutsehösterreichs“) ergeht die Mitteilung, daß die „Österreichische Zeit-
‚schrift für Stomatologie“ nach Mitteilung der Verlagsfirma angesichts der
immer größer werdenden Herstellungskosten schon eine Abonnementspreis-
erhöhung hätte erfahren sollen. Die zwischen der Organisation und der Ver-
lagsfirma hierüber stattgefundenen Rücksprachen hatten jedoch das Er-
gebnis, daß die Mitglieder der „W. O. d. Z2.D:©:“ dennoch die Zeitschrift
zum ermäßigten Preise von 30 K jährlich ‚beziehen können.
Es steht zu erwarten, daß vielleicht in sbsehbaser Zeit auch dieser
ermäßigte Preis reduziert werden kann, wenn wir zu unserem Organ
stehen. Aus diesem Grunde hat auch der Ausschuß beschlossen, den Mit-
gliedern der „W. O. d. Z. D-0.“ nahe zu legen, nur Dai jenen Firmen. su
kaufen, die in der „Ö. Z. f. St.“ an Ä
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Die Verstaatlichung des Ärztestandes.)
Schon vor dem Kriege hat die zunehmende Verelendung des Ärzte-
standes dessen Verstaatlichung auf die Tagesordnung gestellt und wurde
. von der einen Seite mit ebensoviel Energie bekämpft, als sie von anderer
Seite propagiert wurde. Insbesondere hat Grün in Wort und Schrift un-
ermüdlich für deren Verwirklichung gekämpft und alle Gründe, die herbei-
geschafft wurden, um deren Unmöglichkeit und Schädlichkeit für den Ärzte
stand zu beweisen, zu entkräften gesucht. Mit den schrecklichen Folgen des
Krieges nahm die Verelendung des Ärztestandes naturgemäß zu, so daß
auch diejenigen, die früher der Verstaatlichung feindlich oder ablehnend
gegenüberstanden, sich der Einsicht in die Notwendigkeit der Verstaat-
liehung nicht mehr verschlossen, wenn sie auch deren Durchführung mit ge-
wissen, sicher berechtigten, Kautelen verbinden wollen. Und so wird es wohl
in naher Zukunft dazu kommen, daß die Tätigkeit der praktischen
Ärzte auf andere Grundlagen gestellt sein wird als bisher. Ob es möglich
und wünschenswert ist, die S pezial ärzte zu verstaatlichen, soll hier nicht
Gegenstand der Berg: sein. N diesen BEN gehören aber auch
_ 1) Angeblich e wie man der Wirteehaftlichen ONE der Zahnärzte
Deutschösterreiche mitteilt, en eine Verstaatlichung der Spezialärzte derzeit nicht
gedacht. Trotzdem wird es gut sein, die Angelegenheit nicht aus den Augen zu
lassen. Man kann ja nicht wissen, wie sich die Verhältnisse noch ‚gestalten.
Kleine Mitteilungen. _ 191
wir Zahnärzte, die ihre Praxis auf zum Teil anderen Grundlagen aufbauen
müssen als die anderen Spezialärzte, in deren Rahmen wir aus verschiede-
nen Gründen eine besondere Stellung einnehmen. Mehr als bei anderen Spe-
zialfächern wird in der Zahnheflkunde bei deren Propagierung in alle
Schichten der Bevölkerimg das Tätigkeitsgebiet des privaten praktischen
Zahnarztes eingeengt: Man denke nur an die immer häußigere Errichtung
von Krankenkassen und Schulzahnkliniken. Da drängt sich die Frage auf,
ob bei der 'Gleichartigkeit der Gründe, die die Verstaatlichung der prak-
tischen Ärzte so akut machen, nicht eine fakultative Verstaatlichung
der zahnärztlichen Hilfe möglich und erstrebenswert wäre. Zweck dieser
‚Zeilen ist, auch in zahnärztlichen Vereinigungen die Frage der Verstaat-
lichung zur Diskussion zu stellen, um eine Grundlage für etwa not
wendige Verhandlungen mit den staatlichen Körperschaften — denn nur
im Wege der Verhandlungen, nicht über unsere Köpfe hinweg kann eine
sọ einschneidende Maßregel verwirklicht werden — zu haben.
(Zentralärzterat für Wien.) Der Ausschuß der Wirtschaftlichen
Organisation der Ärzte Wiens hat m siner kürzlich abgehaltemen Sitzung
beschlossen, sich als Zentralärzteret für Wien zu konstituieren. Dieser
Beschluß lehne jede wie immer geartete Festlegung auf ein politisches
Programm ab, bekunde vielmehr den festen Willen der Ärzteschaft, in
jeder Gesellschaftsordnung dem gesundheitlichen Wohle der Bevölkerung
za dienen und die damit eng verknüpften Interessen des ärztlichen Standes
su wahren. Die persönliche politische Betätigung jedes einzelnen Arztes
werde durch diesen Beschluß in keiner Weise berührt. |
Kleine Mitteilungen.
(Gegen die Wohnungsreqisition bei Ärzten.) Die oberösterreichische
Ärztekammer hat an das städtische Wohnungsamt in Linz folgende Zu-
‚schrift gerichtet: „Da dem Vernehmen nach eine neuerliche Revision der
Wohnungen durch die aus Vertretern der Gemeinde sowie des Arbeiter-
und Soldatenrates bestehende Kommission stattfinden soll, erlaubt sich
die Ärztekammer zu ersuchen, eg mögen ihr allfällige Verfügungen dieser
Kommission — insoweit sie sich auf ärztliche Ordinations- und Warte-
räume beziehen — sofort zur Begutachtung bekanntgegeben werden, da Ver-
fügungen, welche ohne diese Begutachtung der Ärztekammer etwa getroffen
würden, unter Umständen mit der sofortigen Einstellung des ‚gesamten
ärztlichen Dienstes in Linz und Urfahr beantwortet werden müßten.“
(„Linzer Volksblatt“ vom 13. April 1919.)
(Ausübung der ärztlichen Praxis durch Unberufene.) In der tschecho-
slowakischen Republik wurde festgestellt, daß da und dort Leute die
ärztliche Praxis eröffnen, von denen nicht bekannt ist, ob und wo sie pro-
moviert worden sind und ob sie Angehörige des tschechoslowakischen
Staates sind. Es erwächst die Gefahr, daß Unberufene oder Ärzte, welche
192 Kleine Mitteilungen. — Personalien.
in unserem Staate nicht praxisberechtigt sind, die ärztliche Praxis aus-
üben könnten. Im Sinne des Erlasses des Ministeriums für öffentliche Ge-
sundheitspflege und körperliche Erziehung vom 16. Februar 1919 (Zahl 444)
ergeht daher an die politische Bezirksverwaltung die Aufforderung, auf
die genaue Einhaltung der Bestimmungen des Hofkanzleidekretes vom
24. April 1827 (Zahl 11.840) zu achten, wonach die Ärzte vor der Eröffnung
der Praxis dem politischen Bezirksamte (Magistrate) ihr Diplom vorzu-
legen haben. („Prag-Aussiger Ärztliche Nachrichten“ 1919, Nr.7.)
(Zahnärztliche Behandlung der Schulkinder in Ungarn.) Eine Ver-
ordnung des Volksbeauftragten für Arbeitswesen und Volkswohlfahrt vom
29. März 1919 schreibt vor: Jeder praktizierende Zahnarzt hat täglich zwei
Stunden hindurch in seinen Räumlichkeiten und mit den eigenen Instrumen-
ten die Zähne der ihm zugewiesenen Schulkinder zu behandeln. Für diese
Arbeit gebührt ihm eine Entlohnung von monatlich 1000 Kronen sowie der
Ersatz des Wertes der verbrauchten Materialien. Diejenigen Ärzte, die
nicht über die erforderliche Menge Materialien verfügen, wird das Volks-
kommissariat für Arbeitswesen und Volkswohlfahrt mit solchen versehen.
Aus diesem Grunde hat jeder auf dem Gebiete der Stadt Budapest sich
aufhaltende Zahnarzt binnen 48 Stunden bei dem Volkskommissariate für
Arbeitswesen und Volkswohlfahrt anzumelden, welche Vorräte er an folgen-
den Materialien besitzt: Amalgam, Zement, synthetischen Zement, Kaut-
schuk und Kunstzähnen. Wer die Anmeldung versäumt oder falsch an-
meldet, wird mit Entziehung seines Diploms bestraft. (Nach dem „Pester
Lloyd‘ vom 2. April 1919.)
Personalien.
(Todesfall) Am 2. April d. J. starb hier der Zahnarzt Dr. Julius
Herz im Alter von 74 Jahren. Er hat sich kurz vor dem Kriege von
der Praxis zurückgezogen und so war es dem standesbewußten Kollegen
nicht lange vergönnt, sein Otium nach einem arbeitsreichen Leben zu
genießen. Dr. Herz war der Vater des Präsidenten des Z. V. d. Ö. St.,
Dr.W.Herz-Fränkl.
(Universitätsnachrichten.) Der Priv.-Doz. Dr. Blessing, bisher
Direktor der zahnärztlichen Klinik in Braunschweig, wurde als Leiter der
konservierenden Abteilung des zahnärztlichen Instituts an die Universität
Rostock berufen. Damit ist in Rostock die Dreiteilung des zahnärztlichen
Unterrichts durchgeführt.
—— ob 0b» eo
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redaktaur: Dr. Emil Steinschnelder.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Müinrgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ una Standes-Interessen ger Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und
der wirtschaftlichen n Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs.
XVII. Jahrgang. Juni 1919. +» 6, Heft.
. „Nachdruck verboten.
Original-Arbeiten.
Pulpaamputation oder Pulpaexstirpation ?
Von Prof. Dr. Adloff, Greifswald.
Man sollte eigentlich meinen, daß diese Frage endlich erledigt sei
und nur noch theoretisches Interesse habe; immer von neuem wird aber
der Streit, gewöhnlich von Anhängern der unbedingten Exstirpation, wieder
aufgenommen, um die Amputätionsmethode zu diskreditieren. In diesem
Sinne hat kürzlich Gottlieb in dieser Zeitschrift berichtet, indem er
die Pulpaamputation a limine verwirft.
Demgegenüber möchte ich erneut feststellen, daß eine vollständige
Entfernung der Pulpa nur in einem geringen Teil der Fälle möglich ist,
und. zwar nicht allein wegen der Verzweigungen der Pulpa in der Nähe
des Foramen apicale, denen ich ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeu-
tung zuerkennen kann, als vor allem wegen der Enge vieler Kanäle und
der ` Unzugänglichkeit vieler, besonders distaler Kavitäten bei hinteren
Molaren, die den Gebrauch des Pulpaentferners illusorisch machen. In
allen diesen Fällen handelt es sich daher, wenn wirklich der Versuch einer
Herausbeförderung der Pulpa gemacht wird, de facto niemals um eine Ent-
fernung derselben, sondern lediglich ebenfalls nur um eine mehr oder minder
weit nach dem Foramen zu verlegte Amputation, nur mit dem Unter-
schiede, daß auf die vergeblichen Versuche sehr leicht eine Infektion des
zurückbleibenden Stumpfes eintreten kann. Diese Gefahr wird durch die
Amputation mit nachfolgender Imprägnierung vermieden. Ich brauche. nicht
besonders zu erwähnen — es ist dies oft genug mit allem Nachdruck aus-
gesprochen worden —, daß auch die Anhänger der Amputationsmethode
jede Pulpa, deren Entfernung nàch menschlichem Ermessen möglich ist,
ebenfalls entfernen, daß die Amputation nur für diejenigen, allerdings sehr
zahlreichen Fälle reserviert bleibt, in denen dieselbe von vornherein aus-
sichtslos ist. Hier ist sie’aber der Exstirpationsmethode durchaus. über-
legen. Im Gegensatz zu dieser verlangt sie nichts Unmögliches. Sie trägt
den durch Beobachtung und Erfahrung gewonnenen Tatsachen Rechnung,
Österr. Zeitschrift fitr Stomatologie. 11
N
124 Adloff.
sie ist außerdem außerordentlich einfach, wenn sie auch ganz. dieselbe
Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit verlangt als jede andere Methode.
Im übrigen ist der Streit, ob die Pulpaamputation oder die Pulpa-
exstirpation vorzuziehen ist, bei dieser Auffassung ohne jede praktische
Bedeutung, da ein prinzipieller Unterschied zwischen beiden Methoden hier-
nach kaum besteht, indem ja, wie ich schon oben betont habe, auch die Pulpa-
exstirpation in vielen Fällen nur als eine Amputation aufgefaßt werden
muß. Im übrigen — ob ich die Pulpa amputiere und nach Imprägnierung
als natürliche Wurzelfüllung im Kanal belasse, ob ich sie mit mehr oder
weniger großem Erfolg zu entfernen versuche, dabei mir aber bewußt bleiben
muß, daß eine vollständige Entfernung nicht immer möglich ist, der
Erfolg muß stets ein guter sein, sobald ich aseptisch und sorgfältig ope-
riere, denn bei der entzündeten Pulpa, bei der allein die Pulpaamputation
in Frage kommt, ist ja der Wurzelkanal steril, und wenn eine Infektion
vermieden wird, kann ein Dauererfolg niemals ausbleiben; allerdings muß
hinzugefügt werden, daß die Gelegenheit bei den vergeblichen Versuchen,
die Pulpa herauszubefördern, auf jeden Fall eine viel größere ist als bei
der Amputation.
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei der Behandlung der eitrig
zerfallenen oder gangränösen Pulpa. Hier spielt die Tatsache, daß sehr
viele Wurzelkanäle uns nicht zugänglich sind, eine große, ja ausschlag-
gebende Rolle, da hierdurch jede Behandlung zweifelhaft und unsicher wird.
Zurückbleibende Zerfallsstoffe werden stets eine Quelle der Infektion
bleiben, wenn nicht ihre Sterilisation auf irgend eine Weise durchführbar
ist. Hierzu sind ja die verschiedensten Mittel und Verfahren empfohlen
worden. Gottlieb bevorzugt die Schreiersche Methode, modifiziert
durch die Anwendung von Antiformin in Kombination mit der Schwefel-
säurebehandlung nach Callahan. Er verwirft die alleinige Verwendung
von Schwefelsäure, der er für die Gangränbehandlung jeden Wert abspricht,
indem er sogar eine Erweiterung der Kanäle durch die Säure leugnet.
Daß man an ihrer Stelle mit Vorteil Aqua regia benützen kann, scheint
Gottlieb unbekannt zu sein; im übrigen empfehle ich ihm, den schon
von Adolf Witzel ausgeführten Versuch zu wiederholen: einen Stift
in einen Wurzelkanal so einzupassen, daß er nur mit Gewalt zu entfernen
ist, dann den Kanal mit Schwefelsäure zu behandeln und jetzt den Stift
von neuem einzuführen. Gottlieb wird sich dann davon überzeugen,
daß auch die Schwefelsäure eine beträchtliche Erweiterung des Kanals
zustande gebracht hat.
Was nun das Antiformin anbetrifft, eo ist über dieses Medikament
so viel und so oft geschrieben worden, daß ich füglich darauf verzichten
kann. Daß es sich keinen dauernden Platz in unserem Medikamentenschats
Pulpaamputation oder Pulpaexstirpation ? 125
` zu erwerben imstande gewesen ist, beweist schon allein, daß es vor den
anderen uns zur Verfügung stehenden Mitteln keinen besonderen Vorzug
besitzt. Und das trifft gewiß auch zu, insbesondere kann keine Rede davon
sein, daß es mit Sicherheit den organischen Kanalinhalt zur Auflösung
bringt. Welche Mittel wir aber auch sonst zur Anwendung bringen, niemals
werden wir damit rechnen müssen, eine absolute Sterilisation der Wurzel-
kanäle in diesem Falle erreichen zu können.
Es ist daher auch von der größten Bedeutung, womit wir den ge-
reinigten Wurzelkanal definitiv versorgen, und es werden nur sölche Mittel
in Frage kommen, die in irgend einer Weise zu den etwa im Wurzelkanal
zurückgebliebenen Zerfalleresten in enge Beziehung zu treten vermögen,
entweder indem sie dieselben durchdringen und sterilisieren oder indem
sie sie einhüllen und auf diese Weise unschädlich machen. Guttapercha
gehört zu diesen Mitteln nicht. Außerdem ist es unmöglich, mit derselben
auch nur einigermaßen enge Kanäle auszufüllen. Ich empfehle Gottlieb,
die Wurzelkanäle extrahierter Zähne mit Guttapercha auszufüllen und die
Zähne dann nach der Spalteholzschen Methode, wie ich es zuerst an-
gegeben habe, durchsichtig zu machen. Er wird sich dann davon über-
zeugen, wie wenig diese Methode bei ungünstigen Kanalverhältnissen
leistet. Er gibt dies übrigens ja auch selbst zu, aber seinen Vorschlag,
die Kanäle in der Ausdehnung ihrer Sondierbarkeit mit dünnen Beutel-
rohrbohrern zu erweitern, kann ich kaum ernst nehmen. Es ist das ja
gerade ein Verfahren, vor ‚welchem seit jeher und mit Recht eindringlichst
gewarnt worden ist.
Daß auch die Wurzelfüllungspasten unzuverlässig sind, gebe ich zu;
allerdings darf man sie auch nicht in den trockenen Kanal zu ap-
plizieren versuchen; dann allerdings wird der Luftgehalt des Kanals eine
vollständige Füllung verhindern. Wenn aber der Kanal zunächst mit einem
Antiseptikum beschickt, dann die Paste hineingepumpt und zum Schlusse
mit einem sterilen Wattebäuschehen die überschüssige Flüssigkeit abge-
sogen und gleichzeitig ein sanfter Druck ausgeübt wird, so gelingt es wohl
auch auf diese Weise, auch feinere Kanäle mit der Paste auszufüllen, aber
ich gebe zu, daß es kein ideales Verfahren ist.
Ideal sind nach meiner Ansicht nur diejenigen Wurzelfüllungen, die
flüssig in den Kanal hineingebracht werden können. Nur auf diese Weise
sind auch diejenigen Stellen mit Sicherheit zu erreichen, die für unsere
feinsten Sonden zugänglich sind.
Ausgezeichnet wäre ohne Frage Paraffin, vor allem in Verbindung
mit Thymol. Es hat aber einen zu hohen Schmelzpunkt und die hierfür
angegebenen Schmelznadeln sind viel zu dick, um auch nur für feinere
Kanäle verwendbar zu sein.
11
126 B. Gottlieb.
Dagegen ist reines Thymol außerordentlich brauchbar. Es bleibt
so lange flüssig, um in aller Ruhe mit feinen Sonden auch in die engsten
Kanäle hineingepumpt zu werden und es ist ein hervorragendes Dauer-
antiseptikum. Allerdings schwindet es allmählich, aber es bleibt offenbar
lange genug im Kanal, um eine Dauersterilisation herbeizuführen. Ist
das aber der Fall, dann ist es natürlich für den Erfolg ganz gleichgültig,
ob das Mittel den Kanal dauernd ausfüllt oder ob derselbe leer bleibt.
Ein vortreffliches Mittel ist auch die Albrechtsche Wurzelfüllung, ja
ich stehe nieht an, dieselbe als den bedeutendsten Fortschritt zu bezeichnen,
der auf diesem Gebiet in den letzten Jahren gemacht wurde. Gewiß ist
dasselbe auch noch nicht vollkommen. Die antiseptische Wirkung geht
allmählich verloren, auch kontrahiert die Füllung sich etwas. Aber es
wird doch noch eine ganze Zeit lang Formaldehyd abgeschieden, vor
allem aber durchdringt es die noch vorhandenen Gewebsreste, umhüllt sie
und macht sie unschädlich. So kommt es dem Ideal, das zu erstreben ist,
in der Tat nahe.
Immerhin muß zugegeben werden, daß die Behandlung der Wurzel-
kanäle mit eitrigem oder gangränösem Inhalt ein Problem darstellt, dessen
vollständige Lösung bisher nicht gelungen ist, auch nicht Gottlieb,
dessen Verfahren weder neu ist noch irgend einen Fortschritt gegenüber
den bekannten und längst geübten Methoden darstellt.
Erwiderung auf den vorstehenden Artikel Adloffs.
Von Dr.B. Gottlieb.
Das einzige Argument, das Adloff für die Pulpaamputation an-
führt, ist, daß die Gelegenheit zur Infektion bei öfterem Einführen des
Nervextraktors größer ist. Dieses Argument hat schon unzählige Male als
Stütze für die Amputation herhalten müssen, ohne daß sich hiefür ein
Grund finden ließe. Wenn man für jede Pulpaextraktion zwei- bis dreimal
soviel sterile Nervnadeln vorbereitet, als Pulpenstränge zu extrahieren sind
und man für jeden folgenden Versuch eine frische Nadel nimmt, wird die Ge-
legenheit zur Infektion sicher nicht größer werden. Was man aber mit der
Nadel nicht besorgen kann, besorgt eben das Antiformin. Daß sich das
Antiformin nach Adloffs Meinung „keinen dauernden Platz in unserem
Medikamentenschatz zu erwerben imstande gewesen ist“, kann nur be-
deuten, daß Adloff.es noch nicht ausprobiert hat. Denn hätte er es
getan, so könnte er nicht so wegwerfend darüber sprechen. Soviel mir be-
kannt ist, ist jeder Kollege, der damit arbeitet, davon begeistert und ich
ann Adloff nur wärmstens empfehlen, die Wirkung. des Antiformins
kErwiderung auf den vorstehenden Artikel Adloffs. 127
auf extrahierte Pulpen in vitro zu beobachten und in die engen Kanäle
der Molaren auch bei distaler Eröffnung mit steifen Millernadeln Antiformin
hinaufzupumpen, wie er es beim Gebrauch der Pasta beschreibt, und er
wird sich wundern, welch fabelhaften Schatz wir Zahnärzte im Antiformin
besitzen. |
Jede Wurzel ohne Knickung kann mit Antiformin und entsprechenden
Nadeln durchgängig gemacht und gereinigt werden, und zwar in nicht
minder steriler Weise an engen Kanälen rückwärtiger Molaren wie an
solchen einwurzeliger Zähne. Ob jenseits einer etwaigen Krümmung noch
irgendwelche Pulpareste vorhanden sind, ist für die Praxis ganz gleichgültig.
Als Hauptargument gegen die Pulpaamputation habe ich die Unmöglichkeit
einer festen Wurzelfüllung angeführt, deren Vorteile für die Dauererhaltung
eines Zahnes anscheinend noch immer nicht genügend hochgeschätzt werden.
Und nun zur Säurewirkung. Wenn man Dentin entkalkt, so bleibt
der Knorpel zurück vom gleichen Volumen wie das nicht entkalkte Dentin,
der aber biegsam und schneidbar ist. Das ist ja der Weg, auf dem wir
das Dentin der mikroskopischen Untersuchung gewöhnlich zuführen. Wenn
man nun einen Stift in einen Dentinkanal eng einpaßt, dann die Kanal-
wände energisch entkalkt, ist es wohl denkbar, daß der Stift im Knorpel
nicht mehr so fest sitzt wie im kalkhaltigen Dentin, daß aber Säure den
Knorpel auflöst und so den Kanal effektiv erweitert, wird wohl weder
Adloff noch sonst jemand behaupten wollen, auch wenn die Säure Aqua
regia ist, dessen Empfehlung für diese Zwecke mir seit langem wohl be-
kannt ist. Das einzig rationelle Mittel für die Gangränbehandlung ist
daher nur das Mittel, das den organischen Kanalinhalt zur Quellung und
Auflösung bringt und das vorhandene Lumen frei macht, d.i. Antiformin;
mehr können wir vorläufig nicht erreichen, infolgedessen auch nicht er-
streben.
Haben wir so das Möglichste an Durchgängigkeit erreicht und durch
die Umsetzung mit Säure an Ort und Stelle Cl und O entwickelt, so müssen
wir annehmen, daß wir das Äußerste an Reinigung und Sterilisierung ge-
leistet haben, und können höchstens durch Einführung von Jodoform am
Point ein Keimentwicklung hemmendes Mittel deponieren. Adloff gibt
zu, daß alle Dauerantiseptika, die in Pastenform eingeführt werden, mit
der Zeit ihre Wirksamkeit verlieren. Wohin man aber mit der Paste
kommen kann, kommt man auch mit Antiformin und Säure und die bei
der Umsetzung sich entwickelnden Gase. Folglich ist vom Desinfektions-
standpunkt die Paste nicht unbedingt notwendig. Welche enorme Vorteile
jedoch eine feste Wurzelfüllung besitzt, habe ich ausführlich auseinander-
gesetzt und es ist wohl anzunehmen, daß auch Adloff diese Vorteile
nicht unterschätzen wird.
128 P. Adloff. Schlußbemerkung.
Daß das Antiformin nicht von mir in die Zahnheilkunde eingeführt
wurde, habe ich nicht verschwiegen, daß aber dessen Anwendung gegen-
über allen „bekannten und längst geübten Methoden“ mit Ausnahme des
KNa ein bedeutender Fortschritt ist, verdient unterstrichen zu werden. Daß
weiters der Fragenkomplex der Wurzelbehandlung noch nicht „erledigt“ ist
und daß sich in der Angelegenheit wieder jemand zu Worte gemeldet hat,
nicht überflüssig war, hat die ganze sich anschließende Diskussion gezeigt
und nicht zuletzt der vorliegende Artikel A dlo f f s.
Schlußbemerkung.
Von P. Adlofl.
Den Ausführungen G ottliebs habe ich wenig zu erwidern, da die-
selben die prinzipielle Seite des Problems gar nicht berühren. Diese besteht
noch einmal kurz in Folgendem:
Es ist in einem großen, vielleicht indem größten
Teilder Fälle ebenso unmöglich, die Pulpa völlig zu
entfernen, als enge und gekrümmte Wurzelkanäle
mit Guttapercha zu füllen.
Die Therapie der entzündeten, nicht septisch infizierten Pulpa hat
lediglich die Aufgabe, den sterilen Wurzelkanal durch unsere Behandlung
nicht zu infizieren. Gelingt uns dieses, dann ist es ganz gleichgültig,
welche Methode wir bevorzugen, welche Mittel wir anwenden und womit
wir den Kanal füllen. Die Pulpaamputation ist nur die
einfachste und sicherste Methode.
Bei allen Erkrankungen der Pulpa dagegen, bei denen der Wurzel-
kanal als solcher, d. h. seine Wände und die Dentinröhrchen, infiziert sind,
ist eine vollständige Sterilisierung desselben schwer, in vielen Fällen un-
möglich, stets unsicher. Wir müssen immer damit rechnen, daß Zerfalls-
stoffe zurückbleiten. Daher ist eine Wurzelfüllung zu
wählen, die zu diesen zurückgelassenen Resten in Be
ziehung zu treten und sie unschädlich zu machen
vermag. Guttapercha ist zu diesem Zwecke ganz u n-
geeignet.
Bezüglich des Antiformin, das sonst gewiß ein E E Anti-
septikum ist trotz seiner Unwirksamkeit gegenüber Tuberkelbazillen, kann
ich das Gesagte nur wiederholen. Es ist nicht richtig, daß es den orga-
nischen Inhalt im Wurzelkanal mit Sicherheit zur Auflösung bringt. Dann
hat es aber keine besonderen Vorzüge gegenüber den Bewnarten Sun
die uns sonst zur Verfügung stehen.
Adolf Müller. Bemerkungen zum Thema Wurzelbehandlung etc. 129
Bemerkungen zum Thema Wurzelbehandlung und
Wurzelfüllung.
Von Dr. Adolf Müller, Zahnarzt in Wien.
Die interessante Diskussion, die am 21. November 1918 im Verein
Wiener Zahnärzte nach dem Vortrag von Dr.Gottlieb, die Wurzel-
behandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins betreffend,
stattfand, veranlaßt mich, zu diesem Thema einige Bemerkungen zu
machen.
Ein alter Meister unserer Spesialwissenschaft sagte, daß bei der
Wurzelbehandlung und Wurzelfüllung nicht die Hauptsache sei, was hinein-
komme, sondern was herauskomme. Es ist aber ebenso wichtig, was
hineinkommt.
Während der Kriegszeit ist der Kofferdam selten geworden und wir
konnten nun vergleichen, ob wir schlechtere Resultate bekommen, wenn
wir die Wurzelbehandlung und die Wurzelfüllung ohne Kofferdam aus-
führen und haben gesehen, daß die Resultate bei der Wurzelbehandlung
und Wurzelfüllung auch bei der Arbeit ohne Kofferdam nicht ungünstig
sind. In mancher Beziehung hat auch die Arbeit ohne Kofferdam Vor-
teile, die nicht zu unterschätzen sind. Nach der Abtötung der Pulpa mittelst
Arsenikpasta muß man trachten, daß sämtliche Reste der Arsenikpasta
aus der Pulpakammer und aus den Wurzelkanälen wieder herauskommen,
denn durch das Verbleiben solcher Reste können Reizungen der Wurzel-
haut und der Alveolen stattfinden. Ich habe einige Fälle beobachtet, die mit
der Nekrose und Sequestration der Alveolarwand des ersten Prämolaren
im Unterkiefer links endeten, verursacht durch eine Arsenikeinlage, die
einige Wochen in der Zahnhöhle verblieb und weil die Höhle mit Flet-
cherschem Zement verschlossen war, meinten die Patienten, daß sie
eine provisorische Füllung erhalten haben. Es ist wichtig, daß auch
während die Arsenikeinlage in der Zahnhöhle behufs Abtötung der Pulpa
sich befindet, das Zahnfleisch und die Alveolen sowie die Zunge und Mund-
schleimhaut durch einen guten Verschluß von der Ätzung der Arsenik-
pasta verschont werden. Der dichteste Verschluß bei Arsenikeinlagen ist
Klebewachs (Kolophonium mit Wachs), es verhindert das Durchdringen der
Arsenikpasta aus der Zahnhöhle und die Ätzung und Reizung der Alveolen
und des Zahnfleisches. Es ist richtig, daß Arsenikeinlagen, die länger
als 3 Tage in der Pulpahöhle verbleiben, das Periost reizen können, so
daß der Zahn oft lange Zeit nicht mehr zur Ruhe kommt, bei une
Berührung empfindlich bleibt.
Um nun sämtliche Reste der Arsenikpasta zu entfernen sind Aus-
spritzungen mit viel Wasser nach der Ausbohrung zu empfehlen, was bei
130 Adolf Müller. Bemerkungen zum Thoma Wurzelbehandlung ete.
der trockenen Behandlung unter Kofferdam nicht so gründlich geschieht. Der
Arzt schont auch sich bei der nassen Behandlung, weil er bei dem Aus-
pusten der Zahnhöhle Arsenikstaub in seine Atmungsorgane bekommt.
Wegen der unsicheren Entfernung aller Reste der Arsenikpasta bin ich
kein Freund der- Puan patato und ziehe vor, was davon wogen ist
zu exstirpieren..
Auch bei Pulpagangrän ist die Desinfektion durch Waschungen und
Ausspritzungen mit Wasser von großem Vorteil, es ist bekannt, daß die
Vernichtung der Bakterien rasch und sicher geschieht, wenn dieselben
vorher mit Wasser befeuchtet werden.
Welche Desinfektionsmethode im einzelnen Fall zu wählen ist, hängt
von den übrigen Umständen ab, die vorhanden sind, es ist jedenfalls gut,
mit den verschiedenen Desinfektionsmitteln abzuwechseln, indem ver-
schiedene in der gangränösen Höhle vorhandene Infektionskeime sich nicht
zu jedem Desinfektionsmittel gleich verhalten, ein Mittel zerstört die eine
Art der Keime, das andere die andere Art rascher und sicherer.
Ob Antiformin, Dr.Schreiers Kalium-Natrium, oder Schwefel-
säure und Natriumsuperoxyd als vorbereitende Mittel zur Gangränbehand-
lung angewendet werden, überall ist Thymol als Beimischung zur Des-
infektionsflüssigkeit, in die der in die Wurzel temporär einzuführende
Baumwollfaden getaucht wird, ein ausgezeichnetes Desinfektionsmittel.
Der Baumwollfaden wird zuerst mit der Desinfektionsflüssigkeit be-
feuchtet, dann in Thymolpulver getaucht und in die Wurzeln eingeführt,
aber nur bei der Behandlung der Pulpagangrän und nicht in jenen Fällen,
wo die Pulpa erst abgetötet wurde, denn überall, wo frische Pulpareste in
der Wurzel sich befinden, erzeugt das Thymol starke Schmerzen, soll also
gemieden werden.
Besonders gut wirkt das Thymolpulver in Kombination mit Trikre-
sol-Formalin. Natürlich darf das Trikresol-Formalin nicht mit Natrium-
superoxyd in der Zahnwurzel zusammenkommen, weil dieses bekanntlich
eine enorme Hitze entwickelt, die unter Flammenbildung sich kundgibt und
den Patienten verletzen kann, selbst wenn Kofferdam angelegt ist.
Chronische Knochenabszesse und Fisteln werden ganz besonders vor-
teilhaft mit Jodkrystallen behandelt, indem man einige mohnkorngroße
Stückchen von purem Jod in die Wurzelkanäle einführt und nach dem Ver-
schluß der Zahnhöhle mit Guttapercha, unter welche ein Wattebäuschchen
oder Asbestplättchen gelegt wird, dieselben durch einige Tage darin beläßt.
Natürlich muß am Foramen apicale das Durchdringen der Joddämpfe
durch die entsprechende vorherige Freimachung desselben ermöglicht
werden. Nach einigen Tagen werden die Wurzelkanäle gereinigt und das
Verfahren erneuert, bis die Heilung erfolgt. Bei Fisteln sieht»man die
Winke für die Praxis. 131
Schleimhaut um die Fistelmündung durch die ausströmenden Joddämpfe
braun gefärbt und nach wenigen Tagen wird die Sekretion geringer, bis
sie endlich aufhört und die Heilung erfolgt.
Was die Wahl der Wurzelfüllungsmaterialien anbelangt, sind jeden-
falls diejenigen vorzuziehen, die sowohl antiseptische als auch styptische
Eigenschaften besitzen, um mumifizierend und konservierend, sekretions-
beschränkend am Foramen apicale zu wirken.
Die Art, wie die von mir angegebene Xeroformkarbolzinkoxyd-
glyzerinpasta‘), dann das 30% Jodoformparaffin und Dijodoformparaffın
(geruchlos) angewendet wird, ist aus meinen Arbeiten dieses Thema be-
treffend vom Jahre 1906?) und 1912?) ersichtlich. Ich injiziere diese Fül-
lungsmassen mit der modifizierten Böhm schen Spritze in die Wurzel-
kanäle, weil diese Methode die reinlichste und rascheste ist, dazu die gründ-
lichste, um die Wurzelfüllungsmasse bis zum Foramen apicale gelangen
zu lassen. Die Röntgenaufnahmen der so gefüllten Zähne sowie die Dauer-
erfolge sind die besten Beweise für die Richtigkeit dieser Angaben.
Winke für die Praxis.
Repetitorium der Brückentechnik.
Von Dr. Emil Steinschneider.
Fortsetzung.)
Es ist nicht nur die Aufgabe des Brückenersatzes — und des Zahn-
ersatzes im allgemeinen —, eine Restitutio ad integrum des Kauapparates
— so weit eine solche überhaupt möglich ist — wiederherzustellen, insofern
dessen physiologische Funktion beim Kauen gestört war, es muß der
Ersatz in hygienischer und kosmetischer Beziehung auch strengen An-
forderungen entsprechen, soll er nicht eine Quelle dauernden Unbehagens
und der Schädigung der harten und. weichen Gebilde des Mundes und
des gesamten Organismus überhaupt werden. Fast noch mehr als in
konstruktiver Beziehung wird beim Bau von Brücken gegen die An-
forderungen der Hygiene und Kosmetik gesündigt.
1) Rp. Xeroformii 5,0, Zinci oxyd. 15. Glycerini puri quant sat. ut fiat pasta
mollis, adde acid. carbolic. concentr. pur. liquefact. gutt. XXX. Ds. Wurzelfüllungspasta.
2) Beitrag zur antiseptischen Wurzelbehandlung. Öst.-Ung. Vierteljahrschrift
für Zahnheilkunde vom Jahre 1907, Heft II.
3) Wie sollen Wurzelkanäle gefüllt werden? „Österr. Zeitschrift für Stoma-
tologie“, 1913, Heft IV.
Österr. Zeitechrift für Stomatnlngie. 12
132 \Winke für die Praxis.
In hygienischer Beziehung muß von einer Brücke verlangt
werden: 1. daß selbstverständlich keine Wurzeln und Wurzelreste unter dem
schwebenden Teil der Brücke zurückgelassen werden. Diese Selbstverständ-
lichkeit wäre nicht zu erwähnen, wenn man nicht so häufig die Folgen
einer derartigen Nachlässigkeit zu Gesicht bekäme; 2. daß sorgfältig
Bedacht genommen werde auf die Zahnfleischpapillen, um sie nicht
durch Druckatrophie zugrunde gehen zu lassen. Das geschieht außer
durch nicht passende (zu große) Kronenringe durch fehlerhaftes Ver-
löten zweier oder mehrerer Kronen. Diese müssen wohl konturiert
werden — durch ein paar Handgriffe rasch und leicht in Gegenwart
des Patienten zu erzielen, worüber vielleicht in einem eigenen Artikel
die Rede sein wird —, damit sie mit den Nachbarkronen und Zähnen
sich nur an einem Punkte, dem Kontaktpunkte, berühren. Und an
diesem Punkte sind sie zu verlöten. Derart verlötete und eingesetzte
Kronen werden die dazwischen befindliche Zahnfleischpapille nicht be-
leidigen. Anders, wenn die Kronenringe, wie man es so häufig sieht, oben
und unten gleichbreite Zylinder darstellen. Abgesehen von dem schlechten
kosmetischen Eindruck sind solche Monstra der ganzen Fläche nach mit
ihren Nachbarn in Kontakt und können natürlich nur der ganzen Fläche
nach miteinander verlötet werden, so daß kein Platz für die Papille
bleibt, die dann zugrunde geht; 3. daß die Brücke nicht so konstruiert
wird, daß Schlupfwinkel für Speisereste entstehen, die dann schwer oder
gar nicht zu entfernen sind. Das geschieht häufig dadurch, daß Brücken
an unrichtiger Stelle als Sattelbrücken konstruiert werden, andrerseits, daß
das Prinzip der Brücken mit schiefer Ebene und Selbstreinigungsraum nicht
an passender Stelle durchbrochen wird. Im allgemeinen sind Brücken so
zu konstruieren, daß unter dem schwebenden Teil Raum genug zum Durch-
spülen und Reinigen mit der Zunge bleibt, also mit schiefer Ebene, Sattel-
hrücken nur dann, wenn der Biß so niedrig ist, daß freischwebende Zwischen-
glieder nicht möglich sind. Zu verwerfen ist es, die unhygienischen und
unökonomischen Sattelbrücken etwa aus Gründen der größeren Haltbarkeit
zu bauen. Wo die Pfeiler nicht stark genug sind, dort wird auch ein Sattel
die Haltbarkeit der Brücke nicht vergrößern. Nur eine Ausnahme mache
ich, und zwar dann, wenn nur ein Schwebezahn (besonders Backen-
zahn) zwischen zwei Pfeilern zu ersetzen ist. Diesen konstruiere ich als
Sattelzahn, weil in diesem Falle mit schiefer Ebene hergestellt, ein schwer
zu reinigender Schlupfwinkel für Speisereste entsteht. Es ist auch darauf
zu achten, daß die schiefe Ebene nicht konkav, sondern schwach konvex
gegen den entsprechenden Kiefer gestaltet wird.
So wie wir uns bemühen, beim Brückenersatz in funktioneller und
hygienischer Beziehung allen Ansprüchen zu entsprechen, so dürfen wir
Winke für die Praxis. 133
inkosmetischer Beziehung nichts vernachlässigen. Nur dann ist der
Ersatz ein idealer, wenn es dem Patienten und seiner Umgebung nicht
bewußt wird, „künstliche Zähne“ zu tragen, und wenn durch eine möglichst
naturgetreue Prothese die Illusion eine vollkommene wird und die Ästhetik
nicht zu kurz kommt.
Häßlich, aufdringlich und geschmacklos ist es, wenn im Bereich der
Frontzähne Vollgoldkronen gemacht werden und die eigene Bequemlichkeit
oder die Unzulänglichkeit, Zähne mit Porzellanfacetten herzustellen, die dem
Kauakte standhalten, dies dem Patienten noch als besondere Vollkommen-
heit des Ersatzes einredet. Wir sind fast immer in der Lage, in jenen
Fällen, wo die Indikation hierzu besteht, Facettenkronen herzustellen, die
gegebenenfalls leicht zu reparieren sind. Auch im Bereich der Backen- und
Mahlzähne soll man, wo immer angängig, Porzellanfacetten machen, schon
der Ökonomie des Goldes wegen. Bei unteren Brücken, bei denen
beim Sprechen und Lachen auch die Kauflächen sichtbar sind, wird durch
Verarbeitung von diatorischen, Röhren- oder Gosleezähnen ein idealer Zahn-
ersatz geschaffen.
Andrerseits wird es bei Herstellung eines Brückenersatzes, der die
Wirklichkeit vortäuschen soll, erlaubt sein, eine Reihe von schönen weißen
„Perlenzähnen‘“ durch eine Goldkrone oder (im Bereiche der Frontzähne)
durch eine Goldfüllung in dem einen oder dem anderen künstlichen Zahn
zu unterbrechen, um die Täuschung vollendet zu machen, so wie wir bei
Rauchern und bei Patienten mit Schmelzdefekten die Charakteristika solcher
Zähne durch Schleifen und Bemalen des Ersatzes nachzuahmen trachten.
Unhygienisch und unkosmetisch ist es, wenn aus dem Kiefer herausgetretene
Zähne bei fehlenden Antagonisten nicht auf die normale Länge reduziert
werden und demnach dann die Brücke im Gegenkiefer eine mehr oder
minder konkave Form erhalten muß, bei der dann ein Sattel mit allen
seinen Nachteilen angebracht werden muß.
Unsere Maßnahmen in ästhetischer Hinsicht müssen schon beginnen,
bevor wir die Herstellung der Brücke in Angriff nehmen. Um den Pati-
enten für diese oft lange Zeit nicht ohne Zähne zu lassen, werden wir ein
Provisorium machen, das entweder aus einer in 1—2 Sitzungen herstell-
baren Zinnbrücke besteht oder in einem Plattenersatz. Ich ziehe die letztere
Art vor, weil man da noch vor Abtragung der Pfeiler Abdruck nehmen,
am Modell die entsprechenden Zähne wegradieren und nach dem so vor-
bereiteten Modell eine Plattenprothese herstellen kann, die man dem Pa-
tienten unmittelbar nach Abtragung der als Pfeiler zu verwendenden Zähne
einsetzt, so daß er auch für kurze Zeit nicht in die Lage kommt, mit
einem sichtbaren Zahndefekt sich der Neugier seiner Umgebung auszu-
setzen. ‘Fortsetzung folgt.)
12*
134 Zahnärztliches Institut der Universität Wien.
Zahnärztliches Institut der Universität Wien.
Wiederbesetsung der Lehrkansel.
Der Präsident der Nationalversammlung hat am 15. Mai d. J. den mit
dem Titel eines außerordentlichen Universitätsprofessors bekleideten Privat-
dozenten Dr. Rudolf Weiser zum außerordentlichen Professor der Zahn-
heilkunde und zum Vorstande des zahnärztlichen Instituts an der Uni-
versität in Wien und den Dr. Hans Pichler in Wien zum außerordent-
lichen Professor für Zahnheilkunde an der Universität in Wien ernannt.
K * +
Mit seiner Ernennung zum Vorstand des zahnärztlichen Universitäts-
institutes kommt Prof. Weser auf den Platz, der ihm und dem er
gebührt. Jeder, dem es vergönnt war, Weiser in seinem Wirken näher
kennen zu lernen, hat seine tiefe, umfassende Fachkenntnis, hat seine
manuell und technisch virtuose Beherrschung der diffizilen Kunst der Dis-
ziplin bewundern gelernt. Sein nimmer müder, jugendlich impetuoser Idea-
lismus, seine flammende Begeisterung für das Fach lassen ihn, den nie-
mals Selbstzufriedenen, nicht stille stehen. Wie er selbst beispielsweise
bei einer seiner wundervoll „okulistisch-minutiösen“ zahnärztlichen Ope-
rationen jeden Akt lehrend und unterweisend zu erklären liebt, stets besorgt,
daß sein Auditorium auch genau auf dem Laufenden bleibe, so ist er
selbst — immer nicht nur Lehrer, immer auch unablässig lernend —
bemüht, auf den Grenzgebieten der Disziplin tiefer schürfend Neuland sich
zu erobern.
Unermüdlich — das Wort ist auf ihn angewendet keine Phrase, für
ihn, der sich nachts oft und oft bis in die Morgenstunden an der Arbeit,
den Schlaf nicht gönnt —, um früh dennoch der erste am Platz zu sein.
Was er als Chef der chirurgisch-prothetischen Abteilung des Re-
servespitals Nr. 17 (Kieferspital) geleistet hat, gehört der Ruhmesgeschichte
österreichischer Kriegsmedizin an. Seine fachlichen Erfolge sind bekannt.
Die ihn wirken gesehen, wissen, daß diese überstrahlt sind von seiner
allumfassenden großen Güte, von liebevollstem, warmherzigem, väterlich
besorgtem Bekümmern um persönliches Wohl seiner Patienten und seiner
Mitarbeiter.
Als Chef willig und geduldig jedem Vorschlage sein Ohr leihend,
ist er in seiner kristallklaren Lauterkeit jeder Einflüsterung verschlossen.
Allzu streng ist er nur gegen sich. Alle anderen beurteilt er mit gütiger
Objektivität und anerkennt Verdienste auch von engsten Fachkollegen
neidlosest. Ein wahrhaft guter Mensch und Arzt, ein ganzer Mann betritt
die Lehrkanzel. —r—
Rudolf Weiser wurde am 13. Oktober 1859 in Wien als der Sohn eines
praktischen Arztes geboren. Die Gymnasialstudien hat er am Schottengymnasium
in Wien begonnen und am Grazer Admonter Gymnasium fortgesetzt. Daselbst legte
er 1877 die Maturitätsprüfung ab. Im ersten Jahre der Medizin in Graz inskribiert,
verbrachte er die übrigen Jahre an der medizinischen Fakultät in Wien. Im
letzten Jahre seiner medizinischen Studien hospitierte er als vikariierender
Operateur an der Klinik Billroth. 1884 wurde er in Wien zum Doktor
promoviert.
Zahnärztliches Institut der Universität Wien. 135
. Während er sieh anfangs aus familiären Gründen nicht der akademischen
Laufbahn zuwenden, sondern praktischer Zahnarzt werden und bleiben wollte, suchte
er später (1904) doch an der Wiener medizinischen Fakultät um Habilitierung als
Privatdozent an. Auf Grund einer Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, welche er
während seiner Tätigkeit als praktischer Arzt veröffentlichte, und insbesondere auf
Grund seiner „Studien und Beiträge zur Technik der Mundchirurgie“, welche er als
Habilitationsschrift einreichte, wurde der Beschluß des Professorenkollegiums, ihn als
Privatdozenten für Zahnheilkunde zuzulassen, am 13. Juli 1904 ge-
nehmigt. Zur Erweiterung seiner Kenntnisse in diesem Spezialfache in wissenschaft-
licher Beziehung und um die Einrichtungen der deutschen zahnärztlichen Schulen
kennen zu lernen, inskribierte er bei Prof. W. D. Miller am zahnärztlichen In-
stitut der Universität Berlin. Zur Erreichung des geistigen Anschlusses zwischen
den Zahnärzten des In- und Auslandes besuchte er internationale Kongresse in Berlin,
Paris, London, Stockholm, Amsterdam, Brüssel, Madrid, Rom, Genf, Budapest. Um
die Einrichtung der amerikanischen Dental Colleges zu studieren, begab er sich,
vom Ministerium für Kultus und Unterricht mit der „Funktion eines offiziellen
Vertreters der österreichischen Unterrichtsverwaltung‘‘ beim internationalen zahn-
ärztlichen Kongresse in St. Louis betraut, im Jahre 1904 nach den Vereinigten
Staaten von Nordamerika.
Die Anerkennung seiner Kollegen äußerte sich in der Entsendung Weisers
als Delegierten der Wiener zahnärztlichen Vereine bei den oben erwähnten Kon-
gressen und die Würdigung seiner Verdienste in seiner Wahl zum Ehrenmitgliede
des Zentralvereines deutscher Zahnärzte, der Ecole Dentaire de Paris, des Vereines
deutscher Zahnärzte in Böhmen, zum korrespondierenden Mitgliede des Landesver-
bandes der ungarischen Stomatologen und des Vereines preußisch-schlesischer Zahn-
ärzte sowie zum Vizepräsidenten der Federation Dentaire Internationale. Er ist
ferner Mitglied der Gesellschaft der Ärzte in Wien und des Vereines österr.
Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, emerit. Präsident der Orthodontischen
Gesellschaft in Wien, früherer Präsident und gegenwärtiges Ausschußmitglied des
Zentralverbandes österreichischer Stomatologen. 1904 wurde er Assistent an
der zahnärztlichen Abteilung der Wienerallgemeinen Poli-
klinik, bekleidete diese Stelle auch unter Prof. Dr. Gustav v. Wunschheim,
bis er am 1. November 1915 an dem neuerrichteten Kieferspitale (Reservespital
Nr. 17) im Range eines Oberstabsarztes auf Kriegsdauer als Abteilungschefarzt die
Schwerverletztenabteilung dieser Heilstätte übernahm. Im April 1912 ist Weiser
der Titel eines außerordentlichen Professors verliehen worden.
Seit seiner Habilitationsschrift, seiner 15. Arbeit, hat Weiser noch weitere
39 (im ganzen also 54) Publikationen verfaßt, von welchen ein Teil ins Fran-
zösische, ins Englische und ins Spanische übersetzt worden ist. Bemerkenswerter
und von allgemeinem Interesse darunter sind folgende: Zehn Fälle von Extraktion,
Füllung und Replantation wegen Karies; Heilung einer mit dem Antrum Highmori
kommunizierenden Kieferzyste; Replantation eines luxierten Zahnes und Verwen-
dung eines eigenartigen Fixationsapparates; Resultate der radikalen Behandlung
des Alveolarabszesses und der Zahnwurzelzyste bei Konservierung des Zahnes;
Studien und Beiträge zur Technik der Mundchirurgie; Accidentia während der Zahn-
extraktion und Maßnahmen bei solchen; Ein lehrreicher Fall von follikulärer Unter-
kieferzyste und deren Behandlung; Reflexionen und Vorschläge bezüglich der chi-
rurgisch-zahnärztlichen Kieferprothesen ; Zur Methodik der operativen Eingriffe bei
impaktierten Weisheitszähnen des Unterkiefere; Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche
Tätigkeit im Kieferepitale.
+ * x
Mit der Ernennung Hans Pichlers zum a. o. Professor ist ein
großer Schritt in der Richtung getan, die Dreiteilung des zahnärztlichen
Unterrichts wie in Deutschland anzubahnen. Pichler, der ein ebenso aus-
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 13
136 Aus Vereinen und Versammlungen.
gezeichneter Zahnarzt im engeren Sinne als genialer Operateur ist, wird
dank diesen Eigenschaften der Wiemer zahnärztlichen Schule ihr eigenes
Gepräge geben und im Verein mit Weiser, mit dem er die Selbstlosig-
keit, den Altruismus und die Begeisterung für sein Fach gemein hat,
dem zahnärztlichen Unterricht in Österreich neue Wege weisen. Die glück-
liche Verbindung des Zahnarztes mit dem Chirurgen haben Pichler
wie kaum einen zweiten befähigt, während des Krieges die Station für
Kieferkranke an der Klinik Eiselsberg zu leiten, an der er uner-
müdlich und mit Hintansetzung seines persönlichen und materiellen Wohles
so segensvoll und bahnbrechend gewirkt hat.
Pichler wurde in Wien im Jahre 1877 geboren. Nach Absolvierung des
(Gymnasiums in seiner Vaterstadt studierte er an den Universitäten in Prag, Frei-
burg i. Br. und Wien, wo er 1899 zum Doktor promoviert wurde. Nachdem er schon
als Student ale Demonstrator am anatomischen Institut unter Zuckerkandl
tätig gewesen war, wurde er nach der Promotion ÖOperationszögling an der chirur-
gischen Klinik Eiselsberg. Nach Absolvierung einer mehrmonatigen Volontär-
zeit bei Smreker ging er nach Amerika und studierte an der Northwestern-Uni-
versity-Dental-School in Chicago Zahnheilkunde.
Im Jahre 1903 wurde er praktischer Zahnarzt in Wien, dabei war er an der
L. chirurgischen Klinik Eiselsberg fallweise als Konsiliarzahnarzt bei Kiefer-
resektionen und -frakturen tätig, wo er auch während des Krieges militärisch
kommandiert war und eine Station für Kieferkranke und -verletzte eingerichtet
und geleitet hat.
“ Von seinen Publikationen seien erwähnt: Die Vorzüge schnellhärtender
Amalgame; Über „Extension for Prevention“ und approximale Konturfüllungen ;
P. und Ranzi, Über Immediatprothesen bei Unterkieferresektionen; Zwei neue
Instrumente zum Finieren von Füllungen; Über Unterkieferresektionsprothesen ;
Erfahrungen über Druckanästhesie des Dentins; Praktische Winke zur Asepsis bei
der Wurzelbehandlung; P. und Oser, Über Immediatprothesen nach Unterkiefer-
resektion; Übersetzung von Blacks Konservierender Zahnheilkunde; G.V.Black,
Nachruf; Einiges über Schußverletzungen der Kiefer; Zur Technik der Scharnier-
schienen; Die Immediatprothese, der beste Wundverband im Munde; Über Knochen-
plastik am Unterkiefer; Einige Fälle aus der zahnärztlichen Chirurgie; Ist bei
Unterkieferdefekten durch Schußverletzung die Entfernung eines atrophischen Gelenk-
fortsatzes zum Zweck des Ersatzes durch ein Transplantat angezeigt?
Aus Vereinen und Versammlungen.
Zentralverband der österreichischen Stomatologen.
(Ausschußsitzungen am 5. und 12. Mai 1919.) Die zwei letzten
(am 5.und 12.Mai 1919 abgehaltenen) Ausschußsitzungen befaßten sich
vorzüglich mit der Reorganisation des Zentralverbandes.
Die Grundlage der geplanten Reorganisation ist folgende: Der Verband
soll nur aus den Delegierten der in Deutschösterreich bestehenden und
noch zu gründenden zahnärztlichen Vereine und Organisationen (ähnlich
wie der Zahnärztebund im Deutschen Reich) bestehen. Also nicht der
einzelne Zahnarzt, sondern der Verein, dem er angehört, ist Mitglied des
Verbandes und sendet zu den Sitzungen eine je nach der Zahl seiner Mit-
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 157
glieder zu bestimmende Anzahl von Delegierten. Auf diese Art soll der
Verband alle fachärztlichen Vereine umfassen und der Öffentlichkeit gegen-
über als Vertreter der gesamten organisierten Zahnärzteschaft Deutsch-
österreichs gelten. — Der Verbandsausschuß hat sich an die Vereine und
Organisationen mit entsprechenden Zuschriften gewendet und von ihnen
zumeist schon zustimmende Antworten erhalten.
Wirtschaftliehe Organisation der Zahnärzte Deutschösterreiehs.
(Vorstandssitzung vom 24. April 1919.) Vorsitzender: Doktor
Kneucker. Schriftführer: Dr. Elkan. Anwesend: Dr.Kneucker,
Dr. Hauer, Dr. Stark, Dr. Gilänyi, Dr. Rieger, Dr. Natzler,
Dr. Roth, Dr. Hasterlick, Dr. Stein, Dr. Markus; ferner als
Gäste: Dr.Breuer und Dr.Steinschneider.
Vorsitzender Dr.Kneucker teilt mit, daß 53 neue Mitglieder der
Organisation beigetreten sind und daß sich bisher 50 Mitglieder als Teil-
nehmer für die Zentraltechnik gemeldet haben. Was die Saalfrage für die
wissenschaftlichen Vorträge anbelangt, so haben Prof. Dr.W eiser resp.
Doz.Dr. Klein den Hörsaal des zahnärztlichen Universitätsinstituts zur
Verfügung gestellt. Dr.Markus wurde als Beirat in die Wirtschaftliche
Organisation der Ärzte gewählt.
Was die Zeitschrift für Stomatologie betrifft, ist dieselbe für den
ermäßigten Preis von 30 Kronen für die Mitglieder erhältlich. An zirka
100 Dentaldepots wurde herangetreten, in dieser Zeitung zu inserieren.
Auf die Zuschriften haben bereits eine Reihe von Firmen reagiert.
Hierauf wird der Einlauf einiger Schriftstücke zur Verlesung gebracht
und die Beantwortung derselben gutgeheißen. Dr. Stark hält hierauf
einen Vortrag über die Sozialisierung, über welchen in einer der nächsten
Sitzungen debattiert werden soll. Es wird beschlossen, daß in der Zeit-
schrift für Stomatologie eine diesbezügliche Notiz erscheine. Was die
Zentraltechnik anbelangt, wurde auf Antrag des Dr.Markus beschlossen,
daß von der wirtschaftlichen Sektion ein ausführliches, nach jeder Rich-
tung erschöpfendes Elaborat ausgearbeitet werden und in längstens vier
Wochen dem Verband vorgelegt werden soll. Schließlich wird nach Antrag
Dr. Steins Dr. Stark neuerlich als Gerichtssachverständiger vorge-
schlagen und dem zuständigen Gerichte nominiert.
(Präsidium.) Dr. Wilhelm Stark hat seine Stelle als Vizc-
präsident niedergelegt. An dessen Stelle wurde Dr. Heinrich Rieger
gewählt.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Zahnärztliche Organisation.
Von Dr.R.Parreidt, Zahnarzt in Leipzig.
Ein allgemeiner Schrei nach berufsständiger Vertretung erschallt an
allen Orten. Die veränderten staatlichen Verhältnisse zwingen den ein-
13*
158 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
)
zelnen Anschluß an seine Berufsgenossen zu suchen, da er sonst hilflos
ist und sich niemand seiner annimmt. Dies fühlen vor allem die Stände,
deren eich früher die Regierung annahm, da sie deren Bestehen als not-
wendig für die Wohlfahrt der Bevölkerung ansah. Heute freilich, wo
mehr der Wille der großen Masse gilt als Vernunftgründe, hat diese
Fürsorge aufgehört und die Betroffenen müssen sich selbst helfen, in-
dem sie durch ihre Vereinigung auch eine Masse und damit eine Macht
bilden. Auch in Deutschösterreich geht man wohl daran, den zahnärztlichen
Stand neu zu organisieren, da infolge des Umsturzes des Staates die alten
Verhältnisse zwecklos und zum Teil wohl widersinnig geworden sind. Mit
großem Interesse verfolgen wir in Deutschland die Bestrebungen der
deutschösterreichischen Zahnärzte; so erfuhr ich durch den Aufsatz von
Dr. Kränzl in dem 4. Heft dieser Zeitschrift, daß über die deutsche
Organisation durchaus keine Klarheit herrscht. Da man aber bei einem
solchen wichtigen Schritt, wie es die Neuordnung ist, sich überall um-
sehen soll, wie der Stand wo anders sich ein Haus gebaut, so glaube ich,
daß es auch an dieser Stelle nicht unerwünscht erscheinen dürfte, einmal
etwas Genaueres über die zahnärztliche Organisation im Deutschen Reich
zu erfahren. Ich habe mich zu der Veröffentlichung um so lieber ent-
schlossen, als ich damit einem Wunsche des Herrn Schriftleiters ent-
gegenkam.
Wir müssen in Deutschland zwei verschiedene Arten der Organisation
unterscheiden: die staatliche und die private. Da für Österreich wohl
erstere zurzeit nicht in Betracht kommt, so will ich sie nur ganz kurz
streifen und die andere dafür etwas eingehender besprechen.
Infolge der Verfassung des Deutschen Reiches gibt es nicht eine
staatliche Organisation für das ganze Reich, sondern nur solche für ein-
zelne Bundesstaaten. Einige davon, wie Braunschweig, lassen die Zahn-
ärzte einfach der Zwangsorganisation der Ärzte angehören. In anderen,
wie in Sachsen, müssen sie dieser nicht angehören, sie dürfen aber bei-
treten, wenn von seiten der Mitglieder der Bezirksvereine, wie die ärztlichen
Vereine genannt werden, kein Widerspruch erfolgt. Nun gibt es zwei Staaten,
wo die Zahnärzte eine eigene staatlich eingerichtete „Zahnärztekammer“
haben, die eine in Baden, wo sie durch ein besonderes Gesetz vom 10. Ok-
tober und 20. November 1906 errichtet wurde. Nach ihrer Geschäftsordnung
vom 7. Mai 1907 ist sie berufen, den Gesamtinteressen des zahnärztlichen
Standes zu dienen und bei der öffentlichen Gesundheitspflege mitzuwirken.
Die Kammer ist berechtigt, Anträge und Vorstellungen an die Staats-
behörden zu richten und soll in allen Angelegenheiten gehört werden, die
den Stand betreffen. Die Kammer hat ein Disziplinarstrafrecht über ihre
Mitglieder und kann auch auf Geldstrafen bis 200 Mark erkennen, sogar die
Aberkennung der Approbation ist ihr übertragen. Es gehören ihr 10 Mit-
glieder an, die von den Zahnärzten des Landes gewählt werden. Weit
geringere Disziplinarbefugnisse hat die andere Zahnärztekammer, die durch
Verordnung vom 16. Dezember 1912 errichtete preußische. Sie kann nur die
Wahlfähigkeit oder das Wahlrecht auf Zeit aberkennen. Der Sitz ist
Berlin und der Geschäftskreis umfaßt die Standesinteressen der Zahnärzte,
deren Fortbildung und die Zahngesundheitspflege. Dazu hat sie das Recht,
Anträge bei den Staatsbehörden zu stellen. Andrerseits soll sie auch zu
gutachtlichen Äußerungen herangezogen werden. Die Kammer steht unter
Standes- und wirtschaftliche Angelegenbeiten. 139
der Aufsicht des Ministeriums des Innern, das das Recht hat, sie auf-
zulösen und neu wählen zu lassen. Die Wahlen finden auf drei Jahre
nach Provinzen statt. Auf jeden Bezirk kommen 2 Mitglieder; sind mehr
als 200 Zahnärzte ansässig, so sind 3 zu wählen usw. für jede Vollzahl
ein weiteres Mitglied.
Eine andere Form der Vertretung der Zahnärzteschaft haben Sachsen
und Hamburg. In diesen Staaten werden von der Zahnärzteschaft zwei
Kollegen in das Landesgesundheitsamt bzw. Medizinalkollegium gewählt.
Die übrigen Bundesstaaten kennen keine staatliche Vertretung des
Standes der Zahnärzte.
Die private Organisation muß sehr frühzeitig begonnen haben; denn
im Jahre 1850, wo man in ganz Deutschland nur etwa 250 Zahnärzte
zählte, gab es dort schon örtliche Vereine. Bestimmt war ein Verein
sächsischer Zahnärzte vorhanden, ebenso scheinen aber auch in
Hamburg und einigen anderen Orten Vereine bestanden zu haben. Kleine
Vereine, die nur auf einen Ort beschränkt sind, haben auf das Leben und
Gedeihen des ganzen Standes nur geringen Einfluß. Man kann daher den
Beginn der Organisation erst von da an rechnen, wo eine Vereinigung
entstand, die alle Zahnärzte Deutschlands unter einen Hut bringen wollte.
Dies beabsichtigte der „Centralvereindeutscher Zahnärzte“,
der auf eine Anregung D.Frickes hin am 5. August 1859 in Berlin
gegründet wurde. Der erste Vorsitzende aber war — möge dies ein gutes
Vorzeichen sein — einer Wiener Zahnarzt: Prof. Dr. Heider. Trotz
der geringen Anzahl der Zahnärzte scheint aber doch schon damals nicht
die rechte Einigkeit geherrscht zu haben; denn es entstand sofort ein
zweites Unternehmen: der „Verein deutscher Zahnärzte‘, deren
Verbandsorgan die damals erscheinende Monatsschrift „Der Zahnarzt“
war. Offenbar ging diese Gründung nur von Schmedicke, dem da-
maligen Schriftleiter des „Zahnarztes“, aus; denn mit dessen Tode 1863
verschwand auch der Verein wieder und der Zentralverein verbreitete sich
immer mehr. Er gab 1860 eine selbständige Zeitschrift heraus: „Die Mit
teilungen des Gentralvereins deutscher Zahnärzte“,
die aber schon im nächsten Jahre in die Deutsche Vierteljahrsschrift für
Zahnheilkunde umgewandelt wurde und -heute Monatsschrift (D. M. f. Z.)
heißt. Schriftleiter wurde Heider zusammen mit zur Nedden. Der
Zentralverein bearbeitete alles, was die zahnärztliche Wissenschaft und den
Stand als solchen betraf. Die Zahl der Zahnärzte wurde aber immer. größer
und die Aufgaben wurden für den Verein, der einmal im Jahr tagte,
zu vielseitig und zu umfangreich. Es entstanden immer mehr örtliche und
Landesvereine, die auch an der Hebung des Standes arbeiteten. Dabei
gab es natürlich ab und zu ein Gegeneinanderarbeiten, das dem Ganzen
keineswegs förderlich war. Die Behörden, die bald von dort, bald von
da Eingaben erhielten, wußten nicht mehr, wer denn nun die eigentlichen
Vertreter der Zahnärzteschaft seien. "Dazu kam, daß die Kurpfuscherei
auf zahnärztlichem Gebiet sich immer mehr ausbreitete. Von seiten der
Regierung wurde nichts getan, um den Übergriffen der Nichtapprobierten
Einhalt zu gebieten. Alle diese Umstände ließen eine schärfere Organi-
sation geboten erscheinen. So erklärt es sich, daß Klenke für den
8. November 1885 eine Versammlung der zahnärztlichen Vereine nach
vepe einberief. Die Sitzung fand auch unter Führung des Zentralvereins
i40 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
statt und man empfahl auf ihr die Gründung von Lokalvereinen, wo diese
„nicht ausreichen, tritt der Zentralverein ein“. So blieben die Verhältnisse
noch 5 Jahre, bis sich dann die Notwendigkeit ergab, den Zentralverein
von einem Teil seiner Aufgaben zu entlasten. Dies geschah durch Gründung
des „ Vereinsbundes deutscher Zahnärzte" am 4. August
1890. Der Zentralverein wurde nun ein rein wissenschaftlicher Verein, wenn
er auch in seinen Satzungen vom 5. Mai 1910 noch als seinen Zweck be-
zeichnet: „die Hebung des zahnärztlichen Standes in wissenschaftlicher und
sozialer Beziehung.“ Dies ist offenbar nur deshalb geschehen, damit er Mit-
glied des Vereinsbundes bleiben und von seinen reichen Mitteln auch der
Standesbewegung etwas zukommen lassen konnte. Tatsächlich befaßt er sich
nur mit der Pflege der Wissenschaft. Er betrachtet es weiter als seine Auf-
gaben: „Förderung der Forschungen auf dem Gebiete der zahnärztlichen
Wissenschaft und Technik und deren Verwertung für die Praxis.“ Außer-
dem aber bezweckt er „ohne Gewährung eines Rechtsanspruches: in außer-
ordentlichen Fällen die Unterstützung bedürftiger Mitglieder sowie der
Angehörigen oder Hinterlassenen von solchen und nach Befinden die Ge-
währung von Beiträgen an bereits bestehende Kassen zur Unterstützung
von Witwen und Waisen“. Wie sucht er nun diese Zwecke zu erreichen ?
Vor allem dienen dazu die Jahresversammlungen, auf denen Vorträge und
Demonstrationen mit daran anknüpfenden Besprechungen abgehalten werden.
Diese Verhandlungen dauern gewöhnlich 2—3 Tage und finden abwechselnd
in verschiedenen Städten Deutschlands statt. „Die Gründung von Provin-
zialvereinen, die auf den Grundsätzen des Zentralvereins beruhen“, steht
noch in den Satzungen, es ist mir aber kein Fall bekannt, wo ein Verein
auf diese Weise gegründet worden wäre. Dieser Punkt wird wohl nur
aus den ursprünglichen Satzungen übernommen sein. Schließlich gibt der
Verein noch die schon erwähnte Zeitschrift heraus. Dies ist die bekannte
„Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde“, die nun schon 35 Jahre von
Hofrat Jul. Parreidt geleitet wird. Sie erscheint bei Jul. Springer in
Berlin und bringt nur wissenschaftliche Aufsätze, sie wird jedem Vereins-
mitglied kostenlos zugestellt, dabei beträgt der ganze Beitrag für den
Centralverein jährlich nur 16 Mark! Der Verhandlungsbericht erscheint
in der Vereinszeitschrift, es wird: jedoch auf die Vortragenden kein Zwang
wegen der Veröffentlichung ihrer Vorträge ausgeübt, wie dies in Heft 4
dieser Zeitschrift dargestellt wurde. Natürlich ist die Veröffentlichung in
der D. M. f. Z. sehr erwünscht. Die Beiträge werden wie in allen deutschen
Zeitschriften bezahlt. |
Wie wir schon sahen, gab der Zentralverein die Vertretung der
Standesinteressen im Jahre 1890 an eine Vertretung der zahnärztlichen
Vereine Deutschlands ab. Am 2. April 1891 tagte diese als „III. Dele-
giertentag“ in Breslau. Damals gehörten dem Bunde neun Vereine an. Die
Benennung der Vereinigung machte damals Kopfzerbrechen, bis endlich auf
Vorschlag von Artur Richter der Name „Vereinsbund deutscher Zahn-
ärzte“ gewählt wurde. Damals wurde noch in den Satzungen festgelegt,
„den Vorsitz führt der I. Vertreter des Zentralvereins“. Der innige Zu-
sammenhang ging noch weiter, da man auch in die Satzungen aufnahm,
daß die Verhandlungen „womöglich am Tage vor den Sitzungen des ZV.
und an demselben Orte“ stattzufinden hätten. Heute sind diese Beziehungen
nieht mehr vorhanden, der Zentralverein ist ein Bundesverein wie jeder
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 141
anderer. Da sich aber in der Geschichte die Geschehnisse oft: wiederholen,
so bestanden fast die gleichen Zusammenhänge dann auch, als aus dem
Vereinsbund der „Wirtschaftliche Verband deutscher
Zahnärzte“ gegründet wurde, worüber später noch gesprochen
werden wird. |
Der Vereinsbund vereinigte immer mehr Vereine; er umfaßt heute
etwa 50, die zu ihrer Vertretung je 2 Vertreter wählen, wovon der zweite
als Stellvertreter gilt. Diese kommen jährlich einmal zur Beratung zu-
sammen, ein Jahr um das andere in Berlin, sonst in einer anderen Stadt.
Der Zweck des Bundes ist die „Förderung der Standesangelegenheiten
und wirtschaftlichen Interessen der im Deutschen Reich zahnärztlich
approbierten Personen“. Dazu dienen „die jährliche Hauptversammlung,
auf der nur Standesangelegenheiten und wirtschaftliche, die. gemeinsamen
Interessen der Mitglieder berührende Fragen beraten werden“ und die
Herausgabe einer eigenen Zeitschrift, der „Deutschen Zahnärzt-
lichen Wochenschrift“ (D.Z.W.). Die Vereine sollen ihre Mit-
glieder anhalten, diese Wochenschrift zu beziehen. Sie wird also nicht
kostenfrei zugestellt, wie dies bei der D. M. f. Z. im Zentralverein geschieht,
dafür kommen dem Vereinsbunde alle Erträge der Zeitschrift ungeschmälert
zu. Es ist auch mehrmals beschlossen worden, daß Zeitschriften, die kosten-
los verteilt werden, in keiner Weise unterstützt werden sollen, ja man hat
dies sogar als standesunwürdig erklärt. Genützt hat es freilich nichts. Der
schriftstellernde Zahnarzt läßt sich darin nichts vorschreiben oder er steht
seinen eigenen Standesinteressen zu gleichgültig gegenüber, als daß er sich
um solche Vorschriften kümmerte. Man erläßt daher am besten derartige
Beschränkungen gar nicht. Es muß jeder schließlich selbst wissen, was seine
Arbeiten wert sind; ob sie verdienen, in einem Anzeigeblatte jedem ins
Haus geworfen zu werden oder ob sie auf literarische Bedeutung Anspruch
erheben können und wert sind, gegen Entgelt gelesen zu werden. Die Mit-
glieder des Bundes — also die einzelnen Vereine — sind sonst noch ver-
pflichtet, die Beschlüsse der Hauptversammlung auszuführen und dem Vor-
stande Antwort auf erbetene Auskünfte zu erteilen. Außerdem müssen sie
ein Ehrengericht einrichten, wofür der Vereinsbund eine besondere Ehren-
gerichtsordnung herausgegeben hat. Die zweite Instanz bildet das Bundes-
ehrengericht, dessen Richter von der Hauptversammlung des Vereinsbundes
gewählt werden. Ferner müssen die Bundesvereine von allen Eingaben an
Behörden u. dgl. eine Abschrift an den Vorsitzenden des Vereinsbundes
senden, der das Recht hat, Einspruch gegen die Absendung zu erheben;
über deren Rechtmäßigkeit hat die Hauptversammlung zu entscheiden.
Ehe dies nicht erfolgt ist, darf die Eingabe nicht abgesandt werden. Es
soll damit. verhütet werden, daß von verschiedenen Stellen verschieden-
artige Eingaben über dieselbe Sache erfolgen, was immer der Sache selbst
sehr geschadet hat, da die Behörden sagten, die Zahnärzte wüßten nicht,
was sie wollten. Auch Prozesse müssen vor der Einleitung dem Vorsitzenden
des Vereinsbundes mitgeteilt werden, damit vermieden werden kann, daß
Angelegenheiten bis zur höchsten Entscheidung durchgeführt werden, wenn
ein ungünstiger Ausgang zu erwarten ist, oder deren Anstrengung dem
Stand schaden kann. Der Vorsitzende wird jetzt persönlich gewählt wie
alle Vorstandsmitglieder, da sich die Wahl nach Vereinen, die ja ursprüng-
lich bestand, durchaus nicht bewährt hat.
142 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
20 Jahre hatte der Vereinsbund gearbeitet und viel für den Stand
getan, da entstand das Verlangen nach einer neuen Organisation. Dies
verursachte die soziale Gesetzgebung, als sie Krankenkassen für die Ar-
beiter und ihre Angehörigen schuf. Die Fassung des Gesetzes ließ es
anfangs zweifelhaft, ob die zahnärztliche Behandlung mit einbegriffen sei
oder nicht. Infolge von Gerichtsentscheidungen mußten die Krankenkassen
auch die Zahnbehandlung (Ausziehen und Füllen) bezahlen. Nun besteht
aber in Deutschland auf dem Gebiete der Heilkunde völlige Gewerbefrei-
heit, d. h. es kann sich jeder mit Krankenbehandlung befassen, wenn er
den Drang dazu verspürt, ein Nachweis der Befähigung braucht nicht er-
bracht zu werden, auch wird keinerlei Vor- oder Ausbildung verlangt.
Um aber Personen zu haben, die der Staat als besonders vertrauenswürdig
zur Krankenbehandlung empfehlen kann, hat man eine Approbation für
Medizinalpersonen eingeführt. Diese gibt in der Hauptsache nur das Recht,
sich den Titel „Arzt“ oder „Zahnarzt“ beizulegen und wird nur bei der
Übertragung amtlicher Tätigkeit von den Bewerbern gefordert. Neuerdings
dürfen auch die Krankenkassen nur mit approbierten Ärzten Verträge
schließen, leider aber auch mit Zahntechnikern, die gewisse Bedingungen
erfüllen. Durch diese Rechtslage gibt es nun eine Menge Personen, die
sich mit Zahnheilkunde befassen, ohne dafür approbiert zu sein. Diese
wurden von den Krankenkassen oft den Zahnärzten, also den Approbierten,
vorgezogen. Meist geschah dies aus gesellschaftlichen oder persönlichen
Beziehungen zu der Kassenverwaltung oder zu den Kassenmitgliedern, auch
sprach dabei der falsche Wahn mit, daß diese Nichtapprobierten billiger
arbeiteten. Diese Mißstände und der Entwurf einer neuen Reichsver-
sicherungsordnung, die diese Zustände abändern sollte, machten das Be-
dürfnis nach einer besonders lebhaften Bearbeitung der Krankenkassen-
fragen rege. Auch wollte man die Kollegen, um einen Druck auf Parlament
und Kassen ausüben zu können, fest in der Hand haben. So entstand denn
der Plan, eine neue Organisation zu schaffen, die aus Einzelmitgliedern
bestünde, aber sich über das ganze Reich erstreckte. Damit griff man
aber in das Arbeitsgebiet des Vereinsbundes ein, der auch anfangs den
Gedanken stark bekämpfte und Vorschläge machte, dasselbe Ziel auf andere
Weise zu erreichen. Der Wunsch war aber einmal da und ließ sich nicht
unterdrücken. Es galt daher, dafür zu sorgen, daß aus dieser Zersplitterung
der Kräfte, denn eine solche war es zweifellos, nichts Schädliches entstünde.
So ließ der Vereinsbund in seinem Widerstand nach und suchte dafür in
dem neuen Verband Einfluß zu erhalten. Dasselbe Bild wie früher, als
der Zentralverein die führende Stellung in Standesangelegenheiten verlor
und zum wissenschaftlichen Verein wurde. Auf der Hauptversammlung
des Vereinsbundes in Berlin 1910 wurde dann folgender Antrag mit 86 gegen
17 Stimmen angenommen: „Die Delegiertenversammlung erklärt sich mit
der Gründung eines wirtschaftlichen Verbandes deutscher Zahnärzte ein-
verstanden und ist bereit, mit diesem Hand in Hand zu gehen.“ Die Folge
davon war, daß der Vorstand des Vereinsbundes seine Ämter niederlegte,
der Vorsitzende Hielscher und sein Stellvertreter Konrad Cohn
nahmen auch keine Wiederwahl mehr an.
Dem neuen Verband war aber damit der Weg geebnet und er konnte
seine Arbeit aufnehmen. Der Zweck des Vereins ist, „durch Zusammen-
echluß der Zahnärzte im Deutschen Reich die beruflichen Interessen des
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 143
deutschen Zahnärztestandes in ideeller und materieller Beziehung zu
fördern“. Dies soll erreicht werden’ „durch die Vertretung der zahnärztlichen
Interessen vor den Behörden, durch Bekämpfung des Kurpfuschertums und
die Tätigkeit der Nichtapprobierten, durch Unterdrückung des unlauteren
Wettbewerbes, durch Aufklärung der weitesten Volksschichten über die
Bedeutung der Zahnheilkunde, durch unentgeltliche Raterteilung an die
Mitglieder in allen Standesangelegenheiten, durch einen unentgeltlichen
nenne für Verbandsmitglieder und durch andere ideelle
ittel“
Man sieht, das, was sich der Verband vornahm, ist umfangreich
gewesen und fiel fast völlig in das Arbeitsgebiet des Vereinsbundes. Ob
es nötig war, in den Satzungen den Zweck so bis in die Einzelheiten
auszuführen, mag hier nicht weiter erörtert werden. Mir scheint es besser,
durch eine etwas dehnbare Fassung der Entwicklung eines Vereines freien
Spielraum zu gewähren. Der Mitgliedsbeitrag beträgt jetzt 20 Mark; um
dem Verband von vornherein einen größeren Geldbetrag zukommen zu
lassen, führte man eine dauernde Mitgliedschaft ein gegen eine Zahlung
von 200 Mark.
Die Verwaltung des Verbandes ist folgende: An der Spitze steht
ein Vorstand mit geschäftsführendem Vorstand. Diese Teilung ist erfolgt,
da zur Rechtsfähigkeit eines Vereines in Deutschland die gerichtliche Ein-
tragung nötig ist. Nun wird von den Vereinsregisterrichtern verlangt, daß
bei Eintragungen jeder Art immer der ganze Vorstand zur Stelle ist, was bei
vielen Vorstandsmitgliedern, die in verschiedenen Orten wohnen, schwierig
ist. Deshalb macht man es meist so, daß man einen Vorstand im Sinne des
Vereinsgesetzes hat, der aus 1—3 Mitgliedern besteht, und einen geschäfts-
führenden Vorstand oder Ausschuß. Der ganze Vorstand des Verbandes
besteht aus 8 Herren, davon werden zwei als „Beisitzer“ bezeichnete Herren
vom Vereinsbund deutscher Zahnärzte ernannt. Damit soll die Verbindung
zwischen beiden Organisationen hergestellt und ein Gegeneinanderarbeiten
vermieden werden. Zur Erledigung der laufenden Geschäfte ist eine Ge-
schäftsstelle in Berlin errichtet worden, an deren Spitze der „General-
sekretär“ steht. Dieser ist Zahnarzt und darf keine Praxis ausüben; er
wird vom Verband besoldet. Er besorgt auch die Schriftleitung des Vereins-
organes, der „aahnärztlichen Mitteilungen“; diese erscheinen
alle 14 Tage bei Max Steinebach in München und sollen nur Standes-
angelegenheiten, aber keine Wissenschaft bringen. Die Mitglieder erhalten
sie kostenlos.
Das Gebiet des Reiches wird in Großbezirke, meist nach Bundes-
staaten oder Provinzen, eingeteilt, an deren Spitze ein Vertrauensmann
steht, unter ihm stehen die Kleinbezirke mit dem Obmann an der Spitze.
Die Kleinbezirke wählen auf je 20 Mitglieder einen Obmann und auf
5 Obmänner einen Vertrauensmann. Alle Jahre findet eine Hauptversamm-
lung statt, die vor oder nach der Sitzung des Vereinsbundes am Orte
dessen Tagung stattfinden muß — auch schon einmal dagewesen bei
Zentralverein und Vereinsbund. — Es können aber außerdem auch außer-
ordentliche Versammlungen einberufen werden.
Stimmberechtigt sind die Vorstandsmitglieder und Vertrauensmänner.
Dem Verband ist es gelungen, mit einigen über das Reich verbreiteten
Krankenkassen zugunsten seiner Mitglieder Verträge abzuschließen. Einen
144 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
seiner Gründungszwecke, eine Verbesserung der Reichsversicherungsordnung
herbeizuführen, ist ihm nicht gelungen, dem stand die weit größere Macht
und die Mittel der Kassen entgegen. Der Zahnarzt muß, wenn er nicht
durch örtliche Organisation, die alle Zahnärzte ohne Ausnahme umfaßt,
die Macht hat, sich mit den Nichtapprobierten in der Behandlung der
Kassenmitglieder teilen, wenn man ihn nicht ganz ausschließt, wo die
Kasse die Macht dazu hat.
Dies wären die drei wichtigsten Organisationen; daneben gibt es
noch eine Anzahl Wohlfahrtseinrichtungen, wie die „Allgemeine deutsche
zahnärztliche Witwenkasse“, die „Unterstützungskasse für Zahnärzte“, eine
„Zentralhilfskasse‘‘, die „Sterbekasse des Vereinsbundes deutscher Zahn-
ärzte“, „Kriegshilfe“‘, deren Zweck schon aus dem Namen hervorgeht.
Erwähnenswert sind dann noch das „Zentralkomitee für Fortbildungs-
kurse“ und das für „Schulzahnpflege“, das auch Laien aufnimmt; auch
ihr Zweck ist im Namen ausgesprochen. Ferner sei an das „Zahnärzte
haus“ in Berlin erinnert, dessen vorbildliche Einrichtung und Ziele wohl
zu bekannt sind, als daß darauf hier eingegangen werden müßte.
Nicht ohne Absicht habe ich die zahnärztliche Organisation dar-
gestellt, wie sie sich entwickelt hat; wir sollen uns die Geschichte als
Lehrmeisterin dienen lassen, damit wir Fehler vermeiden können und nicht
bereits gemachte Erfahrungen erst nochmals selbst an uns erleben müssen.
Leider wird dies aber noch viel zu wenig beachtet. Überblicken wir noch-
mals die ganze Entwicklung, so sehen wir, daß nach Schaffung einer Ver-
einigung aller Zahnärzte im Laufe der Zeit immer wieder der Gedanke
einer Neugründung auftaucht. Diese wird meist von der bestehenden Or-
ganisation bekämpft, zum mindesten aber anfangs abgelehnt. Dies Streben
nach Neugründung kommt mit daher, daß es keine Führung einer solchen
Organisation fertig bringen wird, alle Wünsche der Mitglieder so schnell
zur Ausführung zu bringen, wie es diese gern möchten; ja nicht einmal
die der Mehrheit. Die Mitglieder, die nicht in das Innere des Getriebes
hineinzusehen vermögen und daher auch die Hemmungen nicht gewahr
werden, die sich der unermüdlichsten Arbeit der Führer entgegenstellen,
schieben die Schuld auf diese. Sie glauben, daß eine Neugründung, die
sich nur einem bestimmten Teil der Aufgaben zu widmen habe, mehr leisten
müsse. Haben sich erst solche Gedanken festgesetzt, so sind alle Kämpfe
dagegen vergeblich; dann heißt es nur dafür sorgen, daß durch die Zer-
splitterung kein Schaden angerichtet wird. Man muß zu erreichen suchen,
daß sich die Organisationen nicht untereinander bekämpfen, sondern Hand
in Hand arbeiten. Sie können ruhig getrennt marschieren, aber schlagen
müssen sie immer gemeinsam, sonst hat der ganze Stand nur Schaden
davon und er wird noch viel weniger erreichen als bisher. So sehr auch
eine derartige Zersplitterung überhaupt zu bedauern ist wegen der un-
nötigen Vergeudung von Kräften, so hat sie auch eine gute Seite: es
besteht gewöhnlich ein gewisser Wettstreit zwischen den Organisationen
für das Wohl der Mitglieder zu sorgen, wovon die Gesamtheit nur Nutzen
haben kann, so lange man nicht gegeneinander arbeitet, weil man seine
Pläne nicht verraten will.
Deutschösterreich steht im Begriff, seine Organisation neu aufzu-
bauen; möge es den rechten Weg finden. Wenn ich mit meinen Darlegungen
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 145
auch nur ein klein wenig als Wegweiser hätte dienen können, so wäre
der Zweck der Zeilen erreicht.
Tätigkeitsbericht des Ausschusses des Zentral-
verbandes der österreichischen Stomatologen
während des Krieges 1915—1918.
In die Zeit, die seit der letzten Verbandsversammlung verlaufen ist,
fällt der Weltkrieg. Die durch ihn herbeigeführten Schwierigkeiten, die
mit der Kriegsdienstleistung verbundene Überlastung, von der jeder von
uns mehr minder betroffen war, die monate- und jahrelange Abwesenheit
vieler Mitglieder von ihrer Heimat und vom Orte ihrer Niederlassung,
alle diese Momente führten den Verbandsausschuß dazu, von der Einbe-
rufung von Jahresversammlungen in diesen Jahren abzusehen. Auch
manches Ausschußmitglied mußte einrücken und Kriegsdienste weit weg
von der Heimat, im jetzigen Ausland, leisten. So geschah es, daß Vize-
präsident Med.-Rat Dr. Friedmann durch einige Monate das Präsidium
geführt hat und daß der Ausschuß infolge Abwesenheit der Mehrzahl
seiner Wiener Mitglieder beschlußunfähig wurde und sich längere Zeit
zwecks gelegentlich notwendiger Besprechung mit der Zusammenkunft
einiger Mitglieder begnügen mußte.
Der Verbandsausschuß bemühte sich, seinen Pflichten nach Möglich-
keit nachzukommen. Doch mußte unter dem Zwange des alles bezwingen-
den Krieges seine Tätigkeit für wissenschaftliche Inter-
essen in den Hintergrund treten. Auf Anregung seines Mitgliedes Prof.
Dr.W eiser hat der Ausschuß zu den Vorträgen in der Gesellschaft
der Ärzte im März 1916 in Wien der Budapester Kollegen Dr.Gadäny
und Dr. Ertl über die Behandlung der Unterkieferschußfrakturen und
Pseudarthrosen an die Verbandsmitglieder Einladungen versendet. Er
intervenierte ferner bei der anfangs 1917 an alle Verbandsmitglieder er-
folgten Versendung des in Berlin erschienenen ersten Heftes der Zeitschrift
„Chirurg und Zahnarzt“ von Dr. Soerensen und Prof. Dr. Warne-
kros. Ä
Die Haupttätigkeit des Ausschusses betraf Standesfragen und
hat hier die Wahrung des bisher Erreichten seine Kräfte vollauf in Anspruch
genommen. Schöpferische Aktionen mußten entfallen und die gesamte
Ausschußtätigkeit betraf die Erledigung der einlaufenden Eingaben und
Geschäfte, die Verhütung von uns drohenden Schädigungen und die Vor-
arbeit für die künftige Reorganisation des Verbandes.
Die Arbeit, welche die letzten Friedensjahre ziemlich in Anspruch
genommen hat, war eben die Reorganisation des Verbandes,
die durch den Krieg ihre gänzliche Unterbrechung erfahren mußte. Auch
die schon ausgeführten Vorarbeiten werden mit Rücksicht auf den Zerfall
der Monarchie noch die größten Veränderungen erfahren müssen. Die
nächste und wichtigste Aufgabe des Verbandes wird die Durchführung
seiner Reorganisation sein.
. Ende des Jahres 1915 beteiligte sich der Ausschuß im Verein mit
der Wiener Ärztekammer und den beiden in Wien zentralisierten zahn-
146 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
ärztlichen Vereinen (Verein österreichischer Zahnärzte und Verein Wiener
Zahnärzte) unter Führung des Kammerpräsidenten Hofrat Prof. Doktor
Finger an einer Deputation, die sich in verschiedene Ministerien begab,
um dort gegen die anscheinend ins Auge gefaßte Schaffung eines mili-
tärischen Dentistenstandes im Sinne der Wahrung ärztlicher
Interessen Stellung zu nehmen. fm Februar 1916 sprach der Ausschuß
zugleich mit Delegierten derselben zwei zahnärztlichen Vereine, wieder
unter Führung der Ärztekammer, im Kriegsministerium vor, um gegen
die Verwendung von Zahntechnikern in ärztlicher
Tätigkeit an vielen Spitälern der Front und Etappe vorstellig zu
werden. l TE,
Von weit größerer Bedeutung war die Gefahr, welche die Zahnärzte-
schaft im Jahre 1917 durch eine Regierungsvorlage im Abgeordnetenhaus,
betreffend ein Zahntechniker-Gewerbegesetz, hätte treffen
können. Die Gesetzvorlage, eine wortgetreue Wiedergabe des Gesetzent-
wurfes vom Oktober 1912, war schon im Gewerbeausschuß des Abgeord-
netenhauses mit einigen Abänderungen, welche von den Zahntechnikern
gewünscht wurden — Ärzte wurden damals den Verhandlungen überhaupt
nicht zugezogen —, beschlossen worden und hätte mit Leichtigkeit als zu-
fälliger J,ückenbüßer das Haus passieren können. In mehreren Sitzungen.
welche infolge des vorzeitigen Sessionsschlusses und der späteren Wieder-
eröffnung des Abgeordnetenhauses weit (Juni 1917 und Oktober 1918)
auseinanderlagen, wurde die Vorlage unter Hinzuziehung von Delegierten
aus der Wiener Ärztekammer und den beiden Vereinen eingehend beraten.
Ein vom Präsidenten des Vereines österreichischer Zahnärzte Dr. Richard
Breuer verfaßtese Referat über den Gesetzentwurf kam
in 3 Ausschußsitzungen Punkt für Punkt zur eingehendsten Beratung. Der
Ausschuß will hier im Namen des Verbandes dem Referenten für seine
vorzügliche, ausführliche Arbeit seinen Dank aussprechen. Bei fast jedem
Paragraph des Gesetzentwurfes wurden, zumeist im Sinne des Referenten,
wichtige Veränderungen vorgenommen. Der Zusammenbruch des Reiches
(und nicht die jüngst entstandene „Wirtschaftliche Organisation der Zahn-
ärzte Deutschösterreichs‘‘) brachte dem Gesetz sein natürliches Ende. Doch
hatten diese Beratungen über den Gesetzentwurf immerhin das Gute, daß
sie den Ausschuß in seiner Mehrheit zu der Einsicht führten, eventuellen
Verhandlungen mit den Zahntechnikern nicht mehr wie bisher absolut ab-
lehnend gegenüberzustehen. Als dann (im Dezember 1918) das Verbands-
mitglied Dr.Rieger, welcher einer Ausschußsitzung, die der Beratung
von anderen Dingen galt, beiwohnte, die Anregung zu einer unverbindlichen
Besprechung mit den Zahntechnikern brachte, konnte sie.auf fruchtbaren
Boden fallen und zu den Verhandlungen zwischen den Zahnärzten und
Zahntechnikern anfangs dieses Jahres führen (berichtet im Aprilheft 1919
dieser Zeitschrift, S.96). -
Bezüglich der eventuellen Titeländerung der Zeitschrift wurde (in
der Ausschußsitzung vom 12. Dezember 1918) beschlossen, vorderhand den
alten Titel beizubehalten und mit einer eventuellen Änderung noch bis
zur Reorganisation des Verbandes zu warten.
Über das Verhalten des Ausschusses gegenüber der „Wirtschaftlichen
Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs“ sei auf die im Januarheft
1919 dieser Zeitschrift veröffentlichte Mitteilung hingewiesen. Der Aus-
Kleine Mitteilungen. 14i
schuß hat sich.der Organisation durchaus nicht feindlich gegenübergestellt
und diesem Standpunkt auch Ausdruck gegeben. Das beweist auch der
Umstand, daß er mit den Delegierten der Organisation gemeinsame Be-
ratungen abhielt und mit ihr einheitliche Beschlüsse faßte, sowie die Tat-
sache, daß ihr diese Zeitschrift als offizielles Organ zur Verfügung ge-
stellt. wurde.
Kleine Mitteilungen.
(Ein Ambulatorium für Geschwulstkranke im Wiener Rudolisspital.)
Durch den Krieg ist in den wissenschaftlichen Bestrebungen zur frühzeitigen
Diagnose von Geschwülsten, insbesondere von bösartigen Formen, ein
völliger Stillstand eingetreten. Mit Rücksicht aber auf die außerordentliche
Wichtigkeit, die gerade die frühzeitige Erkennung des Charakters der
Geschwülste für deren Heilung besitzt, hat das Volksgesundheitsamt ein
Ambulatorium eingerichtet, woselbst an mittellosen Patienten, bei denen
die Möglichkeit einer bösartigen Geschwulst in Frage kommt, unentgelt-
lich Blutproben (Serodiagnose nach Abderhalden,Askol i Freund,
Kaminer, Pregel) gemacht werden, deren Ergebnis dem behandelnden
Arzt mitgeteilt wird. Hiedurch kann einerseits der Patient von der bangen
Sorge wegen der Bösartigkeit seiner Erkrankung befreit oder andrerseits
sehr früh zu einer chirurgischen Behandlung der Geschwulst geschritten
werden. Im Ambulatorium sollen aber auch, um einem Bedürfnis zahl-
reicher trauriger Fälle entgegenzukommen, äußerlich zugängliche in-
operable Neubildungen mit nicht chirurgischen therapeutischen Me-
thoden behandelt werden. Das Ambulatorium ist im Rudolfsspital in der
Boerhavegasse, und zwar bei der zweiten chirurgischen Abteilung des
Primarius Dr. Karl Funke untergebracht; seine Leitung ist Prof. Dr.
Ernst Freund und die Abhaltung der Ordination Frau Dr. Gisela K a-
miner übertragen.
(Zentralstelle für medizinische Kinematographie in Berlin.) Eine
Zentralstelle für medizinische Kinematographie ist in Berlin gegründet
worden. Ein nach den Vorschlägen von Dr.Thomalla begründetes und
im Ausbau befindliches medizinisches Filmarchiv sammelt bereits seit
einiger Zeit die von Fachgelehrten zu Studien- und Unterrichtszwecken
seit Jahren hergestellten und bisher allenthalben verstreuten wissenschaft-
lichen Filme. Nunmehr ist dieses Archiv zur einheitlichen Zusammenarbeit
mit dem Kaiserin-Friedrich-Haus für das ärztliche Fortbildungswesen zu
einer „Zentralstelle“ zusammengeschlossen worden. Die Neubearbeitung
medizinischer Lehrfilme, die von der größten Berliner Filmfirma ohne
(Gewinnaussichten von rein kulturellen Gesichtspunkten aus übernommen
worden ist, wird von einem Arbeitsausschuß der Zentralstelle vom rein
wissenschaftlichen Standpunkt aus überwacht werden. Gemeinsam mit den
zuständigen Ministerien und einem Beirat von sachverständigen Spezial-
gelehrten wird über die Zulassung zum Lehrbetrieb bei jedem neuen medi-
zinischen Lehrfilm ein Zensurausschuß die Entscheidung treffen, ohne dessen
148 Kleine Mitteilangen. — Personalien.
Genehmigung kein Lehrfilm in den Handel, das heißt an die Universitäten,
Institute usw., gebracht werden kann. So ist eine sichere Gewähr ge
schaffen, daß Deutschland bald eine nach den strengsten wissenschaftlichen
Gesichtepunkten arbeitende medizinische Kinematographie besitzen wird,
die zur Bereicherung und Vertiefung des klinischen Unterrichtes Hervor-
ragendes zu leisten berufen ist. („Die Zeit“ vom 21. Mai 1919.)
3 Personalien.
(Ernennung.) Der Präsident der Nationalversammlung hat am 15. Mai
d. J. dem außerordentlichen Professor der Zahnheilkunde an der Universität
in Graz Dr. Franz Trauner den Titel und Charakter eines ordent-
lichen Universitätsprofessors verliehen.
(Feier.) Hofrat Julius Parreidt, Zahnarzt in Leipzig, feierte am
18. Juni 1919 seinen 70. Geburtstag. Er wurde geboren in Heideloh in der
Provinz Sachsen, studierte in Leipzig Zahnheilkunde und wurde dort 1876
approbiert. Zwölf Jahre war er Assistent an der chirurgischen Univer-
sitäts-Poliklinik und 35 Jahre ist er Schriftleiter der Deutschen Monats-
schrift für Zahnheilkunde, des Organs des Zentralvereins deutscher Zahn-
ärzte. Er hat in Leipzig vor der Gründung des Universitätsinstitute
zahnärztlichen Unterricht erteilt. Außer etwa 70 Arbeiten erschienen
von ihm: „Handbuch der Zahnersatzkunde“, dessen 1919 erschienene
5. Auflage bereits vergriffen ist. Das Buch wurde von Chruscht-
schoff ins Russische übersetzt. „Praktische Metallurgie für Zahn-
ärzte.“ „Zahnärztliche Mitteilungen aus der chirurgischen Universitäts-
Poliklinik Leipzig.“ 1881. Diese drei bei Artur Felix. „Die Zähne
und ihre Pflege“, Leipzig 1883 bei Reclam Nr. 1760. „Kompendium der
Zahnheilkunde“, Leipzig 1886, Ambr. Abel; „Zahnheilkunde, ein kurzes
Lehrbuch für Studierende und Ärzte“, 2. Auflage 1892 und 3. Auflage 1900
bei Ambr.Barth, wurde von Ottofey in Amerika ins Englische und
außerdem ins Japanische übersetzt. „Wie studiert man Zahnheilkunde?
Leipzig, Roßberg, 3. Auflage, 1896 und „Geschichte des Zentralvereins
deutscher Zahnärzte 1859—1909.“ Berlin, Jul.Springer. Parreidt
ist Inhaber der Goldenen Medaille des Zentralvereins deutscher Zahnärzte
und Ehrenmitglied einer Anzahl zahnärztlicher Vereine des In- und Aus-
landes, darunter des Vereines österreichischer Zahnärzte.
—. m
Für dem wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druok von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Münrgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ fr, de Aasenschattlichn Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs.
XVII. Jahrgang. Juli 1919. 7. Heft.
.
Nachdruck verboten.
Original-Arbeiten.
Die anatomischen Grundlagen der intraoralen
Leitungsanästhesie am Nervus alveolaris inferior. ’)
Von Harry Sicher.
(Mit 9 Figuren anf 6 Tafeln.) 2
| Obwohl die Topographie der mandibularen Leitungsanästhesie in der
letzten Zeit oft genug Gegenstand eingehender Untersuchungen war, gibt
es doch keine einzige Darstellung, die in jeder Richtung befriedigen kann.
Fehlen in der einen Arbeit genauere anatomische Kenntnisse, so sind
in anderen wieder die Abbildungen so unzureichend, daß sie entweder gar
keine oder sogar falsche Vorstellungen über die in Frage kommende
Gegend übermitteln. Ohne näher auf die Literatur einzugehen, erwähne
ich gerade in bezug auf unzureichende bildliche Darstellung die Arbeiten
von Bünte und Moral oder von Fischer-Gasser.
Aber abgesehen von diesem Umstand, hat die genauere Untersuchung
vom rein anatomischen Standpunkt aus eine Reihe neuer Details ergeben,
die für die klinische Methode wertvoll waren. Diese Tatsachen bewegen
mich dazu, die anatomischen Grundlagen der Leitungsunterbrechung des
N. alveolaris inferior noch einmal im Zusammenhang darzustellen.
Unsere erste Aufgabe ist es, den Zielpunkt der Injektion festzu-
legen. Zu diesem Zweck muß das Skelett der Region — der Unterkiefer
— einer genaueren Betrachtung unterzogen werden (Fig. 1). Selbstverständ-
lich handelt es sich vor allem um die Gegend des aufsteigenden Astes. Hier
kommt außer der genauen Beschreibung der praktisch wichtigen Details
vor allem eine Regelung der Nomenklatur in Betracht, die im Gebrauch
der Theoretiker sowohl, als der Praktiker ziemlich in Verwirrung geraten
ist. Der vordere Rand des Astes, gleichzeitig der vordere Rand des Pro-
cessus coronoideus, läuft außerhalb der Zahnreihe vorbei schräg vorwärts
und abwärts an der Außenfläche des Kieferkörperse aus. Naturgemäß ist
nur die am Kieferkörper als stumpfe Leiste oft bis hinter das Foramen
1) Nach einem Vortrage, gehalten am 20. März 1919 im Verein Wiener
Zahnärzte.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 14
150 Harry Sicher.
mentale zu verfolgende Erhabenheit als Linea obliqua zu bezeichnen.
Was sich hinter der letzten Alveole als freier Rand senkrecht erhebt,
ist korrekt nur mit dem Namen Margo anterior des Ramus mandibulae
zu benennen. Über die Beschaffenheit des Processus coronoideus an seiner
Spitze, über die Incisura mandibulae und den Processus condyloideus ist
hier nichts zu sagen.
An der Innenfläche des Processus coronoideus zieht nun, nahe der
Spitze beginnend, eine stumpfe Leiste abwärte, die sich weiter unten ge-
wöhnlich stärker erhebt, dabei mit dem vorderen Rande des Astes nach
unten divergiert. Im Niveau der Zahnreihe teilt sie sich in einen inneren
und einen äußeren Schenkel, die je in den inneren und äußeren Rand
des Alveolarfortsatzes übergehen und dabei zwischen sich ein dreieckiges,
rauhes Knochenfeld einschließen, das vorne vom letzten Mahlzahn begrenzt
ist. Diese eben beschriebene Leiste wird in der anatomischen Literatur
gewöhnlich als Crista buccinatoria angeführt, ein Name, der
deshalb unlogisch ist, weil die Ansatzlinie des gleichnamigen Muskels
diese Leiste zwar überkreuzt, ihr aber nicht in der ganzen Länge folgt;
gerade die letztere Vorstellung wird aber durch diesen Namen erweckt.
In der zahnärztlichen Literatur wurde für dieselbe Leiste der Name
Linea obliqua interna eingeführt und dann die eigentliche Linea
obliqua einschließlich des vorderen Astrandes als Linea obliqua externa
bezeichnet. Daß diese letztere Bezeichnung unkorrekt ist, wurde bereits
früher erwähnt und mit ihr fällt natürlich auch der Name Linea obliqua
interna. Erst durch Eisler erhielt die Leiste einen korrekten, logischen
Namen, nämlich Crista temporalis mandibulae. Der Mus-
culus temporalis inseriert nicht nur an jener Linie, die in den landläufigen
Beschreibungen immer wiederkehrt, nämlich von der Tiefe der Incisura
mandibulae über die Spitze des Processus coroideus und längs des vorderen
Kieferastrandes abwärts bis ins Niveau des Alveolarfortsatzes. Er findet
vielmehr außerdem mit einer vom Hauptanteil deutlich geschiedenen tiefen
Sehnenportion seine Anheftung eben an der früher beschriebenen Leiste,
die nichts anderes ist, als das Produkt der hier angreifenden Zugwirkung
des Muskels (Fig. 2).
Die beiden Leistenschenkel, in welche die Crista temporalis mandi-
bulae nahe dem letzten Mahlzahn zerfällt, können als Crus mediale
und laterale bezeichnet werden; das dreieckige Knochenareale zwischen
den Crura ist das Trigonum retromolare. Zwischen vorderem
Rand des Processus coronoideus und Crista temporalis setzt sich jene
Furche fort, die an der Außenfläche des Kieferkörpers zwischen Processus
alveolaris und Linea obliqua beginnt. Sie ist jene Grube, die von Bünte
und Moral den Namen Fovea retromolaris erhalten hat.
Die anatomischen Grundlagen der iutraoralen Leitungsanästhesie ete. 151
Ungefähr in der Mitte der Innenfläche des Astes, durchschnittlich
ın der Höhe der Kauflächen der unteren Molaren gelegen, findet sich das
Foramen mandibulare, an seiner vorderen oberen Zirkumferenz
flankiert von einem außerordentlich variabel ausgebildeten Knochenfort-
satz, der Lingula mandibularis. Sie ist oft scharf zungenförmig,
frei vorragend, oft nur als Verdickung des vorderen Randes des Kanal-
einganges erkennbar. An der hinteren Umrandung des Loches beginnt
eine feine, scharf begrenzte Furche, die nach vorne und unten zieht —
Sulcus mylohyoideus.
Am medialen Pol des Condylus mandibulae beginnt nun eine
stumpfe Knochenleiste, die über das Collum mandibulae absteigt, vor
dem Foramen gewöhnlich mit der Erhebung des Lingulaursprungs ver-
schmilzt und sich dann, flacher geworden, nach vorne und unten verfolgen
läßt. Schließlich geht sie gewöhnlich in jenen Knochenwulst über, der
unter dem hinteren Ende des Processus alveolaris beginnt und bis zur
Mitte des unteren Kinnrandes abwärts zieht und nach dem Ansatz des
Musculus mylohyoideus als Linea mylohyoidea bezeichnet wird.
Die Leiste selbst kann nach ihrem Verlauf Crista colli mandi-
bulae benannt werden. Sie ist der Ausdruck der trajektoriellen Knochen-
struktur. In ihr ziehen nämlich jene Spongiosabälkchen, die beim Kiefer-
schluß die Druckbelastung im Gebiet des Alveolarfortsatzes auffangen und
gegen den Condylus leiten, wo der Druck auf die Schädelbasis übertragen
wird (Walkhoffs Trajectorium dentale). Hinter der Crista colli sinkt
der Knochen zu einer furchenartigen Vertiefung ein, die von Spee als
Sulcus nervi mandibularis bezeichnet wurde und seit der
Arbeit Seidels praktisch eine große Rolle spielt. Wie noch später
auseinandergesetzt werden wird, hat der Nervus alveolaris inferior keinerlei
direkte Beziehungen zu dieser Furche, vor allem liegt er nicht in der Furche,
zu welcher Vorstellung aber der Name von Spee irrtümlicherweise oft
genug Veranlassung gab. Gerade die Betonung der Furche hat auch
verhindert, daß der Leiste, die ich als Crista colli beschrieben habe,
Beachtung geschenkt wurde, obwohl sie es ist, die als primäres Gebilde
erst die Bildung der Furche bedingt. Dafür sprechen außer dem struk-
turellen Verhalten der Leiste auch vergleichend-anatomische Befunde.
Der Sulcus colli mandibulae — wie man den Sulcus nervi
mandibularis besser benennt — wird nach hinten und unten öfters durch
eine feine Linie begrenzt, die das rauhe Ansatzfeld des M. pterygoideus
internus oben zum Abschluß bringt und dem Ligamentum sphenomandi-
bulare zum Ansatz dient — Linea pterygoidea.
Die ganze Innenfläche sieht aber, wie ja bekannt ist, nicht rein nach
innen, sondern zugleich auch nach hinten, und zwar ist dieser Winkel,
14%
152 Harry Sicher.
den sie mit der Sagittalebene bildet, ein individuell variabler. Dieser
Umstand ist deshalb von Wichtigkeit, weil wir die Nadelrichtung nach
der Einstellung der Knochenfläche bestimmen müssen.
Von den beschriebenen Reliefeigentümlichkeiten des Kieferastes sind
vom Vestibulum oris aus der vordere Rand des Astes und seine Fortsetzung,
die Linea obliqua, ferner die Crista temporalis mandibulae ohne weiteres
zu tasten, ebenso natürlich die zwischen ihnen gelegene Fovea retro-
molaris.. Aber auch die Crista colli läßt sich tasten, allerdings nicht
mit dem Finger, wohl aber bei der Vornahme der Injektion mit der Spitze
der Nadel, wenn diese in bestimmter Weise über die Innenfläche des
Astes gleitet.
Wir müssen nun nach Besprechung des Skeletts den Verlauf des
Nervus alveolaris inferior einer genaueren Betrachtung unterziehen (Fig. 3).
Der dritte Ast des Trigeminus, Ramus mandibularis, zerfällt, wie
bekannt, knapp nach seinem Austritt durch das Foramen ovale in seine
Äste. Nach außen wenden sich die motorischen Fasern für M. masseter,
temporalis, pterygoideus externus und der sensible N. buccinatorius. Nach
hinten zieht, mit seinen zwei Ursprungsbündeln die Arteria meningea media
umfassend, der Nervus auriculotemporalis, um hinter dem Kiefergelenk
vorbei an das Gesicht zu gelangen. Innen, dem Stamm angelagert, findet
sich das Ganglion oticum, von dem außer den feinen Verbindungszweigen
zu fast allen Nerven der Umgebung die Nerven für den M. pterygoideus
internus, den M.tensor veli palatini und tensor tympani abgehen. Nach
unten wenden sich der Nervus lingualis und der N.alveolaris inferior;
beide liegen zunächst hart nebeneinander, vorne der N. lingualis, hinten
der N. alveolaris inferior, zuerst an der Innenseite des M. pterygoideus
externus, dann zwischen den beiden Musculi pterygoidei. Weiter unten
entfernt sich der N. lingualis immer mehr vom N. alveolaris inferior, da
er nach vorne abbiegt. Hier empfängt er die von hinten und oben kommende
Chorda tympani, die an der Innenseite des N. alveolaris inferior vorbei-
zieht. Schließlich kommt der N. lingualis am vorderen Rand des M. ptery-
goideus internus zum Vorschein, dringt durch die Spalte zwischen M. mylo-
pharyngeus, styloglossus und mylohyoideus — das bekannte muskelfreie
Feld des Mundhöhlenbodens — in die Mundhöhle ein und ist hier an der
Übergangsstelle von Zungenschleimhaut in Schleimhaut der inneren Kiefer-
fläche neben dem letzten Mahlzahn ganz oberflächlich gelegen. Hier
kann man ihn bei mageren Personen sogar durch die Schleimhaut durch-
schimmern sehen, jedenfalls aber leicht chirurgisch erreichen. Gleichzeitig
ist dies natürlich auch jene Stelle, wo der Nerv am leichtesten Ver-
letzungen ausgesetzt ist. Hier steht der Nerv mit dem Ganglion sub-
maxillare in Verbindung und löst sich sodann. in seine Endäste auf, die
Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 153
zum großen Teil in die Zunge, zum geringeren in die Schleimhaut an
der Innenfläche des Unterkiefers ziehen. Die letzteren führen den Namen
Rami alveolares Nervi lingualis. T
Der Nervus alveolaris inferior zieht vom Foramen ovale aus steil
abwärts, gleichzeitig auswärts. Er ist zunächst durch den dicken Bauch
des Musculus pterygoideus externus vom Unterkiefer getrennt; der Innen-
und Unterfläche dieses Muskels folgt er in leicht S-förmig geschwungenem
Verlaufe. Mit dem Knochen tritt er erst am Foramen mandibulare selbst in
Kontakt (Fig. 4). Dort gibt er den Nervus mylohyoideus ab und zieht selbst
im Unterkieferkanal nach vorne. Meist ist schon vor seinem Eintritt in
den Kanal der für die Versorgung des Kiefers und der Zähne bestimmte
Anteil von jenem getrennt, der durch das Foramen mentale austritt. Der
erstere zieht bekanntlich bis zur Mittellinie durch den Knochen weiter
und anastomosiert hier sogar mit dem der anderen Seite.
Diese Beschreibung läßt die Richtigkeit der früheren Angabe ver-
stehen, nach welcher der „Sulcus nervi mandibularis“, unser Sulcus colli
mandibulae, mit dem Nerven nichts zu tun hat. Liegt doch zum großen
Teil der äußere Flügelmuskel zwischen Furche und Nerv. Aber nicht
nur in dieser einen Richtung divergieren Furche und Leiste gegen den
Nerven. Präpariertt man von innen her den Nervenstamm frei, räumt
auch den Musculus pterygoideus externus fort, so sieht man, daß der
Nervus alveolaris inferior und der Sulcus resp. die Crista colli vom Foramen
mandibulae aus in zweifacher Richtung divergieren. Erstens weicht der
Nerv, wie früher beschrieben, stark nach innen gegen das Foramen ovale
ab, während die Innenfläche des Astes fast vertikal steht. Zweitens aber
zieht die Crista colli und daher auch die Furche schräg nach oben und
hinten, während der Nerv fast in derselben Frontalebene aufsteigt (Fig.5).
Nach dem Gesagten ist es daher zunächst befremdend, wenn die
Stelle des Sulcus immer als Zielpunkt der Injektion geschildert wird. Daß
dies trotzdem seine Berechtigung hat, erklärt sich aus folgenden Tat-
sachen, die bisher meines Wissens unbeachtet geblieben sind. Die topo-
graphischen Beziehungen zwischen Nerv und Furche ändern sich nämlich
gründlich, wenn der Mund geöffnet wird. Bei dieser Bewegung bleibt das
Foramen mandibulare zwar nicht, wie dies früher gelehrt wurde, an Ort
und Stelle, weil die Achse der Bewegung eben nicht durch das Foramen
mandibulare verläuft. Es erfährt aber nur eine Verlagerung nach unten,
weicht dabei nach vorne oder hinten nicht oder nur unmerklich ab. Da
aber beim Öffnen des Mundes das Kieferköpfchen aus der Fossa mandi-
bularis weit nach vorne auf das Tubereulum articulare verschoben wird,
resultiert für den Verlauf der Crista colli als Verbindungslinie des Capi-
tulum mit dem Foramen mandibulare, daß sie dadurch steil, fast vertikal
154 Harry Sicher.
gestellt wird und dabei nur im ganzen tiefer tritt. Durch diese Steil-
stellung wird aber jene Divergenz zwischen Leiste und Furche gegen den
Nerven fast völlig ausgeglichen, die bei geschlossenem Munde durch den
schräg nach oben und hinten aufsteigenden Verlauf der Leiste bestand.
Der Nerv selbst nämlich erleidet keine Richtungsveränderung, da ja sein
Eintrittspunkt in den Kiefer, das Foramen mandibulare, nur abwärts
bewegt wird; wohl aber wird er gespannt, da sich beim Öffnen des Mundes
die Distanz vom Foramen ovale zum Foramen mandibulare vergrößert,
und zwar fast genau um die Niveaudifferenz zwischen Tiefe der Fovea
mandibularis und Höhe des Tuberculum articulare, entsprechend der Ver-
schiebung des Unterkieferköpfchens.. Durch all dies kommt der Nerv
natürlich noch immer nicht in die Furche zu liegen, aber er liegt bei ge-
öffnetem Munde wenigstens in derselben Frontalebene. Daraus erklärt sich
zunächst die Brauchbarkeit des Sulcus colli als Orientierungspunkt für die
Anästhesie (vergl. Fig.5 mit Fig. 6).
Noch unterstützt wird sie durch das Verhalten des Bindegewebes an
jener Stelle. Wir finden hier nämlich zwischen Innenfläche des Kieferastes
und Außenfläche des Musculus pterygoideus internus einen Spaltraum, der
sich nach unten verschmälert und am Ansatze des Musculus pterygoidens
internus resp. dessen Faszie ein Ende findet. Wohl als Differenzierungs-
produkt dieser Faszie dürfte der Bindegewebszug aufzufassen sein, der
von der Unterfläche des Keilbeins zur Lingula und zur Linea pterygoidea
zieht und dabei den Eingang in den Kanal halbwegs deckt, Ligamen-
tum sphenomandibulare.
Nach oben verbreitert sich der eben beschriebene Bindegewebsraum,
der von Eisler als Spatium pterygomandibulare bezeich-
net wurde, durch die Divergenz zwischen Kieferast und Muskel. Er wird
oben begrenzt durch den horizontal verlaufenden unteren Rand des Muskel-
bauches des Pterygoideus externus. In diesem, von lockerem, fetthaltigem
Bindegewebe erfüllten Raum verläuft der Nervus alveolaris inferior und
Nervus lingualis der Außenfläche des inneren Flügelmuskels angeschlossen
abwärts. Bringt man hier ein Injektionsdepot an die äußere Wand des
Spatium pterygomandibulare, also an den Knochen, dann ist es vom Nerven
nur durch lockeres Bindegewebe getrennt und kann ohne weiteres seine
Wirkung auf den Nerven entfalten. Die äußere Wand des Spatium aber
gerade an jener Stelle, an welcher innen der Nerv abwärts zieht, und je
weiter abwärts um so näher dem Knochen kommt, ist bei geöffnetem Munde
der Sulcus colli mandibulae.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich zunächst die Möglichkeit, das
Ziel der Iniektion genau zu bestimmen. Es ist nach alledem eben das
Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 155
untere Ende des Sulcus colli mandibulae, wie dies schon früher vor allem
durch Seidel betont wurde.
Um über den Einstichpunkt klar zu werden, muß man zunächst
jene zwei Typen der Injektionstechnik gegeneinander halten, die heute
noch ihre Geltung haben. Man kann sie als Methode des direkten Ein-
stiches (Fischer, Bünte und Moral) und als Tastmethode (Braun,
Seidel) bezeichnen. Ich glaube, daß man die Bevorzugung der zweiten
Methode nicht erst durch lange Auseinandersetzungen begründen muß, vor
allem, wenn man sich vor Augen hält, daß man beim Gleiten längs der
Innenfläche des Kieferastes auch tatsächlich einen ausgezeichneten An-
haltspunkt für die Lokalisation der Injektionsstelle tasten kann, eben
die Crista colli und die dahinter gelegene Furche.
Zwingen also die anatomischen Verhältnisse zur Entscheidung zu-
gunsten der Tastmethode, dann ist natürlich die Wahl des Einstichpunktes
von diesem Gesichtspunkte aus vorzunehmen. Er muß erstens in der Ebene
des Zielpunktes liegen, das ist nach allen zahlreichen Messungen ungefähr
fingerbreit über der Ebene der unteren Kauflächen. Um zweitens von
vorneherein Knochenhindernisse, soweit als möglich, zu umgehen, schaltet
man am besten die Crista temporalis dadurch vom Weg der Nadel aus,
daß man knapp hinter ihr, also bereits an die glatte Innenfläche des
Astes einsticht.
Die Schleimhaut bildet nun gerade in der Nähe dieser Stelle eine
Falte, die oft zu Täuschungen über die Topographie des Einstichpunktes
Anlaß gibt und die deshalb mit wenigen Worten erwähnt werden muß.
Diese Falte zieht nämlich von dem Hamulus pterygoideus, der hinten und
innen vom hinteren Ende des oberen Alveolarfortsatzes getastet werden
kann, nach unten und verstreicht hinter dem hinteren Ende des unteren
Alveolarfortsatzes. Sie ist bedingt durch die Ausspannung eines Sehnen-
streifens, dor Rhaphepterygomandibularis, die vom Hamulus
pterygoideus zum oberen Ende der Linea mylohyoidea zieht. Sie dient an
ihrem vorderen Rande Fasern des Musculus buccinatorius, an ihrem
hinteren jenen des M. buccopharyngeus, eines Anteiles des oberen Schlund-
kopfschnürers, zum Ursprung (Fig.7 und 8).
Die Falte — Gasser spricht von ihr als Molarenfalte — könnte
man mit Rücksicht auf das darin gelegene Gebilde als Plica pterygo-
mandibularis bezeichnen, wobei auch ihr Verlauf vollkommen charakteri-
siert wäre. Sie kann bei geöffnetem Munde durch die Spannung des Sehnen-
streifers dem tastenden Finger recht derb erscheinen und dann zur Verwechs-
lung mit der Crista temporalis Anlaß geben. Es erscheint daher am zweck-
mäßigsten, beim Aufsuchen der Knochenleisten so vorzugehen, daß man
im Vestibulum oris beginnend zuerst der Linea obliqua folgend den vorderen
156 Harry Sicher.
Rand des Astes fixiert. Knapp nach innen und etwas nach hinten, von ihm
getrennt durch die Fovea retromolaris, tastet man dann die stumpfere
Crista temporalis mandibulae, korrekter gesagt die daran inserierende
tiefe Portion des Musculus temporalis. Die Plica pterygomandibularis liegt
nun noch weiter nach innen und etwas dahinter.
Bevor wir aus den anatomischen Tatsachen die Technik der In-
jektion selbst ableiten, müssen wir noch wenige Worte über den Weg
sagen, den die Nadel beim Vordringen zum Sulcus colli längs des Knochens
nimmt. Um diese Verhältnisse übersichtlich darzustellen, wurde ein Schädel
bei weit geöffnetem Munde in Formalin gehärtet, dann in Salzsäure entkalkt
und nun ein Schnitt geführt, der etwa einen Zentimeter über den Kauflächen
der unteren Zähne, diesen selbst parallel — kurz, in der Injektionsebene —
verläuft. Der Schnitt ist also keinem Horizontalschnitt durch den Schädel
zu vergleichen (Seidl, Merkelu.a.), da er von vorne unten nach a
oben stark ansteigt (Fig. 9).
Die Nadel durchdringt nun zunächst knapp hinter der Crista tem-
poralis mandibulae die Schleimhaut und den Musculus buccinatorius, der ja
weiter hinten an der Rhaphe pterygomandibularis entspringt; dann stößt
sie in einer Tiefe von etwa 10 mm auf den Knochen, hinter dem Ansatz
der tiefen Portion des M. temporalis. Dem Knochen entlang gleitet sie nun
weiter und gelangt dabei an die Außenfläche des M. pterygoideus internus
und hart außen am Nervus lingualis vorbei, der hier dem Knochen fast
anliegt. Nun folgt bereits die Crista colli, über die die Nadel hinweg-
gleitet, um an die Stelle des Sulcus zu gelangen. Es hängt jetzt ganz von
der Ausbildung der Leiste ab, ob die Nadel mit dem Knochen an der Stelle
des Sulcus in Kontakt tritt oder nicht. Ist die Leiste nämlich stark aus-
geprägt, dann lenkt sie die Nadel ab und die Nadel trifft den Knochen ent-
weder erst nahe dem hinteren Rande des Astes oder gar nicht mehr und
dringt dann hinter ihm in die Tiefe. Da nun hinter der Mandibula, in die
Grlandula parotis eingebettet, die Arteria carotis externa, die Vena facialis
posterior und endlich auch der Nervus facialis verlaufen, also alles Ge-
bilde, mit denen man nicht in Konflikt geraten soll, so muß man ein Ab-
gleiten der Nadel in die Tiefe unbedingt vermeiden. Dies gelingt nun ge-
wöhnlich leicht dadurch, daß man die Nadel steiler gegen den Knochen
stellt, wenn man nach Überschreiten der Crista colli den Knochen nicht
wieder erreicht.
Ist die Nadelspitze aber in den Sulcus vorgedrungen, dann liegt sie
bei geöffnetem Munde gerade lateral vom Stamme des Nervus alveolaris
inferior oder ein klein wenig hinter dem Nerven. Da es sich dabei um
die Stelle knapp oberhalb des Foramen mandibulare handelt, ist natürlich
auch die Distanz zwischen Nerven und Knochen eine sehr geringe. Die
Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 157
Stelle selbst entspricht dem unteren schmalen Ende des Spatium pterygo-
mandibulare und ist dementsprechend von lockerem Bindegewebe ausge-
füllt. An den hinteren Umfang des Nerven angeschlossen verlaufen Arteria
und Vena alveolaris inferior, die bei der Führung der Nadel längs des
Knochens wohl selten in Gefahr kommen.
“< Die Injektionstechnik ergibt sich aus den anatomischen Tatsachen
mit logischer Konsequenz. Sie schließt sich an die Seidelsche Methodik
an, weicht aber insoferne von ihr ab, als einerseits der Einstichpunkt
hinter die Crista temporalis verlegt, andrerseits den Tastbefunden am
Wegende besondere Beachtung geschenkt wurde.
-~ Man tastet bei weitgeöffnetem Munde an der rechten Seite des
Patienten mit dem linken Zeigefinger, an der linken Seite des Patienten
mit dem rechten Zeigefinger den vorderen Rand des Processus coronoideus,
indem' man dabei an der Außenfläche des Alveolarfortsatzes der Linea
obliqua nach hinten und oben folgt. Innen von diesem scharfen Knochen-
rand fühlt man eine stumpfere Erhebung, die Crista temporalis mandibulae,
zwischen beiden die Fovea retromolaris. Nun legt man den Finger so in die
Fovea retromolaris, daß er den Kauflächen der unteren Molaren aufliegt
und mit seiner Spitze in die Fovea selbst zu liegen kommt. Dann berührt
er gleichzeitig den vorderen Rand des Processus coronoideus und die Crista
temporalis mandibulae. Knapp hinter der letzteren wird nun über dem
Fingernagel eingestochen, wobei man die Spritze quer stellt, um den
Knochen sofort zu erreichen. Jetzt wird die Spritze so gedreht, daß die
Nadel mit der Richtung des Knochens einen spitzen Winkel bildet, daß
also das freie Spritzenende gegen die Seite der Injektion bewegt wird. In
dieser Stellung schiebt man die Nadel entlang dem Knochen in stetem
Kontakt mit ihm vor, bis man in einer Tiefe von etwa 1!/.cm die Nadel
deutlich über die. Crista colli gleiten fühlt. In diesem Augenblick wird
die Nadel etwas zurückgezogen, möglichst quergestellt — soweit dies die
Spannung des Musculus pterygoideus internus erlaubt — und wieder über
die Crista colli hinweg in den Sulcus vorgestoßen. Je stärker ausgeprägt
die Crista colli ist, und dies läßt sich bei einiger Übung leicht abschätzen,
um so mehr soll die Spritze mit ihrem freien Ende gegen die gesunde Seite
gedreht werden. Stößt die Nadel im Sulcus colli auf den Knochen, so ent
leett man langsam die Spritze.
Kann man, wie dies z.B. bei alten Leuten vorkommt, an der Jinen
fläche des Astes mit der Nadel kein deutliches Relief tasten, weil hier eben
durch die Atrophie des Kiefers die Crista colli verstrichen ist, oder macht
eine besonders starke Schrägstellung des Astes das Abtasten der Knochen-
fläche unmöglich — Fälle, die zu den Seltenheiten gehören —, so muß mán
entweder annähernd an die Stelle des Sulcus, also in einer Entfernung von
Österr. 7.eitschrift für Stomatologie. 1A
EDR Harry Sicher.
1!/s cm binter der Crista temporalis injizieren, oder man unterbricht die
Injektion und führt sie perkutan durch.
Daß die Anästhesie deg Nervus alveolaris inferior nicht genügt, um
den Unterkiefer unempfindlich zu machen, ist bekannt. Versorgt doch der
Nervus lingualis mit seinen Rami alveolares die Schleimhaut an der Innen-
fläche, der Nervus buceinatorius ein Stück der Schleimhaut an der Außen-
fläche des Kiefers. Während man den Nervus buccinatorius gesondert auf-
suchen muß, ist der Nervus lingualis bei der Vornahme der Hauptinjektion
leicht zu erreichen. Die Nadel dringt ja, wie früher beschrieben wurde,
knapp am Nervus lingualis vorbei, zwischen ihm und dem Knochen in die
Tiefe. Man muß also nur entweder beim Vorschieben der Nadel oder beim
Zurückziehen etwa 1 cm vor der Crista colli ein zweites Depot anlegen, um
auch die Leitung des Nervus lingualis zu unterbrechen.
Die Injektion an den Nervus buecinatorius geschieht, wie ich dies
anderen Ortes beschrieben habe, knapp vor dem vorderen Rande des Pro-
cessus coronoideus in der Höhe der Kauflächen der oberen Molaren naeh
Durchstechung von Schleimhaut und Musculus buceinatorius.
Ich glaube, daß die geschilderte Methode, weil sie eben wirklich aus
der genauen anatomischen Untersuchung der Gegend abgeleitet ist, wohl
die größte Sicherheit für das Gelingön der Injektion bietet. Sie ist vor
allem auch wie keine andere geeignet, die individuellen Variationen zu
parieren. Besonders aber möchte ich noch den Umstand betonen, daß sie
-meiner Erfahrung nach auch rascher gelernt wird als andere, selbstredend
auch im Paul au breiteste anatomische Basis gestellt.
"Tafelerklärung:
Figur 1.
Unterkiefer von innen gesehen.
C. o. = Crista colli mandibulae.
C. l. = Crus laterale,
C. m. = Crus mediale der
Cr. t. = Crista temporalis mandibulae.
F. r. = Fovea retromolaris.
L = Lingula. .
L. m. = Linea mylohyoidea.
M. a. = Margo anterior des Ramus man-
dibulae.
S. e. = Sulcus colli mandibulae.
S. m. = Sulcus mylohyoideus.
T. r. = Trigonum retromolare.
Figur 2.
Ansatz der Sehne des Musculus temporalis
von innen gesehen.
F. r. = Fovea retromolaria.
P. p. = Pars profunda des M. temporalis.
P.s. — Pars superficialis des M. temporalis.
Figur 3.
Verzweigung des dritten Trigeminusastes
von innen präpariert. Aus dem: Musculus
pterygoideus internus ist ein Stück aus-
geschnitten, um die außen von ihm ge-
legenen Nerven zu zeigen.
. c. = Arteria carotis communis.
. e., = Arteria carotis externa.
. 1. = Arteria carotis interna.
= Arteria lingualis.
. e. — Arteria maxillaris externa.
.8. = Arteria thyreoidea superior.
ae — Corpus adiposum buccae.
‚sm. = Ductus submaxillaris.
Nahh hah
aa
Q ~
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. em. = Glandula submaxillaris.
. pt. = Hamulus pterygoideus.
. sphm. = Ligamentum sphenomandibu-
lare.
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Harry Sicher: Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc.
Fig. 1
Fig. 2
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien Druck von Gottlieb Gistel & Cie.. Wien
Tafel II
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 17. Jahrg., Heft 7
Harry Sicher: Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc.
Fig. 3
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Harry Sicher: Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc.
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Tafel VI
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 17. Jahrg., Heft7
Harry Sicher: Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc.
Fig. 9
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’erlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien
Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc.
L. stm. = Ligamentum stylomandibulare.
M. d. = Musculus digastricus.
M. m. = Musculus mylohyoideus.
M. pt. i. —= Musculus pterygoideus internus.
N. a. = Nervus accessorius.
N. a. #. = Nervus alveolaris inferior.
N. at. = Nervus auriculotemporalis.
N. b. = Nervus bucecinatorius.
N. gl. = Nervus glossopharyngeus.
N. k. — Nervus hypoglossus.
N. I. = Nervus lingualis.
N. m. = Nervus mylohyoideus.
N. v. = Nervus vagus.
P. p. = Pars profunda des M. temporalis.
P. 8. = Pars superficialis des M. temporalis.
V. j. ¿ = Vena jugularis interna.
Figur 4.
Spatium pterygomandibulare von hinten-
her dargestellt.
M. p. e. = Musculus pterygoideus externus.
M. p. i. = Musculus pterygoideus internus.
N. a. ií. = Nervus alveolaris inferior. `
. 3. = Nervus lingualis.
.p. m. = Spatium pterygomandibulare.
Figur 5 und 6.
Verhalten des Nervus alveolaris inferior
zum Knochen bei geschlossenem (5) und
geöffnetem (6) Munde.
C. e. = Crista colli mandibulae.
N. a. 3. = Nervus alveolaris inferior.
N. l. — Nervus lingualis.
Figur 7.
Medianschnitt durch den Schädel eines
alten Mannes. Die Zunge ist abwärts
geschlagen.
Pi. glp. = Plica glossopalatina.
Pi. php. = Plica pharyngopalatina.
Pl. ptm. = Plica pterygomandibularis.
T = Tonsilla palatina.
159
Figur 8.
An der anderen Hälfte des Bchädels der
Figur 7 wurde durch Abtragung der
Schleimhaut die Wangen- und Pharynx-
muskulatur freigelegt.
G. st. = Qlandula sublingualis.
G. sm. = Glandula submaxillaris.
M. b. = Musculus buccinatorius. -
M. bph. = Musculus buccopharyngeus und
mylopharyngeus.
M. m. = Musculus mylohyaideus.
M. st g. = = Musculus styloglossus.
N. l. = Nervus lingualis.
R. ptm. = Rhaphe pterygomandibularis.
T= Tonsilla palatina.
Figur 9:
Schnitt durch einen Schädel bei geöf-
netem Munde dureh die Ebene der In-
jektion der Mandibularanästhesie.
A. c. e. = Arteria carotis externa.
. į. = Arteria carotis interna.
= Glandula parotis.
m. = Ligamentum sphenomandihu-
are.
= Musculus buccinatorius.
= Musculus buccopharyngeus.
= Musculus pterygoideus internus.
= Nervus alveolaris inferior.
— Nervus facialis (vor seinem Aus-
tritt aus dem Kanal).
= Nervus lingualis.
X, X, XII = Nervus glossopharyngeus,
vagus, hypoglossus.
N. XI = Nervus accessorius.
R. ptm. = Rhaphe pterygomandibularis.
T = Tonsilla palatina.
T. p. = Pars profunda der Sehne des M.
temporalis.
V. f. p. = Vena facialis posterior.
V. j. 1. = Vena jugularis interna.
>
Hd
z= Burke Mon
Ar nes Se
Zur Anatomie und Technik der Injektion an den
Stamm des II. und III. Trigeminusastes. ')
Von Dr. Harry Sicher.
(Mit 6 Figuren.) |
M. H.! Wenn ich als Thema meines heutigen Vortrages die Leitungs-
anästhesie an den Stämmen des II. und III. Trigeminusastes gewählt habe,
nn nn
!) Nach einem Vortrage, gehalten im Verein Wiener Zahnärzte
15*
160 | Harry Sicher.
G
so bin ich mir wohl bewußt, daß es nach. Ansicht vieler über den Rahmen
zahnärztlicher Eingriffe hinausgeht. Es ist nun gerade meine Absicht,
dieses Bedenken zu entkräften einerseits durch die Besprechung der In-
dikationsstellung, andrerseits aber durch die Besprechung der Technik.
Soll erstere die Notwendigkeit dieser Verfahren, wenn auch nur in ein-
zelnen Fällen zeigen, so soll letztere die Furcht vor zu großen Schwierig-
keiten oder Komplikationen beseitigen.
Ich muß zunächst eine Ansicht hier wiederholen, die ich bereits mehr-
mals zu betonen Gelegenheit hatte, und an welcher ich unverändert fest-
halte. Es ist dies die unbedingte Notwendigkeit, bei entzündlichen Ver-
änderungen eines Gewebes diese Stelle bei der Injektion zu vermeiden.
Für unser Spezialgebiet angewendet, heißt dies, daß entzündliche Verände-
rungen von Periost und Schleimhaut — im Gefolge einer Periodontitis
z, B. — für die Anästhesie eine unbedingte Kontraindikation abgeben, wenn
der Einstich oder das Depot im Bereiche der entzündeten Partien gelegen
ist. Das gilt nicht nur für den Abszeß, sondern auch für die Infiltration
der Schleimhaut. Diese Kontraindikation leitet sich nicht so sehr davon ab,
daß der Einstich und die Injektion in das entzündete Gewebe besondere
schmerzhaft sind, auch nicht gerade davon, daß die bei der Entzündung
immer vorhandene Hyperämie das Gelingen der Injektion in Frage stellt.
Gerade in letzter Zeit wurde ja der Vorschlag’ gemacht, bei Periostitis der
Zähne mit alleiniger Ausnahme von Abszedierung die lokale Anästhesie
sensu strictiori mit einer Lösung durchzuführen, die 4% Novokain ent-
hält. Die Erfolge, die Kneucker mit dieser Flüssigkeit, die er aus den
Novokain-Suprarenintabletten herstellt, erzielen konnte, gehen aber meiner
Meinung nach viel eher auf den gleichzeitig aufs Doppelte erhöhten Adre-
nalingehalt zurück.) Wie dem aber auch sein mag, jedenfalls ist die
„lokale“ Injektion bei infiltrierter Schleimhaut vor allem anderen
deswegen kontraindiziert, weil wir mit der Injektion
in ein von eitererregenden Keimen durchsetztes
Gebiet eine Propagation der Keime in die Blut oder
Lymphbahn bewirken können, ein Umstand, auf den ja schon
öfters hingewiesen wurde. Wenn ein solcher Zufall auch gewiß zu den
Seltenheiten gehört, muß uns unter allen Umständen allein schon die
Möglichkeit, daß wir durch unsere Injektion eine Sepsis hervorrufen
könnten, eine solche Injektion aufs eindringlichste verbieten.
Nun müssen wir uns nur vor Augen halten, wie wir einer solchen
entzündeten Schleimhautstelle ausweichen können. Zunächst ist die Ent-
?) Demnächst werde ich in dieser Zeitschrift des Näheren auf das
Kneuckersche Verfahren zu sprechen kommen.
Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 161
zündung fast immer auf die Gegend der Wurzelspitze des betreffenden .
Zahnes beschränkt, wenn ich die häufigste Ursache der Schleimhauterkran-
kung, eben die Periodontitis, betrachte. Dann ist jene Art der Injektion
kontraindiziert, die man allgemein als lokale Anästhesie s. str. bezeichnet,
die aber weit eher den Namen Plexusanästhesie verdient, weil
sie die Nervenleitung im Plexus dentalis unterbricht. Wir sind dann ver-
pflichtet, die zum Plexus ziehenden Nervenstämme aufzusuchen, also
eine Stammanästhesie auszuführen, die früher schlechtweg als
Leitungsanästhesie benannt wurde. In den ersten Stadien einer Entzün-
dung kommen wir auch mit der Stammanästhesie überall aus. Breitet
sich die Infiltration aber weiter aus, dann erreicht sie bald jene Stellen,
an welchen bei einzelnen Arten der Stammanästhesie die Einstiche liegen.
Dies gilt vor allem für den ÖOberkiefer. Hier liegen die Einstichstellen
für die intraorale Anästhesie am Tuber maxillare (Nn. alveolares superiores
posteriores) und im Canalis infraorbitalis (Nn. alveolares superiores ante-
riores) in der Übergangsfalte, die eine in der Molaren-, die andere in
der Schneidezahngegend, beide also gar nicht weit ab von, der Wurzel-
spitzenregion der betreffenden Zähne. Während wir zur Anästhesie der
vorderen Alveolarnerven noch die perkutane Methode zur Verfügung haben,
deren Einstich direkt über dem Foramen infraorbitale, also etwa 1/3 cm
unterhalb des Margo infraorbitalis liegt und demgemäß von den Zähnen
doch recht weit entfernt ist, müssen wir auf die Tuberanästhesie bereits
verzichten, wenn ein entzündlicher Prozeß der Molarengegend auch nur
etwas größere Dimensionen annimmt. Natürlich wird auch die perkutane
Injektion in den Canalis infraorbitalis nur so lange möglich sein, als
die Infiltration mindestens 10 mm weit vom Margo infraorbitalis entfernt
bleibt.
- Ähnlich ungünstig liegen die Verhältnisse auch am Gaumen, wo der
Einstich an das Foramen palatinum posterius majus nur etwa 10—15 mm
vom Zahnfleischrand des vorletzten Molaren gelegen ist; ganz das gleiche
gilt für die Anästhesie des N. nasopalatinus.
Während hingegen im Unterkiefer die Stelle, an welcher der Einstich
für die Anästhesie des N. alveolaris inferior zu finden ist, nur in extremen
Fällen von Infiltraten erreicht wird, tritt hier ein anderes Moment störend
ein. Es ist dies die mit Entzündungen in der Molarengegend so oft ein-
hergehende Kieferklemme, die entweder ein Eingehen mit der Injektions-
spritze oder aber bei geringerem Grade doch oft eine Orientierung durch
das Tasten unmöglicht macht. Nun kann zwar in vielen Fällen hier die
perkutane Anästhesie des Unterkiefernerven einen vollwertigen Ersatz ab-
geben. Doch kann auch diese Injektion dann kontraindiziert sein, wenn
162 2: Harry Sicher.
- Schwellungen der submaxillaren, hinteren Lymphdrüsen, die unterhalb des
Kieferwinkels liegen, die lokale Entzündung komplizieren.
Es gibt also genug Fälle, in denen man mit den gebräuchlichen
Stammanästhesien nicht auskommt, wenn man nicht durch infiziertes Ge-
biet durchstechen will, was meiner Meinung nach absolut kontraindiziert
ist. In diesen Fällen hat man nun die Wahl zwischen allgemeiner Narkose
oder einer Anästhesie, die den Trigeminusast weiter zentralwärts erreicht.
Wenn wir nun auch besonders in dem Chloräthyl ein relativ un-
gefährliches und leicht applizierbares Narkotikum haben, das für der-
artige kurzdauernde Eingriffe ausgezeichnete Dienste leistet, so erfordert.
die allgemeine Narkose doch die Anwesenheit eines geübten Narkotiseurs,
ist also dadurch etwas umständlich. Zu mindestens ist daher für jene Fälle,
in denen eine Assistenz nicht rechtzeitig aufzutreiben ist, eine Methode
vonnöten, die den Operateur selbständig macht. Und daß natürlich über-
dies die lokale Anästhesie auch einer kurzdauernden allgemeinen Narkose
vorzuziehen ist, braucht ja nicht besonders erwähnt zu werden. Es .ist
daher wohl begreiflich, daß eine Reihe von Autoren die Anästhesie am
Stamme der Trigeminusäste auch für die Anwendung in der Zahnheil-
kunde propagiert haben. Daß ich diese Frage nochmals behandle, hat aber
seine Begründung in folgendem: Für die Anästhesie des II. Trigeminus-
astes existieren drei Typen von Technizismen, von denen zumindest
zwei noch jetzt vertreten werden. In der vorliegenden Besprechung will
ich aber zu zeigen versuchen, daß nur einer der Wege mit Sicherheit
gangbar ist. Für die Anästhesie des III. Astes dagegen möchte ich eine
neue Modifikation der Technik angeben, die meiner Meinung nach die
Schwierigkeiten der Injektion ganz wesentlich verringert.
Wir beginnen daher zunächst die Besprechung der Anästhesie des
II. Trigeminusastes an seiner Austrittsstelle aus der Schädelhöhle,, das
ist also am Foramen rotundum in der Fossa pterygopalatina.
Die Flügelgaumengrube, die Verteilungsstelle des II. Trigeminus-
astes und des Endteiles der Arteria maxillaris interna, liegt in der Tiefe
des Schädelskeletts zwischen Vorderfläche des Processus pterygoideus des
Keilbeins und Hinterfläche der Maxilla, dem Tuber maxillare. Sie ist
nach innen gegen den hintersten Abschnitt der Nasenhöhle geschlossen durelr
die vertikale Lamelle des Os palatinum, nach außen öffnet sie sich durch
einen zwischen Processus pterygoideus und Tuber maxillare gelegenen
länglichen Spalt — Hiatus sphenomaxillaris — gegen die Fossa infra-
temporalis. Die Fossa pterygopalatina selbst stellt einen engen länglichen
Raum vor, der oben erweitert ist, unten jedoch, sich allmählich ver-
schmälernd, in den Canalis pterygopalatinus übergeht, der in die Mund-
höhle führt. Durch den Canalis rotundus — fälschlich, wie ähnliches auch
Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 163
an anderen Stellen geschieht, als „Foramen“ bezeichnet — gelangt in die
Flügelgaumengrube der II. Ast des Trigeminus, Ramus maxillaris. Er zer-
fällt hier in seine Äste, die zum Teil über das Ganglion sphenopalatinum,
das hier seiner Innenseite angelagert ist, weiter ziehen. Das Ganglion
selbst erhält hier außer den vom Trigeminus kommenden sensiblen Fasern
Fig. 1.
Fossa pterygopalatina durch Fortnahme des Jochbeines eröffnet.
C. pip. = Canalis pterygopalatinus (rondiert).
F'. o. = Foramen opticum.
F. r. = Sonde im Foramen (Canalis) rotundum.
F. sph. = Foramen ephenopalatinum.
der Nervi sphenopalatini noch motorische und sympathische Wurzeln, die
ihm der Nervus pterygoideus Vidii zuleitet; dieser betritt die Fossa pterygo-
palatina durch die vordere Öffnung des gleichnamigen Kanals, die innen
und unterhalb der Öffnung des Canalis rotundus gelegen ist. Die Haupt-
äste des R. maxillaris sind die folgenden:
164 Harry Sicher.
1. Nervi nasales posteriores laterales et septi, die durch das Foramen
sphenopalatinum, im obersten Anteil des Os palatinum gelegen, die Nasen-
höhle betreten. Einer von ihnen läuft als Nervus nasopalatinus Scarpae
bis zum Canalis incisivus nach vorne und unten, durch den er in die
Mundhöhle eintritt.
2. Nervi palatini (descendentes), die durch den Canalis Sense:
palatinus abwärts verlaufen, der in die Mundhöhle durch das Foramen
palatinum majus und 2—3 Foramina minora ausmündet.
3. Der Nervus infraorbitalis, der in seinem Verlaufe alle oberen
Zahnnerven abgibt, verläßt die Fossa pterygopalatina durch die Fissura
orbitalis inferior dort, wo sie den Hiatus sphenomaxillaris erreicht, legt
eich auf den oberen Rand des Tuber maxillae und verläuft von hier am
Orbitalboden weiter vorwärts.
Die Arteria maxillaris interna betritt durch den Hiatus spheno-
maxillaris die Fossa pterygopalatina, aus der Fossa infratemporalis
kommend, und zwar in nächster Nähe des N. infraorbitalis, also im obersten
Anteil derselben. Ihre wichtigsten Endäste Aa. nasales posteriores, A. pala-
tina descendens und A. infraorbitalis folgen den gleichnamigen Nerven.
Aus dieser kurzen Beschreibung des Nerven- und Gefäßverlaufes
lassen sich am besten und übersichtlichsten die Kommunikationen der
Fossa pterygopalatina mit den anderen Gruben und Höhlen des Schädels
ableiten. Daraus ergibt sich auch bereits die Zugänglichkeit der Flügel-
gaumengrube behufs Anästhesie des darin gelegenen Nervenstammes.
Diese ist eine dreifache. Von der Mundhöhle aus kann man längs
des Tuber maxillare, nach oben und innen vordringend, durch den Hiatus
sphenomaxillaris die Fossa pterygopalatina erreichen. Vom Gesichte aus
führt der eine Weg längs des Orbitalbodens durch die Fissura orbitalis
inferior, der zweite von der Wange aus längs des Tuber maxillae und
durch den Hiatus sphenomaxillaris zum II. Trigeminusast. Alle drei Wege
werden auch jetzt noch zur Ausführung der Anästhesie am Ramus maxil-
laris trigemini angegeben.
Die intraorale Methode hat zwei Nachteile, die ihre praktische An-
wendung verbieten. Zunächst liegt der Einstichpunkt im hintersten,
ganz unzugänglichen Gebiet des Vestibulum oris und ist daher: noch viel
weniger keimfrei zu machen als irgend eine andere offen zugängliche Stelle
der Mundhöhlenschleimhaut. Dabei führt aber gerade hier der Weg der
Nadel bis an diè Schädelbasis, von wo durch Foramen rotundum: und
Fissura orbitalis superior der Weg an die Dura mater encephali offen
steht. Also gerade hier kann eine Infektion des Stichkanales von den
ernstesten Folgen begleitet sein.
Zur Anatomie und Technik des Injektion etc. 165
Abgesehen davon aber ist ein Vordringen um die Konvexität des
Tuber maxillae bis in den Hiatus sphenomaxillaris nur durchführbar, wenn
man zur Injektion eine gebogene Nadel verwendet. Von der Anwendung
solcher Nadeln aber kann nicht eindringlich genug abgeraten werden.
Auch eine leichte Krümmung verhindert nämlich bereits das sichere Tasten
in der Tiefe, also gerade jene Handlung, auf deren Durchführung meiner
Meinung nach eine exakte Tiefeninjektion überhaupt fundiert sein muß.
Bei der Führung einer gebogenen Nadel in die Tiefe ist erfahrungsgemäß
ein Abweichen der Spitze ein unkontrollierbares Ereignis, das natürlich
die Injektion außerordentlich erschwert oder sogar unmöglich macht. Alle
Bewegungen, die beim Vorwärtsgleiten längs eines rauhen Knochens schon
bei einer geraden, starren Nadel nicht leicht sind, sind mit einer gebogenen .
Nadel ungleich schwieriger. Ich bin daher mit anderen Autoren einer
Meinung, die die intraorale Injektion an den II. Trigeminuseast verwerfen.
Die zweite Methode, die den Weg durch die Orbita und die Fissura
orbitalis inferior wählt, wurde nach einer Anregung von Payr vor allem
von Härtel ausgearbeitet und empfohlen. Die späteren Autoren haben
meistens deshalb andere Wege eingeschlagen, weil sie den unangenehmen
psychischen Einfluß auf den Patienten vermeiden wollen, den ein Einstich
in die Augenhöhle hervorruft. Dabei aber betonen einzelne, daß gerade
dieser Weg eigentlich der ideale wäre. Dieser Meinung nun kann ich mich
durchaus nicht anschließen und muß aus rein: anatomischen Gründen von
der transorbitalen Methode auf das entschiedenste abraten.
Betrachtet man die Orbita von vorne her, so daß die Blickrichtung
mit der Orbitalachse zusammenfällt, so sieht man im Hintergrunde die
beiden Augenhöhlenspalten, Fissura orbitalis superior und inferior, die
nach medial konvergent eingestellt sind und medial nur durch eine schmale
Knochenspange des großen Keilbeinflügels voneinander getrennt sind.
Über dem inneren, verbreiterten Ende der Fissura orbitalis superior, von
ihm auch nur durch eine wenige Millimeter breite Knochenbrücke getrennt,
mündet der Canalis opticus in die Orbita. |
Die Fissura orbitalis inferior ist nun in sehr variabler Weise aus-
gebildet; es richtet sich ihre Gestalt scheinbar nach der wechselnden Aus-
bildung der Maxilla, die wiederum zweifellos von der Größenentwicklung
des Sinus maxillaris abhängig ist. Bei großem Sinus und daher mächtig
vorgetriebenem Tuber maxillae rückt nämlich der stumpfe Rand, der das
Tuber von der orbitalen Fläche des Kieferkörpers trennt, höher hinauf.
Er kann in das Niveau der Crista infraorbitalis gelangen, ja sogar höher
zu liegen kommen als diese Leiste. Die Crista infraorbitalis ist jene
Knochenleiste, die am großen Keilbeinflügel die der Orbita zugekehrte
Facies orbitalis von jener trennt, die die hintere Wand der Fossa pterygo-
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16
166° Harry Sicher.
palatina bildet und nach Spee den Namen Facies sphenomaxillaris
führt. Crista infraorbitalis und oberer Rand des Tuber maxillae begrenzen
aber die Fissura orbitalis inferior. Diese Spalte wird demgemäß weiter
oder enger sein, je nachdem der obere Rand des Tuber tiefer oder höher
gelegen ist. Liegt er tief, tiefer als die Crista infraorbitalis, dann be-
kommt man bei der Ansicht von vorne auch einen mehr minder großen
Anteil der unter der Crista infratemporalis gelegenen Facies sphenomaxil-
Fig. 2. Fig. 3.
Orbita von vorne gesehen. Orbita von vorne.
C. i. o. = Crista infraorbitalis. F. o. = Foramen opticum.
F. o. = Foramen opticum. F. o. i. = Fissura orbitalis inferior.
F. o.i. = Fissura orbitalis inferior. F. o. s. = Fissura orbitalis superior.
F. o. $s. = Fissura orbitalis superior.
F. r. = Foramen rotundum.
F. sph. = Facies sphenomaxillaris des
großen Keilbeinflügels.
laris zu Gesicht und damit die auf derselben Fläche gelegene vordere
Mündung des Canalis rotundus (Fig.2); je weiter aber der obere Rand
des Tuber nach oben rückt, desto kleiner wird das von vorne sichtbare
Feld der Facies sphenomaxillaris des Keilbeins, und bei einer bestimmten
Höhe verschwindet das Foramen rotundum aus dem Gesichtsfeld (Fig. 3).
Schon Härtel war dieses Verhalten aufgefallen und er sagt, daß in
11% der Fälle das Foramen rotundum wegen großer Enge der Fissura
orbitalis inferior durch die Orbita nicht zu erreichen ist. Merkwürdiger-
weise hat er aber daraus keine Konsequenzen gezogen.
Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 167
Meine eigenen Untersuchungen an 100 Schädeln des Wiener ana-
tomischen Museums, von denen etwas mehr als die Hälfte aus Niederöster-
reich, die anderen aus Böhmen, Galizien, Polen und Rußland stammten,
‘ergaben aber überraschender Weise ein von Härtel völlig abweichendes
Resultat. Hier lag nämlich in 60 Fällen (= 60%) die vordere Mündung
des Canalis rotundus unterhalb des Orbitalbodens, war also durch
die Orbita von vorne her nicht zu sehen, in 25 Fällen lag sie gerade im
Niveau des Orbitalbodens, in nur 11 Fällen über diesem.. 4 Schädel zeigten
ein asymmetrisches Verhalten, indem auf der einen Seite das Foramen
über, auf der anderen unter dem Orbitalboden lag. Wie die Differenz in
Härtels und meinen Resultaten zu erklären ist, kann ich nicht angeben.
Vielleicht spielen hier Rassenunterschiede eine Rolle.
Wir müssen uns jetzt überlegen, wohin die längs des Orbitalbodens
nach hinten geführte Nadel gleitet, wenn das Foramen rotundum unter
dem Niveau des Orbitalbodens liegt. Es ist ohne weiteres klar, daß die
Richtung der Nadel dann gegen das erweiterte innere Ende der Fissura
orbitalis superior weist, das ja nur durch eine 2—3 mm dicke Knochen-
spange von der vorderen Mündung des Canalis rotundus getrennt ist.
Dann aber kommen nicht nur die Augenmuskelnerven in Gefahr, die hier
durchtreten, sondern, was viel wichtiger ist, die Nadel folgt dann dem
Verlaufe der Vena ophthalmica superior durch die Fissura orbitalis superior
gegen den Sinus cavernosus, in welchen sich die Vene ergießt. Im Sinus
cavernosus selbst aber liegt die Arteria carotis interna.
Mir erscheinen daher die Gefahren bei der Vornahme der trans-
orbitalen Leitungsanästhesie des II. Trigeminusastes wegen der Varietäten
der Fissura orbitalis inferior so große zu sein, daß ich nicht anstehe,
diesen Weg für ungangbar zu erklären.
Es bleibt daher nur der dritte Weg, der von der Wange aus über
das Tuber maxillare durch den Hiatus sphenomaxillaris in die Fossa
pterygopalatina führt.
Im allgemeinen liegt hier der Einstichspunkt unterhalb der vorderen
Partie des Jochbogens. Nach Braun (Matas) in dem Winkel zwischen
unterem Jochbogenrand und Maxilla’ (Crista zygomaticoalveolaris), nach
Kantorowicz gerade unterhalb jenes Winkels, der am oberen
Jochbogenrand zwischen Processus temporalis und sephenofrontalis des
Jochbeins immer deutlich gefühlt werden kann. Der erste Einstichpunkt,
der am weitesten vorne gelegen ist, hat den Nachteil, daß bei etwas
stärker vorgewölbtem Tuber maxillare die Nadel weit hinter dem Hiatus
sphenomaxillaris auf die laterale Fläche des Processus pterygoideus auf-
trifft. Die zweite angegebene Technik dagegen läßt die Nadel in fast
querer Richtung in die Fossa pterygopalatina eindringen. Das hat nun
16*
168 Harry Sicher.
eine Gefahr, die ja gewiß selten realisiert werden dürfte, aber doch zu
bedenken ist. Es kann nämlich dann die Nadel, die ja in leicht nach oben
geneigter Richtung eingestochen wird, an der inneren Wand der Grube
das Foramen sphenopalatinum treffen und gelangt dann in die Nasen-
höhle; dies wäre vor allem deswegen zu fürchten, weil dadurch beim
Fig. 4.
Einstich in die Fossa pterygopalatina.
H. sm. = Hiatus sphenomaxillaris. R. = Projektionslinie nach Rattel, deren
K. = Projektionslinie nach Kanto- Fußpunkt in diesem Falle mit dem
rowicz. Einstichpunkt nach Braun zusam-
P. sf. = Processus sphenofrontalis des menfällt.
Jochbeins. + = Einstichpunkt nach meiner Modifi-
P.t. = Processus temporalis des Jochbeins. kation.
Zurückziehen der Nadel der Stichkanal durch die auf der Nasenschleimhaut
wachsenden Bakterien infiziert werden könnte, ganz abgesehen davon, daß
natürlich die Injektion wirkungslos bleibt, ein Umstand, auf den ich bereits
anläßlich eines Referates und später Rattel hingewiesen hat. Einen
Mittelweg und meiner Meinung nach den relativ besten schlägt daher
Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 169
Rattel ein. Er zieht die vertikale Tangente an den äußeren Orbital:
rand und sticht an der Kreuzungsstelle dieser Vertikalen mit dem unteren
Jochbogenrand die Nadel ein. Gewöhnlich liegt nun zwar dieser Punkt
zwischen den von Braun und Kantorowicz angegebenen Einstich-
stellen. Manchmal fällt er aber mit dem B ra un schen zusammen (Fig. 4):
Ich glaube nun, daß man am allerbesten den Einstichpunkt derart
wählt, daß man sich die Punkte von Braun und Kantorowicz
bestimmt und dann gerade in der Mitte zwischen beiden einsticht. Man
tastet also einerseits den Winkel zwischen Jochbein und Maxilla, andrer-
seits den Winkel am oberen Jochbeinrand zwischen seinem horizontalen
und vertikalen Fortsatz und bestimmt dessen Projektion auf den unteren
Jochbogenrand.: Gerade in der Mitte zwischen beiden Punkten wird die
Nadel eingestochen und nach innen und etwas nach hinten und oben ge
führt. Sie trifft in etwa 3—4Acm Tiefe auf die Hinterwand der Maxilla,
auf das Tuber maxillare. Hier entleert man zweckmäßig einige Tropfen
der Injektionsflüssigkeit, um das Vordringen längs des Knochens schmerz-
los zu bewerkstelligen. Nun tastet man sich längs des Tuber weiter, ver-
liert bald den Kontakt mit dem Knochen und gleitet in 5—6cm Tiefe
in die Fossa pterygopalatina. Dies erkennt man vor allem aus den jetzt
auftretenden ausstrahlenden Parästhesien, die sich auf den Gaumen be-
schränken, wenn die Nadel etwa in die Mitte der Grube auftrifft, die aber
Zähne und Lippe und Wange betreffen, wenn der obere Anteil der Flügel-
gaumengrube erreicht wird. Dies hängt von dem Neigungswinkel der
Nadel zur Horizontalen ab.
Ist jedoch das Tuber maxillae besonders kräftig ausgebildet, dan
wird: auch bei dieser Methode die Möglichkeit bestehen, daß die Nadel
hinter den Hiatus sphenomaxillarie abgelenkt wird und nun die laterale
Lamelle des Processus pterygoideus trifft. Dies ist erstens aus dem Aus-
bleiben der Parästhesien zu erkennen und zweitens aus dem Umstand, daß
die Nadel, statt in der engen Grube fixiert zu sein, leicht längs der glatten
Knochenfläche nach hinten abgleiten kann (Rattel). Dann muß die
Nadel etwas zurückgezogen und in mehr nach vorne gewendeter Richtung
wieder vorgeschoben werden, bis sie deutlich fühlbar in die Fossa fällt.
Gerade von der Stelle, an welcher die Nadel die Fossa pterygopalatina
trifft, und zwar ist es bei der geschilderten Methode zumeist die Hinter-
wand, hängt es ab, wie lange die Wartezeit zu bemessen ist, bis die
volle Anästhesie eintritt. Je höher diese Stelle gelegen ist, desto näher
kommt man nämlich dem Foramen rotundum selbst und damit dem eigent-
lichen Nervenstamm, desto rascher tritt also die Anästhesie ein. Desto
eher aber tritt auch eine Diffusion durch die Fissura orbitalis superior
oder inferior in die Orbita ein; dies hat zwar bei der Anästhesie gar
170 Harry Bicher.
keine bleibenden Folgen, nur kommt es zu rasch vorübergehenden Läh-
mungen von Augenmuskelnerven, die sich in Anfällen von Doppeltsehen
&ußern. Auf diese Möglichkeit und ihre Harmlosigkeit soll man den Pa-
tienten unbedingt vor der Injektion aufmerksam machen. Ich siehe es
daher vor, die Neigung der Nadel über die Horizontale nur sehr gering
zu nehmen. Die in die Fossa pterygopalatina injizierte Flüssigkeit muß
dann zwar etwas größer dosiert werden — 3—4cm* — und die Warte-
seit etwas erhöht werden (bis 15 Minuten), doch treten die genannten,
zwar harmlosen, aber doch störenden Nebenwirkungen fast niemals auf.
Das anästhesierte Gebiet umfaßt den gesamten Oberkiefer
-— Zähne, Knochen, Schleimhaut — und an der äußeren Haut Oberlippe,
Wange bis zu einer Linie vom Mundwinkel bis zum äußeren Augenwinkel,
seitliche Nasenwand und unteres Augenlid.. Dazu kommt überdies der
hintere Anteil der Nase und ein Teil des vorderen Schläfengebietes.
Nur ein Umstand ist noch zu berücksichtigen, daß nämlich die Alveolar-
nerven die Mittellinie mit einigen Fasern überkreuzen und daher oft der
I. Schneidezahn nicht völlig anästhetisch ist. Dies läßt sich aber durch
die Injektion weniger Tropfen des Anästhetikums neben das Frenulum
labii euperioris — gleichgültig auf welcher Seite — leicht korrigieren.
Die ganze Injektionstechnik ist, genauere anatomische Vorstudien
vorausgesetzt, äußerst einfach. Besonders sollen am Skelett Tastversuche
mit der Nadel zuerst unter Leitung des Auges, dann blind gemacht werden.
Sie ist überdies völlig ungefährlich, absolut steriles Arbeiten aller-
dings eine Conditio sine qua non.
Die Injektion an das Foramen ovale ist meiner Meinung nach auch
ohne besondere Schwierigkeiten durchführbar und eigentlich noch unbe-
denklicher, da hier Einwirkungen auf die Orbita natürlich nicht in Frage
kommen.
‚Während die einen Autoren auch hier das Abtasten des Knochens
in der Tiefe als das wichtigste Orientierungsmittel für die Aufsuchung
des Foramen ovale, damit also des Stammes des Ramus mandibularis
trigeminus halten, ist von anderer Seite hier, wie vielleicht nirgends andere
in solchem Maße, die Methode des direkten Einstiches ausgebildet worden.
Diese Methode geht derart vor, daß von einem genau bestimmten Einstich-
punkt aus in genau bestimmter Richtung die Nadel in eine genau bestimmte
Tiefe eingestochen wird und dann ihre Spitze dem Nervenstamm anliegen
soll. Ich habe mich schon öfters gegen derartige Methoden ausgesprochen.
In diesem speziellen Falle habe ich z. B. nachgewiesen, daß von. zwei
Orientierungsgrößen, die Cieszyński angab, die eine immer falsch ist,
die andere immer nur annähernde Resultate gibt. Damit ist klar
gesagt, wie solche Methoden beurteilt werden müssen. Die Berechnungen
Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 171
ż. B. der Tiefe des Einstiches geben oft ganz gut brauchbare Orientierungs-
maße, wenn man sich dessen bewußt ist, daß sie nur
Näherungswertesind. Mit ihrer Hilfe kann dann die Operation er-
leiehtert werden, zu Ende geführt werden muß sie aber immer unter Ab-
tasten der tiefen Knochenpunkte. Nur so kann man von einer Methode
sicheres (Gelingen erwarten.
Gerade wenn man das Tasten des Knochens in den Vordergrund
stellt, ist das Foramen ovale sehr günstig gelegen, da es sich unmittelbar
an einen sehr markanten Skeletteil anschließt. Es liegt nämlich hart hinter
der Wurzel der lateralen Lamelle des Processus pterygoideus. Gelingt
es. uns, den Processus. pterygoideus dort zu erreichen, wo er sich von
der Unterfläche des großen Keilbeinflügels abhebt, so brauchen wir nur
dieser Ansatzlinie nach hinten zu folgen, um an ihrem Ende das Foramen
ovale zu erreichen. Dabei ist die Entfernung der lateralen Lamelle des
Flügelfortsatzes von der Haut gleich der des Foramen ovale.
Diese Entfernung läßt sich annähernd recht gut bestimmen. Und
dieses Maß läßt sich wieder deshalb ganz gut verwerten, weil es uns
davor bewahrt, bei falscher Richtung am Processus pterygoideus vorbei
beliebig weit in die Tiefe zu stechen, wodurch vor allem Tube und Pharynx,
eventuell auch Carotis interna in Gefahr kommen könnte. Stoßen wir
nämlich in einer Tiefe, die etwa 5 mm das berechnete Maß übertrifft,
noth nicht auf Knochen, dann wissen wir, daß die Nadelrichtung falsch ist.
Die Berechnung dieser Entfernung geschieht am korrektesten nach
der Angabe von Offerhaus. Dieser fand nämlich, daß die Entfernung
der hinteren Enden der oberen Alveolarforteätze gleich ist der Ent-
fernung der Foramina ovalia voneinander. Dies erklärt sich anatomisch
aus:der Tatsache, daß die fast rein vertikal gestellten Processus pterygoidei
arí ihrem unteren Ende durch den Processus pyramidalis des Gaumenbeines
mit dem hinteren Alveolarfortsatzende verbunden sind, während an ihrem
oberen Ende das Foramen ovale zu finden ist. Bestimmt man nun die
Schädelbreite in der Ebene des Foramen ovale, subtrahiert davon die
Entfernung der Alveolarfortsätze und halbiert die gefundene Größe, dann
hat man die Entfernung des Foramen ovale von der Seitenfläche des
Gösichtes gefunden. Wir brauchen dazu nur noch die Kenntnis von der
Froöntalebene,:- in der das Foramen ovale gelegen ist, genauer dessen
Sagittalprojektion *?) auf die Haut. Es läßt sich am Schädelskelett nun
leicht nachweisen, daß das Foramen ovale in der Ebene des vorderen Ah-
hanges des Tuberculum articulare, also annähernd in einer Frontalebene
gelegen ist, die man vor dem Kiefergelenk durch den Schädel legt.
3) Sagittalprojektion nennt man die Projektion eines Punktes auf eine
Sagitfalebene; durch sie iet die Frontalebene des Punktes bestimmt.
172 Harry Sicher.
Während wir nach dem oben Gesagten die Methoden des direkten
Einstichese — Offerhaus, Härtel, Cieszyński — außer ächt
lassen, wollen wir die Methode Brauns erwähnen, der auch dem: Ab-
tasten des Knochens die führende Rolle zuerkennt. Braun sticht in der
Mitte des Jochbogens unterhalb desselben ein und trifft, wenn er die Nadel
frontal vorschiebt, in einer Tiefe von ca. 4—5 cm auf die laterale Lamelle
des Processus pterygoideus. Die Nadel trägt eine verschiebliche Kork-
marke, durch die die Einstichtiefe nach Erreichen des Flügelfortsatzes
fixiert wird. Nun wird die Nadel bis in die Subeutis zurückgezogen und
in leicht rückwärts gewendeter Richtung erneut auf dieselbe Tiefe vor-
gestoßen. Dann liegt die Nadelspitze hinter dem Processus pterygoideus
und somit hart am Foramen ovale. Diese Methode hat einen nicht zu
unterschätzenden Nachteil. Während man zwar die Tiefe durch das Tasten
des Flügelfortsatzes bestimmt hat, ist es nunmehr dem „Gefühl“ über-
lassen, wie groß man den Winkel nimmt, welchen beim zweiten Vordringen
die Nadel mit der Frontalen einschließt. Ist er zu klein, dann kommt
man wieder auf den Processus pterygoideus, ist er zu groß, dann sticht
man hinter dem Foramen ovale vorbei. Ich glaube nun, daß meine sofort
zu beschreibende Modifikation dieses Verfahrens, die eigentlich eine Art
Umkehr desselben darstellt, diesen Fehler vermeidet. Diese Modifikation
geht auf folgendes Verfahren zurück, das eigentlich die korrekteste Art
der Aufsuchung des Foramen ovale darstellen würde, in praxi aber nur
schwer durchführbar ist.
Sticht man eine Nadel vor dem Kiefergelenk — genauer vor dem
Tuberculum artieulare — ein und führt sie etwas nach vorne und oben,
so gleitet sie längs des Planum infratemporale nach innen, bis sie auf
die Wurzel des Processus pterygoideus aufstößt. Man tastet sich nun an
diesem Knochen langsam nach hinten, indem man die Nadel immer wieder
etwas zurückzieht und in nach hinten gewendeter Richtung wieder einsticht.
Verliert man endlich den Kontakt mit dem Knochen bei erneutem Ein-
stechen der Nadel, dann liegt ihre Spitze bereits am Foramen ovale, also
am Stamm des III. Trigeminusastes. Sie steht dabei rein frontal. Diese
Methode ist deshalb schwierig, weil in der Tiefe die Verschiebungen der
Nadel auf ziemlichen Widerstand stoßen. Man kann daher zweckmäßig
das Verfahren folgendermaßen abkürzen: Man tastet sich das Tubereulum
articulare, was leicht möglich ist, wenn man dabei die Verschiebung des
Unterkieferköpfehens beim Öffnen des Mundes zu Hilfe nimmt, wobei os
ja, wie bekannt, aus der Fossa articularis auf das Tuberculum articulare
rutscht. Nun sticht man knapp vor dem Tuberculum ein und richtet die
Nadel etwas nach oben und vorne. Sie trifft dann in einer Tiefe von etwa
3cm auf die glatte Fläche des Planum infratemporale, längs welcher sie
Zur Anatomie und Technik. der Injektion etc, 173
weitergleitet, um in einer Tiefe von 4—5 cm auf die Wurzel des Processus
pterygoideus aufzustoßen. Diese Tiefe markiert man sich an der Nadel.
Fig. 5.
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Einstich in das Foramen ovale,
s F. it. = Facies infratemporalis. P. l. = Lamina lateralis des Pro-
F. ov. = Foramen ovale. cersus pterygoideus.
H. p. = Hamulus pterygoideus. T. a. = Tuberculum articulare.
Nun zieht man die Nadel bis in die Subcutis. zurück und schiebt sie noch-
mals in rein frontaler Richtung vor. Sie gleitet wieder längs des Planum
infratemporale nach innen und liegt mit ihrer Spitze in derselben Tiefe
174 Harry Sicher. Zur Anatomie und Technik der Injektion etc.
wie vorher am Foramen ovale, also am Stamm des Nervus mandibularis,
was sich meist durch die in Unterkiefer oder Zunge ausstrahlenden Par-
ästhesien kundgibt.
Der Vorteil dieser Methode ist der, daß der Winkel, in dem die
Nadel zuerst abweichend von der Frontalen eingestochen wird, nicht von
bestimmter Größe sein muß. Dieser erste Einstich dient ja nur dazu, um
die Entfernung des Processus pterygoideus und damit des Foramen ovale
von der Haut zu fixieren. Die Richtung, in der die Nadel beim zweiten
Vordringen liegen muß, ist aber durch die Frontalebene genau bestimmt.
Die Differenz in der Entfernung von der Haut bis zum Processus ptery-
goideus einerseits, bis zum Foramen ovale andrerseits, die durch die an-
fänglich schräge Richtung der Nadel bedingt ist, ist so gering, daß sie
nicht in Frage kommt.
Ich glaube, daß es mit dieser Methode leichter und einfacher gelingt,
das Foramen ovale zu erreichen als mit den früheren.
Das anästhetische Gebiet umfaßt die betreffende Hälfte des Unter-
kiefers (mit Ausnahme der der Medianebene benachbarten Gebiete wegen
der erwähnten Anastomosen), die eine Zungenhälfte vor den Papillae
vallatae, die Wange und den größten Teil der Schläfenhaut.
Für beide Arten der Injektion an den II. und III. Trigeminusast wird
am besten eine 8cm lange, 1 mm starke Nadel und eine 5 cm? fassende
Rekordspritze verwendet; auch eine 2 cm? fassende Spritze ist ausreichend,
da sie ja, wenn nötig, zweimal gefüllt werden kann. Die Lösung ist am
besten die 2%ige Novokainsuprareninlösung, aus den bekannten Tabletten
hergestellt. In beiden Fällen ist das Einstichgebiet an der Haut zuerst
mit Hilfe einer feinen Subcutannadel zu anästhesieren.
Beide Methoden sind natürlich zunächst nur für jene Fälle gedacht,
in denen eine der üblichen Leitungsanästhesien kontraindiziert ist. Ge-
rade die erstere aber wird sich auch bei Eingriffen empfehlen, die den
ganzen Öberkiefer betreffen, da ja bekanntlich die Anästhesie eines Ober-
kiefers, abweichend vom Unterkiefer, mindestens vier Einstichpunkte er-
fordert, nämlich zur Anästhesie der vorderen und hinteren Alveolarnerven
sowie der vorderen und hinteren Gaumennerven. Die Injektion an den
Stamm des II. Trigeminusastes vereinfacht diese Anästhesie also ganz be-
deutend. Nochmals sei betont, daß beide Methoden, steriles Arbeiten
vorausgesetzt, gänzlich ungefährlich sind.
Winke für die Praxis. 175
Winke für die Praxis.
Zur Verankerung von Amalgamkonturfüllungen.
Von Dr Alfred Borschke, Zahnarzt in Wien.
(Mit 1 Figur.)
Wenn in einem Prämolaren bereits eine Amalgamkonturfüllung
(nach Black) liegt und der Zahn erkrankt im gegenüberliegenden
Zwischenraum, so macht es einige Schwierigkeit, für die neue Kontur-
füllung eine genügende Verankerung zu finden, ohne die alte zu sehr zu
schwächen. Wenn der ohnehin nicht sehr breite Kauflächenanteil zur Ver-
ankerung. der beiden Füllungen in zwei gleiche Teile geteilt wird, so ist
die Gefahr, daß die Stelle des geringsten Widerstandes unter der Kraft
des Kaudruckes versagt, eine recht große.
Die Stelle des geringsten Widerstandes liegt in der Verlängerung der
axialen Wand der Kavität, in der Figur, die einen durch beide Kontakt-
Fig 1.
punkte verlaufenden Längsschnitt durch den Zahn darstellt, in der Ver-
längerung der durch die beiden Pfeile markierten Richtung.
Es wäre nun unsere Aufgabe, den uns zur Verfügung stehenden Raum
so zu teilen, daß die Stellen des geringsten Widerstandes möglichst kräftig
bleiben. Dies kann dadurch erreicht werden, daß die zweite Füllung stufen-
förmig verlaufend in die erste gelegt wird, so wie eg z.B. durch die von
A nach B verlaufende Linie in der Figur angedeutet ist. In der nicht
abgebildeten Daraufsicht würde die neu gelegte Füllung bei B eine
schwalbenschwanzförmige Verbreiterung aufweisen, die den Kauflächen-
anteil der alten Füllung größtenteils deckt, so daß der Kaudruck haupt-
sächlich von der neuen Füllung übernommen wird. Es ist anzunehmen,
daß die Verankerung der alten Füllung, der noch eine schwalbenschwana-
förmige Verbreiterung bei A geblieben ist, und die an der Stelle des ge-
176 Referate und. Bücherbesprechungen.
ringsten Widerstandes nur wenig geschwächt wurde, dem verminderten
Kaudrucke standhalten wird.
Ist aus irgend einem Grunde ein Zweifel vorhanden, daß die Ver-
ankerung der alten Füllung genügen wird, so kann man den ganzen Kau-
flächenanteil durch die neue Füllung in Anspruch nehmen, so wie es in
der Figur die Linie CD andeutet. Es bleibt also von der alten Füllung
nur der approximale Teil mit dem Kontaktpunkt stehen, der gar keinen
Kaudruck auszuhalten hat und für dessen Verankerung eine kleine Haft-
rinne genügen dürfte. Sollte sich dieser Rest der ersten Füllung, noch
bevor die zweite gelegt wird, lockern oder einem prüfenden Drucke, der
nicht allzu stark sein muß, nachgeben, so bleibt natürlich nichts anderes
über, als die ganze mesio-disto-okklusale Kavität in einem zu füllen.
Bei jugendlichen Individuen, die sehr zu Karies neigen, ist es zweck-
mäßig, eine einseitige approximale Kavität, wenn im Laufe der nächsten
Jahre die Erkrankung der anderen Seite desselben Zahnes zu erwarten ist,
zunächst mit Guttapercha zu füllen und erst zu dem späteren Termin die
mesio-disto-okklusale Füllung zu legen, deren einwandfreie Verankerung
über jedem Zweifel erhaben ist.
Referate und Bücherbesprechungen.
* Handbuch der Zahnersatzkunde mit Einschluß der Technik des Kiefer-,
Gaumen- und Nasenersatzes. Von Hofrat Jul. Parreidt, prakt. Zahn-
arzt in Leipzig. V. Auflage. Mit 367 Abbildungen. Leipzig, Verlag
von Arthur Felix. 1918. Preis broschiert M 21,—, gebunden M 25,30.
Bei dem Mangel an guten Lehrbüchern der zahnärztlichen Prothetik
müssen wir dem verdienstvollen Verfasser dankbar sein dafür, daß er
eich der Mühe unterzog, sein bekanntes Handbuch in neuer Auflage er-
scheinen zu lassen. Seit dem Erscheinen der vorhergehenden (IV.) Auflage
sind fast dreizehn Jahre vergangen und „die Zahnersatzkunst hat weiter
rasche Fortschritte gemacht“. Leider kann man dem Buche nicht nach-
sagen, daß es in der neuen Auflage mit diesen Fortschritten gleichen
Schritt gehalten hätte. Wohl sind die 17 Abschnitte, in die das Buch
zerfällt, ausgezeichnet gruppiert und bearbeitet, und wenn auch an jeden
Abschnitt fast die verbessernde Hand angelegt wurde, so ist doch viel
Altes, Unmodernes — das auch äußerlich (typographisch und textlich)
als solches hätte gekennzeichnet werden müssen — geblieben, viel Neues
nicht gebracht worden. Insbesondere die Darstellung der Brückentechnik
hätte den neuzeitlichen Anschauungen und Fortschritten gemäß viel gründ-
licher umgearbeitet werden sollen, als es tatsächlich geschehen ist. Trotz
dieser und vieler anderer Mängel, zu denen auch der gehört, daß es an
vielen Stellen sich nicht in Details einläßt, die es an anderen Stellen über-
flüssigerweise bringt, wird das Buch mit großem Nutzen von in der Praxis
stehenden Zahnärzten gelesen werden, denn es hat den großen Vorzug,
Referate und Bücherbesprechungen. 177
dal) es übersichtlich, umfassend und systematisch geschrieben ist, daß es
für Zahnärzte von einem Zahnarzt geschrieben ist, nach folgenden
Gesichtspunkten: „Die Zahnheilkunde besteht in der Hauptsache aus
operativer und prothetischer Technik; beide gehen unmerklich ineinander
über. Und die Prothesentechnik grenzt unmittelbar an die Chirurgie. Die
Behandlung der Kieferbrüche, das Regulieren schiefstehender Zähne, der
Gaumen- und Kieferersatz, das Einsetzen von Stiftzähnen, das Anfertigen
von Kronen- und Brückenarbeiten, die Vorbehandlung des Mundes zum
Einsetzen künstlicher Zähne sind Tätigkeiten, die kein Arzt ohne große
Übung und Fertigkeit in den zahntechnischen Arbeiten und kein Techniker
ohne medizinische Bildung, außer zum Nachteil des Patienten, besorgen
kann.“ Steinschneider.
Die chronische superfizielle Glossitis (Mölleri) — eine Reflexneurose.
Von Dr. H. Christian Greve in München. M.m. W., 1919, Nr. 17.
Die Möllersche Glossitis ist eine recht seltene Erkrankung der
Zunge, die darin besteht, daß heftige brennende Schmerzen meistens an
einem Zungenrande und an der Spitze bestehen, wodurch der Patient an
der Nahrungsaufnahme und beim Sprechen infolge Scheuerns an den Zähnen
oder an Ersatzzähnen behindert ist. Die Krankheit rechnete man bisher
zu den Dermatosen und unterschied (Mikulicz-Kümmel) von dieser
Krankheit die Glossodynia simplex, die eine unzweifelhafte Neurose ist.
Während der objektive Befund hierbei „in der Regel‘ negativ ausfällt,
findet man bei der Möllerschen Glossitis Exkoriationen.
Greve kommt auf Grund der Analyse eines Krankheitsfalles und
genauen Studiums der Literatur zu dem Schluß, daß das ursächliche Moment
der sogenannten Möllerschen Glossitis (Gl. chronica superficialis, Glosso-
dynia exfoliativa) nur in einer Neuralgie, und zwar einer Reflexneuralgie
zu suchen sei.
Das Studium der Literatur führt Greve auch dazu, anzunehmen,
daß die Unterscheidung zwischen Glossodynia simplex als Neurose und
Glossodynia exfoliativa als Erkrankung mit besonderer Lokalisation nicht
aufrecht zu halten sei. Zwischen beiden Erscheinungen bestehen nur gra-
duelle Unterschiede, beide gehören in das Gebiet der symptomatischen
Neuralgien.
Schließlich weist Greve darauf hin, daß die Behandlung unter
diesen Voraussetzungen nicht eine lokale sein kann, sondern sich auf das
Allgemeinleiden zu richten hat. Steinschneider.
Vorschlag zur Regelung der Schulzahnpflege in Schweden. Herausgegeben
von Zahnarzt Albin Lenhardtson. Deutsche Ausgabe besorgt von
Dr. Erich Schmidtf. Verlag-Hermann Meusser, Berlin.
Die Untersuchungen an den Zähnen schwedischer Schulkinder haben
ergeben, daß von 1500 Kindern nur ein einziges, ein siebenjähriger Knabe,
alle Zähne völlig gesund hatte, daß ferner die Anzahl zahnärztlich be-
handelter und gefüllter Zähne bei sämtlichen untersuchten Kindern nur 21,
während die Anzahl gesunder Zähne 11.244, schadhafter 9935 und fehlender
2807 betrug. Eine Übersicht über die geschichtliche Entwicklung der Schul-
zahnpflege in verschiedenen Ländern weiß nach Lenhardtsons Zu-
178 Aus Vereinen und Versammlungen.
sammenstellung von Österreich bezeichnenderweise nur folgendes zu sagen:
„In diesem Lande ist wenig für die Zahnpflege der Schulkinder getan. Ein
interessanter Impuls ist gleichwohl gegeben durch die Einrichtung einer
Zahnklinik im Lehrerseminar in Troppau, ein Vorbild, dem die übrigen
Seminarien folgen werden.‘
Der „Entwurf zu Vorschriften betreffend Zahnpflege für die Schüler“
enthält nun folgende grundlegende Bestimmungen: Es sind Schulzahnärzte
zu bestellen, die mindestens einmal im Jahr bei sämtlichen Schülern die
Beschaffenheit der Zähne zu untersuchen haben, worüber vollständige
Buchungen auf vorgeschriebenem Formular zu führen sind. (1.$1.) Den
Schulzahnärzten obliegt eine Unterrichtstätigkeit, indem sie den Kindern
Ratschläge, Aufklärungen und Vorschriften betreffs der richtigen Pflege
der Zähne zu erteilen haben. (1.82.) Die bei den vorerwähnten Unter-
suchungen angetroffenen Zahnschäden sind zahnärztlich zu behandeln. (I.
83.) Für jeden Kreisschulinspektoratsdistrikt ist ein staatlich besoldeter
Zahnpflegeinspektor anzustellen. (II.) Wenn sich der rechtliche Vertreter
eines Schülers weigert, das Kind schulzahnärztlicher Behandlung zuzu-
führen, ist er verpflichtet, dem Kinde auf eigene Kosten anderwärtige Zahn-
pflege zu verschaffen. Die Lehrer haben sich davon zu überzeugen, daß
jedes Kind eine Zahnbürste besitzt und sie richtig gebraucht. (III.)
Schweden, das gemeinsam mit Norwegen seit langem auf einer großen
Höhe der Hygiene-Gesetzgebung steht, würde sich durch die Annahme des
vorstehend skizzierten Entwurfes vorbildlich betätigen. Der in III. invol-
vierten Zahnpflege-P flicht müßte allerdings durch Strafbestimmungen
Nachdruck verschafft werden. Wallisch jun.
Aus Vereinen und Versammlungen.
Verein Wiener Zahnärzte.
Sitzung vom 21. November 1918.
Vorsitzender: Prof. Dr.L.Fleischmann.
Schriftführer: Dr. E.Bermann.
Dr.P.Be rger demonstriert eine Brücke als kombinierte Fixations-
schiene nach Rhein, verbunden mit Ersatz von fehlenden Zähnen.
Dr.B.Gottlieb: Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berück-
sichtigung des Antiformins. Mit der Diskussion erschienen in der Österr.
Zeitschr. f. Stomat., 1919, H.1.
Sitzung vom 19. Dezember 1918.
Vorsitzender: Prof. Dr.L. Fleischmann.
Schriftführer: Dr. E.Bermann.
Doz. Dr. A. Oppenheim: Demonstration von Modellen ortho-
pädischer Fälle der Klasse II und Fehldiagnosen derselben.
Aussprache.
Dr.S.Hocht: Die Methode, den Unterkiefer bei Klasse II nach
Angel in toto nach vorne bis zur richtigen, mesio-distalen Okklusion
‚Aus Vereinen und Versammlungen. 179
zu verschieben, die uns der Vortragende in so anschaulicher Weise soeben
demonstriert hat, besitzt zweifellos in für dieselbe geeigneten Fällen ihre
Vorteile. Allein die Zahl dieser Fälle ist nicht allzu groß.
Anwendbar ist sie vor allem nur — immer Unterkiefer und Klasse II
vorausgesetzt, denn nur von dieser ist hier die Rede — bei der I. Ab-
teilung dieser Klasse, d.i. also dort, wo eine beiderseitige Distalokklusion
besteht, nicht anwendbar ist sie dagegen schon bei der Unterabteilung der
I. Abteilung, wo die Zähne nur auf der einen Seite distal okkludieren.
Denn würden wir hier den Unterkiefer in toto nach vorne verschieben,
dann bekämen wir auf der vorher anormalen Seite wohl normale mesio-
distale Beziehungen, auf der anderen, d.i.der bis dahin normal okklu-
dierenden Kieferseite dagegen eine artifiziell erzeugte abnorme Okklusion,
indem die Zähne nach Art derjenigen bei Klasse III okkludieren würden.
Dasselbe gilt natürlich auch für die Unterabteilung der Abteilung 2 der-
selben Klasse. Aber auch bei der Abteilung 2 ist die Methode nur mit
Vorbehalt anwendbar, nämlich nur dann, wenn vorher die Retrusion der
oberen Frontzähne behoben wurde. Ist diese Korrektur nicht voraus-
geechickt worden, dann bildet sie naturgemäß ein Hindernis bei der vor-
zunehmenden Mesialverschiebung des Unterkiefers.
Wie daher ersichtlich, kommt diese Methode nur für eine beschränkte
Anzahl von Fällen in Betracht, und zwar hier auch nur dann, wenn es
sich um die Beeinflussung des Unterkiefers in sagittaler Richtung handelt.
Nun ist aber der in seiner Entwicklung zurückgebliebene Unterkiefer bei
Klasse II nicht nur in der sagittalen, sondern oft auch in der frontalen
Dimension unterentwickelt, was sich in der lingualen Okklusion besonders
der seitlichen unteren Zähne ausprägt. Da muß eben, um eine seitliche
Expansion des Unterkiefers zu erzielen, jeder Zahn für sich gefaßt und
an den entsprechend formierten Regulierungsbogen herangebracht werden,
um derart mittelbar auf den Processus alveolaris des Kiefers einzuwirken.
Sind überdies, was ja gar nicht selten der Fall ist, die Zähne um ihre
Längsachse gedreht, dann muß eo ipso wieder jeder Zahn für sich an-
gegangen werden.
Die von Grünberg unabhängig von amerikanischen Orthodontisten
— Bogne, Barnes und Aisworth — angegebene Spiralfeder-
methode eignet sich nicht so sehr für die Behandlung der Anomalien der
Klasse II als im allgemeinen zur sagittalen Verschiebung von einzelnen
Zähnen sowie als Unterstützung des working-retainers bei der frontalen
Achse, sei es labial, sei es lingual, gekippten Vorderzähne sowohl des
Unter- als Oberkiefers.
Von großem Interesse wäre noch die Beantwortung der Frage, welcher
Teil des Unterkiefers bei der totalen Verschiebung desselben beeinflußt
wird. Die seinerzeit zwischen Kiefer und Wallisch entstandene
wissenschaftliche Kontroverse brachte in diesem Punkte keine Klärung.
Und so ist es bislang unentschieden, ob dabei eine Beeinflussung des
Gelenkes, des Collum processus condyloides, des Kieferwinkels oder des
horizontalen Kieferastes im Sinne einer Streckung derselben stattfindet.
Prof.Dr.R.Weiser: Bezüglich solcher Fälle von Oberkieferfraktur
mit starker lingualer Okklusion möchte ich berichten, daß es mir in zwei
Fällen gelungen ist, durch Osteoklase Reposition der Fragmente und
Heilung zu erzielen. Das ist im Unterkiefer wiederholt gemacht worden,
180 Aus Vereinen und Versammlungen.
im Öberkiefer hatte dieses Verfahren von vorneherein seine Bedenken;
es war ein unheimliches Unternehmen, da es fraglich war, ob die aus
dünnen Knochenlamellen bestehenden und so vielfach von Alveolen und
Knochenhöhlen durchsetzten Fragmente des Öberkiefers genügende Be-
rührungsflächen für die Knochenheilung bieten werden. Indes gelang mir
die Heilung eines lingualwärts dislozierten Oberkiefermittelstückes und
zweimal die Verheilung lingualwärts dislozierter rechtsseitiger Oberkiefer-
hälften nach ausgeführter blutiger Osteoklase prompt binnen 3 Wochen.
Zur Fixation der reponierten Fragmente bediente ich mich vor der Ope-
ration hergestellter Fixationsschienen.
Dr. Harry Sicher: Ich möchte nur anknüpfend an die Bemerkung
des Herrn Dr.Hecht eine Anregung vorbringen. Es ist unter uns gewiß
niemand, der die Literatur des bezüglichen Gegenstandes so beherrscht wie
Herr Doz.Oppenheim. Ich möchte bitten, uns im Referat darüber zu
berichten, was eigentlich über exakte, durch Röntgenographie zu messende
Methoden bekannt ist über die Veränderungen des Gesichtsskeletts und
des gesamten Schädelskeletts bei orthodontischen Maßnahmen. Es wäre
interessant zu erfahren, ob durch die röntgenologische Untersuchung die
behaupteten Veränderungen sich bestätigen lassen, wie sie gestützt und
ergänzt oder ihnen vielleicht widersprochen werden kann durch exakte
Messung der Röntgenogramme.
Doz. Dr. A. Oppenheim: Bezüglich der Anfragen des Herrn
Dr.Hecht möchte ich folgendes bemerken. Herr Dr.Hecht hat vor
geschlagen, daß man erst die einzelnen Zähne regulieren soll, bevor man
den Unterkiefer vorschiebt. Herr Dr.Hecht spricht auch von einer en
masse-Verschiebung der Schneidezähne. Ich habe nur von dem Unterkiefer
in toto und nicht von einzelnen Zahngruppen gesprochen. Ich verschiebe
den Unterkiefer in toto. Da ist es von wesentlicher Bedeutung, daß
alles unterlassen wird, was den Widerstand der einzelnen Zähne schwächen
kann. Haben wir die Zähne erst in Reih und Glied gestellt, dann ist
infolge des geschwächten Widerstandes ein Mißerfolg wahrscheinlich. Man
muß die Zähne so stehen lassen, wie sie stehen, und sind erst richtige
Beziehungen der Kiefer erzielt, dann gehen wir an die individuelle Be-
handlung der einzelnen Zähne. Sollte es vorkommen, daß die unteren
Schneidezähne sehr stark nach vorne gekippt sind, so bildet das kein
Hindernis für die Behandlung, wie wir sie besprochen haben. Wir haben
z. B. einen ausgesprochenen Fall der Klasse II, die auszugleichende Be-
handlungsdistanz in der Molarengegend beträgt sagen wir 6 mm. Wenn
wir hier richtige Beziehungen bekommen, so haben wir im Bereiche der
Frontzähne en tete-Biß oder Beziehungen der Klasse III. Durch Auf-
richten der Frontzähne wird die Inkongruenz in der Verschiebungsdistanz
in der Molaren- und Schneidezahngegend ausgeglichen; das Aufrichten der
Frontzähne und die Mesialverschiebung des Unterkiefers werden durch
Verwendung des neuen Angle-Apparates gleichzeitig besorgt. Herr Doktor
Hecht wollte wissen, was mit dem Unterkiefer geschieht. Wo die Ver-
änderungen stattfinden, ist bis heute nicht bekannt; ob der ganze Alveolar-
fortsatz im Unterkiefer verschoben wird, ob die Veränderungen im Kiefer-
winkel oder im Processus coronoideus stattfinden, ist nicht geklärt. Damit
ist auch Herrn Dr.Sicher eine Antwort gegeben. Ich wollte seinerzeit
bei Prof. Tandler mit den dort gebauten. Apparaten diesbezügliche Ver-
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 181
suche anstellen, aber sie sind nicht aktiviert worden. Es ist auffallend
und ich habe darauf auch meine Aufmerksamkeit gelenkt, daß mit der
Verschiebung des Unterkiefers oder Veränderungen im Öberkiefer auch
Veränderungen an der Stirne und Nase vor sich gehen.
Dr.E.Schreier: Dr.Hecht äußert Bedenken, den starren Appa-
rat anzulegen, solange etwaige Stellungsanomalien einzelner Zähne nicht
behoben sind. Diejenigen Kollegen, welche das Vergnügen hatten, den
ersten Kurs bei Grünberg zu hören — ich sage Vergnügen, weil ich
es als solches empfunden habe, in ein Fach eingeführt zu werden von
einem Lehrer, welcher es vollständig beherrscht —, werden sich erinnern,
daß er schon damals gesagt hat: Kommt eine Klasse II zur Behandlung,
80 ist zunächst eine Klasse I daraus zu machen. Es hat sich mir die
Gelegenheit geboten, diesen Lehrer meiner Dankbarkeit zu versichern, und
ich: habe sie gerne ergriffen.
= Prof.Dr.R.W eiser: Ich möchte mir nur die Anfrage erlauben,
ob Herrn Doz. Oppenheim die Arbeit von Doz. Zilz bekannt ist,
der behauptet, daß bei jugendlichen Tieren eine Veränderung des Winkels,
den horizontaler und aufsteigender Unterkieferast miteinander bilden, z
erzielen ist. |
Doz.Dr. A. Oppenheim: Ich habe die Versuche an Affen durch-
geführt und konnte keine Veränderungen erzielen. An anderen Tieren sind
solche sicher nicht zu erreichen, weil diese kein Gebiß haben, an dessen
Zähnen wir einen Apparat in sicherer Lage anlegen können. Es ist mög-
lich, daß ich deshalb keine Veränderungen erzielen konnte, weil es
schwieriger ist, aus normalen Verhältnissen anomale zu schaffen.
Prof.Dr.L.Fleischmann dankt Herrn Doz..Oppenheim für
seinen Vortrag.
Dr. H. Reschofsky demonstriert das Anschmiegen ver-
bogener, oberer Kautschukplatten auf das erwärmte Modell. (S.
Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1919, H.1.)
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Der Doktor der Zahnheilkunde.
Mit Genehmigung der badischen Unterrichtsverwaltung hat die Uni-
versität Heidelberg die Verleihung der Würde eines Doktors der
Zahnheilkunde (Doctor chirurgiae dentariae) eingeführt. Zur
Doktorprüfung werden in der Regel nur Bewerber zugelassen, die sich
der deutschen zahnärztlichen Prüfung mit Erfolg unterzogen haben; sie
haben ein der Zahnheilkunde gewidmetes ordnungsgemäßes Studium von
acht Semestern nachzuweisen, von denen vier der zahnärztlichen Vor-
prüfung vorangegangen sein müssen. Das Thema der Dissertation kann
jedem Fache der Medizin oder einem naturwissenschaftlichen, der Medizin
verwandten Gebiete entnommen werden. Mündlich werden Zahnheilkunde,
Anatomie, Physiologie und ein Wahlfach aus dem übrigen Gebiete der
Gesamtmedizin geprüft. Auch die Universität Freiburg wird demnächst
die zahnärztliche Promotion zur Einführung bringen.
* *
x
182 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Dem Beispiel der Universität Heidelberg werden wohl in absehbarer
Zeit auch die anderen Universitäten des Deutschen Reiches folgen und
damit ist dort wenigstens teilweise t) das erfüllt, was von vielen Univer-
sitätslehrern und Zahnärzten in Wort und Schrift seit einer Reihe von
Jahren ebenso leidenschaftlich angestrebt als von anderen heftig bekämpft
wurde, die für die Zahnheilkunde als einer Spezialdisziplin der Medizin
nur den Doctor medicinae angemessen erachten.
Von der Promotion im eigenen Fach erwarten deren Vorkämpfer
neben der Gewährleistung einer umfassenden Ausbildung, der Hebung des
Standes gegenüber den Zahntechnikern und sonstigen auf Grund der Reichs-
gewerbeordnung die Zahnheilkunde ausübenden Heilbeflissenen die Heran-
bildung genügend zahlreicher Zahnärzte für den Bedarf des deutschen
Volkes. Schließlich wird auch verhütet, daß die Zahnheilkunde in der
Gresamtmedizin aufgehe, wie z. B. bei uns und in Italien, ein nach ihrer
Meinung nicht erstrebenswerter Zustand.
Die Zahnärzte Deutschösterreichs hatten und haben nicht das
Recht, sich in den Widerstreit der Meinungen zu mischen und entsprechend
ihrer Überzeugung Partei zu ergreifen. Wohl aber haben sie die Pflicht,
innerhalb ihrer Grenzen daran zu arbeiten, daß die Zahnheilkunde aus
dem Chaos, in das sie hier geraten ist, herausgeführt werde. Die Grund-
lagen des zahnärztlichen Berufes waren und sind jetzt erst recht auf eine
andere Basis gestellt als in Deutschland. Dort meint man, mit der Er-
langung des Doctor chirurgiae dentariae unter anderem die Wirkungen der
Reichsgewerbeordnung, die erst jüngst das 50jährige Jubiläum feierte und
die bekanntlich die Ausübung der Heilkunde freigab (Kurierfreiheit), zum
Teil zu paralysieren. Wir haben keine Kurierfreiheit, dafür aber eine In-
stitution, die in ihren Wirkungen auf die Zahnheilkunde noch weit ärger
ist als die Kurierfreiheit und die dem Zahnärztestand unheilbare Wunden
schlägt: dasStrohmännertum. Das kann nur beseitigt werden, wenn
der Titel Zahnarzt — nach entsprechender Vorbildung — geschützt wird,
wenn es sein muß auch ohne die gleichzeitige Regelung des Spezialarzttitels
der anderen Disziplinen der Medizin. Das ist nur ein — wenn auch der wich-
tigste — Punkt, um die Grundlagen des zahnärztlichen Berufs auf eine
gesunde Basis zu stellen, doch gibt es deren so viel — Zahnärzte-Zahn-
technikerfrage, Unterrichtsfrage, Schulzahnkliniken, Krankenkassen, die
Honorarfrage, Sachverständigentätigkeit, Personalfragen usw. —, daß der
bei uns in Bildung begriffene Verband der zahnärztlichen Vereine ein allzu
reiches Arbeitsfeld vorfindet, das er mit Fleiß und Ausdauer bearbeiten
muß, damit die Zahnheilkunde auch in Deutschösterreich das werde —
wenn auch auf anderen Wegen—, was man in Deutschland durch die
Promotion im eigenen Fach auszubauen hofft: ein Spezialfach der Medizin,
in das nicht Unberufene einbrechen können.
1) Angestrebt wurde der Titel Doctor medicinae dentariae.
— 22.80 pee
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, UI., Münzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ für, die wissenschaftlichen Zahnärzte Österreichs.
und Standes-Interessen der
Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs.
August 1919. | 8. Heft.
XVII. ahrgang.
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Über eine Modifikation der Mamlokschen Inlay-
und Plättcehenschiene mit einem Überblick über die
historische -Entwieklung der Befestigungsapparate
für lockere Zähne.) `
Von Dr.Paul Berger, Wien.
(Mit 34 Figuren.)
- M.H.! Als höchstes Ideal und anstrebenswertestes Ziel gilt seit jeher
in der Medizin die Erhaltung und volle funktionelle Wiederherstellung der
erkrankten Organe. Es ist selbstredend, daß auch die Zahnheilkunde
diesem edlen Wettstreit nicht fernblieb und sind uns ganz besonders hin-
sichtlich der Behandlung und Erhaltung lockerer Zähne Vorschriften aus
dem dunkelsten Altertum erhalten geblieben. Es wurde natürlich die pri-
mitive Methode — die Bindung der Zähne — angewendet. Ich erinnere
an den etruskischen Schädel aus dem 4.—6. Jahrhundert v. Chr. aus dem
Museum zu Orvieto, an dem man einen Backenzahn an seinen Nachbar
mit Golddraht gebunden findet. Ebenso gibt die 10. Tafel der 12 römischen
Gresetzestafeln uns Nachricht darüber, daß auch bei den Römern das Binden
lockerer Zähne mit Golddraht gepflegt wurde. In gleichem Sinne äußert
sich Celsus in seiner „De re medica II“ und Plinius der Ältere. Im
10. Jahrhundert n. Chr. lebte in Cordova Abul Kasim, der in seinem die
ganze Medizin umfassendem Werke „Altasrif“ ein besonderes Buch der
Behandlung der Alveolarpyorrhoe widmete, den Zahnstein als die Ursache
des Lockerwerdens der Zähne angibt und gleichzeitig 14 Instrumente zu
dessen Beseitigung im Bilde vorführt, von welcher Art heute noch einige
im Gebrauch sind. Er verwirft den Silberdraht, weil er im Munde grün
wird, verwendet zum Binden der Zähne Golddraht und beschreibt seine
Bindmethode sehr ausführlich.
2) Vortrag, gehalten im Verein Wiener Zahnärzte am 20. Februar 1919
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 17
184 Paul Berger.
Aus dem Mittelalter sowie aus der Neuzeit sind uns keinerlei An-
deutungen über die Behandlung lockerer Zähne bekannt geworden, Erst
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts traten die Zahnärzte der Idee der
Befestigung und Erhaltung lockerer Zähne näher und besonders Herbst
war es, der als erster Goldringe zur Befestigung verwendet hat. Der
Apparat bestand aus breiten Goldringen, die, miteinander verlötet, auf
Fig.1. Fig. 2.
Nach Bryan.
Nach Bryan.
die gelockerten Zähne und ihre festen Nachbarn aufzementiert wurden. Es
war dies sicherlich schon ein gewaltiger technischer Fortschritt, auf
schnelle und leichte Art einen festen Stützapparat herzustellen. Case
verbesserte dieses System, indem er frontal die Ringe tief ausschnitt und
ihnen dadurch ein besseres Aussehen verlieh. Auf dieser H er b s t schen
Grundidee, der Ringschiene, arbeiteten andere Forscher weiter, von denen
ich erwähne: Glogauer, Schmidt und Wetzel. Aus der Ring-
schiene entwickelte sich die von Bryan angegebene Methode, der auf
Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene ete. 185
die palatinale Seite der Zähne — ich spreche hier von den oberen Zähnen |
— eine Platte aus Gold stanzt, welche er zum besseren Halt mit kleinen
Stiften von Kramponstärke versieht und diese in kleine Kavitäten, die
er in die Foramina coeca bohrt, verankert (Fig. 1). Für die unteren Zähne
wird lingual und labial je eine Goldspange etwa 1—1!/s cm breit gestanzt,
die an den Seiten verlötet, über die Zähne gestülpt und aufzementiert
wird (Fig.2 und 3). Die Festigkeit dieser Schienen besonders für obere
Zähne ist sehr gering, denn es genügt schon ein leichter Druck auf den
Zahn und der kleine dünne Krampon verschiebt sich in seiner Lage.
Als das Gußverfahren immer weitere Verbreitung fand, wurde es
natürlich auch zur Herstellung von Stützappäraten herangezogen. Resch
hat eine Schiene, die aus zwei gegossenen Platten besteht, erfunden, die
Fig.4. Fig.5.
Nach Resch. Nach Addicks.
mit Schräubehen zusammengehalten werden (Fig. 4). Diese Schiene
wiederum wurde 1902 von Addicks modifiziert, der auf der einen Seite
eine stark federnde Verbindung der beiden Gußteile anbringt und die
Schrauben in die Mitte und an das andere Ende verlegt (Fig. Si Warne-
kros empfehlt ebenfalls eine Gußschiene.
Bald zeigten sich die großen Nachteile dieser Apparate, die auf den
ersten Blick sowohl den Arzt als auch den Patienten verblüfften, doch
waren diese, ganz abgesehen von dem schlechten Anliegen der Ringe,
sichere Retikula für Schmutz, Speisereste und Zahnsteinbelag, die sowohl
der Zahnbürste als auch dem Zahnstocher unzugänglich waren. Ich will
weiter darauf hinweisen, wie durch den immerwährenden Reiz das Zahn-
fleisch sich weiter retrahierte, eine bestehende Alveolarpyorrhoe durch das
Eindringen von Gärungs- und Fäulnisprodukten immer florider wurde,
da doch durch diese Apparate die interdentalen Räume verlegt und so
17*
u — — tu t ya u
š
186 Paul Berger.
die Möglichkeit der Ausräumung der Zahnfleischtaschen nicht gegeben war.
Der Schmelz unter den Ringen wurde usuriert, die Zähne fielen der Karies
anheim und brachen bald ab.
Auf diese Mängel hat zuerst Wilhelm Sachs 1906 hingewiesen und
seine modifizierte C a s e-Halbringschiene angegeben (Fig. 6). Es wurden zu
ihrer Herstellung zuerst die Zwischenräume der Zähne ein wenig erweitert
und etwas mehr als das obere Drittel der Zahnkronen völlig parallel-
wandig geschliffen, die schmalen Ringe verlötet und labial ausgeschnitten.
Die Nachteile dieser Schiene bestehen darin, daß 1. abgefeilte Teile der
Zähne unbedeckt bleiben und dadurch empfindlich und kariös werden, und
2. kann durch den geringen Halt die Schiene leicht sich loslösen, da sie
ja mit runden Flächen auf ungeschliffenem Schmelz (lingual) aufliegt.
Fig. 6. Fig.7.
- — um -
d a- . “ -. 4 - -— =- -~ — æ a
t } - =- a an =.. _— — —i
Nach Sachs. Nach Witkowsky.
Immerhin war durch diese Schiene, die weit weg vom Zahnfleischrand ge-
legen, die Möglichkeit der Behandlung der Zahnfleischtaschen gegeben und
in dieser Beziehung ein großer Fortschritt. Auf diese Idee baute W it-
kowsky 1911 seine Methode zur Wiederbefestigung gelockerter Zähne
auf, indem er eine linguale Goldplätte über das obere Drittel der Zähne
verfertigt, die Zahnkronen zur Aufnahme von Stiften, die er labial ver-
nietet und mit der Goldplatte verlötet, quer durchbohrt (Fig. 7). Wer das
poröse Zahnbein unterer lockerer Zähne kennt, wird mit mir überein-
stimmen, wie leicht die Zahnkrone schon bei der Präparation abbrechen
kann und wie gering die Widerstandsfähigkeit eines quer durchbohrten
Zahnes dem Gegenbiß gegenübefist. Dieselbe Methode hat auch Tru e-
man angewandt, welcher aber, statt zu nieten, Schraubenmuttern in die
Zähne versenkt.
Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene etc. 187
Alle diese Apparate geben den Zähnen nur einen relativen Halt,
denn sie schützen sie nur gegen den seitlichen Druck und man kann
sich leicht vorstellen, wie ein Zahn z. B. in einer Sachsschen oder
Reschschen Schiene durch Aufbiß in die Alveole hinauf- resp. hinunter-
gedrückt wird. Diese Schienen also entsprechen weder den hygienischen
Anforderungen, die wir an sie stellen müssen, noch dem Prinzip der un-
bedingten Stabilität, sind entwicklungsgeschichtlich sehr interessant, von
ihrer Anwendung ist aber abzuraten. |
So war der Stand dieser Frage am Anfang des Jahrhunderts, als
Weiser durch seine Veröffentlichung „Die Rheinsche Methode der
Fixation lockerer Zähne und Modifikation derselben“ der Zahnärztewelt
die Kenptnis einer neuen bahnbrechenden Methode vermittelte, die er mit
geradezu prophetischem Gefühl erfaßte und verwendete. Diese Arbeit, die
in der Österr.-ungar. Vierteljahrsschrift im Januar 1904 erschien, war nach
einem Vortrag, der im Oktober 1903 gehalten wurde, verfaßt. Ich werde
mir erlauben, auf die Gedankengänge und praktischen Erfahrungen, die
Weiser in seiner Arbeit entwickelt, näher einzugehen, denn die ge
schilderte Methode mit ihren Modifikationen hat sich als einzige glänzend
bewährt.
Weiser erfuhr anläßlich einer Diskussion nach dem: Vortrag
Bryans aus Basel bei einem Kongreß in Stockholm im Jahre 1902
durch Prof.Guilford aus Philadelphia von einer Methode, durch Al-
veolarpyorrhoe locker gewordene Schneidezähne dadurch wieder funktions-
fähig zu machen, indem man die Pulpen entfernt, die in die Wurzelkanäle
eingepaßten Stifte durch einen Querbalken verbindet und die ganze Vor-
richtung in die Zähne einzementiert. Die dieser Methode zugrunde liegende
Idee stammt von M.L.Rhein aus New York, der schon einige Jahre
früher zwar ohne Devitalisation der Zähne ähnliche Apparate mit Stiften
in den Zähnen verankerte. W eiser war bald in die Lage versetzt, an-
läßlich des Ersatzes eines fehlenden Schneidezahns bei einem an Alveolar-
pyorrhoe leidenden Patienten diese Methode am Phantom zu erproben (Fig. 8
und 9). Er präparierte Kronenkavitäten mit entsprechender Verlängerung in
die Wurzelkanäle und mit seitlichen Ausbuchtungen zur Aufnahme des
Balkens. Hierauf wurden Matrizen aus Platinfolie verfertigt, die den Zähnen
genau anrotiert, mit den Stiften und Querbalken verlötet wurden. Diese ganze
Vorrichtung sollte dann im Wurzelkanal einzementiert, die Mulde im Kronen-
teil mit Amalgam ausgefüllt werden. Durch einen Zufall kam die am
Phantom glänzend durchgeführte Arbeit im Munde nicht zur Ausführung.
Das Einamalgamieren wäre natürlich nur dann möglich geworden, wenn auf
die Kosmetik keinerlei Rücksicht zu nehmen war. Bald war Weiser
vor die Aufgabe gestellt, einer jungen Dame, bei der der kosmetische Ein-
Taa a WE To VE
188 Paul Berger.
druck der Arbeit von Wichtigkeit war, anläßlich des Ersatzes eines fehlen-
den unteren Schneidezahnes eine neue Methode anzuwenden, die den Grund-
stein zur Inlayschiene gab. Während Rhein — Dental Kosmos,
Mai 1903 — das Goldgerüste durch Einhämmern von Goldzylindern nach
vorheriger Zementierung im Kanal in den Kronenkavitäten befestigt,
fertigt Weiser Goldinlays an, zwar nicht solche, wie wir sie heute nach
Fig. 8.
Nach Weiser.
Fig. 9.
Nach W eiser.
Abdruck mit Wachs gießen, sondern er verlötete die für die Kronenkavität
angefertigte Matrize mit dem Goldgerüst, d. i. Querbalken und Wurzelstift
mit viel Feingold. Dadurch entstanden Inlays, die in die Zähne einzemen-
tiert, Resultate zeitigten, die in kosmetischer wie funktioneller Hinsicht
glänzende waren.
Daß diese Methode nicht sofort allgemeinen Anklang fand und die
ihr gebührende Anerkennung der gesamten Zahnärzteschaft erringen konnte,
lag vor allem in der für diese Schiene notwendigen Devitalisation der
Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättehenschiene etc. 189
Zähne und in der für diese Arbeit erforderlichen großen Geschicklichkeit
und Exaktheit der Ausführung. l |
Es wurden — und auch heute treffen wir auf Angaben von Autoren —
mehrfache Gründe gegen die Devitalisation angegeben, von denen nur zwei
allenfalls gelten dürfen, und die wären 1. hohes Alter, 2. Krankheit und
dadurch bedingte geringe Widerstandsfähigkeit des Patienten. Alle anderen
Gründe, wie Schwierigkeit der exakten und vollkommenen Ausführung
der Nervextraktion, die Frage der Infektion des Wurzelkanals und die
Schmerzhaftigkeit für den Patienten, all dies kommt für einen geübten
Operateur, der die Technik der Wurzelbehandlung beherrscht, nicht in
Betracht. Was die Frage der Zeit betrifft, die die Operation Arzt und
Patienten kostet, so dürften wohl die wenigen Sitzungen, die man zur Vor-
bereitung der Zähne mehr braucht, bei einer so großen, erfolgversprechen-
den: Arbeit nicht ausschlaggebend sein. Dafür aber spricht eine ganze
Reihe sehr gewichtiger Gründe für die Devitalisation der Pulpen. Die
Erfahrung bestätigt uns, daß nach Pulpaextraktion gelockerte Zähne
wieder fester werden, eine Tatsache, die wahrscheinlich damit zusammen-
hängt, daß die ganze Blutzufuhr vom Periodont aufgenommen und es
dadurch straffer wird. Wurde doch von vielen Forschern die Devitalisation
der Zähne als notwendig bei der Behandlung der Alveolarpyorrhoe an-
gegeben. Es ist auch als sicher anzunehmen, daß die Pulpen solcher
wackeliger Zähne sicherlich nicht mehr ihre normale Vitalität besitzen
und auf-dem Wege des Absterbens sind, Beweis dafür die chronische Pul-
pitis bei Pyorrhoe, die, von der Alveole ausgehend, den Tod der Pulpa
zur Folge hat. Es ist daher besser, die Pulpen zu entfernen, die Wurzel-
kanäle antiseptisch zu füllen und dadurch der Absceßbildung vorzubauen
oder, wenn es doch dazu kommen sollte, den notwendigen chirurgischen
Eingriff gut vorbereitet zu haben. Alle Befestigungsapparate, die aus:
Ringen oder Kronen zusammengesetzt sind, machen. das vorherige Be-
schleifen der Zähne notwendig, das bei lebender Pulpa die Empfindlichkeit
des Dentins erhöht. Wir sehen, daß die Gründe, die für die Devitalisation
sprechen, so schwerwiegend und als richtig befunden sind, daß es fast
überflüssig erscheint, wenn ich behaupte, daß nur eine Befestigungsschiene,
die durch in Wurzelkanäle verankerte Stifte befestigt ist, den an sie ge-
stellten Anforderungen der Stabilität genügen kann.
Der Streit um die Devitalisation der Zähne ist bis heute noch nicht
verstummt und wir gehen selbst in der letzten Zeit trotz der eklatanten
Erfolge der Rheinschen Schiene, die, von Weiser propagiert, Oppen-
heim, Grünberg, Bruhn und Thiersch in Verbindung mit
Brückenarbeiten bestens erprobt haben, Autoren mit neuen Systemen der
Befestigung lockerer Zähne ohne Wurzelstifte in die Öffentlichkeit treten.
190 Paul Berger.
So demonstrierte Smith auf dem V. internat. Kongreß 1909 in Berlin
eine Befestigungsschiene, die aus gegossenen Carmichael-Kronen be-
steht (Fig. 10 und 11).
Fig. 10. Fig. 11.
Xach Smith. Nach Smith.
Guttmann (Berlin) gibt eine Schiene an, die eine gestanzte lin-
guale Goldplatte vorstellt, die über die Schneide der Zähne reicht, auch
Fig. 12. | Mi Fig. 13.
Nach Wallisch. Naċh Wallisch.
Wallisch (Wien) beschreibt im Heft 3/4 der Österr.-ungar. Vierteljahrs-
schrift 1916 eine eigene Befestigungsschiene. Diese besteht aus zwei Halb-
kronen über die festen Eckzähne, die durch eine gegossene linguale Platte
miteinander verbunden werden. Zwischen dem ersten und zweiten Schneide-
zahn rechts und links geht je eine Schraubenspindel, welche labial die beiden
anliegenden Schneidezähne mit schmalen, eng anliegenden verdickten
Klammern — Doppelklammern — umfaßt und lingual durch je eine in die
Goldplatte versenkte Schraubenmutter fest angezogen wird (Fig. 12 und 13).
a Ch 3735: THET
Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene etc. 191
Diese Schiene, die zwar leicht herzustellen ist, weist recht beträchtliche
Fehler auf. Erstens die gefensterte Krone auf den Eckzähnen! Die Krone
läßt, wie ihr Name ja schon besagt, den beschliffenen Frontteil unbedeckt.
Beschliffen muß ja der Frontteil werden, sonst ist es unmöglich, über
den starken Buckel eines Eckzahnes mit der Krone hinüberzukommen, im
gegenteiligen Falle kann sie wieder dem Wurzelteile nicht richtig anliegen.
Also entweder den Frontteil beschleifen, dann wird der Zahn empfindlich
und mit der Zeit kariös, oder nicht schleifen, dann liegt die Krone im
Wurzelteil nieht genau an und bildet einen sicheren Hafen für Schmutz
und Speisereste, und wenn der Goldrand auch nicht bis an das Zahnfleisch
Fig. 14. Fig. 15.
Nach Burgess. Schiene nach Hruschka.
reicht, wird es doch durch die abgelagerten Verunreinigungen gereizt und
die eventuell bestehende Alveolarpyorrhoe kann nicht ausheilen. Dann die
Doppelklammern! Die SchrAube braucht nur ein ganz klein wenig nach-
zulassen und die Zähne unter den Klammern werden verunreinigt. Ganz
abgesehen davon, bieten ja diese Klammern den Zähnen gar keinen Schutz
gegen den vertikalen Druck, bei jedem Biß werden sie bewegt, der Schmelz
unter den Klammern springt ab, der Zahn erkrankt und bricht ab. Die,
Spindel in den Interdentalräumen wirkt wie ein Rechen für Speisereste
und diese Räume können nicht richtig gereinigt werden. Also auch dieses
System löst große Bedenken gegen dessen Anwendung aus. — Im Korre-
spondenzblatt, Heft 3/4, vom Jahre 1916 hat Burgess eine sehr sinn-
reiche Methode der Zahnbefestigung mit Erhaltung der Nerven angegeben,
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 18
m.
192 Paul Berger.
die aus Goldeinlagen (Pinledge) mit 3 Stiftchen in der Größe und
Dicke von Krampons besteht (Fig. 14). Diese Goldeinlagen erfordern, um
festzusitzen, die Entfernung von sehr viel Zahnbein und, wenn ich mir auch
diese Methode an oberen starken Zähnen ausgeführt denken kann, so be-
zweifle ich die Anwendungsmöglichkeit an den grazilen unteren Frontzähnen.
Nicht unerwähnt darf hier die Befestigungsschiene nach Hruschka
(Fig. 15) bleiben, zuerst veröffentlicht in der Zahnärztl. Rundschau, März
1912, und neuestens in den Ergebnissen der gesamten Zahnheilkunde, Band 6,
Fig. 16. : Fig. 17.
i eaa s nn nn u u al Ā__/
Nach Thiersch. Nach Thiersch.
Heft 1, 1918. Vor der Anfertigung seiner Schiene müssen die Zähne voll-
ständig parallelwandig geschliffen und auch gekürzt werden, ein Vorgang,
der bei lebenden, stark konischen Zähnen sicheflich schmerzhaft und nicht
ohne Einfluß auf die Pulpa bleibt. Die Schiene besteht aus Halbkappen,
welche nach Abdruck auf dem Modell aus Wachs geformt und gegossen
werden. Diese Kappen nehmen in sich die Schneidekante auf, reichen lingual
bis über das Foramen coecum, so daß die Trepanation eines Zahnes bei pul-
pitischer Erkrankung ohne schwere Schädigung der Schiene unmöglich ist.
Auch ist es denkbar, daß die nur dünne Zementschicht unter der Schiene
trotz der Schneidekantenbefestigung leicht gelöst wird und die Schiene
sich lockert. Wir sehen also, daß alle diese Systeme der Befestigung
lockerer Zähne ohne Wurzelstifte uns nicht befriedigen können, und wenn
Über eine Modifikation d. Mamlok schen Inlay- u. Plättchenschiene etc. 193
sie auch die für die Druckverhältnisse notwendigen Bedingungen erfüllen,
so ist es wieder die mangelhafte Befestigungsart und die Unzugänglichkeit
der Zahnpulpa für die eventuelle Behandlung, die gegen diese Schienen
spricht.
Auf der anderen Seite wird die Idee der Verankerung in den Wurzel-
kanälen nicht vernachlässigt, vielmehr fleißig an deren Vervollkommnung
gearbeitet. Im Jahre 1909 hat Wilhelm Thiersch (Basel) am V. inter-
nationalen zahnärztlichen Kongreß in Berlin eine genial erfundene Brücken-
arbeit, verbunden mit einer von ihm angegebenen Befestigungsschiene für
lockere Zähne demonstriert. Der Apparat besteht aus großen Goldeinlagen
(Goldkästen) mit Platinstiften, die in den Wurzelkanälen verankert sind
(Fig. 16 und 17). Bei der Präparation dieser Goldeinlagen ging sehr
viel Zahnbein verloren und es mußten die Antagonisten, um dem Gegenbiß
auszuweichen, beschliffen werden. Prof. Bruhn veröffentlicht in der
„Deutschen Zahnheilkunde in Vorträgen“, 1911, Heft 17/18, die Beschrei-
bung einer eigenen Schiene, die aus kleinen Goldinlays mit kurzen Stiften
für die Wurzelkanäle besteht und die von rückwärts in die Zahnhöhle
geschoben wird (Fig. 18 und 19). Die Anwendung dieser Schiene ist nur
möglich, wenn die Zähne nach vorne geneigt sind. Außerdem sind die
Stifte, weil ja die Zähne nicht der Länge nach aufgebohrt sind, sehr kurz
und daher keine genügend feste Verankerung.
Veranlassung zur allgemeinen Kenntnis und zur Verbreitung der An-
wendung des vervollkommten Systems der Verankerung in den Wurzel-
kanälen gab das im Jahre 1912 von Mamlok verfaßte Buch „Die Be-
festigungsschiene“, in dem er in leichtverständlicher Darstellung die Kon-
struktion seiner Plättchenschiene nach Grünbergs Prinzip und im
Anschluß an die Ideen von Rhein, Weiser, Oppenheim und
Bruhn die Herstellung seiner Inlayschiene schildert. Bevor ich mir jetzt
erlauben werde, Ihnen die Herstellung der Inlay- und Plättchenschiene mit
‚meiner Modifikation vorzuführen, will ich mir gestatten, die Anforderungen,
die wir an eine gut passende Befestigungsschiene stellen müssen, und deren
Indikation in kurzen Worten zusammenzufassen. Diese Bedingungen sind:
1. Festigkeit der Schiene in bezug auf die Druck-
verhältnisse. Bei jeder Schiene ist es notwendig, daß der Zahn
nicht bloß gegen den seitlichen, sondern auch gegen den vertikalen
Druck geschützt ist und der Gegenbiß darf niemals einen einzelnen Zahn
überlasten, sondern muß auf alle Zähne gleichmäßig verteilt werden. Dies
erreiche ich dadurch, daß ich, wie ich später zeigen werde, auch die
Schneidekante in die Präparation der Inlay- und Plättchenschiene ein-
beziehe, was bis jetzt diesem glänzenden System fehlte.
18*
194 ‚ Paul Berger.
2. Wahrung der strengsten hygienischen Anfor-
derungen, die darin gipfelt, daß die Schiene die notwendige Beriese-
lung der Interdentalräume mit Speichel nicht behindern darf, den Zugang
zu den Zahnfleischtaschen vollkommen frei läßt, nicht Veranlassung zur
Fig. 18.
Nach Bruhn.
Fig. 19.
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A ler X.
Nach Bruhn.
Stauung von Speiseresten und Säuren gibt, unabhängig vom Arzt, vom
Patienten selbst gründlich gereinigt werden kann und im. Sprechen nicht
behindert.
3. Kosmetik. Wir müssen trachten, in peinlichster Erfüllung der
oben angegebenen Grundbedingungen der Schiene auch ein gutes Aussehen
dadurch zu verleihen, daß sie nicht allzu sehr auffällt. Wenn auch die
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Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene ete. 195
Kosmetik bei alten Leuten oder bei bärtigen Herren nicht so sehr ins Ge-
wicht fällt, sind wir oft genötigt, bei jüngeren Patienten Brückenarbeiten
— ich erinnere nur an den Ersatz eines fehlenden großen oder kleinen
Schneidezahns durch Inlay- oder Plättchenbefestigung — auszuführen, bei
denen wir auf die Unauffälligkeit sehr bedacht sein müssen. Doch dürfen
wir wegen des kosmetischen Erfolges die Druckverhältnisse nicht aus
dem Auge verlieren.
Über die Indikation der. mechanischen Wiederbefestigung
lockerer Zähne ist folgendes zu sagen. Ich schließe mich in dieser Hin-
sicht ganz der Ansicht Bruhns an, der empfiehlt, in allen Fällen
mäßiger, aber dauernder Lockerung nach gründlicher medi-
kamentöser und chirurgischer Behandlung der Zähne die mechanische
Wiederbefestigung auszuführen. Dieselbe kann auch noch im Falle sehr
erheblichen Loseseins angewandt werden, doch ist es angezeigt und unter
Umständen praktischer, wenn wir einen Zahn extrahieren, der, um mit
Sachs zu sprechen, „eine Lockerheit 4. Grades besitzt, d.h. wenn er sich
in die Alveole hinauf- resp. hinunterdrücken läßt, so daß er wie auf einem
elastischen Gummikissen sitzt und auf diesem gewissermaßen geschaukelt
werden kann.“
Um auch die Frage zu streifen, in welchem Zeitpunkt wir einen
Stützapparat anfertigen sollen, so gibt dafür der Zustand, in welchem wir
den Mund des Patienten treffen, den besten Fingerzeig, da spielt Dauer
der Eiterung, Menge der Zahnsteinablagerung, ob Alveolarpyorrhoe oder
senile Atrophie, ebenso eine große Rolle wie auch der Erfolg, den wir mit
den bloßen chirurgischen und medikamentösen Maßnahmen bei dem be-
treffenden Patienten gemacht haben. Nicht außer acht zu lassen ist das
Röntgenbild und die persönliche Erfahrung ' des behandelnden Arztes, die
uns lehrt, daß es besser ist, eine Schiene lieber früher zu machen, und
dies verspricht auch den bleibenden guten Erfolg, als abzuwarten, bis es
zu spät ist.
Eine Befestigungsschiene, welche die kardinalen Forderungen der
Stabilität, Hygiene und Kosmetik bestens erfüllt, ist die von mir modi-
fiziertte Mamloksche Inlay- und: Plättchenschiene, die ich Ihnen jetzt
in ihrer Herstellung demonstrieren will.
Was zuerst die Mamloksche Plättchenschiene betrifft, ist sie aus
der Schiene, de Grünberg angegeben hat, hervorgegangen. Grün-
berg devitalisiert die Zähne, füllt die Kanäle und präpariert sie zur
Aufnahme von Platin-Iridiumstiften. Nach einem Abdruck wird ein
Amalgammodell angefertigt, auf dem für jeden Zahn ein entsprechendes
Plättchen aus Platinfolie geprägt wird, das der lingualen Zahnseite genau
anliegt. Die Folie wird im Munde anrotiert, vom Stift durchstochen und
196 ‚Paul Berger.
mit diesem verlötet. Hierauf wird von allen Zähnen mit Plättchen und
Stift Abdruck genommen, stark mit Feingold verschwemmt und die
Zwischenräume der Zähne mit Platindraht überbrückt.
Dieses Grünbergsche System hat Mamlok in seiner Plättchen-
schiene vervollkommt. Bei der Herstellung derselben beginnt nach Mam-
l o k jede Behandlung mit der provisorischen Befestigung der Zähne mittelst
Seiden- oder Drahtligaturen, die möglichst weit weg vom Zahnfleisch gelegt
werden, damit die Zahnfleischtaschen, die auch während der Schienung
gründlich behandelt werden sollen, dieser Behandlung zugänglich bleiben
und jeder Reiz vom Zahnfleisch ferngehalten wird. Drahtligatur bevor-
zuge ich, da Seide leicht verdirbt. Nach sorgfältiger Reinigung der Zähne
und grober Entfernung des Zahnsteins werden die Pulpen entweder unter
Lokalanästhesie sofort extrahiert und, wenn dies unmöglich ist, mit Arsen
abgeätzt. Bei sehr verengten Wurzelkanälen, wie man sie bei älteren
Leuten und besonders bei unteren Frontzähnen oft findet, leistet uns
Schwefelsäure oder Antiformin zu deren Weiterung sehr gute Dienste.
Nachdem also sorgfältig unter Kofferdam die Pulpen restlos entfernt
sind, wird eine antiseptische fixe Wurzelfüllung gemacht. Hierauf wird
von der Zungenseite der Zähne so viel weggenommen, daß wir direkt
in den Wurzelkanal hineinsehen können (Fig. 20). Es entsteht in der
Zahnkrone eine Mulde, die nach der Form des Zahnes von wechselnder
Größe ist und die manchmal vom Foramen coecum bis an die Schneide-
kante reicht. Ich schräge jetzt mit einem Stein oder einer Scheibe den
überstehenden lingualen Schneidekantenrand ab, so daß die linguale Seite
des Zahnes eine ununterbrochene, schiefe Fläche bildet, ebenso wird der
Zahn an der Schneidekante etwas abgetragen, damit durch das aufgelegte
Gold der Biß nicht gestört wird. Nun wird jeder einzelne Wurzelkanal
entweder mittelst Schröderscher Handerweiterer oder mit Beutel-
rock-Bohrern erweitert. Man beginne mit den dünnsten und verwende je
nach der Dicke des Zahnes allmählich die stärkeren Nummern, sei aber
darauf bedacht, den Zahn nicht zu sehr zu schwächen. Trotz der Ligatur
ist es notwendig, während des Aufbohrens der Zähne dieselben mit der
linken Hand zu stützen. Sind die Kanäle genügend erweitert, so bereite
man sich Stifte aus Platin-Iridiumdraht oder aus 18karätigem Golddraht
vor, die in ihrer Stärke dem Lumen des Kanals entsprechen, gegen die
Wurzelspitze sich verjüngen. Sie müssen tatsächlich in den Wurzelkanal
hineinreichen und darin leicht „spielen“. Die Stifte sollen einige Millimeter
aus dem Kanal vorragen und werden lingualwärts etwas abgebogen. Wir
gewinnen dadurch zwischen Zahn und Stift mehr Raum für das Plättchen,
das der lingualen Seite der Zähne anliegen soll. Die Stifte werden nach
Einpassung entfernt, die Wurzelkanäle provisorisch mit Wattefäden gefüllt
Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene etc.
Fig.20.
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Oben fertige Plättchenschiene von der Zahnseite
gesehen.
Zähne präpariert für den Erstes Stadium der Prä-
Abdruck. paration. Ansicht der
Mulden und des überste-
henden Schneidekanten-
randes,
Plättchen mit Stiften zum Verlöten eingebettet.
Fig. 24.
OL Hr
Schema nach Mamlok.
Fig. 21.
Abdruck.
Metallstanze mit Plättchen.
197
198 = Paul Berger.
und gegen das Kronenkavum mit Guttapercha abgeschlossen. Jetzt wird
von der lingualen Seite der Zähne Abdruck genommen. ` Es empfiehlt sich,
den ganz dünn angerührten Gipsbrei auf die gut eingefetteten Zähne zuerst
in ganz flüssigem Zustand mit einem. Spatel zu bringen, damit er gut die
Mulden ausfüllt, und in dem Moment, in dem der Gips zu „ziehen“ beginnt,
wird eine größere Portion entweder mit einem kleinen Löffel oder mit
einem biezu präparierten Blechstreifen aufgedrückt. Es ist für die spätere
Ausführung der Arbeit wichtig, daß in diesem Abdruck die Schneide-
kante der Zähne und die Mulden wohl ausgeprägt sind (Fig. 21). Auf
‚diesem Abdruck wird eine Stanze aus Mellot verfertigt und auf dieser
eine Goldplatte gestanzt, die über die Schneide der Zähne reicht (Fig. 22).
Ich verwende für die Platte 22karätiges Gold von. 0,35 mm Stärke,
wenn ich mit der Schiene eine Brückenarbeit verbinde, sonst das ge-
wöhnliche Kronenblech 22karätig, 0,25 mm stark. Die Platte kann auch
doubliert werden. Das Gußverfahren bei dieser Plättchenschiene hat keine
guten Erfahrungen gezeitigt. Die so gestanzte Platte mit gut ausgeprägten
Mulden und die auch über die Schneide reicht, wird im Munde probiert
und, paßt sie gut, auf der Stanze in allen Mulden in der Richtung der
Zahnachse durchbohrt. Die provisorische Wurzelfüllung wird entfernt,
die durchlochte Platte in den Mund gebracht und die Stifte eingeführt.
Erweisen sich die Bohrlöcher zu klein, so kann mit Bohrern das Loch,
immer in der Längsrichtung der Zähne, erweitert werden. Mit einer
Ligaturseide, die zwischen den beiden mittleren Zähnen um das Plättchen
geschlungen wird, zieht man dieses an die Zähne an und drückt gleich-
zeitig die gelockerten Zähne an die Platte heran, hierauf wieder Gips-
abdruck. Der Abdruck wird mit Lötgips ausgegossen und Plättchen und
Stifte werden miteinander verlötet, wobei darauf zu. achten ist, daß die
Mulden mit Lot gut ausgefüllt werden, damit die Stifte in der Platte
mehr Halt haben (Fig. 23). Darin liegt ja der tiefe Sinn dieser Mulden,
daß der Halt der Stifte um die Tiefe der Mulde vergrößert wird (Fig. 24).
Beim Verlöten der Stifte soll auch die ganze Schiene mit Lot ver-
stärkt werden. Um sie nicht. zu verbiegen, wird die Schiene zum groben
Ausarbeiten in einen Gipsblock gebettet, die überragenden Stifte a b-
gesägt und die Lothöcker mit Steinen geglättet. Hierauf wird die
Schiene fertig im Munde probiert, das Gold über die Schneidekanten
gut gebogen und anrotiert, die Ränder mit feinen Steinchen geschliffen,
finiert und poliert. Das Einsetzen erfolgt, wo es angeht, unter Koffer-
dam oder unter Speichelabschluß mit Watterollen, nachdem wir die
Sekretion der sublingualen Drüsen durch Betupfen mit Jodtinktur inhibiert
haben. Das sehr dünnbreiig angerührte Zement muß mit Wurzelkanal-
sonden an die gut ausgetrockneten Kanalwände angerieben oder mit Yffi-
Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene ete. 199
tubes eingespritzt werden, sodann wird die Schiene, nachdem die Stifte
angerauht wurden, ebenfalls mit Zement belegt, eingesetzt. Nach dem
Einsetzen glätte und rotiere man die Ränder der Plättchenschiene besonders
über die Schneidekante aufs gewissenhafteste an, und wenn wir jede Phase
Fig. 25. -
ELLE RATE ERBE a — nut on 0m
Fig. 26.
Seitliche Ansicht der Inlayschiene in situ. Beachte die ausgeprägte Mulde auf der
mesialen Zahnfläche und den Schneidekantenschutz.
dieser Arbeit mit größter Genauigkeit durchgeführt haben, erhalten wir
jetzt eine Plättchenschiene, die allen Anforderungen bestens entspricht.
Inlayschiene. Für Zähne, die in ihrem Körper sehr dick sind,
sowie bei Progenie kommt die Inlayschiene in Betracht, da diese tiefer in
die Zähne eingelegt wird und dadurch den Biß nicht stört. Die Präparation
erfolgt genau so wie bei der Plättchenschiene, nur wird die Mulde auf
200 - Paul Berger.
die approximalen Flächen ausgedehnt, um zu ermöglichen, daß die Inlays
genau nebeneinander zu liegen kommen (Fig. 25 und 26). Die Schneide wird
mit einem Stein oder einer Scheibe abgeschrägt, da ich auch hier die
Schneidekante in das Inlay einbeziehe. Natürlich darf keine unter sich
gehende Stelle vorhanden sein, da sonst der Inlayabdruck nicht heraus-
genommen werden kann. Der Stiftverlauf muß auch hier natürlich parallel
sein. Sind die Kavitätenränder geglättet, so wird der direkte Inlayabdruck
hergestellt, wobei der früher schon eingepaßte, erwärmte Stift durch die
Wachsform in die Wurzelkanäle geführt wird. Ich nehme den Stift gewöhn-
lich etwas länger, um die Wachsform an ihm herauszuholen und erst nach-
Fig. 27. Fig. 28.
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Modifizierte Plättchenschiene”in’situ"von vorne
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gesehen ll. Zum Vergleiche der Un- .
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auffälligkeit eine RichmondkroneYauf -|+ Bolso gashó; P
her wird der Gußstift eingelassen. Man beginnt gewöhnlich mit dem
äußersten Zahn rechts oder links und modelliert das zweite Inlay erst dann.
wenn das bereits gegossene erste an seinem Platze provisorisch sitzt. Sind
alle Inlays aus 22karätigem, reinem Gold gegossen und in die Zähne ein-
gepaßt, wird ein Gipsabdruck genommen, die Inlays verlötet und, wenn
große Diastemma zwischen den einzelnen Zähnen bestehen, Golddraht ein-
gelegt. Die Ausarbeitung erfolgt genau wie bei der Plättchenschiene Auch
die Inlayschiene wird zuerst in einem Gipsblock grob ausgearbeitet und
erst nach dem Einsetzen im Munde den Rändern anrotiert und poliert.
Es ist selbstverständlich, daß nach dem Einsetzen einer solchen Schiene
der Patient für den Arzt nicht erledigt oder als geheilt betrachtet werden
darf, es ist vielmehr notwendig, durch regelmäßige Untersuchungen —
Röntgen! — sich über den Stand der Zähne zu informieren.
Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene etc. 20]
Ich habe mir erlaubt, Ihnen in längerer Ausführung die Herstellung
der beiden Schienen vorzuführen und will ich Sie jetzt auf die Vorteile,
die ich durch meine angegebene Modifikation, d. i. die Ausdehnung der
Schiene auf die Schneidekante der Zähne erreiche, aufmerksam machen.
Zum Ideal der Ma m l o k-Schiene fehlte bis jetzt der Schutz der geschienten
Zähne gegen den vertikalen Druck. Es ist auch sehr oft vorgekommen,
daß die dünne Schneide unterer Zähne beim Aufbiß abgesprengt wurde.
Dies ist jetzt durch den Schutz, den ich durch meine Modifikation erziele,
unmöglich. Was die Kosmetik betrifft, so habe ich Ihnen an den demon-
strierten Patienten gezeigt, daß der schmale Schneidekantenteil ganz un-
auffällig ist und dennoch die Kante bestens gegen Druck schützt (Fig. 27
und 28). Ich hoffe, durch die angegebene Modifikation auch den letzten
Vorwurf, der dieser so bewährten Schiene gemacht wurde, beseitigt zu haben.
M.H.! Ich will annehmen. daß es mir durch diese Demonstration
gelungen ist, Ihnen die Vorzüge der modifizierten Ma m lo k schen Schienen
gezeigt und durch die demonstrierten, mit solchen Schienen verbundenen
Brückenarbeiten bewiesen zu haben, daß die aufgewendete Mühe, die wir
für die Vorbereitung der Zähne brauchen, vollauf durch den glänzenden
Erfolg gelohnt wird (Fig. 29—34). Eine solche Schiene erhält dem
Patienten seine schon verloren geglaubten Zähne, gibt ihm die Sicher-
heit beim Beißen wieder und, so wunderbar es klingt, die Eiterung bei
Alveolarpyorrhoe kommt zum Stillstand. Ich glaube, den Vortrag nicht
schließen zu können, ohne Ihnen die prophetischen Worte in Erinnerung
zu rufen, die Weiser an den Schluß seiner Arbeit im Jahre 1904
gesetzt hat und die heute noch mehr wie damals Gültigkeit haben: „Über-
all dort, wo es sich aber darum handelt, einen in kosmetischer, hygienischer
und funktioneller Hinsicht einwandfrei definitiven Fixationsapparat her-
zustellen, der weder die Zunge noch die Artikulation stört, der eine medi-
kamentöse oder chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe infolge
seiner Kompendiosität nicht nur nicht hindert, sondern durch die Im-
mobilisierung der Zähne, die nur durch normale Granulationsbildung er-
reichbare Heilung mächtig fördert, andrerseits den Patienten nicht sklavisch
an die Nähe des Arztes bindet, wird dermalen kein anderes Verfahren
mit der Rheinschen Methode und ihren Modifikationen konkurrieren
können.“
Literaturverzeichnis: Burgess, Dr., Moderne Befestigungen für
Brückenarbeiten und Befestigungen für lose Zähne. Korrespondenzblatt, Bd. XXXV.
H. 3/4, 1916. — Bruhn Chr., Prof., Die mechanische Wiederbefestigung gelockerter
Zähne. D. Zahnhlk. in Vorträgen, H. 17/18, 1911. — Geist-Jakobi, Geschichte
der Zahnheilkunde. Tübingen 1896. — Hartwig, Dr., Befestigung lockerer Zähnc.
Österr. Zeitschr. f. Stomat., H. XI, 1913. — Hruschka A., Eine Befestigungsschiene
Demonstrierter Fall I. Herr B.T. Oberkiefer
von der palatinalen Seite.
Fig. 31.
er; r g lapa e EA
“
Demonstrierter Fall I. Herr B. T. Modifizierte Mam-
lok sche Plättcehenschiene für die oberen und unteren
Frontzähne, kombiniert mit Brücken, in Artikula-
tionsstellung.
Fig. 32.
A ; |
m 3 Denen Fall I. Herr B. T. Unterkiefer von
der lingualen Seite.
Modifiziertee Mamloksche Inlayschiene für die un- Fig. 34.
teren Frontzähne, zu Fall II. Fig.33 und 34.
Fig. 83. a i
= PP a Una m i . . = E -
Demonstrierter Fall II. Frl. E. O. Inlayschiene in
situ von vorne gesehen. Die Schiene in situ von oben innen gesehen.
Winke für die Praxis. | 203
für lockere Zähne (Halbkappenschiene) mit besonderer Berücksichtigung der hygiv-
nischen Druckverhältnisse. Zahnärztl. Rundschau, Jg. XXI, Nr. 10, 1912. Ergebnisse
d. ges. Zahnhlk., Bd. VI, H.I, 1918. — Mamlok H.J., Die Befestigungsschien:.
Meusser Verlag, 1912, Berlin. — Sachs H., Dr., Über Ätiologie und Therapie der
Pvorrhoea alveolaris. D. Zahnhlk. in Vorträgen, H. 17/18, Leipzig 1911. — Sachs.
Prof. Dr. Wilh., Berlin, Die mechanische Befestigung durch Alveolarpyorrhoe stark
gelockerter Zähne. Österr.-ungar. Vierteljahrsschr. f. Zahnhlk., XXII, H.I, 1906. —
Smith Ch.E. Paris, A few examples of retaining plates for Pyorrhoea. Verhand-
lungen des V. Intern. zahnärztl. Kongresses Berlin 1909, Bd. II. — Thiersch W..
Basel, Moderne Anforderungen an Immobilisationsapparate für Alveolarpyorrhoe.
Die Goldeinlage als ideale Verankerung. Verhandlungen des V. Intern. zahnärztl.
Kongresses Berlin 1909, Bd. II. — Wallisch W., Doz., Der lockere Zahn und
seine Befestigung. Österr.-ungar. Vierteljahrsschr. f. Zahnhlk, XXXII, H. 3/4. —
W eiser, Dr. R., Die M.Z.Rheinsche Methode der Fixation lockerer Zähne und
Modifikation derselben. Österr.-ungar. Vierteljahrsschr. f. Zahnhlk., XX, H.I, 1904.
— Weiser, Doz. R., Wertvolle Neuerungen auf dem Gebiete der Zahnersatzkunde.
Österr. Zeitschr. f. Stomat., Jg. IX, H. 3, 1911. — Witkowski, Befestigung lockerer
Zähne. Berlinische Verlagsanstalt 1910.
Winke für die Praxis.
Einige Behelfe für die zahnärztliche Praxis.
Von Dr. A. Borschke.
Kofferdam kann durch Picken mit Paragummi so wie bei Luft-
schläuchen für Fahrräder wieder hergestellt werden. Zeitsparend ist es.
eine möglichst große Anzahl gleichzeitig in Arbeit zu nehmen, die Gummi-
platten ausgebreitet nebeneinander auf dem Tische aufzulegen und die
ziemlich dünne (eventuell mit Benzin verdünnte) Gummilösung mit einem
Pinsel auf die zu verschließenden Stellen aufzutragen. Gleichzeitig wird
eine Gummiplatte, die dazu bestimmt ist, später in die einzelnen Klebe-
_ fleckchen zerschnitten zu werden, mit Stecknadeln an den Ecken auf einer
Korkplatte fixiert, um das Einrollen zu verhindern, und in ihrer ganzen
Ausdehnung mit Paralösung bestrichen. Dann muß gewartet werden, bis
die Lösung vollkommen eingetrocknet ist (zirka 10 Minuten bis 1/2 Stunde)
und die durch das Bestreichen uneben gewordenen Stellen sich wieder
vollkommen geglättet haben. Ein eventuelles nochmaliges Bestreichen und
erneuertes Trocknenlassen erhöht die Festigkeit. Dann wird die Klebe-
platte mit Schere und Pinzette in Streifen und Flecke geschnitten und
durch Auflegen auf die zu verklebenden Stellen mit denselben fest verbunden.
204 Referate und Bücherbesprechungen.
Strips lassen sich leicht durch Bestreichen von Zelluloidfilm mit
Azeton oder Zaponlack und Einreiben des gewünschten Poliermittels
(Karborundumpulver) herstellen.
Die von Prof. Pichler empfohlenen Papierspitzen zur
Wurzelbehandlung aus japanischem Seidenpapier lassen sich, allerdings in
schlechterer Qualität, aus Zellstoff herstellen. Herr Prof.Pichler teilt
soeben mit, daß er zu diesem Zweck jetzt Zigarettenpapier verwendet,
was gewiß ein sehr brauchbares und empfehlenswertes Material zur Her-
stellung von Papierspitzen abgibt.
Die Reste der gebrauchten Guttaperchapoints können durch
Walken auf einer in heißem Wasser erhitzten Glasplatte wiederhergestellt
und so wiederholt verwendet werden.
Ein Ersatz für die Metallkanülen zur Wurzelkanal-
irrigation nach Dr. Safron läßt sich aus dünnen Glasröhrchen
ziehen. Gut ist, dabei den Röhrchen eine Kompensationskrümmung zu
geben. Auf gleiche Art lassen sich sehr zweckmäßige Glaspipetten zum
Einführen von Medikamenten in den Wurzelkanal anfertigen.
Abgebrochene oder verbrauchte Exkavatoren, Zahnstein-
instrumen te, Blackinstrumente etc. lassen sich durch Schmieden, Härten
und Schweißen wieder in verwendbare Form bringen.
Referate und Bücherbesprechungen.
Gnathostatik. Neue Wege der orthodontischen Diagnostik. Von Paul
W.Simon, Berlin. D. M. f. Z., Heft 2, 1919.
Mit vollem Recht hebt Simon einen der gröbsten Fehler hervor, der
der orthodontischen -Meßmethode am Modell mittelst der Symmetroskope
anhaftet und der einen exakten Vergleich der verschiedenen Modelle voll-
kommen illusorisch macht. Es ist die Willkür, mit der man die Gipsbasis
eines solchen Modells beschneidet, welche Ebene aber die späteren Messun-
gen völlig beeinflußt. Das Verfahren, das Van Loon ausdachte, um
die Modelle mit einer fixen Ebene, der Frankfurter Horizontalen, in Be-
ziehung zu bringen, ist derart kompliziert, daß es für die Praxis nicht
in Frage kommt. Simon ersetzt es nun durch einen genial ersonnenen
Mechanismus, der im Folgenden nur angedeutet werden kann. Am Pa-
tienten werden die Bestimmungspunkte der Frankfurter Horizontalebene,
nämlich der tiefste Punkt des Margo infraorbitalis und der obere Rand des
Tragus, mit einem aufgeklebten schwarzen „Schönheitspflästerchen‘ mar-
kiert. Nun wird der obere Abdruck mit einem Löffel vorgenommen, an dem
Referate und Bücherbesprechungen. 205
der von Simon angegebene Apparat „Gnathostat“ fixiert ist. Er besteht
im wesentlichen aus einem halbkreisförmigen Bogen, an welchem in Schlit-
zen vier bewegliche Zeiger angebracht sind. Der Bogen selbst läuft auf
einer Stange, die mittelst Kugelgelenk an dem Schieber fixiert ist, der über
den Griff des Abdrucklöffels geschraubt wird. So ist die Horizontalscheibe
in jeder beliebigen Ebene fixierbar. Es wird zuerst der Abdrucklöffel mit
Gips eingebracht, im Munde vom Assistenten festgehalten, der Gnathostat
am Löffelgriff befestigt und nun mit Hilfe der vier Zeiger die Horizontal-
scheibe auf die Frankfurter Horizontale eingestellt und so fixiert. Die
Zeiger weisen auf die vier markierten Punkte. So hat man den Abdruck
mit der erwähnten fixen, jeden Vergleich ermöglichenden Schädelebene in
Beziehung gebracht und auf einfachste, hier nicht näher zu schildernde Art
kann die Basisfläche eben jener Ebene parallel gemacht werden. Ein Blick
auf die Abbildungen, die ein mit dem Gnathostaten und ein in früherer
Weise willkürlich beschnittenes Modell zeigen, beweist besser als Worte
den ganz hervorragenden Wert der Methode, die dabei dòch höchst einfach
ist. — Als zweiten Fehler bei der üblichen Art der Diagnose und damit
auch der ganzen Methode betrachtet Simon mit vollstem Recht die Un-
möglichkeit, die gewöhnlich hergestellten Photographien der Patienten mit-
einander zu vergleichen, wenn dieser Vergleich eben ein exakter werden soll
und nicht nur eine scheinbare Stütze für die rein subjektive, gefühlsmäßige
Einschätzung physiognomischer Abnormitäten und deren Veränderungen.
Durch Anbringung einer horizontalen Stange von bestimmter Länge
— 3m — an einem fixen Stativ, die an ihrem Ende ein horizontal um-
klappbares, mit einem Einschnitt versehenes Plättchen trägt, erreicht
Simon die notwendige Genauigkeit. Wenn der Patient so gesetzt wird,
daß das Plättchen, in dessen Einschnitt die Nase des Patienten ragt, die
beiden Infraorbitalpunkte gleichmäßig berührt, dann ist erstens seine Me-
dianebene parallel der Plattenebene und zweitens ist die Distanz zwischen
Medianebene des Patienten und Platte eine genau bestimmte und für alle
Fälle die gleiche. Zeichnet man an solchen Photographien die Frankfurter
Horizontale ein, was leicht gelingt, wenn man die Marken mitphoto-
graphiert, so hat man exakt vergleichbare Bilder. Simon zieht außerdem
die Vertikale auf die Frankfurter Horizontale durch den Infraorbitalpunkt,
um so auch eine fixe Frontalebene zu erhalten. Ob aber gerade das letztere
richtig ist, das heißt, ob man damit eine Ebene erhält, die wirklich von
den Kieferveränderungen wenigstens relativ frei bleibt, muß vorläufig noch
dahingestellt bleiben. — Jedenfalls muß man sagen, daß die beiden Ein-
richtungen Simons, der Gnathostat und der Photostat, in ihrer Ein-
fachheit geradezu geniale Lösungen von Problemen sind, die bisher so sehr
vernachlässigt wurden, daß dadurch der ganzen Orthodontie immer der
Stempel des rein Empirischen aufgedrückt blieb. Jetzt erst ist es möglich
— und leicht möglich —, auf wirklich exakter Basis weiterzubauen. Gewiß
wird vieles in der Diagnostik und Therapie geändert werden müssen, wenn
erst die Fülle des Materiales mit Hilfe der Sim o n schen Apparate durch-
geprüft sein wird. Sicher.
206 Aus Vereinen und Versammlungen.
Aus Vereinen und Versammlungen.
Zentralverband der österreichischen Stomatologen.
(Aussehußsitzungen am 26. Mai und 2. Juni 1919.) Die Ver-
handlungen betrafen fast ausschließlich die Reorganisation des
Zentralverbandes. Es kamen die zustimmenden Erklärungen des
Vereins Wiener Zahnärzte, des Vereins österreichischer Zahnärzte und
des Vereins der Zahnärzte für Tirol und Vorarlberg zur Verlesung. Vom
Verein steiermärkischer Zahnärzte und von der Wirtschaftlichen Organi-
sation der Zahnärzte waren damals noch keine Antworten eingelangt.')
In der Junisitzung,. der in Vertretung des Vereins österreichischer
Zahnärzte dessen Präsidium (die DDr. Breuer und Kränzl) bei-
wohnte, kam auch eine vom Volksgesundheitsamt einzuberufende En-
quete zur Regelung der Zahnärzte-Zahntechniker-
frage zur Beratung. Es wurde der Beschluß gefaßt, das Volksgesundheits-
amt im Staatsamt für soziale Verwaltung zu ersuchen, mit der Einberufung
der Enquete bis zur erfolgten Reorganisation des Zentralverbandes zu
warten, da dieser dann die Vereinigung aller zahnärztlichen Vereine und
Korporationen Deutschösterreichs zu einem einheitlichen Körper dar-
stellen wird.
Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutschösterreich 8.
Protokoll der Vorstandssitzung vom 9.Mai 1919.
Anwesende: Dr. Kneucker, Dr. Markus, Dr. Natzler, Doktor
Gilänyi, Dr Rieger, Dr Martens, Dr. Hauer, Dr. Roth, Dr. Elkan.
Als Gäste: Dr. Breuer, Dr. Steinschneider, Dr. Kränzl. Vor-
sitzender: Dr.Kneucker. Schriftführer: Dr.Elkan.
Verlesung des Einlaufes: Einladung vom Verbande der Fachärzte
Wiens an die Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutschöster-
reichs zur Teilnahme an einer Ausschußsitzung. Hierzu wurde Dr. Stein
delegiert. |
Dr. Reschofsky ersucht in einem Schreiben um Intervention
seitens der Wirtschaftlichen Organisation betreffs der Anmeldung des
Goldes bei der Vermögensabgabe; Dr.Gilänyi wird damit betraut, im
Staatsamt für Finanzen Erkundigungen einzuziehen, ob das Gold seitens
der Zahnärzte überhaupt anzumelden sei.
In einem Schreiben der Wirtschaftlichen Organisation der Ärzte
Wiens werden Dr.Grün und Dr. Wantschura als Delegierte für die
i Enquete betreffend die Zahnärzte-Zahntechnikerfrage no-
miniert.
Hierauf referiert Dr.Markus über die Sozialisierung. Referent war
mit Dr. K neu cker in der Sozialisierungskommission bei Prof. Lederer,
1) Die Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte hat indessen auch ihre
Zustimmung gegeben.
Aus Vereinen und Versammlungen. 207
welchem von der Sozialisierung der Spezialärzte, also auch der Zahnärzte,
nichts bekannt ist. Auch die zahntechnischen Betriebe sollen nicht sozia-
lisiert werden.
Dr.Markus referiert in Vertretung des Dr. Stark über die Schul-
zahnkliniken und Ambulatorien -und stellt den Antrag, daß nur Kinder,
die sich mit einem Mittellosigkeitszeugnis ausweisen, dort behandelt werden
sollen. Dr. Natzler wird beauftragt, bei Dr. G.W olf, dem General-
sekretär der Schulzahnkliniken, Erkundigungen einzuziehen.
Dr.Rieger berichtet über die Zahntechnikerfrage. Es ist von seiten
des Staatsamtes für soziale Fürsorge eine Enquete in Aussicht genommen,
für welche Dr. Kneucker und Dr.Rieger als ‘Vertreter der Wirt-
schaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs nominiert sind.
Es wird beschlossen, demnächst eine eigene Sitzung einzuberufen, in welcher
diese Frage allein auf die Tagesordnungekommen solle, um zur Klarheit
über die in der Allgemeinheit der Mitglieder herrschende Anschauung,
die Zahntechnikerfrage betreffend, zu kommen.
Dr.Markus berichtet über die Zentraltechnik und teilt mit, daß
die Vorarbeiten schon so weit erledigt sind, um eine eigene Vorstands-
sitzung der Besprechung über die Zentraltechnik widmen zu können.
Protokoll der Vorstandssitzung vom 23. Mai 1919.
Anwesende: Dr.Kneucker, Dr.Rieger, Dr.Stein, Dr.Gilänyi,
Dr.Hauer, Dr.Hasterlik, Dr.Markus, Dr.Natzler, Dr.Roth, Doktor
Stark, Dr.Elkan. Vorsitz: Dr.Kneucker. Schriftführer: Doktor
Elkan. . |
Verlesung des Einlaufes: Doz. Dr. Zilz spricht in einem Schreiben
seine Bereitwilligkeit aus, einen kurzfristigen Fortbildungskurs für prak-
tische Zahnärzte abhalten zu wollen. Auch Prof. Dr.W eiser und Prof.
Dr.Wunschheim haben für einen späteren Zeitpunkt zugesagt.
Der Verein österreichischer Zahnärzte meldet Dr. Hugo Schön-
auer als 2. Vertreter für die Sitzungen der Wirtschaftlichen Organisation
der Zahnärzte Deutschösterreichs an. Der Zentralverband österreichischer
Stomatologen übersendet ein Schreiben, betreffend die Reorganisation des-
selben, und ersucht um Entsendung von Delegierten der Wirtschaftlichen
Organisation in den Zentralverband.
+ In der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage wird den beiden Vertretern
Dr. Kneucker und Dr. Rieger in der zu gewärtigenden Enquete
freie Hand gelassen.
Hierauf hält Dr. Stark sein bekanntes Referat über die Zentral-
technik und das Zentraleinkaufshaus; dieselben sollen auf Grundlage einer
Genossenschaft mit beschränkter Haftung gegründet werden. Er liest die
Statuten vor, die Anklang finden. Dr.Markus gibt die zum besseren
Verständnis nötigen Aufklärungen. Dr.Stark demissioniert mit Rück-
sicht auf seinen Gesundheitszustand als Präsidentstellvertreter, bleibt aber
im Vorstand und als Mitglied des Wirtschaftlichen Ausschusses. Als Prä-
sidentstellvertreter wird Dr: Rieger einstimmig gewählt.
208 Aus Vereinen und Versammlungen.
Dr.Hauer wird auf sein Ersuchen ermächtigt, den Lehrern in der
Fortbildungsschule den Dank für den im Schuljahr 1918/19 geleiteten
Unterricht für die Zahntechnikerlehrlinge auszudrücken. |
Die Anregung Dr. Markus’ wegen Kohlenbeschaffung für den
kommenden Winter wird beifälligst aufgenommen. Der Präsident wird
diesbezüglich eine Eingabe an das Staatseamt für Handel und Gewerbe,
Industrie und Bauten machen.
Verein österreichischer Zahnärzte.
Ordentliche Monatsversammlung vom 5. Dezember 1917.
Anwesend die Herren DDr. B M lasko, Borschke, Brauner, Breuer,
Bum, Frey, Friedmann, Karolyi,v.Kail, Kraus, Mitscha, Müller,
Ornstein, Pichler, Piwnitschka, Schlemmer, Schuster,
Schönwald, Schwabe, Silberer, Stauber, Steinschneider,
Weiser, Ziegler.
Präsident Dr. Breuer eröffnet die Versammlung und hält dem ver-
storbenen Mitglied Dr. Otto Bertl, der am 10. Oktober 1917 begraben
wurde, einen warmen Nachruf.
Nach Verlesung des sehr reihen Einlaufes hält Dr.Breuer seinen
Vortrag über: Honorarfrage und Steuerangelegenheiten.
An der Diskussion beteiligen sich die Herren Prof. Dr.W eiser,
Dr.Schönwald, Dr.Borschke, Dr.Müller, Dr.Frey und Doktor
Friedmann.
Ordentliche Monatsversammlung vom 23. Jänner 1918.
Anwesend die Herren DDr. Ballasko, Borschke, Brauner, Breuer,
Bum, Dussik, Frey, Karolyi, Kraus, Kronfeld, Löffler, Mitscha,
Müller, Ornstein, Pichler, Piwnitschka, Schönwald, Schuster,
Silberer, Steinschneider, Stanka, Prof.Weiser, Prof.v. Wunsch-
heim, Ziegler.
Dr. Pichler demonstriert 2 Fälle von Myxepitheliom des Gaumen».
Er bemerkt hierzu folgendes: „Der Zufall, daß ich gerade zwei alte
Frauen in Behandlung habe, welche von diesen immerhin nicht allzu
häufigen Geschwülsten befallen sind, veranlaßt mich, Ihnen die Patienten
vorzustellen. Es handelt sich dabei um Tumoren, die offenbar schon fötal
angelegt sind und histologisch sehr nahe verwandt mit den bekannten
Mischgeschwülsten der Parotisgegend sind. Ich habe die mikroskopischen
Präparate im Nebenzimmer zum Ansehen aufgestellt. Diese Tumoren
zeigen gewöhnlich ein sehr langsames Wachstum und sind von einer
Kapsel eingeschlossen und gegen die gesunde Umgebung gut: begrenzt.
Es tritt aber bisweilen ziemlich plötzlich ein stärkeres Wachstum auf und
dann kommt es auch vor, daß die Geschwulst ihre Hülle durchbricht und
in maligner Weise auf die Umgebung übergreift.
Aus Vereinen und Versammlungen. 209
Die erste Pat.Sch. erzählt, daß sie die Geschwulst erst seit drei
Jahren bemerkt und daß diese seit einiger Zeit schnell gewachsen sei und
ihr durch ihre Größe Beschwerden macht. Ich vermute, daß sie tatsächlich
schon viel länger besteht. Es ist eine derbe, ungefähr hühnereigroße Ge-
schwulst, höckerig, an mehreren Stellen oberflächlich exulzeriert, an der
Grenze zwischen hartem und weichem Gaumen mit einem breiten Stiel
aufsitzend. Sie verlegt den Rachen so weit, daß es nicht möglich ist,
genau zu sehen, wie es hinter dem Tumor aussieht. Ich vermute aber,
daß die operative Entfernung keine besonderen Schwierigkeiten machen
wird. Das schließe ich aus meiner Erfahrung mit der zweiten Pat. EF.,
welche ich vor einigen Wochen operiert habe. Ich konnte die etwas kleinere,
ganz im weichen Gaumen sitzende Geschwulst samt ihrer unverletzten
Kapsel und der bedeckenden Schleimhaut überall im gesunden Gewebe aus-
schneiden. Dabei wurde das nasale Blatt des weichen Gaumens ganz er-
halten und es blieb nur ein großer Defekt des oralen Blattes des weichen
Gaumens zurück. Der Fall ist deshalb interessant, weil es mir gelungen
ist, diesen großen Defekt sofort mit Epidermis zu decken. Bei genauem
Zusehen erkennen Sie, daß der flache Substanzverlust im weichen Gaumen
mit einem zusammenhängenden, matten, weißlichen Epithelüberzug ver-
sehen ist. Nur ganz vorne, wo der hintere Rand des Gaumenbeines bei
der Operation von Periost entblößt worden ist, sieht man eine kleine
granulierende Fläche. Dieser Erfolg ist ganz bestimmt von allergrößter
Bedeutung für die Pat., weil ohne den Epidermisüberzug bei der Vernarbung
sicherlich eine starke Schrumpfung des Gaumensegels eingetreten wäre. Ich
glaube allerdings, daß trotzdem noch eine gewisse Schrumpfung eintreten
wird, aber in viel geringerem Maße, als wenn der Substanzverlust per
granulationem geheilt wäre. Eine leichte Insuffizienz des Gaumensegels
ist auch jetzt da. (Aufforderung an die Pat.zu sprechen: Die Sprache
ist ganz frei von nasalem Beiklang.)
Ich bin überrascht, daß der nasale Ton, welcher vor einigen Tagen, als
ich die Pat. zum letzten Mal sah, noch sehr deutlich war, inzwischen völlig
geschwunden ist. Der Weg, auf dem ich das Anheilen der Thiersch-
schen Läppchen erreicht habe, ist eine Modifikation der Methode von
Esser. Es wurde ein Stück Abdruckmasse in die muldenförmige Höhle
‘gedrückt und am hinteren freien Rand der oberen Zahnprothese der Pat.
provisorisch mit Draht befestigt. Dann wurden die etwas unterminierten
Ränder des Defektes rundherum mit einigen Nähten gefaßt, so daß eich
damit die Wundränder überall ein wenig über den Rand der Stentseinlage
ziehen ließen. Diese wurde hierauf getrocknet, mit Mastisol bepinselt und
auf der oberen Seite mit einem breiten, vom Oberarm der Pat. entnommenen
Thierschschen Epidermislappen beklebt, dessen Wundfläche natürlich
nach außen liegt und dessen Ränder auch die Ränder der Einlage überall
gut bedecken. Dann wurde die Prothese eingesetzt und die Nähte wurden
über der oralen Fläche der Einlage radiär miteinander verknüpft, so daß
diese mit ihrer Epidermisbedeckung der Wundfläche gleichmäßig angedrückt
wurde. Nach 6—8 Tagen waren die Katgutnähte durchgeschnitten, die
Prothese mit der Einlage wurde entfernt und es zeigte sich, daß die Epi-
dermis auf der ganzen Wundfläche mit Ausnahme des Knochens angeheilt
war. An einer Stelle bestand ein winziges Loch im weichen Gaumen,
210 Aus Vereinen und Versammlungen.
das nach der Nase führte, aber unter dem Schutz der Prothese in wenigen
Tagen. von selbst verheilt ist.
Nachtrag: 6 Wochen später war die Mulde schon sehr abgeflacht
und glatt. Die Sprache klingt nur sehr wenig nasal. Beim Trinken voll-
kommener Abschluß des Velums. Auch bei der anderen Pat. Sch. wurde
die Geschwulst ohne nennenswerte Schwierigkeit entfernt und die An-
heilung von Oberhautlappen fast im ganzen Bereich des Defektes erreicht.“
Prof. W eiser bemerkt in der Diskussion hierzu: „Außer den von
mir bereits publizierten Fällen von Anheilung der Thiersch-Lappen
im Unterkiefer sind mir in jüngster Zeit auch wiederholt Thiersch-
Lappen im Öberkiefer anstandslos angeheilt, wo es sich darum handelte,
breite Wundflächen zu epithelisieren, welche bei der Loslösung narbiger
Anwachsungen von Lippen- und Wangenschleimhaut sich ergaben. Speziell
mit Bezug auf Dr. Pichlers operierte Myxepitheliome gereicht mir die
Wahrnehmung zu großer Befriedigung, daß allmählich immer größere Ge-
N der chirurgischen Stomatologie in die Domäne der Zahnärzte über-
gehen.‘
Dr. Breuer setzt seine Ausführungen über Honorarfrage und
Seer NEEE gen leiten fort.
Ordentliche Monatsversammlung vom 6. März 1918.
Anwesend die Herren DDr. Ballasko, Borschke, Breuer, Bum,
Dussik, Frey, Friedmann, Jarisch, Kraus, Mitscha, Ornstein,
Pichler, Piwnitschka,Schlemmer, Schuster, Surreker, Stauber,
Steinschneider, Prof. Weiser, Prof.v. Wunschheim, Ziegler. — Als
Gäste: Herasko, Hecht, Hoffmann, Kalmar, Natzler.
Präsident Dr. Breuer eröffnet die Sitzung.
Im Einlauf ist eine Einladung der ‚„Wirtschaftlichen Organisation
der Zahnärzte“, in der um Stellungnahme hierzu ersucht wird. Wir be-
grüßen die Gründung einer wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte
und jedem einzelnen Mitgliede steht es frei, dieser Verbindung beizutreten.
Dr.Friedmann glaubt, daß wir als Verein der Sache zuwartend
gegenüberstehen sollten.
Vortrag Dr. Pichler.
Präsident Dr. Breuer dankt Herrn Dr. Pichler für die besonders
interessanten Demonstrationen.
Dr.Kr-onfeld gibt eine Anregung, wonach den Herren, die ein-
gerückt sind, freigestellt werden soll, ihre Beiträge zu zahlen oder nicht.
Ordentliche Monatsversammlung vom 5. Februar 1919.
Präsident: Dr.Breuer.
Schriftführer: Dr.Kränzl.
Anwesend die Herren DDr.Ballasko, Borschke, Brauner, Breuer,
Bum, Dussik, Frey, Friedmann, Fuchs, Hillischer, Jarisch,
Kränzl, Kraus, Müller, Ornstein, F. Peter, Piwniczka, K. Ro-
biczek, Safron, Schwabe, Stauber, Steinschneider, Schlemmer,
Schön, Schönauer, Schönwald, Weiser. Wolf, v.Wunschheim,
Zeliska, Ziegler. — Als Gäste: Janisch, Irall, Sicher.
BE SEE Ze Vor uE E
‘
Aus Vereinen und Versammlungen. 911
Der Präsident eröffnet die Sitzung und konstatiert die Beschluß-
fähigkeit. Er begrüßt den nach seiner Rückkehr aus der russischen Ge-
fangenschaft zum ersten Mal im Verein wieder erschienenen Dr. Zeliska.
Er verliest den Einlauf, darunter eine Einladung der Gesellschaft
für Zahnpflege in den Schulen. Dazu berichtet Dr. Wolf, daß er als
Mitarbeiter für Mundhygiene in das Staatsamt für Volksgesundheit be-
rufen worden sei.
Hierauf stellt Med.-Rat Dr.Friedmann den Antrag, Punkt 3 der
Tagesordnung, eine geplante Lösung der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage,
als nächsten Punkt vornehmen zu wollen; wird angenommen.
Nach dem erschöpfenden Referat des Präsidenten und einer ein-
gehenden Wechselrede stellt Prof. Wunschheim den Antrag, ein drei-
giedriges Komitee zu wählen, welches sich an den Verhandlungen mit
den Zahntechnikern zu beteiligen habe und dem Vereine jeweils Bericht
erstatten solle. Wird einstimmig angenommen und hierauf in das Komitee
gewählt: Dr.Breuer, Dr.Kränzl, Dr.Dussik.
Verein Wiener Zahnärzte.
Sitzung vom 16. Jänner 1919.
Vorsitzender: Prof. Dr.L.Fleischmann.
Schriftführer: Dr.E.Bermann.
Dr. Fritz Pordes: Zahnärztliche Röntgenbilder und deren Deutung.
(Projektionsvortrag.) |
Bet: der durch den Rahmen eines Vortrages nötigen Auswahl aus
den zu besprechenden Kapiteln der Kieferradiologie gelangt Vortr. zu den
als ihm wichtig erscheinenden zwei Fragen nach der Indikationsbreite der
Röntgenologie in der Zahnheilkunde und nach der Frage der. Deutung
zahnärztlicher Röntgenbilder. Zur Beantwortung beider Fragen gibt Vortr.
eine kurze Schilderung der physikalischen Natur der Röntgenstrahlen,
wobei er zu dem Ende kommt, daß das Röntgenbild als zentral projektivisch
gewonnenes Diagramm der Dichtigkeitsunterschiede zu betrachten ist, und
bespricht dann in einer Reihe von nach Kapiteln der Pathologie aus-
gewählten Röntgenbildern diese beiden Fragen. Die Auswahl der de-
monstrierten Kapitel war folgende: Stellungs- und Durchbruchanomalien ;
zahnärztliche Fremdkörper; Fausse route; Veränderungen des Schmelzes;
Veränderungen des Zements (Hyperzementose); Veränderungen des Dentins
(Dentikel), sekundäres Dentin, penetrierende Karies; Veränderungen der
Alveolen; Periodontitis marginalis (Pyorrhoe); Periodontitis periapicalis.
Als Periodontitis chronica plastica non resorp-
tiva beschreibt Vortr.an dieser Stelle,eine bisher wenig oder nicht be-
achtete Form der chronischen Periodontitis, welche röntgenologisch durch
Verbreiterung des Periodontalraumes und Verdichtung und Verbreiterung
(reaktiver Entzündung) der Alveolarinnenkompakta gekennzeichnet ist.
TET. FI NISNI ASENA a eher KEE
212 Kleine Mitteilungen.
Die Erkrankung findet sich an jenen Zähnen, welche die anscheinend un-
erklärlichen periodontitischen Beschwerden verursachen und bisher sehr
häufig als röntgenologisch negativ befunden worden sind.
Periodontitis periapicalis resorptiva — Granulom und Wurzelzysten
mit ihren verschiedenen morphologischen Varietäten und Kombinationen.
Jedes dieser Kapitel wird zunächst an der Hand typischer Röntgen-
bilder erörtert und dann einzelne atypische Fälle des betreffenden Kapitels
demonstriert. Weiterhin werden noch die Indikationen des Grenzgebiets
der Zahnheilkunde und der „großen Chirurgie“, Tuberkulose, Lues, Aktino-
myokse, benigne und maligne Tumoren der Erörterung unterzogen. `
Prof. L. Fleischmann: Der Beifall, den der Vortrag des Herrn
Dr. Pordes auslöste, beweist, wie recht ich habe, wenn ich ihm für
seine ganz besonders instruktiven Ausführungen herzlichst danke.
. Kleine Mitteilungen.
(Dem Verband der Zahnärzte der Handelsgremialgehilfenkrankenkasse)
ist es durch seine Aktion, welche durch dessen Obmann Dr.Stark wirk-
sam vertreten wurde, gelungen, eine von 50—100% abgestufte Erhöhung
der Honorare zu erreichen. Leider gab eg — wie immer unter den Ärzten
— auch diesmal Dissidenten, welche auf eigene Faust Unterhandlungen
mit der Krankenkasse pflogen und die Arbeiten des Vorstandes erschwerten.
(Die „Zentralstelle für weibliche Berufsberatung“) sucht geeignete
Mädchen nach Schulschluß als Lehrlinge der Zahntechnik, ferner Mädchen
reiferen Alters als Assistentinnen bei Zahnärzten unterzubringen. Aus-
es erteilt das Sekretariat der „Zentralstelle“, Wien, I., Salvatorgasse
r. 10.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
— .
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Mlnzgasse 6,
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ Mi, Ye nsenshaflichn Zahnärzte Osterreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs.
Original Arbeiten.
Die folgenden Artikel sind erweiterte Diskussionsbemer-
kungen zu einem Vortrag Dr. Schreiers, den er als Er-
widerung auf Gottliebs Vortrag: „Wurzelbehandlung mit
besonderer Berücksichtigung des Antiformin“ (Öst. Zeitschr. f.
Stomat., 1919, H.1) im Verein Wiener Zahnärzte gehalten hat.
Die Ausführungen Schreieres decken sich dem In-
halte nach mit einem Vortrage, den er im Jahre 1913 im Verein
Wiener Zahnärzte gehalten hat (Öst. Zeitschr. f. Stomat., 1914,
H.1); es erscheint daher hier nur sein Schlußwort.
Zahnärztlich-röntgenologische Betrachtungen zur
Wurzelbehandlungsfrage. ')
Von Dr. Fritz Pordes.
Einleitend sei bemerkt, daß es nicht Gegenstand des folgenden
kleinen Aufsatzes sein kann, für oder wider eine der vielen unterschied-
lichen Arten der medikamentösen Behandlung des Pulpkanales Stellung
zu nehmen.
Als Röntgenarzt — gleichsam Konsiliarius — sieht man im Laufe
der Jahre sehr viele Ergebnisse aller Methoden. Und man kommt zu dem
Ergebnisse, daß jeder gewissenhafte Arzt mit der von ihm geübten Art
der Behandlung ein relatives Optimum erzielt. Daß es eine universell
wirksame Methode nicht gibt, konnte — nach dem Erfahrungssatz der
alten Ärzte, nach dem je mehr Mittel, desto weniger sicher das einzelne
“— geschlossen werden.
Überlegen wir, was unter dem Sammelbegriff „Wurzelbehandlung“
von einer Behandlungsmethode verlangt wird, nämlich der „reaktions-
lose Verlauf“, so sehen wir, daß das angefangen von der Devitalisierung
eines völlig intakten, kariesfreien Zahnes zum Zwecke der Verwendung
als Brückenpfeiler über die Behandlung einer Pulpitis partialis, totalis
oder gangraenosa bis zur Heilung bereits manifester Periodontitis peri-
1) Nach einer Diskussionsbemerkung zur diesbezüglichen Debatte im Verein
Wiener Zahnärzte.
Q
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 19
214 Fritz -Pordes.
apicalis incipiens und dem ausgebildeten Wurzelspitzengranulom ein recht
umfangreiches und für eine Behandlungsmethode recht vielgestaltiges und
reichhaltiges Indikationsbereich darstellt.
Im günstigsten Fall — bei dem kariesfreien intakten Zahn — hande
es sich wesentlich um die Erhaltung der im Pulp-Cavum vor-
auszusetzenden Keimfreiheit. In allen anderen Fällen ist — wie
bekannt — das Pulpa-Cavum als zweifellos infiziert anzusehen. °
Der wichtige Unterschied fiele gewiß noch schwerer in die Wagschale,
wenn es sich nicht um ein in der Mundhöhle gelegenes Operations-
feld handelte. Dennoch erschöpft sich im ersteren Falle die Aufgabe des
Operateurs in der Fernhaltung exogener Noxen. In allen
anderen aber gilt es, eine durch pathogene Keime hervorgerufene und
unterhaltene Entzündung zu beeinflussen.
Zwei Erwägungen waren es vor allem, die mich bewogen, zu dieser
a priori nur die praktischen Zahnärzte angehenden Debatte das Wort zu
erbitten. -Die erste betrifft die in der Debatte mehrfach angezogene Frage
der Sterilität und Asepsis bzw. der Desinfektion und Antisepsis. Sterilität
— Keimfreiheit im einzig erlaubten Wortsinn — ist bei Eingriffen,
die innerhalb der Mundhöhle vorgenommen: werden, ein Pium desiderium.
Schreier hat gewiß recht, wenn er den unter Kofferdam liegenden Zahn
mit einem aus seiner unhygienischen Häuslichkeit in einen mit allen
Finessen ausgestatteten ÖOperationssaal gebrachten Patienten vergleicht.
Abgesehen davon, daß, um den Vergleich vollkommen zu gestalten,
der Kofferdam am Zahnhals bakteriendicht abschließen müßte, wäre
selbst der intakte Zahn aber erst dann unter halbwegs aseptischen Kautelen,
wenn die Zahnoberfläche und die Bohrhöhle — SterilitätanHänden
und Instrumenten vorausgesetzt — wirklich steril zu machen wäre. Prak-
tisch ist sie das nicht und es werden zweifellos Erreger von außen nach
ınnen eingebracht werden.
Pulpitis partialis aber oder totalis oder gar gangraenosa wäre
gleichzuhalten etwa einem perforierten Empyem des Wurmfortsatzes oder
der Spaltung eines Pyarthros —, Fälle, die auch dem penibelsten Chirurgen
unerwünscht verlaufen können.
Da somit von Sterilität bei der Wurzelbehandlung kaum mit Recht
gesprochen werden kann (was natürlich nicht etwa dem leichtfertigen Auf-
geben der Sterilität dort, wo man sie haben kann — an Händen und In-
strumenten — das Wort reden soll; fremdes Infektionsmaterial dürfen
wir keinesfalls dazu tun!), so muß der Weg der Desinfektion und Anti-
sepsis betreten werden. Sterilität bedeutet Keimfreiheit, Des-
infektion heißt — so lehrt die Hygiene — Streben nach möglichster
Zahnärztlich-röntgenologische Betrachtungen etc. | 215
Vernichtung der pathogenen Keime Sterilisafion und D es-
infektion sind beide nur am toten Objekt anwendbar.
Innerhalb des lebenden Gewebes zu desinfizieren, Zellen im Zellen-
staat elektiv töten, wäre die trotz der bakteriotropen Mittel, wie Eukupin,
Optochin und Salvarsan, nicht erreichbare Therapia sterilisans magna —
der medizinische Stein der Weisen. Deeinfizieren können wir den leeren,
toten Pulpkanal bis zur Abrißstelle der Pulpa in der Gegend
des Foramen apicale. Der Ort aber, an dem eich die „Reaktion“ ab-
spielt oder nicht — meines Erachtens richtiger: an dem sie sich immer
abspielt, und in dem einen Fall die Bewußtseinsschwelle erreicht, in
dem anderen nicht — ist die periapikale Kalotte des leben-
den Periodontium.
Pathogenes Material in der lebenden Pulpa vorhanden oder in eie
eingebracht, wird durch das, wie Gottlieb so erlösend richtig bemerkt,
keine Grenze bildende Föramen apicale mit Sicherheit in die genannte
periapikale Periodontkalotte übergeleitet werden und sich dort einnisten
können. i -
Den leeren Pulpakanal mag man nun nach Extraktion der Pulpa
ferro ignique reinigen und desinfizieren, den Keimgehalt des lebenden
Gewebes um den Apex wird das sehr wenig kümmern, um so weniger, da
man das ganze Gebiet wörtlich „aus einem Punkt kurieren“ müßte.
Es bleibt also — was zu beweisen war — so gut wie immer
auch bei penibelster Arbeit in der periapikalen Kalotte des
Periodontium ein Infektrest, der von den Abwehrkräften des
Organismus überwunden werden muß.
Ob dies gelingt, hängt einerseits von der Kondition und Konstitution
des Trägers, andrerseits von der Zahl und Virulenz der Keime ab. Ge-
. schwächte Individuen (Diabetes, Tuberkulose, Rekonvaleszenz nach Masern,
„anergisches“ Stadium) werden doppelt im Nachteil sein, da sie einer
a priori reicheren und virulenteren Mundflora mit verminderten Kräften
gegenüberstehen. |
In jedem Fall von Wurzelbehandlung wird sich ein, nennen wir
es „reaktiver Vorgang“, im Gebiete der Abrißstelle der Pulpa, i.e. peri-
apikale Kalotte abspielen.
Ich bin mir bewußt, damit nichts Neues zu sagen. Die Erörterung
dieser Erkenntnis war als erster Teil jedoch notwendig, um die Voraus-
setzungen zu dem zweiten, mein Arbeitsgebiet der radiologischen Diagnostik
betreffenden Teil zu schaffen.
Ich finde bei wurzelbehandelten Zähnen — auch bei völlig be-
schwerdefreien, die aus anderen Gründen zur radiologischen Untersuchung
kommen — in einem überwältigend hohen Prozentsatz — um nicht zu
19*
216 Fritz Pordes. Zahnärztlich-röntgenologische Betrachtungeu etc.
sagen bei allen — Veränderungen im Gebiete der periapikädlen Periodont-
kalotte, die allerdings meistens so geringfügig sind, daß ich sie im Be-
funde kaum erwähne, sie vielmehr meistens in den Bereich des sozusagen
Physiologischen subsumiere.
Vorhanden sind diese Veränderungen für den geübten Beobachter
jedoch zweifellos — wie gesagt — in annähernd 100% aller Fälle.
Es handelt sich um minimale Erweiterungen des peri-
apikalen Periodontalspaltes, ganz zarte Auffaserung
und Auflockerung oder — was pathologisch-anatomisch als andere
Form dem gleichen Vorgange entsprechen würde — um Verstärkung
der apikalen Alveolarinnenkompakta.
Kurzum, es sind Zeichen, die unzweideutig auf einen abgelaufenen
entzündlichen Prozeß deuten, der im Knochen bekanntlich Resorption-
Halistere einerseits und Apposition-Sklerose andrerseits nebeneinander
verursachen kann.
Es resultierte das Paradoxon, daß — wollte man konsequent sein —
jeder wurzelbehandelte Zahn seine Periodontitis periapicalis durchgemacht
haben muß, daß es also eine reaktionslose Wurzelbehandlung sensu
strietiori nicht gibt.
Wie sich das praktisch verhält, mag etwa an einer kleinen Schnitt-
oder Stichwunde an den Fingern erörtert werden, wie sie jeder täglich
an sich beobachten kann.
Wenn die verletzte Stelle am Tag nach dem kleinen Unfall — be-
sonders beim Waschen — ein wenig Unbehagen verursacht, ja sogar einen
kleinen rötlichen Hof zeigt, wird es wohl niemandem einfallen, dem als
einer infektiößsen Entzündung, die es zweifellos darstellt, ernstlichere Be-
achtung zu schenken — und doch ist davon zur Lymphangitis und zur
Phlegmone nicht mehr als ein kleiner Schritt.
Die kleine Schrunde an der Hand heilt spurlos und das Korrelativ
an der periapikalen Kalotte um die Abrißstelle der Pulpa hinterläßt
wegen der eigentümlichen anatomischen Beschaffenheit der Gegend, der,
chirurgisch gesprochen, denkbar ungünstigsten für den Verlauf eines per
sit venia verbo secunda®n intentionem heilenden lazerierten Wunde eine
bleibende Veränderung in Gestalt der beschriebenen feinsten Veränderungen
am Periodontalspalt und an der Alveolarinnenkompakta.
Ich hätte die vielen, zum großen Teil als Binsenwahrheiten erschei-
nenden Prämissen und Erkenntnisse nicht so ausführlich zu erörtern gewagt,
erschiene mir die Schlußfolgerung für Röntgenologen und Zahnarzt nicht
so eminent wichtig. Mit ermutigt, diese seit langer Zeit subjektiv evidenten
a rn A
nt
B. Gottlieb. Einige weitere Bemerkungen zur Wurzelbehandlung. 217
Erkenntnisse mitzuteilen, hat mich die den reichen klinischen Erfahrungen
des Herrn Dozenten Dr.B.Klein entsprungene Äußerung, daß „jeder
u. Zahn seine periapikalen Veränderungen habe“. IH Hi
ie klinische Erfahrung KTeıne, daß im Laufe so gut wie jeder RL iR,
Pulpbehandlung Zeiten des — wenn auch nur leichtesten und kurz- ` Á
dauernden — Mißbehagens einen „Vorgang“ um den Apex anzeigen, be- lei: ;
gegnen sich mit der radiologischen Erfahrung von der sichtbaren Ver- í i
änderung des periapikalen Gebietes in solchen Fällen. Die Wichtigkeit Ne BE
scheint mir in der durch diese Erkenntnis noch weiter erschwerten Findung 7 ; im v
der Grenze zwischen der noch „normaln“ und „schon mit Sicherheit u
pathologischen“ Periapikalkalotte zu lje@en, um so mehr, als bekanntlich i
gerade diese Fälle der initialen Periodontitis periapicalis
resorptiva die diagnostisch nd therapeutisch größeren Schwierig-
keiten zu bereiten pflegen, als bereits ausgebildete Granulomhöhlen oder
Zysten.
Die vorliegende kleine — als vorläufige zu betrachtende — Mitteilung
ist als erweiterte Diskussionsbemerkung wegen der Kürze der Zeit ohne
Belegmaterial und entbehrt daher der ziffernmäßigen Exaktheit. Ich hoffe,
in Bälde das klinische und radiologische Material ausführlicher in Gemein-
schaft mit Doz. Klein bringen zu können.
Einige weitere Bemerkungen zur Wurzelbehandlung.'‘'
Von Dr.B. Gottlieb.
Ich habe seit der letzten Vereinssitzung KaNa oft verwendet uhd
bin zu folgendem Schlusse gekommen: Gleichgültig, ob es sich von vorn-
herein um durchgängige Kanäle handelt oder ob erst versucht werden
muß, sie durchgängig zu machen, ist sowohl die Dauer der Behandlung
wie der Endeffekt bei Antiformin und bei KaNa der gleiche. Was KaNa
durch Erzeugung einer heißen Lauge an Ort und Stelle zu bewirken im-
stande ist, nämlich die Überführung der organischen Substanzen in einen
löslichen Zustand, das trifft auch das Antiformin. Daß Säure nicht un-
bedingt notwendig ist, habe ich betont. Es ist aber jedenfalls überflüssig,
nach der Säure Soda einzuführen. Man fängt mit Antiformin an und
hört mit Antiformin auf. Da das Antiformin ein sehr intensives Alkali
ist, besorgt es selbst die Neutralisation eventuell verwendeter Säure zur
Genüge. Das Antiformin besteht ja aus Natriumhypochlorid und Laugen.
1) Zur Diskussion über den Vortrag Dr.E.Schreier: „Warum haben wir
keine einheitliche Methode der Wurzelbehandlung?“
218 B. Gottlieb.
Nicht nur Zeit und Endergebnis sind die gleichen, sondern auch die
Zahl der verwendeten Mittel. Beim KaNa wird das Präparat verwendet,
dann mit Wasserstoffsuperoxyd ausgewaschen und mit Alkohol getrocknet.
Beim Antiformin wird eventuell noch Säure verwendet und: ebenfalls mit
Alkohol getrocknet. Die auf diesen Punkt sich beziehende Bemerkung
des Herrn Dr.Schreier ist also nicht gerechtfertigt. Welches Mittel
bequemer zu verwenden ist, hängt natürlich in erster Reihe von der Ge-
wöhnung ab, in zweiter Linie aber auch von der Lokalisation des zu
behandelnden Zahnes. Bei Trepanation oberer seitlicher Schneidezähne
z. B. wird es so manchem Kollegen angenehmer sein, eine mit KaNa über-
zogene Nadel einzuführen, bei unteren Zähnen wird er mit Antiformin
lieber arbeiten.
Was nun den Vorgang bei der Antiforminbehandlung anlangt, über
den Herr Dr.Schreier Auskunft haben wollte, so kann ich nur wieder-
holen, was ich das erste Mal gesagt habe. Das Antiformin ist imstande,
organische Substanz aufzulösen. Wenn wir eine frisch extrahierte Pulpa
in ein Schälchen mit Antiformin geben, die Wurzelbehandlung zum Ab-
schluß bringen und uns nach der Pulpa im Antiformin umschauen, so
finden wir höchstens noch einen Schatten. Vermöge dieser Eigenschaft
des Antiformins sind wir in der Lage, jeden Kanal durchgängig zu machen.
wenn nicht eine ausgesprochene Knickung im Wurzelverlauf vorliegt. Dazu
kommt, daß durch die Mechanik des Herausschwemmens ganze Partikel
an den Kanaleingang befördert werden, was als eine Beschleunigung der
Reinigung registriert werden muß. Bei der Umsetzung mit Säure wird
O und Cl frei, die das ihrige zur Desinfektion beitragen.
«e Warum ich aber, bevor ich zum Antiformin übergegangen bin, was
übrigens sehr bald nach dem Beginn meiner zahnärztlichen Tätigkeit der
Fall war, nicht mit KaNa gearbeitet habe, hat darin seinen Grund, daß
ich davor zurückschreckte, im Munde ein „Feuerwerk“ anzurichten, wie
ich es von verschiedenen Seiten gehört: hatte. Das muß zumindest als
starke Übertreibung bezeichnet werden. Im Besitze des Antiformins jedoch
habe ich keine Veranlassung, im allgemeinen nach anderen Methoden zu
greifen.
Der Umstand, daß Schreier bei jeder Gelegenheit mit aller Kraft
für die Benützung des Kofferdam eintritt, hat stellenweise den Eindruck
hervorrufen können, daß KaNa nur unter Kofferdam zu verwenden ist. Es
verdient deshalb neuerdings bestätigt zu werden, daß auch in Fällen, wo
kein Kofferdam angelegt werden kann, KaNa ganz gefahrlos zu gebrauchen
ist. Herr Dr.Schreier plädiert mit vollem Recht für den Kofferdam
und es wird niemandem einfallen, ihm darin: zu widersprechen. Auch vom
Standpunkte der Zeitökonomie muß man für den Gebrauch des Koffer-
Einige weitere Bemerkungen zur Wurzelbehandlung. 219
dam eintreten, da die für das Anlegen desselben aufgewendete Zeit durch
das von der Sorge um den Speichelzutritt entlastete Arbeiten in den
meisten Fällen überkompensiert wird.
Und nun möchte ich noch auf einen Punkt seiner Ausführungen
eingehen. Er erwähnt, daß er die Pulpa immer unter Anästhesie gleich
extrahiert und, wenn nicht eine auch bei Zuwarten nicht stillstehende
Blutung ihn daran hindert, er gleich — natürlich mit Point — füllt.
Dieser Vorgang ist theoretisch ohne Zweifel der idealste. Das heißt, ins
Chirurgische übersetzt, eine Operation einzeitig zu Ende führen und gleich
nähen. Das ist die beste Garantie gegen jede Infektion.
Die sofortige . Pulpaextraktion unter Anästhesie wird von vielen
Kollegen geübt. Auch ich habe diese Methode anfangs zögernd und in
der letzten Zeit immer häufiger angewendet und kann sie ebenfalls aufs
wärmste empfehlen. Wiewohl ich noch vor fünf Monaten die Arseneinlage
als normalen Vorgang bezeichnet habe, sehe ich mich veranlaßt, das zu
widerrufen und es als wünschenswert zu bezeichnen, die sofortige Pulpa-
extraktion unter Anästhesie, Kofferdam und möglichster Sterilität als Norm
zu bezeichnen. Viele lassen sich deshalb davon abhalten, weil sie bei
Eröffnung der Pulpakammer unter Anästhesie eine Empfindlichkeit beim
Durchstoßen des Kammerdeckels vorfinden und annehmen zu müssen
glauben, daß bei tieferem Vordringen die Empfindlichkeit sich steigern
müßte. Es muß daher hervorgehoben werden, daß trotz Vorhandenseins
dieser Empfindlichkeit die Pulpaextraktion ganz schmerzlos von statten
geht. Es erinnert uns dies Verhalten an die Tatsache, daß die Schmelz-
dentingrenze meist empfindlicher ist als.das Dentin, trotzdem die nervöse
Leitung durch das Dentin zieht. Man muß annehmen, daß die sensiblen
Auffangsapparate an diesen zwei Stellen (in dem einen Falle die Odonto-
blastenschicht, in dem anderen Falle die an organischer Substanz relativ
reiche Schmelzdentingrenze) besonders empfindsam sind, deren Reiz trotz
vorhandener medikamentöser Leitungsunterbrechung sich zu einer Zeit
noch durchsetzt, während der von zentralwärts gelegenen Stellen aus keine
Reize gegen das Zentrum hin befördert werden können.
Die Methode der sofortigen Pulpaextraktion unter Anästhesie eignet
sich für jede Praxis, nicht nur weil sie mit dem geringsten Zeitaufwand
verbunden ist, sondern weil sie logisch und erfahrungsgemäß die beste ist.
In diesem Punkte müssen wir Dr.Schreier rückhaltslos zustimmen.
Anders verhält es sich mit der sofortigen Wurzelfüllung in den
. Fällen von anscheinend stillstehender Blutung. Trotzdem wir diese Me-
thode vom Standpunkte der Sterilität als das Ideal betrachten müssen,
trotzdem ich in den Fällen, in denen ich sie angewehdet habe, nicht
eine periostale Reizung erzeugte, halte ich sie trotzdem nicht für all-
-T ma ege,
990 B. Gottlieb. Einige weitere Bemerkungen zur Wurzelbehandlung.
gemein empfehlenswert. Es kann kommen und kommt auch bei der Be-
rührung der Points mit der frischen Querschnittswunde zu einer neuer-
lichen Blutung, die sogar in manchen Fällen am Kanaleingang neben dem
Point manifest wird, woraus wir schließen können, daß sie in anderen
Fällen bei geringerer Intensität ebenfalls vorhanden sein kann, ohne am
Kanaleingang zum Vorschein zu kommen. Dieser Blutung gegenüber
können wir uns aber keinesfalls so gleichgültig verhalten wie der Chirurg
gegenüber einer kleinen Nachblutung in sein Operationsfeld. In den
Weichteilen können Blutgerinnsel organisiert und unschädlich gemacht
werden, im Wurzelkanal können wir auf so einen Vorgang nicht rechnen.
Es wird das Blut im Kanal liegen bleiben und bei absoluter Sterilität
wohl keinen Schaden anrichten, jedoch bei Vorhandensein auch nur einer
geringen, im Anfang latenten Infektion, mit Rücksicht auf den totalen
Mangel an Schutzvorrichtungen, in dem toten Kanal im Laufe der Zeit
Unheil stiften können.
‘Ferner fehlt mit Rücksicht auf die bestehende Anästhesie die kon-
trollierende Angabe des Patienten, ob wir mit dem Point schon am
Foramen apicale sind und stoppen müssen, eine Kontrolle, auf die auch
eine feinfühlende Hand nur ungern verzichten wird.
Endlich ist die Pointfüllung undicht, wenn eine Blutung zwischen
Point und Kanallumen erfolgt ist, wodurch wir einiger Vorteile beraubt
werden, die ich seinerzeit zugunsten der Guttaperchapointfüllung ange-
führt habe.
Aus diesen Gründen sehe ich mich veranlaßt, die Methode der so-
fortigen Wurzelfüllung nach Pulpaextraktion unter Anästhesie nicht all-
gemein zu empfehlen. Am geeignetsten hierfür sind die Zähne älterer
Individuen mit atrophischer Pulpa und engem Foramen apicale.
Hat man jedoch mit Arsen abgeätzt und tritt bei der Pulpaextraktion
' nach 48 Stunden keine unstillbare Blutung ein, so empfiehlt es sich, gleich
zu füllen. Vor allem haben wir die Kontrolle des Patienten und die
Gefahr der Nachblutung ist nach der Arsenwirkung eine geringere.
Allenfalls kann man die Behauptung aufstellen, daß man in der
Regel eine Wurzelbehandlung bei lebender Pulpa in höchstens 2 Sitzungen
zum Abschluß bringen kann. Es sei nochmals bestätigt und betont, daß
diese Abkürzung nicht bloß im Interesse der Zeitersparnis gelegen ist,
sondern auch eines reizloseren Ablaufes der Behandlung.
Die Forderung nach einer allgemein anerkannten, einheitlichen |
Methode der Wurzelbehandlung halte ich für durchführbar und dringend.
Heinrich Reschofsky. Prinzipien der Zahnheilung. 291
Prinzipien der Zahnheilung.
Von Dr. Heinrich Reschofsky.
Dr. Schreier sagt, unser Fach sei nur eine Kunstfertigkoit;
damit meint er wohl nur die manuelle Ausführung wie auth bei der
übrigen Chirurgie. Die Entdeckung der Mikrobien und deren Wirkung
auf den Organismus ist eine Wissenschaft, sie hat auch die Erfindung
des KaNa gezeitigt, dessen Erfinder sich somit selbst dementieren will.
Nur schießen wir über das Ziel hinaus.
Seit Robert Koch wimmelt es. in unserem Gehirn von Bazillen
und Kokken, unser ganzes Sinnen und Trachten ist darauf gerichtet, die
Mikrobien zu ätzen, sengen, morden, brennen. Keine Nilflußniederung ist
je so überschwemmt gewesen, wie die Zahnhöhle mit Antiseptizis.
Obendrein handelten viele, darunter auch meine Wenigkeit, nach der
gehäuften Methode und freuten sich kannibalisch, wie da erst die Bazillen
zappeln müssen, wenn man die wirksamsten Antiseptika addiert, kombiniert
und kumuliert. Die Toxine der Bakterien wurden gerne übersehen mit-
samt ihrer Unschädlichmachung, ebenso blieb die Inkompatibilität der
Chemikalien ein wunder Punkt. |
Wir sind beherrscht von der Beherrschung der Antisepsis und ver-
gessen, daß unser Endzweck die Heilung des kranken Zahnes ist und der
bethlemitische Bakterienmord nur ein Mittel, eine Vorbedingung zu diesem
Endzweck darstelle. Das hat die allgemeine Chirurgie längst eingesehen
und ist auf dem Wege über Antisepsis, dann Asepsis zur Überzeugung
gelangt, daß man alles vermeiden soll, was den Heiltrieb des Organismus
stören könnte. Antisepsis ist nur ein Teil der Therapie und durch über-
mäßige Anwendung stört sie nur die Heilung und zerstört ihr eigenes
Werk. Weshalb sollte der Zahnarzt dieser Erkenntnis nicht zugänglich sein ?
Ich unterschätze den Eprouvettenversuch nicht, aber den Zusammen-
hang des lebenden Organismus kann er nie ersetzen, da ist Empirie maß-
gebend. Auch ich habe meine Anschauung nicht über Nacht gebildet,
sondern nach vielfachen Mißerfolgen und im: Laufe jahrelanger Erfah-
rungen. Der Zahn soll nicht als Ding an sich behandelt werden, sondern
als Teil des Organismus mit Berücksichtigung des vitalen Zusammenhanges.
Dazu sind wir univ. Med.-Doktoren, daß wir dieser Tatsache Rechnung
tragen. Und das Mittel, das den Mikrobien vermeint war, schädigt viel
leichter die empfindlichere Organzelle in ihrer Funktion als das zähe,
. widerstandsfähigere Bakterium. Deshalb soll die Tätigkeit des konzen-
trierten Antiseptikums nur auf den Zahn beschränkt bleiben.
Und das vereint sich nicht mit der alleinseligmachenden Viel-
geschäftigkeit, denn speziell die mit Watte armierte Nadel wirkt wie .ein
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 2%
222 Heinrich Reschofsky. Prinzipien der Zahnheilung.
Spritzenstempel und treibt einen Teil des Wurzelkanalinhalts durch das
Foramen apicale, deshalb vermeide ich es, gleich in der ersten Sitzung
Vergnügungsreisen durch den Kanal anzustellen. Im günstigsten Falle
bleiben Veränderungen des Gewebes im Apex, wie sie Doz. Klein im
Röntgenbilde selbst bei gelungenen, vorläufig reaktionslosen Fällen kon-
statierte, die Prof. W eiser als Narben diagnostizierte. Eine nicht vas-
kularisierte Narbe bleibt ein Fremdkörper, der sich nach jahrelanger Ruhe
rühren kann, und ist stets ein Locus minoris resistentiae wie der ganze
tote Zahn. Wo man es daher vermeiden: kann, soll man es vermeiden.
Aber je komplizierter und mühsamer eine Behandlung, desto stolzer ist
man, sie innezuhaben, und dankt inbrünstig Gott, nicht so zu sein wie
die Horde.
Und nun kommt Dr.Schreier, der uns ein Mittel erfindet, mit
welchem man nur in den Wurzelkanal zu fahren braucht, um dasselbe
zu erreichen. Einfach empörend! Wenn es schon unangenehm ist, das
Beharrungsvermögen einer bequemen, altgewohnten Methode durch eine
mühsame neue zu überwinden, ist es direkt aufreizend, eine einfache an-
zuerkennen, die jedem zugänglich ist und die ganze hehre eigene Aus-
erlesenheit unnötig macht. Leider ist die Art und Weise, in welcher Dr.
Schreier zu seiner Methode bekehren will, beleidigend. Einzelne Aus-
nahmsfälle, die jedem passieren können, zu verallgemeinern und die An-
schauungen irgend eines Herrn aus Bombay ‘zum „Standard of gentlemen-
hood“ zu erheben, erregt Kopfschütteln. Unfaßbar ist mir auch, wie jemand
die Konstitution und Disposition leugnen kann. Wie viele Menschen
haben ihr Leben lang faule Wurzeln ohne Beschwerden im Munde, während
andere ewig an Schmerzen und Entzündungen leiden.
Wie erklärt sich Dr. Schreier, daß alle kofferdamlosen, daher
nur Auch-Zahnärzte, mindestens in der Hälfte der Fälle doch mit Erfolg
arbeiten trotz des Wüsten-Schreiere, der seine KaNa-Magnesiumblitze
gegen das kofferdammte Zähne-Babel schleudert? ! Dann haben wir es
ja bei faulen Zähnen mit dem schon infizierten Organ zu tun und es
‚wird keinem Chirurgen einfallen, bei einem Mißerfolg nach der Operation
eines eitrigen Blinddarms oder einer Ovarialzyste seiner eigenen oder
seines Personals Hand- und Fußwaschung die Schuld zu geben.
Auch die Chirurgen arbeiten nicht alle nach einer einheitlichen
Methode. Womit der eine glänzende Erfolge erzielt, das versagt bei dem
anderen, was noch lange nicht gegen seine Tüchtigkeit spricht. Vorurteils-
lose Prüfung soll jede ernste Anregung empfangen, damit sie befruchtend
neben den anderen wirken könne.
Im Sinne meiner Ausführungen ist also das KaNa wohl keine
Panacee, aber ich verwende es seit 15 Jahren mit dem besten Erfolge
- E. Schreier. Schlußwort. 223
und kenne kein anderes Mittel, das ebenso rasch als gründlich desinfiziert
und dabei so einfach in der Handhabung ist. Deshalb empfehle ich
wärmstens, es zu versuchen. Nur muß man sich streng an die Vorschriften
des Erfinders halten, bevor man ein Urteil fällt. Denn jede Behandlung
ist eine Serie von Einzelaktionen, die wie Kettenglieder ineinandergreifen
und, da jede Kette so stark ist, wie ihr schwächstes Glied, so wird sie
reißen, wenn man eines ihrer Glieder willkürlich durch ein schwächeres
ersetzt. Da hat man kein Recht zum Nasenrümpfen. Andrerseits ist das
noch kein Anlaß, um beschimpft zu werden. Noch weniger ist es Gott
lieb, wenn jemand eine so bedeutende Erfindung, die einen mächtigen
Fortschritt bedeutet, ohne sie überhaupt versucht zu haben, nur so über
die Achsel mit einigen herablassenden Worten zur Seite schiebt.
Zum Schlusse möchte ich Ihnen Folgendes ans Herz legen: Gene-
rationen vor uns haben aus ihren jahrelangen Erfahrungen und glücklichen
Gedanken die Treppen gebaut und eingesäumt mit den Warnungstafeln
ihrer Irrtümer. Auf diesen mühvoll gebauten Stufen steigt der Nachfahre,
dem auf diese Weise Irrtümer erspart bleiben, mühelos empor zu den
Höhen des heutigen Wissens und es ziemt ihm daher nicht, geringschätzig
herabzublicken auf eben diese Stufen, denen er es zu verdanken hat, daß
er so hoch steht. !
`
Schlußwort.
Von Dr.E. Schreier.
Ehe ich zur Besprechung der zu meinem Vortrage vorgebrachten
Bemerkungen mich wende, will ich mich darüber äußern, was mich dazu
veranlaßt hat, meine Ausführungen in eine ungewöhnliche und heftige
Form zu kleiden. Das war die Überzeugung, daß endlich etwas zu ge-
schehen hat, um, wenigstens in unserem Verein, in welchem der viel-
geplagte Praktiker Belehrung und Anregung zu finden erwartet, es durch-
zusetzen, daß bei Besprechung einer Frage Tatsachen erörtert werden.
Herr Dr.Oppenheim hat sich gewundert und gefragt, warum es keine
einheitliche Methode der Wurzelbehandlung gibt. Diese Frage habe ich
klar und deutlich beantwortet und gezeigt, daß die Frage falsch gestellt
war. Denn das hat auch die Diskussion ergeben, daß sie eigentlich zu
lauten hatte: Warum wird eine Methode der Wurzelbehandlung, die nun
beinahe 30 Jahre besteht — die Kalium-Natriummethode —, die im Prinzip
richtig aufgebaut, in der Praxis die besten Resultate ergibt, die von
jedem leicht und sicher gemeistert werden kann, mit Beharrlichkeit tot-
geschwiegen und von der Wissenschaft, gegen die sie ja durchaus nicht
verstößt, bei Seite geschoben ? Diese Frage konnte, wenn wahrheitsgemäß,
20%
224 E. Schreier. Schlußwort.
nicht höflich beantwortet werden, und so ist es natürlich, daß meine
Ausführungen auf entrüsteten Widerspruch gestoßen sind.
Über sonstige in der Diskussion aufgeworfene Fragen kann ich mich
ganz kurz fassen. Herr Dr.Gottlieb meint, niemand wird mir ernst-
lich widersprechen, wenn ich immer und immer wieder für den Gebrauch
‚des Kofferdam eintrete. Darin irrt er, alles widerspricht in dieser Frage,
und es war nicht das erste Mal, daß ich mit scharfer Betonung Aussprüche
von Professoren zitiert habe, welche an deutschen Universitäten lehren
und gegen den Gebrauch des Kofferdam sich wenden. Herr Dr.Pordes
bestreitet, wenn ich ihn recht verstanden habe, die Berechtigung des von
mir gebrauchten Ausdruckes: Aseptisches Vorgehen. Ich höre von der
Asepsis immer in der Chirurgie sprechen und habe mir sie bisher immer
so vorgestellt. Der Chirurg hat irgend einen Eingriff im nicht infizierten
Gewebe vorzunehmen, das er deswegen für keimfrei hält, weil keine Kon-
tinuitätstrennung vorliegt. Er reinigt das Operationsfeld und glaubt, daß
er es keimfrei bekommt. Es ist mir nicht bekannt, daß er, um sicher zu
sein, eine bakteriologische Untersuchung anstellt und daß er ein Bakterien-
filter während des Verlaufes der Operation um die Wunde legt, wie es
Dr.Pordes von mir zu verlangen scheint, wenn er einwendet, daß der
Kofferdam nicht bakteriendicht schließt. Dann nimmt der Chirurg durch
Kochen steril gemachte Instrumente in seine, wie er annimmt, nicht durch
Kochen, steril gemachten Hände, wischt mit sterilen Tupfern das Blut
weg usw. Wenn ich an einem intakten Zahne aus irgend einem Grunde
die Wurzelbehandlung zu machen habe, so bringe ich ihn in mein Sana-
torium, den Kofferdam, dann reinige ich ihn ebenso wie der Chirurg sein
ÖOperationsfeld, nicht durch Kochen, was auch der Chirurg nicht tut,
sondern, und da habe ich vor dem Chirurgen einen Vorteil, indem ich ihn
in Kalilauge bade. Dann öffne ich ihn mit einem in der Flamme aus-
geglühten Karborundstein und dringe in die Pulpakammer mit einem
ausgekochten Bohrer. Nichts hindert mich, auch weiter genau so vorzu-
gehen, wie der Chirurg bei seiner Operation und so bin ich wohl ebenso
wie dieser berechtigt zu sagen, daß ich aseptisch vorgehe, ùm so mehr,
als ich niemals in die Lage komme, meine Wunde mit den Händen zu
berühren.
Nach Beendigung der Operation bleibt ebenso wie beim Chirurgen
eine aseptische Wunde, die der Organismus aus Anerkennung für mein
Vorgehen reaktionslos zur Heilung übernimmt. Daß an den meisten,
wenn nicht an allen wurzelbehandelten Zähnen röntgenologisch nachweis-
bare Veränderungen des apikalen Teiles sich finden, bezweifle ich um eo
weniger, als ich mich schon im Jahre 1893 durch eigene Untersuchungen
davon überzeugt habe, daß Pulpitis und Periostitis nur Grade derselben
J. Koch-Langentreu. Bericht über die kieferchirurg. Tätigkeit ete. 295
Infektion sind, indem ich immer imstande war, bei Pulpitis aus dem
Periost des extrahierten Zahnes dieselben Eitererreger zu züchten wie aus
der makroskopisch unveränderten Pulpa. Für mich folgt daraus, daß ich
jeden pulpakranken Zahn als mit einem apikalen Abszeß kompliziert an-
nehme, weshalb ich die Wurzel nicht unmittelbar nach der Desinfektion
fülle, sondern erst in einer späteren Sitzung, wenn eine dichte provisorische
Füllung reaktionslos vertragen wurde. Eine Ausnahme mache ich nur dann,
d.h. ich fülle sofort, wenn eine Fistel besteht, denn der Prozeß im Knochen
kann nur dann heilen, wenn nicht immer von neuem frisches Infektions-
material durch den Wurzelkanal zugeführt wird, und das ist nur dann
möglich, wenn der Kanal gefüllt ist.
Herr Dr.Reschofsky wendet ein, daß auch Zahnärzte, welche
ohne Kofferdam arbeiten, bei der Wurzelbehandlung Erfolge erzielen, wie
er angibt, wenigstens in der Hälfte der Fälle. Ich zweifle nicht daran und .
bin ihm sehr dankbar, daß er bei der Wahrheit bleibt und nicht behauptet,
daß sie überhaupt keinen Mißerfolg haben. Ich kann ruhig versichern,
daß alle diese Zahnärzte bei Verwendung des Kofferdam wenigstens um
30% mehr Erfolge aufzuweisen hätten und dabei rascher, leichter und
angenehmer, auch für den Patienten, die Arbeit ausführen würden. Ich
werde mich speziell bemühen, ihn davon zu überzeugen und hoffe, daß
er schon bei der nächsten Gelegenheit in den Schlachtruf Kofferdam ein-
etimmen wird.
: Bericht über die kieferchirurgische Tätigkeit des
zahnärztlichen Universitätsinstitutes Graz 1914—1918.
- (Vorstand: Prof. Dr. Franz Trauner.)
Von Assistenten Dr. Josef Koch-Langentreu.
Bereits im Jahre 1913, als uns die Gefahr eines Krieges nahe rückte,
machte Prof. Trauner beim Kriegsministerium in Wien auf die Not-
wendigkeit einer spezialistischen Behandlung der Kieferverletzten und Zahn-
kranken aufmerksam und stellte für den Mobilisierungsfall das zahnärzt-
liche Universitätsinstitut (Z. U.-I.) dem Kriegsministerium zur Verfügung.
Das Anerbieten wurde mit M.-K.-E. Nr. 2160 ex 17. Mai 1913 angenommen
und zugleich die Vergütung der Materialkosten durch das Militärärar zu-
gesichert. Dieser Erlaß bildete die Grundlage, auf der die Behandlung
der kieferverletzten Soldaten sofort mit Kriegsbeginn in Angriff genommen
werden konnte.
Mit 3. Oktober 1914 stellte der Frauen- und Hilfsverein vom Roten
Kreuze in Steiermark im Rekonvaleszentenheime des Landeskrankenhauses
(Kottulinski-Stiftung) eine kleine Abteilung von 20 Betten zur Verfügung
des Z. U.-I. Bereits nach 3 Monaten erwiesen sich diese Räume zu klein
und wurde das ganze Haus mit 100 Betten Belag Prof. Trauner, der
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 21
226 | Josef Koch- Lang entren.
inzwischen zum Oberstabsarzt auf Kriegsdauer ernannt worden war, über-
lassen. Der weitere Zuzug von Verwundeten, besonders seit dem Eintritt
Italiens in den Krieg, machte eine Erhöhung des Belages auf 200 Betten _
im selben Hause notwendig. Die langwierige, oft 1—2 Jahre und länger
dauernde spezialistische Nachbehandlung schwer Kieferverletzter ließ auch
diesen Belagraum zu klein werden, so daß im Juli 1916 das Universitäts-
spital mit einem Belagraum von 200 Betten dem Kieferspital als Re-
konvaleszentenstation angegliedert wurde.
Die Lage des Kieferspitals im Areale des Landeskrankenhauses er-
möglichte es, die gesamte Behandlung der Verletzten (technisch wie ope-
rativ) an dem Z. U.-I. zu konzentrieren. Die mit einem Verwundeten-
transport angekommenen Patienten wurden ins Kieferspital eingeliefert,
verblieben während der ersten Zeit, so lange sie schwer transportabel waren,
daselbst und mußten mittelst Rollwagen auf die Klinik geführt werden.
In der Rekonvaleszenz wurden die Leute dem Universitätsspital übergeben.
Dortselbst waren auch die Schulen für verschiedene Handfertigkeiten, für
Sprachen, Schreiben und Lesen sowie für Landwirtschaft untergebracht, die
den Leuten während der langen Nachbehandlungsperiode Beschäftigung
bieten und ihnen die Möglichkeit geben sollten, sich für den oft notwendigen
Berufswechsel vorzubereiten. Zur weiteren Ausbildung wurden solche
Soldaten ambulatorisch in die verschiedenen Invalidenschulen gesandt.
Gleichzeitig damit setzte die unter der Leitung des Lektor Steil stehende
Schulung der Kieferverletzten im Sprechen ein, deren treffliche Erfolge
für das Fortkommen der Leute im Leben von hervorragender Be-
deutung sind.
Am Z. U.-I. wurde ferner die Behandlung der zahnkranken und jener
Militärpersonen des Korpsbereichs Graz und darüber hinaus durchgeführt,
die behufs Erlangung der Frontdiensttauglichkeit mit einer Prothese zu
beteilen waren. Diese Leute — in viele Tausende gehend — waren im
k. u. k. Reservespital Nr.2 in Eggenberg untergebracht und erschienen zur
ambulatorischen Behandlung. Zur Bewältigung dieser vielseitigen und um-
fangreichen Arbeit waren dem Z. U.-I.10 Ärzte zugeteilt worden, die auch
den Inspektionsdienst in beiden Spitälern versahen. Gegen 20 militarisierte
‚ Zahntechniker besorgten den technischen Teil des Betriebes.
Schwierig war es, in den schon für den Friedensbetrieb kisinan
Räumen des Z. U.-I. Platz zu schaffen für den Massenbetrieb, den es als
Zentralstelle für alle Kieferverletzten und Zahnkranken zu bewältigen
hatte. Alle Lokalitäten mußten ausgenützt werden: der Hörsaal wurde
geteilt und in eine Technik verwandelt, ebenso wie das histologisch-mikro-
skopische Laboratorium. Weiters wurde das Kurszimmer sowie ein Keller-
raum den Technikern eingeräumt. Das Zimmer des klinischen Assistenten
wurde zum ÖOperationsraum umgestaltet.. Im Plombiersaal standen zwölf
Stühle in enger Nachbarschaft. Das Verbinden der Kriegsverletzten sowie
ganz kleine chirurgische Eingriffe wurden jedoch in den Verbandzimmern
der beiden angegliederten Spitäler vorgenommen.
Leichter gestaltete sich die Einrichtung des Rekonvaleszentenheimes
als Kieferspital, das nahezu mit demselben Komfort wie das Landeskranken-
haus ausgestattet ist. Im Universitätsspital hingegen ergaben eich mannig-
fache Schwierigkeiten. Zur Verfügung standen nur die Aula, das juridische
Bericht über die kieferchirurgische Tätigkeit ete. 297
Dekanat und Prüfungszimmer, die juridischen Hörsäle sowie das theo-
logische Dekanat und die theologischen Hörsäle. Es mangelte an warmem
Wasser, das immer aus der Küche im Keller geholt werden mußte; die
schwierige Heizung der hohen Hörsäle im Winter machte sich oft genug
unangenehm bemerkbar.
Die Verwundeten kamen in der späteren Kriegszeit durchschnittlich
5—6 Tage nach dem Trauma, jedoch immer innerhalb der ersten 12 Tage
in unsere Hände. Zu Kriegsbeginn freilich lagen die Verhältnisse in dieser
Hinsicht viel ungünstiger, es vergingen oft Monate, ehe die Verletzten
einer spezialistischen Behandlung zugeführt wurden, was leider nur zu
oft zu einer nicht mehr gut zu machenden Schädigung des Heilungsverlaufes
führte. Die primäre Versorgung der Verwundeten von auswärts war die.
denkbar primitivste und beschränkte sich auf die Stillung der ersten, oft
äußerst profusen Blutungen, die weitere Behandlung auf Mundspülungen.
Die Nahrungsaufnahme mochte Tage hindurch gleich Null gewesen sein;
so war der Gesamtzustand der Patienten immer ein sehr schlechter. Hatte
sich der Mann nach 24—48 Stunden von den Strapazen des Transportes
einigermaßen erholt, so wurde an die Versorgung der Wunde geschritten.
Sehr selten war es notwendig, Narkose anzuwenden, fast immer fanden
wir mit einer Umspritzung mit 1—2%iger Novokainlösung das Auskommen,
ja sehr häufig konnten wir gerade diese erste Ausräumung ganz ohne
jede Schmerzbetäubung ausführen, wenn wir nur mit der nötigen Vorsicht
zu Werke gingen und vor allem unnötigen Zug und Druck im gesunden
Gewebe vermieden. Diese erste reinigende und, ich möchte sagen, orien-
tierende Operation beschränkte sich darauf, alles zu entfernen, was an
losen Knochenstücken und Zahntrümmern in der Wundhöhle lag und jene
fürchterliche Jauchung und den Gestank verursacht, der bekanntlich der
Kieferverletzung eigen ist. Ganz besondere Aufmerksamkeit wurde dabei
auch den Zahnwurzeln, sowohl frakturierter als auch kariöser Zähne, ge-
schenkt, weil diese unseren Erfahrungen nach in hohem Maße die primäre
Heilung der Wunde wie insbesondere der Knochen (Pseudarthrose) ver-
zögern. Lange dauernde Wangen- und Narbeninfiltrate und Fisteln sahen
wir prompt sich zurückbilden nach Extraktion einer anfangs vergessenen
und zurückgelassenen Wurzel. Was die Erhaltung von Knochenstücken
anlangt, bei denen es fraglich erschien, ob sie wieder funktionstüchtig
werden würden, so muß natürlich die Kieferchirurgie in ihrem Vorgehen
knuservativer sein, als es ihre’ große Schwester, die allgemeine Chirurgie,
ist, aber prinzipiell wurde zweifelhafter Knochen geopfert, auch in größerer
Ausdehnung, wenn wir hoffen konnten, dadurch eine im Gang befindliche
Sepsis in ihren schwersten Folgen vom Patienten abwenden zu können.
Bei allen Unterkieferbrüchen beendeten wir diese erste Operation mit einer
Drainage der Frakturstelle von der Mundhöhle nach außen mit Gummi-
drain, das uns ein Reinhalten der Wunde und das tägliche Durchspritzen
derselben mit H.O, ermöglichte. Es folgte Verband mit Ichthyolglyzerin.
Der prinzipiellen Verwendung von Ichthyol schreiben wir es zu, daß das
Erysipel bei uns ein seltener Gast war, während es sonst bei Kopf-
verletzungen fast unvermeidlich schien. Freilich unterstützten wir diese
Wirkung des Ichthyols durch eine sorgfältige Pflege der umliegenden Haut
mit besonderem Augenmerk auf Aknepusteln und seborrhoische Ekzeme
des behaarten Schädels. Übrigens behielten wir fast alle Fälle von Erysipel
21*
228 Josef Koch-Langeutreu.
in unserer Behandlung, um nicht kostbare, schwer errungene Erfolge mangels
spezialistischer Beaufsichtigung einzubüßen. Gleichzeitig mit der ersten
Versorgung der Verletzung wurden Gipsabgüsse der Kiefer genommen
und so rasch als möglich an die Schienung der Fraktur geschritten.
Die Gesichtspunkte, die bei der Wahl einer Schienungsmethode für
uns entschieden, waren in erster Linie die möglichste Fixierung der Bruch-
stücke in der besterreichbaren Artikulation, in zweiter Linie die tunlichst
einfache Konstruktion, die eine entsprechende Festigkeit und Dauerhaftig-
keit versprach neben leichter Möglichkeit der Reinigung und schließlich
durfte der Apparat nicht zu viel Raum einnehmen, damit der Patient
nicht unter Behinderung der Nahrungsaufnahme und des Sprechens leide.
Zwecks leichterer Reinhaltung des Mundes wurden abnehmbare Apparate
bevorzugt.
War es gelungen, durch Schienung die Fraktur zur Heilung zu bringen,
so wurde so rasch als möglich eine Prothese angefertigt, wobei wir bemüht:
waren, zwischen den kosmetischen und praktischen Gesichtspunkten ein
entsprechendes Kompromiß zu schließen. Nun kam die Nachbehandlung.
Schwere Defekte der Weichteile wurden meist bald nach der primären
Heilung in Angriff genommen, sobald nur die entsprechenden Bedingungen
— Ende der Sequestrierung und Erweichung der Narben — gegeben
schienen. Im Kampfe mit den Narben und keloiden Geweben haben sich
uns die manuelle Massage derselben und die Bestrahlung mit Quarzlampe
bestens bewährt. Selbstverständlich richteten wir auch unser schärfstes
Augenmerk auf einen guten Gesundheitszustand der Haut; Komedonen
und Aknepusteln wurden erst nach den üblichen Methoden zum Ver-
schwinden gebracht, ehe an die Operation geschritten wurde. Zur Deckung
der Weichteildefekte wurde ausschließlich die umliegende Haut in Form
von gestielten Lappen herangezogen. Die Umwälzung gestaltete sich häufig
sehr groß, da äußere Haut oft zur Bildung der Wangenschleimhaut und
diese wieder für das Lippenrot gebraucht wurde. Häufig genug mußten
eine oder mehrere korrigierende Nachoperationen der ersten großen Plastik
nachgeschickt werden, Ein eigenes Kapitel der Weichteilplastiken stellen
die Fisteln der Parotis und des Ductus Stenonianus dar. Diese sind im
allgemeinen als benigen zu bezeichnen; in den meisten Fällen genügte
eine sorgfältige Faszienplastik zum Verschluß; in zwei Fällen wandten
wir die Behandlung mit Faden ohne Ende mit bestem Erfolge an. Zur
Schmerzbetäubung wurde bei allen plastischen Operationen ausschließlich
die Lokalanästhesie mit 1%iger Novokain-Adrenalinlösung verwendet.
Schwer gestaltete sich die Behandlung der Pseudarthrosen des Unter-
kiefers. Erst wurde versucht, nach exaktester Schienung, durch Exzision
der bindegewebigen Brücke zwischen den Stümpfen und Anfrischung der
Knochenenden mit Eröffnung der Markhöhle den Knochen zu proliferativem
Wachstum anzuregen. Hatte dieser Eingriff keinen Erfolg gezeitigt, so
wurde zur Knochenplastik geschritten. Zur Verwendung gelangten aus-
schließlich Knochenspäne, die mittelst Kreissäge aus dem einen der
Knochenstümpfe entnommen wurden und mit einem möglichst breiten er-
nährenden Weichteil-Muskelstiel in Verbindung standen. Der Knochen-
span wurde zwischen die Stümpfe gelegt und das Periost sorgfältigst genäht.
und darüber eine entsprechende Weichteildecke zum Schutze gelegt. Vor-
Bericht über die kieferchirurgische Tätigkeit etc. 399
bedingung für diese Autoplastik war exakteste Schienung der Kiefer in
richtiger Artikulation, um eine sichere Ruhigstellung der Frakturenden
zu gewährleisten. Dem Patienten wurde anfangs nur breiige Nahrung ver-
abreicht und ihm auch das weite Öffnen des Mundes untersagt. Von einem .
Gipsverband wurde jedoch immer Abstand genommen. In jenen seltenen
Fällen, wo diese Methode, eventuell wiederholt, keinen Erfolg zeitigte
und dann, wenn Patient einen operativen Eingriff verweigerte, verfertigten
wir mit Hilfe von abnehmbaren Silbergalerien Prothesen, die fast immer
das Kauvermögen in zufriedenstellender Weise verbesserten.
Bei den Verletzungen des Oberkiefers kamen als häufigste und un-
angenehmste Komplikationen die Perforationen des harten Gaumens und
die Eröffnung der Kieferhöhle in Betracht. Letztere mußte übrigens oft
genug erst sekundär wegen Empyems operativ eröffnet werden. Unser
Vorgehen bei Behandlung von Kieferhöhleneiterungen bestand in ziemlich
breiter, gut zugänglicher Freilegung von der Mundhöhle aus. Dann wurde
durch 2—3 Wochen fest tamponiert, inzwischen wurde eine Prothese mit
zapfenförmigem Fortsatz als Verschluß angefertigt. Dieser Zapfen wurde
dann nach und nach verkleinert und so der Perforationsöffnung Gelegen-
heit zum Verschluß gegeben. Chronische Empyeme der Highmorshöhle,
die jeder Behandlung trotzten, wurden 'behufs Radikaloperation der spe-
zialistischen Behandlung übergeben; es waren deren nur wenige.
Was die technische Seite unseres Betriebes anlangt, so hatten wir
unter dem allgemeinen Mangel an Rohmaterial sehr zu leiden. Vom Jahre
1917 an konnte Kautschuk nur mehr für die notwendigsten Arbeiten für
Kriegsverletzte verwendet werden, alle anderen Prothesen mußten aus
Aluminium und Zellon angefertigt werden, dessen Beschaffung ebenfalls
mit großen Schwierigkeiten verbunden war. Zur Ausfüllung umfangreicher
Peloten und Kautschukfortsätze verwendeten wir mit gutem Erfolge das
Material alter zerstückelter Prothesen in 25% Zusatz zum frischen Material.
Der gänzliche Mangel an Alkohol zur Desinfektion der Hände zwang
uns, Benzin zu diesem Zweck zu verwenden und die fast ausnahmslose
per primam-Heilung unserer Gesichtsplastiken spricht für die gute Ver-
wendbarkeit desselben als Desinfiziens.
Statistische Übersicht über die Tätigkeit des Z. U.-Bund der ihm an-
gegliederten Spitäler 1914—1918:
Kieferverletzte: Zuwachs: 3117. Abgang: 1308 als dienst-
tauglich zum Kader, 754 zur Superarbitrierung, 387 in diverse Rekon-
valeszentenabteilungen abgegeben, 648 in andere Spitäler transferiert,
20 durch Tod.
Operationen: Sequestrotomien 741, Geschoßextraktionen 59,
Abszeßeröffnungen 477, Weichteilplastiken 301, Knochenplastiken 88,
Kieferhöhlenoperationen 121, Naht von Fisteln der Parotis und des
Duktus 31, Epulis 19, Zysten 49, Wurzelspitzenresektionen 145, Dentitio
difficilis des Weisheitszahnes 26, Unterbindungen großer Gefäße 16, Osteo-
tomien 9, Osteome 1, Alveolarresektionen .135, sonstige 153.
Ambulatorium: Zahnextraktionen 47.854, Prothesen 20.156,
Füllungen 15.672.
230 Winke für die Praxis.
Winke für die Praxis.
Zur Herstellung von Amalgamkronen.
Von Dr. Eduard Kränz).
Der Aufbau von Amalgam auf Molaren und Prämolaren — ein
billiger und dauerhafter Ersatz für Goldkronen — wird sehr mit Unrecht
in der Praxis, selbst in der Praxis pauperum, vernachlässigt. Ohne
Zweifel ist es leichter, eine Goldkrone dem Gefühle des Patienten nach
gut sitzend und schön glänzend zu machen, als einen dauerhaften Aufbau °
aus Amalgam herzustellen, der mesial und distal richtige Kontaktpunkte
und naturgemäße Formen aufweist. Da eine richtig verankerte und
genügend massiv aufgebaute Amalgamkrone eine mindestens ebenso lange
Lebensdauer wie eine Goldkrone hat, dafür aber nicht den Nachteil des
. unter das Zahnfleisch getriebenen und dort selbst im besten Falle als
Fremdkörper wirkenden Ringes, ist die Indikation für jene bei Molaren
fast immer gegeben. Bei den Prämolaren unterliegt ein ganz freier
Aufbau auf einen Wurzelstumpf derselben Gefahr der leichten Splitte-
rung der Wurzel wie eine mit einem einfachen Stiftzahn versehene In-
zisiven- oder Kaninuswurzel. In vielen Fällen wird aber bei Prämolaren
schon dann eine Krone gemacht, wenn mesial und distal Karies ist und
der bukkale oder palatinale bzw. linguale Höcker stärker unterminiert ist.
In solchen Fällen halte ich die Indikation für eine Krone noch nicht für
gegeben, weil man mit einer mesio-okkluso-distalen Füllung, die zugleich
auch die ganze Kaufläche mit einbezieht und dadurch die übrig gebliebenen
Stümpfe vor dem Absplittern schützt, auch den Zahn dauernd konser-
vieren kann. ®
Die Technik der Anfertigung der Amalgamaufbaue als bekannt
vorausgesetzt, soll der Zweck dieser Zeilen nur sein, gewissermaßen die
Lust und den Mut zu Amalgamkronen zu heben, da ich aus eigener Er-
fahrung weiß, daß man immer eine gewisse Scheu vor denselben hat,
wegen des Zeitaufwandes in den Ördinationsstunden, der geringen Ein-
schätzung bei den Patienten und des eigenen geringen Zutrauens in
die Festigkeit des Aufbaues und seiner Widerstandsfähigkeit gegen se-
kundäre Karies. Letztere Einwände oder Annahmen sind bei richtigem
Vorgehen beim Präparieren, Verankern und Stopfen des Amalgams eo
ipso hinfällig. Die Einschätzung ist die materielle Seite der Angelegen-
heit und erledigt sich daher in jedem Falle und bei jedem Arzte anders.
Was den Zeitaufwand anbetrifft, so kann man denselben bedeutend herab-
Winke für die Praxis. 231
setzen, wenn man sich Ringe und Stifte vorrätig hält. Als letztere haben
sich in Friedenszeiten, als man noch Messing erhalten konnte, kleine
Schräubchen aus dieser Metallegierung recht bewährt, weniger solche aus
reinem Kupferdrahte. Derzeit nehme ich Packfongdraht, weil sich dieser
von all den Ersatzmitteln für Drähte im Reserveepital Nr.17 am besten
bewährte, nachdem auch Nickeldraht nicht mehr zu bekommen war.
Man muß sich natürlich sehr verschiedene Formen von Stiftchen bereit
halten und wird doch nicht in jedem Falle gleich einen passenden zur
' Verfügung haben. Doch ist der Zeitaufwand für die Anfertigung oder
Zurechtfeilung, die richtige Krümmung und Einkerbung nicht allzu groß.
Bei mehrwurzeligen Prämolaren und den Molaren wird man gut tun, auch
mehrere Stifte einzuzementieren. Dabei muß man darauf achten, daß
zwischen dem Stifte und der Matrize oder der Zahnwand mindestens so
viel freier Raum ist, daß man mit einem Stopfer das Amalgam gut
hineinstopfen kann, da es sonst an diesen Stellen brüchig werden könnte.
Für die Matrizen kann man sowohl die im Handel befindlichen
Kohinoor-Matrizen aus Zelluloid als auch selbst hergestellte aus dünnem
Neusilberblech oder den ebenfalls im Handel erhältlichen Matrizenblech-
streifen verwenden. Erstere sind aber der relativen Dicke ihrer Wand
wegen nur bei alleinstehenden Zähnen und solchen, bei denen noch mehr
von den Zahnwänden stehen geblieben ist, angezeigt, da sie aus diesem
Grunde die Herstellung eines guten Kontaktpunktes erschweren und nicht
so leicht unter das Zahnfleisch zu schieben sind wie die dünneren Blech-
matrizen. Prof. Pichler bevorzugt Matrizen aus dünnem Kupferblech
der großen Dehnbarkeit und Biegsamkeit dieses Metalles wegen. Es emp-
fiehlt sich, der Zeitersparnis halber von den Blechringmatrizen eine Anzahl
sich vorrätig zu halten, und zwar für Prämolaren aus Streifen in der
Länge von 23—28 mm, für Molaren von 32—38 mm. Wenn man gewohnt
ist, die Ringmasse für die Kronen überhaupt mit dem Herbstschen
Ringmaße zu nehmen, so ist es gut, sich: auch die Kohinoor-Matrizen
auf dieses Maß hin umzuwerten, weil man dann die Auswahl derselben
leichter treffen kann. Um diesen an Stellen, wo es sich notwendig erweist,
also meistens an den proximalen Flächen, eine Ausbauchung geben zu
können, braucht man nur mit einem erwärmten Instrumente mit geringer
Kraftanwendung von der Mitte der Kavität nach außen zu drücken und
es wird sich die gewünschte Bauchung sofort bilden. Bei den Blechmatrizen
eucht man dies durch Anrotieren oder mittelst der Konturzange zu er-
reichen. An den proximalen Flächen muß man vor dem Anrotieren selbst-
verständlich gingival die Matrize durch Holzkeile, nasse Wattebäuschchen
oder Feuerschwammstückchen festgelegt haben. Okklusal soll die Matrize
232 = Winke für die Praxis.
ja nicht zu stark abgerundet sein, weil sonst eine recht unschöne Form
des Zahnes herauskommt und schon Bedacht auf die Höcker und Fissuren
— bei Molaren z.B.— genommen werden. Die Kaufläche wird in ihrem
Umriß natürlich immer breiter aus der Matrize herauskommen, als sie
dann bleiben kann. Die Konvexität der äußeren und inneren Zahnwände
muß man eben durch das Zuschleifen mit Scheibchen und kleinen Steinen
zu erreichen suchen.
Wenn nicht gerade ein besonders ungünstiger Fall vorliegt, so kann
man mit der Schlußpräparation des wurzelgefüllten Zahnes, dem Ein-
passen des Ringes und der Stifte und der Festsetzung der Matrize in
einer halben Stunde wohl leicht fertig werden. Inzwischen bereitet die
Assistenz Amalgam und Zement vor. Das Einzementieren der Stifte und
Stopfen des Amalgams ist das wenigst Zeitraubende.. Auch mit dem
Modellieren der Kaufläche soll man nicht zu viel tun. Ich habe gefunden,
daß mir die Form der Kaufläche am besten gelungen ist, wenn ich nach
einem flüchtigen Zubeißen des Patienten mit dem Amalgamschnitzer nach
Pichler die Fissuren sozusagen grob hineinzeichnete. Der Amalgam-
schnitzer ist so genial konstruiert, daß er die natürliche Form der Fissuren
und Höcker fast von selbst macht. In der nächsten Sitzung wird dann
die Matrize entfernt und der Amalgamaufbau zugeschliffen und poliert,
wcbei: man nur darauf achten muß, daß man nirgendwo zu viel weg-
nimmt in bezug auf die Kontur, denn das kann man dann nicht mehr
ersetzen und es beeinträchtigt sehr die eigene Befriedigung, die man an
einer wohlgelungenen Silberkrone hat. Ich habe auch Amalgamkronen aus
der Safronschen Legierung gegossen und solche, die nach Zinnfolien-
abdruck am Modell gestopft worden waren, eingesetzt, aber gefunden,
daß doch die wenigst zeitraubende Methode, die zugleich auch die besten
Resultate liefert, die direkte Herstellung im Munde des Patienten ist.
Als Beweis für die Haltbarkeit der Amalgamkronen will ich nur
anführen, daß ich an von Dr. Zigmondy übernommenen Patienten zwei
Amalgamkronen auf Prämolaren zu beobachten die Gelegenheit habe, die
derzeit schon über 15 Jahre tadellos funktionieren und eine Amalgam-
krone sogar auf einem oberen Eckzahne mit einer kosmetisch sehr be-
friedigenden Porzellanzementfacette, die, obwohl nur als Notbehelf ge-
macht, auch schon über 10 Jahre getragen wird.
Was die materielle Seite der Amalgamkronen betrifft, muß man
sich eben sagen, daß das Honorar für eine Amalgamkrone in der Tasche
besser ist als die Forderung für eine Goldkrone im Buch oder — im Kamin!
Referate und Bücherbesprechungen. 233
Referate und Bücherbesprechungen.
* Die Syphilis mit besonderer Berücksichtigung ihrer Erscheinungen im
Munde. Ein Leitfaden für Zahnärzte und Studierende. Von Georg
suttmann. Berlin, H. Meusser, 1919.
Ein ganz vorzügliches kleines Kompendium, ausgezeichnet durch ziel-
strebige Kürze und übersichtliche Anordnung. Der Autor, praktischer
Zahnarzt, hat richtig zu beurteilen verstanden, was von dieser ebenso
wichtigen als umfangreichen Materie der Syphilidologie für den Zahnarzt
zu wissen von Interesse und Notwendigkeit ist. Die im Interesse des
Zahnarztes und seiner Patienten gleicherweise unumgänglich zu fordernde
Kenntnis der luetischen Effloreszenzen der Mund- und Rachenhöhle erfährt
in dem Büchlein Guttmanns eine anschauliche, durch Textillustra-
tionen und schr gute farbige Tafeln wirksam unterstützte Darstellung.
Die von Zeitennot anscheinend unberührte Ausstattung des Buches, Druck
und Papier, machen seine Lektüre angenehm. —des—
Zur Pathogenese, Pathologie und Therapie der Alveolarpyorrhöe. Von
Dr.P.Kranz, Frankfurt a.M. D.M.f. Z., 1919, H.4 u.5.
Die Beziehungen der Spirochäten und der Salvarsantherapie zu Pyorrhoea
alveolaris und anderen Erkrankungen des Mundes. Von Hans Seidel,
Münster i. W. D. Zahnheilk., H. 41.
Fast gleichzeitig erscheinen zwei Arbeiten, die dasselbe aktuelle
Thema der Salvarsantherapie der Alveolarpyorrhöe behandeln und un-
abhängig von einander zu im wesentlichen ganz gleichen Resultaten
kommen. Es erscheint daher zweckmäßig, diese beiden Publikationen auch
im Referat nebeneinander zu stellen.
i Kranz bespricht zunächst die in der Literatur niedergelegten An-
sichten über Vorkommen und Morphologie der Spirochäten in der Mund-
höhle. Von allen diesen Beobachtungen ist ja die wichtigste gewiß die
.von Kolle aufgestellte Behauptung, daß man bei der Alveolarpyorrhöe
aus der Tiefe der Tasche eine bestimmte Spirochätenart fast in Rein-
kultur gewinnen kann, der er den Namen Spirochaeta pyorrhoica gab und
die er als den spezifischen Erreger der Pyorrhöe ansieht. Die Beschrei-
bung, die Kolle selbst gibt, ist aber keineswegs eine wirklich befrie-
digende. Er sagt: „Diese Spirochäte ähnelt der Obermeieri; sie ist 10 bis
124 lang; die Zahl der Windungen beträgt durchschnittlich 5 und
schwankt zwischen 4 und 7. Die Windungen sind flach, doch bestehen bei
den einzelnen Individuen gewisse Unterschiede. Die Enden der Spiro-
. chäten sind meistens zugespitzt; im Dunkelfeld zeigt sie Flexions-,
Rotations- und Ortsbewegungen. Die Spirochäte steht demnach dem so-
genannten großen Typus der Zahnspirochäten nahe.“ In gemeinsamer
Arbeit mit dem Zahnarzt Beyer wurde festgestellt, daß durch intra-
venöse Injektion von Salvarsan ohne jede lokale Behandlung die meisten
der behandelten Pyorrhöefälle glatt zur Ausheilung gebracht werden
‚konnten. Dabei schwinden die anfangs so zahlreichen Spirochäten voll-
ständig. Die von Kranz angestellten bakteriologischen Untersuchungen
zeigten nun im Gegensatz zu den Befunden Kolles immer ein buntes
Gemisch verschiedener Spirochätenformen in dem aus der . Taschentiefe
234 Referate und Bücherbesprechungen.
entnommenen Eiter; „von einem regelmäßig in der Überzahl, ja sogar
in Reinkultur vorkommenden Typ habe ich nichts gesehen“. Eine Er-
klärung der divergenten Angaben ist vor allem darin zu suchen, daß
Beyer und mit ihm Kolle ein Krankheitsbild als Alveolarpyorrhöe
bezeichneten, das augenscheinlich mit der Pyorrhöe nichts zu tun hatte.
Die von Kolle-Be yer beschriebenen Symptome, wie heftige Schmerzen,
Ulzerationen in der Wange und am Gaumen, Fieber und vor allem das
Vorkommen von Sequestrationen nach Verlust des befallenen Zahnes
beweisen, daß es sich bei ihren Fällen wahrscheinlich um Epidemien von
ulzerösen Gingivitiden gehandelt hat. Die Krankengeschichten von Kranz
zeigen nun, daß bei echter Alveolarpyorrhöe eine Salvarsantherapie ohne
lokale Behandlung stets erfolglos bleibt, daß hingegen Gingivitiden durch
sie sehr gut beeinflußt werden. Die bakteriologische Untersuchung zeigt
dementsprechend auch bei der Pyorrhöe keinen Schwund der Spirochäten.
Auch bezüglich der Beeinflussung anderer pyorrhoischer Zustände kommt.
Kranz zu dem Schlusse, daß „die Heilerfolge mit Salvarsan weniger
oder gar nicht dem Einfluß des Salvarsans auf die Spirochäten zuzu-
schreiben seien, als vielmehr der epithelisierenden, allgemein regenerie-
renden und roborierenden Wirkung des Allheilmittels“. Er kommt dazu
unter anderem auch durch die Untersuchung des Speichels bei normalen
und mit Salvarsan behandelten Individuen, wobei bei ersteren Spuren von
Arsen im Speichel nachweisbar waren, die durch Salvarsaninjektion nicht
erhöht wurden. Nach einer Übersicht über die in der Literatur ver-
breiteten Ansichten über die Ätiologie der Pyorrhöe befaßt sich Kranz
mit der Nomenklatur. Er faßt dabei die von Kolle und Beyer be
schriebenen Fälle unter dem Namen Gingivitis pyorrhoica zusammen. In
bezug auf das sonst unter dem Namen der Alveolarpyorrhöe zusammen-
gefaßte Krankheitsbild macht Kranz nur den Unterschied zwischen
Pyorrhoea alveolaris im engeren Sinne und Alveolitis destructiva, bei
der der bei Alveolarpyorrhöe typische Pus und Tartarus häufig fehlen
und die Erkrankung und schließliche Auflösung des Alveolarfortsatzes
die bedeutendste Rolle spielen.
Die ätiologischen Momente für die Entstehung der Alveolarpyorrhöe
bilden nach Kranz in erster Linie die lokalen Reize durch die Ab-
lagerung der Kalkkonkremente, „während für die Fortdauer der Krank-
heit die lokalen infektiösen Ursachen, die Bakterien und Protozoen.
Pneumokokken, Micrococcus catarrhalis, die verschiedensten Spirochäten,
vielleicht auch Amöben, fusiforme Bazillen, eine nicht zu unterschätzende
Rolle spielen“. Allgemeinerkrankungen läßt er nur als prädisponierende
Momente gelten. Die Therapie ist eine chirurgisch-chemische, also Ent-
fernung von Zahnstein und Granulationen und Beeinflussung der letzteren
und der Mikroorganismen durch Jod, Milchsäure, Methylenblau und Ar-
gentum nitricum. Wichtig ist der Satz: „Eine 'Restitutio ad integrum
ist in den meisten Fällen ausgeschlossen, da die Patienten meist erst
zur Behandlung kommen, wenn der Alveolarfortsatz schon in Mitleiden-
schaft gezogen ist.“
Auch Seidel bespricht im Eingange seiner Arbeit zuerst die Lite-
ratur über die Mundspirochäten, vor allem wieder die Arbeiten Kolles
und Beyers. Seine eigenen Untersuchungen decken sich fast völlig
mit denen von Kranz. Er kommt in den ersten Abschnitten seines
Referate und Bücherbesprechungen. | 235
Buches zu der Ansicht, daß die Pathogenität von Mundspirochäten oder
einer bestimmten Art noch nicht ‘erwiesen ist. Charakteristisch ist vor
allem seine Stellungnahme zu Kolles Spirochaeta pyorrhoica, die er
fast wörtlich gleich mit der Ansicht von Kranz dahin präzisiert, daß
„von einem Bild, das einer Reinkultur gleicht, weder bei den Bildern
Kolles noch bei denen, die man sich selbst aus Pyorrhöeeiter herstellt,
die Rede sein kann“. Demnach kann er die Spirochaeta pyorrhoica nicht
als spezifischen Erreger der Pyorrhöe gelten lassen, zumal sie auch an
anderen Stellen der Mundhöhle vorkommen kann. „Es empfiehlt sich, über
den Spirochäten, deren eitererregende Fähigkeiten nicht nachgewiesen sind,
nicht zu vergessen, daß bei der Alevolarpyorrhöe die bekannten Eiter-
erreger in Mengen vorkommen.“ — Seine eigenen Beobachtungen über die
therapeutischen Erfolge mit Salvarsan faßt er ungefähr folgendermaßen
zusammen: Bei allen Zahnfleischerkrankungen schwinden vorhandene
Schmerzen meist ganz. Das Zahnfleisch sieht erheblich besser aus, seine
Neigung zu Blutungen ist verringert. Aber selbst nach mehrmaliger In-
jektion konnte bei echter Alveolarpyorrhöe ohne lokale Therapie weder
eine Abnahme der Eiterabsonderung noch eine Heilung der Taschenbildung
festgestellt werden. Das Zahnfleisch zeigt auch hier ein besseres, strafferes
Aussehen, doch konnte von einer spezifischen Wirkung des Salvarsans
auf das Krankheitsbild im ganzen keine Rede sein. Die lokale Salvarsan-
applikation nach. Beyer bessert das Krankheitsbild in akut entzünd-
lichen Fällen, ohne es aber ayszuheilen, ruft dagegen bei den nicht akut
entzündlichen Prozessen sogar eine Verschlechterung im Aussehen des
Zahnfleisches hervor. Eine lokale Injektion von Salvarsan in das
Zahnfleisch, wie sie Beyer ebenfalls empfiehlt, hat Seidel ebenso
wie Kranz aus begreiflichen Gründen überhaupt unterlassen. Man muß
Kranz Recht geben, der den Mut bewundert, mit dem Beyer diese
Art von Therapie einschlägt. Was im allgemeinen die Beeinflussung der
Mundspirochäten durch Salvarsan anlangt, so konnte Seidel weder bei
intravenöser noch bei lokaler Anwendung eine dauernde Beseitigung der-
selben feststellen. Viel gründlicher als mit Salvarsan gelang ihm im Selbst-
versuch die Abtötung der Mundepirochäten durch Spülen mit einer 1%
Tanninlösung. Als wichtigstes Ergebnis stellt Seidel folgendes hin:
„Da bei der Salvarsaninjektion die besseren klinischen Erfolge, jedoch
die schlechteren bezüglich der Spirochätenbeseitigung erzielt werden, wäh-
rend die lokale Anwendung von Salvarsanglyzerin schlechtere klinische
Erfolge, jedoch erfolgreichere Spirochätenbeseitigung ergibt, da ferner
auch sonst nicht immer ein Zusammenhang zwischen Spirochätenabnahme
und Fortschreiten der Heilung besteht, so ist es höchst unwahrscheinlich,
daß die Besserung im Aussehen des Zahnfleisches bei Stomatitiden und
Gingivitiden auf der spirochätentötenden Wirkung der Salvarsaninjektion
beruht.“ Wieder in Übereinstimmung mit Kranz glaubt Seidel viel-
mehr, daß diese Beeinflussung des Aussehens des Zahnfleisches auf der
allgemeinen Arsenwirkung beruht. Bezüglich der Therapie der Pyorrhöe
warnt Seidel geradezu vor der Anwendung des Salvarsans und befolgt
wie Kranz die chirurgisch-chemische Therapie. Dagegen hat die Sal-
varsaninjektion ihre Berechtigung einerseits bei Stomatitis scorbutica und
bedrohlichen Formen von Stomakace und Noma, ferner auch bei den seltenen
Fällen von heftigen Schmerzen bei Pyorrhöe, die durch Salvarsan fast
regelmäßig zum Verschwinden gebracht werden.
236 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Wenn wir die fast gleichlautenden Aussagen der beiden gründlichen
Arbeiten zusammenhalten, dann scheint uns das Urteil über die Salvarsan-
therapie bei Alveolarpyorrhöe endgültig gefällt. So lange wir bezüglich
der Ätiologie der Pyorrhöe noch immer im Dunklen tappen, müssen wir
uns eben mit einer symptomatischen Therapie begnügen, zu der meiner
Meinung nach neben der chirurgisch-chemischen auch noch die Ent-
lastungstnerapie nach Károlyi zu zählen ist. Sicher.
'
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Bestimmungen über die Verleihung der Würde
eines Doktors der Zahnheilkunde in Preußen.
1. Die Verleihung des Doktors der Zahnheilkunde (Doctor medi-
cinae dentariae) erfolgt durch die medizinische Fakultät, zu der an Uni-
versitäten ohne planmäßige Lehrer der Zahnheilkunde die außerplan-
mäßigen Lehrer dieses Faches hinzutreten. Bei der mündlichen Prüfung
muß mindestens ein Lehrer der Zahnheilkunde beteiligt sein. Es bleibt
jedoch den Fakultäten unbenommen, besondere Sektionen als Prüfungs-
kommissionen für die zahnärztliche Doktorprüfung zu errichten.
2. Die Verleihung des Doktors der Zahnheilkunde ist an die An-
fertigung einer wissenschaftlichen druckfähigen Abhandlung und eine
mündliche Prüfung gebunden; sie kann aber auch als eine Ehrenerweisung
durch freies Zugeständnis der Fakultät erfolgen. Nur in Deutschland
approbierte Zahnärzte dürfen die Würde eines Doktors der Zahnheilkunde
erwerben.
3. Die wissenschaftliche Arbeit hat ein Thema aus der praktischen
oder theoretischen Zahnheilkunde oder aus den die Zahnheilkunde be-
rührenden medizinischen Fächern zu behandeln. Die mündliche Prüfung
umfaßt das gesamte Gebiet der Zahnheilkunde sowie nach näherer Maß-
gabe der Ziff.8 drei weitere mit der Zahnheilkunde im Zusammenhange
stehende medizinische Fächer (Anatomie, Physiologie, Pathologie, Chirur-
gie, innere Medizin, Dermatologie, Hygiene und Bakteriologie, Pharmako-
logie). |
4. Die Gebühren sollen 500 Mark nicht übersteigen. Eine Wieder-
holung der Prüfung soll gestattet sein.
Eine Promotio in absentia findet unter keinen Umständen statt.
5. Bei der Meldung ist vorzulegen:
l. das Reifezeugnis eines humanistischen Gymnasiums, eines Real-
gymnasiums oder einer Oberrealschule;
2. die Approbation als Zahnarzt;
3. der Nachweis eines mindestens achtsemestrigen geordneten
Studiums (Abgangszeugnisse deutscher oder als anerkannt gel-
tender Universitäten des Auslandes);
4. eine in deutscher Sprache abgefaßte, leserlich geschriebene
Dissertation mit Lebenslauf des Kandidaten;
5. eine eidesstattliche Versicherung, daß die Dissertation selb-
ständig, ohne unerlaubte Hilfe gearbeitet ist.
Kleine Mitteilungen. 237
6. Bei Zurückweisung der Dissertation kann dem Kandidaten ge-
stattet werden, spätestens innerhalb eines Jahres eine neue oder die ver-
besserte Dissertation einzureichen. Die Drucklegung der Dissertation hat
der Kandidat auf eigene Kosten zu besorgen. Die Genehmigung der
Fakultät mit gleichzeitiger Bezeichnung des Referenten ist auf dem Titel
der Dissertation zu erwähnen.
7. Die Zulassung zur mündlichen Prüfung kann erst nach Annahme
der Dissertation durch die Fakultät erfolgen.
8. Die mündliche Prüfung erstreckt sich auf zwei Hauptfächer, von
denen das eine gemäß Ziff.3 Zahnheilkunde ist, das andere durch den
Gegenstand der Dissertation bestimmt wird, sowie zwei Nebenfächer, welche
der Kandidat zu wählen hat. Ist die Dissertation dem Gebiete der Zahn-
nun entnommen, so wird das zweite Hauptfach von dem Kandidaten
gewählt
9. Bei der mündlichen Prüfung soll die wissenschaftliche Seite mehr
als die praktische betont werden. Die Zensuren dieser Prüfung und die
Zensur der Dissertation ergeben das Prädikat, mit welchem die Prüfung
auf dem Diplom als bestanden bezeichnet werden soll. Besteht der Kan-
didat die mündliche Prüfung nicht, so ist sie ganz zu wiederholen, frühestens
nach 3 Monaten. Zwischen der mündlichen Prüfung und Promotion kann
höchstens ein Zeitraum von 2 Jahren liegen.
10. Bei der Promotion überreicht der Dekan dem jungen Doktor
das Diplom. Die Kosten der Herstellung des Diploms trägt der Doktorand.
11. Die Ehrenpromotion bezweckt die Anerkennung ausgezeichneter
Leistungen auf dem Gebiete der Zahnheilkunde; sie kann auf Antrag
eines Vertreters der Zahnheilkunde durch einstimmigen Beschluß der
Fakultät erfolgen. Sie geschieht unentgeltlich und bei kostenfreier Aus-
fertigung und Zustellung des Diploms.
12. Nach 50 Jahren kann das Doktordiplom erneuert werden.
13. Die Doktorwürde geht verloren:
1. wenn die eidesstattliche Versicherung über die selbständige An-
fertigung sich als unrichtig erweist;
2. wenn dem Besitzer rechtskräftig die bürgerlichen Ehrenrechte
aberkannt sind.
Die Entziehung des Diploms hat durch öffentliche Bekanntmachung
am schwarzen Brett zu erfolgen.
Kleine Mitteilungen.
(Adreßkalender der Zahnärzte 1919/20.) Die Vorarbeiten für den
von mir herausgegebenen, im Verlag der Berlinischen Verlagsanstalt
G.m.b.H., Berlin NW 23, erscheinenden Adreßkalender der Zahnärzte im
Deutschen Reich und Deutschösterreich, Jahrgang 1919/20, sind so weit
vorgeschritten, daß ich in den nächsten Wochen die Personalbogen an
die Herren Kollegen durch unmittelbares Rundschreiben zur Post
geben kann.
Zum ersten Mal werden in diesem Kalender auch die Zahnärzte
Deutschösterreichs Aufnahme finden. Schon jetzt richte ich an die Kollegen
238 Kleine Mitteilungen. — Personalien.
die Bitte, die meinem Rundschreiben beigefügten Personalkarten so
schnell als möglich ausgefüllt zurückzusenden. Die Beantwortung der
Fragen erfordert nur wenige Augenblicke Zeit. Sie gibt die Gewähr dafür,
daß der Name und die Personalien richtig angeführt werden. Die Aus-
stellung liegt ebenso im eigenen Interesse des Einzelnen wie der Gesamt-
heit. Da der Kalender bei Neuniederlassungen als Nachschlagewerk be-
nutzt wird, können fehlende Angaben nachteilige Folgen haben. An alle
Kollegen richte ich die Bitte, sich zur Durchsicht der Adressen der Liste
der an ihrem Wohnort tätigen Kollegen bereit zu erklären, damit eine
lückenlose Aufführung aller Zahnärzte möglich ist. Ich bitte diejenigen
Kollegen, mir auf der Karte recht bald Nachricht zu geben, die zur Durch-
sicht der Adressenverzeichnisse ihres Wohnortes bereit sind. Alle Aus-
lagen werden gern erstattet.
Zahnarzt Erich Lazarus, Berlin NW 23, Claudiusstraße 15.
(Schulzahnkliniken; Zentralstelle für Materialbeschaffung.) Die ent-
geltliche Abgabe der in weiterer Folge für den Betrieb der Schulzahn-
kliniken erforderlichen Heilmittel und des zahnärztlichen Verbrauchs-
materials (einschließlich der Inventar- und sonstigen Ausrüstungsgegen-
stände) wird der staatlichen Heilmitteldirektion (Militärmedikamenten-
direktion) in Wien, IIH., Rennweg, übertragen. Die Abgabe an die Schul-
zahnkliniken erfolgt gegen Rückersatz der Gestehungs- und Beköstigungs-
preise mit Regiezuschlag. Die Bezahlung erfolgt durch das Generalsekre-
tariat der „Österreichischen Gesellschaft für Zahnpflege in den Schulen“.
Die sonstigen Modalitäten der Gebarung und Verrechnung hat die staatliche
Heilmitteldirektion mit dem Generalsekretariat im direkten Einvernehmen
festzusetzen. Im Anschluß an die dort bereits bestehende Zahnmaterial-
abteilung ist ferner bei der staatlichen Heilmitteldirektion zur Besorgung
kleinerer Reparaturen zahnärztlicher Utensilien sowohl für die staatlichen
Zahnambulatorien wie für die Schulzahnkliniken eine einfach ausgestattete
‘ Werkstätte für Feinmechanik zu errichten. Kompliziertere Reparaturen
sowie solche, zu deren Durchführung besondere Spezialmaschinen nötig
sind, hat die staatliche Heilmitteldirektion von Privatfirmen durchführen
zu lassen. Die Kosten der Reparaturen sind von den Heilanstalten für
"Heeresangehörige bzw. von der „Österreichischen Gesellschaft für Zahn-
pflege in den Schulen“ an die staatliche Heilmitteldirektion bar zu bezahlen.
Personalien.
(Ernennung.) Der Zahnarzt H.J.Mamlok in Berlin erhielt den
Titel Professor.
(Habilitiert.) Für das Fach der Zahnheilkunde habilitierte eich an
der Frankfurter medizinischen Fakultät Dr. med. et phil. P. Kranz mit
einer Antrittsvorlesung über „Zahnfleischveränderungen bei Stoffwechsel-
erkrankungen“.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
— . w T .
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, II., Müinzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
. Organ ir, die wissenschaftlichen Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs,
Oktober 1919. 10. Heft.
XVII. Jahrgang.
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Blutstillung nach mundchirurgischen Eingriffen.
Von Zahnarzt Dr. Viktor Frey, Wien.
Nicht bloß nach Zahnextraktionen, sondern auch nach kleineren
mundchirurgischen Eingriffen (Wurzelspitzenresektion, Exkochleation von
Granulationen, Zystenoperation, Resektion des Alveolarfortsatzes und
Ausmeißelungen) müssen wir mit einer eventuellen Nachblutung rechnen.
Sie ist entweder eine Gefäß- oder eine parenchymatöse Blutung.
Die Gefäß blutungen kommen meistens am Schleimhautperiost-
lappen, die parenchymatösen am verletzten Alveolar-
fortsatz vor. Die Blutungen machen sich meistens dann bemerkbar,
wenn die Wirkung des Lokalanästhetikums, genauer gesagt des Neben-
nierenextraktes, dessen gefäßverengernde Wirkung bekannt ist, ver-
schwindet; außerdemse kommt noch hinzu, daß ein eröffnetes Gefäß des
Schleimhautperiostlappens sich anfangs dadurch der Beobachtung entziehen
könnte, daß der zum Hochziehen des Lappens verwendete mehrzinkige
Haken während des Eingriffs das Gefäß komprimiert, so daß die Blutung
erst nach Aufhören der Gefäßkompression einsetzt.
| Blutstillung im allgemeinen.
Wir kennen
1. mechanische
2. thermische Blutstillungsmittel;
3. chemische
zu den mechanischen zählen:
’ 1. die Unterbindung des Gefäßes,
2. die Umstechung des Gefäßes,
3. die Torsion des Gefäßendes,
4. die Kompression
Österr. Zeitschrift für Stomatologie.
IV
IV
240 Viktor Frey.
a) digital,
b) durch Tupfer,
c) durch Tamponade,
5. die Wundnaht.
Die Unterbindung des Gefäßes in der Kontinuität kommt wohl bei
diesen kleinen Eingriffen nicht in Betracht.
Das Eintreiben von Holzklötzchen (japanischen Zahnstochern) oder
das Eindrücken von Woachskügelchen zur Stillung von Blutungen aus
Knochenwunden sei der Vollständigkeit halber erwähnt, doch dürfte eine
derartige Maßnahme bei unseren Eingriffen kaum in Betracht kommen,
es wäre denn bei arterieller Blutung aus dem Foramen mentale.!)
Zu den thermischen Blutstillungsmitteln zählen Thermokauter,
Galvanokauter, Applikation von Kälte, welche eine Gefäßkontraktion
bewirkt, sowie heiße Irrigationen, welche die Blutgerinnung beschleunigen.
Von den chemischen Blutstillungsmitteln seien dae Ferrum sesqui-
chloratum, Ferripyrin, Alaun, Terpentin, Penghawar Djambi, Gelatine,
Styptizin, Nebennierenpräparate, Hydrastinin und Koagulen etc. erwähnt.
In der Münchner medizinischen Wochenschrift, 1916, Nr.43, hat W.
Heinen (Reservelazarett Zweibrücken) das Jodoformazeton zur Blut-
etillung empfohlen. Es werden in die blutenden (besonders Knochen-)
Wunden Gazestreifen gelegt, die mit Jodoformazetonlösung getränkt
wurden. Die Lösung hat folgende Zusammensetzung:
Rp. Jodoform. pur. 10,0
Aceton puriss. 100,0
Liqu. ammon. caustici
gtt. III
Da ad vitr. nigr.
S. Jodoformaceton.
Heinen rühmt folgende Vorteile: Sofortige Blutstillung ohne
Ätzwirkung, Sterilität, Herabsetzung der Sekretion, Bildung schöner
Granulationen, Fehlen des Jodoformgeruches.
Schließlich mögen noch Injektionen mit Pferdeserum erwähnt
werden (Achtung, Anaphylaxie!).
Wie werden wir uns also vor einem so unliebsamen Ereignis, wie es
eine Nachblutung bei unseren Eingriffen ist, am besten schützen? Es
sei bemerkt, daß ja derartige Nachblutungen meist sehr harmloser Natur
1) Vgl.Eiselsberg, Über einen Fall von Zahnretention. Österr. Zeitschr.
f. Stomat., Jg. XI, H. 4.
Blutstillung nach mundchirurgischen Eingriffen. 241
sind, für den Patienten und seine Familie ist jedoch ein solches Ereignis
stets alarmierend. |
Es sei hierbei auf die Arbeiten von Blessing, Die Behandlung der
Blutungen im Munde. D.M.f Z., 1916, H.10, und Paul Reinewald (Gießen),
Blutung nach operativen Eingriffen in der Mundhöhle und ihre Behandlung mit
besonderer Berücksichtigung des Hydrastinin (Bayer). Ergebn. d. ges. Zahnheilk.,
Jg.4, H.4, hingewiesen.
Vor dem Eingriffe.
Macht der Patient die Angabe, daß er zu schwer etillbaren Blutungen
neigt, werden wir ihn drei Tage vor dem Eingriffe je dreimal 0,5 Calcium
lacticum nehmen lassen, um das Blutgerinnungsvermögen zu steigern.?)
Ein nicht ganz in den Rahmen dieser Arbeit passender Fall einer stärkeren
Nachblutung nach Extraktion bei einem sicheren Hämophilen sei des Interesses
halber erwähnt: TE
Während meiner Kommandierung auf die Kieferbrucħabteilung der Wiener
Poliklinik kam der anfangs der Zwanzigerjahre' stehende, schwächliche Heiz-
hausgehilfe E. H. auf die Abteilung mit der Bitte, ihm die drei isoliert stehen-
den Wurzeln des l6 zu extrahieren, da er durch einen Aufbiß auf eine Birne
seit zirka einer Woche aus dem Zahnfleisch blute. Die Blutung war nicht
besonders stark, aber sie belästigte den Patienten insbesondere bei jedem
Essen durch den ihm ekeligen Blutgeschmack. Da die offenbar leichte Extraktion
bei einem Hämophilen nicht ohne weiteres vorgenommen werden konnte, wurde
der Patient angewiesen, vorerst sicherheitshalber durch eine Woche hindurch
Calcium lacticun zu nehmen Dann erst wurde in Lokalanästhesie die spielend
leichte Extraktion vorgenommen. Die Blutung nach der Extraktion war sehr
gering und stand bald Vorsichtshalber wurde der Patient angewiesen, auf einen
Wattebausch durch zirka !iz Stunde zu beißen und er blieb hinterher noch ?/s Stunde
in Beobachtung, ohne daß eine Blutung aufgetreten wäre. Schließlich wurde er
mit der Anweisung, Calcium lacticum weiter zu nehmen, sich möglichst ruhig zu
verhalten und bei der geringsten Blutung sich wieder einzufinden, entlassen. Wenige
Stunden später kam der Patient wieder auf die Abteilung mit einer profusen par-
enchymatösen Blutung aus allen drei Alveolarfächern. Die in alle drei Alveolar-
fächer isoliert fest eingestopften Tampons aus 200% klebender Jodoformgaze,
die vorher in reines Terpentinöl getaucht waren, und der Watteaufbiß durch
1/2 Stunde hatten Erfolg. Vorsichtshalber wurde der Patient über Nacht ins Spital
der Poliklinik aufgenommen, damit er in ärztlicher Beobachtung bleibe Die
Tampons blieben bis zur natürlichen Abstoßung, die in 3—5 Tagen erfolgte, liegen,
ohno daß eine neuerliche Blutung aufgetreten wäre.
Interessant aber ist dieser Fall durch seine Anamnese. Der Patient stammt
von einem seiner Aussage nach gesunden Elternpaare, in der Verwandtschaft
2) Vgl. Eiselsberg, Über einen Fall von Zahnretention. Österr. Zeitschr
f. Stomat., Jg. XI, H.4.
2%
942 Viktor Frey.
auch nirgends Hämophilie. Dagegen waren sämtliche 13 Kinder. hämophil Von
den 13 Kindern sird damals nur mehr 2 am Leben gewesen: 10 (Knaben +
Mädchen) waren im Alter von 2—4 Jahren an unstillbaren Nasen-, Magen-, Darm-
blutungen oder inneren Verblutungen zugrunde gegangen, das 11. Kind starb im
Alter von 16 Jahren an innerer Verblutung nach einem Stoß in den Bauch bei
einer Balgerei. Die zwei überlebenden Geschwister hatten schon zu wiederholten
Malen wegen schwer stillbarer Nasen-, Lungen-, Magen-, Darmblutungen sowie
wegen schwererer Blutungen nach Zahnextraktionen Spitalsaufenthalt notwendig
gehabt und waren beide von dem Spitale, das sie stets aufzusuchen pflegten,
mit einem Attest versehen, in welchem ihre erwiesene Hämophilie bestätigt wurde.
Während nun unser Patient wegen seiner Schwächlichkeit bei der Musterung frei-
ging, wurde sein Bruder assentiert (das Attest war nicht anerkannt worden) und
stand damals, in die Kampftruppe eingeteilt, an der Isonzofront.
Während des Eingriffes.
Bei dem Eingriffe selbet werden wir den durch das Raspatorium
von seiner Unterlage abgehobenen Läppen stets umdrehen und auf ein
eventuell spritzendes Gefäß untersuchen. Findet sich ein solches vor, so
ist meines Erachtens sofort die Umstechung des Gefäßes der geeignetste
Vorgang. Beim Ausräumen von Granulationen aus einer Abszeßhöhle
liegt schließlich der blanke Knochen zutage. Aus den eröffneten Knochen-
gefäßen findet gewöhnlich nur eine minimale Blutung statt, welche eigent-
lich fast nie zu Nachblutungen Veranlassung gibt. Außerdem wirkt die
maschinelle Exkochleation mit der Kautschukfräse 3), sei es durch die
hierbei entstehende Wärme oder durch Quetschung des Gefäßgquerschnittes
blutstillend. Dagegen konnte ich bei Eröffnung größerer Zysten zweimal
beobachten, daß nach Abtragung der vorderen Zystenwand an der hinteren
Zystenwand Gefäße zu bluten begannen, ohne daß diese Stellen irgend-
wo berührt worden waren. Sie lagen von der durch die krumme Schere
gesetzten Trennungslinie weit entfernt, so daß es den Eindruck erweckte,
als handle es sich hier um besonders vulnerable Gefäße, die durch die
plötzlich geänderten Druckverhältnisse nach Abfluß des Zysteninhaltes
zum Bersten gekommen waren. Ich habe in beiden Fällen die kleinen
spritzenden Gefäßchen durch Verschorfen mit dem Gealvanokauter zum
Verschluß gebracht. An der Trennungslinie dagegen konnte ich noch nie
eine stärkere Blutung weder in operatione noch post operationem be-
merken. Sollte mir aber dennoch eine unterkommen, glaube ich, daß auch
hier der Galvanokauter am Platze wäre.*) Eine relativ stärkere Blutung
3) Vgl. Frey, Randbemerkungen zur Frage der "en emabaulaufklenpnng
Festschr. d. Vereins österr. Zahnärzte, 1911.
%) Der Kuriosität halber sei erwähnt, daß ich auf der zahnärztlichen Ab-
teilung der Wiener allgemeinen Poliklinik eine Nachblutung aus dem unteren
Blutstillung nach mundchirurgischen Eingriffen. 243
tritt bei der Resektion des Alveolarfortsatzes®) auf, wenn man mit der
Luerschen Knochenzange allein arbeitet; , sicherer scheint es mir, auch
“in diesen Fällen die mit der Zange geschaffene Schnittfläche hinterher
mit der Fräse zu übergehen. Ein weiteres Mittel, Nachblutungen zu ver-
hüten, ist die exakte Wundnaht, die wir in allen Fällen, wo dies möglich
ist, in Anwendung ziehen werden.
Therapie der Nachblutung.
Handelt es sich um eine genähte Wunde, so werden wir zuerst die
Kompression in Anwendung ziehen, indem wir auf einer Wunde nach
Wurzelspitzenresektion eine entsprechend. dicke sterile Gaze- oder Watte-
lage mit dem Finger pressen, nach Resektion des Alveolarfortsatzes eine
derartige Zwischenlage durch den Biß des Gegenkiefers fixieren lassen.
Parenchymatöse Blutungen stehen gewöhnlich in wenigen Minuten. Ist
dies jedoch nicht der Fall, dann muß die Naht entfernt werden und in
solchen Fällen findet man dann meistens an der Unterseite des Lappens
ein kleines spritzendes Gefäßchen, welches durch Umstechung geschlossen
werden muß, denn das Anlegen einer Ligatur ist an einem kleinen zarten
Lappen durchaus nicht leicht, weil die Arterienklemme leicht ausreißt.
Schließlich wird die Wunde nochmals exakt genäht. Bei parenchymatösen
Nachblutungen aus Zysten käme die Anwendung des Koagulens (10%
wässerige Koagulenlösung [Kocher Fonio], mittelst Spritze oder Tampons
appliziert), der Galvanokauter, eventuell Tamponade mit digitaler Kom-
pression wie oben in Betracht.
Man verordne dem Patienten die Vermeidung aller blutdruck-
steigernden Genußmittel, wie Alkohol, Tee, Kaffee etc., in jedem Falle eines
Nasengange nach einer Zahnzystenoperation erlebt habe. Die Patientin war eine
zirka 55 Jahre alte schwächliche Wäscherin und durch die Kriegshungerjahre stark
herabgekommen; die Gefäße leicht atheromatös verändert. Es handelte sich um
eine zirka pflaumengroße, radikuläre Zahnzyste, ausgehend von dem seinerzeit
extrahierten 3]. Die äußere Zystenwand vollkommen membranös. Nach Abtragung
derselben und nach Entleerung des Zysteninhalts sieht man den gegen die Nasen-
höhle zu gelegenen Zystengrund. Blutung aus der Operationswunde minimal. Einige
Zeit nach Versorgung der Wunde tritt eine ziemlich starke Blutung aus dem rechten
unteren Nasengang auf, die spontan nicht zum Stillstande kommt. Der aus der
Zystenhöhle entfernte Tampon zeigt keine Verletzung des Zystengrundes. Nach
Tamponade des rechten unteren Nasenganges steht die Blutung. Am nächsten
Tage hat die Patientin sich selbst den Nasentampon entfernt, es trat eine Nach-
blutung auf, die aber bald spontan stand. Die rhinologische Untersuchung hat
keine Vorbauchung der Zystenwand in den Nasengang ergeben.
5) Frey, „Aus der Praxis“. Österr. Zeitschr. f. Stomat., Jg XIII, H. 10
24 | Harry Sicher.
Eingriffes und bei Neigung zu Blutungen intern Styptizin Merck (Styptizin-
tabletten a 0,05 alle zwei Stunden eine Tablette, bis die Blutung steht),
hohe Kopflage beim Schlafen und Regelung des Stuhlganges.
Im übrigen ist das Ereignis der Nachblutung ein sehr seltenes und
ich konnte solche unter mehr als 300 oben angeführten operativen Fällen
(klinischer und privater Tätigkeit) nur 7mal beobachten. Jedenfalls ist die
exakte Blutstillung während des Eingriffes hauptsächlich durch die Wund-
naht (Umstechung der Gefäße ist außerordentlich selten nötig) die beste
Prophylaxe einer Nachblutung,
Bemerkungen zur Verwendung der 4prozentigen
Novokain-Suprarenin-Lösung in der Zahnchirurgie.
Eine Entgegnung an Dr. A. Kneucker von Dr. Harry Sicher.
Kneucker propagiert in der vorliegenden wie in einer früheren
Arbeit die Verwendung einer 4%igen Novokain-Suprareninlösung zur An-
ästhesie besonders bei der Extraktion periostitischer Zähne. Wenn wir aus
der nicht sehr übersichtlichen Puhlikation zunächst die Injektionstechnik
und sodann Indikationen und Kontraindikationen der Anwendung dieser
Lösung zusammenstellen, so ergibt sich Folgendes:
Die Bereitung der Lösung geschieht mit Hilfe der B raun schen
Novokain-Suprarenintabletten, indem man eine Tablette der Form A in
3cm? gekochten Wassers löst. Die Injektion wirdin die Zahn-
fleischpapille oder doch in das straffe Gewebe der
Gingiva gemacht. Nähere Angaben über die Injektionsstellen
fehlen, ebenso genaue Dosierung, nur die Maximaldosis ist mit 3cm? der
4%igen Lösung angegeben.
Die Indikation für die Anwendung der hochkensentiierten Lösung ist
zunächst gegeben in jenen Fällen, „wo es sich um die Entfernung nur
eines oder höchstens zweier periostkranker Zähne handelt, und wo man
die Leitungsanästhesie mit der .1—2%igen Novokain-Suprareninlösung
weder anwenden kann oder will, und wo die lokale Anästhesie mit den
nieder dosierten Lösungen versagen würde...“ Da aber nach Kneucker
die Diagnose auf Periostitis in ihren Anfangsstadien eventuell übersehen
werden kann, erweitert sich das Anwendungsgebiet: „Bei der Extraktion
eines oder höchstens zweier Zähne oder Wurzeln wende ich die 4%ige
Novokain-Suprareninlösung an. Man hat dadurch als Operateur den Vor-
teil, dem Eingriffe von vornherein mit voller Ruhe 'entgegensehen zu können,
Bemerkungen zur Verwendung etc. . 245
da man ja weiß, daß eine selbst okkulte Periostitis durch die. so stark
anästhesierende Wirkung der höher dosierten Lösung in ihrer Empfind-
liehkeit überwunden wird, und demgemäß weiß, daß die Injektion selbst
nicht Schmerzen hervorrufen und sicher Anästhesie erzielen wird.“
Die Anwendung verbietet sich nach Kneucker in folgenden
Fällen: | |
„l. Bei der Extraktion eines völlig gesunden Zahnes.
2. Bei jenen Fällen, wo die unkomplizierte Pulpitie absolut sicher
diagnostiziert werden kamn, wo also sicher keine Periostitis vor-
liegt.
3. Bei jenen Fällen von Periostitis suppurativa, wo der Zahn bereits
von Eiter umspült ist, und schließlich im allgemeinen
4. bei jenen Fällen, wo irgend eine andere Methode {Vereisung,
Chloräthylrausch, Leitungsanästhesie mit den nieder. dosierten
Lösungen) leiehter, rascher und sicherer zum Ziele führt.“
.. Dies nur die wichtigsten Punkte aus der Arbeit Kneuckers, auf
die wir zunächst kritisch eingehen müssen.
Kneucker rechnet zu den Fällen, in denen man die übliche
Leitungsanästhesie nicht anwenden kann, vor allem jene, in denen „der
periostale Eiterherd bereits dem betreffenden Foramen : vorgelagert ist,
durch das der zu anästhesierende Nervenstamm zieht. Zu dieser Ansicht
muß man aber Folgendes bemerken: Wenn wir die häufigste Form der
Entzündungen im Bereiche der Kiefer, die Periodontitis, in Betracht ziehen,
eo beginnt der entzündliche Prozeß zunächst im Periodontium an der
Wurzelspitze des Zahnes und breitet sich von hier fast konzentrisch aus.
Hat ein solcher Prozeß bereits die äußere Knochenoberfläche erreicht und
damit auch die den Alveolarfortsatz deckenden Weichteile in Mitleiden-
schaft gezogen, dann kommt es zu deren Infiltration, später eventuell
zu ihrer eitrigen Einschmelzung. Diese Infiltrate der Mundhöhlenschleim-
haut, die aber in der Kneuckerechen Arbeit gar nicht erwähnt werden,
sind es nun vor allem, die eine Injektion an der Stelle des betreffenden
Zahnes zunächst unmöglich machen, und zwar in erster Linie aus dem
Grunde, weil eine Injektion in ein infiziertes Gebiet die Gefahr mit sich
bringt, daß die pathogenen Keime durch den bei der Injektion aufge-
wendeten Druck in Blut- oder Lymphbahnen gepreßt werden können. Damit
aber wäre die Möglichkeit zum Entstehen einer Sepsis gegeben. Wenn
nun gar ein Prozeß entzündlieher Natur schon so weit reicht, daß er die
Stellen deckt, an denen wir eine Leitungsanästhesie machen wollen,
dann ist erst recht eine lokale Anästhesie absolut
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 93
246 .Harry Sicher.
kontraindiziert. Wenn auch ein schmaler Streifen der Gingiva an
ihrem Rande von den Entzündungserscheinungen verschont ist — oft
täuscht nur die derbe Beschaffenheit des Gewebes, in dem es nicht leicht
zu ausgiebigen Schwellungen kommt, eine Intaktheit vor —, so ist doch.
in seiner unmittelbaren Nachbarschaft infiziertes Gewebe vorhanden. Und
wenn wir noch dazu erwägen, daß eine Injektion in die Gingiva. sensu
strietiori einen: besonders hohen Druck erfordert, dann ist die Gefahr,
von der gerade die Rede war, besonders naheliegend. Wir müssen also
eine lokale Injektion bei Entzündungsprozessen, die sich in Infiltration
oder Abszedierung der Mundhöhlenschleimhaut äußern, unbedingt ver-
meiden, auch wenn wir wissen, daß durch sie die Entstehung einer Sepsis
nur selten provoziert werden wird; allein die Möglichkeit ihrer
Entstehung verbietet die lokale Injektion. Ganz im Gegenteil zu
Kneuckers Ansicht sind jene Fälle, in denen eine Leitungsanästhesie
wegen Entzündung des Einstichgebietes nicht durchführbar erscheint, nur
durch die Allgemeinnarkose oder durch die Leitungsanästhesie an den
Stämmen der Trigeminusäste — also an der Schädelbasis — zu beherrschen.
Wenn aber Kneucker gar die Möglichkeit des Abbrechens einer
Nadel bei der Vornahme der Leitungsanästhesie als Gegengrund für ihre
Anwendung anführt, so muß man dem doch energisch widersprechen.
Wählt man, wie ich dies schon öfters vorgeschlagen habe, eine 0,8 mm
starke, 5—6 cm lange Nadel zur Rekordspritze, dann ist man vor solchen
Zwischenfällen: so gut wie sicher. Bricht einmal eine solche Nadel, was
auch bei dem heute gewiß schlechten Material immer nur auf unvoreich-
tiges Hantieren zurückzuführen ist, so bricht sie immer an der Lötstelle
zwischen Kanüle und Ansatz. Dann aber steht das abgebrochene Ende
der langen Nadel noch so weit vor, daß es sofort mit den Fingern gefaßt
und herausgezogen werden kann.
Gehen wir aber weiter und betrachten wir jene anderen häufigeren
Fälle, in denen eine Entzündung des Periodontium allein ohne Erschei-
nungen an der Schleimhaut vorliegt, oder gar die Fälle, in denen nur der
Verdacht auf die Möglichkeit des Bestehens periodontitischer Verände-
rungen besteht. In allen diesen Fällen wendet ja Kneucker seine hoch-
konzentrierte Lösung an.
Um gleich meine Ansicht über dieses Verfahren vorwegzunehmen,
muß ich sagen, daß Kneucker nur darum bei seiner Injektionstechnik
eine A%ige Lösung nötig hat, weil seine Technik nicht auf
den anatomischen Verhältnissen der Kieferinner-
vation fundiert ist. Wenn man aber die Methode der Injektion
strenge den anatomischen Tatsachen anpaßt, dann wirkt immer eine
Bemerkungen zur Verwendung etc. 247
lokale oder Leitungsanästhesie sicherer als jede andere Methode und
damit wäre der 4. Punkt der Kneuckerschen Kontraindikation erfüllt,
damit erübrigt sich die Anwendung seines neuen Verfahrens. Um dies
zu verstehen, müssen wir uns einen Augenblick lang die Innervations-
verhältnisse der Kiefer und Zähne vergegenwärtigen.
Zwischen die feinen Äste, die als Rami alveolares superiores posterio- `
res et anteriores im Oberkiefer den Nervus infraorbitalis verlassen und
ihre Endigungen im Zahne, im Periodontium und in der Gingiva ist ein
feines Geflecht eingeschaltet, das als Plexus dentalis superior über den
Wurzelspitzen der Zähne in der Spongiosa des Oberkiefers gelegen ist,
Ganz ähnliche Verhältnisse finden wir im Unterkiefer, wo die Ästchen des
N. alveolaris inferior auch nicht direkt zu ihren Endapparaten gelangen,
sondern vorerst ein weitmaschiges Geflecht bilden. Durch diese Geflechts-
bildung ist es uns aber möglich, an irgend einer Kieferstelle immer die
Innervation der Nervenfasern vereinigt zu finden, die Zahn, Alveolar-
fortsatz und einen Teil der Gingiva der betreffenden Kieferatelle inner-
vieren.
Bedenken wir nun, in welcher Weise überhaupt eine Anästhesie dieser
Nerven erreicht werden kann, eo ist der Weg, wenn wir zunächst in der.
Mundhöhle selbst bleiben, ein dreifacher. Erstens kann man eine In-
filtration der Nervenenden versuchen, zweitens kann man die
Nervenleitung im Plexus dentalis und drittens an den
Stämmen der Alveolarnerven unterbrechen. Was nun
das erste Verfahren anlangt, so kann eich die Infiltration der Nerven-
endigungen naturgemäß nur auf die im Periodontium resp. im Zahnfleisch
gelegenen beziehen, da ja die in die Pulpa eintretenden Nervenfäden immer
nur vor ihrem Eintritt in den Wurzelkanal, also an ihrem Stamm er-
reicht werden können. Zum Zwecke der Infiltration des Periodontiums nun
ist es üblich gewesen und noch immer üblich, die Flüssigkeit in die Zahn-
fleischpapille resp. in den Zahnfleischrand zu injizieren, weil ja hier Peri-
odontium und Bindegewebe der Gingiva in kontinuierlichem Zusammen-
‚hang stehen. Dabei ist aber zu bedenken, daß erstens die in das straffe
Bindegewebe der eigentlichen Gingiva injizierte Flüssigkeitsmenge immer
nur eine sehr geringe sein kann und daß nun diese geringe Flüssigkeits-
menge durch das ganze so enge Periodontium bis zur Wurzelspitze des
Zahnes vordringen muß. Daß dadurch die Wirkung der Injektion besonders
bei mehrwurzeligen Zähnen eine höchst unsichere‘ ist, leuchtet ohne
weiteres ein; und deshalb braucht Kneucker, der heute noch diesen
Weg einschlägt, die 4%ige Lösung,’ weil er durch diese V percoriering
die anatomischen Mängel der Methode kompensiert.’
23*
248 | Harry Sicher.
Als sichere Methoden lokaler Anästhesie der Zähne und Kiefer
bleiben demnach die „Plexusanäsethesie“ und die „Stamm
an&sthesie“. Erstere allerdings ist auch nur dann eine sichere Me-
thode, wenn man sie nur dort anwendet, wo. es die anatomischen Ver-
hältnisse gestatten. Da zu ihrem Gelingen notwendigerweise die in der
Wurzelspitzengegend subperiostal injizierte Flüssigkeit durch den Knochen
hindurch zu den in der Spongiosa gelegenen Plexusfasern durchdringen
muß, kann die Plexusanästhesie mit Sicherheit nur dort gelingen, wo die
äußere Knochenkompakta dünn und porös ist. So beschaffen ist sie aber
nur im Oberkiefer und im Frontzahnbereich des Unterkiefers. Im Bereiche
der Prämolaren und Molaren des Unterkiefers hingegen ist die äußere
Knochenkompakta dick, dabei elfenbeinartig dicht, so daß ein Durch-
dringen von injizierter Lösung nur höchst selten und vor allem nur zu-
fälligerweise stattfindet. Wir leiten daher aus den anatomischen Verhält-
nissen folgende Prinzipien ab (normale Schleimhautverhältnisse voraus-
gesetzt):
1. Eine Injektion in die Gingiva sensu strictiori ist zu vermeiden,
da bei dieser Methode das Gelingen sehr zweifelhaft ist und nur
durch Hochdosierung (Kneucker) erreicht werden kann.
2. Die Plexusanästhesie ist von sicherem Erfolg begleitet im
Oberkiefer und im Frontzahngebiet des Unterkiefers.
3. Für das Molaren- und Prämolarengebiet des Unterkiefers ist als
einzig sichere Methode die Stammanästhesie (Leitungsanästhesie
am N.alveolaris inferior) durchzuführen.
Die Richtigkeit gerade des letzten Satzes ergibt sich nebenbei auch
aus dem von Kneucker erzählten Mißerfolg bei der Extraktion eines
pulpitischen unteren II. Molaren. Er führt allerdings die Schmerzen auf
eine Quetschung der geschwollenen Pulpa (im Zahn!!) durch den Zangen-
druck zurück, während „die Dehnung der Alveole, die Zerrung am Periost,
das Loßreißen des Zahnes aus demselben durch die starke anästhesierende
Wirkung der Lösung kaum empfunden worden sein dürfte“, eine Erklärung,
die in ihrem ersten Teil sicher völlig unrichtig, in ihrem zweiten Teil
zumindest völlig unbewiesen ist.
Alles bisher über die Anästhesie Gesagte gilt, wie erwähnt, unter
der Voraussetzung, daß wir keine akut entzündlichen Veränderungen —
Infiltrate, Abszesse — an Schleimhaut und Periost vor uns
haben. Sind solche Veränderungen aber eingetreten, dann ist auch dort,
wo. die Plexusanästhesie sonst indiziert ist, von ihr abzusehen und die
Stammanästhesie durchzuführen. Aber auch deren Anwendungemöglichkeit
Bemerkungen zur Verwendung ete. i 249
hat natürlich ihre Grenzen, die ja Kneucker.am Eingange seiner
Arbeit sehr richtig zusammenstellt. Reicht das Infiltrat nämlich bis an
die Einstichstelle, die für die Stammanästhesie vorgeschrieben ist, dann
kann auch sie nicht in Anwendung kommen, natürlich aus denselben
Gründen, die wir früher für die Kontraindikation der lokalen Einspritzung
durch oder in infiziertes Gewebe angeführt haben. Dies tritt nun im Ober-
kiefer relativ häufiger auf als im Unterkiefer, wo die Einstichstelle bei
der Leitungsanästhesie am N. alveolaris inferior nur selten von einem In-
filtrat gedeckt wird. Dagegen kommt hier, wie auch Kneucker richtig
hervorhebt, die bei periostitischen Prozessen der Molarengegend häufig
auftretende Kieferklemme als Komplikation in Betracht. Hier aber hilft
uns in sehr vielen Fällen die perkutane Leitungsanästhesie des N. alveo-
'laris inferior über die Schwierigkeiten hinweg, eine Anästhesie, deren
' Technik viel einfacher und„mindestens ebenso sicher ist als die intraorale
Injektion. Gerade diese Methode wird aber von Kneucker überhaupt
nicht erwähnt und. doch hätte der von ihm als erster beschriebene Fall
vielleicht mit dieser Anästhesie rascher und . einfacher erledigt werden
können als mittelst seiner Methode. Überdies ist die Beschreibung dieses
Falles gewiß nicht ganz klar. Da die Art der Extraktion bzw. Freilegung
einer frakturierten Weisheitszahnwurzel nicht besprochen wird, ist auch
nicht zu beurteilen, wie es möglich war, durch Injektion nur in die mesiale
Zahnfleischpapille und lingual in die Mukosa eine solche Operation schmerz-
los zu gestalten.
Nebenbei sei erwähnt, daß es ganz eigentümlich erscheint, daß die
in die mesiale Papille injizierte Lösung — es können doch wohl nur ein
paar Tropfen gewesen sein — die Schmerzen beim gewaltsamen Öffnen
des Mundes mit dem Heister zu verringern imstande war. Es ist nur an-
zunehmen, daß irgend eine genaue Kontrolle der Schmerzhaftigkeit durch
Vergleich vor und nach der Injektion nicht durchgeführt wurde.
Denn sonst wäre eine solche Behauptung doch sicher nicht zustande ge-
kommen. Ist doch der Sitz für die beim Mundöffnen auftretenden
Schmerzen sicher nicht im Periodontium oder auch nur in der unmittel-
baren Umgebung des Zahnes gelegen. Dazu kommt noch, daß Kneucker
zur weiteren Injektion doch den Heister brauchte, während bei der per-
kutanen Leitungsanästhesie die ganze Injektion bei ne Munde
vor sich geht.
Überdies möchte ich noch darauf hinweisen, daß sich natürlich bei
der Bereitung einer hochkonzentrierten Lösung aus Novokain-Suprarenin-
tabletten auch der Adrenalingehalt automatisch auf das Doppelte
erhöht, was ja auch Kneucker erwähnt. Ich glaube aber, daß mancher
250 Harry Sicher. Bemerkungen zur Verwendung ete.
Erfolg bei entzündlichen Veränderungen gerade auf den erhöhten Adrenalin-
gehalt zurückgeht, weil dieser trotz der Hyperämie eine Konstriktion der
Gefäße bewirkt und so den zu raschen Abtransport des Novokains ver-
hütet. Natürlich darf uns aber auch dieser Umstand nicht verlocken, in
entzündetes Gewebe zu injizieren.
- Was die des öfteren wiederholte Bemerkung Kneuckers anlangt,
daß man bei Verwendung der gebräuchlichen Lösungen Schmerzen hervor-
ruft, kann ich selbst nur glauben, daß eben Kneucker gewohnt war,
in das straffe Gewebe der Gingiva oder Papille oder gar in entzündlich
infiltriertes Gewebe zu injizieren. Daß in diesem Falle die Injektions-
schmerzen bei der hochdosierten Lösung wegen der raschen — schon
während der Injektion — auftretenden : Anästhesie bzw. Hypästhesie ge-
ringer sind als bei den normalen Lösungen, ist wohl vorstellbar. Doch
habe ich schon früher gesagt, daß die Injektion in Gingiva und Papille
unanatomisch, die in entzündetes Gewebe aber unbedingt kontraindiziert
ist. Die Injektion in die locker fixierte Schleimhaut in der Nähe der
Umschlagsfalte aber, wie sie nach korrekten anatomischen Prinzipien
durchzuführen ist, schmerzt nicht. Und ist die Injektionsstelle entzündlich
infiltriert, dann muß sie ja ohnehin umgangen werden, sei es, daß bei
kleiner Ausdehnung noch immer die Plexusanästhesie mit verschobenem
Einstich durchführbar ist, sei es, daß man bei größerer Ausbreitung die
Stammanästhesie anwenden muß.
Zusammenfassend komme ich also zu folgendem Schlusse: Wenn
auch die 4%ige Novokainlösung nach Kneucker Erfolge zeitigt —
und diese Angabe des Autors will ich durchaus nicht in Zweifel ziehen —,
so kommen sie doch nur dem überraschend, der eben bei unrichtiger —
unanatomischer — Anwendung der 1!/.—2%igen Lösung Mißerfolge er-
lebte. Nach den anatomischen Tatsachen führt die richtige Anwendung
der 1!/»—2%igen Novokainlösung in allen Fällen entweder als Plexus-
oder als Stammanästhesie zu vollen Erfolgen. Was aber unter allen Um-
ständen zu vermeiden ist, ist die Injektion in infiltriertes Gewebe, da wir
damit die Gefahr einer Sepsis durch unseren Eingriff herauf-
beschwören. Nach all dem ist, wie ich glaube, die 4%ige Novokain-
Suprareninlösung völlig ‚unnötig, da „eine andere Methode (Leitungs-
anästhesie mit den nieder dosierten Lösungen — als Plexus- oder Stamm-
anästhesie —) leichter, rascher und eicherer zum Ziele führt“ — Punkt 4
der Kneuckerschen Kontraindikationen.
Alfred Kneucker.- Antwort auf die Polemik Dr. Sichers. 251
"Antwert auf die Polemik Dr. Siehers:
„Weitere Bemerkungen zur Verwendung der
”4prozentigen Novokain-Suprarenin-Lösung“.
Von Dr. Alfred Kneucker, Zahnarzt in Wien.
In meiner Erwiderung auf die Ausführungen Sicheres muß ich
gleich von allem Anfange an seiner Anschauung entgegentreten, daß ich
bei meiner Injektionstechnik nur „darum die 4%ige Lösung nötig habe,
weil meine Technik nicht auf den anatomischen Verhältnissen der Kiefer-
innervation fundiert sei“
. Jeder, der die Litsratir über Leitungsanästhesie kennt, weiß, daß
ich einer der ersten Autoren nach dem epochalen Werke Brauns war,
der sich mit der Leitungsausschaltung beschäftigt und sich dabei wissen-
schaftlich publizistisch betätigt hat. Ich verweise diesbezüglich auf meine
in der Wiener klinischen Rundschau Nr. 1 im Jahre 1908 erschienene Arbeit
über „Schmerzlose Zahnextraktionen im Öberkiefer mittelst Leitungs-
anästhesie“, dann auf die Publikation: „Oberkieferleitungsanästhesie bei
Zahnextraktionen und kleinen chirurgischen Eingriffen“ (Österr. Zeit-
schrift für Stomat., Mai 1909), auf meinen auf der 8. Verbandsversammlung
des Zentralverbandes österr. Stomatologen in Graz 1910 gehaltenen Vor-
trag über „Epiperiostale Eiterungen und Wurzelspitzenabszesse“‘ und meine
sonstigen sich hauptsächlich mit der Anästhesie beschäftigenden Publika-
tionen.
Daß aber die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Leitungsanästhe-
sie — ganz besonders zu einer Zeit, wo dieselbe noch volles Neuland war —
selbstverständlich das genaue Studium der anatomischen Verhältnisse im
Kiefer und in der Innervation bedingt, ist wohl von vornherein klar und
war ja auch deshalb nicht gar so schwer, weil nebst Braun, dem Vater
der Leitungsanästhesie, auch so viele andere Autoren, z. B. Hübner,
Bünte, Moral, Cieszyński und andere, go herrliche anatomische
Arbeiten schon vor Jahren mit Bezug auf unser Thema publiziert hatten.
Und gerade, weil mir die erwähnten anatomischen Details in Fleisch
und Blut übergegangen sind, und gerade, weil ich die Leitungsanästhesie
so restlos beherrsche, gerade deswegen behaupte ich auf Grund meiner
Erfahrung, daß es genügend Fälle gibt, in denen man selbst bei voller,
sicherer Beherrschung der Leitungsausschaltung dieselbe nicht anwenden
kann, und bei denen sich die Verwendung der von mir vorgeschlagenen
4%igen Lösung als Segen erweist, weil sie uns in der einfachsten
Art ermöglicht, den operativen Eingriff, bei dem bereits die usuelle Lei-
tungsausschaltung unmöglich ist, trotzdem mit Komplewser Anästhesie
durchzuführen.
252 | Alfred Kneucker.,
Es würde den Rahmen der Polemik weit überschreiten, wollte ich
da auf Details ‚eingehen, und ich muß daher nochmals auf meine dies-
bezüglichen Publikationen verweisen, in denen ich unter anderem aus-
einandergesetzt habe, daß die bisher allgemein gebräuchliche Leitungs-
ausschaitung z. B. dann undurchführbar ist, wenn bereits Eitermengen dem
hetreffienden Foramen, durch das der zu anästhesierende Nervenstamm
zieht, vorgelagert sind.
Nehmen wir ein Beispiel — und gerade solche Fälle sind mir in
der zahnchirurgischen Konsiliarpraxis des öfteren vorgekommen —: Ge
schlossene obere Zahnreihe, der |2 lingual verlagert, außerdem aber
trichterförmig kariös und von ihm ausgehend ein weit nach rückwärts,
in der Gegend des Foramen palatinum majus liegender Gaumenabszeß, der
mit seinen Eitermengen bereits das genannte Foramen überdeckt.. Das
Zahnfleisch rings um den |2 in dessen unmittelbarer Umgebung zeigt aber
keinerlei Entzündungserscheinungen, wie dies bei Gaumenabszessen häufig
der Fall ist.
Ich frage nun: Wie soll man in einem solchen Falle vor der Ex-
traktion des genannten Zahnes die Leitungsausschaltung durchführen, da
man ja mit der Nadel das Foramen eben der Eitermengen wegen nicht
aufsuchen darf, ganz abgesehen davon, daß dabei die Injektion der nur
1—2%igen Lösung schmerzhaft wäre?
Wohl bliebe für solche Fälle noch die Ausschaltung weiter zentral,
z. B. durch Injektion an der Schädelbasis; doch ist das eine Methode,
welche von dem Gros der in der Praxis stehenden Zahnärzte — trotzdem
die eben genannte Methode der Ausschaltung schon vor vielen Jahren publi-
ziert wurde — nicht beherrscht wird. Allgemeinnarkose verbietet sich
aus vielen Gründen, so daß die 4%ige Novokain-Suprareninlösung — da
ja das Zahnfleisch rings um den kleinen Schneidezahn keine nennenswerten
Entzündungserscheinungen aufweist und die Entzündungsprodukte, die
Eitermengen, weit rückwärts liegen — in diesem Falle durch ihre Anwen-
dung die Schwierigkeiten des voraussichtlich längerdauernden Eingriffes
tadellos, leicht und schließlich gefahrlos überwinden hilft. Dagegen würde
ich, wenn der EP wohl periostkrank wäre, ohne daß es zum Gaumen-
abszeß in der Nähe des Foramen palatinum majus gekommen wäre,
naatürlicherweise die typische Leitungsausschaltung, und zwar des Nerv.
palat. anter., des Nerv. incisiv. am Foramen incisivum und der Endäste
des Nerv. infraorbitalis mit 1—2%iger Lösung gemacht haben.
Ich möchte also bei dieser Gelegenheit so wie in meiner bisherigen
Publikationen betonen, „daß die von mir angegebene Methode
der Verwendung der 4%igen Novokain-Suprarenir
lösung selbstredend nicht dazu bestimmt sein soll,
By = 7 T ri, ZZ s
Antwort auf die Polemik Dr. Sichers. 253
die bisher gebräuchliche Leitungsausschaltung mit
der 1—2%igen Lösung zu verdrängen.“ Ich habe ausdrücklich
die Fälle hervorgehoben, in welchen sich die Anwendung der 4%igen
Novokain-Suprareninlösung verbietet, und habe dort präzise er
wähnt, „daß man aus rein chirurgischen Gründen die
lokale Injektion — auch der höher dösierten Lösung —
dann vermeiden wird, wenn es sich um die Entfernung
eines von Eiter umspülten. Zahnes handelt. Indika-
tion hierfür wäre, sofern sie überhaupt anwendbar,
die Leitungsanästhesie, damit nicht Infektions-
keime durch die unter Druck erfolgende Lokalinjek-
tionin die Tiefe verschleppt würden.“
Verallgemeinert man aber den obigen Spezialfall, dann muß jeder
Praktiker zugeben, daß es bei stärker entwickelter Periostitis oft unmöglich
ist — auch wenn es nicht zur direkten Abszeßbildung gekommen ist —,
intraoral die bisher allgemein geübte Leitungsanästhesie durchzuführen, .
weil die Entzündungserscheinungen, wie z. B. Schwellung der Weichteile
im Munde, Ödem der Wange, Kieferklemme etc. die Injektion am Tuber
maxillare, am Canalis infraorbitalis, Foramen palat. maj., Foramen inci-
sivum und Foramen mandibulare häufig unmöglich machen. |
Und gerade diese Verhältnisse sind es, die uns zwingen, nach neuen
Methoden zu suchen, um die Schwierigkeiten der Anästhesie zu über-
winden, und haben mich veranlaßt, die in den hierzuindizierten
Fällen von mir seit Jahren geübte Methode der Verwendung der 4%igen
Novokain-Suprareninlösung zu veröffentlichen, während Sicher auf
einem ähnlichen Weg, wie ihn vor ihm schon Braun, Offerhaus,
Cieszyäski, Kantorowicz betreten haben, sich bemüht, den Tri-
geminus perkutan noch weiter zentral, an der Schädelbasis auszuschalten.
. Daß seine von ihm erst jüngst (7. Heft der Österr. Zeitschrift für
Stomatologie 1919) veröffentlichte Methode noch nicht allgemein einge-
führt ist, ist natürlich, da sie — schwieriger als die allgemein geübte intra-
orale Leitungsanästhesie und noch schwieriger als die einfache Lokal-
injektion der A%igen Lösung — noch weit mehr genauere Kenntnis der
zahlreichen anatomischen Details des Schädels verlangt als die anderen
genannten Methoden.
Daf aber die von mir empfohlene 4%ige Lösung, lokal angewendet,
von jedem Zahnarzt ohneweiters geübt werden kann, wird wohl wegen
der Einfachheit der Methode nicht bestritten werden können.
Bei dieser Gelegenheit aber muß ich zu einem weiteren Punkte der
Sicherschen Polemik Stellung nehmen, nämlich zu der von ihm behaup-
teten Gefahr der Sepsis bei der lokalen Injektion.
954 Alfred Kneucker.
Diese Gefahr besteht in den richtig ausgewählten Fällen nicht, und
zwar aus folgenden Gründen:
Die praktische Erfahrung bei der Anwendung der Lokalanästhesie
überhaupt zeigt, daß man dort, wo das Zahnfleisch nicht direkt vereitert
oder nicht sichtbar entzündet oder nicht geschwollen ist, ruhig in die
Gingiva injizieren darf; es wird keine Sepsis eintreten. Ich
habe ca. 5000 Injektionen der 4%igen Lösung lokäl vorgenommen und
dabei — bedingtdurch die Einspritzung — nie auch nur die
geringsten septischen Erscheinungen beobachten können. Weiters: Die
Zeit: liegt noch gar nicht so ferne hinter uns, wo die Leitungsanästhesie
oder gar die Ausschaltung des Trigeminus an der Schädelbasis noch un-
bekannt war und wo von allen Zahnärzten und Ärzten der Welt lokale
Injektionen wahllos in die Gingiva ohne jedes Bedenken gemacht wurden.
Wären damals durch die Injektion selbst Fälle von Sepsis bekannt ge-
worden, so hätte man wohl überhaupt von der Injektion im Munde ab-
stehen müssen. Nebenbei gesagt, entstehen aber gefahrvolle septische Pro-
zesse im Munde nur dann, wenn aus irgend einem Grunde die Eitermengen
nicht zum Abfluß gebracht werden und sich dann den Weg bekannter-
maßsen in gefahrvoller Weise weiterbahnen.
Ließe ınan sich aber durch die von Sicher erwähnte „Infiltration“
der Gingiva von der Injektion abhalten, so könnte man wohl in den meisten
Fällen überhaupt nicht, weder durch lokale noch durch Leitungsanästhesie,
Injektionen vornehmen, ganz abgesehen davon, daß, wenn das Zahnfleisch
äußerlich gesund erscheint, man ja die nur mikroskopisch erkenn-
bare Infiltration nicht diagnostizieren kann. Sicher kennt diese Verhält-
- nisse und gibt in seiner oben zitierten Arbeit an, auf welche Weise die ge-
nannten Schwierigkeiten überwunden werden können.
Ich frage nun: Kann der in der Praxis stehende Zahnarzt diese Art
der Aussehaltung an der Schädelbasis üben? Ich glaube nicht — verein-
zelte Fälle, wo der betreffende Praktiker sich besonders mit dem Studium
dieser Methode beschäftigt hat, ausgenommen — und ich bin überzeugt,
daß der Praktiker, wenn er weiß, er kann die Schwierigkeit der Anästhesie
mit der lokalen Injektion der 4%igen Lösung — wieder in den hierfür
geeigneten Fällen — überwinden, doch eher zu dieser Methode greifen
wird, als zur Ausschaltung am Foramen ovale und rotundum. Dabei aber
steht hestimmt fest, daß kaum alle Zahnärzte diese Methode auch in spä-
teren Jahren je erlernen werden, da bekanntlich bis heute — das ist
ca. 15 Jahre nach den ersten grundlegenden Arbeiten Brauns — selbst
die verhältnismäßig einfache und leichte Methode der gewöhnlichen Lei-
tungsanästhesie noch immer nicht von allen Zahnärzten beherrscht wird.
Antwort auf die Polemik Dr.. Sichers. | 255
Ich muß aber, um den Verdacht abzuwehren, als ob ich ein septisches
Vorgehen empfehlen würde, und um Mißverständnisse zu. vermeiden, noch-
mals meine Arbeiten zitieren und hervorheben, daß ich dort die Indika-
tionen und Kontraindikationen, die Anwendung der 4%igen Novokain-
Suprareniulösung betreffend, genau besprochen habe, und verweise insbe-
sondere nochmals auf den Punkt 4, in dem ich ausdrücklich jene Fälle er-
wähne, in denen sich die Anwendung der 4%igen Lösung verbietet, nämlich
dann, „wenn irgendeine andere Methode (Vereisung, Chloräthylrausch, Lei-
tungsanästhesie mit den nieder dosierten Lösungen leichter, rascher und
sicherer zum Ziele führt“.
Schließlich möchte ich noch die Tatsache erwähnen, daß die Gefahr
der Sepsis im Munde — sofern nur, wie erwähnt, Eiter zum Abfluß kommt
— bei der bekannten Heilungstendenz und der eigenartigen Widerstands-
fühigkeit sowohl der Weichteile im Munde als der Kieferknochen überhaupt
nicht besteht, da ja bekanntlich selbst schwerste Verletzungen, welche mit
den kompliziertesten Infektionen parallel gehen, in relativ kurzer Zeit ein-
fach zur Heilung kommen.
Und nun noch zur Besprechung des von mir "geschilderten Einzel-
falles von Kieferklemme, ausgehend von einem rechten unteren fraktu-
rierten Weisheitszahne, in dem mir die Anwendung der 4%igen Lösung so
herrliche Dienste geleistet hatte und gegen den Sicher allerlei Einwen-
dungen hat.
Es erscheint mir zwar nicht praktisch, auf alle Details einzugehen, da
ich ja auch hier den Rahmen der Polemik weit überschreiten müßte, und
ich will hier nur das anführen, was zur Klärung des Falles notwendig ist.
Die Anwendung des Heister also war dabei nicht allein notwendig, um die
Injektionsspritze anwenden zu können, sondern auch deshalb, um den”
ganzen operativen Eingriff überhaupt (Freilegung der frakturierten Wurzel
_ durch Abklappung der Gingiva und des Periostes, Einsägen der bukkalen
Wand des Alveolarfortsatzes, Wegmeißelung derselben etc.) zu ermöglichen.
Außerdem aber kann ich nicht umhin, dagegen Stellung zu nehmen,
daß Sicher meint, man hätte die extraorale Methode der Aus-
echaltung des Nerv. alveol. inf. machen sollen. Das war in diesem Falle
undurchführbar, weil das Ödem und die Infiltration sich nicht nur über den
Mundhöhlenboden, sondern bereits auch längs des Unterkieferrandes über
die Wange erstreckt hatten, so daß bei der extraoralen Injektion die Nadel
erst recht — was ja Sicher so gern vermeiden will — infiziertes Gebiet
hätte durchstechen und passieren müssen.
Wieder aber muß ich den Fall verallgemeinern und bei dieser Gelegen-
heit erwähnen, daß es ein großer Unterschied ist, die extraoralen
Methoden auf der Klinik oder in der Privatpraxis durchzuführen,
256 Alfred Kneucker. Antwort auf die Polemik Dr. Sichers.
wa in dieser die Verantwortung dem Patienten gegenüber eine ganz andere
ist als in jener; außerdem: ist auf der Klinik die Assistenz reichlicher und
schließlich das Patientenmaterial ein ganz anderes als in der Privatpraxis.
Es ist bekannt, daß ich selbst vor wenigen Jahren die Methode der
extraoralen Ausschaltung des Nery. infraorbitalis: publiziert habe, und
doch bekenne ich aufrichtig, daß ich die Methode nur in den seltensten
Fällen übe, weil sie wegen des Jodstriches auf die Gesichtshaut, wegen
des Hauteinstiches in der Gegend des Foramen infraorbitale in der besseren
Privatpraxis (namentlich von den femininen Patienten) nicht sehr dank-
bar vermerkt wird. Und ähnliches gilt für die extraorale Ausschaltung des
Nerv. alv. inferior. |
Die näheren Angaben über die ‚„Injektionsstellen“ bei der Durch-
führung der lokalen Anästhesie mit meiner höher dosierten Lösung habe
ich in meinen Publikationen deshalb nicht gemacht, da sie mir bei der
Lokalanästhesie als selbstverständlich und nicht erwähnenswert schienen.
Ich hole sie aber wunschgemäß nach: Habe ich mich nach. reiflicher
Prüfung des Falles nicht zur Leitungsanästhesie oder zu irgend einer an-
deren Methode, sondern zur lokalen Anästhesie, so wie ich dies schon aus-
führlich in meiner zweiten Publikation hervorgehoben habe, entschlossen,
dann injiziere ich in die mesiale und distale Zahnfleischpapille des zur Ex-
traktion kommenden Zahns bukkal resp. labial und lingual so viel von der
Lösung — oft genügen wenige Tropfen —Abis die gewisse bekannte Anämie
der Gingiva eintritt. Über 3cm? jedoch gehe ich nicht hinaus.
Was noch die von Sicher aufgestellten Behauptungen über. den
„Nadelbruch‘ betrifft, so will ich demgegenüber betonen, daß die von
ihm angewendete Nadel wegen ihrer Dicke den Nachteil hat, einen viel
*sröberen und demgemäß unangenehmeren Einstichschmerz hervorzurufen,
als die von mir verwendete, für die Durchführung der Leitungsanästhesie
am Foramen mandibulare extra lang konstruierte, aber zarte aseptische
Stahlkanüle ohne Naht. Verwendet man prinzipiell zur Injektion jedesmal
immer eine neue und ist man noch im Besitze von Kanülen aus Friedens-
material, so ist ein Nadelbruch wohl fast ausgeschlossen. Verwendet man
aber eine in Kriegszeiten erzeugte, glasartig spröde Kanüle, so kann es
selbst bei sachgemäßester Anwendung derselben passieren, daß die Kanüle
bricht, wozu noch zu bedenken ist, daß nicht zumindestens die häufigste
Ursache dee Nadelbruches — trotz aller dem Patienten im voraus er
teilten Ermahnung — in nervösen Abwehrbewegungen (des unruhigen Pa-
tienten) gelegen ist. Die von Sicher also erwähnte Behauptung, daß „der
Nadelbruch bei dem heute gewiß schlechten Material immer nur auf
unvorsichtiges Hantieren zurückzuführen sei“, ist also wohl bestimmt un-
richtig.
Harry Sicher. Nochmals über die Anwendung etc. 257
Und nun zum Schlusse eine persönliche Bemerkung: Meine Anschau-
ung in der ganzen Frage ist die: Ist die Anwendung der von mir an-
gegebenen 4%igen Lösung für den Praktiker wertvoll — und auf den
kommt es-'in erster Linie ai, man denke: bei-den Zahnextraktionen nicht
nur an die Zahnärzte, sondern auch an die praktischen Ärzte und Land-
ärzte! —, dann wird und muß sie sich trotz der Sicherschen Polemik
durchsetzen und Allgemeingut der Ärzteschaft werden. Ich bin hiervon
' überzeugt und werde die 4%ige Novokain-Suprareninlösung nach wie vor
verwenden, da sie nicht nur mir, sondern, wie ich aus. mündlichen und
schriftlichen -Zustimmungen weiß, vielen Kollegen, in zahlreichen, fast
unüberwindlich gewesenen Fällen leicht, rasch, sicher und gefahrlos die
erstrebte Anästhesie erreichen ließ.
Nochmals über die Anwendung der 4prozentigen
Novokain-Suprarenin-Lösung.
Von Dr. Harry Sicher.
Die. Ausführungen Kneucker:s, die er der Kritik ı seiner arten
Publikationen entgegenhält, sind im wesentlichen nichts anderes als: eine
Wiederholung derjenigen Punkte, die er früher schon zur Begründung seiner
Methode anführte. Ich kann daher meine Gegenargumente nicht entkräftet
sehen, will aber nicht selbst meine Schlußfolgerungen noch einmal auf-
zählen, da sie dadurch kaum an Beweiskraft gewinnen würden. Und dies
um go mehr, als ich aus Erfahrung weiß, daß Diskussionen selten zu einer
Verständigung oder zur endgültigen Lösung der strittigen Fragen führen,
ihren Wert vielmehr in der Anregung haben, die sie Fernerstehenden
bieten. Nur eine Bemerkung kann ich nicht unterdrücken. Ich muß leider
mit Kneucker einer Meinung sein, wenn er behauptet, daß sich die An-
wendung der 4%igen Lösung auch gegen meine Kritik Anhänger erwerben
wird, weil ich einsehe, daß eine Methode auch wenn sie nicht ein-
wandfrei ist, dann Freunde erwirbt, wenn sie um so viel leichter ist
als die anderen. Gerade aber darin sehe ich eine Gefahr, daß vielen
diese Methode trotz den Einschränkungen Kneuckers als vollwertiger
Ersatz für die anatomisch fundierten Methoden der Leitungsanästhesie'
erscheinen wird und daß das Studium der letzteren in den Hintergrund
gedrängt werden wird, zum Schaden der zahnärztlichen Wissenschaft und
nicht zuletzt zum Schaden des Patienten.
258 Winke für die Praxis.
Winke für die Praxis.
Verwendung von Laminaria in der Zahnheilkunde.
Von Zahnarzt Dr. Viktor Frey, Wien.
Erweiterung von Zungenfisteln mit Laminaria
zur Erleichterung einer Fremdkörperextraktion.
Ein Mittel, das -mir während meiner Tätigkeit auf der Kieferbruch-
abteilung der Wiener allgemeinen Poliklinik bisweilen gute Dienste zur
Entfernung von Fremdkörpern (abgeschossene Zahnkronen, Zahnsplitter
oder Projektilteilchen) aus der Zunge geleistet hat, ist Laminaria.
Bei Anwesenheit eines der oben angeführten, röntgenologisch fest-
gestellten Fremdkörpers führt man in die fast stets vorhandene Zungen-
fistel ein Laminariastäbchen ein, bis es auf den Fremdkörper trifft, und
schneidet den überstehenden Teil zirka 1—2 mm über der Zungenoberfläche
ab. In wenigen Stunden ist der Stift so gequollen, daß man leicht mit
einer schlanken Pinzette, Kornzange oder Wurzelkanalzange durch den
erweiterten Fistelkanal vordringen und den Fremdkörper fassen kann.
Entweder wird nun der Fremdkörper ohne weiteres extrahiert‘ oder man
zieht ihn mit dem Instrument möglichst an die Oberfläche und inzidiert
durch einen sagittal (Zungengefäße!) über den erweiterten Fistelgang-
direkt auf den Fremdkörper geführten Entspannungsschnitt; die Ent-
fernung gelingt dann ohne Schwierigkeiten.
Diese Methode wurde auch von E. Leser, Frankfurt a. M., im
Zentralblatt für Chirurgie, 1916, Nr. 52, zur Entfernung von Fremdkörpern
aus Wundkanälen und Fisteln beschrieben.
Dehnung verengter Antrumfisteln durch Lami-
naria. Noch eine andere Verwendung der Laminariastifte sei erwähnt:
Ist es einem Patienten mit chronischem Antrumempyem, der einen
Antrumobturator zu tragen verurteilt ist, passiert, daß durch längeres
(oft genügt schon eine halbe Stunde) Nichttragen des Stiftes die Antrum- .
fistel derart verengt ist, daß der Obturator nicht wieder auf seinen Platz
gebracht werden kann, so genügt das Einführen eines Laminariastäbchens
für wenige Stunden, um den Obturator wieder auf seinen Platz zu bringen.
Dabei ist jedoch zu beachten, daß der Laminariastift durch eine Draht-
ligatur (Angle Regulierungsdraht) an einem Nachbarzahn befestigt werden.
muß, damit er nicht ins Antrum entgleite. Es ist auch dafür Sorge zu
tragen, daß der gequollene Stift an der Umschnürungsstelle durch die
Drahtligatur nicht durchschnitten werde. Solchen Patienten muß man
Referate und Bücherbesprechungen. 259
besondere Sorgfalt auftragen und sie nach längstens 4—5 Stunden wieder
bestellen.
Die Beschwerden durch die rn Laminariastifte sind zumeist
nur geringfügiger Natur.
Referate und Bücherbesprechungen.
Verhornungsprozesse am Zahnfleisch des Menschen. Von Dr. Werner
x cho erlank. Schweiz. Vierteljahrsschr. f. Zahnheilk., Bd. XXIX,
- Nr.i.
Autor beschreibt den Befund einer Hornleiste, die über das Epithel
am Kiefer des Neugeborenen gelagert ist. Diese Hornleiste spielt beim
Saugakt eine gewisse Rolle, indem sie den. Kiefer befähigt, durch Kau-
bewegungen den Brustdrüsensphinkter zur Erschlaffung zu bringen. Im:
weiteren kommt der Verhornung auch eine Schutzwirkung zu, deren ge-
rade das Zahnfleisch in besonderem Maße bedarf, da es allein in der
Mundhöhle keine eigenen Drüsen trägt. Ähnliche Verhornung finden wir
am Zahnfleisch des zahnlos gewordenen atrophischen Kiefers, ferner auch
unter pathologischen Verhältnissen. Wallisch jun.
Über die Stellung des Obergesichtes zur Schädelbasis beim Kinde und
Erwachsenen unter Berücksichtigung der Rassenprognathie. Von Doktor
Eugen Adams, Straßburg i.E. D. Zahnhlk., München.
Das Referat muß sich mit der Anführung der Schlußsätze des
Autors begnügen, da die detaillierte Darstellung der komplizierten Wachs-
tumsverhältnisse des Gresichtsschädels für eine kurze Darstellung unge
eignet sind. Doch ist die Lektüre der Arbeit gewiß jedem zu empfehlen,
der diesen so wichtigen Vorgängen Interesse entgegenbringt, da die Kurven
und Tabellen in ausgezeichneter Weise die ablaufenden Veränderungen
illustrieren.
1. Das Wachstum des Gesichtsschädels ist sehr unregelmäßig. Inner-
halb des Gesamtwachstums treten Stadien vergrößerter und verminderter
Wachstumsintensität auf, die in überwiegendem Maße an die Dentitionen
gebunden sind. Die Formveränderungen des Gesichteschädels sind dem-
gemäß zum größten Teil von der Entwicklung der Zähne abhängig.
2. Am stärksten ist das Wachstum der Höhenmaße, am kleinsten
das der Längenmaße.
Durch ungleichförmiges Wachstum der einzelnen Maße ist das
Obergesicht dauernden Formveränderungen unterworfen, die in den ver-
schiedenen Lebensaltern verschiedenartig sich ausprägen und demnach
während der Wachstumsperiode zu wechselnden Lageveränderungen gegen-
über dem Gesamtschädel führen.
4. Diese Lageveränderungen werden am profilierten Schädel zweck-
mäßig durch die Winkel Basion-Nasion-Prosthion und Basion-Nasion-Naso-
spinale festgelegt‘) Auch die Schwankungen der Winkel innerhalb des.
Gesamtwachstums sind oft beträchtliche.
1) Basion = Mitte des vorderen Umfanges des Foramen occipitale. — Nasion
— Mitte der Naht zwischen Frontale und Nagalia. — Nasospinale = Basis der
Spina nasalis anterior. — Prosthion = Mitte des Zahnrandes de Processus alveo-
laris des Oberkiefere.
260 Referate und Bücherbesprechungen.
5. Der Neugeborene hat gegenüber dem Erwaehsenen eine starke
alveoläre Prognathie. Neger (als Typen starker Rassenprognathie) und
Neugeborene zeigen die gleiche alveoläre Prognathie. Ein Unterschied
besteht jedoch in der mangelhaften Ausbildung von Nasion-Prosthion
(Obergesichtshöhe).
6. Der Neugeborene zeigt im Vergleich zum Erwachsenen auch eine
spinale Prognathie und ist um 1° prognather als der Neger. Auch hier
besteht der große Unterschied der kindlichen von der Rassenprognathie,
daß die Nasenhöhe des Kindes stark rudimentär ist und daher der spinale
Profilwinkel desselben den der Rassenschädel an Größe bedeutend übertrifft.
Am Anfang und am Schluß des Wachstums ist der Alveolarfort-
satz des Oberkiefers gegenüber den Oberkieferkörpern stärker vorgelagert
als im mittleren Lebensalter. Sicher.
Die Behandlung erkrankter Oberkieferhöhlen. Von Dr. C. C. Fischer,
Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Königsberg i. Pr.
D. M. f. Z., H.8, 1919.
= Ganz mit Recht wendet sich Fischer gegen die noeh immer von
zahnärztlicher Seite geübte Coopersche Operation des dentalen
Antrumempyems, die bekanntlich in der Eröffnung und Durchspilung der
erkrankten Kieferhöhle von. der Alveole des schuldigen Zahnes besteht.
Es ist ja klar, daß. auch durch dauernde Spülungen nicht die Grand-
ursache der chronischen Eiterung, nämlich die veränderte, oft polypös
entartete Sinusschleimhaut entfernt werden kann. Daher ist es auch nötig,
durch einen Obturator die Öffnung zwecks Abflusses des immer wieder
sich bildenden eitrigen Sekrets offen zu halten, der gewiß für den Patienten
eine schwere Belästigung bildet, und noch obendrein die Schleimhaut immer
weiter reizt. Wirkliche Abhilfe leistet eben nur die Radikaloperation.
Wenn. nicht der Patient eine Operation unbedingt verweigert und sich
mit dem dauernden Tragen des Obturators zufrieden erklärt, läßt man des-
halb die Alveolenwunde nach Entfernung des erkrankten Zahnes zu-
heilen und führt die Luc-Caldwellsche, von Deer verbesserte
Operation durch. Sie besteht im Prinzip in einer breiten Eröffnung des
Sinus maxillaris einerseits vom unteren Nasengang, andrerseits vom Ve-
stibulum oris aus. Die erkrankte Schleimhaut. mit eventuell vorhandenen
Polypen wird exkochleiert. Die breite Kommunikation mit der Nase
bleibt offen, während man den im Vestibulum oris verlaufenden Schnitt
` — er reicht vom Sapiens der kranken Seite .bis zum zweiten Schneide-
zahn der gesunden — ohne Naht zuheilen läßt. Während der ersten
zwei Tage bleibt die Kieferhöhle durch einen Jodoformgazestreifen
tamponiert. Die Anästhesie führt Fischer in ziemlich komplizierter
Weise durch Infiltration in der Nase und im Vestibulum oris durch,
während sie doch zweifellos in einfachster Art durch die Leitungsanästhesie
des II. Trigeminusastes in der Fossa pterygopalatina zu erreichen wäre,
da man dann nur den vorderen Anteil der Nasenhöble infiltrieren müßte,
da dieser von den Nervi nasales anteriores aus dem Nasoziliarie des
I. Trigeminusastes versorgt wird. — Das genauere Studium der gewiß
sehr wertvollen Arbeit sei bestens empfohlen. Sicher.
Aus Vereinen und Versammlungen. | 261
Aus Vereinen und Versammlungen.
Verein österreichischer Zahnärzte.
Ordentliche Monatsversammlung vom 5. März 1919.
Präsident: Dr.Breuer. |
Schriftführer: Dr.KränzLl |
| "Anwesend die Herren DDr. Ballasko, Borschke, Breuer, Bum,
Dussik, Frey, Herz, Jarisch, Karolyi, Kränzl, Kraus, A.Müller,
Ornstein, F. Peter, Piwniczka, Safron, Schlemmer, Schön,
Schönauer Schwabe, Stauber, Steinschneider, Weiser, Zieg-
ler. — Als Gäste: Janisch, Irall, Herasko, Sicher, Weinländer,
Mediz. Breuer jun.
Präsident Dr.Breuer eröffnet die Sitzung und begrüßt die An-
wesenden, insbesondere die Gäste. Er berichtet über eine Sitzung des
Stomatologen-Ausschusses am 8. Februar d. J., zu der auch die Vertreter
des Vereins der Wiener Zahnärzte und der Wirtschaftlichen Organisation
der Zahnärzte Deutschösterreichs geladen waren, behufs Aussprache über
ein gemeinsames Vorgehen in der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage.
Hierauf erhält Dr.R.Safron das Wort zu einer kleinen Demon-
stration. i | E '
Dann hält Dr.Borschke seinen Vortrag: Zur Verankerung von
Amalgamkonturfüllungen. (Öst. Zeitschr. f. Stomat., H. 7.)
In der Diskussion hierzu ergreift zuerst Reg.-Rat Dr. Frey dag
Wort. Er weist darauf hin, daß eine genügende Separation sehr wichtig
sei, daß jetzt, wo die Plattenguttapercha nicht mehr erhältlich ist, die
Separation mit Mastixwatte oder nach Prof. Trauner mit gewöhnlicher
Stangenguttapercha, in die Wattefäden hineingeknetet werden, Genügendes
leisten könne. Die derzeit im Handel vorrätigen Stahlmatrizen könne man
sehr verbessern durch Ausglühen und Erweitern der Löcher mit der Koffer-
damlochzange. Bei mesiookklusodistalen Füllungen müsse man eine Ring-
matrize anwenden. Gegen Reizung der Pulpa unter großen Füllungen be-
währe sich die Anwendung von Zaponlack oder von Lapisieren der pulpalen
Wand der Kavität.sehr gut. Die Methode Prof. W eiseres, die Füllungen
in 3 Etagen zu legen, zuerst harter Zement, dann weicher Zement und
Amalgam gemischt und zuletzt erst Amalgam, sei auch öfters von großem
Vorteil. Als Stifte zur Verankerung großer Füllungen waren am besten
selbstverständlich die Platin-Iridiumstifte, die jetzt nicht zu haben sind.
Neusilberstifte scheinen sich mit der Zeit vollkommen in der Amalgam-
füllung aufzulösen, wie ein Fall aus der Praxis gezeigt habe. Derzeit
dürften als Ersatz für Platin-Iridium- wohl reine Nickelstifte das beste .
sein, wenn sie erhältlich sind. Zum Ausarbeiten des gingivalen Randes
der Füllungen leisten die sogenannten Zwischenraumfeilen gute Dienste.
Dr.Schwabe weist darauf hin, daß die konvex-konkave Biegung
der käuflichen Matrizen für das Anschmiegen an den Zahnhals sehr wichtig
ist. Er hält dünnes Kupferblech für das beste Material für Matrizen, weil
dasselbe sehr schmiegsam ist und im Interdentalraum durch einfache Watte-
bäuschchen angepreßt werden könne. Er verwendet zur Fixierung der
Matrizen Drahtligaturen oder den Universalseparator.
Dr. Breuer erinnert daran, daß die Uhrpendelfedern aus sehr
dünnem, hartem Stahl gemacht sind, in den Uhrbestandteilgeschäften zu
262 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
haben seien und eventuell einen guten Ersatz für die guten, alten Stahl-
matrizen abgeben können. BE
Unter Allfälligem regt Dr. Breuer an, im Mai eine Hauptver-
sammlung abzuhalten zur Vornahme der Neuwahlen und der Statuten-
änderung entsprechend den geänderten politischen Verhältnissen. Er be-
nützt die Gelegenheit, Herrn Dr. Ornstein für die Vertretung des Herrn
Schriftführers während des Krieges den besten Dank für seine Mühewaltung
und Unterstützung auszusprechen.
Dr.Ornstein stellt den Antrag, daß die Hauptversammlung wie
alljährlich und nach dem Wortlaut der Satzungen im November 1919
abgehalten werde. Angenommen.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Einkaufs-Zentrale und Zentral-Technik.
Am 18.September d.J.-fand die konstituierende Vollversammlung
der Einkaufs-Zentrale und Zentral-Technik der wirtschaftlichen Organi-
‘sation der Zahnärzte Deutschösterreichs statt. Dr.Rieger wies in
seinen einleitenden Worten darauf hin, daß die Verwirklichung dieses Pro-
jektes für viele Kollegen in wirtschaftlicher Beziehung von einschneidender
edeutung sein dürfte. Die Zusammenkunft habe den Zweck, Vertrauen
und Interesse für dieses zeitgemäße Unternehmen zu erwecken.
Nach ihm führte Dr. Stark aus, daß es notwendig sei, sich zahlreich
an der Zeichnung von Anteilen für das Unternehmen zu beteiligen und
konstatierte mit Genugtuung, daß bereits vor der Generalversammlung
40 Anteile gezeichnet worden waren. Er erteilt dann Dr.Markus zur
Verlesung der Statuten und zur Erteilung von Auskünften hinsichtlich
der Gebarung das Wort. Dr.Markus sagte:
M.H.! Bei der heutigen Gründung gingen wir von der Anschauung
und Überzeugung aus, daß der Einzelne machtlos vielen Widerwärtigkeiten,
die unser Beruf mit sich bringt, gegenübersteht. Die allgemeine Preis-
steigerung, der wir mit unseren Preisen zu folgen nicht imstande sind,
weil wir den größten Teil unserer Klientel verlieren würden, ist zur regel-
losen Preistreiberei geworden. Jeder Tag, jeder Lieferant von Ware und
Arbeit stellt immer höhere Forderungen, die meist jeder Berechtigung ent-
behren, und da ist es wohl an der Zeit, daß wir uns zusammenschließen,
um uns selber zu helfen und zu versuchen, in dieses Chaos Ordnung hinein-
zubringen.
Unsere Absicht, im Rahmen der W. O. d. Z.-Ä. die Sache durchzu-
führen, ließ sich nicht bewerkstelligen, weil es gesetzlich unstatthaft.
ist, in einem Vereine geschäftliche Unternehmungen zu- gründen; so
schritten wir an die separate Gründung dieser Genossenschaft, die wir
als Tochterinstitut der W. O. betrachten, was wir erstens im Titel der Gen.,
ferner in der Bestimmung, daß nur Mitglieder der W.O. auch Mitglieder
der Gen. sein können, und schließlich in der Bestimmung, daß von 5 Vor-
standsmitgliedern drei vom Vorstand der W. O. ernannt werden, zum Aus-
druck gebracht haben.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 263
Wir wollen und können Ihnen heute keine Versprechungen machen,
aber wir sind überzeugt, daß schon der Bestand unserer Gen. seine Wir-
kung tun wird. Ich will Ihnen ein kleines Beispiel geben. Ich habe dieser
Tage mit einer Firma, welche bisher 14 h für das Schleifen eines Boh-
rers verlangte, für die W.O. ein Abkommen getroffen, wonach sich der
Satz auf 10h erniedrigt, was für mich z. B. eine Ersparnis von 284 K jähr-
lich’ bedeutet. Ähnliche Abkommen mit Elektrikern, Mechanikern u.a.
werden in der nächsten Zeit folgen. Durch derartige Abkommen wird
nicht nur eine Verbilligung, sondern auch eine Verbesserung und Beschleu-
nigung der Arbeit zu erwarten sein. Die Gen. resp. die W.O. behalten
sich vor, in Streitfällen entscheidend einzugreifen. Daß dies nicht zum
Schaden der Kollegen geschehen wird, ist selbstverständlich.
Auch der Bestand oder schon die drohende Errichtung einer Zahn-
technik wird auf die ins aschgrau fortgesetzte Steigerung der Preise für
gelieferte zahntechnische Arbeiten mäßigend einwirken.
Der Vorgang bei der Errichtung der Z.-T. ist folgendermaßen ge-
dacht: Sobald die entsprechende Anzahl von Anteilen gezeichnet ist, wir
brauchen 400 Anteile a 200 K, das sind 80.000 K, von denen 40.000 K zur
Einrichtung der Technik, 40.000 als Betriebskapital gebraucht werden,
wird ein erstklassiger Techniker, der schon ausersehen ist, aufgenommen,
zugleich das Lokal gemietet, eingerichtet und mit Zuziehung der notwen-
digen Hilfskräfte die Arbeit begonnen. Anfangs nur für einige Ärzte,
deren Urteil kompetent ist. Fallen die Arbeiten zur Zufriedenheit aus,
werden aus der Zahl der Genossenschafter einige dazu genommen, wobei
diejenigen, welche außer Haus arbeiten, in erster Reihe berücksichtigt
werden, usf., bis der volle Betrieb erreicht ist. Bis zur vollen Entwicklung
des Betriebes dürften bis zwei Jahre vergehen. Ob man den Betrieb dann
nur zentral führt oder dezentralisieren wird, ist eine Frage der Zweck-
mäßigkeit, die sich im Laufe der Zeit ergibt.
Mit der Errichtung der Z.-T. ist der Beginn der Einkaufszen-
trale gegeben, nachdem die Materialien für die Z.-T. bei entsprechend
günstigem Geschäftsgang im Großen gekauft werden und von da auch
an die Mitglieder, welche zu Hause arbeiten lassen, abgegeben werden
sollen. Der Ein- und Verkauf anderer Artikel soll sich dann anschließen.
Die Einkaufsgenossenschaft will und darf sich nicht in Gegensatz
zu den bestehenden Depots stellen, im Gegenteil: Sie wird von denselben
kaufen. Durch Einkauf im Großen vereinfacht sich die Regie der Depots,
durch Barzahlung die Verluste derselben, so daß sie nicht zu Schaden
kommen, wenn sie uns billiger liefern.
Dieses ist der Gedankengang, der den Gründern der Genossenschaft,
die wir mit Rücksicht auf die Länge des Titels kurzweg „Eizet‘“ nennen
wollen, zugrunde liegt. Das vom Vorstande der W. O. d. Z.-Ä. ernannte
vorbereitende Komitee, welches heute auch in den Vorstand der Genossen-
schaft gewählt wurde, besteht aus Kollegen, welche an ihrer eigenen Praxis
bewiesen haben, daß sie keine Theoretiker sind und befähigt erscheinen,
mit der Durchführung der Aktion ‘betraut zu werden.
Wir bitten Sie, meine Herren, um Ihr Vertrauen, welches durch kleine
Fehler und Mißerfolge, die im Anfang jedem Unternehmen anhaften, nicht
getrübt werden darf.
264 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
.. Selbstverständlich erwächst aus der Zeichnung von Anteilen keinerlei
Verpflichtung. Die Mitglieder können, müssen aber nicht die Zahntechnik
in Anspruch nehmen, können und müssen nicht in der Zentrale einkaufen.
Es ist eina schwere aber ehrenvolle Aufgabe, die wir uns gestellt
haben, eine Aufgabe, die bei entsprechender Unterstützung von Seite der
Zahnärzte und guter Geschäftsführung gelingen muß und das Ansehen
der gesamten Zahnärzteschaft in hohem Maße zu heben berufen ist.
Hierauf fanden die Wahlen in den „Eizet“ statt. In den Vorstand
wurden berufen die Herren DDr. Kulka, Markus, Reschofsky,
Roth und Stark. In den a IRAETA Bayer, Blum, Pick,
Rieger und Saxl.
Aufnahmen in das zahnärztliche Institut der Universität Wien für
das Wintersemester 1919/20.
A.
Für die offizielle, einsemestrige theoretische Vor
lesung und die damit verbundene Patienten-Demonstration kommen für
nn Wintersemester 1919/20 in uneingeschränkter Zahl zur Auf-
nahme:
Ordentliche Hörer der Medizin, welche bereits das
erste Rigorosum absolviert haben.
B.
Für die spezialistische Ausbildung zum Zahnarzte
und für die auf vier Semester sich erstreckenden Übun-
gen am Patienten (und im zahntechnischen Laboratorium) können
wegen Mangel an Raum und wegen Mangel an Lehr- und an Hilfskräften
ausschließlich zur Aufnahme kommen:
In erster Linie derzeit noch jene Heimkehrer und österr.
med. univ. Doktoren österreichischer Staatsangehörigkeit, welche bereits
in den Semestern 1918/19 und Sommersemester 1919 am
Institute fleißig und mit Erfolg gearbeitet haben.
In zweiter Linie nach Maßgabe der vorhandenen Plätze
auch gegenwärtig schon absolvierte Mediziner öster-
reichischerStaatsangehörigkeit, welche sich verpflich-
ten, 2 Jahre zahnärztlich spezialistische Studien zu
treiben und sich zu Zahnärzten auszubilden.
In dritter Linie, falls Plätze übrig bleiben oder frei werden,
österr. med. univ. Doktoren, welche noch keine spezialistischen
Vorkenntnisse haben und sich verpflichten, sich vier Seme
ster hindurch zu Zahnärzten auszubilden.
In vierter Linie inländische praktische Zahnärzte, welche sich in
mehrwöchigen Kursen in besonderen Kapiteln der Zahnheilkunde unter-
richten lassen wollen, falls Plätze frei sind und Kurse zu-
standekommen bzw. im Gange sind.
In fünfter Linie, falls Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, können
auch Ausländer aufgenommen werden. wenn sie nachweisen, daß sie
eine dem österreichischen oder dem reichsdeutschen, dem Schweizer, dem
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 365
amerikanischen, englischen, französischen Zahnarzte gleichwertige Vor-
bildung genossen haben.
Zahnärztlieher Unterricht.
Im Wintersemester 1919/20 werden folgende Vorlesungen und Kurse
in Wien abgehalten:
Prof.D.R.Weiser: Semestralvorlesung über Zahnheilkunde für
Mediziner. Einsemestrige theoretische Vorlesung über Zahnheilkunde und
damit verbundene Patienten-Demonstration für Mediziner. 3stündig, Sams-
tag von 8 bis 11 Uhr. Beginn Samstag den 18. Oktober 1919.
Prof. Dr. R. Weiser: Semestralvorlesung über Zahnheilkunde
für Ärzte mit praktischen Übungen am Patienten. 5mal wöchentlich von
a 7 o Beschränkte Hörerzahl. Beginn Montag den 6. Oktober
um %/:6
Privatdozent Dr. Bruno Klein: Zahnersatzkunde. 10stündig,
5mal 8—10.
Dr. Franz P ten: Klinik und Therapie der Alveolar-Pyorrhöe.
lstündig, Samstag 8—9. |
r. Harry Sicher: Zahnärztliche Operationslehre. Astündig, Mon-
tag, Donnerstag 4—6.
Dr. Friedrich Pordes: Einführung in die Röntgendiagnostik der
Zähne und der Kiefer. Istündig, Samstag 10—11.
Prof. Dr. Gustav Wunschheim: Semestralvorlesungen über Zahn-
heilkunde für Mediziner. 3stündig, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag 6—7.
Prof. Dr. Gustav Wunschheim: Praktische Übungen in konser-
vierender Zahnheilkunde für Vorgeschrittene. 10stündig, 5mal 5—7.
Prof. Dr. Leo Fleischmann: Histologie und Pathologie der
Zähne. 2stündig. Nach Übereinkommen. `
-Privatdozent Dr. Wilhelm Wallisch: Semestralvorlesung über
Zahnheilkunde. Freitag 6—8.
Privatdozent Dr. Bertold Spitzer: Semestralvorlesungen über
Zahnheilkunde mit praktischen Übungen für Studierende. 2stündig, nach
Übereinkommen.
Privatdozent Dr. Julian Zilz: Semestralvorlesung über allgemeine
und experimentelle Pathologie der Mundhöhle mit besonderer Berücksich-
tigung der Zähne, für Studierende. 3stündig, nach Übereinkommen. .
Privatdozent Dr. Bruno Klein: Praktische Kapitel aus dem Ge-
samtgebiete der Zahnheilkunde, 1stündig, nach Übereinkommen.
Privatdozent Dr. Albin Oppenheim: Ausgewählte Kapitel, der
Orthodontie. istündig, Tag und Stunde wird bekanntgegeben.
Privatdozent Dr. Albin Oppenheim: Einführung in die Ortho-
dontie. 2stündig, jeden Mittwoch 1/.6—7.
Privatdozent Dr. Fritz Schenk: Semestralvorlesung für Studie-
rende, mit praktischen Übungen und Demonstrationen am Patienten.
3stündig, nach Übereinkommen.
266 Kleine Mitteilungen. — Personalien.
Kleine Mitteilungen.
(Adreßkalender der Zahnärzte 1919/20.) Die Vorarbeiten für den
von mir herausgegebenen, im Verlag der Berlinischen Verlagsanstalt
G.m.b.H., Berlin NW 23, erscheinenden Adreßkalender der Zahnärzte im
Deutschen Reich und Deutschösterreich, Jahrgang 1919/20, sind so weit
vorgeschritten, daß ich in den nächsten Wochen die Personalbogen an
die Herren Kollegen durch unmittelbares Rundschreiben zur Post
geben kann.
Zum ersten Mal werden in diesem Kalender auch die Zahnärzte
Deutschösterreichs Aufnahme finden. Schon jetzt richte ich an die Kollegen
die Bitte, die meinem Rundschreiben beigefügten Personalkarten so
schnell als möglich ausgefüllt zurückzusenden. Die Beantwortung der
Fragen erfordert nur wenige Augenblicke Zeit. Sie gibt die Gewähr dafür,
daß der Name und die Personalien richtig angeführt werden. Die Aus-
stellung liegt ebenso im eigenen Interesse des Einzelnen wie der Gesamt-
heit. Da der Kalender bei Neuniederlassungen als Nachschlagewerk be-
nutzt wird, können fehlende Angaben nachteilige Folgen haben. An alle
Kollegen richte ich die Bitte, sich zur Durchsicht der Adressen der Liste
der an ihrem Wohnort tätigen Kollegen bereit zu erklären, damit eine
lückenlose Aufführung’ aller Zahnärzte möglich ist. Ich bitte diejenigen
Kollegen, mir auf der Karte recht bald Nachricht zu geben, die zur Durch-
sicht der Adressenverzeichnisse ihres Wohnortes bereit sind. Alle Aus-
lagen werden gern erstattet.
Zahnarzt Erich Lazarus, Berlin NW 23, Claudiusstraße 15.
Personalien.
(Prof. Dr. Wilhelm Sachs.) Am 22. September 1919 feierte Wilhelm
Sachs seinen 70. Geburtstag. Dankbar gedenken auch wir Deutschöster-
reicher des Ehrentages eines Mannes, von dem so viele von uns während
seiner Breslauer Lehrtätigkeit Belehrung gefunden und denen er bei den
Versammlungen des Z. V. d. öst. Stom., deren lieber Gast er viele Jahre war,
durch Vorträge und Demonstrationen Anregung gegeben hat.
Diese sowie seine literarischen Arbeiten umfassen das ganze Gebiet
der zahnärztlichen Disziplinen, wenn auch sein Hauptgebiet die gehäm-
merte Goldfüllung ist, für deren Verbreitung er in Wort und Schrift tätig
und deren unerreichter Meister er ist.
Möge es Wilhelm Sachs noch lange vergönnt sein, aus dem reichen
Schatz seiner Kenntnisse und Erfahrungen die Jünger des von ihm so ge-
liebten Faches zu erfreuen.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
u.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Münzgasse 6.
Österreichische Zeitschrift für Stomatologie
| a aa Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs.
XVII. Jahrgang. November 1919. 11. Heft.
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Die Darstellung des Kiefergelenkes durch das
Röntgenbild.
Von Zahnarzt Karl Herber, Düsseldorf.
(Mit 9 Figuren.)
Herr Dr. Pordes-Wien hat in verschiedenen Publikationen eine
verblüffend einfache Darstellungsmethode des Kiefergelenkes gegeben, die
heute bereits Allgemeingut in der Röntgenologie des Kopfes geworden ist.
So einfach die Methode ist, ebenso einfach ist auch die Erklärung der-
«eiben nach Pordes. Ob dieselbe aber richtig ist oder ob die Erscheinung
auf anderen Ursachen beruht, ist Zweck dieser Untersuchung.
Entwicklung.
Ehe ich aber in die eigentliche Untersuchung eintrete, sei Folgendes
vorausgeschickt:
Als ich nach dem Fortgange von Kollegen Hauptmeier-Essen
das Amt eines Röntgenologen an einer Abteilung des Lazaretts für Kiefer-
verletzte antrat, wurde im wesentlichen nachgden Methoden, die Kollege
Hauptmeier angegeben hatte, gearbeitet und die Technik war im
wesentlichen auf die bekannten typischen Lagerungen „beschränkt, wie sie
von Cieszyński schematisiert worden sind. Die Lagerung wurde aber
nicht mittelst der ' Einstellkappe, sondern aus freier Hand nach dem
Augenmaß bemessen.
Die häufig vorkommenden Kieferklemmen zwangen mit Notwendig-
keit dazu, eine einwandfreie Darstellungsmethode des Kiefergelenks zu
erreichen. Prof. Bruhn, der Leiter des Lazarette, betraute aus dieser
Notwendigkeit heraus mich mit der Aufgabe, eine Lösung für diese Frage
zu finden. Ich ging daher zunächst so vor, daß ich das sehr reichhaltige
Material des Lazaretts an Röntgenplatten daraufhin durchsah, ob eine
einwandfreie Darstellung des Kiefergelenks etwa durch Zufallstreffer er-
reicht worden sein könnte. Ä
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 24
368 Karl Herber.
Dabei zeigte es sich, daß bei einigen Platten wohl das Kiefergelenk
in seiner ganzen Ausdehnung vorhanden, daß aber infolge der Projek-
tionsverhältnisse stets eine starke Verzerrung der in Frage kommenden
Teile eingetreten war. Da das Stereobild, welches im Lazarett prinzipiell
zur Anwendung kommt, die Verhältnisse aber wenigstens einigermaßen
wieder aufrichtet, so wäre denn dieser .Umstand nicht von allzu großer
Bedeutung gewesen. Ich versuchte daher durch weitere Überdrehung des
Kopfes aus der: 6. Cieszynskischen Schräglagerung heraus — ich
benutze der Einfachheit halber diese Einteilung von Cieszyüski.
wenn ich auch nicht darnach arbeite, nur bemerke ich, daß die Darstellung
des Gebietes in dieser Lagerung meist nicht so ausfällt, wie der Autor
sie angibt, insbesondere nicht das Kiefergelenk — und durch schrägen
Einfallswinkel des Röntgenstrahles die Darstellung des Gelenkes auf
Kosten der Verzerrung in allen Fällen zu erzwingen. Es zeigte sich aber.
daß auf diese Weise generell das Gelenk nicht zur Darstellung gebracht
werden konnte, mir wenigstens wollte es nicht gelingen, bestimmt in jedem
Falle vorauszusagen, daß das Gelenk in seiner ganzen Ausdehnung ge-.
troffen sei. Ich schob die. Schuld an diesem Umstande auf individuelle
anatomische Verschiedenheiten oder habituelle oder koinzidierende Um-
stände, kurzen Hals, Streckungsunmöglichkeit des Kopfes, Verbände usw.
Kurzum ich sah ein, daß auf diesem Wege nicht weiter zu kommen war.
Bei der Durchsicht des Plattenmaterials des Lazaretts aber war mir
aufgefallen. daß bei einigen Seitenaufnahmen der Ast des Uhnterkiefers.
der unmittelbar auf der Kassctte. also an der photographischen Platte
gelegen hatte, in seiner ganzen Ausdehnung klar sichtbar war, ohne daß
man bei der Betrachtung etwas von dem kollateralen Aste sah. der dem
Rohre zugekehrt, also der Platte entfernt, gelegen hatte. Ich dachte daran.
diesem Umstande nachzuforgchen und. wenn ich die Ursache ermittelt
hätte, zu versuchen, ob auf diese Weise die Darstellung des Kiefergelenks
nicht möglich sei. Meine Untersuchungen und theoretischen Erwägungen
führten mich dann zu der Erkenntnis, dals die oben angedeuteten Er-
scheinungen auf einem Prinzip beruhten, von dessen Einführung in die
Röntgenologie ich mir eine weitere Verbesserung der Methodik versprach.
und es gelang mir auch, das Kielergelenk ohne Verzerrung auf die photo-
graphische Platte zu bannen. Ich war zwar noch nicht ganz sicher über
den besten Weg, die Art der Kopflagerung und die Einstellung des Strahles. -
aber ich glaubte den Weg gefunden zu haben.
So weit war ich, als ich die Publikation von Dr.-Pordes in „Ein:
Jahr Kriegschirurgie im Reservespital Nr. 17 in Wien“ las und war ganz -
konsterniert über die Einfachheit der Methode wie auch ihrer Erklärung. :
Ich versuchte die angegebene Methode und fand die Richtiekeit. d. h. die
Die Darstellung des Kiefergelenkes durch das Röntgenbild. 269
Möglichkeit, das Gelenk auf diese Weise zur Darstellung zu bringen, be-
stätigt und hielt auch die angegebene Erklärung der Erscheinung für
richtig und ließ meinen ursprünglichen Gedankengang fallen, im Stillen
belustigt über den Gedanken, hinter den Erscheinungen mehr gesucht zu
haben, als wirklich dahinter steckte.
-Nun zwangen mich aber andere Aufgaben der Röntgenologie des
Kopfes, über die an anderer Stelle zu berichten sein wird (Die Chirurgie
der Kiefer, Neue deutsche Chirurgie), dazu, doch den ursprünglichen Ge-
dankengang wieder auszunehmen, und ich glaube behaupten zu können,
dai die Darstellung des Kiefergelenks nach der Methode von Pordes
nach den Grundlagen eines neuen Prinzips erfolgt, das mit Erfolg auch
noch zur Darstellung anderer Körperstellen, namentlich des Kopfes, .zur
Anwendung gebracht werden kann. Ich halte dus meinen Erwägungen
heraus daher die Erklärung, die Pordes für die Darstellungsmöglichkeit
des Kiefergelenks gibt, nicht für richtig, sondern glaube, daß sie auf
dem Prinzip der Auseinanderprojektion beruht, mit dem ich mich im
Folgenden näher befassen will.
Das Prinzip.
Für die Darstellung der sich vielfach kreuzenden, deckenden, über-
und nebeneinander liegenden Knochen des Schädels bediente man sich zur
Hauptsache der sogenannten Wegprojektion. Das Wort ist nicht
glücklich gewählt, mag aber als‘ Terminus technicus bestehen bleiben.
Der Ausdruck will besagen, daß die das darzustellende Gebiet über-
= sehattenden Knochenpartien aus dem Wege geräumt werden durch eine
zweckmäßige Lagerung des Kopfes einerseits und Einstellung des Röntgen-
strahles andrerseits. Etwa überschattende Knochenpartien werden weg-
projiziert. Dieses Prinzip ist das natürlichste und zweckmäßigste, wo es
zur Anwendung gebracht werden kann. und kann von keinem anderen
übertroffen werden. Leider aber ist es für das Gebiet des Kopfes nur in
sehr beschränktern Male anwendbar wegen der anatomisch-topographischen
Verhältnisse des Kopfskeletts. Selbst da, wo sie überhaupt gelingt, zwingt
rie in vielen Fällen zu einer Verzerrung des Bildes.
Namentlich beim Kopf ist man in vielen Fällen gezwungen, den
Köntgenstrahl durch überschattende Knochen hindurchgehen zu lassen
und erhält so im Bild übereinanderliegende Schatten. deren Deutung aber
fast unmöglich erscheint. Hier hilft dann ein weiteres Prinzip dazu, die
Sachlage aufzuklären, nämlich die stereoskopisehe Aufnahme.
Piese stellt daher, nicht wie man meist annimmt, lediglich eine kleine
Verbesserung dar, sondern ist für die Kopfaufnahme als striktes Postulat
für alle Fälle zu fordern und stellt sich der Wegprojektion als eben-
24*
270 | Karl Herber.
bürtiges Prinzip an die Seite. Man erreicht durch die -Stereovaufnahne,
daß man die sich deckenden Schatten räumlich auseinanderhalten kann.
und kann so die Überschattungen von dem darzustellenden Gebiet: trennen.
Allerdings werden Feinheiten der Struktur dadurch etwas beeinträchtigt.
Ein weiteres Prinzip ist endlich de Auseinanderprojektion.
Dieses Prinzip ist vielleicht sehon in: vielen: Fällen zur Anwendung ge-
Fig.1.
Fig. 2.
kommen, klar ausgearbeitet aber ist es, suweit ich die. Literatur deor
RKöntgenaufnahme überschauen kann. bisher nicht zur Darstellung ge
kommen. ‘Ich will daher versuchen, die schematischen Grundlagen des
Prinzips zu erläutern. |
Wenn man annimmt, A sei ein leuchtender Punkt, B eine. Lanie
und C eine Fläche, so wird, wenn der Stab B auf der Fläche C aufliert
oder beinahe darauf, der Schatten, den B auf C wirft, stets gleich groß
sein. ganz gleich, wie weit ich den Punkt A von B entferne (Fig. 1).
Die Darstellung des Kiefergeleukes durch das Röntgenbild. 971
Von dem Punkte A, aus projiziert sich die Linie B auf C in der
Größe ab, vom Punkte A, aus in der Größe cd. In der Zeichnung sind
die Linien nicht genau gleich lang, aber doch annähernd, was aber der
Fall sein würde, wenn B direkt an C läge. (Um die Verhältnisse zeich-
nerisch darstellen zu .können, wurde die Linie B etwas von C abgesetzt.) "
Betrachten wir nun unter denselben Gesichtspunkten eine von C
weiter abstehende Linie B (Fig.2). Die Punkte A, sowie A» sind von B
genau so weit entfernt wie in der Figur 1. Nur ist die Entfernung der
Linie B von C eine größere. Projizieren wir jetzt die Linie B auf C, so
erhalten wir vom Projektionspunkt A, aus die Linie AB, vom Punkt A:
aus die Linie cd. Unter den gewählten Verhältnissen ist die Linie ed
beinahe doppelt so groß geworden wie ab. Durch die Annäherung des
Fig. 8.
Punktes A an die Linie B haben wir diese auf der Fläche C auseinander-
projiziert.
Nehmen wir nun an, der Punkt A sei, was zeichnerisch zu schwer
darzustellen ist, ins Unendliche gerückt, so wird offenbar die Linie B
auf C eine Projektion, bilden, bei der das projizierte Bild genau gleich
dem Original ist. In der Röntgenphotographie aber wirkt bereits eine.
Entfernung von 60cm vom: Original, so daß man praktisch genau die
Originalabmessungen erhält. Ä
- Betrachten wir nun unter denselben Gesichtspunkten zwei verschieden
weit von der Fläche C abstehende Linien B, und B: (Fig.3). Liegt der
Projektionspunkt A, in der Unendlichkeit oder wenigstens weit ab von den
Flächen B, und B:, so wird das Projektionsbild beider Linien auf C
genau gleich groß werden. (In der Zeichnung ist, weil aus Raumgründen
A nicht unendlich weit entfernt gezeichnet werden konnte, die Deckung
nicht absolut genau, aber selbst bei dieser geringen Entfernung ver-
schwindend klein.)
Karl Herber.
wo
-~J
ID)
Nähern wir aber den Punkt A den beiden Linien bis A» (Fig.4),
so wird die Projektion der Linie Bı auf C (ab) beinahe dreifach so groß
wie die Projektion der Linie Bz auf C (cd). |
Kurzum wir erkennen, daß wir durch die Verschiebung des Punktes A
` ein Mittel in der Hand haben, eine von der Fläche C abstehende Linie B
nach Belieben sowohl in der Originalgröße wie in jeder beliebigen Ver-
größerung auf C zu projizieren.
Streng genommen können wir die Auseinanderprojektion der Linie B
anf zwei verschiedenen Wegen erzielen: |
1. dadurch, daß wir bei feststehender Linie B den Punkt A nähern
oder entfernen,
Fig.4.
2. dadurch, dal wir bei feststehendem Punkte A die Linie B der
Fläche € nähern oder entfernen oder modifiziert die Fläche C
der feststehenden Linie B nähern oder entfernen.
Von diesen beiden Wegen kommen für die Projektion der Röntgen-
darstellung die unter 2 erwähnten Möglichkeiten nicht in Betracht. Denn
die anatomischen Verhältnisse sind das primär gegebene und sind nicht
zu verändern, und für den gewollten Zweck wäre es unmöglich, die Platten-
ebene zu nähern oder zu entfernen.
Betrachten wir jetzt einmal, um den natürlichen Verhältnissen mehr
Rechnung zu tragen, die Linie B als Fläche, die ein Maschennetz von
schachbrettartiger Struktur trägt, wie in der Tat für den Röntgenstrahl
jeder Körper ein Maschennetz ist, durch welches die harten kurzwelligsten
Strahlen hindurchgehen, die weichen längerwelligen je nach der Art des
Stoffes aufgehalten werden. Proiizieren wir jetzt vom Punkte A aus die
Die Darstellung des Kiefergelenkes durch das Röntgeubild. 273
Fläche B (a—b—c—d) auf die Fläche C (e—f—g—h), so erhalten wir
unter den gewählten Dimensionen die Projektionsfläche i—k—l—m (Fig. 5).
Der Vergleich der beiden Flächen zeigt sofort, daß die projizierte
Fläche linear doppelt so groß, also flächenhaft vierfach so groß ist wie
die zu projizierende Fläche. Was sich aber zeichnerisch nicht darstellen
läßt, sind die Helligkeitswerte in der dunklen Fläche. Nehmen wir an,
in der Fläche a—b—c—d seien die schwarzen Felder auf einer Glasplatte
absolut schwarz, die Menge des in jedem Felde vorhandenen Farbstoffs
verteilt sich aber nach der Projektion auf die vierfache Flächenausdehnung,
also wird dort kein absolutes Schwarz, sondern nur ein grauer Schatten
entstehen.
D
Gehen wir nun noch näher auf die tatsächlichen Verhältnisse beim
Kopfskelett, in diesem Fall bei der Gelenkaufnahme, ein, so ‚ergibt sich
nach den tatsächlichen Massen etwa Folgendes:
Legen wir den Kopf auf die Platte bzw. auf die Kassette, so liegt
der Kondylus des darzustellenden Gelenkes beinahe unmittelbar der photo-
graphischen Platte an, wenn wir die Dicke des Kassettendeckels vernach-
lässigen. Der Gelenkkopf liegt unmittelbar unter der Haut, also nur durch
das dünne Tegument von der Platte getrennt, so daß wir praktisch sagen
können: der Kondylus liegt unmittelbar der Platte an.
Der kollaterale Ast vom Angulus hinauf zum Kondylus ist, wie wir
aus dem Artikulationsproblem durch Messungen wissen, zirka 10cm von
dem anderen, in diesem Falle der Platte anliegenden Ast entfernt.
Die durchschnittliche Entfernung des Brennfleckes der Röhre vom
Gesicht, des Patienten beträgt 15cm. Da aber für die Kopfaufnahmen
nur sehr weiche Strahlen benutzt werden, so können wir ruhig bis ‚zu
10 cm Entfernung an den Kopf des Patienten herangehen. Wie weit maximal
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 25
274 Karl Herber.
diese Annäherung an den Kopf getrieben werden darf, bedarf noch näherer
Untersuchungen; für unsere Erwägungen an dieser Stelle genügen diese
Angaben. | |
Eine nach diesen Verhältnissen gezeichnete schematische Darstellung
ergibt folgendes Bild (Fig.6):
Es sei A der Brennfleck der Antikathode des Röntgenrohres. Der
Kreis BC sei von A aus 10 cm (Tubuslänge) und von der Platte D E F G
Kondylusabstand) ebenfalls 10 cm entfernt. Dann projiziert der Punkt A
die Kreisfläcke CB (eine Fläche des kollateralen Kieferastes) in der
Größe H I auf die Platte D E F G, während die gleichgroße Kreisfläche RS
(der plattenanliegende Ast) in natürlicher Größe (schraffiert gezeichnet)
projiziert wird.
Rechnerisch beiden sich dann die Verhältnisse so:
Es verhält sich nach Konstruktion
AO:AP=1:2, mithin
COIP =1:2,
also ist PI doppelt so groß wie CO, mithin die Kreisfläche HI
vierfach so groß wie die Kreisfläche CB.
Aus diesen theoretischen, zeichnerischen und rechnerischen Dar-
legungen ergibt sich somit das Resultat, daß wir dem platten-
fernen Kieferast eine viermal so große Flächen-
ausdehnung auf der photographischen Platte ge-
geben haben als dem plattenanliegenden Ast
Polemik.
Pordes präzisiert die Aufnahmetechnik des Kiefergelenks folgender-
maßen:
„Es ist möglich, das Kiefergelenk in praktisch rein frontaler Ansicht
ohne störende Überschattungen in jedem Falle mit Sicherheit darzustellen,
wenn man von der anderen Seite her durch die von der kontralateralen
Incisura semilunaris und den Processus zygomaticus ossis temporalis
gebildete halbelliptische Lücke mit dem Hauptstrahl auf das darzustellende
Kiefergelenk zielt.“ |
Unter Bezugnahme auf 3 Abbildungen, von denen die eine für unsere
Untersuchung keine Rolle spielt, reproduziere ich die eine Abbildung
(Fig.7). Daraus geht hervor, daß also, wenn man die Verhältnisse am
Schädel untersuchen würde, man durch einen Blick durch diese halbellip-
tische Lücke den Kondylus der anderen Seite sehen könnte.
Das ist aber nach meinen Untersuchungen nicht der Fall, bei keinem
der mir zugängigen Schädelpräparate wollte es mir gelingen, einen direkten
Einblick in das Gelenk der anderen Seite zu erhalten, wie ich auch den
Die Darstellung des Kiefergelenkes durch das Röntgenbild. 275
Schädel hielt und drehte. Wenn ja nun auch das Auge nicht die Eigen-
schaften besitzt wie der Röntgenstrahl, feste Körper zu durchdringen, so
müßte doch, falls die Deutung von Pordes richtig sein sollte, gefühls-
mäßig der Einblick möglich sein, wenn man sich die anliegenden Knochen-
partien der Schädelbasis, die Gelenkpfanne, Ossa parietale usw. wegdenkt.
Das ist aber -auch nicht der Fall. Betrachten wir einmal einen
Sagittalschnitt durch den Schädel, so müßte dann doch wenigstens die
Einsicht möglich sein (Fig.8). Aber auch dies ist nicht der Fall, wie
der gezeichnete Sagittalschnitt zeigt. Außer dem die Sehmöglichkeit des
Fig. 17. Fig. 8.
= l
In der halbelliptischen Lücke erscheint das kontra-
laterale Kiefergelenk.
Auges behindernden Teile der anderen Seite befinden sich inmitten des
Schädels starke Knochenpartien; welche immer noch das Gelenk verdecken
(Keilbeine).
Diese Partie ist allerdings von verschiedener Struktur, setzt also
dem Röntgenstrahldurchgang sehr verschiedenen Widerstand entgegen.
In dem in Frage kommenden Hauptteil ist sie stark spongiös und von
einer großen Höhle durchsetzt (Keilbeinhöhle). Es wird also die Aufgabe
sein, bei der Lagerung des Kopfes möglichst den Strahl diese Keilbein-
höhle passieren zu lassen, dann wird die Klarheit des Bildes am größten.
Vorhanden sind aber hier immer Knochen und es ist daher nicht anzunehmen,
25 *
276 | Karl Herber.
daß die Verhältnisse so einfach liegen, daß die einfache Durchsicht das
Bild zustande bringt. I Ä
Daß meine Deutung der Erscheinung mehr Wahrscheinlichkeit hat
als die des Autors, kann man ferner an dem zweiten, ebenfalls vom Autor
entnommenen Bild ersehen (Fig.9). Dieses Bild, welches offenbar nach
einer Photographie nach dem Ausbleichverfahren entstanden ist, gibt die
Proportionen richtig wieder und man sieht ohne weiteres das deduktiv
erhaltene Resultat der Auseinanderprojektion des plattenabstehenden Astes,
der etwa dreifach so groß erscheint wie der plattenanliegende Ast.
Diagramm einer Kiefergelenksspezialaufnahme.
Was aber nicht richtig bzw. subjektiv gefärbt ist, ist die Nach-
zeichnung der Linien, die vom Autor aber offenbar nur zur besseren Dar-
stellung der hauptsächlich in Frage kommenden Linien angewendet worden
ist. Ich kann sehr wohl verstehen, daß die Methode des Ausbleichverfahrens
für die Reproduktion von Röntgenphotographien vom Autor bevorzugt
wird, denn die autotypische Darstellung von Röntgenogrammen im Buch-
druck liefert, selbst die besten Originale vorausgesetzt, so schlechte Re-
produktionen, daß man besser tut; darauf zu verzichten. Aber für diesen
konkreten Fall kann die Nachzeichnung nicht als wahrheitsgemäß be-
trachtet werden. Die Konturen des plattenabstehenden Astes sind nicht
Die Darstellung des Kiefergelenkes durch das Röntgenbild. 977
eben nur angedeutet und die Incisura semilunaris tritt nicht so scharf
markiert hervor, wie der Autor dies darstellt, sondern diese ganze Partie
liegt im Bild wie ein gleichsam durchsichtiger Schemen vor dem platten-
anliegenden Aste und beeinträchtigt infolge der starken Auseinander-
projektion durchaus nicht die Einsicht in die Verhältnisse am platten-
anliegenden Aste. l
Ein weiterer Beweis für meine Anschauung ist die Tatsache, daß
die Bilder dieser Partie bei Röntgenaufnahmen stets etwas flau werden.
Dies ist leicht zu verstehen, weil die durch das Auftreffen sowohl des
kollateralen Astes wie auch der Partie des Keilbeins entstandenen sekun-
dären Körperstrahlen das Bild verschleiern. Nach meinen Erfahrungen
ist es stets besser, das Rohr etwas härter zu halten, etwa in der Härte,
wie sie für die Frontalaufnahme gebraucht wird, während die für die
Seitenaufnahmen übliche Härte etwas zu weich ist.
Alle diese Umstände haben mich zu der Überzeugung gebracht, daß
meine ursprüngliche Ansicht über die Auseinanderprojektion richtig ist,
denn alle tatsächlichen Verhältnisse stehen im vollen Einklange mit den
theoretischen Erwägungen.
Schluß.
Die hier skizzierten prinzipiellen Erwägungen über die Methodik der
Auseinanderprojektion können sinn- und sachgemäß auch zur Darstellung
anderer Skeletteile benutzt werden, denen durch einfache Wegprojektion ent-
weder nicht beizukommen ist, oder nur unter starker Verzerrung der wirk-
lichen Verhältnisse. Bis zu welchem Grade der Ausführbarkeit die Technik
getrieben werden kann, steht noch dahin, sicher aber ist, daß sie eines
weiteren Ausbaues wohl fähig ist. Mir leistet die Methodik bereits heute
solche Dienste, daß ich auf die Darstellung durch den Film, die'intraorale
Aufnahme, verzichten kann, die mir deshalb nicht günstig erscheint, weil
einmal die stereoskopische Darstellungsmethode, auf die ich prinzipiell
sehr großen Wert lege, nicht oder nur durch sehr zeitraubende Manipu-
lationen möglich und der Erfolg nicht in allen Fällen sicher ist. Sodann
aber auch, weil die Orientierung beim Filmbilde wegen des Mangels an
Fixpunkten meist unmöglich ist, selbst wenn man intraorale Filmauf-
nahmen machen würde. Ich ziehe daher auch für die Darstellung einzelner
Zähne die extraorale Aufnahme der Filmtechnik vor und die Möglichkeit,
auch die Zahngebilde ohne Verzerrung auf die extraoral liegende Glas-
platte zu bringen, liefert die Methode der Auseinanderprojektion.
(Geschrieben Dezember 1918.)
278 Fritz Pordes.
Aus dem zahnärztlichen Institut der Wiener Universität (Vorstand:
Prof. Dr. R. Weiser) und dem Zentralröntgeninstitut des Wiener
allgemeinen Krankenhauses (Vorstand: Prof.Dr.G.Holzknecht).
Erwiderung auf obige Arbeit.
Von Dr. Fritz Pordes, Röntgenologen des zahnärztlichen Universitäts-Institute
in Wien.
Herber anerkennt meine auf projektivischer Freilegung des Kiefer-
köpfchens beruhende Gelenkaufnahme, ja er behauptet in Verkennung der
Tatsachen, daß sie Allgemeingut der Schädelröntgenologie geworden sei.
Allerdings ist daran, nach Herber, die Einstellung in der besprochenen
Halbellipse und der Strahlengang schräg von vorne nach hinten, der
einen von Hindernissen völlig freien Weg findet, nach Herber voll-
kommen unschuldig. Er leugnet, daß es einen solchen freien Weg gäbe,
und reproduziert als Beweis eine — nicht sehr klare — Abbildung, die
eine genaue Queransicht eines Schädels darstellt. Es ist mir nicht er-
innerlich, behauptet zu haben, daß man rein quer (und zwar gleich-
gültig w o) einstellen könne und dann das Gelenk frei bekäme. Wesentr-
lich ist der" Weg durch den Mittelpunkt der Halbellipse auf das kontra-
laterale Köpfchen, ein Weg, den ich in jedem Kurs allen meinen Schülern
an jedem Schädel als frei zeigen kann. Ob man nun „auseinanderprojiziert‘“
oder nicht, ist für diese Einstellung ganz gleichgültig. Das Köpfchen
erscheint de facto frei von Überschattung in der kontralateralen
Halbellipse wie in einer Blende. Daß dabei der kontralaterale Kieferast
vergrößert und unscharf erscheint, auch lichtschwach, hat Herber
„entdeckt“. Wie er erscheint, ist aber gleichgültig, da er eben das
Bild des plattenanliegenden Köpfchens nicht deckt und nicht stört. (NB.
Meine Bilder sind nicht aus 15cm, sondern natürlich lege artis aus `
40 cm. Fokusdistanz hergestellt!) Was Herber an Kiefergelenksbildern
ausgeführt hat, weiß ich nicht. Ob auf seinen’ Bildern die kontralaterale
Inzisur als „Blende“ zu sehen war, kann ich nicht sagen. Auf meinen
ist sie das. Ich wiederhole: Es handelt sich daher um eine bewußte,
deduktiv bei Betrachtung des Schädelskeletts gefundene projektivische
Freilegung. Ich bin gerne bereit, Herber einen einwandfreien wissen-
schaftlieh vollwertigen Zeugen zu nennen, der meine Arbeiten im Jahre
1916 aus nächster Nähe beobachtet hat und weiß, daß ich zuerst das
Resultat voraussah und dann die erste Einstellung machte.
Nun, Herber, der mir in sachlichster Darstellung die Kenntnis
meines geistigen Eigentums zu vermitteln versucht, möge versichert sein,
daß es ebenfalls in sachlichster Form geschehen soll, wenn ich jetzt, ge-
'zwungen durch die Umstände, den Boden der Verteidigung meiner Methode
Erwiderung auf obige Arbeit. 279
verlasse und mich kritisch mit seiner „Auseinanderprojektion“ und einigen
anderen Details seiner Arbeit befassen muß.
Hätte Herber, ehe er mir meine Methode zu erklären für not-
wendig fand, anstatt sich mit der Lektüre des im Jahrbuch des Reserve-
spitals Nr. 17 befindlichen kleinen Auszuges zu begnügen, die im Literatur-
verzeichnis dieses Auszuges für fachlich interessierte Leser angeführten
Originalarbeiten gelesen, dann hätte er als Ende des ersten Absatzes be-
sagter Originalarbeit (Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1916, H.9) den
Satz gefunden: Ein Versuch zur erwünschten rein fron-
talen Projektion ist das Herangehen mit der Röhre
bis hart an das plattenferne Kiefergelenk, um durch
die aus der Divergenz der Strahlen resultierende
Unschärfe aller plattenfernen Teile das platten-
anliegende Kiefergelenk als allein scharf differen-
zieren zukönnen. Die Resultate dieser Methode sind
unbefriedigend, ihre Anwendung wegen der geringen
Haut-Fokusdistanz vielleicht nicht unbedenklich.
Soweit Herber die Literatur der Röntgenaufnahme überblickt, ist
die Methode der Auseinanderprojektion nicht erwähnt. Mit diesem Namen
allerdings nicht. Es blieb vielmehr Herber vorbehalten, zu finden, daß
ein Objekt, je näher es dem Fokus, je weiter es von der Platte entfernt
ist, desto größer und lichtschwächer erscheint, daß diese Differenzierung
nach Schärfe, Lichtstärke und Größe eine gewisse, nicht allzu sichere
Tiefenbestimmung erlaubt, daß man ein plattenanliegendes Detail auch
durch Knochen oft zu sehen imstande ist ete. ete. Ja, er illustriert diese
Erkenntnis durch Skizzen und Mathematik.
Hätte sein Überblick über die Literatur der Röntgenaufnahme bei-
spielsweise den allbekannten und für das Studium der Röntgenanatomie
ganz unentbehrlichen Atlas von Grashey einbezogen, dann hätte er
auf Seite 36 und 37 der letzten Auflage finden können, daß all das zu
den Grundgesetzen der guten alten Zentralprojektion gehört. Er hätte
dort auch Figuren gefunden, die ihm seine Illustrationen zu substituieren
voll geeignet wären. Hätte er also, wie gesagt, meine kleine Arbeit —
eventuell auch den „Grashey‘“ — gelesen, dann hätte er kaum von einem
„neuen Prinzip“ sprechen können. Er hätte vielmehr eingesehen, daß es
sich bei der Darstellung plattenanliegender Gebilde durch Verminderung
der Fokushautdistanz um eine mir lange bekannte, in ihrem Prinzip alles
eher als neue Sache handelt.
Er hätte aber, was objektiv weniger wichtig ist, in der kleinen Arbeit
von 1916 zwei PhototafelnmitOriginalröntgenogrammen
280 | | Fritz Pordes.
finden können. Er hätte gesehen, daß das Köpfchen wirklich frei liegt,
daß also die „chemenartige Flauheit“ der kontralateralen
Inzisur um so weniger stört, weil man nicht durch sie, sondern an ihr
vorbei das Kiefergelenk sieht, er hätte sich vor allem dadurch er-
. sparen können, mir den höchst seltsamen Vorwurf der, sagen wir ruhig,
Fälschung zu machen, begangen durch starkes Ausziehen der Inzisurlinie.
Da es mir darum zu tun war, zu zeigen, wo diese, im Bild selbst-
verständlich sehr zarte Linie verlief — setbstverständlich zart, weil
plattenfern —, selbstverständlich für jeden, für den Zentralprojektion und
Sekundärstrahlen den Reiz der Neuheit nicht mehr haben.
Herber möge vielmals entschuldigen, wenn diese rein sachlichen
Argumente vielleicht schärfer klingen, als sie sollen. Er sei versichert, daß
mir nichts ferner liegt, als ein persönlicher Angriff. Allein ich muß es
dennoch sagen: Autodidaxis ist eine sehr schöne Sache. Aber gerade die
Röntgenologie verträgt es schlecht, wenn jeder einzelne die ganze Wissen-
schaft neu erfinden zu müssen glaubt. Es gibt gerade da so viel noch
nicht Erfundenes, daß wir alle sehr froh sein müssen, daß eine Schar der
klügsten Köpfe uns so viel Erfinderarbeit abgenommen hat, als in den
25 Jahren nur irgend möglich war. Die ungeheure Größe der Röntgen-
literatur bringt es mit sich, daß, wer nicht einen Fachröntgenologen zum
Führer hat, in die Irre gehen muß.
Herber tut das in vielen Stellen seiner Arbeit. Er tut Cies-
zyaski Unrecht, er überschätzt die Röntgenstereographie, die,
cin sehr verteuerndes und gar nicht. fehlerquellenfreies Verfahren, durch
bessere Aufnahmstechnik längst verdrängt ist, er behauptet, daß 60 cm
Fokusdistanz Bilder von „praktischen“ Originalabmessungen liefere ete.
Er muß ja nicht wissen, daß cine ganze große Literatur (Herz-
größenbestimmung) sich mit der Frage der Fokusdistanz beschäftigt.
Aber warum behauptet er dann apodiktisch, daß 60 cm genügten, obwohl
wir mindestens 150—200 zur Teleröntgenographie benötigen.
Er geht mit der Röhre auf 10 cm Fokushautdistanz, er empfiehlt für
seitliche Schädelaufnahmen sehr weiches Licht. Unerklärlich,
warum er die Weichheit der Strahlen als Grund dafür angibt,
dals er die Hautfokusdistanz vermindern darf. Er muß sie vermindern,
obwohl er gerade wegen des weichen Lichts nicht dürfte!
Ich kenne seine Technik nicht, Maßzahlen fehlen. Allein die An-
gabe, mit sehr weichem Licht, Glas der Röhre der Haut des
Patienten angelegt, stereoskopische Schädelaufnahmen durchzu-
drücken, halte ich in dieser Form für ausgesprochen gefährlich. Wie die
Erwiderung auf obige Arbeit. 281
Aufnahmen so gemacht aussehen, wie Herber da exakt einstellt, wie
er blendet, ist eine andere Frage.
Den vorletzten Absatz des „Polemik“-Kapitels verstehe ich nicht.
Warum die Flauheit eines Bildes ein Beweis für meine Darstellung des
Kiefergelenkes nicht in der von mir angegebenen Art, sondern durch
Auseinanderprojektion sein soll und wie größere Röhrenhärte (NB.
Herber nennt die Sagittalaufnahme Frontalbild, doch dies nur
nebenbei) dagegen ein Mittel sein soll, ist mir völlig unklar.
Allein diese Umstände führen Herber zur Überzeugung, daß die
Freilegung des Kieferköpfchens auf der Auseinanderprojektion des (da-
neben abgebildeten) kontralateralen Astes beruhe.
Im Schlußwort prophezeit Herber der Auseinanderprojektion den
Sieg über die enorale Zahnaufnahme. Das ist Ansichtssache. Allein, daß
die Orientierung auf dem enoralen Filmbilde „mangels von Fixpunkten“
„meist unmöglich“ sei, darf als allgemein gültig kaum bezeichnet werden.
Ich glaube vielmehr behaupten zu können, daß es keine Art von
Röntgenbild gibt, die so Millimeter für Millimeter
erfüllt von orientierenden Details sei, als ein gutes Zahn-
röntgenogramm. Vielleicht ist diese Ansicht Herbers damit zu erklären,
daß es ihm, da er erst auf extraoralen Aufnahmen die Zähne unverzerrt
darstellen kann, nicht gelingt, einen Zahn enoral unverzerrt darzustellen.
— Das würde die Sache allerdings anders erscheinen lassen.
Herber möge nochmals versichert sein, daß es mir ferne liegt,
ihm persönlich nahe treten zu wollen, wenn ich zusammenfassend sagen muß:
1. Die „Auseinanderprojektion“ ist die zu den altbekannten Grund-
tatsachen der Röntgenkunde gehörende Zentralprojektion..
LO
. Meine Kiefergelenksaufnahme hat mit der Darstellung platten-
anliegender Gebilde durch „Auseinanderprojektion“ bei vermin-
derter Hautfokusdistanz nichts zu tun. |
3. Die Methode der „Auseinanderprojektion“ war mir im Jahre 1916
bekannt, ich habe sie in der Originalarbeit als schlecht und
gefährlich abgelehnt.
4. Herber hätte sich durch Lesen der Originalarbeit oder durch
Lektüre irgend eines guten Röntgenlehrbuches ersparen können,
eine von mir gekannte und abgelehnte alte Methode als neue Er-
kenntnis und Erklärung für eine von mir deduktiv abgeleitete
Einstellung zu publizieren.
282 Karl Herber.
Schlußantwort auf die Erwiderung von Dr. Pordes.
Von Zahnarzt Karl Herber, Düsseldorf.
Mit Erfinderwahnsinn und Prioritätsideen haben meine Ausführungen
nicht das Geringste zu tun, worum mir lediglich zu tun war, war das,
eine Erscheinung aufzuklären und die daraus gewonnenen Konsequenzen
weiter nutzbar zu machen. Für ein solches systematisches Vorgehen sollte
doch Dr. Pordes um so eher Verständnis haben, als er bei allen seinen
Ausführungen in der gleichen Richtung arbeitet.
Und wenn er in der zitierten Anschrift — die ich de facto über-
sehen habe — die Auseinanderprojektion als nicht zweckmäßig ablehnt,
so ärdert das nichts an der Tatsache, daß sie nach meinem Dafürhalten
tatsächlich doch bei der Kiefergelenksaufnahme zur Anwendung gebracht
wird. Hier steht Behauptung gegen Behauptung, die meinige gestützt
durch sachliche Erwägungen und Darstellungen, die Ansicht von Doktor
Pordes lediglich durch die subjektive Annahme, daß es so kommen
müsse, wie er es vorausgesehen habe. Die Darstellung von Dr.Pordes
ist dann richtig, wenn er in der Lage ist, den Beweis zu führen, daß man
in jedem Falle durch die halbelliptische Lücke das kontralaterale Kiefer-
gelenk sehen kann, also durch eine photographische Aufnahme — nicht
Röntgenaufnahme — das Gelenk in der halbelliptischen Lücke zu zeigen.
Ist das möglich, so ist seine Darstellung richtig, andernfalls ist sie falsch,
denn dann müssen und werden die überdeckeuden Partien eben durch den
Röntgenstrahl auseinanderprojiziert.
Wenn Dr. Pordes glaubt, seine Replik lediglich in sachlichen
Bahnen gehalten zu haben, so stehe ich nicht an, dies zu bezweifeln, wobei
ich allerdings Subjekt, nicht Objekt bin, verwahre mich aber gegen den
Vorwurf der Literaturunkenntnis. Die angegebenen Arbeiten sind mir wohl
bekannt und der Hinweis darauf, „daß diese Auseinanderprojektion sicher
schon vielfach zur Anwendung: gekommen sei, daß eine Fokusdistanz von
zirka 60 cm für ungefähre Teleaufnahmen etc. genüge“, sollte doch Doktor
Pordes darauf aufmerksam machen, daß die sonst so beliebten Dis-
qualifizierungsversuche des Gegners in dieser Richtung stets auf die ver-
tretene Sache ein schlechtes Licht werfen.
Einige von den angezogenen Einzelheiten bedürfen noch der Richtig-
stellung, auf die ich nur kurz eingehen will.
| Man kann bei weichen Strahlen eher näher an den Körper heran-
gehen als bei harten, weil die Gefahr der Verbrennung verringert wird.
Wie weit im einzelnen diese Annäherung getrieben werden darf, bedarf
nach meinen eigenen Worten noch der Untersuchung, und ich stelle Doktor
Pordes frei, hier seine Bedenken ruhig zu äußern. Tatsache ist, daß
Schlußantwort auf die Erwiderung von Dr. Pordes. 983
von meiner Seite Schädigungen nicht beobachtet worden sind. Allerdings,
das gebe ich zu, daß Pordes so weit im Recht sein kann, wenn er
die in dem theoretischen Teil gegebenen Zahlen absolut auf die prak-
tische Anwendung bezieht. Diese sind nur approximativ, wie deut-
lich hervorgehoben, zur Erläuterung‘ des Prinzips angewendet. Ich wollte
keine Darstellung der praktischen Ausführung der Gelenksaufnahme geben,
sondern nur erklären, wie die von Pordes angegebene Gelenksaufnahme
zustande kommt.
Die Flauheit eines Gelenksaufnahmebildes bildet deshalb eine Stütze
für meine Erklärung des Zustandekommens der Gelenksaufnahme, weil sie
entsteht durch die Körperstrahlen, die beim Auftreffen auf das aus-
einanderprojizierte Objekt — den darüber liegenden Knochen — entstehen,
seitliche Aufnahmen sind deshalb stets klarer wie die Frontal- oder, wie
Pordes will, einen Sammelnamen: Sagittalaufnahmen des Kopfes.
- Meine Ansicht, daß die Plattenaufnahme die enorale Filmaufnahme
verdrängen wird, halte ich aufrecht trotz der Ansicht von Pordes, der
mir nicht zutraut, eine unverzerrte Zahnwurzel auf den Film zu bannen.
Er mißversteht offenbar den Ausdruck Fixpunkte. Wenn dies deutlicher
eein sollte, will ich sagen ÖOrientierungspunkte. Der Film liefert stets
nur einen kleinen Ausschnitt des betreffenden Gebietes, die Platte einen
großen Komplex. Es ist deshalb für die topögraphische Bestimmung
leichter, sich ein Bild der Lage zu machen, wenn man einen großen
Komplex vor sich hat, als nur einen kleinen Ausschnitt. Gelingt es so-
wohl mit dem Film als mit der Platte, in gleicher Weise un-
: verzerrte richtige Bilder zu erzielen, so erweist sich die Platten-
aufnahme der Filmaufnahme überlegen, weil eben der Aufschluß über die
Umgrenzung des Prozesses und die Orientierung wegen der Übersichtlich-
keit leichter ist.
Wirklich gespannt aber bin ich auf die fehlerquellenfreien Verfahren,
welche die Röntgenstereophotographie übertreffen sollen, mir ist keines
für diesen Zweck bekannt. Wenn Pordes allerdings die Tiefen- und
Lagebestimmungen von Objekten meint, so mag er Recht haben, dazu halte
ich die Stereographie diesen 'Methoden unterlegen, für die Betrachtung der
Situationsverhältnisse und die Aufrichtung der Projektion und die Orien-
tierung für das Auge aber kenne ich kein besseres Verfahren als das
Stereogramm.
Zum Schlusse noch eine Bemerkung entfernteren Zusammenhangs:
Im allgemeinen pflegen Deduktionsbeweise immer schwächer zu sein als
Induktionsbeweise und auch dieses Moment sollte Dr. Pordes veranlassen,
recht vorsichtig mit Deduktionsbeweisen zu operieren.
284 | KriizBeoxdes.
Aus dem Zentralröntgenlaboratorium des Wiener allgemeinen Kranken-
hauses (Vorstand: Prof. Dr.G.Holzknecht).
Epilog zur Schlußantwort.
Von Dr. Fritz Pordes,
Herber ermuntert mich, meine Bedenken ruhig
zu äußern. Daher folgt, gegen die sonstige Übung, die
Re-Duplik sofort.
In den Spalten einer zahnärztlichen Zeitschrift einen röntgenologischen
Konflikt auszutragen, ist ebenso schwer, als es schwer wäre, in einer
Röntgenzeitschrift eino zahnärztliche Streitfrage zu erledigen. — Stünden
wir uns in einer Röntgenzeitschrift gegenüber, dann hätte ich den ersten
Artikel Herbers unerwidert ruhig dem Urteil der Fachgenossen über-
lassen können. |
Herbers röntgenologische Ausführungen werden nicht ein bißchen
richtiger dadurch, daß er sie zweimal sagt. Auch wenn er sich das zweite
Mal ein wenig unklarer ausdrückt. (S. den Absatz: „Die Flauheit...“
„Lagebestimmung—Aufrichtung der Projektion (!?)“, „bei-
läufige Teleaufnahme (!)“ ete. Ungebräuchliche, undefinierte und darum
gänzlich unklare Begriffe!)
Doch alle diese Dinge, die „Erklärung der Gelenksaufnahme dureh
Auseinanderprojektion“ miteingeschlossen, sind kleine Unrichtigkeiten im
Vergleich zu der in der ersten Arbeit von mir noch immer wegen der Un-
gewöhnlichkeit der Behauptung für einen Druckfehler gehaltenen Stelle
über die Lichtquantität und -qualität. Die in diesem Punkte größere
Deutlichkeit der „Schlußantwort““ läßt keinen Zweifel über die Meinung
Herboers mehr zu. Mein Sperr- und Fettdruck hat als Warnung nicht
ausgereicht. Ich fürchte, Herber wird es wieder als persönlichen Angriff
auffassen. Aber — rein sachlich —, ich lehne es ab, mit Herber über
eine röntgenologische Frage ernsthaft zu diskutieren, so lange er über
den Punkt der Nahaufnahme eine mit den Grundbegriffen der Röntgen-
lehre in so krassem :Widerspruch stehende und für jeden anderen Röntgen-
dilettanten die unheilvollsten Folgen mit sich bringende Behauptung, wie
sie der Satz: ‚Man kann bei weichen Strahlen näher herangehen, weil
die Gefahr der Verbrennung verringert wird“ involviert, aufrechtzuerhalten
geneigt ist.
Das Gegenteil ist richtig. Die Gefahr der Verbrennung wird ver-
vielfacht!
* 8 *
Der nicht röntgenologisch Arbeitende braucht nicht zu wissen, was
an dieser Behauptung so ungeheuerlich ist. Es bedeutet daher keine Miß-
Epilog zur Schlußantwort. 285
achtung der Kenntnisse der Leser dieser Zeitschrift, wenn ich einige Grund-
tatsachen der Lehre ven den Röntgenstrahlen kurz erörtere.
1. Weiches Röntgenlicht nennen wir das weniger penetrations-
kräftige, hart das penetrationskräftigere. Weiches Licht ist, da ein
größerer Bruchteil in den obersten Schichten der Haut stecken bleibt und
dort zum Energieumsatz kommt, für die Haut bedeutend schädlicher. Die
entzündungserregende Lichtmenge ist, je weicher das
Licht ist, desto geringer.
2. Die Flächenenergie, d.h. die Menge des Lichtes, die die Flächen-
einheit erhält, wächst im Quadrat der abnehmenden Entfernung
vom Fokus der Röhre.
Nun eine kleine Berechnung: Eine quere Kopfaufnahme, wie z. B.
eine Aufnahme des Kiefergelenkes, lege artis aus 60cm Fokusplatten-
distanz mit normal harter Röhre und mit Verstärkungsfolie würde der
Haut eine gewisse mäßige Röntgenlichtmenge. zumuten, die sie glatt ver-
trägt. Sie verträgt auch glatt die 4—6fache Menge. Nennen wir diese
Aufnahmelichtmenge A. Gehen wir nun mit der Röhre auf 30cm Fokus-
plattendistanz, so kommt der Fokus der etwa 15 cm hoch liegenden platten-
fernen Gesichtshaut auf 15 cm nahe (statt 45cm). Die Haut bekäme bei
gleicher Expositionszeit (3X 3—9) die 9fache Menge. Da bei halber
Distanz theoretisch nur 1/4 Expositionszeit nötig wäre (praktisch
ist es mehr, da der Absorptionsverlust den Dispersions-
verlust unverhältnismäßig übertrifft!), so bekäme die Haut
2a A=21/, A. Eine noch erträgliche Menge.
Nun kommt das weiche Licht. Ist das Licht um wenige Wehnelt-
Grade weicher, so ist das Licht viel wirksamer. Die wirksame
Menge des resorbierten Lichtes kann leicht doppelt, auch dreifach so groß
sein. Nehmen wir nur doppelt, so gibt das schon 4!/: A
Weiches Licht verlangt bekanntlich längere Esnos ion: Doppelte
Zeit ist nicht sehr viel dafür. Wir bekommen 9A.
Nun macht Herber regelmäßig Stereoaufnahmen, d.h.zwei Auf-
nahmen. Das ist also 18 A. Eine ganz ansehnliche Menge! Es’ kommt
aber in den besten Laboratorien vor, daß eine Platte mißlingt. Oder
hat Herber nie eine Wiederholung? Kommt es dazu, dann bekommt
die Haut des Patienten 36mal die Dosis einer lege artis gemachten Auf-
nahme! ! — Vorausgesetzt, daß immer und überall mit Folie gearbeitet
wird. Ich kenne genug Laboratorien, wo das nicht der Fall ist. Röntgen-
autodidakten namentlich neigen sehr dazu, die Verstärkungsfolie aus
plattenkosmetischen Gründen abzulehnen. Da nur für solche die Arbeit
Herbers eine Gefahr bedeutet, so kann es wohl geschehen, daß einer
die Methode ohne Verstärkungsschirm, d.h. mit etwa 6facher Expositions-
en zu ui
986 | Franz Péter.
zeit anwendet, um so mehr, als Herber bei „weichem Licht die
Verbrennungsgefahr für verringert“ hält!!!!! Die Haut des Pa-
tienten bekommt dann bei einfacher Aufnahme 9 X 6 — 54, bei Stereo-
aufnahme 108 und bei mißlungener Stereoaufnahme 216 „Aufnahmen“, und
zwar weiches Licht! !
Nun, entweder arbeitet Herber nicht so, wie er es angibt, oder
er setzt Verbrennungen nach Noten! Tertium non datur! Womit für mich
die Angelegenheit erledigt erscheint.
Beitrag zur Topographie des N. mentalis.
Von Dr. Franz Péter, Wien.
(Mit 3 Figuren.)
Für die Aufsuchung der Nervenstämme, die wir bei Anästhesierungen
der Kiefer und der Zähne mit unserer Spritze aufsuchen müssen, sind
Fig.1.
gewisse topographisch-anatomische Orientierungspunkte angegeben, mittelst
welcher wir zu den betreffenden Nervenstämmen gelangen können.
So einen Orientierungspunkt liest man überall für die Aufsuchung
des N. mentalis, demzufolge der Nerv am Unterkieferkörper in wechselnder
Höhe, dem Zwischenraum des I. und II. Prämolaren entsprechend, zu
finden ist. Ä
Das stimmt auch natürlich bei intakter Zahnreihe. Anders aber,
wenn Zähne fehlen, wenn durch das Fehlen der Zähne die Prämolaren
ihre Stellung verändert haben. Noch schwieriger wird. die Orientierung,
wenn überhaupt keine Zähne mehr im Kiefer vorhanden sind und wenn
man in die Lage kommt, bei operativen Eingriffen im Bereiche dieser
a nn,
Beitrag zur Topographie des N. mentalis. 287
Kiefer als Vorakt der Operation, den Nerven freizulegen, was sicherlich
bei allen operativen Eingriffen im Bereiche vom Eckzahn bis zum I. Mo-
laren am Unterkiefer die beste Methode darstellt, um denselben sicher
schonen zu können.
Fig. 2.
Die Aufsuchung des Nerven und seine Schonung bei Operationen
am zahnlosen Kiefer sind desto eher zu empfehlen, da im zahnlosen Kiefer
der Nerv infolge des Schwundes des Alveolarfortsatzes fast am oberen
Rande des Kiefers liegt, ein Umstand, den man schon bei dem: Schleim-
hautschnitt berücksichtigen muß.
Ich habe jahrelang im Seziersaal eine Methode benützt, den N. mentalis
freizulegen, welche sich nicht auf die Zähne, sondern ‚auf andere Orien-
288 Winke für die Praxis.
tierungspunkte stützt und daher auch bei zahnlosem Kiefer angewendet
werden kann.
Man tastet den vorderen Rand des Musc. masseter, der bei allen
Menschen als tätiger Kaumuskel gut ausgebildet und leicht tastbar ist,
besonders wenn man den Patienten auffordert, stark zusammenzubeißen.
Nun bestimmt man die Medianlinie des Kiefers, eine Linie, die wir Zahn-
ärzte ja bei unseren prothetischen Arbeiten zu bestimmen gewöhnt sind.
Wenn man nun die Distanz dieser zwei Linien halbiert, bekommt man
die Linie, in welcher der N. mentalis liegt.
Wenn auch sicherlich Abweichungen um 1—2 mm von dieser Regel
vorkommen, so ändert das an der Brauchbarkeit der Methode nichts und
es gelingt in jedem Fall, den Nerven in kürzester Zeit freizulegen.
Die umstehenden Zeichnungen demonstrieren das Verhalten dieser
Linien.
Winke für die Praxis.
Behandlung tiefkariöser Molaren mit lebender Pulpa.
Von Zahnarzt Dr. Viktor Frey, Wien.
Ich mußte im Juli 1910 einer Patientin einen unteren Prämolaren,
der bald nach dem Einsetzen einer Prothese infolge der dortselbst ver-
ankerten Klammer am Zahnhalse empfindlich geworden war, mit Lapis
tuschieren. Im Oktober 1911, also 15 Monate später, schlug ich der
Patientin vor, da die Zahnhalsschmerzen immer wieder aufgetreten waren,
den Zahn zu devitalisieren und zu krönen, obwohl der Zahn sonst un-
gefüllt war, damit der wichtige Klammerzahn für lange Dauer erhalten
bleibe. Ich war sehr erstaunt, beim Aufsuchen des Kanals das Lumen
in der Höhe der schmerzhaften und nur oberflächlich kariösen Zahnhals-
partie fast obliteriert zu finden. Es handelte sich um einen wandständigen
Dentikel, welcher der Ätzung entsprechend gegen die Pulpahöhle vor-
gedrungen war. Nach Wegbohren des Dentikels erwies sich der Kanal
dem Alter der Patientin entsprechend weit. Es liegt nun sehr nahe, die
mächtige Dentikelbildung als Folgeerscheinung der Lapisätzung anzu-
sprechen, weil ich gelegentlich späterer Beobachtungen oft das gleiche
Resultat vorfand. Ich glaubte, mir diese Erfahrung +) insoferne nutzbar
15 Ich erhebe hierauf natürlich keinerlei Priorität, da ich weiß, daß dieses
Verfahren auch von anderen Zahnärzten geübt wird. Grund dieser Mitteilung
ist nur, cin zweckmäßiges Verfahren in Erinnerung zu bringen.
Winke für die Praxis. 289
machen zu können, als ich bei tief kariösen Mahlzähnen durch Ätzen des
Kavitätengrundes mit Lapis die Bildung eines Dentikels künstlich: zu
fördern trachtete, fußend auf der Erfahrung, daß die Zähne ein Ätzen
mit Lapis — sei es am Zahnhals oder in einer Kavität, wie z.B. bei
Rinderzähnen — sehr gut vertragen. Ich bin mit den gewonnenen Re-
sultaten recht zufrieden. |
Handelt es sich also um einen Mahlzahn mit Caries profunda, 50
wird zuerst alles kariös erweichte Dentin sorgfältig aus-
geschnitten und genau untersucht, ob nicht ein Pulpahorn exponiert wurde.
Ist dies nicht der Fall, wird nach Trockenlegung des Zahnes mittelst
eines angefeuchteten Wattebäuschehens Lapispulver aufgenommen und
damit der ganze Kavitätengrund abgeätzt. Das Zahnbein verfärbt sich
zuerst gelb; diese Farbe geht später in ein Braun. und schließlich in
das bekannte Tiefschwarz über. Nach erfolgter Lapisierung wird die
Kavität mit Warmluft gut ausgetrocknet und mit Zinkoxydeugenolpaste .
verschlossen. Treten in den nächsten Tagen Erscheinungen einer Pulpen-
hyperämie auf, so säume man nicht, den: Zahn zu devitalisieren. Dies
ist aber äußerst selten der Fall. Bleibt jedoch der Zahn wie gewöhnlich
ruhig — ein leichter Nachschmerz unmittelbar nach der Sitzung ist
zwar manchmal vorhanden und höchstens in einer halben Stunde vor-
über —, so schneidet: man in der nächsten Sitzung den oberflächlichen
Teil der nunmehr erhärteten Zinkoxydeugenolpaste weg, versäubert die
schwärzlich verfärbten Kavitätenränder und verschließt den Zahn mit
einer doublierten Amalgamfüllung. Die Zähne vertragen dieses Vorgehen
außerordentlich gut; allerdings bekommen die Zähne infolge des Durch-
scheinens der geschwärzten Dentinschichte oft das Aussehen grauver-
färbter, toter Zähne (sie reagieren aber prompt auf faradischen Strom)
und deshalb eignet sich dieses Verfahren natürlich nur für Mahlzähne, die
bei nicht übermäßig großer Mundöffnung auch beim Lachen nicht sicht-
bar sind. Das Einbringen von Metallfüllungen allein in derart tief kariöse
Zähne ist wegen der hierauf folgenden hyperämischen Erscheinungen und
des eventuellen Pulpatodes unzulässig und deshalb müssen Metallfüllungen
in solchen Zähnen immer mit einer Isolierschichte unterlegt werden; aber
selbst dann werden leichtere oder schwerere hyperämische Zustände der
Pulpa nicht immer vermieden. Nach vorhergegangener Lapisätzung jedoch
habe ich derartige Vorkommnisse nur äußerst selten beobachtet. Über
die Größe des von mir erwarteten Dentikels kann ich allerdings keine
Auskunft geben, da sich bisher die Gelegenheit nicht ergab, einen vor
Jahren derart vorbehandelten Zahn devitalisieren zu müssen. Es würde
dies aber auch ganz belanglos sein, weil wir ja auch sonst in stark
xefüllten Zähnen stets Dentikel zu finden gewöhnt sind, doch vermute
290 Referate und Bücherbesprechungen.
ich, daß die Lapisätzung die Dentikelbildung beschleunigt. Das durch
die Ätzung verfärbte Dentin ist eine d ü n'n e Silberalbuminatschichte, da
Lapis keine tiefgreifende Ätzung bewirkt. Diese Schichte hat ein
schlechteres Wärmeleitungsvermögen als normales Zahnbein, wie wir dies
von geätzten Zahnhälsen und Kinderzähnen wissen. Außerdem mögen die
antiseptischen und adstringierenden Eigenschaften des salpetersauren
Silbers eine gewisse Rolle spielen.
Ich möchte nicht mißverstanden werden: Ich gebe zu. daß durch
derartige Lapisätzungen däs Aussehen der Zähne gewi nicht gehoben
wird, empfehle daher dieses Verfahren nicht allgemein, sondern möchte
es nur auf jene Fälle beschränkt wissen, in welchen wir erfahrungsgemäß
trotz Isolierschichte mit gewissen hyperämischen Zuständen rechnen
müssen und in welchen es uns darauf ankommt, die Pulpa z. B. bei noch
nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum durchzubringen.
m m nn
Referate und Bücherbesprechungen.
* Zahnärztlich-technische Propädeutik für Studierende der Zahnheilkunde.
Von Zahnarzt Robert Neumann, ehem. stellv. Direktor des zahnärzt-
lichen Instituts der Universität Marburg. Mit 168 Figuren im Text.
Berlin, Hermann Meusser, 1919.
Das Buch soll dem Studierenden Anhaltspunkte für die teehnische
Arbeit im Labọratorium geben und ist also gedacht als Leitfaden bei
den praktischen Arbeiten.
Wenn Verfasser sagt, daß es den mündlichen Unterricht weder er-
setzen noch entbehrlich machen soll, hat er nur zu sehr recht, denn bei
aller relativen Reichhaltigkeit wird der Student manchmal in Verlegenheit
kommen, wenn er sich aus dem Buch Rat holen soll. Z.B.beim Biegen
der Klammern, ein Kapitel, das bei aller Schwierigkeit der Darstellung
sehr knapp ausgefallen ist, und das ist doch viel wichtiger als z. B. das
Kapitel über „Gezogene Kronen“ ‚über die 5 Seiten geschrieben sind. Dieres
Kapitel hätte ganz entfallen können. Solche Kronen muß man nicht
machen können und ein Anfänger schon gar nicht.
Das Buch ist gut ausgestattet und mit vielen, wirklich guten Ab-
bildungen versehen, so daß es der Student mit vielem Nutzen wird zur
Hand nehmen. Steinschneider.
* Die Zukunft der Zahnheilkunde und die zahnärztliche Sanierung dex
deutschen Volkes. Von Prof. Dr. med. Alfred Kantorowicz, Direktor
der Univ. er und der städt. Schulzahnklinik Bonn. Sammlung
Meusser, H. 7. Berlin, Hermann Meusser, 1919.
Es. ist a daß in allen Kulturstaaten die Bevölkerung zum
größeren Teile von nicht approbierten Zahnheilkundigen behandelt wird.
Was da Ursache, was Wirkung ist, läßt sich schwer sagen. Gibt osx sa
Referate und Bücherbesprechungen. 291:
viele nicht approbierte Zahnheilkundige, weil es zu wenig Zahnärzte
(approbierte Zahnheilkundige) gibt, die das Bedürfnis der Bevölkerung
nach zahnärztlicher Hilfe befriedigen könnten, oder umgekehrt. Wie dem
auch sei, in Deutschland sind jetzt Bestrebungen am Werk, dieses Miß-
verhältnis zum Verschwinden zu bringen, und zwar auf zwei Wegen.
Der am meisten in die Augen fallende ist wohl der, den insbesondere
Walkhoff und sein Anhang betritt, das sind die Bemühungen, den Zu-
gang zum zahnärztlichen Studium zu vermehren, und darum der Kampf
um den Doctor med. dent. und der Kampf gegen das Aufgehen der Zahn-
heilkunde in die allgemeine Medizin (wie in Österreich, Italien ete.). Das
ist jetzt erreicht: und die nächsten Jahre werden ja zeigen, ob die an
diese Bestrebungen geknüpften Hoffnungen in dieser Hinsicht sich er-
füllen werden.
Wesentlich anders ist der Plan, den sich Kantorowicz zurecht
gelegt hat, um zu verhindern, „daß der größere Teil des deutschen Volkes
von nicht approbierter Zahnheilkundigen behandelt werde“. Den in der
vorliegenden Abhandlung entwickelten Gedankengang hat Verfasser schon
Anfang des Jahres 1918 in einem Gutachten an die medizinische Fakultät
in Bonn über die Vermehrung des Zustroms zum zahnärztlichen Studium
skizziert. Er ist der folgende: Das Deutsche Reich benötigt etwa
20.000 Zahnärzte, um das Bedürfnis nach approbierter zahnärztlicher Hilfe
zu befriedigen. Da „die gesellschaftliche Stellung und soziale Bewertung
durch das Fehlen auch sich dem Laien aufdrängender ideeller Momente bei
der Berufsausübung nicht die des Arztes ist“, übt die Zahnheilkunde auf
junge Studenten nur einen geringen Reiz aus, trotzdem die materielle Lage
der Zahnärzte eine gute und durchschnittlich bessere als die der Ärzte ist.
Da aber auch alle. Vorschläge zur Vermehrung des Zustroms (Einführung
des Doktortitels, Gleichstellung der Zahnheilkunde mit den übrigen medi-
zinischen Disziplinen, Übergang zur Medizin und Verminderung der An-
forderungen beim Studium) nach des Verfassers Meinung untaugliche
Mittel sind, muß die Frage der Vermehrung der Zahnärzte auf anderem
Wege gelöst werden; nämlich durch V erminderung der Zahl
der Zahnk ranken auf einen so geringen Stand, daß die verfügbare
Zahl der -Zahnärzte ausreicht, um sie zu behandeln. Und der Weg hierzu
ist eine derartige Organisation der Schulzahnpflege —
die er unter Anführung der heutigen Mängel des näheren entwickelt —,
daß die Zahnkrankheiten in allen Schichten der Bevölkerung auf die gleiche
geringe Bedeutung zurückgeführt werden, die sie in Schichten einnehmen,
die von. Jugend an Zahnpflege getrieben haben. Wenn auf diese Weise
in etwa 8 Jahren die Zähne der deutschen Schuljugend saniert. sein werden,
wird die Gebißanfertigung — das Rückgrat der zahntechnischen Praxis —
in etwa 20 Jahren verschwinden. Es:ist gar nicht zu denken, daß auch
der Stand der Zahnärzte dadurch überflüssig wird; sein künftiges Arbeits-
gebiet ist Orthodontie, konservierende Zahnheilkunde und Schulzahnpflege.
Zum Schluß tritt Verfasser für die Ausbildung von Schulzahn-
schwestern auf, der die rein mechanische Behandlung überlassen werden
soll. Dieser ganze Plan, der verwirklicht eine ideale zahnärztliche Welt
schaffen würde, in der es keinen Kampf gibt mit Zahntechnikern, und in
der alle Menschen gesunde Zähne haben, zeugt von hoher ethischer Auf-
faesung des Berufs, an welche aber weder viele Berufsgenossen noch die
292 Aus Vereinen und Versammluugen.
Bevölkerung heranreicht. Beides ist aber notwendig zur Erreichung eines
so hehren Zieles, und da gilt es vorher noch viel zu erziehen — bei Zahn-
ärzten und der Bevölkerung.
Ich habe in diesem kurzen Referat nur den Grundgedanken der Ab-
handlung besprochen, empfehle aber allen Kollegen nachdrücklich, sie im
Original nachzulesen, insbesondere denen, die sich mit Standes- und Schul-
zahnpflegefragen beschäftigen. Sie werden vielleicht manches zu bemängeln
‚haben — Schulzahnschwesterun —, aber sie wird ihnen vielfach in ihren
Bestrebungen neue Wege weisen. — Steinschneider.
Der Bacillus fusiformis, ein Erreger der Gangrän der Zahnpulpa. Von
Prof.Dr.Adloff. D.M.f. Z., H.9, September 1919.
In einem extrahierten Zahn fand sich die Pulpa zum Teil schwarz,
zum Teil grau verfärbt und konnte trotz ihrer Erweichung noch in toto
aus dem Zahn entfernt werden. Die Gramfärbung zeigte nun fast eine
Reinkultur des Bacillus fusiformis, da sich nur einzelne Spirochäten, aber
weder Strepto- noch Staphylokokken fanden. Interessant war es, daß in
den verschiedenen Schichten der Pulpa verschiedene Entwicklungsstadien
des Bacillus fusiformis nachweisbar waren, und zwar von der Oberfläche
nach der Tiefe zuerst Stäbchen mit abgerundeten Enden, dann spieß- und
sichelförmige Exemplare, endlich lange Fäden. Es ist dadurch wohl er-
wiesen, daß Bacillus fusiformis zumindest in einzelnen Fällen der Erreger
einer primären Pulpitis gangraenosa sein kann. Sicher.
Aus Vereinen und Versammlungen.
J ahresversammlung des Zentralverbandes der
österreichischen Stomatologen.
Die gefertigte Verbandsleitung beehrt sich, die Mitglieder zu der für
Sonntag und Montag den 7.und 8 Dezember-1919 an-
beraumten und im zahnärztlichen Univ. -Institut, Wien, VIII, Floriani-
gasse 46, um 8 Uhr früh beginnenden
XVII. ordentlichen Verbandsversammlung (Jahresversammlung)
einzuladen. Sie wird mit wissenschaftlichen Vorträgen und praktischen
Demonstrationen verbunden sein.
Tagesordnung der Geschfftssitzung
(Anfang Sonntag um 11 Uhr vormittags).
. Begrüßung durch den Präsidenten.
Jahresbericht durch den Schriftführer.
. Kassabericht durch den Säckelwart.
. Bericht der Schriftleitung der Österr. Zeitschr. f. Stomat.
. Reorganisation des Verbandes und Beschlußfassung.
. Allfällige Anträge.
D Yta S o ‘H
Aus Vereinen und Versammlungen. 293
Anträge sind schriftlich bis längstens 5. Dezember an die Verbands-
leitung (Wien. l., Graben 31) zu richten.
Möglichst vollzählige Beteiligung erscheint schon
mit Rücksicht auf den Punkt 5 der Tagesordnung
dringend geboten!
Das Programm der. wissenschaftlichen Sitzungen
wird zeitgerecht bekanntgegeben. Bisher haben Vorträge und Demonstra-
tionen angemeldet: Prof.Fleischmann, Dr.G ottlieb, Doz.Klein,
Dr. Franz Peter, Prof. Pichler, Dr. Pordes, Dr. Sicher, Prof.
Weiser.
Weitere Anmeldungen sind an den Schriftführer (Dr. Bum, Helfer-
storferstraße 6) zu richten.
“Bei den wissenschaftlichen Sitzungen sind durch Mitglieder eingeführte
Kollegen als Gäste herzlich willkommen.
Dr.Bum, | Dr.W.Herz-Fränkl.
derzeit 1. Schriftführer. derzeit Präsident
Verein österreichischer Zahnärzte.
Ordentliche Monatsversammlung vom 2. April 1919.
Präsident: Dr.Breuer.
Schriftführer: Dr. Ornstein.
Anwesend die Herren DDr.Ballasko, Borschke, R. Breuer, Bum,
Eiffinger. Frank, Frey. Fuchs, Herz, Karolyi, F.Péter, J.Peter,
Pichler, Piwniczka, Ornstein, Safron, Schlemmer, Schön,
Schönauer, Schwabe, Schwarz, Stauber, Steinschneider, Prof.
W eiser, Ziegler. — Entschuldigt: Kränzl. — Als Gäste: Fehl, Gott-
liob, Herasko, Irral, Krasa, Kulka, Linker, Natzler, Sicher,
Weinländcr, Woselka.
Der Präsident eröffnet die Sitzung und begrüßt die Erschienenen.
Über Antrag des Herrn Dr.Ornstein wird einstimmig beschlossen, einen
Fachmann zu ersuchen, dem Verein in einer außerordentlichen Monats-
versammlung über die Vermögensanmeldung mündliche Erläuterungen
zu geben. ,
Der Präsident verliest hierauf eine Zuschrift der Zentralkasse
der Ärzte Deutschösterreichs, welche sich mit der Eintreibung von Honorar-
forderungen der Ärzte befaßt. die ja in 3 Jahren nach dem Moratorium —
also in Kürze — verjähren. Somit ist diese Gesellschaft sehr geeignet,
uns vor Schaden zu bewahren. Der Sitz des Vereins ist: Linz, Christian
Coulinstraße 22. Der jährliche Mitgliedsbeitrag beträgt K 12,—, die ein-
malige Beitrittsgebühr K5,—, wer als unterstützendes Mitglied beitreten
will, zahlt K 6,— als Beitrag. Mit Rücksicht darauf, daß sich Prof.
Wunschheim dafür interessiert, muß angenommen werden, daß die
Sache eine gute ist. Die Forderungen sind auf ein Blatt zu 'schreiben,
die Hereinbringung übernimmt der Verein. Derselbe übernimmt sämtliche
Forderungen, halbjährig erfolgt die Abrechnung.
- Gleichzeitig lief auch eine Zuschrift vom Inkasso-Verein ein. Bei
diesem sind K 60,— zu zahlen und man erfährt nie, wie die Verrechnung
steht.
294 Aus Vereinen und Versammlungen.
Dr.Fuchs begrüßt das von Ärzten gegründete Unternehmen der
Zentralkasse und berichtet, daß, wenn sich die Herren Ärzte dafür inter-
essieren, hier in Wien eine Filiale errichtet werden soll.
Der Präsident verliest hierauf ein Schreiben der Wirtschaftlichen
- Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs, welche zum Beitritt ein-
ladet, worauf der Präsident betont, daß jenen Herren Mitgliedern, die
dem Rufe Folge leisten wollen, kein Hindernis in den Weg gelegt werden
solle. — Er berichtet ferner, daß als Vertreter der Zahnärzte Herr Med.-Rat
Dr. Friedmann in den Zentralärzterat der Wirtschaftlichen Organi-
sation der Ärzte Wiens gewählt worden sei, und teilt ferner noch mit.
daß das Mieterschutzgesetz auf unbestimmte Zeit verlängert wurde.
Hierzu ergreift Dr. Schwabe das Wort: Es ist vielleicht von
Interesse zu erfahren, daß das Mieterschutzgesetz keine Anwendung findet,
wenn man — wie ich — Kontrakt hat. Es sind bereits mehrmals Ent-
scheidungen in diesem Sinne erfolgt. Jeder, der einen Kontrakt einge-
gangen ist, möge sich also vorsehen und denselben erneuern, bevor die
Frist abgelaufen ist, sonst kann es geschehen, daß Steigerung oder Kün-
.digung ihn am ZEndtermin erreichen, denn der Mieter. der keinen
Kontrakt hat, kann weder gesteigert noch gekündigt werden, der andere
aber, der kann das eine oder das andere erleben.
Herr Dr. Harry Sicher als Gast des Vereines hält seinen Vortrag
über die Leitungsanästhesie des Nervus infraorbitalis. (Erschien ausführ-
lich in H.1 der Zeitschr. f. Stomat., Jg. 1919.) Dann demonstriert Doktor
Sicher an Präparaten die von ihm angewandte Methode.
Der Präsident dankt dem Herrn Dr.Sicher für seinen Vortrag
mit Demonstration.
Es folgt Dr. Franz Peter mit seinem Vortrage: Über den gegen-
wärtigen Stand der Rhodanfrage. (Erschien ausführlich in H.5, 1919, der
Zeitschr. f. Stomat.)
Nach herzlickem Dank an den Vortragenden schließt der Präsi-
dent die Sitzung und erwähnt noch, daß er, sobald die Antwort der
Steuerschutzstelle eintrifft, eine außerordentliche Monateversammlung ein-
berufen werde, bei der alle Herren vollzählig erscheinen mögen.
Außerordentliche Monatsversammlung vom 28. April 1919.
Präsident: Dr.Breuer.
Schriftführer: Dr. Kränzl.
Anwesend die Herren DDr. Ballasko, Borschke, Brenner. Breuer.
Bum, Eiffinger, Frank, Frey, Fuchs, Jarisch, Kartin, Kränzl,
Löffler, Mitscha, Müller, Ornstein, J. Peter, Piwniczka, Ro-
biczek, Schlemmer, Schön, Schönauer, Schwabe, Schwarz.
Smreker, Stanka, Stauber, Steinschneider, Weiser, Wunsch-
heim, Ziegler. — Als Gäste: Bermann, Elkan, Fehl. Gilanyi,
Hauer, Herasko, Irall, Natzler, Weinländer und der Vortragende
Kammersekretär Szombathy.
Der Präsident eröffnet die Versammlung, begrüßt alle Herren
auf das herzlichste und stellt Herrn Kammersekretär Dr.Szombathy
als Fachmann der Steuerschutzstelle vor, der die Liebenswürdigkeit hat,
den Herren die nötigen Aufklärungen und Ratschläge betreffs der Abgabe
der Erklärung über das Privatvermögen zu geben.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 29905
Nach dem sehr eingehenden und übersichtlichen Referat werden von
einigen Herren besonders berührende Fragen in dieser Angelegenheit ge-
stellt, die Herr Dr.Szombathy ausführlichst beantwortet.
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Verhandlungen in der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage.
Die Not der Zeit, in der die fabriksmäßig betriebenen „Zahnateliers“
mit ihrem Agenten- und Ratensystem aufs lukrativste sich gestalteten und
die im Verborgenen blühenden Winkelateliers mit und ohne Strohmänner
wie Pilze aus der Erde schossen, brachte diejenigen Kreise, die berufen
und befähigt waren, diesen Schädlingen an den Leib zu rücken, zur Über-
zeugung, daß wieder der Versuch gemacht werden sollte, die Regelung
der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage zu einer alle Inter-
ssentengruppen befriedigenden Lösung zu bringen.
Es vereinigten sich daher zu Beginn dieses Jahres ') die Vertreter
iles Zentralverbandes und der zahnärztlichen Vereine mit denen der kon-
zessionierten Zahntechniker und der Gehilfen zu einer unverbindlichen
jespreehung. in welcher einstimmig die prinzipielle Geneigtheit zur Herbei-
führung einer Einigung zum Ausdruck gebracht wurde. Damals legten
die Zahntechniker einen von ihnen ausgearbeiteten Gesetzentwurf vor, den
sie als Verhandlungsbasis empfahlen. Ihm entsprechend soll das Gewerbe
der Zahntechnik. wie es bisher bestanden und in der Verordnung vom
Jahre 1892 seinen gesetzlichen Ausdruck fand, allmählich erlöschen, dafür
aber den derzeitigen konzessionierten Zahntechnikern und den als (iehilfen
derzeit, arbeitenden Anwärtern eine Erweiterung ihrer bisherigen Befug-
nisse eingeräumt werden. Die Vertreter der Zahnärzteschaft nahmen dieseu
Vorschlag. der alle Wünsche der Zahntechniker enthielt, jedoch nach dereu
eigenen Erklärung nicht als letztes und unabänderliches Wort zu betrachteu
war, entgegen, um ihren Korporationen Bericht zu erstatten und Weisungen
bezüglich ihres weiteren Verhaltens, insbesondere über das weiteste Aus-
maß der zu gewährenden Zugeständnisse, einzuholen. Inzwischen wurde
das Volksgesundheitsamt (des Staatamtes für soziale Verwaltung), das
«ich von den Korporationen über deren Standpunkt informieren ließ, von
dieser Aktion verständigt.
Nach Ablauf des Sommers wurden die meritorischen Verhandlungen
wieder aufgenommen. Zuvor aber hatte der Zentralärzterat (die Wirt-
«chaftliche Organisation der Ärzte Wiens), der in dieser Frage auch sein
Votum abzugeben berufen war, seinen Standpunkt präzisiert und die zahn-
ärztlichen Vertreter verpflichtet, daran festzuhalten. Der Zentralärzterat
nahm als Verhandlungsgrundlage den Regierungsentwurf vom Jahre 1917
an und wies das Verlangen der Zahntechniker und ihrer Gehilfen nach
einer Erweiterung ihrer Befugnisse auf Extraktionen entschiedenst zurück
mit dem ausdrücklichen Begehren, daß das Verbot der Vornahme vou
Zahn- oder Wurzelextraktionen und von sonstigen blutigen Eingriffen
‚im Gesetz enthalten sein müsse.
r) Siche die Österr. Zeitschr. f. Stomat., H. 4, 1919, S 96.
296 Kleine Mitteilungen.
Mehrere im Volksgesundheitsamt unter dem Vorsitz des Unterstaats-
sekretärs Prof. Dr. Tandler gemeinsam abgehaltene Beratungen (die
letzte am 28. Oktober d. J.) führten zu keinem positiven Resultat. Doch
fand zwischen den Vertretern der Zahnärzte und der konzessionierten Zahn-
techniker am 3. November d. J. wieder eine Konferenz statt, die unter
Festhaltung der von den Ärzten gestellten Haupt-
bedingungen 'zu einer Einigung führte. Doch haben die
Gehilfen ihre Teilnahme an dieser Beratung abgelehnt. Eine ausführ-
lichere Darstellung der Verhandlungen folgt. S. F.
m
Kleine Mitteilungen.
(Das neue Ärztegesetz in Tschechoslowakien.) Nach dem Gesetze
vom 15. Juli 1919 ist die Ausübung der ärztlichen Praxis im Gebiete des
tschechoslowakischen Staates gestattet: 1. Staatsbürgern der tschecho-
slowakischen Republik, die bis 31. Juli 1919 das ärztliche oder, soweit
solche noch gültig sind, das wundärztliche Diplom an einer Universität
im Gebiete des tschechoslowakischen Staates oder der ehemaligen öster-
reichisch-ungarischen Monarchie erworben haben, wenn. sie des Diplomes
nicht verlustig geworden sind. 2. Staatsbürgern der tschechoslowakischen
Republik, die nach dem 31. Juli 1919 das medizinische Doktordiplom an
irgendeiner Universität des tschechoslowakischen Staates erworben haben,
soweit sie des Diplomes nicht verlustig geworden sind. 3. Fremden Ärzten,
die zur Professur an irgendeiner medizinischen Fakultät des tschechoslowa-
kischen Staates berufen worden sind, soweit sie an dieser das Amt eines Pro-
fessors verschen. Staatsbürgern der tschechoslowakischen Republik, die das
ärztliche Doktordiplom an einer ausländischen Universität erworben haben,
auf die sich die Bestimmung des ersten Absatzes nicht bezieht, ist die Aus-
übung der ärztlichen Praxis nur nach durchgeführter Nostrifikation ge-
stattet. Durch Staatsverträge mit anderen Staaten können Ausländer unter
bestimmten Bedingungen zur Praxis in Tschechoslowakien zugelassen
werden. Der Minister des öffentlichen Gesundheitsamtes und der körper-
lichen Erziehung kann in berücksichtigungswürdigen Fällen Ausländer, die
ein inländisches Doktordiplom erworben oder ein ausländisches Diplom
“nostrifiziert haben, zur Ausübung der ärztlichen Praxis in der tschecho-
slowakischen Republik zulassen. Der zur Praxis berechtigte Arzt kann
sich wo immer nicderlassen, hat aber vor Beginn der Praxis das Diplom
der betreffenden Behörde, die die Staatssanitätsverwaltung in erster Instanz
besorgt, zur Einsichtnahme und Vormerkung vorzulegen. Über die näheren
Bestimmungen über Nostrifikation, Reserve der Ausländer usw. werden
besondere Verordnungen ergehen. (Nach den Aussiger „Ärztlichen Nach-
richten“ 1919, Nr. 19.)
wi - 0 A00 =-«
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Münzgasse 6.
Osterreichische Zeitschrift für Stomatologie
Organ für, die wissenschaflichen Zahnärzte Österreichs.
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte,
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs.
XVII. Jahrgang. Dezember 1919. | 12. Heft.
Nachdruck verboten.
Original Arbeiten.
Antrittsvorlesung
des a.o Professors Dr. Rudolf Weiser, Vorstandes des zahnärztlichen
Universitätsinstitutes in Wien.
Das zahnärztliche Universitätsinstitut in Wien,
seine Aufgaben und die Lehrkräfte, welche sie
lösen sollen.
Hochansehnliche Versammlung!
Gründe rein persönlicher oder, besser gesagt, familiärer Natur, welche
hier nicht interessieren können, haben mich ursprünglich davon abgehalten,
mich um die hohe Auszeichnung zu bewerben, welche die medizinische
Fakultät mir beschieden hat. — Desungeachtet dürfte vielleicht das Wahr-
nehmen der „Vox populi, vox Dei“ das verehrliche Professorenkollegium
bewogen haben, mich für die Leitung des zahnärztlichen Universitäts-
institutes in Vorschlag zu bringen. Wenn Sie mich nun, sehr geehrte An-
wesende, ‘trotz der Tatsache, daß ich aus den eingangs erwähnten Gründen
einer Kandidatur um die Lehrkanzel am zahnärztlichen Institute der
Wiener Universität entsagen zu müssen glaubte, am heutigen Tage, der
. für mich unter allen Umständen ein Ehrenfest in einem ziemlich bewegten
Lebenslaufe bedeutet, auf dieser Lehrkanzel stehen sehen, so können Sie
wohl ermessen, daß nicht krankhafter Ehrgeiz, Eitelkeit oder sonst ein
minderwertiges Motiv, sondern lediglich soziales, akademisches und kol-
legiales Pflichtgefühl, deutschösterreichischer Patriotismus einerseits, die
Freude am Lehren und der Hang zu wissenschaftlicher Forschung andrer-
seits mich doch bestimmt haben, der mich ungemein ehrenden Berufung
Folge zu leisten.
Unter diesen Umständen mögen Sie, hochgeschätzte Zeugen dieses für
mich denkwürdigen Ereignisses, mir glauben, daß ich all meine ver-
fügbare Kraft daran setzen will, um zu erreichen, daß mein Dienst-
antritt mit einem Aufschwung in der Entwicklung der Zahnheilkunde
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 26
298 Rudolf Weiser.
zeitlich wenigstens zusammenfällt. In der Ausführung dieses meines
Vorsatzes hoffe ich wesentlich gefördert zu werden durch den Umstand,
daß: meines verstorbenen Freundes Zsigmondy und meine bereits im
Jahre 1901 einem in London tagenden „Komitee zur Regelung des zahn-
ärztlichen Unterrichtes“ vorgelegten Forderungen !) in Prof. Dr. Julius
Tandlers Artikel: „Vorschläge zur Reform des medizinischen .Unter-
richtes“ mutatis mutandis gewissermaßen eine Sanktion erfahren haben.
Durch die großzügige Aktion, welche Hofrat Prof. Dr. Julius Hochen-
egg ins Leben zu rufen im Begriff ist, sollen dann alle Zukunftspläne
bezüglich der Ausgestaltung des medizinischen und damit auch des zahn-
ärztlichen Unterrichtes in greifbare Wirklichkeit umgesetzt werden.
Soweit ich zurückdenke in die soziale Tätigkeit der za h n ärzt-
lichen Delegierten in den Fachvereinen und in den Ärzte-
kammern, stellten wir Zahnärzte stets die Notwendigkeit fest, dal
der zahnärztliche Unterricht an den medizinischen Fakultäten nicht nur
wissenschaftlich vertieft, sondern ganz besonders den Anforderungen der
Praxis besser angepaßt und deshalb auch auf zwei Jahre aus-
gedehnt werden müsse. Nur auf diese Weise kann erreicht
werden:
1. daß jeder Spezialist, der sich Zahnarzt nennt und als solcher
praktiziert, auch Anforderungen, welche die konservierende, die operative
Zahnheilkunde, die Zahnersatzkunde und die Orthodontie an sein Können
stellen, vollkommen gewachsen ist; daß er nicht in allen schwierigeren
operativen Fällen mit dem einen Auge nach einem älteren durch Empirie
geschulten Routinier, mit dem anderen etwa gar nach einem allgemeinen
Chirurgen schielt, der gerade Zeit und Lust hat, sich mit nn
Detailangelegenheiten zu befassen, und
2. kann bei einem sich auf zwei Jahre erstreckenden Unterrichte
etwas ganz besonders Wichtigeserreicht werden: Die jungen
Adepten der Zahnheilkunde werden die Zeit und auch an der Wiener
Schule die Gelegenheit finden, sich eingehend und ausreichend mit
der Zahntechnik zu befassen. So und nur so werden wir vor dem
schweren Unrechte bewahrt bleiben, von einem oder dem anderen fanati-
sierten einseitig-parteimännischen Abgeordneten als Gewerbepfuscher be-
zeichnet, bzw., wie es vorgekommen ist, von einem Sektionschef des
Handelsministeriums als solche behandelt — und der Volkswut
preisgegeben zu werden.
1) Die Stellung der österreichischen Zahnärzte zur Frage des zahnärztliche
Studienganges. Von Dr. Otto Zsigmondy und Dr. Rudolf Weiser, Wien.
Wiener zahnärztl. Mschr., Jahrg. III, Nr. 10. Redigiert von Dr. Siegfried Ornstein.
Antrittsvorlesung. 299
Und ich für meine Person werde noch für eine andere ein-
schneidende Reform mit aller Macht einstehen, hochansehnliche Versamm-
lung, und das ist: für eine Fachprüfung! — An dieser ge-
eignetsten Stelle, heute, wo ich die Ehre genieße, die einfluß-
reichsten, maßgebendsten Faktoren, die behördlichen Spitzen, welche am
lebhaftesten an dieser pädagogischen und akademischen Frage interessiert
sind, als Festgäste empfangen zu haben, ist der glückliche Moment ge-
geben, nicht in die leere Luft hinaus, sondern mit Aussicht auf Erfolg die
Notwendigkeit der Einführung einer Prüfung geradeindiesem
Fache der Heilkunde zu erörtern. Ganz abgesehen von der hier zu weit
führenden Frage, ob eine Fachprüfung mit Rücksicht auf das leidende
Publikum wünschenswert, ob sie andrerseits im Zusammenhange mit der
Spezialistenfrage empfehlenswert oder verwerflich sei, ist eine
solche für Zahnärzte unabweislich notwendig, weil die Zahn-
ärzte jener Kulturstaaten, in welchen für die Ausübung der Zahnheil-
kunde nicht die vollen medizinischen Studien gefordert werden, auf ihre
Spezialprüfungen sich stützend — die österreichischen Zahnärzte
im allgemeinen nicht als zur Führung dieses Titels berechtigt angesehen
haben, und ganz besonders ist sie notwendig im Hinblicke auf die dem-
nächst bevorstehende Einführung von Prüfungen in ein
zelnen Teilender Zahnheilkunde für solche konzessionierte
Zahntechniker und für zahntechnische Gehilfen, welchen bereits
die alte österreichische Gesetzgebung behufs Schaffung eines Übergangs-
stadiums und behufs endgültiger Lösung der Zahnärzte-Zahntechniker-
frage die Vornahme zahnärztlicher Eingriffe schon zugestehen wollte.
In der Zahnheilkunde ist also die Spezialistenprüfung unerläßlich:
1.als Ehrensache im Wettbewerbe mit ausländischen Zahnärzten und
2. als ein unentbehrliches Rüstzeug im Kompetenzstreite mit den Ge-
werbetreibenden, den Zahntechnikern, welche ihre zwar an sich völlig
unberechtigten Aspirationen auf ärztliche Befugnisse mit dem Hinweis
auf den von ihnen in ihrer gewerblichen Tätigkeit geforderten, den eben-
falls Zahntechnik treibenden Zahnärzten .bisher aber erspart ge-
bliebenen Befähigungsnachweis für die Ausübung der Zahn-
technik — von jeher so wirkungsvoll begründen.
Um jeglicher Mißdeutung von vornherein entgegenzutreten, sei es
mir gestattet, auch hier festzulegen, daß ich — bei aller Befürwortung eines
besonders im Übergangsstadium möglichst großzügigen und weitherzigen
Ausgleiches mit den hochachtbaren und ein hochentwickeltes Kunstgewerbe
treibenden Zahntechnikern jederzeit für die sogenannte reinliche Scheidung
gewesen bin und bleiben werde. Das heißt also: nach meiner Über-
zeugung sind dem Zahnarzte alle Manipulationen im Munde, dem Zahn-
26*
300 Rudolf Weiser.
techniker die Arbeiten auf dem Modelle vorzubehalten. Die prozentuelle
Teilung des Erträgnisses der geleisteten Arbeit hat nach genau zu ver-
einbarenden und sozialen Prinzipien zu erfolgen. Läßt man sich von diesen
Grundsätzen leiten, welche mehr oder weniger genau denjenigen ent-
sprechen, wie sie unleugbar bei der Mehrzahl der standesbewußten Zahn-
ärzte in Kraft stehen, hält man sich ferner vor Augen, daß das zahn-
leidende Publikum im allgemeinen, die Kieferverletzten und die an Neu-
bildungen der Kiefer im besonderen — sowohl der Zahnärzte, als der
Zahntechniker unmöglich entraten können, daß somit beide Stände,
der zahnärztliche, wie der zahntechnische, jederzeit reichlich
lohnende Arbeit finden werden, daß sie ihrer hehren kulturellen Aufgabe
gegenüber der leidenden Menschheit am besten dann gerecht werden
und auch ihre eigenen materiellen Interessen dann am besten wahren
können, wenn sie sich nicht in gehässiger Weise befehden, sondern Hand
ın Hand sich ergänzen, und — wohlbeachtet — verfällt die neue
Regierung nicht in die Schwäche der alten, daß sie bald unter dem
Drucke der einen, bald unter den Einflüssen der anderen politischen Partei
den Gewerbetreibenden auf Kosten der Ärzte und zum
Schaden der Patienten eine Einräumung auf ärztlichem
Gebiete nach der anderen erteilt, dann muß doch endlich — nach
bald fünfzigjähriger Dauer (!) — die Zahnärzte-Zahntech-
nikerfrage, dieser dunkle Punkt in der öffentlichen Rechtspflege, in einer
beide Teile befriedigenden, keine der Parteien ver-
letzenden Weise gelöst werden können! —
Die oberwähnte Prüfung für Zahnärzte soll selbstredend
3. auch ein Schutz für das zahnleidende Publikum werden.
Sie soll endlich meines Erachtens eine rein praktische, dafür:
aber eine um so ernstere Prüfung sein.
Wenn ich den Moment, in dem ich mein Lehramt am zahnärztlichen
Universitätsinstitute antrete, für geeignet erachte, um vor maßgebenden
Kreisen ein Programm zu entrollen, so darf ich auch nicht verabsäumen.
drei Felder unserer spezialistischen Tätigkeit zu beleuchten, welche für
die Volkshygiene von bedeutender Tragweite sind: die Schulzahn-
pflege, die Armenzahnpflege und die chirurgisch-prothetische Behandlung
der Kieferverletzten. Während für die beiden ersteren ärztlichen Be
tätigungsgebiete vorläufig nur erst vielversprechende Anfänge zu' ver-
zeichnen sind, hat das letztgenannte im früheren Österreich-Ungarn bereits
einen bemerkenswerten Grad der Entwicklung erreicht,
so zwar, daß wir in unseren Leistungen gleichen Schritt hielten mit allen
groen Kulturstaaten. — Es soll eine Hauptaufgabe des zahnärztlichen
Universitätsinstitutes werden, diese drei Gebiete sorgfältig auszubauen
- Antrittsvorlesung. 301
und insbesondere auch das Pflichtgefühl und die Opferfreudigkeit, an
diesem Ausbaue mitzuschaffen, in der jungen Ärzteschaft zu wecken und
zu erhalten. |
Ich übernehme heute ein trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten
bei seiner Errichtung glänzend dastebendes Institut. Es
ist die zweite Schöpfung meinessehrgeehrten Vorgängers,
Regierungsrates Prof. Dr. Julius v. Scheffs, der durch sein über den
ganzen Erdball verbreitetes Werk, das „Handbuch der Zahnheilkunde“,
dazu beigetragen hat, auch den von österreichischen Ärzten gelieferten
Bausteinen den gebührenden Platz in der zahnärztlichen Literatur zu
sichern. Das im Herbst 1914 eröffnete Institut ist das Werk Scheoffs
und seines auch organisatorisch so hochbegabten langjährigen Assistenten
Doz. Dr. Bruno Klein, der seit drei Vierteljahren die Lehrkanzel inne-
hatte und mit der supplierenden Leitung dieser Anstalt betraut war.
Für die Verhältnisse vor Ausbruch des Weltkrieges würde das In-
stitut seiner Aufgabe wahrscheinlich genügt haben.
Um aber den Aufgaben, welche sich heute, in einer Epoche des
Werdens und Neuerstehens, einem schaffensfreudigen Vorstande eines zahn-
ärztlichen Universitätsinstitutes ganz von selbst und mit unwidersteh-
licher Gewalt aufdrängen, gerecht werden zu können, müssen natürlich
nicht unbedeutende bauliche Erweiterungen angestrebt werden. Ein un-
erläßliches Erfordernis sind ein Krankensaal mit einer, wenn
auch nur bescheidenen Anzahl von Betten, ein zweiter, bedeutend
größerer ÜÖperationsraum für aseptische Operationen, ein Operations-
saal zur Vornahme von Extraktionsübungen und auch von
septischen Mundoperationen und endlich ein eigener geräumiger
‚Sterilisationsraum. |
Wenn bettlägerige Patienten Aufnahme finden sollen, muß logischer-
weise auch eine auf Krankenkost eingerichtete Wirtschaft geschaffen
werden und, wenn eine solche systematisiert ist, dann ließe sich für die
Assistenzärzte, die Zahntechniker und die zahnärztlichen Assistenz-
schwestern eine Verpflegsstation errichten, wodurch Zeitersparnis und ein
gewisses ethisch-hebendes Heimatsgefühl für die Institutsangehörigen er-
zielt würde. Mit einem Wort: Aus den längst nicht mehr
ausreichenden Ambulatorien wird die durch die
Wucht der Tatsachen dringend geforderte Zahn-
klinik sich entwickeln müssen! — — —
Von großem Werte wäre es ‚auch, im Schoße des zahnärztlichen
Universitätsinstitutes eine Ausbildungsschule für zahnärzt-
liche Assistenzschwestern zu errichten, wodurch einer
Reihe von Frauenexistenzen ein besseres Fortkommen gesichert und der
302 Rudolf Weiser. Antrittsvorlesung.
lebhaften Nachfrage nach gutgeschulten derartigen Hilfskräften seitens
der zahnärztlichen Ambulatorien und höheren Institute sowie der prak-
tischen Zahnärzte Rechnung getragen würde.
Neben diesen großen Erfordernissen werden sich so manche kleinere
Bedürfnisse leicht befriedigen lassen. So gehört z.B.in das freilich jetzt
schon sich als viel zu klein erweisende zahntechnische Laboratorium
auch eine Drehbank, an welcher ein tüchtiger Mechaniker arbeitet, der
sich gleichzeitig auf das Schärfen von Bohrern und das Schleifen von
Messern, Exkavatoren und Meißeln, sowie auf das Reparieren von Appa-
raten verstehen müßte: sowohl die jungen Ärzte als auch die Zahn-
techniker würden dadurch so manches zu sehen. bekommen, was sie für
ihren Beruf mit großem Vorteile verwerten könnten.
Daß für die Durchführung eines so groß angelegten Programmes
unmöglich die Kraft einer einzelnen Person ausreicht, ist sonnenklar.
Die ungeahnte Ausdehnung des Faches, die eigenartigen Beziehungen
der Zahnheilkunde zum Kunstgewerbe, ihre Betätigung auf einem Grenz-
gebiete zwischen ihr und anderen Spezialfächern der Medizin, die tech-
nische Schwierigkeit, der Aufwand von Zeit und Mühe, welcher mit der
praktischen Ausführung ihrer Maßnahmen verbunden sind, bringen es mit
sich, daß zur ersprießlichen Arbeit eines zahnärztlichen Universitäts-
institutes, zumal wenn ein sehr populär gewordenes Ambulatorium mit
demselben affiliiert ist, ein ganzer Stab von Lehrern, Assistenten und
anderen Hilfekräften mitwirken muß. Trotz des Gefühles moralischer
Verpflichtung, dem mich an und für sich mit freudigem Stolze
erfüllenden Rufe Folge zu leisten, hätte ich den Mut hierzu nicht ge
funden, wenn sich nicht zufälligerweise gerade jetzt
eine so glänzende Gruppe von begeisterten Mit-
arbeitern ergeben hätte, wie sie günstiger nicht
leicht wieder angetroffen werden kann.
Von den Assistenten, welche ich aus der Ära Regierungsrat Scheff
übernommen habe, bekennen sich zwei, Dr. Franz Peter und Dr. Harry
Sicher, mit Stolz auch als Schüler Tan dle rs, Kollege Prof. F l eis ch-
mann, der seine Mitwirkung am Institute zugesagt hat, zur Schule
Ebner und Schaffer, Doz. Zilz, der sich ebenfalls anschließen will,
ist Schüler Hofrat Weichselbaums, Ehrlichs und Kolles, unser
Röntgenologe Dr.Pordes ein Schüler Holzknechts, als Internist
ein Schüler Hermann Schlesingers, als Zahnarzt ein SchülerScheffs,
der Orthodontist Doz. Oppenheim war Assistent Angles und ist
Schüler Grünbergs, Kollege Prof.Pichler übermittelt uns die Tra-
ditionen Eiselsbergs und Blacks, Doz. Dr. Bruno Klein, der sich
als supplierender Leiter so vorzüglich bewährt hat, wird mit Assistent
Alexander Klein. Zur Pathologie und Therapie der Blutungen ete. 303
Peter zusammen durch persönliche Unterweisung dafür sorgen, daß die
kommende Generation der Zahnärzte sattelfest in der Zahntechnik wird,
meine Wenigkeit wird die von den Meistern Billroth, Wölfler,
Partsch, Willoughby Dayton Miller und Sache über-
kommenen Prinzipien vertreten. Noch fahnde ich nach einem Physiker.
der meine Schüler in die Praxis der Elektrotechnik und der Mechanik ein-
führt; nach einem Künstler, der uns in der Keramik und in der Por-
zellanmalerei auf die richtigen Bahnen führt.
+ `
Im zweiten Teil seiner Antrittsvorlesung: Einführung in
die zahnärztliche Mundchirurgie, erläutert der Vortragende
an der Hand von über 50 Diapositiven das angekündigte Thema und
schließt mit folgenden Worten:
Die zahnärztliche Therapie ist als ein wundervolles Ineinandergreifen
von Chirurgie, allgemeiner Medizin und angewandter Technologie zu be-
trachten; dieser eigenartige Wissenszweig bedarf daher auch einer be-
sonderen Behandlung und Pflege von seiten der Staatsämter für Unter-
richt, für Volksgesundheit und für die Finanzen. Wir — vor Jahresfrist
noch österreichisch-ungarisch gewesenen — Zahnärzte erfüllen die Grund-
bedingungen, um dieses Fach der Heilkunde zur Blüte zu bringen, so dab
unsere Schulen binnen kurzem eine Attraktion in so mancher Beziehung
auch für amerikanische Zahnärzte bilden könnten, vorausgesetzt,
daß die kompetenten Staatsverwaltungen gewillt und in der Lage | sein
werden, uns ausgiebig zu unterstützen.
Erfüllt von dem Ernst meiner Mission, bitte ich i Staatsamt für
Unterricht, das Staatsamt für Volksgesundheit, das Professorenkollegium,
die engeren Fachkollegen und nicht zuletzt meine Hörer und Hörerinnen.
mich in der schwjerigen Lösung meiner Aufgaben tatkräftig zu unter-
stützen, zum Heile und zum Wohle der leidenden Mitmenschen, zum Wieder-
aufbau unseres niedergebrochenen Vaterlandes und zum Ruhme unserer
Alma mater!
Aus dem zahnärztlichen Institut der Wiener Universität
' (Vorstand: Prof. Dr. R.W eiser).
Zur Pathologie und Therapie der Blutungen aus der
| Mundhöhle.
Von Dr. Alexander Klein, Assistenten.
Die Zahnblutungen gehören zu den häufig beobachteten Zwischen-
fällen bei der Ausübung der operativen Zahnheilkunde.
304 Alexander Klein.
Während sie aber in der Mehrzahl der Fälle geringerer Natur und
durch relativ einfache Maßnahmen leicht zu beheben sind, können sie,
bedingt durch gewisse Allgemeinerkrankungen oder durch die Zerreißung
eines größeren Gefäßstammes, bedrohlichen Charakter annehmen, ja sogar
den Tod herbeiführen.
Besonders gefährlich können Nachblutungen werden, da sie
häufig erst stunden- oder tagelang nach dem ersten Eingriff erfolgen und
oft erst in vorgerücktem Stadium, wenn der Patient bereits stark aus-
geblutet ist, dem Arzt zu Gesicht kommen. Sie sind entweder durch die
Loslösung eines Thrombus oder nach dem Nachlassen der Wirkung eines
_ gefäßverengernden Medikamentes (Adrenalin, Suprarenin) durch die ab-
norme Erschlaffung der Gefäßmuskulatur bedingt.
Zur Blutung können das Zahnfleisch, das Periost oder der Knochen
selbst Anlaß geben, wobei die Blutung arteriellen, venösen
oder parenchymatösen Charakter haben kann.
Die Arterien, welche im Bereiche der Mundhöhle und Kiefer bei
Blutungen in Betracht kommen, gehören dem Stromgebiet der Art. carotis
externa an. Neben der Art. lingualis sind Art. maxillaris externa und
interna mit ihren zahlreichen Ästen die arteriellen Blutleiter dieser Region.
Venöse Blutungen werden durch die Läsion der Wurzeln
der drei Venae jugulares hervorgerufen. Diese stehen durch zahlreiche
Wurzelanastomosen untereinander in Verbindung und werden durch dichte
submuköse Venennetze verstärkt.
Außerdem kommen noch, wie erwähnt, parenchymatöse
Blutungen zur Beobachtung.
Es sind gewisse Erkrankungen, bei welchen schwere Blutungen
spontan, nach Traumen oder auch nach chirurgischen Eingriffen auf-
treten können.
Die Rigidität der Gefäße bei Arteriosklerose, welche ja zu Blutungen
in allen Körperteilen Anlaß geben kann, spielt natürlich auch bei Blu-
tungen in der Mundhöhle eine Rolle.
Weiters sehen wir bei Fällen von schwerem Ikterus eine auffallende
Neigung zu Blutungen ähnlich wie bei Leberkrankheiten überhaupt, welche
mit längerdauerndem Verschluß der Gallengänge einhergehen.
Häufig machen sich bei der Leukämie Blutungen schon frühzeitig
bemerkbar. Insbesondere Blutungen aus dem Zahnfleisch können in
späteren Stadien einen bedenklichen Grad erreichen.
Ebenso finden wir bei einer Reihe von Infektionskrankheiten die
Neigung zu Blutungen. Fleckfieber, Typhus, Variola und Malaria sowie
die septischen Erkrankungen zeigen häufig die Anzeichen der hämor-
rhagischen Diathese im weiteren Sinn des Wortes.
Zur Pathologie und Therapie der Blutungen aus der Mundhöhle. 305
Morawitz+) rechnet zur hämorrhagischen Diathese im strengen
Sinn des Wortes alle jene Fälle, bei welchen die Neigung zu multiplen
Blutungen als einziges oder als wichtigstes Krankheitssymptom auftritt.
Er nimmt dabei an, daß es sich einerseits um die Schädigung einzelner
bestimmter Gefäßbezirke, andrerseits um eine herabgesetzte Gerinnbarkeit
des Blutes, d.h.um eine Störung der Thrombenbildung handelt.
Da diese beiden Erscheinungen bisweilen gemeinsam auftreten, so
wäre an einen Zusammenhang derselben zu denken.
In den Bereich der echten hämorrhagischen Diathese gehören drei
irankheitsgruppen: 1. der Skorbut mit der Müller-Ba rlo w schen
iırankheit; 2. die Purpura oder Morbus maculosus Werlhofii; 3. die
::;ämophilie.
Alle schweren Blutungen im Bereiche der Mundhöhle erfordern ein
zielbewußtes und zweckentsprechendes ärztliches Handeln. Hierbei muß
man unterscheiden zwischen Blutungen infolge hämorrhagischer Diathes«
und Blutungen nach Verletzung eines kleineren oder größeren Gefäßes.
Haben wir z.B. bei einem Patienten, welcher seiner eigenen Angabe
nach, die Neigung zu Blutungen besitzt, einen zahnchirurgischen Eingriff
vorzunehmen, dann empfiehlt es sich, ihm prophylaktisch durch 3 Tage
dreimal täglich 0,5g Calcium lacticum intern zu geben. Aber auch -um
Nachblutungen zu verhindern, gab ich, wenn die primäre Blutung auf
andere Weise gestillt wurde, Calcium lacticum mit gutem Erfolge.
Am häufigsten beobachten wir Blutungen nach Zahnextraktionen.
Worin bestehen die ärztlichen Maßnahmen zur Blutstillung ?
Häufig gelingt es uns durch das feste Aufbeißenlassen auf eine
größere Lage Watte, Blutungen zum Stillstand zu bringen. Wenn dies
nicht .der Fall ist, so schreiten wir an die Tamponade der durch die
Extraktion entleerten Alveolen mit hochprozentiger Jodoformgaze. Nach
Weiser?) empfehlen wir ausdrücklich die hochprozentige (200%) Gaze,
da diese eine ungleich stärkere Wirkung hat und einige Tage belassen
werden kann, ohne sich zu zersetzen. Dabei ist von größter Wichtigkeit,
das Zahnfach durch Ausspritzen mit einer antiseptischen Flüssigkeit
gründlich von Blutgerinnseln zu reinigen und den Tampon direkt dem
Knochen anzudrücken. Darüber kommt neuerdings ein großer Wattebausch,
auf welchen der Patient aufzubeißen hat.
Trotz der vasokonstriktorischen Wirkung bei Kälteapplikation und
der Förderung der Blutgerinnung bei Anwendung von Hitze gind die
häufig geübten kalten oder heißen Spülungen nicht zu empfehlen, da der
mechanische Insult beim Spülen der Blutkoagulierung nicht förderlich ist.
1) Jahreskurse f. ärztl. Fortbildung, 1919, Märzheft.
?) Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1913, H. 6.
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 27
306 Alexander Klein. Zur Patholsgie und Therapie der Blutungen etc.
Herrenknecht?) empfiehlt die Einlage von in steriles Wachs
getauchten Wattebäuschehen in die Alveole. Niemayer*) fixiert einen
Tampon im Zahnfach durch eine Kautschukplatte.
Vielfach, so unter anderem von Marks?) und Zilz®), wird Ge-
latine in Form des keimfreien Präparates von Merck sowohl als Injektion
als lokal empfohlen. Ebenso berichten zahlreiche Autoren 7) über günstige
Erfolge bei Anwendung von Tierserum.
Von medikamentösen Blutstillungsmitteln wären weiters zu erwähnen:
Styptiein, Nebennierenpräparate, Penghawar Djambi. Zu warnen ist vor
Eisenchlorid, welches ätzt und Embolien verursachen kann. |
Blessing‘) berichtet über günstige Resultate mit Coagulen
Kocher Fonio und Hydrastinin „Bayer. Ersteres wird in Form von Auz-
spritzungen der Alveole oder durch Applikation der 10%igen Lösung
mittelst Tupfer angewendet.
Fonio®) empfiehlt bei schweren hämophilen Blutungen auch die
intravenöse Darreichung seines Coagulens.
Hydrastinin wird subkutan oder intern in Form von Liquor Hydra-
stinini (Bayer) und von Tabletten verordnet.
Auch bei der lokalen Anwendung der 10%igen Lösung sind
Blessings Erfahrungen im allgemeinen gute.
Auf Grund der Berichte anderer Autoren +°) und fußend auf per-
sönlichen Erfahrungen, glaube ich, daß trotz der großen Menge der uns
zur Verfügung stehenden Medikamente diejenigen Blutungen, welche auf
Tamponade mit nachfolgendem Aufbeißen auf einen Wattebausch nicht
zum Stehen kommen, auch nach Anwendung von Medikamenten nicht
sicher gestillt werden können. Wohl können diese zur Unterstützung der
Tamponaden, resp. chirurgischen Therapie wertvolle Dienste leisten.
Sehr gut wird man in manchen Fällen profuse parenchymatöse Blu-
tungen mit dem Thermokauter beeinflussen können.
Das beste Mittel, hartnäckige. Blutungen zum Stillstand zu bringer.
ist die Naht, welche ich in vielen Fällen, wo es sich um ernstere Blu-
tungen gehandelt hat, mit bestem Erfolge angewendet habe. Die Technik
der Naht kann eine zweifache sein. Man tamponiert in vorher be-
°) Deutsche zahnärztl. Wochenschr., 1908, S. 45.
%) Nach Blessing, Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk., 1916, H. 10.
*) Zahnärztl. Rundschau, 1916, Nr. 21.
“) Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1910, Nr. 6.
") Lehfeld, Zahnärztl. Rundschau, 1913, Nr. 38
*) Deutsche Monatssehr. f. Zahnheilk., 1916, H. 10.
") Deutsche med. Wochenschr., 1916, S. 1344.
1") Dr. Franz Peter. Österr. Zeitschr. f. Stomat, H.2, 1919.
‚Johann Messing. Über die antiseptische Drainage der Pulpakanäle. 307
schriebener Weise die Alveole mit Jodoformgaze und vereinigt die Gin-
givalränder durch die Naht über dem Tampon.
Besser ist es noch, den in die Wunde ragenden Alveolarfortsatz mit
der Luerzange abzukneipen. Dadurch erhält man zwei große Zahnfleisch-
lappen, welche man durch tiefgreifende starke Nähte fest aneinander legen
und dadurch die Wunde vollständig schließen kann. Der Vorteil dieses
Vorgehens ist, daß man den Tampon entbehren kann, bei dessen Ent-
fernung es häufig zu Nachblutungen kommen kann..
Auch bei Gefäßblutungen, welche nicht selten nach operativen Ein-
griffen oder durch Arrosion infolge nekrotisierender Prozesse in der
Mundhöhle beobachtet werden, ist die einfache Umstechung der blutenden
Stelle der sicherste Vorgang und nur in den seltensten Fällen wird man
zur Ligatur der Carotis externa schreiten müssen.
An dem reichen Material des zahnärztlichen Institutes hatte ich
Gelegenheit, die meisten der erwähnten Methoden kennen zu lernen und
mich über deren therapeutischen Wert zu informieren.
Auf Grund meiner Erfahrungen halte ich die Naht für die sicherste
und zweckentsprechendste Methode der Blutstillung, da wir durch sie in
die Lage versetzt werden. durch einen einfachen chirurgischen Eingriff
jede Blutung in der Mundhöhle zum Stillstand zu bringen.
Aus dem zahnärztlichen Institut der Wiener Universität
(Vorstand: Prof. Dr. Rudolf Weiser).
Über die antiseptische Drainage der Pulpakanäle.
(Vorläufige Mitteilung.)
Von Dr. Johann Messing, Demonstrator am Institut.
Die nach Pulpaextraktion, auch bei streng aseptischem bzw. anti-
septischem Vorgehen des ÖOperateurs, häufig auftretende periostale Emp-
findlichkeit kann unter Umständen den Arzt zu einschneidenden Maß-
regeln zwingen. Die meisten helfen sich in solchen Fällen damit, dal
sie den betreffenden Zahn offen lassen, um so den Sekreten freien Abfluß
zu verschaffen. Diese Art der Behandlung hat jedoch große Nachteile.
Erstens ist der auf- bzw. absteigenden Infektion Tür und Tor geöffnet
und zweitens. können sich die Pulpakanäle sehr leicht verstopfen, womit
der beabsichtigte Zweck illusorisch wird.
Weiser geht in einem solchen Fall so vor, daß er den betreffenden
Zahn durch einen mit einem Desinfiziens getränkten Wattefaden drainiert.
277
308 Jobann Messing.
Wenn es sich z. B.um einen einwurzeligen Zahn handelt, so wird eine
mit Watte, die mit dem betreffenden Desinfiziens getränkt ist, umwickelte
Millernadel längs einer Wand der Kavität nach außen geführt, der übrige
Hohlraum mit Guttapercha gut ausgefüllt und nun die Nadel heraus-
gezogen, so daß der Faden festgehalten wird. Das herausragende Ende
wird kurz abgeschnitten.
Es erhebt sich nun die Frage, ob eines der in der Zahnheilkunde
gebräuchlichen Desinfizientien durch einige Zeit imstande ist, eine aui-
steigende Infektion zu verhindern. Es wurden zu diesem Zwecke 15 Fälle
von mir bakteriologisch nachgeprüft, außerdem eine große Anzahl von
Patienten klinisch beobachtet. Als Desinfizientien wurden verwendet:
Kreosot und Trikresol-Formalin. Während das letztere sich schon in
40 Teilen Wassers löst, braucht das Kreosot 120 Teile heißen Wassers
zur Lösung. Aus diesen Gründen scheint das Kreosot geeigneter, der
auflösenden Wirkung des Speichels länger zu widerstehen. Es hält sich
ziemlich lange in den Fäden und ist noch nach Wochen durch den Geruch
deutlich erkennbar. Kreosot hat auch eine außerordentlich starke Des-
infektionskraft. Es tötet nach Guttmann sporenfreie Bakterien in
0,3% Lösung in 1—2 Minuten und hemmt die Entwicklung der Tuberkel-
bazillen auf erstarrtem Blutserum schon bei einem Gehalt des Nähr-
bodens von 1: 2000.
Was die Art der bakteriologischen Untersuchungen anbetrifft, so `
mußte zunächst das etwa zurückgebliebene Desinfiziens aus den unter-
suchten Fäden entfernt werden. Seit den Desinfektionsversuchen von
Geppert wissen wir, welch große Bedeutung der Entgiftung der unter-
suchten Objekte beizumessen ist. Während bei den Metallsalzen die
chemische Neutralisation eine leichte ist, ist es bei den Phenolen -sehr
schwierig, das Desinfektionsmittel restlos zu entfernen, und am ehesten
noch durch starke Natron- oder Kalilauge möglich, deren Verwendung
sich aber wegen ihrer stark keimtötenden Eigenschaften verbietet.
Schneider und Seligmann empfahlen das Auswaschen des Unter-
suchungsobjektes in 2°/o Natronlauge. Nach ihrem Vorschlag wurden die
Fäden behandelt.
Um festzustellen, ob die verwendete Lauge keine schädigende Wir-
kung auf die Keime ausübt, wurde in einem Vorversuch ein mit 2°/o
Natronlauge getränkter Wattefaden in eine mit Staphylokokken infizierte
Bouillon versenkt. Es ließ sich keine Wachstumshemmung feststellen.
Das orale Ende des Fadens wurde stets abgeschnitten. Der Rest
wurde in Streptokokkenbouillon versenkt. Bei Trübung der Bouillon wurde
im hängenden Tropfen und im Ausstrich untersucht. Es wurden dabei
gewöhnlich nur Streptokokken, nur selten Stäbchen festgestellt. Aus der
Über die antiseptische Drainage der Pulpakanäle. 309
Bouillon wurde auf Agar weitergezüchtet. In einigen Fällen wurde auch
auf anaerobes Wachstum untersucht. Dabei wurde die Bouillon im Wasser-
bade !/» Stunde erhitzt und dadurch von Sauerstoff möglichst befreit,
dann mit sterilisierttem Paraffinöl überschichtet.
Bei 6 von den bakteriologisch untersuchten Fällen blieb der drai-
nierende Faden eine mehr oder minder lange a steril. Folgende Bei-
spiele mögen angeführt werden.
6| Pulpitis, Pulpaextraktion nach Arsenapplikation. Kreosotdrai-
nage. Nach 3 Tagen Faden noch steril.
|3 Pulpaextraktion nach Druckanästhesie Zunächst Trikresoldrai-
nage durch 4 Tage. Faden bleibt steril. Nunmehr Kreosotdrainage durch
4 Tage. Gleicher Befund. Neuerliche Kreosotdrainage durch 6 Tage, wieder
derselbe Befund. Anaerob kein Wachstum.
3| Pulpaextraktion nach Druckanästhesie. Kreosotdrainage durch
2 Tage; Faden steril. Neuerliche Kreosotdrainage durch 4 Tage. Faden
wieder steril. Neuerliche Kreosotdrainage durch 6 Tage. Bouillon wird
leicht trübe. Mikroskopisch Kokken. Anaerob kein Wachstum.
I? Pulpaextraktion nach Druckanästhesie. Nach 11tägiger Kreosot-
drainage Faden steril.
In den übrigen Fällen erwies sich der drsinierende Faden nicht als
steril. Es konnte ein, wenn auch nur kümmerliches und langsames Wachs-
tum im Bouillon und auf Agar festgestellt werden. Wenn auch diese Herab-
setzung der Wachstumsfähigkeit noch keinen zwingenden Schluß auf eine
dauernde Virulenzverminderung der infizierenden Bakterienflora zuläßt, so
erlaubt doch. die klinische Beobachtung diese Annahme. Es konnte bei
keinem der zahlreichen beobachteten Patienten auch bei mehrmonatiger
Beobachtung ein Rezidivieren der Periostempfindlichkeit oder ein peri-
apikaler Prozeß konstatiert werden.
Längere klinische Beobachtungen werden noch nähere Aufklärungen
über die Dauererfolge der Drainage ergeben. Das prompte Aufhören der
Druckerscheinungen und der Schmerzen lassen dieselbe als eine Bereiche-
rung der Wurzelbehandlungsmethoden erscheinen.
Literatur: Grassberger, Die Desinfektion im Handbuch der Hygiene
von Rubner. — Paschkis in Scheffs Handbuch der Zahnheilk., Bd. II. -—
Schneider und Sceligmann, Zeitschr. f. Hygiene und Inf., 1908. — Lauben-
heimer, Phenol und seine Derivate als Desinfektionsmittel. Urban & Schwarzen-
berg, 1909. — Geppert, Berl. klin. Wochenschr, 1890, 8.246. — Guttmann.
Zeitschr. f. klin. Med.. Bd. 13
310 Winke für die Praxis.
Winke für die Praxis.
Repetitorium der Brückentechnik.
Von Dr. Emil Steinschneider.
(Schluß.!)
Zum Schluß sei hier noch einiges gesagt über die Indikationen
und Kontraindikationen für den Brückenzahnersatz.
Bei der Stellung der Indikation für den Brückenzahnersatz sollen
wir uns von zwei Gesichtspunkten leiten lassen: 1. ob unter Berück-
sichtigung der Anzahl und Stärke der Pfeiler eine Brücke überhaupt mög-
lich ist und 2., wenn dies festgestellt ist, wie er zu machen ist, d.h. wie
die einzelnen Pfeiler untereinander zu verbinden sind, um möglichste
Stabilität der Brücke zu gewährleisten.
Mit Zugrundelegung des früher Gesagten wird die Indikation nicht
schwer zu stellen sein und es bleibt nur übrig, mit wenigen Worten
noch auf einige Kontraindikationen einzugehen, die sich nicht ohne weitere:
aus dem oben Gesagten ergeben. und zwar sind es 1. der tiefe (gesunkene)
Bi und 2. das nächtliche krampfhafte Zusammenbeilsen.
Ad 1. Hier ist der durch Extraktionen, Abrasion der Zähne u. dgl.
entstandene gesunkene Bils zu verstehen. Wenn es nicht möglich ist, ihn
durch ausgedehnte Brückenarbeiten zu „heben“ wird das
Anbringen cines partiellen Brückenzahnersatzes immer zu Mißerfolgen
führen.
Wohl zu unterscheiden davon ist der partielle tiefe Bib. entstanden
durch Verlängerung der Zähne bei fehlenden Antagonisten. Hier kann
man sich, wie schon oben erwähnt, durch Devitalisieren, Abtragen un:l
Krönen der zu langen Zähne helfen oder durch operative Entfernung eines
hypertrophischen Alveolarfortsatzes.
Ad 2. Gegen das nächtliche Zusammenbeißen hat Karolyi die
Aufbilskappen angegeben, die, mit. weichbleibendem Kautschuk ausgekleidet.
mit Vorteil bei Patienten anzuwenden sind, die ihre Brücken trotz rich-
tiger Konstruktion immer wieder losheben oder sonstwie beschädigen.
Ich will nicht schließen, ohne ein paar Worte über Schrauben-
brücken zu sagen. Ich bin weit davon entfernt, hier die verschiedenen
Arten der Schraubenbrücken zu besprechen, nur die Indikationen hierfür
möchte ich prüfen, die ich mir vor Jahren zurechtgelegt habe. Und da mul:
ich jetzt sagen, daß ich über die Zweckmäßigkeit dieser Art von Brücken
anderer Meinung geworden bin. nicht so schr wegen der Mißerfolge, die bei
Schraubenbrücken zutage treten, sondern weil ich der Meinung bin, daß
1) Siehe Österr. Zeitschr. f. Stomat., H.3, 4, 5. 6, 1919.
Referate und Bücherbesprechungen. 3ll
bei vorsichtigem, zielbewußtem und genauem Arbeiten die Konstruktion
von Schraubenbrücken eine unnötige Belastung von Arzt und Patient
darstellt. Es mag für gewisse Fälle angenehm und praktisch sein, vom
Arzte abnehmbare Brücken im Munde der Patienten zu wissen, aber im .
allgemeinen müssen wir sagen, daß in fast allen Fällen, die eine In-
dikation für Schrauben geben würden, und zwar 1. Möglichkeit des Weiter-
baues, 2. Divergenz der Pfeiler, 3. Erleichterung beim Einsetzen großer
Brücken, 4. Verbindung mit Schienen für lockere Zähne, 5. Sattelbrücken
und Bryanscher Bügel, 6. Reparaturmöglichkeit gebrochener Facetten
man ohne Anwendung von Schrauben, in vielen Fällen sogar besser, aus-
kommt. Die Schraube ist immer ein locus minoris resistentiae der ganzen
Brücke, und da eine Brücke nur so stark ist wie ihr schwächster Teil,
bin. ich dazu gekommen, Schrauben möglichst auszuschalten und andere
Wege einzuschlagen, die zu demselben Ziele führen, gleichgültig, ob es
augenblicklich sich darbietende Schwierigkeiten sind, zu deren Überwindung
die Schraube dienen sollte (Punkte 2—5), oder Vorteile, die man aus der
Konstruktion mit Schrauben für später erhofft (Punkt 1 und 6). In diesen
Fällen — insbesondere für den ins Auge gefaßten Zweck des Weiter-
baues, für den es andere, später einmal zu besprechende Methoden gibi
— ist die Brücke zu diesem Zeitpunkte am Schraubenteil oft so her-
genommen, daß mit der neuen Brücke oft auch die alte neu gemacht
werden sollte. Punkt 6 der Indikationen kann beim heutigen Stand der
Brückentechnik füglich gänzlich entfallen. Mit einer gewissen Berechti-
gung kann man noch die Indikationen 4 und 5 gelten lassen. Insbesondere
der Bryvansche Bügel wird zweckmäßig immer abschraubbar gemacht
werden. l
* *
%
Vielleicht war es einigen Kollegen von Nutzen, diese kurzen, schlag-
wortartigen Notizen gelesen zu haben. Ich behalte mir vor, einzelne
Punkte, die hier im Zusammenhang nur gestreift werden ‘konnten, aus-
führlicher zu behandeln.
Referate und Bücherbesprechungen.
* Medizinische Terminologie. Ableitung und Erklärung der gebräuchlichsten
Fachausdrücke aller Zweige der Medizin und ihrer Hilfswissenschaften.
Von Walter Guttmann, Oberstabsarzt z.D.an der Kaiser Wilhelm-
Akademie für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin. X. und
XI. vollkommen umgearbeitete Auflage mit 309 Abbildungen. Urban &
Schwarzenberg, Berlin-Wien 1919. i
Verfasser hat sich bei Abfassung des Buches zur Aufgabe gestellt:
Die gebräuchlichsten Fachausdrücke der gesamten modernen Medizin ein-
312 Referate und Bücherbesprechungen.
schließlich ihrer naturwissenschaftlichen Hilfsdisziplinen (besonders
Chemie, Physik, Botanik, Zoologie) begrifflich sowohl wie ethymologisch
zu erklären. Daß und wie ihm dies gelungen, beweist die Tatsache, daß
in wenigen Jahren die 10. und 11. Auflage notwendig wurde. Nicht nur
Studierende und Laien, die mit der mediZinischen Sprache vertraut
sein müssen (Rechtsanwälte, Richter), auch Ärzte werden das Buch mit
Vorteil gebrauchen, das ihnen kurz, prägnant und erschöpfend die so ver-
wickelte medizinische Terminologie erklärt. Unterstützt wird dieses Be-
streben durch zahlreiche kleine Abbildungen, die besser als Worte den
Begriff erläutern. Wenn auch speziell zahnärztliche Termini technici hie
und da fehlen und bei einer nächsten Auflage nachgetragen werden
können, so tut das dem auch äußerlich prächtig ausgestatteten Werk nur
wenig Abbruch und muß allen, die ärztliche Literatur lesen, als uneut-
behrliches Vademekum willkommen sein. Steinschneider.
Der Wert der seitlichen Kaubewegungen. Von Alfred Gysi, D. D. S.
Schweiz. Vierteljahrsschr. f. Zahnheilk., Bd. XXIX, Nr.1.
Prof.G ysi hat ein einfaches und sinnreiches Experiment erdacht,
das den Wert jener künstlichen Zähne dartut, die in einem Gelenksartiku-
lator aufgestellt worden sind und dem Patienten seitliche Kaubewegung
gestatten, zum Unterschied von den nur in einem Scharnierartikulator
aufgestellten Zähnen, die entweder keine oder nur unrichtige Seiten-
bewegung gestatten. G ysis hierzu konstruierter Apparat registriert auto-
matisch den Druck, der nötig ist, um mit einer Messerschneide senkrecht
z.B.eine 2 mm dicke Hanfschnur durchzuschneiden. Im Durchschnitt war
ein senkrechter Druck von 14 Pfund nötig. Führte aber das Messer eine
ziehendd seitliche Bewegung von nur 3mm aus, so wurde die Schnur mit
nur 7 Pfund Druck zerschnitten usf. Diese und ähnliche Versuche sind in
ihren Folgerungen leicht auf das menschliche Gebiß zu übertragen, wobei
noch der Umstand zu berücksichtigen ist, daß bei senkrechtem Druck der
Zähne die Fasern meist unzerkleinert bleiben, wobei nur der Saft zwischen
ihnen ausgequetscht wird, so daß die trockenen Fasern eine schwer zu
schluckende und schwer zu verdauende Masse bilden. Wallisch jun.
—— - —
Fugenlose Kronen. Das Sharpsche System in abgeänderter Form. Von
B.Dirks, Würzburg. D.M. f. Z., H.9, September 1919.
Ganz mit Recht wendet sich Dirks gegen jene Methoden der
Kronenanfertigung, bei welchen der Ring an einem Abdruck des Zahnes
unter Radierung des von Gingiva gedeckten Halsteiles geschieht; noch
vermehrt werden die Fehlerquellen, wenn man nach Oettinger, um
den Abdruck unzerbrochen aus dem Munde zu entfernen, den Gips nicht
vollständig erhärten läßt, weil so gerade die dünnen Zahnfleischränder
am Halse kaum jemals genau im Abdruck wiedergegeben werden können.
Es kann nur das Anpassen des Ringes im Munde des Patienten genaue
Resultate ergeben, und wenn man bedenkt, wie viel auch bei dieser Methode
gesündigt wird, so kann man nicht eindringlich genug vor jeder Modell-
arbeit warnen. Sicher.
Aus Vereinen und Versammlungen. 313
Aus Vereinen und Versammlungen.
Verein österreichischer Zahnärzte.
Ordentliche Monatsversammiung vom 14.Mai 1919.
Präsident: Dr. Breuer.
Schriftführer: Dr Kränzl.
Anwesend die Herren DDr.Ballasko, Bardach, Borschke, Brau-
ner, Breuer, Bum, Dussik, Eiffinger, Frank, Frey, Fuchs, Herz,
Hillischer, Kail, Kränzl, Kraus, Kronfeld, Löffler, Müller,
Ornstein, F.Peter, Pichler, Piwniczka, Schlemmer, Schön,
Schönauor, Schwabe, Smreker, Stauber, Steinschneider,
Stenner, Prof Weiser, Ziegler. — Als Gäste: Sicher, Pordes,
Kulka, Janisch, Eder, Suge: Weinländer, Mediz. Breuer jun.,
Mediz. H o f er.
Der Präsident begrüßt die Mitglieder und Gäste und dankt dem
Herrn Prof. W eiser und dem Herrn Doz. K lein für die Liebenswürdig-
keit, der Versammlung den Saal des zahnärztlichen Universitäts-Instituts
zur Verfügung gestellt zu haben.
Die Wirtschaftliche Organisation der Ärzte Wiens will bei Standes-
fragen, welche Zahnärzte berühren, die Vertreter der Zahnärztevereine
einladen. Ebenso hat die Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte
Deutschösterreichs ersucht, zu ihren Ausschußsitzungen jeweils einen Ver-
treter des Vereines zu entsenden. Daher bittet Präsident die Mitglieder,
zur Wahl je eines Vertreters für die Wirtschaftliche Organisation der
Ärzte Wiens und die Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutsch-
österreichs zu schreiten und schlägt als Vertreter für die Wirtschaftliche
Organisation der Ärzte Wiens Dr.Dussik und für den Ausschuß der
Wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs Doktor
Schönauer vor. Beide Herren werden gewählt.
Ferner teilt Präsident mit, daß eine Zuschrift vom Zentralverband
der österreichischen Stomatologen eingelaufen sei. Der Zentralverband hat
die Absicht, sich zu reorganisieren. Es sollen die Vereine, die bisher in
Deutschösterreich bestanden haben, sich zusammenschließen, wie es seiner-
zeit für ganz Österreich gedacht war. Es bst dies jetzt auch eine un-
bedingte Notwendigkeit und ist dieser Plan sehr zu begrüßen. Wie dieser
Zusammenschluß erfolgen soll, muß noch in diesem Sommer beraten werden
und er: bittet die Miglieder abzustimmen, ob sie damit einverstanden sind,
daß der Verein einen Vertreter zur Mitberatung in den Stomatologen-
verband entsende. Angenommen.
Der Präsident macht noch darauf aufmerksam, daß bis 30. April das
Bekenntnis zur Erwerbssteuer abzugeben gewesen wäre, welche Frist noch
bis 31. Mai verlängert wurde, und bittet dann Herrn Dr. Si cher, seinen
Vortrag „über die anatomischen Grundlagen der intra-
oralen Leitungsanästhesie am Unterkiefer“ zu halten.
(Erschien ausführlich in H.7, Jg. 1919 der Österr. Zeitschr. f. Stomat.)
Präsident spricht in seinem sowie im Namen aller Herren den herz-
lichsten Dank für seinen höchst lehrreichen und interessanten Vortrag aus.
Prof. W eiser ladet die Herren, die sich dafür interessieren, ein,
zwischen 4 und 6 Uhr im Universitäts-Institut der Ambulanz beizuwohnen,
314 Aus Vereinen und Versammlungen.
in der fast immer eine oder mehrere Anästhesien nach der Methode Sicher
vorgenommen werden.
Präsident dankt dem Herm Prof. Weiser für die Einladung
sowie Herrn Dr. Sicher für seinen Vortrag.
Reg.-Rat Frey erwähnt noch das harte Los unserer Kriegsgefangenen
in Sibirien, darunter unseres Kollegen Dr.Koller, der inzwischen, er-
taubt sein soll. Es soll am 1. Juni ein Sammeltag stattfinden, damit das
Kapital zur Befreiung der Gefangenen — es sind 3 Millionen hierzu nötig
— aufgebracht werde, und fordert die Kollegen auf, sich daran zu beteiligen.
Der Präsident dankt Herrn Dr. Frey mit warmen Worten für
seino Mitteilungen, wünscht allen Herren einen guten Sommer, gute Er-
holung und spricht die Hoffnung aus, im Herbst unter besseren Verhält-
nissen wieder die Sitzungen aufnehmen zu können.
Verein Wiener Zahnärzte.
Hauptversammlung vom 28. Jänner 1919.
Vorsitzender: Prof. Dr.L.Fleischmann.
Schriftführer: Dr. E.Bermann.
Prof.Dr.Fleischmann: Ich eröffne die Sitzung, konstatiere die
Beschlußfähigkeit und begrüße die erschienenen Herren. Die diesmalige
Hauptversammlung ist um so wichtiger, als es die erste seit dem Jahre
1915 ist, die wir abhalten können. Ich selbst will in meinem Berichte
mich kurz fassen. — Sie wissen, daß es uns infolge der Kriegsereignisse
nur mit großer Mühe möglich war, das Vereinsleben aufrecht zu erhalten
und wenn uns nicht Doz. Dr. Klein mit der Fülle des klinischen Materials
beigesprungen wäre, so wäre ein solcher überhaupt unmöglich gewesen.
— Ihm gebührt daher das größte Verdienst und ich lege großen Wert
darauf, dies im Protokoll festzulegen.
Ich erteile zunächst dem Vizepräsidenten Dr. Steinschneider
das Wort.
Dr.Steinschneider: Als Vertreter des Vereines haben Doktor
Reschofsky und ich an einer Besprechung bei Dr. Rieger teil-
genommen, zu der Abordnungen der Zahnärzte, Zahntechniker und Ge
hilfen erschienen waren, die zunächst unverbindlich untersuchen sollten.
ob eine Einigung in der Technikerfrage möglich wäre. Einer der Herren
hatte auch ein Elaborat mitgebracht, welches ich Ihnen verlesen werde;
dieses soll nun die Grundlage darstellen, auf der wir weiter arbeiten
werden. Ich bitte Sie, zwei Herren als Ihre beglaubigten Mandatare zu
wählen, die namens des Vereines die Verhandlungen führen sollen.
Dr. Reschofsky beantragt, das Plenum wolle beschließen, in
die Verhandlung einzugehen und zwei Mandatare für diese Verhandlungen
zu ernennen.
Per. acclamationem werden Dr. Reschofsky und Dr. Stein-
sehneider gewählt.
Dr.Bermann verliest den Jahresbericht:
Aus Vereinen und Versammlungen. 315
M. H.! Als ich vor 4 Jahren anläßlich der letzten abgehaltenen Jahres-
vereammlung den Jahresbericht verlas, waren erst 4 Monate des Weltkrieges ver-
gangen, heute liegt das grauenhafte Morden hinter uns und wir echicken uns an,
unsere Kräfte, die bis vor kurzer Zeit vollauf von der zahnärztlichen Kriegschirurgie
und der Heilung der Kriegsschäden in Anspruch genommen waren, der fast ent-
wiekelten Friedensarbeit zu widmen. So wie jede zivile Tätigkeit mußte auch
unser Vereinsleben dem Krieg seine Opfer bringen und so darf es Sie nicht
wundern, wenn mein Bericht nach 4 Jahren recht mager ausfällt.. Versuchten wir
auch in den Jahren 1915 und 1916 ein Vereinsleben durch Abhaltung unserer
Monatsversammlungen zu erhalten, so zeigte es sich doch, daß dieses Leben ein
kinstliches war — zum größten Teile hatte wohl der Umstand die Schuld. daß
weitaus der größte Teil der Mitglieder teils im Felde, teils im Hinterlande zu
militärärztlicher Tätigkeit einberufen war und selbst die wenigen in Wien Ver-
bliebenen kaum die Zeit fanden, sich zu den Sitzungen einzufinden. Ich bin objektiv
genug, auch einen zweiten Grund, der besonders für das Jahr 1916 maßgebend
war, anzuführen Die Einseitigkeit unserer Programme — immer nur Kieferschüsse
— konnte auf die in Wien Verbliebenen, die zum größten Teile selbst mitten drin
standen, wenig Anziehung ausüben, die anderen, die damit nichts zu tun hatten,
die wollten auf die Dauer eo ipso nichts davon wissen. Und doch erlaube ich mir,
hier auf die Wichtigkeit dieses Gegenstandes hinzuweisen, denn ein jeder von uns
wird in der Folgezeit Patienten mit Folgen nach geleilten Kieferverletzungen
zu behandeln haben, und ich glaube, daß es jeder nachträglich dankbar begrüßen
wird, auch nach dieser Seite hin scin Wissen und Können bereichert zu haben —
Ich glaube, dieses dürften die zwei wichtigsten Punkte sein, die unser Vereins-
leben so beeinträchtigten, daß wir seit April 1916 bis Februar 1918 keine Monats-
versammlungen abhielten. Im Jahre 1918 beriefen wir neuerlich dio Herren zu
Sitzungen ein und versuchten durch einen ständigen Programmpunkt ‚Aus der
Praxis“ alle Mitglieder zur Tätigkeit heranzuziehen, überdies hat ihnen der wissen-
schaftliche Ausschuß in seinem Herbstzirkular ein Programm für die Folge in
Aussieht gestellt, das wohl in jeder Hinsicht geeignet ist, das Interesse zu heben.
— Der, ich mub es konstatieren. auffallende Massenbesuch ist für den Ausschufs
eine Anerkennung Ihrerseits und jedenfalls ein Lohn für jeden Vortragenden und
Demonstrierenden, der gewiß keine Befriedigung darin finden kann, für 4 bis
5 Anwesende seine Mühe aufgewendet zu haben.
Der Verein war am 24. Jänner 1917 vom Verein österreichischer Zahnärzte
za einem Vortrag Dr.Bohrs über die neue Steuernovelle und am 18. März 1917
zu einem Vortrag Prof. Chiaris „Plomben, Zähne und Prothesen in den tieferen
Luftwegen“ geladen, doch war auch an diesen beiden Sitzungen die Beteiligung
von seiten unserer Vereinsmitglieder nur cine mäßige. `
In der Technikerfrage sollte durch Vorlage eines neuen Technikergesetzes
die leidige Frage endgültig gelöst werden. Die Delegierten des Vereines nahmen
an 2 Sitzungen des Zentralverbandes teil, in denen zu der Vorlage Stellung
genommen werden sollte. Die damals schon herrschenden Zustände im Abgeordneten-
hause ließen es als unwahrscheinlich erscheinen, daß diese Vorlage je Gesetz,
zumindest nicht von diesem Abgeordnetenhause crledigt werden dürfte. Der wenige
Tage später erfolgte Umsturz hat auch diese Vorlage wie so viele andere hinweg-
gefegt und die Lösung gehört der Zukunft an.
Die Zahl der ordentlichen Mitglieder ist durch die im Jahre 1915 erfolgte
Aufnahme der Herren Prof. Loos und Weiser auf 75 gestiegen. Im Jahre 1916
verloren wir die Ausschußmitglieder Bunzl, 2. Schriftführer, und Hartwig,
unseren Bibliothekar. Ersterer starb als Kriegsgefangener in russischer Kriegs-
gefangenschaft. letzterer nach langem, qualvollem Leiden. Im vorigen Jahr ver-
loren wir unser ordentliches Mitglied Dr.Schild, der plötzlich aus dem Leben
schied. — Ich bin mir bewußt, im Sinne aller zu sprechen, wenn ich dem Ge-
danken Ausdruck gebe, daß wir diesen pflichttreuen und lieben Kollegen cin dauernd
ehrenvolles Angedenken bewahren wollen. Ausgetreten resp. automatisch infolge
316 Aus Vereinen und Versammlungen.
Nichtbezahlung des Jahresbeitrages ausgeschieden sind 5 ordentliche Mitglieder,
so daß für das Jahr 1918 ein Mitgliederstand von 68 resultiert.
Von unseren Mitgliedern wurde unser Präsident zum außerordentlichen Pro-
fessor ernannt und der Verein feierte diese Auszeichnung in einem gemütlichen
Abend beim „Silbernen Brunnen“.
Unser Ehrenmitglied Reg. Rat Prof. Scheff hat im vorigen Jahre die
Altersgrenze erreicht und mußte vom Lehramte scheiden. Die meisten von uns
dürfte diese Nachricht überrascht haben, da es wohl keinem je einfiel, dem jungen
Scheff seine Jahre nachzurechnen. Die Verdienste, die er sich als Gründer
einer zahnärztlichen Klinik erworben, sind zu bekannt, als daß ich sie hier be-
sonders hervorheben müßte; er war der Lehrer des größten Teiles der Zahnärzte
Österreich-Ungarns. Was er jedoch unserem Vereine war, kann nicht genug betont
werden. Er ermöglichte es uns seinerzeit, unsere Sitzungen von der Bierbank
in die Räume des Universitäts-Instituts in der Türkenstraße zu verlegen und stellte
uns dadurch das gesamte klinische Material zur Verfügung, er gewährte uns in diesen
schönen Räumen, die seine Zähigkeit engherzigem Bürokratismus abgerungen,
neuerdings Gastfreundschaft und förderte unseren Verein mit Rat und Tat in
jeder Hinsicht, so daß es unsere Pflicht ist, ihm neuerdings unseren herzlichsten,
innigsten Dank auszusprechen. In ihm hat der Verein einen guten „Hausgeist“
verloren, möge der neue unserem Vereine ebenso gewogen sein.
M. H.! Ich bin mit meinem Berichte zu Ende und will denselben nicht
schließen, ohne nochmals den innigen Appell an Sie zu richten, jeder nach seinen
Kräften den Ausschuß, den Sie heute wählen werden, in seiner Arbeit zu unter-
stützen; denn nur so ist es möglich, unseren Verein der Höhe zuzuführen.
Der Bericht wird von dem Plenum mit Beifall aufgenommen.
Dr.Friedmann erstattet den Kassabericht, aus dem hervorgeht.
daß das Vereinsvermögen gegenwärtig K 3788.— beträgt; gleichzeitig
schlägt er eine Erhöhung des Jahresbeitrages vor mit Rücksicht auf die
erhöhten Ausgaben und bittet, das Plenum wolle beschließen, daß auf die
rückständigen Mitgliedsbeiträge der im Kriege eingerückt gewesenen Mit-
glieder verzichtet werde.
Zu Revisoren werden Dr.Herz und Dr. Längh bestimmt.
Dr.Spitzer: Ich bin gegen eine Erhöhung, da der Verein keine
Gelder aufzuhäufen braucht. Sollte es einmal nötig sein, größere Summen
zu irgend einem Zwecke zu investieren, dann könne an das Plenum
herangetreten werden und ich bin sicher, daß dann auch das Geld be-
willigt werden wird. Ich halte es für recht und billig, daß die ausständigen
Beiträge der Kriegseingerückten amnestiert werden. (Ängenommen.)
Dr. Längh: Die Kassagebarung ist eine ‘so ausgezeichnete, daß
sogar ein Plus von K 50.— in den Barbeträgen vorhanden ist. — Ich
bitte das Plenum, unserem verdienten Kassier das Absolutorium zu er-
teilen. (Geschieht per acclamationem.)
Dr.Friedmann: Die überschüssigen K 50.— gestatte ich mir als
Spende der Bibliothek zuzuführen. Ä
Prof.Dr.Fleisehmann: Meine Herren! Wir kommen nun zur
Wahl des Ausschusses und zur Aufnahme der neugemeldeten Mitglieder.
Gelegentlich der letzten Ausschußsitzung teilte mir Dr. Friedmann
mit, daß im Verein gegen mich eine Mißstimmung herrsche. Es möge daher
die Wahl des Ausschusses unbeeinflußt durch irgend welche Direktive vor
sich gehen. — Als Skrutatoren bitte ich die Herren Dr. Fehl und Doktor
Reschofsky zu fungieren.
Aus Vereinen und Versammlungen. 317
In den Ausschuß werden gewählt:
Obmann: Prof.Dr. Fleischmann. Obmannstellvertreter: Doktor
Steinschneider. 1.Schriftführer: Dr.Bermann. 2. Schriftführer:
Dr. Berger. 1. Kassier: Dr. Friedmann. 2. Kassier: Dr. Herz-
Fränkl. Bibliothekar: Dr.Sicher. 1. Beisitzer: Dr. Klein. 2.Bei-
sitzer: Dr.Spitzer. Neu aufgenommen die Herren: Dr.Beck, Doktor
Franz Peter, Dr. Pordes, Dr. Schleyen und Dr. Sicher. Prof.
Dr.Fleischmann und Dr.Spitzer widmen der Bibliothek je K 50.—.
Sitzung vom 20. Februar 1919.
Vorsitzender: Prof. Dr.L. Fleischmann.
Schriftführer: Dr.E.Bermann.
Prof.Dr.L. Fleischmann eröffnet die Sitzung und begrüßt die
erschienenen Gäste. Vor Eingehen in die Tagesordnung berichtet er, daß
die Verhandlungen mit den Zahntechnikern weitergehen. Er erinnert daran,
daß in der letzten Sitzung zwei Mitglieder delegiert wurden, die im Verein
mit den Delegierten der anderen zahnärztlichen Vereine verhandeln. Der
Entwurf, der vorgelegt wurde, wurde im wesentlichen angenommen bis auf
einen wichtigen Punkt, der es den Zahntechnikern verwehrt, Extraktionen
vorzunehmen. Auf Grundlage der übrigen Punkte wird weiter verhandelt
und später referiert werden. Die Delegierten werden keine bindenden
Schlüsse fassen, sondern lediglich dem Plenum Vorschläge unterbreiten.
Dr. Paul Berger: Über eine Modifikation der Mamelokschen Inlay-
und Plättchenschiene mit einer historischen Übersicht über die Entwicklung
der a ennEanpatate für lockere Zähne. (In extenso erschienen H.8,
1919, d. Z.)
Prof. Dr. L. Fleischmann dankt dem Vortragenden herzlichst
für seine interessanten Ausfühungen und eröffnet die Diskussion. Ä
Dr. B. Gottlieb: Ich möchte auf einige Punkte des Vortrages
zurückkommen. Herr Dr.Berger gibt Ligaturen um die Zähne, wie es
oft vorgeschlagen wurde, um sie für die Dauer der Behandlung zu im-
mobilisieren ünd die Zähne in einem bestimmten Verhältnis zu erhalten.
Sowohl für die Immobilisierung wie für die weiteren technischen Arbeiten
ist es empfehlenswerter, wie ebenfalls schon vielfach vorgeschlagen, auf
die Zähne Gips zu gießen und ihn hart werden zu lassen. Sind die Zähne
so locker, daß man sie in eine andere Stellung bringen will, so kommt
zuerst die Ligatur und wird dann der Gips darauf gegeben. Es ist besser,
die Stifte um vieles länger stehen zu lassen, um bei der Fixierung der
Plättchen auf Parallelität achten zu können. Daß man von dem Guß-
verfahren abgekommen ist, stimmt nicht. Es gibt Kollegen, die begeisterte
Anhänger vom Gußverfahren sind. Daß beim Stanzen und Löten ein Sich-
werfen der Schiene viel eher erfolgen kann, als wenn die Schiene gegossen
ist, ist selbstverständlich. Es kommt in erster Reihe darauf an, wie die
Schiene gegossen wird. Es ist gut, für jeden Zahn einen Eingußstift zu
schaffen, die wie Radien zum Eingußkanal zusammenlaufen. Wenn die
modellierte Schiene so gegossen wird, so hat man durch die Fixierung
der einzelnen Radien eine große Gewähr, daß sich das Modell nicht ver-
biegt. Durch die Ausdehnung der Schiene auf die Schneidekante bekommen
318 Aus Vereinen und Versammlungen.
wir einen kosmetischen Nachteil. Der Schutz gegen den Kaudruck ist
der Vorteil, den wir dafür eintauschen. Es ist nun zu entscheiden, in
welchem Maße sich diese zwei Momente aufwiegen, und Individalisierung
wird am Platze sein. Als besonderen Grund hat Herr Kollege Berger
angeführt, daß Fälle vorkommen, wo die Schneide abbricht. Bei der Inlay-
schiene ist ein Abbrechen der Frontzähne nicht selten. Bei den Plättchen-
schienen ist das schwer denkbar. Es ist kaum anzunehmen, daß solche
Fälle vorkommen. Fixierung und Alveolarpyorrhoe bildet ein langes
Kapitel, aber keinesfalls ist es richtig, daß in jedem Falle die Eiterung
versiegt. Als Gegenargument für eine solche Behauptung genügt auch
nur ein Fall, den ich demonstrieren kann, in welchem die Zähne fixiert
wurden, und zwar durch ausgedehnte Brücken, und in dem die Eiterung
in einem oberen Eckzahn 10 Jahre angehalten und jeder Therapie Hohn
gesprochen hat. Bei der Fixierung bei Zähnen mit Alveolarpyorrhoe ist
nur ein Moment im Auge zu behalten. Wenn wir die Alveolarpyorrhoe
heilen wollen, so handelt es sich um Körperbestandteile, die eine gewisse
pathologische Beweglichkeit besitzen. Wollen wir in solchen Fällen eine
Therapie einschlagen, so ist es vom medizinischen Standpunkt klar, daß
wir den eiternden Teil fixieren müssen. Bei der Alveolarpyorrhoe müssen
wir also den Zahn fixieren. Wenn wir den Reiz ausgeschaltet haben,
können wir sie heilen. Daß eine Alveolarpyorrhoe, die zur Heilung neigt,
durch ein ständiges Wackeln des Zahnes nicht geheilt wird, ist selbst-
verständlich.
Dr.S.Hecht: Zu den soeben vernommenen Ausführungen erlaube
ich mir zunächst einige Bemerkungen technischer Art zu machen.
Der Vortragende verfährt bei der Konstruktion einer Inlayfixations-
schiene derart, daß er durch das für jeden Zahn modellierte Wachsinlay
einen vorher dem Wurzelkanal angepaßten Stift aus 18er Gold hindurch-
führt, denselben vorstehen läßt und daneben einen zweiten Stift als Ein-
gußstift anbringt. Das Vorstehenlassen des Wurzelstiftes ist nicht zu
empfehlen, denn derselbe würde das Einfließen des Gußgoldes unbedingt
stören, wenn nicht gar die Herstellung des ganzen Goldinlays verhindern,
weil sich das Gußmaterial zweifellos um das vorstehende Wurzelstiftende
ballen würde. Wenn das Inlay aus 22er Gold oder gar aus Feingold ge
gossen wird, ist die Verwendung von 18er Gold für Wurzelstifte aus dem
Grunde gewagt, weil beim Eingießen des höherkaratigen Inlaygoldes der
minderkarätige Stift sehr leicht zusammenschmelzen würde. In prinzipieller
Beziehung sei Folgendes bemerkt: Nach vielfacher und langjähriger Er-
fahrung, die ich mit der Fixation gelockerter Zähne gemacht habe, kam
ich zur Überzeugung, daß als die einzig richtige und zweckmäßige Fixation
nur diejenige anzusehen ist, die mittelst der Inlayschiene ausgeführt
wird. Diese Befestigungsart, die zuerst von Rhein angegeben und nach-
her vielfach modifiziert wurde, ist bei uns meines Wissens zuerst von
Weiser geübt worden. Bei der Bindung lockerer Zähne kommt es
wesentlich darauf an, daß der Bandageapparat so wenig als möglich
voluminös und so wenig als nur angängig die Oberfläche der Zähne
bedeckt, sondern in die Zähne versenkt. wird. Diese beiden Momente stehen
nämlich in engem Zusammenhange mit der Haltbarkeit des Apparates
bzw. der Vorschubleistung der Entstehung der sekundären Karies. Während
all die heute wohl schon als abgetan zu betrachtenden Ganz- und Halb-
Aus Vereinen und Versammlungen. 319
ring- und oberflächlich liegenden Schienenbefestigungen infolge ihrer
mechanischen Konstruktion und der Funktion der Zähne nach Auflösen
des Zementes die idealsten Schlupfwinkel für Speisereste und deren Zer-
setzungspunkte abgeben, ist das exakt gearbeitete Inlay eine Zahnfüllung
und als solche nur den Haltbarkeitsgesetzen der Füllungen überhaupt
unterworfen. Und da das Inlay außerdem, sei es mittelst des durch das-
selbe in den Wurzelkanal reichenden Stiftes, sei es mittelst des von ihm
selbst in die Wurzel fortlaufenden Gußzapfens den Zahn in seiner Längs-
achse mehr oder weniger tief durchmißt, bietet es dem gelockerten Zahn
eine Stütze, wie sie von keiner anderen Vorrichtung übertroffen wird,
Die Plättchenschiene steht: der Inlayschiene weit nach. Wohl ist sie
auch mit Wurzelstiften versehen, aber da sie erstens einen mehr oder minder
großen Teil der Zahnoberfläche deckt, zweitens nicht im Zahnkörper als
Ganzes versenkt, sondern mehr oberflächlich liegt, erreicht sie einerseits
lange nicht die Solidität des Inlays und begünstigt andrerseits die Ent-
stehung von Karies. Ich bin jedoch trotz der relativ großen Vorzüge
der Inlayschiene anderen Schienenarten gegenüber weit davon entfernt,
dieselbe’ etwa als Ideal eines Befestigungsapparates hinzustellen. Es haften
ihr, mag sie noch so sorgfältig und einwandfrei gearbeitet sein, diejenigen
Mängel an, welche jeder festsitzenden, d.h. für den Arzt nicht ohne weiteres
entfernbaren Brückenprothese eigen sind. Für die Schienung mittelst der
Inlayschienen kommen bekanntlich hauptsächlich die. gelockerten sechs
Frontzähne sowohl des Ober- wie Unterkiefers in Betracht. Für die seit-
lichen und die Mahlzähne soll diese Art von Bandage, weil unzweckmäßig,
nicht verwendet werden.
Haben wir nun mit einem ganz enormen Aufwand an Zeit und Geduld
eine solche Vorrichtung fertiggestellt und in die Zähne versenkt, so
drängt sich mit geradezu gebieterischer Notwendigkeit die Frage auf:
Was ist zu machen, wenn eines der Inlays sich lockert? Diese Frage
finde ich sonderbarerweise in keiner von den einschlägigen Abhandlungen
auch nur gestreift. Es hat fast den Anschein, als wichen solche Arbeiten
dieser Frage mit einer gewissen Scheu aus. Ist der ganze Apparat locker,
was eben — so weit wenigstens meine eigene Erfahrung reicht — fast nie”
der Fall ist, dann hat die W iedergutmachung des Schadens weiter keine
Schw ierigkeit. Es bleibt in einem solchen Falle nichts anderes übrig, als
die ganze Schiene herauszubohren. Hiermit ist aber meistens das Schicksal
des ganzen Verfahrens besiegelt. Man kann den aufgebohrten und in dem
überwiegenden Prozentsatz der Fälle geschwächten Zähnen keine zweite
Schiene mehr zumuten. Es bleibt daher — die Zustimmung des Behandelten
vorausgesetzt — nichts anderes übrig, als entweder alle lockeren Zähne
zu entfernen und unter Benützung der etwa noch festeitzenden Zähne als
Brückenpfeiler, eine Brückenprothese anzufertigen oder aber, wenn man
alle noch konservierbaren Wurzeln behalten will, auf dieselben Richmond-
kronen aufzusetzen und sie zu einem Ganzen zu vereinigen. Unter diesem
Gesichtswinkel betrachtet, steht der vielgeprüfte Praktiker vor Inangriff-
nahme einer Befestigung lockerer Zähne vor einem Dilemma: Schiene
oder Decapitatio der Kronen von Haus aus. Ich persönlich schreite, die
Einwilligung des Patienten vorausgesetzt, so radikal diese Methode vielen
auch scheinen mag, ohne Bedenken zur Abtragung der Kronen und An-
fertigung eines Ersatzes, der entweder aus miteinander verbundenen
320 Aus Vereinen und Versammlungen.
Richmondkronen oder aber einer wirklichen Brücke besteht. Ich halte es
mit Bruhn, der den Wert der Wurzel mit vollem Rechte viel höher
stellt als denjenigen der Krone. Eine Krone kann ich ersetzen, eine durch
unzweckmäßige vorhergegangene Verwendung unbrauchbar gewordene
Wurzel aber keinesfalls.
Somit. wäre ich auch bei demjenigen Punkte angelangt, der vielfach
die Kontraindikation für die Verwendung einer festsitzenden Schiene abgibt.
Bislang ist es uns leider nicht: gelungen, eine abnehmbare Schiene
zu konstruieren. Theoretisch hat diese Frage Luniatschek wohl
schon vor Jahren gelöst, indem er in die Wurzeln mit einem Gewinde
versehene Hülsen einzuführen und dieselben mit der Schiene mittelst
Schraubenspindel zu befestigen empfiehlt. Praktisch ist jedoch diese
Methode schon aus rein anatomischen Gründen in den allerseltensten Fällen
durchführbar. Die Wurzeln der oberen seitlichen Inzisivi sind nur äußerst
selten und die der vier unteren nahezu nie stark genug, um eine Erweite-
rung des Kanals bis zu jenem Durchmesser zu gestatten, um eine von
ihm angegebene Schraubenhülse aufzunehmen.
Vor der Verbindung einer Inlayschiene mit festsitzenden Hülsen-
kronen für die Biskuspidaten, wie sie uns an dem oben demonstrierten
Patienten vorgeführt wurde, ist nicht eindringlich genug zu warnen.
Was nun die günstige Beeinflussung der Pyorrhoe durch Fixation
der betroffenen Zähne betrifft, habe ich im allgemeinen mit der Fixation
gute Erfahrungen gemacht. Allerdings wende ich der chirurgischen
Therapie derselben meine ganze Aufmerksamkeit zu.
Ob die Alveolarpyorrhoe durch die Extraktion der Pulpa günstig
beeinflußt wird, ist wohl eine vor Jahren aufgestellte Hypothese, aber
noch keineswegs erwiesene Tatsache.
Dr. Maximilian Pick: Ich möchte nur fragen, wie sich Kollege
Berger vorstellt, daß durch seine Modifikation der Plättchen- bzw.
Inlayschiene der Kaudruck in der vertikalen Richtung gemildert wird.
Nach meiner Anschauung verbindet die Schiene die in Betracht kommenden
-Zähne zu einem starren System und es ist für die Verteilung des Kau-
druckes resp. dessen Einwirkung auf einzelne Zähne (Wurzeln) gleich-
gültig, ob die Schiene über die Kaukante geführt wird oder nicht. Die
Modifikation hat nur den Vorteil, daß sie die Kaukanten vom Absprengen
durch den Kauakt schützt.
Prof.Dr.L.Fleischmann: Ich möchte nur einiges über die In-
dikationsstellung für die Anfertigung einer Schiene sagen. Es ist das
Glück der Schienenbehandlung, daß der Mund, der zur Alveolarpyorrhoe
neigt, im allgemeinen wenig Disposition zur Karies zeigt. Wo Tendenz
zur Karies vorhanden ist, muß von Schienen abgesehen werden. Auch
bloßliegenden Zahnhälsen ist die Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ehe man
eine Schiene anfertigt, muß man konstatieren, ob das Dentin daselbst
eine Erweichung zeigt. Wenn das Dentin irgendwie zur Halskaries neigt,
so ist keine Schiene indiziert und es bleibt als Therapie der Wahl nur
die Krönung, wobei bei gelockerten Zähnen das Kollar sehr tief unter
das Zahnfleisch geschoben werden kann, ohne Reizerscheinungen hervor-
zurufen. Eine weitere Kontraindikation kann in dem Zustand der Wurzel-
spitzen gelegen sein. Ich habe seinerzeit einen Fall publiziert, wo es im
Aus Vereinen und Versammlungen. 321
Verlaufe einer Pyorrhoe zur vollständigen Resorption einer Wurzel ge-
kommen ist. Vor kurzer Zeit sah ich einen Fall, wo die oberen Front-
zähne durch eine Inlayschiene fixiert worden waren; es bestand eine solche
Lockerung, daß man alle sechs Zähne mit den Fingern herausnehmen
konnte. Bei allen Zähnen war eine starke Resorption der Wurzel zu
konstatieren, an zwei Zähnen fehlte die Wurzel zur Hälfte, bei den vier
Schneidezähnen ging die Resorption jedenfalls über die Wurzelspitze hinaus.
Da gelockerte Zähne nur mit dem Spitzenteil der Wurzel samt der Alveole
durch das Periodontium in ungestörter Verbindung stehen, hört bei Re-
sorption dieses Teiles jegliche Verbindung zwischen Zahn und Alveole
auf. Ich meine deswegen, daß man sich durch Röntgenaufnahme vom Zu-
stande der Alveole und der Wurzel überzeugen soll, ehe man eine Schiene
anfertigt. Wenn man Zähne befestigen will, die keine Alveolarfortsätze
oder die resorbierte Wurzeln haben, so wird man Mißerfolge erzielen. Ich
will noch auf ein technisches Detail hinweisen. Der Vortragende empfahl
0,35 mm starkes Goldblech zur Schiene. Das ist wohl etwas zu dick, um
exakt gestanzt werden zu können. Ich lasse zuerst eine Lage Feingold
-von 0,1, die den Zähnen anliegt, stanzen, dann eine Lotschichte von 0,1
Dicke und dann eine 0,15—0,20 dicke Schicht 22er Gold, die dann verlötet
werden. Auf diese Weise. bekommt man eine exakt sitzende Schiene.
Dr. P. Berger (Schlußwort): Es ist für mich die Feststellung
wichtig, daß ich die Fixationsschiene nicht als Heilmittel der Alveolar-
pyorrhoe ansehe. — Ich wundere mich, daß mich Kollege Gottlieb
dahin mißverstanden hat. Wenn ich behauptete, daß ein Patient für den
Zahnarzt nicht erledigt ist, sobald er die Schiene hat, so beweist das
genug. Ich will Herrn Prof. Fleischmann danken für die Anregung
zur Untersuchung des Dentins. Ich möchte zur Verbreitung der Schiene
nur sagen, daß die Fälle des Mißlingens gering sind. Meine Erfahrungen
in dieser Hinsicht decken sich mit denen Mamloks, der auch noch
keinen schlechten Endausgang gesehen hat. Wenn es zur Resorption der
Wurzel kommt, kann man nichts dagegen tun, aber weil es einmal zur
‚Resorption kommt, deshalb die Schiene nicht anfertigen, würde ich als
Verschulden ansehen. Ich habe erwähnt, daß ich kein neues Verfahren
anführe, mir hat es sich heute darum gehandelt, hier auszuführen, daß
ich es für dringend notwendig erachte, die Schneide der Zähne dem Gegen-
biß gegenüber zu schützen. Sie haben gesehen, daß eine Schiene des
Schutzes der Schneide nicht entbehren kann. Der ganze Druck legt sich
nach vorne. Ich nehme an, daß bald die Schneide abspringen würde, wenn
eie nicht durch einen Kantenschutz geschützt wäre.
Über die von Gottlieb weiter angeführten Hilfsmittel bei der
Herstellung der Schiene erlaube ich mir zu bemerken, daß ich nur eine
Modifikation der Mamlokschen Schiene angegeben habe, muß aber,
was die Ausführung der Arbeit betrifft, auf die eo vorzügliche Original-
arbeit Mamloks verweisen.
Was das Gußverfahren betrifft, so habe ich gesagt, daß das Guß-
verfahren auch von mir geübt wird, bei Plättchenschienen hat sich das
Gußverfahren aber nicht bewährt. Ich habe bereits widerlegt, daß die
Alveolarpyorrhoe nicht durch Schienenbehandlung geheilt wird.
322 Aus Vereinen und Versammlungen.
Was Kollege Hecht meint, daß es gefährlich ist, eine Krone mit
Plättchenschiene zu verbinden, so bin ich der Ansicht, daß die Annahme,
daß sich eine Krone loslöst oder der Zahn unter der Krone schlecht wird,
zu jenen Zufallserscheinungen gehört, die doch nicht hemmend auf die
Ausführung einer solchen Arbeit wirken dürfen.
Sitzung vom 20. März 1919.
Vorsitzender: Dr. E. Steinschneider, dann Prof. Dr. L. Fleisch-
on.
Schriftführer: Dr.E Bermann.
Dr.E.Steinsehneider verliest einen’ Brief der Wirtschaftlichen
Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs, der zum Beitritt einlädt,
und legt den Kollegen nahe, die Bestrebungen der Wirtschaftlichen Or-
ganisatioù zu unterstützen.
Vor Eingehen in die Tagesordnung demonstriert Dr. F. Pordes
zwei Fälle von schwerer Veränderung des Kiefergelenkköpfchens, die als
Arthritis deformans anzusprechen sind, im Röntgenbilde. Veränderungen
dieser Art im Profil des Kieferköpfehens waren mit den bisher üblichen
Aufnahmemethoden graphisch nicht darzustellen. Ihre Darstellung ist ihm
mit Hilfe seiner Spezialaufnahme des Kiefergelenks in rein ftontaler Rich-
tung durch die kontralaterale Incisura semilunaris gelungen.
Weiterhin zeigt Redner einen Fall von einer den ganzen horizontalen
Unterkieferast einnehmenden Zyste und einen unteren Eckzahn mit zwei
Wurzeln. Letzteres Röntgenbild ist dadurch bemerkenswert, daß man nach
einem im Kronen- und Halsteil gemeinsam verlaufenden Wurzelkanal
etwa in der Höhe des Limbus alveolaris eine deutliche Bifurkation der
Kanäle wahrzunehmen vermag.
Dr. E.Steinschneider dankt für die interessante Demonstration
und bittet Herrn Dr.Schreier, seinen Vortrag zu halten.
Dr. E. Schreier: Bemerkungen zu Dr. Gottliebs Referat:
Über den gegenwärtigen Stand der Wurzelbehandlung.
Aussprache auf die nächste Sitzung verschoben.
Prof. Dr. L.Fleischmann bittet Herrn Dr.Sicher, seinen an-
gekündigten Vortrag zu halten.
Dr. fAl.Sicher: Anatomische Grundlagen der Leitungsanästhesie am
Unterkiefer. (In extenso erschienen H.7, 1919.)
Prof.Dr.L.Fleisehmann: Ich danke Herrn Kollegen Sicher
für seine geistreichen Ausführungen und für seinen Vortrag, in dem er
uns mit den Resultaten seiner Forschungen bekanntgemacht hat. Ich
glaube von der Eröffnung einer Diskussion absehen zu können, da Herr
Dr.Sieher für uns ganz neue Dinge gebracht hat, denen niemand von
ns etwas hinzufügen könnte. Ich danke Herrn Dr. Sicher nochmals
estens.
m a
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 323
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
Reorganisation des Zentralverbandes der österreichisehen Stomatelogen.
Am 7.und 8. Dezember fand die 17. ordentliche Verbandsversamm-
lung unter überaus zahlreicher Beteiligung statt. Über den wissenschaft-
lichen Teil derselben sowie über die Geschäftssitzung wird ein ausführ-
licher Bericht in den nächsten Heften veröffentlicht. Aus der letzteren
sei nur berichtet, daß die geplante Reorganisation des Verbandes durch
die Annahme der von allen beteiligten Vereinen beratenen und gut-
geheißenen Statuten zur Tat geworden ist. Der Zentralverband hat daher
in seiner jetzigen Form zu bestehen aufgehört und der Ausschuß wird
die Geschäfte so lange leiten, bis aus der Mitte der von den Vereineu
zu en Delegierten gemäß den neuen Statuten ein Vorstand ge-
wählt wird.
Verhandlungen in der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage.
Im letzten Hefte (Nr. 11) hatten wir berichtet, daß die Besprechungen
zwischen Zahnärzten und Zahntechnikermeistern zu einem positiven Er-
gebnis geführt habe, dem aber die Gehilfenschaft noch nicht zugestimmt
hätte. Nach dem Beschlusse beider Parteien hätte das Ergebnis unter-
fertigt dem Staatsamte für Volksgesundheit überreicht werden sollen. Der
Zentralärzterat nahm die Einigung zwischen Zahnärzten und Zahn-
technikermeistern,zur Kenntnis, gestattete aber die Überreichung des unter-
fertigten Protokolls und des einverständlich geänderten Gesetzentwurfes
1917 nicht früher, als bis die Gehilfenschaft den Abmachungen beigepflichtet
und das Protokoll mitunterfertigt hätte. Neuerliche Verhandlungen führten
nun dazu, daß am 20. November d.J.die Gehilfenschaft die getroffenen
Vereinbarungen auch annahm und ihre gewählten Vertreter das Protokoll
unterfertigten, die auch die Erklärung abgaben, gemeinsam mit den Ver-
tretern der Zahnärzte und konzessionierten Zahntechniker bei den Par-
teien der Nationalversammlung vorsprechen zu wollen, auf daß an den
getroffenen Vereinbarungen seitens der Nationalversammlung nichts mehr
geändert werde. Nachdem so das letzte Hindernis beseitigt war, stand der
Überreichung der Vereinbarungen an das Staatsamt. für Volksgesundheit
nichts mehr im Wege.
Und so wurde denn am 29. November d. J. das von allen Beteiligten
unterfertigte Protokoll samt dem den Wünschen der Zahnärzte und Zahn-
techniker angepaßten Gesetzentwurfe von Dr. Richard Breuer als Ver-
treter der Zahnärzte, dem Genossenschaftsvorsteher A.Bulin und dem
Zentralobmann des Verbandes der Gehilfen R. Bambas deputativ im
Volksgesundheitsamte überreicht. Hoffen wir, daß von den beteiligten
Staatsämtern der Entwurf ehebaldigst ausgearbeitet und von der Re-
gierung der Nationalversammlung noch in diesem Jahre vorgelegt werde.
Das Staatsamt für Volksgesundheit nahm auch den Wunsch entgegen, daß
gleichzeitig in einer Verordnung die Führung des Titels „Zahnarzt“ und
der Betrieb der Zahntechnik durch Ärzte geregelt werde. R.B.
324 Kleine Mitteilungen. — Personalien.
Kleine Mitteilungen.
(Errichtung einer Schulzahnklinik in Wien.) Der Wiener Stadtrat
hat beschlossen, in der Quellenstraße im 10. Bezirk eine Schulzahnklinik
einzurichten. Die Klinik, deren Einrichtung rund 71.000 Kronen kostet,
on auch von den Kindern des angrenzenden 11. Bezirkes benützt werden
önnen.
Personalien.
(Todesfall.) Am 21. November d. J. ist in Zollikon-Zürich der be-
kannte Zahnarzt Dr. Paul de Ferra im 69. Lebensjahre plötzlich einem
Herzschlag erlegen. Die Zahnheilkunde betrauert in ihm einen Mann, der
sich neben der. Veröffentlichung einer Reihe wissenschaftlicher Arbeiten
durch die Herausgabe des Index stomatologicus, einer fort-
laufenden internationalen systematischen Literaturübersicht und des
Vademecum anatomicum, eines kritisch-etymologischen Wörter-
buches der systematischen Anatomie, einen in der ganzen Welt bekannten
Namen erworben hat.
l (Ehrung.) Die medizinische Fakultät der Universität in Greifswald
hat den Leiter des dortigen zahnärztlichen Instituts ‚Prof. Dr. Adloff
zum Doktor der Zahnheilkunde ehrenhalber ernannt.
(Auszeiehnung.) Dem um die wissenschaftliche und praktische Zahn-
heilkunde verdienten Zahnarzt H.J.Mamlok in Berlin wurde der: Titel
eines Professors verliehen.
(Habilitierung.) Dr.P.Kranz hat sich an der medizinischen Fakul-
tät in Frankfurt a.M. als Dozent für Zahnheilkunde habilitiert.
— 199-4: ——
Zur gefälligen Beachtung! Mit Rücksicht auf die mit Jahresbeginn neuerlich
steigenden Herstellungskosten sehen wir uns leider gezwungen, den Bezugspreis
der „Stomatologie“ pro 1920 für sämtliche Interessenten entsprechend zu
erhöhen. .
Wir bitten unsere geschätzten Bezieher, von dieser unausweichlichen Er-
höhung freundlichst Kenntnis nehmen zu wollen, und hoffen, daß dieselben, den
ungünstigen Zeitverhältissen Rechnung tragend, auch fernerhin ihrem Verbands-
organe treu bleiben werden.
Der Preis für das Abonnement wird K 20 für das I. Vierteljahr betragen.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider.
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Münzgasse 6.
Inhaltsverzeichnis.
Originalarbeiten.
Seite
Audloff: Pulpaamputation oder Pulpaexstirpation? . . 22H nenne. 18
— Schlußbemerkung . . . . . u E : j ; = 128
Berger: Cher eine Modifikation der Mamlok She Inlav- ad Plnttchenschieng
mit einem Überblick über die historische Entwicklung der Befestigungs-
apparate für loekere Zähne .... poi k er e e aae a A
Frey: Biv ulung nach mundehirurgisehen Haih T 239
“ottlieh: Die Waurzelbehandlnng mit besonderer Berhrksichtifung 1 Anke
EIS SE eg le . e. e. o e a E E E E 1
— Eirwiderung auf den Artikel R exse Rilke g über Pulpaamputation . . 17
— Ersiderung auf den Artikel Adloffs: Pulpaamputation oder Pulpaex-
STIITRELIDI a En ch Aue ben a DDR ar a E Aa ee can 62
— Kine weitere Bemerknnsen zur W ezebe adini 2: Be le ee
Heıhr ii: 3.» Darstellung des Kieferrelenkes dureh das Röntgenbild . EBENEN.
— Sen össantwort auf die Erwiderung von Dr. Pordes . 2... len
Kiein \osander: Zur Pathologie und Therapie der Blutungen aus der Nina.
l EN a a ee le a a R A ae ls
Koucuelher: Weitere Bemerkungen zur Verwendung I gi aigen Novocain-
Soprgecinlösung in der Zahnehirurgie 2 2 2 2 2 2 nn een. 107
— Ar: nt auf die Polemik Dr. Siehers: „Weitere Bemerkungen zur Ver-
wendnug der $° igen Novoeain-Suprareninlösung 2 2 222222. . 251
Koech- ac eentreu: Berieht über die kieferehirureische Tätigkeit des zahn-
ar: geben Universitätsisstitutes Graz 1914—1918. 2.202022. 22
Mesing: Uber die antiseptische Drainage der Pulpakanäle . ... . .. . 307
Müller: Bemerkungen zum Thema Wurzelbehandlung nnd Wurzelfülung . . 129
Peter: Interessante Fälle ans der Praxis. oo 2 2 om onen. BB
= Uber einen Fall „Adamantinoma eystieum Hesse“ . . 2 2 2 2 220.20..79
— Über den heutigen Stand der Rhodanfrage 2... 2 2 nn nn T
- beitrae zur Topographie des N. mentalis 2. 2 2 2 2 2 nn nn nn. WBB,
Pordes: Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kida
Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre . ..... . . 38
- Zannarztlheh-röntgenolovische Betrachtungen zur W innelbehäudlaneetrire 213
— FErwiderung auf die Arbeit Herbers über die Darstellung des Kieferge-
leukes dureh das Rönteenbild . . 2 oo nn. DTB
IV Inhaltsverzeichnis.
Seite
Pordes: Epilog zur Schlußantwort Herbers . . . . . 284
Reschofsky : Über Pulpaamputation. Ein Epilog zur V A TO v ereines
Wiener Zahnärzte vom 21. November 1918 . . .. aaa... M4
— Prinzipien der Zahnheilung . .. ... 222.0. U En ur ee
Schreier: Schlußwort zur Frage der Wurzelbehandlung . . . . .. . . . . 23
Sicher: Die Leitungsanästhesie am Nervus buceinatorius.. . . . 57
— Die anatemischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesi a am Nerii
alveolaris inferior. . . . . 149
— Zur Anatonfie und Technik dér Injektion, an dek Sami dé: IL pa
IIl. Trigeminusastes . . . . . . 159
— Bemerkungen zur Verwendune Aa 4 ‚igen Noroeain-Suprareniklosung
in der Zahnchirürgie’ . .. 12. & wen so 8 2 2 are 244
— Nochmals über die Auwendaue der dökigen Novoe Suparentallsung: 257
Steinschneider und Pordes: Kinnfistel und kommunizierende paradentare
und periapikale Resorptionshöhlen — Traumaspätfolge ? Ein kasuistischer
Beitrag zur zahnärztlichen und röntgenologischen Diagnostik . . . . . 60
Weiser: Antrittsvorlesung. Das zahnärztliche Universitätsinstitut in Wien, seine
Aufgaben und die Lehrkräfte, welche sie lösen sollen . . ......297
Winke für die Praxis.
Berger: Gesundbeitsschädliches Nägelbeißen . . .... ne AI
Borschke: Zur Verankerung von Amalgamkonturfüllungen ae ne ee 175
— Einige Behelfe für die zahnärztliche Praxis . . . 2... 2 2 22 ne.. 203
Frey: Verwendung von Laminaria in der Yahnheilkunde . Be A ae 258
— Behandlung tiefkariöser Molaren mit lebender Pulpa . . ....... 228
Kränzl: Zur Herstellung von Amalgamkronen . .. oe i
Keschofsky: Anschmiegen verbogener, oberer Kantachnkplatten re eh 49
— Unterfütterung unterer Platten. -. . . 2.222 a.’ ce ee A
Sicher: Zur Technik der Leitungsanästhesie am Foramen mandibulere und
Foramen infraorbitale . . . . . 2... ae a EEE in 18
Steinschneider? Repetitorium der Brückentechnik . . . 63, 83, 114. 131, 310
Referate und Bücherbesprechungen.
(* Bücher.)
Adam: Zahn und Augenleiden .. . 88
Adams: Über die Stellung des Obres chlas a zur ‚Schädelbasis Bein Kinde dad
beim Erwachsenen unter Berücksichtigung der Rassenprognathie.. . . . 259
Adloff: Der Bacillus fusiformis, ein Erreger der Gangrän der Zahnpulpa . . 292
Angle: Some new formes of orthodontic mechanism and the reasons for their
introduction (Einige neue!Formen orthodontischer Apparate und die Gründe
für ihre Einführung). . . : >: Co onen 52
"Deutsch: Anleitung zur Feststellung der Erwerlsseinbuße bei Kriegsbe-
Schädigten; e 5: arr wa un ee ee 86
»
Inhaltsverzeichnis. V
Seite
Dirks: Fugenlose Kronen. . . EE E | i
“Feiler: Leitfaden für den Ehaitonikin dei konkerniktenien Zahnheilkunde 117
Fischer: Die Behandlung erkrankter Oberkieferhöhlen . . . . . 260
Greve: Die chronische superfizielle Glossitis (Mölleri) — eine Reilesheniose 177
“Guttmann: Die Syphilis mit besonderer Berücksichtigung ihrer Erscheinungen
im Munde . .... IE a a Dot ae a Er u RE a a
— Medizinische erminleieh NEU AT AU: ore aue ee ae ed
Gysi: Der Wert der seitlichen Kaubewegungen . . 3-2 222.02. . 8312
Holzkuecht: köntrenoloeie . . . re ae ee 206
Kantorowiez: Zur Klinik der email Akeinankole an . 26
"Die Zukunft der Zahnheilkunde und die zahnärztliche Samorin des
‘deutschen Volkes. . . . . . 290
Kappis: Zur Deckung von ssuimendefekten mit PENT Halshantieppen . 69
Kautt: Über die Behandlung alter Knochenfißteln nach Schußverletzungen . . 24
"Klopstoek und Kowarski: Praktikum der klinischen, chemischen, mikro-
skopischen und bakteriologischen Untersuchungsmethoden . . . . ... 21
Kranz: Zur l’athozenese, Pathologie und Therapie der Alveolarpyorrhöe . . ..233
kron: Verletzung des Nervus lingualis in der Mundhöhle . ... . . 8
Kühns: Über Gefäßverletzungen bei Lokalanästhesie im Gebiete der Mundhöhle 23
*Lenhardtson-Schmidt: Vorschlag zur Regelung der Schulzahnpflege in
Schweden JH. 8 sn ad ee, ee e at
Lesser und Witkowski: Spirochätenbefunde und Salvarsan bei Alveolar-
pvorrhoe. . . . . 26
"Neumann: Zahnärztlich- teehiniäche Propädeutik für Studierende, ie Zahn:
heilkunde . . . 290
"Parreidt: Handbuch det Zalinersatzkund: niit Einse hinß der Technik de:
Kiefer-. Gaumen- und Nasenersatzes . . 2.2 nn nenne. 176
Pfeiffer: Zum Krankheitsbilde des Skorbuts . . . . . E ae
Schoenlank: Verhornungsprozesse am Zahnfleisch des Menschen. rn a anag
Schröder: Über wichtige und strittige Punkte der modernen Kieferbruchbe-
handlung . ... E U re ee eo]
— und Moral: Über gbeni Zähne . EEE 88
Seidel: Die Beziehungen der Spirochäten und der Salsırsanhern apie zu ai Caka
alveolaris und anderen Erkrankungen des Mundes . . ...... . . B3
Soerensen und Warnekross: Chirurg und Zahnarzt . . ....... -6
Sımon: Gnathostatik. Neue vr der orthodontischen N ©.. 204
Struck: Resectio apicis . .. kouee a en a a a zn O
— Okzipitalneurose infolge von Alstolamsorckoe k aoit 87
Türkheim: Vorschläge für eine einheitliche BEZELCHUNNE der Zähne ind ihrer
Tele ..... ee 22
Walkhoff: hontramdikationen hei Anwen dunk der Nenk anaibolira ee. 7;
Wustrow: Weiteres zur Theorie über die Ursachen der Kieferverunstaltung
des „hohen Graumens“ . . . . eo 22
— Über die ebirurgisch- bakterioloriäche Theorie der Ww iteelhehendiunr ne 2
Yí Inhaltsverzeichnis.
Seite
Zeller: Zur Verankerung künstlicher Gebisse im zahnlosen Ober- und Unter-
kiefer. Kin neues Opcrationsverfahren. . . . De er e G
Schweizer Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde: 1.705 © 1
Zahnärztliches Institut der Universität in Wien.
Wiederbesetzung der Lehrkanzel . . 2. 2 rn nn nen tn. TH
Aus Vereinen und Versammlungen
Zentralverband der österr. Stomatologen:
Ausschußsitzungen - 2 2 2 2 on Ener 13208
Tätirkeitsbericht: . 2-2 22.48 = 2.0.88 2% Sa Dem
Einladung zur Jahresversammlung ®. 2.2 oo on oo DIR
Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs:
Mitteilung an die Mitglieder . ea ee ae ee Adi a Zar dr aa
Vorstandssitzungen . . S ab de ee ee A ee re II Ta a
Generalversanımlune 2220 Be ae D
Verein österreichischer Zahnärzte:
Ordentliche Monatsversammlune . 22 2 2 nenn. 27, 208, 261. 293. B13
Verein Wiener Zahnärzte:
Hauptversammlung 42.208 4 we Kia d
Ordentliche Monatsversammilunsen 2. 2 2 2 2 202. 22, 70. 178, 211, 317. 322
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten.
E. P.: Was nun”... E ers ee rar
S. F.: Verhandlungen in de TATEN Zahntechnikerfrage . ee e e e 2A
R. B.: Verhandlungen in der Zahnärzte-Zahntechnikerfraee . 2.2.0... RT 124
kränzl: Zur Frage der Reorganisation des Zentralverbandes der osterr. Stoina-
toloren . .. ; BE ee ee
Parreidt: Folie Dee tion o. ea ee E ge ee T
Stark: Über die Gründung einer Zentraltee hnik La ua a Sr date Sa A
Redaktionelle Artikel: Doktor der Zahnheilknnde . . 2 aaa‘ L IR]
Verstaatlichung des Ärztestandes . ... a ee ee
Mitteilungen: Anfnahmen in das ahnlich Taste der Universität in
Yor ere ee ee re oh
Bestimmungen über die Verleihung der Würde eines Doktors der Zahn-
herlknade 1 Pienben: a. ee ee ee Dei
Kinkaufszentiale und Zahvtechnik . . . . .. ; | 202
Kompromibyerhandlungen zwischen Zahnärzten an: Yale PIR eoe G
Militärische Zahnambulatorien . .. an et Ba nr a
Reorganisation des Zentialverbandes ie ENNE hon NEE 1.5323
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