Skip to main content

Full text of "Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 16.1918-17.1919"

See other formats


PAGE NOT 
AVALLABLE 








Ii 


P” 
£ 








m m 6 




















BIOMEDICAL LIBRARY 


Österreichische Zeitschrift 


STOMATOLOGIE 


Organ 


für diewissenschaftlichen und Standes-Interessen der Zahnärzte Österreichs. 


Herausgegeben vom 
Zentralverband der österreichischen Stomatologen. 
.- .t..Redigiert von 


Dr. Emil Steinschneider 


in Wien. 


A 
/ 
XVI. Jahrgang. 
1918, - 19 


URBAN & SCHWARZENBERG 


WIEN BERLIN 
I, MAXIMILIANSTRASSE 4 N., FRIEDRICHSTRASSE 105% 
1918. 


KT 


Alle Rechte vorbehalten. 


3 


Inhaltsverzeichnis. 


- Originalarbeiten. 
. Seite 
Berger: Einige Beiträge zur Frage der schmerzlosen Zahnbehandlung . . . . 172 
Cohen de Jonge: Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen 
Dimensionen der Zähne des menschlichen Gebisses . . - - .». . 2... 1 
— Ein Beitrag zu der Morphogenese des „Dens in dente“ . ....... 229 
Frey: Dpr Schußkanalbestimmer. (Ein Hilfsmittel zur Feststellung der topo- 
graphischen Lage des Schußkanals bei Kieferschüssen) . . . .» ... . 7 
— Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß mit besonderer Berücksichtigung 
der nervösen Störungen . . 2: 2m nr e 65, 97 
— Lochschußfrakturen des Unterkiefer . . . 2:2 nn nn nen 161 
— Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers . . . .. . . .. . -258 
Nicklas: Beitrag zur Behandlung putrider Wurzelkanäle. . . .. nau. 193 
Pichler: Unterkieferresektion wegen Progenie. .. .. o 2222.00. 190 


Pordes: Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Unter- 
kiefer. Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre 205, 235, 269, 293 
Weiser: Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 23, 40, 
85, 113, 133 

— und Pordes: Ein Fall von isolierter Nekrose und Sequestration der 
Alveole eines kleinen Schneidezahnes in geschlossener Zabnreihe . . . 185 
Zilz: Skorbut im Kriege . 2: 22 onen 33 

— Kritische Bemerkungen zur Veröffentlichung von Duchange: „Uber die 
zweizeitige Behandlungsmethode der Kieferbrüche® . . . . . 2... . 129 


Referate und Bücherbesprechungen. 
(* Bücher ) 
Adams: Über Geschlechtsunterschiede. im Bereiche des menschlichen Gesichts- 
BCHAGEIB: 2.0. 5, u ra a Be ee er ee Wo € 227 


Baracz: Zur Frage der Desinfektion der Hände mit besonderer Berücksichtigung 
der Kriegschirurgie . . 2: 2: 2 a a a a a . 266 


IV Inhaltsverzeichnis. 


Seite 
Bolk: Die Beziehung zwischen Reptilien-, Beutler- und Planzentaliergebiß ,. . 156 
— Die überzähligen oberen Incisivi des Menschen. . . . . 2. 2 2 22.0. 184 
Bühler und Heer: Beziebungen zwischen Zahnkaries und relativer Azidität 
des Speichels und des Harnes . . . 2.2: KK Ko rn. 125 
Chiari: Zähne, Zabnfüllungen und Prothesen in den tiefen. Luft- und Speise- 
WERBEN s Annan A er Een, ee E A A 291 
Gohen de Jonge: Die Kronenstruktur der unteren Prämolaren und Molaren. 
Inaugural-Dissertation . . 2 2 2 0 Co mn nn 124 
— _ Die Morphogenese der oberen Prämolaren . . . . 2.22 222220. 312 
Comte: Sechs Wochen Studium an der Klinik für Mundchirurgie des Militär- 
spitals Val-de-Grâce in Paris. . 2. CC Lo ron 181 
Ertl: Die Chirurgie der Gesichts- und Kieferdefekte Mit Anhang: Zahnärzt- 
liche 'Schienensysteme. . . . 4» #2... 2 a 0 we dere 246 
Esser: Neue Wege für die chirurgischen Plastiken durch Heranziehung der 
zahnärztlichen Technik . . . ... 2... a a a de, See 200 
Euler: Die Pseudarthrose des Unterkiefers . . . . 2: 2 2 2 rn 2 0 nen 247 


Ganzer: I. Die chirurgisch-zahnärztliche Versorgung frischer Kriegsverletzungen 
des Gesichts und der Kiefer. — II. Weichteilplastik des Gesichts bei 


Kieferschußverletzungen. — III. Knochenplastik bei Kieferschußver- 

Jetzungen 2 32.0.0 2 2.0 A ee ie aeaea 241 
Gaugele: Zur Behandlung der Wundrose. . . . . Be dee er a 126 
Gerber: Die Untersuchnng der Mund-Rachenhöble . . . .. 2.22 22 .. 126 


Goldmann: Die Osteomyelitis des Unterkiefers und ihre tonsilläre Ätiologie . 62 
Grunmach: Die Bestimmung der Lage und Wirkung von Steckschüssen mittels 


der Röntgenstrabllen . . 2: CL vorn nn. 180 
Kolb: Über die Anstrebung der Primärheilung bei der operativen Entfernung 
tief im Knochen stekender Geschosse . . . . 2 2 2 2 2 nn nn 204 
Körner: Über Granatsplitter in der Kieferhöhle. . . . » 2 22 2 2 2 20. 246 
Lickteig: Über schädigende Momente bei Uranoplastik und deren Ausschaltung 
durch Schröders Okklusivprothese . . . 2 2: 2 2 2 nr rn I ne. 158 
*Mamlock und Caspari: Der Aluminiumguß. Leitfaden. zur Herstellung von 
Ersatzstücken aus Aluminium . .. 2 en ren 199 
Meyer: Zur Kenntnis der generalisierten Östitis fibrosa und der Epithelkörper- 
chenveränderungen bei dieser Erkrankung . . . . . 2 2 2 2 2 200. 201 
Mitteilungen aus dem Hannoverschen Lazarett für Kieferverletzte . . .... 249 
Moskowitz: Über Verpflanzung Thierschscher Epidermisläppchen in die 
Mundhöhle . 2... 0. a a a ee wea eO 
Oppenheim: Zur Ätiologie der schwarzen Haarzunge . . . . 2 222.0. 203 
Parreidt: Der Einfluß des Durchbruches der Milchzähne auf den Organismns 
do- Kindes u 4.0.2.2 Ge re Me ee ee ar G 63 
Pfaff, Leipzig: Regierung, Volksvertretung und Zahnheilkunde . . . .... 95 
*Pfaff und Schönbeck: Kursus der zahnärztlichen Kriegschirurgie und Rönt- 
gentechnik...,. ceca 003 8 8.8 ua a En | | 


Pommer: Zur Kenntnis der mikroskopischen Befunde bei Pseudarthrose . . . 199 


Inhaltsverzeichnis. V 


Seite 
Steinkamm: Die exakte Wiederherstellung der ursprünglichen Form und Gestalt 
des Kieferskeletts bei Frakturen ist zur Erzielung eines vollen kosme- 


tischen Erfolges Hauptbedingung . . . : : 2: KEN En nn nn. 228 
Struck: Die Ausmeißelung eines retinierten Zahnes . . . . 2 2 2 2220. 311 
Studienordnung für Studierende der Zahnheilkunde und für Zahntechniker 

in. Frankreich. o u a 0 ar re, ae a a a ah i a 268 
Sudeck: Über die chirurgische Behandlung der Pseudarthrosen . . . . . . ..178 
Wederhake: Die Anwendung von Bruchsäcken zur Transplantation . . . . 227 
*Wiener Medizinalkalender und Rezepttaschenbuch für praktische Ärzte . . . 29 
Wustrow: Zur Kritik der Ursachen der Kieferanomalien . . ... 2... 29 
Zahnkliniken bei der Schweizer Armee . ...... he a ED E E 180 
Zielinsky: Die Technik der Apparatur der intraoralen Kieferverbände und 

das Zielinsky-Band . 2.2.2: Co ver nn 292 
Zlozisti: Die kriegschirurgische Bedeutung des Skorbuts . . . .» 2... 177 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 
Leitsätze zur Beurteilung ärztlicher Wanderpraxis . . 2 2 2 2 2 20... 159 


Vereins- und Versammilungsberichte. 


Verein österreichischer Zahnärzte: 
Ordentliche Monatsversammlung . : 2 2 2 20 0 nn 63 


Kleine Mitteilungen. 


Pensionen für Ärztewitwen und -waisen 127. — Verlegung der Kriegszahn- 
klinik der IV. Armee nach Wien 160. — Zahnärztliches Institut der Wiener Uni- 
versität 160. 


Personalien. 


Julius Scheffs Rücktritt vom Lehramt 127. — Auszeichnungen 204, 228. — 
Nobilitierung 228. — Todesfall 268, 312. — Verleihung 252. 


Druckfehlerberichtigung - - - . : >: 2 Emm mr nn 64 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


On nen Zahnärzte Österreichs. 





XVI. Jahrgang. Januar 1918. 1. Heft. 





Nachdruck verboten. 


Original Arbeiten. 





Aus dem anatomischen Laboratorium der Universität zu Amsterdam. 


Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen 
Dimensionen der Zähne des menschlichen Gebisses. 


Von Dr. med. dent Th.E.de Jonge Cohen, Assistent für Zahnheilkunde an der 
Reichsuniversität zu Utrecht. 


Den in vorstehendem Titel genannten Gegenstand beabsichtige ich in 
drei Abschnitten zu behandeln, in deren erstem ich mich beschäftigen 
werde mit den 


Prämolaren und Molaren im Unterkiefer. 


Bezüglich der Art meines Untersuchungsmateriales sei bemerkt, daß 
mir wiederum das ganze Museummaterial Prof. Dr.Bolks zur Verfügung 
stand, Zähne also der rezenten Amsterdamer Bevölkerung. 

Die Anzahl dieser Zähne betrug 3918 Prämolaren, 4984 Molaren; 
näher spezifiziert: 


2024 erste Prämolaren, 
1876 zweite y 

1713 erste Molaren, 
1860 zweite ,, 

1411 dritte 3 


Diese große Anzahl war darum für meine Untersuchung von so großer 
Bedeutung, weil hierdurch der Fehler der persönlichen Beobachtung — 
besonders bei der Berechnung der Mittelwerte — so gering wurde, da B er 
praktischaußerachtgelassen werden konnte. Außerdem 
war es möglich, eine strenge Auswahl durchzuführen und also allein die- 
jenigen Zähne zu messen, welche vollkommen intakt und normal waren; 
somit blieben außer Betrachtung: 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 1 





2 Th. E. de Jonge Cohen. 


1. Zähne mit approximalen Höhlungen. 

2. Zähne mit approximalen Abschleißungsfassetten. 

3. Anomale Formen, wie Hypoplasien, Barockformen, Verschmelzung 
mit überzähligen Elementen, rudimentär entwickelte Formen (Kegelzähne) 
usw. Die Anzahl gemessener Zähne war denn auch erheblich kleiner 
als die oben gegebenen Ziffern: 


1861 erste Prämolaren, 
1802 zweite © 

1490 erste Molaren, 
1572 zweite 
1250 dritte 


Wie gesagt, wurde der Abstand zwischen den beiden approximalen 
Kronenflächen (Kontaktpunkten) gemessen. Diese Wahl war keine will- 
kürliche, schien mir aber praktisch die wichtigste zu sein, sowohl vom 
phylogenetischen als vom ontogenetischen Gesichtspunkte aus betrachtet. 
Man denke nur an die Beziehung, welche zwischen Kieferentwicklung in 
sagittaler, respektive frontaler Richtung einerseits und mesio-distaler 
Entwicklung von Prämolaren und Molaren, beziehungsweise Vorderzähnen 
(Inzisivi und Cuspidati) andererseits besteht. 

Meine Notizen habe ich der Bibliothek der Amsterdamsche 
Tandheelkundige Vereeniging überlassen; der sich dafür 
interessierende Leser kann sich also eventuell persönlich von der Richtig- 
keit meiner Angaben über die auf meine Messungen gegründeten Berech- 
nungen überzeugen. Überdies sei noch erwähnt, daß ich meine eigenen 
Berechnungen von zwei verschiedenen Personen habe kontrollieren lassen, 
so daß ich wohl mit einigem Rechte glaube behaupten zu dürfen, daß Irr- 
tümer in den nachstehenden Daten ausgeschlossen sind. 


?? 


?? 


I. Erster Prämolar. 


A. Eigene Messungen. 
Anzahl gemessener Zähne: 1861 

Maximum: 8,1 mm 

Minimum: 5,2 mm 

Mittel: 6,6 (85) mm. 


B. Literaturangaben. 


Vergleichen wir die gegebenen Zahlen mit den Literaturangaben, 
dann kommen eigentlich nur 4 Autoren in Betracht, nämlich Black, 
Lambert, Mühlreiter und M.de Terra. 


Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen etc. 3 


Die von den übrigen Autoren gebrachten Daten erweisen sich als 
ziemlich allgemein oder den Angaben Blacks entlehnt zu sein, so z. B. 
bei Choquet (Précis d’anatomie dentaire,, Norman Broomell 
(Anatomy and Histology of the Mouth and Teeth) oder aber schon von 
Mühlreiter publiziert zu sein: Adloff, Fischer, Zucker- 
kandl u.a.zitieren alle Mühlreiter. 

Obendrein ist zu bemerken, daß mit Ausnahme de Terras keiner 
der genannten Autoren uns etwas über die Quantität des untersuchten 
Materials mitteilt; es ist klar, daß dies die Bedeutung ihrer Untersuchung 
sehr beeinträchtigt. 


I. Black. 


Maximum: 8,0 mm 
Minimum: 6,0 mm 
Mittel: 6,9 mm. 


II. Lambert. 


Dieser vermeldet ebenso wenig die Anzahl untersuchter Schädel bzw. 
Zähne; jedoch folgt er bei seiner Untersuchung der Methode de Quatre- 
fages und teilt sein Material anthropologisch nach drei Rassen ein: 
die weiße, die gelbe und die schwarze Rasse. 

Seine Messungen ergaben die folgenden Resultate: 














Gelbe Rasse 





Mesiodistale Breite von Weiße Rasse Schwarze Rasse 





(Siamesen) 
P: Maximum ..... 8,0 mm 9,0 mm — 
1? | Minimum. ..... 7,0 mm 8,0 mm — 
Jedoch sind die Messungen L amberts — der z. B. zwischen 


erstem und zweitem Prämolar keinen Unterschied macht — zu ungenau, 
um ihnen großen Wert beizulegen. 

Wichtiger sind die Resultate Mühlreiters, der laut seiner Mit- 
teilung in der „Deutschen Vierteljahrschrift für Zahn- 
heilkunde“ von 1874 eine „sehr große Anzahl von Zähnen der ein- 
heimischen und benachbarten Bevölkerung“ untersuchte. 


III. Mühlreiter. 


Untersuchtes Material | Maximum Minimum 


Zähne der Bevölkerung von Salzburg und 
Umgebung . .. saosaoa a 8,0 mm 6,0 mm 


1% 


4 Th. E. de Jonge Cohen. 


Ebenfalls sehr wichtig sind die Messungen M.de Terras. Dieser 
Autor, der mit einer echt schweizerischen Gründlichkeit und Akkuratesse 
die Schädel einer großen Anzahl Rassen untersuchte, gibt nicht nur eine 
sehr ausführliche anthropologische Einteilung seines Materials, sondern 
ist zugleich der erste, welcher Angaben bezüglich der Quantität seines 
Materials macht. 

Es muß jedoch bemerkt werden, daß die Messung im Schädel befind- 
licher Zähne niemals zu sehr genauen Resultaten führen kann. 


IV. M.de Terra. 








Herkunft des untersuchten Materials 


Prä- und früh-historische Schweizer (Schwei- 
zerbild, Ergolswyl, Lunkhoven, Ca- 


S|stione ete.) 2 om on 
c Alemannen u... 0 a 5 re 
= Rezente Schweizer — vorwiegend Disentis-Typus 
= 


Schädel von der Usa (Syrianen?) ..... 
Rezente Europäer (Zusammenfassung — ohne 
Usa-Schädel) . . 2 2: 2 2: 2 Er nenn. 


Malayen (Malayen, Javanen, Bugginezen, Ma- 
kassare, Samanapaner, Sunda-Insulaner, Amboi- 


nese, Bali, Seilons) . . . 2: 2 2 N m m nn. 27 7,6 6,5 
Batta k 2.2.2 2-2 3 2 u Se SS i 22 8,0 6,5 
= Birmanen (+ 1 Siamese) . . . 2 2.2 2.. 35 7,5 6,3 
= Chinesen (+ Lü [Basel]) . . ... 2.2... 15 8,7 6,4 
= Japaner . . 5 2 aa 7 6,6 6,3 
Timoresen  uncarsr ee ee ie 6 8,0 7,8 
AMOS Ea en A ee ee Zack 2 — . 
Tataren. ... . Ba ehe an ir De ee a de 3 1,2 6,2 
Tamilen (+ Inder, Hindu und Drawida) 7 71 6,0 
| Singhalesen . . . 2. 2 2 2 2 nen. i 5 7,3 6,5 
Dschagga s 2 a 2 t aa san 22 7,7 
= Neger (Nord-Afrika) . . . 2.2 2 2 22. 16 7,9 5,9 
Eo Neger (unbestimmter Provenienz) . .... 27 1,3 6,6 
= Araber (+ Beduinen) . . . : 2 2 2 202. 7 7,5 5,9 
se Neu-Ägypterr . a oo rn 13 7,9 6,6 
1° Alt-Ägypter . . 2: oo 2 nen | — 7,9 5,0 
| Negroide Afrikaner (Zusammenfassung). . .| 9 7,9 5,9 
Eh Nicht-negroide Afrikaner . . . . 22... | 7i 7,9 5,0 


1) „Die Zahlen in Klammern“, bemerkt de Terra, „betreffen einen abnorm 
großzähnigen Schädel, der in der Basler Anatomischen Sammlung als ,„Basler“ auf- 
gestellt ist. Herr Prof Kollmann schrieb mir zwar, „daß der Schädel in einem 
Grab in Basel gefunden worden ist und daß ohne Zweifel zum mindesten Europa die 
Heimat desselben sein müsse“. Trotzdem wage ich nicht, die eingeklammerten Zahlen 
bei der Zusammenfassung der rezenten Europäer zu berücksichtigen.“ 


Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen etc. 5 


Indianer (nordamerik. Indianer, Huronen etc.) 
Azteken 
Peruaner 


8 
= 
fa 
© 
=) 
< 





Australier (+ Neuhbolländer) . . . .... 11 8,5 6,6 
Melanesier (Papua, Fidschi-Insulaner, Neu- 

Britannier, Neu-Irländer, Bewohner von Neu-Guinea) | 14 7,6 6,5 
Eingeborene der Insel Oahu ....... 8 72 | 62 


Australien 
und 
Polynesien 


Endlich müssen vollständigkeitshalber noch die Ziffern erwähnt 
werden, welche Dewey in seiner kürzlich erschienenen „Dental Ana- 
tomy“ publiziert und denen er Folgendes vorausschickt: „The tables of 
measurements here given are arranged the same as the measurements by 
Black, but vary some in the extremes.“ Wenn der Leser nun jedoch 
glaubt, daß ihm in genannter Arbeit das Resultat von Deweys eigenen 
Messungen geboten wird, so täuscht er sich gründlich, denn auf gut 
holländisch gesagt zeigt sich, daß dieses „but vary some in the extremes“ 
darauf hinausläuft, daß Dewey die Angaben Blacks — in 
einer wirklich sehr originellen Weise — gefälscht 
hat. Vergleichen wir nämlich die originalen Ziffern Blacks mit den- 
jenigen, welche Dewey bringt — bequemlichkeitshalber übernehme ich die 
Angaben beider im Auszug —, so sehen wir, daß die Mittel aller Werte 
bei beiden Autoren dieselben sind. Die Maxima einer jeden Messung 
gibt Dewey jedoch um ebenso viel höher an als Black, wie seine 
Minima niedriger. Nehmen wir als Beispiel den ‚„mesio-distal diameter 
of crown“. Als größtes Maß findet Black bei dem ersten unteren Prä- 
molar 80mm; Dewey erhöht diese Ziffer um 0,5 mm, doch, da er 
stets dieselben Durchschnittswerte gibt wie Black, muß sein Minimum 
natürlich um ebenso viele Millimeter unter demjenigen Blacks bleiben 
und verändert er dessen Angabe von 6,0 mm in 5,5 mm! 

Und daß Dewey dieses System sehr genau durchführt, beweist 
wohl ein zweites Beispiel: der höchste Wert für die „length over all“ wird 
ebenfalls um 0,5 mm höher gestellt, als Black angibt; ebenso das Mini- 
mum um 0,5 mm niedriger. Sowie sich nun aus den beiden darauf fol- 
genden Angaben zeigt „length of crown“ und „length of root“, kommen 
von diesen 0,3 mm auf Rechnung der Krone, die restierenden 0,2 mm 
finden ihren Weg wohl in die Wurzel! 


Th. E. de Jonge Cohen. 


Angabe Black. 
Maße der Zähne. 





























Tafel der Maße “© no 23 c 
der menschlichen Zähne in u f 8 173 $ ® S GS E 
Millimetern und Zebntelmillimetern © egoj = E% sag g 

Dim TEHE IEEE 

Untere Zähne dk ZAS SAS 428 SÉ 
Mittlere Durchschnitt 11,8 6,0 2,5 
Schneidezähne Größte. . . 16,0 6,5 3,0 
Kleinste 9, 5,5 1,5 
Seitlicher Durchschnitt || 21,1 9,6 | 12,7 6,4 2,5 
Schneidezahn Größte. . . || 27,0 | 12,0 | 17,0 7,5 3,5 
Kleinste . .|| 18,0 7,0 | 11,0 6,0 2,0 
Eckzahn Durchschnitt || 25,6 | 10,3 | 15,3 2,9 
Größte. . .|| 32,5 | 12,0 | 21,0 4,0 
Kleinste . . || 20,0 80 | 11,0 2,0 
Erster Durchschnitt || 21,6 7,8 | 14,0 6,9 0,8 
Backenzahn Größte. . . || 26,0 90 | 18,0 8,0 1,5 
Kleinste . .|| 18,0 6,5 | 11,0 6,0 0,5 
Zweiter Durchschnitt || 22,3 7,9 | 14,4 7,1 0,6 
Backenzahn Größte . . . || 26,0 | 10,0 | 17,5 8,0 2,0 
Kleinste . . || 18,0 6,0 | 11,5 6,5 0,0 
Erster Durchschnitt || 21,0 7,7 | 13,2 | 11,2 11 
Mahlzahn Größte . . . || 24,0 | 10,0 | 15,0 | 12,0 2,0 
Kleinste . . || 18,0 70 | 11,0 | 11,0 0,0 
Zweiter Durchschnitt || 19,8 69 | 129 | 10,7 0,2 
Mablzahn Größte . . . || 22,0 80 | 14,0 | 11,0 1,0 
Kleinste . . || 18,0 6,0 | 12,0 | 10,0 0,0 
Dritter Durchschnitt || 18,5 6,7 ı 11,8 | 10,7 0,2 
Mahlzahn Größte . . . || 20,0 80 | 17,0 | 12,0 1,5 
Kleinste . . |! 16,0 6,0 8,0 8,0 0,0 








Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen ete. 7 


Angabe Dewey. 
Maße der Zähne. 

























































Tafel der Maße “oo no r Fr Sa 

der menschlichen Zähne in ù i 4 $9|/4729| 56S HE 

Millimetern und Zehntelmillimetern || £ © Kpm ea2 | %55 | ZE g 3S 
28 es F: Tam | agm s38 EE 

g 8 un 1 Sa So 

Untors Zähne 3a | a5 | 35 383 383353 1888 
Mittlere Durchschnitt || 20,7 88 | 11,8 5,4 3,5 6,0 2,5 
Schneidezähne Größte . . . || 24,5 | 10,8 | 16,2 6,5 5,5 7,0 3,3 
Kleinste . . || 15,5 6,7 8,8 4,5 2,0 5,0 1,2 
Seitlicher Durchschnitt 12,7 8,9 3,8 6,4 2,5 
Schneidezahn Größte. . . 17,2 7,0 5,5 8,0 3,8 
Kleinste 10,8 4,5 2,5 5,5 1,7 
Eckzahn Durchschnitt 2,9 
Größte . . . 4,8 
Kleinste . . 1,7 
Erster Durchschnitt 0,8 
Backenzahn Größte. . . 1,8 
Kleinste 2 

Zweiter Durchschnitt 
Backenzahn Größte... . 2,3 

Kleinste , 
Erster Durchschnitt 1,1 
Mahlzahn Größte . . 2,3 
Kleinste 0,0 
Zweiter Durchschnitt | 0,2 
Mahlzahn Größte . . . 1,0 
Kleinste ‚O0 
Dritter Durchschnitt 0,2 
Mahlzahn Größte . . . 1,5 





Kleinste 


8 Tb. E. de Jonge Cohen. 


Angenommen sogar, daß hier keine absichtlich e Fälschung statt- 
gefunden hat, daß Dewey z.B.der Meinung war, daß Black seine 
Maxima und Minima zu hoch bzw. zu niedrig stellte, dennoch muß man 
sich fragen, was für eine Vorstellung dieser Amerikaner eigentlich wohl 
über Wissenschaft hat, daß er seinen Lesern einen derartigen Humbug 
vorzusetzen wagt! 


ID. Zweiter Prämolar. 
A. Eigene Messungen. 
Anzahl gemessener Zähne: 1802 


Maximum: 9,0 mm 
Minimum: 5,2 mm 
Mittel: 6,9 (21) mm. 
Die außergewöhnlich große Breite des als Maximum verzeichneten 
Prämolars findet zum guten Teil seine Erklärung in der selten kräftigen 
Entwicklung eines sogenannten variablen sekundären Höckers (Kronen- 


formel nr Nähere Besonderheiten hierüber gibt meine Monographie: 


„Die Kronenstruktur der unteren Prämolaren und 
Molaren“, in der auf Seite 55—57 eine ausführliche Beschreibung von 
dem anatomischen Bau des genannten Zahnelementes gegeben wird. 


B. Literaturangaben. 
I. Black. 


Maximum: 8,0 mm 
Minimum: 6,5 mm 
Mittel: 1,1 mm. 


II. Lambert. 


Dieser gibt die in untenstehender Tabelle aufgenommenen Ziffern, 
jedoch sei gleich gesagt, daß diese Angabe dieselbe wie für den ersten 
Prämolar ist: 



















Gelbe Rasse 
(Siamesen) 





Weiße Rasse Schwarze Rasse 





Mesiodistale Breite von 

















P: en Se 
2' | Minimum . 


8,0 mm 9,0 mm — 
7,0 mm 8,0mm 











Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen etc. 


III. Mühlreiter. 


Untersuchungsmaterial | Maximum | Minimum 


Zähne der Bevölkerung von Salzburg und 
Umgebung . . . . : 2: 2 2 2 22 ne. | 8,8 mm 6,2 mm 
| 





Prä- und früh-historische Schweizer (Sch wei- | 
zerbild, Ergolswyl, Lunkhoven, Ca- 





A| stione ete. 2 2 nn 31 5,7 
E Alemannen .. aaa a n. 23 6,0 
5 Rezente Schweizer—vorwiegend Disentis-Typus || 136 5,5 $) 
a Schädel von der Usa (Syrianen?) ..... 56 2 
Rezente Europäer (Zusammenfassung — ohne 
Usa-Schädel) . x. 2’. laa wa 2a ne eu 357 6,6 ') 
Malayen (Malayen, Javanen, Bugginesen, Ma- 
kassare, Samanapaner, Sunda-Insulaner, Amboi- 
nese, Bali, Seilons) . . . ... RER E 27 7,5 7,0 
Battak s < 3. we. ee an ci ar 22 7,5 6,3 
2 Birmanen (+ 1 Siamese). ... . RE 85 6,8 6,0 
2 Chinesen (+ Lü [Basel]) . ........ 15 8,0 6,0 
2 Japaner. .. aaa 7 6,6 
Timoresen ... aoaaa a a a 6 7,5 7,3 
RIO. So Ge Sa A re S 2 _ — 
Tataren o o ee 8 2.2 Sa ana 8 6,7 6,0 
Tamilen (+ Inder, Hindu und Drawida) 7 7,3 6,5 
Singhalesen . . . 2 2 2 2 2 2 nn. 5 7,7 6,5 
DSChägpa: ui... ee ee 22 8,0 7,0 
Neger (Nord-Afrika) . . . a 2 22.0. 16 7,5 5,9 
= Neger (unbestimmter Provenienz) . ... . 27 8,3 6,2 
= Araber (+ Beduinen). . . 2... 2.2.0. 7 7,8 6,2 
= Neu-Ägypterr . 2: 2: 2 2 Er nr ern. 13 7,8 6,7 
= Alt-Ägypter . . 2 CE nen — 7,9 6,0 
Negroide Afrikaner (Zusammenfassung). . . 97 8,3 5,9 
Nicht-negroide Afrikaner. ... 2... 71 7,9 6,0 
8 
2 Indianer (nordamerik. Indianer, Huronen etc.) 8 7,5 6,8 
h Aztekon s a eoor e u an we a eh 2 8,2 6,9 
g Peruaner .. saaa a Ei 13 7,9 6,0 
< Feuerländer . . .. 2: om En 6 80 | 5,5 
u -- Australier (+ Neuholländer) ....! 1 8,2 6,9 
ER Melanesier (Papua, Fidschi-Insulaner, 
Sa Neu-Britannier, Neu-Irländer, Bewohner 
256| von Neu-Guinea) .. . 2.222200. 14 8,0 6,5 
3 7 Eingeborene der Insel Oahu 8 7,6 6,7 
‘oa l ! 
1) Siehe die Note Seite 4. 


9 





IV. De Terra. 
COE E EEE E E E EEE E S E E E S EEEE 
Anzahl P, 
Herkunft des untersuchten Materials der PO S LSOEE EEE BEN 
Schädel Max. Min. 


10 Th. E. de Jonge Cohen. 


II. Erster Molar. 
A. Eigene Messungen. 
Anzahl gemessener Zähne: 1490 
Maximum: 13,3 mm 


Minimum: 9,2 mm 
Mittel: 11,100 mm. 


B. Literaturangaben. 
1. Black. 
Maximum: 12 mm 
Minimum: 11 mm 
Mittel: 12,2 mm. 


Il. Lambert. 
Mesiodistale Breite von | Weiße Rasse Gelbe Rasse 
Maximum: 14 mm 
; 9 Si ° 
M,i 12mm Minimum: 12 mm 


III. Mühlreiter. 






Untersuchungsmaterial en Minimum 
Zäbne der Bevölkerung von Salzbur g und 
Umgebung >.. aao aaa ; 12,2 mm 10 mm 


IV. De Terra. 


Anzahl M, 






Herkunft des untersuchten Materials der ea er eh ea te 
Schädel | Maximum | Minimum 





Prä- und früh - historische Schweizer 





(Schweizerbild, Ergolswyl, Lunkho- 

2j ven, Castione etc)... . 222000. 31 11,4 8,9 

© Alemannen . .. 2. 2 2 2 2 2 nn. 28 10,7 9,9 

S Rezente Schweizer — vorwiegend Disentis- 

SI Typ e moa aeaa ee 136 |11,3 (12,0) 10,0) 
Schädel von der Usa (Syrianen?) . ; 56 12 9,8 
Rezente Europäer (Zusammenfassung — 

ohne Usa-Schädel) . . ...... ee So 357 |11,3 (12,0) 10,0) 


1) Siehe die Note auf Seite 4. 


Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen ete. 11 





Anzahl M, 
Herkunft des untersuchten Materials der 






Malayen (Malayen, Javanen, Bugginesen, Ma- 
kassare, Samanapaner, Sunda-Insulaner, Amboi- 







nese, Bali, Seilons) . . . s. 2 "22 2 2 20. 10,0 

Dtti E 2.0, Se: u men ae a er Krk 10,0 

E Birmanen (+ 1 Siamese) . . . . 2.2.2... 9,0 

‚© Chinesen (+ Lü [Basel] . .. -. 2... 10,5 

a Japaner. . . oaa 11,4 
= Timoresen 2 2m on 11 










P Era a ans ae A a re E 10,0 
Tamilen (+ Inder, Hindu und Drawida) . 10,3 
Singhalesen . . © 2 2 2 2 m 22. 10,3 
Dachagpa. e ieee nn u ech aa 99 12,0 11,5 
Neger (Nord-Afrika) k ee nn A 16 12,0 - 9,8 
S Neger (unbestimmter Provenienz) . .... -97 12,8 10,3 
fe Araber (+ Beduinen) . ... 22220. 7 11,5 10,4 
= Neu-Agypter . 2.2.2 202er 13 11,0 11,0 
« Alt-Ägypter . . 2 2 oo mn = 11,7 9,7 
Negroïde Afrikaner (Zusammenfassung) . 97 12,0 9,7 
Nicht-negroïde Afrikaner . . . ...... 71 — —_ 
8 
= Indianer (nordamerik. Indianer, Huronen etc.) 8 12,4 10,6 
H Azteken c enine 3 a a a ee E A 2 11,9 11,1 
g Peruaner . .. aoaaa a a Er 13 12,1 10,4 
< Feuerländer . . 2... 22 2 2 2 20. 6 | 12,0 | 11,0 
=) 
E 2 Australier (+ Neuholländer) . .... 11 12,7 10,8 
igoz Melanesier (Papua, Fidschi-Insulaner, 

= 5 a | Neu-Britannier, Neu-Irländer, Bewohner von 
a >| Neu-Guinea) . . 2: 2: 222 en en 14 12,2 10,0 
ag Eingeborene der Insel Oahu . ... . 8 11,6 10,9 


IV. Zweiter Molar. 
A. Eigene Untersuchung ergab die folgenden Resultate: 


Anzahl gemessener Zähne: 1572 


Maximum: 13,9 mm 
Minimum: 8,5 mm 
Mittel: 10,7 (45) mm. 


Stellen wir hierneben die Ziffern, die ich in der Literatur fand, 
dann können wir schon sofort feststellen, daß sowohl Lambert als 
Mühlreiter ausfallen; der letztere bemerkt, daß der zweite Backen- 
zahn „an Größe von dem ersten im Ober- wie im Unterkiefer nur un- 
erheblich abweicht“. 


14 Th. E. de Jonge Cohen. | 


IH. De Terra. 


Ansahl M, 
der PAE E RER SOEBEN EEE NER SEN ' 
Schädel | Maximum | Minimum 


Herkunft des untersuchten Materials 



















Prä-und früh-historische Schweizer (S ch w ei- 
zerbild, Ergolswyl, Lunkhoven, Ca- 





1.861008: 08e.) toe ea art re a 8,2 
Ay Alemannen . .. aaa 2 nn nn. 10,7 8,9 
Fa Rezente Schweizer — vorwiegend Disentis- 
= Typu- ar. 2 ee a a 8 10,5 (12.0) 90°) 
Schädel von der Usa (Syrianen?) . : 11 10,2 
Rezente Europäer (Zusammenfassung — 
ohne Usa-Schăädel!). . .... . a 11,3 (12,0) 9,0 $) 
Malayen (Malayen, Javanen, Bugginesen, 
Makassare, Samanapaner, Sunda-Insulaner, 
Amboinese, Bali, Seilons) . . . . 22 .2.. 27 11,5 8,8 
Battak .. u sr es: 8 ee 22 12,0 8,2 
” Birmanen (+ 1 Siamese) . . ..... 35 12,5 8,0 
‚© Chinesen (+ Lü [Basel]) . ...... 15 12,5 9,7 
> Japaner -. 2:2 2000. er 7 10,6 
Timoresen . . & 0 03 een % 6 — — 
AMO ea 25 0.8, a aae a a a a ao 2 — 
Tataren: s 42% aaee ee e 3 10,5 10,0 
Tamilen (+ Inder, Hindu und Drawida) 7 11,7 9,5 
Singhalesen . . 2. 2: 2 2 2 2 2 nn. 5 | 12,0 10,0 
Dschagga . .» 2: 2 2 2 rennen. 22 12,3 11,7 
al Neger Nord. Afrika) : u 20 ee a 16 12,2 9,4 
= Neger (unbestimmter Provenienz) . . . . 27 10,7 10,0 
Ł Araber (+ Beduinen) . . . . a. 7 14,0 9,2 
< Neu-Ägypter . . . 2 2 2 2 20m. 13 11,5 9,8 
Negroide Afrikaner (Zusammenfassung) 97 12,4 9,4 
Nicht-negroide Afrikaner . . 71 ; 8,8 
S Indianer (nordamerik. Indianer, Huro 
| ronen ete). » » 2. rennen 8 12,5 10,8 
© Azteken 2.0: 0 00 aa’ E 2 — — 
S Peruaner . . . oa 2 a ee. 13 11,5 10,3 
= Feuerländer . . 2:2 2 2 2 000. 6 12,0 9,5 
© o Australier (+ Neuholländer) . 11 11,0 9,7 
= o2 Melanesier (Papua, Fidschi- Insulaner, 
„= 5 | Neu-Britannier, Neu-Irländer, Bewohner 
© ">| von Neu-Guinea) a de an ai ae hr 14 15,0 9,5 
= nv Eingeborene der Insel Oahu .. . . 8 = 


Schließlich mögen noch die nachstehenden Statistiken folgen, in 
denen die Ergebnisse aller Messungen von Prämolaren und Molaren im 
Unterkiefer zusammengestellt sind: 


1) Siehe die Note auf Seite 4. 





nd 


Maximal-, Minimal- und Mittelwerte der mesiodistalen Dimensionen etc. 15 


I. Black. 






Mesiodistale Breite 


Maximum | Minimum Mittel 
















8,0 mm 6,0 mm 6,9 mm 
P,i 8,0 mm 6,5 mm 7,1 mm 
Mii 12,0 mm 11,0 mm 11,2 mm 
M,i 11,0 mm 10,0 mm 10,7 mm 
M,i 12,0 mm 8,0 mm 10,7 mm 


I. Mühlreiter. 
Zähne der rezenten Bevölkerung von Salzburg und Umgebung: 





Mesiodistale Breite 


Maximum | Minimum 


Pi 8,0 mm 6,0 mm 
P,i 8,8 mm 6,2 mm 
M,i 12,2 mm 10,0 mm 
Mi l Keine Messungen ausgeführt. 


III. De Terra. 


Maxima und Minima der bleibenden Zähne von allen Rassen: 





Mesiodistale Breite 


Maximum | Minimum 





Pi 8,7 mm 5,0 mm 
P,i 8,8 mm 5,5 mm 
M,i 12,8 mm 8,9 mm 
M,i 12,5 mm 8,0 mm 
M,i 15,0 mm | 8,0 mm 


IV. De Jonge Cohen. 


Museummaterial von Prof. Dr. Bolk; Zähne der rezenten Amsterdamer Bevölkerung: 







Mesiodistale Breite 






Anzahl untersuchter 
Zähne 







Mittel 





Maximum Minimum 


1681 Pi | 8,1 mm 5,2 mm 6,6 (85) mm 
1802 P,i 9,0 mm 5,2 mm 6,9 (21) mm 
1490 Mi 13,3 mm 9,2 mm 11,100 mm 
1572 M,i 13,9 mm 8,5mm 10,7 (58) mm 
1250 M,i 13,8 mm 7,8 mm 10,7 (45) mm 


Was lehrt uns jetzt eine Vergleichung dieser Ziffern ? 


16 Th. E. de Jonge Cohen. Maximal-, Minimal- und Mittelwerte etc. 


Zunächst dieses: In dem von mir gemessenen Zahnmaterial über- 
schreiten sowohl die Maxima als die Minima alle die von Black und 
Mühlreiter angegebenen Grenzen — zuweilen sogar ziemlich be- 
deutend.?) Es ist klar, daß der Grund hierfür in der außerordentlich 
großen Zahl von Zähnen, die mir zur Verfügung stand, gesucht werden muß. 

Und was insbesondere die Molaren betrifft — obgleich sowohl zweiter 
als dritter Molar in ihrer Maximalgröße den ersten übertreffen — bleiben 
doch ihre Minima und — was wichtiger ist — ihre Durchschnittswerte 
unterhalb denjenigen des ersten Molars. 

Dies weist auf dasjenige, was man in der deutschen Literatur wieder- 
holt unter der Benennung „Volumabnahme von M, bis M,“ angedeutet 
findet. Diese ,„Volumabnahme“ (Größenunterschied) ist namentlich 
zwischen Mı und M: vorhanden, nicht — oder nur in geringem Maße — 
zwischen M» und M;, wie sich dies außerdem aus der Angabe Topinards 


een. M: 10,0 mm 
M, 9,3mm 
Ms 9,3mm. 


Schließlich stimmen meine Mittelwerte ziemlich ganz mit den An- 
gaben Blacks überein. 

Schließlich sei noch Folgendes bemerkt: das etwas paradoxe Steigen 
der Maxima (Mı 13,3 mm; M: 13,9 mm; M: 13,8 mm) findet seine Er- 
klärung in dem Vorhandensein der beiden medialen Nebenhöcker der als 
Maxima verzeichneten zweiten und dritten Molaren. Ich wies schon bei 
einer früheren Gelegenheit darauf hin, daß sich die Entwicklung dieser 
Nebenhöcker so gut wie ausschließlich auf unseren M: und Ms beschränkt. 


Literaturnachweis: G.V.Black: Anatomie descriptive der dentea 
humaines, traduction du Dr.G Darin. 1902. — J. Choquet: Précis d’anatomie 
dentaire. 1904. — Martin Dewey: Dental anatomy. 1916. — Th. E.de Jonge 
Cohen: Die Kronenstruktur der unteren Prämolaren und Molaren Ein Beitrag 
zu der Morphologie des menschlichen Gebisses. 1917. — E.Mühlreiter: Über 
Minimal- und Maximalgrößen der Zähne. Deutsche Vierteljahrechrift für Zahnheil- 
kunde, Jahrgang XIV, Heft II. 1874; Anatomie des menschlichen Gebisses. 1912. 
— Lambert: Morphologie du système dentaire des Races humaines. Bulletin de 
lacadémie Royale des Sciences Belgiques. 1877. — M.de Terra: Beiträge zu einer 
Odontographie der Menschenrassen. 1905. — P.Topinard: Les Races indigènes 
de l'Australie. 1872. 


2) Da die von de Terra angegebenen Werte die Maxima bzw. Minima aller 
Rassen betreffen und also in gewissem Sinne ungleichartig sind, bleiben sie hier 
außer Betrachtung. 


Viktor Frey. Der Schußkanalbestimmer. 17 


Aus d. zahnärztl. Abt. d. Verwundetenspitales d. Wiener allgem. Poliklinik 
(Vorstand O.-St:-A::Pref:Dr.G. Ritter-v. Wunschheim). 


Der Schußkanalbestimmer. 


(Ein Hilfsmittel zur Feststellung der topographischen Lage des 
Schu kanals bei Kieferschüssen.) *) 
Von Dr. Viktor :Frey.... 
| (Mit 36 Figuren.) 
i (Schluß.) 

Fall 4. Inf. F.E. 

Gewehrdurchschuß (vgl. Abbildung 29 und 30), Einschuß 2cm vor 
dem rechten Angulus in, der Höhe des unteren Kieferrandes. 

Ausschuß im linken Mundwinkel. (Diffuse Schwellung des Zahn- 
fleisches zwischen 8—3]; sowie der rechten Sublingualgegend. Am Lingual- 
rand des rechten Unterkieferkörpers in der Molaren- und Prämolaren- 
gegend die Schleimhaut eingerissen und eitrig belegt. Dortselbst der 
Unterkiefer abnorın beweglich. Diagnose: Splitterfraktur des rechten hori- 
zontalen Unterkieferastes: bei 4| beginnende und schief nach hinten und 
unten bis 1 Querfinger vor dem rechten Angulus endigende Frakturlinie. 
Sequester.) 

Sehulikanal: Einschuß 2cm vor dem rechten Angulus in der Höhe 
des Unterl.ieferrandes, Mundbodengebildes in der rechten unteren Prä- 
molarengegend, linker Mundwinkel nach Abschuß der linken oberen Prä- 
molaren. | 

(Da die linken unteren Prämolaren nicht abgeschossen waren, dürfte 
Patient im Moment der Verletzung den Mund etwas geöffnet gehalten 
haben.) 

Fall 5. J. Tsch. (vgl. Abbildung 31, 32, 33). 

Schrapnellfüllkugeldurchschuß:. Am unteren Rand des linken Nasen- 
flügels 1 cm von der Mittellinie eine von dem Geschoß herrührende flache 
Narbe. Lippen unverletzt. |2 abgeschlagen. Einschußnarbe fehlt. Aus- 
schußgegend der linken Glandula submaxillaris. 

Diagnose: Splitterfraktur des linken Unterkiefers in der Gegend 
von j6 7%. | 
Schußkanal: Streifschuß des linken Nasenflügels, das Geschoß schlug 
die Krone des |2 ab, drang durch den weitgeöffneten Mund zum horizontalen 
Kieferast der linken unteren Molarengegend. 

Daß die Oberlippe unverletzt war, kann man sich nur so erklären, 
daß Patient den Mund weit geöffnet und die Oberlippe hochgezogen hatte, 





”) Vortrag, geh. in der Oktobersitzung (1917) des Vereines österr. Zahnärzte. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 2 


18 ! Viktor Frey. 


Fig. 29. 





Schußrichtung (Gewehrdurchschuß). Einschuß 2cm vor dem rechten Angulus in der Höhe 

des Unterkieferrandes, Mundbodengebilde in der rechten unteren Prämolarengegend. Abschuß 

der linken oberen Prämolaren. Ausschuß: Linker Mundwinkel. Mund war im Momente der 
Verletzung offenbar etwas geöffnet, da die linken unteren Prämolaren intakt sind. 


Fig. 30. 





Höntgenskizze. Splitterfraktur des rechten horizontalen Kieferastes. 


Der Schußkanalbestimmer. 19 


wie beim Hurrahschreien. Ferner käme die Tatsache in Betracht, die jeder, 
der im Felde war, bestätigen kann, daß die Soldaten, wenn sie ein über 
ihnen platzendes Schrapnell beobachten, also mit stark zurückgebeugtem 
Kopi in die Höhe blicken, dabei gewöhnlich den Mund geöffnet haben. Die 
Einstellung läßt sich am Lebenden bei geöffnetem Munde ohneweiters ver- 


Fig. 81. Fig. 32. 





Streifachußnarbe am linken Nasenflügel. Schußrichtung. Streifschuß des linken Nasen- 
Einschuß durch den weit offenen Mund. flügels (Lippe unverletzt); Eintritt des Geschosses 
Ausschuß in der linken Halsseite. durch den weit geöffneten Mund q2 Krone ab- 
(Schrapnellkugeldurchschuß.) geschlagen, Zertrümmerung des linken horizon- 


talen Kieferastes, Austritt des Geschosses in der 

linken Sublingualgegend). Die Einstellung ist 

nur bei weitgeöffnetem Mund (Condylus am 
Taberkulum !) möglich. 


nehmen, am Schädelpräparat aber nur dann, wenn man die normale 
Öffnungsbewegung nachahmt, so daß der Condylus am Tuberkulum sitzt. 

Fall 6. Oblt. E. P. (vgl. Abbildung 34, 35, 36). 

Gewehrdurchechuß. Einschuß 2cm oberhalb des rechten Angulus. 
Ausschuß oberhalb und neben dem linken Mundwinkel. Diagnose: Zer- 
splitterung im unteren Drittel des rechten aufsteigenden Unterkieferastes 
im Querverlauf mit Knechensplittern und Projektilteilchen, Alveclarfort- 
satz in der rechten oberen Molarengegend und Alveolarfortsatz im Bereich 


y% 


20 Viktor Frey. 


der linken oberen Frontzähne und Prämolaren in großer Ausdehnung ge 
splittert. Abgeschossene Zähne 7 6 5]2, ausgeschossene Zähne B_4 5 6. 
 Schußkanal: Rechte Angulusgegend, Alveolarfortsatz der rechten 
oberen Molaren. quer durch den Mund, Alveolarfortsatz der linken oberen 
Prämolaren. 
Fall 7. Inf. J. Cz. (Abbildung 8 und 9). 
Schrapnellfüllkugelsteckschuß. Einschuß 2 Querfinger nach vorne 
und 1 Querfinger nach oben vom linken Meatus auditorius externus. 


Fig. 32a. 





4 Querfinger unter dem rechten Öhrläppchen eine vertikale, 2 em 
lange, lineare Narbe. Das Geschoß, eine vollkommen intakte Schrapnell- 
kugel, blieb unter der Haut im rechten Sternocleidomastoideus stecken 
und wurde von dort zirka 1 Monat nach der Verletzung durch eine Inzision 
entfernt. 

Kieferklemme. Röntgenbefund: Splitterfraktur des linken 
Processus zygomaticus des Os temporale, ganz oberflächliche, zarte Ab- 
splitterung im Bereiche der Ineisura semilunaris des linken Unterkiefers. 

Schußkanal: Linker Jochbogen, hinter dem linken Processus ptery- 
goideus, Nasenrachenraum, Weichteile der rechten Halsseite zwischen 
Processus mastoideus dexter und rechtem aufsteigendem Kieferast 
(— Fossa retromandibularis dextra), rechter Sternocleidomastoideus. 


Der Schußkanalbestimmer. 21 


= Man kann also annehmen, daß der Schußkanal im Be- 
reich des Gesichtsschädels durch eine Gerade re- 
präsentiert wird: sogenannte Ringelschüsse, deren 
Vorkommen wiederholt (allerdings nicht bei Kiefer- 
frakturen) angeführt wurde, sind in keinem Falle be- 
obachtet worden. Es empfiehlt sich daher bei der 
ersten Untersuchung des Patienten, die Rekonstruk- 


Fig. 33. Fig. 34. 


| 
l 
: 
: 
| 
i 





Einschuß 2 cem oberbalb des rechten Angulus. Aus- Schußrichtung. S. Text der Röntgenskizze. 
schuß oberhalb und neben dem linken Mundwinkel. 
(Gewehrdurchschuß.) 


tion des Schußkanals am skelettierten Schädel mit 
dem leicht herzustellenden Schußkanalbestimmer 
unter Berücksichtigung der individuellen Eigen- 
schaften des Patienten vorzunehmen, um sich even- 
tuell spätere unangenehme Überraschungen zu er- 
sparen. Es wird dies vielleicht manchem überflüssig 
erscheinen, aber dem ist nicht so. Mit einer Plastizität 
sondergleichen treten die topographischen Verhältnisse und die eventuellen 


292 Viktor Frey. Der Schußkanalbestimmer. 


Verletzungsmöglichkeiten vor unser Auge, wenn wir schon bei der ersten 
Untersuchung des Patienten die Verletzung am Schädel rekonstruieren, so 
daß wir schon dem Röntgenologen wertvolle Winke für die Aufnahme 
geben können. Die Kieferverletzung ist es ja nicht an sich, auf die es 
hauptsächlich ankommt, die ist ja ziemlich leicht zu konstatieren, aber es 
bedenke jeder, der Kieferbrüche behandelt, daß sein Arbeitsfeld höchst 
wichtige Organe zu Nachbarn hat, so daß bei einem scheinbar leichten 


Fig. 36. 





Röntgenskizze. Zersplitterung des untersten Drittels des rechten aufsteigenden Kieferastes 
(Knochen- und Geschoßsplitter). Alveolarfortsatz des rechten oberen Molaren und der linken 
oberen Frontzäbne und Prämolaren in großer Ausdehnung gesplittert. 
Abgeschossene Zähne 7 6 5f2. Ausgeschossene Zähne [8 4066. 


Kieferschuß die Nachbarorgane in weitaus schwererer Art verletzt sein 
können, wenn sich auch momentane Erscheinungen dieser Art nicht gar 
so sinnfällig präsentieren. Wenn ich nur erwähne, daß das Kieferköpfchen 
seine Pfanne in der Schädelbasis hat, wie wenige Millimeter von da bis 
zum Gehirn und zun Gehörorgan sind, und schließlich wie dünn die obere 
Antrumwand ist, die gleichzeitig den Boden der Orbita, dem Gehäuse des 
Sehorgans, bildet, so wird man mich verstehen. 


Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit etc. 23 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche u ae 
im Kieferspitale. 

Von Professor Dr. Rudolf Weiser, k. u. k. Oberstabsarzt, Chefarzt der ae 
prothetischen Abteilung am k.u. k. Reservespital Nr 17 in Wien.?) 
(Fortsetzung.) 

Der Inf. Franz Pi. des Landst.-Inf.-Reg. Nr. 25 hat durch Gewehr- 
schuß sämtliche Zähne des rechten ÖOberkiefers und den dazugehörigen 


Fig. 43a. Fig. 43b. 





Alveolarfortsatz verloren. Eine äußerlich sehr entstellende, hochgradige 
Ankylose des rechten Kiefergelenkes bedingende und das obere Vestibulum 
oris rechterseits verlegende Narbenbildung sollte operativ behoben werden. 
Der Weichteilplastiker Esser bewog mich, von meinem ursprünglichen 
Plane, vor allem das Vestibulum oris rechts oben herzustellen, auf diese 


1) Aus: Beiträge zur Kieferschußtherapie. Aus Anlaß des einjährigen Be- 
stehens des k. u. k. Reservespitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für Kieferverletzte) 
herausgegeben von der Österr. Zeitschr. f. Stomatologie. 


24 Rudolf W eiser. 


Weise die die zahnärztlichen Maßnahmen unmöglich machende Ankylose 
aufzuheben, dann den Zahnersatz herzustellen und erst zum Schlusse die 
Weichteilplastik ausführen zu lassen, in diesem Falle abzusehen, vielmehr 
die Herstellung des Vestibulum ‘oris sowie die Eliminierung der Wangen- 
narbe in Einem durch die plastische Operation von ihm allein ausführen zu 
lassen. Der eine Teil des Operationsplanes Essers ist, wie die Bilder 43 a 
und 43b zeigen, in ganz einwandfreier Weise gelungen. Dagegen war ich 
nachträglich gezwungen, doch erst das Vestibulum oris und den definitiven 


Fig. 44a. Fig. 44b. 





Zahnersatz herzustellen, was die intraorale Arbeit erschwerte und zu einer 
Verzögerung der Behandlung führte. Diese und zwei andere ähnliche Er- 
fahrungen befestigten mich in meinem Grundsatze: erst die innere Ein- 
richtung des Mundes zu vollenden und dann erst zur Weichteilplastik zu 
schreiten, aufs neue. 

Eine ähnliche Narbenbildung als Residuum einer ausgedehnten 
Weichteilverletzung der linken Wange wies der von Foramitti ope- 
rierte Inf. des k.u. k. Inf.-Reg. Nr. 69/15, István M.auf; der kosmetische 
Erfolg ist aus den Figuren 44a und b zu ersehen. 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 25 


= Der Landst.-Inf. Adolf M. des k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 92 verlor am 
29. Mai 1915 am südlichen Kriegsschauplatze durch Schrapnellschuß den 
größten Teil des Oberkiefermittelstückes, so daß nur jederseits die beiden 
letzten Mahlzähne samt den ihnen zugehörigen Alveolarfortsätzen stehen 
geblieben sind, ferner verlor er das Mittelstück der Oberlippe, so daß nur 
rechts und links noch die die Mundwinkel umsäumenden Reste vorhanden 
sind, außerdem erlitt er die an schlechte Nasenplastiken erinnernde und im 
Bilde 45a charakteristisch wiedergegebene Deformierung der Nase. Nach 


Fig. 45a. l Fig. 45b. 





einer Wanderung durch verschiedene andere Spitäler wurde der Patient am 
20. Juni 1916 in das k. u. k. Reservespital Nr. 17 aufgenommen. Ich schritt 
zunächst dazu, das rechts und links durch Narbenstränge verlegte Vesti- 
bulum oris des Oberkiefers wiederherzustellen, der Mundspalte ihre normale 
Breite wiederzugeben, die der Epithelisierung zu überantwortenden Wund- 
flächen durch ein Lippenschild aus Silber, welches mittelst H a up t- 
meyerscher Schienen an 8 7|78 angeschraubt und in seinen seitlichen 
Partien mit Guttapercha und Jodoformgaze bedeckt wurde, offen zu halten. 
Gleichzeitig löste ich den durch narbige Verwachsungen unförmlich in die 
Breite und nach einwärts gegen die Mundhöhle verzogenen weichen Anteil 


26 Rudolf Weiser. 


der Nase von der Spina nasalis ab, hob sie durch eine dem oben be- 
schriebenen Lippenschild angelötete Vorrichtung weiter nach vorne und 
suchte sie durch Anlegen einer Bleiplattennaht (Figuren 45b und ce) 
schmäler zu formen. Die wunden Ränder der aus ihrer narbigen Ver- 
wachsung mit den Knochenstümpfen losgelösten Oberlippenreste rechts und 
links, sowie die durch Ablösung der Nase von der Spina nasalis gesetzten 
Wundflächen benähte ich gemäß dem von Foramitti geübten und uns 
empfohlenen Verfahren mit 200%iger in Firnis getauchter +) Jodeformgaze. 


Fig. 45c. Fig. 45 d. 





teils um sie gegen Infektion in den ersten Tagen zu schützen, teils um 
neuerliche unliebsame Verwachsungen hintanzuhalten. Etwa 14 Tage später 
entfernte ich die Bleiplattennaht; ich konnte zu meiner Freude tatsächlich 
eine Verschmälerung der unförmlich gewesenen Nase konstatieren (Fig. 45 d) 
und lötete, nachdem die Nasenspitze noch nicht genügend aus ihrer in- 
vertierten Stellung gegen die Mundhöhle gehoben erschien, eine gabel- 
förmige, in die Nasengänge hineinragende Vorrichtung auf das Lippen- 
schild, welche die Nasenspitze in jene Lage hob, die sie vor der Verletzung 





') Der Überschuß an Firnis ist zwischen Verbandmullstückchen abzutupfen 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 97 


innegehabt haben dürfte. Da uns einige voraufgegangene Versuche mit 
einem Nasenformer nach Cieszyński belehrt hatten, daß die Nasen- 
schleimhaut dieses Patienten beim geringsten Drucke (trotz aller Vorsicht) 
lebhaft mit Decubitus reagierte, unterließ ich nicht, vorher die ganze 
linke Nasolabialfalte des Patienten zu durchtrennen und die Wundfläche 
ebenfalls mit Jodoformgaze zu benähen. Hierdurch wurde jegliche Spannung 
aufgehoben und es gelang sofort, der Nase die in Figur 45 e dargestellte 
Form zu geben und sie in derselben zu erhalten. Der nächste Schritt in 


Fig. 45e. Fig. 46a. 





der Behandlung dieses Patienten wird die plastische Herstellung der 
Schleimhautseite der Oberlippe, sodann die Bedeckung des äußeren Ober- 
lippendefektes und womöglich gleich auch die Herstellung eines Filtrums 
sein, in welches späterhin ein dreieckiges Stück Knochen implantiert werden 
soll, um die Nase ohne Apparat dauernd in ihrer anatomisch richtigen 
Lage zu erhalten. 

Es gehört zu den schwierigsten Problemen, eine durch Verletzung ver- 
loren gegangene Oberlippe zu ersetzen. In der Regel ist man gezwungen, 
entweder aus dem benachbarten Teile des Gesichtes oder vom Halse, wo 


Fig. 46b. r Fig. 46c. 








Fig. 46d. Fig. 46e. 





Referate und Bücherbesprechungen. 99 


nicht gar von einer oberen Extremität langgestielte Lappen zu Hilfe. zu 
nehmen. | 

Mitunter gelingt es dem Plastiker jedoch, auch durch Exzision einer 
Narbe und Heranziehen mobilisierter Hautlappen aus der nächsten Um- 
rahmung des Defektes genügend plastisches Material zu gewinnen, um das 
gewünschte Resultat zu erreichen. Einen Fall letzterer Art, der in den 
Abbildungen 46a, b, c, d, e (Jäger Franz H.im F.-J.-Baon. Nr.9) dar- 
gestellt ist, hatte Esser Gelegenheit, im k. u. k. Reservespital Nr. 17 
äußerst glücklich durchzuführen. 


(Fortsetzung folgt.) 


Referate und Bücherbesprechungen. 


Wiener Medizinalkalender und Rezepttaschenbuch für praktische Ärzte. 
41. Jahrgang. Wien 1918, Urban & Schwarzenberg. 


Das von Urban & Schwarzenberg herausgegebene „Rezepttaschen- 
buch“ erscheint seit einigen Jahren unter dem oben angegebenen erweiterten 
Titel und mit wesentlich vermehrtem Text nunmehr zum 41. Mal. 

In 32 Abschnitten bringt es neben den nicht nur für den praktischen 
Arzt bestimmten Rezeptformeln kurze Abrisse aus allen Gebieten der 
Medizin. Es wird dadurch ein unentbehrliches Vademekum für jeden Arzt — 
auch den, der in einem Sonderfach der Medizin praktiziert. Ein Kalenda- 
rium mit den in einem Kalender üblichen Rubriken — Stempeltaxen etc. —, 
ein Verzeichnis der in Wien wohnhaften Ärzte und ein Notizbuch für alle 
Tage des Jahres ergänzen das trotz des reichen Inhaltes sehr handliche 
und übersichtliche Buch, für dessen Unentbehrlichkeit und Beliebheit die 
hohe Auflage spricht. 

Jeder Arzt wird es sich anschaffen. Steinschneider. 


Zur Kritik der Ursachen der Kieferanomalien. Eine neue Theorie zur Ätio- 
logie der Kieferverunstaltung des hohen Gaumens. Von Paul Wustrow. 
D. M. f. Z., H. 2, Februar 1917. 


Die vorliegende Arbeit ist vor allem als Kritik der Ansichten von 
Kantorowicz gedacht, die er in seiner Studie: „Über den Mechanismus 
der Kieferdeformierung bei behinderter Atmung“ niedergelegt hat. Die 
Wichtigkeit der diskutierten Frage rechtfertigt wohl ein ausführliches 
Referat. Die Hauptpunkte der Kantorowiczschen Ausführungen 
müssen zunächst rekapituliert werden. Bei der normalen Nasenatmung 
herrscht während der Inspiration im Atmungstrakt ein negativer, während 
der Exspiration ein positiver Luftdruck, die sich in etwaigen Wirkungen 
auf die Gesichtsknochen aufheben. In der durch den weichen Gaumen gegen 
den Pharynx abgeschlossenen Mundhöhle kommt es während der normalen 
Nasenatmung auch zu kleineren Druckschwankungen dadurch, daß der weiche 
Gaumen bei der Inspiration etwas pharyngealwärts angesaugt wird und 
umgekehrt. 

Bei erschwerter Nasenatmung (Adenoide) werden naturgemäß die Inspi- 
rationsbewegungen kräftiger, um in derselben Zeit durch die verengte 


30 Referate und Bücherbesprechungen. 


Stelle. die gleiche Luftmenge fördern zu können, dadurch aber auch der 
negative Druck hinter dem Hindernis viel größer als normal. Dieser ver- 
größerte negative Druck ist auch in der Mundhöhle durch ein Manometer 
nachzuweisen und manifestiert sich sehr schön in dem folgenden einfachen 
Versuche: bei verschlossenen Nasenlöchern und geschlossenem Munde werden 
bei Inspirationsbewegungen Lippen und Wangen an die Zahnreihen an- 
gesaugt. Dem Exspirationsstrom bei erschwerter Nasenatmung wird nun 
durch ein eigenartiges Moment trotz des nasalen Hindernisses ein Weg ge- 
bahnt, u. zw. durch die Ventilwirkung der Lippen. Diese werden bei dem in 
der Mundhöhle während der Inspiration herrschenden negativen Druck an- 
gesaugt und verschließen die Mundöffnung nur noch fester, bei der Exspira- 
tion genügt aber schon ein kleiner Überdruck innen, um die Lippenspalte 
zu öffnen und der Luft einen Weg nach außen zu bahnen. „Sehr häufig ist 
deshalb bei Personen mit leichtem, nasalem KRespirationshindernis der 
Atmungstypus derart, daß der Patient durch die Nase inspiriert und durch 
die sich bei jeder Exspiration leicht hebenden Lippen exspiriert, eine direkte 
Demonstration des Ventilverschlusses.‘‘ So kommt es also schon bei gehin- 
derter nasaler Atmung — noch ohne Mundatmung — dazu, daß der stark 
gesteigerte negative inspiratorische Druck durch den normal hohen ex- 
spiratorischen Druck in der Mundhöhle nicht mehr kompensiert wird. 

Bei der Mundatmung wird der Luftstrom durch die leicht geöffnete 
Lippenspalte geleitet. Dieser Öffnung fehlt die Versteifung durch Skelett- . 
bestandteile, wie wir sie an den Nasenflügeln sehen, so daß immer die 
Gefahr besteht, daß das weiche Rohr bei innerem negativem Druck kolla- 
biert und die Eingangsöffnung gerade bei der Inspiration verkleinert oder 
verschließt. (Denselben Vorgang sehen wir in jenen Fällen nach Strumek- 
tomie, in denen es durch den Druck der Struma zur Atrophie der Knorpel- 
ringe der Trachea gekommen war. Bei jeder Inspiration kollabiert nun das 
weiche Rohr.) Beim Wachen wird nun allerdings diese Gefahr des Lippen- 
verschlusses durch die Lippenmuskulatur ausgeglichen, anders aber im 
Schlafe — bei stark gesunkenem Tonus. Hier kommt es — abgesehen 
von jenen wenigen Fällen, wo Patienten mit weitgeöffnetem Munde schlafen 
— tatsächlich zum Ansaugen der Lippen während der Inspiration, dadurch 
zu einer Verengerung der Lippenspalte und zu einer Erschwerung der Ein- 
atmung. Die Exspirationsluft allerdings findet an den nach Aufhören des 
negativen Druckes wieder normalgestellten Lippen kein Hindernis. Es tritt 
also hier wieder durch die eigenartige Ventilwirkung der Lippen (die man 
übrigens an sich selbst einwandfrei feststellen kann, wenn man bei ver- 
schlossener Nase durch einen engen Mundspalt atmet) während der Inspi- 
ration ein nicht kompensierbarer negativer Druck in der Mundhöhle auf. 
Seine unmittelbare Folge ist nach Kantorowicz die allseitige Kom- 
pression des Kieferskelettes. 

Die allseitige Kompression äußert sich nun in einer Verengerung des 
oberen Zahnbogens und in einer Protrusion der oberen Schneidezähne wegen 
der Ellipsennatur der Kiefer, da eine Ellipse bei allseitigem Druck in der 
Richtung ihrer längeren Achse verlängert wird. Im Unterkiefer findet der 
Druck der Weichteile an der kräftigen Kompaktastruktur Widerstand, wes- 
halb der Unterkiefer im allgemeinen seine Form bewahrt. Die oberen Front- 
zähne werden gegen die auch auf ihnen lastenden Kompressionskräfte 
(Retrusionskräfte) aber nur dann protrudiert, wenn die Kontinuität des 





Referate und Bücherbesprechungen. 31 


Zahnbogens erhalten ist.. Fehlt einer der. Zähne, so kommt es tatsächlich 
zur Retrusion der Front. 

Nach Kantorowicez ist also die Ursache für die Kieferverände: 
rung bei Mundatmung der erhöhte inspiratorische negative Druck in der 
Mundhöhle, der wegen der eigentümlichen Ventilwirkung der Lippen durch 
den normalbleibenden Exspirationsdruck nicht kompensiert wird. 

Wustrow hält den Erklärungsversuch von Kantorowicz für 
gescheitert. Zunächst wendet er sich gegen die Auffassung von Kanto- 
rowicz, als stelle der Alveolar- und. Zahnbogen ein isoliertes Gebilde 
dar, das bei der Mundatmung einer Kompression unterliege. Er erwähnt 
ganz richtig, daß der Alveolarfortsatz des Oberkiefers nur im Zusammen- 
hange mit dem Gaumendache betrachtet werden darf. Ein allseitiger Druck 
auf die Wände der Mundhöhle, wie er dem von Kantorowicz behaup- 
teten negativen Inspirationsdruck in der Mundhöhle entspricht, wirkt da- 
her nicht nur im Sinne der Kompression der Alveolarfortsätze, sondern 
auch — von der Nase aus — im Sinne einer Gaumensenkung. Dem gegen- 
über muß man aber darauf hinweisen, daß der Druck auf die Alveolarteile 
jedenfalls überwiegen muß, da er eine bedeutend größere Fläche trifft, als 
der auf das Mundhöhlendach gerichtete. 

Wustrow geht nun weiter und untersucht die Druckverhältnisse 
in Nasen- und Mundhöhle bei Nasen- und Mundatmung und kommt auch hier 
zu abweichenden Resultaten. Die Hauptdifferenz in den Ausführungen der 
Autoren beruht darauf, daß Wustrow eine Art Ventilwirkung des 
weichen Gaumens annimmt. Dadurch wird — bei Nasenatmung — während 
der Inspiration aus der Mundhöhle Luft abgesaugt, der so entstandene 
negative Druck bleibt jedoch während der Inspirationsphase bestehen, da 
dann das Gaumensegel durch den intrapharyngealen Überdruck wieder an 
den Zungenrücken angelegt wird und so ein Druckausgleich zwischen Pha- 
rynx, Nase und Mundhöhle nicht möglich ist. So kommt W. zu dem Schlusse, 
daß sich die Druckkräfte, die auf das Gaumendach wirken, zwar während 
der Inspiration aufheben; während der Exspiration jedoch wirkt der posi- 
tive Druck in der Nasenhöhle mit dem (aus der Inspiration gleich geblie- 
benen) negativen Druck in der Mundhöhle zusammen im Sinne einer Gau- 
mensenkung bzw. Abflachung. 

Während sich aber die Schlußfolgerungen Wustrows nur auf 
theoretische Überlegungen stützen, hat Kantorowicz durch messende 
Versuche mittelst eines Manometers nachgewiesen, daß in dem kleinen, bei 
geschlossenern Munde zwischen Gaumen und Zunge bestehenden Luftraum 
nur geringe respiratorische Druckschwankungen zu konstatieren sind. Wir 
müssen daher, wie ich glaube, zunächst bei der Ansicht Kantorowic?z 
bleiben, daß bei der normalen Nasenatmung in der Mundhöhle keine beson- 
deren Kräfte ausgelöst werden, sondern daß der inspiratorische negative 
und exspiratorische positive Luftdruck in der Nasenhöhle sich in ihren 
Wirkungen aufheben. 

“ Bei der Mundatmung wirkt — einen Verschluß am hinteren Nasenende 
vorausgesetzt — nach W ustro-w. der. während der Inspiration entste- 
hende negative Druck im Sinne einer Gaumensenkung, der Überdruck wäh- 
rend der Exspiration im entgegengesetzten Sinne, so daß natürlich ihre 
Wirküng gleich Null bleibt. W us tro w schließt daraus: „Es sind also die 
veränderten Luftdruckwirkungen der Atmung _ ‚hei verlegtem Nasenweg 


32 Referate und Bücherbesprechungen. 


nicht das unmittelbar grundlegende Moment für die Kieferverunstaltung 
(Gaumenhebung).“ Bei seiner Beweisführung vergißtt Wustrow nur 
‚ganz und gar, daß er sich bis dahin in vollkommener Übereinstimmung mit 
Kantorowicz befindet, der ja auch der ungehinderten Mund- 
atmung (z. B. im Wachen) keinen Einfluß auf die Kieferdeformierung zu- 
schreibt. Die Ursache dafür findet Kantorowicz doch erst — wie er 
selbst betont — in der behinderten Mundatmung, das Hindernis selbst liegt 
in der eigenartigen Ventilwirkung der Lippen. Und diese wieder ist nicht 
nur theoretisch wohl begründet, sondern auch durch das Experiment (wie 
oben erwähnt) sehr leicht einwandfrei festzustellen. Gerade auf diesen 
Punkt kommt aber Wustrow überhaupt nicht zu sprechen. 

Wustrow muß nun nach einer Kraft suchen, die die Gaumenhebung 
bei der Mundatmung bewirkt, da auch er an dem ursächlichen Zusammen- 
hang beider Erscheinungen festhält. Er findet sie in der Keilwirkung, welche 
die unteren Molaren auf die oberen ausüben, da die Bißebenen nicht in einer 
horizontalen Ebene liegen, sondern infolge der Auswärtsneigung der oberen 
und der Einwärtsneigung der unteren Molaren abwärts konvergieren. 
Der Kaudruck wirkt daher im Sinne einer Annäherung der oberen Zahn- 
reihe aneinander — da die Fixation der unteren durch die Stärke der Mandi- 
bula gegeben ist, und diese komprimierende Kraft ist es, welche das bei der 
Mundatmung bezüglich der Luftdruckkräfte gegebene Gleichgewicht stört. 
Bei der normalen Nasenatmung jedoch wirkt sie der den Gaumen senken- 
den Kraft entgegen, die nach Wustrow aus dem Überwiegen des nega- 
tiven Druckes in der Mundhöhle resultiert, und kompensiert diese. Wenn man 
auch das Bestehen einer solchen Kraft theoretisch zugeben muß, so muß 
man doch bedenken, daß ihre Wirkung gerade bei der Mundatmung nur eine 
äußerst eingeschränkte sein kann, da ja hier die Zahnreihen, abgesehen vom 
Kauakt, nicht in Berührung kommen. Andererseits wissen wir aber, daß 
nächtliche Kaubewegungen bei Nasenatmern fast zur Regel gehören, und daß 
sie sogar höchstwahrscheinlich in ihrer Wirkung die bewußt ausgeführten 
Kaubewegungen während des Wachens übertreffen. Auch diese Überlegung 
läßt in der von Wustrow betonten Hauptursache der Gaumendeformie- 
rung höchstens ein sekundäres Agens erblicken. 

Schließlich legt W ustro w noch besonderes Gewicht auf das erbliche 
Moment bei der Akquisition des hohen Gaumens, muß aber diese Behaup- 
tung in dem Sinne einschränken, daß wahrscheinlich nur die Disposition zu 
adenoiden Wucherungen vererbt, der hohe Gaumen jedoch individuell er- 
worben wird. Und in dieser Auffassung dürfte wohl keine Differenz zu den 
Ausführungen Kantorowicz’ gelegen sein. 

Zusammenfassend müssen wir also sagen, daß die Theorie von 
Kantorowicz, die durch die Ventilwirkung der Lippen gestörte Mund- 
atmung sei das ätiologische Moment für den hohen Gaumen und die alveo- 
lare Prognathie, durch Wustrows Ausführungen nicht erschüttert wer- 
den konnte. Sicher. 





Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


— . den L1 Mame y 
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, II., Münzgasse 6.' 








Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


Organ via Seien Zahnärzte Osterreichs. 


Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 








i XVI. Jahrgang. 








l Februar 1918. 2. Heft. 








Nachdruck verboten. 


Original Arbeiten. 


Skorbut im Kriege. 


(Übersichtsreferat.) 
Von Oberstabsarzt Doz. Dr. J. Zilz. 


Die Ätiologie des Skorbuts ist eine bis zum heutigen Tage noch 
vollständig ungeklärte. Als hervorstechende Momente kommen außer un- 
hygienischen Verhältnissen, wie Kälte, Nässe und feuchte Wohnräume, 
noch andere Faktoren, wie Mangel der Ernährung, verdorbene Nahrungs- 
mittel etc., in Betracht. 


Nach Garrod besteht das Wesen des Skorbuts in einer Kachexie, 
welche durch eine kalisalzarme Nahrung bzw. infolge Mangel an frischen 
Gemüsen hervorgerufen wird. Das Fehlen der Kalisalze im Blut und den 
Geweben soll unmittelbar die skorbutischen Erscheinungen hervorrufen 


Laut Bunge hat die exzessive Zufuhr von Kochsalz eine vermehrte 
Abgabe von Kali zur Folge, ein Umstand, der ganz gut mit der Garrod- 
schen Theorie vereinbar ist. Trotz zweifelloser Richtigkeit dieser Theorien 
sind doch alle Fälle von Skorbut nicht zu erklären. Es sind Fälle 
beobachtet worden, die gerade gegen den Skorbutals 
Avitaminosesprechen. Daher finden sich auch Autoren, 
die den Skorbut als Infektionskrankheit ansehen 
(Much). Leitner (1) sieht den Skorbut als eine Avita- 
minose an, wofür die beiden von ihm beobachteten 
Fälle anamnestisch sprechen. 


Von objektiven Befunden seien Schwäche, Appetitlosigkeit und 
Gliederschmerzen, objektiv Blässe, Abmagerung und kachektisches Aus- 
sehen erwähnt. Blutungen verschiedenen Grades wurden beobachtet, haupt- 
sächlich an den Unterschenkeln und Oberschenkeln. In der Umgebung der 
Blutungen fand man häufig hartgespannte Infiltrationen. Häufig waren 
Blutergüsse in der Kniekehle. In 76% der Fälle wurde Auflockerung und 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 3 


34 J. Zilz. 


Blutung des Zahnfleisches beobachtet. Schwere Veränderungen 
des Zahnfleisches konnten zirkumskript an den hin- 
teren unteren Molaren beobachtet werden. 


Das Blutbild war bei allen Skorbutkranken ein einheitliches. Die 
wichtigsten Erscheinungen waren niedrige Leukozytenzahl, also Leuko- 
penie, herabgesetzte Erythrozytenzahl (31/.—4 Millionen), niedriger Hämo- 
globingehalt. 

Die Vergleiche der Blutbilder bei Beginn der Krankheit und in der 
Rekonvaleszenz zeigten, daß die relative Lymphozytose zur Zeit der Re- 
konvaleszenz wächst, und ferner war die Zahl der Übergangsformen im 
Blute zur Zeit der Rekonvaleszenz bedeutend. 


Die Heilung der Fälle ging verhältnismäßig rasch, obwohl das Blut- 
bild oft nach über 2 Monaten noch nicht normal war. 


Interessant ist die Tabelle der Blutwerte bei den verschiedenen 
hämorrhagischen Diathesen. 


Schneider (2) beobachtete seit März 1916 hämorrhagische Er- 
krankungen, deren Hauptsymptome Blutungen in und um die Haarbälge, 
an den Extremitäten, in die tieferen Weichteile der Beine und Arme, 
charakteristische Zahnfleischaffektionen und Glieder- 
schmerzen waren. 


Die Blutungen sind punktförmig-linsengroß im frischen Zustand, 
hellrot, dann dunkelrot, später braun. Die Blutungen in die tieferen 
Weichteile finden sich besonders in der Gegend der Ursprünge des Gastro- 
cnemius. In der Kniekehle finden sich die Blutungen besonders in der 
Gegend der Ansätze des Rectus femoris vor. Nächst dem Gastrocnemius 
ist die bevorzugte Stelle für Zellgewebsblutung ebenso das lockere sub- 
kutane Gewebe an der Ulnarseite des Ellbogengelenks. 

Über Schmerzen in den Waden, Tibialgien klagten fast alle Skorbut- 
kranken. 

Als Begleiterscheinung der hämorrhagischen Diathese bestand oft- 
mals Fieber. Die Skorbutkranken waren zumeist fahl, blaß, mit leichter 
Ziyanose. 

Schneider betont, daß es sich bei seinen Skorbutkranken um 
eine Epidemie handelte, die nur die vordersten Kampfstellungen heim- 
suchte. . 

Der infektiöse Charakter des Skorbuts ist, wie oben erwähnt, mannig- 
fach betont worden. Schneider glaubt, daß die meisten aus klimatischen 
Ursachen erkrankten. Feuchte Kälte wird ja als disponierendes Moment 
angesehen. Der Hauptfaktor ist jedenfalls in mangelnder oder fehlerhafter 


Skorbut im Kriege. 35 


Ernährung zu suchen, da die Symptome bei geeigneter Nahrung ehestens 
verschwinden. 


Als Krankheitsursachen werden angesehen: 
1. Der durch lange Zeit bestehende Mangel an frischen Vegetabilien. 
2. Der Mangel an Rohkost. 


Als unterstützende Momente sind relative Eiweißüberfütterung und 
Fettmangel zu bezeichnen. 


Außerordentlich nahe liegt die Annahme, daß die Veränderung, 
welche die Nahrungsmittel durch Kochen und Backen, vielleicht auch durch 
Gärung, erfahren, vielleicht durch Zerstörung von Vitaminen, den Skorbut 
verursacht. 


Ein disponierendes Moment scheint auch relativ hoher Eiweißgehalt 
der Nahrung zu sein. 


Brüning (3) hat 300—400 Skorbutfälle beobachtet. Nach seiner 
Ansicht sind die Zahnfleischveränderungen nicht ty- 
pisch, sind solche vorhanden, dann sind sie nicht ein 
Gradmesser für dieSchwere der Erkrankung. 


Die Munderscheinungen sind keine Gingivitis, 
ihrCharakteristikumist, daßjederentzündliche Pro- 
zeß fehlt. Es handelt sich nurum Folgezustände der 
Gefäßveränderungen, die in ihrer Wandung geschä- 
digt, abnorm durchlässig und leicht zerreißbar sind. 

Die Blutungen der Haut ähneln kleinen Ekchymosen, die Haut selbst 
ist atrophisch, ausgetrocknet und schuppt sich stark. 

Gehäufte Furunkelbildung hat der Verfasser nicht gesehen. 

Der Sitz der Hautblutung ist besonders am Unterschenkel und Unter- 
arın. Tiefe Blutungen kündigen sich nur durch Muskelauftreibungen an, die 
Folge ist mehr oder weniger starker Funktionsausfall des betreffenden 
Gliedes. Auch hier ist die Wadenmuskulatur bevorzugt. Das Zustande- 
kommen dieser Blutungen erklärt er sich so wie bei den Zahnfleisch- 
blutungen. 

Das wichtigste Allgemeinsymptom ist die Anämie, die in schweren 
Fällen, progredient verlaufend, zum Exitus führt. Dabei sind Bluttrans- 
fusionen und Seruminjektionen ohne Erfolg geblieben. 

Temperatur fehlt bei leichten Fällen, in schweren Fällen leichte 
Temperaturerhöhung, den Resorptionsvorgängen entsprechend. 

Das Aussehen der Wunden beim Skorbut ist typisch. Die Granu- 
lationen sind bläulich verfärbt und neigen zu Blutungen. 


3% 





36 J. Zilz. 


Die Heilungstendenz der Wunden ist wesentlich herabgesetzt. Tst 
die Heilung eingetreten, so sieht die Narbe gewulstet aus, die Umgebung 
ist dunkelblau verfärbt. 

Hämatome neigen zur Infektion durch die Blutbahn. Kallusbildung 
fehlt beim chronischen Skorbut. 


Während die Prognose für Skorbut im allgemeinen günstig ist, ist 
dieselbe als ungünstig zu bezeichnen, wenn er mit anderen Krankheiten 
vergesellschaftet ist. 


Therapie: Dieselbe besteht in der Verabreichung frischer Gemüse, 
Zitronensaft etc. 


Wunden sind der Sonnen- und Freiluftbehandlung zuzuführen, da 
andere Mittel versagen. 


Schließlich erwähnt der Verfasser, daß er den Skorbut als 
eine Infektionskrankheit ansieht. 


Feig (4) beobachtete 1914/15 eine Skorbutepidemie in einem Ge- 
fangenenlager, gegenwärtig bei der eigenen Mannschaft im Felde. Be- 
sonders genau war das Studium des ursächlichen Zusammenhanges dieser 
Erkrankung mit der Verköstigung möglich, so zwar, daß die Krankheit 
schon in ihrem Anfangsstadium durch die entsprechende Diät zu kupieren 
war. Als erstes Symptom sind die ziehenden Schmerzen in den Extremitäten 
zu nennen, zur selben Zeit die Veränderung der Haarfollikel nachweisbar, 
die, an der Außenseite der Oberschenkel beginnend, sich auf die Unter- 
schenkelstreckseite der oberen Extremitäten, schließlich auf die Bauch- 
und Brusthaut fortsetzen. Die anfangs hellroten Pünktchen vergrößern 
sich, werden blaurot, schließlich als lichenartige Knötchen konfluieren sie, 
bis ihre Anordnung unter Umständen so dicht wird, daß überhaupt kein 
normal gefärbtes Stückchen Haut zu sehen ist. Mundveränderungen sind 
fast stets vorhanden. Sie beginnen mit der blauroten Verfärbung des Zahn- 
fleischsaumes und führen zur Auflockerung und Schwellung des ganzen 
Zahnfleisches. 


An schweren Fällen beobachtet man pralle Schwellung der Extremi- 
täten, von tiefliegenden Blutungen herrührend. In 3 Fällen war beider- 
seitige Lymphdrüsenschwellung im Gesichte, von der Schläfe bis zur Mitte 
des Halses reichend, nachzuweisen. 

Das Allgemeinbefinden ist anfangs nur mäßig gestört, im Fort- 
schreiten der Erkrankung werden die Patienten bettlägerig und schwach. 
Anämische bis zyanotische Gesichtsfarbe sind stets vorhanden. Die Sto- 
matitis erschwert die Nahrungsaufnahme. Von Seite der Lunge ist Bron- 
chitis, eventuell trockene Pleuritis nachzuweisen. Der Urin war in allen 





Skorbut im Kriege. 97 


Fällen eiweiß- und blutfrei. Dieses Höhenstadium der Erkrankung wurde 
nur in wenigen Fällen erreicht, da die Therapie dem Weiterschreiten der 
Krankheit Halt gebot. 


Die Diagnose Skorbut ist bei der verschiedenen Ausdehnung der 
Symptome oft nicht so leicht. In vielen Fällen treten gewisse Symptome 
auf, während andere ganz in den Hintergrund treten. 


Die therapeutische Diät führt dem Kranken reichlich frisches Ge- 
müse zu. 

Leichte Fälle heilen in 4 Wochen, schwere in 2 Monaten. 

Die Schmerzhaftigkeit im Bereiche der Extremitäten läßt nach, die 
Follikel heilen durch Abschuppung, oft Pigmentationen zurücklassend. 


Dr.Walter und Dr.Pascher (5), welche seit Jahren an der 
Südfront ärztlich tätig sind, ist es aufgefallen, daß regelmäßig bei: sonst 
gleichbleibender Ernährung der Truppen, zur Zeit der Schneeschmelze 
schwere Fälle von Skorbut gehäuft auftreten, und es ist deshalb die Mei- 
nung nicht unberechtigt, daß unbeschadet anderer Ursachen, als Mangel 
an vitaminreicher Ernährung bei den Fronttruppen, in diesem Fall durch 
den (Genuß des an Salzen armen Schmelzwassers die gehäuften Fälle von 
Skorbut zur Zeit der Schneeschmelze hervorgerufen werden. 

Durch Zusatz von Salzen, also von Kochsalz, zu dem Schneewasser 
kann, falls diese Anschauung sich als richtig erweist, in weiteren Jahren 
derartigen Erkrankungen nach Möglichkeit vorgebeugt werden. 


Die von Saxl und Melka (6) beobachteten Fälle betrafen Russen, 
die im Frühjahr 1917 in Gefangenschaft gerieten. Die Verfasser betonen, 
daß die Gefangenen gut und reichlich verpflegt waren, daß aber die Pa- 
tienten selbst angeben, daß vor ihrer Gefangennahme im russischen Heere 
cine Massenepidemie gewütet habe. Die ersten Beschwerden äußerten sich 
in Schmerzen an Armen und Beinen, vorwiegend Tibialgien. Dann traten 
Beschwerden in der Mundhöhle Schwellung des Zahn- 
fleisches und Neigung zu Blutungen auf. Die Hämorrhagien waren 
in der Haut und im Unterhautzellgewebe. Dieselben waren fast aus- 
schließlich an den Extremitäten lokalisiert. Von Blutungen aus inneren 
Organen wurden eine Lungenblutung und 2 Fälle von Hämatothorax be- 
obachtet. 1 Fall von Hämatothorax, der zur Obduktion kam, zeigte neben 
einscitigem Hämatothorax zahlreiche Ekchymosen an den serösen Über- 
zügen und Schleimhäuten der inneren Organe. Die Darmschleimhaut zeigte 
pigmentierte Narben, die offenbar von einem überstandenen Darmkatarrh 
herrühren. 

Die meisten Kranken fieberten, viele sehr hoch. Von den thera- 
peutischen Maßnahmen (Diät, Zufuhr von Säuren und Salzen) scheint 


38 J. Zilz. 


dieMundpflegesehr wichtig zu sein. Die Zahnfleisch- 
erkrankungläßtdeutlicherkennen, daßdieBlutungen 
nicht das primäre sind. 


Die Blutungen der Extremitäten hatten immer dieselbe Farbe, woraus 
die Verfasser den Schluß ziehen, daß es in der betroffenen Region zur 
Nachblutung nicht kommt. 

Bei einer allgemeinen Gefäßschädigung im Sinne einer erhöhten 
Wanddurchlässigkeit mußte es auch zu einer exsudativen Diathese kommen ; 
von dieser ist aber beim Skorbut nichts zu bemerken. Nach den mit- 
geteilten Beobachtungen muß der Grundsatz aufgestellt werden, daß der 
Skorbut keine hämorrhagische Diathese ist Von 
einer generalisierten Gefäßschädigung kann beim 
Skorbut nach Ansicht der Verfasser keine Rede sein. 
Gingivitis den ganzen Prozeß überdauernd. 

Gestützt auf seine klinischen Erfahrungen, teilt Hoerschel- 
mann(8) die Skorbutfälle nach der Schwere in drei Grade ein. Die Sym- 
ptome sind dabei etwa folgende: 


1.Grad: Leichte Stomatitis, sich äußernd in livider Verfärbung des 
Zahnfleisches, Blutungen aus dem Zahnfleisch, besonders bei Genuß von 
hartem Brot, geringe Petechien an den Beinen, vorzugsweise an der Beuge- 
seite und den Haarbälgen entsprechend lokalisiert, keine oder geringe 
Schmerzen beim Gehen, Puls meist nicht verändert. 


2.Grad: Ausgesprochene Gingivitis, die um kariöse Zähne herum 
schon ulzerösen Charakter annehmen kann, Petechien und Sugillationen am 
weichen und harten Gaumen; zahlreiche Petechien an Beinen, Bauch und 
Unterarmen, auch subkutane Sugillationen daselbst; ausgesprochene 
Schmerzen in den Beinen, häufig herabgesetzte Ernährung (letzteres durch- 
aus nicht immer) und zuweilen allgemeine Anämie und Müdigkeit bzw. 
leichte Ermüdbarkeit; Labilität des Pulses, der auf geringe Bewegungen 
mit erheblicher Beschleunigung reagiert; zuweilen mäßige subfebrile 
Temperaturen, häufig Bronchitis catarrhalis. 


3. Grad: Stomatitis ulcerosa, Hämatome am Zahnfleisch, starker 
Foetor ex ore, zuweilen ausgebreitete Sugillationen am harten Gaumen. 
(Hier sei nochmals darauf hingewiesen, daß gerade in schweren Fällen die 
Mundaffektion völlig fehlen kann oder häufig nur leicht angedeutet ist, 
Fälle, die man gewöhnlich als Morbus maculosus Werlhofii bezeichnet hat.) 


Die Prognose des Skorbuts ist im allgemeinen durchaus günstig. 
Die Krankheitsdauer beträgt nach den Erfahrungen der russischen Ärzte 
in leichten Fällen einige Monate, in mittleren ein halbes Jahr, in schweren 
noch längere Zeit. 


hun zu u a 0 Due ZUBE n E E ES Ca DE E R 


mm I. une - ` — 


Skorbut im Kricge. 39 


Von Komplikationen beobachtet Hoerschelmann am häufigsten 
durch Sekundäraffektion entstandene Ulcera cruris und Furunkulosis mit 
sehr geringer Heilungstendenz. Chirurgische Eingriffe sind an Skorbuti- 
kern, wenn irgend möglich, streng zu vermeiden! Die Wunden zeigen 
absolut keine Heilungstendenz. 

Die Frage nach der Ätiologie des Skorbuts kann klinisch nicht mit 
absoluter Sicherheit entschieden werden. Bekanntlich gibt es Autoren, 
welche die Ansicht vertreten, es müsse sich beim Skorbut um eine In- 
fektionskrankheit mit spezifischem Erreger handeln. 

Gegen Infektion spricht: i 

1. Das Auftreten der Krankheit im Frühjahr, zu einer Zeit, wo 
kein frisches Gemüse vorhanden ist, und ihr Verschwinden mit dem reich- 
lichen Verabfolgen desselben. 

2. Das Fehlen von Beobachtungen direkter Übertragung der Krank- 
heit, z. B. bei Bettnachbarn. 

3. Das Verschontbleiben des Offizierskorps. In unserem Armeekorps 
erkrankten nur ganz vereinzelt Offiziere und nur in leichter Form. Alle 
diese hatten sich an der vorderen Linie längere Zeit aus der Soldaten- 
küche verköstigt. 

Dank der hygienisch-sanitären Maßregeln während des Krieges ist 
in neuerer Zeit ein endemisches Auftreten völlig verschwunden, nur in 
Rußland, wo die sanitär-hygienischen Verhältnisse aller Beschreibung 
spotten, konnte es zu einer so großen Skorbutendemie kommen. 

Unter den von Disqué (9) beobachteten 504 Fällen war nur ein 
Fall mit starker Stomatitis ulcerosa auf die Gingiva lokalisiert, bei dem 
sich unter Schwellung und Geschwürsbildung mit Blutungen die Schleim- 
hautnekrose in großen, weißen Fetzen ablöste und einen widerwärtigen, 
aasartigen Foetor ex ore hervorrief. Kleine Ekchymosen entwickelten 
sich am weichen Gaumen und Rachen. 

Unter geeigneter diätetisch-hygienischer und medikamentöser Be- 
handlung gingen die Erscheinungen ziemlich schnell zurück. 

Die Kranken erhielten eine allgemeine Diät mit Skorbutzulage. 
Diese Zulage bestand aus einem Salat von Kartoffeln, Zwiebeln, Weißkohl 
und roten Rüben und wurde von den Kranken sehr gerne genommen. 

Einen ganz großartigen Erfolg, selbst bei schwereren Fällen, hatte 
er mit der Kalktherapie. 


Literatur: 1. Dr. Philipp Leitne r, Beiträge zur Hämatolyse des Skor- 
buts. Wiener klin. Wochenschr. vom 2. August 1917, S. 978. — 2 Dr. Erich Schnei- 


40 Rudolf Weiser. 


dor, Skorbut im Felde. Wiener med. Wochenschr , Nr. 44 und 45, S. 1934—1985. — 
3. Dr. F Brüning, Skorbut und Chirurgie. Bruns’ Beiträge zur klin. Chir, 
30. Kriegschirurgisches Heft, Bd. 105, 1917, S. 124. — 4. Dr. J. F eig, Beobachtungen 
über Skorbut im Kriege. Med Klinik, Nr.31 vom 5. August 1917, S. 837 — 5. R. 
v.Jaksch, Schneewasser und Skorbut. Zentralbl. f. innere Med., 1917, Nr.32. — 
6. Dr.Saxl und Dr.Melka, Über den Skorbut und seine Beziehungen zu den 
hämorrhagischen Diathesen. (Aus einem Epidemiespital der k. u. k. 4. Armee.) Med 
Klinik, Nr.37 vom 16. September 1917, S. 986. — 7. Dr. Theodor Zlocisti, Die 
kriezechirurgische Bedeutung des Skorbuts. (Aus dem Lazarett der 1. Abordnung 
des Deutschen Roten Kreuzes in die Türkei.) Bruns’ Beiträge zur klin. Chir., 
Bd. 103, H. 4 (28. Kriegschirurgisches Heft). Mit 92 Abbildungen. 1916. — 8 Doktor 
Ernst Hoerschelmann, Assistent der Chirurgischen Abteilung des II. Stadt- 
krankenhauses in Riga, Zur Klinik des Skorbuts in der russischen Armee. Deutsche 
med. Wochenschr., 27. Dezember 1917, Nr. 52, S. 1617. — 9 Oberarzt d. R. Dr. Ludwig 
Disque6, Entstehung und Verlauf des Skorbuts im Jahre 1916 unter den deutsch- 
österreichischen Kriegsgefangenen in Taschkent (Turkestan). Med. Klinik, 1918, Nr. 1. 


Ein Jahr ehwurgisch-zahnärztliche Tätigkeit 
im Kieferspitale. 


Von Professor Dr. Rudolf Weiser, k. u. k. Oberstabsarzt, Chefarzt. der chirurgisch- 
prothetischen Abteilung am K. u. k. Reservespital Nr. 17 in Wien.!) 


(Vortsetz un g.) 


Eine geheilte Fraktur des Ober- und des Unterkiefers und den Ersatz 
des rechten Bulbus beim Honved-Inf. Sandor K.des k. u. Honved-Inf.-Reg. 
Nr.17, der anı 23. November 1915 in Italien durch Granatschuß verletzt 
worden war, stellen die Figuren 47a, b, e dar. 

-~ Die Figuren 48a und b stellen den Inf. Anton B. des k. u. k. Inf.-Reg. 
Nr. 46/7 dar. Es handelte sich um einen mit der Durchreißung der Unter- 
lippe und der Weichteile des Kinns rechts von der Mittellinie komplizierten 
Splitterbruch des Unterkiefermittelstückes, kombiniert mit einer erheblichen 
Dislokation der Fragmente. Trotz scheinbarer Einfachheit der Verhält- 
nisse währte es relativ sehr lange, bis knöcherne Konsolidierung eintrat. 
Zum Schlusse heilten doch die Fragmente ohne Pseudarthrosebildung 
knöchern zusammen und es war nach Herstellung einer die fehlenden Zähne 
und Kieferteile ersetzenden Prothese möglich, durch eine von Fora- 


'!) Aus: Beiträge zur Kieferschußtherapie Aus Anlaß des einjährigen Be- 
stehens des k. u. k. Reservospitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für Kieferverletzte) 
herausgegeben von der Österr Zeitschr. f. Stomatologie. 


m aŘħŘħĖŐ 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 41 


mitti ausgeführte, gut gelungene Lippenplastik den Patienten von 
seinem langwierigen, lästigen, auf dem Bilde 48 a auch ersichtlichen 
Speichelflusse zu befreien und frontdiensttauglich zu entlassen. 

Vom Standpunkt der Militär-Sanitätspflege nicht uninteressant ist der 
Fall Lorenz L., Inf. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 35/4. Patient wurde am 
21. Juni 1915 am Dnjestr verwundet, passierte dann drei andere Spitäler 
und es kam im Laufe von sechs Monaten ohne eigentliche Behandlung, so- 


£E Fig. 47a.7 ' Fig. 47b. 





zusagen spontan zur Verheilung der Verletzungen in chirurgischem Sinne. 
Immerhin wurde erst bei seiner am 4. Dezember 1915 erfolgten Aufnahme 
in unser Spezialspital dazu geschritten, den Defekt an Zähnen und Alveolar- 
fortsatz, sowie den mit äußerst lästigem Kolobom verbundenen Defekt von 
Unterlippe und Kinn in sachgemäße Behandlung zu ziehen; es gelang durch 
Herstellung eines oberen und eines ziemlich komplizierten unteren Zahn- 
ersatzstückes, eine vollständig normale Kaufunktion zu erzielen und die 
Fig. 49a und b zeigen das von Esser erzielte Resultat einer kombinierten 
Cheilo- und Genioplastik. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 4 


4? Rudolf W eiser. 


Der am 9. September 1914 an der nördlichen Front verwundete Jäger 
Franz Sp. (Fig. 50b und c) des Feld-Jäger-Baons. Nr. 12/4 hat einen Teil 
des linken horizontalen und den ganzen aufsteigenden Unterkieferast ver- 
loren. Für die Vornahme einer Osteoplastik konnte sich der Patient vor- 
läufig nicht entschließen; auch das Weichteilbett wäre in seinem damaligen 
Zustande zu arm an Substanz und narbig zu sehr verändert. gewesen. Da- 
gegen bat der Patient dringend, ihm die sehr entstellende Grube in der 


Fig. 47c. Fig. 48a. 





linken Wange auszufüllen (Fig. 50a). Um diesem Wunsche zu entsprechen 
und gleichzeitig Material für eine später etwa vorzunehmende Knochen- 
plastik herbeizuschaffen, schlug ich vor, ein Lipom, welches mein zahn- 
ärztliches Assistenzfräulein durch seinen Sitz in der linken Lende in der 
Ausübung ihres Berufes belästigte, zu transplantieren. Unser Konsiliarius 
Foramitti willigte in den Vorschlag ein und die geplante Operation 
wurde am 16. Dezember 1915 ausgefübrt. Die Nachbehandlung verlief 
reaktionslos, nur stellte sich eine haarfeine Fistel ein, durch welche ein 
sich erweichender Teil der transplantierten Fettgeschwulst in Form von 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 43 


Fig. 48b. Fig. 49a. 





lig. 49b. 





4* 


Fig. 50b. Fig. 50c. 


41 Rudolf Weiser. 





Fig. 50d. Fig. 5la. 











Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 45 


Fetttröpfchen ausfloß. Nachdem das Transplantat überreichlich Material 
geboten hatte, um die Grube auszufüllen, blieb nach dem Sistieren der 
Vertlüssigung immer noch soviel vom Transplantat zurück, daß der kos- 
metische Erfolg befriedigend ausfiel. Die auf dem Bilde 50 d sichtbaren 
länglichen Schnitinarben, von voraufgegangenen Operationen stammend, 
wurden vorläufig nicht korrigiert, weil der Operateur befürchtete, daß die 
in ihrer Ernährung ohnedies stark geschädigte Haut nekrotisch werden 
könnte, wenn man ihr auf einmal zuviel zumutete. Die bogenförmige 


Fig.51b. Fig. 51e. 





Narbe in der Regio submaxillaris entspricht dem für die Bergung des 
lipoms ausgeführten Bogenschnitt.!) 

Der Inf. Karl P. des k.k. Landw.-Inf.-Reg. Nr. 2 erlitt am nördlichen 
Kriegsschauplatze durch Schrapnellschuß außer einer tiefen Rißquetsch- 
wunde in den Weichteilen des rechten Schulterblattes und der rechten 

') Figur 50 a ist die photographische Wiedergabe einer Handzeichnung. 
welche nach der Operation aus der Erinnerung angefertigt werden mußte, weil der 
Photograph bedauerlicher Weise vergessen hatte. vor der plastischen Operation eine 
Auinahme zu machen. 


46 Rudolf Weiser. 


Wange eine bis zur Zunge reichende Zerreißung des Mundhöhlenbodens, 
den Verlust sämtlicher Zähne des Unterkiefers bis auf die Wurzeln von 
33 5 und einen komplizierten Splitterbruch des Unterkiefermittelstückes, 
infolgedessen die Fraktur schließlich in Spitzbogenstellung knöchern aus- 
heilte. Es gelang mir die Wurzeln des 3B 5, die einzigen feststehenden Zahn- 
rudimente, konservierend zu behandeln und miteinander durch ein Brücken- 
gerüst zu verbinden, wodurch ihr Halt wohl auf eine längere Reihe von 
Jahren gesichert erscheint. Auf diesem Brückengerüste findet ein mit 


Fig. 5l d. Fig. 51e. 





Basalklammern (siehe Fall H., Orthopädie der Oberkieferfrakturen) ver- 
sehenes, die sämtlichen Zähne des Unterkiefers ersetzendes unteres Gebiß 
vollkommen sicheren Halt. Durch die Anwendung von Basalklammern ist 
es möglich gewesen, trotz des in Spitzbogenstellung ausgeheilten Unter- 
kieferbruches die Zähne des Unterkiefers in normal weitem Zahnbogen aufzu- 
stellen und mit der durch ein partielles Zahnersatzstück ergänzten Zahnreihe 
des Oberkiefers in richtige Artikulation zu bringen. Die Figur 5la zeigt 
den Patienten ungefähr in der dritten Woche nach seiner Abgabe an das 
Kieferspital mit schon bedeutend verengtem Weichteildefekt und in dem 
Momente, als die mit Barthaaren besetzten Wundränder sich trotz der 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 47 


lebhaften Eiterung der Unterkieferfragmente und des Splitterherdes, wo- 
selbst zahlreiche sequestrierte Knochenpartien sich noch nicht demarkiert 
hatten, mit unwiderstehlicher Gewalt einrollten, so daß die Gefahr be- 
stand, eine Unterkieferspeichelfistel zu bekommen, in welcher die Barthaare 
gegen die Mundhöhle hineinwachsen. Ich war daher genötigt, die narbigen 
Wundränder zum Teile zu exzidieren, nach auswärts zu rollen und trotz 
der bestehenden Eiterung die Weichteile durch Etagennähte zu vereinigen. 


Fig. 52a. Fig. 52b. 





Vorsichtshalber ließ ich nur am rechten Ende des vernähten Wundspaltes 
einen federkieldicken Gummischlauch zur Drainage der Wunde liegen 
(Fig.51b). In kurzer Zeit lösten sich noch einige Sequester, ließen sich 
‚auf intraoralem Wege entfernen und von da ab schloß ich auch die drai- 
nierende Fistel. Die Bilder 51 e, d, e zeigen den Patienten in dem Momente 
seiner Entlassung aus dem Spitale. 

Als eine der schwierigsten Behandlungen erwies sich die des Inf. 
Johann P. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 35/2, der nach seiner Heimkehr als 
Kriegsinvalider aus der russischen Gefangenschaft an eine der chirurgischen 
Abteilungen des k. u. k. Kriegsspitales in Grinzing abgegeben und uns von 
Stabsarzt Primarius Prof. Dr. Hans Lorenz zur spezialistischen Behand- 


48 Rudolf Weiser. 


lung anvertraut wurde. Während seines Aufenthaltes in russischen Spitälern 
wurde der Patient zwar gepflegt, jedoch weder chirurgisch noch zahnärztlich 
behandelt. Noch bei seinem Eintreffen in Wien bestand ein für die Um- 
gebung des Kranken äußerst lästiger Foetor ex ore. Infolge narbiger Ver- 
engerung der — Unterlippe, Kinn und Mundhöhlenboden durchsetzenden 
— Wundspalte und Inversion der behaarten Hautlappen bis an den Grund 
der vertikal aufgestellten, dem weichen Gaumen anliegenden Zunge sowie 
hochgradiger Ankylose der Kiefergelenke war die Untersuchung der Mund- 


Fig. 52c. Fig. 52d. 





ee 


ra 





B = 


höhle außerordentlich erschwert. Immerhin erwies sie, daß sich der 

Zahnbestand des Unterkiefers auf den zweiten Mahlzahn links unten, auf 

den ersten und zweiten Mahlzahn rechts unten beschränkte. 
Zahnformel: 






87654321 


EEE e e TAE 


Der rechte und der linke Kieferstumpf waren infolge Narbenzuges so 
hochgradig disloziert, daß die Fragmentenden sich in der Mitte des Mund- 





a 


—— —— ee lea aà IMÁ Á D Te nn 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 49 


höhlenbodens und vor der nach hinten und oben verdrängten Zunge be- 
rührten. Die einigermaßen sichtbaren Frontzähne des Oberkiefers waren 
gelockert und infolge des Narbenzuges, der sich von den Wundlappen der 
l Unterlippe und der unteren Wangenpartien hinauf bis auf die beiden 
Hälften der Oberlippe geltend machte, in stark prognathische Stellung 
gedrängt. Die Wurzeln des abgeschossenen |1 2 waren in Kiew extrahiert 
worden. Der rechte untere Nasengang war durch ein Geschoßmantelstück 
verlegt. Es ist begreiflich, daß der Patient infolge dieses Zustandes nur sehr 


Fig. 52e. Fig. 52 f. 


i A Afaa 
à u a i e - AL 
n | td 
` $ ; r ’ 
z = TOR 
1 > E laa 
Cs ff % d . 
`» å . "E>, ar ‘ 
n y 
ioa. hia. 6. ina aul M a ee: 


# BE ze 


er 





4 g MET Y 
se a hai 
esef nA. m. e 


schwer mittelst Schlauches aus der Schnabelschale ernährt werden konnte, 
daß die Luftzufuhr eine äußerst beschränkte und das Sprechvermögen 
vollkommen aufgehoben war; Patient konnte sich nur schriftlich ver- 
ständigen. Die Bilder 52a, b, e zeigen den Patienten in der Vorder- und 
den beiden Seitenansichten zur Zeit der Übernahme in unser Spital. Trotz 
der ganz ungewöhnlichen Schwierigkeiten, welche sich in diesem Falle der 
orthopädischen Behandlung entgegenstellte, gelang es Kränzl nach 
meiner Anordnung eine Immediatschiene herzustellen, welche aus einem 
& 7] und [7 umfassenden Ringe, je einer dem Ringe buccalwärts angelöteten 
vertikalen Kanüle mit quadratischem Querschnitte und aus einem nach Maß- 


50 Rudolf Weiser. 


gabe des oberen Zahnbogens gebogenen, aus zwei Teilen bestehenden und in 
der Mitte verschraubbaren horizontalen Unterkieferbügel bestand. Der 
Apparat wurde auf einem nach Gipsabdruck von den unteren Kiefer- 
fragmenten nach der allgemein üblichen Methode gewonnenen Artikulations- 
modelle hergestellt, d.h., das Modell des Unterkieferbruches wurde in der 
Mitte durchsägt und die beiden Hälften in idealisierter. Weise zum Gips- 
modelle des Oberkiefers in Artikulation gebracht. Unter Berücksichtigung 
dieser idealisierten Artikulation wurde der oben erwähnte, aus zwei mit- 


Fig. ö2g. Fig. 52h. 





einander verschraubbaren Teilen bestehende Unterkieferbügel gebogen. 
Diese Immediatschiene hatte die Bestimmung, am Schlusse der geplanten 
blutigen Reposition der Kieferfragmente eingesetzt zu werden (Fig. 52 d). 

Den nächstfolgenden Eingriff bildete die Entfernung des Fremd- 
körpers im rechten Nasengange, die Dozenten Dr. Kofler bei äußerster 
Schonung des Patienten prompt gelungen war. Nachdem auf diese Weise 
die Luftpassage durch die Nase wieder hergestellt war, hätte im Bedarfs- 
falle Patient auch anstandslos einer allgemeinen Narkose unterzogen werden 
können; andrerseits hob sich infolge dieses gelungenen rhinologischen Ein- 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. Bl 


griffes das subjektive Befinden und Aussehen des Patienten in ganz er- 
heblichem Maße. 

Am 7. Dezember 1915 führte Professor Lorenz die Durchschneidung 
der sehnigen Narben bis auf den Mundhöhlenboden und die Loslösung 
der Frakturenden aus dem narbigen Zungengrunde in lokaler Novocain- 
Anästhesie aus. Blutung auffallend gering. Die Zunge hat keine be- 
sondere Tendenz, sich nach rückwärts zu ziehen. Es gelingt mit einiger 
Anstrengung, die Frakturenden mit dem Öberkiefer in annähernd richtige 


Fig. 53a. Fig. 53b. 





Artikulation zu bringen. Im Verlaufe -der weiteren Behandlung erwies 
sich, daß 7 6] nur scheinbar fest am rechtsseitigen Kieferfragmente saßen, 
vielmehr mit dem ihnen zugehörigen Alveolarteile abnorme Eigeubewegung 
gegenüber dem Corpus mandibulae besaßen und eine ad hoc angeordnete 
röntgenologische Teilaufnahme zeigte, daß die Wurzeln dieser beiden 
Mahlzähne in halber Höhe frakturiert waren. Es blieb somit nichts übrig, 
als diese hochgradig gelockerten, außerdem im Verlaufe der Nachbehaud- 
lung in einem periostitischen Abszesse schwimmenden Zahnfragmente zu 
entfernen und statt des rechtsseitigen doppelten Ringes eine den ganzen 


59 Rudolf Weiser. 


Kieferstumpf umfassende und möglichst tief gegen den Mundhöhlenboden 
reichende, mit Guttapercha und Jodoformgaze bedeckte Pelotte anzuwenden, 

welche fortab auf dieser Seite den Stützpunkt für den metallenen Unter- 
_kieferbogen abgeben mußte. 

Der Überzug mit 200% iger gefirnißter Jodoformgaze, wie sie nach 
Einführung des Jodoforms in die Chirurgie durch Mosetig schon vor 
30 Jahren an der Klinik Billroth im Gebrauche war und die in der 
operativ-zahnärztlichen Praxis nie verlassen wurde, ermöglicht es, Pelotten, 


Fig. 4a. Fig. 54b. 





Tampons und dergleichen 8—14 Tage und darüber zu belassen, ohne daß 
sie einen fauligen Geruch annehmen; im Gegenteil, im Munde vorhanden 
gewesener Fötor schwindet von dem Momente an, als bei einem Patienten 
ein größeres Stück hochprozentiger Jodoformgaze in Verwendung steht. 
Nach beharrlicher Überwindung aller erdenklichen Schwierigkeiten 
gelang es, den durch den Narbenzug prognathisch gewordenen Oberkiefer- 
bogen mit einer normal geformten, auf dem Bilde 52e sich gut dar- 
stellenden Brücke zu versehen und eine mit den Zähnen des Oberkiefers 
tadellos artikulierende Unterkieferprothese herzustellen. Patient hatte 
zu dieser Zeit in ganz befriedigender Weise kauen und vollkommen deut- 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 53 


lich sprechen gelernt und sah voll Zuversicht der Durchführung unserer 
weiteren Heilpläne entgegen. Auf der Abbildung 52f ist auch ersichtlich, 
in welcher Weise wir dafür vorgesorgt hatten, daß der Chirurg ein den 
anatomischen Verhältnissen, insbesondere der Protuberantia mentalis ent- 
sprechendes Substrat für seine Weichteilplastik vorfinde. Der in der Mitte 
der unteren Prothese an der Grenze zwischen künstlichem Zahnfleisch und 
Ersatz des Kieferknochens auf Abbildung 52 f sichtbare Schraubenkopf ent- 
spricht einer Schraube, mittelst welcher Zahn- und Kieferersatz an den 


Fig. 54c. Fig. bD5a. 





Metallbügel fixiert ist; bei Abnahme dieser Schraube kann infolgedessen 
auch die Unterkieferprothese behufs Reinigung entfernt werden. 
Am 3. Juni 1916 vollzog Lorenz den ersten Akt der Weichteil- 
plastik in folgender Weise: Präparation eines visierähnlichen Haut- 
lappens, dessen Spitze in der Schlüsselbeingrube und dessen obere Basis 
in der Höhe des oberen Schildknorpelrandes lag. — Der Lappen wurde 
hinaufgeschlagen und mit den angefrischten Rändern des Defektes der 
beiden Wangen und der Unterlippenreste in der Weise vernäht, daß das 
Epithel des Visierlappens mundhöhlenwärts zu liegen kam, um fortab als 
Schleimhautauskleidung der zu schaffenden Unterlippe zu dienen. Der 


54 Rudolf Weiser. 


Hautdefekt in der Mitte des Halses wurde durch Mobilisierung der Nach- 
barpartien und Zusammenziehen derselben mittelst Naht gedeckt. 

Am 8. Juli 1916 wurde der Visierlappen an seiner unteren Um- 
schlagstelle durchschnitten, die Seitenränder angefrischt, desgleichen die 
entsprechenden Stellen der beiden Wangen und der Unterlippenreste so wie 
im ersten Akte der Plastik. Hierauf werden die Innenflächen des ge- 
doppelten Lappens mit flach aufgesetztem Skalpell wund gemacht und die 
untere Hälfte des Visierlappens als Verdoppelung an die obere Hälfte ange- 


Fig. 55b. Fig. 55c. 





näht. An der Stelle des Lippenrotes bleibt die Fläche der eben gewonnenen 
Weichteilbrücke vorläufig wund. Etwas unterhalb der oben beschriebenen 
Fixationsschraube wird eine zweite Schraube im Kinngrübcehen der Prothese 
eingeschraubt, um die neugeschaffene, nahe genug an die Oberlippe heran- 
gebrachte Unterlippe in dieser richtigen Lage zu erhalten. Tags darauf wird 
eine Kopfkappe mit Gestänge angefertigt und mittelst muskelhakenähnlicher 
Vorrichtung die Unterlippe gegen die Oberlippe hinaufgezogen erhalten, 
gleichzeitig mittelst dieses Apparates auch die untere Prothese in richtige 
Artikulation zum Öberkiefer gehalten, um einer unliebsamen Ein- 
wirkung des zu gewärtigenden Narbenzuges beizeiten vorzubeugen 





Ein Jahr chirurgisch-zehnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 55 


(Fig. 52g). Dieser Apparat konnte übrigens bald fortgelassen werden und 
repräsentiert sich das bis dahin erzielte Resultat in Figur 52h. 


Am 22. September 1916 schlug Lorenz zur Deckung des rest- 
lichen Defektes im Mundhöhlenboden und in der Unterkiefergegend folgen- 
den Weg ein: Er entlehnte zur Herstellung der inneren Epithelauskleidung, 
das heißt als Schleimhautersatz einen 15cm langen und 5cm breiten 
Lappen aus der rechten Oberschlüsselbeingrube mit der Basis knapp vor 
und unter dem rechten Unterkieferwinkel, mit der Spitze etwas vor der Mitte 
des rechten Schlüsselbeines. Der Lappen wurde um 180° gedreht, nach 
oben geschlagen und das freie Ende desselben rings an die angefrischten 
Ränder des Mundhöhlenbodendefektes genäht. 


Trotz des äußerst günstig fortschreitenden Heilverlaufes zeigte der 
Patient schon um diese Zeit wiederholt neurasthenische Erscheinungen, die 
sich nach und nach zu Zwangsvorstellungen verdichteten. Nach dem Dafür- 
halten des Pflegepersonales dürften an der psychischen Depression des 
Patienten mißliche Familienverhältnisse den Hauptanteil gehabt haben. 


Um nun keine Zeit zu verlieren und den Patienten so rasch als mög- 
lich in der Behandlung so weit zu bringen, daß er in einem geeigneten 
Rekonvaleszentenheim Aufnahme und damit eine günstige Beeinflussung 
seines psychischen Zustandes finden könne, wurde am 13. Oktober 1916 
zur Durchtrennung der Basis des zuletzt beschriebenen .Lappens an seinem 
unteren Ende geschritten, seine dadurch frei gewordene untere Hälfte 
hinaufgeschlagen und als äußere Hautüberkleidung an die angefrischten 
Defektränder genäht. Nach Vollendung dieser Operation blieb für den 
nächsten Akt der Mundhöhlenbcdenplastik nur mehr die Spaltung der eben 
gewonnenen Hautbrücke an ihrer Umschlagstelle und das Vernähen dieses 
Spaltes mit dem entsprechenden Reste des Defektrandes und als Schluß 
der ganzen Aufgabe®die Herstellung des Lippenrotes übrig. 


Leider hat jedoch der psychopathische Zustand des Patienten be- 
ängstigende Fortschritte gemacht und 14 Tage später dazu geführt, daß 
der Patient Selbstmord beging. 

Der Inf. Johann Ji. des k.u.k. Inf.-Reg. Nr. 13/21 erlitt durch Ge- 
wehrkugel in Wolhynien eine Zerreißung der linken Wange, eine Zer- 
trümmerung der buccalen Wand der Kieferhöhle, den Verlust des linken 
Alveolarfortsatzes und eines Teiles der linken Backen- und Mahlzähne. 
Nach Abschluß der Regimentsarzt Steinschneider überantworteten 
zahnärztlichen Behandlung, welche in der Wiederherstellung des Vesti- 
bulum oris und in der Ausführung eines, der Oberkieferprothese sicheren 
Halt bietenden Brückengerüstes bestand, nahm Esser die aus den Bil- 
dern 53a und b ersichtliche Weichteilplastik vor. 


56 Rudolf Weiser. 


Der Inf. Anton L. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 98/3 wurde bei Görz 
durch Gewehrschuß verwundet, wodurch er eine schwere Knochenverlet- 
zung des Öberkiefers mit Eröffnung der Kieferhöhle, eine komplizierte 
Fraktur des Unterkiefers und den aus der Figur 54a ersichtlichen Weich- 
teildefekt davontrug. Der Erfolg der plastischen Deckung des Wangen- 
defektes, welche Esser ausgeführt hat, ist auf den Abbildungen 54 b und c 
zu ersehen. Eine nach der letzten Operation noch zurückgebliebene Speichel- 
fistel konnte ich durch eine einmalige Verschorfung mittelst des Thermo- 
kauters zum Verschwinden bringen. 

Durch seine Komplikation mit zu den schwersten Fällen von Zer- 
trümmerung des Unterkiefermittelstückes zählt der Fall Kanonier Stefan K. 
des k. u. k. Artillerie-Reg. Nr.33/B5 (Fig.55a). Der Patient wurde am 
20. April 1915 am nördlichen Kriegsschauplatze bei Tarnina durch Gewehr- 
schuß verletzt, mußte anfangs wegen bestehender Oesophagusfistel mit 
dem Schlundrohre ernährt werden. Zu Anfang seiner Behandlung war er 
wegen phlegmonöser Prozesse um den in der Mitte des linken Schulter- 
blattes befindlichen Ausschußkanal in Lebensgefahr und mußte im späteren 
Verlaufe von Prof. Zuckerkandl wegen im Bereiche des Kinnes und 
Mundhöhlenbodens aufgetretener Phlegmonen wiederholt operiert werden. 
Die orthopädische Behandlung wurde mir von Zuckerkandl während 
meiner Tätigkeit an der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitales 
der Wiener allgemeinen Poliklinik überantwortet und wurde nach meinen 
Anordnungen von Assistenzarzt Dr. Robert Langendorff erfolgreich 
durchgeführt. Der Fall ist für mich besonders darum von Interesse, weil 
er im Gegensatze zu den von Kränzl in diesem Berichte geschilderten 
Mißerfolgen beim Inf. Franz Str. einen Beleg für die unter günstigen 
Voraussetzungen bestehende Möglichkeit einer erfolgreichen Über- 
brückung von Pseudarthrosen darstellt. Die Zahmformel bei diesem 
Patienten lautet: 


Patient erhielt selbstredend eine Prothese zum Ersatze der verloren 
gegangenen Zähne und Partien des Alveolarfortsatzes im Öberkiefer 
(Fig. 55 b). Im Unterkiefer mußten die hoch aus dem Alveolarfortsatze her- 
ausragenden 7 6]7 devitalisiert werden und war es dadurch möglich, vollkom- 
men sicher sitzende Vollgoldkronen herzustellen. Entsprechend der Divergenz 
der Achsen dieser drei Zähne wurden die Brücke rechts und die Vollgold- 
kronen linke durch ein in der Mittellinie verschraubbares, sehr kräftiges 
Brückengerüste verbunden. Ein die unteren Frontzähne und Prämolaren 
ersetzendes Zahnersatzstück fand am Brückengerüste selbst verläßliche 


u 
% 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 57 


Aufruhe und an Buckeln, welche an der Vollgoldkrone 6] und einem dem 
Brückengerüste aufgelöteten, gegossenen [6 angebracht waren, vollkommen 
sicheren Halt. Nachdem die auf diese Weise geschienten Unterkiefer- 
fragmente bei den .Kaubewegungen nicht die Tendenz hatten, sich nach 
Art der die Atembewegungen des Thorax mitmachenden Rippenbogen zu 
bewegen, funktionierte der Unterkieferkauapparat des Mannes bei seiner 
Entlassung in einer für die Ausübung seines Zivilberufes vollkömmen aus- 
reichenden Weise. Selbstredend besteht die Gefahr, daß im Lauf der Jahre 


Fig. 56a. Fig. 56b. 





durch starke Inanspruchnahme der als Pfeiler des Brückengerüstes die- 
nenden Zähne eine vorzeitige Lockerung derselben eintreten kann, und es 
ist daher um so bedauerlicher, daß der Patient während seiner Behandlung 
die Ausführung einer Knochenplastik trotz aller Vorstellungen hartnäckig 
verweigerte. Ich bedauere, keine photographische Aufnahme vom Zustande 
des Weichteildefektes unmittelbar nach der Verletzung zu besitzen; der 
der Figur 55 a entsprechende Zustand stammt aus der Zeit, als der Patient 
von Zuckerkandl zur weiteren Behandlung in das k.u.k. Reserve- 
spital Nr. 17 transferiert worden war. Fig.55c zeigt den Erfolg der von 
Foramitti ausgeführten Weichteilplastik. 


58 Rudolf Weiser. 


Die Figuren 56a, b, c entsprechen dem Falle Franz Hei., Gefr. im 
k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 100/2, bei dem nach prothetischem Ersatze des Al- 
veolarfortsatzes und der buccalen Wand der linken Kieferhöhle, sowie des 
linken Jochbeines durch den der zahnärztlichen Abteilung des Verwundeten- 
spitales der Wiener allgemeinen Poliklinik zugeteilten Regimentsarzt 
Dr.Borschke noch eine der häßlichsten Entstellungen der linken Ge- 
sichtshälfte der Korrektur überlassen blieb. Figur 56c zeigt den von F o- 
ramitti erzielten Erfolg. 


Fig. 56c. 





Durch eine Reihe photographischer Aufnahmen bin ich in der Lage, 
in dem für diesen Zweck sehr geeigneten Falle Franz Z. (Inf. des k. u. k. Inf.- 
Reg. Nr. 87) systematisch den Werdegang einer von Foramitti äußerst 
glücklich durchgeführten Oberlippenplastik, bekanntlich einer der schwierig- 
sten chirurgischen Aufgaben, lehrreich vor Augen zu führen. Der Patient 
wurde an der südwestlichen Front angeblich durch Explosivgeschoß ver- 
wundet. Ich verdanke seine Zuweisung an das k. u. k. Reservespital Nr. 17 
einem befreundeten Chirurgen, der nach abgeschlossener intra- und extra- 
oraler Wundheilung mir den Patienten zur weiteren Behandlung überließ. 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 59 


Der Status praesens zur Zeit seiner Aufnahme in unser Spital ist aus der 
Zahnformel und aus der Abbildung 57a ersichtlich. 


Kieferhöhle perforiert 





1] - 


‚5432 


11123456 
bai % 
7 E 


Die Perforation der buccalen Wand der linken Kieferhöhle, der not- 
wendige ausgedehnte Zahnersatz im Oberkiefer und die für die Befestigung 


Fig. 57a. Fig. 57b. 


des Gebisses, sowie die Befestigung eines Antrumzapfens äußerst ungünstigen 
Mundverhältnisse, die den Patienten außerordentlich störende narbige 
Veränderung der rechten Mundspaltenhälfte, das vollkommene Verstrichen- 
sein des Vestibulum oris von der Mittellinie bis in die Gegend des Pro- 
cessus zygomaticus in der ganzen Ausdehnung des rechten oberen Alveolar- 
bogens machten vor allem eine Reihe schwieriger zahnärztlicher Maß- 
nahmen notwendig. Um dieselben dem mit der orthopädischen Behandlung 
betrauten Oberarzt Dr.Göttersdorfer zu ermöglichen, stellte ich durch 
entsprechende Schnitte in den strahligen Narbenzügen in der rechten Wange 
und in der Gegend des rechten Mundwinkels sowohl die normale Weite 





2 en i 


Èd ÀE 


2 


60 Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztlicher Tätigkeit etc. 


der Mundspalte, als auch das verlorengegangene Vestibulum oris im Be- 
reiche des rechten oberen Alveolarfortsatzes wieder her. Die gesetzten 
Wunden in den Weichteilen der Lippe und der rechten Wange wurden mit 
200%iger Jodoformgaze benäht und so vor Infektion während der ersten 
Tage nach der Operation geschützt. Um das geschaffene Vestibulum oris 
während der Epithelisierung der gesetzten Schleimhautwunden offen zu 
halten, wurde ein mittelst Kappen über 8 7] aufzementierter, mit Guttapercha 
und Jodoformgaze belegter Metallstreifen verwendet. Figur 57b zeigt die 


Fig. 57e'. Fig. 57c". 


Tae . 3 > æ, 
AO n Pk - 
NE 


b 


A 
OER 
2 
4 E AA 


oe eee einer 


en 
"i -" 

De TER 
ip, + 


E a 


T 


A 


A 


5 

y € 

FE 
Se 
7 ar 


Br ger 9 
w 


E E 
r 

j 

TSS 


nee 
il 

"RE TA Mey: 

N a) u 


5 


K -> 





erweiterte und mit Jodoformgaze benähte Mundspalte. Die Figuren 57c, 
c und c“ zeigen die Umgrenzung des der Wangenhaut entnommenen gestiel- 
ten Lappens am Schlusse des ersten Aktes der Weichteilplastik; Figur 57 d 
am Schlusse des zweiten Aktes, das ist nach Durchtrennung des Lappens 
zur Zeit, als sein vorderes Ende mit den entsprechenden Partien der Ober- 
und der Unterlippe solide verwachsen war, so daß die rückwärtige Ernäh- 
rungsbrücke durchschnitten werden und der Rest des Hautlappens wieder 
an seinen ursprünglichen Ort in der Wange zurückverpflanzt werden konnte. 
Das übrigbleibende dreieckige Feld in der Höhe des Jochbeinbogens wurde 
mit einem der Außenseite des rechten Oberschenkels entnommenen 


Referate und Bücherbesprechungen. 61 


Thiersch- Lappen bedeckt. Die Ausführung einiger kleiner Nachbesse- 
rūnugen der Weichteilplastik soll bei diesem Patienten bis nach cinem 


Fig. 57d. 





4wöchentlichen Urlaub in die Heimat verschoben werden, weshalb die 


Schlußbilder dieses Falles in diesem Berichte noch nicht gebracht werden 
können. 


(Fortsetzung folgt.) 


Referate und Bücherbesprechungen. 


Über Verpflanzung Thiersch scher Epidermisläppchen in die Mundhöhle. 
Von Ludwig Moszkowicz. Archiv für klinische Chirurgie, Bd. 195. 
Heft 2. 

Verfasser berichtet über einen Fall, bei dem es infolge Verlustes 
des Unterkieferkörpers und der horizontalen Äste zu einer Verlötung der 
Zunge mit den Wangen, der Unterlippe und der Halsnarbe gekommen war. 
Um Platz für eine Kieferprothese zu schaffen, mußten die Verwachsungen 
der Zunge gelöst und die Wundflächen sofort mit Epithel gedeckt werden. 
um eine neuerliche Verlötung zu verhindern. Eine Hautplastik war nicht 
durchführbar und eine Transplantation von Epidermislappen wegen der 
Infektionsgefahr. schwieriger Fixation und Ruhestellung in der Mund- 
höhle wenig Erfolg versprechend.. Moszkowicz bildete durch einen 
bogenförmigen Schnitt unterhalb des Kinns eine subkutane Höhle in der 


62 Referate und Bücherbesprechungen. 


Ausdehnung der einzusetzenden Prothese, pflanzte Epidermislappen ein 
und vernähte die Haut über diese Tasche. Nach 4 Wochen wurde durch 
einen Bogenschnitt vom Munde her diese Höhle eröffnet und dadurch zum 
Mundboden gemacht und hierauf sofort eine von Loos verfertigte Pro- 
these eingesetzt. Nach weiteren drei plastischen Operationen waren die 
Weichteile genügend mobilisiert, um eine Prothese aufnehmen zu können, 
die alle Zähne des Unterkicfers ersetzt und dem Patienten ein normales 
Profil gibt. 

Moszkowicz empfiehlt dieses geistreiche Verfahren für Fälle, 
bei denen die transplantierten Epidermisläppchen mit nicht aseptischen 
und dauernd mit'Sekretion benetzten Körperhöhlen in Berührung kommen 
sollen. wie Strikturen der Urethra, des Mastdarmes und noch gar nicht 
\worauszuschenden Plastiken aller Art. 

Kriegszahnklinik, März 191. Zilz. 


Die Osteomyelitis des Unterkiefers und ihre tonsilläre Ätiologie. Von 
Dr.Goldmann. Zentralblatt für Chirurgie, 1916, Nr. 44. 


Öfters schon wurde von Goldmann auf die Beziehungen der 
Tonsillen zu verschiedenen septischen Folgezuständen hingewiesen. Am be- 
kanntesten ist die tonsilläre Ätiologie des Rheumatismus.. Goldmann 
konnte sie aber auch bei Entzündungen der Sehnenscheiden und Nieren 
feststellen. 

Eine akute Entzündung der Tonsillen durch Eindringen der Erreger 
in den peritonsillären Raum schafft die disponierte Einbruchsstelle für 
virulente Erreger einer akuten Neuinfektion der Mandeln. Auf dem Wege 
der Phlebitis oder Lymphangitis entsteht der infektiöse Thrombus und 
durch Verschleppung seiner Teile die Lokalisation der Erkrankung in den 
verschiedensten Körperteilen. 

Für die Osteomyelitis des Unterkiefers, bei der bisher 
höchstens die dentale Ätiologie in Betracht kam, führt Goldmann 
2 Fälle an, die den tonsillären Zusammenhang beweisen. In einem dieser 
Fälle ist noch die anamnestische Angabe der vorangegangenen Hals- 
entzündung in Betracht zu ziehen, beiden ist gemeinsam, daß die genaue 
Untersuchung der erkrankten Seite durch Spülung der Krypten die An- 
wesenheit putrider Mandelpfröpfe ergab. 

Bei dem Mangel jeglicher anderen Ursache, vor allem seitens der 
Zähne, glaubt Goldmann, daß bei dem positiven Befund der Mandel- 
pfröpfe und den Zeichen der sekundären Infektion in Form der Entzündung 
der kollateralen Halsdrüsen, der Annahme, daß die Infektion durch die 
Mandeln erfolgt, nichts im Wege stehe. 

Goldmann gikt der Meinung Ausdruck, daß bei einem entspre- 
chenden Material eine größere Anzahl von Fällen diesen ätiologischen 
Zusammenhang bestätigen wird. 

Therapeutisch verspricht sich Goldmann in manchen Fällen durch 
die Beseitigung des primären Herdes in den Mandeln die Kupierung der 
Erkrankung im akuten Stadium. l 

Lublin, April 1917. Zilz. 


Vereins- und Versammlungsberichte. 63 


Der Einfluß des Durchbruches der Milchzähne auf den Organismus des 
Kindes. Von Dr. R. Parreidt, Leipzig. D. Z. W., Nr. 45, 1916. 

Der Autor kommt zu den zusammenfassenden Sätzen: 

Die Zahnung ist als solche niemals imstande, schädigend auf den 
Organismus einzuwirken und ein an sich gesundes Kind wird daher seine 
Zähne stets ohne die geringsten Beschwerden erhalten. 

Hierzu erlaube ich mir zu bemerken, daß es nicht angeht, an eine Er- 
scheinung nicht glauben zu wollen oder gar eine solche Lehre zu verkünden, 
weil dieses oder jenes Lehrbuch über dieselbe keine Äußerung enthält, zumal 
wenn thecretische Überlegungen deren Annahme sehr wohl zulassen. 

Wir direkten Schüler Kasso witz’ wissen sehr gut, daß er vor allem 
und mit bestem Rechte für die meisten Fälle von maligner Dentition die 
Rachitis als Ursache hinstellte. Kann es aber jemand bestreiten, daß das 
Einchneiden auch nur eines einzigen Zahnes selbst schon im vorgeschrittenen 
Alter mit einer mehr oder weniger heftigen Gesundheitsstörung einhergehen 
kann! 

Vom Weisheitszahne sagt Elias Metschnikoff in „Studien über 
die Natur des Menschen“ (herausgegeben von Ostwald), daß die Ursache 
für die Gefahren, die der Weisheitszahn oft bereitet, in seiner weit lang- 
sameren Entwicklung und in der Schwierigkeit liege, sich vor der bedecken- 
den Schleimhaut zu befreien; wenn er auch oft die Quelle von Störungen sei, 
die in der großen Mehrzahl der Fälle keine ernsten Folgen hätten, könne er 
doch zuweilen schwere und sogar tödliche Unfälle herbeiführen. 

Die erschwerte Dentition irgend eines anderen Zahnes unseres Gebisses, 
z.B. des Eckzahnes, oder schwierige, weil unregelmäßige, durch fehlerhaftes 
und erschwertes Einschneiden sich ergebende Malokklusionen haben wohl 
die meisten Zahnärzte des Öfteren gesehen. 

Was von einem Zahne gilt, der in einer späteren Lebensperiode ein- 
schneidet, gilt um so mehr von in den früheren und frühesten Abschnitten 
unseres Lebens sich abspielenden Vorgängen. 

Und so erlaube ich mir schließlich, nochmals auf einen Fall schwierigen 
Zahneinschneidens bei einem Kinde hinzuweisen, den ich im Korrespondenz- 
blatt für Zahnärzte, Heft 3, 1914 mitgeteilt habe. Dr. Rud. Klein. 


Vereins- und Versammlungsberichte. 





Verein österreichischer Zahnärzte. 


Ordentliche Monatsversammlung vom 24. Jänner 1917. 


“Anwesend vom Verein österr. Zahnärzte die Herren DDr.: Borschke, 
Breuer, Frey, Friedmann, Karoly, Kraus, Müller, Ornstein, 
Fiwnriezka, Smreker, Stanka, Steinschneider, Prof.Weiser, Prof. 
v.Wuneschheim. 

Als Gäste: Dr. Natzler und Dr.Richard Röhr. 


Vom Verein Wiener Zahnärzte die Herren DDr.: Bermann, Fehl, Haas, 
S.Hecht, Mittler, Neumann, Sos, Wassermann und v.Z álka. 


=- OF TE ee l a E ee at re te 


64 Vereins- und Versammlungsberichte. 


Tagesordnung: 

Herr Hoi- und Gerichtsadvokat Dr. Richard Röhr (als Gast): 
„Zeitgemäße Betrachtungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der 
Zahnärzte.“ 

Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit des Themas wurde auch der Verein 
Wiener Zahnärzte zum Besuch der Sitzung eingeladen. 

Präsident Dr. Breuer eröffnet die ordentliche Monatsversammlung, 
begrülst die Mitglieder des Vereines sowie die Gäste des Vereines Wiener 
Zahnärzte und Dr. Natzler und Dr.Röhr. 

Der Präsident verweist auf die im vergangenen Jahre auf Grund des 
$ 14 geschaffene 3. Teilnovelle des bürgerlichen Gesetzbuches und die da- 
durch hervorgerufenen Veränderungen desselben und bittet hierauf Herrn 
Dr.Röhr, seinen Vortrag zu beginnen. 

Der Vortragende Dr.Röhr erörterte zunächst die Entwicklunzs- 
geschichte des zahnärztlichen Standes als erwerbenden Berufes und warf 
Streiflichter auf die Erwerbsverhältnisse der Vergangenheit und der Gegen- 
wart. Sodann gelangt die volkswirtschaftliche Basis zur Sprache, aut 
welcher sich die Bildung eines entsprechenden Entgeltes für die zahnärzt- 
lichen Leistungen vollzieht. Volkswirtschaftliche Gesetze über Angebot und 
Nachfrage, über Gestehungskosten, Einschätzung der Arbeit etc. gelangten 
zur ausführlichen Darstellung. Der Einfluß des bürgerlichen Rechtes auf 
die Tätigkeit des Zahnarztes, dessen Verhalten zum Patienten und seinen 
eigenen Hilfskräften wurden erklärt und hierbei die Neuerungen, welche 
durch die dritte Teilnovelle zum a. b. G.-B. hervorgerufen wurden, illustriert. 

Den Schluß des lehrreichen Vortrages, welcher mit vielem Beifall 
aufgenommen wurde, bildeten Ausführungen über die Kriegszuschläge zu 
den direkten Steuern und die Kriegsgewinnsteuer. 

In herzlichen Worten dankt der Präsident Dr. Breuer Herrn Doktor 
Röhr für den instruktiven und überaus lehrreichen Vortrag und verleiht 
der Hoffnung Ausdruck, daß dessen Aufklärungen auf fruchtbaren Boden 
fallen werden. 

Herr Dr.Röhr erklärte sich bereit, weitere Anfragen gerne zu be- 
antworten und bittet die Herren, ihm eventuell schriftlich solche Fragen 
zukommen zu lassen. Auch ist er stets gerne bereit, gelegentlich im Verein 
wieder einmal einen Vortrag zu halten. 

Präsident Dr.Breuer dankt Herrn Dr.Röhr für seine Liebens- 
würdigkeit und schließt sodann die Sitzung. 


Druckfehlerberichtigung. 
In Heft 12 ex 1917 auf pag. 353, 5. Zeile von unten lies Prallschuß statt Prellschuß. 
In Heft 1 ex 1918 ist die Numerierung der Abbildungen zu ändern: 
Statt Fig. 32a zu setzen Fig. 33 
34 


nor 3 a a n JÖ 
7 g 35 p ” r 36. 
—1-+-—— 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, III., Münzgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 
Organ Nr, ge missenschatiichen Zahnärzte Österreichs. 


Oftiziclles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 


3. Heft. 








XVI. Jahrgang. März 1918. | 








Nachdruck verboten. 


Original-Arbeiten. 


Aus der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitals der Wiener 
Allgemeinen Poliklinik 
(Vorstand: Oberstabsarzt Prof.Dr.v. Wunschheim). 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß mit be- 
sonderer Berücksichtigung der nervösen Störungen. ’) 
Von Dr. Viktor Frey, Wien. 

(Vortrag, gehalten im Verein österr. Zahnärzte am 14. November 1917.) 


(Mit 8 Tafeln und 23 'Textfiguren.) 
Es liegt auf der Hand, daß die Zähne bei jeder Kieferverletzung 
mehr oder minder in Mitleidenschaft gezogen werden, insbesondere aber 


bei Schußverletzungen ist das Material groß und interessant (siehe die 
Tafeln I—II]). 


Zähne als indirekte Geschosse und als Schädlinge 
der Heilung. 


Vorweg zu nehmen wären jene Fälle, in denen 

I. abgeschossene Zähne oder Zahnteile als sekundäre Projektile 

wirken, und’ 

II. jene Fälle, in welchen Zähne als Schädlinge der Heilung ange- 

sprochen werden müssen. 

Zu der I. Kategorie gehören jene abgeschossenen (natürlichen oder 
künstlichen) Zähne oder Zahnteile, die in die Nachbarorgane hineinge- 
trieben werden; auf unserer Abteilung wurden solche indirekte Geschosse 
in der Zunge, in der Wange, in den Weichteilen des Halses und im Antrum 
gefunden (siehe Tafel III, Fig.6a und b). 


1) Das Studium zu diesem Thema wurde im Dezember 1914 begonnen, im 
Jahre 1915, Jänner und Februar 1916 fortgesetzt. Vom März bis inklusive November 
1915 blieb es wegen meiner Felddienstleistung unterbrochen, wurde aber im De- 
zember 1916 sofort wieder aufgenommen und kam im September 1917 zum Abschlusse. 

Der Verf 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. A 


66 Viktor Frey. 


Es darf auch nicht vergessen werden, daß abgeschossene Zähne 
verschluckt oder aspiriert werden können. — Ferner kann ein abge- 
schossener Zahn bei gewissen Körperhaltungen im Momente der Ver- 
letzung in entfernt liegende Organe hineingetrieben werden, ja, es kann 
sogar ein zweites Individuum durch ein derartiges indirektes Projektil ver- 
letzt werden. 

II. Kategorie. 

a) Dekubitus, hervorgerufen durch Zähne bei gleichzeitiger Ver- 
lagerung der Kieferfragmente. 


Fig.1. 





Zahnverlust nach Hufschlag. 


Bei einem Defekt des linken horizontalen Kieferastes vor dem js war das 
kleinere hintere Fragment hochgezogen und atypischerweise nach außen ver- 
lagert. Da der Patient spät in Behandlung kam, hatte die Zahnkrone des | sich 
tief in die Wange eingebohrt und einen schweren Dekubitus mit außerordentlich 
starkem Wangenödem erzeugt. Der Zahn war ohneweiters nicht sichtbar, erst die 
Röntgenaufnahme brachte Klarheit. ; 

Ein verlängerter oberer Weisheitszahn hatte sich in das hochgezogene hintere 
Fragment des Unterkiefers eingebohrt und ebenfalls einen schmerzhaften Dekubitus 
erzeugt. 

b) Zähne oder Zahnsplitter, die in die (vgl. Tafel V, Fig. 12) Fraktur- 
linie hineingetrieben wurden, lassen die Fragmente nicht zur Vereinigung 
kommen. Ebenso wirken äußerlich (vgl. Tafel V, Fig. 10) intakte Zähne 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 67 


mit subgingival sequestrierter Alveole. In solchen Fällen bringt das 
Röntgenbild (besonders intraoraler Film) die nötige Aufklärung. 

c) Verjauchte oder nekrotische Pulpen scheinbar intakter, aber der 
Fraktur nahegelegener Zähne stören die Heilung. 


Die sichtbaren Verletzungen der Zähne. 


Direkte und indirekte Schädigung der Zähne durch 
das Geschoß. 


Die Schädigung der Zähne selbst durch den Schuß betreffend müssen 
wir unterscheiden: 

A. Die direkte Schädigung der Zähne durch das Geschoß. 

B. Beschädigung von Zähnen durch Zusammenstürzen des Ver- 
letzten nach dem Schuß. 

C. Die indirekte Schädigung benachbarter Zähne durch als se- 
kundäre Projektile wirkende natürliche und künstliche Zähne, Knochen- 
splitter ete. 

Ad A. Von den bekannten 5 Schußkategorien (Prell-, Steck-, Durch-, 
Streif- und Abschuß) kommt bei der direkten Schädigung eigentlich 
nur der Abschuß in Betracht. (Zahnverletzung durch Prellschuß, also bei 
nicht perforierter Haut, oder Eindringen eines sehr matten Geschosses 
durch den offenen Mund ist unter Umständen denkbar, wurde aber auf 
unserer Abteilung nicht beobachtet.) Der Zahn ist zwar das härteste Ge- 
bilde des menschlichen Organismus, aber dennoch so spröde, daß er bei 
viel geringfügigeren Traumen bricht; um wie viel mehr muß ein am 
Zahn gemessener relativ großer Körper, wie ihn das Geschoß darstellt, 
bei direktem Auftreffen nur Abschuß oder gänzliche Splitterung be- 
wirken. Die in der Schußrichtung liegenden Zähne werden also entweder 
mit oder ohne die Alveole zumeist in Gruppen abgeschossen und hängen 
oft ganz lose an Zahnfleischbrücken. Oft spucken die Verwundeten die 
Zähne gleich nach erlittener Verletzung aus. Bleibt die Alveole mehr oder _ 
minder intakt, so kann es zum bloßen Abschuß der Krone und Freiliegen 
der Pulpa kommen. Eine traumatische Pulpitis ist dann meistens die 
Folge. Bezüglich der Schmerzen bei derartigen Pulpitiden ist zu er- 
wähnen, daß sie rasend sein oder gänzlich fehlen können, je nachdem die 
Fraktur den zugehörigen Nervenstamm verschont oder durchtrennt hat, 
ferner ob der betreffende Zahn bei totaler Querschnittsläsion des Nerven- 
stammes zentral oder peripher von der Verletzungsstelle liegt. Bei ab- 
geschossenen Zahnkronen findet sich die Wurzel oft stark gesplittert. 

Ad B. Die Verletzungen der Zähne durch Zusammenstürzen des 
Verletzten unterscheiden sich in nichts von den uns bekannten Friedens- 
verletzungen. | 


5* 


68 Viktor Frey. 


Ad C. Die indirekten Schußverletzungen der Zähne sind sehr mannig- 
facher Art. Wir finden ?): 

a) Total herausgeschlagene Zähne mit oder ohne Alveole, 

b) luxierte Zähne (der Zahn ist gelockert) mit oder ohne Alveole 
(Tafel V, Fig. 10), 

c) der Zahn sitzt, durch den Schuß tief im Kiefer verkeilt (Tafel V, 
Fig. 12), oder wurde in die benachbarten Weichteile hineingetrieben 
(Tafel III, Fig.6a und b). 

d) der Zahn ist total zersplittert, 

e) die Zahnkrone ist beschädigt: 

x) total abgeschlagen (Pulpitis) (Tafel V, Fig. 8), 

6) teilweise abgeschlagen (mit oder ohne Freiliegen der Pulpa), 
Richtung (Quer- oder Schrägbruch) (Tafel V, Fig. 9), 

y) Längsfraktur der Zahnkrone (der Zahn ist in seiner Form 
erhalten, weist aber zumeist einen durch Kroneund Wur- 
zel gehenden Frakturspalt auf; die beiden Fragmente sind 
jedoch durch das Ligamentum circulare (vgl. Tafel V, Fig. 11) 
geschient [häufig Pulpitis]). Während die Krone in derartigen 
Fällen der Länge nach frakturiert ist, weist die Wurzel mei- 
stens einen schrägen Frakturspalt auf. 

à) Sprünge und Risse im Zahn (keine Kontinuitätstrennung). 

f) Die Zahnwurzel ist selten allein beschädigt (meistens Mitbeteili- 
gung der Krone). Die Wurzelfrakturen können in allen drei Dimensionen 
des Raumes stattfinden und sind stets durchgängige Frakturen (längs- 
quer-schräg). Eine besondere, sonst nie beobachtete Wurzelfraktur muß 
ich erwähnen, nämlich die subgingivale bzw. intraalveoläre Querfraktur 
(vgl. Tafel VI, Fig. 13—17) einer oder mehrerer Wurzeln. Die Zähne sind 
in ihrem Kronenanteile vollkommen intakt, fallen aber im Laufe der Be- 
handlung durch Verlagerung der Krone (namentlich bei einwurzeligen 
Zähnen), eventuell auch Verfärbung (rötlich) auf. Gewöhnlich treten die 
ersten Störungen ein, wenn der Patient bei vorgeschrittener Konsolidation 
herzhaft zu kauen beginnt. Ausgesprochene Pulpitis wurde selten be- 


2) Misch (1) unterscheidet: Fraktur der Zahnkrone (ganz und teilweise), in- 
komplette Luxation (Wurzel gelockert), komplette Luxation (Wurzel vollständig 
herausgeschleudert), Zähne sind in den Kieferknochen hineingetrieben, Infraktion 
(Sprünge des Schmelzes mit oder ohne Beteiligung des Zahnbeines), partielle 
Fraktur (Absprengen von Zahnteilen), einfache Fraktur (ohne Beteiligung der 
Pulpa), komplizierte Fraktur (mit Beteiligung der Pulpa). Nach dem Verlauf der 
Bruchlinie (Quer-, Längs- und Schrägbrüche), bei vollständiger Durchtrennung in 
einer dieser Richtungen (totale Fraktur), Komminutivfraktur (Zersplitterung). 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 69 


obachtet, dagegen häufig Resorption an der isolierten Wurzelspitze (vgl. 
Tafel VI, Fig. 16, 17). Die Röntgenfilmaufnahme zeigt dann deutlich eine 
querverlaufende, meist intraalveolär gelegene Fraktur der Wurzel. Die 
Alveole ist bei diesen Querfrakturen sonderbarerweise häufig röntgenologisch 
intakt, so daß man annehmen kann, daß das Trauma die Krone getroffen 
habe (Subluxation?). Die einwirkende Gewalt wurde auf die Wurzel über- 
tragen. 

g) Die Pulpa ist bi äußerlicherIntaktheitdes Zahnes 
beschädigt. Außer der gesondert zu besprechenden Innervationsstörung 
der Pulpa kommen an röntgenologisch intakten Zähnen rosenrot bis grau- 
rötliche Verfärbungen vor als Ausdruck einer stattgefundenen Pulpablutung 
und Eindringens von Blutfarbstoff in die Dentinkanälchen. Möglicherweise 
haben diese Zähne eine Subluxation erlitten, wurden aber wieder fest; 
die Pulpa ist aber in derartigen Fällen zumeist verloren und muß behandelt 
werden. Auch an Thrombosen im Quellgebiete der Zahnarterie und in- 
folgedessen an Stagnation der Zirkulation mit Diapedese der Blutelemente 
wäre zu denken. 


Die einzige auf unserer Abteilung beobachtete Ausnahme, daß nach intra- 
dentärer Blutung dennoch nicht Pulpatod eingetreten war, betraf 
den Inf. W.H., der am 3 September 1915 eine sehr schwere Komminutivfraktur des 
Unterkiefers durch einen Gewehrschuß erlitten hatte. Nebst massenhaftem Zahn- 
verlust fiel der |!_ durch seine zuerst am 18. November 1915 konstatierte rosenrote 
Verfärbung der Zahnkrone auf, welche aber später in Grau überging und am 
22. Jänner 1916 nur mehr als leicht grauer Schatten am Zahnhals und an den an- 
grenzenden Kronenpartien zu erkennen war. 

Die Diaphanie, mit dem Glasstabreflektor geprüft, die verloren gegangen 
war, kehrte wieder zurück Faradische Reaktion war immer bis zur Entlassung des 
Patienten vorhanden; sie war zwar anfangs schwächer, erreichte aber dann normale 
Höhe. Patient wurde diesbezüglich das letzte Mal vor seiner am 11. Dezember 1916 
erfolgten Entlassung untersucht. 

In der Friedenspraxis konnte ich eine gleiche Beobachtung bei einem “s| nach 
einem epileptiformen Anfall einer älteren Dame beobachten. Diesen beiden Be- 
obachtungen stehen aber genügend andere Fälle gegenüber, in denen es zum 
Pulpatod kam, weshalb es gerechtfertigt erscheint, den Kanal derartiger Zähne 
zu behandeln. | 


h) Im Verlaufe der Behandlung können ferner die Zähne, die zunächst 
der Frakturlinie stehen, einen weiteren Schaden erleiden; es können nämlich 
die Alveolen atrophieren und die (vgl. Tafel VII, Fig. 18 a und b und 19) 
Zähne ausgestoßen werden. (Ausfall der trophischen Nervenfasern?) Bei 
mehrfachem Bruch des Unterkiefers treten in den Mittelfragmenten Re- 
sorptionserscheinungen an den Wurzelspitzen und atrophische Prozesse an 
den Alveolen auf. Partsch(2) führt einen Fall Wernhers an, in 


70 Viktor Frey. 


welchem infolge Obliteration des Mandibularkanales nach Kieferbruch 
Atrophie der gebrochenen Unterkieferhälfte entstanden ist. Ob Friedens- 
oder Schußfraktur, ist nicht angegeben, ebenso wird nichts über das Schick- 
sal der Zähne mitgeteilt. 

Daß Zähne im Bereiche großer kortikaler Sequester häufig (vgl. 
Tafel VII, Fig. 20) verloren sein können — wenn auch nicht immer —, 
versteht sich von selbst. 

Es ist selbstverständlich, daß diese angeführten Zahnverletzungen 
nicht isoliert — wie aufgezählt—, sondern in allen möglichen Kombi- 
nationen vorkommen können. 


Innervations- und Zirkulationsstörungen in den Pulpen bei Kiefer- 
verletzungen. 


Anatomische Vorbemerkungen. 


[Literatur: Zuckerkandl (3), Fischer (4), Bünte-Moral (5), 
Langer-Toldt (6).] 


Öberkiefer. Jener Teil des II. Trigeminusastes, der im Infra- 
orbitalkanal verläuft (Nervus infraorbitalis), versorgt unter anderem auch 
die Zähne des Oberkiefers mit sensiblen Fasern. Im Infraorbitalkanal 
gibt er nahe dem hinteren Ende desselben die Rami alveolares superiores 
posteriores ab, die entsprechend dem Tuber maxillare in der buccalen 
Kieferwand über den Mahlzähnen nach vorne ziehen. Nahe dem vorderen 
Ende des Kanales entspringen die Rami alveolares superiores anteriores, 
unter denen man meistens ein separates Nervenbündel, Ramus alveolaris 
superior medius, unterscheidet. Diese letztgenannten zwei Nervenbündel 
verlaufen in der fazialen Kieferwand und strahlen fächerförmig gegen die 
Eckzahngegend aus. 

Die Rami alveolares superiores anteriores medii et posteriores bilden 
dann über den Zahnwurzeln ein dichtes Nervengeflecht, aus welchen die 
Rami dentales und gingivales superiores hervorgehen, doch kann man 
annehmen, daß die Molaren von den Rami alveolares superiores posteriores, 
die Schneide- und Eckzähne von den Rami alveolares superiores anteriores 
versorgt werden. Die Prämolaren empfangen ihre nervösen Elemente von 
dem Ramus alveolaris superior medius, welcher jedoch außerdem noch 
Ästchen aus den Rami alveolares superiores anteriores et posteriores be- 
zieht. Anastomosen in der Mittellinie kommen vor. 

Gefäße: Aus der Arteria maxillaris interna stammen die Ar- 
teriae alveolares superiores posteriores; die Arteriae alveolares superiores 
anteriores sind Äste der Arteria infraorbitalis, ebenfalls eines Zweiges 





Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 71 


der Arteria maxillaris interna. Die Venen gehören dem Quellgebiete der 
Venae faciales an. 

Arterien, Venen und Nerven verlaufen zum größten Teile 
gemeinschaftlich. Die Arterien kommunizieren miteinander; aus 
diesen Verbindungen gehen die Zahnarterien hervor, die Zahnvenen münden 
in einen dichten Venenplexus. Nerv, Arterie und Vene ziehen gemein- 
schaftlich in die Pulpa durch das Foramen apicale. 

Unterkiefer: Der aus dem III. Trigeminus stammende Nervus 
alveolaris inferior verläuft im Canalis mandibulae und zerfällt dortselbst 
in drei Äste: Ramus posterior für die Molaren, Ramus medius für die 
Prämolaren; nach Austritt des Nervus mentalis durch das Foramen men- 
tale zieht ein Ramus anterior im Kieferkörper nach vorne für die Eck- 
und Schneidezähne. Anastomosen zwischen den Rami anteriores beider- 
seits sind konstant. (Geflechtbildung der Nerven wie am Öberkiefer, aus 
welchen die Nervi dentales et gingivales hervorgehen.) 

Gefäße: Die Arteria mandibularis stammt ebenfalls aus der Ar- 
teria maxillaris interna und verläuft im Canalis mandibulae, in welchen 
sie zahlreiche Ästchen abgibt; die uns hauptsächlich interessierenden 
Ästchen sind die Arteriae dentales. Vor Austritt der Arterien durch das 
Foramen mentale gibt die Arteria mandibularis noch einen Ramus anterior 
für Schneide- und Eckzähne ab. Gleichnamige Venen verlaufen mit den 
Arterien und bilden ebenfalls einen Venenplexus. Die Venen gehören dem 
Quellgebiete der Venae faciales an. 

Durch das dichte Aneinandergelagertsein von Nerven, Arterien und 
Venen sowohl bei den Hauptstämmen als auch bei den Endverästelungen 
ist es ziemlich wahrscheinlich, daß bei einer Schußverletzung alle ge- 
nannten 3 Gebilde zusammen verletzt werden; isolierte Traumen eines 
der genannten Gebilde sind unwahrscheinlich. 


Zähne im Bereiche der Fraktur. 


Wird nun ein Kiefer knapp über der Wurzelspitze eines Zahnes 
durch einen Schuß verletzt, so werden Nerv; Arterie und Vene der Pulpa 
sofort außer Funktion gesetzt. Das periphere Nervenästchen degeneriert, 
der Inhalt der Pulpagefäße thrombosiert und schließlich fällt die Pulpa 
der Nekrose anheim; beim Einwandern von Bakterien in das Pulpa- 
kavum vom Apex her kommt es zur Infektion des absterbenden Gewebes, 
zur Gangrän, daher ist eine nekrotische Pulpa oder verflüssigter bzw. 
gangränöser Kanalinhalt auch der konstante Befund bei einem im Fraktur- 
spalt stehenden Zahn. 

Ragen bei Komminutivfrakturen die Zahnwurzeln mehrerer Zähne 
in den Splitterherd, so gehen die Pulpen dieser Zähne ebenfalls zugrunde; 


72 Viktor Frey. 


bisweilen findet man in seltenen Ausnahmen blutende Pulpen, 
aber selbst in diesen nur degenerierte Nerven. 


Einige Beispiele: Inf. M. R. Verletzt im Jänner 1915 durch Schrapnell- 
durchschuß. Zahnformel des Unterkiefers: 37 u +32 ı]ı 2 s. Ausgedehnter Splitter- 
bruch des Unterkiefers zwischen vj—-[s; hinter îs Defekt (es fehlt alles bis auf 
einen Rest des aufsteigenden Astes). Die Zähne +j—]s im Kronenanteil quer ab- 
geschossen, die Pulpahöhlen nicht eröffnet Faradische Reaktion fehlt von sf— f8. 

Am 19. November 1915 wurden mehrere Zähne (2j — ];) extrahiert und auf- 
gesprengt; die Sektion ergab ?1jız2 leere, etwas feuchte, nicht übelriechende 
Wurzelkanäle. 

Ts nekrotische Pulpa, schlaff, feucht, weiß. 


Histologischer Befund: Pulpa ödematös Kerne zeigen eine nur 
mangelhafte Tingibilität, Nerven durch Behandlung mit 
Osmium nicht nachweisbar. (Behandlung: Müller-Formol|l, 
Osmium, Safranin) 

3] blutende, schmerzlos entfernbare Pulpa (Wurzelbehandlung). 

+] Entfernung einer nekrotischen Pulpa (Wurzelbehandlung) 

6j 6. Februar 1916 wegen Periostitis (leerer, nicht übelriechender Wurzel- 
kanal) behandelt. 


Ins. A. W. Verletzung durch Gewehrexplosivpatrone am 8. April 1915 (vgl. 
Tafel II, Fig 4 a,b, c). 


Zahnformel: 


r r 
76 ļ128 7 
754321]1234 8 


Diagnose: Fraktur des rechten Unterkiefers in der Gegend von s 5f- Aus- 
gedehnte Zertrümmerung des Öberkiefere, Perforation des harten Gaumens; das 
die Alveolen und Zähne |} 23 enthaltende Fragment stark nach rückwärts und 
einwärts verlagert, so’ daß es nahe der Mittellinie und beiläufig in der Mitte des 
harten Gaumens steht. 27. Oktober 1915: |! kariös, die blutende Pulpa wird ohne 
Schmerz extrahiert. 

lı 23 werden später bei einem operativen Eingriff entfernt. 

Sektionf23 ergibt scheinbar leere Kanäle; die an den 
Wänden haftenden Detritusmassen werden der mikroskopischen 
Untersuchung zugeführt: Die Pulpen zeigen vollkommene Ne- 
krose bei gleichzeitiger Thrombose der Gefäße; durch die 
Osmierung konnte keine Färbung der Nerven erzielt werden 
(Müller-Formol, Osmium, Safranin.) 





Korp A. Ue. Verletzt durch Gewehrdurchschuß am 22. November 1915. Zahn- 
formel des Unterkiefers: 85 432 ı]5 s (siehe Fig.2). 
1-3 gingen durch den Schuß verloren. 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 73 


Ausgedehnte Splitteriraktur des Unterkieferkörpers zwischen 5] — ]b- 


Fig.2. Fig.3. 





ij in der (punktierten) Frakturlinie. V4 si in der (punktierten) Frakturlinie. 


19. Jänner 1916: 5-1] faradisch unempfindlich. 

1] extrahiert (Wurzel total vom Zahnfleisch entblößt, Zahn gelockert). 

Sektion ergibt eine blaßrötliche, scheinbar etwas gce- 
schrumpfte, an der Oberfläche feuchte, nicht übelriechende 
Pulpa. 

Mikroskopisch: Nekrotische Pulpa, keine Kernfärbung, Ge- 
fäße thrombosiert, Gewebe wenig tingibel, Nerven durch 
Osmium nicht nachweisbar (Müller-Formol, Osmium, Sa- 
franin) 


Inf. A. A. Fraktur des Alveolarfortsatzes im Bereich von V4 3j durch Gewehr- 
schuß am 23. September 1915 (siehe Fig. 3). 

11. Jänner 1916: Die angeführten Zähne werden wegen starker Lockerung 
entfernt. 

Mikroskopischer Befund (Müller-Formol, Osmium, Safranin): 
Nerven nicht tingibel, im Zerfall. Blutgefäße fast voll- 
kommen durch Thromben verschlossen, Pulpagewebe mangel- 
haft färbbar und ödematös gelockert. 


Zähne peripher von der Fraktur. 


Trifft die Schußverletzung Nerv, Arterie und Vene an einer vom Zahn 
entfernt. gelegenen Stelle (also zentralwärts), so wird auch der periphere 
Anteil aller 3 Gebilde plötzlich außer Funktion gesetzt; da aber zwischen 
den Ästen der Arteria maxillaris interna, welche Ober- und Unterkiefer 


74 Viktor Frey. 


versorgen, und den Verzweigungen der Arteria maxillaris externa Ana- 
stomosen bestehen, so kann von Endzweigen der Arteria maxillaris externa 
ein Kollateralkreislauf eingeleitet werden, was, wie wir sehen werden, 
von Bedeutung ist. 


Da sind nun zwei Fälle möglich: 


1. Die Nervenfasern sind durch die Leitungsunterbrechung von ihrem 
Mutterboden losgelöst und degenerieren, die Zirkulation aber stellt sich 
durch den Kollateralkreislauf in kurzer Zeit wieder her (s. oben). 


2. Der Kollateralkreislauf kommt nicht zustande: durch Stagnation 
der Blutsäule in den Pulpagefäßen bilden sich Thromben; das Pulpa- 
gewebe, seiner Ernährung beraubt, fällt der Nekrose anheim; wenn keine 
Kommunikation zwischen Foramen apicale und Frakturspalt oder irgend 
einem entzündlichen Herd besteht, handelt es sich um: 


a) eine reine Nekrose (geruchloser Kanalinhalt); 
entgegengesetzten Falles kommt es zu einer mißfarbigen. übelriechen- 
den Zersetzung des Kanalinhaltes, der 


b) Gangrän. 


Ad 1. Wir finden also im ersten Falle eine normal rosarot gefärbte 
unempfindliche Pulpa; im Laufe der Zeit ist die Nervensubstanz voll- 
kommen degeneriert und durch Bindegewebe substituiert worden. Blutung 
nach Extraktion der Pulpa. 


Ad 2a) Pulpa unempfindlich, durch die Thrombosen tief dunkelrot 
oder unregelmäßig gesprenkelt; im späteren Verlaufe nach Auslaugung 
des Blutfarbstoffes findet man eine retrahierte weiße, feuchte Pulpa; 
schließlich ist der Wurzelkanal leer, nur seine Wände sind mit einer ge- 
ruch- und farblosen Flüssigkeit befeuchtet (sehr häufiger Befund). 


Ad 2b) Wurzelkanalinhalt gangränös. 


Es entsteht nun die Frage, was geschieht mit solchen Zähnen, deren 
Pulpa indirekt durch die Kieferfraktur gelitten hat? 3) 


3) Harry Sicher und Berthold Spitzer (7) haben Tierexperimente an- 
gestellt: Nach Durchtrennung des Nervus alveolaris inferior blieben die Pulpen — 
obwohl nervenlos — intakt. Unterbindung und Durchschneidung der Arterie infolge 
rasch einsetzenden Kollateralkreislaufes ohne alle Folgen. B.Spitzer(8) hat 
den Canalis mandibularis direkt vor dem Ansatz des Musculus massetericus beim 
Hunde freigelegt und bei sorgfältiger Schonung der Blutgefäße ein 1 cm langes Stück 
des Nerven reseziert. Tötung des Tieres nach 3 Wochen. Es zeigte sich sowohl 
am peripheren als auch am zentralen (Infektion?) Anteil akute Nervendegeneration. 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 75 


Degeneration. 


Wir müssen uns ganz im allgemeinen das ins Gedächtnis zurückrufen, 
was uns die Histologie und pathologische Anatomie über die markhaltigen 
Nervenfasern lehrt: 

[Literatur: Ziegler (9), Weichselbaum (10), Stöhr (11).] 


Jeder markhaltige Nerv hat als Zentrum den Achsenzylinder, um den 
sich als konzentrisch geschichtete Röhren die Myelin enthaltende Mark- 
scheide, ferner die Schwannsche Scheide gruppieren. (Das normale 
Nervenmark färbt sich mit Osmiumsäure schwarz.) 

Wird der Achsenzylinder irgendwo in seinem Verlauf von einem 
Trauma betroffen, so degeneriert der ganze periphere An- 
teil. — Jeder Achsenzylinder hat seinen Ursprungin 
einer Ganglienzelle. 

Wie sieht nun ein degenerierter Nerv unter dem Mikroskop aus? 
Das Lichtbrechungsvermögen der Marksubstanz hat abgenommen, der Nerv 
wird doppelkonturiert, das Mark zerfällt in Segmente, dementsprechend 
wird die Schwannsche Scheide eingekerbt, die ganze Nervenfaser nimmt 
einen welligen Verlauf an; in weiterer Folge ballt sich das Mark infolge 
Gerinnung zu Myelintröpfchen zusammen und zerfällt schließlich zu 
Myelinschollen, die sich lange im Gewebe nachweisen lassen, welche aber 
schließlich resorbiert werden; auch der Achsenzylinder geht rasch zu- 
grunde und ist bald nicht mehr nachzuweisen. Wurde das Präparat os- 
miert, so ist nach dem Grade der Degeneration die Tinktion der Mark- 
scheide nur schwach oder überhaupt fehlend. Myelinschollen färben sich 
gelb bis braun. 

Welche klinischen Symptome finden wir nun bei 
derartig beschädigten Zähnen? 

Ist der Nerv degeneriert, so fehlt die faradische Reaktion, und zwar 
entsprechend den oben angeführten Nervenzonen, besonders deutlich im 
Unterkiefer, z. B. bei Angulusfrakturen und gleichzeitiger Anästhesie des 
Nervus mentalis (Taubheit der entsprechenden Lippenhälfte): faradische 
Unempfindlichkeit vom mittleren, unteren Schneidezahn bis inklusive zum 
Weisheitszahn. Finden sich bei den Inzisiven und bei dem Kaninus träge 
Reaktionen, muß man wohl Anastomosen (durch Nervenschleifen) mit der 
Gegenseite annehmen. Bei doppelseitiger Unterkieferfraktur sind sämtliche 
zwischen den Bruchlinien liegenden Zähne total anästhetisch. Thermisch, 
chemisch und mechanisch ist der Zahn natürlich vollkommen indifferent. 
Auch die Durchleuchtung mit dem Glasstabreflektor ergibt kein Resultat, 
der Zahn ist diaphan; erst wenn Blutungen oder Zersetzungsprodukte 
einer Gangrän in die Dentinkanälchen eingedrungen sind, weist der Zahn 


76 Viktor Frey. 


den charakteristischen Schatten toter Zähne auf. Beim Aufbohren der- 
artiger Zähne findet man die oben angeführten Befunde, entweder: 


1. eine beim Extrahieren unempfindliche, aber blutende, rosarote 
Pulpa (Zahn diaphan!), Nervendegeneration, durch den Kollateral- 
kreislauf hergestellte Zirkulation), 


2. eine unempfindliche, tiefdunkelrote oder unregelmäßig gesprenkelte 
Pulpa (Zahn diaphan!) (Nervendegeneration und Thrombose der Ge- 
fäße), 


3. eine anämische, ganz weiße, etwas feuchte Pulpa, die sich von der 
Kanalwand retrahiert hat (Zahn diaphan) (weiteres Stadium von 2), 


4. einen leeren, geruchlosen, aber etwas feuchten Kanal (Zahn 
diaphan!) (weiteres Stadium von 2 und 3) oder 


5. gangränösen Kanalinhalt bei eingetretener Infektion (Zahn 
nicht diaphan!). 

Bei nicht durchtrennenden Gewalten (Kompression, Zerrung oder 
Quetschung) degeneriert zwar auch der periphere Anteil des Nerven- 
stammes, jedoch ergreift die Degeneration nicht den ganzen Stamm auf 
einmal, sondern die einzelnen Nervenfasern nacheinander. (Wir müssen dies 
für eventuelle Schädigungen durch hypertrophischen Kallus, Sequester, 
Geschoßsplitter, einklemmende Narben, entzündliche Vorgänge, unter Um- 
ständen auch für Aneurysmen festhalten.) 

Ferner kann auch die Nervendegeneration hämatogenen Ursprungs 
sein, sei es durch Blutungen in die Nervensubstanz, durch Unterbundensein 
der Zirkulation infolge des Traumas, eventuell durch Infektion auf dem 
Wege der Blutbahn. 

Wir sehen also, wie mannigfach die Ursachen für Degeneration der 
Nerven im allgemeinen und für die nervösen Anteile der Zahnpulpen im 
besonderen (bei Kieferbrüchen) sein können. 


1. Vollständige Durchtrennung, 
2. Kompression, Zerrung, Quetschung, 
3. hämatogene Schädigung, 


a) durch Zirkulationsstörung, 
b) durch Infektion. 


2 Beispiele: Off -D. W.S. Gewehrschuß, Durchschuß 18. Juli 1915. Ein- 
schuß 1 cm oberhalb des unteren Randes des linken Nasenflügels, Ausschuß oberhalb 
der rechten Nasolabialfalte, das Geschoß streifte weiter die rechte Wange. Die 
zu den oberen Frontzähnen führenden Nervenfasern sicher durchtrennt (siehe Fig. 4, 
5 und 6). . 

Diagnose: Fraktur des Nasengerüstes, des rechten ÖOberkiefers und des 
rechten Jochbogens; Fissur des rechten Processus condyloideus. 


S  UUUUUTUYVYTYTTTU U 


Fig. 4. Fig.5. 





r Pa 


i TE m w 
å Mr a 
ER 
i 


| N" 
£ CRY 
k4 f 


; 
È 
p d ” n 
~ AA Y 
TEN ir 
5 s jP à 
AR? y J 
a A f IK -I a "IR v 
a id ? 


ur 
4 


“177 
b 
f 


N 
Li) 
» . 
A 


Br N 


ars KS ERT 
Si A Ne ae y 
1D Gj SAD to 
Wa l'ig. 4. 
Narben nach der Schuß- 
verletzung. 
Fig.5. 


Schußrichtung. Die Nervi alveo- 
lares superiores anteriores waren 
sicher beschädigt. 


Fig. 6, 
Die Pulpa von 2l im mikrosko- 
pischen Bilde. Das zuführende 
Nervenästchen war zentralwärts 
(Nekrose) beschädigt. 





18 Viktor Frey. 


Jänner 1916: 5 4 8 2 ı] faradisch unempfindlich. 

1| verfärbt, es wird eine nekrotische, aber nicht übelriechende Pulpa entfernt. 

2] Apexgegend druckempfindlich, Zahn nicht perkussionsempfindlich, Trepa- 
nation schmerzlos, Pulpa blutet, bei Extraktion der Pulpa minimale Empfindlichkeit. 


Mikroskopischer Befund von 2l: Pulpa schlechttingibel, Nerven- 
fasern tinktoriell nicht mehr nachweisbar, an einzelnen 
Stellen findet sich ein wellenförmig angeordnetes Binde 
gewebe, in dem sich aber keine Myelinschollen mehr ein- 
geschlossen finden. Blutgefäße der Pulpa zum Teil throm- 
bosiert (Müller-Formol, Osmium, Safranin). 


Inf. P. Z. Verletzt durch Schrapnellkugeldurchschuß im Juni 1915. Einschuß 
rechte Wange in der Gegend des rechten Jochbogens Ausschuß etwas nach ein- 
wärts vom linken Unterkieferrande, senkrecht unterhalb des linken Mundwinkels 
(siehe Fig. 7—11). 

Röntgenbefund: Großer Substanzverlust im linken Corpus mandibulae hinter 
[3 beginnend und bis '/2cm vor |s reichend. Eine Fissur, welche unterhalb des |» 
vom vorderen Rande des kleineren Bruchstückes bis zum hinteren Rande des auf- 
steigenden Astes ungefähr 1 cm über den Angulus reicht. Im Bereiche des Substanz- 
verlustes Knochensplitter. In den Weichteilen Metallsplitter; das rechte Os zygo- 
maticum weist einen Substanzverlust von ca.1cm Länge auf. 


Zahnformel: 
876 21|12345678 
87 321 |123 8 


November 1915: ı jı wegen Empfindlichkeit und Lockerung (faradische Re- 
aktion negativ) extrahiert. 

11. Jänner 1916: 327]: s werden behufs Anfertigung einer Prothese (weil 
unbrauchbar) extrahiert. 

Faradische Untersuchung vor der Extraktion ergab: Unverletzte Seite: 32] 
reagieren nur sehr schwach faradisch. Verletzte Seite: [2 s 8 reagieren nicht. 

Sektion: 3 2] anscheinend normale Pulpen. 

T2 leerer, etwas feuchter Wurzelkanal mit Detritusmassen an der Wand, nicht 
übelriechend. 

j3 nekrotische, nicht übelriechende Pulpa von schlaffer Konsistenz 

fs anscheinend normale Pulpa. 


Mikroskopischer Befund: (Müller-Formol, Osmium, Safranin). 
33] (unverletzte Seite) Pulpagewebe von fibrösem Bau, 
durchgängige Gefäße Kernfärbung mangelhaft, Nerven- 
fasern zwar vorhanden, aber nur schwach durch Osmium 
gefärbt; an einzelnen Stellen Myelinschollen. (In dem abge- 
bildeten Gesichtsfeld nicht sichtbar.) (Siehe Fig. 10.) 

Die Pulpen waren ebenfalls stark verändert, möglicherweise dadurch, daß 
3 3] im Momente der Verletzung irgendwie traumatisch beschädigt wurden. Das 








Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 79 


Fig. 7. 





Fig. 8. 





Fig.9. 





Fig. 7. 


Einschußnarbe: rechte Wange. 
Ausschußnarbe: linker Unter- 
kieferrand. 


Fig. 8. 
Röntgenskizze der Unterkiefer- 


fraktur (Defekt zwischen B und 
|8, unter |8 verläuft eine Fissur). 


Fig. 9. 


Vorhandene Zähne im \fraktu- 


rierten Unterkiefer. (Fraktur = 
—» - -> m Tr ur 
punktierte Linie.) 


80 Viktor Frey. 


Fig.10. Fig.11. 


Baw = T EAN pe 
A - et r AA f 


74 e7 
2 


7 f Y 
K 
WRA 

AET 
#. Ea Rt Sir u 
PENI 1. dual >. 


ba a 
E y i 
A 
ey 


S) 3 
Lv. 
E U 


t4 . 
4 # 





Die Pnlpa des 8| (unverletzte Seite) im mikrosko- Die Pulpa des [3 (verletzte Seite) keine Kernfürbung. 
pischen Bild: angelhafte Kernfürbung. Nerven- Nervensubstanz gänzlich in Zerfall. Myelinschollen 
fasern nur schwach mit Osmium gefärbt (vgl. Text). (totale Nekrose). 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 81 


Geschoß war nach der Einstellung am Schußkanalbestimmer dicht an den Zähnen 
vorübergeflogen. 

Verletzte Seite: [3 Detritusmassen, zur mikroskopischen Untersuchung nicht 
mehr geeignet. 

Mikroskopisch: [3 Pulpagewebe nekrotisch, keine Kernfär- 
bung Die Nervensubstanz gänzlichim Zerfall, allenthalben 
Myelinschollen nachweisbar (siehe Fig. 11). 

fs Pulpagewebe leicht ödematös, Kernfärbung vor- 
handen, aber nirgends nervöse Elemente nachweisbar. 

13 s waren also zugrunde gegangen. 

is hatte durch die unterhalb seiner Wurzel verlaufende Fissur zwar die 
nervösen Elemente eingebüßt, war aber offenbar durch den aufgetretenen Kollateral- 
kreislauf von der Nekrose verschont geblieben. 


Regeneration. 


(literatur: Ziegler (9), Weichselbaum (10), Marburg (12), 
Edinger (13), Tillmanns (14) ] 


Vom zentralen Anteil des verletzten Nerven, der nur bis zum nächsten 
Ranvierschen Schnürring degeneriert, setzt die Regeneration ein, indem 
der zentrale Achsenzylinder auswächst, und zwar unter Abspaltung in 
mehrere Fäden. Liegen nun der periphere und der zentrale Nervenstumpf 
nahe aneinander, so wachsen die zentralen Achsenzylinderfäden in den 
peripheren Anteil der degenerierten Nervenfaser hinein. Hat jedoch eine 
derartige Retraktion der beiden Stümpfe nach dem Trauma stattgefunden, 
daß keine Berührung möglich ist, so tritt zwar auch Degeneration peripher 
und Regeneration zentral auf, jedoch wachsen die aus dem zentralen An- 
teil sprossenden Fasern nach allen Seiten aus (die Vereinigung unterbleibt). 
Der zentrale Stumpf weist dann ein Neurom auf. Der periphere Anteil 
bleibt aber vollkommen degeneriert. Findet jedoch durch Naht und Schie- 
nung, wie es die Chirurgen machen, eine Annäherung beider Stümpfe statt, 
so wächst der zentrale Achsenzylinder in den degenerierten Nervenstumpf 
hinein und wächst immer seinem Verlauf folgend weiter, umgibt sich bald 
mit einer neuen Mark- und Schwannschen Scheide, bis eine Restitutio 
ad integrum eingetreten ist, die aber relativ lange dauert, da das Längen- 
wachstum der neuen Nervenfaser pro Tag ca. 0,2—1,0 mm betragen soll. 
Fanlair, zitiert nach Ziegler (9).] 

Ich bin mir zwar der Schwächen der folgenden Annahme bewußt, 
glaube aber dennoch darauf hinweisen zu sollen: 

Wenn die Behauptungen Vanlairs richtig sind und günstige 
Lagerung der Fragmente eine Regeneration der Nervenstümpfe vom ersten 
Tage der Verletzung an zulassen, so dürfte die Regeneration des Nervus 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 6 


82 Viktor Frey. 


alveclaris inferior (Distanz: Lingula — Kiefermitte zirka 80 mm beim Er- 
wachsenen in 80—400 Tagen, abgerundet bestenfalls in 3 Monaten, schlech- 
testenfalls in 13 Monaten) zu erwarten sein. 


Regeneration des Nervus alveolaris superior anterior: Distanz: Fo- 
ramen infraorbitale — Eckzahnspitze (bei mittlerer Länge des Eckzahnes) 
zirka 20 mm 20—100 Tage, abgerundet 1—4 Monate. 


Regeneration des Nervus alveolaris superior posterior: Distanz: 
Fossa pterygopalatina — Spitze des 2. Molaren (bei mittlerer Wurzellänge) 
zirka 20 mm 20—100 Tage, abgerundet 1—4 Monate. 


Bezüglich der Regeneration der Nerven bei Kieferbrüchen ist als be- 
sonders erschwerender Umstand die Verlagerung der Fragmente (speziell 
beim Unterkiefer) zu erwähnen, weil die mit den Fragmenten verlagerten 
und durchtrennten Nervenstümpfe total außer Berührung gebracht werden. 
Inwieweit die Schienung hier Wandel schafft, ist schwer zu sagen. 


Daß der ganze Komplex der Regeneration durchaus nicht so einfach 
ist, wie er obenstehend in großen Zügen angeführt ist, geht aus der Fülle 
der Literatur über dieses Thema hervor. Marburg (12) betrachtet ‚die 
Frage bis heute noch keineswegs als gelöst“. Den divergierenden Meinungen 
wird vielleicht am besten die Darstellung Obersteiners gerecht, der 
annimmt, daß vorwiegend ‚die Achsenzylinder des zentralen Stumpfes 
die Grundlage für die neuzuschaffenden Nervenfasern bilden“, wobei „aller- 
dings auch peripher durch die Schwannschen Zellen dem Verlauf der 
Nervenfasern entsprechend Protoplasmabänder gebildet werden, daß aber 
vom Zentrum her die eigentlichen Achsenzylinder in die Bandfasern hinein- 
wachsen“. Auf Grund seiner Untersuchungen, welche auch im peripheren 
Stumpf Autoregenerationsprozesse nachgewiesen haben, rät Marburg 
am Schlusse seiner Arbeit, „dem peripheren Stück mehr Beachtung zu 
schenken, als es von vielen Seiten der Fall ist. Denn, mag man auch 
seine Bedeutung für die Regeneration keineswegs hoch anschlagen, es 
scheint doch mehr zu sein als ein einfaches Leitband für den einwachsenden 
Nerven.“ 


Edinger(13) schreibt über die Regeneration: „Daß aus dem 
zentralen Stumpf Nervenfasern auswachsen, wurde von niemandem be- 
stritten, ja, die Mehrzahl der neueren Autoren sieht in diesen Ausläufern 
der zentralen Zelle um so mehr den einzigen Quell des neuen Nerven, 
als dieser ja durchaus später wieder nur von dem Zusammenhang mit 
seiner Zelle abhängig bleibt.“ ... 


„Bethe, der die Länge des frei auswachsenden Stückes bestimmte, 
fand bei Hunden bis zu 4em.“ ... 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 83 


„Welche Rolle aber das peripherische Stück spielt, das ja zunächst 
total entartet, in Markscheiden und Achsenzylinder zerfällt, das bleibt bei 
der Auswachstheorie ganz offen. Vielleicht, so meint Ramon y Cajal, 
so meinen auch andere, stellt es nur das Bett dar, in dem der neue Nerv 
besonders gut auswachsen kann. Hier gehen aber bekanntlich Gewebs- 
prozesse vor sich, deren Studium eine ganze Literatur gezeitigt hat. Weil 
sie schließlich Bilder liefern, die für die frühere Methodik sich kaum von 
wirklichen Nervenbahnen unterscheiden, kamen ja sehr viele Forscher zu 
der Ansicht, daß nicht im zentralen Stücke, sondern in den Zellen des 
peripherischen die Quelle der neuen Nervenfaser liege. Wenn einmal durch 
phagozytäre Prozesse alle Zerfallsprodukte des alten Nerven weggeräumt 
sind, dann besteht es aus langen, spindelförmigen Zellen, die man aus den 
Schwannzellen abzuleiten pflegt, und in diesen treten dann (Ranvier, 
Büngner u.a.) lange, zarte Bänder auf, die Achsenbänder. Ein seit 
mehreren Monaten abgetrennter Stumpf besteht ganz aus solchen zarten 
Bändern, die sich allemal an die Spindelzellen anschließen, ihr oberes 
und unteres Ende bilden. Sie sollen eich in die bleibenden Nervenfasern 
irgendwie umwandeln, wobei es zunächst offen gelassen wird, welche Art 
der Verbindung sie später mit dem zentralen Stücke eingehen.“ . . . 
Edinger steht also auch auf dem Standpunkte, daß dem „peripherischen 
Stumpfe in der Tat bei der Nervenneubildung eine besondere Rolle zu- 
kommen muß“. „Diese Achsenbänder sind nun nur bei jugendlichen Tieren 
zu bekommen und durchaus vergänglich.“ ... 


Er fährt fort: „Dem, der kritisch nachprüft, was nun eigentlich vor- 
liegt, fallen zwei Dinge auf. Die Zentralisten können nicht erklären, warum 
über eine gewisse Strecke hinaus das zentrale Nervenende nicht auswächst, 
es müßte ja, hätten sie recht, über kurz oder lang schließlich jede Nerven- 
trennung ausheilen. Das tut sie leider nicht, wie wir jetzt täglich sehen. 
Sie haben auch bisher keine annähernd befriedigende Erklärung dafür 
geben können, daß solches Auswachsen stattfindet, wenn nur der peri- 
pherische Stumpf erreicht ist. Die Anhänger peripherischer Nervenbildung 
sind ganz außerstande zu sagen, warum solche nur bei jugendlichen Tieren 
stattfindet, und gar, warum diese neuen Nerven wieder zugrunde gehen.“ ... 


Edingers neue Untersuehungen nun schlagen eine Brücke zwischen 
den beiden unvereinbaren Ansichten, die beiden Standpunkten gerecht wird. 


Er verwendet zu seiner Beweisführung die Achsenzylinderfärbung 
mit Silbernitrat nach Bielschowski: „Die Silbermethode läßt jede 
neue Nervenfaser sofort tief schwarz in dem peripherischen Stumpf er- 
kennen, dessen Zellen und Achsenfasern in lichtem Braun sich nur färben. 
In all den zahlreichen peripherischen Stümpfen, die ich (Edinger) von 


6* 


8A Viktor Frey. Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 


operierten Menschen und Tieren in den letzten 2 Jahren durchmustert habe, 
sind solche neue, immer recht dünne Achsenzylinder nur dann nachweis- 
bar gewesen, wenn sie vom zentralen Stumpfe her einwachsen konnten. 
Der Tinktionsunterschied der beiden Elemente im peripheren Stumpfe 
gestattet mit aller Sicherheit auszusagen, wo peripherische, wo zentrale 
Elemente liegen. Die zentralen Fäserchen legen sich an (in?) die Achsen- 
fasern und die Zellkörper der Elemente des Stumpfes verzweigen sich um sie 
auch mit 2 oder 3 Endästchen. Und nun erkennt man mit aller Sicherheit, 
daß die langen Zellspindeln immer kleiner werden, je mehr Nervenfasern 
sich zu ihnen begeben, die Zellsubstanz schwindet und zuletzt ist nur der 
Kern zwischen den schwarzen Linien der Achsenzylinderfibrillen nachweis- 
bar. Auch er wird immer kleiner und schließlich liegt er dicht in den 
jetzt aus Fibrillenbündeln zusammengesetzten Achsenzylindern neuer 
Nervenfasern. In jedem dieser neuen Achsenzylinder findet man von 
Strecke zu Strecke solche Kernreste.“ ... 

Edinger deutet nun dies Bild in der Weise: „Daß die aus- 
wachsende Nervenfaser sich auf Kosten der Zellen des Stumpfes ver- 
längert. Der neue Nerv entsteht also dadurch, daß Fasern aus der zen- 
tralen Stelle auswachsen und sich durch die Elemente des peripherischen 
Stumpfes verlängern.“ ... 

. . . „Wenn der neue Nerv so aus dem zentralen und den peri- 
pherischen Elementen zusammen erst aufgebaut oder doch verlängert wird, 
so versteht man augenblicklich die Bedeutung des Umstandes, daß erst 
Vereinigung des zentralen Stückes mit dem peripherischen Heilung herbei- 
führt, während bei Ausbleiben solcher Vereinigung das Auswachsen des 
zentralen Stückes nur zu kurzen, neuromartig aufgeschwellten Nerven- 
stücken führt; man versteht den Nutzen, den es bringen kann, überlebende 
Nerven dem zentralen Stücke vorzuschalten (Bethe) und es fällt auch 
sofort die viel erörterte Frage weg, wie es kommt, daß die zentrale Faser 
den Weg zur peripherischen Endstätte findet. Sie beantwortet sich sofort 
dahin, daß eben nur die zentralen Fasern, welche den peripherischen 
Stumpf erreichen, die Möglichkeit haben auszuwachsen, so lange ihnen 
dieser Fortpflanzungsmaterial bietet, die anderen gehen zugrunde oder 
bleiben als Neurom liegen.“ ... 

Ich glaubte im Interesse der Wichtigkeit die ungemein fesselnde 
Arbeit Edingers in ihren wichtigsten Punkten wörtlich zitieren zu 
müssen, da sich ja in ihr sehr viele Stellen, die für die Regeneration der 
Kiefernerven und insbesondere zum Verständnis der Regeneration der 
Pulpanerven von größter Bedeutung sind, vorfinden. 

(Schluß folgt.) 





Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit ete. 85 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit 
im Kieferspitale. 


Von Professor Dr. Rudolf Weiser, k. u. k. Oberstabsarzt, Chefarzt der chirurgisch- 
prothetischen Abteilung am k. u. k. Reservespital Nr. 17 in Wien.') 


(Fortsetzung.) 


Einen anderen Fall von Oberlippendefekt repräsentieren die Figuren 
58a und b, den dalmatinischen Inf. Bozo Fr. des k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 22/2 
betreffend. Infolge Dr.Essers Abkommandierung vom k.u.k. Reserve- 
spital Nr. 17 ist derselbe noch nicht vollendet und wurde von Regimentsarzt 
Dr.Foramitti zur Fertigstellung übernommen. Bemerken will ich zur 
Krankengeschichte dieses Patienten, daß ich mich auch in diesem Falle 
leider seinerzeit noch bestimmen ließ, von meiner Regel, vor der plastischen 
Operation nicht nur die Wiederherstellung des Vestibulum oris, sondern 
auch die ganze Einrichtung des Kauapparates zu bewerkstelligen, Abstand 
zu nehmen. Die vorläufige Enge der Mundspalte und der Umstand, daß 
ich das durch innere Schleimhautplastik mir in Aussicht gestellte, aber 
nicht erreichte Vestibulum oris doch nachträglich erst herzustellen ge- 
zwungen war, und die Klagen des Patienten, daß er sich infolge der 
Straffheit der Oberlippe fortwährend zwischen dem Zahnstumpf des für 
den späteren Zahnersatz wichtigen |3 und seinen unteren Zähnen die 
Oberlippe einquetsche, was ihm das Kauen unmöglich mache, drängten 
die behandelnden Zahnärzte Schneider, spfäterSteinschneider und 
zuletzt Kränzl unter enorm erschwerten Umständen nachträglich, das ist 
nach der plastischen Operation und doch wieder schon vor Beendi- 
gung derselben, den Ersatz der Frontzähne um jeden Preis durchzuführen. 
Der ganze Behandlungsgang scheint mir übrigens auch dafür zu sprechen, 
daß man in derartigen Fällen doch besser tun wird, in großzügiger 
Weise ausgiebige Lappen von weiter entfernt gelegenen Hautregionen (wie 
Hals, hinteren Partien der Wange, Stirne, eventuell Unterarm) heran- 
zuziehen, als in dem an und für sich gewiß wohl motivierten Prinzipe, 
den betreffenden Defekt durch geschickte Verschiebung von Lappen aus der 
unmittelbaren Umgebung zu decken, allzuweit zu gehen. 

In dieser meiner Empfindung bestärkte mich auch folgender noch nicht 
ganz abgeschlossener, Foramitti anvertrauter Fall von Unter- und 


1) Aus: Beiträge zur Kieferschußtherapie Aus Anlaß des einjährigen Be- 
stehens des k. u k. Reservespitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für Kieferverletzte) 
herausgegeben von der Österr Zeitschr. f. Stomatologie. 


86 Rudolf Weiser. 


Öberlippenplastik. Der Inf. Janos He. des k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 34/3, amı 
23. Oktober 1915 an der russischen Front durch Gewehrschuß verletzt. 
hatte zu Anfang seiner Zuweisung an unser Spital ein schweres Mar- 
tyrium durchzumachen Die von äußerst schmerzhaften Schrunden durch- 
zogenen, nach einwärts gerollten und durch Narbenstränge an die Al- 
veolarfortsätze des Ober- und Unterkiefers angewachsenen Lippen (Fig. 59 a) 
boten ein anscheinend unüberwindliches Hindernis für die dringliche 


Fig. 58a. Fig. 58b. 





Ordnung der intraoralen Verhältnisse. Der Patient hatte an unaus- 
gesetzten pulpitischen und periostitischen Schmerzen, weiterhin an Schmer- 
zen von Seite zahlreicher Schleimhautgeschwüre der narbig eingezogenen 
und andererseits vielfach ödematös geschwollenen Weichteillappen zu leiden, 
welche durch die Reibung an scharfen Spitzen und Ecken hervorgerufen 
wurden; die letzteren waren durch Absprengung von nicht weniger als 14 
abgeschossenen und durch die Caries von 2 weiteren Zähnen teils im Ober-, 
teils im Unterkiefer entstanden. Um Oberarzt Kränzl die Durch- 
führung des von mir entworfenen Zahnbehandlungsplanes zu ermöglichen, 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 87 


wurde vor allem durch Einschneiden der Narbenstränge und Benähen der- 
selben mit Jodoformgaze die Verengerung der Mundspalte behoben. Die 
Kaufunktion war durch die rasche Sanierung der Alveolarfortsätze des 
Ober- und Unterkiefers und durch die Herstellung eines ideal gelungenen 
Zahnersatzes rasch und vollkommen hergestellt. Die sich daran schließen- 
den Phasen der Weichteilplastik, welche Regimentsarzt Foramitti 
mehrzeitig ausführte, bis zu dem Stadium, in welchem sich der Fall gegen- 
wärtig befindet, zeigen die Figuren 59 b und c. 


Fig. 59a. Fig. 59b. 





Ein wegen der großen Behandlungsschwierigkeiten einerseits und 
wegen der vielfach neu eingeschlagenen Behandlungswege andererseits be- 
sonderes Interesse bietender Fall betrifft den als Inf. eingerückten Archi- 
tekten Viktor F., der am nördlichen Kriegsschauplatz durch Schrapnell- 
schuß eine Zertrümmerung des ganzen Unterkiefers und erhebliche Weich- 
teilverletzungen, insbesondere im Bereiche der linken Wange und der Regio 
submaxillaris erlitten hat. Die orthopädische Behandlung des. Patienten 
wird an der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitales der Wiener 


88 Rudolf Weiser. 


allgemeinen Poliklinik durchgeführt, die chirurgische an der I. Abtei- 
lung des k. u. k. Reservespitals Nr. 17, woselbst der Patient auch in 
Pflege steht. Die näheren Details über die einzelnen Phasen der Behand- 
lung verdanke ich der liebenswürdigen Überlassung der Krankenge- 
schichte seitens v. Wunschheims. Die Zahnreihe des Oberkiefers 
ist beim Patienten Viktor F. vollkommen geschlossen, von den Zähnen 
des Unterkiefers ist nur der rechte Weisheitszahn vorhanden und auch die 


Fig. 59c. 





Existenz dieses war, wie die Krankengeschichte sagt, durch Entzündungen 
des paradentären Gewebes wiederholt gefährdet. Ein Stück des Unterkiefers 
wurde bereits anderwärts entfernt. „Die Kinnpartien und die Zunge waren 
stark nach rückwärts gesunken, die letztere nicht ganz gegen die Lippe 
vorstreckbar. Links berühren die oberen Mahlzähne ein zahnloses Fragment 
des horizontalen Unterkieferastes, welcher hochgezogen ist- Vom Mittel- 
stück des Unterkiefers waren nur einzelne Knochensplitter vorhanden. 
Schließen des Mundes ist bis zur pathologischen Okklusion, Öffnen bis zur 
normalen Weite möglich. Der 8| mußte erst durch Anwendung einer inter- 











Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 89 


maxillären Ligatur, welche von einem Ringe um diesen Zahn zu einer 
Hakenschiene im Oberkiefer zog, aufgerichtet werden.“ Später wurde mittelst 
eines Schraubenbandes um den 8| eine untere Kautschukprothese befestigt und 
zu dem Zwecke durch Auftragen von Guttapercha die Lippe herausgedrängt. 
Weiterhin wurde eine untere Zahnprothese mittelst Klammer um den X] und 
mittelst Gebißfedern auf der linken Seite zum Halten gebracht. Trotz des 
großen Eigengewichtes dieser Prothese war nicht zu verhindern, daß Unter- 


Fig. 60a. Fig. 60b. 





lippe und Mundhöhlenboden infolge des exzessiven Narbenzuges unablässig 
sich unter die Prothese zurückzogen und die letztere nach vorwärts dräng- 
ten, so daß die anfänglich normale Okklusion der Prothese mit dem Ober- 
kiefer nach und nach verloren ging. Diesen Zustand markieren die Abbil- 
dungen 60 a und b. Es wurde daher beschlossen, die Narbenstränge zu exzi- 
dieren und im Wege einer plastischen Operation normale Haut und Muskel 
zur Wiederherstellung der Weichteile des Kinnes und Mundhöhlenbodens 
herbeizuschaffen. Der mit der Operation betraute Operateur Esser 
führte am 30. März 1916 den ersten Akt der Weichteilplastik in der Weise 


90 Rudolf Weiser. 


aus, daß er, wie projektiert, das Narbengewebe ausschnitt, die Schleimhaut- 
auskleidung im Bereiche des vorderen und linken Vestibulum oris teilweise 
wiederherstellte und die äußeren Haut- und Muskellappen der als Schablone 
dienenden Unterkieferprothese adaptierte. Aber der Erfolg auch dieser Ope- 
ration drohte bald wieder verloren zu gehen. Unter Anlehnung an eine 
ursprünglich von Prof.Gersuny in Wien angegebene, in jüngster Zeit 
von Dr. Ludwig Moszkowicz zufolge einer Mitteilung in der k.k. Ge- 


Fig. 60c. 





sellschaft der Ärzte technisch weiter ausgebildete Methode schlug Esser 
im zweiten Akt der Weichteilplastik des in Rede stehenden Falles folgen- 
den Weg ein: 

Rechts und links von einem Schnitte durch die Mittellinie der Kinn- 
weichteile schuf er sich teils mit dem Messer, teils stumpf präparierend 
mitten im Muskelgewebe je einen taschenförmigen Hohlraum. In. diesen 
beiden Hohlräumen wurde je ein der zarten haarlosen Haut an der Innen- 
seite des Oberarmes entnommener Thiersch-Lappen untergebracht. 
Damit letzterer den taschenförmigen Hohlraum in seiner Gänze faltenlos 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 91 


auskleide und nicht aus dem Lager entweichen könne, wurde zuerst von der 
Tasche mittelst ‚„Helios“-Abdruckmasse, wie sie die Zahnärzte für ihre 
prothetischen Arbeiten benützen, je ein Ausguß von der Form einer 
flachen Roßkastanie hergestellt (Fig. 60 c und d). Sodann wurde diese Ein- 
lage in Jodoformgaze gewickelt und mit dem Thiersch-Lappen, der 
seine Epidermisseite gegen die Jodoformgaze, seine wunde Seite nach 
außen kehrte, überzogen. Die so montierte Einlage wurde in die Tasche 


Fig. 60e. Fig. 60 f. 


Tia Bu Br ne 1 w aa RE 
` r J ' 
. ar a ve > N Er y m 
z a \ x i 2 _ ö 
url 
` . y A 


F? 


y 
g “ 
y scher TE 

AP 






\ 
u 


ee! 





hineingeschoben und die wunden Ränder der letzteren vernäht (Fig. 60 e 
und f). Nach etwa 14 Tagen, zu welcher Zeit man darauf rechnen konnte, 
daß die Thiersch-Lappen mit den umgebenden Weichteilwandungen 
verwachsen seien, was auch zugetroffen hat, wurde von der Mundhöhle 
aus auf diese zystenartigen Hautdepots eingeschnitten und durch den 
angelegten Schnitt die Einlage mitsamt der Jodoformgaze entfernt. 

Die beiden zystenartigen Hohlräume waren späterhin in einen Hohl- 
raum konfluiert und wurde der so geschaffene Hautsack, der gewissermaßen 
eine Nebenmundhöhle darstellte, dazu benützt, um einen Zapfen von der 


92 Rudolf Weiser. 


Form eines Flaschenkürbisses aufzunehmen. Dieser Zapfen ist mit einiger 
Anstrengung aus der Nebenmundhöhle zu entfernen und trägt im übrigen 
in seinem Zentrum einen entsprechend geformten Stift, auf welchen die an 
ihrer Basis mit einer Kanüle versehene Unterkieferprothese fest aufgesteckt 
werden kann. Auf diese Weise ist erstens erreicht, daß die untere Prothese 
nicht nach vorne gleitet und sich nicht von ihrer Unterlage, dem Mund- 
höhlenboden, während des Kauaktes und beim Sprechen entfernen kann. 
Die Kaufunktion des Patienten ist eine bei häuslicher Verpflegung voll- 


Fig. 60g. Fig. 60h. 





kommen ausreichende, das kosmetische Resultat ein im Vergleiche mit 
den Anfangsstadien der Behandlung ganz überraschendes (Fig. 60g, h, i, 
j, k) und selbst das in der ersten Zeit der Verletzung nahezu aufgehobene 
Sprechvermögen des Patienten soweit wiedergewonnen, daß er in der 
Ausübung seines mit Parteienverkehr verbundenen Berufes nicht wesentlich 
gehemmt erscheint. (Auch dieser Fall bedarf noch einiger kleiner Nach- 
besserungen, welche für die nächste Zeit in Aussicht genommen sind.) 

Die Segnungen des zielbewußten und einmütigen Zusammengehens 
von chirurgischer und zahnärztlicher Kunst stellt auch ein den Reserve-Lit. 
Walter H. des Feldjäger-Baons. Nr. 25 betreffender und in den Figuren 61a, 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 93 


b, c, d, e dargestellter Fall in das richtige Licht. Es handelte sich um eine 
Zertrümmerung des rechten Unterkiefers in der Gegend des ersten Prämo- 
laren und ersten großen Mahlzahnes infolge von Schrapnellschuß. Der junge 
Reserveoflizier erkrankte zum ersten Male Mitte September 1914 an Ruhr. 
wurde bei seinem Einrücken an die Front am 15. Mai 1915 durch Schrapnell- 
schuß am rechten Unterschenkel verletzt und erlitt bei seinem drittmaligen 
Erscheinen auf dem nördlichen Kriegsschauplatze am 14. Dezember 1915 
infolge Verletzung durch Granatsprengstück eine Zertrümmerung des rech- 


Fig. 60i. Fig. 60j. 





ten horizontalen Unterkieferastes. Der schwer Verwundete wurde zunächst 
am Verbandplatz verbunden, dann sogleich in das Reservespital Nr.1 in 
Lemberg gebracht, wo die Wunde versorgt und ein Sauerscher Not- 
verband angelegt wurde. Hierauf wurde er nach Wien transportiert und 
traf am 1. Jänner 1916 im k. u. k. Reservespital Nr. 17 ein. Die Fraktur 
war mit einer hochgradigen Dislokation und Verschiebung des großen 
Fragmentes nach hinten und unten und mit einer Hochlagerung des kurzen 
hinteren Bruchstückes verbunden. Haut und Muskulatur der rechten Wange 
waren von einer lebhaft eiternden Rißquetschwunde durchsetzt (Fig. 61a, 
b und c). Abgesehen von wiederholten Inzisionen, die wir wegen Senkungs- 


94 Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit ete. 


abszessen während der sofort nach der Aufnahme des Verwundeten in unser 
Spital in Angriff genommenen orthopädischen Behandlung ausführen 
mußten, schritt Foramitti am 4.Mai 1916 wegen Sequesterbildung 
in der rechten Hälfte des Mundhöhlenbodens zur operativen Ordnung der 
Bruchstelle. Der Operateur führte einen Bogenschnitt unter der rechten 
Hälfte des Kinns und des rechten horizontalen Astes des Unterkiefers, 
legte bei präparatorischem Vorgehen einen 3em langen und 1cm breiten 
Sequester frei, kratzte die bestehende Haut- und Weichteilfistel aus, ver- 


Fig. 60k. Fig. 61a. 


EEE 
r ` "a ve Pr 5 
Wj 
FEN 
wat 


va 
EN 
DK 





einigte die Lappen und drainierte den alten ausgekratzten Fistelgang 
durch einen breiten Jodoformgazestreifen. 

Im weiteren Verlaufe der orthopädischen Behandlung veranlaßten 
mich ausgedehnte Narbenbildungen im rechten unteren Vestibulum oris, 
sowie die durch einen bindegewebigen Strang bedingte Fixierung der (— 
die Pseudarthrose im rechten horizontalen Unterkieferaste begrenzen- 
den —) Knochenenden in falscher Stellung zu folgendem Eingriffe: 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und Bücherbesprechungen. 95 


Referate und Bücherbesprechungen. 





Regierung, Volksvertretung und Zahnheilkunde. Von Professor W. Pfaff, 
Leipzig. Herausgegeben von der Zahnärztekammer für das Königreich 
Preußen. Verlag Schmitz und Bukotzer, Berlin. 


Pfaff, der sich schon seit langem auf dem Gebiete der Orthodontie 
einen weit über die Grenzen des Reiches gehenden Namen gemacht hat, 
beleuchtet in der vor uns liegenden Broschüre: „Regierung, Volksvertre- 
tung und Zahnheilkunde“ die im Deutschen Reiche bestehenden Verhält- 
nisse zwischen Zahnärzten und Zahntechnikern oder „Dentisten“. 

Das 30 Seiten starke Büchlein enthält in seiner Einleitung die früher 
bestehenden gesetzlichen Maßnahmen (Prüfungsordnung usw.), die Bestre- 
bungen der Zahntechniker seit Jahren und ihre im Mai 1915 dem Reichs- 
rate vorgelegte Eingabe betreffend die selbständige Behand- 
lung von Heeresangehörigen. 

Die Eingabe stützt sich auf die Beobachtungen und Erfahrungen, 
die von den ZahntechnikernimKriegegemachtworden 
sein sollen. ; 

Pfaff weist nun im weiteren auf die Gefahren hin, welche hierdurch 
dem Allgemeinwohl erwachsen würden und gibt der Undurchführbarkeit 
dieses Vorschlages wegen der unzulänglichen Vorbildung der Techniker und 
wegen der daraus resultierenden schädlichen Folgen beredten Ausdruck. 

So schreibt er auf Seite 20: „Unterzieht man die Forderung, die von 
Perthes und Kraft, sowie von der Reichstagskommission gestellt 
werden, einer Prüfung, so muß dieselbe zu glatter Ablehnung kommen. 
Die praktische Durchführung wäre ja schon ganz unmöglich wegen der 
unzulänglichen Vorbildung der Zahntechniker. Mit dem Nachweis, daß 
die Vorbildung des heute praktizierenden Technikers wirklich unzureichend 
ist, brauchen wir uns nicht lange aufzuhalten. Von der Gesamtzahl, die nach 
eigenen Angaben 8000 beträgt, haben höchstens 20 Prozent eine Lehrzeit 
von 3 Jahren durchgemacht, in der sie fast nur im Laboratorium mit An- 
fertigung von Gebissen beschäftigt waren. Die Ausbildung in der opera- 
tiven Zahnheilkunde erhielten sie in Schnellpreßkursen von eini- 
gen Wochen oder Monaten oder in dem Fortbildungsinstitut des Verbandes 
der Dentisten im Deutschen Reich. (Berliner Lehrinstitut.) In diesem In- 
stitut waren übrigens 1910 nur 39 Schüler eingeschrieben, was nicht gerade 
auf starken Besuch schließen läßt. Die anderen 80 Prozent entstammen 
allen möglichen Berufsständen, vor allem dem Barbierberuf. Sie 
haben keine oder doch nur eine ganz geringfügige Ausbildung erhalten.“ 

Ferner auf Seite 23: „Die Forderungen, die darauf hinauslaufen, den 
Zahntechnikern in immer weiterem Umfang die selbständige Behandlung 
von Zahnkrankheiten zu ermöglichen, sei es durch Einführung staatlicher 
Prüfungen, sei es durch Zulassung zur Behandlung von Heeresangehörigen 
auf Grund der Reichsversicherungsordnung, müssen aber auch — und das 
ist der Haupteinwand — im Hinblick auf die schlimmen Folgen für die 
Volksgesundheit abgelehnt werden. Heute, wo in allen Ländern große 
Anstrengungen gemacht werden, die Ausbildung der Studierenden den Ar- 
beiten und Fortschritten der Zahnheilkunde anzupassen, will man reinen 
Empirikern ohne jede Vorbildung eine so entwicklungsfähige Wissenschaft 


96 Referate und Bücherbesprechungen. 


ausliefern? Welcher Wert Prüfungen beizulegen ist, denen sich Leute 
unterziehen, die ihrer ganzen Vorbildung nach dazu ungeeignet sind, haben 
wir bereits gesehen. Erfahrung berechtigt uns, zu sagen, daß sehr bald 
pseudowissenschaftlicher und phantastischer Empi- 
rismus sich blähen und der wissenschaftlichen und 
praktischen Zahnheilkunde einen vernichtenden 
Stoß versetzen würde. Den Schaden aber hätte das 
Volk zu tragen!“ 

Endlich weiter auf Seite 28: „Und wenn nun auf gesetzlichem Wege 
ein Stand der „staatlich geprüften Zahntechniker“ geschaffen würde, wäre 
die Entwicklung einfach diese: Die „Geprüften“ würden sich von den bis- 
herigen Zahnbehandlern in ähnlicher Weise abheben wie die Zahnärzte 
von den Technikern. Sie würden mit der Zeit nach höherer Ausbildung 
streben und es begänne bald dasselbe Spiel wie vor einem halben Jahrhun- 
dert bei den Vorgängern der heutigen Zahnärzte. Unter dem Gesichts- 
punkte einer vorschauenden Politik betrachtet, wäre also durch 
Schaffung eines neuen Zahntechnikerstandes gar 
nichts gewonnen.“ 

Ausgehend von der Entwicklung der Naturwissenschaften und der 
Medizin, der dadurch bedingten Hebung der Lebenshaltung und dem Sinn 
und Verständnis für körperliche Kultur und Hygiene, kommt Verfasser auf 
die jetzige Stellung der Zahnheilkunde zu sprechen. Er beleuchtet ihre 
enorme Bedeutung in wissenschaftlicher und volkswirtschaftlicher Hinsicht 
und beweist uns dadurch das große Verdienst der Zahnärzte für die He- 
bung und Erhaltung der Volkskraft. 

Zum Schlusse gibt uns Pfaff eine Übersicht über die Prüfungs- 
gegenstände und die neue Prüfungsordnung, der sich der Student der Zahn- 
heilkunde im Deutschen Reiche in einem 7semestrigen Studium unterziehen 
muß, um den Doctor med. dent. zu erlangen. Er schließt mit der bemerkens- 
werten Mahnung: „Bei jedem anderen Spezialfach der Medizin oder einer 
anderen Wissenschaft wurden bei geplanten gesetzgeberischen Eingriffen 
die Vertreter wegen der Wirkung auf ihr Fach um ihre Meinung befragt, 
und sie wissen es nicht anders, als daß man auf diese Meinung hört. Warum 
soll es bei dem Spezialfach der Zahnheilkunde anders gehalten werden? 
Warum? Man sagt und hört so gern Deutschland in der sozialen und 
gesundheitlichen Fürsorge an der Spitze der Länder, wenn aber das, was 
jetzt verlangt wird, von Volksvertretung und Regierung zum Gesetz er- 
hoben wird, dann wäre das ein Schritt, der nicht vorwärts auf der Bahn 
vielverheißender Entwicklung, sondern rückwärts zur Entwissenschaft- 
nu und zur geistigen wie sittlichen Verflachung und Verödung führen 
würde!“ — 

Kriegszahnklinik, August 1917. Zilz. 


—— -eo <4 0p +... —-...- 


Für den wissenschaitlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


R Su ia 
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, II., Münzgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


nm Zahnärzte Österreichs, 


. Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 


XYI. Jahrgang. April 1918. 4, Heft. 








Nachdruck verboten. 


Original-Arbeiten. 


Aus der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitals der Wiene 
Allgemeinen Poliklinik ' 
(Vorstand: Oberstabsarzt Prof. Dr. v. Wunschheim). 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß mit. be- 
sonderer Berücksichtigung der nervösen Störungen. 
Von Dr. Viktor Frey, Wien. 

(Vortrag, gehalten im Verein österr. Zahnärzte am 14. November 1917.) 


(Mit 8 Tafeln und 23 'lextfiguren.) 
(Schluß.) 


Beispiele aus der experimentellen Pathologie und 
Chirurgie. 

In Tillmanns(14) Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie lesen 
wir über Beispiele von spontaner Nervenregeneration folgendes: 

„Notta beobachtete eine spontane Regeneration nach Durchtren- 
nung sämtlicher Nerven des Oberarmes innerhalb 6 Monaten. Tiede- 
mann legte bei einem Hunde im August 1827. das Armnervengeflecht in 
der Achselhöhle bloß, durchschnitt die einzelnen Nerven und exzidierte 
aus jedem ein Stück von 2—2t/, cm. Es erfolgte eine vollständige Lähmung 
des Gefühls- und Bewegungsvermögens in der betreffenden Extremität, 
aber im Laufe der Jahre 1827—1828 kehrten Empfindung und Bewegung 
vollständig zurück. Im Juni 1829 wurde der Hund getötet; es ergab sich, 
daß die Nervenenden wieder durch markhaltige Nervenfasern verwachsen 
waren. v.Langenbeck und Hueter beobachteten eine Wiederher- 
stellung der Leitung nach Zerreißung des Plexus brachialis bei einem 
preußischen Offizier, welcher durch eine Kartätschenkugel beim Sturm auf 
die Düppeler Schanzen am 18. April 1864 verwundet wurde. Die linke 
Lunge war in ausgedehnter Weise verletzt, die erste Rippe zersplittert, 
desgleichen zum Teil Klavikula und Skapula. Trotz dieser hochgradigen 
Verletzung kam Patient mit dem Leben davon. Im September desselben 
Jahres sah v. Langenbeck den Patienten wieder, aber mit vollständig 
gelähmtem Arme. Nach Ablauf von 1!/, Jahren stellte sich unter elek- 
trischer Behandlung die Funktion des Armes wieder so weit her, daß 





Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 7 


98 Viktor Frey. 


Patient wieder dienstfähig wurde und den Feldzug 1866 als Offizier mit- 
mächte. 1870 fiel er als Bataillonskommandant in der Schlacht bei Wörth.“ 

Bezüglich der Erfolge der sekundären Nervennaht finden wir ebenda 
eine Aufzeichnung, in welcher es heißt, „daß die Sensibilität meist nach 
2—4 Wochen, die Motilität frühestens nach 16 Tagen, meist erst nach 
Wochen, zweimal sogar erst nach einem Jahre zurückgekehrt seien“. (Die 
rasch eintretende Funktion nach Nervennaht wird aber von sehr vielen 
angezweifelt.) 

Von den Regenerationsvorgängen finden wir an gleicher Stelle mehrere 
Theorien aufgezählt, von denen uns besonders 2 interessieren: 

„l. Die alten Nervenfasern des peripheren Nervenstückes gehen nach 
Abtrennung vom Zentrum unwiderruflich dauernd zugrunde Die vom 


: zentralen Ende neu gebildeten Nervenfasern wachsen analog den ent- 


wicklungsgeschichtlichen Vorgängen am peripheren Stumpf entlang, bis in 


die. Muskeln, bis in die Haut (Vanlair). 


> w 


2. Die Fasern des peripheren Stumpfes degenerieren, beteiligen sich 
aber dann, nachdem die zentralen regenerierten Fasern in den peripheren 
Stumpf eingetreten sind, ebenfalls an der Regeneration und vereinigen 
sich mit dem vom zentralen Ende ihnen entgegenwachsenden Fasern. Beide 
Arten der Regeneration dürften nebeneinander vorkommen.“ 


Bedingungen für die Regeneration der Pulpen bei 
Kieferbrüchen. | 

Die Regeneration der Pulpanerven ist an folgende Bedingungen ge- 
knüpft: 

1. Das Bulnagewebe darf weder primär (Erschütterung der Zahn- 
krone infolge des Traumas, Abriß der Gefäße und Nerven am Foramen 
apicale), noch sekundär (Thrombose der Gefäße, hämatogene Infektion) 
geschädigt sein. 

2. Peripherer und zentraler Nervenstumpf dürfen nicht so weit von- 
einander entfernt liegen, daß eine Wiedervereinigung a priori ausgeschlossen 


erscheint (also keine größeren Defekte im Kieferknochen). 


3. Die Reposition der Knochenfragmente durch Schienung muß eine 
derartige sein, daß die Aneinanderlagerung des zentralen und peripheren 
Nervenstumpfes möglich ist. (Interposition von Weichteilen im Fraktur- 
spalt kann die Regeneration verhindern.) 

4. Der zentrale Nervenstumpf muß in seiner Funktion erhalten sein. 


Erfahrungen über Regeneration der Pulpen nach 
Kieferbruch. 


Faradische Reaktion bei früher unempfindlichen Pulpen konnte auch 
bei relativ günstigen Fällen von Kieferbruchverletzungen, die längere Zeit 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 99 


bei uns in Behandlung standen, konstatiert werden, wenn auch nicht in 
der Mehrzahl. Bei einigen dieser Patienten war schon nach zirka +/ Jahr 


Fig. 12.- 





Röntgenskizze. Fraktur des rechten Angulus (Aufnahme Dezember 1915). 


Fig. 13. 





Röntgenskizze. Verheilte Fraktur ders rechten Angulus (Aufnahme August 1917, vgl. Fig.12). 


faradische Reaktion — wenn auch träge — in den betroffenen Zähnen 
nachweisbar. Die faradische Erregbarkeit steigerte sich im Laufe der 
Zeit immer mehr, wenn sie auch selbst nach einem Jahr noch nicht die 
normale Höhe erreicht hatte (Vergleich mit der Gegenseite). 


q*¥ 


100 Viktor Frey. 


Ob die absolute Zahl der wieder normal empfindlich gewordenen 
Pulpen nicht vielleicht eine relativ hohe ist, wäre sehr interessant zu 
wissen; die Beobachtungszeit war aber bei vielen Patienten infolge ein- 


Fig. 14. 





Röntgenskizze. Fraktur des linken Angulus (Aufnahme Dezember 1915). 


Fig. 15. 





Röntgenskizze. Verheilte Fraktur des linken Angulus (Aufnahme August 1917, vgi. Fig.14). 
getretener Heilung eine viel zu kurze; andrerseits ist die Zahl der ne- 
krotisch befundenen Pulpen ziemlich groß, was ich um so mehr behaupten 
kann, weil jeder aus irgend einem Grunde bei unseren Kieferverletzten 
extrahierte Zahn mit der Sektionszange aufgesprengt wird. 





Das Verbalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 101 


Einige Beispiele: Inf. Joh. R. Bei einer doppelseitigen Angulusfraktur 
mit Durchschuß des Zungengrundes war die Geschmacksempfindung derart gestört, 
daß Patient alle Speisen stark sauer verspürte. Nach 6 Monaten war Besse- 
rung zu konstatieren, normale Geschmacksempfindung erst 
nach °ı Jahren (siehe Fig. 12—15). 

Die zwischen den beiden Angulusfrakturen stehenden Zähne 5482 1]1 23846 
waren lange Zeit total anästhetischh 2 Jahre nach der Verletzung 
stellte sich Patient wieder mit neuralgieartigen Schmerzen 
in der rechten Unterkieferhälfte vor. Die Ursache war eine 
Pulpitis von 6]; die übrigen Frontzähne hatten normale 
faradische Reaktion. 


Oblt. E. P. Verletzt am 6. Mai 1915 Schwere Splitterfraktur im rechten An- 
gulus, langandauernde Eiterung mit wiederholtem Abgang von Sequestern. Heilung. 
(Konsolidation 28. Dezember 1915.) Zahnbestand des rechten Unterkiefers7 5 «3 3 11. 

Kontrolle am 28 Jänner 1916: Alle Zähne des rechten 
Unterkiefers reagieren auf faradischen Strom, nur schwä- 
cher als die Zähne des linken Unterkiefere Die Reaktion 
ist bei 371| relativ stärker als bei 754] (Nervenschleife). 


Inf A.H. Verletzt durch Gewehrdurchschuß am 23. Oktober 1914 Ausge- 
dehnte Splitterung fast des’ ganzen linken Unterkieferkörpers. Patient wurde uns 
am 29. Dezember 1914 zugewiesen und bekam am 2. Jänner 1915 eine gestanzte 
Kappenschiene von 6-2] reichend mit schiefer Ebene in der Gegend von #6]. 

Im Verlaufe der Behandlung hatten sich mehrere Sequester von verschiedener 
Größe abgestoßen, darunter ein ziemlich großer am 10. März 1915, der den Canalis 
mandibularis deutlich erkennen läßt (siehe Fig. 16—18). 

Am 19. April 1915 ist die Fraktur unbeweglich, so daß die Schiene ab- 
genommen werden kann. Das am 19. Mai 1915 aufgenommene Rönt-. 
genbild zeigt die Fraktur verheilt, die Zähne der linken 
Unterkieferhälfte jizni wurden bei der Entlassung des 
Patientenam7” August 1915 faradisch untersucht; Reaktion 
schwach. 

Kontrolle: 21. Jänner 1916: Die Pulpenlinksunten sind 
deutlich empfindlich, jedoch bedeutend schwächer als die 
der rechten Seite 

23. Juli 1917: Die Pulpen beider Unterkieferhälften 
vollkommen gleich empfindlich, nur mehr eine ganz leichte 
Herabsetzung der Empfindlichkeit des linken Nervus men- 
talis zu konstatieren. Die zu gleicher Zeit (28. Juli 191”) 
aufgenommene Röntgenaufnahme ergibt eine fast voll- 
ständige Wiederherstellung des Unterkieferknochens 

Eines der überraschendsten Momente war für mich, daß Pseud- 
arthrosen-Patienten mit allerdings nur geringen, höchstens 1 Querfinger 
breiten Substanzverlusten des Unterkiefergs — wie ich zweimal zu beob- 


102 Viktor Frey. 


Fig. 16. Fig. 17. 





f I 
nn 
W 
y 
Röntgenskizze. Ausgedehnte Splitterung des linken Röntgenskizze. Die geheilte Fraktur (vgl. Fig. 16) bei 
Unterkieferkörpers (Aufnahme Dezember 1914). Entlassung des Patienten (Aufnahme Mai 1915). 


Wenngleich der Kallus röntgenologisch nicht durchwegs knöchern erschien, war dennoch die Fraktur 
klinisch als geheilt zu betrachten. 


Fig. 18. 


t — 
-.., 0Pfo r £. \ 

Ta s ~ ne j 

è ? Bi m 
` p” . 
. x eiea S 
. ki e a sA ~ gm 
x > 
e K 


Röntgenskizze. Die geheilte Fraktur (vgl. Fig.16 und 17) bei der Kontrolle am 28. Juli 1917. 
Der Unterkiefer erscheint wieder vollständig knöchern hergestellt. Mehrere verschieden starke Leisten 
im Knochen weisen auf die bestandene Verletzung hin. 


achten Gelegenheit hatte — peripher von der Fraktur faradisch empfind- 
liche Pulpen und diaphane Zähne hatten, so daß der Gedanke nahelag, daß 
trotz der Zertrümmerung des Kiefers der Nervus alveolaris inferior, wenn 


nr 


Pepe en 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. | 103 
auch nicht verschont (weil unwahrscheinlich) geblieben, doch vielleicht 
nicht gänzlich durchgerissen war, so daß auf diese Weise eine Regeneration 
stattfinden konnte. (Beobachtung 2 Jahre nach der Verletzung.) 

Fall I. Inf. J.B., verletzt durch Gewehrschuß am 20. Mai 1915. Diagnose: 
Splitterfraktur des rechten horizontalen Unterkieferastes in der Gegend von 65] 
mit zirka querfingerbreitem Substanzverlust zwischen den beiden Kieferfragmenten 
(siehe Fig. 19). Mehrere Geschoß- und Knochengplitter im Bereich der Fraktur, die 
wiederholt Abszesse hervorrufen und operative Eingriffe notwendig machen. Die 
Fraktur zeigte trotz Schienung keine Neigung zur Konsolidation Die vor der 
Fraktur stehenden Zähne 732 ı] diaphan und faradisch + (14. Dezember 1916), 
wenn auch schwächer als [1 23 4. 





Fig. 19. 





Röntgenskizze. Splitterfraktur des rechten horizontalen Unterkiefers. 


Im Februar 1917 Pseudarthrosenoperation nach Dr. Pichler (21): Über- 
brückung des Defektes mit einem an einem Muskelstiel hängenden Knochenspan aus 
dem Kieferkörper. 

12. September 1917: X3 21] faradisch +, wenn auch schwächer als [12 84 
Zahnkronen diaphan. 

Daß der Nervus alveolaris inferior vom Anfang an gänzlich durchtrennt war, 
ist nach der Einstellung des Schusses mittelst meines Schußkanalbestimmers (15) un- 
wahrscheinlich; wahrscheinlich dagegen, daß wenigstens einige Nervenfasern trotz 
der Verletzung erhalten geblieben waren, von denen aus die Innervation des +] 
(32 1] müssen wegen der Anastomose außer Betracht bleiben) besorgt wurde. 

Fall I. Inf.M.K., verletzt durch Gewehrschuß am 18 Februar 1915 (siehe 
Fig 20 und 21 und Tafel VIII, Fig. 21 und 22). 


104 Viktor Frey. | 


Röntgendiagnose: Splitterfraktur des linken Angulus und des untersten 
Drittels des linken aufsteigenden Astes; gerade im Angulus ein zirka Querfinger 
breiter Substanzverlust, Knochen und Geschoßsplitter in der Umgebung der 
Fraktürstelle. l 


mouka 
` 


AA 


rA 
Fa 


Ar 


i Sapi Eur j*) 5 
Bis, h N a u e 
` -v wA Airi SUR 
Å. Arte 2% ” £ ur FA 





Röntgenskizze. Splitterfraktur des linken Angulus und des untersten Drittels des aufsteigenden 
Astes; gerade im Angulus ein ca. querfingerbreiter Substanzverlust. 


Fig. 21. 





Vorhandene Zähne im Unterkiefer (punktierte Linie = Fraktur). 














Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 105- 


Ausgang in Pseudarthrose (Operation wurde vom Patienten abgelehnt). 

Schlußröntgenbefund vom 5. Jänner 1916: Pseudarthrose des linken Unter- 
kiefers in der Angulusgegend; das kleinere hintere Fragment hochgezogen, stufen- 
förmig an das vordere Fragment angelagert. 


Kontrolle im Jänner ergibt fi 32 34 diaphan und faradisch +, wenn auch 
unterempfindlich. 


Kontrolle vom 31. August 1917: 
Zahnformel des Unterkiefers: 888 21]1ı235 


Die Pseudarthrose mit starker Dislokation der Fragmente besteht nach wie: 
vor hinter dem fö. Es war bei der jetzigen Untersuchung auffällig, daß sämtliche 
Pulpen auf faradischen Strom empfindlich waren. Ja, es waren sogar die Pulpen der 
linken Unterkieferhälfte auf faradischen Strom stärker empfindlich als die der 
rechten. 

Es wurde nun die Frage ventiliert, ob im Falle der gänzlichen Zerreißung des. 
linken Nervus alveolaris inferior (die nach Einstellung des Schusses mittelst Schuß- 
kanalbestimmers unwahrscheinlich war) und bei ausgebliebener Regeneration vom 
zentralen Stumpf aus möglicherweise rückläufig eine Regeneration von Seite der 
in der Mittellinie bestehenden Anastomosen zwischen sjs im ]5 hätte stattfinden 
können? | 

Da nun die beiden 5f5 behufs Anfertigung einer unteren Prothese extrahiert 
werden mußten (zirkuläre Halskaries), wurde an der rechten Lingula eine 
Leitungsanästhesie vorgenommen. 

Nach halbstündiger Wartezeit war die Unempfindlichkeit der rechten Seite: 
bis in die Mittellinie eingetreten. Die elektrische Prüfung der Sensibilität sämt- 
licher Pulpen des Unterkiefers war vor der Leitungsanästhesie vorgenommen worden. 
Nach eingetretener Anästhesie wurde neuerlich mit dem faradischen Strom unter- 
sucht. Während nun die Anästhesie des rechten Unterkiefers eine vollständige war, 
zeigte sich; daß das Empfindungsvermögen der Pulpen der rechten Unterkieferzähne: 
nicht gänzlich geschwunden, sondern nur bedeutend herabgesetzt war. Desgleichen 
waren fı 2 s ebenfalls in herabgesetztem Maße empfindlich Dagegen hatte 
der fs seine frühere Überempfindlichkeit beibehalten. 

Um vollkommen sicher zu sein, wurde nun am rechten Foramen mentale ein 
neuerliches Depot gelegt und nach 10 Minuten langer Wartezeit die neuerliche 
faradische Untersuchung vorgenommen. Dabei wurde konstatiert, daß die Front- 
zähne (ST — 3) noch weniger reagierten als bei der früheren Prüfung. Der Ts 
blieb aber gänzlich unbeeinflußt. Es wurden nun beide §f5 ex- 
trahiert, die Zähne aufgesprengt und die Pulpen in Müller-Formol behufs mikro- 
ekopischer Untersuchung eingebracht. 


(Im Anschlusse an die Verletzung bestand infolge der linksseitigen Angulus- 
fraktur totale Anästhesie des Nervus mentalis und der linken Zungenhälfte bis 
1'/a Jahre nach der Verletzung. Es trat nach diesem Zeitraume Empfindung auf, 
doch war dies nicht die normale Empfindung, sondern sowohl die linke Zungen- 
hälfte als auch die vom Nervus mentalis versorgte Hautpartie ist auch jetzt bei 
Nadelspitzenuntersuchung hyperästhetisch.) 


106 Viktor Frey. 


Da nun jedenfalls eine Störung der Innervation der linken Seite nach der 
Verletzung zu konstatieren war, die Regeneration aber infolge der Verlagerung der 
Stümpfe und des ziemlich großen Substanzverlustes bei einer vollständigen 
Durchtrennung des Nervus alveolaris inferior durch Verwachsung der beiden 
Nervenstümpfe nicht anzunehmen ist, andererseits die Versuche mit der Leitungs- 
anästhesie ergeben haben, daß die Anastomosenbildung zwischen rechtem und linkem 
Nervus alveolaris inferior tatsächlich nur zwischen sj — js stattfindet, so ist die 
Annahme berechtigt, daß trotz der großen Verletzung im linken Angulus der Nervus 
alveolaris inferior der linken Seite nicht in seinem ganzen Querschnitt durchtrennt 
gewesen sein kann, so daß unter Führung erhalten gebliebener Nervenbrücken die 
Regeneration des linken Nervus alveolaris inferior in der Zeit von 1!/a Jahren vom 
zentralen Stumpf aus stattfinden konnte, ein Zeitraum, der mit den Angaben 
Vanlairs über die Schnelligkeit der Nervenregeneration beiläufig stimmt Für 
die Annahme der Regeneration spricht auch der mikrosko- 
pische Befund durch die eigentümliche Anordnung der Ner- 
venfasern. A 
Mikroskopische Untersuchung (Müller-Formol, Osmium, Safranin): 


Normaler Nerv: 


5j normale Verhältnisse Nervöse Elemente mit Os- 
mium deutlich färbbar (vgl.Tafel VII, Fig. 21). 


Regenerierter Nerv: 
-sj Pulpa erscheint durch Bindegewebsproliferation 
dichter (vgl. Tafel VIII, Fig 22). 

Die vermehrten Blutgefäße sind allenthalben weit und 
mit Blut gefüllt, keine Thrombosen Die Nervenfasern 
lassen sich im allgemeinen ganz auffallend gut mit Osmium 
färben, hierbei fällt aber auf, daß die Nervenfasern nicht 
jene parallele Anordnung aufweisen wie im normalen Ner- 
ven, sondern vielfach sich überkreuzen und verflechten, so 
daß stellenweise Bilder zustandekommen, die an den Ner- 
venverlauf bei traumatischen Neuromen erinnern. i 


Spätverfall der Pulpen. 


Es soll ferner noch daran erinnert werden, daß anfangs lebensfähig 
gewesene Pulpen in einem späteren Zeitpunkte zerfallen können (wie 
schon angeführt durch Thrombosen, hämatogene Infektion ete.). 

Für Spätverfall der Pulpa seien 2 Beispiele für viele beobachtete angeführt: 

I. Obit. D. erlitt im Mai 1915 durclf einen Gewehrschuß eine Splitterfraktur in 
der Gegend von 76]; die zerschossenen Zahnfragmente des 7j wurden entfernt 
8] : fehlte schon von früher). 

.Bei der Aufnahme: 

sj (distal von der Fraktur) normale faradische Reaktion 
5 4] aufgehobene Reaktion. 
821] sehr schwache Reaktion (Nerveneschleife). 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 107 


Dezember 1915 (also 7 Monate nach der Verletzung): Alle Zähne der rechten 
Unterkieferhälfte faradisch normal empfindlich (Regeneration). sj zeitweilig etwas 
schmerzhaft beim Kauen, dem Gefühl nach verlängert, faradisch + 

Im September 1916 mußte sj wegen Lockerung und Schmerzen extrahiert 
werden. Pulpa abgestorben (Nekrose, aber keine Gangrän), mesiale Wurzelspitze 
war arrodiert. 

II. Inf. K Verletzt am 3. September 1915 durch Gewehrschuß, Durchschuß. 
Einschuß rechte Nasenseite, Ausschuß linke Wange. 

Diagnose: Fraktur des linken Oberkiefers, Splitterung im Bereich des linken 
Os zygomaticum und der angrenzenden Partien (linksseitiges Antrumempyem) 

Bei der Entlassung am 26. Jänner 1916 waren die vorhandenen Zähne fara- 
disch normal empfindlich. 

Am 21. Dezember 1916 kehrte Patient mit der Angabe, Schmerzen im 13 zu 
haben, wieder. 

Untersuchung der Frontzähne (alle anderen Zähne hatten normalen Befund) 
ergab: 3 212 8 faradisch +, diaphan, 111 faradisch 0, nicht diaphan. 

Röntgen: Zwischen 111 ein zirka erbsengroßer Resorptionsherd, der nach 
Kanalbehandlung von 111 durch Aufklappung freigelegt und exkochleiert wird, 
worauf die in den 18 lokalisierten Beschwerden verschwunden waren. 


Sensible Reizerscheinungen. 
[Literatur: Strümpell (16), v Wunschheim und Diskussionsredner (7).] 


Mit den Verletzungen der Nerven sind sehr häufig Parästhesien ver- 
bunden; die Patienten klagen, die Zähne kämen ihnen wie aus Holz ge- 
macht vor; es werden unangenehme Sensationen, wie Kribbeln oder Taub- 
sein der betroffenen Kieferhälfte oder direkte Schmerzempfindungen an- 
gegeben. Diese sensiblen Reizerscheinungen treten oft anfallsweise auf. 
Ja, es steigern sich die Symptome oft zu dem ausgesprochenen Bilde einer 
Anaesthesia dolorosa. Ein bestimmter Zahn oder auch mehrere Zähne 
werden als Sitz der Schmerzen angegeben, aber weder das Röntgenbild 
noch die übrigen Untersuchungsmethoden bringen Klarheit. Im Anfange 
habe ich solche Zähne prinzipiell trepaniert und war sehr erstaunt, fast 
stets — allerdings schmerzlos oder fast schmerzlos entfernbare —, an 
der Kanalwand festhaftende, blutende, rosarote Pulpen, die in keiner Weise 
entzündeten Pulpen vergleichbar waren, vor mir zu haben. Die Schmerzen 
blieben nach der Exstirpation der Pulpa die gleichen. Ja, selbst nach der 
Extraktion solcher, nach Angabe der Patienten wie bei Periostitis per- 
kussionsempfindlicher Zähne änderte sich die Schmerzempfindung nicht. 
Manchmal ähneln die Schmerzen einer Pulpitis oder einer Trigeminus- 
neuralgie, manchmal werden sie in einen bestimmten Zahn lokalisiert und 
gleichen den Schmerzen bei einer beginnenden Periostitis.. Es ist mir 
nun klar, daß derartige Schmerzen in dem zentral gelegenen, lebenden 


108 Viktor Frey. 


Stumpf entstehen und nur peripher ausstrahlen, ebenso wie Patienten nach 
Oberschenkelamputationen Schmerzen in den Zehen des amputierten Beines 
zu verspüren glauben. | 

Nebenbei sei erwähnt, daß mit Parästhesien des Kiefers auch Hyper- 
ästhesien der Wangen, Lippen, des Gaumens, der Zunge und der Mund- 
schleimhaut häufig gleichzeitig vorkommen können. (Nagen-, Gaumen- und 
Gesichtsradiation des II. Trigeminusastes.) Man übersehe. ein, eventyelles 
Antrumempyem nicht! 

Diese sensiblen. Reizerscheinungen des zentralen Nervenstumpfes 
treten zumeist erst Wochen, ja Monate nach der Kieferverletzung auf und 
sind von im Anschluß an die Verletzung bald auftretenden Schmerzen 
wohl zu unterscheiden. 

Ihre Ursache dürfte liegen: in narbigen Einklemmungen des Nerven 
(eventuell auch in einem hypertrophischen Kallus und Exostosen), in 
neuritischen oder perineuritischen Prozessen, in Geschoßsplittern und Se- 
questern, Amputationsneuromen, eventuell in kleinen Aneurysmen ete., 
kurz gesagt, traumatische Neuralgien durch Kompression des Nerven oder 
Neuritiden bzw. Perineuritiden (Entzündung der Nerven oder ihrer Um- 
gebung). 


Beispiele: Der zuerst beobachtete Fall von Parästhesie war folgender: 
Inf. G P., verletzt durch einen Schrapnellstreifschuß am 15. Dezember 1914. Splitter 
bruch zwischen Jı-r. Aufnahme am 8. Februar 1915. Sofortige Schienung mittelst 
Kautschukschiene. Heilung der Fraktur am 24. April 1915 


Mitte März wurde der bisher sehr günstige Heilverlauf durch beträcht- 
liche, neuralgieartige Schmerzen in der linken Unterkieferhälfte gestört. [12 8 4 6 
faradisch unempfindlich. Anästhesie des linken Nervus mentalis. 


Die Schmerzen kommen anfallsweise, machen das bisher mögliche Kaugeschäft 
der linken Seite (natürlich mit der Schiene) unmöglich. Die Schmerzen behindern 
den Patienten am Tage und im Schlafe. Im Bereich der vorderen Hälfte des linken 
Unterkiefers und der darüberliegenden Hautpartien bestanden Anästhesie und trotz- 
dem spontan auftretende starke Schmerzempfindung (Anaesthesia dolorosa). Die 
Untersuchung des vom Patienten beschuldigten f5 ergab bloß eine Perkussionsemp- 
findlichkeit wie bei Periostitis, die Trepanation eine blutige unempfindliche Pulpa. 
Patient bat, ihm den Zahn, den er als Ursache des Schmerzes ansah, zu extrahieren 
(23. März). Die Extraktion brachte keine Erleichterung. | 


20. Mai: Die Zähne fı—+ und [fe sind hyperästhetisch beim Beklopfen. Die 
Neuralgien haben sich über den 2. und 3. Trigeminusast ausgebreitet. Nervina 
bringen wohl. momentane Erleichterung, aber die Schmerzen verschwinden nie ganz 
und kehren immer wieder. Über dringendes Bitten wird dem Patienten am 5. Juni 
1915 fe, von dem die Schmerzen ihren Ausgang zu nehmen scheinen, extrahiert 
Großer Dentikel in der Pulpakammer, aber blutende Pulpa. Keine Erleichterung 
nachher. 





Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 109 


9. Juni 1915: Leitungsanästhesie mit 1cm?” Novokainsuprareninlösung von 
der Lingula aus nach dem Vorschlag Prof. Czieszyäskis. Die Schmerzen hören 
nach einer Viertelstunde auf und blieben mehrere Tage verschwunden; bei ihrer 
Wiederkehr waren sie nicht mehr so hochgradig als früher. Besserung unter täg- 
licher Föhnbehandlung. 

Heilung der Parästhesie am 22. Juli 1915 

Röntgenologisch war nichts als ein hypertrophischer Kallus nachweisbar. 

In anderen Fällen von Parästhesien waren versteckte Sequester und Geschoß- 
splitter schuld, nach deren Entfernung die Schmerzen schwanden. | 


Pilot F.W wurde am 14. April 1916 durch einen Granatstreifschuß verletzt 
(siehe Fig. 22 und 23). 

Quer über das Gesicht und die Nase unter beiden Augenhöhlen zieht eine 
Narbe; Substanzverlust nahe der Nasenwurzel mit Eröffnung der Nasenhöhle 
(traumatische Sattelnase). Narbe links linear, rechts eingezogen. #321] samt 
Alveole beweglich, 5l [123456 in der Alveole gelockert, überdies Krone des |1 
stark beschädigt. Diagnose: Komplizierte Fraktur beider Öberkiefer, beider Joch- 
bogen und des Nasenbeines, rechtsseitiges Antrumempyem. Der rechte Nervus 
infraorbitalis sicher beschädigt. (Kautschukschiene alle Zähne des Oberkiefers um- 
fassend.) 


Fig. 22. Fig. 28. 





3 
s 
2 


Fig. 22. 
Äußere Verletzung (Fall F. W.). 


Fig. 23. 


Intraorale Filmaufnahme (Fall F. W.). 
Rarefiziertes Septum zwischen 1]1. 


Frakturspalt über ı—1l. 


110 Viktor Frey. 


21. August: 5| wurde wegen Eiterung aus der Alveole extrahiert. 

20. Dezember: 48 2 1] faradisch 0, diaphan, die Zähne des linken Oberkiefere 
(mit Ausnahme des eine Richmondkrone tragenden |!) faradisch +, diaphan, Par- 
ästhesie der rechten Gesichtshälfte (Föhn) l 

Intraorale Filmaufnahme: Frakturspalt über 4-1l verlaufend, Septum zwischen 
ılı stark rarefiziert, außerdem Granulom über |1 

5. Mai: |! locker und schmerzhaft extrahiert. 

15. Mai: #4], der schon im Februar wegen periostitisähnlichen Beschwerden 
und wegen herabgesetzter Diaphanie trepaniert worden und in welchem eine leicht 
empfindliche Pulpa vorgefunden worden war, wurde wurzelbehandelt und gefüllt 
(5.—14 Februar 1917), mußte aber am 15.Mai wegen. Lockerung und Schmerz 
extrahiert werden; Alveole des 4l war stark atrophisch. Die Parästhesie blieb aber 
dennoch bestehen, nur lokalisierten sich die Schmerzen in dem lebenden 68l, dessen 
Extraktion aber von mir verweigert wurde, da der Zahn vollkommen in Ordnung ist 
und fest in seiner Alveole sitzt Das Antrumempyem war bedeutend gebessert. Die 
Ursache der Parästhesie ist nicht einwandfrei zu bestimmen. Es kommen in Be- 
- tracht: narbige Einklemmungen der Nerven und das Empyem, das vielleicht durch 
irgendwelche im Abstoßen begriffene, röntgenologisch nicht nachweisbare Sequester 
unterhaltön wird. Patient steht zurzeit noch in Behandlung, ist aber gegenwärtig 
von den Parästhesien weitaus weniger gequält. 


Zusammenfassung. 


I. Wurde durch die Kieferschußfraktur nur der Alveolaranteil des 
Kiefers beschädigt, so weisen die in dem betreffenden Alveolarsegment 
stehenden Zähne meistens irreparabel zugrunde gegangene Pulpen auf. 


II. Hat ein Ausbruch des Unterkieferrandes (der Oberkiefer kommt 
diesbezüglich aus anatomischen Gründen nicht in Betracht) stattgefunden, 
jedoch ohne Verletzung des Canalis mandibulae, so wird die Innervation 
der Zähne hierdurch nicht betroffen. Eine im Anschlusse an die Verletzung 
aufgetretene Anästhesie (Kommotio) ist vorübergehender Natur. 


III. Bei durchgängigen Kieferfrakturen tritt peripher von der Ver- 
letzungsstelle des Nervenstammes Anästhesie der Pulpen auf. In der- 
artigen Zähnen ist die Anästhesie eine totale; in Zähnen, welche durch 
Nervenanastomosen eine gemischte Innervation besitzen (obere und untere 
Frontzähne, obere Prämolaren), kann die Anästhesie auch partiell sein. 


IV. Die Pulpenanästhesie ist entweder: 


a) eine dauernde (Gangrän, Nekrose oder bindegewebige Um- 
wandlung der Pulpa nach Degeneration der nervösen Elemente 
bei erhaltener Zirkulation, ferner bei Obliteration des den Nerven- 
stamm beherbergenden Knochenkanales) oder 


Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 111 


b) eine vorübergehende (nach Degeneration der nervösen 
. Anteile und bei erhaltener Zirkulation Einsetzen der Nerven- 
regeneration). 


V. Die im Verlaufe der Heilung auftretenden Parästhesien entstehen 
nie in dem peripheren Anteile des Nervenstammes, sondern immer nur im 
zentralen, werden aber von dort in die Peripherie (namentlich in bestimmte 
Zähne) projiziert. 


| VI. Die anästhetischen Zähne können entweder vollkommen harmlos 

sein oder eine ganz bedeutende Gefahr für die Heilung der Fraktur be- 
deuten, indem die Zersetzungsprodukte der Pulpa der Bildung einer Pseud- 
arthrose Vorschub leisten. Als harmlos sind nur die Zähne mit binde- 
gewebig umgewandelter Pulpa anzusehen, alle übrigen Veränderungen des. 
Ziahnmarkes bedeuten mehr oder minder ein gewisses Gefahrenmoment. 


VII. Die Differentialdiagnose zwischen bindegewebiger Umwandlung 
der Pulpa und einfacher Nekrose (ohne periostale Affektion) ist mit 
unseren gegenwärtigen Hilfsmitteln nicht zu stellen, weil beide Arten von 
Zähnen sowohl thermisch als elektrisch unempfindlich und auch beide 
diaphan sind. Nur die Trepanation des Zahnes kann Klarheit verschaffen; 
sie erscheint aber im Hinblicke auf sicher beobachtete Nervenregeneration 
nur in dringenden Fällen indiziert. 


VIII. Pulpengangrän kennzeichnet sich durch die verloren gegangene 
Diaphanie der Krone. Hartnäckige Fisteln sind für periostale Affektionen 
verdächtig, überdies können letztere durch (am besten intraorale) Rönt- 
genaufnahmen nachgewiesen werden, so daß ein rechtzeitiges therapeuti- 
sches Eingreifen gewährleistet erscheint. 


IX. Bei konstatiertem Zerfall des Zahnmarkes (siehe Punkt VIII) 
ist unbedingt sofortiges Einschreiten (Kanalbehandlung oder Extraktion) 
indiziert, insbesondere sind die in einem Frakturspalt stehenden oder gar 
in denselben hineingetriebenen Zähne ehestens zu entfernen; ein gleiches 
gilt von faulenden Wurzeln und stark zerstörten, daher unbrauchbaren 
Zähnen. 

X. In den übrigen Fällen aber empfiehlt sich eine zuwartende Hal- 
tung, jedoch unter öfters vorgenommener faradischer Untersuchung (Spät- 
verfall der Pulpa), Diaphanieprüfung, eventuell Röntgenkontrolle. Vor 
Pseudarthrosenoperationen ist diesen Verhältnissen nach einem Vorschlag 
Weisers(17) erhöhtes Augenmerk zuzuwenden. 


+ j x 
* 


Wir müssen uns stets vor Augen halten, daß das wichtigste die 
Heilung der Kieferfraktur ist. Wir werden daher schon im Hinblicke auf 


112 Viktor Frey. Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 


‚die fast stets notwendige Prothese bezüglich Erhaltung oder Entfernung 
von Zähnen zwar nicht leichtfertig vorgehen, aber auch keinen kleinlichen 
Maßstab anlegen. Wir müssen uns stets folgende Fragen vorlegen: 

1. Ist der Zahn für die Heilung der Fraktur gefahrdrohend? 

‘2. Ist er für die Schienung der Fraktur notwendig? 

‘3. Hat er für die spätere Prothese eine Bedeutung? 

Nach Abschätzung des Wertes des Zahnes wäre über die Therapie 
der sichtbaren Verletzungen der Zähne nur noch folgendes zu sagen: 

' Zähne, die entweder allein oder mit der- Alveole luxiert sind, sind 
meistens verloren. Man kann sie zwar in die Schienung miteinbeziehen; 
tritt aber in absehbarer Zeit keine Festigung ein, so ist die Entfernung 
indiziert. 

"Total zersplitterte Zähne sind durch Extraktion eventuell nach Auf- 
klappung zu entfernen. Treten im Verlaufe der Heilung Resorptions- 
erscheinungen an Wurzeln auf, so sind die betreffenden Zähne zu entfernen, 

desgleichen Zähne in atrophischen Alveolen. 
| Zähne ‚mit total abgesehossener Zahnkrone sind zu entfernen, even- 
tuell können sie nach entsprechender Kanalbehandlung für einen späteren 
| Ersatz mit künstlicher Krone in Betracht kommen. 
- Für Quer- und Schrägbrüche der Zahnkronen und kleinere Dackie 
kommen konservierende Maßnahmen in Betracht. 
‘ Längsfrakturen der Kronen mit Frakturspalt in der Wurzel srfordern 

Entfernung des Zahnes. 

Bei hoher intraalveolärer Querfraktur der Wurzeln: könnte bei un- 
verletzter Alveole Wurzelbehandlung und nachfolgende Wurzelspitzen- 
resektion in Frage kommen [Misch-Rumpel(l)]. 


Zum Schlusse obliegt mir die angenehme Pflicht, Herrn Professor 
v.Wunschheim für die Überlassung des Themas, Herrn Prof. Jo v a- 
novics für die Unterstützung im histologischen Teil und sämtlichen 
Herren Kollegen der zahnärztlichen Abteilung der Poliklinik für das 
verständnisvolle Eingehen auf meine Intentionen bei der Beobachtung ihrer 
Fälle wärmstens zu danken. 


Literatur: 1.Misch-Rumpel, Die Kriegsverletzungen der Kiefer und 
der angrenzenden Teile. Verlag Meusser, Berlin. — 2 Partsch, Verletzungen und 
Erkrankungen der Kiefer im Handbuch der praktischen Chirurgie, I(Bergmann, 
Bruns, Mikulicz). — 3.Zuckerkandl, Anatomie der Zähne in Scheffs 
Handbuch der Zahnheilkunde. — 4. G.Fischer, Lokale Anästhesie (Meusser. 
Berlin) — 5. Bünte-Moral, Leitungsanästhesie im Ober- und Unterkiefer 
(Sammlung Meusser). — 6. v. Langer-Toldt, Lehrbuch der systematischen und 





Tafel I. 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3. 


V.Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 


` Fig. 1. Fig. 2. 





Vor der Verletzung vollbezahnte Gebisse. 


Fig. 1. 


Verlust aller Unterkieferzähne bis auf 81. — Komminu- 
tivfraktur nach Schrapnellkugeldurchschuß. 
Einschuß: Gegend des rechten Foramen mentale. 
Ausschuß: Gegend des linken Foramen mentale. 


Fig. 2. 
Verlust aller Oberkieferzähne bis auf 4 3| samt Alveolar- 
fortsatz nach Schrapnellkugeldurchschuß. j6 7 waren 
ebenfalls verloren gegangen. 


Einschuß: linke Wange. 
Ausschuß: rechter Mundwinkel. 


Fig. 3. 
Zahnverlust [1—5 und Fraktur des entsprechenden Al- 
veolarfortsatzes nach Granatsplittersteckschuß. — Die 


Abbildung zeigt den Patienten ca. 10 Tage nach der 
„operativen Ordnung“. 





Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie , Wien. 


Tafel II. ; 
Osterr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3. 


V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 


Fig. 4a. Fig. 4b. 





Fig. &c. 


Verletzung durch Gewehrexplosivgeschoß. 
Einschuß: linke Wange. Ausschuß: rechte Wange. 
Fraktur des rechten Unterkiefers in der Gegend 6 bl. 
ausgedehnte Zertrümmerung des Oberkiefers, insbe- 


sondere der rechten Seite. Perforation des harten 
Gaumens. 


1 2 3 samt Alveole nach rückwärts und gegen die 
Mitte des harten Gaumens luxiert (vgl. Fig. 4b u. c). 





Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien, Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien. 


Tafel III. i 
Österr. Zeitschrift für Stomatologic, 16. Jahrg., Heft 3. 
V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 


Fig. 5a. Fig. 6a. 





Fig. 5b. Fig. 6b. 





Fig. 5au.b: 3fache Fraktur des rechten Unterkiefers, u. zw. zwischen 5 4|, präangulär u. supraangulär. 


Die in Fig. 5b abgebildeten lockeren Fragmente wurden leider in einem Feldspital von unkundiger 
Hand entfernt. 


Fig. 6a. Abgeschossene Prämolarenkrone in der Zungenmuskulatur. 


Fig. 6b. Die operativ entfernte Prämolarenkrone, die einen Zungenabszeß verursacht hatte. 


Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien. 


Tafel IV. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3. 
V.Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 


Fig. 7a. Fig. 7b. 





Fig. 70. 


Gewehrdurchschuß. Einschuß durch den Mund, Aus- 
schuß: linker Unterkieferrand unterhalb des linken 
Mundwinkels. 

Bilaterale Unterkieferfraktur rechts Gegend von 5l, 
links Substanzverlust zwischen I —e. 

Das Gebiß war vor der Verletzung vollbezahnt. 
Die in der Mittellinie stehenden Zähne des Unter- 
kiefers sind 4 8 2]. 





Verlag von Urban & Schwarzenberg. Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien. 


Tafel IV. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3. 
V.Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 


Fig. 7a. Fig. 7b. 





Fig. 70. y 


Gewehrdurchschuß. Einschuß durch den Mund, Aus- 
schub: linker Unterkieferrand unterhalb des linken 
Mundwinkels. 

Bilaterale Unterkieferfraktur rechts Gegend von bÍ, 
links Substanzverlust zwischen Te. 

Das Gebiß war vor der Verletzung vollbezahnt. 
Die in der Mittellinie stehenden Zühne des Unter- 
kiefers sind 7321. 





Verlag von Urban & Schwarzenberg. Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien. 





Tafel V. p 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3. 


V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 


Fig. 8. Fig. 9. 





Fig. 10. Fig. 11. 


Fig. 8u. 9. Abgeschossene Zahnkronen. 


Fig. 10. Die Zähne 5 4| waren samt der 
Alveole nach medial luxiert. 
Gingiva intakt, Alveolen subgingival se- 
questriert. 


Fig. 11. Oberer Molar mit Längsfraktur 

der Krone und Schrägfraktur der Wurzel. 

Die Fragmente waren durch das Ligamen- 
tum circulare geschient. 





Fig. 12. Links: Zahnfragment im Fraktur- 
Fig.12. ; 
spalt (Y) verkeilt. 
Mitte: Das operativ entfernte Fragment. 
Rechts: Röntgenaufnahme nach Entfernung 
des Fragmentes. 





Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien. 


Tafel VI. 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3. 
V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß etc. 


Fig. 13. Fig. 14. 





Fig. 17. 





Fig. 13—17. Beispiele subgingivaler (intraalveolärer) Querfraktur der Wurzeln. 
Man beachte die Resorption der Wurzelspitze in Fig. 16. 
Fig. 17. Die Wurzelspitze war überhaupt aufgezehrt. 


Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien. 


Tafel VII. 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heit 3. 
V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß cte. 


Fig. 18a. Fig. 18b. 





Fig. 19. Fig. 20. 





Fig. 18a. Resorptionserscheinungen an Wurzelspitzen von Zühuen, die nahe dergFrakturlinie standen. 


Fig. 18b E (von Fig. 18a) knapp neben der Fraktur (punktierte Linie = Fraktur). 
Fig. 19. Ein nahe der Bruchlinie stehender Molar, der durch Atrophie der Alveole ausgestoßen wurde. 


Fig. 20. Großer kortikaler Sequester — fast das ganze lingnale Blatt des rechten Untorkiefers mit dem 
Canalis mandibulae. 


Verlag von Urban & Schwarzenbarg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien. 


Tafel VIII. 
__ Osterr. Zeitschrift für Stomatologie, 16. Jahrg., Heft 3. 
V. Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß ete. 


Fig. 21. Fig. 22. 





Fig. 21. Die normale Pulpa des 5] (gesunde Seite) im mikroskopischen Bilde. Man beachte den nvaral- 
lelen Verlauf der einzelnen Nervenfasern. 
(Schnitt in halber Höbe der Pnulpa.) 


Fig. 22. Dieregenerierte Pulpa des Të (kranke Seite) im mikroskopischen Bilde. Man beachte in jedem 
einzelnen (teils quer, teils längs getroffenen) Nervenfaserbündel die eigentümliche Anordnung der mit 
Osmium auffallend gut gefärbten Nervenfasern. 

(Schnitt durch die oberste Kronenpulpa.) 


Fall M. K. (Text siehe S. 106.) 


Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, 


Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit etc. 113 


topographischen Anatomie (Braumüller, Wien). — 7. v.Wunschheim, Er- 
fahrungen über Kieferschüsse. Diskussion: Harry Sicher, Cieszyński, 
Pichler, Oppenheim, Fleischmann, v Wunschheim, Weiser. — 
8. B.Spitzer, Die Veränderungen des Ganglion Gasseri nach Zahnverlust, 
Österr. Zeitschr. Í. Stomat., 1910, H 7. — Derselbe, Experimentelle Studie zur 
Pathogenese der Trigeminusneuralgie. Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1912, H. 8 — 
9 Ziegler, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. Verlag Fischer, Jena. — 
10. Weichselbaum, Pathologische Histologie. Deuticke, Wien. — 11.Stöhr, 
Lehrbuch der Histologie und mikroskopischen Anatomie des Menschen. Fischer, Jena. 
— 12. 0.Marburg, Zur Frage der Autoregeneration des peripheren Stückes durch- 
schossener Nerven (zentrales und peripheres Neurom). Arb. aus dem neurol. Inst. 
an der Wiener Universität, XXI. Bd., Deuticke, Wien 1916 — 13. L.Edinger, 
Über die Regeneration des entarteten Nerven. (Aus dem neurol Inst. der Universität 
Frankfurt am Main.) Deutsche med. Wochenschr., 1917, Nr. 25. — 14. Tillmanns, 
Lehrbuch der Chirurgie. Verlag Veit & Co, Leipzig. — 15. V.Frey, Der Schuß- 
kanalbestimmer. Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1917, H. 12, und 1918, H. 1. — 
16 Strümpell, Spezielle Pathologie und Therapie. (Nerven.) Bd. 3. Vogel, Leipzig. 
— 17. R.W eiser, Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 
Aus „Beiträge zur Kieferschußtherapie“. Urban & Schwarzenberg, Wien 1917. — 
18. J. Zilz, Ergebnisse der bisherigen Kriegserfahrungen auf dem Gebiete der 
Kieferverletzungen. Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1916, H. 4, und 1917, H. 3—6. — 
— 19 E.H Urbantschitsch, Stomatologische Kriegsverletzungen. Zeitschr. f. 
Mund- und Kieferchirurgie (einschließlich Zahnchirurgie) und Grenzgebiete. Die 
Kieferverletzungen und ihre Behandlung. — 20. H.Pichler, Einige Fälle aus der 
zahnärztlichen Chirurgie. Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1917, H. 11 und 12. — 
21. H.Pichler, Über Knochenplastik am Unterkiefer. Österr.-ungar Vierteljahrs- 
schrift f. Zahnheilkunde, 1917, H.3. 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit 
im Kieferspitale. 
Von Professor Dr. Rudolf Weiser, k. u. k. Oberstabsarzt, Chefarzt der chirurgisch- 
prothetischen Abteilung am k. u. k. Reservespital Nr. 17 in Wien!) 


(Fortsetzung.) 


Durchtrennung der Narben im Vestibulum oris und des zwischen den 
Knochenfragmenten sich spannenden bindegewebigen Stranges; sofortiges 
Einsetzen eines vorbereiteten Apparates zum Öffenhalten des neugeschaffenen 
Vestibulum oris und zur Behebung der Dislocatio ad longitudinem. 


1) Aus: Beiträge zur Kieferschußtherapie Aus Anlaß des einjährigen Be- 
stehens des k. u k. Reserveepitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für Kieferverletzte) 
herausgegeben von der Österr Zeitschr. f. Stomatologie. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 8 


114 Rudolf Weiser. 


' Nachdem im weiteren Verlaufe der orthopädischen Behandlung der 
erwähnte Extensionsapparat von Kränzl durch eine die extendierten 
Unterkieferfragmente vollkommen verläßlich in der richtigen Stellung 
fixierende starke Retentionsschiene ersetzt worden war, zog Foramitti 
Fettgewebe aus der Umgebung der Operationewunde zur Ausfüllung des 
grubigen Weichteildefektes heran, fixierte sie durch tiefe Catgutnähte in 
der gewünschten Lage und vereinigte Muskel- und Hautlappen durch 


Fig. 61b. Fig. le. 





Etagennaht. Die eben geschilderte Weichteilplastik hatte nicht nur der 
Kosmetik zu dienen, sondern war hauptsächlich eine das Weichteilbett 
für die im Heilplane vorgesehene Deckung des Knochendefektes durch 
Östeoplastik vorbereitende Operation. 

Die Osteoplastik selbst wurde am 26. September 1916, angeregt durch 
die in letzter Zeit von Lindemann im Düsseldorfer Kieferlazarette 
bevorzugte Methode, von Foramitti in folgender Weise ausgeführt: 

Freilegung der Frakturstelle durch einen Bogenschnitt in der Regio 
submaxillaris dextra; präparatorisches Freilegen der Bruchenden, Anfri- 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 115 


schen derselben und Implantieren eines der Crista ossis ilei dextri entnom- 
menen Knochenstückes. Fixation des Implantates teils durch Verkeilung, 
teils durch eine Serie von 6—10 kräftigen Catgutnähten; Etagennaht der 
Weichteillappen, Anlegen einer extraoralen Gipsschiene. Die ganze Opera- 
tion war in Skopomorphin-Dämmernarkose und lokaler Novocain-Anästhe- 
sie ausgeführt worden. 

Am 28. Oktober 1916 zeigte eine Röntgen-Kontrollaufnahme deutliche 
Wolkenbildung in der ganzen Ausdehnung des Transplantates, so daß die 


Fig. 61d. Fig. 6le. 





Einheilung desselben über jeden Zweifel erhaben ist. Hiezu stimmt auch die 
vollständige Schmerzlosigkeit, das reaktionslose Verhalten des Kiefers und 
die den Patienten sehr befriedigende Kaufähigkeit. In der Gegend der 
rechten Crista ilei hat Patient bei längerem Gehen und beim Aufstehen 
nach längerem Sitzen sich immer mehr verlierende Schmerzen. Die Figuren 
61 d und e zeigen den kosmetischen Effekt der an dem Patienten vorgenom- 
menen Behandlungen. 

Einen sowohl in kosmetischer wie in funktioneller Hinsicht eine 
schwere Schädigung darstellenden Fall sind wir in der Lage in den Figuren 
62 a, b, c, d, e, f vorzuführen. Der Inf. Karl W. des Inf.-Reg. Nr. 84/10 


116 Rudolf W eiser. 


(Figur 62a und b) (32 Jahre alt, Deutsch-Österreicher, Zivilberuf: Hut- 
macher +) erlitt durch Gewehrschuß eine Splitterfraktur des rechten Unter- 
kiefers in der Gegend des zweiten Molaren und des Weisheitszahnes, des 
Angulus und des größten Teiles des aufsteigenden Kieferastes, verbunden 
mit einer Abreißung der unteren Hälfte der rechten Wange. Dank der ortho- 
pädischen Behandlung, welche Langendorff glücklich durchgeführt 
hat, ist der Kauapparat des Patienten gegenwärtig vollkommen restituiert. 
Bei Ausführung der Weichteilplastik fand Foramitti nach Aufrollung 


Fig. 62a. Fig. 62b. 


P n - 





der eingezogenen Wundränder genügendes Material zur Deckung des 
Hautdefektes vor. Von der Muskulatur war jedoch soviel verloren ge- 
gangen, daß eine ausgedehnte, tief eingezogene grubige Vertiefung der 


1) Während der Drucklegung dieses Berichtes, jedoch zu einer Zeit, als die 
erste Hälfte des Satzes sich bereits im Umbruche befand, haben wir beschlossen, 
einer beachtenswerten Anregung folgend, im kasuistischen Teile der Arbeit dem 
Namen der einzelnen Patienten Notizen über Nationalität und Zivilberuf bei- 
zufügen, da dieselben vom ethnographischen und sozialen Standpunkte zweifellos 
statistischen Wert haben. 


N ee ae a en ar SEELE 72 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 117 


Wange selbst nach ausgeführter Hautplastik zurückgeblieben wäre. Um 
diese Grube auszufüllen, führte der Operateur einen langen Schnitt in der 
Haut der rechten Halsseite längs des vorderen Randes des Musculus sterno- 
cleido-mastoideus, löste die vordere Hälfte des langen Muskelbauches ab, 
so daß nur das obere Ende mit der hinteren Hälfte des Muskelbauches ver- 
bunden blieb, und schlug die an ihrem kaudalen Ende losgelöste vordere 
Hälfte des Muskels nach aufwärts, um sie durch Catgutnähte in den 
Muskelresten der Wange in der Umgebung des Wangendefektes durch 


Fig. 62c. Fig. 62d. 





Naht zu verankern. Diese von Foramitti wiederholt angewendete 
Methode hat den Vorteil, daß erstens die durch den Defekt außerordentlich 
geschädigte Muskelaktion durch das im Wege der Plastik wiedergewonnene 
Gewebe restituiert wird und zweitens, daß das Muskelgewebe nicht so leicht 
nachträglich wieder der Atrophie verfällt, wie dies leider nicht selten bei 
Fettgewebe der Fall ist. In den Figuren 62c und d ist die lineare Narbe 
behufs Entnahme der vorderen Hälfte des Sternocleido-mastoideus als Mus- 
kellappen und zweitens die Verwendung von Bleiplattennähten zum Zwecke 
der Entspannung der Ränder der Plastikwunde auf der Wange ersichtlich. 


118 Rudolf Weiser. 


Ein Vergleich zwischen den Bildern 62a, b und e, f wird es begreiflich 
erscheinen lassen, daß der junge tapfere Soldat wieder am Leben und mit 
Dankbarkeit an den Ärzten hängt, die ihm zu dieser Freude verholfen 
haben. 

Einen vom Durchschnitt der Fälle ganz abweichenden Verlauf führt 
uns die Krankheits- und Behandlungsgeschichte des Fähnrichs Leopold D. 
des k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 28 (Deutsch-Tiroler, 25 Jahre alt, Kaufmann) vor 
Augen. 


Fig. 62 e. Fig. 62f. 





Der Fähnrich Leopold D. wurde am 18. Oktober 1914 bei Lezaisk am 
San in liegender Stellung durch Gewehrschuß verletzt, Einschuß in der 
rechten Wange. Ausgedehnte Verletzung des rechten horizontalen Unter- 
kieferastes. Ausschuß zwischen dem rechten Ende des Zungenbeines und dem 
oberen Rande des rechten Schildknorpels. f 

Auf seinem weiteren Wege ist das Geschoß am oberen Ende des 
Sternums wieder in die Haut und Muskulatur bis 2 Querfinger unterhalb der 
Magengrube gedrungen und wurde dort aus seinem Bette ausgeschnitten. 

Hinter der Front im Feldspital zu Lancut wurden unfaßbarer Weise 
am 25. Oktober zwei, wie die nachträgliche Untersuchung des konservierten 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 119 


Präparates ergibt, zweifellos lebensfähig gewesene Stücke des horizontalen 

Astes mit 8765] operativ entfernt (siehe Figur 63a); die rechte Gesichts- 

hälfte des Patienten weist eine vollständige Lähmung fast aller vom Fa- 

cialis versorgten Muskeln auf. Ä 
Zahnformel: 


Am 28. Oktober 1914 wurde Patient im Garnisonsspitale Nr.1 auf- 
genommen. Am 18. Juni 1915 erfolgte auf seinen Wunsch die Trans- 
ferierung in seine Heimat Innsbruck in das dortige Militärspital; eine 
vorübergehende Geistesstörung nötigte zur Aufnahme des Patienten in 


Fig. 63a. 





die Nervenklinik der Universität in Innsbruck. Nach baldiger Entlassung 
aus dieser Anstalt und Passierung einiger Rekonvaleszentenheime fand 
der Patient am 2. November 1915 schließlich Aufnahme im neueröffneten 
k. u. k. Reservespital Nr.17. Eine aus der Zeit unmittelbar nach der 
Verletzung stammende Aufnahme besitze ich leider nicht. Zur Zeit der 
Aufnahme in unser Kieferspital, woselbst der Patient wegen seiner Weich- 
teil- und Knochendefekte an meiner chirurgischen Abteilung und wegen 
seines Zahn- und Kieferersatzes in ambulatorischer Behandlung der zahn- 
ärztlichen Abteilung v. Wunschheims steht, wurde vom Patienten 
die in Abbildung 63 b wiedergegebene photographische Aufnahme ge- 
macht. Von dem Versuche einer Nervennaht zum Zwecke der Be- 
hebung der Facialislähmung wurde nach Konsilium mit Foramitti 
und dem Neurologen Prof. Dr. Alfred Fuchs Abstand genommen, 
nachdem der Stamm dieses Gehirnnerven knapp an der Austrittsstelle 
aus der Parotis zerstört worden ist und auch die Auffaserungen des 
Pes anserinus major auf eine mindestens 2 Querfinger breite Strecke hin 
fehlen. Desungeachtet steckte sich Foramitti nach reiflicher Über- 


120 Rudolf W eiser. 


legung ein Ziel, mit welchem er nicht nur ein kosmetisches, sondern auch 
ein funktionelles Resultat anstrebte. Er wollte an Stelle des gelähmten 
Muskels einen aktiven Muskel der Nachbarschaft transplantieren. Nach- 
dem er aus kosmetischen Gründen zur Eliminierung der tief eingezogenen 
und stark entstellenden Narbe in der rechten Regio masseterica und sub- 
maxillaris eine ausgedehnte Narbenexzision vornehmen mußte, erschien 
es ihm als das Rationellste, die vordere Hälfte des Musculus sterno- 
cleido-mastoideus von seinem sternalen Ansatze loszutrennen, vom gemein- 


Fig. 63b. 


WE A 


à 
+ 





Ft) T 
ER 


samen Muskelbauche bis ungefähr in die Höhe des Angulus mandibulae 
abzuspalten. und das so gewonnene freie Ende nicht nur dazu zu ver- 
wenden, um die grubige Einziehung der Wangenhaut durch Unterfütte- 
rung mit Muskel- (nicht Fett-) Gewebe auszugleichen, wie dies im 
Falle Karl W. (Fig. 62c) geschehen ist, sondern auch dazu, die Muskel- 
lähmung der rechten Gesichtshälfte nach Tunlichkeit zu beheben. Zu letzte- 
rem Zwecke faserte er das freie Ende des Muskellappens fächerförmig auf 
und vernähte die Enden der Fasern mit den unter der mobilisierten Haut 
der vorderen Wundlefze sich präsentierenden Muskelbäuchen. Das Resul- 
tat dieser sozusagen kosmetischen und funktionellen Plastik ist ein über- 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 121 


raschend befriedigendes; nicht nur daß der Gesichtsausdruck des Patienten 
in der Ruhelage der Muskulatur die aus Figur 63 c und c! erkennbare, 
wesentliche Verbesserung aufwies, sondern es trat auch der von Fora- 
mitti erhoffte Erfolg ein, daß die im transplantierten Muskelbauche ein- 
gebetteten nervösen Elemente mit den unterbrochenen Nervenleitungen 
der peripheren Gesichtsmuskel Anastomosen eingehen werden, so zwar, daß 
sich ein im Laufe der Zeit und durch fleißige Übung sich immer reger 
gestaltendes Mienenspiel beim Patienten eingestellt hat. Figur 63d hält 


E, Fig. 630.4 Fig. 63 cl. 





den gegenwärtigen Gesichtsausdruck des Patienten beim Lachen fest und 
ein Vergleich dieses Bildes mit Figur 63b läßt erkennen, daß die vor 
der Operation typisch ausgebildete totale Facialislähmung nach der 
Operation in ganz erheblichem Maße verringert ist. Leider wurde es ver- 
absäumt, zur Zeit, als noch die unbeeinflußte Facialislähmung auf der 
rechten Gesichtshälfte bestand, eine photographische Aufnahme des Offi- 
ziers im Momente des Lachens anzuordnen. Der sehr intelligente Patient 
hat sich aber bemüht, seiner Erinnerung nach die unbeabsichtigte Grimasse, 
zu welcher sich sein Gesicht in der damaligen Zeit verzog, wenn er lachte, 
absichtlich zu imitieren. Das Bild 63 e gibt seinen Versuch, sein früheres 


122 Rudolf Weiser. 


Muskelspiel beim Lachen nachzuahmen, in photographischer Darstellung 
wieder. 

Die eben geschilderte plastische Operation hat aber außerdem noch 
den Zweck, die an sich zu dünne Weichteildecke durch Einlagerung von 
Muskulatur und Herbeischaffen von Haut aus der Umgebung für die auf 
einen späteren Zeitpunkt verlegte Osteoplastik durch ein genügendes Er- 
nährungsbett vorzubereiten. Das ursprünglich beabsichtigte Redressement 
der hoch nach oben und innen verlagerten oberen Hälfte des aufsteigenden 
Kieferastes mittelst Anwendung der Codivilla-Steinmannschen 
Nagelextension wurde aus dem Grunde fallen gelassen, weil man bei Frei- 
legung des aufsteigenden Kieferastes die mühsam von der vorderen Hälfte 
des Sternocleido-mastoideus entlehnte Wangenmuskulatur damit wieder 
gefährdet, wo nicht gar zerstört hätte. 

Einen Schulfall für eine am sichersten zum Ziele führende Methode 
derintraoralen Hautplastik sind wir in der Lage, in dem Falle 
Emanuel M. (Inf. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 1, 23 Jahre alt, Tscheche, Zivil- 
beruf: Landwirt) vorzuführen. Infolge des besonders hinfälligen Zustandes, 
in dem sich der Patient beim Eintreffen vom Transporte befand, war es 
nicht zulässig, den schwer Verwundeten zum Zwecke der photographi- 
schen Aufnahme aufzusetzen, und späterhin wurde es bedauerlicherweise 
übersehen, das Versäumnis nachzuholen. Die Krankengeschichte besagt: 
„Vollständige Durchtrennung der rechten Unterlippe, so daß das Mittelstück 
und die linke Unterlippenhälfte gedreht und evertiert nach unten und links 
herabhängt. Der Weichteildefekt des Mundhöhlenbodens reicht bis an den 
Zungengrund heran, der größte Teil der Wundfläche ist von versprengten 
Knochenstückchen in Bohnengröße bedeckt. Vom linken Unterkiefer 
ist der horizontale Ast von [i distalwärts angefangen, sowie der aufsteigende 
Ast vorhanden und artikuliert sogar mit dem Öberkiefer normal; vom 
rechten horizontalen Aste besteht nur die hintere Hälfte mit den Zähnen 
8 7 6], welch letztere nahezu normal mit dem Oberkiefer artikulieren. Die 
Bruchfläche des rechten Unterkieferfragmentes ist ausnehmend rauh und 
zackig gestaltet und bereitet sich augenscheinlich zur Abstoßung vor. Auch 
die Zähne des Oberkiefers weisen vielfach Zertrümmerungen auf und sind 
insbesondere die Kronen der Frontzähne, sowie die Molaren rechts und links 
abgeschossen, wonach sich die Zahnformel folgendermaßen gestaltet: 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 123 


Am 26. August entworfener Heilplan: „Zunächst chirurgisch-stoma- 
tologische, tunlichst konservierende Behandlung der Weichteil- und 
Knochenwunden, sowie der periostitischen Zahnreste mit gangränösen Pul- 
pen. Sobald es die Wundheilung zuläßt, die gangränösen Fetzen abgestoßen 
sind, ist mit der Fixierung der Unterkieferstümpfe in der richtigen Lage zu 
beginnen und allmählich der Ersatz der verloren gegangenen Zähne herzu- 
stellen.“ Am 31. August 1915 war entschieden, welche Zähne einer konser- 
vierenden Behandlung zugänglich und wert sind. Der behandelnde Zahn- 


Fig. 63d. Fig. 63e. 





arzt K rän zl notiert: „Chirurgisch-zahnärztliche Ausräumung des Mundes, 
intraorale Auslösung der lockeren und nekrotischen Knochenteile, Extrak- 


© 8 vo 
tion von 6], 678 sowie Ht ; H T AN unter Anwendung einer 
kalmierenden Morphium-Injektion (0,02) und lokaler Anästhesie im Ober- 
kiefer, mandibularer Leitungsanästhesie im Unterkiefer.“ Am 9. September 
1916 erfolgte die operative Ordnung der Splitterherde im Unterkiefer, wo- 
bei viele versprengte frakturierte Kronen und Wurzelteile sowie nekro- 
tische Knochensplitter ausgeräumt wurden (Operateur: K rän zl). 


124 Referate und Bücherbesprechungen. 


Nachdem die stark gegen die Mittellinie disloziert gewesenen Unterkiefer- 
fragmente unter Anwendung von Dehnschrauben in richtige Artikulation mit den 
Zähnen des Oberkiefers gebracht und in der korrigierten Stellung durch H au p t- 
meyer-Schienen mit sagittalen Gleitflächen fixiert worden waren, versah Kränzl 
im weiteren Verlaufe der orthopädischen Behandlung den abschraubbaren Bügel 
noch mit einem für die Retention von Jodoformgazeeinlagen geeigneten, aus Silber- 
blech hergestellten Plastikschild. Bei Fertigstellung des Fixationsapparates im 
Unterkiefer wurde eine Goldkrone über 7] durch eine mit schwarzer Guttapercha 
ausgepolsterte und mit Jodoformgaze überzogene Pelotte unterstützt, um den 7 
nicht zu sehr zu belasten und zu lockern, sondern vielmehr das Kieferfragment, 
Zähne (871), Alveole und Corpus mandibulae inbegriffen, im ganzen zu beein- 
flussen. Sodann wird über Kö eine Hauptmeyer-Schiene angefertigt und die 
beiden Zähne werden durch einen starken, abschraubbaren Silberbügel mit dem 
rechten Kieferfragmente verbunden. Da das hochgezogene Fragment durch den 
gekrönten 7] trotz der Verbindung mit der anderen Seite den Oberkiefer drückt, 
wird eine Vulkanitplatte zum Schutze der gedrückten Stelle angefertigt. Im weiteren 
Verlaufe der orthopädischen Behandlung stellt es sich zur Erzielung einer genaueren 
Artikulation als notwendig heraus, auch eine vertikale Gleitfläche an der 
linken Hauptmeyer-Schiene anzubringen. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und Bücherbesprechungen. 





Die Kronenstruktur der unteren Prämolaren und Molaren. Inaugural-Disser- 
tation. Von Th.E.de Jonge Cohen, Amsterdam 1917. 


Die vorliegende Untersuchung, unter der Leitung Bolks ausgeführt, 
steht natürlich vollkommen auf dem Boden der Dimertheorie und unter- 
scheidet demnach als primäre Höcker einen bukkalen und lingualen Haupt- 
höcker (P und D) und die bukkalen und lingualen Nebenhöcker (1 und 2 
resp. 3 und 4). Die Prämolaren zeigen entweder Formen mit Ausbildung 
sämtlicher 6 Höcker, welche, da die Nebenhöcker gewöhnlich recht schwach 
entwickelt sind, den „zweihöckerigen‘ Prämolaren der Autoren entsprechen. 
Durch Rückhildung des mesiolingualen Nebenhöckers (3) und progressive 
Entwicklung des distolingualen (4) entsteht daraus eine fünfhöckerige 
Form, welche im allgemeinen als dreihöckerig gezählt wird, da neben den 
stark entwickelten Höckern P, D und 4 die schwach sichtbaren 1 und 2 
unberücksichtigt bleiben. Zwischen den sechs- und fünfhöckerigen Formen 
lassen sich allerlei Übergangsformen finden, die vor allem durch eine 
charakteristische, asymmetrische Anordnung der Kronenfurchen gekenn- 
zeichnet sind. 

Für die Molaren stellt Cohen die schon durch Bolk propagierten 


Kronenformeln: SE (fünfhöckeriger Typus) und wa (vierhöckeriger 


Typus) auf. Pa und Pp sind zwei Höcker, welche dadurch entstanden sein 
sollen, daß sich aus dem hinteren Umfang des bukkalen Haupthöckers P 








Referate und Bücherbesprechungen. 125 


ein zweiter Höcker entwickelte. Interessant sind die Ausführungen Cohens 
über die Variationen, welche in dem Satze gipfeln, daß jeder primäre 
Höcker an seinem mesialen und distalen Umfang durch die Bildung eines 
Sekundärhöckerchens kompliziert werden könnte. Für Einzelheiten muß auf 
die Originalarbeit verwiesen werden. 

Die Arbeit kann wohl nicht als Beweis für die Bolksche Theorie 
gelten, da sie ja auf ihr als Grundlage aufgebaut ist, zeigt aber jedenfalls, 
daß dieser Theorie zumindest ein hoher heuristischer Wert beigemessen 
werden muß, da sich auf ihrem Boden in zwangloser Weise kompliziertes 
Material übersichtlich ordnen und deuten läßt. Sicher. 





Beziehungen zwischen Zahnkaries und relativer Azidität des Speichels und 
des Harnes. Von Dr. A.Bühler und O.H eer. Deutsche med. Wochen- 
schrift, Nr. 7, 1917. 


Bereits vor 4 Jahren hat Bühler kurz eine Methode publiziert, die 
eine rasche Orientierung über die relative Azidität des Harns erlaubt. Der 
Autor probierte diese Methode auch an einer anderen, leicht erhältlichen 
saurenKörperflüssigkeit, dem Speichel. 

Als Gegenstand weiterer Forschung ergab sich die Aufgabe, zu prüfen, 
ob und welche Beziehungen zwischen der Azidität des Mundspeichels und der 
Zahnkaries bestehen. 

Die Autoren sprechen vom Mundspeichel als einer sauren Körper- 
flüssigkeit und befinden sich im Widerspruch mit der landläufigen Meinung, 
daß der Speichel alkalisch und daß gerade diese seine Alkaleszenz für die 
Erhaltung der Zähne von Wichtigkeit sei. Wenngleich der Speichel von alka- 
lischer Reaktion ist, d. h. er färbt rotes Lackmuspapier blau, so ist doch hier- 
mit seine Alkalinität, d. h. sein Gehalt an freiem Alkali nicht bewiesen; denn 
mit Lackmus reagieren alkalisch auch die basischen Salze. Und in der Tat be- 
sitzt der Mundspeichel trotz seiner Lackmusalkaleszenz eine echte Azidität, 
d.h. er enthält einen Überschuß an ungebundenen aktiven Säuren. Die 
Speichelazidität ist wesentlich begründet im Gehalt an freigelöster Kohlen- 
säure (Külz,Munk, Cohnheim). 

Parallel der Speicheluntersuchung machten Bühler und Heer stets 
gleichzeitig bei den Versuchspersonen eine entsprechende Harnprüfung, in 
der Annahme, es könnten sich daraus Beziehungen in der Azidität beider 
Flüssigkeiten ergeben. 

Gemäß der Absicht, den Einfluß des Speichels auf die Zahnkaries fest- 
zustellen, berücksichtigten Bühler und Heer die Beschaffenheit der 
Zähne bei den Versuchspersonen und nahmen eine Einteilung in 3 Gruppen 
vor, in gute, mittelmäßige und schlechte Zähne. 

Nach genauen Untersuchungen ergab sich als Resultat, daß der Säure- 
wert des Speichels am größten ist bei der Gruppe der guten Zähne, am klein- 
sten bei den Zähnen mit hochgradiger Karies. Interessant ist das Ergebnis 
bei der Untersuchung Chlorotischer und Schwangerer, bei denen trotz stark 
kariöser Zähne der Säurewert im Speichel und Harn gleich demjenigen bei 
guten Zähnen ist. 

Die Autoren fassen die Schlüsse wie folgt zusammen: 

1. Der Speichel besitzt eine Azidität, die in ihren Durchschnittswerten 
einem Gehalt von */—1% an Normal-Säurelösung entspricht; als Grenz- 
werte fanden sie im Maximum 1,76%, im Minimum 0,27%. Der gesunde 


126 Referate und Bücherbesprechungen. 


menschliche Mundspeichel hat demnach die Azidität von annähernd 1/eso- 
Normal-Säurelösung, d. h. er enthält im Liter 0,01 g Molekül Säure. 

2. Die Bühlersche Methode zur Bestimmung der relativen Azidität 
gibt auch beim Mundspeichel gute Resultate. 

. Bei gutem Erhaltungszustand der Zähne finden wir größeren Säure- 
gehalt des Mundspeichels; geringe Speichelazidität ist stets in Begleitung 
hochgradiger Karies zu treffen. Maßgebend ist hierfür speziell der Säure- 
quotient. _ 

4. Der Säurequotient des Harnes verhält sich analog demjenigen des 
Mundspeichels. 

5. Demnach ist der Säuregehalt dieser beiden Körperflüssigkeiten be- 
gründet in konstitutionellen Stoffwechselvorgängen des Organismus und die 
relative Azidität des Mundspeichels spielt eine wichtige Rolle in der Ätio- 
logie der Zahnkaries. | 

Kriegszahnklinik, April 1917. Zilz. 


Die Untersuchung der Mund-Rachenhöhle. Von Prof. Dr. G er b e r - Königs- 
berg. Med. Klin., XIII. Jahrg., Nr.18 vom 6. Mai 1917. 


Ausgehend von einem Erlasse der Medizinabteilung des Kriegsmini- 
steriums, nach welchem das Augenmerk der Ärzte auf die Behandlung chro- 
nischer Mundhöhleninfektionen für die Wehrfähigkeit und Rentenansprüche 
gelenkt wird, weist Gerber darauf hin, daß die genaue Untersuchung der 
Tonsillen, die so häufig der Sitz von Mischinfektionen sind, auch entschie- 
den vom rein ärztlichen Standpunkte ein Gebot der Notwendigkeit ist. 
Diese genaue Untersuchung ist schon hinsichtlich der latenten Lues der 
Mundrachenhöhle nötig. Kein anderes Organ wird nebst den Genitalien so 
häufig von Syphilis in all ihren Stadien heimgesucht, als die Mund-Rachen- 
höhle. Die Diagnose ist in vielen Fällen gar nicht so einfach und außerdem 
sind Geschwüre in dieser Gegend oft leicht zu übersehen, da ja die Mund- 
Rachenhöhle so reich an Buchten, Falten und Taschen ist. Auch differential- 
diagnostisch begegnen wir vielfach großen Irrtümern. Sodann führt der 
Autor an, daß es notwendig sei, diese genaue Untersuchung auch systema- 
tisch durchzuführen. Das Instrumentarium besteht aus Mundspatel, ge- 
krümmter Knopfsonde, Kehlkopfspiegel und einer Lupe. Sodann zeigt 
Gerber, wie das Vestibulum und Cavum oris genau inspiziert wird und 
wie schließlich ein Tonsillargeschwür mit der Lupe untersucht wird. Die 
vorzüglichen Abbildungen veranschaulichen glänzend die Ausführungen 
dieses hervorragenden Forschers und Lehrers. 

Kriegszahnklinik, Juni 1917. Zilz. 


Zur Behandlung der Wundrose. Von San.-Rat Dr. Gaugele. D. med. 
Wochenschr., 43. Jahrg., Nr.15 vom 12. April 1917, S. 467. 


Der Verfasser weist in der folgenden Darstellung auf ein altes, schein- 
bar in Vergessenheit geratenes Mittel zur Behandlung der Wundrose hin. 
Mit dem scharfen Höllensteinstift wird die flammende Röte im Entstehen 
kreisförmig begrenzt. Die innerhalb des Kreises gelegene Partie wird mit 
20—30% Höllensteinlösung bepinselt. Zeigt sich in den nächsten Tagen, 
daß die Rötung weitergeht, wird ein neuer Kreis gezogen. Die tägliche 
Pinselung mit der obenerwähnten Lapislösung im Bereiche der entzündeten 
Partie führt die rasche Entfieberung des Kranken und geringe Ausbreitung 











Kleine Mitteilungen. — Personalien. 127 


der Krankheit herbei. Unangenehm ist nur die starke Schwarzfärbung der 
Haut, die aber übrigens in wenigen Wochen wieder verschwindet. 
Kriegszahnklinik, Juli 1917. Zilz. 


Kleine Mitteilungen. 





(Pensionen für die Ärztewitwen und -waisen.) In der außerordent- 
lichen Generalversammlung der „Witwen- und Waisensozietät 
des Wr. medizinischen Doktorenkollegiums“ vom 20. Dezember wurde 
Dr. Ferdinand Steiner zum Präses der Sozietät gewählt. Außerdem 
erfolgte die Wahl des Dr. Heinrich Reimann zum ersten und des Doktor 
Josef Krips zum zweiten Vizepräsidenten. Die Sozietät ist ein durch 
van Swieten ins Leben gerufenes und von der Kaiserin Maria 
Theresia mit verschiedenen Privilegien ausgestattetes, versicherungs- 
technisch aufgebautes und finanziell reichfundiertes Wohlfahrtsinstitut, das 
unter relativ sehr günstigen Bedingungen den Witwen und Waisen nach 
Ärzten unpfändbare Jahrespensionen bietet. Das Bestreben der 
Sozietät geht dahin, in diesen schweren Zeiten, wenn schon nicht alle, so 
doch die überwiegende Mehrheit der Ärzte Österreichs für 
die Benützung dieser so wertvollen Wohlfahrtseinrichtung zu gewinnen, 
um auf diese Weise den Hinterbliebenen der Ärzte eine sichere Ver- 
sorgung zu schaffen. 


Personalien. 


Julius Scheffs Rücktritt vom Lehramt. 


Genau 27 Jahre nach Eröffnung des ersten zahnärztlichen Instituts 
in Österreich tritt dessen Gründer und seitherige Vorstand, Regierungsrat 
o. ö. Professor Dr. Julius Sch eff, nach vollendetem Ehrenjahr vom Lehr- 
amt zurück. Die Geschichte von Scheffs Lehr- und Forschertätigkeit 
schreiben heißt die Geschichte der Zahnheilkunde in Österreich an der 
Wende des Jahrhunderts überhaupt schreiben. War doch Scheff einer 
der starken Stämme, an dem sich die Zahnheilkunde emporgerankt hat, 
der sie gehalten und gestützt hat, bis sie auch bei uns zu anerkannter 
Größe und Blüte kam. Scheff begann, seit 1873 Zahnarzt, seine Lehr- 
tätigkeit als Dozent der Zahnheilkunde unter den denkbar ungünstigsten 
Verhältnissen. Die Bedeutung und wissenschaftliche Stellung dieser Dis- 
ziplin wurde innerhalb und außerhalb der Fakultät nicht gekannt und 
die Chirurgen selbst sträubten sich gegen die Abtrennung der Zahnheil- 
kunde von ihrem Fach, mit der Begründung, daß sie keine selbständige 
wissenschaftliche Disziplin sei und einen integrierenden Teil der Chirurgie 
bilde. Und doch geschah in den Vorlesungen über Chirurgie ihrer nicht 
einmal eine Erwähnung! In Wort und Schrift hatte Scheff diese Vor- 
urteile zu bekämpfen, bis es endlich nach Überwindung unsäglicher for- 
maler Schwierigkeiten gelang, im Jahre 1890 das „Zahnärztliche Ambu- 
latorium“ zu eröffnen. Mit dessen Leitung wurde Scheff betraut, nach- 
dem der gleichzeitig mit ihm hiezu ausersehene Dozent Dr. Philipp Stein- 
berger noch vor Eröffnung des Ambulatoriums zurückgetreten war. 





128 Personalien. 


Von da an beginnt eine an Erfolgen überaus reiche Tätigkeit als O r- 
ganisator, Lehrer und Forscher, durch die es dem überragenden 
Manne gelang, der österreichischen Zahnheilkunde ihren eigenen Stempel 
aufzuprägen. Der leitende Gedanke hiebei war: Der Zahnarzt muß Voll- 
mediziner sein, ein Grundsatz, den er in überzeugter und überzeugender 
Weise in Wort und: Schrift zur Geltung zu bringen wußte. Und wenn 
gerade jetzt in Deutschland die Meinungen über den Umfang der medi- 
zinischen Vorbildung des Studenten der Medizin und über die Frage des 
Doktors der Zahnheilkunde hart aneinander geraten, so beweist dies, daß 
auch dort — mag für den Augenblick die Entscheidung wie immer fallen 
— in nicht zu ferner Zeit das Ideal Scheffs erreicht sein wird: daß 
der Zahnarzt Vollmediziner sein muß. Von diesem Gesichtspunkt aus 
hat Scheff den Lehrplan für sein Institut ausgearbeitet und organisiert, 
der in der Folge vorbildlich für alle zahnärztlichen Institute in Österreich 
und Ungarn wurde. Und so hat der unvergleichliche Organisator und 
nimmermüde Lehrer eine überaus große Zahl von Studenten der Medizin 
und Ärzten zu Zahnärzten ausgebildet und alle, die zu seinen Füßen 
gesessen, sind tüchtige Zahnärzte geworden, nicht trotz, sondern wegen 
ihrer Vorbildung -als Vollmediziner. Neben dieser Tätigkeit als Organi- 
sator und Lehrer fand er Zeit, durch eine große Zahl zum Teil grund- 
legender Arbeiten seinen Namen in der zahnärztlichen Welt des In- und 
Auslandes bekannt und berühmt zu machen. 

Von den Arbeiten, mit denen er die Zahnheilkunde bereicherte, seien 
erwähnt: 

Lehrbuch der Zahnheilkunde für praktische Ärzte und Studierende (Wien 
1880 und 1884). 
Replantation der Zähne, eine historische und experimentelle Studie. 
Handbuch der Zahnheilkunde, 1892 (seither in 3. Auflage erschienen). 
Argyria dentium. 
Welche allgemeine und spezielle Bildung ist wünschenswert für Personen, 
die sich mit Zahnheilkunde beschäftigen? 
Sagittalschnitte zur topographischen Anatomie des Ober- und Unterkiefers. 
Extraktion der Zähne. 
Zur Methode der Pulpenamputation. 
Über den Einfluß der arsenigen Säure auf das Pulpagewebe. 
Die erste Dentition beim Affen (Makakus rhesus). 
: Atypische Extraktionen. 
Und viele andere. 

So verläßt der an Arbeit und Erfolgen reiche Mann das Institut, 
sein Institut, mit ungeschwächter Arbeitslust und Arbeitskraft. Der Samen, 
den er in den Jahren seiner Tätigkeit gelegt, ist bei Generationen von 
Zahnärzten aufgegangen und in einer großen Schule zur Blüte gelangt, 
.die sich an den Namen knüpft: Julius Scheff. 

Dr.Steinschneider. 





Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


mæ- ~ . = mg a : 
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, II., Münzgasse 6. 





Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 
Organ fir, die wissenschanlichen Zahnärzte Österreichs, 


Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 


XVI. Jahrgang. Mai 1918. 5. Heft. 








Nachdruck verboten. 


Original-Arbeiten. 





Kritische Bemerkungen zur Veröffentlichung von 
Duchange: „Über die zweizeitige Behandlungs- 
methode der Kieferbrüche.“ ) 


Von Oberstabsarzt Juljan Zilz. 


Die Behandlung der Kieferschußverletzungen war zu Beginn des Welt- 
krieges eine sehr unvollkommene, die Heilungserfolge nicht befriedigend. 
Prof. Cavalié hatte damals eine drei- resp. vierzeitige Behandlungs- 
methode der Kieferschußbrüche in Vorschlag gebracht, die die folgenden 
Punkte umfaßt: 1. Richtige Einstellung der Fragmente zueinander (Orien- 
tation des fragments); 2. dauernde Fixation in der sub 1. angeführten 
Lage (Consolidation); 3. Wiederaufrichtung der normalen Artikulation 
(Orientation de l’arcade); 4. Einsetzung einer Prothese oder Brücke (un 
appareil masticatoire en vulcanite ou autre matière). 

Die Resultate dieser Behandlungsmethode erwiesen sich nicht als die 
besten, weswegen Duchange, um die Mißerfolge des Cavaliöschen 
Verfahrens zu beheben, eine zweizeitige Methodein Vorschlag 
brachte. Diese soll im „Centre de Stomatologie de Bordeaux“ allgemein 
angenommen worden sein. Die Folge war die, daß der Erfinder dieser Be- 
handlungart die jetzigen Heilungsergebnisse gegenüber den früheren .pro- 
zentuell nachzuweisen imstande ist, wobei die gegenwärtige Heilungsdauer 
eine bedeutend kürzere Behandlungszeit beansprucht. Den therapeutischen 
Vorgang teilt er in folgende Abschnitte ein: 

I. Die Notschiene (Prothèse d'urgence). Diese besteht aus einem 
hufeisenförmigen Draht von 2 mm Dicke, der mit der Zange jeweils zu- 
rechtgebogen wird. An diesen Drahtbügel sind 1—3 mm lange Fortsätze 
(„barretts‘“) angelötet, die in Form eines Rechens in die Interdentalräume 


1) Roger Duchange (Dr. D. D. S. w Ch. D. D. F. M. P.): „Traitement des 
Fractures des maxillaires. Méthode des deux temps.“ Communication au Congrès 
Dentaire Inter-Alliés 10. Nov. 1916. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 9 


130 | Juljan Zilz. 


hineinragen. Dies soll die Erfindung von Duchange darstellen. Wird 
der Draht von außen angebogen, so stehen die Fortsätze nach innen und 
umgekehrt. Diese Notschiene (arc d’urgence) hält die Bruchstücke 
ohne Ligatur zusammen. Die Notschiene kann 1. lingual (palatinal) und 
bukkal angelegt werden; 2.bei fehlenden Interdentalräumen an die ein- 
zelnen Zähne ligiert werden; 3. eine vollkommene Stabilität erreichen, 
wenn die Enden des Drahtes sowie die Interdentalstifte (,barretts‘‘) um 
die Zähne gebogen werden. 

Die Vorteile des Duchangeschen Bogens sind die folgenden: 
l. Er fixiert die Zähne untereinander; 2. Verursachung eines nur unbe- 
deutenden Schmerzes für den Patienten; 3.er hält die Bruchstücke so fest 
in seiner Lage, daß der Bogen, d.h.die Notschiene, oftmals als Dauer- 
schiene getragen werden kann. 

Zu dieser Erfindung von Duchange hätte ich zu bemerken, daß 
ich schon zu Beginn des Weltkrieges eine Notschiene konstruiert habe, 
die sich mit der des Duchange zum Teile deckt. 

An einem Drahtbügel, dem die Krümmung der Zahnreihe gegeben 
ist, sind nach Art eines Rechens jedem Interdentalraum entsprechend je 
zwei Blechzungen angelötet, welche, sobald die Schiene angelegt ist, um 
je zwei benachbarte Zähne gebogen werden. Die Blechzungen sind ent- 
weder lingual bei bukkalem Bügel oder bukkal bei lingualem Bügel auf- 
gelötet. Eine universelle Modifikation der Schiene besteht darin, daß die 
einzelnen Blechzungenpaare eine Öse tragen, somit in beliebiger Anzahl je 
nach vorhandenen Zähnen auf dem Drahtbügel gleichsam aufgefädelt 
werden können. Die Blechzungenpaare haben zirka 10mm Länge, um 
fallweise gekürzt zu werden. 

Duchange äußert sich über seine Erfindung wie folgt: „Der 
Wert und die Bedeutung der Notschiene ist unbestreitbar. Auch unsere 
Gegner haben dieselbe anerkannt. Einem aus der Gefangenschaft zurück- 
gekehrten Kieferverletzten B. Laurent, 18.1.-R., hat ein deutscher Militär- 
zahnarzt am Hilfsplatz eine Notschiene angelegt, die nach den Aus- 
sagen des Verwundeten in folgendem bestand: 2 Zähne des Kiefers wurden 
mit Ringen versehen, die durch eine Schraubenvorrichtung dem Zahne genau 
angepalst werden konnten, von denen jeder ein Röhrchen trug. Durch die 
beiden Röhrchen wurde ein A n g le scher Bogen durchgesteckt und dadurch 
die Bruchstücke in der richtigen Lage fixiert. (Drahtverband nach Schr o e- 
der. Anm.d. Aut.) Wir machen von dieser uns nicht sicher genug er- 
scheinenden Methode keinen Gebrauch.“ 

I.Brüche deshorizontalen Astes (Fractures des arcades 
maxillaires). Zweizeitige Methode (Methode des deux temps). Sie 
beginnt in der Kieferstation und besteht: A) in der richtigen Einstellung 


Kritische Bemerkungen zur Veröffentlichung cete. 131 


und Fixierung der Bruchstücke zueinander (R£orientation generale); B) im 
Einsetzen einer Prothese oder Brücke (Consolidation). 

Zu A. Schiene aus Silber oder Melchiormetall über sämtliche Zähne, 
gestanzte Kappen; bei vereinzelten Zähnen Ringe. Die Befestigung der 
Schiene an die Zähne wird mit Zement bewerkstelligt. Der Duchange- 
sche Drahtbügel mit den rechenförmigen Fortsätzen soll fallweise die 
Schiene ersetzen. 

Zu B. Bei einfachen linearen Frakturen mit schlechter Heilungs- 
tendenz werden die Fragmente nach richtiger Reposition durch cine fest- 
sitzende Brücke in ihrer Lage festgehalten. Bei vollkommen erhaltenem 
Gebiß und guter Heilungstendenz ist die abnehmbare Brücke zu ver- 
wenden. Diese abnehmbaren Brücken sind stets mit einer „Aufruhe 
(la base scellee) in Verbindung. Die Idee der Fixationsbrücken stammt 
von Dr.H er pin, Präsident des „Centre de Stomatologie de Bordeaux“ (? !). 
(Die Aufruhe wird von Steinschneider seit Jahren mit Erfolg 
verwendet.) Seit Einführung dieser Behandlungsmethode wurde kein Fall 
von Kieferklemme beobachtet, ebenso kam seit 6 Monaten kein Fall von 
narbiger Schrumpfung zur Beobachtung, während Duchange früher bei 
50% der Fälle schwere Komplikationen beobachten konnte. 

II. Frakturen desaufsteigenden Astes (Fractures des 
branches montantes): Frakturen hinter der Zahnreihe. Behandlung der- 
selben lediglich und ausschließlich mittelst intermaxillärer Züge bzw. Liga- 
turen bei normaler Okklusion. Die intermaxilläre Ligatur bleibt 4—8 Tage, 
dann kommt ein Tag Ruhe. Heilungsdauer 2—5 Monate. 

IV. FrakturenmitgroßemSubstanzverlust (Fractures 
avec grande perte de substance osseuse). Sind die Fragmente bezahnt, so 
schlägt Verfasser die Fixierung derselben durch eine Brücke vor. 

Im Vorliegenden wollte Duchange keine erschöpfende Arbeit 
über das Thema der Kieferbrüche liefern, er wollte nur betonen, daß die 
Behandlung der Kieferbrüche durch seine Notschiene bedeutend verein- 
facht. wird. In seiner zweizeitigen Behandlungsmethode glaubt er bewiesen 
zu haben, daß die Brüche im aufsteigenden Ast ausschließlich durch inter- 
maxilläre Ligaturen, während die Brüche, die mit großem Substanzverlust 
verbunden sind, mittelst gewöhnlicher Überbrückung zur Heilung gebracht 
werden können (le brigde de contention). Die Statistik weist 
nach, daß es den Militärzahnärzten des „Centre de 
Stomatologie de Bordeaux“ gelungen ist, 98% der 
KieferverletztenderArmeewiederzurückzuerhalten, 
wobei 93% frontdiensttauglich wurden. 

Soweit Duchange! Ich will es versuchen, einige kritische Streif- 
lichter in seine Arbeit zu werfen. Den ersten Abschnitt seiner zweizeitigen 


9% 


132 Juljan Zilz. Kritische Bemerkungen zur Veröffentlichung etc. 


Behandlungsmethode verlegt Duchange auf den Hilfsplatz. Er befindet 
sich jedoch auf dem Holzweg, wenn er glaubt, daß das eine Erfindung der 
Franzosen kat exochen sei. Die Deutschen sind mit dem Schröder schen 
Instrumentarium in den Krieg gezogen. Es ist sicher, daß ee Duchange 
gewußt hat. Das geht aus den oben zitierten Äußerungen hervor. 


An der Hand von Fällen demonstriert Duchange seine eingangs 
ausführlich erörterte zweizeitige Methode bei Frakturen des horizontalen 
Astes sowie bei Frakturen mit großem Substanzverlust. Auf die Brücke des 
Oberkiefers geht Verfasser nicht näher ein, auch an die Zertrümmerungs- 
schußbrüche sowie solche bei zahnlosen Kiefern vergißt scheinbar der Fran- 
zose. Dessen zweizeitige Methode mag ja im Stellungskrieg in Frankreich 
bei jedem Kieferverletzten möglich gewesen sein, im Bewegungskrieg — ich 
erinnere an Gorlice, Rumänien, Serbien und die 12. Isonzoschlacht — dürfte 
die erste Etappe der Behandlung schon aus Mangel an Zeit hinfällig 
werden. Die vom Verfasser „erfundenen Schienen“ haben wir alle bereits 
1914/15 wohlgekannt und auch häufig angewendet, doch möchten wir 
denselben als der allein seligmachenden Behandlungsmethode in unserem 
kieferchirurgischen Rüstzeug nur ein bescheidenes Plätzchen einräumen. 


Eine schablonenhafte Behandlung der Kieferbrüche nach Duchange 
wird und kann unter keinen Umständen unsere Zustimmung finden. Ein 
Mann, der Kieferbrüche nach einem Schema heilen will, ein Mann, der von 
Individualisierung in der Therapie nichts wissen will, ist nicht der, wofür 
er sich hält. Wir haben keinen Grund, die glänzenden Erfolge, die die 
Zahnärzte des „Centre de Stomatologie de Bordeaux“ nach der D u ch a n g e- 
Methode aufzuweisen haben, anzuzweifeln. Ich beglückwünsche die Herren, 
die 98% der kieferverletzten Franzosen der Armee und 93% der Front 
geheilt zurückstellen! 


Die Erfolge des Duchange sind nicht ernst zu nehmen, wenn 
er sich auf S.29 seiner Arbeit wie folgt äußert: „Die Pseudarthrose 
existiert für uns nicht, im Gegenteil: sie unterstützt uns.“ (En somme, 
la pseudarthrose n’existe pour ainsi dire plus, nous ne la traitons plus: 
elle nous aide.) Infolgedessen scheint ihm und sämtlichen Mitgliedern des 
Congrès Dentaire Inter-Alliés die Behandlung der Pseudarthrose und der 
Iinochendefekte nach Schußbrüchen des Unterkiefers unbekannt zu sein. 
Denn selbstredend wo keine Pseudarthrose, dort bedarf es keiner Operation. 


Was aber Duchange bewogen hat, in dem gleichfalls auf Seite 29 
wiedergegebenen Satz: „Les appareils à butoir ou à bielle, employés en 
Allemagne, ne servent quà masquer une infirmité et ne résolvent pas la 
question“ — eine derartig abfällige Kritik über unsere Gleitschiene und 
schiefen Ebenen zu fällen, wissen wir nicht. Uns waren, sind und bleiben 





Rudolf Weiser. Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit etc. 133 


sie auch in Hinkunft die wertvollsten und unentbehrlichsten Behelfe in der 
Behandlung der Kieferbrüche. 

Der Congrès Dentaire Inter-Allies, auf dem Duchange den in 
Rede stehenden Vortrag hielt, tagte vom 10.—13. November 1916 in Paris. 
M.G.Villain fungierte als Generalsekretär des Kongresses. Als er in 
der Sitzung der Société dodontologie de Paris (Sitzung vom 
26. Juni 1916) die Gründung des in Rede stehenden Kongresses vorschlug, 
wiederholte er diesen Antrag der British Dental Association 
in London, die sich diesem Kongreß anschloß. 14 Monate nach der Kongreß- 
tagung in Paris, das war im September 1917, erschien der Bericht über 
den Kongreß. Derselbe besteht aus 2 Bänden von je 800 Seiten, die mit 
1100 Bildern illustriert sind. Es wurden, beiläufig, 18.000 Exemplare heraus- 
gegeben. Der Kongreß stand im Zeichen der Kieferschußverletzungen und 
der durch Feuerwaffen verschiedenster Art hervorgerufenen Verletzungen 
des Gesichtes. Die mannigfaltigsten Apparate und Schienenverbände, die 
bei diesem Anlaß demonstriert wurden, lieferten in hohem Maß den Beweis 
des Könnens der Zahnärzte. In einer dem Kongreß angegliederten Aus- 
stellung waren interessante Schienenverbände, Apparate, lehrreiche Rönt- 
genbilder und Moulagen zu sehen. 

Der gegenwärtig von den Dozenten Dr.Szabo undDr.Salamont') 
(Budapest) ins Leben gerufene „Mitteleuropäische Zahnärzte-Bund‘“, der 
den Zusammenschluß der Zahnärzte Österreich-Ungarns, Deutschlands, der 
Türkei, Bulgariens und des Königreiches Polen propagiert, scheint ähn- 
liche Ziele zu verfolgen. 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit 
im Kieferspitale. 
Von Professor Dr. Rudolf Weiser, k. u. k. Oberstabsarzt, Chefarzt der chirurgisch- 
prothetischen Abteilung am k.u. k. Reservespital Nr.17 in Wien.?) 
(Fortsetzung und Schluß.) 


Am 16. November 1916 schritt unser Konsiliarchirurg zur Weichteil- 
plastik. Foramitti sorgte vor allem für eine reichliche, in aller Zu- 


1) Dr.Salamon Henrik: „Elnöki szekfolglalo.“ Fogorvosi szemle Novem- 
ber X évfolyam. 1917, S. 18. 

2) Aus: Beiträge zur Kieferschußtherapie. Aus Anlaß des einjährigen Be- 
stehens des k u k. Reservespitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für Kieferverletzte) 
herausgegeben von der Österr Zeitschr. f. Stomatologie. 


134 Rudolf Weiser. 


kunft verläßlich funktionierende intraorale Epithelauskleidung des 
Defektes und ging zu diesem Behufe im ersten Akte der als mehrzeitig 
gedachten Weichteilplastik folgendermaßen zu Werke: 

Durch Exzision der Narbe (Fig. 64a) wird der Weichteildefekt an- 
nähernd in seiner ursprünglichen Ausdehnung wieder hergestellt, damit man 
sich über die Größe des Substanzverlustes nicht selbst täusche und ihm 
entsprechend für die Beschaffung von reichlichem Deckungsmaterial sorge; 


Fig. 64b. 





sodann wird die falsch nach rechts unten verlagert gewesene und am distalen 
Fragmentende angewachsene Unterlippe mobilisiert. 

Der Operateur umschneidet hierauf einen großen Haut- und Platysma- 
myoides-Lappen, dessen Basis vom rechten Ende des Zungenbeinhornes 
schräg nach hinten und unten drei Querfingerbreit sich erstreckt und dessen 
abgerundetes freies Ende am oberen Rande des Manubrium sterni liegt 
(Fig. 64b). Exakte Vereinigung des freien Randes mit der Schleimhaut 
des Mundhöhlenbodens und den angrenzenden Partien des Unterlippen- 
defektes. Restitution des rechtsseitigen Unterlippenrotes und eines Teiles 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 135 


der Unterlippenhaut durch Verschiebung von Lappen aus der unmittelbaren 
Nachbarschaft. Einsetzen des oben erwähnten Zinnschildes, welches bei 
den weiteren Akten der Plastik dem Operateur als Schablone und der 
Jodoformgazeeinlage zur Fixation dient. 14 Tage später beschränkte sich 
Foramitti im zweiten Akte der Plastik auf die Durchtrennung 
der halben unteren Basis des hinaufgeschlagenen Weichteillappens, auf 
die Ausbreitung der eingerollten Randpartien und auf das Fixieren der- 


Fig. 64d. 





selben an der darunterliegenden Halshaut mittelst einiger loser Nähte. 
Eine Woche später, während welcher Zeit der auf seine halbe Basis 
reduzierte Hautlappen sich als vollkommen lebensfähig erwiesen hatte, 
schritt Foramitti zum dritten Akte seiner Weichteilplastik. 
Nach Durchtrennung der ganzen Basis wird die wunde Seite des 
Lappens mit dem scharfen Löffel blutig geschabt, sein vorderer und 
hinterer Rand mit Schere und Messer beschnitten. Der zu doppelnde Lappen 
wird nun hinaufgeschlagen, so daß sein unterer, durch Abschneiden von der 
Basis wundgemachter Rand gegen die Halshautgrenze des Defektes, nach- 


136 Rudolf Weiser. 


dem letzterer in einem schmalen Saume abgelöst und dadurch mobilisiert 
worden ist, exakt angenäht werden kann. Zum Schlusse wird die Wangen- 
und Unterlippengrenze des Defektes angefrischt und mit den mit Schere 
und Messer beschnittenen Rändern des Lappens vernäht (siehe Figur 64 c). 
Es sieht also am Ende dieser Phase der Plastik der zum zweiten Male 
umgeschlagene, somit gedoppelte Lappen, wie ebenfalls auf Figur 64 c 
deutlich zu ersehen ist, mit der die zukünftige äußere Wangenhaut bildenden 
Hälfte noch nach unten gegen die Halsseite des Patienten, noch nicht gegen 
den Beschauer hin und bleibt immer vorläufig ein für 2 bis 3 Finger durch- 
gängiger Spalt an der Grenze zwischen rechter Wange und Mundhöhlen- 
boden offen. 


Im vierten Akt der Plastik wurde der gedoppelte Hautlappen 
von seinem oberen freien konvexen Rande aus in eine linguale und eine 
buccale Hälfte gespalten. Der wunde Rand der buccalen Hälfte wird mit 
dem angefrischten Rande der oberen Wangenschleimhaut — den letzten zur 
Mundhöhle führenden Spalt überbrückend — durch Catgutnähte mit 
Knüpfung in der Wunde vereinigt (vergleiche Fall Karl H., Fig. 42 k). 
Der wunde Rand der buccalen Hälfte dagegen wird natürlich mit dem 
angefrischten unteren Rande der äußeren Wangenhaut durch feineSeiden- 
knopfnähte dicht vernäht. Figur 64d zeigt den Patienten unmittelbar 
nach Abschluß der Weichteilplastik. Nach Ablauf von ein bis zwei Monaten 
soll, wenn das Weichteilbett sich als genügend aufnahmsfähig erweisen 
wird, zur Vornahme einer Osteoplastik geschritten werden. 


Intraorale Narben nach Kieferverletzungen. 


In diesem Berichte habe ich wiederholt die Gelegenheit wahrgenommen, 
darauf hinzuweisen, daß die Narbe der böseste Feind unserer ärztlichen 
Bestrebungen ist, anatomisch und physiologisch richtige intraorale Verhält- 
nisse wieder herzustellen. Diese Narbenbildungen treten in verschiedenen 
Formen auf. Ein sehr häufig wiederkehrender Typus ist ein sichelförmiger 
sehniger Narbenstrang, der vom Alveolarbogen des Oberkiefers längs der 
Wangenschleimhaut bis zum Alveolarfortsatze des Unterkiefers herabzieht. 
Ein anderes Mal kommt es zur Anwachsung der Muskulatur und Schleim- 
haut der Wange an ein Kieferfragment des Unter- oder des ÖOberkiefers. 
Gar nicht selten ist die mehr oder weniger verletzte Zunge entweder auch 
durch einen sehnigen Narbenstrang oder mittelst eines ausgedehnten Rand- 
stückes mit einem Kieferfragmente verwachsen. Oft und oft zwingt ein 
völliges Verstrichensein des Vestibulum oris im Ober- und Unterkiefer 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 137 


dazu, diesen pathologischen Zustand auf blutigem Wege wieder zu be- 
heben, weil sonst das Abdrucknehmen, die Anwendung von Klammern, 
Federn und ähnlichen Befestigungsvorrichtungen für die Prothese — un- 
möglich gemacht wird. 


Der rationellste und jener Behandlungsweg, welcher für alle Zukunft 
das beste Resultat sichern würde, wäre der, einen gestielten aber haar- 
losen Lappen der äußeren Haut nach einwärts in die Mundhöhle zu drehen 
und an der Stelle des nach Exzision der Narbe zurückbleibenden Schleim- 
hautdefektes anzunähen. In dem von mir immer wieder zitierten Lehrbuche 
von Perthest) finden wir die ingeniösen diesbezüglichen Methoden von 
Gussenbauer, Israel, Gersuny und von Perthes selbst in 
überaus klaren Illustrationen festgelegt. Vollkommen einwandfrei erscheint 
mir jedoch wenigstens für unsere Zwecke und für männliche Patienten 
nur die Israelsche und die von Perthes angegebene Modifikation 
der Israelschen Methode, weil sie allein haarlose Hautpartien zum Er- 
satze von Schleimhaut verwenden. 


Die Anwendung dieser idealen Mundschleimhautplastiken ist bei den 
komplizierten Kieferverletzungen eine überaus häufige, kommt aber erst im 
letzten Akte der therapeutischen Maßnahmen in Betracht, weil wir, wenn 
wir uns unsere Aufgabe nicht unnützer- und unzweckmäßigerweise er- 
schweren und ein gutes Endresultat unbedachtsamerweise von Haus aus 
in Frage stellen wollen, zuerst mit der inneren Einrichtung des Kauappa- 
rates fertig sein müssen, bevor der Weichteilplastiker mit der Deckung 
äußerer Defekte an die Reihe kommt. — Würden wir nun schon, um 
intraorale Narbenstränge, das Verstrichensein des Vestibulum oris, Ver- 
wachsungen der Unterkieferfragmente mit der Zunge oder das breit- 
flächenhafte Hineinwachsen von Narben in die eröffnete Kiefer- oder in 
die perforierte Nasenhöhle zu beheben — extraorale haarlose 
Hautlappen zu Hilfe nehmen, so hätte dies drei gewichtige Nachteile: 


erstens würde wegen der zumindest anfänglich notwendigen behut- 
samsten Schonung frischer Plastiken die keinen Aufschub duldende rein 
zahnärztliche und orthopädische Behandlung der Kiefer in folgenschwerer 
Weise aufgehalten; 


zweitens würde bei Verwendung haarloser extraoraler Haut- 
lappen nur allein zur inneren Auskleidung der Mundhöhle — späterhin 


1) Deutsche Chirurgie, herausgegeben von P. v. Bruns. Lieferung 33 a. 
Prof. Dr. Georg Perthes: Die Verletzungen und Krankheiten der Kiefer. Stutt- 
gart; Verlag von Ferdinand Enke, 1907. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 10 


138 Rudolf Weiser. 


der periphere Anteil dieser Hautlappen, der bei Durchführung der 
Weichteilplastik in einem Zuge zur Deckung des äußeren Hautdefektes 
dient, am Schlusse der Behandlung nicht mehr zur Verfügung stehen; 


drittens sind die Wundverhältnisse zu jener Zeit, wo die ortho- 
pädische Behandlung bereits einsetzen muß, noch keineswegs so rein, daß 
man bereits Weichteilplastiken gefahrlos und mit Erfolg durchführen 
könnte. 


Die Schwierigkeiten, die sich aus diesen Umständen ergeben, machen 
es begreiflich, daß wir Zahnärzte bestrebt sein müssen, zu Beginn der 
Behandlung auf andere Weise intraorale Schleimhautdefekte zu decken; 
und in dieser Beziehung haben unsere Bestrebungen in einer ganzen Reihe 
von Fällen Erfolg gehabt. So haben ich und die mir zugeteilten Zahn- 
ärzte das Vestibulum oris gewöhnlich dadurch freigemacht, daß wir die 
Schleimhaut vom Processus alveolaris bei Schonung des Kieferperiostes 
mittelst eines — Mucosa und submucöses Gewebe durchtrennenden Schnittes 
mobilisierten und haben weiterhin mit der Fixierung einer die Wund- 
fläche unmittelbar nach Beendigung der Operation und während der ganzen 
Zeit, welche für die Epithelisierung notwendig ist, bedeckenden Vorrich- 
tung das Auslangen gefunden. 


Diesem Zwecke dienende Vorrichtungen sind bei bezahnten Kiefern 
entsprechend modifizierte Hauptmeyer-Schienen, Häkchen- oder 
` Spindelbogen, in neuerer Zeit die von Steinschneider angegebe- 
nen Aufruhebogen, bei zahnlosen Oberkiefern Kautschuk- oder Metallplatten, 
die mittelst Kopfkappe und intra-extraoralen Gestänges in der richtigen 
Lage erhalten werden; beim bezahnten Unterkiefer ebenfalls auf- 
zuzementierende oder anzuschraubende und entsprechend modifizierte 
Hauptmeyer-Schienen, Häkchen-, Spindel- oder Aufruhebogen. Bei 
zahnlosen Unterkiefern dagegen Schienen, welche ich weiter unten 
ausführlich beschreiben muß. Die Modifikation besteht in einer das Vesti- 
bulum oris offenhaltenden Erhöhung der entsprechenden Randpartie. Alle 
diese Vorrichtungen werden unmittelbar nach dem ausgeführten operativen 
Eingriffe mit ausgekochter Guttapercha und einer doppelten Lage 200 % iger 
Jodoformgaze bedeckt, sodann für 2—3 Wochen, mitunter auch für länger, 
zur Bedeckung der Wundfläche im Munde fixiert. Die 200%ige Jodoform- 
gaze gestattet es, diese Vorrichtung ohne Verbandwechsel 14 Tage liegen zu 
lassen. Nach 14 Tagen wird die Vorrichtung abgenommen, neuerlich ausge- 
kocht, mit frischer Jodoformgaze überzogen und für einen je nach dem 
Stande der Epithelüberkleidung sich richtenden Zeitraum wieder eingesetzt. 

Ein zweiter Weg, die störende Wirkung von intraoralen Narben zu 
eliminieren, besteht in der Exzision der Narben. Gerade in Fällen, wo die 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferepitale. 139 


oberwähnte Form von sichelförmigen, im Vestibulum oris vorspringenden 
Strängen unsere zahnärztlichen Manipulationen unmöglich macht, habe ich 
das sehnenartige Gewebe mittelst zweier längs der Narbe geführter Schnitte 
exzidiert und die benachbarte Schleimhaut durch Knopfnähte zusammenge- 
zogen. Dieses Verfahren weist, wo die Naht exakt ausführbar ist, gute Re- 
sultate auf. 

Andere Mundchirurgen ziehen es vor, derartige Narben quer zu durch- 
schneiden und die — durch den Querschnitt entgegenstehende klaffende 
rhombische Wundfläche dadurch zu decken, daß sie die benachbarte nor- 
male Schleimhaut mit Knopfnähten zusammenziehen. 

Bei mehr flächenhafter Ausbreitung des Narbengewebes einerseits am 
Alveolarfortsatze, andrerseits in der Wangen- oder Lippenschleimhaut habe 
ich mich mit bestem Erfolge der intraoralen Verwendung von Thiersch- 
Lappen bedient. Bei teilweise bezahnten Kiefern, wie z.B.in den Fällen 
Alois R., Korp. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 87/15, und Franz F., Inf. im 
k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 4/7, habe ich den Thiersch-Lappen dadurch gegen 
Infektion und vor Verschiebung während der ersten Stunden und Tage der 
Anheilung bewahrt, daß ich die basale Platte eines partiellen Zahnersatz- 
stückes mit doppelter Lage 200%iger, mit Mastisol aufgeklebter Jodoform- 
gaze bedeckt, darnach den Thiersch-Lappen — mit seiner E pi- 
dermisseite gegen die Jodoformgaze gerichtet — aufgelegt und das 
Ganze rasch auf die im letzten Momente noch mit 1%iger Lysoformlösung 
gereinigte Wundfläche des Alveolarfortsatzes gebracht habe. Es wurde 
sowohl in diesen als auch in allen weiteren Fällen dafür gesorgt, daß die 
so eingesetzte Prothese 10—14 Tage unverrückbar in ihrer Lage festhielt. 
Der Anwendung der 200%igen Jodoformgaze ist es zu verdanken, daß dieses 
Verfahren vollständig reaktionslos und unter Ausbleiben von jeglichem 
Foetor ex ore verläuft. Bei zahnlosen Kiefern erscheint mir dieses Ver- 
fahren ganz besonders indiziert, weil man bisher, abgesehen von aus extra- 
oralem Gebiete hergeholten Epidermislappen als Bedeckung der Schleimhaut- 
wundfläche, kein einfacher ausführbares und sichreres anderes Verfahren 
besitzt. So relativ leicht es gelingt, Thiersch-Lappen auf Wundflächen 
der äußeren Hautpartien anzunähen, so schwierig ist es, eihe derartige Naht 
unter Speichelsekretion, Blutung, während der Schluck- und Abwehrbe- 
wegungen von Mundhöhlenboden und Zunge intraoral auszuführen. Bei 
zahnlosen Kiefern habe ich mein Verfahren einfach in der Weise modifiziert, 
daß ich nicht nur eine innere Schiene behufs Retention des Thiersch- 
Lappens an der richtigen Stelle verwendete, sondern rasch noch eine extra- 
orale Gegenschiene improvisierte. 

Die Figur 65a zeigt den durch eine Schrapnellkugel seiner ganzen 
Zähne bis auf die Weisheitszähne beraubten Unterkiefer des Zugsführers 


10* 


140 Rudolf Weiser. 


Anton W. vom Sappeur-Baon. Nr. 2/2, der sonst aus der Behandlung 
wegen doppelten Unterkieferbruches von Kränzl vollkommen geheilt 
zu entlassen gewesen wäre. Abdrucknahme und Herstellung eines unteren 
Zahnersatzes waren jedoch durch einen das rechte vordere Vestibulum 
oris verlegenden Narbenstrang in der Form eines gleichschenkeligen 
Dreieckes unmöglich gemacht. Die etwa 5em lange Basis des in seiner 
Form an ein Pterygium erinnernden Narbengebildes saß an der Schleim- 
haut der rechten Unterlippe und des rechten vorderen Anteiles der Wangen- 
schleimhaut. Die Spitze des gleichschenkeligen Dreieckes ragte über den 
entsprechenden Alveolarfortsatz hinüber bis auf den Mundhöhlenboden. Ich 
löste das Narbengebilde von seiner Unterlage in der Weise ab, daß ich mit 
der Spitze des gleichschenkeligen Dreieckes begann und mit der Mobili- 
sierung gegen die Basis hin solange fortschritt, bis die Unterlippe an- 
standslos beweglich erschien. Den nur mehr mit seiner Basis und mit 
der benachbarten Schleimhaut in Kontakt gebliebenen dreieckigen Schleim- 
hautfleck benützte ich zur teilweisen Deckung des durch die Ablösung 
entstandenen Substanzverlustes; den ziemlich beträchtlichen Rest der 
Wundfläche überkleidete ich mittelst eines ausgiebigen, nicht allzu dünn abge- 
lösten Thiersch-Lappens, der von der zarten haarlosen Haut an der 
Innenfläche des linken Oberarmes gewonnen worden war. Der Thiersch- 
Lappen erstreckte sich über einen erheblichen Anteil des Alveolarfortsatzes 
und ebenso über die Wundfläche des Vestibulum oris und der oralen Seite 
der Unterlippe. Figur 65a zeigt auch, in welcher Weise eine vorbereitete 
gestanzte Schiene aus Zinnblech mit der aus Guttapercha und Jodoformgaze 
bestehenden Unterlage dem Alveolarfortsatze des Unterkiefers aufliegt. 
Ferner ist auf dieser Figur ersichtlich, daß die Schiene einen gegen die 
orale Seite der rechten Unterlippe aufstrebenden hahnenkammartigen 
Fortsatz besitzt; die der Wundfläche der Unterlippe zusehende, mit Jodo- 
formgaze bedeckte Fläche ist auf Figur 65 b dargestellt. Der Thiersch- 
Lappen wurde auf diese mit Guttapercha und Jodoformgaze montierte und 
mit vielfachen Löchern versehene Schiene ausgebreitet und im Munde durch 
zwei dicke Seidenligaturen befestigt. Die Seidenfäden waren an beiden 
Enden mit starken geraden Nähnadeln, die man durch die Löcher der Zinn- 
schiene und von da durch den Mundhöhlenboden bzw. durch das Vestibulum 
oris durchführte, in der richtigen Lage unverrückbar geknotet. Um einem 
Durchschneiden der mesialen und distalen Ligatur vorzubeugen, dazu diente 
die oberwähnte improvisierte extraorale Schiene, welche auf Figur 65c in 
ihrer Anwendungsweise gezeigt wird. 

In drei anderen Fällen, deren einem die Figuren 66a, b und c ent- 
sprechen, und den auch unter Weichteilplastik in Fig. 39 c abgebildeten Pa- 
tienten Josef C. betreffen, habe ich die — den intraoralen Thiersch- 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 141 


Lappen fixierenden Schienen 14 Tage im Munde belassen; beim Zugsführer 
Anton W.schnitt jedoch der Grat eines der Löcher zum Durchführen der 
Nadel die Seidenligatur schon nach 8 Tagen durch. Ich war infolgedessen 
genötigt, auch die zweite Ligatur mit der Schere zu lösen, die Schiene 
zu entfernen und war im Begriffe, das Schienenpaar neuerlich anzulegen, 
konnte mich aber zu meiner Freude überzeugen, daß der Thiersch-Lappen 


Fig. 65a. Fig. 65c. 





Fig. 65b. 





schon nach diesen 8 Tagen vollkommen festgewachsen war. Belehrt durch 
diesen Zufall, werde ich die beiden Fixationsnähte mit vergoldetem Messing- 
draht besorgen, um nicht Gefahr zu laufen, daß die beiden Schienen allzu 
früh, etwa schon am 3. oder 4. Tage, ihren Zweck verfehlen. Patienten mit 
Thierseh-Lappen im Munde werden gleich allen anderen Kiefer- 
patienten angehalten, außer der täglich mindestens dreimaligen Zahn- 
reinigung mit Zahnbürste und Konservator-Zahnpulver, zweistündliche Aus- 
spülungen mit !/.%iger Wasserstoffsuperoxydlösung vorzunehmen. Er- 





4 


142 Rudolf Weiser. 


freulicherweise zeigen die mit Thiersch-Lappen bedeckten Partien 
gar keine Tendenz, gegen Druck von Seite der Unterkieferprothesen mit 
Decubitus zu reagieren. 


Ankylose der Kiefergelenke. 


Überaus häufige Begleiterscheinungen von Kieferverletzungen sind 
Ankylosen des einen oder des anderen, in manchen Fällen auch von beiden 
Kiefergelenken. Die Behandlung darf keine schablonenmäßige, sondern 
muß naturgemäß eine streng ätiologische und individualisierende sein, 


Fig. 66a. Fig. 66b. 





das heißt, man muß zunächst erheben, ob die Ankylose die Folge von 
entzündlichen Erscheinungen der Umgebung der Gelenke (der Gelenkskapsel, 
der Bänder, der Faszien, des Bindegewebes) ist, ob sie im Muskelapparate 
oder in den Gelenksenden selbst, ob sie im Mechanismus der dislozierten 
Fragmentenden begründet ist, oder ob sie etwa nur in dem Vorhandensein 
von intra- oder extraoralen Narben ihre Ursache hat. Weitaus die häufigsten 
Fälle, welche zur Behandlung kommen, betreffen zum Glück solche, bei 
welchen intra- oder extraorale Narbenstränge die Bewegungsstörung im 
Kiefergelenke bedingen. Der chirurgischen Behandlung dieser letzteren 
Ursachen habe ich ein eigenes Kapitel in diesem Berichte unter dem Titel 
„Intraorale Narben nach Kieferverletzungen“ gewidmet. 


Weitaus die häufigsten und am leichtesten behebbaren Ursachen von 
Ankylose des Kiefergelenkes sind periartikuläre Veränderungen, und zwar 
entweder entzündlicher Natur, durch Blutextravasate, durch Ödeme hervor- 





EL 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 143 


gerufen, oder einfach durch langen Nichtgebrauch des Gelenkes bedingte, 
sogenannte Inaktivitäts-Ankylosen. Dieselben weichen mitunter schon 
nach 1 oder nach 2—3 Wochen der Anwendung des Heisterschen Mund- 
spiegels, der Holzschraube, von Wäschekluppen oder der Anwendung des 
bei uns sehr beliebten Steinkammschen Extensionsapparates (Fig. 67 a 
und b). 


Fig. 66c. 





Ist die Bezahnung eine unzulängliche, sind die Frontzähne gelockert 
oder ist die frontale Zahnreihe durch pathologische Separationen gestört, 
dann ist es mitunter notwendig, über die obere oder die untere Frontzahn- 
reihe, wohl auch über beide gleichzeitig gestanzte oder gegossene all- 
gemeine Schienen zu legen und mittelbar durch die letzteren erst den 
Extensionsapparat nach Steinkamm angreifen zu lassen. 

Eine nur zu oft wahrzunehmende und eine pathologische Veränderung, 
welcher sehr schwer beizukommen ist, besteht in dem Hochgezogensein des 
kleineren distalen Fragmentes des gebrochenen Unterkiefers. Die Wege, 


144 Rudolf Weiser. 


um einen therapeutischen Erfolg hierbei zu erzielen, sind verschieden. 
Leichter sind natürlich jene Fälle zu behandeln, in welchen das distale 
Unterkieferfragment noch mit mehr oder weniger festen Mahlzähnen be- 
wehrt ist, die als Angriffspunkte für eine Richtmaschine dienen. Viel 
schwieriger gestalten sich jene Fälle für die orthopädische Behandlung, in 
welchen das hochgezogene und meist nach innen, mitunter buccalwärts 
verlagerte Bruchende zahnlos ist. Sind die übrigen Teile des Kiefers ge- 
nügend mit verwendbaren Zähnen ausgestattet, so werden eine an die 
letzteren befestigte Pelotte oder ähnliche Apparate in der Regel genügen, 
um, während das große Fragment etwa durch elastische Züge in richtige 
Artikulation mit den Zähnen des Oberkiefers gebracht wird, gleichzeitig 
einen Druck auf das dislozierte zahnlose distale Fragment auszuüben. 
Hierbei dient das auf dem hochgezogenen Fragment sattelförmig aufsitzende 
Ende der Pelotte als kurzer Hebelarm, ein oder zwei wenn nötig durch eine 
aufzementierte Kappe verlängerte Zähne des Oberkiefers als Hypomochlion, 
um welches sich das große Fragment bei seiner durch die elastischen Züge 
bewirkten Bewegung nach aufwärts, rechts oder links dreht und gleich- 
zeitig das distale Fragment nach abwärts drängt. 

Da in sehr vielen Fällen der Druck, welchen der sattelförmige, selbst- 
redend mit Guttapercha und Jodoformgaze zu fütternde kurze Hebelarm auf 
die Schleimhaut des hochgezogenen Fragmentes ausübt, Dekubitus erzeugt, 
häufig auch eine stark entwickelte Linea obliqua oder in anderen Fällen ein 
mächtiges, vielleicht auch ödematös angeschwollenes Fettpolster ein 
sicheres Fassen des kurzen Fragmentes mittelst der Pelotte ausschließt, 
habe ich mir in mehreren Fällen (z. B. beim Kpl. Adolf H. des k.u. k. Inf.- 
Reg. Nr. 42, der bei Schabatz eine fünffache Fraktur des Unterkiefers er- 
litten hatte) mit sehr gutem Erfolge in der Weise geholfen, daß ich nicht 
eine sattelförmige Pelotte, sondern an Stelle derselben den von der Haupt- 
meyer-Schiene des langen Fragmentes ausgehenden Metallbogen am di- 
stalen Ende mit einem rechtwinkelig abgebogenen, etwa 1—1'!/zcm langen 
Spieße versehen habe, welcher, Schleimhaut und Periost durchsetzend, sich 
direkt in den Knochen des distalen Fragmentes einhakte und so in sicherer, 
verläßlicher und, was hierbei wohl die Hauptsache ist, in schmerzloser 
Weise und ohne Dekubitus oder irgend eine andere Reaktion zu erzeugen, 
seine Aufgabe, d.i. das Abwärtedrängen des distalen Fragmentes, klaglos 
besorgte. Ist das lange Fragment der unverwundeten Kieferseite nicht ent- 
sprechend bezahnt, dann läßt sich auf die eben beschriebene Weise das 
orthopädische Redressement des hochgezogenen kurzen Kieferfragmentes 
nicht bewerkstelligen. Der erste Fall, der mich bereits im Sommer 1915 auf 
die Idee brachte, durch einen extraoralen, am Schädel mittelst Kopfkappe 
zu befestigenden Extensionsapparat das in eine — Weichteile und Knochen 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale. 145 


durchsetzende — Drahtschlinge gefaßte kurze Kieferfragment in seine 
anatomisch richtige Lage zu ziehen, war der in Figur 4 abgebildete 
Hynek J., Inf. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 28/2. Infolge der vom Patienten gc- 
wünschten Transferierung in seine Heimat nach Prag (Reservespital Nr. 6, 
Prag-Zizkov) kam mein Plan nicht zur Ausführung. 

Die anfangs 1916 erschienenen Hefte Nr. 4 und 6 der „Gegenwärtigen 
Behandlungswege der Kieferschußverletzungen“ (herausgegeben von Prof. 


Fig. 67a. Fig. 67b. 





Dr. Christoph Bruhn, Wiesbaden, Verlag J. F. Bergmann, 1915) brachten 
dann zur freudigen Überraschung der Fachwelt die nach allen Richtungen 
wohldurchdachte, für die Sonderbedürfnisse der Kieferlazarette von August 
Lindemann modifizierte Codivilla-Steinmannsche Nagel- 
extension. Die ausgezeichneten Erfolge des Düsseldorfer Kieferlazarettes 
und das bei uns vorwaltende Bestreben, wo es irgend angängig ist, die 
langwierigen orthopädischen Methoden durch rasch wirkende und im 
großen ganzen die Widerstandsfähigkeit des Patienten und seine, sowie 
die Geduld des Arztes weit weniger in Anspruch nehmende blutige Eingriffe 


146 Rudolf Weiser. 


zu ersetzen, werden für unsere weiteren Behandlungspläne sicherlich maß- 
gebend sein und uns insbesondere bei Vorbereitungen zu Knochentransplan- 
tationen bewegen, die modifizierte Codivilla-Steinmannsche 
Methode häufig in Anwendung zu bringen. 

Zum Glücke ziemlich selten sind jene Kieferankylosen, in welchen 
die Ursache im Mechanismus der Fragmentenden gelegen ist. Bei der 
Diagnosestellung von 3 bei uns in Behandlung gekommenen derartigen 
Fällen kam ich per exclusionem zu der Annahme, daß sie in diese Gruppe 
von Ankylosen gehören. Die röntgenologische Untersuchung des Lst.-Inf. 
Franz Sv. des k. k. Ldst.-Inf.-Reg. Nr. 57/I nach der Methode unseres 
Röntgenologen Dr.Pordes (Bestrahlung des zu untersuchenden Gelenkes 
durch die Incisura semilunaris des gegenüberliegenden Kieferastes hin- 
durch) zeigte, daß der linke aufsteigende Kieferast in seinem oberen 
Drittel, also etwas unterhalb des Processus condyloides und coronoides 
quer abgebrochen war und daß das Gelenkköpfchen mit dem vorderen 
Dritteil seiner Peripherie auf die Kante des Tuberculum zu sitzen gekom- 
men war, sich somit in Öffnungsstellung des Gelenkes befand. Der mit 
dem horizontalen Aste in Verbindung stehende untere Anteil des aufstei- 
genden Kieferastes stand nicht in einer Geraden mit dem kurzen Frag- 
mente, sondern bildete mit demselben einen nach vorne offenen Winkel 
von beiläufig 140°. Aus diesem Sachverhalte ist es uns sofort klar gewor- 
den, warum die systematisch, gewissenhaft und unter der vertrauensvollen 
Mithilfe des Patienten durchgeführten Extensionsversuche mittelst des 
sonst so prompt wirkenden Steinkammschen Apparates und die Durch- 
trennung intraoraler Narbenstränge ergebnislos geblieben sind. Das Un- 
vermögen, trotz aller Anstrengungen die Zahnreihen weiter als auf eine 
Distanz von 7 mm von einander zu entfernen, erklärte sich eben daraus, 
daß beide Kieferfragmente in der Weise miteinander verwachsen waren. 
daß das kurze periphere Fragment sich in Öffnungs-, das untere große 
Fragment sich in Schlußstellung befand. Zufolge dieser Erkenntnis und 
nach reiflicher Überlegung schritten daher Foramitti und ich zur 
blutigen Freilegung des linken Kiefergelenkes und der oberen Hälfte des 
aufsteigenden Kieferastes. Die Verhältnisse zwischen Gelenkkopf und Ge- 
lenkpfanne erwiesen sich als übereinstimmend mit dem röntgenologischen 
Befunde. Die in einem Winkel von 140° knöchern miteinander verbundenen 
Fragmente zeigten auch flächenhafte Verwachsungen mit 
den Weichteilen. Beim Versuch, dieselben von der schwieligen Unter- 
lage zu mobilisieren und den dislozierten Kieferast zu reponieren, trat eine 
ungewöhnlich starke Blutung auf. Dieselbe konnte der Lage der Verletzung 
und der Stärke nach nur aus der Maxillaris interna stammen. Sie wurde 
entweder beim Loslösen der Fragmente durch das Raspatorium oder durch 


u a 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 147 


einen spitzen Knochensplitter, jedenfalls also durch die operative Mani- 
pulation verletzt. Die Stillung der Blutung am Orte der Verletzung wäre 
ohne weitgehende Entfernung von Knochen nicht durchführbar gewesen; 
mit raschem Entschlusse wurde der gewandte Operateur Herr der gefahr- 
vollen Blutung, indem er die Carotis externa doppelt ligierte. Durch 
diesen ernsten Zwischenfall nicht beeinflußt — führte Foramitti 
seinen weiteren Öperationsplan restlos durch, trennte die in falscher 
Stellung miteinander verwachsenen Frakturenden, gestaltete das Ende 
des langen peripheren Fragmentes konvex und glättete die neugeschaffene 
Gelenkfläche mittelst Messerfräse an der Bohrmaschine. Die Bewegung 
im rechten Kiefergelenke und in der operativ erreichten Nearthrose 
war bei dem in Lokalanästhesie befindlichen Patienten sofort am Schlusse 
der Operation aktiv und passiv bis zu einer Distanz von Acm im Be- 
reiche der mittleren Schneidezähne möglich geworden. Vom Operations- 
tage an konnte Patient normale Kost („vierte Diät“) kauen und war nicht 
bettlägerig. Wundverlauf afebril. Heilung per primam intentionem. Der bis 
dahin äußerst gedrückte Gemütszustand des dankerfüllten Patienten wich 
einer lebensfrohen hofinungsvollen Stimmung. 


Ein zweiter ähnlicher Fall betrifft den Inf. Nikolaus D. des k.u.k. 
Inf.-Reg. Nr. 61/12. Der Patient wurde uns im November 1915 septisch 
und moribund vom südlichen Kriegsschauplatze eingeliefert. Außer an 
einer komplizierten Zertrümmerung des rechten horizontalen Kieferastes 
litt der Schwerverletzte auch noch an beiderseitiger eitriger Mittelohr- 
entzündung und machte während des weiteren Wundverlaufes wiederholte 
Abszeßbildungen in der Nähe des Kiefergelenkes mit Durchbruch des 
Eiters in der rechten Nackengegend hinter dem Musculus sternocleido- 
mastoideus durch. Zuletzt aber überwand er alle Komplikationen und 
erfreute sich am Schlusse der Behandlung einer tadellosen Artikulation 
des aus der Zahnformel 


BETRETEN |.234 


56 
-.43211123456 


TR 
78 


zu beurteilenden natürlichen Kauapparates. Aus der äußerst geringen 
Wirksamkeit des Steinkam m schen Extensionsapparates, ferner aus 
dem Ausbleiben eines nennenswerten Erfolges nach Durchtrennung myo- 
sitischer Narben im rechten Vestibulum oris und aus der Beurteilung 
des röntgenologischen Befundes mußten wir jedoch bei diesem Patienten 
ebenfalls auf eine Verheilung des distalen kurzen und des mesialen langen 
Kieferfragmentes in falscher Stellung schließen. Desungeachtet wurde bei 


148 Rudolf Weiser. 


ihm von der Osteotomie, — d. h. in derartigen Fällen von der operativen 
Anlage einer Nearthrose vorläufig Abstand genommen. — Hierzu 
bestimmte uns die Tatsache, daß der Ernährungszustand des Patienten, 
obwohl er die beiden Zahnreihen im Bereiche der linken seitlichen Schneide- 
zähne nur auf 18 mm entfernen kann, doch ein ganz zufriedenstellender 
ist, und die Möglichkeit, daß in der Umgebung des rechten Kiefergelenkes 
wahrscheinlich noch immer infektiöse Einschlüsse schlummern, zumal die 
Röntgenplatte zahllose Geschoßsplitter im periartikulären Gewebe und im 
Bereiche des aufsteigenden Kieferastes aufweist und nachdem der Patient 
wiederholt nach scheinbarer Dauerheilung wieder an schweren Abszessen 
zu leiden hatte. Der Verlauf eines Redressement forcé oder das Anlegen einer 
beabsichtigten Pseudarthrose, einer Nearthrose könnte hierdurch ungünstig 
. beeinflußt werden. Für den Patienten wird vielmehr eine Prothese zum 
Ersatz seiner verloren gegangenen Zähne der rechten Oberkieferhälfte 
hergestellt und erst, wenn der weitere Verlauf das Anlegen einer Nearthrose 
immer noch indiziert erweisen sollte, wird dieselbe wirklich ausgeführt 
werden. 

Ein dritter Fall betrifft den Patienten Anton B., Inf. im k. u. H.-Inf.- 
Reg. Nr. 2, der teils über ein Jahr anderwärts, teils viele Wochen bei uns 
wegen doppelseitiger, fast totaler Ankylose vergeblich mittelst Extensions- 
apparates behandelt wurde, trotz seines überaus bedauernswerten Zu- 
standes gerade nicht schlecht ernährt ist und sich unbegreiflicherweise 
hartnäckig gegen jeden operativen Eingriff stemmt. 


Osteoplastische Operationen. 


Auf dem Gebiete der osteoplastischen Operationen und insbesondere 
auf dem der Überpflanzung von Knochenstücken, welche dem Schlüsselbeine, 
dem Schienbeine, einer falschen Rippe, einem Mittelhandknochen etwa oder 
dem Kamm der Darmbeinschaufel entnommen sind, an Stelle eines Kiefer- 
defektes, sind unsere Erfahrungen derzeit leider noch recht gering, so daß 
wir uns nicht berechtigt fühlen, in diesem vielumstrittenen Gebiete der 
modernen Chirurgie heute schon ein Wort mitzureden. Wenn wir noch nicht 
oft in die Lage gekommen sind, Knochenplastiken, bzw. Transplantationen 
auszuführen, hat dies seinen Grund erstens in dem kurzen Bestande unseres 
Spezialspitales. Auch fällt der Umstand ganz gewichtig in die Wagschale, 
daß sich ein großer Teil der Patienten weigert, zur Entnahme von Knochen 
aus einem anderen Körperteile zum Zwecke der Transplantation in den 
Kiefer die Einwilligung zu geben, und der Umstand, daß wir in Österreich- 
Ungarn im Dienstreglement keine Handhabe finden, die Patienten zu 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 149 


diesem Schritte zu zwingen. Im Laufe eines Jahres sind wenigstens unter 
frischen Fällen solche, welche für Osteoplastiken bereits reif wären, natur- 
gemäß noch nicht sehr häufig, denn im allgemeinen stellt sich erst nach 
9—12 Monaten heraus, ob noch Hoffnung auf eine spontane Knochenneu- 
bildung bzw. OÖssifikation von Callus vorhanden ist oder nicht. Da wir 
ferner dank unserem Prinzipe, bei länger als 3—4 Wochen bestehenden 
Eiterungen systematisch den Knochenherd aufzudecken und nach der 
Ursache der Verzögerung der glatten Knochenwundheilung zu forschen, 
welchen Vorgang wir eben mit dem Terminus technicus „operative 
Ordnung“ (siehe Kapitel „Operative Ordnung“) bezeichnen, eine relativ 
geringe Anzahl von Pseudarthrosen zu beklagen haben, entfällt wahr- 
scheinlich von Haus aus ein wesentlicher Prozentsatz an Indikationen 
für Osteoplastiken. Außerdem sei nicht verhehlt, daß wir in der Beur- 
teilung von Erfolgen bei Osteoplastiken sehr rigoros vorzugehen pflegen, 
weil wir wissen, daß ein nicht zu unterschätzender Prozentsatz von Fällen, 
die chirurgisch-klinisch aufgefaßt vielleicht schon als vollkommen gelungen 
bezeichnet werden, vom zahnärztlich-kritischen Standpunkte aus betrachtet 
noch nicht als einwandfrei gewertet werden können. Nicht zuletzt muß 
auch der sehr beklagenswerte Übelstand für die noch geringe Anzahl von 
Östeoplastiken in unserer Statistik hervorgehoben werden, daß wir zwar 
überreichlich operatives Material (darunter 50% osteoplastische Fälle) für 
einen täglich, und zwar vor- und nachmittags operierenden Fachchirurgen 
besitzen, jedoch leider nur einen jeden zweiten Vormittag sich uns 
zur Verfügung stellenden Konsiliar-Chirurgen zugeteilt bekommen konnten. 
Wir haben in der Zeit vom 2. November 1915 bis 2. November 1916 erst 20 
knochenplastische Operationen vorgenommen, davon 17 mit positivem, 3 mit 
negativem Erfolge, das sind 15% Mißerfolge. Für die allernächste Zeit sind 
jedoch 37 Fälle, in welchen Knochentransplantationen oder lokale Verschie- 
bungen von Kieferknochen-Muskellappen nicht nur indiziert sind, sondern bei 
welchen auch der Patient in die Operation einwilligt, in Aussicht genommen. 
Es wird Gegenstand einer späteren Publikation sein, unsere diesbezüglichen 
Erfahrungen niederzulegen. 

Im Hinblicke auf die ganz überraschend günstigen Resultate, welche 
der Zahnarzt Linienschiffsarzt der Res. Dr. Hans Pichler, zugeteilt der 
ersten chirurgischen Universitätsklinik des Admiralstabsarztes Hofrates 
Prof. Dr. Freiherrn von Eiselsberg mit der Bestimmung, sämtliche 
dort untergebrachten Kieferverletzungen chirurgisch-zahnärztlich zu be- 
handeln, mit der Anwendung von Kieferknochen-Muskellappen bei den 
von ihm selbst operierten Fällen bei Pseudarthrosen und Kieferdefekten 
erzielte, werden wir dieser Öperationsmethode, mit welcher wir übrigens 
auch dreimal vollkommen einwandfreie Erfolge erzielt haben, in Zukunft 
ein ganz besonderes Augenmerk zuwenden. 


150 Rudolf Weiser. 


OÖsteoplastische 
(+ = Erfolg, 
A. Osteo-periostale Plastiken. 


+ Wenzel H. (Operative Ordnung der jauchenden Weichteil-Knochenwunde: 
Fixieren der Fragmentenden in reponierter Stellung durch eine 
dachrinnenförmige, dem Margo mandibulae angeschraubte Nickel- 
blechschiene, welche drei Monate später als nicht mehr notwendig 
entfernt wurde.) 


-+ Jakob K. 


+ Karl K. (Operative Reposition von dislozierten, lebensfähigen Knochen- 
splittern; Periostnaht.) 


+ Josef S. (Operative Reposition von dislozierten, lebensfähigen Fragmenten ; 
Periostnaht.) | 


+ Josef M. (Pseudarthrose; Exzision interponierten Gewebes; Anfrischen der 
Fragmentenden, Periostnaht, Lexerschiene, letztere später ent- 
fernt.) 


+ Andreas T. 


+- Georg B. (Freilegen des Margo mandibulae. Die im Röntgenbilde noch vor 
einer Woche in einer Flucht gelegenen Frakturenden sind jetzt 
gegeneinander verschoben, so daß das distale Ende tiefer steht 
als das mesiale. Ein Teil der freigelegten Splitter ist lose und 
wird gleich dem impaktierten Weisheitszahn entfernt. Ein großer 
Splitter erweist sich als lebend und mit einem zur Ernährung 
ausreichenden Weichteilstiele ausgestattet. Die durch teilweise 
Resorption abgerundeten Enden der großen Fragmente werden 
angefrischt und der oben beschriebene, gut ernährte, lebende 
Knochensplitter in den Knachendefekt kunstgerecht eingelagert 
und in seiner Lage durch eine rinnenförmige Nickelblechschiene 
[nach Weiser] befestigt. Die Schiene ist entsprechend der Mitte 
des Horizontalastes, dem Angulus und dem untersten Drittel des 
aufsteigenden Astes abgeknickt und an ihren Enden mittels 
Schrauben an den Margo mandibulae, bzw. den aufsteigenden 
Kieferast angeschraubt. Die Bruchstücke erscheinen auf diese 
Weise vollkommen fixiert, die abnorme Beweglichkeit bei intra- 
oraler Untersuchung aufgehoben. Oberflächliche Naht, Jodoform- 
gazedrainage, Lokalanästhesie. Vier Monate nach der Operation 
konnte die Schiene entfernt werden; Fraktur knöchern ausgeheilt, 
Patient frontdiensttauglich entlassen.) 


Peter W. noch in Behandlung. (Splitterherd in der Mitte der vom Unterkiefer 
allein zurückgebliebenen linken Unterkieferhälfte. Entfernen von 
zwei Sequestern; Abtragen von die Weichteile insultierenden Kno- 
chenspitzen; Adaptierung der geordneten Sägeflächen durch Catgut- 
Periostnähte. Resultierende Verkürzung der linken Unterkiefer- 
hälfte um 1!/. cm spielt keine Rolle, da sie zahnlos ist.) 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 151 


Operationen. 
— = Mißerfolg.) 
B. Transplantationen. 


a) Kieferknochen-Muskellappen. 


4- Marton Sz. Kieferknochen-Muskellappen. 

=- Ferencz M. Kieferknochen-Muskellappen. 

-+ Sándor B. (Bildung eines Kieferknochen - Muskellappens aus dem peri- 
pheren Unterkieferfragmente. Esser trieb nach seiner Me- 
thode einen vernickelten Drahtstift zur Verbindung des rechten 
horizontalen Unterkieferastes mit dem zahnlosen aufsteigenden 
Aste. Anbinden des Kieferknochen-Muskellappens- an dem zwi- 
schen den Fragmentenden freiliegenden 21/s cm langen Teile des 
Stiftes und Vernähen des Periostendes des Transplantates mit 
dem Perioste der die Pseudarthrose begrenzenden angefrischten 
Frakturenden mit Catgutfäden. Der Drahtstift wurde reaktionslos 
vertragen, erzeugte aber in seiner Umgebung einerseits starke 
Resorption, andererseits hat er lebhafte Callusbildung erregt. 
Lokale Anästhesie.) 


b) Freie Knochentransplantation. 


-*- Gabor K. (rechter Hüftkamm). 

= Anton J. (rechter Hüftkamm). 

-+ Karl T.-H. (rechter Hüftkamm). 

-— Franz J. (rechter Hüftkamm). (Als Ursache des Mißlingens ergab sich das 
erst während der Operation entdeckte Bestehen einer von der 
Wurzel des f4 ausgehenden Zahnfistel. Dieser Fall veranlaßte mich, 
den mir zugeteilten Hilfsärzten aufs Neue einzuschärfen, daß vor 
Ausführung einer osteoplastischen Operation alle eine Pseudar- 
throse oder einen Kieferdefekt begrenzenden Zähne oder Wurzeln 
auf ihre Vitalität zu prüfen, im Falle der Entdeckung abge- 
storbener Pulpen die in Betracht kommenden Zähne zu trepanieren 
und die Wurzelkanäle antiseptisch zu füllen, oder nötigenfalls die 
abgestorbenen Zähne oder Wurzeln zu extrahieren sind.) 

— Gyula F. (rechter Hüftkamm). 

Latif Z. (linker Hüftkamm). 

Lt. Walter H. (rechter Hüftkamm). 

-- Emmerich K. (linke Clavicula). 

— Johann S. (linke Tibia). 


oOo] 
-p -H 


assau a nn an ER 3 


152 Rudolf Weiser. 


Speichelfisteln. 


Gleich eingangs will ich bemerken, daß ich unter obiger Bezeichnung 
nur solche Fisteln verstanden haben möchte und hier zur Sprache bringe, 
welche direkt von einer Speicheldrüse zu einer Öffnung in der äußeren 
Gresichtshaut führen, dagegen jene mitunter auch als Speichelfisteln bezeich- 
neten, nur mit der Mundhöhle in direktem Zusammenhang stehenden 
Öffnungen, welche lediglich Überbleibsel größerer Weichteildefekte in den 
unteren. Gexichtspartien darstellen, nicht in Betracht ziehen will. An 
solchen echten Speichelfisteln, welche namentlich während des Essens reich- 
lich sezernierten und insbesondere durch die Durchnässung des Hemdkragens 
ganz erheblich belästigten, so daß die Patienten vom Arzte dringend Abhilfe 
verlangten, sind uns im Laufe eines Jahres 9 Fälle vorgekommen; 5 davon 
sind operativ behandelt worden, die anderen 4 habe ich einfach durch Ver- 
schorfung mit dem Thermokauter dauernd zum Verschwinden gebracht. Von 
den 5 operativ angegangenen möchte ich den Fall Nr. 5 für sich besprechen. 
Er betraf den Feldwebel Leopold N. des k. u. k. Lir. Nr. 1/M. G. A., bei dem 
ich eine in der Mitte der Wange mündende Fistel der Ohrspeicheldrüse zu- 
erst kauterisiert habe. Da nach einigen Wochen die Fistel wieder rezidi- 
vierte, habe ich die sie umgebende narbige Partie der äußeren Haut um- 
schnitten, die Fistel bis an die Mundschleimhaut verfolgt, sodann eine tiefe 
Muskelnaht ausgeführt, die vernähte Muskulatur mit mobilisierten Fett- 
lappen aus der Umgebung bedeckt und zum Schlusse die Epidermis mit dicht- 
gestellten feinen Seidennähten verschlossen. Nach diesem Eingriffe blieb der 
Patient rezidivfrei. 


Interessant war die von Esser bei dem Patienten Anton I., Inf. 
im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 98/3, ausgeführte Operation. Die Krankengeschichte 
besagt: Operation am 11. Mai 1916. Umschneidung des trichterförmigen 
äußeren Fistelmaules, tabakbeutelähnliche Einstülpung desselben und 
Fixierung in dieser Lage durch Catgutnähte, so daß ein hautwärts verschlos- 
sener Sack entsteht, wobei anzunehmen ist, daß der Speichelfistelgang 
irgendwo mit dem normalen Ausführungsgange der Speicheldrüse kommuni- 
ziert und nunmehr in den letzteren allein sich entleert. Plastische Deckung 
der äußeren Hautwunde. So ingeniös diese Operation durchdacht war, 
trat doch im Verlaufe von 3 Monaten die Speichelfistel neuerlich auf und 
veranlaßte mich, in der ersten Hälfte September die Fistel mit dem Thermo- 
kauter zu verschorfen, worauf der Patient von der Speichelfistel dauernd 
geheilt blieb. 


Auch in den auf der unten ausgewiesenen Tabelle angeführten 
Fällen 1 und 2 handelte es sich um plastische Behebung größerer Defekte 


Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 153 
in der Muskulatur der rechten Wange und den gleichzeitigen Bestand 
einer Parotisfistel. In beiden Fällen wurde die äußere Hälfte des Fistel- 
ganges exzidiert und der Verschluß der inneren Hälfte durch Deckung mit 
Muskulatur und Fettgewebe angestrebt; letzteres wurde auch in dem 
Falle 2 Foramittis erreicht, während in dem Falle 1 ein Rezidiv 
der operierten Fistel nach einmaliger Verschorfung mit dem Thermo- 
kauter dauernd behoben wurde. 


Im Falle 3 korrigierte Foramitti eine sich über die ganze 
rechte Wange erstreckende, die Muskelfunktion erheblich störende Narbe, 
füllte die durch den Weichteildefekt bedingte Grube in der rechten Wange 
durch Verlagerung der vorderen Hälfte des Sternocleido-mastoideus, 
also mit aktivem Muskelgewebe aus, suchte den Speichelgang auf und trach- 
tete die Speichelfistel, welche in der Mitte der Narbe gemündet hatte, durch 
Exzision der äußeren Hälfte und durch Überdeckung des Restes mit Musku- 
latur und Fettgewebe aus der Umgebung zum Verschluß zu bringen. Nach 
daran sich schließender Korrektur des mit der Narbe verwachsenen rechten 
Ohrläppchens war der kosmetische Erfolg in diesem Falle ein äußerst zu- 
friedenstellender. Nach beendigter Wundheilung stellte sich jedoch die Spei- 
chelfistel wieder ein. Sie verschwand aber dauernd, nachdem ich sie ein 
einziges Mal mit Pacquelin kauterisiert hatte. 























Nach- 


Behandeinder 
Arzt behandlung 


Patient | Tberapie 











Rezidiv 


1.| Adolf K., Inf. im Esser Operativ Thermo- | Dauernd 
k. u. k. I.-R. 12/2 kauter | geheilt 
2.| Janko D., Inf. im || Foramitti | Operativ | Dauernd — — 
b.-h. I.-R. 2/2 i geheilt 
3.| Josef C., Zgsf. im || Foramitti | Operativ | Rezidiv | Thermo- | Dauernd 
k. u. k. I.-R. 76 kauter | geheilt 
4.| Anton L., Inf. im Esser Operativ | Rezidiv | Thermo- | Dauernd 
k. u. k. I.-R. 98/3. kauter | geheilt 
5. | Leopold N., Fldw.im!|| Weiser | Thermo- | Rezidiv | Operativ | Dauernd 
k. k. Lir. 1/M.-G.-A. kauter geheilt 
6. | Savan B., Inf. im Weiser | Thermo- | Dauernd 
b.-h. 1.-R. 2/3 kauter | geheilt 
7. | Alexander L., Inf.im|| Weiser | Thermo- | Dauernd 
k. u. k. I.-R. 43/6 kauter | geheilt 
8. | Josef P., Honv. im | Weiser | Thermo- | Dauernd 
k. u. H.-L-R. 12/11 kauter | geheilt 
9.| Franz V., Inf. im Weiser | Thermo- | Dauernd 
k. k. Lir. 24/4 kauter | geheilt 











154 Rudolf Weiser. 


Die vorstehende, aus dem Verlauf dieser Fälle zusammengestellte 
Liste scheint uns dahin zu belehren, daß die Behandlung von Speichelfisteln 
mit dem 'Thermokauter der operativen Therapie mindestens die Wagschale 
hält und in allen geeigneten Fällen als erstes therapeutisches Mittel zu ver- 
suchen wäre. 


Exostosen im Gefolge von Kieferverletzungen. 


Ganz abgesehen von unregelmäßigen, allen erdenklichen Zufällig- 
keiten ihren Ursprung verdankenden Knochenvorsprüngen, welche als Folge- 
zustände nach Kieferverletzungen aufgetreten sein können, möchte ich hier 
zweier ganz gleichartiger Fälle von Exostosen an der Spina mentalis interna 
Erwähnung tun, die etwa 2cm nach rückwärts in die Muskulatur des Mund- 
höhlenbodens ragten und deren Entfernung von den Patienten dringlich 
begehrt wurde, weil sie ihnen Schmerzen beim Schlucken und bei den Kau- 
bewegungen verursachten. Sowohl in dem von Foramitti am 24. Juni 
1916 operativ behandelten Falle Rudolf M. (Inf. im k. u. k. Inf.-Reg. 
Nr. 84/14), als auch in dem von mir operativ behandelten Falle Stephan M. 
(Inf. im k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 8/13), den ich der Empfehlung O p pen- 
heims verdanke, schwanden die Beschwerden prompt nach Abmeißelung 
der Exostose und Vernähen der Sehnen des M. genio-hyoideus und M. genio- 
glossus mit dem Periost des Unterkiefers. 


Steckschüsse. 


Aus den vielen Fällen von Steckschüssen, über deren Zahl und 
Lokalisation die statistischen Aufzeichnungen unseres Sekundarius Doktor 
S.Schaar in diesem Berichte Aufschluß geben, will ich einiges Be- 
merkenswertere hervorheben. 

Im Falle Franz D. (Jäger im Tiroler Kaiser-Jäger-Reg. Nr. 4) de 
durch die Heiserkeit, die Atmungsbeschwerden und die laryngologische 
Untersuchung, sowie durch Röntgenaufnahme der Sitz einer Spitzkugel in 
dem vom rechten Schildknorpel und oberen Zungenbeinhorne umschriebe- 
nen Raume, knapp nach hinten und unten von der Teilungsstelle 
der Karotis konstatiert. Foramitti markierte sich den direkt zum 
Fremdkörper führenden, mittels Röntgendurchleuchtung ermittelten 
Weg mit steriler Tuschinjektion. Nach lokaler Anästhesierung spaltete 
unser Konsiliarchirürg mittels eines Bogenschnittes Haut und Platysma 
des rechten oberen Halsdreieckes, legte die Teilungsstelle der Karotis präpa- 
ratorisch frei, umging stumpf die Gefäße und tastete sich längs der leitenden 
Tuschmarke bis zum Fremdkörper durch. Die Extraktion des Geschosses 





Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit im Kieferspitale 155 


gelang glatt, die durchtrennten Weichteile wurden schichtweise genäht 
und nach Anlegen eines Verbandes konnte der Patient weiterhin der zahn- 
ärztlichen Behandlung seines frakturierten Unterkiefers überantwortet 
werden. 

In dem Falle Johann H. (Jäger des Feldjäger-Baons. Nr.9) gelang es 
mir nach Behebung einer die Operation im Anfange unmöglich machenden 
Ankylose mittelst des Steinkammschen Extensionsapparates, am 
28. März 1916 den im linken Arcus palatoglossus sitzenden deformierten 
Mantel eines Geschosses in lokaler Anästhesie zu entfernen. 

Beim Inf. Georg B. (k.u.k. Inf.-Reg. Nr. 6/6) blieb eine Schrapnell- 
kugel, nachdem sie den horizontalen Kieferast zertrümmert hatte, in der 
Fossa supraclavicularis sinistra, in dem dreieckigen Raume zwischen dem 
hinteren Rande des Scalenus medius und dem Plexus brachialis stecken. 
Nach Freilegung des tief unter der Faszie liegenden Geschosses und 
Beiseiteschieben der Arteria transversa colli gelang es Foramitti, das 
Geschoß mittels Zange zu entfernen. 

In einem ganz ähnlichen Falle hatte sich eine Spitzkugel nach Zer- 
trümmerung des rechten horizontalen Kieferastes im rechten äußeren 
Halsdreiecke in der halben Höhe des hinteren Sternocleido-Mastoideus- 
Randes festgesetzt. Unter Anwendung von lokaler Anästhesie präparierte 
ich schichtweise Platysma myoides und die Gefäßscheiden hinter dem 
Sternocleido-mastoideus ab, spaltete den Muskelbauch des Musculus scalenus 
medius und fand unterhalb desselben das Geschoß in einer mit getrübtem 
Serum gefüllten Gewebshöhle eingelagert. Arteria transversa colli und 
Nervus accessorius fielen nicht in den Schnitt. Die Vena jugularis externa 
wurde doppelt unterbunden. Anwendung von Etagennähten und Einführen 
eines Jodoformgazestreifens in die Höhle, in welcher das Geschoß gebet- 
tet war. 


Schließung einer Magenfistel. 


Trotz des fast konstanten Überbelages unseres Spitales und des allzu 
häufigen Eintreffens Schwerverwundeter besonders vom südwestlichen 
Kriegsschauplatze sind wir bisher noch in keinem Falle genötigt gewesen, 
Kieferverletzte durch eine Magenfistel künstlich zu ernähren. Dagegen war 
es nach Eröffnung des Spitales eine der ersten Aufgaben für unseren Kon- 
siliar-Chirurgen, den Patienten Ferencz M., den wir in diesem Berichte 
unter den mit vollem Erfolge osteoplastisch Operierten aufgezählt haben, 
von seiner Magenfistel zu befreien, welche ihm wenige Tage nach seiner 
Verletzung in Krakau zum Zwecke der künstlichen Ernährung angelest 
werden mußte. | 


156 Referate und Bücherbesprechungen. 


Ich habe zu Beginn meines Berichtes in geziemender Dankbarkeit 
des Schöpfers, des Kommandanten und der Förderer unseres Kieferspitales 
gedacht. Nun erachte ich es aber auch als meine angenehme Pflicht, am 
Schlusse meiner Abhandlung in gebührender Weise hervorzuheben, mit 
welcher fachlichen Begeisterung, mit welchem Pflichteifer und welch voller 
Hingebung an ihren erhabenen Beruf die mir als Sekundarärzte zugeteilten 
Kollegen und Kameraden jederzeit mit Anspannung all ihrer physischen 
Kraft und ihres Scharfsinnes an die Lösung der an sie gestellten Aufgaben 
herangetreten sind. Ich darf auch nicht unterlassen, ausdrücklich zu be- 
tonen, mit welchem Stolze es die an unser zahntechnisches Laboratorium 
kommandierten Hilfskräfte jederzeit erfüllte, ihre Kunstfertigkeit in den 
Samariterdienst stellen zu dürfen, mit welch regem Interesse sie sich in ein 
für sie bis dahin fremdes Gebiet der Technologie führen ließen, und ich 
darf nicht vergessen, darauf hinzuweisen, mit welcher Opferfreudigkeit, 
Unverdrossenheit, mit welch regem Pflicht- und Mitgefühl die dem Spitale 
zugeteilten Schwestern die ihnen anvertrauten Kriegsverwundeten betreut 
haben. Wenn es den leitenden Ärzten gelungen ist, bemerkenswerte Re- 
sultate zu erzielen, so verdanken sie dies nicht minder der tatkräftigen 
Unterstützung durch ihren Stab von Hilfskräften, als ihrem eigenen Können 
und Wollen. 


Referate und Bücherbesprechungen. 





Die Beziehung zwischen Reptilien-, Beutler- und Plazentaliergebiß. Von 
Br A: k, Amsterdam. Zeitschr. für Morphologie und Anthropologie, 


Die Grundanschauungen Bolks über die Beziehungen des Säuger- 
gebisses zu dem der Reptilien — seine Dimertheorie — lassen sich vielleicht 
am einfachsten darstellen, wenn wir zwei Fragen beantworten, die die Haupt- 
differenzen der beiden Gebisse zum Gegenstand haben. Die erste Frage würde 
lauten: Wie verhält sich der Zahnwechsel der Säuger zu dem der Reptilien ? 
Die zweite: Wie ist der komplizierte Säugerzahn aus dem einfachen Kegel- 
zahn der Reptilien entstanden ? Die erste Frage beantwortet Bolk in fol- 
gender Weise. Die Anlage des Reptiliengebisses bilden zwei Reihen von 
Zahnmatrizes, eine äußere (Exostichos) und eine innere (Endostichos), 
deren Glieder alternieren. Auch die ersten aus dieser Matrizes hervorgehen- 
den Zähnchen sind zunächst distichisch (in zwei Reihen) angeordnet, beim 
Durchbruch jedoch schieben sich die Zähne des Endostichos zwischen jene 
des Exostichos ein und funktionieren gleichzeitig mit ihnen (hamastichisch). 
Jede Matrix produziert aber nicht nur einen Zahn, sondern auch dessen Er- 
satzzähne, die zusammen gleichsam die Glieder einer „Zahnfamilie“ 
bilden (merobolischer Zahnwechsel). Bei den Säugern ist die Anlage des 
Gebisses auch distichisch, also zweireihig. Aber die Zähne des Endostichos 





Referate und Bücherbesprechungen. 157 


haben nicht mehr die Aufgabe, sich zwischen die des Exostichos einschiebend 
mit ihnen gleichzeitig zu funktionieren, sondern sie erfahren (viel- 
leicht wegen der Kieferverkürzung) eine Entwicklungsverzögerung und ver- 
drängen bei ihrem Erscheinen die Zähne des Exostichos. Die exostichale 
Reihe ist so zum Milchgebiß, die endostichale zum Ersatzgebiß geworden. 
Aus der Hamastichie (dem gleichzeitigen Funktionieren der Reihen) ist die 
Choristichie (das gesonderte Funktionieren der Reihen) geworden, der 
Zahnwechsel ist nicht mehr merobolisch sondern stichobolisch (Reihen- 
wechsel). Denn — und das bildet gleichzeitig die Beantwortung der zweiten 
Frage nach der Formkomplikation des Säugerzahnes — die Matrix des Säu- 
gers produziert nicht mehr eine ganze Zahnfamilie, sondern sie erschöpft sich 
gleichsam in der Produktion eines Zahnes, allerdings eines hochkomplizier- 
ten, denn die Potenz der Zahnmatrix, mehr zu bilden, als einen einfachen 
Kegelzahn, ist erhalten geblieben und funktionelle Reize vermögen es, diese 
Fotenzen zu erwecken. Die Anschauung, daß die Zahnmatrix, die bei den 
Reptilien eine Folge vun einfachen Zähnen bildet, beim Säuger 
eineu komplizierten Zahn hervorbringt, dadurch, daß das in ihr 
enthaltene Keimmaterial mit der Potenz der sukzessiven Bildung einer gan- 
zen Zahnfamilie konzentriert bleibt, ist die Bolksche Fassung der 
Konkreszenztheorie. 

Das eigentümliche Gebiß der Beutler mußte natürlich im Hinblick auf 
diese neue Theorie erhöhte Aufmerksamkeit erwecken. Es war ja seit langenı 
vor allem deshalb ein Gegenstand lebhafter Diskussion, weil nur ein Zahn, 
der dritte Prämolar, gewechselt wird. Deshalb versucht auch B o l k zunächst 
die Frage nach der Zugehörigkeit des funktionierenden Gebisses zu beant- 
worten. Zu diesem Zwecke greift er nochmals zurück zur Beschreibung der 
jungen Zahnanlagen der Reptilien. Die Zähne des Endo- und Exostichos 
zeigen neben ihren topographischen Charakteristika noch eine besondere 
Eigentünlichkeit in ihrem Verhalten zur Zahnleiste. Während nämlich die 
endostichalen Zahnanlagen am freien Ende der Zahnleiste selbst entstehen 
— terminal —, liegt die papilläre Einstülpung der exostichalen Anlagen an 
der Außen fläche der Zahnleiste — parietal. Dadurch ist, allerdings nur 
bei jungen Embryonen, jede exostichale Anlage daran zu erkennen, daß an 
ihrer Innenseite ein freies Zahnleistenende zu finden ist, während ein 
solches der endostichalen fehlt. Bolk findet bei Reptilien dieses Verhalten 
so konstant, daß er daraus die Umkehrbarkeit dieses Satzes folgert: Eine 
Zahnanlage, neben welcher ein freies Zahnleistenende gefunden wird, gehört 
dem Exostichos an. Allerdings gilt auch dieser Satz nur für junge Stadien. 

B o l k untersuchte nun Embryonen von Parameles, um festzustellen, ob 
das Beutlergebiß eine distichische Anlage überhaupt zeigt und welcher der 
beiden Reihen das funktionierende Gebiß zugehört. Mit Hilfe des früher 
erwähnten Charakteristikon der exostichalen Zähne (freies Zahnleistenende) 
zeigt nun Bolk, daß die Zähne von Perameles beiden Reihen ange- 
hören. Wenn auch die bekannten rudimentären Anlagen mitgezählt werden, 
ergeben sich (mit Ausnahme einer Stelle) zwei vollständige alternierende 
Reihen. Noch aber schieben sich hier, wie bei Reptilien, die Zähne des Endo- 
stichos beim Durchbruch zwischen die exostichalen, wobei allerdings die 
Regelmäßigkeit durch das Rudimentärwerden einzelner Anlagen (different 
im Ober- und Unterkiefer) gestört ist. Das funktionierende Beutlergebiß ist 
also ein hamastichisches, das heißt seine Elemente gehören beiden Reihen 


158 Referate und Bücherbesprechungen. 


an, dem Endo- und Exostichos, oder um in der geläufigeren Nomenklatur zu 
sprechen, dem Milch- und Ersatzgebiß. Nur ein Zahn, nämlich der endosti- 
chale Pa verdrängt bei seinem verspäteten Durchbruch den exostichalen 
P». So bildet das Gebiß der Beutler einen Übergang zwischen Reptilien- 
und Plazentaliergebiß dadurch, daß hier an einer Stelle der stichobole 
Zahnwechsel auftritt. | | 

Die so vielfach bekämpfte Theorie Bolks scheint also für die so oft 
diskutierte Auffassung des Beutlergebisses eine einfache Klärung zu bringen. 
Doch ist gewiß die allgemeine Gültigkeit des Ausspruches von Bolk, daß 
das freie Zahnleistenende die Zähne des Exostichos charakterisiere, noch 
nicht einwandfrei erwiesen. Es werden wohl noch eingehende Nachprüfungen 
am Säuger- und Reptiliengebiß nötig sein, um volle Klarheit zu schaffen. 
Gerade aber, weil der Grundgedanke der Bolkschen Theorie eine viel 
einheitlichere Auffassung der Zahnentwicklung ermöglicht, als andere Theo- 
rien, wird man mit Interesse die weiteren Mitteilungen Bolks über das 
Beutlergebiß und vor allem eine von ihm angekündigte Arbeit eines seiner 
Schüler erwarten, die eine ins Detail gehende Untersuchung der Zahnent- 
wicklung der Reptilien bringen soll. Sicher. 





Über schädigende Momente bei Ursnoplastik und deren Ausschaltung durch 
Schröders Okklusivprothese. Von Eugen Lickteig. Zeitschr. f. Mund- 
u. Kieferchir. u. Grenzgeb., II. Bd., 3. H. J. Bergmann, Wiesbaden 1917. 


Während in Friedenszeiten fast nur angeborene Spaltbildungen des 
Gaumens Gegenstand einer chirurgischen Behandlung bildeten, haben die 
vielen traumatischen Perforationen des harten und weichen Gaumens im 
Verlaufe des Krieges ein reichhaltiges Behandlungs- und Beobachtungs- 
material ergeben. Die Schwierigkeiten einer operativen Beseitigung von 
Gaumendefekten beruhen einerseits auf den anatomischen Verhältnissen 
(Begrenztheit des Materials) und andrerseits auf den Schädlichkeiten, welche 
sich aus den physiologischen Funktionen der Mundhöhle ergeben. 

Während die anatomischen Schwierigkeiten durch die v. Langen- 
becksche Operationsmethode und deren Modifikationen behoben sind, 
bildet die Unmöglichkeit, die Mundhöhle außer Funktion zu setzen, ein 
noch immer nicht ganz beseitigtes Gefahrenmoment. Die mechanische und 
chemische Reizung der Wundränder beim Kauakt bietet ebenfalls eine 
Hauptschädlichkeit. Liekteig weist nach, daß in den verschiedenen 
und rasch wechselnden Luftdruckzuständen in der Mund- und Nasenhöhle 
die größte Gefährdung der Naht besteht. Durch eine sinnreiche Ver- 
suchsanordnung gelang es Lickteig, die verschiedenen positiven und 
negativen Druckschwankungen in der Mund- und Nasenhöhle direkt zu 
messen. Die Versuche ergaben, daß gewaltsame Ex- und Inspirationsfunk- 
tionen in stoßweiser Form, wie Schneuzen, Niesen und Schnupfen, die gröh- 
ten Luftdrucksteigerungen hervorrufen. Auch Saugen und Schlucken (selbst 
das sogenannte Leerschlucken) verursachen ziemliche Drucksteigerung. 
Nasenspülungen, die Nies- und Schluckreflexe auslösen, sind daher nach 
der Operation kontraindiziert. 

Lickteig verwendet bei allen seinen Fällen die von Schröder 
im Jahre 1911 in seinem Handbuche der zahnärztlich-chirurgischen Ver- 
bände und Prothesen beschriebene Okklusivprothese, welche aus einer 
l mm starken, den harten Gaumen und die vorhandenen Zähne überkappen- 
den Zelluloidplatte besteht. Die Prothese wird mit Gaze unterpolstert und. 





Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 159 


hält das Wundgebiet von der Mundhöhle abgeschlossen, wodurch die Gra- 
nulationsbildung im günstigsten Sinne beeinflußt wird. Auch die Gefahr, 
die durch die Luftdruckschwankungen zwischen Mund- und Nasenhöhle be- 
steht, wird durch die Anwendung der Prothese ausgeschaltet. Zum Schlusse 
weist Lickteig an einer Reihe von Krankengeschichten den ungestörten 
Heilungsverlauf einer Anzahl von ihm durchgeführter Uranoplastiken nach. 
Kriegszahnklinik, Juli 1917. | Zilz. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 





Leitsätze zur Beurteilung ärztlicher Wanderpraxis.') 


Mit dem Erlasse vom 23. Mai 1914, Z. S-900, wurden die politischen 
Behörden I. Instanz von einer anläßlich eines speziellen Falles in Angelegen- 
heit der Ausübung ärztlicher Praxis im Umherziehen erflossenen Ministerial- 
Entscheidung zur eigenen Information in Kenntnis gesetzt. 

Im Nachhange zu diesem h. o. Erlasse werden nunmehr gemäß Mini- 
sterial-Erlasses vom.1. August 1917, Z. 3204/S ex 1915 aus einem im Gegen- 
stande unterm 27. Februar 1915, Z. 420/VGH. gefällten Erkenntnisse des 
k.k. Verwaltungsgerichtshofes folgende Leitsätze zur Kenntnis und Dar- 
nachachtung gebracht: 

1. Ais Niederlassung eines Arztes ist die dauernde Stätte anzusehen, 
an der oder von der aus er regelmäßig seiner Berufs- und Erwerbstätigkeit 
nachgeht. | | 
l 2. Eine ärztliche Praxis, die ohne feste Niederlassung lediglich im 
Umherziehen ausgeübt wird, ist grundsätzlich ausgeschlossen. 

3. Auch in jenen Fällen, in welchen die Praxis ausnahmsweise außer- 
halb des Ortes des ständigen Wohnsitzes ausgeübt wird, hat — von der 
Berufung in einzelnen Fällen abgesehen — ein, wenn auch nur vorüber- 
gehender, abeı doch relativ stabiler Aufenthalt (Niederlassung) die Voraus- 
setzung der Ausübung dieser Praxis zu bilden, mit anderen Worten: die 
Ausübung der ärztlichen Praxis an einem Orte setzt eine, wenn auch nur 
vorübergehende, so doch relativ stabile Niederlassung voraus. 

4. Die Anzeige über die Ausübung der Praxis hat sich auf alle jene 
örtlichen und zeitlichen Daten zu erstrecken, die zur Beurteilung der not- 
wendigen Voraussetzung, ob es sich um eine stabile oder doch wenigstens 
um eine relativ stabile Niederlassung handelt, erforderlich sind. 

Die Anzeige verfolgt nicht nur den Zweck, die zuständige Sanitäts- 
behörde in die Lage zu setzen, das Vorhandensein der Voraussetzungen zu 
prüfen, unter denen dem Anzeiger das Recht auf Ausübung der ärztlichen 
Praxis zusteht, sondern auch den weiteren Zweck, dieser Behörde die Er- 


1) Rurderlaß der K. k. n.-ö. Statthalterei vom 3. September 1917. Z.S-1349/13 
(M. A.X, 8445.) 


160 | | Kleine Mitteilungen. 


füllung der ihr nach § 2 des Reichs-Sanitätsgesetzes obliegenden Pflicht zur 
Überwachung dieser Praxis zu ermöglichen. 

Selbst die Annahme einer ordnungsmäßigen Anzeige, betreffend die 
Ausübung einer ärztlichen Praxis, bietet keinerlei Freipaß für eine gesetz- 
widrige Form der Ausübung der Praxis. 

Hienach wird es zwar statthaft sein, daß ein Arzt außerhalb seines 
ständigen Wohnsitzes an im vorhinein periodisch genau bestimmten Tagen 
und Orten die ärztliche Praxis ausübt — zum Beispiel jeden Montag im 
Gasthofe X im Orte Z —, denn in diesem Falle kann bei dem Umstande, 
als hier dje Periodizität das Moment der relativen Stabilität der Nieder- 
lassung begründet, von einer relativ stabilen Niederlassung gesprochen 
werden; unstatthaft wäre es aber — außer in den Fällen der sogenannten 
Saisonpraxis, die ein vorübergehendes Aufgeben der ständigen Praxis im 
Domizile bedingt — unter Beibehaltung des ständigen Wohnsitzes lediglich 
für kurze Zeit außerhalb desselben die ärztliche Praxis auszuüben, weil in 
diesem Falle von keinerlei Stabilität der zweiten Niederlassung gesprochen 
werden kann und ein derartiger Vorgang alle Kriterien der unerlaubten 
Wanderpraxie in sich schließt. 

Anzeigen über die Ausübung der ärztlichen Praxis, aus deren Wort- 
laut sich schon ergibt, daß es sich um eine unzulässige Praxis im oben 
angedeuteten Sinne handelt, oder die von Ärzten erstattet werden, die sich 
erwiesenermaßen mit einer solchen Wanderpraxis befassen, werden nicht 
zur Kenntnis zu nehmen sein, wie es überhaupt in jedem speziellen Falle 
Sache der politischen Behörden I. Instanz sein wird, zu prüfen, ob es sich 
unter Zugrundelegung dieser Leitsätze um eine Praxisausübung von einer 
stabilen oder doch wenigstens von einer relativ stabilen Niederlassung 
aus handelt. 


Kleine Mitteilungen. 





(Zahnärztliches Institut der Wiener Universität.) Mit der Supplierung 
des zahnärztlichen Univ.-Instituts wurde Doz. Dr. Bruno Klein betraut. 

(Verlegung der Kriegszahnklinik der IV. Armee nach Wien.) Die 
Kriegszahnklinik der IV. Armee wurde von Lublin nach Wien verlegt. 
Dieselbe wurde in den Räumen des Reservespitals Nr. 17 untergebracht 
und mit diesem Spital unter dem Kommando des Oberstabsarztes Dozenten 
Dr. Juljan Zilz vereinigt. 


— — 4 pee — 
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Drick von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, II., Münryasse 6. 


mn rn De TEE 





Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


Organ fr, ds wissenschaflichen Zahnärzte Österreichs. 


Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnlirzte, 


XVI. Jahrgang. Juni 1918. 6. Heft.. 








Nachdruck verboten. 


Original-Arbeiten. 





Aus der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitals der: Wiener 
allgemeinen Poliklinik 
(Vorstand: Oberstabsarzt Prof. Dr.v. Wunschhei N 


Über Lochschußfrakturen des Unterkiefers. 


(Der Lochschuß als Ausgangspunkt für die ty KI tarih Unterkiefer- 
perforationsfrakturen durch rasante Projektile.) 


Von Dr. Viktor Frey, Wien. 


(Mit 11 Figuren.) 


Unter Lochschußfraktur versteht man einen dem Durchmesser des 
Projektils entsprechenden Defekt im Knochen -bei erhaltener Kontinuität 
des letzteren. 

Was das Vorkommen der Teditalhiren anbetrifft, so sind es nach 
Öettingen!) zumeist die platten Knochen, in denen Lochschüsse an- 
getroffen werden, hauptsächlich der Oberkiefer, ferner die Beckenschaufel, 
das Schulterblatt, das Brustbein, selten der Unterkiefer, ausnahmsweise 
das Schlüsselbein, die Rippen und das Schambein. 

Eine ganz gesonderte Stellung nimmt der Hirnschädel wegen seiner 
Hohlform und wegen der Sprengwirkung der breiigen Gehirnmasse ein. 
Hirnschädelschüsse mögen. daher hier ganz außer Betracht bleiben... 

Von den großen Röhrenknochen wäre,gu erwähnen, daß in der Dia- 
physe bisweilen, in der Epiphyse häufiger Lochschüsse zu be- 
obachten sind. Von kleineren Knochen sind in Wirbelkörpern, im Talus 
und Calcaneus und merkwürdigerweise auch in Metakarpen und na augen 
Lochschüsse beobachtet worden. 

Lochschüsse im Oberkiefer sind keine besondere Seltenheit. Man 
trifft vom kreisrunden Loch bis zum ziemlich lang gezogenen Oval alle 


!) Oettingen, Leitfaden der praktischen Kriegschirurgie.. Verlag Stein- 
kopff, Dresden und Leipzig. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 11 





162 Viktor Frey. 


Übergänge, teils mit, teils ohne Splitterung. Am Unterkiefer sind jedoch 
die Lochschüsse eine große Seltenheit und auf unserer Abteilung unter 
1007 Kieferschüssen nur neunmal beobachtet worden — nicht einmal 0,9%. 
Diese neun beobachteten Patienten waren zwischen 19 und 41 Jahre alt, 
die meisten standen im dritten Lebensdezennium. 

Die Lokalisation betreffend, kommen Lochschüsse nur in unbezahnten 
Teilen des Unterkiefers vor. Bei Auftreffen des Projektils auf den mit 
Zähnen versehenen Alveolarfortsatz kommt es durch die als sekundäre 
Projektile wirkenden Zähne ausnahmslos zur Splitterung. 

Ist der lochförmige Defekt allseits von einer knöchernen Umrandung 
umgeben, so handelt es sich um eine komplette Lochfraktur. Von dem 
Defekt gehen bisweilen Fissuren in die angrenzenden Knochenpartien hinein; 


Fig.1. 


EZZ ZUUR GARL 
2 PN WGAETESDOZULLÄNNN 
a MRE 











a = dentale Kiefersone, b = infradentale Kieferzone, c= retrodentale Kieferzone. 


durchsetzen die Sprünge den Knochen jedoch vollständig, so ist der Splitter- 
bruch fertig. 

Von einer inkompletten Lochfraktur spricht man, wenn die 
knöcherne Umrandung des Defektes teilweise unterbrochen ist, je- 
doch nur dann, wenn der Defekt deutlich lochförmig ist. 

Aus dem zuletzt Gesagten geht hervor, daß inkomplette Lochfrak- 
turen mit einem kleineren Teile ihres Umfanges in die 
natürlichen Grenzlinien des Knochens fallen, so daß dortselbst kleinste 
Knochenfragmente mehr minder verlagert anzutreffen sind oder durch Ab- 
schuß verloren gegangen sein können. 

Hat jedoch nur ein kleiner Teil des Projektilquerschnittes den 
Knochenrand betroffen, so handelt es sich um keine Lochfraktur, sondern 
um eine Aussprengung. 

Die bei Lochschüssen entstandenen Knoehendefekte sind teils kreis- 
rund oder oval, teils polygonal, bisweilen sternförmig. Manchmal sind im 





Über Lochschußfrakturen des Unterkiefers. 163 


Defekt selbst oder in seiner nächsten Umgebung Partikelchen der aus- 
geschossenen Knochenlamelle nachweisbar. 


Kasuistik der auf unserer Abteilung beobachteten Fälle. 


Fall 1 (s. Fig. 2). Schütze F. B., Schützen-Reg. Nr. 21, 30 J., verletzt 
am 24. November 1914, unserer Abteilung zugewiesen am 24. Mai 1916, Ge- 
wehrdurchschuß. Einschuß einen Querfinger vor dem rechten Öhrläppchen, 
erbsengroß verheilt. Ausschuß 2—3 Querfinger vor dem linken Ohrläppchen, 
erbsengroß verheilt. Quer über den weichen Gaumen zieht eine Narbe in 
der Richtung Einschuß— Ausschuß. Röntgenbefund: 24. Mai 1916: Aus- 
gesprochene Lochfraktur des rechten aufsteigenden Kieferastes am Ansatze 
des Processus coronoideus von zirka 1cm Durchmesser. Linker Unter- 
kieferast unverletzt. 


Fig. 2. 





Fall 1. Komplette Lochfraktur des rechten aufsteigenden Unterkieferastes. 


Symptome: Kieferklemme 15 mm. 

Therapie: Dehnung (aktive Öffnungsübungen, passiv durch 
Heister und Holzkeil). Verschlechterung am 19. September 1917. Maximal- 
öffnung 9 mm. 21. September 1917: Forcierte Dehnung in Narkose gelingt, 
aber hinterher Verschlechterung; Kopfschmerzen, diffuse Schwellung der 
Kiefergelenke. Maximalöffnung in den ersten Tagen nach der forcierten 
Dehnung 2 mm. Am 17. Oktober 1917 Maximalöffnung 5 mm. Am 24. Ok- 
tober 1917 Patient mit Superarbitrierungsantrag (!/s Jahr Urlaub) aus 
der Behandlung entlassen. 

Komplette Lochfraktur des E T T aufsteigen- 
den Kieferastes am Einschusse durch Gewehrdurch- 
schuß. 


11* 


1064 Viktor Frey. 


Fall 2 (s. Fig. 3). Zugsf. J. B., Kaiserschützen-Reg. Nr. 1, 28 J., ver- 
wundet am 22. November 1914, unserer Abteilung zugewiesen am 2. Jänner 
1915. Gewehrdurchschuß. Einschuß knapp unterhalb des rechten Ohr- 
läppchens, vollkommen verheilt. Ausschuß in der linken Wange einen 
Querfinger breit unterhalb des vorderen Jochbogenansatzes in Form einer 
strahligen, eingezogenen Narbe. Röntgenbefund vom 4. Jänner 1915: Loch- 
fraktur des rechten aufsteigenden Kieferastes unterhalb der Incisura man- 
dibulae mit nach vorne verlaufender Fissur. Zertrümmerung der linken 
ÖOberkieferwand und des linken Processus zygomaticus entsprechend der 
Ausschußstelle. l 





Fall 2. Komplette Lochfraktur des rechten aufsteigenden Kieferastes mit Fissur. 


Symptome: Kieferklemme 1cm. Sehstörungen durch Verletzung 
des linken Auges (Abduzenslähmung, Chorioidealriß, Pigmentschollen in 
der Retina), Verletzung des linken Antrums. 

Dekursus: Wiederholte Abszesse der linken Wange von Sequs- 
stern, Zähnen und Zahnteilen, die als indirekte Geschosse in die linke 
Wange gedrungen waren. 1. Februar 1915: Kieferklemme gebessert (3 cem). 
Patient wegen seines Auges superarbitriert. Am 6. September 1915 ent- 
lassen. | 

Komplette Lochfraktur des rechten aufsteigen- 
den Kieferastes mit in der Schußrichtung verlaufen- 
der Fissur am Einschusse durch Gewehrdurchschuf. 








Über Lochschußfrakturen des Unterkiefers. 165 


Fall 3 (s. Fig. 4). Inf. Sch. H. vom Inf.-Reg. Nr. 94, 19 J.alt, verletzt 
am 11. Juni 1916, unserer Abteilung zugewiesen am 26. Juni 1916. Gewehr- 
durchschuß. Einschuß einen Querfinger unter dem rechten Ohrläppchen, 
erbsengroß verheilt. Ausschuß in der rechten Wange, 3cm über dem 
rechten Mundwinkel. 


Fig. 4. 





Fall 3. Komplette Lochfraktur des rechten aufsteigenden Unterkieferastes mit Fissur. 


Symptome: Kieferklemme 13 mm. Der 7| samt der Alveole 
luxiert. Der 6] verstümmelt. Hyperästhesie des Nervus mentalis dexter. 
Empyem der rechten Oberkieferhöhle. Keine abnorme Beweglichkeit. Rönt- 
genbefund: Sternförmige Lochfraktur im aufsteigenden Aste des rechten 
Unterkiefers unterhalb der Ineisura mandibulae. Von dem Defekt zieht 
bis an den vorderen Rand des Knochens eine spaltförmige Frakturlinie. 
Am 11. August 1916 in ein Reservespital seiner Heimat transferiert. 

Komplette Lochfraktur des rechten aufsteigen- 
den Unterkieferastes mit in der Schußrichtung ver- 
laufender Fissuram Einschusse durch Gewehrdurelh 
schuß. 


Fall 4 (s. Fig. 5 u. 6). Inf. J. T. vom Inf.-Reg. Nr. 86, 21 J., verletzt am 
24. Oktober 1917, unserer Abteilung zugewiesen am 31. Oktober 1917. Ge- 
wehrdurchschuß. Einschuß 1cm oberhalb des linken Angulus in Form 
einer mit Borke bedeckten, linsengroßen Delle. Ausschuß !/zcm oberhalb 
des rechten Angulus, ebenfalls in Form einer mit einer Borke bedeckten, 
linsengroßen Delle. 

Symptome: Kieferklemme 23 mm. Anästhesie beider Nervi men- 
talis. Schwellung und Schmerzhaftigkeit des Unterzungengrundes. Röntgen- 
befund: Links: 2 Querfinger oberhalb des linken Angulus ein erbsengroßer 


166 Viktor Frey. 


lochförmiger Defekt. Rechts: Splitteriger Ausbruch der Zirkumferenz des 
rechten Angulus. 


Fig. 5. Fig. 6. 





Fall 4. Komplette Lochfraktur oberhalb des lin- Fall 4. Splitteriger Ausbruch aus der Zirkum- 
ken Angulus. ferenz des rechten Angulus. 


Therapie: Föhn, Öffnungsübungen, derzeit, Jänner 1918, in Be- 
handlung. 

Komplette Lochfraktur oberhalb des Angulus am 
Einschusse durch Gewehrdurchschuß. Splitteriger 
Ausbruch aus der Zirkumferenz des Angulusam Aus- 
schuß. 


Fall 5 (s. Fig. 7). Schütze W. F., Schützen-Reg. Nr. 9, 20 J., verwundet 
am 29. Oktober 1915, unserer Abteilung zugewiesen am 29. November 1915. 


Fig.7. 





Fall 5. Komplette Lochfraktur der linken Angulusgegend. 


Gewehrdurchschuß. Einschuß 2,5 cm nach abwärts und etwas nach rück- 
wärts vom rechten Öhrläppchen, erbsengroß verheilt. Ausschuß einen Quer- 


| 
| 








Über Locbschußfrakturen des Unterkiefers. 167 


finger nach vorne und oben vom linken Angulus, erbsengroß verheilt. 
Röntgenbefund: Lochfraktur im linken Angulus. 

Symptome: Kieferklemme leichtesten Grades 25 mm. Beobach- 
tung. Am 15. März 1916 geheilt entlassen. 

Komplette Lochfraktur der Angulusgegend am 
Ausschusse (Einschuß durch Weichteile) durch Ge 
wehrdurchschuß. 


Fall 6 (s. Fig. 8). Zugsf. K. G. vom Inf.-Reg. Nr. 8, 28 J., verwundet am 
28. Juni 1916, aufgenommen am 12. März 1917. Granatsplittersteckschuß. 
Einschuß unmittelbar vor dem linken Ohrläppchen in Form einer linearen, 
kaum sichtbaren Narbe. Geschoß blieb ungefähr 3 Querfinger unterhalb 
des Einschusses stecken und wurde von dort am 8. Juli 1916 operativ ent- 
fernt. Ausschuß fehlt. Röntgenbefund: Unter dem Processus coronoideus 
und zirka 1cm tiefer als die Incisura mandibulae ein zirka erbsengroßer 
Defekt mit kleinen Knochensplittern. 


Fig. 8. 





Fall 6. Komplette Lochfraktur des linken aufsteigenden Unterkieferastes. 


Symptome: Kieferklemme 6 mm. 

Therapie: Aktive und passive Dehnung. Föhn. 

Am 28. August 1916 Kieferklemme gebessert (13!/; mm). Mit Super- 
arbitrierungszeugnis für Hilfsdienste ohne Waffe entlassen (28. August 
1917). 

Komplette Lochfraktur des aufsteigenden Unter- 
kieferastes durch Granatsplittersteckschuß am Ein- 
schusse. 


Fall 7 (s. Fig. 9). Kadett R.M. vom Inf.-Reg. Nr. 56, 22 J., verwundet 
am 9.Mai 1915, aufgenommen am 2. August 1915. Gewehrdurchschuß. 
Einschuß 1 Querfinger unterhalb und etwas nach vorne vom rechten Angulus, 


168 -> Viktor Frey. 


erbsengroß verheilt. Ausschuß senkrecht unterhalb des linken Mundwinkels 
in der Höhe des Unterkieferrandes in Form einer zweihellerstückgroßen, 
dreistrahligen Narbe. Keine Kieferklemme. Röntgenbefund: Ovaler Sub- 
stanzverlust des linken Unterkieferkörpers knapp über dem unteren Rand 
desselben in der Gegend des linken Foramen mentale, dessen untere 
Knochenbegrenzung weggesprengt und etwas nach abwärts verlagert ist. 
21. September 1915 geheilt entlassen. 


Fig. 9. 





Fall 7. Inkomplette Lochfraktur des linken horizontalen Unterkieferastes. 


InkompletteLochfrakturdeshorizontalen Unter- 
kieferastes am Ausschusse (Einschuß durch Weich- 
teile) durch Gewehrdurchschuß. 


Fall 8 (s. Fig. 10). Inf. G. K., Honved-Inf.-Reg. Nr. 16, 22 J.alt, ver- 
wundet am 18. März 1915, aufgenommen 9. April 1915. Gewehrdurchschuß. 


Fig. 10. 





Fall 8. Inkomplette Lochfraktur des linken horizontalen Unterkieferastes, (Der linke 
Unterkiefer ist in diesem Falle von außen gesehen skizziert.) 


Über Lochschußfrakturen des Unterkiefers. 169 


Einschuß 1cm vor dem linken Angulus knapp am Rande des Unterkiefer- 
körpers, vollkommen verheilt. Ausschuß 2 Querfinger breit unterhalb des 
rechten Angulus, erbsengroß, vollkommen verheilt. Keine Kieferklermme. 
Röntgenbefund: 1 cem vor dem linken Angulus eine Lochfraktur hart am 
Unterkieferrande mit Heraussprengung des unteren Randes. 


Lokale Abszedierungen. 8. Mai 1915 zum letztenmal erschienen. 


InkompletteLochfrakturdeshorizontalen Unter- 
kieferastes am Einschuß durch Gewehrdurchschuß. 


Fall 9 (s. Fig. 11. Gefr. H. K. vom Landst.-Baon. Nr. 4/39, 41 J.alt, 
verwundet am 16. Mai 1917, aufgenommen am 8. Juni 1917. Schrapnell- 
kugelsteckschuß. Einschuß etwas über 2 Querfinger vor dem rechten An- 
gulus. In der Gegend der Mitte des linken Musculus sternocleidomastoideus 
blieb das Geschoß stecken und wurde am 1. Juni 1917 operativ entfernt. 





gn 
t 


Fall 9. Inkomplette Lochfraktur des rechten horizontalen Unterkieferastes. 


Symptome: Kieferklemme 16mm. Im linken Nervus mentalis 
herabgesetzte Empfindlichkeit. Röntgenbefund: Vor dem rechten Angulus 
eine unregelmäßige Aussprengung des Corpus mandibulae; von der zackigen 
Höhle läuft eine Fissur bis in die Prämolarengegend zirka 1 cm über dem 
Unterkieferrand. Zahlreiche Metallsplitter im Bereiche der Fraktur. Kon- 
tinuität des Kieferkörpers nicht unterbrochen. 

Dekursus: Dehnung (Heister, Föhn). 18. Juli 1917: Öffnen 22 mm. 
18. September 1917: Die Lochfraktur noch nicht mit Knochen ausgefüllt. 
19. Oktober 1917: Kieferklemme behoben. 15. Jänner 1918: Höhle deutlich 
kleiner. 21. Februar 1918 geheilt entlassen. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 12 


170 Viktor Frey. 


InkompletteLochfrakturdes horizontalen Unter- 
kieferastes am Einschuß durch Schrapnellkugel- 
steckschuß. 

Aus der Untersuchung unserer Fälle geht hervor: Die Lochfrakturen 
am Unterkiefer entstanden in der überwiegenden Anzahl der Fälle am 
Einschuß. Am Ausschuß wurden Lochfrakturen nur dann angetroffen, 
wenn das Projektil vorher bloß Weichteile passiert hatte. Komplette 
Lochschüsse wurden an dem hinter der Zahnreihe liegenden Unterkiefer- 
abschnitte (retrodentale Zone des Unterkiefers) (s. Fig. 1) 
angetroffen, und zwar Angulusgegend, aufsteigender Ast bis nahe an die 
Ineisura mandibulae und am Ansatze des Processus coronoideus. Am Unter- 
körper, soweit er dem zahntragenden Alveolarfortsatz entspricht (infra- 
dentaleZonedesUnterkiefers) (s.Fig.1), kamen ebenfalls Loch- 
schüsse vor, aber im Gegensatze zur früher erwähnten Region handelte es 
sich hier ausnahmslos um inkomplette Lochfrakturen, was durch die Schmal- 
heit des Unterkieferkörpers ohne weiteres verständlich ist. Misch-Rum- 
pel?) bringen zwar (pag. 33) ein Röntgenbild eines Lochschusses des Unter- 
kiefers mit Abschuß der Wurzelspitze des zweiten rechten unteren Prä- 
molaren ohne Kontinuitätstrennung des Unterkiefers durch ein japanisches 
Infanteriegeschoß aus 600 ın Entfernung. Es handelt sich hier um die 
außerordentliche Seltenheit eines kompletten Lochschusses im Kieferkörper. 
Es scheint aber in’diesem Falle ein ziemlich massiger Unterkieferkörper 
vorgelegen zu haben. 

Die Geschosse waren in 7 Fällen Gewehrprojektile von großer Durch- 
schlagskraft, in einem ein offenbar ziemlich kleines und spitziges Granat- 
sprengstück, in einem anderen eine Schrapnellfüllkugel.e. Die Gewehr- 
projektile haben die getroffene Knochenoberfläche mit Ausnahme von 
Fall 2 und 3 in nahezu senkrechter Richtung durchquert. In den Fällen 2 
und 3 traf das Geschoß in spitzem Einfallswinkel den Knochen und es 
zeigte sich in diesen beiden Fällen je eine vom Lochdefekt ausgehende 
und in der Schußrichtung verlaufende Fissur. 

Was nun die klinischen Symptome einer Lochfraktur des Unter- 
kiefers anbetrifft, so wäre zu erwähnen, daß die Diagnose nur auf Grund 
der Röntgenaufnahme zu stellen ist, weil die Kontinuitätstrennung, die 
abnorme Beweglichkeit und die Krepitation fehlen. Der Bruchschmerz ist 
anfangs infolge Mitbeteiligung der Weichteile ebenfalls nicht zu verwerten 
und die Funktionsstörung hängt nicht so sehr von der Lochfraktur, als 
hauptsächlich von den weiteren Verletzungen ab. 

°) Misch-Rumpel, Die Kriegsverletzungen der Kiefer und der angren- 
zenden Teile. Verlag Meusser, Berlin. 





Über Lochschußfrakturen des Unterkiefers. 171 


Lochfrakturen in der retrodentalen Zone des Unterkiefers rufen 
wegen Verletzung der Kaumuskulatur Kieferklemme hervor. Die Kiefer- 
klemme ist anfangs entzündlich-myogen, in späterer Zeit auf Narben in 
der Kaumuskulatur zurückzuführen. Bei gleichzeitiger Verletzung des 
Canalis mandibulae kommt es zur Anästhesie, eventuell Hyperästhesie des 
betreffenden Nervus mentalis. 


Bei Lochfrakturen in der infradentalen Zone fehlt die Kieferklemme 
außer am Übergange von der infradentalen in die retrodentale Zone. (Siehe 
Fall 9 Musculus masseter.) Anästhesie bzw. Hyperästhesie des Nervus men- 
talis ist wegen der relativen Schmalheit des Kieferkörpers häufiger zu 
erwarten. 


Die Lochschüsse sind schon wegen der Seltenheit ihres Auftretens 
interessant, noch mehr aber deshalb, weil sie als Ausgangspunkt für die 
Erklärung der typischen Kieferverletzungen durch rasante Gewehrprojektile, 
welche den Kiefer durchquert haben, herangezogen werden können. Jede 
perforierende Unterkieferschußverletzung kann man sich aus einem Loch- 
schuß entstanden denken. Wären in den Fällen 2 und 3 die Fissuren in 
größerer Ausdehnung oder größerer Zahl aufgetreten, so wäre aus dem 
Lochschusse eine Querfraktur oder eine Splitterfraktur mit der typischen 
Verlagerung der Fragmente entstanden. Bei Lochschüssen, die durch senk- 
rechtes Auftreffen des Geschosses zustande gekommen sind, können ebenso 
gut Fissuren vorhanden sein, sind vielleicht vorhanden gewesen, nur waren 
sie röntgenologisch nicht nachweisbar. So läßt sich auch in diesen Fällen 
das Zustandekommen von Splitterfrakturen erklären. Findet eine Aus- 
sprengung in der Gegend des Eckzahnes statt, dessen tief herabreichende 
Alveole schon eine natürliche Schwächung des Unterkiefers bedeutet, so 
wird es sehr wahrscheinlich sein, daß eine Fissur von der Aussprengung 
den kurzen Weg bis in die Eckzahnalveole durchmißt. Auf diese Weise 
erklärt sich das häufige Zustandekommen einer linearen Fraktur an dieser 
Stelle. 


So kann man sich vorstellen, daß jede perforie 
rende Unterkieferschußverletzung wenigstens im 
Bruchteile einer Sekunde ein Lochschuß war. 


Je mehr durchgängige Fissuren um die momentane Lochfraktur sich 
bilden, eine desto größere Splitterung entsteht. In der dentalen Zone 
wird sich die Geschoßwirkung auf die spröden Zähne übertragen und 
diese werden als sekundäre Projektile das Zustandekommen einer Splitte- 
rung begünstigen. 


172 Paul Berger. 


Einige Beiträge zur Frage der schmerzlosen 
Zahnbehandlung. ’ 


Von Zahnarzt Dr. Paul Berger, Wien. 


Die gerechte Forderung unserer Patienten nach möglichst schmerz- 
loser Behandlung stellt an die Geschicklichkeit und konzentrierte Auf- 
merksamkeit des modernen Zahnarztes die allergrößte Anforderung. Wenn 
wir uns die Frage vorlegen, ob es nach dem heutigen Stande der Zahn- 
heilkunde möglich ist, die Maßnahmen im Munde unserer Patienten mit 
Ausschaltung des Schmerzes vorzunehmen, so können wir die Frage ruhigen 
Gewissens mit Ja beantworten, vorausgesetzt, daß der Zahnarzt Zeit und 
Willen hat, auf die Individualität des Patienten einzugehen und mit den 
Behandlungsmethoden der modernen Zahnheilkunde vertraut ist. 

Es lassen sich natürlich für die Behandlung jedes Einzelnen nicht 
bestimmte feste Thesen aufstellen und wollen wir uns heute mit den all- 
gemeinen Mitteln und Wegen, die es uns ermöglichen, zur Zufriedenheit 
unserer Patienten zu arbeiten, beschäftigen. Nehmen wir den einfachsten 
Fall einer oberflächlichen Karies. Eine brüske Sondierung mit der ab- 
gebogenen Stahlsonde würde Schmerz verursachen, deshalb vorerst Aus- 
spülung der Lücke mit lauwarmem Wasser, langsames Exkavieren mit gut 
schneidenden Exkavatoren, immer von den Rändern zur Mitte, niemals um- 
gekehrt. Sind die kariösen Massen schwer zu entfernen, so wird eine Ein- 
lage von einem Chlorphenolikristall bis zur nächsten Sitzung die Prä- 
paration vollkommen schmerzlos ermöglichen. Handelt es sich um eine 
kariöse Stelle, die noch von Dentin gedeckt ist, das aber zur Präparation 
der Kavität entfernt werden muß, so empfiehlt es sich, mit einem gut 
schneidenden Schmelzmesser entweder durch den Druck der fest aufge- 
stützten rechten Hand oder verstärkt durch ein paar leichte Schläge des 
Blei- oder Hornhammers die überhängenden Zahnteile zu entfernen. Die 
Präparation der Kavität, die bei fest aufgestützter Hand mit gut schnei- 
denden Bohrern erfolgen muß, können wir für den Patienten wenig un- 
angenehm bewerkstelligen, wenn wir nur mit halber Geschwindig- 
keit einen selbstverständlich scharfen Bohrer rotieren lassen, was vor 
allem das stark surrende Geräusch des Motors, das ja die nervösen Patienten 
schwerer als jede andere Maßnahme vertragen, vermeidet und, wie paradox 
es auch klingen mag, Sie werden mit dem langsam rotierenden Bohrer 
bei trockenem Operationsfeld viel schneller fertig und ersparen dem Pa- 


1) Vortrag. gehalten im Verein Wiener Zahnärzte. 





Einige Beiträge zur Frage der schmerzlosen Zahnbehandlung. 173 


tienten schmerzhafte Sensationen. Ist die Karies schon so weit vorge- 
schritten, daß nach den typischen Angaben des Patienten die Vermutung 
auf bloßliegende lebende Pulpa naheliegt, dann empfiehlt es sich, nach 
Ausspülung mit lauwarmem Wasser nicht sofort ein Kaustikum anzu- 
wenden, sondern durch 24 Stunden ein in Eugenol getränktes Wattebäusch- 
chen unter Mastixabschluß einzulegen. Sie erreichen damit erstens, daß 
der bis jetzt stark schmerzende Zahn nach wenigen Minuten schmerzfrei 
und gleichzeitig durch das Eugenol desinfiziert wird. Die Kauterisation 
des Nerven mit Arsen am nächsten Tage wird für den Patienten voll- 
ständig schmerzfrei verlaufen, während ohne vorherige Eugenoleinlage der 
bekannte Arsenschmerz durch 2 bis 3 Stunden eintritt. Nach zweimal 
24 Stunden wird der Nerv wohl in den meisten Fällen schon tot sein und 
ist es jetzt möglich, mit scharfen Bohrern die Kronenpulpa zu entfernen. 
Ich lege jetzt für einige Tage einen in Trikresolformalin getränkten Watte- 
bausch unter Fletcher- oder Gilbert-Abschluß ein und ist es mir dann 
möglich, den durch die Einwirkung des Trikresolformalin gegerbten Nerv 
in toto vollkommen schmerzlos zu entfernen. Die Versuche, Alaun oder 
Acidum tannicum purum statt Trikresolformalin einzulegen, führten nicht 
zu denselben guten Resultaten. Sollte durch Zufall der Nerv trotz aller 
dieser Vorsichtsmaßregeln doch noch nicht ganz tot sein und eine wieder- 
holte Arsen- und Trikresolformalineinlage nichts nützen, so gelingt auch 
in diesem Falle die Extraktion vollkommen schmerzfrei, wenn man die 
Donaldsonnadel mit einem Brei von Karbolsäure- und Kokainkristallen be- 
feuchtet. | 

Nehmen wir den Fall eines periostitischen Zahnes, der angebohrt 
werden muß, so kann auch dies, wenn die Leitungsanästhesie kontraindi- 
ziert ist, dadurch erleichtert werden, wenn wir den Zahn durch zwei Finger 
der linken Hand fixieren und zuerst mit kleinen montierten Steinchen den 
oberflächlichen Schmelz und hierauf erst mit feinen Bohrern den Zahn bis 
zum nekrotischen Nerven durchbohren. Nach Erweiterung des Bohrloches 
soll die Entfernung des Nerven und die Reinigung vorerst nicht versucht 
werden, sondern ein kleines Wattebäuschchen, getränkt mit Eugenol-Tri- 
kresolformalin, ganz leicht auf den Kanaleingang bis zum nächsten Tage 
gelegt werden. Hiedurch erreichen Sie erstens eine Herabsetzung der Viru- 
lenz der Bakterien und zweitens wird die weitere Behandlung des Zahnes, 
der nach Eröffnung der Pulpa sich baldigst beruhigen wird, viel leichter 
möglich sein. Bei der Füllung der Zähne ist stets unter eine Silikat- oder 
eine Metallplombe eine Unterlage aus Harvardzement zu legen, die den . 
besten Schutz für die Pulpa abgibt. Ist die deckende Dentinwand des 
Nerven schon sehr dünn, so rühre man in das Zement etwas Eugenol mit 
Thymolkristallen vermischt ein. 


174 Paul Berger. 


Immer wieder hören wir von unseren Patienten, daß sie die Ex- 
traktion eines Zahnes nicht so sehr fürchten als den Schmerz beim Ein- 
stich unserer Injektionsnadel. Auch dieser Schmerz läßt sich vermeiden. 
Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, vor jeder Injektion die ab- 
getrocknete Einstichstelle am Zahnfleisch zur Desinfektion mit Jodtinktur 
zu bestreichen, und war immer sehr angenehm überrascht, zu sehen, wie 
wenig der Stich in die durch die Jodtinktur anämisch gemachte Schleim- 
haut verspürt wird. Natürlich muß die Nadel dünn und das Ende scharf 
und gut abgeschrägt sein. Gewöhnlich empfinden die Patienten auch 
Schmerzen, wenn kalte Injektionsflüssigkeit eingepreßt wird; daher er- 
wärme man die Phiole oder Flasche auf Körpertemperatur in warmem, 
kochendem Wasser und auch dieser Schmerz ist ausgeschaltet. Die obligate 
Wartezeit verkürze ich mir dadurch, daß ich die Quaddeln mit dem 
Primus-Vibrationsapparat an beiden Seiten des Kiefers durch je eine Minute 
gut verarbeite und ist es mir dadurch möglich, die Wartezeit um die 
Hälfte zu verkürzen. Der Zahn soll bei gut übersichtlicher Kopfstellung 
sicher gefaßt und langsam luxiert werden, denn die meisten Frakturen 
entstehen durch brüskes und unüberlegtes Arbeiten. Ist die Anästhesie 
gut gelungen, so ist es für den Patienten gleichgültig, ob Sie für die Ex- 
traktion eines Zahnes fünf oder zwanzig Sekunden brauchen, wobei bei 
allzu rascher Arbeit die Möglichkeit von Frakturen größer, dem Patienten 
mehrere Eingriffe also noch bevorstehen, während bei langsamem, festem 
Zugreifen die glatte Extraktion eher gewährleistet wird. Nach Extrak- 
tionen von schwer periostitischen Zähnen ist es ratsam, die Höhle mit 
einem scharfen Löffel gut zu exkochleieren, die überstehenden scharfen 
Knochenränder mit der Knochenzange oder mit Bohrern zu glätten, mit 
Wasserstoffsuperoxyd auszuspülen und dem Patienten warme trockene 
Umschläge und Ausspülung des Mundes mit irgend einem Mundwasser oder 
Teeabsud zu verordnen. So werden Sie gewiß dem sehr quälenden Schmerz 
nach Extraktionen begegnen können. Von der Tamponade der Wunde, sei 
es mit Gaze oder mit in Chemikalien getunkten Streifchen, ist die moderne 
Mundchirurgie ganz abgekommen. Ist es doch zur Infektion der Wund- 
höhle gekommen, so leisten uns die Ba yerschen Ortizon-Wundstifte und 
nachherige Tamponade mit Jodoform- oder Vioformgaze das erwünschte 
Resultat. 

Den häufigen Klagen unserer Patienten über Schmerzen bei kalter 
Luft liegt gewöhnlich, wenn Karies ausgeschlossen werden kann, ein oder 
mehrere vom Zahnfleisch entblößte Zahnhälse zugrunde, zu deren Be- 
handlung, wenn bei Frontzähnen von Argentum nitricum abgesehen werden 
muß, eine heiß gesättigte Lösung von Kaliumkarbonat in Glyzerin (Sachs) 
sehr empfehlenswert ist. Der zu behandelnde Zahn wird trocken gelegt. 


ER 


Einige Beiträge zur Frage der schmerzlosen Zahnbehandlung. 175 


mit heißer Luft abgepustet und ein mit der Lösung getränktes Watte- 
bäuschehen für 4—5 Minuten auf die empfindliche Stelle gelegt. Nach zwei- 
maliger Behandlung ist der Zahnhals bestimmt schmerzfrei, ohne verfärbt 
zu sein. | 

Die Entfernung des Zahnsteines, der leider noch immer von vielen 
Ärzten als Binde- und Befestigungsmittel für die Zähne angesehen wird, 
der aber im Gegenteil der Erreger vieler Zahnfleischerkrankungen ist, muß 
auf das Peinlichste besorgt werden. Um auch beim Ablösen der Zahn- 
steinstücke jeden Schmerz zu vermeiden, anästhesiere man das Zahnfleisch 
durch Auflegen eines Kokainkristalles, fasse das Instrument schreibfeder- 
artig mit der rechten Hand, stütze sie gut auf und fixiere den zu be- 
handelnden Zahn mit zwei Fingern der linken. Durch die Fixation wird 
dem Patienten vor allem das Gefühl des Herausdrückens von Zähnen ge- 
nommen und durch die Anästhesie wird die Reinigung der Zahnhälse bis 
weit unter das Zahnfleisch möglich, ohne daß der Patient irgend einen 
Schmerz empfindet. 

Die Separation zweier eng stehender Zähne durch Apparate oder 

. Hölzchen verursacht immer Schmerz, daher ist die Separation durch Ein- 
lagen von Woattebäuschchen bis zur nächsten Sitzung als vollständig 
schmerzlos, aber doch sicher wirkend vorzuziehen. 

Ein sehr wichtiges Kapitel und wohl auch das schwierigste betrifft 
die Behandlung der Kinder. Hier kann der Zahnarzt für die Zukunft viel 
verderben oder aber eine zahnärztliche Untersuchung für den kleinen Pa- 
tienten zu einer angenehmen Unterhaltung machen. Schon Altmeister 
Black gibt den Rat, kariöse Kinderzähne lieber mit Lapis zu ätzen und 
sie so vor weiterer Verderbnis zu bewahren, als den Kindern durch schmerz- 
hafte Präparationen die Lust zu weiteren Besuchen zu nehmen. Ich ver- 
suche stets langsam mit ganz scharfen Exkavatoren und mit Schmelzmessern 
mit möglichster Umgehung der Maschine den kranken Zahn zu präparieren, 
mache Einlagen, wenn das Kind den geringsten Schmerz äußert. Bei Milch- 
Zähnen ätze ich die bloßliegende Pulpa nur mit Chlorphenolkristallen und 
finde vollends mein Auslangen, ohne Gefahr zu laufen, durch Arsen irgen:l 
eine Nekrose an der Wurzelspitze zu verursachen. Als Füllungsmaterialien 
bevorzuge ich für rückwärtige Zähne Amalgam und Oxydphosphatzement, 
für vordere Milchzähne Harvardzement. Handelt es sich um die Extraktion 
eines entzündeten Milchzahnes, so anästhesiere ich das Zahnfleisch durch 
Applikation eines Kokainkristalles; dadurch erfolgt die Extraktion vollends 
schmerzfrei. Wenn das Kind zum behandelnden Arzt Vertrauen gefaßt hat 
und in ihm nicht das Schreckgespenst, sondern den Kameraden sieht, so 
läßt es immer ruhig alles mit sich geschehen. Es bedarf natürlich vieler 
Geduld, die aber durch die Freude am Erfolg vollauf gelohnt wird. 


176 Paul Berger. Einige Beiträge zur Frage etc. 


Es erübrigt sich jetzt noch die Erörterung der Frage der Schmerz- 
verhütung bei den technischen Maßnahmen im Munde der Patienten. Es 
wäre vor allem das Zuschleifen von lebenden Zähnen für Kronen zu er- 
wähnen. Da bewährt sich der langsam rotierende, gut befeuchtete Karbo- 
rundumstein wohl am besten und es gelingt, da der befeuchtete Stein durch 
die langsame Rotation nicht so rasch heiß wird, ohne Schwierigkeit, den 
Zahn zu präparieren. Zum Zuschleifen der approximalen Teile des Zahnes 
setze man den Separierstein niemals zwischen die Zähne, sondern direkt 
an den zu behandelnden Zahn an, da dadurch die Verletzung des neben- 
stehenden Zahnes und die konsekutiven Schmerzen vermieden werden. Um 
die Empfindlichkeit des abgeschliffenen entblößten Zahnbeines gegen ther- 
mische und chemische Reize zu verhindern, bestreiche man den abge- 
schliffenen Zahn nach Trockenlegung mit Lapis oder Kaliumkarbonat. Ein 
zylindrisch zugeschliffener Zahn bietet die Gewähr, daß der Kronenring 
überall gut anliegt und nirgends das Zahnfleisch schneidet. Um aber bei 
furchtsamen Patienten auch den leisesten Schmerz, der entsteht, wenn der 
Kronenring zwischen Zahn und Zahnfleisch geschoben wird, zu vermeiden, 
lege man ein Kokainkristall auf den marginalen Rand und die Probe 
sowie das Aufsetzen der Krone wird völlig schmerzlos möglich. Um dea 
Nachschmerz sowie die Entzündung des abgedrängten Zahnfleisches nach 
Aufzementieren von Kronen und Brücken auszuschalten, ist es notwendig, 
mit peinlichster Sorgfalt das überschüssige Zement zu entfernen und be- 
sonders aus der Falte zwischen Krone und Zahnfleisch. Ich habe selbst 
mehrere Fälle beobachtet, die nach einem halben Jahr nach Einsetzung 
einer Molarkrone mit dem typischen Bilde eines schweren Zahnfleisch- 
abszesses zu mir kamen und die ganze Ursache war in einem Zement- 
stückchen gelegen, das damals aus der Zahnfleischfalte nicht entfernt wurde. 
Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie, meine Herren, auf einen Kunst- 
griff aufmerksam machen, der es ermöglicht, beim Einsetzen ganzer unterer 
Brücken das Öperationsfeld vollkommen trocken zu erhalten. Man be- 
tupfe unmittelbar vor dem Einzementieren die Ausführungsgänge der Sub- 
lingualdrüsen und der Parotis mit Jodtinktur. Unter ihrer Einwirkung 
schließen sich die Ausführungsgänge und die Speichelsekretion wird für 
kurze Zeit vollständig sistiert. 

Meine Herren! Sie könnten jetzt am Schlusse meines Vortrages den 
Einwurf machen, daß alle diese eben vorgetragenen verschlungenen Wege 
zur Schmerzverhütung bei der Zahnbehandlung durch eine einzige Injektion 
eines Anästhetikums nutzlos werden, doch kann ich diesen Einwurf wider- 
legen. Erstens bin ich der Ansicht, daß wir bei Eingriffen, die wir ohne 
Injektion vielleicht schwerer, aber doch völlig schmerzfrei machen können, 
daven absehen sellen, die Blutbahn des Patienten mit einem Anästhetikum, 





Referate und Bücherbesprechungen. 177 


und wenn es auch völlig giftfrei ist, zu beschweren, und zweitens wird 
eine Injektion durch das somatische Befinden der Patienten oder durch 
die Lokalisation der Karies an verschiedenen Kieferhälften oft kontra- 
indiziert sein. 

Wenn Ihnen, meine Herren, meine Anregungen, die auf Originalität 
keinerlei Anspruch machen, bei der Behandlung Ihrer Patienten von Nutzen 
sind, so ist der Zweck dieses Vortrages vollends erreicht. 


Referate und Bücherbesprechungen. - 





Die kriegschirurgische Bedeutung des Skorbuts. Von Dr. Theodor Zlo- 
cisti. (Aus dem Lazarett der 1. Abordnung des Deutschen Roten 
Kreuzes in die Türkei.) Bruns’ Beiträge zur klinischen Chirurgie, 
Bd. 103, H. 4 (28. kriegschirurgisches Heft). Mit’92 Abbildungen. 1916. 

Der Symptomenkomplex beim Skorbut, der gemeinhin zusammen- 
gefaßt wird — Mattigkeit bis zur Schlafsucht, Zahnfleischentzündungen, 

Austrocknung der Haut, Follikulitis mit mehr oder weniger großen Extra- 

vasierungen um die Haarwurzeln, ausgedehnte, flächenhafte Blutungen in 

und unter die Haut, in und um die Muskeln; gelegentlich in die Gelenke 
und serösen Säcke — wird selten ‘in aller Vollständigkeit gefunden. Oft 
prävaliert nur ein Symptom, so zwar, daß andere kaum mehr als an- 
gedeutet erscheinen. Vor allem aber entwindet sich die Symptomenfolge 
jedem Schema. Zudem kommt, daß gerade die sinnfälligste und zugleich 
bekannteste Erscheinung, die der Entzündung des Zahnfleisches, sowohl 
in ihrer Intensität als in ihrer Regelmäßigkeit durchaus nicht konstant ist. 

Außer diesen Veränderungen kommen an der Haut mancherlei für 
den Skorbut charakteristische bläuliche und bräunliche Flecke zur Be- 
obachtung. In Wirklichkeit handelt es sich meist um Abszedierung kleiner 
wie Blutblasen anmutender Gebilde. Eröffnet zeigen sie ein blutiges Ge- 
rinsel. Überläßt man sie sich selbst, so schuppt sich die Haut über 

‚dem Gebilde; die Schuppen lagern sich übereinander. Später sinkt das 

Zentrum ein und der geschwürige Grund, der meist ziemlich tief ist, so 

daß die Ränder hart überragen, füllt sich mit einer zäh-eitrigen Masse. 

Das Charakteristische dieser Furunkel und Geschwüre ist wieder ihr Saum. 

. Dabei ist zu .bemerken, daß der Skorbut — der die unteren Extremi- 
täten besonders häufig belästigt — mit ausgesprochener Vorliebe ein- 
seitige Blutungen macht. Oft wird der Muskel umblutet, so zwar, daß 
die palpierende Hand nur eine feste, nahezu steinharte Masse fühlt. Die 

Haut und das Unterhautzellgewebe sind nicht ödematös; wir haben 

nur eine in die Tiefe dringende Starrheit vor uns. Die Abgrenzung gegen 

Ödeme aus nephritischer oder kardialer Ursache ist leicht. Weiterhin 

sichert die Differentialdiagnose gegen nephritisches und Stauungsödem, daß 

die Masse nicht teigig, sondern hart ist. 

Kleine oberflächliche Extravasate haben genügend Raum, sich 
fläcbenhaft auszubreiten. Anders liegen die Verhältnisse bei zirkum- 
und intramuskulären Blutungen; also jenen Erscheinungen, für die sich 


178 Referate und Bücherbesprechungen. 


die zutreffende Bezeichnung der „Sklerose“ eingeführt hat. Der 
Schenkel imponiert beim Skorbut als eine harte Masse. Die Haut ist ge- 
spannt, bleich, stumpf. 

Der Skorbut ist eine vorübergehende Krankheit, deren Grundlage 
die gesteigerte Durchlässigkeit unterernährter Gefäßwandungen ist. Sie 
dauert Monate, hat Tendenz zur Selbstheilung, die schon durch klimatische 
Veränderung, immer durch Wechsel der Nährmittel gesteigert wird und 
gewinnt schon nach Wochen die Fähigkeit zur Resorption der ausge- 
schütteten Blutmasesn. 

Für das Zustandekommen skorbutischerPseudarthrosen 
werden natürlich zunächst alle jene Ursachen anzuschuldigen sein, die 
gemeinhin diese Gelenkbildung am falschen Orte ermöglichen: perfo- 
rierende Traumen, die große Stücke aus dem Knochen mit Hinterlassung 
zahlreicher Splitterungen an den Bruchenden herausschlagen; Zwischen- 
wucherungen bindegewebiger Stränge; vor allem weitergehende Zerstörung 
im Periost. Diese letzte Ursache schlägt die Brücke zum Skorbut. Das 
Periost kann eben außer durch Traumen und phlegmonöse Prozesse durch 
Blutmassen zerstört werden, die sich etwa allein durch den Skorbut ent- 
wickeln. 

Zusammenfassend darf somit gesagt werden, daß sich — in kriegs- 
chirurgischer Betrachtung — auch für die Zustände am Knochensystem 
einige differentialdiagnostische Anhalte geben lassen, die den Weg zur ver- 
mutlichen Diagnose des Skorbuts andeuten: Stärkere Tendenz zur Se- 
questrierung, Neigung zur Pseudarthrosenbildnug, Fehlen oder doch über- 
raschendes Hinauszögern der Kallusbildung; alle drei Besonder- 
heiten als der Ausdruck der allgemeinen Erschlaf- 
fung der regenerativen Tendenzen in dieser Krank- 
heit. 

Die Verbundenheit des Skorbuts mit den mannigfaltigsten Krank- 
heiten macht das Regellose zur Regel und das System zum künstlich 
Erzwungenen. 

Das widerspenstigste Symptom aber bleibt die Zahnfleischentzün- 
dung. Sie kann bestehen und kann fehlen, im Beginne der Krankheit auf- 
treten oder am Schluß. Sie kann bei tadellosem Gebiß bis zu fungösen . 
Wucherungen ausarten und einen Mund voller Lücken und kariöser Zähne 
verschonen. Sie kann schnell vorübergehen, wenn auch in der Regel die 
Gingivitis den ganzen Prozeß überdauert. Die vorzügliche Arbeit Z1o- 
cistis läßt sich im Rahmen eines Referates nicht wiedergeben, wird 
aher jedem Leser auf das angelegentlichste zum Studium empfohlen. 


Kriegszahnklinik, September 1917. Oberstabsarzt Doz. Z ilz. 


Über die ehirurgische Behandlung der Pseudarthrosen. Von Prof.Sudeck 
in Hamburg. Deutsche med. Wochenschrift, Nr. 6, 45. Jahrg. von 1917. 


Die allgemein bekannten Ursachen der Pseudarthrosen übergehend, 
wendet sich Sudeck in seinem Vortrage den von ihm versuchten Behand- 
lungsmethoden zu. Einige schöne Erfolge wurden mit der alten subperi- 
ostalen Resektion erzielt. Die vom Periost entblößten Knochenenden 


un ur nn REED ne A 





Referate und Bücherbesprechungen. 179 


werden aus der Wunde herausgehoben, reseziert und vereinigt, darüber 
dann das Periost vernäht. Einen größeren Vorzug räumt Sudeck der 
periostalen Resektionin situ ein. Hier legt man die Pseud- 
arthrose frei bis zu der beabsichtigten Resektionsstelle und resezieri die bei- 
den Knochenenden mitsamt der dazwischenliegenden Narbe im Zusammen- 
hange in situ, ohne die Knochenenden aus der Knochenwunde herauszuheben. 
Nach der Resektion werden die Knochen aneinander genäht, und man hat 
die günstigsten Verhältnisse für die Heilung, einen Zustand, genau so, wie 
bei einer frischen Knochenfraktur. Die bei erstgenannter Methode bisweilen 
vorkommenden Nachteile durch die Nekrosenbildung infolge eingeschlosse- 
ner Sequester, die die Operationswunde infizieren und durch die subperiostale 
Resektion nicht aufgedeckt werden, lassen sich bei der periostalen Resektion 
in situ vermeiden. 

Anfrischung mit Transplantation eines gestielten 
Periostlappens auf die Knochennahtstelle hat den Vorteil 
einer möglichst geringen Verkürzung für sich, steht jedoch an Sicherheit 
und Zuverlässigkeit der vorigen Methode nach. Der gestielte Periostlappen 
wird vom gesunden Knochen in der Nachbarschaft der Pseudarthrose ent- 
nommen, so zwar, daß in der Nähe inserierende Muskeln subperiostal abge- 
löst und auf die Nahtstelle verlagert werden. Vollständig im Stiche ließen 
die Transplantationen von freien Periostlappen. 


Einer besonderen Behandlung bedürfen die Knochendefekte. Da bei der 
autoplastischen Überpflanzung freien, lebenden Knochens in der Regel eine 
Vermehrung der Festigkeit und Periostwucherung nicht eintritt, so muß 
nach Sudeck das Transplantat an und für sich kräftig genug sein, die 
neue Funktion auszuhalten. Der Umstand, daß die freie Knochentransplan- 
tation durchaus aseptische Wundverhältnisse verlangt und bei den Kriegs- 
verletzten häufig in der Tiefe der Wunde latente Infektionskeime um einen 
kleinen eingeschlossenen Sequester aufgedeckt werden, wonach diese Opera- 
tion unbedingt abgebrochen werden muß oder wenigstens eine andere Me- 
thode zu wählen ist, läßt Autor die Heilung größerer Defekte durch Über- 
brückung gestielter Periostlappen unbedingt wertvoller erscheinen. So ist 
es ihm gelungen, besonders am Kiefer größere Defekte in mehreren Fällen 
auf diese Weise zu heilen. | 

Die sichersten Resultate gab Sudeck die Resektion in situ, allerdings 
aber auch beträchtliche Verkürzungen. Nach seinen bisherigen Beobachtun- 
gen ist die Anpassungsfähigkeit der Muskeln an den verkürzten Zustand 
erstaunlich. Nach seiner Meinung läßt sich mit dieser Methode der Resek- 
tion in situ mehr erreichen als mit der freien, autoplastischen Knochen- 
transplantation und ist zu Gunsten einer sicheren und festen Knochenver- 
einigung- die größere Verkürzung in Kauf zu nehmen. Die Mißerfolge auf 
diesem Gebiete seien zu erklären in der: 

1. Wundinfektion infolge Ungunst des Materials 
und 

2. in der mangelnden Entschlossenheit in der 
Durehführung der obenerwähnten allgemeinen For- 
derungen. 

Kriegszahnklinik, Juni 1917. Zilz. 


180 Referate und Bücherbesprechungen. 


Die Bestimmung der Lage und Wirkung von Steckschüssen mittelst der 
Röntgenstrahlen. Von E.Grunmach. D. med. Wochenschr., 43. Jahrg., 
Nr.15 vom 12. April 1917. 


Das Röntgenverfahren zeigt sich zur Fremdkörperlokalisation im 
jetzigen Kriege sehr erfolgreich, sowohl zur Lagebestimmung der in den 
Knochen und Weichteilen steckenden Geschosse als auch zur Ausführung 
der notwendigen Operationen. Zur genaueren Durchführung dieser Lokali- 
sation gibt Grunmach einen Universal-Präzisionsapparat*) an, der den 
durch Pelotten fixierten Patienten in verschiedener Lage und Stellung ganz 
besonders bei Drehung um die Längsachse in beliebigem Durchmesser bei 
Zentral- und Parallelprojektion der Körperteile zu untersuchen gestattet. 
Zur Orientierung wird wohl stets die einfache wie die Stereo-Aktino- 
graphie herangezogen. Einige Krankengeschichten zeigen die genaue Loka- 
lisation solcher Fremdkörper. Die Röntgenstrahlen sind demnach den alten 
Untersuchungsmethoden bedeutend überlegen. Bei steckenden Geschossen 
ist die Beurteilung besonders wichtig wegen Rentenansprüchen bei Organ- 
verletzungen. 

Kriegszahnklinik, Juli 1917. Zilz. 


Les Cliniques dentaires dans l’armee. (Die Zahnkliniken bei der Schweizer 
Armee.) Revue trimestrielle suisse d’Odontolögie, Vol. XXVI, Nr. 4, 1916. 


Die zahnärztliche Behandlung der Soldaten des Schweizer Heeres 
war vor dem Kriege eine untergeordnete. Die Militärärzte der Truppen 
behandelten die Zähne der Soldaten und die Behandlung bestand meist in 
der Extraktion des schmerzenden Zahnes. In den Rekrutenschulen wurde 
der Pflege des Gebisses schon eine erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet 
und die regelmäßige Inspizierung und Behandlung der Zähne war einem 
Zivilzahnarzte anvertraut. Seit dem Kriege wuchs die Erkenntnis von dem 
Werte eines gesunden Gebisses für den Mann und die damit eng verbundene 
körperliche Leistungsfähigkeit und Diensttauglichkeit und man ging 
daran, die zahnärztliche Behandlung des Soldaten zu organisieren. In Gar- 
nisonen, wie Z. B. auf dem St. Gotthard, konnte die Mannschaft ohneweiters 
zahnärztlicher Behandlung zugeführt werden, schon schwieriger war die 
Sache bei den mobilen Truppen, und man suchte diesem Übelstande auf ver- 
schiedene Weise abzuhelfen, sei es durch Kontrakte mit Zivilzahnärzten, 
sei es, daß man Zahnärzte ausfindig machte, die militärischen Rang hatten. 
Da sich all das aber als unzulänglich erwies, ging man daran, versuchsweise 
Zahnkliniken den Etappenlazaretten anzugliedern und begann mit zweien, 
dem von Olten und Soleure. Durch die daselbst gemachten Erfah- 
rungen angeregt, wurde vom Sanitätschef der Schweizer Armee der Vor- 
schlag gemacht, den zahnärztlichen Dienst in der Armee zu reorganisieren 
und einheitlich auszugestalten. Der Vorschlag umfaßte weiters die Schöp- 
fung eines militärzahnärztlichen Korps, dessen Mitglieder nach Absol- 
vierung der vorgeschriebenen Kurse den Rang eines Sanitätsoffiziers 
(officier sanitaire) erhalten sollten. Die Tätigkeit dieser Regimentszahn- 
ärzte (dentistes de regiment) besteht in Extraktion der für die Konser- 


1) Die Abbildung und Beschreibung dieses Apparates befindet sich in der 
„Diagnostik mittelst Röntgenstrahlen“ von Grunmach, Leipzig 1914. 


nn a a SE 








Referate und Bücherbesprechungen. 181 


vierung ungeeigneten Zähne und im Herstellen ganz einfacher, aber dauer- 
hafter Füllungen. Jede Division erhält eine Divisionszahnklinik (clinique 
dentaire de division), in welcher Prothesen angefertigt werden, dort sind 
-auch Zahntechniker eingeteilt. Dieses System hat den Vorteil, daß die zahn- 
ersatzbedürftigen Soldaten bei ihrem Korps bleiben und nach Herstellung 
einer Prothese sofort wieder ihrem Truppenkörper überstellt werden können. 
Dadurch entfällt eine oft langdauernde Beurlaubung des Soldaten, denn 
der Zeitraum von der Extraktion bis zur völligen Ausheilung des Kiefers 
beträgt oft viele Monate. | 

Diese Neuorganisierung der Armee auf zahnärztlichem Gebiete ist 
nur für die Zeit des Krieges vorgesehen, im Frieden wird die große Menge 
der Zahnleidenden an verschiedenen Stellen aufgeteilt werden und das 
Material wird dem Studium der Militärzahnärzte vorbehalten. Diese müssen 
in der Prothetik, der Kieferbruchbehandlung und in der Mundchirurgie 
bewandert sein. Wegen der großen Tragweite und Bedeutsamkeit dieser 
Organisation hat der Armeesanitätschef im Februar 1916 eine Anzahl 
von Zahnärzten in Spezialkurse berufen, die in Zürich stattfanden. Die 
Schweizerische Bundesverwaltung hat die nötigen Geldmittel zur Entsen- 
dung einer Kommission von Schweizer Zahnärzten zur Besichtigung der 
spezialistischen Kieferstationen bei den einzelnen Kriegführenden bewilligt. 
Die Neuaufstellung von Zahnkliniken und die Aktivierung eines Korps 
von Militärzahnärzten hat sich bei der großen Bedeutung dieses Zweiges 
der Medizin als eine Notwendigkeit erwiesen, aus welcher der Armee der 
größte Nutzen erwachsen würde. 

Kriegszahnklinik, Juli 1917. Zilz. 





Six semaines d'études a la Clinique stomatologique de Hospital militaire 
du Val-de-Grâce à Paris. (Sechs Wochen Studium an der Klinik für 
Mundchirurgie des Militärspitales Val-de-Gräce in Paris.) Vortrag, gehal- 
ten von M. E. Comte, Orthodontist, in der „Société de Chirurgie den- 
taire de Genève“ am 4. Dezember 1916. Revue trimestrielle suisse 
d’Odontologie, Vol. XXVI, Nr. 4, 1916. 


Der von dem Orthodontisten M. E. Comte unter obigem Titel 
gehaltene Vortrag bildet einen wertvollen Beitrag zur Therapie der Kiefer- 
verletzungen in Feindesland und enthält eine ausführliche Beschreibung 
der im Militärspitale von Val-de-Gräce üblichen und daselbst mit Erfolg 
angewendeten Behandlungsmethoden der Kieferschußverletzungen. Ver- 
fasser schildert uns in einer kurzen Einleitung die Entstehung des Militär- 
spitales Val-de-Gräce. 

Das Militärspital Val-de-Gräce, ein vormaliges Kloster aus dem 
Jahre 1645, wurde auf Befehl der Königin Anna von Österreich, der Mutter 
Ludwigs XIV., nach einem Plane von Mausard erbaut; nach der französi- 
schen Revolution wurde es von Napoleon in ein Spital umgewandelt, seit- 
dem ist es durch eine Anzahl von neuen Baulichkeiten wesentlich ver- 
größert worden. Die stomatologische Abteilung in Val-de-Gräce untersteht 
dem Stabsarzte Dr. Frey, welcher dieselbe, unterstützt von einem Stabe 
von zwölf Operateuren, mit seltener Umsicht leitet. Gleichzeitig hatte 
Verfasser Gelegenheit, andere Pflegestätten der Zahnheilkunde kennen zu 
lernen; so erwähnt er die Ecole dentaire, die Ambulance americaine, 
l'Hospital Michelet und l’Hospital canadien. 


182 Referate und Bücherbesprechungen. 


Im Kapitel „Generalites“ teilt Verfasser die Kieferverletzten ein in 
frische Verletzungen und Verletzungen älteren Datums. Die Behandlung 
der ersten Kategorie ist die einfachere und zeitigt viel bessere Resultate 
als jene alter Verwundungen. Die Reposition der Bruchstücke kann so- 
gleich erfolgen, ihre Fixation geschieht durch eine Schiene. Verwundete 
älteren Datums kommen häufig mit vernarbten Wunden an, die Behand- 
lung ist daher eine viel langwierigere, die Narbenzüge und Verwachsungen 
behindern die Reposition der Fragmente und diese selbst kann nur mit 
Hilfe von sehr stark wirkenden Apparaten bewerkstelligt werden. Die 
Apparatur der Kieferbrüche besteht in Drahtverbänden, gestanzten oder 
gegossenen Schienen und Kautschukschienen. 


In Val-de-Grâce werden hauptsächlich Drahtverbände verwendet, 
in der Ambulance americaine gestanzte Schienen und in der Ecole dentaire 
Schienen aus Silber. 


Die unter dem Namen „Appareils de restauration maxillo-faciale“ 
und „Apparails tuteurs pous Autoplasties“ beschriebenen Behelfe bei 
den diversen Plastiken im Bereiche des Gesichtes sind uns bekannt. Ver- 
fasser beschreibt einen von M. Ruppe erfundenen Apparat, der verstell- 
bar ist und für jeden beliebigen Fall von Gesichtsplastik verwendet werden 
kann. Derselbe besteht aus zwei auf den Zähnen fixierten gegossenen 
Schienen, die durch einen horizontal verlaufenden, abnehmbaren Barren 
verbunden sind, welcher 2 vertikale und 2 horizontale sehr kurze Hülsen 
trägt, ferner aus einem Walle mit zwei für die horizontalen Hülsen bestimm- 
ten Stiften für die Lippen und zwei für die vertikalen Hülsen bestimmten 
Stiften für das Kinn. Während der Operation sind diese Unterlagen in der 
gewünschten Distanz fixiert. Im Oberkiefer sind die vertikalen Hülsen ganz 
kurz und auf dem Barren ist ein Stützgerüst für die Nase angebracht. 
Wenn die Plastiklappen eingeheilt sind, kann derselbe Apparat auch zur 
Narbendehnung verwendet werden. Für das Kinn verwendet man eine Form 
aus Zinn, die durch ihr eigenes Gewicht wirkt. Dadurch entsteht der große 
Vorteil, den Apparat nicht abnehmen zu müssen und eine andere Vorrich- 
tung zu konstruieren, was viel Zeit und Mühe erfordern würde. Dieser 
Apparat läßt sich jedem einzelnen Fall adaptieren, sein Hauptprinzip be- 
steht in der Möglichkeit, alle Teile verschieben zu können. 


Das Kapitel „Trismus‘ handelt von den Apparaten und Vorrichtun- 
gen zur Behebung der Kieferklemme. Interessant ist die von Dr. K o- 
nindjy mit Erfolg angewendete physiotherapeutische Behandlung der 
Kieferklemme bei Kranken, die von ihm mit dem Namen „reeduques spas- 
modiques‘“ bezeichnet werden. | 


Im Kapitel „Greffe cartilagineuse‘ berichtet Verfasser über die guten 
Resultate der Knorpeltransplantation. Dr. Morestin vom Val-de- 
Gräce wendet dieselbe in schweren Fällen an Stelle der Knochentransplan- 
tation an. Das Transplantat, das meist von den Rippenknerpeln genom- 
men wird, resorbiert sich nur schwer. Dr. Morestin bedient sich dieser 
Methode, um dem weichen Gewebe eine Unterlage zu geben, z. B. um eine 
eingezogene Narbe zu beheben, um die Form der Wange oder Lippe 
wiederherzustellen, um einen Defekt am Schädelknochen zu schließen, selbst 
zur Wiederherstellung des Unterkiefers, in welchem Falle der Knorpel an- 
statt des Knochens verwendet wird. Verfasser ist der Ansicht, daß die 





Referate und Bücherbesprechungen. 183 


STE Dal von viel besserem Erfolge begleitet ist als die Knochen- 
plastik. 

Eine, meines Wissens auch bei uns nicht bekannte, vom Verfasser 
sehr gepriesene Methode ist das schichtenweise Abtragen der wulstigen 
Narben mit einer Ebonitfraise (Rabotage des cicatrices). Dieses Verfahren 
ist eine Erfindung des schon an anderer Stelle erwähnten Dr. Konindjy 
und wird im Val-de-Gräce häufig und mit gutem Erfolge angewendet. 

Der letzte Abschnitt ist der Faradisation gewidmet. 

Der Vortrag bietet an der Hand guter und recht interessanter Abbil- 
dungen manches Interessante und führt uns in anschaulicher Weise die 
Tätigkeit der französischen Zahnärzte vor Augen, was jedoch in gegen- 
wärtiger Zeit für uns noch neu ist. 

Kriegszahnklinik, Juli 1917. Zilz. 


Die überzähligen oberen Inzisivi des Menschen. Von L. Bolk, Amsterdam. 
D. M. f. Z., H.4, April 1917. 


Bezüglich der Deutung der überzähligen Zähne stehen noch immer 
ziemlich unvermittelt jene Ansichten entgegen, von denen die eine alle 
solche Bildungen als Atavismen, die andere als reine Zufallsbildungen an- 
sieht, während eine dritte in manchen Fällen Atavismen, in den meisten 
dagegen bedeutungslose Varietäten sieht. Für die Varietäten im Bereiche 
der oberen Schneidezähne versucht nun Bolk in der vorliegenden Arbeit 
die geltenden Gesetzmäßigkeiten ausfindig zu machen. Vor allem bemer- 
kenswert ist dieser Versuch schon aus dem einen Grunde, weil Bolk hier 
wiederum ein ganz besonders reiches Material zur Verfügung stand, das er 
überdies vollzählig abbildet. 

Zunächst ist es wichtig festzustellen, welches die ursprüngliche Zahl 
der Schneidezähne der Säuger war. Bolk zählt deren drei, welche Zahl 
ja auch für die Plazentalier als Maximalzahl gilt. Der Befund von fünf 
Schneidezähnen bei Beutlern, der als maßgebend für die Säugerahnen 
zitiert wird, erklärt sich nach der Meinung Bolks daraus, daß hier Zähne 
beider Generatienen gleichzeitig funktionieren. (Die diesbezügliche Arbeit 
Bolks wurde im dieser Zeitschrift ausführlich besprochen.) So wäre also 
beim Menschen natürlich nur ein Schneidezahn jederseits verloren ge- 
gangen. Die Frage nach der Lokalisation dieses Zahnes beantwortet sich 
nach Bolk aus dem Umstande, daß sich einer der anomalen Zähne in der 
Inzisivengegend „durch seine Form und sein weiteres Betragen“ durchschnitt- 
lich von den übrigen unterscheidet. Es ist jener, der in typischen Fällen knapp 
neben der Medianebene zur Anlage kommt, dem Bolk daher den Namen 
Mcesiodens gibt. Der Mesiodens ist im allgemeinen ein Kegelzahn, der 
bei besonders kräftiger Ausbildung dütenförmige oder mehrspitzige Kronen 
zeigen kann, ja sogar in zwei Zähnchen sekundär zerlegt sein kann; nie- 
mals zeigt er die typische Schneidezahnform. Er liegt zumeist hinter der 
Zahnreihe, kann jedoch auch in diese verlagert sein, wobei es aber als 
charakteristisch gelten kann, daß dadurch die Anordnung der Inzisivi schwer 
gestört wird. 

Die zweite Gruppe überzähliger Schneidezähne unterscheidet sich ge- 
rade in bezug auf den letzten Punkt von Mesiodens. Hier ist der überzählige 
Zahn gewöhnlich der Reike ohne jede Störung des Zahnbogens eingeordnet. 


184 Referate und Bücherbesprechungen. 


Seine Form kann entweder die eines normalen Schneidezahnes sein, so daß 
man tatsächlich von einer Verdopplung des I» reden kann, oder — und 
diese beiden Extreme sind durch alle Übergänge verbunden — es finden sich 
an der Stelle des lateralen Schneidezahnes zwei rudimentäre Kegelzähnchen. 
Bolk vertritt nun die Ansicht, daß man bei den letzteren Varietäten nicht 
eigentlich von einem überzähligen Elemente sprechen kann, „sondern daß 
hier immer zwei Zähne zusammen die Stelle eines einzigen vertreten“. Zu 
dieser Ansicht kommt B o 1k vor allem durch das Studium solcher Fälle, in 
denen auf der einen Seite ein „Doppelzahn‘“, auf der anderen jedoch eine 
unvollständige, oft nur angedeutete Spaltung eines Schneidezahnes vorliegt. 
Solche Fälle sowohl am medialen als am lateralen Inzisivus sind ja genügend 
bekannt. 

Im Gegensatz zu dem als Atavismus zu deutenden Auftreten des 
Mesiodens sind die anderen Fälle als schizogene Variationen, als Spalt- 
bildungen eines Zahnes aufzufassen. Zur Erklärung des Zustandekommens 
dieser Spaltungen greift Bolk wieder auf seine Theorie der: Entstehung 
des Säugerzahnes zurück. Dessen Keim enthält die Potenz zur Bildung 
zweier, dreizackigen Reptilienzähnen homologer Anteile, eines bukkalen 
Protomers, eines lingualen Deuteromers (Dimertheorie). An den mensch- 
lichen Schneidezähnen zeigen sich diese drei bukkalen Höcker noch an der 
Schneidekante in Form der bekannten Zackenbildung, doch ist — besonders 
am lateralen Inzisivus — die mittlere Zacke rudimentär. Aus dem gänz- 
lichen Fehlen dieser Mittelzacke und des ihr entsprechenden Kronen-W urzel- 
teiles erklärt Bolk nun die Spaltung des Schneidezahnes. Eine andere 
Möglichkeit zur Entstehung eines überzähligen Schneidezahnes als die 
1. durch das Auftreten des Mesiodens und 2.durch die Spaltung in einen 
mesialen und einen distalen Anteil gegebenen, wäre 3. die Spaltung in einen 
bukkalen und einen lingualen Anteil, d.h. in das Protomer und das Deute- 
romer. Da letzteres durch das Tuberculum dentale manifestiert wird, bedeutet 
dies also eine Abtrennung dieses hypertrophierten Höckerchens vom Zahne. 
Übergroße Tubercula dentalia sind ja öfters beschrieben worden. Doch kann 
Bolk für diese letztere Gruppe keinen einwandfreien Fall beibringen. 

Der Versuch einer Deutung und Klassifizierung der überzähligen 
oberen Schneidezähne, den Bolk hier bringt, ist eine durchaus originelle 
und dabei höchst einfache Lösung dieser Frage. Er wird jedenfalls auch zu 
einer erneuten Durchsicht der hierhergehörigen Fälle anregen, was eine 
äußerst erwünschte Bereicherung des Bolkschen Materials er une 

icher. 


01-410 +: - ——— 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 





Druck von Gottlieb Gistel & Cile., Wien, III., Mühzgasse 6. 

















Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 
Organ % die wissenschaflichen Zahnärzte Österreichs. 


Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 


XVI. Jahrgang. 


Juli 1918. | 7. Heft. 








Nachdruck verboten. 


Original-Arbeiten. 





Ein Fall von isolierter Nekrose und Sequestration 
der Alveole eines kleinen Schneidezahnes in ge- 
schlossener Zahnreihe. 


Vor k.u.k. Oberstabsarzt Prof. Dr. Rudolf Weiser, Chef der chirurgisch- 
prothetischen Abteilung, und Dr. Fritz Pordes, Vorstand des Röntgen- 
institutes am k.u.k. Reservespital Nr.17 in Wien. 


(Mit 5 Figuren.) 


Nekrosen an den Kieferknochen können bekanntlich — nebst den 
Ursachen, die Nekrosen auch an allen Teilen des Organismus zu setzen 
pflegen — noch aus einer Anzahl spezieller Ursachen entstehen. Als in 
früheren Zeiten häufigste und darum meist genannte mag die Phosphor- 
nekrose der Mandibula zunächst angeführt sein. 

Eine weitere Ursache häufiger Nekrosen des Processus alveolaris ist 
die arsenige Säure, das allgemein verwendete Devitalisierungsmittel. Ver- 
einzelte Nekrosen medikamentösen Ursprunges kommen nach subgingivalen 
Injektionen vor. Auch beobachteten wir eine ausgedehnte Nekrose des 
(Graumendaches, bei der allerdings post festum nicht mehr feststellbar war, 
ob es sich um eine selten schwere Gefäßschädigung durch das injizierte 
Adrenalin oder um eine Verwechslung von Medikamenten gehandelt hatte. 
Nicht ganz selten setzt auch das als Pulpkanal-Desinfiziens verwendete 
Formalin mehr oder minder ausgedehnte Nekrosen. 

Bei dem hier darzustellenden Falle ist erst in zweiter Linie die -- 
allerdings unsicher bleibende — Ätiologie, vor allem jedoch die seltsame, 
sit venia verbo „schöne“ röntgenographische Morphe und der dem Röntgen- 
beiunde völlig adäquate Operationsbefund das Interessierende. 

L.S., 24 Jahre alt. Vielfach behandeltes Gebiß. 2] Richmondkrone. 
1| devitalisiert und wurzelgefüllt. 2 1) tragen miteinander verlötete Rich- 
mondkronen. Entsprechend der Mitte des Jugum alveolare der Wurzel 
des 2| ein linsengroßer, flacher, Schleimhaut und Periost durchsetzender, 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 13 


au. ee E S 


186 Rudolf Weiser und Fritz Pordes. 


scharf begrenzter Defekt, auf dessen Grunde die entsprechende Partie des 
Jugum alveolare als Sequester freiliegt. 

Wiewohl dieser Befund zu der Hoffnung berechtigt hätte, daß es sich 
in diesem Falle vielleicht um eine ganz zirkumskripte Nekrose infolge 
eines Traumas, etwa einer mißglückten therapeutischen Maßnahme (Igni- 


Fig.1. 






SSS 





b) 


Kombinationsskizze der Röntgenanalyse (Diagnostogramm) von 2l, 1l und E 
Die unten stehenden Ziffern bezeichnen den Zahn. 
Orientierungsziffern in der Skizze: 1 Foramen incisivum. 2 Sutura mediana palati. 3 ver- 
schiedenes Füllungsmaterial am l. 4 Wurzelfüllung. 5 hanfkorngroßer, scharf begrenzter 
periapikaler Resorptionsherd. 6 miteinander verlötete Richmondkronen des 1] und 2]. 
7 Stift, mesial exzentrisch. 8 Wurzelfüllung. 9 Arrosionen am Apex des 1]. 10 mäßig scharf 
begrenzter linsengroßer periapikaler Resorptionsherd am 1|. 11 Stift. 12 Wurzelfüllung in 
2 Etagen gelegt. 13 normale Alveolarkompakta. 14 ein 2mm breiter Streifen resorbierter 
Alveole. 
Die mesiale 2| Alveolarkompakta leicht aufgefasert. Die distale 1| Alveole knapp oberhalb 
Fi des Limbus verdünnt (eröffnet?). > 


punktur, Ätzschorf durch konzentrierte Karbolsäure, Trichloressigsänre 
u. dgl. m.) handelt und somit der pathologische Zustand einfach durch Ab- 
hebelung einer nekrotischen Lamelle, Mobilisierung und Naht der benach- 
barten Schleimhaut und Beinhaut zu beheben gewesen wäre, wurde doch 
zur Sicherheit und zur Vervollständigung der Ätiologie der Fall der rönt- 
genologischen Analyse zugeführt. 





Ein Fall von isolierter Nekrose und Sequestration der Alveole etc. 187 


Die weitere Anamnese kann, da Patient wiederholt in verschiedener 
zahnärztlicher Behandlung stand, nicht klar genug festgestellt werden. 

Namentlich bleibt die Frage, ob der Zahn vom Zahnarzt devitalisiert 
wurde oder an Pulpitis gangraenosa e carie penetrante gelitten hatte, 
unbeantwortet. 

Der Röntgenbefund ergibt (s. Fig. 1): |I zu vier Fünfteln mit 
schwerem Material gefüllter Pulpakanal. Periapikal ein hanfkorngroßer, 
kugelrunder, gut begrenzter Resorptionsherd. 1| Richmondkrone mit dem 
gekrönten 2| zu einer zweizähnigen Brücke verbunden. Mäßig langer, 
leicht mesial deviierter Stift. Pulpkanal bis über die Hälfte hinauf er- 
weitert und gefüllt. Der Apex arrodiert. Periapikal ein linsengroßer, 
ziemlich gut begrenzter, runder Resorptionsherd. 


Fig.2. Fig. 8. 





NUN 


ai f 
T T D 


2| Richmondkrone mit mäßig langem, abgerundetem, gut stehendem 
Stift ausgestattet. Der Pulpkanal ist zu neun Zehnteln stark erweitert, die 
Radix zu einer dünnen, an den Mantel eines Spitzgeschosses erinnernden 
Schale ausgehöhlt, die Höhlung (mit Guttapercha) gefüllt. 

Um die Wurzel zieht sich der normal breite Periodontalraum, auf 
den die distal und periapikal röntgenologisch voll- 
kommene, nur gegen den mesialen Limbus etwas aufgefaserte Alveolar- 
kompakta folgt. Jenseits der Alveolarkompakta folgt ein Streifen von 
l!/.—2 mm Breite, in dem die Alveolarspongiosa vollständig fehlt. In 
der angegebenen Distanz beginnt — ohne reaktive Kompaktabildung, ohne 
Randsklerose, kurz ohne jegliches reparatives oder sonst entzündliches 
Symptom — die normale Spongiosatextur, so daß die freien Enden der 
Spongiosabälkchen gegen den Resorptionsstreifen vorragen. 





13* 


188 Rudolf Weiser und Fritz Pordes. 


Der Resorptionsstreifen ist knapp oberhalb des mesialen Alveolar- 
limbus am breitesten und verdünnt sogar etwa 2 mm oberhalb desselben die 
Alveolarkompakta des 1| an einer Stelle. Diese gewinnt jedoch bis zum 
Limbus» wieder ihre normale Breite und Textur. 

3] röntgenologisch normal. 

Ein vorsichtiger Versuch, den oben beschriebenen linsengroßen Schleim- 
haut- und Periostdefekt durch einen 2 mm langen vertikalen Schnitt nach 
aufwärts zu vergrößern und die zutage liegende sequestrierte Partie des 
Jugum alveolare abzuhebeln, wurde als aussichtslos sofort wieder eingestellt. 
Vielmehr schritt man am 9. Dezember 1917, nachdem schon der röntgeno- 
logische Befund der periapikalen Verhältnisse des rechten oberen mittleren 
Schneidezahnes (1|) eine Wurzelspitzenresektion als indiziert erscheinen 
ließen, um so lieber zur operativen Behandlung, in diesem Falle sozusagen 
zur Autopsia in vivo der klinisch rätselhaften Wurzel des seitlichen 
rechten oberen Schneidezahnes (2]), zumal auf diese Weise sich beide Ein- 
griffe zu einem Akte verbinden ließen. Es wurde somit ohne Rücksicht 
auf den linsengroßen Substanzverlust in der Mitte des Jugum alveolare des 
seitlichen Schneidezahnes der typische flache Bogenschnitt von der Höhe 
der Wurzelspitze des rechten oberen Eckzahnes ohne Schonung des Lippen- 
bändchens bis zur Höhe der Spitze des linken oberen Schneidezahnes durch 
Schleimhaut und Periost geführt; hierauf erfolgte die Abhebelung der 
Weichteile von der Kortikalis des Alveolarfortsatzes und nun stellte sich 
sofort ein überraschendes Bild ein: 

Die Alveole des seitlichen Schneidezahnes lag in ihrer Gänze, das 
heißt bis zur Wurzelspitze hinauf, in Form und Struktur als eine an einen 
Auerlichtstrumpf erinnernde Schale über der Wurzel des seitlichen Schneide- 
zahues klar zutage (Fig. 2) und war beim Einsetzen einer starren Sonde in 
eine Masche des Strumpfes deutlich in einer Elongation von etwa 2 mm 
nach auf- und abwärts verschieblich. Dieser dem Operateur bisher noch 
nicht untergekommene autoptische Befund gewann an Interesse noch mehr, 
als die in der Höhe der Wurzelspitze beginnende Kortikalis des Os maxillare 
auch noch auf etwa 3mm nekrotisch war. Der Operateur umschrieb durch 
eine Serie von kleinen Löchern (s. Fig. 3), die mit einem feinen Rosen- 
bohrer an der Grenze gegen die gesunde Kortikalis gebohrt und hierauf 
mit einem schlanken Fissurenbohrer untereinander verbunden wurden, die 
abgestorbene Partie des Knochens, worauf es ein Leichtes war, die vordere 
Wand eines von Granulationen ausgefüllten Hohlraumes in der Spongiosa 
abzuhebeln. Nach dieser Vorbereitung gelang es überraschenderweise, den 
in Fig.4 abgebildeten mantelförmigen Sequester der Schneidezahnalveole 
so vollständig von der entsprechenden Wurzel abzustreifen (Fig. 5). so daß 
das Präparat — mit Ausnahme cines kleinen Schlitzes an der vom Beschaucer 


Ein Fall von isolierter Nekrose und Sequestration der Alveole etc. 189 


abgewandten Seite — unversehrt auf den zahnärztlichen Instrumententisch 
gelegt werden konnte. Auf diese Phase der Operation folgte die Resektion 
eines — gegenüber der Norm — etwas größeren Stückes Wurzel, was aber 
dank dem Umstande, daß genügend Periost und Schleimhaut zur Be- 
deckung des Wurzelrestes vorhanden und daß der gekrönte seitliche 
Schneidezahn, wie oben beschrieben, durch eine kleine Brücke mit der 
krätigen Wurzel des mittleren Schneidezahnes verbunden war, weiterhin 
zu keiner Besorgnis erregenden Lockerung der Krone des seitlichen Schneide- 
zahnes führte. — Den Schluß des operativen Eingriffes bildete die Resektion 
eines 2 mm langen Stückes Wurzelspitze des mittleren Schneidezahnes, die 





ganz typisch verlief und insoferne auch von einem besonders schönen Erfolg 
gekrönt war, als es in diesem Falle gelang, mit dem resezierten Wurzel- 
spitzchen gleichzeitig den daran festhaftenden Abszeßsack in toto zu ex- 
trahieren. 

Es handelt sich demnach um isolierte Nekrose der Alveole des rechten 
oberen seitlichen Schneidezahnes (2|) ohne Zeichen von reaktiven oder 
reparativen Prozessen von seiten des umliegenden (Gewebes. 

Die röntgenographische Morphe schließt entschieden einen meta- 
statischen osteomyelitischen oder sonst allgemeinen, d. h. dyskrasischen 
Prozeß aus; vielmehr deutet alles auf eine lokale Noxe, am wahrschein- 
lichsten arsenige Säure, an zweiter Stelle Formaldehyd. 


190 H. Pichler. 


Unterkieferresektion wegen Progenie. ') 
Von Dr. H. Pichler. 


Die Progenie ist eine typische, keineswegs seltene Anomalie (nach 
Kantorowiez 1!/% aller Menschen), welche im wesentlichen in einer 
abnermen Länge des horizontalen Unterkieferastes besteht. Sie ist ohne 
Zweifel in hohem Maße erblich. Während in einfachen Fällen von Angles 
Ci. III der Okklusionsanomalien eine deutliche Anpassung der schlecht 
gestellten Zahnreihen aneinander zu bemerken ist, welche noch zur Ent- 
wicklung eines relativ brauchbaren Gebisses führt, ist in hochgradigen 
Fällen von Progenie das Wachstum des Unterkiefers gewissermaßen 
schrankenlos, so daß die Zahnreihen schließlich den Kontakt miteinander 
fas, ganz verlieren. Während erstere Fälle sich noch relativ ungezwungen 
so wie andere Stellungsanomalien aus mechanischen Momenten erklären 
lassen, scheint bei den letzteren ein besonders pathologisches Moment mit- 
zuspielen oder zu überwiegen, das wir nicht genügend kennen. Die ortho- 
dontische Therapie kann bei schwach ausgebildeten Fällen vollen Erfolg 
erzielen, namentlich dann, wenn sie schon prophylaktisch bei den ersten 
Anzeichen der Anomalie einsetzt. In hochgradig ausgebildeten Fällen ist 
es evident, daß nur eine chirurgische Verkleinerung der Mandibula von 
Erfolg sein kann, wie das bekanntlich Angle schon hervorgehoben hat. 
Die große Entstellung des Gesichtes und die hochgradige Störung der 
Kaufunktion verlangen bisweilen gebieterisch nach Abhilfe. 

So war es bei einem 2ljährigen Studenten; seine unteren Schneide- 
zähne standen 1'/»cın vor den oberen, die Zahnreihen trafen überhaupt 
nicht aufeinander, nur ein mesialer Höcker von 7J streifte beim Kiefer- 
schluß eben noch die distale Fläche des 8], die anderen Molaren am Unter- 
kiefer waren durch voreilige Extrakiionen verloren gegangen, so daß iede 
Kautätigkeit unmöglich wurde und Ernährung und Gesundheit des Patien- 
ten wesentlich litten. 

Nach Besprechung mit Prof. W eiser, dem Autor die Zuweisung des 
Patienten verdankt, ging er folgendermaßen vor: 

Zusammenstellung der Gipsmodelle in der besten erreichbaren Ok- 
klusion, darnach Herstellen einer Kautschuk-Scharnierschiene für die 
untere Zahnreihe; ein schwalbenschwanzförmiger Fortsatz derselben paf 
in eine Kavität einer auf den defekten | aufgebauten Krone und war 
durch eine Querschraube daran sicher zu befestigen. Auf der anderen Seite 
Verbindung der Schiene mit dem Öberkiefer durch eine Schrödersche 
Grleitschiene. Der weibliche Teil derselben war an einen Drahtbogen ge- 

1) Vortrag, gehalten in der k k. Gesellschaft. der Ärzte in Wien am 3. Mai 
1915 und Diskussionsbemerkung von Oberstabsarzt Professor Dr. Rudolf W eiser 





Unterkieferresektion wegen Progenie. | 191 


lötet und wurde schon vor der Operation mit Bändern und Drahtligaturen 
au der oberen Zahnreihe befestigt, ebenso die Krone von 5| festzementiert; 
die untere Scharnierschiene wurde erst nach der Resektion aufgesetzt und 
mit gj verbunden. 


Um die genaue Größe der Knochenstücke bestimmen zu können, 
welche herausgesägt werden sollten, wurde die Resektion zuerst versuchs- 
weise an einem Leichenknochen ausgeführt, auf den das Gipsmodell der 
unteren Zahnreihe in natürlicher Lage aufgekittet war. Der Schnitt wurde 
nicht gerade geführt, sondern in .einem nach vorne offenen Winkel, so 
daß am hinteren Fragment eine knöcherne Zacke stehen blieb, die sich 
dem unteren Rand des vorderen Fragmentes anlegen und verhindern sollte, 
daß das distale Fragment durch die Kaumuskeln hochgezogen würde. Durch 
die genaue Messung der entfernten Stücke und die nötigen kleinen Kor- 
rekturen wurden zwei Blechschablonen gewonnenn, welche bei der Ops- 
ration an der äußeren Unterkieferfläche aufgelegt, die nötigen Schnitt- 
linien genau anzeigten. Links war ein Stück von 10 mm Breite zwischen 
8] und 5| zu entfernen, rechts ein Keil mit der schmalen Seite am unteren 
Kieferrand aus der Gegend der fehlenden Mahlzähne von einer durch- 
schnittlichen Breite von 16 mm. Da der Schnitt in den Bereich von 5f ge- 
fallen wäre, wurde dieser Zahn schon vier Monate vor der Operation 
entfernt. 


Die Resektion wurde am 14. Juli 1916 in Leitungsanästhesie aus- 
geführt und verlief vollkommen programmgemäß. Die Durchtrennung des 
Knochens konnte mit der Giglisäge subperiostal ohne Eröffnung der Mund- 
höhle ausgeführt werden. Die Adaptierung der Sägeflächen war ohne jede 
nachträgliche Korrektur nach Einsetzen der Retentionsschiene eine ideale. 
Um auf der linken Seite zu verhindern, daß etwa der Fortsatz des hinteren 
Fragmentes am vorderen vorbeirutsche, wurde hier eine Drahtnaht hinzu- 
gefügt. Die Kiefer wurden nach der Operation für 19 Tage durch Draht- 
ligaturen miteinander verschnürt. Auf der linken Seite nach 8 Wochen 
klinisch völlige Festigkeit, auf der rechten Seite geringe federnde Be- 
weglichkeit, welche erst 10 Monate später völlig behoben war, nachdem 
der 8], der um die abgeknickte Wurzelspitze ein kleines Granulom zeigte, 
entfernt worden war. Dann Ersatz der fehlenden unteren Zähne durch 
eine Prothese. Tadellose Okklusion, nur die 4] erreichen ihre Antagonisten 
nicht ganz, sie sind zirka lınm zu kurz. Ausgezeichnete Kaufunktion, 
Behebung der Entstellung. Der Patient wurde am 15. Februar 1918 in der 
k. k. Gesellschaft der Ärzte kurz vorgestellt, weil er ins Feld abgehen 
mußte. 


Wesentlich für den Enderfolg und zum Teil neu waren: 


192 H. Pichler. Unterkieferresektion wegen Progenie. 


1. Die genaue Vorausbestimmung des Operationsplanes und die ziel- 
bewußte zahnärztliche Vorbereitung der Fixationsschiene; 


2. die ganz extraorale, subperiostale Ausführung der Resektion. 
3. die treppenförmige Durchsägung des Knochens. 


Erschwerend: Das Fehlen von Zähnen hinter der Resektionsstelle 
auf der linken Seite und die chronische Entzündung um die Wurzelspitze 
von 8|. Die letztere war auch die Ursache der einseitig verzögerten Heilung. 


Es handelt sich um eine typische Operation einer typischen Ano- 
malie, welche auf Grund der großen Fortschritte in der Behandlung der 
Kieferbrüche heute mit großer Wahrscheinlichkeit des Gelingens emp- 
fchlen werden kann, wenn Chirurg und Zahnarzt entsprechend zusammen- 
arbeiten. 


Diskussion: Weiser: Meine Herren! Ich erbitte mir Ihre 
Aufmerksamkeit für einige Erläuterungen, welche notwendig sind, wenn 
dem von Herrn Pichler erzielten glänzenden Erfolge in seinem nicht 
nur vom kosmetischen, sondern auch vom funktionellen Standpunkte aus 
nach Abhilfe schreienden Falle von Progenie (Malokklusion III. Klasse 
nach dem Orthodontisten Dr. Eduard Angle) die verdiente Wertung zu- 
teil werden soll. Die in Rede stehende Mißbildung gehört nicht gerade 
zu den großen Seltenheiten und die Orthodontie führt, wie Herr Pichler 
erwähnt hat, mit mehr oder weniger Glück leichtere Grade der Pro- 
genie der unblutigen Behandlung zu; hat man sich dagegen in der 
Literatur umgesehen, wie es bisher mit der blutigen, chirurgisch- 
zahnärztlichen Therapie von Fällen hochgradiger Progenie 
stehe, so ergab sich die deprimierende Tatsache, daß die hervorragendsten 
spezialistischen Autoren eigentlich die Frage nur theoretisch mit dem Ent- 
wurfe von Behandlungsplänen beantworten und mit der Beratung sich be- 
schäftigen, wie weit der Zahnarzt mit seinen vorbereitenden Maßnahmen 
zu gehen habe und in welcher Weise der Chirurg seine blutig-orthopädische 
Aufgabe lösen solle. Unterzogen wir aber gar die Fälle, in, welchen je 
ein Chirurg und ein Zahnarzt sich schweren Herzens und nach reiflicher 
Erwägung der großen Verantwortung und nach strenger Prüfung 
der Indikation zur praktischen Durchführung der operativen Be- 
handlung eines Falles von Progenie aufgerafft haben, einer sachlichen 
Kritik, so muß man sich gestehen, daß die Resultate eher abschreckend als 
ermutigend wirkten. Hiebei muß ich jedoch zu meinem Bedauern gestehen, 
daß mir die beiden von Pichler zitierten und von Chirurgen allein 
behandelten Fälle weder aus der Literatur noch aus eigener Anschauung 
bekannt waren. 














Anton Nicklas. Beitrag zur Behandlung putrider Wurzelkanäle. 193 


So maneher heroische Meister des Messers wird vielleicht ironisch 
lächeln, wenn ich die Ausdrücke „bangen Herzens“, „große Verantwor- 
tung“ und „aufraffen“ gebrauche; dennoch halte ich diese Ausdrücke für 
den in Rede stehenden Gegenstand aufrecht und gebe zu bedenken, in welch 
peinliche Lage der praktische Zahnarzt und in welch krüppelhaften Zustand 
ein Patient kommt, wenn eine osteotomische Korrektur von Progenie gänz- 
lich oder aueh nur teilweise mißlingt, wenn der Patient eine kosmetische 
Entstellung und eine mehr oder weniger bedeutende Beeinträchtigung der 
K:ufunktion, welch letztere sich bis dahin vielleicht durch eine sorgfältige 
Regelung der Diät einigermaßen päralysieren ließ, eintauscht gegen eine 
halb- oder beiderseitige Pseudarthrose, gegen ein Herabsinken des Unter- 
kıefermittelstückes mit Eintritt von „offenem Bisse“, Ausfließen des 
Speichels und von Flüssigkeiten dureh die habituell offen gewordene Mund- 
spälte, gegen Dislokation auch der distalen Fragmente und was sonst die 
Feolgezustände einer mißglückten derartigen Operation sein können. 

Tritt man überhaupt an die operative Korrektur einer hoch- 
gradigen Progenie heran, so muß einem von vornherein so viel klar sein, 
daß die einwandfreie Durchführung solcher Behandlungen weder das all- 
gemeine Können des Chirurgen noch das Maß von chirurgischer 
Technik, welches der Durchschnittszahnarzt aufweist, für sich 
allein ausreicht. Dies ist auch der Grund, weshalb sich in den literarisch 
niedergelegten Fällen operativer Behandlung von Progenie in der Regel, 
ein gewiegter Zahnarzt und ein hervorragender Chirurg zu treukamerad- 
schaftlicher Arbeit: zusammengefunden haben. 

Der erste — vom Entwurf des Behandlungsplanes bis zum Siänzenden 
Endresultate — ideal und mit klarem Zielbewußtsein durchgeführte, in 
der Literatur niedergelegte Fall von operativer Korrektur hochgradigster 
Preogenie ist der von Herrn Pichler. Dieser Fall bedeutet einen Triumph 
der österreiehischen Ärzteschaft, der wohl zweifellos dem, glücklichen Um- 
stande zuzuschreiben ist, daß eben Herr Pichler die Eigenschaften dos 
tiichtigen Chirurgen mit den Fähigkeiten eines das Durchschnittsmaß weit 
überragenden Zahnarztes in einer Person vereinigt. 


Beitrag zur Behandlung putrider Wurzelkanäle. 
Von Dr. Anton Nicklas, Baden. 
Die hier zu beschreibende Behandlungsmethode ist so einfach, daß 


ich lange im Zweifel war, ob eine Publikation derselben überhaupt ratsam 
wäre. Da ich aber nunmehr mehrere hundert Fälle gesammelt habe. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 14 


194 Anton Nicklas. 


wclche mir die zuverlässige Wirkung erwiesen haben, diese Fälle auf 
mehr als 3 Jahre zurückreichen und es schließlich eine ganze Menge von 
Behandlungsarten gibt, nach welchen putride Wurzelkanäle erhalten werden 
können, glaube ich berechtigt zu sein, den Herren Fachkollegen meine 
Methode mitzuteilen, wobei ich bemerken will, daß ich nicht bestimmt sagen 
kann, ob dieselbe nicht schon früher versucht worden ist. Ich konnte jedoch 
in der Literatur keine diesbezügliche Arbeit finden. 

Das Prinzip ist, daß fast alle Bakterien durch heiße Desinfektions- 
mittel rascher getötet werden als durch kalte. 

Ich koche daher den Wurzelkanal mit einem Desinfiziens aus und 
mache ihn steril. Man könnte einwenden, daß dies ein etwas brutales 
Verfahren sei. Doch trifft dies nicht zu. Die Patienten vertragen das 
Auskochen recht gut, da es sofort unterbrochen wird, wenn der leiseste 
Schmerz auftritt. Sehr häufig wurde mir ein „viel wohleres Gefühl“ im 
Zahn als das Resultat der Behandlung angegeben. Da ich in der Aus- 
wahl der zu behandelnden Fälle vorsichtig bin und nur jene der Behand- 
lung zuführe, welche eine Erhaltung des Zahnes als berechtigt erscheinen 
lassen, dagegen alle ablehne, in welchen die Wurzel mehr als die Hälfte 
faulig erweicht erscheint oder aus einem anderen Grunde — z.B. höher- 
gradige Alveolarpyorrhoe — nicht dauernd erhalten werden kann, habe 
ich, von den ersten Versuchen abgesehen, noch keinen Mißerfolg aufzu- 
weisen. In einer Sitzung wird gereinigt und sterilisiert, in einer zweiten 
die Wurzel gefüllt, in einer dritten definitiv geschlossen. 

Wenn ich auf die zahlreichen, viele Wochen währenden Behandlungen 
früherer Jahre zurückblicke, fühle ich eine große Erleichterung bei dem 
Gedanken an die rasche, erfolgreiche Arbeit nach der zu schildernden 
Methode, und auch die Patienten sind damit zufrieden, da die endlose An- 
zahl der Sitzungen sich auf 3 oder höchstens 4 reduziert. „Zeit ist Geld“ 
für Arzt und Patienten. 

Nun zur Beschreibung der Methode. 

Mein Instrumentarium besteht aus einer sogenannten Rumpelnadel, 
elektrisch erhitzt, und einem kleinen elektrischen Ventilator, wenn ich von 
den übrigen zahnärztlichen Instrumenten, wie Bohrer, Millernadeln etc., 
absehe. 

Als Desinfiziens verwende ich das alte Trikresol-Formalin 2:1. 

Der Wurzelkanal wird möglichst übersichtlich freigelegt und gründ- 
lich erweitert, und zwar bis zum Foramen apicale. Eine vorherige Sterili- 
sation ist überflüssig, da eventuelle tiefer in die Wurzel eingebrachte In- 
fektionskeime bei der sofort angeschlossenen Desinfektion sicher, wie die 
Tatsache beweist, vernichtet werden. Zur Entfernung der Bohrspäne und 
sonstigem Detritus verwende ich Aqua regia, welches in die Wurzel hinein- 


Beitrag zur Behandlung putrider Wurzelkauäle. 195 


gepumpt wird, und den kleinen Irrigator. Dann wird mit Alkohol und 
Hieilsluft getrocknet. 


Es ist vorteilhaft, den Zahn unter Cofferdam zu halten. In Ermang- 
lung des letzteren genügt jedoch angefeuchtete Watte, die Umgebung 
gegen Verätzung oder Verbrennung zu schützen. 


Aul bekannte Weise wird dann mit einer Pinzette Trikresol-Formalin 
au den Wurzeleingang gebracht und in die Wurzel mittelst verkehrt 
rotierendem Beutelrockbohrer hineingepumpt. 


Hierauf führe ich die kalte Rumpelnadel möglichst weit in den 
\Wurzelkanal ein und schließe den Stromkreis. 


Dabei wäre zu bemerken, daß es nicht vorteilhaft ist, die Platin- 
spirale zur intensiven Rotglut zu bringen, sondern es genügt eine schwache 
Rötung, da bei zu starker Erhitzung einerseits bald Schmerzen auftreten, 
andrerseits leicht Verbrennungen durch die Wurzelwand hindurch ver- 
ursacht werden könnten. Schließlich dürfte auch eine längere Einwirkung 
der heißen Desinfektionsflüssigkeit für die sichere Abtötung der Bakterien- 
flora samt Sporen sprechen. Die in den Depots erhältlichen Rumpelnadeln 
sind gewöhnlich zu dick — die Kupfernadel nämlich —, und man wird gut 
tun, die Nadel möglichst dünn zu feilen, damit sie auch gekrümmten Kanälen 
leicht folgen kann. 


Wo eine elektrische Stromquelle nicht vorhanden ist, kann man auch 
die einfachen, ganz aus Kupfer bestehenden und mit massiver Heizkugel 
versehenen Nadeln verwenden. Leider widersteht der Fibregriff nicht lange 
der Hitze, die Nadel wird locker und fällt schließlich heraus. Ein selbst- 
gefertigter Griff aus Gips, Schamotte und Bimsstein dürfte besser ent- 
sprechen. 


Nach Erhitzung der Platinspirale entwickeln sich alsbald Formalin- 
dämpfe und die Lösung beginnt am Eingange der Wurzel sichtbar zu 
kochen. Damit nun die sich entwickelnden Dämpfe nicht Respirations- und 
Geruchsorgane reizen, entferne ich die ersteren durch den erwähnten Ven- 
tilator, welcher an entsprechender Stelle aufgestellt wird und die Dämpfe 
wegbläst. 

Rationeller würde ein Luftbläser mit verkehrt rotierendem kleinen 
‘Luftkompressor, wie solche seinerzeit in den Depots erhältlich waren, 
wirken, da derselbe die Dämpfe wegsaugen würde. Doch sind gegenwärtig 
derartige Apparate nicht zu bekommen. 


Die Nadel bleibt so lange in der Wurzel, bis der Patient leichten 
Schmerz verspürt — meist 1—2 Minuten —. Dann wird sofort unter- 
brochen und die Nadel entfernt. 


14* 


196 Anton Nicklas. Beitrag zur Behandlung putrider Wurzelkanäle. 


Es empfiehlt sich, die Nadel im Wurzelkanal nicht ruhig zu be- 
lassen, sondern langsam hin und her zu bewegen, damit einerseits die 
Lösung überall hin gebracht und andrerseits Verbrennung verhütet wird. 


Der geschilderte Vorgang — Einbringung der Lösung, dann der Nadel 
und Erhitzung — wird 1—2mal nach dem Grade der vorher bestandenen 
Fäulniserscheinungen wiederholt, dann die Wurzel nach Einlegung eines 
Trikresol-Formalin-Wattefadens fest mit Guttapercha, Zement etc. ver- 
schlossen und 8 Tage in Ruhe gelassen. 


Nach 1—2 Tagen auftretende leichte Schmerzen im Zahn dürften 
auf Exsudationsvorgänge in dem durch die Erhitzung und vielleicht auch 
durch die Trikresol-Formalindämpfe irritierten periapicalen Gewebe zurück- 
zuführen sein. Die Schmerzen schwinden jedoch ohne weitere Folgen rasch. 
Innerhalb erwähnter 8 Tage aus dem Wurzelkanal entnommene Wattefäden, 
welche ich experimenti cauga bloß sterilisiert einlegte, blieben geruchlos. 
In einigen Fällen habe ich der Sicherheit halber nach 8 Tagen nochmals 
behandelt, da die Tampons an der Spitze verfärbt waren. 


Besondere Erwähnung verdient die Tatsache, daß ältere Fisteln — die 
älteste, nach meiner Methode behandelte reichte ca. 4 Jahre zurück — nach 
1—2maliger Behandlung öfter schwinden und nicht wiederkehren. 


Die längste Beobachtung über Dauerheilung einer Fistel beträgt 
3 Jahre und 4 Monate. Doch gelang es mir nicht immer, Fisteln zur 
Ausheilung zu bringen. Von 94 von mir binnen ca.4 Jahren behandelten 
Fisteln kamen 52 zur Heilung, deren Dauerbestand seit 3 Jahren bis in 
die letzte Zeit beobachtet wird. Meist war beim Erscheinen der Patienten 
zur zweiten Sitzung die Fistel verschwunden. In einigen Fällen waren 
2—3 Sitzungen bzw. Behandlungen nötig. 


Natürlich kommen viele Patienten — namentlich in einem Kurorte 
wie Baden — nicht mehr in die Ordination, wenn sie scheinbar geheilt sind. 
Daher ist die Statistik nicht einwandfrei. Doch habe ich nur solche Fälle 
aufgenommen, welche ich in den letzten Jahren beobachten konnte. 

Vielleicht handelt es sich bei Fisteln um direkte Einwirkung des 
Trikresol-Formalin auf die Granulome. Leider war es mir aus äußeren 
Gründen nicht möglich, exakte wissenschaftliche Untersuchungen anzu- 
stellen und muß ich mich auf die experimentellen beschränken. 

Jedenfalls war es für die Patienten und auch für mi’ recht er- 
-freulich, wenn in vielen Fällen von operativen Maßnahmen Abstand ge- 
nommen werden konnte. 

Die beschriebene Behandlungsweise wurde sowohl bei akut-suppı- 
rativen als chronisch-gangränösen Fällen mit Erfolg angewendet. Die 
Dauer des pathologischen Prozesses spielte quoad sanationem keine Rolle. 





Referate und Bücherbesprechungen. 197 


Die Grundlage für den Erfolg erblicke ich in der vorsichtigen Indikations- 
stellung. 

Nach weiteren 8 Tagen wird die Wurzel gefüllt. Ich verwende hiezu 
eine weichbleibende Paste aus Paraffinum liquidum, Zinc. oxydat., Bismut. 
subnitr. mit 10% Thymolzusatz. Bismut setze ich zu, da es manchmal 
wünschenswert erscheinen mag, auch im Röntgenbild die exakte Wurzel- 
füllung nachweisen zu können. 

Die definitive Füllung der Kavität, lege artis präpariert, könnte 
unmittelbar angeschlossen werden. Doch ist es ratsam, damit noch weitere 
8 Tage zu warten, um sicher zu sein, daß die Wurzel „ruhig“ geblieben ist. 

Indem ich die Herren Fachkollegen bitte, diese Methode gütigst 
prüfen zu wollen, würde es mich freuen, wenn dieselben ihre Wirksamkeit 
bestätigen könnten. | 


Referate und Bücherbesprechungen. 





Kursus der zahnärztlichen Kriegschirurgie und Röntgentechnik. Von Pfaff- 
Schönbeck. Klinkhardt, Leipzig 1916. 


Das vorliegende Buch, „den im Heeresdienste tätigen Zahnärzten 
gewidmet“, ist ein in Buchform niedergelegter Zyklus von Vorträgen, die 
im September 1914, bald nach Kriegsbeginn, von den Autoren gehalten 
wurden. Die Wichtigkeit des behandelten Gegenstandes und das aktuelle 
Interesse an demselben haben in kurzer Zeit eine Neuauflage des Buches 
notwendig gemacht, was wohl schon allein für die Verwendbarkeit des- 
selben spricht. 

In der Einleitung wird die Aufgabe besprochen, die die Zahnheilkunde 
im Kriege zu erfüllen hat, und die Notwendigkeit der Heranziehung zahn- 
ärztlicher Mitwirkung bei Behandlung von Kieferverletzten betont. Um 
den Anforderungen zu genügen, die der Krieg an den Zahnarzt stellt, bedarf 
es der Heranbildung von Kriegszahnärzten, deren Wirkungskreis weit in 
das Gebiet allgemeiner ärztlicher Tätigkeit reicht. Was hier als Postulat 
zahnärztlicher Ausbildung aufgestellt wird, mag im Folgenden wieder- 
gegeben werden, da es dem österreichischen Doktor der gesamten Heil- 
kunde, der allein bis jetzt bei uns zur Ausübung der Zahnheilkunde be- 
a ist, freut, derartiges aus der Feder eines deutschen Zahnarztes 
zu lesen. 


Je mehr der Zahnarzt von der sogenannten kleinen Chirurgie ver- 
steht, desto nützlicher wird er sich machen können. Die Verbandslehre sollte er 
ganz beherrschen, so daß er im Notfalle auch einmal selbständig neben den wich- 
tigsten typischen Verbänden für obere und untere Extremitäten, Rumpf, Kopf, 
einschließlich der Tuchverbände, die feststellenden Verbände, Schienenverbände, 
Lagerungsapparate und besonders auch die erhärtenden Verbände (Gipsverband, 
Leimverband) regelrecht anzulegen vermag. In gleicher Weise muß er mit der Ein- 
richtung der Knochenbrüche überhaupt und mit den Lagerungsvorrichtungen für 
solche Verletzte vollkommen vertraut sein. Daß ihm die Grundsätze der modernen 





198 Referate und Bücherbesprechungen. 


Wundbehandlung geläufig sein müssen, ist selbstverständlich. Hierzu gehört natürlich 
auch die Verhinderung jedes unnötigen Blutverlustes. Die Biutstillung durch 
Tamponade, durch Fingerdruck auf die großen zuführenden Gefäße und durch Ab- 
schnürung des ganzen (rliedes, zentral von der Verletzungsstelle mittelst einer 
Gummibinde muß der Kriegszahnarzt ebenso nach allen Regeln der Kunst aus- 
zuführen verstehen, wie ihm auch in dringenden Fällen die Unterbindung von 
Arterien, das Legen der Situationsnähte keine Schwierigkeiten bereiten dürfte. Ge- 
legenheit, sich nach dieser rein ärztlichen Seite zu betätigen, wird es für den 
Zahnarzt in Hülle und Fülle geben. Wenn Gefahr im Verzug und der Arzt be- 
schäftigt oder überhaupt nicht zu erreichen ist, so muß eben auch der Zahnarzt 
nach Kräften behilflich sein, um zu retten, was zu retten ist. Natürlich nur dann, 
wenn er sich sicher genug fühlt und seine Hilfe wirklich erforderlich ist. Warum aber 
der Zahnarzt in dieses Teilgebiet des Chirurgen sich nicht so sollte einarbeiten 
können, daß ihm ein selbständiges Handeln nach den genannten Richtungen zur 
Pflicht gemacht werden könnte, ist nicht einzusehen. 

Mit den angeführten Tätigkeiten ist jedoch die Beihilfe des Zahnarztes im 
Felde noch keineswegs erschöpft. Auch bei den jetzt notwendigen zahlreichen 
Impfungen gegen Cholera, Typhus und Pocken könnte er unter Anleitung eines 
Arztes mitwirken und auch beim Katheterismus, Blut- und Harnuntersuchungen 
u. dgl. m. würde er eine wertvolle Hilfe für den Arzt bedeuten. Besonders aber nach 
einer großen Schlacht, wenn in den Lazaretten viele Hunderte von Verwundeten 
ankommen, muß alles zugreifen, um Hilfe zu bringen, wo sie gerade nottut. Das 
Hilfspersonal kann .deshalb gar nicht groß genug sein. Kommen rubigere Zeiten, 
dann tritt eben wieder eine strenge Scheidung der ärztlichen und zahnärztlichen 
Tätigkeiten ein. 

Angesichts dieser weitgehenden, für die Verwendung des Zahnarztes an 
der Front gestellten Forderungen war man sich in zahnärztlichen Kreisen selbst- 
verständlich sehr wohl bewußt. daß der Kriegszahnarzt der Zukunft einer besonderen 
Ausbildung bedürfe, die auf chirurgischem und orthopädischem Gebiet liegen müsse. 
Denn die Ausbildung, die ihm auf der Universität vermittelt wird, langt bei weitem 
nicht zu, was besonders auf die alte Prüfungsordnung zutrifft. . . .“ 

Das im Vorhergesagten geforderte Maß von Kenntnissen bildet denn 
auch den Gegenstand des Buches, das in einzelnen Kapiteln das aufgestellte 
Thema in recht erschöpfender Weise behandelt. Eine Anzahl dem Texte 
einverleibter Bilder unterstützt das geschriebene Wort. 

Das vorliegende Buch bildet einen empfehlenswerten Beitrag zu der 
im gegenwärtigen Kriege entstandenen, recht umfangreichen Literatur der 
Kieferverletzungen. Freilich ist es nur eine notwendige Anleitung für den 
sich mit der Behandlung beschäftigenden Fachmann, der erst aus der Praxis 
die nötige Erfahrung sammeln und sich das für jeden einzelnen Fall er- 
forderliche Urteil bilden muß. Orn. 


Der der Röntgenologie gewidmete Teil umfaßt 42 Seiten, von denen 
18 die Einführung in die Physik der Röntgenstrahlen und den Bau der 
Apparate enthalten. Die übrigen 24, gut zur Hälfte durch Abbildungen 
konsumierten Seiten beinhalten einen Abriß der Aufnahmetechnik des Ge- 
sichtsschädels, insbesondere des Kiefers. Bei dem besagten Umfange ist 
es von vornherein klar, daß man an die Ausführlichkeit der Behandlung des 
Stoffes keine irgendwie höheren Anforderungen stellen darf. Der Kursus 
der Röntgentechnik ist von Dr. phil.F.Schönbeck, chemischem Assi- 
stenten des zahnärztlichen Instituts Leipzig. 

Dem Fache des Verfassers entsprechend ist der physikalische und 
technische Teil vorzüglich geraten. In kurzer, prägnanter Form, dennoch 
klar genug reichlich alles Wissenwerte. Vom medizinisch-röntgenologischen 





Referate und Bücherbesprechungen. a 199 


Teil kann dies nicht so restlos behauptet werden. Widersprochen muß ins- 
besondere dem werden, was Schönbeck über die Durchleuchtung sagt. 
Die 10 Zeilen, die diesem für die Zahnradiologie allerdings minder wich- 
tigen, im allgemeinen jedoch bekanntlich grundlegenden und integrierenden 
Bestandteil der medizinischen Radiologie gewidmet sind, sind zwar nicht 
geeignet, irgend welche brauchbaren Kenntnisse zu vermitteln, jedoch im- 
stande, mit der Anweisung, mit mittelweichen Strahlen zu durch- 
leuchten, die Schädigungen hervorzurufen, vor denen der Autor sonst 
mit Unrecht warnt. Die Kiefer-Röntgenologie ist im weiteren, inso- 
ferne es die Kürze des Textes erlaubt, allerdings ohne Berücksichtigung 
der letzten Verbesserungen gut geschildert. Pordes. 





Der Aluminiumguß. Leitfaden zur Herstellung von Zahnersatzstücken aus 
Aluminium. Von H.J.Mamlok, Berlin, Oberassistenten am zahnärzt!. 
Institut der Universität, zurzeit Leiter der Korpszahnstation in Berlin, 
und Dr. G. Caspari, Wiesbaden, zurzeit Zahnarzt der Korpszahn- 
station in Berlin. Mit 84 Abbildungen im Text, 1917, Verlag von Her- 
mann Meusser, Berlin. 


Die Verfasser suchen in ihrer ausgezeichneten, von zahlreichen vor- 
trefflichen Bildern unterstützten Darstellung das Augenmerk auf die Alu- 
miniumarbeit und speziell den Aluminiumguß zu richten. Schon seit ge- 
rau.ner Zeit hat sich das Aluminium überall dort, wo eine Massenpraxis 
zu bewältigen ist, als sehr geschätzter Ersatz des knapp gewordenen 
Kautschuks eingebürgert und bewährt. 

Das kleine Buch ist die Frucht der Erfahrungen zweier Jahre und 
wird sicher dazu beitragen, allen, die es lesen, dazu zu verhelfen, das 
Aluminium klaglos zu verarbeiten. Steinschneider. 


Zur Kenntnis der mikroskopischen Befunde bei Pseudarthrose. Von Pro- 
fessor Dr.G.I’ommer in Innsbruck. W.kl. W., Nr. 11, 191%. 


Im Anschluß an die von Dr. Mitterstiller in der wissenschaft- 
lichen Ärztegesellschaft mitgeteilten zwei Fälle von Pseudarthrose — der 
erste nach einer Tibiafraktur, deren Gipsverband trotz Lockerung nicht 
erneuert wurde, der zweite nach einer yernachlässigten Ulnafraktur — 
unternimmt es Pommer, den Nachweis über die ursächliche Entstehung 
der Pseudarihrose aus den histologischen Befunden zu er- 
bringen. 

Bei beiden jugendlichen Individuen entwickelte sich ein luxurie 
render Kallus, der als sogenannter Kallustumor imponiert. 
Was die Besonderheit der beiden neben luxurierender Kallusbildung ent- 
standenen Pseudarthrosen anlangt, so sind die Entstehungsum- 
stände in andauernder Verschiebung und Reibung 
beider Bruchendenerklärt. Die Präparate ergeben vielfach An- 
zeichen von Zerrung, Reibung, Abrollung und Druckwirkung. 

Bemerkenswert für die Entstehung der Pseudarthrose sind die man- 
nigfachen örtlichen Übergänge der die weiche Pseudarthrosenschicht zu- 
sammensetzenden Bindesubstanzentwicklungen zu Knochen. 

Diese innerhalb der knorpelig und fibrös gebauten Gebiete entstehen- 
den Knochengewebsbildungen sind bisweilen lamellöser Bauart. Nach 


200 Referate und Bücherbesprechungen. 


v. Ebner darf dieser örtliche Übergang nicht als Anzeichen von Meta- 
plasie gedeutet werden, nämlich Anläufe zum Ersatz des knorpelig gebau- 
ten Gewebes durch Knochengewebe, es handelt sich vielmehr um lakunäre 
Resorption durch Osteoklastenzellen, Ossifikationsvorgänge beim typischen 
Ablauf sonstiger physiologischer und pathologischer Prozesse. Das Knochen- 
gebälke sämtlicher Kallusgebiete läuft, gleichwie das faserige Markgewebe 
seiner Markräume, in das verbindende fibröse und faserknorpelige Gewebe 
der Pseudarthrosenschicht aus, ohne daß es zwischen ihnen zur Über- 
brückung und Zusammenhang käme. 

Die auffallend geradlinige Streifenanlage der Fasergewebe des Pseud- 
arthrosestreifens, die unmittelbar in das Fasergewebe des Periosts aus- 
strahlen, kennzeichnet sich im vorliegenden Falle bei Verschiebung des 
unteren Lrurhstückes nach vorne im Sinne R o u x’ als zur Aufnahme dau- 
Pe starker Druckeinwirkung geeignet, genannt „Druckautťna hme- 

ächen“. 

Am Befunde des zweiten Falles, der Pseudarthrose nach Ulnafraktur, 
ist die winkelige Verlaufsrichtung des faserigen Zwischenstreifens ent- 
sprechend der Einteilung des unteren Bruchstückes in das obere hervorzu- 
heben. Eine weitere Besonderheit liegt in dem Umstande vor, daß das 
knöcherne Kallusgebälke hier einen mehr weitmaschigen Bau besitzt. Die 
Weitmaschigkeit im Vergleiche zu den Tibiabefunden dürfte darin be- 
gründet sein, daß die Ulna den funktionellen Reizen der Belastung und 
Erschütterung in geringerem Maße ausgesetzt ist, als die Tibia. Den die 
Ulna besonders treffenden Einwirkungen drehender und zerrender Vorder- 
arm- und Handbewegungen entspricht der zur Bruchflächenrichtung 
schräge Verlauf der Faserung des weichen Zwischengewebes. 

Die funktionellen trophischen Reize des Kno- 
chens zeigen sich niemals in Reibung, wohl aber in 
einem Druck oder in einem Wechsel von Druck und 
Zug gegeben, in intermittierendem Druck in Form 
von Erschütterungen. 

Überblickt man die geschilderten Befunde, so läßt sich nochmals be- 
tenen, daß die Ursache der Pseudarthrosenin der man- 
golhaften oder ganz fehlenden Kuhiestellung der 
Bruchenden zu erkennen ist. Zilz. 


Neue Wege für die chirurgischen Plastiken durch Heranziehung der zahn- 
ärztlichen Technik. Von Esser. (Aus der II. chir. Univ.-Klinik in Wien.) 
Bruns’ Beiträge zur klin. Chirurgie, 103. 


Autor beschreibt ein ingeniöses Verfahren, von dem er sagt, daß es 
sicher sei, um einen operativ hergestellten Hohlraum mit Thiersch- 
Läppchen auszukleiden. In 24 sehr verschiedenen Fällen hatte er einen 
einzigen Mißerfolg. Der Hohlraum wird in der Regel scharf, ausnahms- 
weise stumpf präpariert. Mit steriler, zahnärztlicher Abdruckmasse wird 
dann ein Abdruck von der Höhle gemacht und so zugeschnitten, daß sich 
die Ränder der Höhle „unter Spannung“ darüber schließen lassen. Dann 
wird der Abdruck mit einem einzigen sehr dünnen Thiersch-Lappen 
umwickelt und dieser, wenn nötig, mit Eiweiß darauf festgeklebt. So wird 
der Abdruck wieder in den Hohlraum eingeführt und die Haut darüber 





Referate und Bücherbesprechungen. 201 


vernäht. Nach 2 Wochen kann man den Hohlraum eröffnen, die Abdruck- 
masse herausziehen und findet nun die Höhle mit glattem Epithel aus- 
gekleidet. Der gleichmäßige Druck der vernähten Haut gegen die feste 
Unterlage hat den Lappen überall zum genauen Anliegen gebracht und 
auch eine eventuelle Blutung gestillt, so daß die Bedingungen für die An- 
heilung sehr günstig sind. Die Eröffnung der Höhle geschieht entweder in 
die Nahtlinie oder etwa von einer anderen Körperhöhle aus; so wird 
z. B.der Thiersch-Lappen von einem Schnitt unter dem Augenlid ein- 
geführt und die Höhle nach der Einheilung von der Conjunctiva aus er- 
öffnet, wodurch eine Vergrößerung des Conjunctivalsackes zur Aufnahme 
einer Augenprothese geschaffen wird. Die anderen Anwendungen waren 
folgende: 2. Herstellung einer Ohrmuschel aus der haarlosen Haut hinter 
dem Ohre. 3. Vergrößerung der Schleimhautfläche des Mundes. 4. Vergröße- 
rung der Wundhöhle. 5. Plastik des harten und weichen Gaumens. 6. Vor- 
bereitung zu verschiedenartigen Hautplastiken (Herstellung doppelt epi- 
thelisierter Lappen und Deckung des Sekundärdefektes). 7. Urethralplastik. 
Schon aus dieser Aufzählung geht hervor, daß die Operation auch 
intraoral gelingt. Die Gaumenplastik geschieht in der Weise, daß ein 
Lanescher Lappen vor seiner Umklappung auf der zweiten Seite mit 
Epithel versehen wird. Verschiedene andere Anwendungsmöglichkeiten 
werden noch erwähnt, z. B. ein Fall, in dem W eiser an eine Wundfläche 
innen an der Wange einen Thiersch-Lappen mit einer Metallplatte an- 
preßte, welche mit durch die Wange gehenden Schrauben an eine zweite 
äußere Platte sanft angedrückt wurde. Zur Gewinnung des Thiersch- 
schen Lappens wird die Haut von der Innenseite des Oberarmes trocken sehr 
gründlich rasiert, bis sie gerötet ist, so daß die oberflächlichen toten Zellen 
möglichst vollkommen abgeschabt werden. Im Munde legt Verfasser auf den 
Rat Weisers eine Lage Jodoformgaze zwischen Oberhautlappen und 
Abdruckmasse. H. Pichler. 





Zur Kenntnis der generalisierten Ostitis fibrosa und der Epithelkörperchen- 
veränderungen bei dieser Erkrankung. Von Prosektor Dr. Oskar Meyer. 
Frankfurter Zeitschrift für Pathologie, 20. Bd., Heft 1. Seite 115—159. 
Mit 5 Textliguren und 10 Abbildungen auf Tafel 5/9. 


Meyer beschreibt zwei Fälle, die typische Vertreter der v. R eck- 
linghausanschen Ostitis fibrosa, sowohl hinsichtlich ihres 
klinischen Verlaufer wie ihres anatomischen Befundes sind. 

Der Fall I betrifft eine Frau von 43 Jahren, der Fall II einen Mann 
von 36 Jahren. Die Erkrankung erstreckt sich in beiden Fällen auf mehrere 
Jahre und läßt zwei Hauptstadien erkennen. Das erste Stadium ist gekenn- 
zeichnet durch heftige Schmerzen in den Extremitäten, starke Empfindlich- 
keit gegen Berührung und allmählich auftretende Gangstörungen unbe- 
stimmten Charakters. Im zweiten Stadium stehen die Verbiegungen und 
Frakturen der Knochen im Vordergrund. Von besonderem Interesse ist, 
daß Fall I eine Frau betrifft und daß hier ein zeitlicher Zusammenhang 
zwischen einem Partus und dem Ausbruch der Erkrankung nicht unwahr- 
scheinlich ist. 

Der anatomische Befund ist in beiden Fällen charakterisiert: 

a) durch die typischen Knochenveränderungen, die in beiden Fällen 
wahrscheinlich das gesamte Knochenskelett betreffen (im Falle I war aus 


nie ee I E rn EEE 


202 Referate und Bücherbesprechungen. 


äußeren Gründen keine vollständige Sektion möglich) und von denen 
hier nur hervorgehoben seien: hochgradiger Schwund der kalkhaltigen 
Knochensubstanz, Ersatz derselben durch fibröses Markgewebe, das be- 
sonders in den Extremitätenknochen im Überfluß gebildet zu einer diffusen 
- Verdiekung der Rindenschicht geführt hat, ohne daß die äußere Knochen- 
kontur dadurch verloren gegangen wäre; das Vorhandensein von multiplen 
Frakturen der weichen, mit dem Messer schneidbaren Extremitätenknochen; 
das Vorhandensein multipler Zysten in den Extremitätenknochen und mul- 
tipler brauner, nach dem Typus von Riesenzellensarkomen gebauter Herde 
in den verschiedensten Knochen des Skeletts; 

b) durch den Befund von Kalkmetastasen mit reaktiven entzündlichen, 
vielfach bereits in Narbenbildung übergegangenen Prozessen in den Nieren; 

c) durch den Befund eines Epithelkörperchentumors im Falle II (im 
Faile I Sektion der Halsorgane unterblieben). 
es un beınerkenswertesten histologischen Untersuchungsergebnisse sind 

volgende: 

a) Neben Knochenschwund nach dem Typus der lakunären Resorption 
mit Bildung zahlreicher Riesenzellen und Ersatz durch fibröses Markge- 
webe konnte im Falle II in mehreren Knochen eine vorgeschrittene Atrophie 
der Knochensubstanz und Ersatz derselben durch reines Fettmark fest- 
gestellt werden, wobei die atrophischen Knochenbalken schmale, glatte 
osteoide, vən Lakunen und Riesenzellen freie Keime aufwiesen. Dieser Be- 
fund spricht sowohl gegen die Ansicht von Pommer, Axhausen u.a., 
daß es keine Halisteresis gibt, wie gegen die Ansicht von Fujii-Kauf- 
mann, daß die histologischen Veränderungen der Osteomalacie und Ostitis 
fibrosa grundsätzlich verschieden seien. 

b) Die aus Riesenzellen zusammengesetzten braunen Tumoren der 
Ostitis fibrosa sind weder durch ihren histologischen Bau noch durch den 
Charakter und den Pigmentgehalt der Riesenzellen verschieden von vielen 
epiphysären Riesenzellensarkomen und Epulisgeschwülsten. Diese Riesen- 
zellen-,.Geschwülste‘‘ sind keine wahren Blastome, sondern gutartige hyper- 
plastische, auf der Basis eines chronischen Reizzustandes zur Entwicklung 
gelangte Bildungen. Die Ansicht von v. Recklinghausen, daß hier 
nach Ursache und Wesen verwandte Krankheitsbilder anzunehmen sind, 
erscheint berechtigt. 

c) Die Zysten entstehen durch allmähliche Verflüssigung des fibrösen 
Markgewebes, mechanischen Einwirkungen kann nur eine sekundäre Be- 
deutung zuerkannt werden. 

Die Ursachen der Ostitis fibrosa sind wahrscheinlich in Störungen 
des K.alkstoffwechsels unbekannten Ursprungs und nicht in der fibrösen 
Metaplasie des Knochenmarks zu suchen. Die in dem fibrösen Markgewebe 
vorhandenen entzündlichen Infiltrate können nicht als Beweis für eine ent- 
zündliche Genese der Markfibrose angesprochen werden. Die eigentlichen 
Ursachen der Ostitis fibrosa und der osteomalazischen Knochenerkran- 
kungen sind noch immer unbekannt. 

Der im Falle II gefundene Epithelkörperchentumor a nach seinem 
histologischen Bau als eine gutartige Hyperplasie aufzufassen. Das wich- 
tigste Ergebais der bisherigen Befunde von Epithelkörperchenveränderungen 
bei Osteomalazie, Ostitis fibrosa und Rachitis ist darin zu erblicken, daß 
dieselben stets den gleichen histologischen Typus der einfachen gutartigen 





Referate und Bücherbesprechungen. 203 


Hyperplasie aufweisen. Die wahrscheinlichste Deutung dieser Epithelkör- 
perchenbefunde bei den genannten Knochenerkrankungen ist die von E r d- 
heim, der dieselben als Ausdruck einer vermehrten Arbeitsleistung im 
Zusammenhang mit dem gesteigerten Kalkstoffwechsel auffaßt. 
EininderKlinikbeobachteterFalleinerseltenen 
v. Reeklinghausenschen Ostitis fibrosa im Unterkie« 
ferknochen veranlaßte mich zur Abfassung eines Referates über die 
vorliegende vorzügliche und wertvolle Publikation M e y ers. Zilz. 


Zur Ätiologie der schwarzen Haarzunge. Von Prof. Dr. Moriz O p pen- 
heim. Wiener klin. Wochenschr., 1917, Nr. 23. 


Unter schwarzer Haarzunge versteht man jene selten zu beobachtende 
Veränderung der Zungenoberfläche, bei der es zu einem fadenförmigen Aus- 
wachsen der Papillae filiformes unter gleichzeitiger Schwarz- oder Braun- 
färbung dieser kommt, so daß ein am Dorsum der Zunge, meist in der 
Mitte befindlicher, verschieden großer Teil der Zungenoberfläche rasen- 
förmig beschaffen und dunkelbraun bis schwarz gefärbt erscheint. — Die 
histologische Untersuchung ergibt Hyperkeratose mit fadenförmiger Ver- 
längerung der Papillenenden und Hypertrophie der Papillen; die Färbung 
der Papillen ist bedingt durch diffuse Imbibition der verhornten Papillen- 
spitzen mit einer braunen oder schwarzen Farbe; die Papillae circum- 
vallatae und fungiforımes sind klinisch und histologisch intäkt. 

Die Ätiologie dieser Erkrankung ist bisher unklar gewesen. Die 
meisten Autoren, namentlich die französischen, Laveau, Lancereau, 
Raynaud und andere, stehen auf dem Standpunkte, daß die schwarze 
Haarzunge eine Pilzerkrankung ist, eine Anschauung, der ich schon im 
Jahre 1911 in meiner Abhandlung über die schwarze Haarzunge 
mit dem Hinweis entgegentrat, daß nach meinen Forschungen auf diesem 
Gebiet alle die Befunde von Pilzen und Mikroben zwischen den gewucherten 
und pigmentierten Pap. filiformes nur als zufällige Nebenbe- 
funde ohne ätiologisch-pathologische Bedeutung an- 
zusprechen sind. 

Die übrigen Autoren leugnen die parasitäre Ätiologie und machen 
für die Entstehung der schwarzen Haarzunge Reizungen der Zungenober- 
fläche A (Heidingsfeld, A. Blau, Leviseur, Ma- 
raval). 

Bernhardt, Coffin und andere zogen die Syphilis als Ursache 
in Erwägung; es war ihnen aufgefallen, daß bei manchen Fällen von Lues 
und Stomatitis mercurialis die Lingua pilosa nigra auftrat. 

Oppenheim machte gleicherweise die Beobachtung, daß Luetiker 
P schwarze Haarzunge in verschiedenen Graden häufiger zeigen als Nicht- 
uetiker. 

Dals die Entstehung der schwarzen Haarzunge mit der Lues nicht im 
direkten Zusammenhang stehen konnte, war Oppenheim dadurch klar 
geworden, daß von denjenigen Luetikern, die die Quecksilberkur machten, 
nur jene diese Affektion bekamen, die die auf seiner Abteilung ge- 
bräuchliche Mundpflege mit chlorsaurer Kalilösung als Gurgelwasser und 
Tinetura Ratanhiae et Gallarum (aa. partes aequales) als 
Zahntinktur einzuhalten hatten. Bei mit Jod oder Salvarsan oder durch 


204 Referate und Bücherbesprechungen. — Personalien. 


längere Zeit überhaupt nicht behandelter Lues zeigte sich die schwarze 
Haarzunge ebenso selten, wie bei Nichtsyphilitikern. 

Da demnach nur in den bei der Mundpflege gebrauchten Mitteln die 
Ursache gelegen sein konnte, versuchte Oppenheim experimentell mit 
der Tinctura Ratanhiae et Gallarum die schwarze Haarzunge künstlich zu 
erzeugen. — Es zeigte sich nun, daß alle Patienten bis auf einen auf die 
Pinselung reagierten und daß die Tinctura Ratanhiae et Gallarum, zu 
gleichen Teilen auf die Zunge gepinselt, die schwarze Haarzunge hervor- 
riefen. Wurden die Kranken mit Tinctura Ratanhiae allein gepinselt, war 
die Intensität der Veränderung eine geringe und blieb bei der Pinselung 
mit der anderen Flüssigkeit, Tinetura Gallarum, ganz aus. 

Aus diesen Versuchen ist zu ersehen, daß gewisse Substanzen elektiv 
auf die verhornten und der Verhornung fähigen Bestandteile der Zungen- 
schleimhaut im Sinne einer Hypertrophie und Hyperkeratose einzuwirken 
vermögen. 

Oppenheim zieht aus seinen Versuchen folgende Schlüsse: 

1. Die schwarze Haarzunge kann artefiziell erzeugt werden. 

2. Die Ansicht von der Pilznatur der Erkrankung 
ist abzulehnen. 

3. Gewisse Substanzen, wie Tinctura Ratanhiae, Tinctura Gallarunı, 
sind imstande, eine Hyperkeratose und Hypertrophie der Papillae filiformes 
zu erzeugen bei gleichzeitiger Imbibition mit färbenden Substanzen in Ana- 
logie mit der Hyperkeratose der Haut, wie sie durch Teer, Anilin, unreines 
Vaselin verursacht werden können. Zilz. 





Über die Anstrebung der Primärheilung bei der operativen Entfernung 
tief im Knochen steckender Geschosse. Von Kolb. Zentralbl. f. Chirur- 
gie, 1917, Nr. 18. 

Kolb gibt die Anregung, im Knochen eingeheilte Geschoßteile, die 
sich später als störend erweisen, in der Weise zu entfernen, daß man den 
Knochen so eröffnet, daß man einen Deckel aus der Corticalis bekommt, 
Be man nach der Entfernung des Geschosses wieder an seine Stelle setzen 

ann. 

Kolb versichert, daß man durch dieses Verfahren die Möglichkeit 
erhält, die Knochenwunde primär zum Verschluß und zur Heilung zu 
bringen. Wichtig ist allerdings, daß das Geschoß reaktionslos eingeheilt 
ist und daß sich bei der Operation keine Entzündungsprozesse nachweisen 
lassen. Zilz. 


Personalien. 


(Auszeichnung.) Den Öberstabsärzten Prof. Dr. Rudolf Weiser 
und Prof. Dr. Gustav Wunschheim Ritter v. Lilienthal wurde 
das Komturkreuz II. Kl. des königl. schwedischen Wasa-Ordens verliehen. 








Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, III., Münzgaase 6. 





Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 
Organ Ma Sanette ia Zahnärzte Österreichs. 


Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 


XVI. Jahrgang. August 1918. 8. Heft. 














Nachdruck vesboten. 


Original Arbeiten. 





Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne 
und der Kiefer. 


Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre. Von Dr. Fritz Pordes.') 
(Mit 15 Figuren.) 


Vorbemerkung. 


Die vorliegende Studie ist ein Versuch der Darstellung der topogra- 
phischen Anatomie der Zähne und Kiefer aus dem Gesichtspunkte der Rönt- 
genprojektionslehre. Sie behandelt dieses eine Kapitel aus dem großen Ge- 
biete der Kieferradiologie. Die übrigen Kapitel: Röntgentechnik, das Lesen 
der Zahnröntgenbilder und die Röntgenpathologie der Zähne mögen nach Zeit- 
und Raumverhältnissen Gegenstand folgender Arbeiten sein. 

Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle den Herren k. u. k. 
Oberstabsarzt Professor Dr. G. Holzknecht, k. u. k. Oberstabsarzt Professor 
Dr. R. Weiser und k. u. k. Oberstabsarzt Dozent Dr. Julian Zilz für ihren mir 
bei Abfassung der Arbeit in liebenswürdigster Weise aus dem reichen Schatze 
ihrer Erfahrung gewidmeten Rat und ihre tatkräftige Unterstützung meinen 
aufrichtigst ergebenen Dank auszusprechen. 


Allgemeines. 


Die Röntgenographie des Rumpfes und der Extremitäten findet fast immer 
mit zwei Hauptprojektionsrichtungen und Ebenen, der sagittalen und der 
frontalen, ihr Auslangen. Dem Verlangen, zwei möglichst differente, am besten 
unter dem Winkel von 90 Graden anfgenommene Röntgenbilder zu erhalten, 
kann überall — Dank Lilienfelds axialen und Queraufnahmen — auch 
an Schulter und Beckengürtel Genüge getan werden. Lediglich der Gesichts- 
schädel und an ihm insbesondere das Skelett der Kiefer setzen diesem 
Wunsche unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Die Kompliziertheit der 
räumlichen Anordnung der Zähne gestattet nicht, mehr als streng genommen 
einen Zahn, höchstens noch den mesialen und distalen Nachbar in brauch- 


1) Wir beginnen mit dem Abdruck einer Artikelserie, die in Buchform im 
Verlage Urban & Schwarzenberg im Erscheinen begriffen ist. 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 15 


206 Fritz Pordes. 


barer Deutlichkeit und Unverzerrtheit gleichzeitig auf eine Platte zu bringen. 
Der parabolische Zahnbogen zwingt uns von vorneherein, die bequemen und 
leicht zu findenden Hauptorientierungsrichtungen der sagittalen und fron- 
talen zu verlassen. Praktisch genommen alle Einstellungsrichtungen stehen 
zu diesen Hauptebenen geometrisch gesprochen windschief. Fixe Richtungs- 
behelfe lassen sich wegen der großen .individuellen Verschiedenheiten nicht 
geben. 

Tatsächlich bleiben die bisher angegebenen mechanischen Hilfsmittel 
zur Einstellung (Dieckscher Zirkel, Cieszyhskische Einstellkappe u.a.) in 
der Hand des Ungeübten — mechanische Hilfsmittel. Der Geübte wird 
ohne sie mit geringerer Fehlerbreite arbeiten. Erfahrung und Übung sind 
wie überall zur Erfassung der Schwierigkeiten und ihrer Überwindung das 
Alpha und Omega. 

Ich fühle mich versucht zu sagen, daß es vor allem notwendig und 
Sache der Erfahrung ist, die Schwierigkeiten, die Fehler und Fehlerquellen 
zu erkennen. Die meisten Fehler werden nicht deshalb gemacht, weil der 
Untersucher nicht imstande ist, sie zu vermeiden, sondern weil er sie nicht 
erkennt. Jeder Zahn hat seine Spezialaufnahme, seine eigene Ein- 
stellrichtung, zu der als korrigierende Konstante die indivi- 
duelle Form der betreffenden Mundhöhle zuzurechnen ist. 

Zu dieser Formel die Werte zu liefern, soll nach ein paar allgemeinen 
Worten über Projektionslehre überhaupt Aufgabe dieser Studie sein. 

Die Projektion, in der sich die röntgenographierten Objekte abbilden, 
ist eine Zentralprojektion. Von einem Punkt, dem Fokus der Röntgenröhre 
als Zentrum, gehen nach allen Richtungen des Raumes Strahlen ab. Wird 
zwischen Fokus und eine irgendwie röntgenempfindliche Ebene (die unter 
Röntgenlicht fluoresziert oder sich chemisch ändert), ein Röntgenstrahlen ab- 
sorbierender Körper gebracht, so entsteht auf der Ebene (dem Leucht- 
schirm, der Platte) ein Schattenbild des Körpers. 

Unter möglichster Vermeidung der Mathematik, bzw. in Beschränkung 
auf das Allernötigste, seien die wichtigsten uns interessierenden Gesetze der 
Zentralprojektion angeführt. 

Und zwar interessiert uns hier vor allem die Frage: Wie bildet sich 
zentralprojektivisch ein stabförmiger Körper (Zahn, Wurzel), geometrisch ge- 
sprochen eine Strecke auf einer Ebene ab? 

Auf einer Ebene, denn absichtliche oder unabsichtliche Verbie- 
gungen der Projektionsfläche (Film) sind eine der gar nicht seltenen Fehler- 
quellen. 


Ich sah eine Aufnahme von der Hand eines ganz vorzūglichen Allgemein- 
radiologen, die die Gegend der oberen Inzisiven darstellen wollte und folgender- 
maßen (Fig. 1a) aussah: Die Kronen und unteren Wurzeldrittel normal groß, von 





Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 907 


Fig la. Fig. 1b. 





Der Film liegt dem Ganmen genau adaptiert. Resultat: Die okere Wurzelbälfte lacbkabinett- 
artig in die Länge gezogen, die Wurzeln und Spitzen abgeschnitten (Einstellung und Resultat). 


Fig. 2. 





| 


Zur Zentralprojektion: Eine Strecke S—S, wird unabhängig von der Lage der Projektions- 
ebene punktförmig abgebildet, wenn sie in der Richtung eines Strables liegt. 


15* 





208 Fritz Pordes. 


da nach oben alles wie in einem Lachkabinettzerrspiegel ins Überlange zerdelınt, 
die Wurzelspitzen abgeschnitten. Ursache (Fig. 1b): ein Film war den Zähnen und 
dem Gaumen wirklich möglichst genau adaptiert worden, d. h. winkelig abgeknickt 
gelegen; der untere Teil hatte ein richtiges Bild aufgenommen, der obere dem 
flachen Gaumen entsprechend fast horizontale, jene Lachkabinettverzerrung. Re- 
sultat: unbrauchbar! 


Fig. 8. 


F 





Eine schräg im Strahlenbündel liegende Strecke (S—S,) wird nach der Lage der Projek tions- 
ebene (E—kı. Ey, E) verschieden lang projiziert. Am kürzesten, wenn die Ebsne senkrecht 
zum Mittelstrahl des abbildenden Bündels steht. 


Die Zentralprojektion einer Strecke auf einer Ebene wird bestimmt: 

1. Von der Lage der Strecke im Strahlenbündel. Die Strecke wird 
punktförmig erscheinen — unabhängig von der Lage der Projektionsebene 
nur in einem einzigen Falle, nämlich wenn sie in der Richtung eines 
Strahles liegt (Fig. 2). 





Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 209 


- 2. Liegt die Strecke nicht in der Richtung eines Strahles, so hängt die 
Länge des Bildes, der Projektion, sowohl von der Lage der Strecke (Zahn) 
im Strahlenbündel als auch von dem Winkel ab, unter welchem die Projek- 
tionsebene (Film, Platte) das Strahlenbündel schneidet (Fig. 3). 

3. A. Strecke (Zahn): Je weiter sich diese aus der Richtung des ab- 
bildenden Strables entfernt, desto breiter wird das „abbildende Strahlen- 
bündel“, desto größer ceteris paribus das Bild. Am größten, wenn die 
Strecke normal auf dem Mittelstrahl steht. 

B. Projektionsebene (Film, Platte): Die Projektion einer zum Strahlen- 
bündel unter einem bestimmten Winkel stehenden Strecke (das Röntgenbild) 


Fig. 4. 





Abbildung in „natürlicher Größe“. 
Hauptstrahl auf die Wüurzelspitze gerichtet, senkrecht auf die Halbierungsebene des Winkels 
zwischen Platte und Zahbnachse. 


ist am kürzesten, wenn der mittelste Strahl des Strahlenbündels (Zentral- 
strahl) auf der Projektionsebene normal steht. Jeder andere Winkel ver- 
längert die Projektion, und zwar entsprechend dem wachsenden Winkel 
(Fig. 3). Ich zitiere als Spezialfall das Diecksche Gesetz.°) Ein Zahn wird 
dann in natürlicher Größe abgebildet, wenn der abbildende Zentralstrahl auf 
die Wurzelspitze gerichtet, senkrecht auf der Halbierungsebene des von Zahn- 
achse und Platte eingeschlossenen Winkels steht (Fig. 4). 


2) Dieses Gesetz ist von Cieszyński zum erstenmal formuliert, läuft aber 
unter dem Namen Diecks. Die Prioritätsfrage fühle ich mich nicht berufen zu ent- 
scheiden. 





910 Fritz Pordes. 


Praktische Anwendung und spezieller Teil. 


Das Innenrelief der menschlichen Mundhöhle ist nichts weniger als ein 
Reißbrett. Geometrisch geradlinig begrenzt bleibt nur das Strahlenbündel und 


Fig. 5. 





Haltung für die Aufnahme oberer Zähne auf dem Gaumen angelegte Platte. 


(bei Glasplatten) die Projektionsebene. Die Zähne sind in allen Richtungen des 
Raumes auf das eigenwilligste ausgedehnte körperliche Gebilde, die zudem in 
zwei Parabelbogen angeordnet sind und der Einbringung von Projektionsebenen 








Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 211 


eine Reihe von Knochen-, Weichteil- und Reflexhindernissen entgegenbringen. 
Beginnen wir mit dem 
Oberkiefer, 

so stehen uns folgende Möglichkeiten der Einbringung von Aufnahmematerial 
(Platten, Film) zu Gebote. Die Platte (Film) wird zwischen den Zähnen gehalten, 
liegt in der „Bißebene“, Schichtseite nach oben bei geschlossener Zahnreihe. 
Die Zähne halten die Platte fest, die Lippen legen sich lose darüber. Die Ein- 
bringung gelingt so gut wie immer leicht. Seltenerweise ist der beim tiefer 
Hineinschieben auftretende Rachenreflex (Würg- und Brechreiz) ein ernsteres 
Hindernis. In der Regel gelingt es durch Zureden, tief atmen lassen u. dgl., 
auch erregbarere Patienten zur Beherrschung und Ruhe zu bringen. Oft gelingt 
es, durch Reiben der hintersten Partien der Gaumenschleimhaut den Reflex 
auszuschalten (Holzknecht). Bei dieser Gelegenheit sei bezüglich des Würg- 
reflexes bemerkt, daß ich, obwohl über ein ziemlich reiches Material verfügend, 
niemals eine Aufnahme aus diesem Grunde aufgeben mußte. Ein einziges 
Mal war ich gezwungen, ich glaube mehr ut aliquid fieri videatur, eine sehr 
schwache Kokainpinselung des Velum zu machen. 

Die zweite Art der Lage des Aufnahmematerials für obere Zähne ist 
die Anlegung einer Platte (Film) 3X45 cm an die palatinale Seite des Zahn- 
bogens und Fixation durch die Hand des Patienten. 

Die Platte wird vom Arzt eingelegt, Schichtsefte röntgenröhrenwärts 
gerichtet. Der untere Rand soll mindestens ein Viertelzentimeter über die 
Kaufläche vorragen. Ist die Platte in der für die Aufnahme gewünschten Lage 
gut und sicher angelegt, wird der Patient aufgefordert, mit dem Daumen der 
kontralateralen Hand (für die linke Zahnreihe die rechte Hand) die Platte zu 
fixieren, indem er sie nach oben und außen leicht andrückt. Man achte darauf, 
daß Films nicht durchgebogen, Ecken nicht umgebogen werden! Die vier 
Finger der Hand legt der Patient an die nicht bestrahlte Wangenseite und 
stützt mit der freien Hand den Ellbogen der haltenden (Fig. 5). Bei sämtlichen 
Aufnahmen des Öberkiefers lasse ich den Patienten im zahnärztlichen Opera- 
tionsstuhl sitzen. Ich ziehe diese Lage als bequemer und wegen der geringeren 
nötigen Neigung des Kästchens, insbesondere bei Wasserkühlröhren dem Liegen 
vor. Als Fixation genügt im allgemeinen bequemes Anlehnen an die richtig 
eingestellte Kopfstütze. Die sonst bei allen Aufnahmen verwendete Schlitzbinde 
(Robinsohn) ist in dieser Lage für kurzzeitige Aufnahmen erfahrungsgemäß 
überflüssig. 

Untersuchung der einzelnen Zähne. 
Übersichtsaufnahme der oberen Frontzühne. 
Großer Schneidezahn. 

Die Platte (Film) liegt in der Bißebene, Schicht nach oben. Einstellung 

des Hauptstrahls in der medianen Sagittalebene, der Fußpunkt des Haupt- 


212 Fritz Pordes. 


strahles steht auf der Mitte der Verbindungslinie der Wurzelspitzen von 1Jl. 
Neigung (nach dem Dieckschen Gesetz) normal auf die Halbierungsebene des 
Winkels zwischen der Achse der großen Schneidezähne und der Platte. Bedeu- 
tend leichter gesagt als getroffen. Es ist vor allem notwendig, das nach einer 
Einstellung resultierende Bild nach der Lage von Zahn, Platte und Hauptstrahl 
voraussehen zu lernen. Die mehr theoretische Erkenntnis vom rechten Winkel 


Vig. 6. 








p= 


C 
Canalis incisivus. 
A Röntgenbild (Diagramm): Canalis incisivus bisquitförmig. Obere Rundung = nasales Ostium. 
Untere Rundung = palatinales Ostium. 
B, C, D: Sagittalschnitte des harten Gaumens mit verschiedenen Verlaufsrichtungen des Cana- 
Jis incisivus (nach Corning). 
zur Halbierungsebene usw. ist für das wirkliche Einstellen ein recht schwacher 
Behelf. Für den Anfänger ist es empfehlenswert, sich den Hauptstrahl bis zur 
Platte verlängert vorzustellen und die Länge der so erzielten Projektion zu 
beurteilen. Man läßt zu diesem Zwecke den Patienten bei eingelegter Platte 
die „Zähne zeigen“ und zielt mit dem Zentralstrahlindex (Holzknechtsches 


Schwebekästchen) oder dem Teleskopauszug (Diecksche Zahnblende am Lam- 





Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 913 


bertzstativ) dabei die Größe der entsprechend ihrer individuellen Schräglage 
unter dem gegebenen Winkel auf die Platte projizierten Zähne ins Auge 
fassend. Diese Anweisung — des Zielens und den Patienten dabei gleich- 
sam Skelettierens — gilt für die Einstellung aller Zahn- und Kiefer- 
aufnahmen. Dieses die Weichteile hinwegdenken können, die Fähigkeit, auch 
durch ein Parulisödem oder durch einen voluminösen Verband durchzusehen, 
ist das nicht lehrbare Imponderabile, das eben die — — — Manus artificis 
ausınacht. Wie das Imponderabile der Ars medica überhaupt. 

Das richtig eingestellt so gewonnene Bild gibt eine gute Übersicht über 
die 1ft, bei sehr flachen Zahnbogen manchmal auch noch über die medialen 
Alveolarwände von 2] und |2. Gut zu sehen ist die Sutura palatina, das Fo- 
ramen incisivum und der vorderste Winkel der Nasenhöhlen. Will man den 
harten Gaumen und die Nasenhöhlen besser sehen, so geht man mit dem Fuß- 


Fig. 7. 





Radialebenen oberer Zähne in verschiedenen Zahnbogenformen. Man beachte die große 
individuelle Verschiedenheit der Radialebenen. 


punkt des Zentralstrables höher an den Nasenrücken und stellt ihn steiler. 
Die Zähne werden dann verkürzt, die palatinale Seite des Alveolarfortsatzes 
deutlicher sichtbar. Das Bild des großen Schneidezahnes ist nach dieser Auf- 
nahme allein, auch wenn sie wohl gelungen sein sollte, niemals zu beurteilen. 
Es ist stets an die räumliche Nähe des Canalis incisivus zu denken. Dieser 
hat, was oft vergessen wird, eine erhebliche Längsausdehnung und dement- 
sprechend ein oberes — nasales und ein unteres — palatinales Ostium (Fig. 6). 
Es besteht also die Möglichkeit, das eine oder das andere auf die Spitze des 
großen Schneidezahnes zu projizieren und einen periapikalen Resorptionsherd 
vorzutäuschen. An Kontrolleinstellungen mache ich noch folgende: Auf Platte 
in Bißebene, Zentralstrahl auf die Wurzelspitze des zu untersuchenden großen 
Schneidezahnes, also etwa auf die Basis der Cartilago alaris (der Nasentlügel) 
genau sagittal und eine zweite ebenso, jedoch nicht sagittal, sondern in der 
genauen Radialebene des Zahnes. Unter Radialebene eines Zahnes versteht 
man eine durch die Achse des Zahnes normal auf die Zahnparabel gelegte 
Ebene. (Fig. 7 zeigt die Radialebenen für verschiedene Zahnbogenformen des 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 16 


314 ' Fritz Pordes. 


Oberkiefers.) Dann jedenfalls noch eine dieser paramedianen (die sagittale 
oder die in der Radialebene eingestellte) Aufnahmen auf die an den Gaumen 
. angelegte, mit der Hand des Patienten fixierte Platte. 

Die Neigung des Zentralstrahles ist dabei entsprechend der anderen 
Lage der Projektionsebene eine größere (Fig. 8). Handelt es sich vornehmlich 
um die Darstellung der dem Halse benachbarten unteren Hälfte der Wurzel 
(Fausse route) oder des Limbus (Alveorlarpyorrhoe, paradentäre Abszesse), so 
ist bei allen Zähnen des Oberkiefers der Zentralstrahl nicht auf die Wurzel- 
spitze, sondern auf die Wurzelmitte zu richten und stärker zu neigen. Es wird 


Fig. 8. 





Die Neigung des Hauptstrahles zur Erzielung des „natürlichgroßen“ Bildes ist auf angelegter 
Platte größer als auf Platte in Bißebene. 


dabei auf die Darstellung der Wurzelspitzen möglicherweise verzichtet, was 
jedoch bei einer Platte unter den vielen Aufnahmen einer Analyse irrelevant 
ist. (Genauere Bestimmung der Lage einer Fausse route s. u.) 


Kleiner Schneidezahn. 


Die Darstellung dieses Zahnes ist die relativ leichteste. Beirrende Nach- 
bargebilde sind kaum je vorhanden. (Ich sah ein einziges Mal ein bis zum 
kleinen Schneidezahn vorragendes Antrum Highmori.) Eine Aufnahme auf Platte 
in der Bißebene in natürlicher Größe und in der Radialebene genau eingestellt 
und eine ebensolche auf dem Gaumen angelegte Platte genügen in vielen 
Fällen. Zu erwähnen ist die Neigung von Spitzenresorptionsherden des kleinen 
Schneidezahnes, nach palatinal vorzudringen und am Gaumen zu perforieren. 
Es ist bei diesem Verdacht eine möglichst steil von oben her und in der 





Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 215 


Radialebene eingestellte Aufnahme auf Platte in Bißebene anzuschließen, um 
die palatinale Gegend des Processus alveolaris durchmustern zu können. 
(Näheres über genauere Lokalisation von Spitzenprozessen im Abschnitt über 
den ersten Prämolar.) 

Bei diesem Zahn als dem wohl am häufigsten falsch durchbohrten sei 
die röntgenographische Auflösung der Fausse route erläutert. 

Besteht Verdacht auf Fausse route, so genügt eine einzige noch so gute 
Aufnahme niemals, um ihn zu entkräften. Wäre die Fausse route genau fazial 
oder palatinal, so wird sie sich auf der in der Radialebene eingestellten Auf- 
nahme mit dem Pulpkanal decken und unerkannt bleiben. Aber auch wenn 
man auf der ersten „orthoradial“ eingestellten Aufnahme mesial oder distal 
vom Pulpkanal eine auf Fausse route verdächtige Stelle sieht, bedarf dies zur 
genaueren Lokalisierung noch weiterer nach folgenden Richtlinien eingestellter 
Aufnahmen: 

Der Hauptstrahl kann von der „orthoradialen“ Einstellung nach Dieck 
in dreifacher Weise sich entfernen. Er kann | 

1. nach mesial geneigt (mesial exzentrisch), 
2. nach distal geneigt (distal exzentrisch) sein. 
3. Er kann steil von oben (vom Apex her axial) eingestellt sein. 


Nehmen wir an, daß die Höhe der Fausse route, d. h. die Entfernung 
der Perforationsstelle von der Wurzelspitze schon nach der ersten Aufnahme 
(orthoradial und nach Dieck) bekannt gewesen wäre, so bliebe aufzuklären, 
an welcher Stelle der Peripherie des Wurzelquerschnittes die Perforations- 
stelle liegt. 

Die von mesial eingestellte (mesialexzentrische) Aufnahme zeigt alles 
fazial vom Pulpkanal Gelegene distalwärts, alles Palatinale mesialwärts dislo- 
ziert. Die distalexzentrische Aufnahme weist die Verschiebung im umgekehrten 
Sinne auf. Die steil von oben (vom Apex) her eingestellte Aufnahme zeigt den 
Zahn in maximaler Verkürzung, gleichsam in seinen Querschnitt projiziert, 
zeigt also günstigsten Falles direkt die Stelle der Peripherie, an welcher die 
Fausse route perforiert. Diese Serie ermöglicht dann die Lokalisation der 
Fausse route nach dem aus Fig. 9 ersichtlichen Schema. Das an diesem Spe- 
zialfall angewendete allgemeine (esetz der Auflösung von Tiefenbeziehungen 
durch Aufnahme aus verschiedenen Winkeln lautet:; | 

Bei Verschiebung der Röntgenröhre verschieben sich die Bilder aller 
projizierten Punkte im umgekehrten Sinne wie die Röhre. Die Bilder der pro- 
jizierten Punkte verschieben sich auf der Platte um so mehr, je weiter die 
Punkte von der Projektionsebene (Platte) und je näher sie dem Zentralpunkt 
(Fokus der Röntgenröhre) gelegen sind. Z. B. die Röhre wird mesialwärts 
verschoben (mesialexzentrische Einstellung). Die Bilder aller Punkte wandern 
auf der Platte distalwärts. Der faziale Teil des Zahnes als der plattenfernere 


16* 


916 Fritz Pordes. 


wandert weiter nach distal als der palatinale, es erscheint demnach auf dieser, 
Aufnahme der faziale Teil als der distale, der palatinale als der mesiale. 
(Siehe Fig. 9.) Eine mesial exzentrisch eingestellte Aufnahme des großen 
Schneidezahnes projiziert das nasale Ostium des Canalis incisivus nach distal 
über die Spitze des großen Schneidezahns.. Fine distal exzentrisch eingestellte 
Aufnahme ist geeignet, die Einserspitze über das palatinale Ostium des Canalis 


Fig. 9. 





3 2° 
B 


Analyse einer Fausse route am kleinen Schneidezahn. 
A = Querschnitt des Alveolarfortsatzes mit eingezeichneter Einstellung. 
B = resultierende Bilder. OR = bei orthoradialer Einstellung erscheint die Fausse route als 
unbedeutende Ausbuchtung des Pulpkanales. Erst bei DE = distalexzentrischer Einstellung er- 
scheint dieso in voller Ausdehnung und es kommt die Perforationsstelle zur Ansicht. 


incisivus zu werfen und ebenso einen periapikalen Resorptionsherd vorzu- 
täuschen. 

Dieses Gesetz (angewendet auch in Holzknechts Dreiplattenmethode) 
wird uns weiterhin fortwährend beschäftigen und sollte vielleicht deshalb etwas 
ausführlicher dargestellt werden. 


Der obere Eekzahn. 


Von der Darstellung des normal stehenden oberen Eckzahnes gilt an- 
näherungsweise dasselbe wie für den kleinen Schneidezahn. Eine Aufnahme 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 217 


nach Dieck und in der Radialebene auf Platte in Bißebene und eine eben- 
solche auf angelegte Platte werden in der Mehrzahl der Fälle genügen. Doch 
ist der Trefferprozentsatz des Gelingens dieser zwei Aufnahmen geringer als 
beim Zweier. Bei keinem Zahn macht sich nämlich die individuell verschiedene 
Krümmung des Zahnbogens so unangenehm fühlbar als bei diesem Eckpfeiler. 
Bei dem einen Fall liegt die Radialebene des Caninus noch nahe der sagittalen, 
bei dem anderen ist sie fast frontal (Fig. 7). Dem richtigen Treffen der Radial- 
bene ist daher bei diesem Zahn besonderes Augenmerk zuznwenden. Ob die 
Radialebene richtig getroffen wurde, erkennt man daran, daß die beiden 
dreieckigen mesial und distal gelegenen Septa interalveolaria gleich breit und 
breiter als alle übrigen mitabgebildeten erscheinen. Umgekehrt kann man die 
Radialebene, in der der Hauptstrahl des ein Röntgenogramm darstellenden 
Strahlenbündels gelegen war, aus dem breitesten Interalveolarseptum erkennen. 
Und das ist wichtig, denn: Falsche Radialebene bedeutet ein un- 
brauchbares Bild! 

Beim normal stehenden Caninus ist ferner noch die Konfiguration des 
(aumens beim Anlegen der Platte 3 X 4'5 zu beachten. Niedrige Gaumen 
lassen die Platte schwer adaptieren und auf schlecht — zumeist nach distal 
verschobener — angelegter Platte kann es einem passieren, daß man die 
Wurzelspitze dieses längsten Zahnes abschneidet. 

Eine weite Indikationsbreite und ein großes Betätigungsfeld findet die 
Röntgenanalyse an den retinierten Zähnen, deren Untersuchung hier bei dem 
am häufigsten retinierten Eckzahn besprochen werden soll. Die erste Auf- 
nahme einer solchen Analyse hat festzustellen, ob und wo ein retinierter 
Zahn vorhanden ist. Es ist also erforderlich, das in Betracht kommende 
Gebiet in möglichst breiter Ausdehnung auf die Platte zu bekommen. Platte 
in Bißebene, Einstellung in der Radialebene des gesuchten Zahnes, jedoch 
steiler, als es für die Darstellung der durchgebrochenen Zähne in natürlicher 
Größe notwendig wäre, damit diese verkürzt abgebildet, dem Gaumenskelett 
mehr Platz einräumen. Der auf dieser Aufnahme festgestellte und in seiner 
Lage ungefähr erkannte retinierte Zahn wird nun in seinen Lagebeziehungen 
zu den übrigen Gebilden — Zahnwurzeln, pneumatischen Höhlen etc. analysiert 
durch eine in der Radialebene zwischen eins und zwei und eine in der Radial- 
ebene des zweiten Prämolaren auf die Platte in Bißebene etwas steiler als 
normal eingestellte Aufnahme, ferner durch eine Aufnahme auf angelegte 
Platte orthoradial und weniger steil als normal. (Normal, d. i. so, daß die 
stehenden Zähne sich in natürlicher Größe abbilden würden.) 

Auf diesen Aufnahmen sind nun genügend viel Verschiebungen im 
Bilde fixiert, um alle Fragen nach l.agebeziehungen zu beantworten. Auf der 
aus der Radialebene des Fünfers gemachten Platte erschiene beispielsweise 
die Spitze der Krone des retinierten Eckzahnes in der Mitte der Wurzel 


218 Fritz Pordes. 


des kleinen Schneidezahnes (Fig. 10A). Auf der aus der Radialebene der 
Schneidezähne eingestellten Aufnahme wäre der kleine Schneidezahn über dem 
Eckzahn nach distal gewandert, die Eckzahnspitze läge zwischen dem großen 
und kleinen Schneidezahn (Fig. 10 B). Die Spitze des Eckzahnes liegt demnach 


Fig. 10. 


B 





12 4 


Einfuches Beispiel der Analyse eines retinierten oberen Caninus. 
A= Aufnahme in der Radialebene des ersten Prämolaren. 
B = Aufuahme in der Radislebene zwischen erstem und zweitem Schneidezabn. 
Der Eckzahn liegt mit der Spitze im Septum 1/2 etwas hinter den Zahnachsen. 


im Septum interalveolare 1/2 knapp hinter der Ebene der Pulpkanäle. Die 
anzuschließende Aufnahme auf Platte in Bißebene orthoradial und steil von 
oben (axial) eingestellt vervollständigt und verifiziert die Analyse. 

Der erste obere Prämolar. 

Für die Aufnahme der oberen Zähne vom ersten Prämolaren aufwärts 
am im zahnärztlichen Operationsstuhl sitzenden Patienten wird die geeignetste 
Position so hergestellt, dad man den Kopf vom Blick geradeaus seitwärts 
wendet. Patient lehnt mit der unbestrahlten Wange in den Polstern der zahn- 
ärztlichen Kopfstütze, die Drehung geht so weit, daß die Radialebene des auf- 
zunehmenden Zahnes an Stelle der Sagittalebene bei Blick geradeaus zu liegen 
kommt. Ist die Einstellung mit dem Röhrenstativ fertig, so folgt die feine 
Nachkorrektur mit dem Kopf des Patienten. 

Der erste obere Prämolar ist ein zweiwurzeliger Zahn. Die Wurzeln 
stehen einander bukkal und palatinal gegenüber. In der Radialebene (ortho- 
radial) eingestellt decken sich die Projektionen der beiden Wurzeln. Man erkennt 
an einem solchen Bild nur — und auch das nicht immer deutlich — eine 
längere und eine kürzere Wurzel, d. h. man sieht unterhalb der Wurzelspitze 
eine zweite Spitzenkontur durch. Die kürzere Wurzel ist die bukkale, die 
längere die palatinale. Die bukkale Wurzel schneidet das abbildende Strahlen- 





Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 219 


bündel unter einem geringereren Winkel als die palatinale, gleichgültig ob 
auf Platte in Bißebene oder auf angelegte Platte eingestellt wird (Fig. 11). 
Man beginnt die Analyse dieses Zahnes dennoch mit einer orthoradial ein- 
gestellten Aufnahme auf Platte in Bißebene. Das Gesetz von der Projektion 
in natürlicher Größe ist hier, wie die Figur zeigt, nur für die palatinale Radix 
anwendbar. Die Radialebene des ersten Prämolaren ist ähnlich wie beim Eck- 
zahn nach der individuellen Konfiguration des Zahnbogens außerordentlich 
verschieden. Sie liegt nicht selten fast frontal. Zur Differenzierung der Wurzeln 


Fig. 11. 





Erster oberer Prämolar (Einstellung und Bild). Aufnahme auf angelegte Platte. 
Die bukkale Wurzel erscheint verkürzt, der bukkale Höcker verlängert. 


ist auf Platte in Bißebene oder auf angelegte Platte eine mesialexzentrisch 
eingestellte Aufnahme anzuschließen. Störend auf dieser stellt sich bei stärkerer 
Mesialdeviation die Überschattung der bukkalen Radix mit der des zweiten 
Prämolaren ein. Wenn diese Deckung die Diagnose wesentlich hindert, ist als 
weitere eine steil von oben (axial) eingestellte Aufnahme auf Platte in Bißebene 
zu machen. Dabei wird die bukkale Wurzel wirklich axial] in ihren Querschnitt 
projiziert, die palatinale differenziert. Die distalexzentrische Aufnahme liefert 
wegen der zwischen drei und vier stärkeren Krümmung des Zahnbogens 
weniger gute Resultate. 
Nach diesem Schema 

1. orthoradial 

2. mesial (distal) exzentrisch 

3. steil von oben (axial) 





290) Fritz Pordes. 


ist auch vorzugehen, wenn es sich um die genauere Feststellung der Tiefen- 
lage und Ausdehnung von pathologischen Gebilden, insbesondere periapikalen 
Resorptionshöhlen handelt. Allgemeine Regel: Das bei einer Verschiebung 
der Röhre in mesiodistaler Richtung sich stärker verschiebende 
Gebilde liegt bukkal, das im Verhältnis weniger gewanderte 
palatinal. Merkpunkte zur Beurteilung der gegenseitigen Verschiebungen 
bei verschiedener Röhrenstellung finden sich in dem reichen Material eines 
Zahnröntgenbildes zur Genüge. Genauestes Plattenstudium ist Vorbedingung. 

Die mesiodistale Ausdehnung pathologischer Gebilde (über mehrere 
Waurzelspitzen sich ausdehnende Resorptionsprozesse, Zysten u. dgl.) wird durch 
serienweises Aneinanderreihen von Analysen aller in Betracht kommenden Zähne, 
am besten auch noch der gesunden Nachbarn festgestellt. Sparen mit Auf- 
nahmen heißt die Exaktheit der Diagnose gefährden. >) 

Der zweite obere Prümolar. 

Dieser in der Regel einwurzelige Zahn setzt in vielen Fällen der Analyse 
kaum größere Schwierigkeiten entgegen als der kleine Schneidezahn. Nicht ganz 
selten jedoch beginnt bei ihm ein Hindernis, das ich als den Kampf mit dem 
Jochbein bezeichnen möchte. 

Die Lage und Größe des Jochbogens ist bekanntlich nach Rassenzuge- 
hörigkeit und individuell außerordentlich variabel. Dem mongolischen Typus 
sich nähernde Gesichtsbildung mit tiefem Abgang des Jochbogens konfiguriert 
das bei einer orthoradial auf Platte in Bißebene eingestellten Aufnahme vom 
Hauptstrahl zu durchdringende Gebiet derart, daß entweder die Wurzelspitze 
selbst vom vorderen Rande des Jochbeinschattens gedeckt wird, oder daß diese 
sehr intensive Schattenlinie knapp hinter dem Apex verlaufend das periapikale 
Gebiet der Spongiosa der genauen Durchmusterung entzieht. In solchen Fällen 
ist es angezeigt, die Radialebene zu verlassen und mesialexzentrisch einstellend 
sich dieses Gebiet freizulegen. Es ist auch gestattet, den Fußpunkt des Haupt- 
strahles von der Fünfer- auf die Viererspitze zu verlegen. Namentlich gilt dies 
für die Aufnahmen auf Platte in Bißebene. Bei angelegter Platte ist ja die 
zur Erreichung einer dem Zahne gleichgroßen Projektion notwendige Einstellung 
geneigter und es findet das abbildende Strahlenbündel auch unter dem tiefer 
abgehenden Jochbogen leichter seinen Weg (Fig. 13, 14). 

Zu beachten ist auch noch die häufige Nähe des vordersten Kieferhöhlen- 
divertikels. Perforationen von Spitzenprozessen des zweiten Prämolaren ins 
Antrum Highmori sind keine Seltenheiten, weshalb in Fällen dieses Verdachtes 
nach dem angegebenen Lokalisationsschema vorzugehen ist. 


*) Die obere Grenze der Aufnahmezahl ist die Erythemdose der getroffenen 
Hautstelle. Bei welcher Zahl von Aui Pe Milim > erreicht wird, ist Sache der Er- 
fahrung an der speziòllany Appara ir. /, M eter Aluminiumfilter ist geeignet, 
ohne irgendwie zu stören, diese G 1 Vielfaches hinauszuschieben. 























Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 291 


and 


Zum Beginn einer Analyse der Prämolarengegend empfiehlt sich auf 
Platte in Bißebene Einstellung auf die Spitze des ersten Prämolaren, orthoradial 
und normal auf die Halbierungsebene zwischen Platte und Zahnachse. Das 
Bild liefert eine gute Übersicht von drei bis fünf, unter günstigen anatomischen 
Verhältnissen werden auf der genügend weit eingeschobenen Platte auch die 
Spitzen der palatinalen Molarenwurzeln sichtbar. 


Der erste obere Molar. 


Der obere Sechser setzt der Röntgenanalyse eine Reihe von Hindernissen 
entgegen, die man kennen muß, um ihnen methodisch zu Leibe gehen zu können. 
Die Gestalt und Lage seiner drei Wurzeln macht ihn, von allem anderen ab- 
gesehen, für die projektivische Analyse zu einem schwer aufzulösenden Objekt. 
Betrachten wir den Zahn (Fig. 12B) von bukkal, so sehen wir die ziemlich 
gleichlangen Wurzeln — vor uns die bukkomesiale und bukkodistale —, da- 
zwischen durch die seltenerweise ein wenig längere palatinale. Eine von dem 
Zahn nach den bisher ermittelten Regeln angefertigte normale Röntgenaufnahme 
auf Platte in Bißebene gibt typisch das Bild in Fig. 12C. Die bukkalen Wurzeln 
sind stark verkürzt, beinahe in den Querschnitt projiziert, die palatinale 
— richtige Einstellung vorausgesetzt — in natürlicher Größe abgebildete 
imponiert als scheinbar stark verlängert. Was verständlich wird, wenn wir uns 
den Strahlengang Fig. 12B (Pfeil) betrachten. Die relativ leichte Aufnahme auf 
Platte in Bißebene ist daher nur für die palatinale Wurzel verwendbar. 

Um die bukkalen Radices zu sehen, müssen wir ‘die angelegte Platte 
heranziehen. Inwieweit man dabei zum Ziele kommt, hängt wiederum von der 
Wölbung des betreffenden Gaumens ab. 

Hat das Individuum ein sehr flaches Gaumendach oder einen so engen 
Gaumen, daß die Anlegung der Platte sehr erschwert wird, so ist der Winkel 
zwischen der Lage der angelegten und der Platte in Bißebene nur ein geringer, 
die Einstellung differiert demnach ebenfalls nicht genügend und die scheinbare 
Kürze der bukkalen Radices bleibt bestehen. Diese in natürlicher Größe dar- 
zustellen, gelingt nur dann, wenn man die palatinale übermäßig verlängert bzw. 
mitunter die Spitze vom oberen Plattenrand abschneiden läßt. Dazu kommt 
noch, daß die Überschattung mit der massiven palatinalen Wurzel das Gebiet 
des Septum interradiculare mit den anliegenden Alveolarwänden der bukkalen 
Wurzeln den Blicken entzieht. Auch die bukkalen Wurzelspitzen kommen bei 
der eigenwilligen Konfiguration dieses Zahnes bei nahem Aneinanderliegen oder 
bei der nicht seltenen Konkreszenz bei orthoradialer Einstellung in den Schatten 
der palatinalen Wurzel und müssen durch mesial- oder distalexzentrische Auf- 
nahmen aus dem Schattenbereich hervorgeholt und isoliert dargestellt werden 
(Fig. 12 D, E, F). Diese in der Konfiguration des Zahnes gelegenen Unannehmlich- 
keiten werden durch die topographische Anatomie der Maxilla und des Jochbeines 


39) Fritz Pordes. 


empfindlich verschärft. Ein Blick auf das Gesichtsskelett (Fig. 13) zeigt das 
dem abbildenden Strahlenbündel sich in den Weg stellende Jochbeinmassiv. 


Fig. 12. 


| 


OO QO 


A und B=der obere erste Molar von außen und von vorne gesehen. C= orthoradiales Bild 
auf Platte in Bißebene. D=Orthoradiale Einstellung auf den Wurzelquerschnitt. E= mesial- 
exzentrische Einstellung zur F = [Isolation der distobukkalen Radix. 

Der Frontalschnitt (Fig. 14) zeigt die — richtiger eine — Jage dieses Zahnes 
zu der sehr variablen Kieferhöhle und zum Jochbogen. Das Diagramm eines 
Röntgenbildes dieser Gegend (Einstellung in der Radialebene des ersten Molaren 


Die radiograpbische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 923 


— normale Neigung) (Fig. 15) zeigt ein Gewirre von über das Bild laufenden 
Schattenlinien und Aufbellungsbezirken. Die wichtigste Schattenfigur ist der 
V-förmige Schatten des Jochbogens, dessen vorderer Schenkel im vorderen 
oberen Bildwinkel schmal beginnend schräg nach unten und hinten verläuft, 
dabei breiter werdend an seiner tiefsten Stelle die größte Breite und Dichte 
erreicht, von da bogenförmig steil nach hinten und oben abbiegt, sich dabei 
schnell verschmälernd. 

Der breite Schatten an der tiefsten Stelle entspricht dem Corpus ossis 
zygomatici. Der nach hinten aufsteigende Ast des V entspricht dem Processus 


Fig. 18. Fig. 14. 





Crista zygomatico alveolaris und vorderer Frontalschnitt des Schädels in der Höhe 
Jochbogenteil (Corning). des ersten Molaren (Corning). 
temporalis des Jochbeines und weiter hinten dem Processus zygomaticus des 
Schläfenbeines. Der dichte Schatten des Jochbeines versteckt alles Detailwerk 
der Wurzeln und des Processus alveolaris. Von den Ästen des schattenden V 
eingeschlossen sehen wir in einer serpiginösen Umgrenzungslinie die Wur- 
zeln und die Spongiosa besonders deutlich und kontrastreich. Dieser helle 
Bezirk ist die Projektion der lufthältigen Kieferhöhle. Verschiedene in 
Zacken zusammenlaufende, flache und engere Bogen sind die Schatten der in- 
dividuell variablen, die Winkel und Divertikel des Höhleninnenreliefs bildenden 
Cristen und Vorsprünge. Der störende Schatten des Jochbeinkörpers, die tiefste 
Stelle des V-förmigen Schattens fällt, wie erwähnt, nach Rassenzugehörigkeit 
und individuellem Gesichtszuschnitt auf eine andere Stelle des Zahnbildes und 


294 ‚ Fritz Pordes. 


ist ebenfalls nach Rasse, ferner Alter und &eschlechtszugehörigkeit verschieden 
dicht. Bei Aufnahme aus der Radialebene des oberen ersten Molaren fällt 
dieser Schatten meistens auf das Wurzelgebiet des Sechsers und seines di- 
stalen Nachbarn, verstärkt durch den Schatten der in der Höhe desselben 
zwischen den Juga alveolaria der bukkalen Radices von der Maxilla abgehen- 
den Crista zygomatico-alveolaris (siehe Fig. 13, 14, 15). Dieser störenden 
Deckung auszuweichen, gibt es eine bestimmte, allgemein gültige Einstellungs- 
regel nicht. Es ist vielmehr, wenn man nicht nach dem Gesichtszuschnitt sich 
richtend gefühlsmäßig aufs erstemal einen Treffer erzielt und den ersten 
Molaren freibekommt, notwendig, den Zahn wie ein artilleristisches Ziel „ein- 
zugabeln“. Man kann an dem Hindernis des Jochbeinschattens vorbeikommen: 

1. Von vorne, indem man mit mesialexzentrischer Einstellung den 
Jochbeinschatten distalwärts wegprojiziert. 

2. Drunterweg, auf angelegte Platte, Einstellung so geneigt, da es 
möglich ist, ohne die palatinale Wurzel allzusehr zu verlängern. Diese Ein- 
stellungsart ist angezeigt bei hohem Gaumen und hohem, schmalem Jochbogen 
(langes Gesicht, angelsächsischer Typus). Die beiden Aufnahmen ergeben ganz 
gute, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle suffiziente Resultate. Die 
zweite Einstellungsart zeigt sehr schön die bukkalen Radices. Eine Deckung 
mit dem unteren Rande des Jochbeinschattens, dort, wo er noch zart ist, noch 
nicht die massive Undurchsichtigkeit des Corpus erreicht hat, ist mitunter 
noch zweckgenügend transparent. Die schwierigsten Fälle sind die Gesichter 
mit mongoloiden, breiten, massiven, tiefabgehenden Jochbogen (Slawen, Magya- 
ren, Beethoventypus, „Quadratgesicht“). In solchen Fällen bleibt als Ultimum 
refugium: 

3. durchs Antrum zu projizieren. Man muß so zielen, daß der 
den darzustellenden ersten Molaren abbildende Strahl durch die Kieferhöhle 
geht. In solchen Fällen ist die erste Aufnahme natürlich fast nie verwertbar und 
dient vielmehr lediglich dazu, sich über die Lage und Größe der Kieferhöhle und 
ihre Beziehung zu dem abzubildenden Zahne zu orientieren. Der bessere Schütze 
wird nach den wenigsten Fehlern den Treffer zu verzeichnen haben. Es wird 
dann die gesuchte palatinale Wurzelspitze in der Aufhellung des Antrum 
deutlich zu sehen sein. Die bukkalen Wurzeln sind auch bei ungünstig kon- 
figurierten Jochbeinen so gut wie immer nach der zweiten Art (drunterweg) 
auf die Platte zn bekommen, hier allerdings meistens unter Verzicht auf den 
palatinalen Apex. 

Der erste obere Molar erfordert demnach unter Umständen eine große 
Anzahl von nicht immer zum erstenmal gelingenden Aufnahmen, will man sich 
wirklich über alle erreichbaren Fragen möglichsten Aufschluß verschaffen. 

Die Entscheidung, in welcber Beziehung zur Kieferhöhle die projektivisch 


darin erscheinende Wurzel steht, ist Sache der hier nicht zu erörternden Röntgen- 
pathologie. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 295 


Eine orthoradial oder leicht mesialexzentrisch auf den ersten Molaren 
eingestellte Aufnahme auf Platte in Bißebene gibt ein gutes Übersichtsbild 
des ganzen Molarengebietes. 


Der zweite obere Molar. 


Der obere Siebener hat eine dem ersten Molaren analoge Konfiguration. 
Er unterscheidet sich von diesem in der Regel durch geringere Wurzellänge 
und engeres Zusammenstehen der Wurzeln, häufige Konkreszenz der bukkalen, 
hie und da aller dreier. Für seine Darstellung gilt somit im allgemeinen 
das für den ersten Molaren Gesagte, abgesehen von einigen durch seine anderen 
Beziehungen zu den umliegenden schattenden Gebilden bedingte Abänderungen. 
Der tiefste Teil des V-förmigen Jochbeinschattens liegt über den ersten Mo- 


A Fig. 15. 





Röntgenbilder (Diagramme) der oberen Molarengegend mit dem V-förmigen Schatten des Joch- 
bogens und dem Aufhellungsbezirk der Kieferhöhle. Man beachte die individuellen Ver- 
schiedenheiten. 


laren. Es ist individuell sehr variabel, in welcher Radialebene, ob sechs oder 
sieben, dieser Schatten seine größte Dichte und Breite erreicht. Der Siebener 
unterscheidet sich .insoferne günstig vom Sechser, als in seiner Radialebene 
die Kieferhöhle breiter und tiefer ist, als über dem Sechser. Aus diesem Grunde 
ist die orthoradiale Aufnahme auf Platte in Bißebene beim Siebener häufiger 
suffizient, da sie die palatinale Siebenerradix häufiger im Aufhellungsbezirk 
der Kieferhöhle zeigt. Die beim Sechser als erste Aushilfsmethode angegebene 
mesialexzentrische Einstellung ist nicht anwendbar, weil es begreiflicherweise 
nicht möglich ist, den Jochbeinschatten bis über den Siebener hinaus nach 
distal wegzuprojizieren. Dagegen ist die zweite Methode (drunterweg) leichter 
ausführbar, da das Jochbein etwa in der Radialebene der distobukkalen Sie- 
benerradix in den Processus temporalis übergeht, d.h. der Einfallsraum sich 
verbreitert. Mit einer minimalen, distalexzentrischen Deviation kommen wir 
demnach unter dem hinteren Schenkel des V-förmigen Schattens durch. 

. Die dritte Methode (durchs Antrum) ist, wie anfangs erwähnt, hier leichter 
und kommt häufig als Zufallstreffer (Fig. 15, A. B). Bei Einbringung der Platte 


226 Fritz Pordes. Die radiographische Darstellung etc. 


— namentlich beim Anlegen, weniger bei Platte in Bißebene beginnt sich beim 
zweiten Molaren der Gaumenreflex störend bemerkbar zu machen. Die An- 
weisung, tief und ruhig zu atmen, hilft dem Patienten meistens darüber hin- 
weg. Umbiegen der hinteren oberen Filmecke (was jedoch zur Vermeidung 
von Verzerrungen möglichst scharfkantig unter einem Winkel von 90 Grad 
gemacht werden muß, so daß die umgebogene Ecke auf dem Bilde als solche 
deutlich erkennbar ist — Film mit Bleifolie hinterlegt — oder die Verwen- 
dung einer Glasplatte mit abgeschrägten Ecken und abbiegbarer Bleifolien- 
hinterlage, wie ich sie für den Unterkiefer verwende, s. dort) ist das zweite 
Hilfsmittel. Führt dies nicht zum Ziele, so ist zunächst zu versuchen, mit einer 
Platte in Bißebene zur Darstellung der palatinalen Radix und eventuell, wenn 
dies möglich ist, mit weniger hoch hinaufgeschobenen angelegten Platten zur Dar- 
stellung von Krone und Hals und etwa der ein wenig zu verkürzenden Buk- 
kalradices den diagnostischen Anforderungen zu genügen. Es wird mitunter 
möglich sein, auch mit einer Aufnahme auf Platte in Bißebene den Fragen 
des speziellen Falles Genüge zu tun. Ich kann mich nicht erinnern öfter, als 
zwei- oder höchstens dreimal zum Verzicht auf die Anlegung der Platte ge- 
zwungen worden zu sein. Zum Aufgeben der Untersuchung war ich, wie 
gesagt, nie gezwungen. Ein einziges Mal mußte ich, wie erwähnt, den weichen 
Gaumen mit Kokainlösung pinseln, um den schon beim Einlegen der Platte in 
Bißebene auftretenden sehr heftigen und unüberwindlichen Würgreiz auszu- 
schalten. Es handelte sich um einen 5ijährigen Mann. Gerade bei den als 
empfindlich gefürchteten Frauen bin ich mit dem Rachenreflex immer ganz 
gut ohne das fertig geworden. Das hysterische Symptom des Fehlens dieses 
Reflexes hatte ich zu wiederholten Malen Gelegenheit zu beobachten. 


Der obere Weisheitszahn. 

Die anatomische Gestaltung dieses Zahnes ist, wie bekannt, individuell 
ungemein verschieden. Von drei kräftigen, wohl separierten Radices bis zu 
einem kümmerlichen Wurzelrudiment bekommt man alle Übergänge zu Ge- 
sicht. Seine Lage zum Jochbogen unterscheidet sich von der des zweiten Mo- 
laren im selben Sinne. wie die dieses Zahnes von der Lage des ersten Mo- 
laren. Der hintere Ast des V-förmigen Schattens — der Processus temporalis 
des Jochbeines — ist selten mehr störend. Die hintere Wand der Kieferhöhle 
ist de norma mesial vom Weisheitszahne gelegen. Häufig liegt der Weisheits- 
zahn dem Antrum Highmori von hinten an. Die orthoradial zum Sapiens auf 
Platte in Bißebene eingestellte Aufnahme zeige diesen in der Regel in ge- 
nügender Deutlichkeit. Eine Aufnahme auf angelegte Platte kann zur genauen. 
Darstellung des häufig mit der Kaufläche über der Bißebene liegenden, noch 
nicht durehgebrochenen, mitunter gegen die distale Siebenerflächen mehr oder 
minder geneigten Zahnes nicht entraten werden. Itetinierte Weisheitszähne 
werden pach den beim Ecekzahn angegebenen Regeln lokalisiert. Es ist oft 


Referate und Bücherbesprechungen. 297 


angezeigt, zu ihrer Bestimmung der Analyse die eine oder andere extraorale 
Aufnahme anzuschließen, z. B. eine postero-anteriore und eine reinfrontal auf 
den Weisheitszahn eingestellte, nötigenfall seine axiale. (Einstellung dieser Auf- 
nahmen s. u.) Eine distalexzentrisch — vom Ohr her — eingestellte Aufnahme 
auf Platte in Bißebene projiziert die Sapienswurzel hie und da in den Auf- 
hellungsbezirk der Kieferhöhle. 

Das über den Rachenreflex und dessen Überwindung beim zweiten Mo- 
laren Gesagte gilt in vermehrtem Ausmaße für den Sapiens. (Fortsetzung folgt.) 


Referate und Bücherbesprechungen. 





Über Geschlechtsunterschiede im Bereiche des menschlichen Gesichts- 
a Von Dr. Eugen Adams, Straßburg i. E. D. M. f. Z., H. 6, 
uni 1917. 


Aus der detaillierten, ausführlichen Arbeit können nur die wichtigsten 
Punkte in der Kürze eines Referates hervorgehoben werden: Die linearen 
Maße am weiblichen Gesichtsschädel sind nicht nur alle absolut kleiner 
als am Männerschädel, sondern die meisten auch relativ, d.h.in ihrem 
Verhältnis zur Schädelbasislänge. Nur Gaumenbreite und Maxillo-Alveolar- 
breite sind relativ größer. Der Gesichtsschädel der Frau ist außerdem 
im Verhältnis zum Hirnschädel kleiner, jedoch auch nicht in allen seinen 
Mazen gleichmäßig. Durch die größere Breite wird das Gesicht rundlicher- 
chamaeprosop. Auffallend ist die Angabe Adams’, daß zwar Obergesichts- 
höhe und Unterkieferhöhe relativ kleiner, die Okklusionshöhe 
dagegen relativ größer ist als beim Mann. Der Unterkiefer zeigt beim 
Weibe statt der männlichen V- die U-Form. Die Stellung des Oberkiefer- 
alveolarfortsatzes zur Schädelbasis ist bei beiden Geschlechtern gleich, 
doch besteht beim weiblichen eine relative alveoläre Prognathie, da hier 
der Alveclarfortsatz gegen den Kieferkörper mehr vorgelagert er- 
scheint. Als zusammıenfassendes Resultat ergibt sich die Bestätigung einer 
schon lange bekannten Tatsache, daß nämlich der Weiberschädel reichlich 
infantile Merkmale besitzt. Sicher. 
Die Anwendung von Bruchsäeken zur Transplantation. Von Dr. W eder- 

er S e. Feldärztliche Beilage Nr.24 der M. med. Wochenschr., S. 785 
69). 

Auf Grund einer bereits auf Jahre zurückreichenden Erfahrung emp- 
fiehlt Wederhake die Verwendung von Bruchsäcken zur freien Über- 
pflanzung, um Weichteilverluste und große granulierende Flächen zu decken 
und feste, schmerzlose und. verschiebliche Narben zu erzielen. 

Die Technik ist sehr einfach. Der bei einer Leistenbruchoperation 
gewonnene Bruchsack wird bis zum Schlusse der Operation in einem sterilen 
Tupfer aufbewahrt und dann auf die zu deckende Fläche, welche gute Granu- 
lationen aufweisen, aber nicht mehr stark eitern soll, derart aufgelegt, daß 
die wunde Seite des Bruchsackes auf die Wundfläche, die Endothelschicht 
nach außen zu liegen kommt. Die zu deckende Fläche wird, wenn möglich, 


298 Referate und Bücherbesprechungen. — Personalien. 


einige Tage vor der Transplantation mit verdünnter essigsaurer Tonerde 
behandelt. Falls Blutserum zur Verfügung steht, ist es vorteilhaft, die 
granulierende Fläche gut mit frischem Serum zu befeuchten. Ein ähnlicher 
Effekt wird erreicht, wenn das Glied, an dem die Transplantation vor- 
genominen werden soll, 2—3 Stunden vorher nach Bier gestaut wird 
(blaue Stauung). Dann wird der Bruchsack aufgelegt und mit einem 
trockenen oder mit Vaselin bestrichenen Tupfer bedeckt; darüber kommt 
ein nicht drückender Verband. In den Fällen, in welchen das Transplantat 
nicht anheilt, ist trotzdem eine Besserung erzieht, wenn unter dem Bruch- 
sack zahlreiche kleine Epithelinseln aufschießen. Tritt Einheilung des 
Transplantates ein, so wird durch Pinselung mit 10% alkoholischer Tannin- 
lösung die neue Haut gehärtet. Unter dem Bruchsack tritt eine lebhafte 
Gewebswucherung ein, wodurch die Unterpolsterung und Verschieblichkeit 
der Narbe resultiert. 

An der Hand von zahlreichen Beispielen zeigt Wederhake die 
fast unbegrenzte Anwendungsmöglichkeit seines Verfahrens, welches berufen 
scheint, neben den alten bewährten Transplantations- 
methoden eine wichtige Rolle in der Chirurgie zu 
spielen. i 

Kriegszahnklinik, August 1917. Zilz. 





Die exakte Wiederherstellung der ursprünglichen Form und Gestalt des 
Kieferskelettes bei Frakturen ist zur Erzielung eines vollen kosmetischen 
Erfolges Hauptbedingung. Von Jul. Steinkamm, Essen. D.M.f. Z., 
H.5, Mai 1917. 


Durch einige Krankengeschichten wird der im Titel fixierte Leitsatz 
anschaulich erörtert. Zu erwägen hierbei ist nur die von Euler auf- 
geworfene Frage, ob man licber bei geringeren Defekten durch die exakte 
Einstellung der Fragmente eine Pseudarthrose begünstigen soll, die nach- 
träglich eine Osteoplastik erfordert, oder ob man nicht geringe Fehler 
der #instellung bei der Erzielung einer knöchernen Primärheilung in Kauf 
nehmen soll. Gewiß wird die Entscheidung keine allgemein gültige sein 
dürfen, sondern sich jedem Falle anzupassen haben, aber gerade deshalb 
halte ich Leitsätze. wie der Tite] der vorliegenden Arbeit, a 

icher. 


Personalien. 





(Nobilitierung.) Reg.-Rat Prof. Dr. Julius Scheff, der kürzlich mit 
dem Orden der Eisernen Krone III. Kl. ausgezeichnet wurde, ist in den Adels- 
stand erhoben worden. 


(Auszeichnung.) Der Kaiser hat dem Zahnarzt Dr. Viktor Frey in 
Anerkennung Ihrer Majestät und a. h. Ibrer Familie geleisteten vorzüglichen 
Dienste den Titel eines Regierungsrates mit Nachsicht der Taxe verliehen. 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, DI., Mlinzgasse 6. 





Österreichische Zeitschrift ar Stomatologie 


Organ ir, die wissenschantiouen Zahnärzte Österreichs. 


Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 





XVI. Jahrgang. September 1918. H 9. Heft. 





Nachdruck ae 


Original Arbeiten. | 





(Aus dem anatomischen Laboratorium der städtischen Universität zu 
i Amsterdam.) 


Ein Beitrag zu der Morphogenese des „Dens in dente“. 
Yon Dr. med. dent. Th. E. de Jonge Cohen, Assistent für Zahnanatomie an | der 
Reichsuniversität in Utrecht. ') 

(Mit 6 Figuren.) 

Der Gegenstand, dem ich einige Worte widmen möchte, ist nicht mehr 
neu: die erste Beschreibung des Dens in dente datiert bereits aus einer Zeit, 
die mehr als 20 Jahre zurückliegt. Doch können wir diesem Hinweise hinzu- 
fügen, daß diese erste Beschreibung bisher zugleich die einzige dieser Art 
geblieben ist, woraus gefolgert werden kann, daß die genannte Formabweichung 
wohl zu den außerordentlichen Seltenheiten zu rechnen ist, und daß es wohl 
ein sehr glücklicher Zufall war, daß ich bei einer Untersuchung nach der 
Wurzeldifferenzierung unserer Prämolaren Gelegenheit hatte, nicht nur die 
Abweichung selbst in ihrer reinsten Form festzustellen, sondern gleichzeitig 
an Hand einer Serie von Präparaten die allmähliche Entwicklung des Dens 
.in dente verfolgen zu können. 

Der erste, der sich mit der Formbeschreibung und Formerklärung des 
Dens in dente beschäftigte, war Professor Busch, der drei Fälle beschrieb: einen 
‚ersten Schneidezahbn und einen überzähligen Schneidezahn, beide im Ober- 
kiefer, sowie einen zweiten Schneidezahn im Unterkiefer. Bei allen drei war 
die linguale Hälfte des Zahnes — das Deuteromer‘°) also — so stark ent- 
wickelt, daß sich auch bei dem unteren Schneidezahn — was wohl eine auBer- 
ordentlich seltene Erscheinung ist — auf der Krone ein selbständiges lin- 
guales Höckerchen (D):) manifestierte. 


1) Während der Drucklegung der vorliegenden Arbeit teilt uns der Autor 
mit, daß ihm der in der Österreichisch-ungarischen Vierteljahrsschrift für Zahnheil- 
kunde, Heft 1/2, 1918, erschienene Aufsatz von Prof. Dr. Hans Moral (Rostock): 
„Eine seltene Zahnmißbildung (Dens in dente)“ aus Gründen, die durch die Kriegs- 
verhältnisse bedingt sind, zur Zeit der Abfassung seines Artikels unbekannt war 
und er daher Morals Arbeit nicht erwähnen bzw. referieren konnte. 

3) Nomenklatur Bolks. 

Österr. Zeitschriit für Stamatolngie. 17 


u 


230 Th. E. de Jonge Cohen. 


. Man bemerkt in der genannten Beschreibung sofort, daB Busch selbst 
kejnen Verband zwischen der letztgenannten -Strukturangmalie: und, den Ent- 
wicklungen des Dens in dente legt; im Gegenteil betrachtet er die kräftige 
Entwicklung der lingualen Hälfte der drei -beschriebenen Ineisivi, abgesehen 
von einem Falle, als Koaleszenzerscheinung: gerade daher bespricht er seine 
Fälle unter der Rubrik: „Verschmelzung und Verwachsung der Zähne des 
Milchgebisses und des bleibenden Gebisses*. Den Dens in dente betrachtet 
er als Komplikation und erklärt er dementsprechend, daß „das eine Zahn- 
gebilde das andere zirkulär umwachsen hatte“. 

Diese Hypothese wird durch kein einziges positives Argument bestätigt: 
im Gegenteil erweist sie sich strittig gegenüber dem ebenfalls von Busch 
festgestellten Vorhandensein einer radiären Schmelzbekleidung des Dens in 
dente. Diese Schwierigkeit fällt indessen weg, sobald wir den Dens in dente 
auf. eine „leilerscheinung“ einer im Nachstehenden noch näher zu behandeln- 
den progressiven Formvariation zurückbringen. 

. Selbst traf ich den Dens in dente nicht nur bei Schneidezähnen an, 
sondern ebenfalls bei dem ersten unteren Prämolar. Ebenso wie in den von 
Busch beschriebenen Fällen war die Entwicklung des Dens in dente mit 
einer ausgesprochen progressiven Entwicklung des Deuteromers verbunden. 
so daß ich es als angebracht erachtete, der Frage näher zu treten, ob der 
Koinzidenz von Dens in dente mit progressiver Entwicklung der lingualen 
Zahnhälfte nicht eine bestimmte Bedeutung zukommt. 

Eine nähere Besprechung des Verlaufes dieser Entwicklung wird uns 
(relegenheit bieten, diese Frage zu beantworten. 

In den meisten Handbüchern der Zahnanatomie werden unsere unteren 
Prämolaren schlichtweg einwurzelig genannt. Diese Auffassung ist richtig, so- 
lange wir auf dem rein formbeschreibenden Standpunkt stehen: denn Mani- 
festierung von mehreren, vollkommen getrennten Wurzeln kommt bei den 
unteren Prämolaren verhältnismäßig wenig vor. Eine um so häufigere Er- 
scheinung ist, besonders bei dem ersten Prämolar, unvollständige Spaltung in 
eine bukkale und eine linguale Hälfte. Diese Spaltung erfolgt, wie aus 
den Photos der Präparate erhellt, von einigen besonderen Abweichungen abge- 
sehen, konstant von der mesialen Seite aus (siehe Fig. 1!nd?2), so daß 
in einem weiteren Stadium zwischen mesialer und distaler Wurzelfläche nur 
ein dünnes Septum übrig bleibt (siehe Fig. 1%und+), das noch immer eine Ver- 
bindung zwischen Protomer und Deuteromer bildet. 

Erst wenn auch dieses Septum verschwindet, kann man von bukkaler 
und lingualer Wurzel sprechen: jedoch kommt vollständige Trennung, wie 
schon gesagt, nicht allzu oft vor. 

Dancben ist als zweite Progression Spaltung des bukkalen Wurzel- 
gebietes in eine mesio- und eine distobukkale Wurzel bekannt, so daß wir als 


Ein Beitrag zu der Morphogenese des „Dens in dente“. 231 


Endstadium der Wurzeldifferenzierung volaandigs :Spaltung in zwei bukkale 
Wurzeln und eine linguale kennen. 

Soweit über die normalen Spaltungserscheinungen Pr Wurzeln. Wie 
gesagt: primär ist die von der mesialen Seite ausgehende Wurzelspäl- 
tung. Kleine Abweichungen in dem historischen Verlaufe der beschriebenen 
Progression können vorkommen; sie sind jedoch nicht von prinzipieller Be- 
deutung und können also hier des weitern außer Betracht bleiben. Hauptsache 
ist, festgestellt zu haben, daß die mesiale Wurzelwand, die auf horizontalem 
Querschnitt ursprünglich als schwach gebogene Linie von bukkal nach lingual 
verläuft, sich auf ungefähr einem Drittel ihrer Länge (von lingual an ge- 
rechnet) umzustülpen beginnt, wodurch der ganze Aspekt von Radix und 
Pulpa verändert wird. 

Soweit über den Fig.1. 
horizontalen (Querschnitt. 

Nehmen wir nun 
einen bukko - lingualen 
(vertikalen) Durchschnitt 
der Wurzel vor, und 
zwar derartig, daß die 
mesiale Einstülpung in- 
takt bleibt — in der 
Regel erweist sich dies 
nur bei noch jungen 
Exemplaren als möglich, 
wo die Aussicht auf teil- Horizontaler Durchschnitt Ei Wurzel des ersten unteren 
weise oder völlige Obtura- Prümolaren. 
tion der Wurzelpulpa noch 
so gut wie ganz ausgeschlossen ist —, dann sehen wir, daß diese Einstülpung 
gleichsam einen Knochenmantel?) in der Pulpa bildet, dessen Aspekt sich 
je nach dem Entwicklungsstadium, in welchem sich dieser Knochenmantel be- 
tindet, ändert (siehe Fig. 21,2und5), 

Würden wir den Mantel von Fig. 2° in mesio-distaler Richtung treffen, 
dann würden wir einen Durchschnitt erhalten, wie in nachstehender Figur. 

Wir finden also einen Knochenmantel, der nicht mehr seiner ganzen 
Höhe nach mit der mesialen Wurzelwand verbunden ist, sondern sich teil- 
weise von der Einstülpung abgeschnürt hat. 

Sollte diese Abschnürung sich bis unten hin fortgesetzt haben, dann ist 
es klar. daß sich in dem Lumen der Wurzel eine neue, sekundäre Wurzel ent- 


1381p 
mesial 





') Histologisch besteht dieser Knochenmantel natürlich nicht aus Knochen- 
gewebe, sondern aus Dentin und Zement. 
36° 


232 Th. E. de Jonge Cohen. 


wickeln muĝ, die ebenso wie die primäre aus Zahubein und Zement USERN 
und im Durchschnitt ihr gleich ist. 

Wenn diese Hypothese jedoch richtig sein soll, dann ist es klar, dab 
sich der Zement der sekundären Wurzel des Dens in dente also zentral von 
der Dentinbekleidung befinden muĝ. 

Tatsächlich habe ich nun in der Zahnkollektion des Herrn Professor 
Bolk einen unteren Prämolar gefunden, bei dem sich völlig frei in der Pulpa- 
höhle eine sekundäre Wurzel entwickelt hatte. Nicht nur war der Zement der 
sekundären Wurzel — man könnte von einer Radix centralis sprechen — 
peripher mit Dentin bekleidet, sondern es gab noch ein weiteres beredtes Ar- 
gument für die Richtigkeit meiner Auffassung, nämlich die Lokalisation der 
sekundären Wurzel, welche, obwohl sie völlig frei in der primären Wurzel 
liegt (wenn auch nicht in der gleichen Achse), doch so weit nach mesialwärts 


Fig. 2. 





Bukko-lingualer Durchschnitt durch die Wurzel des ersten unteren Prämolaren. 


verschoben ist, daß sich die mesialen Wurzelflächen von beiden beinahe be- 
rühren, insbesondere dort, wo Einstülpung und Abschnürung stattgefunden 
haben müssen. 

Auch Busch weist bei der Beschreibung seiner Fälle auf die Topo- 
graphie der beiden Wurzeln hin: „Aus der mikroskopischen Betrachtung der 
Zahnschliffe sowie aus den Photographien geht nun klar und deutlich hervor, 
daß hier in der Tat. das eine Zahngebilde das andere zirkulär umwachsen 
hatte. Das höchst merkwürdige Verhalten besteht nun aber darin, daß bei dem 
äußeren Zahngebilde der Schmelz nach außen gewandt war, bei dem innern 
Zahngebilde aber nach innen. Das Verhältnis der beiden Zähne war also das- 
jenige von zwei Handschuhfingern, von denen man den einen in den andern 
hineingesteckt hat, so aber, daß der innere Handschuhfinger zuerst umgewen- 
det wurde, so daß seine farbige Seite nach innen kam. An der Dentinseite 
waren beide Zahngebilde zum Teil miteinander verschmolzen, zum Teil aber 


Ein Beitrag zu der Morphogenese des „Dens in dente“. 233 


= 


ließen sie einen freien Raum übrig, welcher jedenfalls während des Lebens 
von weicher Pulpenmasse erfüllt war.“ 1) 

Von einer nähern Besprechung der Incisivi will ich indes absehen, da 
dieser Gegenstand schen vor geraumer Zeit seitens van Loon studiert wurde 
und die Publikation seiner Untersuchungen in kurzem zu erwarten ist. 

Die Frage, ob wir den Dens in dente in der Krone oder aber in der 
Wurzel antreffen werden, ist völlig von der Art und Weise der Differenzie- 
rung abhängig, und so werden wir sehen,‘ daß. bei den Prämolaren der Dens 
in dente in der unteren Hälfte der Wurzel lokalisiert bleibt. Bei den Ineisivi, 


Fig. 3. Fig. 4. 
Mesiale Wurselfläche. 


1838 1p 
mesial 
1835p 





.Mesgo-distaler Durchschnitt. 





Um den Dens in dente besser nach oben 
hin verfolgen zu können, ist der bukko- 
apikale Teil der Wurzel weggenommen. 


wo sich die Einstülpung, was beiläufig bemerkt sei, von inzisal nach apikal 
entwickelt, wird auch die Krone die besprochene Abweichung aufweisen. 

Schließlich ist noch zu bemerken, daß sich sowohl die von Busch be- 
schriebenen Fälle als die meinen dadurch auszeichnen, daß bei keinem von 
ihnen die Spitze noch ganz entwickelt ist, und die Frage ist also berechtigt, 
welchen Einfluß die Entwicklung der primären Wurzel auf die Form der se- 
kundären Wurzel ausüben wird: wird diese letztere wirklich in der primären ganz 
frei bleiben? 


!) Prof. Dr. W. Busch, Über Verschmelzung und Verwachsung der Zähne des 
Milchgebisses und des bleibenden Gebisses. (D. M. f. Z. 1897. H. 11.) 


234 Th. E. de Jonge Cohen. Ein. Beitrag zu der Morphogenese etc. 


Hier zeigt uns nun die Wurzelformation der Prämolaren mit normaler 
Wurzeleinschnürung den Weg: bei diesen biegt sich der sekundäre Knochen- 
mantel an drei Seiten —- bukkal, distal und lingual — in die gleichnamigen 
Flächen der primären Wurzel um, und so wird der Knochenmantel, falls der- 
selbe sich auch mesial abschnürt (und er also auch mit der mesialen Fläche 
völlig frei in der primären Wurzel zu liegen kommt), ebenfalls in die gleich- 
namige Fläche der primären Wurzel umbiegen. 


Fig. 5. 


l- Mesisiery, 
Distaler prs 





Linguale Hälfte Bukkale Hälfte 


Auf diese Weise erhalten wir dann statt eines mehr oder weniger ko- 
nisch verlaufenden Apex, einer Wurzelspitze, eine ‚Einstülpung, welche sich 
am besten mit der Einstülpung des Bodens einer Flasche vergleichen 
läßt. Von derartig geformten Präparaten bilde ich in Fig. 5 zwei ab; die eine 
ist in sagittaler Richtung offengelegt, die andere verdanke ich der Freundlichkeit 
des Herrn Backer, Arzt in Amsterdam, der so bereitwillig war, eine Röntgen- 
aufnahme anzufertigen (Fig.5*, links bukkal, rechts lingual): Bei beiden ist 
zu bemerken, daß die sekundäre Wurzel — Dens in dente — auch im er- 
wachsenen Zustande hohl bleibt: die Exkavation endigt aufwärts in einer ziem- 
lich scharfen Spitze — ebenso wie übrigens der Dens in dente selbst. 





Fritz Pordes. Die radiographische Darstellung ete. 25D 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne 
und Kiefer. 


Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre. 
| Von Dr. Fritz Pordes. 


(Fortsetzung?) 
Einschaltung. 


Die Darstelluny der zu Behandlungs-, Füll- oder Ersatzzwecken in 
die Mundhöhle eingebrachten und absichtlich oder wunabsichtlich 
darin belassenen Fremdkörper. 


Das Kapitel wäre Gegenstand des „allgemeinen Teiles“ und gehörte „rite‘ 
vor die enoralen Aufnahmen gestellt. Daß es dennoch im „speziellen Teil“ Platz 
findet, ist darin begründet, daß das Kapitel die Vertrautheit mit den z. T. neuen, 
meistens aber ungewohnten Grundbegriffen und Terminis der Einstellungsarten und 
der allgemeinen Projektionsgesetze erfordert. Da den Abschnitten über intraorale 
Aufnahmen sowohl beim Ober- als auch beim Unterkiefer je ein Kapitel über extra- 
orale Aufnahmen der betreffenden Gegenden folgt, die architektonisch allenfalls 
richtigere Stellung dieses Abschnittes an den Schluß aus diesem Grunde ebenfalls 
nicht angeht, so sei hier dieses, die intraoralen Aufnahmen beider Kiefer be- 
treffende Kapitel zweckmäßiger als schön untergebracht 

Die Kenntnis von der anatomischen Gestalt des Gebiiaes hütet uns 
im allgemeinen davor, röntgenographisch-projektivisch entstandene Ver- 
zeichnungen allzu kraß zu mißdeuten und einen ersten oberen Molaren mit 
einer langen palatinalen Wurzel und zwei winzigen bukkalen Stümpfchen 
etwa für eine anatomische Varietät oder Mißbildung zu halten. Wir 
wissen, daß die bukkalen Wurzeln durch ihre Lage im abbildenden Strah- 
lenbündel verkürzt erscheinen müssen, und nehmen erst, wenn wir auf einer 
stark geneigt eingestellten Aufnahme auf angelegter Platte einen identi- 
schen Befund erheben können, wirklich an, daß die bukkalen Radices kür- 
zer sind, als der Norm entspricht. Nun gibt es aber auf den Röntgenbildern 
der Zähne eine Gruppe von Gebilden, deren Gestalt und relative Größe 
wir a priori gar nicht kennen. Es sind dies die vom Zahnarzt — anato- 
misch gesprochen — in willkürlich vielgestaltig geformte Höhlen, in die 
 verschiedenartig erweiterten Pulparäume und Kanäle etc. ete. eingebrach- 
ten Einlagen und Füllungen, die verschiedenen Bestandteile von Kronen 
und Brücken, zuletzt, doch, wie bekannt. nicht allzuselten, in- und außer- 
halb der Zähne frakturierte Bohrerköpfe, Miller- und Donaldson-Nadeln, 
Injektionskanülen, über das Foramen apicale oder das Ostium einer Fausse 
route übergepreßtes Füllmaterial, seltenerweise auch einmal vom Patien- 


1) s. Nr.8, 1918, der Österr. Zschr. f. Stomatologie. Abdruck der im Verlage 
Urban & Schwarzenberg in Buchform demnächst erscheinenden Artikelserie 


236 Fritz Pordes. 


ten zu mehr oder weniger klugen Manipulationen eingebrachte Fremd- 
körperchen verschiedenster Art.?) 

Die Form und Lage dieser Fremdkörper — denn auch Füllungen sind 
für den Röntgenologen Fremdkörper — zu erkennen, ist wegen der, wie 
gesagt, willkürlichen Form schwerer als bei den Zähnen. 

Vor der Besprechung des eigentlich Projektivischen sei eine Ex- 
kursion ins Röntgentechnische bezüglich der Sichtbarkeit der in Betracht 
kommenden Substanzen gestattet. Die Sichtbarkeit einer Substanz im 
Röntgenbilde, der Grad der Durchlässigkeit für Röntgenstralen ist, wie 
bekannt, eine Funktion der spezifischen Dichte bzw. des spezifischen Ge- 
wichtes. Der Schatten — das Röntgenbild — ist um so intensiver, je spezi- 
fisch schwerer eine Substanz ist. 

Die spezifisch schweren Metallfüllungen (Amalgam, Gold) und alle 
sonstigen schwermetallischen Körper, Kronen-, Brückenbestandteile, Stifte, 
Metallringe, Drahtbügel, Nadeln, Bohrer etc. geben daher den dichtesten, 
bei genügender Ausdehnung ohneweiters erkennbaren Schatten. 

Auch spezifisch schwere Körper können, wenn ihre Größe ein gewisses 
Mindestmaß unterschreitet, schwerer sichtbar werden bzw. im Knochenschatten ver- 
schwinden, z. B kleinste Fragmente von Donaldsonnadeln, die an Schattenintensität 
eine normale Alveolarkompakta durchaus nicht übertreffen müssen. 

An nächster Stelle in der Sichtbarkeitsreihe stehen die durch che- 
mische Beimengung spezifisch schwerer Substanzen dichte Schatten geben- 
den Sorten von Guttapercha (Gilbert, Hill, Guttapercha-Point). Gut 
sichtbar sind ferner alle jodoformhältigen Materialien (Pasten, Dochte). 

Völlig unsichtbar ist eine Substanz nur dann, wenn sie sich im spezi- 
fischen Gewicht gar nicht oder nur in so geringem Maße vom Dentin unter- 
scheidet, daß sie sich nicht mehr differenzieren läßt (gewisse Arten von 
Phosphatzementen). Substanzen, die spezifisch leichter sind als Dentin, 
sind zwar im Zahnschatten nicht zu sehen, doch wird die von ihnen erfüllte 
Höhle als solche sichtbar. Es ist dann allerdings nicht zu entscheiden, 
ob die von ihnen erfüllte Höhle, etwa der Pulpkanal, überhaupt gefüllt 
ist oder nicht. Solche leichte Füllungen sind z. B. Trieresol-Formalin- 
wattefäden oder unbeschwerte Paraffinfüllung (Wismut oder Zinkoxyd- 
zusatz macht die Füllungen sichtbar). 

Wenden wir uns nun wieder der projektivischen Seite der Fragen zu, 
so wollen wir zunächst die an der Zahnkrone in Betracht kommenden Mög- 


?) Ich sah eine im Pulpkanal eines kleinen oberen Schneidezahnee von 
einer an periostitischen Schmerzen leidenden Patientin durch die palatinale Trepa- 
nationsöffnung eingeführte und 1?/z em lange, abgebrochene Nähnadel (!). Die Dame 
wollte die vom Zahnarzt gesehene und ihr damals Erleichterung schaffende Prozedur 
des dem Eiter durch den Pulpkanal Auswegschaffens imitieren. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 237 


lichkeiten ins Auge fassen. Die .Zahnkronen waren bisher in der Projek- 
tionslehre ein wenig vernachlässigt. Ihre Konfiguration, ihre etwaigen 
durch Caries gesetzten Defekte sind dem Auge und der Sonde ohneweitere. 
zugänglich und daher im allgemeinen nicht Gegenstand der Röntgenunter- 
suchung. 
Nebenbei bemerkt, höchst ungerechtfertigt, da der Sonde verborgene Caries 

(z. B. Halscaries) rätselhafte Schmerzen verursacht, was bei einer infolge anders- 
gestellter Vermutungsdiagnose (Neuralgie, Dentikel etc.) vorgenommenen Röntgen- 
untersuchung als überraschender Befund zutage zu treten pflegt. 

Der gefüllte und abgeschlossene Zahn jedoch kann im Röntgenogramm 
eine Summe von Fragen stellen lassen und kann vor allem Quellen von Irr- 
tümern bergen. 


1. Überstehende Füllungen. 


Öfter, als man vermuten würde, enthüllt das Röntgenbild zervikal 
überbaute Füllungen (oft genug auch okkulte Caries). Die Überschüsse 


Fig.16. 





Cervikal überbaute Füllung. 
1. Bukkopalatinale Orthoansicht. 2. Meso-distale Orthoansicht und Einstellung zur Frzielung 
von 1 und 3. 3. Ansicht nach der gebräuchlichen Schrägprojektion. Der cervikale Überschuß 
erscheint stark verbreitert. 


am Zahnhalse sehen im Röntgenogramm massiger aus, als sie es wirklich 
sind. Die gebräuchlichen Aufnahmen sowohl auf der Platte in Bißebene als 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 18 


238 Fritz Pordes. 


auch auf angelegter Platte sind alle mehr oder weniger schräg von oben, 
das heißt vom Apex her nach innen unten projiziert. Der kleine Überschuß 
erscheint dadurch in die Füllung hineinprojiziert, zwar weniger hoch, je- 
doch breiter (Fig. 16). Praktisch erscheint dies wohl nicht übermäßig rele- 
vant zu sein. Macht man jedoch ein genaues Diagramm mit einem solchen 
massigen Überschuß als Nebenbefund, so zieht man sich von dem betreffen- 
den Zahnarzt, für den das einen Vorwurf bedeutet und der seinen Fehler 
korrigieren will, wobei er über die Konfiguration falsch informiert ist, mit 
Recht den Gegenvorwurf eines ungenauen Befundes zu. 

Remedium: vollkommen angelegte Platte, praktisch genau recht- 
winkelige Einstellung auf den Zahnhals. Man ist natürlich eo mitunter 
nicht imstande, die Wurzelspitze auf die Platte zu bekommen, was jedoch, 
da die anderen Bilder das Fehlende enthalten, gleichgültig ist. 


2. Füllung und Kronenhöhle. — Wurzelkanal, Füllung und Fremdkörper. 


Daraus, daß das Röntgenbild einen Teil einer Füllung auf dem Bilde 
der Pulpahöhle zeigt, kann weder geschlossen werden, daß die Füllung sich 
innerhalb der Pulpahöhle befindet, noch daß diese überhaupt eröffnet ist. 
Eigentlich eine Banalität, muß dies doch betont werden. Es gilt dies 
namentlich von den großen Füllungen (Inlays, Amalgam in Stufenkavitä- 
ten etc.) an Molaren. Es gibt Füllungen, die in jeder möglichen Projek- 
tion in Deckung mit Teilen der Kronenhöhle erscheinen. Man kann natür- 
lich alle möglichen Projektionen versuchen, namentlich wenn die Frage 
besteht, ob ein faradisch nicht reagierender Zahn wurzelbehandelt oder 
„spontan“ abgestorben ist. Es empfiehlt sich insbesondere die letztange- 
gebene Orthoprojektion, die überhaupt für Krone, Hals und Limbus alveo- 
laris häufige Anwendung verdient. Ist man imstande, ein intaktes Pulpa- 
horn zu sehen, so ist die Frage, ob lege artis wurzelbehandelt wurde, da- 
mit selbstverständlich verneint. Nicht aber die Möglichkeit der Läsion der 
Pulpahöhle an einer anderen, nicht sichtbar zu machenden Stelle ausge- 
schlossen (Fig. 17). Sieht man oberhalb einer Schwerfüllung eine weniger 
dichte, ungefähr den Umrissen der Pulpahöhle entsprechende, in einen 
Kanal sich fortsetzende Füllung, so ist mit an (Grewißheit grenzender 
Wahrscheinlichkeit dies als Füllung der Kronenhöhle anzusehen. 

Die Pulpahöhle entspricht bei einwurzeligen Zähnen praktisch ge- 
nommen der Zahnachse, bei mehrwurzeligen den Wurzelachsen. Es ist wohl 
möglich, einen außerhalb der Pulpahöhle befindlichen Körper durch Pro- 
jektion mit derselben zur Deckung zu bringen. Ein innerhalb der Pulpa- 
höhle (des Zentralkanales) liegender Körper kann jedoch niemals projekti 
visch außerhalb desselben erscheinen. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 239 


Mit anderen Worten: Ein Bild, auf dem ein schattender Körper (Fül- 
lung, Fremdkörper wie etwa Miller- und Donaldson-Nadelfragmente, Boh- 
rerspitzen) im Wurzelkanal zu liegen scheint, beweist noch nicht, daß er 
darin liegt. Erst wenn mehrere möglichst verschiedene Projektionen dio- 
selben Verhältnisse zeigen, kann das angenommen werden. Ein einziges Bild 


Fig. 11. Fig. 18. 


5 





Füllung und Kronenhöhle. Gekrönter Molar und Röntgenbild desselben in „natür- 
1, 2 bukkale und mesiale An- licher Größe“ auf Platte in Bißebene. Wirkliche und 
sicht derselben Füllung. 3 No- scheinbare Kronenhöhe und Wurzellänge. 


larenfüllung in teilweiser Dek- 

kung mit der Kronenhöhle. Das 

sichtbare Pulpahorn beweist, daß 

eine Wurzelbehandlung (lege ar- 

tis) nicht gemacht worden sein 
kann. 


aber, auf dem ein Teil außerhalb des Kanales erscheint, beweist, 
daß mindestens dieser Teil wirklich außerhalb liegt. (Siehe Fig.9.) Die 
Lokalisation eines außerhalb der Pulpahöhlen liegenden Körpers, die Fest- 
stellung seiner Lagebeziehungen zu dieser geschieht nach dem allgemeinen 
Lokalisationsschema : 

1. orthoradial auf normale Größe, 

2. mesial, — distalexzentrisch, 

3. steil von oben (axial). 





240 Fritz Pordes. 


3. Para- und periradikuläre Fremdkörper. 

Dahin gehören über das Foramen apicale oder über das periodontale 
Ostium einer Fausse route übergepreßtes Füllmaterial, seltenerweise auch 
im Periodontalraum frakturierte Nadeln, frakturierte Injektionskanülen. 

Die im Periodontalraum befindlichen Fremdkörper projizieren sich, 
wenn sie sich nicht gerade an der Approximalseite der Wurzel be- 
finden, bzw. die Wurzel tangential getroffen wird über bzw. in die Wurzel. 
Ihre Lagebeziehung zur Wurzel wird auf dieselbe Art festgestellt wie die 
intraradikulärer Fremdkörper zum Wurzelkanal. Dieselbe Serie von drei 
bis vier Lokalisationsaufnahmen ist zur Lagebestimmung heranzuziehen. 

Prinzipiell ebenso zu lokalisieren sind paramaxillär liegende Injek- 
tionskanülenfragmente. 

Als Behelf empfiehlt sich folgendes Verfahren: Nachdem mittelst 
orthoradialer Aufnahme an Stelle des vermutlichen Sitzes des Nadelfrag- 
mentes dessen Radialebene ungefähr bestimmt ist, wird (da man ja weiß, 
ob die Nadel palatinal oder bukkal steckend abgebrochen ist) an der 
Außen- oder Innenseite entsprechend der vermuteten Lage eine kleine 
Metallmarke an der Schleimhaut fixiert. Ich habe den Knopf einer bieg- 
samen Sonde mit einem gefirnisten Gazestückchen an die sorgfältig ge- 
trocknete Schleimhaut befestigt. Diese mitröntgenographierte Marke wird 
auf den Aufnahmen der Serie als Lokalisationsbehelf zum Ersatz des 
fehlenden Punctum fixum an der Kieferspongiosa ausgezeichnete Dienste tun. 


4. Kronen und Brücken. Regulierungsapparate. 

Die Metallteile der Kronen- und Brückenarbeiten geben, wie erwähnt, 
sehr intensive, häufig recht störende Schatten. Bei ihrer radiographischen 
Projektion ist vor allem daran zu denken, daß sämtliche gebräuchlichen 
Aufnahmen, insbesondere des Oberkiefers, schräg von oben her eingestellt 
sind, daß also der Hauptstrahl von außen oben nach innen unten verläuft. 
Daher kommt es, daß die Stifte aller Richmondkronen im 
Röntgenbild abnorm kurz aussehen, ferner daß die 
Ränder der Kronen und Kollars palatinal hoch hin- 
aufzureichen, daß schwebende, gut durchspülbare 
Brückenteile dem Alveolarrande anzuliegen bzw. 
ihn zu überschneiden scheinen. Der schräge Strahlengang 
projiziert ein dreieckiges Stück des über dem Metallteile liegenden Raumes 
der Wurzel, der Spongiosa in den palatinalen Rand des dichtechattenden 
Metallteiles hinein, und entzieht es so der Abbildung. Die Basis dieses 
Dreiecks ist die Fortsetzung der bukkalen Wand des Metallteiles, die Spitze 
des Dreiecks liegt dem palatinal oberen Rande des Brückenteiles, der Krone 
an. Die Größe der Basis dieses Dreieckes, somit des durch Überschattung 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zäbne und Kiefer. 241 


mit Metall sich der Betrachtung entziehenden Zahnteiles wächst, je steiler 
von oben der Hauptstrahl eingestellt wird. Bei axialer Einstellung ver- 
schwindet der Zahn völlig im Moetallschatten. Die Basis des Dreieckes 
wird gleich Null, d. h. der über dem Metallteil liegende Raum wird neben 
der unverzeichneten Metallkontur völlig sichtbar, wenn der Hauptstrahl 
parallel zum oberen Rande des Metallteiles verläuft (Fig. 18, 19, 20). So 
selbstverständlich diese Art der Verzeichnung erscheint, zeigt die Erfah- 
rung dennoch, daß die Erörterung keineswegs überflüssig ist. Die vielen 


Fig.19. ` Fig.20. 





‚Prämolar mit Krone und Stift. Einstellung Frei schwebender Anteil einer durchspül- 


and Röntgenbild wie Fig. 18. Scheinbare baren Brücke (wird sich am Röntgenbild 
Verkleinerung des Stiftes. mit dem Rand des Alveolarfortsatzes über- 
schneiden). 


Möglichkeiten der Fehldiagnose machen sie notwendig. Es ist wichtig zu 
wissen, daß man die Länge eines Stiftes nach einem in gebräuchlicher 
Weise schräg eingestellten Röntgenbild nicht beurteilen kann. Ohnehin ver- 
kürzte, bukkale Radices oberer Molaren verschwinden in der Projektion des 
palatinalen Kronenrandes nicht selten bis auf winzige Stümpfchen. 

Anders steht die Angelegenheit bezüglich der Frage, ob Kronenränder 
— Ränder von Richmond-Collars — der Wurzel anliegen oder von ihr 
abstehen. 

Hier gilt: der Satz: Was der Zahnarzt zusammengefüigt 
hat, kann der Röntgenologe nicht trennen. 


349 Fritz Pordes. 


Eine zwischen Wurzelrand und Kronenrand im Röntgenbilde er 
scheinende Stufe besteht auch in Wirklichkeit. Es ist ausgeschlos- 
sen, daß dies, wie man nicht ganz selten Gelegenheit zu hören hat, „in der 
Projektion“ liegt. Der der Wurzel anliegende Kronenrand kann niemals 
von der Krone distanziert erscheinen. Die Betonung dieser Selbstverständ- 
lichkeit ist ebenfalls erfahrungsgemäß keineswegs überflüssig. 


Fig. 21. Fig. 22 A. 





Regulierungsbogen. Postero-anteriore Schädelaufnahme. 
Der faciale erscheint kauflächenwärts, der pala- Skelettbild: Lage von Schädel- und Hals- 
tinale apikalwärts verschoben. wirbelsäule. Auge des Beschauers = Focus 
der Röntgenröhre. 


Für die zwecks orthodontischer Maßnahmen angelegten Ringe gilt 
dasselbe wie für Kronen. Drahtbügel (A n gle- oder Schröder-Bogen) 


(Fig. 21) erscheinen, wenn sie fazial liegen, auf den gebräuchlichen schrä- 
gen Aufnahmen kauflächenwärts, wenn palatinal, wurzelwärtse verschoben. 


Die extraoralen Aufnahmen des Oberkiefers. 
Für die Röntgenanalyse der Zähne des Oberkiefers ist die intraorale 
Aufnahme in jeder Beziehung konkurrenzlos. Extraorale Aufnahmen kom- 
men beim Oberkiefer nur für die Darstellung des übrigen Knochengerüstes, 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 243 


insbesondere der Kieferhöhle in Betracht. Die Aufnahmsrichtungen liegen 
wie am übrigen Körper in den zwei Hauptrichtungen, der sagittalen und der 
frontalen. 
1. Die postero-anteriore Aufnahme des Gesichtsschädels. 
Patient sitzt am Tische und legt das Gesicht auf die vor ihm liegende 
‚Platte 18 X 24 oder 24 X 30 oder liegt auf dem Aufnahmetische, Gesicht 
nach unten. Fixation mittelst Schlitzbinde nach Robinsohn. Die beste 


Fig. 22 B. 





TED 


Postero-anteriore Schädelaufnahme. 
Das resultierende Röntgenbild im Diagramm. Z = Aufhellungsband der Zwischenwirbelscheiben. 


Einstellungsrichtung für den Gesichtsschädel, bei welcher der störende 
.Schatten des Hinterhauptes genügend weit nach cranial wegprojiziert wird, 
ist die von Cieszyński als zweite postero-anteriore bezeichnete. Kinn 
und Nase liegen der Platte an; zu beachten, daß die Pfeilnaht des Patienten 
senkrecht zur Platte steht und nicht nach rechts oder links schräg. Ein- 
-stellung des Hauptstrahles in der Mediansagittalen in einem nach kaudal 
offenen Winkel von 60 bis 70°, so daß seine Verlängerung durch die 
Mundspalte des Patienten geht (Fig. 22a, b). Die Aufnahme gibt eine gute 


244 Fritz Pordes. 


Übersicht- über Nasenhöhlen und Nebenhöhlen, insbesondere gute Vergleichs- 
bilder der Kieferhöhlen und Siebbeinzellen. Über die Mitte des Gesichts- 
skelettes zieht der Schatten der Halswirbelsäule, doch sind die Schatten der 
Wirbel durch Strahlendivergenz und Sekundärstrahlenschleier um sehr viel 
weniger deutlich als das der Platte anliegende Gesichtsakelett, und daher 
wenig störend. Gekannt müssen jedoch die den: Zwischenwirbelscheiben ent- 
sprechenden querverlaufenden Aufhellungslinien sein, die sonst Fehldia- 
gnosen verursachen können (Fig. 22Z). Auch der Luftraum zwischen Zun- 
genrücken und Gaumendach liefert ein ähnliches queres Aufhellungsband. 
Die verschiedenen kleinen Varianten dieser Aufnahmerichtung, wie etwa 
Auflegen des Obergesichtes auf die Platte, Einstellung auf die Protuberan- 
tia oceipitalis externa, Hauptstrahl senkrecht oder in bestimmten anderen 
Winkeln, Einstellung auf das Lambda, bezwecken Projektion von schatten- 
den Gebilden (Felsenbeinpyramide etc.) auf bestimmte Punkte und von 
ihnen weg. Die Details sind nicht Gegenstand der spezifisch zahnärztlichen 
Radiologie. Für diese ist vor allem die 


2. Ariale Projektion (Lilienfeld) 

wichtig. Sie liefert die schönsten, von störenden Überschattungen am 
wenigsten behinderten, detailreichsten Bilder des Gesichtsskelettes, der 
Nasenhöhlen und Nebenhöhlen, ist ferner die einzige Aufnahme, die die 
Zahnbogen in Artikulation zu zeigen vermag und das Jochbein genau ana- 
lysieren läßt. Ausführung: Patient sitzt auf einem niedrigen Sessel mit 
überstrecktem Hals, die Unterseite des Kinns und die Kehlgegend auf die 
am Tische befindliche Platte legend. Schlitzbinde. Der Hauptstrahlfuß- 
punkt liegt je nach der gewünschten Projektion an einem bestimmten 
Punkte einer von der Glabella zum Lambda verlaufenden mediansagittalen 
Linie. 

Die Richtung des Hauptstrahles ist entweder senkrecht zur Platte 
oder ventral oder dorsal exzentrisch. Lilienfeld gibt fünf Typen av. 
Die Auswahl des Punktes und der Richtung erfolgt nach der darzustellen-- 
den Region. Je weiter vorne der Punkt liegt, desto mehr werden die Gebilde 
des Gesichtsschädels auf dem Röntgenogramm zusammengedrängt und auf- 
einander projiziert, desto freier ausgebreitet die Schädelbasis. Die optimale 
Einstellung für das Gesicht ist auf dem Punkte, der in der Kreuzung der 
oben beschriebenen mediansagittalen mit einer knapp vor den Ohrmuscheln 
frontal durchgehenden Linie liegt, senkrecht oder leicht: dorsal exzentrisch 
eingestellt (vordere Ohrvertikale senkrecht) (Fig. 23). Das: Diagramm zeigt 
besser, als eine Beschreibung es vermöchte, die Deutliehkeit der Auflösung 
des bis dahin „unangenehmen“ (Gebietes Joehbogen Fossa infratemporalis, 
Tuber maxillare. Von den frontalen Schädelaufnahmen kommt 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 245 


3. Die seitliche Gesichtsaufnahme 
in Betracht. Patient genau seitlich auf der Platte liegend, Einstellung rein 
frontal auf den Jochbogenscheitel. Aufklärung für zahnärztliche Fragen 
bringt diese Aufnahme im allgemeinen nur durch die Darstellung des har- 


Fig. 23. 





Axiale Aufnahme. Diagramm. 
S. F. = Sinus frontalis, Orb. = Orbita, N. = Nasenhöble, AM. A. = Maxilla, Fi. = Foramen in- 
fraorbitale, A. H. = Antrum Highmori, Z. ==Zygomaticum,' T. M. = Tuber maxillare, P. T. = 
Processus temporalis des Jochbeins, T. A. = Tuberculum articulare, P. = Pyramide des Felsen- 
beines, At. = Atlasbogen, E. = Epistropheus, M. = Mastoid, K. G. = Kiefergelenk, Cor. = Pro- 
cessus coronoideus mandibulae, A. = Angulus mandibulae, M.A. = Corpus mandibulae, 
M.e. = Spina mentalis, Sph. = Sinus sphenoidalis. 


ten Gaumens in Kantenansicht. Die paarigen Gebilde sind, da sie sich 


gegenseitig decken, nicht so gut zu sehen als auf den axialen Aufnahmen. 


Gut zu sehen ist auf technisch gelungenen seitlichen Aufnahmen die knorpe- 
lige und knöcherne Nase. (Fortsetzung folgt.) 


246 Referate und Bücherbesprechungen. 


Referate und Bücherbesprechungen. 


Die Chirurgie der Gesichts- und Kieferdefekte. Von Dr. Johann v. E rtl. 
Mit Anhang: Zahnärztliche Schienensysteme. Von Dr. Leopold G a- 
dänyi. Verlag Urban & Schwarzenberg. 


Das Buch bringt in seinem Hauptteile die chirurgischen Behand- 
lungswege, welche die ungarische Schule unter v. Ertl eingeschlagen hat, 
zur Heilung der durch die Schußverletzungen der Kiefer-und der-sie um- 
gebenden Weichteile gesetzten Wunden und Defekte. Der interessanteste 
Teil der gediegenen Arbeit sind wohl jene Kapitel, welche über die Ver- 
hütung und Behebung der Pseudarthrosen und die knöcherne Über- 
brückung der Defekte der Kiefer handeln, vor allem aber jene über die 
„biegsamen Implantate“! v.Ert] beschreibt sein Vorgehen darin 
so ausführlich und einleuchtend, aus Mißerfolgen lernend, durch die vielen 
Erfolge beweisend, daß die Arbeit als ein äußerst wertvoller Beitrag für 
die Behandlungswege der Kieferschußverletzungen angesehen werden kann 
und wir seine Methode unbedingt als gute werten müssen, wenn wir sie 
auch nicht als allein selig machende anerkennen können. Sehr enttäuscht 
durch seine Kürze hat uns Zahnärzte der Anhang Gadäanyis über 
zahnärztliche Schienensysteme. Wir hätten gerne Ausführlicheres über die 
Schienen der ungarischen Schule erfahren, besonders über intraorale Fi- 
xierung der Fragmente nach Knochenplastiken. Von hervorragender Güte 
sind die zur Erläuterung der Kasuistik dem Schlusse angefügten 35 Tafeln 
mit photographischen Reproduktionen hauptsächlich von Röntgenauf- 

nahmen. Alles in allem kann das Buch jedem, der sich mit der Behand- 
lung der Kieferschüsse beschäftigt, besonders aber den Kieferchirurgen, 
wärmstens empfohlen werden. Dr.Kränzl. 


Über Granutsplitter in der Kieferhöhle. Aus der Ohren- und Kehlkopf- 
klinik der Universität Rostock. Von O.Körner. Zeitschrift für Ohren- 
heilkunde, Bd. 74, H. 3, November 1916, S. 107. 


Körner beschreibt 2 Fälle von Granatsplitterverletzung der Kiefer- 
höhle, die für die Prognose und Therapie für solche Verwundungen lehr- 
reich sind. Im ersten Fall war der Splitter durch die linke Augenhöhle, 
den oberen Teil der linken Kieferhöhle und beide Nasengänge gedrungen, 
um im vorderen Teil der rechten Kieferhöhle stecken zu bleiben. Das 
linke Auge des Fatienten wurde zertrümmert, außerdem zeigte sich ein 
Empyem der linken Kieferhöhle durch die Verletzung. In der Folge traten 
ausgedehute narbige Verwachsungen zwischen den Seitenwänden und der 
'Scheidewand der Nase auf. Die rechte Kieferhöhle, in der der Splitter 
jetzt 2 Jahre steckt, blieb ohne Eiterung. Im zweiten Falle war der große 
Splitter auf der linken Seite oberhalb des inneren oberen Augenwinkels 
durch die Stirnhöhle eingedrungen, hatte den Augapfel zerstört und war 
mit seiner FHauptmasse in die hintere Hälfte der Kieferhöhle eingedrungen, 
während eine kleine Zacke in die Orbita ragte und eine andere größere 
die hintere kieferhöhlenwand durchdrungen hatte, den vorderen Teil des 
aufsteigenden Unterkieferastes berührte und nur ein sehr geringes Öffnen, 
des Mundes zuließ. Von der Seite her konnte der Splitter wegen des ihn 
deckenden U'interkieferteiles nebst Kaumuskulatur, Parotis und Nervus 
facialis unmöglich entfernt werden; es gelang aber, ihn vom Vestibulum 


Referate und Bücherbesprechungen. 47 


oris aus nach subperiostaler Wegnahme der fazialen Kieferhöhlenwand 
dureh die Kieferhöhle zu extrahieren, obwohl eine feste Einkeilung. im 
Knochen und die im Verhältnis zu seiner Größe wenig geräumige Zugangs- 
öffnung einige Schwierigkeiten bereitete. | 

Kriegszahrkklinik, August 1917. | Zilz. 


I. Die ehirurgisch-zahnärztliche Versorgung frischer Kriegsverletzungen 
. des Gesichts und. der Kiefer. -— II. Weichteilplastik des Gesichts bei 
- Kiefersehußverletzungen. — Ill. Knochenplastik bei Kieferschußver- 
- letzungen. Von Dr.Ganzer, Berlin. D.M.f.Z., H.7, Juli 1917. 


In zusammenfassendem Vortrage bringt Ganzer alle jene thera- 
‚ peutischen Maßnahmen, für die er bereits in einer Reihe von Publikationen 
eingetreten ist: Primäre Naht der Weichteilwunden nach vorheriger 
Schienung, möglichenfalls unter Verwendung eines „Behilfsersatzes“ — 
‘soll heißen Operationsprothese! ! —, Kopfkinnkappe, Drahtgußschiene, 
Aufbißschiene. 

Bei der Weichteilplastik vertritt Ganzer mit Recht die Methode 
der mehrzeitigen Loslösung des zur Deckung verwendeten Lappens, um 
Ernährungsstörungen möglichst auszuschalten. Zur Naht empfiehlt er die 
Drahtnaht nach Kocher-Kilian, zur Entspannung eventuell die 
Plättchennaht. l 

bei der Besprechung der Knochenplastik weist Ganzer darauf hin, 
daß er die innige Berührung des Knochens selbst für wichtiger hält als 
das Vorhandensein des Periosts. „Dies letztere hat für mich vorwiegend die 
Bedeutung. das Einwuchern von Bindegewebe usw. zwischen Kieferende 
and Pilanzstück zu verhindern.“ Diese Auffassung: deckt sich ganz mit 
der auch von mir vertretenen Meinung Macewens, dessen grundlegende 
Versuche die Lehre von der uncersetzbaren Bedeutung des Periosts als 
Knochenmatrix widerlegt haben. Nur die Osteoblasten sind zur Knochen- 
neubildung erforderlich und diese liegen zwar unter, aber nicht im 
Periost und sind außerdem im Innern des Knochens reichlich vorhanden. 

Sicher. 
Die Psendarthrose des Unterkiefers. Von Prof. Dr. Euler, Erlangen. 
D. M. f. Z., H. 5, Mai 1917. 


Euler bringt in der vorliegenden Arbeit in sehr dankenswerter 
Weise eine Zusammenfassung eigener und der in der Literatur verstreuten 
Angaben über die Pseudarthrose des Unterkiefers nach Schußverletzungen. 
Vorausgeschickt sei, daß er unter Pseudarthrose alle Fälle versteht, in 
denen eine knöcherne Vereinigung der Kieferfragmente ausbleibt. 

Als wichtigste ätiologische Momente werden in den verschiedenen Be- 
sprechungen folgende angegeben: 1. Zu großer Knochenverlust bei der 
Verletzung, womit ein anderer Faktor zusammenfällt, es ist dies die arte- 
fizielle Entfernung von noch lebensfähigem Knochen als Folge einer zu 
radikalen Behandlungsweise, 2. langdauernde Eiterungen oft als Folge von 
Entzündungen an den Wurzelspitzen der der Fraktur benachbarten Zähne, 
3. Interposition von Weichteilen, 4. Atrophie des Knochens an der Fraktur- 
stelle, 5. zu späte oder unrichtige Schienung und endlich, aber wohl nur 
als begünstigendes Moment 6. Ankvlose des einen Kiefergelenkes. 


248 Referate und Bücherbesprechungen. 


Was die Diagnose der Unterkieferpseudarthrose anlangt, ist zunächst 
der Zeitpunkt zu bestimmen, bis zu welchem wir überhaupt eine knöcherne 
Heilung der Fraktur erhoffen dürfen. Die Termine sind da recht ver- 
schieden gestellt worden und variieren von 8 Wochen bis zu 12 Monaten. 
Gewiß wird sich bei der genügend bekannten langsamen Heilungstendenz 
der Mandibula ein längeres Zuwarten unbedingt empfehlen. Mit Recht 
macht Euler auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die die Diagnose der 
Pseudarthrose oft genug bietet, besonders wenn straffes Bindegewebe die- 
durch Muskelzug fast zur Berührung genäherten Fragmente fixiert, wobei 
dann nur das Röntgenbild Aufklärung bringen kann. Für die oft ein- 
tretende Atrophie der Bruchenden hat man zunächst den Umstand ver- 
antwortlich gemacht, daß der Unterkiefer infolge seiner Entwicklung als 
Beleg(Bindegewebs)knochen nur geringe Neigung zur Kallusbildung 
besitze. Mit mehr Recht spricht Soerensen von Inaktivitätsatrophie, 
während Euler auch die Zerreißung der Unterkiefergefäße als ätiolo- 
gischen Faktor heranzieht, besonders wenn es sich um Frakturen in der 
Gegend der Kieferwinkel handelt, wobei die Restitution der Zirkulation 
durch die medianen Anastomosen vom anderseitigen Canalis incisivus 
schwerer vor sich geht. Ich möchte nur betonen, daß die Hauptanastomose 
der intramandibulären Art. alveolaris inferior nicht in der Medianebene, 
sondern am Foramen mentale zu suchen ist, wo die Verbindung durch 
einen Ast der Arteria labialis inferior aus der Art. maxillaris externa 
hergestellt wird. — Über die Häufigkeit der Pseudarthrose läßt sich aus 
den Angaben der Literatur vorläufig kein einheitliches Bild gewinnen. 
Eine besondere Disposition scheint keine Stelle des Unterkiefers zu bieten. 


Bei der Therapie der Pseudarthrose kommen einerseits Überbrückung 
durch Brückenarbeiten oder Prothesen, andererseits operative Behand- 
lungsmethoden in Betracht. Zweifellog gebührt letzteren — den osteo- 
plastischen Operationen — der Vorrang. Dabei wird es sich bei kleinen 
Defekten um die lokale Plastik nach Pichler, bei größeren um freie 
Transplantation handeln müssen, bei der neuerdings vor allem dem Darm- 
beinkamm entnommene Stücke bevorzugt werden. 


‘Wohl das wichtigste Augenmerk ist auf die Prophylaxe der Pseud- 
arthrose zu lenken. Zwei Punkte sind vor allem wichtig: Möglichst früh- 
zeitige sachgemäße Schienung und möglichste Erhaltung aller lebensfähigen 
Knochensplitter. Fragmente sind zu erhalten, nur Sequester zu entfernen. 
Bei aer Entscheidung, was schon als Sequester zu betrachten ist, wird 
das Symptom der Eiterung und das der größer werdenden Beweglichkeit, 
vor allem aber die Erfahrung maßgebend sein. 

Wichtig scheint mir vor allem auch eine Mahnung Eulers, die- 
orthodontischen Maßnahmen bei der Behandlung komplizierter Frakturen 
nicht zu übertreiben. Lieber geringe Fehler der Artikulation, die sich 
prothetisch ausgleichen lassen, und eine knöcherne Heilung, als exakte- 
Artikulation und — Pseudarthrose. Er zieht hieraus geradezu die Lehre, 
die Tendenz der Bruchstücke, sich zu nähern, in geeigneten Fällen zu 
unterstützen, um erst nach eingetretener Konsolidierung die Dehnung 
der Kieferbögen vorzunehmen. Sicher. 


. Referate und Bücherbesprechungen, 249 


Mitteilungen aus dem Hannoverschen Lasarett- für. Kielerverletzte. Vor- _ 
träge, gehalten auf der 65. Hauptversammlung des zahnärztlichen Vereins 
für Niedersachsen am 5. und 6. Februar 1916 in Hannover. Deutsche 
Zahnheilkunde, Heft 39. 


Das Heft enthält sechs Vorträge der Herren, welche im Kieferlazarett. 
tätig sind. 


Biıastein, Leiter der Anstalt, vertritt in seinem Vortrage die An- 
schauung, daß die rein orthodontische Behandlung der Kieferbrüche die 
einzig richtige Behandlung ist. Er nennt jeden Kieferbruch eine künstliche 
Anomalie der Zahnstellung. Nach seinen langjährigen Erfahrungen’ (schon 
aus der Friedenszeit 1902/11) kann man jeden Kieferbruch nach den ortho- 
dontischen Frinzipien schienen, und hat der Standpunkt Schröders — 
auf keine besondere Methode zu schwören, sondern den für den einzelnen Fall 
passenden Apparat auszusuchen — seine Berechtigung verloren. Nach 
dem corthodontischen System haben wir nur Apparate, welche an den 
Kronen der Zähne befestigt werden. Die Alveolarfortsätze und Schleim- 
häute bleiben frei; das ist die erste Bedingung für jede Schienung. Kaut- 
schukplattenapparate werden ganz verworfen und die Hauptmeyer- 
sche Zahnschiene hätte nur dann Berechtigung, wenn sie nur die Zähne 
umfaßt und aufzementiert wird. 


Hierauf führt Bimstein die Hilfsmittel an, welche bei der Kiefer- 
schienung nach orthodontischem System zu Gebote stehen und welche all- 
gemein bekannt sind. wie die verschiedenen federnden und nichtfedernden 
Drahtbogen, die Bänder, Ringe, Röhren, Gleitschienen, schiefe Ebenen ete. 
Bei zahnlosen Kiefern muß man zur Schienung mittelst Kautschukplatten- 
stücken greifen, auch die Knochennaht wäre hie und da angezeigt. Bei 
starker Verschiebung des aufsteigenden Astes wird die Nagelextension nach 
Lindemann-Hauptmeyer, aber auch die Guttaperchapelotte nach 
Warnekros empfohlen. Der Knochenplastik soll nach genügend langem 
Zuwarten jede Fseudarthrose zugeführt werden. 


Becker betont die Notwendigkeit der Zusammenarbeit des Chirur- 
gen mit dem Zahnarzt. Er beschreibt zunächst zwei Fälle von schwieriger 
Projektilentfernung sowie Operationen zwecks Deckung von Gaumendefekten 
nach dem Prinzip der Langenbeckschen Operation. Die folgenden 
Unterlipper-, Munuwinkel- und Wangenplastiken betreffen nicht schwierige 
Fälle, bei welchen in Lokalanästhesie nach der Narbenexzision und aus- 
giebiger Monilisierung der benachbarten Hautpartie die direkte Vereini- 
gung der Wundränder vorgenommen wurde. Die Knochentransplantation 
hat Becker aus dem Schienbein häufig mit gutem Erfolg ausgeführt. 
Die Nagelextension nach Lindemann-Hauptmeyer wurde in 
vielen Fällen gemacht und in der letzten Zeit wurde die Einpflanzung des 
Knochenstückes in derselben Sitzung vorgenommen. 


Welke beschreibt einige Apparate zur Deckung großer Hautdefekte 
bis zur Operation. Er verwendet Kautschuk- und Zinnpelotten zur Deh- 
nung von geschrumpften Lippennarben in Verbindung mit der Bim- 
steinszhen Dehnvorrichtung und demonstriert den von ihm modifizierten 
intra-extrauralenVerband bei der von Lindemann-Hauptmeyer 
angegebenen Nugelextension. Bei hochgezogenem aufsteigendem Ast wird 
die Extension und auch die Knochenplastik in einer Sitzung gemacht. Um 


250 Vereins- und Versammlungsberichte. 


gleich während der Operation den Nagel in richtiger Lage fixieren zu: 
können, ‘schaltet Welke an den aus dem Mund herausragenden Draht- 
bogen einen Grelenkkopf und eine — dürch einen Druckknopf in beliebiger 
Höhe einstellbare — längsgeschlitzte flache Schiene ein. 


Fenner spricht über die Wundbehandlung frischer Kieferverletzter, 
dann über die’Notwendigkeit der Saugbehandlung, die guten Erfolge bei 
Bestrahlung mit künstlicher Höhensonne und Quarzlampe, über die Massage 
und die Heißluftbehandlung der Wunden im weiteren Heilungsverlauf. Bei 
Kieferdehnung verwendet er in leichten Fällen die einfache photographische 
Klammer und die Holzschraube, bei schwereren Fällen Scherenapparäte 
und die Bimeteinsche Dehnvorrichtung mit Überkappung der Zähne. 


Krause bespricht ausführlich einige Apparate zur Nasendehnung 
und Nasenformung. Die von Ernst seinerzeit geschaffene Dehnvorrich- 
tung wurde seither verschieden umgeändert und verbessert. Die Apparate 
haben ihren Stützpunkt entweder im Munde oder am Kopf von der Stirn 
aus, von wo aus ein Stirnbügel oder ein U-förmiger Bügel in die Höhe 
der Oberlipve zieht. Das Prinzip ist immer dasselbe: Die in die Nasen- 
löcher hineinragenden Oliven sind auf Hebeln befestigt, welche an einem 
Eude durch Scharniere mit dem Hauptbügel verbunden sind, am andern 
durch Gummizug in Tätigkeit gesetzt werden. Bei frischen Nasenverletzun- 
gen genügen gewöhnliche Drahtstreben als Oliventräger, welche durch 
Klemmschrauben eine leichte Einstellung in jeder Lage zulassen. Außerdem 
werden, um ‚lie Haut der Wange und der inneren Augenwinkel vor Ver- 
zerrung zu schützen, in dieser Gegend Kautschukplättchen, welche eben- 
falls von Drähten getragen werden, aufgesetzt. 


Ueckermann trägt über die Methoden der Fremdkörperbestim- 
mung durch das Röntgenbild vor. Die Methode der Messung durch den 
Orthoröntgenographen nach Moritz ist wegen der komplizierten Appa- 
rate weniger zu empfehlen als der Röntgentiefenmesser von Fürstena u. 
Fürstenau hat einen Zirkel angegeben, mit welchem man die Entfernung 
des Fremdkörpers vom Leuchtschirm oder von der Platte direkt ablesen 
kann. Schließlich wird noch der Apparat von Günther und Vogel 
zur Ortsbestimmung von Fremdkörpern und das Fremdkörpertelephon von 
Holzknecht und Wacht] beschrieben. 


Im Feine, August 1917. Dr.Klagsbrunn. 


Vereins- und Versammlungsberichte. 





Verein österreichischer Zahnärzte. 
Ordentliche Monatsversammlung vom 3. Oktober 1917. 


Anwesend die Herren DDr.: v.An der Laan, Ballasko, Borschke, 
Breuer, Bum, Eifinger, Hofrat Eiselsberg, Medizinalrat Friedmann, 
Frey, Hillischer, Jarisch, Karolvi, Kraus, Müller, Ornstein, 
Peter Josef, Schlemmer, Schönwald, Schwabe, Smreker, Stau- 
ber, Steinsehneider. Prof. Weiser und Prof.v. Wunschheim. 

Als Gäste: Dr. Natzler, Dr.Kalmar, Dr.O.Hecht und Dr. Lanzen- 
dorff. 


Vereins- und Versammlungsberichte. 251 


Tagesordnung. 


1. Trauerkundgebung für weiland Vizepräsiden- 
ten Dr. Otto Zsigmondy. | 


2. Mitteilungen des Präsidenten. 


3. Dr. Viktor Frey: Demonstration eines Apparates zur Bestim- 
mung der topographischen Lage des Schußkanales (mit Projek- 
tionen). 

4. Allfälliges. 


Präsident Dr.Breuer: Am Morgen des 2. Juli 1917 erhielt ich die 
erschütternde Nachricht, daß Dr. Otto Zsigmondy am 30. Juni d.J. 
sanft entschlafen sei. Ich war hierdurch aufs tiefste ergriffen, hatte ich - 
doch unseren lieben Freund erst vor wenigen Tagen besucht und ihn 
voll Hoffnungen und Freude gefunden. Ein Kreis engerer Kollegen hatte 
sich beim Begräbnisse eingefunden und am Besuche der Kirche konnte 
man erkennen, welcher Wertschätzung sich Dr. Zsigmondy bei Kol- 
legen, Freunden und Patienten erfreute. Prof. Weiser sprach am Grabe 
unseres Freundes vom Herzen kommende Worte des Gedenkens. 


Präsident Dr. Breuer hält nun Dr. ng einen tief 
empfundenen Nachruf (s. Österr. Zeitschr. f. Stomatologie, H.7, 1917) und 
fährt dann fort: 


Groß ist die Zahl seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Ich führe nur 
die Titel der bekanntesten an: „Über die Einwirkung von Säuren auf die 
Zähne.“ „Die zahnärztlichen Verhältnisse in England und Amerika.“ 
„Über die Veränderungen des Zahnbogens bei der zweiten Dentition.“ 
„Über die Resorption von Wurzeln permanenter Zähne.“ „Die Anbohrung 
der Highmorshöhle von den Zahnalveolen aus.‘ ‘ ‚Mißbildung eines zweiten 
unteren Molarzahnes.“ „Über die kongenitalen Schmeldefekte.“ „Beiträge 
zur Kenntnis der Entstehungsursache der hypoplastischen Schmelzdefekte.“ 
„Über die keilförmigen Defekte an den Fazialflächen der Zahnhälse.“ 
„Zur Frage über die Behandlung pulpakranker Zähne, deren Wurzel- 
wachstum noch nicht vollkommen zum Abschlusse gelangt ist.“ „Rückblick 
auf die Entwicklung der Zahnheilkunde in Österreich.“ „Über die Ent- 
stehung der Fissuren in der die Kauflächenfurchen überkleidenden Schmelz- 
decke bei Prämolar- und Molarzähnen.“ „Über Einteilung und Nomen- 
klatur der Bißarten.“ „Über die Präparation von Kavitäten an den Be- 
rührungsflächen der Backen- und Mahlzähne.“ „Die Ansichten Professor 
M.Heiders, des Gründers und ersten Präsidenten des Zentralvereines 
deutscher Zahnärzte, über die Stellung der Zahnheilkunde zur gesamten 
Heilkunde.“ „Über die Hypoplasie des Schmelzes.“ „Über die Erweiterung 
der Wurzelkanäle mit Natriumsuperoxyd.“ „Die Kieferbaugrundlagen des 
anomalen Arcus dentium mit Rücksicht auf die Odontorthopädie.“ „Zur 
Kariestheorie.“ „Georg v. Carabelli.“ „Über das Wachstum des Ober- 
kiefers in sagittaler Richtung.“ „Uber die Bewegungen des Unterkiefers 
beim Kauakt.“ „Über die Retziusschen Parallelstreifen im mensch- 
lichen Schmelze.“ ‚Ist die moderne Zahnheilkunde als ein von der Medizin 
getrenntes Sonderfach entstanden ?“ „Über Fundamente und Geschichte der 
konservierenden Zahnheilkunde.‘ „Zur Abwehr unberufener Kritik.“ „Zum 
Gedächtnis an Prof. Dr. Moritz Heider.“ 


252 Vereins- und Versammlungsberichte. -- Personalien. 


I 


Nachdem Präsident Dr. Breuer noch des Todes des korr. Mitgliedes 
des Vereines Dr. Wilhelm Herbst in warmen Worten gedacht hatte, 
wird zur Tagesordnung übergegangen. 

=- Dr.Kraus stellt einen Kriegsinvaliden iit verstümmelter Nase vor, 
bei dem er eine Methode des künstlichen Nasenersatzes, die von Doktor 
Henning eingeführte Gelatineprothese, in Anwendung brachte. Doktor 
Kraus erklärt sich bereit, gelegentlich über die Herstellung der Methode 
einen Vortrag zu halten. 

Präsident Dr.Breuer: Meine Herren! Wir sind schon lange nicht 
beisammen gewesen und der Einlauf ist ziemlich groß geworden. Mit 
Rücksicht darauf, daß Dr. Frey heute seinen Vortrag halten will, möchte 
ich Sie bitten, im November bei einer Sitzung zu erscheinen. 

Dr. Frey: „Der Schußkanalbestimmer“ (ein Apparat 
zur Bestimmung der topographischen Lage des Schußkanals). 

. Nach einer Statistik aller in den ersten zwei Kriegsjahren auf der 
` zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitals der Wiener Allgemainen 
Poliklinik behandelten Kieferverletzungen (706) und nach Besprechuug 
der Wirkungsweise der einzelnen Geschosse demonstriert der Vortragende 
seinen Schußkanalbestimmer, der dem Wesen nach aus zwei auf einem 
Stativ angebrachten, zwangsläufig in einer geraden Linie gegeneinander 
verschieblichen Eisenstäben besteht. Die Spitzen der Eisenstäbe werden 
unter gleichzeitiger Kontrolle am Patienten am skelettierten Schä- 
delpräparat auf Ein- und Ausschuß eingestellt, in der Verbindungs- 
linie beider Stäbe liegt der Schußkanal. Die Messungen an allen Gewehr- 
durchschüssen bei unverändertem Stahlmantelgeschoß sowie an allen 
Schrapnellkugeldurchschüssen, bisweilen auch bei Steckschüssen ergaben 
nach den Residuen der Knochen- und Weichteilverletzungen, der Funk- 
tionsstörung und an Hand der Röntgenkontrolle, daß der Schußkanal bei 
rasanten Projektilen im Gesichtsschädel immer eine gerade Linie 
ist. Sogenannte Ringel- oder Konturschüsse kommen am Gesichtsschädel 
nicht vor. Bei der Einstellung am Schädel ist die Stellung der beiden 
Kiefer zu einander (offener oder geschlossener Mund etc.) zu berück- 
sichtigen. 

Aus praktischen Gründen empfiehlt nun der Vortragende, bei jedem 
frisch einlangenden Verwundeten sich über den Verlauf des Schußkanals 
am Schädelpräparat Rechenschaft zu geben, um über die eventuellen Ver- 
letzungsmöglichkeiten orientiert zu sein. 

(Der Vortrag ist in Nr. 12, 1917 der Österr. Zschr. f. Stomatologie er- 
schienen.) 

Präsident Dr.Breuer dankt Herrn Dr. Prey für seine Ausfüh- 
rungen und schließt die Sitzung mit der Aufforderung. die Herren mögen 
zur nächsten Sitzung im November zahlreich erscheinen. 





Personalien. 





(Verleihung.) Dem Zahnarzt Dr. M. Günzig in Wien wurde der 
Titel eines Medizinalrates verliehen. 





Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Drue von Gottlieb Gistel & Cie.. Wien, HI., Miinzgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


Organ % de ri a Zahnärzte Österreichs. 


Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines Meutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 


XVI. Jahrgang. Oktober 1918. 10. Heft. 








Nachdruck verboten. 


Original-Arbeiten. 





Aus der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitals der allgemeinen 
Poliklinik (Vorstand: Oberstabsarzt Prof. Dr. v. Wunschheim). 


Über indirekte Sehußfrakturen des Unterkiefers. 
Von Dr. Viktor Frey, Wien. 
(Mit 12 Figuren.) 

Jeder Knochenbruch ist nach dem Entstehungsmechanismus entweder 
eine direkte oder eine indirekte Fraktur. Die direkte Fraktur kommt 
unmittelbar am Orte der Gewalteinwirkung durch Stoß, Schlag, Fall, 
Schuß etc. zustande, die indirekte jedoch entsteht entfernt 
vom Orte der Gewalteinwirkung, wenn die Elastizi- 
tätsgrenze des Knochens durch Biegung, Quetschung, 
Kompression, Abknickung, Abquetschung, Zug, Riß 
oder Torsion überschritten wurde, und zwaranjenen 
Punkten, diedurchdieeinwirkendeGewaltammeisten 
beansprucht werden.) 

Beispiele von indirekten Frakturen aus der Chirurgie: Fraktur der 
Clavicula bei Fall auf die Hand bei ausgestrecktem Arme oder auf den 
Ellbogen (Biegung), Fraktur des Femurs nach Fall auf den Fuß (Biegung, 
Kompression), Fraktur des Olecranons bei Hyperextension des Ellbogen- 
gelenks (Abknickung, Abquetschung), Fraktur des unteren Radiusendes 
bei forcierter Dorsalflexion des Handgelenkes (Zug), Schädelbasisfrakturen 


1) Lexer(1) schreibt hierüber: „Vollständige Frakturen entstehen durch 
Gewalteinwirkungen, welche die Grenze der Elastizität und der Festigkeit eines 
Knochens überschreiten; dabei handelt es sich zum Teile um den Zug plötzlich 
und heftig kontrahierter Muskeln oder gedehnter Bänder, zum Teil um äußere, direkt 
oder indirekt wirkende Gewalten. Der Bruch erfolgt unmittelbar an ihrem Angriffs- 
punkte oder entfernt davon, übertragen durch einen ganzen 
Skelettabschnitt, welcher durch Muskelkontraktion oder 
Gelenkshemmung festgestellt war, wie z. B. der Schlüsselbeinbruch 
durch den Fall auf die Hand eintreten kann.“ 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 19 


254 Viktor Frey. 


durch Hineingetriebenwerden der Wirbelsäule in das Foramen occipitale 
magnum [Tillmanns(?2)]. 

Beim Unterkiefer unterscheidet man ebenfalls zwischen direkten und 
indirekten Frakturen, und zwar ist der Unterkiefer der einsige Ge- 
.sichteknochen, bei dem auch indirekte Frakturen vorkommen [v. H o- 
chenegg (3)]. 

Direkte Unterkieferfrakturen kommen am Orte der Gewalteinwirkung 
Inach Perthes(4)] „durch Hufschlag eines Pferdes, den Stoß einer ge- 
ballten Faust, durch einen Steinwurf, eine Kegelkugel oder auch durch 
Aufschlagen des Kiefers beim Fall auf einen Stein, eine Leitersprosse 
oder scharfe Kante, desgleichen durch Schuß zustande. Auch rohe Zahn- 
extraktionen mit dem Schlüssel haben in früheren Zeiten Anlaß zu Unter- 
kieferfrakturen gegeben“. Bezüglich der indirekten Frakturen lesen wir 
bei demselben Autor: „Seltener sind indirekte Unterkieferfrakturen. Sie 
entstehen dadurch, daß eine seitlich angreifende Gewalt den 
Kiefer in frontaler Richtung komprimiert, den Kiefer- 
bogen so weit verkleinert, daß die Elastizitätsgrenze überschritten wird. 
Dieser Mechanismus macht sich geltend, wenn ein Wagenrad über den 
Gesichtsschädel des am Boden Liegenden hinweggeht, wenn der Kopf 
zwischen einem Wagen und einem Pfosten eingeklemmt oder zwischen den 
Puffern zweier Eisenbahnwaggons zusammengequetscht wird. Indirekte 
Frakturen durch Fall auf das Kinn betreffen gewöhnlich nicht den 
Kieferkörper, sondern den Hals des Processus condyloideus. Dabei kann 
es auch zur Schädelbasisfraktur durch Zertrümmerung der Cavitas gle- 
noidalis kommen . . . .“ 

„Wie auch der Eitelehunsemechanishns der Fraktur des Unter- 
kiefers sein mag, stets gehört eine bedeutende Gewalt dazu, um einen so 
kompakten Knochen zu brechen. Erst unter einem Gewicht von 1100 Pfund 
sah O.Weber bei direkter Belastung des Kinns den Unterkiefer eines 
44jährigen kräftigen Mannes brechen, während eine Belastung von 
150 Pfund, die seitlich auf die Kieferwinkel einwirkte, bei einem 52jährigen 
Manne eine indirekte Fraktur erzeugte.“ 

Indirekte Unterkieferfraktur kann auch „bei de rGeburtdurceh 
die Zange des Geburtshelfers entstehen, wenn sie den 
Unterkiefer des Kindes von beiden Seiten zusammendrückt“ [v.Hochen- 
egg(3)]. 

Partsch(5) schreibt über das Zustandekommen indirekter Unter- 
kieferfrakturen: „Von indirekten Gewalten kommt neben der Biegung 
die Dehnung am Öftesten vor; die Torsion, die bei den Extremitäten- 
knochen eine große Rolle spielt, kommt bei den Unterkieferfrakturen 
kaum in Frage. Druck auf den Kiefer vermehrt die Spannung des Kiefer- 


Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. 955 


bogens oft so weit, bis die Elastizität des Knochens nachgibt und von 
der Gewalt übertroffen wird.. .. 

Brüche, die mit Vorliebe durch indirekte Gewalt zustande kommen, 
sind die beim Aufprall auf das Mittelstück erfolgenden 
Biegungsbrüche des Halses der Gelenksfortsätze, 
während dieAbbrüche der Kronenfortsätze viel öfter 
durch Muskelzug erfolgen, indem namentlich beim 
Aufbeißen auf harte Gegenstände der kräftig an- 
gespannte Schläfenmuskel den Fortsatz abreißt“ 

Derselbe Autor (6) schreibt an anderer Stelle: „Die ursächlichen 
Momente bestimmen sofort die Art der Fraktur, insofern diese entweder 
an der Stelle der Gewalteinwirkung (direkter Bruch) oder bei Biegung 
und Pressung des Knochens entfernt von der getroffenen Stelle an dem 
am stärksten auf Biegung beanspruchten Punkte zustandekommt (indirekter 
Bruch). Die bogenartige Gestalt des Unterkiefers gibt häufig Gelegenheit 
zu Biegungsbrüchen, indem die seitliche Pressung der Äste den Kiefer- 
bogen nahe seiner Mittellinie springen läßt. Daß es nicht genau in der 
Mitte zum Bruche kommt, hat darin seinen Grund, daß die stark ent 
wickelte Spina mentalis die Mitte stark verdickt und hier die Rinden- 
schicht erheblich stärker ist als in der Gegend des tief in den Kiefer 
reichenden Eckzahnes und des die äußere Wand schwächenden Foramen 
mentale.‘ 

Wir sind also bei den Prädilektionsstellen für Kieferbrüche über- 
haupt angelangt. 

Diese sind nach Partsch (6): „Das Mittelstäck, der Über- 
gang desselben in den horizontalen Ast und die Um- 
schlagstelle in den aufsteigenden; also Eckzahn-?°) 
und Angulusgegend. Als dritte Stelle kommt noch 
der Hals des Kieferköpfchens in Betracht.“ Nach Per- 
thes(4) sind in einer Kasuistik Gurlts unter 153 — 18 Kiefer- 
brüche in der Mittellinie beobachtet worden. Er schreibt hier- 
über: „Beim Neugeborenen bestehen hier zwischen den beiden Unterkiefer- 
hälften noch Knorpelreste und es ist Symphysenlösung intra partum bei 
Extraktion des Kopfes mittelst des in den Mund ein- 
geführten Fingers des Geburtshelfers beobachtet worden 


?) Perthes(4) schreibt hierüber: „Vor allem ist die Gegend des Eck- 
zahnes prädisponiert. Da sich hier das Foramen mentale befindet und die Wurzel 
“des Eckzahnes weit in die Tiefe des Kiefers hinabreicht, so liegt hier die schwächste 
Stelle des Kieferkörpers. Die Bruchlinie beginnt gewöhnlich am Alveolarrande 
zwischen äußerem Schneidezahne und Eckzahne und geht von da schräg nach 
unten und außen durch das Foramen mentale hindurch.“ 


19* 


356 Viktor Frey. 


(Pajot). Nach der Verknöcherung der Symphyse, welche bereits im 
ersten Lebensjahre vollendet ist, kommen eigentliche Frakturen des Unter- 
kiefers in der Medianlinie vor allem durch indirekt einwirkende Gewalten 
zustande. . . . Die Bruchlinie verläuft bei dieser Verletzung entweder 
genau sagittal oder sie beginnt zwischen den mittleren Schneidezähnen 
in sagittaler Richtung, um dann an der Basis des EMIERBIEIGEE nach der 
einen Seite abzuweichen.“ 

Misch-Rumpel (7) schreiben über das Zustandekommen in- 
direkter Unterkieferbrüche: „Quetschungen rufen häufig indirekte Brüche 
der Kieferknochen hervor, z. B. durch Überfahrenwerden $), durch Ein- 
klemmen zwischen zwei sich bewegenden Körpern oder zwischen einem fest- 
stehenden und einem sich bewegenden Körper. Wird beim Überfahren- 
werden der Unterkiefer in der Angulusgegend plötzlich und sehr heftig 
zusammengedrückt, so kann derselbe in der Mittellinie brechen; wirkt 
die Kraft aber ungleichmäßig auf die beiden Kieferwinkel, so wird der 
Bruch in der Regel in der Eckzahngegend (Foramen mentale) erfolgen.“ 

Aus dem Gesagten geht hervor, daß die indirekten Unterkieferbrüche, 
von den intra partum erfolgten: Unterkieferbrüchen abgesehen, in folgender 
Weise zustande kommen: 

1. Bei seitlicher Kompression in der Angulusgegend entsteht eine 
Fraktur in der Mittellinie oder im Bereiche des Mittelstücks (Biegung). 

2. Bei Einwirkung einer stumpfen Gewalt in der Kinngegend kommt 
eine Fraktur der Gelenksköpfchenhälse (mitunter auch Schädelbasisfraktur) 
zustande (Biegung, Gegenstoß). 

3. Durch kräftige Muskelaktion (Musc. temporalis) kommt eine 
Fraktur des Processus coronoideus zustande (Riß). 

Das bisher Angeführte bezog sich auf die Friedensfrakturen des 
Unterkiefers. Die uns jetzt so geläufigen Schußfrakturen *) sind direkte 


— — 





3) Als Beweis, daß nicht immer in solchen Fällen indirekte Frakturen cnt- 
stehen müssen, diene ein Fall unserer Abteilung: Durch das Scheuwerden der 
Pferde, die vor den vom Patienten, einem Trainsoldaten, gelenkten Wagen gespaunt 
waren, wurde Patient vom Wagen geschleudert. Das hintere Wagenrad ging über 
die rechte Gesichtshälfte des Verletzten und erzeugte an Ort und Stelle cine 
Querfraktur vor dem rechten Angulus, also eine direkte Fraktur. 

^) Wir lesen bei Helferich (3): „Die modernen Kriegswaffen . . . be- 
wirken bei Schüssen bis zu 800 m Entfernung meistens eine starke Splitterung in 
der Diaphyse des Röhrenknochens. Diese mächtige Wirkung wurde schon im Jahre 
1870 bei Chassepotschüssen aus großer Nähe beobachtet und zuerst durch die 
Annahme erklärt, daß auf französischer Seite Sprenggeschosse zur Verwendung 
kommen. Wie sich diese Annahme als irrtümlich erwiesen hat, so ist auch die 
darnach versuchte Erklärung durch Annahme einer hydrostatischen Druckwirkung 


Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. 957 


Frakturen, und zwar Frakturen gewöhnlich mit starker Splitterung an 
beliebiger Stelle des Unterkiefers. Die indirekten Unterkieferschußfrak- 
turen sind sehr vereinzelt. Perthes(4) schreibt vor dem Kriege: „Weit 
seltener als die Schußfrakturen durch direktes Auftreffen des Geschosses 
sind indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. Wenn der Schuß eines 
Selbstmörders aus unmittelbarer Nähe unter dem Kinn gegen den Mund- 
boden abgefeuert wird, so kann der Unterkiefer, ohne von dem Geschoß 
getroffen zu werden, in zwei Teile auseinandergesprengt werden. Auch 
dann, wenn vom Munde aus der selbstmörderische Schuß gegen den Gaumen 
gerichtet wurde, kamen außer den explosionsartigen Wirkungen am Gaumen- 
gewölbe Frakturen des Unterkiefers zustande (Beobachtung von Heath), 
ein Beweis dafür, daß in solchen Fällen die Expansionskraft der Pulver- 
gase das wirksame Moment war. Der Verlauf der Bruchlinie dieser 
indirekten Schußfrakturen ist ein ziemlich gerad- 
liniger ohne Splitterung“ 

Helferich(8) bemerkt noch bezüglich der indirekten Frakturen: 
„Da bei dem direkten Bruch die Erscheinungen der verletzenden Gewalt 
(Kontusion und dadurch Bluterguß) an der Frakturstelle selbst sich finden, 
so gelten die direkten Brüche mit Recht im allgemeinen für schwerere 
Verletzungen als die indirekten.“ 

Zilz(9) schreibt hierüber: „In diesem Kriege haben wir die ın- 
direkten Brüche bei Schußfrakturen besonders häufig beobachtet. Die Ur- 
sachen dafür liegen in den anatomischen Verhältnissen und in der Ver- 
letzungsart selbst. Contrecoupbrüche am Halse unterhalb der beiden Ge- 
lenksköpfehen der Mandibula sind schon deswegen an dieser Stelle ein- 
leuchtend, weil wir es hier mit dem schwächsten Punkt am ganzen Unter- 
kieferknochen zu tun haben. 

Entweder kommt diese Bruchart so zustande, daß die horizontalen 
Teile des Kiefers durch seitlich angreifende Gewalt über die Elastizitäts- 
grenze des Knochens hinaus zusammengedrückt werden, oder aber werden 
die indirekten Brüche dadurch erzeugt, daß die einwirkende Gewalt, von 
vorne her das Kinn treffend, den Kiefer in sagittaler Richtung kom- 
primiert und das Köpfchen abbricht. Insbesondere aus der Fixation des 
Unterkieferknochens im Gelenke wird es leicht erklärlich, daß durch die 
Einwirkung der Kraft gegen den einen horizontalen Ast oder gegen die 
Symphyse auf der entgegengesetzten Seite bzw. im Angulus oder oberhalb 


im Knochen (Knochenmark) nicht aufrecht zu halten. Heute erklärt man 
diese Schußwirkung durch die plötzliche und gewaltige 
Verschiebung der Knochenteilchen, die weit über die gc- 
troffene Stelle hinaus zur Wirkung kommt.“ 


258 Viktor Frey. 


desselben oder bei den beiden Köpfchen (Processus condyloideus und coro- 
noideus) geradlinige Spontanfrakturen auftreten. Die außerordentlich 
seltenen Brüche des Kronenfortsatzes scheinen hauptsächlich durch den 
Zug des Musculus temporalis (Rißfrakturen) zustande zu kommen ... 

„Wir waren oft überrascht, eine Fraktur des Processus coronoideus 
zu finden in Fällen, in denen wir eine Oberkieferverletzung der entgegen- 
gesetzten Seite vor uns hatten. Der Bruch an jener Stelle fernab von der 
Schußwunde, unmöglich auch nur irgendwie in einen direkten äußeren Zu- 
sammenhang mit ihr zu bringen, läßt einen unzweifelhaften Schluß auf 
Contrecoup zu. Diese fissurenartigen Brüche bei intakter äußerer Haut 
und dem Fehlen jedweder pathologischer Erscheinungen der betreffenden 
Region sind geradezu typisch. Die empirische Erfahrung ist es, die uns 
bei derartigen Verletzungen diese antagonistischen Brüche geradezu suchen 
heißt und uns heute nicht mehr wie einst zu Beginn des Krieges in ihnen 
ein unerklärliches Novum finden läßt . . .“ 

„Inwieweit die Explosionskraft bei den Contrecoupverletzungen in 
Betracht kommt, läßt sich schwer sagen. Die Gasexplosionen können nur 
bei Nahschüssen und Handgranatenverletzungen in Betracht kommen. 
Dasselbe gilt auch für die Minenexplosionen.“ 

Zilz(9) hat ferner Schießversuche an den Schädeln Justikzierter 
angestellt; er konnte zwar Lochschüsse mit Splitterung, Rinnenschüsse, 
Abschuß des Angulus, ferner mehrfache Brüche erzeugen. Contrecoups 
konnten wir an der Leiche durch Gewehrschüsse weder aus der Nähe noch 
aus der Entfernung erzeugen. 

Es ist also — wie oben erwähnt — nicht die Gasexplosion allein 
dasjenige, was die indirekten Frakturen hervorruft, sondern es spielen da 
wohl noch andere Momente mit, so die vitalen Verhältnisse (Luftdruck- 
verschiedenheiten) im Bereiche der Mundhöhle selbst, die elastische Fi- 
xation des Unterkiefers am Schädelskelett, schließlich die anatomischen 
Verhältnisse im Oberkiefer und die verschiedenen Richtungen der Kraft- 
wirkungen der Geschosse.“ 

Zilz bringt nun in der erwähnten Arbeit mehrere Beispiele iu- 
direkter Unterkieferfrakturen, die in der Kriegszahnklinik der IV. Armee 
in Lublin in seine Beobachtung kamen. Diese indirekten Frakturen waren 
durch Schuß, Explosionen, auch durch Sturz verursacht worden. Besonders 
wertvoll sind die Schädelpräparate von in der Klinik verstorbenen Pati- 
enten, die derzeit im Museum des Reservespitals Nr.17 in Wien auf- 
bewahrt sind, welche zu besichtigen ich dank dem Entgegenkommen des 
Kommandanten (Oberstabsarzt Doz. Dr. Zilz) kürzlich in der Lage war. 

Vor der Kasuistik selbstbeobachteter Fälle von indirekten Frakturen 
des Unterkiefers will ich zwei Krankengeschichten anführen, in denen es 


Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. 259 


sich um direkte Frakturen handelt, die aber bei flüchtiger Beobachtung 
als indirekte gedeutet werden könnten. 


* * 
k 


Fall A (siehe Abb. 1). Der Infanterist G. E. wurde durch einen 
Schrapnellkugelstreifschuß in der rechten Kinngegend am 19. Oktober 1914 
verletzt. Bei seiner am 2. Jänner 1915 erfolgten Aufnahme waren die in 
dieser Region befindlichen, von der Verletzung herrührenden Narben senk- 
recht unterhalb des rechten Mundwinkels sofort ins Auge fallend. Nach 
dem Verlaufe der Narbe und nach dem Röntgenbilde muß der Unterkiefer 
vom Projektil rein tangential getroffen worden sein. Der Unterkiefer 
war in vier größere Fragmente zerbrochen (siehe Abb. 1). Die Fraktur- 
linien verlaufen beiderseits von den Eckzahnalveolen nach hinten und ab- 
wärts; das Mittelstück ist durch eine gegen die Horizontale leicht gesenkte 
Frakturlinie in Alveolarfortsatz und Kinnpartie des Kieferkörpers zerlegt. 
Im Bereiche der linken Frakturlinie zwei kleinere ee a in 1 des 
Unterkieferrandes, 





Es wäre falsch, die linke Frakturlinie in der Eckzahngegend als in- 
direkte Fraktur anzusehen, denn die zwischen den beiden vertikalen Fraktur- 
linien liegende Knochenschicht ist nicht unverletzt, sondern durch einen 
quer verlaufenden Frakturspalt in zwei Fragmente zerlegt. Die iinke 
Bruchlinie verläuft nicht linear, sondern zeigt Splitterung; die rechte 
Frakturlinie (wo also das Trauma stattfand) verläuft dagegen rein linear. 
Es ist also der ganze Komplex als Splitterbruch im Mittelstück, und zwar 
als direkte Folge des Traumas zu werten. Die Abgrenzung der Splitterung 
fand im Bereiche der besonders prädisponierten Eckzahnalveolen statt. 


260 Viktor Frey. 


Fall B. Infanterist W.H. (siehe Abb. 2 u. 3), verletzt am 3. September 
1915, zugewiesen am 20. September 1915. Gewehrdurchschuß. Ausge- 


schossene Zähne u Der größte Teil des Projektils trat durch die 


Ausschußöffnung aus. Splitter — offenbar des Geschoßmantels — blieben 
jedoch zurück. Wahrscheinlich war das Projektil beim Aufprall auf die 
Zähne der linken Seite zu einem Geller durch Trennung in Mantel nd 
Bleikern geworden. 





Fig. 2. Fig. 8. 





Einschuß einen Querfinger nach rückwärts und etwas nach aufwärts 
vom linken Mundwinkel. Ausschuß einen Querfinger nach oben und etwas 
nach rechts von der Mitte der Cartilago thyreoidea. 

Das Röntgenbild ergibt folgende 5 Frakturlinien: Rechter Angulus, 
rechte Eckzahngegend (zwischen 4 3|), zwischen [I 2, zwischen RP 3 und 
Komminutivbruch der linken Angulusgegend. Mehrere Geschoßsplitter in 
den Weichteilen (Mittellinie und rechte Angulusgegend). 

Wären keine Projektilteile in der rechten Unterkieferhälfte vor- 
handen, so hätte man an indirekte Frakturen des rechten Angulus und 
der Eckzahngegend denken können, so aber sind alle Frakturlinien als 
direkte Brüche anzusehen. 


Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. 961 


Kasuistik selbst beobachteter Fälle von indirekten Frakturen. 


Fall 1 (Poliklinik) (Abb. 4, 5, 6). Einjährig-Freiwilliger G. K., 
22 Jahre. Verletzt am 10. Mai 1915, zugewiesen am 30. Juni 1915. Gewehr- 
steckschuß. 

I. Einschuß 3 Querfinger lateral vom rechten Angulus scapulae. Aus- 
schuß in der rechten Supraclaviculargrube hart hinter der Clavicularmitte. 

II. Einschuß desselben Projektils in der Mitte des rechten horizontalen 
Unterkieferastes am unteren Rande desselben. Das Projektil blieb dort- 
selbst stecken und fiel später von selbst heraus. 


Fig. 4. Fig. 56. 





Der Patient gab an, daß er zuerst einen Weichteilschuß des linken 
Oberschenkels erlitten hatte; am Wege zum Hilfsplatze mußte er wegen 
starken feindlichen Feuers in einem Granattrichter Schutz suchen; später, 


262 Viktor Frey. 


als die Gefechtstätigkeit einigermaßen ruhte, wollte er seinen Weg fort- 
setzen; gerade als er im Herauskriechen den Grabenrand erreichte, traf 
ihn der zweite Schuß in den Rücken. 

Röntgenbild vom 3. Juli 1915 ergibt rechts eine durchgehende Splitter- 
fraktur im Bereiche von 6 5] (s. Abb.5). Knapp vor dem linken 
Angulus besteht eine durchgehende lineare Fraktur 
(s. Abb. 6), die außer einem leichten Vorgelagertsein 
des linken Angulus keinerlei Symptome macht. 

Die linke präanguläre Fraktur ist nur als in 
direkte Fraktur anzusprechen. 

Fall 2 (Poliklinik) (Abb. 7, 8, 9). Infanterist E.W. Verletzt am 
14. Februar 1915, zugewiesen am 30. März 1915. Gewehrschuß, Streifschuß, 


Fig. 7. Fig.8. 





Über indirekte Schußfrakturen des Unterkiefers. 263 


jedenfalls aus ziemlicher Nähe. In der linken Wange eine vom linken 
Mundwinkel ausgehende große Weichteilzerreißung (s. Abb. 7). 

Röntgenbefund (s. Abb.’8 und 9): Links zwei Hauptfrakturlinien: 
hinter [5 und oberhalb des linken Angulus im aufsteigenden Aste. 

Ferner weist der Rest des linken aufsteigenden Astes eine nicht voll- 
ständig durchgehende Frakturlinie zwischen Processus condyloideus und 
Processus coronoideus auf. Das linke Jochbein ist nahe seinem vorderen 
Rande gesplittert. | | 

Überdies besteht im rechten Unterkiefer vor 
dem rechten Angulus und hinter 8 eine lineare 
Fraktur. 

Die rechte präanguläre Fraktur ist eine in 
direkte. 

Fall 3 (Poliklinik) (s. Abb. 10, 11, 12). Offiziersdiener W.S., Gewehr- 
sechuß, Durchschuß. Einsehuß 1cm oberhalb des unteren Randes des 
linken Nasenflügels, Ausschuß oberhalb der rechten Nasolabialfalte; 
das Geschoß streifte weiter die rechte Wange. In der den Ansatz des 
rechten Nasenflügels mit dem: Ansatze des rechten Öhrläppchens ver- 
bindenden Linie, 5 resp. 7'/;cm vom Nasenflügel entfernt, zwei erbsen- 
große Narben. 

Röntgenbefund: Splitterfraktur des rechten Jochbogens in seinem 
vorderen Drittel. | 

Außerdem sieht man im Collum des rechten Pro- 
cessus condyloideuseinen schräg verlaufenden Frak- 
turspalt (Abb. 12). 

Daß es sich um eine indirekte Fraktur handelt, 
ist aus der Schußrichtung und aus dem Fehlen jeder 
sonstigen nachweisbaren Verletzung der nächsten 
Umgebung des rechten Kiefergelenkes zu ersehen. 
Die Ätiologie dieser Collumfraktur ist unklar; es 
wäre aber auch denkbar, daß der Patient nach dom 
Trauma zusammenstürzte und mit dem Kinn zu Boden 
schlug. 

Fall 4 (im Felde). Bei einem Tentamen suicidii habe ich im Jahre 
1914 im Grodecker Truppenspital folgendes beobachtet: Der Patient hatte 
sich die Mündung des Gewehrlaufes in den Mund gesteckt und dann eine 
scharfe Patrone abgefeuert. Die Verletzungen waren für den Nahschuß 
typisch. Die Weichteile waren vom Munde bis in die Nähe des Kehlkopfes 
weit aufgerissen; Perforation des harten Gaumens in großer Ausdehnung 
nach Zertrümmerung fast des ganzen Oberkiefers und des Nasengerüstes. 
Abschuß einer ganzen Anzahl von Zähnen; der Ausschuß am Nasenrücken. 


264 Viktor Frey. 





Der Unterkiefer bis auf eine sägeschnittartige 
Fraktur zwischen&5] unverletzt. 


Über indirekte Schußfrakturen der Unterkiefers. 965 


Daß die Unterkieferfraktur durch die Expansion 
der Pulvergase auf indirektem Wege zustande ge- 
kommen war, steht außer Frage. | 


+ $ 
* 


Wenn wir unter mehr als 1000 Fällen von Kieferschußfrakturen 
in der Wiener Poliklinik nur 3 indirekte Unterkieferfrakturen, von welchen 
eine (Fall 3) möglicherweise (?) durch Sturz auf das Kinn hervorgerufen 
war, beobachten konnten, so kann man die indirekten Unterkieferschuß- 
frakturen als seltene Verletzungen bezeichnen. Sie kommen wie die 
Friedensfrakturen durch gewaltige Erschütterungen des Knochens, je- 
doch zum Unterschiede von der indirekten Friedens- 
fraktur nicht isoliert, sondern neben der direkten 
Fraktur zustande Direkte und indirekte Fraktur 
sind durch eine gesunde Knochenspange voneinander 
getrennt. Die Frakturlinie der indirekten Fraktur 
verläuft linear. 

Es mag immerhin zugegeben werden, daß manche indirekte Unter- 
kieferfraktur infolge ihres linearen Verlaufes bei fehlender Dislokation 
der Fragmente übersehen werden könnte, insbesondere dann, wenn die 
Röntgenkontrolle fehlt; außerdem sollen jene gewiß vorkommenden Fälle 
indirekter Unterkieferfrakturen nicht vergessen werden, die bei derart 
schweren Schädelverletzungen vorkommen mögen, infolge welcher der Ver- 
wundete gleich am Schlachtfeld der Verwundung erliegt. 

Die Gegend vor dem Angulus scheint eine besondere Prädilektions- 
stelle für indirekte Schußfrakturen abzugeben. Daß die anderen Prä- 
dilektionsstellen für Kieferbrüche überhaupt gelegentlich indirekte Frak- 
turen aufweisen könnten, soll nicht geleugnet werden. Ebenso hat Zilz 
an Stellen, die von vornherein nicht prädisponiert erschienen, aber durch 
frühzeitigen Zahnverlust und nachfolgende Atrophie des Alveolarfort- 
satzes geschwächt waren, indirekte Frakturen beobachtet. Bemerkenswert 
ist, daß die beobachteten indirekten Frakturen unserer Fälle gerade bei 
Verletzungen durch größere Geschosse (Granatsprengstücke) nicht, da- 
gegen bei Verletzungen durch kleinkalibrige Projektile (Gewehrprojektil 
und Schrapnellkugel) zur Beobachtung kamen, woraus man wieder auf die 
Gewalt dieser kleineren Projektile schließen kann. | 

Schließlich sei noch erwähnt, daß in den beobachteten Fällen das 
Projektil nicht senkrecht, sondern mehr tangential auf den Knochen auftrai. 

Das Zustandekommen indirekter Unterkieferfrakturen durch Ex- 
pansion der Pulvergase bei Explosionen bzw. Nahschuß wurde gleich dem 
angezogenen Falle von Heath sowohl von Zilz als auch von mir be- 


966 Referate und Bücherbesprechangen. 


obachtet. Zilz hat in seinem Falle multiple indirekte Frakturlinien an 
typischen und atypischen Stellen des Unterkiefers gesehen. 


Literatur: 1.Lexer, Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie. Verlag Enke. 
Stuttgart. — 2. Tillmanns, Lehrbuch der Chirurgie. Verlag Veit & Co, Leipzig. 
— 3.v. Hochenegg, Lehrbuch der speziellen Chirurgie. Verlag Urban & 
Schwarzenberg, Wien-Berlin. — 4.Perthese, Verletzungen und Krankheiten der 
Kiefer. Verlag Enke, Stuttgart. — 5.Partsch, Verletzungen und Erkrankunzon 
der Kiefer im Handbuche der praktischen Chirurgie von Bergmann, Bruns 
und Mikulicz. Verlag Enke, Stuttgart — 6.Partsch, Die chirurgischen Er- 
krankungen der Mundhöhle, der Zähne und Kiefer. Verlag Bergmann, Wiesbaden. 
— 7.Misch-Rumpel, Die Kriegsverletzungen der Kiefer und der angrenzenden 
Teile Verlag Meusser, Berlin. — 8.Helferich, Atlas und Grundriß der trau- 
matischen Frakturen und Luxationen. Verlag Lehmann (medizinische Handatlanten). 
— 9. Zilz, Pathologisch-anatomische Befunde bei Kieferverletzungen. Österr.-ungar. 
Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., XXXIII. Jahrg., H.2 u.3, 1917. 





Referate und Bücherbesprechungen. 





Zur Frage der Desinfektion der Hände mit besonderer Beräcksichtigung 
der Kriegschirurgie. Von Prof.Dr.R.v.Baracz in Lemberg. (Sonder- 
abdruck aus dem Zentralblatt für Chirurgie, 1917, Nr. 21.) 


Trotz der großen Menge der bis jetzt empfohlenen Methoden der 
Händcdesinfektion stimmen wohl sämtliche Chirurgen darin überein, daß 
wir bis jetzt kein Mittel besitzen, das imstande wäre, unsere Hände keim- 
frei zu machen. Den meisten mit mechanischen, sowie chemischen und kom- 
binierten Mitteln arbeitenden Methoden haftet jedoch der Mangel an, daß 
die Hände bei ihrer Anwendung leiden, Schrunden und Ekzeme bekommen, 
die die Wiederhclung der Desinfektion hindern. Auch die am meisten ange- 
wandten Methoden, wie die Fürbringersche HeißwasserAlkohol-An- 
tiseptikumdesinfektion, die Seifenspiritusdesinfektion nach Hanel und 
v. Mikulicz und die Ahlfeldsche Heißwasser-Alkoholdesinfektion 
schädigen die Hände, da sie eine peinliche Bearbeitung derselben und der 

Nägel erheischen. 

Die Untersuchungen der letzten Jahre haben nachgewiesen, daß die 
reine Alkoholdesinfektion das gleiche leistet; sie hat aber den Vorzug 
der Einfachheit, läßt sich schneller durchführen und mit dem Brennspiritus 
ersetzen (Schunburg). Was die Art und Weise der Wirkung des Alko- 
hols anlangt, so handelt es sich nach einem (M. v. Brunn) um Härtung 
der Epidermis, wodurch die Bakterien fixiert und ia 
den tieleren Hautschichten festgehalten werden, nach 
dem anderen (Sechumburg) um direkte Tötung der Bakterien 
durchdiewasserentziehendeKraftdes Alkohols (osmo- 
tischer Druck). 

Es wurden auch Kombinationen desAlkohols mit anderen 
Antisepticis empfohlen, von welchen sich der Jodalkohol am meisten 
bewährt hat. Man suchte auch durch mechanische Fesselung 
der virulenten Keime das Operationsfeld und die Hände mittelst 
undurchdringlicher Stoffe von jeder direkten Berührung mit der Wunde 


Referate und Bücherbesprechungen. 967 


auszuschalten durch Umhüllung der Haut mit undurchdringlichem chemi- 
schen Materiale. Von diesen Firnissen hat sich das Mastisolvonv.Öt 
tingen noch am meisten bewährt, Auch zu ähnlichen Zwecken empfahl 
bekanntlich v. Mikulicz seine Zwirnhandschuhe. 

Der Schutz der Wunde seitens sterilisierter Gummihand- 
schuhe ist nicht sicher, da bei länger andauernden Operationen der 
Handschuh unwillkürlich angestochen werden kann, wodurch der sogenannte 
Handschuhsaft in die Operationswunde gelangen und unsere verstärkte 
Asepsis vereiteln kann. 

Der Autor konnte während seines kurzen Aufenthaltes in Amerika 
im Jahre 1902 im Roosevelt-Spitale in Newyork bei Robert F. Weir 
ein Händedesinfektionsverfahren kennen, das wegen seiner Billigkeit und 
Einfachheit nicht nur Berücksichtigung verdient, sondern auch einen ge- 
wissen Vorzug vor anderen zu haben scheint. Es ist die Mischung des 
unterchlorigaauren Kalkes, d.i. des käuflichen Chlor- 
kalkes Ca(Cl0) mit Natriumkarbonat, d. i. der gewöhn- 
lichen Waschsoda NaCO, die bei geringem Woasserzusatz zur 
lHiändedesinfektion gebraucht wird. Diese Mischung verseift und löst das 
Hautfett und Hautepithelium. Hierbei soll sich das freie Chlor in statu 
nascendi entwickeln und das wichtige Agens dieser Desinfektionsme- 
thode sein. 
un In den letzten Jahren desinfizierte der Autor die Hände auf folgende 

eise: 

1. 3—5 Minuten langes Waschen mit gewöhnlicher Seife oder Seifen- 
spiritus, jedoch ohne Bürste. 

2.2—3 Minuten langes Verreiben mit dem Sodakristall und zirka ein 
Eßlöffel voll Chlorkalk, unter Zugabe von ein wenig Wasser in die Hohl- 
hände, bis auf diesen sich eine dicke, sahneartige Pasta bildet. 

3. 1—2 Minuten langes Verreiben der dicken Pasta in die Hände, 
Finger und Vorderarme. Abwaschen des Breies mit warmem Wasser. 

4. Eintauchen der Hände für 2 Minuten in 3%iges Borwasser bzw. 
Waschen der Vorderarme mit demselben und Trockenlegung mit sterilisier- 
tem Handtuch. 

Diese Desinfektionsmethode wirkt mechanisch die Bakterien beseiti- 
gend und chemisch die Bakterien tötend. Eines der mächtigsten 
Antiseptikawirktdabeidirektbakterizid: der Sauer- 
stoffinstatunascendi. Eshandeltsichalsobeidiesem 
Verfahren höchstwahrscheinlich nicht nur um eine 
Tiefen-, aondern auch um eine Dauerwirkung, wenigstens 

für die Zeit der Operationsdauer und darüber. Die Hände bleiben bei die- 
sem Verfahren immer glatt und geschmeidig, daher für Bakterien weniger. 
empfänglich, besonders aber, wenn man sie nach jeder Operation mit 
Glyzerin einreibt. | 

Nach meiner persönlichen Erfahrung eignet sich zu diesem 
Desinfektionsverfahren nur höchstgradiger und ga- 
rantiert reiner Chlorkalk, in wasser- und luftdichter 
Verpackung. 

Der Autor fühlt sich gewissermaßen verpflichtet, dieses einfache, 
sehr billige, vielfach von ihm erprobte, auf wissenschaftlicher Grundlage 
beruhende Händedesinfektionsverfahren, das mit sehr leicht anzuschaffenden 
Mitteln sich ausführen läßt, nicht nur den Fachchirurgen, sondern auch den 


268 Referate und Bücherbesprechungen. — Personalien. 


unter dürftigen äußeren Verhältnissen arbeitenden Landärzten, besonders 
aber zum Gebrauch in den Feldspitälern, nicht nur als Schutz der Wunde 
gegen Infektion, sondern auch zum Selbstschutz gegen Infektion bestens zu 
empfehlen. 
August 1917 | Zilz. 
Studienordnung für Studierende der Zahnheilkunde und für Zahntechniker 
in Frankreich. (Circulaire ministerielle relative aux etudiants en Chi- 
rurgie dentaire et aux Mecaniciens-Dentistes.) République Française 
Ministère de la guerre. Sous Secrétariat d’etat du service de Santé 
militaire. 1re division technique, Paris le 25 février 1918. 


Das Sekretariat des Militär-Sanitätswesens verlautbart eine Ministe- 
rialverordnung für jene Studierenden der Zahnheilkunde und Zahntechniker, 
welche auf Grund des Gesetzes vom 10. August 1917, Artikel II, $3, um 
Enthebung vom Waffendienste und um eine Spezialverwendung in ihrem 
Fache bittlich werden. 

1. Studierende der Zahnheilkunde haben ein Gesuch 
vorzulegen, welchem ein Zeugnis beizuschließen ist, in welchem ein zwei- 
jähriges Studium an einer medizinischen Fakultät und die am Ende dieser 
zwei Jahre erfolgreich bestandene Prüfung bestätigt wird. 

Zahntechniker haben ein Gesuch vorzulegen, welchem ein 
cder mehrere Zeugnisse von Doktoren der gesamten Heilkunde beiliegen 
müssen, aus denen ersichtlich ist, daß sie durch zwei Jahre bei den be- 
treffenden Zeugnisgebern als Zahntechniker in Verwendung gestanden sind. 

Diese Zeugnisse werden dem Referenten für Zahnheilkunde und bei 
der Armee dem Chefarzt der Militärzahnärzte zur Begutachtung vorgelegt. 
Können die Bewerber auf Grund ihrer Zeugnisse nicht als Zahntechniker 
Verwendung finden oder können dieselben aus irgendeinem Grunde kein 
Zeugnis vorweisen, so müssen sie sich einer praktischen Prüfung unter- 
ziehen. Von dem Resultat dieser Prüfung hängt es ab, ob der Bewerber 
als Zahntechniker Verwendung finden kann oder nicht. Im ersteren Falle 
wird der Korpskommandant von dem guten Resultate der Prüfung und 
der damit verbundenen Verwendung des Bewerbers als Zahntechniker in 
Kenntnis gesetzt, im anderen Falle wird der Bewerber zur Verfügung 
seines militärischen Kommandanten gestellt. Zilz. 


Personalien. 


(Todesfall.) Am 19. September starb im Alter von 79 Jahren der 
. Zahnarzt Mag. chir. Eduard Mühlreiter. Er betätigte sich im Zentral- 
verein deutscher Zahnärzte anfangs der 70er Jahre lebhaft und redigierte 
die „Deutsche Vierteljahrsschrift‘ in den Jahren 1870—72. Sein bekann- 
testes Werk „Anatomie des menschlichen Gebisses“ hat viel Verbreitung 
S Mühlreiter war Ehrenmitglied des Vereins österreichischer 
‚ahnärzte. 





— e 40 p 





Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, w., Münzgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 
Organ fir, die wissenschatlichen Zahnärzte Österreichs. 


Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 


XVI. Jahrgang. November 1918. 11. Heft. 








Nachdruck verboten. 
Original Arbeiten. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne 
und Kiefer. 


Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre. 
Von Dr. Fritz Pordes. 


(Fortsetzung.?!) 
Die Zähne des Unterkiefers. 


Die Aufnahme auf die intraorale Platte (Film) ist wie für den 
Oberkiefer auch für den Unterkiefer aus vielen Gründen vorzuziehen. Die 
beste Aufnahme auf extraorale Platte kann unmöglich so detailreich sein, 
so viel Strukturfeinheiten aufweisen, wie eine mittelgute intraorale Platte. 
Der Grund liegt in dem bei der extraoralen Aufnahmeanordnung röntgen- 
technisch ungünstigeren Weg des abbildenden Strahlenbündels. Bei der 
mtraoralen Platte hat der abbildende Strahl nur die Weichteile der Wange 
zu passieren, trifft dann auf die durchzuzeichnenden Gebilde und diesen 
liegt die Platte direkt an (idealer Fall). Oder es ist nur ein kleiner Weg 
durch Luft zurückzulegen. 

Die extraorale Aufnahme führt den Röntgenstrahl günstigstenfalls 
quer durch den Mundboden, öfters aber schräg durch das ganze Massiv 
der Halsmuskulatur, bis sie ihn zu dem abzubildenden Kieferteil gelangen 
läßt. Die Projektionsebene ist von dem Gegenstand hier nicht wie dort 
ungünstigsten Falles durch Luft, sondern durch die Weichteile der Backe 
getrennt. Die Dicke der vor und hinter dem abzubildenden Objekt zu 
durchstrahlenden Weichteile ändert im ungünstigen Sinne das Verhältnis 
der relativen Dichte des Abzubildenden zu dem übrigen, was den Kontrast- 
reichtum von vorneherein bedeutend herabmindert. Mit anderen Worten: 
Der Bruchteil der Massendichte, den ein Zahn auf der intraoralen Auf- 
nahme darstellt, ist ein wesentlich größerer als auf der extraoralen. Es 
ist demnach die Schattendifferenz a priori eine geringere. 








1) S. Nr. 8 u. 9, 1918, der Österr. Zschr. f. Stomatologie. Abdruck der im Verlage 
Urban & Schwarzenberg in Buchform demnächst erscheinenden Artikelserie 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 20 


970 Fritz Pordes. 


Wenn wir dennoch der extraoralen Aufnahme beim Untergebisse 
einen breiteren Spielraum einräumen müssen, so kommt dies von der ihr 
umgekehrt wie beim Oberkiefer bei Kenntnis ihrer Technizismen 
zuzuerkennenden projektivischen Überlegenheit. Während une beim Ober- 
kiefer eine auf die Radialebene des ersten Prämolaren eingestellte Auf- 
nahme auf Platte in Bißebene ein Übersichtsbild vom Eckzahn bis zum 
zweiten, ja bis zum dritten Molaren mii genügender Durchmusterungs- 
möglichkeit des Kieferskeletts zu geben vermag, ist beim Unterkiefer eine 
mehr als höchstens zwei Zähne umfassende Aufnahme regelmäßig und mit 
Sicherheit nur im Gebiet der Schneidezähne möglich. Die übrigen Auf- 
nahmen geben einen Überblick über höchstens zwei Zähne und ein ganz 
knappes Gebiet von Spongiosa. Man kann daher auch zur zahnärztlichen 
Analyse der extraoralen Übersichts- und Orientierungsaufnahme nicht ent- 
raten. Für die Darstellung des Kieferwinkels des aufsteigenden Astes und 
des Kiefergelenkes sind sie a priori die einzig möglichen. Der Übersicit- 
lichkeit halber seien zunächst nur die Aufnahmen auf intraorale Platte 
abgehandelt und erst dann die extraoralen Aufnahmen zusammengefaßt. 


Aufnahmen auf intraorale Platte (Film). 
Allgemeines. 


Die Einbringung des röntgenlichtempfindlichen Materiales (Platte 
oder Film) geht für den Oberkiefer, abgesehen von den reflektorischen, 
eigentlich ohne wesentliche Hindernisse vor sich. Der Gaumen ist ein flaches 
oder höheres Gewölbe, innerhalb dessen man, so weit es die räumliche 
Ausdehnung überhaupt zuläßt, nach Belieben Platten und Films einlegen 
und postieren kann, wie und so viel man will. Er unterscheidet sich da- 
durch vorteilhaft vom Unterkiefer, daß er mit dem Schädel knöchern fix 
verbunden ist, was, wie wir später sehen werden, eine unangenehme Fehler- 
quelle (Verwackelung) bedeutend hemmt. 

Beim Unterkiefer ist nur die Platte in Bißebene gleich leicht ein- 
bringbar wie oben, da dies ja nur ein Umdrehen der Schichtseite nach 
unten erfordert. 

Es ist aber die Indikationsbreite der Aufnahme auf Platte in Biß- 
ebene beim Unterkiefer eine weit geringere als oben aus folgendem Grund: 
Die oberen Zähne stehen de norma alle zur Bißebene in einem nach pala- 
tinal offenen Winkel, der weniger als 90° beträgt. Es ist also zur Darstel- 
lung in natürlicher Größe die Vorbedingung vorhanden. Von den unteren 
Zähnen schließen lediglich die vier Schneidezähne, seltenerweise die Eck- 
zähne mit der Bißebene lingual offene Winkel von weniger als 90° ein. 
Die Werte sind meist hart daran. Die Prämolaren und Molaren stehen de 
norma in einem stumpfen Winkel zur Bißebene. Betrachtet man sich für 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 271 


einen solchen Fall die Einstellung zur Projektion auf natürliche Größe 
(Fig. 24—1), so sieht man auf den ersten Blick, daß das Resultat kein 
brauchbares ist. Die Projektionsrichtung des Zahnes, mit anderen Worten 
seine Lage zum Strahlenbündel, nähert sich der axialen. Das schmale 
Strahlenbündel gäbe ein stark verkürztes Bild, das nur durch die schräge 
Schneidung der Projektionsebene künstlich auseinandergezogen wird, bis 


Fig. 24. 





1 Untere Backen- und Mahlzähne sind wegen des stumpfen Winkels, den ihre Achse mit 
der Bißebene einschließt, zur Aufnahme auf Platte in Bißebene nicht geeignet. 
2 Für einen oberen Zahn müßte die Platte zur Erzielung gleich ungüustiger Verhältnisse so 
stark abwärts geneigt sein. wie P—P\. 


es die Länge des Zahnes erreicht hat. Wenn wir uns die Verhältnisse in 
Fig. 24—2 für einen oberen Zahn in gleicher Weise darstellen wollen, so 
sehen wir die stark abwärts geneigte Lage der Platte, die notwendig wäre, 
um analoge Verhältnisse zu schaffen. Brauchbare Aufnahmen auf Platte 
in Bißebene lassen sich somit zwecks Darstellung der Zähne im Unter- 
kiefer nur im Gebiete der Schneide-, seltenerweise der Eckzähne herstellen. 
Es wächst damit das Bedürfnis nach Aufnahmen der unteren Zähne auf 
angelegte Platte. Die Einbringung der Platte an die linguale -Seite des 


20* 


272 Fritz Pordes. 


Alveolarfortsatzes ist im Unterkiefer a priori schwieriger als oben. Oben 
bietet das Gewölbe des harten Gaumens, wie bereits bemerkt, breiten 
Spielraum. Unten steht der Platte nur der schmale Spalt zwischen Kiefer 
und Zunge zur Verfügung. Dem tiefen Eindringen der Platte bietet die 
Mundbodenmuskulatur eine Grenze. Als Methoden zur Einbringung kom- 
men zwei fremde und eine eigene Hauptart in Betracht. 


1. Die Fingerfixation (Fig. 25). 


Platte oder Film werden nach Gutdünken und Möglichkeit an die 
liingualseite des zu untersuchenden Zahnes gebracht und durch den Finger 


Fig. 25. 





Alte Methode der Fixation des Films Filmbalter nach Cieszynaki in situ. 
mittels des Fingers des Patienten. 


des Patienten (niemals des Arztes oder eines Assistenten ?) über die Dauer 
der Aufnahme dort festgehalten. 


2. Filmhalter verschiedener Modelle, verschiedener 
Autoren (Fig. 26). 


Das Wesentliche aller Modelle besteht in einem zwischen den Zahn- 
reihen durch Aufbiß fixierten Klotz, an dessen unterer, innerer Kante 
eine Rinne zur Aufnahme des Films angebracht ist. 


2) Für den Patienten völlig unbedenklich, für Arzt oder Assistent durch 
Summation kleiner Röntgenlichtmengen sichere Hautschädigung. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 273 


3 Eigene Methode der Aufnahme auf rechtwinklig 

abgebogenen Film und Modifikation derselben Me- 

thode für die Verwendung von Glasplatten (Ersatz- 
methode). 


Die Methode der Fingerfixation hat zunächst den Nachteil, vom 
Patienten, von dessen Geschicklichkeit und gutem Willen abhängig zu 
sein. Dieser Nachteil fällt hier störender ins Gewicht als bei den „ange- 
legten“ Aufnahmen der oberen Zähne, weil wir hier verlangen müssen, 
daß der Patient sich die Platte zur Erhaltung der notwendigen Lage unter 
Anwendung einiger Kraft gegen den Mundhöhlenboden drückt. Ein Selbst- 
versuch lehrt, daß das heißt, vom Patienten zu verlangen, daß er sich 
selbst Schmerzen bereite. Eine Minorität von Beherzten mag diesem Ver- 
langen wirklich nachkommen. Viele lassen nach oder sie sind zumindestens 
nicht imstande, den Unterkiefer dabei ruhig zu halten, was um so schwerer 
ist, als jede Möglichkeit fehlt, diesen irgendwie zu fixieren, wenn der 
Patient sich nicht etwa zu diesem Zweck in den Finger beißen will, was 
ich übrigens bis zur Hinterlassung von tiefen, viertelstundenlang bleiben- 
den’ Bißmarken bei willensstarken Individuen zu beobachten Gelegenheit 
hatte. Neben der Abhängigkeit vom Patienten und der mangelnden Fixa- 
tion der Mandibula, die einen großen Teil der Bilder durch ‚„verwackeln“ 
unbrauchbar, fast alle aber, namentlich bei Exposition von mehr als ein 
bis zwei Sekunden unscharf macht, hat diese Methode den Nachteil des 
offenen Mundes. 

Bei offenem Munde sind die Mundöffner, die den Mundboden bildenden 
Muskeln, naturgemäß kontrahiert, angespannt, verkürzt. Der Boden der 
Mundhöhle ist gehoben und hart. Dem Eindringen des Films — der Platte — 
an die Lingualseite der Mandibula ist eine frühe Grenze gesetzt, die oft 
so ungünstig liegt, daß die geringe erreichbare Tiefe die Wurzelspitzen 
entweder ganz abschneidet, oder eine genügende Durchmusterung des 
Periapikalgebietes der zu untersuchenden Zähne nicht mehr ermöglicht. 

Die zweite Methode — Filmhalter — unterscheidet sich zwar inso- 
ferne günstig von der Fingerfixation, als die Mandibula durch den Aufbiß 
auf den Klotz des Filmhalters gegen den Kopf im Kiefergelenke genügend 
fixiert erscheint, wodurch bei sonstiger genügender Ruhelage die Aufnahme 
scharf wird. Sie ist aber auch darum besser als die Fingerfixation, weil sie 
uns vom Willen des Patienten unabhängig macht. Zubeißen kann jeder, 
selbst Kinder sind, wenn sie nur überhaupt genügend vernünftig sind, mit 
Leichtigkeit dazu zu bringen. Wohl aber haftet den Filmhaltern der Fehler 
des geöffneten Mundes an. Ein Übelstand, der, je weiter distal der zu unter- 
suchende Zahn liegt, desto unangenehmer zu werden pflegt. Der harte 
Mundboden hebt den Film, das tut weh — mangelnde Bißkraft — Cir- 


274 Fritz Pordes. 


culus vitiosus. Der distalste Zahn, der untere Weisheitszahn, der auch 
sonst quoad radiographiam sprödeste Geselle kommt demnach bei der An- 
spannung des Mundbodens infolge der bei gleichgroßem Klotz in distal 
am weitesten vorgeschobener Position relativ größten Mundöffnung am 
übelsten weg. 

Dem dringenden Bedürfnis, diesem Circulus vitiosus auszuweichen, 
entspricht die (1914) angegebene Methode der Aufnahme auf rechtwinkelig 
abgebogenen Film. 

Forderungen: Die Möglichkeit genauer lingualer Adaptation einer 
Anufnahmefläche bei geschlossenem Munde, d. h.erschlafftem Mun d- 
boden und Fixation durch den Aufbiß. 

Zu deren Durchführung bedarf es eines geeigneten Aufnahmemate- 
rials, wie ein solches in der Robinsohn-Spitzerschen Filmpackung 
gegeben ist. Zwei Planfılm 4X6 (groß) beziehungsweise 3X4 (klein), 
beide mit der Schichtseite röntgenröhrenwärts, hinter der Zelluloidseite 
des Films ein im Format zugeschnittenes Stück einen Millimeter dicke 
Bleifolie. Das ganze in doppeltes schwarzes Papier gepackt nach derselben 
Art wie Platten in Einzelpackung. Die gleichsinnig gelegten Schichten er- 
möglichen jederzeit die richtige Seitendiagnose, die Films gestatten aber 
infolge ihrer geringen Dicke, auch bei dieser Aufnahmeanordnung die fer- 
tigen trockenen Doppelfilms zur Erzielung des Doppelplatteneffektes (Ver- 
stärkung) übereinanderzulegen und so zur Deckung zu bringen. 

Die hinterlegte Bleifolie gibt außer ihrer strahlentechnisch $) wichtigen 
Funktion dem System einerseits die nötige Festigkeit, um unbeabsichtigtes 
Durchbiegen zu verhindern, sie macht aber andererseits den .elastisch 
immer wieder in seine Form zurückkehrenden Planfılm zu einer platisch 
modellierbaren Platte, die jede ihr gegebene Form behält. Zur Verwen- 
dung der darzustellenden Methode ist die letztere Eigenschaft — die 
Plastizität — die wichtigste. Zur Aufnahme der unteren Zähne auf ange- 
lextem Film wird ein kleines (3X4) wie beschrieben gepacktes Plättchen 
verwendet. Dieses wird parallel zu einer kürzeren Kante rechtwinklig 
umgebogen, so zwar, daß es in einen etwa Dreiviertel der Fläche umfas- 
senden größeren und einen Einviertel umfassenden kleineren Teil zerfällt. 
Der größere Teil der Fläche dient als Projektionsebene Man gibt ihm 
zweckmäßig die Länge, die individuell die günstigste Projektionsebene 
darstellt. Diese ermittelt man approximativ durch Messung der lingualen 
Kieferseite des aufzunehmenden Zahnes mit dem eingeführten Zeigefinger. 
Die Umbiegung geschieht so, daß die Schichtseite die innere, die Bleifolie 





3) Zum Schutz gegen die nach Durchdringung der Schichte hinter derselben 
entstehenden Sekundärstrahlen. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 275 


die äußere Seite des rechten Winkels darstellt (Fig. 27a,b). Die so ge- 
bogene Platte wird nun dem Kiefer in der Weise adaptiert, daß die größere 
Fläche dem zu untersuchenden Zahne lingual anliegt, die kleinere recht- 
winkelig abgeknickte in der Bißebene auf die Kaufläche zu liegen kommt. 
im Momente des Einführens macht das Andrücken der unteren Kante an 
den Mundboden ein wenig Schmerzen. Läßt man nun den Mund schließen, so 
erschlaflt die Mundbodenmuskulatur, der Schmerz läßt sofort nach und 
der Film sinkt in die richtige Position, in welcher er durch den Aufbiß 
auf den rechtwinkelig umgebogenen, auf der Käufläche liegenden kleineren 
Filmteil unverrückbar festgehalten wird. Damit ist den Bedingungen der 


Fig. 27a: Fig. 27b. 





Eigene Methode der rechtwiukeligen Abbiegung des Films. 
Fig.27a. Art der Abknickung. Der obere, kleine Streifen ist aus der Bildebene heraus 90° 
abgeknickt zu denken. 
Fig.275b. Abgeknickter Film in situ. K = Kieferhöble, N = Nase, W= Wange, Z = Zunge, 
V.O. = Vestibulum oris, M = Mandibula. 


Unabhängigkeit vom Patienten, Fixation durch den Aufbiß bei durch 
Mundschluß erschlaffter Mundbodenmuskulatur Genüge getan. Über die 
Einstellung dieser Plattenposition das Nähere an den entsprechenden 
Stellen (Fig. 27 b). Mit den infolge der Kriegsverhältnisse eingetretenen 
Sehwierigkeiten in der Materialbeschaffung und Beschaffenheit verschlech- 
terte sich die Qualität und die Haltbarkeit der uns gelieferten Röntgen- 
films zusehends. Die Fehlerquote infolge unzureichenden Materials er- 
reichte eine unangenehme Größe. Zu dem kam die begreifliche Unregel- 
mäßigkeit und Unberechenbarkeit der Anlieferung. Der Grund der Schwie- 
rigkeiten der Planfilmerzeugung soll nach der Aussage eines Wiener Fach- 
mannes im Mangel der früher zur Verwendung gelangenden indifferenten 


276 Fritz Poriles. 


Materialien zur Herstellung der Filmgrundlagen gelegen sein; die als Er- 
eatz zur Verwendung kommenden Materialien sollen die Schichte chemisch 
angreifen. Bei der Aussichtslosigkeit einer Remedur wären die intraoralen 
Aufnahmen mit dem zur Neige gehenden Vorrat an guten oder halb- 
wegs brauchbaren Films auf den Aussterbeetat gesetzt worden. Wir adap- 
tierten daher die Methode auf die Verwendung von Glasplatten, die wir in 
den gebräuchlichen Formaten (9X12 bis 40X50) ohneweiters geliefert. 
bekommen und uns auf die benötigten Größen mit dem Glaserdiamanten 
selbst zurecht schneiden. Für die Aufnahmen in Bißebene und die ange- 
legten Aufnahmen der oberen Zähne bot das nur geringe Schwierigkeiten. 
Die Röntgenplatten werden mit dem Glaserdiamanten in der Dunkel- 
kammer auf der Glasseite eingeritzt, in Streifen von 4 bzw.6cm Breite 
zerschnitten und aus diesen Streifen durch Querzerschneiden die Platten- 
größen von 4X6 und 3X4 hergestellt. Die so erhaltenen Glasplättchen 
werden nun auf der Glasseite mit derselben Bleifolie wie die Films hinter- 
legt, über die Schichtseite kommt ein passendes Stückchen des auch von 
den Fabriken als Schutz über die Schichtseite der Platten gelegten Stückes 
dünnen, weißen Seidenpapieres. Das schwarze Papier der Packung ist 
chemisch nicht indifferent und greift bei längerem Liegen die Schichte an. 
Das ganze wird nun nach derselben Art wie die Platten in Einzelpackung 
doppelt. in schwarzes Papier geschlagen, so zwar, daß aus der Lage der 
überstehenden umgefalzten Enden der äußeren Papierhülle Schicht- und 
Bleiseite erkennbar ist. Die Bleihinterlage erfüllt doppelten Zweck: 1. als 
Sekundärstrahlenschutz, 2. erhöht sich bedeutend die Bruchfestigkeit der 
Glasplatte, was insbesondere bei der Platte in Bißebene notwendig ist. 
Dessen ungeachtet ist es angezeigt, bei der Einlage der Platte in Bißebene 
den Patienten aufzufordern, daß er den Mund nur leicht und keineswegs 
unter Anwendung der ganzen Kaukraft schließe. Tut er es aus Unacht- 
samkeit dennoch, so ist, der deutlich hörbare Knacks beim Zerspringen der 
Platte das Zeichen, sofort noch vor der Aufnahme die Platte durch eine 
andere zu ersetzen und dem Patienten eine Warnung zukommen zu lassen. 
Für die Aufnahme der unteren Zähne auf angelegte Platte ist Glas zur 
Methode der rechtwinkeligen Abbiegung a priori unverwendbar. Aber auch 
Fingerfixation und Filmhalter gestatten die Anwendung der Glasplatte 
3x4 nicht oder nur schlecht. Um die Vorteile der rechtwinkelig abge- 
knickten Platte auch auf Glas übertragen zu können, schneide ich jetzt 
die Glasplatte nur so groß, als der lingual anliegende „größere“ Teil des 
abgeknickten Films, also ungefähr dreiviertel so hoch, schräge überdies 
die unteren Enden ganz wenig ab und hinterlege dann dieses kleine der 
Kürze halber im Laboratoriums-Slang ‚untere Plättchen“ genannte Glas- 
plattenstückehen mit einer gewöhnlichen Bleifolie 3X 4, so zwar, daß die 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 277 


abgeschrägten Ecken an den einen Schmalrand der Folie zu liegen kommen. 
Es steht dann am anderen Schmalrand ein etwa 4—8 mm breiter Streifen 
Bleifolie hervor. Platte und Folie werden nun wie gewöhnlich verpackt 
und dann der überstehende Rand des Bleibleches hart über den Rand der 
Glasplatte rechtwinkelig abgebogen (Fig.28a, b, c, 29). Die Abbiegung. 
sofort nach dem Einpacken dient zum Erkennen der gepackten vorrätigen 
Platten. Ich halte mir solche Platten mit Bleihinterlage für die Aufnahme 
in Bißebene (4X6), obere angelegte (3X4) und untere „rechtwinkelige“ 
(3X 4 minus oberem Streifen) vorrätig, die ich mir zuschneide.*) Im Handel 


2 









INNINN 





NN IN 


N 


II 






T 
/ 
1 


OR TAE E AE VG 





Adaptation der Methode der rechtwinkeligss Abknickung auf die Benützung von mit Blei 
hinterlegten Glasplatten. 
Fig.28 a. Zugeschnittene Glasplatte mit Bleihinterlegung. 
Fig.285. Die abgebogene Bleifolie mit Glasplatte (Seitenansicht). 
Fig.238c. Bleihinterlegte Glasplatte in situ. (Die Papierhülle ist in der Zeichnung weggelassen. 


sind sie derzeit noch nicht erhältlich. Doch ist die Herstellung für gutge- 
schultes Hilfspersonal unter Aufsicht des verbrauchenden Arztes meiner 
Erfahrung nach keine allzu schwierige, durch Erfolgverbesserung reich- 
lich gelohnte Arbeit. Das Abschneiden der Streifen von den 3X4 Platten 
geschieht nach dem Augenmaß. Die sich so ergebende Ungleichmäßigkeit 
ist mir zur Erzielung von individuell anpaßbaren Größen erwünscht. 
Das Glas hat sicher dem biegsamen, dünnen, leichten Film gegen- 
über eine Reihe von Nachteilen. Am störendsten empfinde ich das Fehlen 


*) Über die spezielle Form von Glaeplatten für den unteren Weisheitezahn 
s. bei diesem. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 21 


Fig.2%9. 


e HNTTP, 


# 
7 


3 
a 
7, 
# 





Die abgebogene Platte wird eingelegt. Stellung und Handhaltung. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 379. 


des Doppelplattenverfahrens, da man wegen der Dicke des Glases nur 
immer ein Plättchen einpacken kann. Andererseits stehen dem eine Reihe 
von unleugbaren Vorteilen gegenüber. Abgesehen von der derzeit dem Film 
überlegenen gleichmäßigen Qualität der Schichte und deren gleichfalls 
temporär größeren Haltbarkeit ist die Gewißheit, eine absolut plane Pro- 
iektionsebene gesichert zu haben, eine nicht zu unterschätzende Annehm- 
lichkeit. Die störenden Ecken, die man am Film abbiegen konnte, kann 
man abschneiden und die Bleiecke umbiegen. Das Verwirrende der umge- 
bogenen Filmecke, das für Ungeübte oder weniger Geübte eine Fehler- 
quelle bedeutete, fällt weg. Das Arbeiten mit Grlasplättchen ist, wie ich 
aus nunmehr ein- und einhalbjähriger Erfahrung weiß, nach Überwindung 
der Kinderkrankheiten — namentlich des im Rotlicht Glaszuschneidens 
und Packens — ganz genau so schwer oder so leicht und elegant wie mit 
Films. Es erfordert allerdings penibel exaktes Arbeiten. Doch wer das 
nicht vermag, taugt weder zum Radiologen noch zum Stomatoradiologen, 
noch, wie ich wohl glaube, überhaupt zum Arzt. 

- Ob das Arbeiten auf Glasplatten nach dieser Methode, obwohl es 
bekanntlich der Uranfang war und zugunsten der Films (in Friedensqualität) ver- 
lassen wurde, nicht wieder das Verfahren der Zukunft ist, kann erst der Vergleich 
mit wieder gelieferten guten Films — die Friedenszeit — entscheiden. Ich ad 
personam bin vom Glas so befriedigt, daß ich nicht sicher bin, ob ich es nicht 
wenigstens zum Teil beibehalten werde, umso mehr, wenn die fabriksmäßige Her- 
stellung der von mir jetzt eingeführten Formen und Packungen die Mehrarbeit 
des Selbstschneidens und Packens beseitigen wird. 


Die Übersichtsaufnalhme der unteren Schneidezühne auf Platte in 
Bißebene. 

Die Aufnahme ist nach dem oben Gesagten nur dann möglich, wenn 
der Winkel zwischen Zahnachse und Bißebene höchstens 90° beträgt.: Als 
Bißebene muß die eingelegte Platte verstanden werden, was die Statistik 
insoferne bessert, als in diesem Falle die Zahnreihen nicht okkludieren, 
sondern um die Höhe der Höcker und um die Dicke der Platte voneinander 
abstehen. Liegt die Platte lege artis zwischen den Weisheitszähnen, so 
bedeutet diese Differenz immerhin eine nicht zu vernachlässigende Senkung 
des Unterkiefers, zahnärztlich gesprochen Hebung des Bisses. Je mehr aber 
der Unterkiefer sich senkt, desto geneigter wird die Lage aller Zahnachsen 
zur Querebene bzw. desto spitzer der Winkel zwischen Schneidezähnen 
und Bißebene lingualseits. (Zum Verständnis: Bei maximal geöffnetem 
Mund stehen die unteren Schneidezähne nahe der Horizontalen.) 

Die physiologische Einstellung der Schneidezähne ist de norma so 
nahe an 90°, daß durch diese kleine Korrektur praktisch genommen alle 
Fälle in den Indikationsbereich dieser Einstellung fallen. 


21* 


280 Fritz Pordes. 


Lagerung: Patient liegt auf dem Rücken mit unter die Schulter 
geschobenen Sandsäcken oder Keilkissen — Spitze des Keiles kaudal, 
Breitseite kranial —, so dag der Hals überstreckt wird und der Kopf 
hinten überfällt (Fig. 31). Oder er sitzt im zahnärztlichen Operationsstuhl 
bei herabgelassener Kopfstütze mit maximal nach hinten übergelegtem 
Kopf. Die Platte wird, Schichtseite nach unten, so weit als möglich nach 
hinten geschoben. Im allgemeinen in der Längsrichtung, d. h. die kürzere 
Seite (4em) frontal, die längere (6cm) sagittal. Bei der Aufnahme der 
Kinngegend kann man, wenn es sich um möglichste Querausdehnung des 
zu überblickenden Gebietes handelt, eine Aufnahme auf Platte in Quer- 
stellung — längere Plattenseite frontal — anschließen. Einstellung zur 


Fig. 80a. Fig. 30b. 





Die Aufnahme der unteren Frontsähne auf Platte in Bißebene ist für Einstellungsfehler 
sehr empfindlich. 
Fig.80a. Bei einem oberen Zahn bedingt derselbe Fehlerwinkel eine ganz geringe 
Verseichnung, die — Fig.305 — einen unteren Frontzahn um die Hälfte verlängert. 


Darstellung der Zähne, insbesondere des periapikalen Gebietes: auf die 
Spitzen der mittleren Schneidezähne in der Sagittalebene, Neigung zur 
Erzielung einer naturgroßen Projektion, normal auf die Halbierungsebene 
des Winkels zwischen Platte und Zahnachse, d. i. bei einem Winkel von 90° 
45° zur Platte. Zu beachten, daß, je größer der Winkel zwischen Zahn 
und Platte, desto größer die Distanz zwischen Wurzelspitze und ihrer 
Projektion, desto größer und desto störender bei gleichem Einstellungs- 
fehler die Verzeichnung (insbesondere die Verlängerung). Fig. 30 zeigt 
bei gleichem Einstellungsfehler bei einem oberen Zahn auf angelegte 
Platte eine zu vernachlässigende ganz geringe und bei einem unteren 
Zahn auf Platte in Bißebene eine Verlängerung um die Hälfte (!) der 
Zahnlänge. Die Einstellung ist demnach die für Fehler empfindlichste. Es 


Die radiographische Darstellung der’ einzelnen Zähne und Kiefer. 381 


empfiehlt sich, lieber etwas steiler einzustellen, da man aus Bildern von 
ein wenig verkürzten Zähnen doch eher noch eine Diagnose zu stellen im- 
stande sein wird, als wenn die Bilder der Zähne unförmig in die Länge 
gezogen mit ihren Spitzen knapp den Plattenrand berühren oder diese 
gar abgeschnitten sind. Allzuweit darf man in der Verkürzung jedoch 


Fig. 81. 











Ts 
f a N, 
f HAN 3 
A En U i 
j Jill j! 





meaa 


| 





| 


Lagerung und Einstellung zur Aufnahme der unteren Frontzähne auf Platte in Bißebene. 


nicht gehen, weil, abgesehen von dieser selbst, der dichte Schatten der 
Protuberantia mentalis auf das Spitzengebiet fiele und es verschattete. 
Hat man eine gelungene Übersichtsaufnahme der unteren Schneidezähne, 
so ist zur Durchmusterung der ganzen Kinngegend ohne Rücksicht auf er- 
wähnte Überschattung eine solche steiler eingestellte Aufnahme anzu- 
schließen, 


282 i Fritz Pordes. 


Extrem steil eingestellte Aufnahmen, auf denen die Zähne axial in - 
ihren Querschnitt projiziert erscheinen, kommen für dieselben Indikationen 
wie im Oberkiefer und noch für die der Kantenaufnahme des horizontalen 
Astes (s. dort) in Betracht. 

Die in der Mediansagittalebene eingestellten Übersichtsaufnahmen 
der unteren Schneidezähne geben in der Regel eine gute Auflösung von 
2 1f1 2 besser als an denselben oberen Zähnen, u. zw. deshalb, weil der Bogen 


Fig. 22. 





Radislebenen unterer Zähne bei verschiedenen Bogenformen. 


Fig. 38. Fig. 34. 





Fig.33. Abgebogene Platte in situ zur Aufnahme unterer Schneidezähne. — Sagittalschnitt. 
Fig. 34. Dasselbe wie Fig. 33. Ansicht von hinten. Die Platte durchsichtig. 


der unteren Zähne anders als der obere in seinem Frontalteil flacher zu 
sein pflegt und am Eckzahn schärfer nach hinten umbiegt. 

Wie aus Fig. 32 ersichtlich, sind die Radialebenen der unteren 
Schneidezähne fast parallel. Bei der Schmächtigkeit der unteren Inzisiven- 
wurzeln, sind daher die Septa interalveolaria auch auf einer Median- 
sagittalaufnahme bis zum 23 Septum gut sichtbar. Liegen die individu- 
ellen Verhältnisse seltenerweise wenig günstig, so erfordert dies zur Ein- 
stellung in der Radialebene beispielsweise des äußeren Schneidezahnes 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 283 


eine Verschiebung des Hauptstrahls fast parallel zur Mediansagittalen 
nach lateral. 


Die Aufnahme der unteren Schneidezähne auf angelegte Platte. 


Die Einbringung der Platte an die linguale Seite des Kinnteiles ist 
deshalb schwierig, weil in der Mittellinie das Unterzungenbändchen und 
weiterhin der Muskelzug des Genioglossus hinderlich in den Weg tritt. Die 
lingual angelegte Platte kommt nicht sehr tief hinunter und pflegt außer- 
dem nicht gut adaptiert zu sein, sondern nach hinten abzustehen. Es ist 
darauf zu achten und so einzustellen, daß die erzielte beste Adaptation in 
Betracht gezogen wird (Fig. 33). 

Um dem Frenulum linguae auszuweichen, lege ich die an den Ecken 
abgeschrägte Glasplatte zur Aufnahme des i] mit dem inneren Rande 


Fig. 35. 





Lage der Platte zur Aufnahme des unteren Eckzahnes, von der Kaufläche ber gesehen. 


knapp paramedian an. Die untere abgeschrägte Ecke ermöglicht dann tie- 
feres Eindringen, da das Frenulum sich der Abschrägung anlegt (Fig. 34). 
Man kann so den inneren Rand der Platte durch späteres Weitervorschieben 
wieder über die Medianlinie hinüberbringen. Bei den unteren Schneide- 
zähnen ist die Neigung periapikaler Resorptionsherde, gegen das Kinn 
vorzudringen, bei der Auswahl der Aufnahme zu berücksichtigen, es ist 
daher immer auch eine Kinnübersichtsaufnahme mit genügend weitem 
Überblick anzuschließen. Bei der Kinngegend ist ferner eine genau quere 
(frontale) Aufnahme auf extraorale Platte möglich (s. dort). 

Lagerung bei angelegter Platte: flach auf dem Rücken liegend, die 
Sandsäcke unter den Schultern, wie sie bei Aufnahmen bei Platte in Biß- 
ebene zur Überstreckung der Halswirbelsäule gebraucht wurden, sind 
überflüssig. Die nötige Neigung kann ohne diese Hilfsmittel ohne weiteres 
hergestellt werden. Fixation: Schlitzbinde. 


984 Fritz Pordes. 


Im zahnärztlichen Operationsstuhl sitzend, bei leichter Rückwärts- 
neigung des Kopfes ist der Hauptstrahl annällernd horizontal. Schlitz- 
binde ist, wenn sich der Patient in die zahnärztliche Kopfstütze zurück- 
lehnt, bei kurzen Expositionszeiten überflüssig. 


Der untere Eckzahn. 

Wie besprochen, macht der Bogen der unteren Zähne am Eckzahn 
eine scharfe Wendung von annähernd frontal nach fast sagittal. Wenn 
dieser Wendepunkt — es kommt auf Millimeterbreite an — etwas mehr 
lateral liegt, so ist es möglich, den Eckzahn auf Platte in Bißebene dar- 
zustellen, vorausgesetzt, daß seine Achse mit der Bißebene bzw. mit der 
in Bißebene liegenden Platte einen lingualwärts offenen Winkel von nicht 
mehr als 90° einschließt. Treffen diese Voraussetzungen zu, was in über 50% 
der Fall sein dürfte, dann stellt man auf Platte in Bißebene in der Radial- 
ebene des Eckzahnes wie gewöhnlich zur Darstellung in natürlicher Größe 
ein. Die Radialebene des Eckzahnes ist von der des äußeren Schneide- 
zahnes bedeutend mehr different als die des 2. von der des 1. und indi- 
viduell sehr variabel. 

Für die seltenen Fälle von Retention des unteren Eckzahnes wählt 
man zur Lokalisation Übersichtsaufnahmen der Schneide- und Eckzahn- 
gegend aus verschiedenen Radialebenen und mit verschieden steilen Ein- 
fallswinkeln auf Platte in Bißebene und auf angelegte Platte. Die Loka- 
lisation geschieht nach den beim oberen Eckzahn erörterten Regeln und 
Kriterien.. Extraorale Aufnahmen sind falleweise heranzuziehen. Lage- 
rung und Fixation wie bei Aufnahme der unteren Schneidezähne in Biß- 
ebene. Durch Drehung des Kopfes wird die Radialebene des aufzunehmen- 
den Zahnes in die Lage der sagittalen bei Blick geradeaus gebracht (all- 
gemeine Regeln für alle Zahnaufnahmen), d.h. man gibt dem Kopfe des 
Patienten eine solche Lage, daß die Radialebene des aufzunehmenden 
Zahnes auf den gerade gegenüber stehenden Beschauer gerichtet ist. Die 
Feineinstellung ist mit dem Kopfe des Patienten besser nachkorrigierbar 
als mit dem besten Röhrenstativ. Stativeinstellung und Nachkorrektur 
durch Drehung des Kopfes des Patienten verhalten sich wie etwa am 
Mikroskop Zahntrieb und Mikrometerschraube. 

Von dieser allgemeinen Regel zum unteren Eckzahn zurückkehrend, 
kommen wir zum Problem der Einlage der zugeschnittenen Plättchen für 
Aufnahme auf angelegte Platte. Der Eckzahn steht am Scheitel der schar- 
fen Umknickung vom Kinn zum horizontalen Ast. Das richtig angelegte 
Plättchen bildet eine Sehne zur inneren Seite dieses relativ engen Bogens 
(Fig. 35). Es ist wichtig, daß die Ebene des Plättchens normal zur Radial- 
ebene des Eckzahnes liege. In annähernd dieser Richtung liegt jedoch die 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 285 


‚aruncula sublingualis mit dem Ausführungsgang der Glandula sublin- 
gualis ete. Man kollidiert daher immer mit diesen Gebilden, darf sich aber 
dadurch in der richtigen Einlage nicht beirren lassen. Der beim Einführen 
der Platte auftretende Schmerz hört beim Mundschluß durch die Entspan- 
nung des Genioglossus und Biventer sofort auf oder mildert sich zumin- 
destens bis zur Erträglichkeit. 

An dieser Stelle sei auch der störenden Salivation gedacht. Bei den 
Öberkieferaufnahmen und bei Platte in Bißebene wird das umhüllende 
schwarze Papier nur in geringem Maße feucht. Die Nässe dringt kaum 
durch die oberste Papierhülle, die doppelte Packung wird nie durchfeuchtet. 

Es sind also, wenn man die Platten sofort oder nur kurze Zeit nach 
der Aufnahme entwickelt, weitere Umhüllungen überflüssig. 

Bei den angelegten Unterkieferaufnahmen liegen die Platten jedoch 
im Unterzungenspeichelsee. Außerdem wird durch den Schmerz beim Ein- 
legen die Salivation reflektorisch gesteigert. Der durch die doppelte Pa- 
pierhülle zur Platte dringende Speichel verklebt das Schutzpapier mit der 
Schicht und verdirbt die Platte. Man umhüllt deshalb die fertig gepackte 
„untere Platte“ noch mit wasserbeständigem Papier (sog. Butterbrot- 
papier, Ölpapier, Billrothine). 

Das Umhüllen kann sich auf die „größere“ Aufnahmefläche der um- 
gebogenen Platte beschränken und die in Bißebene liegende „Fixations- 
fläche“ außer acht lassen. Ich pflege auch diese Platten in der Regel ohne 
Schutzhülle zu lassen. Das nochmalige Einschlagen macht die Platte zu 
diek und zehrt am kostbaren Raum. Wenn man vom Mund in die Dunkel- 
kammer fix arbeitet, geht das ganz gut trotz Speichels. 

Für extreme „Speichler“ halte ich Billrothine vorbereitet. 


Die unteren Prämolaren. 


Die unteren Prämolaren sind einwurzelige Zähne; sie liegen im 
vorderen Teile des horizontalen Unterkieferastes nach der schärferen Eck- 
zahnkrümmung am Beginne des sehr flachen, kaum merkbaren Bogens, 
den die Zahnreihe von 4 bis 8 bildet. Zwischen dem ersten und zweiten 
unteren Backenzahn liegt an der Außenseite des Corpus mandibulae unter- 
halb der Höhe der Wurzelspitzen das Foramen mentale. Zur Dar- 
stellung der Prämolaren eignet sich wegen ihrer stumpfwinkeligen Lage 
zur Bißebene einzig die angelegte Platte. Deren Einbringung pflegt beim 
ersten Prämolaren noch Resten der Eckzahnschwierigkeiten zu begegnen, 
indem der vordere Plattenrand an den Bogen der Eckzahnkrümmung an- 
stößt. Beim “zweiten Prämolaren gleitet die Platte in der Regel ohne 
besondere Schwierigkeiten an ihren Platz. Einstellung in der Radialebene 
auf die Wurzelspitzen des betreffenden Zahnes. Da die Platte lingual 


986 Fritz Pordes. 


u 


praktisch parallel zur Zahnachse liegt, so steht der abbildende Haupt- 
strahl senkrecht auf der Zahnachse und Platte, d.h. am aufrecht sitzenden 
Patienten horizontal. Lagerung und Fixation wie bei derselben Aufnahme 
am Eckzahn. 

Bei dieser Einstellung erscheinen die Zähne in natürlicher Größe, 
doch wird von dem jenseits des Apex liegenden Spongiosaareale nur wenig 
sichtbar. 

Will man dieses im weiteren Umfange durchmustern, z.B. um pa- 
thologische Veränderungen mit größerer räumlicher Ausdehnung nach 


Fig. 36. Fig. 37. 





Fig.36. Aufnahme eines unteren Prämolaren auf angelegte Platte. Das Foramen mentale 
wird über den Apex projiziert und kann einen BResorptionsherd vortäuschen. 
Fig.37. Orthoprojektion zur Darstellung von Krone und Hals eines unteren Molaren unter 
Verzicht auf den Apex. Die Platte ist zwischen Mundboden und Kaufläche der oberen Zähne 
gestützt. 


unten gegen das Corpus mandibulae allseitig zu Gesicht zu bekommen, 
oder um die Lagebeziehungen der Wurzelspitzen der Prämolaren zum 
Canalis mandibularis und zum Foramen mentale zu studieren, so neigt 
man den Hauptstrahl stärker nach unten (kaudal). Dadurch werden die 
Projektionen der Zähne verkürzt, es wird aber der ganze Unterkieferkörper 
sichtbar. Fehlerquelle: das Foramen mentale projiziert sich auf eine 
Wurzelspitze und täuscht einen periapikalen Resorptionsherd vor. Siche- 
rung dagegen: Aufnahmen mesial und distal exzentrisch, wodurch infolge 
der Verschiebungen die Lagebezeichnungen klargestelit werden (Fig. 36). 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 987 


Wenn die obere Kante des Bleiplättchens nicht hart über den Platten- 
rand abgebogen ist, was vorkommen kann, so ist es möglich, daß die 
Kaufläche nicht mehr zur Darstellung kommt, „abgeschnitten“ wird. 
Um dies gegebenenfalls, namentlich wenn es sich besonders um die Dar- 
stellung von koronar gelegenen Gebilden handelt, zu vermeiden, läßt man 
die Zahnreihen nicht vollkommen schließen. Die Stütze, die das zwischen 
oberer Zahnreihe und Mundboden eingeklemmte Plättchen darbietet, 
genügt zur Aufbißfixation völlig. Tiefes Eindringen in den Mund- 
hoden ist in diesem Falle ja überflüssig. Einstellung exaktest rechtwin- 
kelig zur Platte, vollkommene Orthoprojektion (Fig. 37). 


Fig.83. Fig. 39. 





Fig.38. Einstellung zur Kantenaufnahme unterer Zähne auf Platte in Bißebene (Frontal- 
schnitt). 
Fig. 898. Diagramm einer wie Fig.38 eingestellten Aufnahme. 


Für Aufnahmen auf Platte in Bißebene kommen die Zähne jen- 
seits des Eekzahnes wohl nicht mehr in Betracht. Wohl aber ist diese 
Aufnahme zur Darstellung in Axialprojektion als Kantenansicht der Man- 
dibula für eine Reihe von Indikationen notwendig und reich an Auf- 
klärung. Das von der Kante gesehene Bild der Mandibula zeigt alle Lage- 
beziehungen in linguo-bukkaler Richtung auf. Es zeigt bukkale und linguale 
Defekte, Auftreibungen und Appositionen an der Mandibula. Der Mund- 
boden und die Zunge erscheinen frei von Überschattungen. Auf genügend 
weit nach hinten geschobener Platte erscheint bei Steileinstellung in gün- 
stigen Fällen der vordere Rand des Zungenbeinkörpers. Fremdkörper in 
der Zunge und im Mundboden gelangen so zur Darstellung. Konkremente 


288 Fritz Pordes. 


im Ausführungsgang der Glandula submaxillaris und sublingualis (Spei- 
chelsteine) sind auch bei nur geringem Kalkgehalt sehr gut sichtbar. 

Die Herstellung der Aufnahme geschieht ähnlich wie die Übersichts- 
aufnahme der unteren Schneidezähne. Es empfiehlt sich, die Platte quer 
— mit der größeren Kante frontal — möglichst tief und nach der aufzu- 
nchmenden Seite hin drückend, einzuschieben. Kopf über dem unter den 
Schultern befindlichen Sandsack maximal hinten übergeneigt. Einstellung 
entsprechend der Lage des Corpus mandibulae, d.h. auf die untere Kante 
des Unterkiefers auf die abzubildende Stelle steil von unten mit leichter 
Neigung nach außen (Fig. 38, 39). 


Der erste untere Molar. 
Dieser Zahn ist im Gegensatz zu seinem Antagonisten einer der 
leichtest darstellbaren. Bei richtiger Technik ist das zugeschnittene Glas- 


Fig. 40. 





Effekt einer unabsichtlich exzentrisch eingestellten Aufnahme eines unteren Molaren. 
1 Distal exzentrische, 2 richtige orthoradiale Einstellung. 


plättchen unschwer an seinen Platz zu bringen. Zu beachten ist bei der 
Einstellung, dafi seine beiden Wurzeln quer ovalen bzw. biskuitförmigen 
Querschnitt haben. Wenn man nicht genau in der Radialebene einstellt, 
so verbreitert sich die Projektion der Wurzeln unverhältnismäßig und die 
Septa interalveolaria bzw. das Septum interradikulare verschwindet zum 
größten Teil (Fig. 40). Man macht sich dann eine ganz falsche Vorstellung 
von der Konfiguration der Wurzeln. Eine eventuelle Krümmung nach der 
Kante kann dadurch verdeckt werden, was beispielsweise für eine Extrak- 
tion unangenehme Konsequenzen haben kann. 

Zwecks Durchmusterung des Corpus mandibulae ist wie beim 5 eine 
etwas von unten her eingestellte Aufnahme zu machen. Statt den Haupt- 
strahl zu neigen, kann man den Kopf nach der entgegengesetzten Seite 
neigen lassen. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 280 


Diese Neigung des Kopfes nach der anderen Seite kommt namentlich 
bei Aufnahme im zahnärztlichen ÖOperationsstuhl durch allzu bequemes 
Anlehnen in die Kopfstütze als unbeabsichtigte Lage vor, die man kennen 
muß, um nicht unfreiwillig die Wurzeln zu verkürzen. Es ist, wie schon 
erwähnt, auch zur Vermeidung dieser Fehlerquelle notwendig, die fertige 
Einstellung mit dem die Lage des Hauptstrahles anzeigenden Stab (Index, 
Teleskopauszug je nach Stativtype) vor der Einschaltung der Röntgen- 
röhre noch einmal genau aus verschiedenen Richtungen revidierend zu 
betrachten, die aufzunehmende Gegend mit den Blicken gleichsam skelet- 
tierend, die Lage von Abzubildendem und Projektionsfläche ins Auge zu 
fassen und die erzielte Projektion vorauszusehen. Macht man sich diese 
letzte Revision zur Gewohnheit, so erspart man sich viele Fehlresultate. 

Anmerkung in parenthesi zur Röntgentechnik: Die Regel: vor dem Ein- 
stellen noch ein alles revidierender Blick! sollte in leuchtenden 
Lettern über jeder Schalttafel hängen. Leider lernen das die meisten erst nach 
dem Schaden. Das Reparaturpauschale eines Laboratoriums zeigt unweigerlich, ob 
lie Regel befolgt wird. 


Der zweite untere Molar. 


Die Radialebene dieses Zahnes ist zu der des mesialen Nachbarn 
annähernd parallel um Zahnbreite nach distal verschoben. An Schwierig- 
keit der Darstellung auf angelegtes Glasplättchen mit Bleikante in Biß- 
ehene steht der Zahn einen Grad höher als der erste Molar. Das Schieben 
der Plättchen nach distal ist etwas weniger leicht, da es nicht ganz selten 
mehr schmerzt als beim mesialen Nachbar. Der Schmerz läßt allerdings 
heim Mundschlusse nach, doch schiebt der Patient im Moment des 
Schließens das Plättchen aus der unbequemen Lage mit der Zunge oft 
ein wenig nach vorn. Es muß daher die bukkal überstehende Bleikante mit 
leichtem Druck nach hinten fixiert werden, bis der Aufbiß die Fixation 
übernimmt. 

Die übrigen Fehlerquellen sind dieselben wie beim ersten unteren 
Molaren und dort erörtert. 

Dazu käme noch die Darstellung des mesial gekippten Siebeners. Bei 
dem hei älteren Individuen so häufigen Fehlen der Sechser werden die 
zweiten Molaren bekanntlich mesial gerückt und gekippt. 

Ihn auch in dieser Stellung auf die Platte zu bringen, macht ja in 
der Regel kaum größere Schwierigkeiten als bei normaler Stellung. Er- 
geben sich dennoch solche, so wäre der gekippte Siebener so zu behandeln 
wie ein unterer Weisheitszahn (s. unter diesem). Allein wenn man schon 
ein Röntgenogramm von ihm hergestellt hat, ist die Erkennung der ge- 
kippten Stellung auf einem nur diesen einen Zahn oder auch den ebenfalls 


290 Fritz Pordes. Die radiographische Darstellung etc. 


mesial gekippt stehenden Weisheitszahn umfassenden Bilde mangels einer 
tixen Örientierungsrichtung nicht ohne weiteres möglich. Die Bestimmung 
des Neigungswinkels ist klinisch nur bei intakter Krone möglich. Abge- 
kaute, stark kariöse oder mit großen Füllungen versehene, gekrönte oder 
sonst stark veränderte Zahnformen gestatten die klinische Diagnose der 
Kippung nicht, ja sie verschleiern sie mitunter geradezu (z. B. distaler 
Brückenpfeiler). 

Die Kenntnis vom Vorhandensein und Grad der Mesialneigung ist 
jedoch notwendig, die Unkenntnis kann bei einer Extraktion oder beim 
Devitalisieren (fausse route!) sehr unangenehme Konsequenzen haben. 


Fig. 41. 





Fig. 41. Bestimmung des Neigungswinkels eines gekippten Molaren darch eine Hilfsplatte, 
die von diesem und dom nächsten gerade stehenden Zahn nur ein Segment abbildet. 
=... „= Hilfeplatte. 


Es ist daher, will man nicht von vorneherein eine Übersichtsauf- 
nahme auf extraorale Platte machen, sehr erwünscht, den nächsten gerade- 
stehenden Zahn zur Bestimmung des Neigungswinkels mit dem gekippten 
wenn irgend möglich auf eine Platte zu bringen. Wenn dies nicht geht, 
weil das Plattenformat nicht ausreicht, so ist der Winkel des nächstgele- 
genen und des gekippten Zahnes zum oberen Rand des zahnlosen Kiefers 
zu bestimmen, um so den Neigungswinkel indirekt erkennen zu können. 
Es genügt, ein kleines Segment vom Örientierungs- und von dem zu be- 
stimmenden Zahn auf einer Platte zu haben, um mit Hilfe der anderen 
Aufnahmen die Winkel zu bestimmen. Fig. 41 zeigt dieses Hilfsplatten- 
verfahren. 


(Fortsetzung folgt.) 


Referate und Bücherbesprechungen. 291 


Referate und Bücherbesprechungen. 


Zähne, Zahnfüllungen und Prothesen in den tiefen Luft- und Speisewegen. 
Von Prof. Dr. v.Chiari. Wiener med. Wochenschr., 1917, Nr. 22, 23 
und 24. 


Chiari gibt eine ausführliche Statistik der Fälle, in denen Zähne, 
Zahnfüliungen und Prothesen in die tieten Luft- und Speisewege gelangten. 

Zähne und Zahnstücke kamen bei der Extraktion, vielfach auch bei 
Fällen, die in der Narkose vorgenommen wurden, in die Luft- oder 
Speisewege. In 2 solchen Fällen trat Bronchitis und Lungenabszeß und 
einmal Empyem auf. Dies geschah allerdings zu einer Zeit (1898), da 
eine direkte Bronchoskopie noch sehr wenig bekannt war. In anderen 
Fällen wurden Zähne, Plomben oder Goldfassungen zufällig von den Pat. 
entweder verschluckt oder aspiriert. 

In den kehlkopf gelangten ein Kunstzahn und ein soeben ausge- 
zogener natürlicher Zahn und erzeugten dort einen so heftigen Glottis- 
krampf, daß sofort Erstickung eintrat. Am ungefährlichsten ist das Ver- 
schlucken des Zahnes. in der größeren Anzahl der Fälle wurden aus der 
Speiseröhre die geschluckten Zähne extrahiert, in einem Teil der Fälle 
gingen sie anstandslos mit dem Stuhle ab. 

Gelangten Zähne, Plomben oder Goldfassungen in die Bronchien, 
so starben von den 31 beobachteten Fällen 7 meist schon nach einigen 
Tagen oder Wochen an Pneumonie, putrider Bronchitis, Abscessus pul- 
monis, Empyema pleurae oder Gangraena pulmonum, die übrigen 24 ge- 
nasen, wenn auch oft nach langer Krankheit. 

In einzelnen Fällen — Chiari gibt 11 an — gelang es, den Fremd- 
körper auf bronchoskopischem Wege zu entfernen. Gegenüber den gefähr- 
lichen Symptomen heim Eindringen des Zahnes in die Luftwege veran- 
lassen die in die Speiseröhre geratenen Zähne verhältnismäßig wenig 
Beschwerden. 

Vor allem ist durch den Spezialisten durch eingehende Untersuchung 
mit allen modernen Behelfen die Lokalisation des Fremdkörperse festzu- 
stellen; hierauf hat sofort die Entfernung des Fremdkörpers auf ösopha- 
goskopischem oder bronchoskopischem Wege zu erfolgen. Der Erfolg dieser 
Therapie ist sehr erfreulich. 

Verschluckte Gebisse werden gewöhnlich in der Speiseröhre fest- 
gehalten und rufen dort sehr schnell eintretende Schmerzen und Behinde- 
rung des Schlingaktes hervor. Zur Entfernung dieser in die Speiseröhre 
gelangten Gebisse wurden verschiedene Methoden angewandt, zum größten 
Teil durch Oesophagoskopie, zum Teil aber mußte zur Oesophagotomie 
gegriffen werden. In 25 der 214 beobachteten Fälle gingen Gebisse mit 
dem Stuhlgang ab. Von den beobachteten Fällen blieben 22 im Rachen 
stecken, die unter der Leitung des Kehlkopfspiegels extrahiert werden 
konnten. Sollte die Lokalisation eines Gebisses nicht gleich sichergestellt 
sein, so zeigte indirekte Laryngoskopie das Gebiß schnell und deutlich. 

Gebisse in der Trachea wurden zweimal beobachtet und diese Stücke 
konnten durch die untere Bronchoskopie entfernt werden. 

Der Tod erfolgte in 10 Fällen, und zwar 2mal an Erschöpfung, 3mal 
an Pneumonie, 2mal an Blutung, imal infolge der Verletzung, Imal an 
Mediastinitis und 1mal an Sepsis. 


2399 Referate und Biücherbesprechungen. - Personalien. 


Chiari zieht folgende praktische Folgerungen: Bei der Extraktion 
vun Zähnen oder Wurzeln, besonders in der Narkose, achte man darauf, 
daß kein Stück in die Tiefe falle. Wenn aber dieser Unfall eingetreten ist, 
kat der Operateur die Pflicht, den Pat. genau zu untersuchen oder ihn zu 
einem Spezialisten für Kehlkopf- und Speiseröhrenerkrankungen zu bringen. ` 
Selbstverständlich ist im Falle drohender Erstickung der Arzt, welcher die 
Extraktion vornahm, auch zum sofortigen lebensrettenden Eingriff ver- 
pflichtet, entweder zur laryngoskopischen Extraktion oder Tracheotomie. 
Ergibt die spezialistische Untersuchung den Fremdkörper, so ist dieser 
sofort auf bronchoskopischem oder ösophagoskopischem Wege zu ent- 
fernen, damit er nicht durch längeres Verweilen die oben beschriebenen 
schweren Folgen veranlasse. 

Alle Personen, welche künstliche Zähne, Brücken, Goldkappen, 
Plomben oder Prothesen tragen, sollen diese oft revidieren lassen. 

Kriegszahnklinik, September 1917. Oberstabsarzt Doz. Zilz. 


Die Technik der Apparatur der intraoralen Kieferverbände und das Zie- 
linsky-Band. Von Zahnarzt W.Zielinsky (Berlin). D. Zahnärztl. 
Wochenschr., XIX. Jahrg., Nr. 38. 


Im Anschluß an Herbers Ausführungen in den vorhergehenden 
Nummern derselben Wochenschrift bringt uns Zielinsky sein Band 
in Erinnerung, das er wörtlich folgendermaßen schildert: „Das Zie 
linsky-Band ünterscheidet sich von allen bisher eingeführten Zahn- 
schraubbändern und vom Angle-anchor-clamp-Band nur dadurch, daß der 
eigentliche Bandstreifen hohl gezogen, d.h. bei gleichmäßiger Wandstärke 
nach außen flach-konvex, nach innen flach-konkav profiliert ist. Dadurch 
erhält das fertige Band eine tonnenförmige oder trauringähnliche Gestalt.“ 
Und weiter heißt es wörtlich: „Das Zielinsky-Band hat eine Wand- 
stärke von 0,2 mm, eine Höhe von 5mm und eine feste Schraubspindel mit 
tiefgeschnittenen Gewindegängen und entsprechend gearbeiteter Vierkanten- 
mutter. Durch die Konturierung des Schraubbandes ist das Aufsetzen dieser 
Bänder zur Spielerei geworden und die starke Zugschraube gewährleistet 
ein vollkommenes Anschmiegen an die anatomische Form der Zahnkrone. 
Ideal ist jedenfalls das fertige, schon vergoldete Band mit Ankerröhre auf 
dem Zahn so adaptieren zu können, daß dieses keinerlei Lötprozeß mehr 
unterworfen zu werden braucht.‘ Schließlich erfahren wir noch, „daß das 
Zielinsky-Band ebenso ohne Ankerröhre als mit einer solchen ver- 
sehen im Handel sich befindet, und zwar in sechs verschiedenen Abarten 
von der Grundform“, deren Besprechung uns der Autor in einer weiteren 
Arbeit verspricht. Dr. Rudolf Klein. 


Personalien. 





(Todesfall.) Der chemalige Vorsitzende des Vereins oberöster- 
reichischer Zahnärzte Dr. Eduard Singer ist gestorben. 


m A o a - —— 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, HI., Münzgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


a an Zahnärzte Österreichs, 


Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 








XVI. Jahrgang. Dezember 1918. 12. Heft. 


7 





Nachdruck verboten. 


Original Arbeiten. 





Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne 
und Kiefer. 


Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre. 


Von Dr. Fritz Pordes. 
(Fortsetzung.!) 
Der untere Weisheitszahn. 

Er ist der auf enoraler Platte am schwierigsten darzustellende Zahn 
des ganzen Gebisses. Das Einlegen der Platte gestaltet sich bei empfind- 
lichen Patienten zu einer Geschicklichkeit und Geduld auf eine harte Probe 
stellenden Prozedur, so daß man geneigt sein könnte, die relativ viel leich- 
tere Aufnahme auf extraorale Platte überhaupt vorzuziehen. Daß man 
dies nicht tut, liegt an den wesentlich genaueren Bildern, die die enorale 
Aufnahme liefert. Die Gründe dafür — Distanz von Gegenstand und Platte, 
Dicke der durchstrahlten Weichteile — sind bereits angeführt. Dazu kommt 
noch, daß die ostevanatomischen Verhältnisse beim unteren Sapiens be- 
sonders ungünstig liegen. Das Corpus mandibulae ist innen und außen 
von den Weisheitszahnwurzeln besonders breit (Linea obliqua externa, 
crista mylohyoidea), die Kompaktaschichten dichter als sonst am Processus 
alveolaris. Die Wurzeln differenzieren sich am Röntgenbilde durch die 
dichten Knochenschatten annähernd ebenso schlecht als die des oberen 
ersten Molaren im Schatten des Jochbeinkörpers. Ein Grund mehr, für diese 
Gegend die bessere Resultate liefernde, wenn auch schwierigere enorale 
Aufnahme vorzuziehen. 

Steht der untere Sapiens normal, so ist die Platteneinlage zwar 
schwierig, gelingt aber mit gutem Resultate nach höchstens zwei Fehl- 
schüssen. Anders liegt die Sache, wenn der Zahn mit einem Teil der Wur- 
zeln distal vom vorderen Rand des aufsteigenden Unterkieferastes ge- 
legen ist, welche Lage bei noch nicht durchgebrochenen, impaktiert schräg 


1) S. Nr.8, 9 und 11 der Österr Zeitschr. f. Stomatologie. Abdruck der im 
Verlage Urban & Schwarzenberg in Buchform demnächst erscheinenden Artikelserie. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 22 


294 Fritz Pordes. 


im Processus alveolaris liegenden oder infolge Fehlens des zweiten oder 
ersten Molaren mesial gekippt stehenden Weisheitszähnen ein sehr häufiges 
Vorkommnis ist. In diesem Fall ist man überhaupt nicht imstande, den 
Zahn nach einer der gebräuchlichen Methoden auf enorale Platte zu 
bringen, auch auf abgebogene Plättchen nicht, da der distale Rand der 
Platte an dem vorderen Rand des aufsteigenden Astes anstößt. Dieser 
Schwierigkeit zu begegnen, dient die Modifikation der schrägen Abbiegung 
(1916). Die Linie der rechtwinkeligen Abknickung läuft dabei nicht paral- 
lel, sondern in einem Winkel von annähernd 45° zur oberen (kleineren) 
Kante des Films. Das eine Ende der Knickungskante läuft in eine Ecke 
des Filmrechtecks. Die Filmfläche zerfällt dabei in einen kleinen dreiecki- 
gen und einen größeren, von einem Trapez begrenzten Teil. Der kleinere 


Fig. 42. 





Fig.42. Modifikation der Abbiegung des Films für die Aufnahme gekippter Weisheitszähne. 
Oberer Pfeil: Biegung zum Beschauer hin. Unterer Pfeil: Biegung vom Beschauer weg. 
dreieckige Teil kommt an Stelle der oberen Kante auf die Kaufläche des 
Zahnes. Die Knickungslinie liegt horizontal, die vordere und hintere Kante 
verlaufen nicht senkrecht lingual am Processus alveolaris herunter, son- 
dern unter einem Winkel von 45° nach mesial oder distal, d. h. bei richtiger 
Seitenlage nach distal. Es wird für die Aufnahme des rechten Sapiens die 
rechte obere Ecke, für links die linke obere Ecke abgeknickt. Das Bild er- 
klärt dies besser, als eine Beschreibung es vermöchte. Die der abgeknickten 
“cite gegenüberliegende Spitze würde in den Mundboden stechen. Sie wird 
daher nach lingual abgebogen. Wie Fig. 42, 43 zeigen, gelangt hierbei, wenn 
der hinterste Punkt der umgebogenen Ecke am vorderen Rande des auf- 
steigenden Astes liegt, die Platte tief hinter diesen Rand, d. h. in ein der 

Darstellung sonst verschlossenes Gebiet. 
Wie man sich durch Palpation in seinem eigenen Munde überzeugen 
kann, befindet sich lingual von den Sapienswurzeln ein tief nach hinten 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 995 


fast bis zum Angulus sich erstreckender Recessus neben der Zungenwurzel, 
wie geschaffen zum Sustentakulum für den Film. 

Die Einbringung des Films in diesen Raum gelingt bei einiger 
Übung ganz leicht. 

Die Adaptation dieser für den Film geschaffenen Modifikation der 
Abbiegung an den — temporären (?) — Gebrauch von zugeschnittenen 
Glasplatten geschieht in der Weise, daß die rechte bzw. linke obere Ecke 
unter 45° abgeschnitten wird. Die unteren Ecken werden wie gewöhnlich 
knapp abgeschrägt. Bleihinterlage und Packung wie für „untere Plätt- 


Fig. 43. 





Eine nach Fig. 42 abgubogene Platte in situ. 


chen“. Je nach der Schräglage unterscheidet man dann „untere Weisheits- 
zahnplättchen für rechts und links“ (Fig. 44). Die Schnittlinie läuft vor- 
teilhaft nicht in die obere Ecke, sondern zwei bis drei Millimeter davor 
in die obere Kante. Die Handhabung geschieht wie bei Film. Die mit der 
Art erzielten Resultate waren durchaus befriedigend, fallweise überraschend 
schön. Von möglichen Fehlerquellen seien erwähnt: 

1. Die Bleiecke ist nicht hart über die Plattenkante gebogen. Patient 
beißt sich die sonst vordere nun untere abgeschrägte Ecke tiefer in den 
Mundbogen als nötig. Erschwerter Mundschluß. Raumverlust. 

2. Die Einlage geschieht mit zustarker Distalschiebung, 
die mesiale Wurzel wird abgeschnitten. 

22: 


296 Fritz Pordes. 


3. Die richtig eingelegte Platte wird im Momente des Mundschlusses 
nach vorne geschoben. 

Um letzteren häufigen Mißerfolgsgrund zu vermeiden, überzeugt man 
sich, bei geschlossenen Zahnreihen mit dem Finger ins Vestibulum oris ein- 
gehend, ob die bukkal überstehende Zacke der Bleiecke an der richtigen 
Stelle über der 8-Kaufläche liegt. Man kann auch den Finger des Patienten 
insofern zur Hilfe benützen, als man ihn neben der Aufbißfixation noch 
vom Vestibulum oris aus die überstehende Bleiecke nach hinten drücken 
läßt. Der Finger muß, um nicht mitröntgenographiert zu werden, von der 
oberen Zahnreihe aus nach unten und hinten drücken. (Zeigefinger der kon- 
tralateralen Hand, Daumen unterm Kinn.) 


DD 


Fig.44. 









RR 






SSSI 











ı Q 

/ 7 

y f 

7 7 / 

/ f / 

/ f J 
% / 

" BSERTEERUNE: 4 f a 





Adaptation der Methode zur Verwendung von Glasplatten. Form der zugeschnittenen, mit 
Bleifolie hinterlegten Platten für den rechten und linken Weisheitszahn. 

Die Bißfixation aufzugeben und nur durch Fingerdruck die auf der 
Kaufläche liegende Bleiecke halten zu lassen, ist entschieden zu widerraten. 
Die Mundöffnung spannt den Mundbogen drückt die Platte heraus und die 
mangelnde Fixation verwackelt das Bild. Zu beachten wäre allenfalls noch 
der hier wie beim oberen Weisheitszahn sich unangenehm fühlbar machende 
Würgreflex. Abhilfe wie dort. An Stelle der Aufnahme in Bißebene tritt 
hier als ultimum refugium die Aufnahme auf extraorale Platte. 


Die Aufnahme des Unterkiefers auf extraorale Platten. 


Warum und wie sehr die extraorale Aufnahme zur Darstellung der 
Zähne für die Zwecke des Zahnarztes der Aufnahme auf enoral liegendes 
Material inferior ist, wurde zur Genüge erörtert. 

Daß dennoch dieser Aufnahme in der Stomato-Radiologie nicht 
entraten werden kann, ist eine Binsenwahrheit. Was die Aufnahme auf 
Platte in Bißebene oben, das ist im allgemeinen die extraorale Platte unten. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 997 


Sie wird gebraucht, um die nötige Übersicht über eine Gruppe von 
Zähnen im Zusammenhange miteinander und mit dem Corpus mandibulae 
zu gewinnen. Traumatische, endzündliche und neoplastische Veränderun- 
gen von größerer räumlicher Ausdehnung sind nur auf diese Weise in ihrer 
Totalität zu überblicken. Das Gebiet des aufsteigenden Astes und das 
Kiefergelenk bedürfen ihrer a priori zu ihrer Darstellung. 

Die extraoralen Unterkieferaufnahmen sind reichlich beschrieben 
worden. Ihre Technik ist ein vielbeschrittenes Gebiet. Es ist nicht Gegen- 
stand dieser Erörterung, eine Geschichte dieser Aufnahme zu geben. 
Ohne daher irgend einer der vielen angegebenen Methoden Vorteile oder 
- Nachteile nachrechnen zu wollen, soll im Folgenden, von der Projektions- 
lehre der Aufnahme ausgehend, eine Darstellung des Modus procedendi ver- 
sucht werden, wie er sich an meinem ziemlich zahlreichen Material als günstig 
bewährt hat. Vorausgeschickt muß allenfalls noch werden, daß die Art als 
Arbeitsanweisungen für den Arzt selbst und nicht zur Ausführung durch 
Hilfspersonal gedacht ist. Die vorzügliche Mechanisierung der Kieferauf- 
nahmen durch die Cieszyähskische Einstellkappe liefert für die 
Röntgenschwester ein Optimum. Das freihändige Einstellen schrä- 
ger Projektionen ist für die extraorale Platte wie für den intraoralen Film 
individuell dem Fall angepaßt, nicht mechanisierbar, streng genommen 
nicht lehrbar und lernbar, sondern Sache — ich fühle mich versucht zu 
sagen — der künstlerischen Begabung des Einzelnen. Die Anhaltspunkte 
mögen in derselben Weise wie für die intraoralen Aufnahmen folgen. 

Die Hauptaufnahmsrichtungen — sagittal und frontal — kommen z} 
folgenden Zwecken in Betracht: 

Die sagittale Aufnahme postero-anterior. Lagerung und Einstellung 
s. Seite... . 

Die Aufnahme zeigt den Bogen des Unterkiefers und die aufsteigen- 
den Äste von hinten gesehen. Die letzteren erscheinen nicht, wie man von 
vorneherein erwarten sollte, in reiner Kantenansicht, sondern ihrer leicht 
von hinten außen nach vorne innen gedrehten Stellung entsprechend einer- 
seits, andererseits infolge der Divergenz der abbildenden Strahlen in einer 
allerdings ziemlich verkürzten Flächenansicht. 

Da der Hauptstrahl von hinten und unten eingestellt ist, erscheinen 
die in ihrer Querausdehnung abgebildeten Köpfchen über den Processus 
coronoidei. Der äußere sichtbare Rand entspricht dem hinteren, der innere 
dem vorderen (Fig. 49 A). 

Über das obere Drittel der horizontalen Äste fällt (bei größerer 
Neigung des Hauptstrahles höher liegend) der quere untere Rand des 
Hinterhauptschattens. In der Gegend der Gelenke sieht man die wabige 
Zeichnung der Warzenfortsatzhöhlen. Die horizontalen Äste erscheinen 


298 Fritz Pordes. 


in starker Verkürzung, die Schatten der in postero-anteriorer Richtung 
abgebildeten Zähne decken einander. Die Kinngegend wird gut übersehen. 
Über sie projiziert sich, durch die Strahlendivergenz vergrößert und da- 
durch sowie durch die Sekundärstrahlenbildung unscharf und die scharfen 
Bilder des .plattenanliegenden Kinnes wenig beeinträchtigend die Hals- 
wirbelsäule. Kennen muß man jedoch insbesondere die sonst eine Fehler- 
quelle bildenden Zwischenwirbelscheiben, bzw. die durch sie bedingten Auf- 
hellungsquerbänder (Fig. 49 A Z.). Im ganzen bietet die Aufnahme eine 
gute, grobe Veränderungen sicher anzeigende Übersicht. 

Die zweite in sagittaler Richtung zu gewinnende Übersichtsaufnahme 
ist die axiale, deren Lagerung und Einstellung ebenfalls bei den Oberkiefer- 
aufnahmen angeführt ist (s. Seite. ..). Für Unterkieferübersichtsauf- 
nahmen empfiehlt sich als Fußpunkt der Punkt der sagittalen, der an ihrer 
Kreuzung mit einer frontal über das Schädeldach die vorderen Ränder der 
Ohrmuscheln verbindenden Linie liegt (vordere Ohrvertikale, Lilien- 
feld). Einstellung auf diesen Punkt mit 30° dorsaler Neigung. Resultat 
siehe Fig. 23 wunderschöne Vergleichsaufnahme beider Kiefergelenke aus 
der Vogelperspektive. Man sieht das Köpfchen durch die Pfanne in seiner 
Querausdehnung und Schrägstellung, davor die durch das Tuberculum arti- 
culare gebildete Verstärkung des vorderen Pfannenrandes als Querleiste. 
Die Aufnahme ist ferner die einzige Vergleichsaufnahme des Processus co- 
ronoidei. Vorzügliche Ansicht des Unterkieferbogens in seiner Totalität. 
Kenntnis von Form und Lageveränderungen im Sinne außen-innen bzw. 
vorne-hinten. Die Aufnahme gibt die Möglichkeit der Darstellung von pa- 
lato-bukkaler Malokklusion. Weniger gut ist wegen der Dicke der zu durch- 
strahlenden Gebilde die Strukturzeichnung. 


Aufnahme in frontaler Richtung. 


Rein frontale Einstellung projiziert die Bilder beider Unterkiefer- 
hälften übereinander. Diese Überschattung läßt im allgemeinen die Art 
der Einstellung wenig empfehlenswert erscheinen. Es wäre denn, daß man 
durch die Herstellung von stereoskopischen Röntgenbildern (s. u.) die 
Tiefendifferenzierung erleichtert. 

Als dennoch notwendig erscheint die reine Quereinstellung zur Gewin- 
nung einer Seitenansicht des Kinnes. 

Der liegende oder vor dem Tische sitzende Patient legt das Gesicht 
mit einer Wange auf die Platte. Schlitzbinde. Das Kinn wird entweder 
ebenfalls seitlich auf die Platte gelegt oder mit einem Wattebausch unter- 
stützt. Im ersteren Falle ist die Frontalebene des Patienten gegen die 
Platte etwas nach vorne geneigt. Im zweiten steht sie zu ihr senkrecht. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 299 


Die Einstellung auf das Kinn hat jedoch in jedem Falle genau in der 
Frontalebene des Patienten zu erfolgen. Der Hauptstrahl 
wird demnach im ersten Falle ebenfalls etwas nach vorne (ventral) geneigt 
sein müssen, um eine genaue Queransicht des Kinnes (Fig. 45) zu liefern. 

Rein quere Aufnahmen sind auch zur Darstellung der Zunge er- 
forderlich. Lagerung wie eben beschrieben, Patient öffnet maximal den 
Mund, streckt die Zunge vor. Einstellung rein quer zwischen die geöffneten 
Zahnreihen. u 


Fig. 45. 





Diagramm einer Queraufnahme der Kinngegend. 


Zur Lokalisation eines Fremdkörpers in der Zunge kann man eine 
zweite Aufnahme anschließen, bei der ceteris paribus die Zunge nicht 
vorgestreckt gehalten wird. Ein in der Zunge sitzender Fremdkörper hat 
dann seine Lage verändert. Um Mitbewegung mit der Zunge auch für bei 
‚Durchleuchtung nicht mehr sichtbare kleinste Fremdkörper wahrnehmbar 
zu machen, habe ich diese beiden Aufnahmen und eventuell noch eine dritte 
‚gemacht, bei welcher bei ruhig offen gehaltenem Munde die Zunge während 
der Aufnahme langsam vorgestreckt wird. Die Fremdkörper zeichnen dann 
entsprechend ihrer Größe und stärkeren oder schwächeren Mitbewegung 


300 Fritz Pordes. 


ein Schattenband ein. Die zur queren Zungenaufnahme unter 90° stehende 
Einstellung ist die steil von unten her auf Platte in Bißebene (s. Seite . .). 

Rein quer ist auch die Aufnahme zur Darstellung des Zungenbeins. 
Lagerung wie zur Kinnaufnahme, jedoch mit dem Zungenbein in die Mitte 
der Platte. Zur Differenzierung der Zungenbeinhörner eine zweite kaudal 
exzentrische Aufnahme. Das nach kranial wegprojizierte war der Röhre 


Fig. 46. 





Diagramm einer Queraufvuahme der Kehlkopfgegend. 
A = Angulus mandibulae., E= Epiglottis. H = Os hyvoides, L—L = Tracheopharyngeale 
Luftsäule, G = Glottis, C = Cartilago cricoidea, T = Cartilago thyreoidea. 


näher, der Platte ferner gelegen, also bei rechter Seitenlage das linke 
Zungenbeinhorn (Fig. 46). 

Praktisch rein quere Richtung hat ferner der Hauptstrahl der vom 
Verfasser angegebenen Spezialeinstellung zur isolierten queren Darstellung 
des Kiefergelenks. Das abbildende Strahlenbündel nimmt seinen Weg hie- 
bei durch die Incisura semilunaris der anderen Seite. Betrachtet man einen 
Schädel von der Seite, so kann man sehen, daß der untere Rand des Joch- 
beinfortsatzes des Schläfebeinas mit dem halbmondförmigen Ausschnitt 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 301 


des Unterkiefers eine Lücke von der Form einer halben Ellipse einschließt, 
durch welche man das gegenüberliegende Kiefergelenk frei von Überschat- 
tungen anvisieren kann (Fig. 47). Man sieht dabei das Köpfchen in prak- 
tisch reiner Profilansicht. Die Blickrichtung, d. h. die zur Erzielung der- 
selben Projektion im Röntgenbild notwendige Einstellung ist dabei durch 
die Mitte dieser halbelliptischen Lücke quer und wenige Winkelgrade nach 
hinten und noch weniger nach oben. 

Die Lagerung für diese Aufnahme ist rein quer. Als Indices zur Be- 
urteilung, ob die Frontalebene des Patienten wirklich senkrecht zur Platte 
steht, dienen die Supraciliarbogen, deren Verbindungslinie einen Winkel 
von 90° mit der Platte einschließen muß. Ferner legt man die Spitzen der 
Zeigefinger an die Anguli mandibulae und beurteilt, ob diese übereinander 
stehen, d. h., ob nicht der eine gegen den anderen kaudokranial oder ventro- 
dorsal verschoben ist. 

Die penibelste Exaktheit in der Lagerung ist deshalb notwendig; 
weil die geringste Verschiebung aus der reinen Querlage bei der Enge der 
Pforte das abbildende Strahlenbündel am darzustellenden, plattenanlie- 
genden Kiefergelenke vorbeiführt, mit anderen Worten dieses dann 
nicht frei, sondern in Deckung mit irgendwelchem anderen störenden 
Schatten erscheint. Das Diagramm (Fig. 47a) zeigt ein richtig eingestell- 
tes Bild bei geschlossenem Mund. 

Der als Fußpunkt des Hauptstrahles zu ermittelnde Mittelpunkt der 
halbelliptischen Lücke wird durch Palpation des Kieferköpfchens und des 
Processus zygomaticus des Schläfebeins gefunden und am besten mit Fett- 
stift markiert. Einstellung wie beschrieben auf diesen Punkt in rein querer 
Richtung und sekundärer Abänderung, so daß der Hauptstrahl ganz wenig 
nach hinten und oben gerichtet ist. 

Zur Darstellung des Kiefergelenkes bei geöffnetem Munde (,„Streck- 
stellung des Gelenkes‘“‘) ist der Einstellungspunkt um die Exkursionsbreite 
des Kieferköpfehens nach vorne und unten zu verlegen. Man ermittelt 
praktisch zuerst palpatorisch die Vorwanderung des Köpfchens bei maxi- 
maler Mundöffnung, markiert sich den Einstellungspunkt, lagert wie ge- 
wöhnlich, stellt auf den gewonnenen Punkt ein und läßt erst unmittelbar 
vor der Exposition den Patienten den Mund öffnen. 

Die Bilder zeigen bei richtiger Lagerung und Einstellung im Rahmen 
der kontralateralen Incisur wie in einer Blende, in der Regel noch verdeut- 
licht durch die Aufhellung der darüber projizierten pharyngealen Luft- - 
säule das Profilbild des Kiefergelenks. Die Aufnahme bei Öffnungsstellung 
zeigt das Köpfchen auf das Tubereulum vorgewandert und die Konturen 
von Kopf und Pfanne noch deutlicher als beim Mundschluß, wo der Pfan- 
nenrand das Köpfchen doch ein wenig verschleiert. Wozu noch kommt, 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 23 


302 Fritz Pordes. 





a Diagramm einer Kiefergelenksspezialaufnahme. — b Schädelseitenansicht; punktiert die 

halbelliptische Lücke. 1== Processus zygomaticus des Temporale, 2 = Köpfchen, 3 = Pro- 

cessus coronoideus, 4 = Jochbein, 5= Einstellpunkt. — o In der halbelliptischen Lücke er- 
scheint das kontralaterale Kiefergelenk. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 303 


daß bei Mundöffnung die Eingangspforte des Strahlenbündels — die halb- 
elliptische Lücke — größer wird, die Trefferchance damit wächst. Zur 
Stereoaufnahme eignet sich diese Einstellung nicht, weil sie, wie aus dem 
Gesagten hervorgeht, die Verschiebung des Focus um 7 cm nicht oder nur 
schlecht verträgt. 

Schräg eingestellte Aufnahmen des Unterkiefers. 

Zur Darstellung der horizontalen Unterkieferäste in linguobukkaler 
Ansicht ist es notwendig, die bei querer Einstellung auftretende Über- 
schattung des darzustellenden durch den kontralateralen Ast zu vermei- 
den. Es ist wünschenswert, den darzustellenden Teil des Unterkiefers frei 
von störenden Überschattungen auf die Platte zu bekommen. 

Die ganze Technik der schrägen Unterkieferaufnahmen ist ein Kampf 
gegen die störenden überschattenden Skeletteile insbesondere den kontra- 
lateralen horizontalen Unterkieferast. 

Das Ziel der Lagerung und Einstellung ist es, den kontralateralen 
Ast von den abzubildenden Regionen möglichst wegzuprojizieren, seine 
Projektion möglichst wenig Raum einnehmen zu machen. 

Um diesem Ziele ganz unabhängig von den übrigen Umständen der 
Lagerung und Einstellung unter sonst gleichen Bedingungen näher zu 
kommen, wende ich folgenden als Hilfsdrehgriff bezeichneten La- 
gerungskunstgriff an. 

Nach den allgemeinen Lagerungsvorbereitungen am liegenden oder 
sitzenden Patienten dreht man den mit der aufzunehmenden Stelle der 
Platte anliegenden Kopf in einer frontalen Ebene um eine sagittale Achse 
in dem Sinne, als ob die Stirne des Patienten der Platte zu, das Kinn von 
der Platte weggewendet werden sollte. Die Drehung kommt anatomisch 
einer Flexion der Halswirbelsäule nach der darzustellenden Kieferseite 
gleich. 

Ausgeführt wird der Hilfsdrehgriff, indem man hinter dem sitzenden 
bzw. neben dem liegenden Patienten stehend, den Kopf von Stirne und 
Nacken her umfaßt. Die geschlossenen vier Finger beider Hände berühren 
sich dabei auf der Unterseite des Kopfes zwischen diesen und der Platte, 
die Daumen liegen oben auf Schläfe bzw. Nacken (Fig. 48 a, b). Liegt Patient 
auf der rechten Seite, so liegen die rechten vier Finger des Untersuchers 
unterm Nacken, der rechte Daumen auf der linken Seite des Hinterhauptes; 
die linken vier Finger liegen auf des Patienten rechter Schläfe, der linke 
Daumen auf der linken Schläfe. Liegt der Patient auf der linken Seite, so 
liegen die Hände des Untersuchers entsprechend umgekehrt, die Daumen 
jedoch immer oben. Hat man nun den Schädel so fest in den Händen, dann 
erfolgt die Drehung, die Daumen drücken den Schädel zur Platte, die vier 
Finger das Untergesicht, bzw. den Nacken von der Platte weg. Die erzielte 


23* 


Fig.48A. 


NTE TERN, N 
N N s 
a NEN 


AA ` 
AANA 
À N 


RI 
MIN \ 
AAN) 


E EBEN 
N K PL M, hA WN N \ 

73 \ AR \ 

IT 


NIS IS 


` 


s Pi 77) 





Z RIO 





ff. Fixation: Schlitzbinde. 
Lage der Hand am Nacken. 


Der Hilfsdrehgri 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kiefer. 305 


Drehung in Winkelgraden ist natürlich nicht immer gleich groß und 
keineswegs immer beträchtlich. 


Sie hat jedoch in allen Fällen den Effekt, den kontralateralen 
Kieferast kranialwärts wegzubringen, arbeitet also der kaudalen Neigung 


Fig. 48 B. 





Der Hilfsdrehgriff. Fixation : Schlitzbinde. 
Lage der Hand an der Stirne. Position des Patienten. 


Übersichtstafel der Unterkieferaufnahme. 
Fig. 49 A. 





Stellung des Kopfes bei angelegtem Hilfsdrehgriff. A antero-posteriore 
Aufnahme. B Aufnahme der Eckzahngegend. 


Übersichtstafel der Unterkieferaufnahmen. 
l Fig. 49 A. 





Bei den linksstehenden Positionen een 2 ah en tgenogramme in 
objektiven Diagramm 


Übersichtstafel der Unterkieferaufnahmen. 
Fig. 49 C. 





Fig. 49 D. 





C Aufnahme der Molarengegend. 
D Aufnahme der Gelenksgegend. 


Cbersichtstafel der Unterkieferaufnahmen. 
Fig.49 C. 





C und D Objektive Diagramme von bei den linksstehenden Positionen 
aufgenommenen Röntgenogrammen. 


310 Fritz Pordes. Die radiographische Darstellung ete. 


des Hauptstrahles entgegen. Die Verbesserung der Resultate ist auch bei 
geringen Winkelgraden unverhältnismäßig bedeutend. 

Das Gebiet der schrägen Unterkieferaufnahme ist von Cieszyński 
mechanisiert. Die von ihm gegebene Darstellung bildet, wie bereits bemerkt, 


Fig. 49 E. 





E Zum Vergleich die der Abbildung D entsprechende Aufnahme aus 
Cieszynskis Schema. Man beachte die Stellung des kontralateralen 
Kieferastes mit /D/ und ohne /E] Hilfsdrehgriff! 


für die mechanische Ausführung das Optimum. (Die Einstellkappe und 
ihre Anwendung ist von Cieszyüski im zweiten Bande des R ieder- 
Rosenthalschen Lehrbuchs der Röntgenologie ausführlich dargestellt.) 
Die Methode hat ihre Grenzen, die nur durch die freihändige individuell 
elastisch sich anpassende Arbeit gesprengt werden können. Die folgende 
Beschreibung der Aufnahmen kann daher im Prinzip nichts anderes sein 
als die Erweiterung der Cieszy úskischen, der mechanischen Methode 
durch die Korrekturmöglichkeit der Freihändigkeit. 

Unter- und Öberkiefer bilden osteologisch ein nach unten und nach 
hinten offenes hohes und steiles Kuppelgewölbe. Die untere Apertur dieser 
Kuppel- oder Glockenform bildet der untere Rand des Kinnes und der 
horizontalen Äste. Die hintere Apertur wird gebildet von den hinteren 
Rändern der aufsteigenden Äste und weiter vorne von der hinteren Fläche 
der oberen Weisheitszähne und der hinteren Kante des harten Gaumens 
(Processus pterygoidei des Sphenoid und Ossa palatinalia). 

Die untere Apertur ist nur durch Weichteile abgeschlossen, also 
röntgenologisch frei zugänglich. Der hinteren Apertur vorgelagert ist die 


Referate und Bücherbesprechungen. 311 


Halswirbelsäule, die (Fig. 49 A) über die Nasenhöhlen, oberen und untere 
Frontzähne und das Kinn störende Schatten zu werfen geeignet ist. 

Läßt man das abbildende Strahlenbündel paravertebral, also zwischen 
der Wirbelsäule und beispielsweise der linken Angulusgegend einfallen, so 
bekommen wir in diese Skelettlücke beiläufig die rechte Eckzahngegend 
(erste schräge Aufnahme Cieszynskis). Lagerung: Patient sitzt vor 
dem Tisch, legt das Gesicht wie zur Aufnahme in postero-anteriorer 
Richtung auf die Platte. Hierauf erfolgt die Drehung des Kopfes, bis die 
abzubildende Eckzahngegend zu tiefst der Platte zunächst liegt. 

Hilfsdrehgriff wie beschrieben. Effekt: Das Kinn nähert sich der 
Brust, der Hals wird an der Stelle des Hauptstrahlfußpunktes maximal 
gedehnt. Der Hauptstrahl wird nun so eingestellt, daß er durch die Mitte 
der Skelettlücke zwischen Wirbelsäule und kontralateralem Kieferast die 
gewünschte Gegend findet. Die Beschreibung klingt komplizierter, als die 
Sache ist. Im Momente der richtigen Lagerung „sieht man“ förmlich, 
insoferne man überhaupt „skelettierende Augen“ hat, die gewünschte Ge- 
gend von Überschattungen freiliegen. Der Hauptstrahl ist in der durch 
den Hilfsdrehgriff verminderten nötigen Kaudalneigung auf die verlangte 
Gegend zu zielen; er passiert dabei das Massiv der Halsweichteile (zweites 
Bild der Übersichtstafel). | 

Bei dieser Aufnahme war der Patient zur Darstellung des rechten 
Eckzahnes nach links gewendet. 

Drehen wir ihn in der gleichen Lagerung ein wenig weiter nach links, 
wenden dann wieder den Hilfsdrehgriff an, dann erscheint in der Skelett- 
lücke zwischen dem vorne steil nach oben laufenden kontralateralen 
Kieferast und der den aufsteigenden Ast der abzubildenden Seite abschnei- 
denden Halswirbelsäule die Gegend vom rechten ersten Prämolaren bis zum 
zweiten Molaren. Der Umfang des Dargestellten ist in der überwiegenden 
Majorität der Fälle weit größer. Gute Lagerung ermöglicht es ohne weite- 
res, vom kleinen Schneidezahn. bis über den zweiten, ja bis zum dritten 
Molaren den darzustellenden !'nterkiefer freizubekommen. 

(Schluß folgt.) 


Referate und Bücherbesprechungen. 





Die Ausmeißelung eines retinierten Zahnes. Von Wilhelm Struck, Par- 
chim. D. M. f. Z., H.3, März 1918. 


Das Charakteristische in Strucks Arbeiten, die wissenschaftliche 
Plauderei, verdeckt auch hier ganz die Beschreibung des sonst interessan- 
ten Falles eines retinierten Eckzahnes, dessen Krone lingual, die Wurzel- 


312 Referate und Bücherbesprechungen. — Personalien. 


spitze labial aus dem Unterkiefer vorragte. Hervorgehoben sei die stili- 
stische Ungeheuerlichkeit, von „ganz“ und „halb retinierten Fällen“ — 
statt Zähnen — zu sprechen, ferner die Bemerkung, daß unter den am 
häufigsten retinierten Zähnen die oberen seitlichen Inzisivi zu nennen 
wären. Weder aus der Literatur noch aus der Beobachtung ist ein reti- 
nierter oberer zweiter Schneidezahn bekannt. Fehlt der Zahn im Zahn- 
bogen, dann kann man mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß er über- 
haupt fehlt, was ja aus seiner fortschreitenden Rückbildung beim Menschen 
genügend erklärbar ist. Sicher. 


Die Morphogenese der oberen Prämolaren. Von Dr. Th.E.de Jonge 
Cohen, Utrecht. Anat. Anzeiger, H.2/3, 1918. 


Einer sehr anregenden Publikation de Jonge Cohens, die auf 
Grundlage der Bolkschen Dimertheorie die Kronenstruktur der unteren 
Prämolaren und Molaren einer detaillierten Betrachtung unterzieht, folgt 
nunmehr die Beschreibung der oberen Prämolarkronen. Diese Arbeit ist 
vor allem dadurch wichtig und interessant, weil hier Bauelementen des 
Zahnes eine bedeutsame Rolle zugeschrieben wird, die mit den Haupt- 
und Nebenhöckern des Bolkschen dimeren Zahnes nichts zu tun haben; 
und eben damit zeigt vielleicht zum erstenmal das oft zu starre System 
Bolks und seiner Schüler eine fließende Stelle, die zur Verständigung mit 
anderen Theorien einen Weg weist — der allerdings gewiß nicht so 
bald begangen werden wird. Die Gebilde, welche in Frage kommen, sind 
nach der Beschreibung des Autors je eine mediale und distale Leiste, 
welche bukkalen und palatinalen Haupthöcker an den approximalen Kau- 
flächenrändern verbinden. Sie haben nach Jonge Cohen lediglich me- 
chanischen Wert, sie verstärken die Krone gegen die Keilwirkung der unteren 
Antagonisten. Als Elemente, die mit den sechs Primärhöckern nichts zu 
tun haben, werden sie vor allem auch gekennzeichnet durch den Umstand, 
daß neben ihnen auch die bukkalen Nebenhöcker — allerdings meist 
rudimentär — zur Ausbildung gelangen können. Im Bau der unteren 
Prämolaren mit hochentwickelten Nebenhöckern und der oberen ohne solche, 
jedoch mit akzessorischen Leisten, ergibt sich also ein ziemlich tief grei- 
fender Unterschied. Sicher. 


Personalien. 


(Todesfall.) Dr. Gottfried Michael Scheff, der erste Dozent für 
Zahnheilkunde an der Wiener Universität, ist im hohen Alter von 
85 Jahren in Wien gestorben. 





— so e o p oo 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschnelder. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, III., Münzgasse 6. 





Österreichische Zeitschrift 


STOMATOLOGIE 


Organ 


für diewissenschaftlichen und Standes-Interessen der Zahnärzte Österreichs. 


Herausgegeben vom 


Zentralverband der österreichischen Stomatologen. 


Redigiert von 


Dr. Emil Steinschneider 


in Wien 


XVII. Jahrgang. 
1919. 


URBAN & SCHWARZENBERG 


WIEN BERLIN 
i, MAXIMILIANSTRASSE 4 N., FRIEDRICHSTRASSE 105» 
i 1919. 


Alle Rechte. gleichfalls das Racbt der Übersetzung in die russiechea Sprache 
vorbehalten. 





Inhaltsverzeichnis. vl 


b Seit» 
Stenereinhebungsgesetz . . 2 2 oo. % 
Verjährung der ärztlichen Honorarforderungen . . 2 2 22 2 2 222.76 
Zentralärzterat . . . 2 oo oo... 
Zentralverband der österr. Stomatologen . . . . 2 2.2.22 2222.02 n 3) 


Kleine Mitteilungen. 


Adreßkalender der Zahnärzte 237, 266. Ambulatorium für Geschwulstkranke 
147. Ärztegesetz in Tschechoslowakien 296, Aufruf der wirtschaftlichen Organisation 
der Zahnärzte Deutschösterreichs 98, Ausübung der ärztlichen Praxis durch Un- 
berufene 121. — Errichtung einer Schulzabnklinik in Wien 324. — Qummi, Auf- 
hebung der Verkehrsbeschränkung 78. — Honorarerhöhung für die Zahnärzte der 
Gremialgehilfenkrankenkasse 212. — Mangel an Arzneimitteln 98, Mangel an Zahn- 
ärzten 78. — Niederlassung 98. — Schulzahnkliniken 32, 55, 97, 238. — Weib- 
liche Lehrlinge der Zahntechnik 212, Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte 
Deutschösterreichs 98, Wohnungsrequisition bei Ärzten 121. — Zahnärztliche Be- 
handlung der Schulkinder in Ungarn 122, Zentralstelle für medizinische Kine- 
matographie in Berlin 147, Zahntechnikergewerbe in der tschechoslowakischen 
Republik 56. 


Personalien. 
| Auszeichnung 324. — Ehrung 324. — Ernennungen 148, 238. — Feier 148, 
2366. — Habilitierung 238, 324. — Todesfälle 56, 122, 324. — Universitätsnach- 


richten 122. 





Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


Organ fir, die wissenschaflichen Zahnärzte Österreichs. 


Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 





Original Arbeiten. 





Die Wurzelbehandlung, mit besonderer Berück- 
sichtigung des Antiformins. 
Von Dr. B. Gottlieb.?) 


I. Die Arseneinlage. 


Über die Arsenverwendung herrschen im Allgemeinen einmütige An- 
schauungen. Das üblichste Rezept ist Acid ars., Coc. hydrochl. aa. partes 
aequales. 

Es wird, um Schmerzen hintan zu halten, nach Eröffnung der Pulpa- 
kammer direkt auf die Pulpa appliziert. Bei abgeschlossenem Wurzel- 
wachstum werden auch accidentel eröffnete Pulpen abgeätzt. Nur bei noch 
nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum ist der Versuch, durch Überkap- 
pung die Pulpa am Leben zu erhalten, nicht nur bei accidenteller Eröff- 
nung, sondern auch bei Pulpitiden in den ersten Anfängen lohnend, da 
wir für die Gefahr von Komplikationen nach Überkappung die Möglich- 
keit eintauschen, daß das Wurzelwachstum noch beendigt wird, und wir 
hernach eine regelrechte Wurzelbehandlung durchführen können. Von dem 
gleichen Gesichtspunkte wäre die Amputation der Kronenpulpa ohne vor- 
hergehende Abätzung (nach Fischer) bei fortgeschrittener Pulpitis an 
Zähnen mit unfertigen Wurzeln des Versuches wert. Von dem Brauch, bei 
akuten Pulputiden vor der Abätzung Einlagen von Karbolsäure oder äthe- 
rischen Ölen zu machen, ist man im Allgemeinen abgekommen. 


II. Die Pulpaeztraktion. 


Nach 48 Stunden wird die Arseneinlage entfernt. Es ist weder emp- 
fehlenswert, das Arsen länger liegen zu lassen, noch es gegen eine neutrale 
Einlage oder ein Adstringens wie Trikr. Formalin, Tannin, Alaun u. dgl. 
auszutauschen, um der Pulpa Zeit zu lassen, sich am Foramen apicale 


1) Vortrag, gehalten im Verein Wiener Zahnärzte am 21. November 1918. 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 1 


9 | B. Gottlieb. . 

organisch von der Umgebung loszulösen und so einerseits die Extraktion 
schmerzlos und blutleer zu gestalten, andererseits die Pulpa zu härten 
oder zu gerben, um sie dann um so sicherer in einem extrahieren zu kön- 
nen. Die auf die Pulpa applizierten Chemikalien kennen kein Foramen 
apicale. Sie werden zentralwärts fortgeleitet, so lange der Vorrat reicht 
und leider reicht er in nicht wenigen Fällen für eine Reizung des peri- 
apikalen Gewebes aus. Auch bei reizlosen Einlagen haben wir keine Ge- 
währ dafür, daß sich die Pulpa bei weiterem Zuwarten gerade am Foramen 
apicale demarkieren wird. Es ist entweder nur ein Teil der Pulpa abge- 
storben, der sich bei weiterem Verbleiben in situ zersetzt und auf den 
noch lebenden Teil einen Reiz ausübt oder die Nekrose ist bereits bis in 
die Nähe des Foramen apicale gediehen und Zersetzungsprodukte belästi- 
gen das veriapicale Gewebe. Diese Fälle treten, wenn auch nicht immer, 
so doch genügend oft auf, um uns zur Regel zu drängen, die Pulpa nach 
48stiindiger Arsenwirkung zu extrahieren. und, was man durch die Ein- 
lage zu bewirken sucht, auf kurzem Wege in gleicher Sitzung zu erreichen. 
In manchen Fällen sind die Gefäße nicht in ihrer ganzen Ausdehnung 
thrombosiert, so daß eine bei der Extraktion auftretende Blutung dem 
glatten Vorwärtskommen im Wege steht. Ferner sind die Nervenfasern in 
manchen Fällen nicht in ihrer ganzen Ausdehnung degeneriert um eine 
schmerzlose Extraktion zu ermöglichen. Das sind die zwei Momente, die 
bei einer Extraktion nach 48 Stunden unangenehm werden können. Es ist 
daher zweckmäßig, (wie ich es bei Oppenheim zuerst gesehen habe) 
folgendermaßen vorzugehen: Mit einer dünnen Millernadel tastet man 
sich vorsichtig an der Wand des Kanals hinauf. Tritt bis zum Erreichen 
der Gegend des Foramen apicale oder einer durch Dentikel oder Krüm- 
mung nicht weiter sondierbaren Stelle Empfindlichkeit auf, so befeuchtet 
man die Nadel mit Trikr. Formalin, taucht sie hierauf in Kokainpulver 
und führt sie in den Kanal bis zur empfindlichen Stelle ein. Dies wieder- 
holt -man so lange und pumpt den Brei in den Kanal hinein, bis keine 
Empfindlichkeit mehr vorhanden ist. Nach kurzem Zuwarten kann man 
dann in der Regel die Extraktion ohne Schmerzen, meist auch ohne Blu- 
tung vornehmen. Das Kokain macht die Nervenfasern unempfindlich und 
bringt die Gefäße zu starker Kontraktion. Kommt es doch zu einer Blu- 
tung, so ist es ratsam, die Operation zu unterbrechen, und ein Bäuschchen 
mit Trikr. Formalin in der Kammer zu verschließen. Die Fortsetzung 
der Behandlung erfolgt dann in der nächsten Sitzung. 

Nach Extraktion der Pulpa ist es empfehlenswert, den Kanal mit 
Antiformin auszuwaschen. Auch wenn keine Blutung eingetreten ist, wird 
noch oft genug Detritus zutage gefördert. Ist jedoch eine Blutung ein- 
getreten, oder die Pulpa nicht in Einem herausgekommen, oder der Kanal 


Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 3 


an einer Stelle undurchgängig, so ist es das beste Mittel um die Behand- 
lung zu einem gedeihlichen Ende zu führen. Das Antiformin (von Mayer- 
hofer 1912 in die Zahnheilkunde eingeführt) ist ebenso wie das Radiein 
(Lepkowski) imstande, organische Substanzen zu lösen. Wenn wir 
den Wurzelkanal damit überschwemmen, indem wir mit einer Pinzette 
tropfenweise ein Depot in der Kammer anlegen und mit Nadeln in die 
Kanäle hinaufpumpen und die Wände abkratzen, so mobilisieren wir alles 
was sich im Kanal befindet. Enge, auch für die dünnsten Millernadeln un- 
passierbar scheinende Kanäle, werden mit Antiformin und Geduld er- 
schlossen. Das trübgewordene Antiformin wird weggetupft und frisches 
eingeführt so lange bis es nach dem Hinaufpumpen klar bleibt. Es ist 
weiters ratsam, stets zwischendurch einen Tropfen Schwefelsäure einzu- 
führen, das beim Zusammentreffen mit Antiformin aufbraust, durch das 
Aufschäumen etwaigen Detritus heraus schwemmt und überdies die Ka- 
näle erweitern hilft. Bleibt das Antiformin klar, so wird es ausgetupft, 
der Kanal mit Thymolalkohol ausgewaschen und mit heißer Luft so gründ- 
lich als möglich getrocknet. Der trockene Kanal bleibt nun leer, in die 
Pulpakammer kommt ein Bäuschchen mit Trikr. Formalin oder Karbol- 
säure und darüber Fletscher. 

Kanäle, die nach geduldigster Antiforminbehandlung nicht weiter 
sondierbar gemacht werden können, mit Beutelrockbohrern zwecks wei- 
terer Erschließung anzugehen ist nicht empfehlenswert. Diese sollten, ab- 
gesehen von der Behandlung periapikaler Erkrankungen, bloß dazu ver- 
wendet werden, bereits durchgängig gemachte Kanäle zwecks besserer 
Aufnahme der Wurzelfüllung zu erweitern. 

Die Pulpaamputation ist a limine zu verwerfen. Ich habe sie im Felde 
teils aus Zeitmangel, teils infolge Mangels geeigneter Pulpaextraktoren oft 
genug üben müssen, da es ja ohne Zweifel vorzuziehen ist, die Pulpa zu am- 
putieren, als den Zahn zu extrahieren. Bei ruhiger Friedensarbeit sind jedoch 
alle bisher von den verschiedensten Seiten geltend gemachten Argumente nicht 
stichhältig, wiewohl nicht geleugnet werden soll, daß Zähne nach Pulpa- 
amputation oft jahrelang, ja dauernd reaktionslos bleiben können. Durch 
die regelmäßige Verwendung von Antiforminschwefelsäure nach jeder 
Pulpaextraktion erreichen wir eine Zerstörung der von Fischer, Preiswerk 
und anderen beschriebenen Querspangen im Kanal: und damit auch die 
vielen Verzweigungen der Pulpa innerhalb des Kanals, die auch bei einer 
Pulpaextraktion in einem Strange drin noch verbleiben. Daß in den Ver- 
zweigungen, in der Nähe des Foramen apicale, die lange nicht so oft und 
so zahlreich vorkommen, wie von den Anhängern der Pulpaamputation 
manchmal glauben gemacht wird, daß weiters in den apikalen Teilen scharf 
abgebogener Wurzeln nicht entfernbare Pulpareste zurückbleiben, kann uns 


1* 


4 | B. Gottlieb. 


doch nach gar keinen existierenden logischen Grundsätzen veranlassen, er- 
reichbare Teile der Pulpa mutwillig drin zu lassen. Die Infektionsgefahr 
ist bei der Pulpaextraktion nicht höher anzuschlagen als bei der Ampu- 
tation. Von diesem Gesichtspunkte aus kommt es wohl ausschließlich auf 
das „Wie“ und nicht auf das „Was“ an. Hingegen können wir bei der Am- 
putation nie eine Gewähr dafür haben, daß noch lebende Pulpareste früher 
oder später in Entzündung übergehen oder Reize von Zersetzungsprodukten 
über das Foramen fortgeleitet werden. Beide Fälle kommen oft genug an 
von anderen Seiten behandelten Zähnen zur Beobachtung. Abgesehen von 
der Zeitersparnis gibt es kein Argument für die Amputation, wohl aber 
manche dagegen. Zeitersparnis jedoch auf Kosten der Qualität dürfen wir 
nicht gelten lassen. Daß wir bei der Pulpaamputation der großen Vorteile, 
die uns eine feste Wurzelfüllung bietet, nicht teilhaftig werden können, 
ist ja selbstverständlich. 


III. Gangränbehandlung. 


Vor 1892 war man bestrebt, den gangränesen Inhalt aus den Ka- 
nälen auf mechanischem Wege zu entfernen und den Kanal durch anti- 
septische Einlagen zu desinfizieren. Es sind auch mit dieser Methode so 
manche Dauererfolge erzielt worden, wie denn überhaupt unser Organis- 
mus oft genug sich um unsere Methoden nicht kümmert, Erfolge zeitigt, 
die wir nach unserem Wissen und unserer Logik nie erwarten würden, und 
in anderen Fällen, wo wir das Beste geleistet zu haben glauben, wir Ver- 
sagern begegnen, wie wir sie nur bei den ärgsten Kunstfehlern voraussagen 
würden. Das darf uns jedoch davon nicht abbringen, immer die nach dem 
jeweiligen Stand der Wissenschaft besten Methoden zu üben. Nach dem 
heutigen Stand unserer Kenntnisse können wir sagen, daß die Methoden 
vor 1892 als sehr mangelhaft anzusehen sind. Im genannten Jahr hat 
Schreier die Behandlung mit Kalium-Natrium angegeben und seither 
herrscht das Bemühen vor, den Inhalt gangränöser Kanäle in lösliche 
Form zu bringen und ihn dann, sei es durch Anschwemmen, sei es durch 
einen im Aufbrausen bewirkenden chemischen Prozeß aus den Kanälen zu 
fördern. Die Empfehlung von KHO durch Schreiter (1894), von Na»O; 
durch Kirk (1895), von N20: und H:SO, durch Boennecken, von 
Radiein durch Lepkowski und endlich von Aniiformin durch M a y e r- 
hofer gehören hieher. Die genannten Prinzipien bedeuten einen grund- 
legenden Fortschritt in der Gangränbehandlung. 

Das im Jahre 1906 von Buckley eingeführte Trikresolformalin 
hat die vor 1892 üblich gewesene Methode für einige Zeit wieder zu 
Ehren gebracht und wohl ausschließlich Unheil angestiftet, ohne das ge- 
ringste positive Equivalent dafür zu bieten. Die Desinfektionskraft des 


Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 5 


T. F. ist reklamehaft propagiert und, zwecks Erleichterung der Arbeit, 
gerne geglaubt worden. Allem Anscheine nach befindet sich der ganze Tri- 
kresol-Formalinrummel im Abklingen, es sei besonders auf die gründliche 
Abrechnung durch Mayerhofer hingewiesen, und es ist zu hoffen, daß 
nun wieder eine gedeihliche Vorwärtsentwicklung der Gangränbehandlung 
stattfinden wird. Die von Callahan angegebene bloße Verwendung von 
Schwefelsäure kann überhaupt nicht als Gangränbehandlung angesprochen 
werden. Nicht einmal für die Erweiterung der Kanäle kann die Schwefel- 
säure allein empfohlen werden, da die entstehenden Sulfate unlöslich sind. 
Säuren sollten lediglich alternierend mit starken Alkalien, wie es das 
Antiformin ist, verwendet werden, wobei nie vergessen werden darf, daß 
das Antiformin der hauptsächlich wirksame Bestandteil ist und nicht 
lediglich zur Neutralisation der Säure verwendet wird. 


Ich möchte das Antiformin für die Gangränbehandlung aufs wärmste 
empfehlen. Es ist ebenso wie das Radicin ein Gemisch von Hypochlorit- 
lösungen mit Laugen, die imstande sind, organische Substanzen zu lösen. 
Es ist im Prinzip die Sehreiersche Methode, jedoch weniger stürmisch 
in ihrer Anwendung. Das Aufbrausen und Herausschwemmen des Inhaltes 
wird durch die schon erwähnte dazwischen geschaltete Ausschwemmung 
mit Schwefelsäure bewerkstelligt. 


‘In praxi gestaltet sich der Vorgang folgendermaßen: Nach breiter 
Eröffnung der Pulpakammer, wird diese mit Antiformin überschwemmt 
und je nach der Weite der Kanäle mit stumpfen Nervenextraktoren oder 
mit Millernadeln hineingepumpt Der Kanalinhalt wird auf diese Weise 
aufgeschwemmt und zum Teil in Lösung überführt. Das trübe gewordene 
Antiformin wird weggetupft und so lange durch neues ersetzt, bis es rein 
bleibt. Ein- oder zweimal wird zwischendurch in gleicher Weise mit Schwe- 
felsäure ausgeschwemmt. Es findet ein kräftiges Aufschäumen statt und 
es entsteht. ein Geruch nach Chlor. Hierauf folgt das Auswaschen mit 
Thymolalkohol, kräftiges Trocknen und nun zum Unterschiede vom Vor- 
gang nach der Pulpaextraktion mit Trikr. Formalin ausgeschwemmt, das 
sich überall in die getrocknete Wand hineinsaugt. Ein Bäuschchen mit 
T. F. wird in der Pulpakammer mit -Fletscher verschlossen. Je nach 
der Durchgängigkeit der Kanäle wird die Behandlung zwei- bis höchstens 
dreimal vorgenommen. Allenfalls wird vor der Wurzelfüllung in der glei- 
chen Sitzung noch einmal mit Antiformin und Schwefelsäure gereinigt 
und mit Thymolalkohol getrocknet. 


Die Komplikationen vom Periodont her werden als zu diesem Thema 
nicht gehörig unberücksichtigt gelassen, da sie Gegenstand eines in diesem 
Vereine vor kurzem gehaltenen Vortrages waren. 


6 B. Gottlieb. 


IV. Wurzelfüllung. 


Als Wurzelfüllung wurden die mannigfachsten Materialien vorge- 
schlagen. Am originellsten ist wohl der Vorschlag, das was sich im Kanal 
jeweils befindet zu „desinfizieren“ und als „Wurzelfüllung“ zu belassen. 
Auf diesem Prinzip beruht ja die Pulpaamputation und die sogenannte 
Bäuschchenmethode bei der Gangränbehandlung. Diese Methoden können 
wir nach den früheren Ausführungen wohl unberücksichtigt lassen. In 
Betracht kommen die flüssigen und die festen Wurzelfüllungen. Von den 
flüssigen wären zu erwähnen die verschiedenen Pasten, besonders die T. F.- 
Pasta und der Perubalsam (Mayerhofer). Von der festen die Gutta- 
perchapoints und die Paraffinfüllung. Ich bin gegen jede flüssige oder 
pastöse Wurzelfüllung aus folgenden Gründen: Wenn an einem wurzel- 
behandelten Zahn die Pulpakammer neuerdings eröffnet wird, sei es durch 
primäre Karies von einer anderen Stelle aus, als ursprünglich die Wurzel- 
behandlung vorgenommen wurde, oder durch sekundäre Karies von der 
gleichen Stelle aus, oder durch Abbrechen der Krone oder eines Teiles der- 
selben oder durch künstliches Abtragen der Krone zum Zwecke einer 
technischen Arbeit, so findet man in der Regel im Kanal eine schmierige 
Masse und muß allenfalls ihn als gangränös ansprechen, ob er nun einige 
Zeit mit der Mundhöhle in freier Kommunikation stand oder nicht. Ferner 
ist das Ausfüllen von Kanälen mit weichen Massen illusorisch. Es kann nur 
gelingen, in den der Kammer benachbarten Partien ein Depot anzulegen, 
während der restliche Hohlraum infolge des Luftgehaltes leer bleibt. 
Auch das Einführen des Füllungsmateriales mit einer Spritze unter vorher- 
gehender Erweiterung des Kanaleinganges wird nicht viel mehr erreichen 
können, als den Kanal bis dorthin zu füllen, bis wohin das Nadelende vor- 
dringen kann. Der erste Tropfen wird die apikalwärts sich befindende Luft 
absperren und damit sich selbst den weiteren Weg. Das Hinaufpumpen der 
Pasta mit einem Wurzelstopfer ist ein unsauberes, ebenfalls nicht ans 
Ziel führendes Vorgehen, dem man nicht das Wort reden kann. Von einem 
Abschließen der Mikroorganismen in den Dentinkanälchen, also einem Vor- 
beugen der Reinfektion kann somit keine Rede sein. 

Das Paraffin wäre sicherlich für Wurzelfüllungszwecke sehr geeig- 
net, nur leidet es unter demselben Mangel. Trotz aller vorgeschlagenen 
Behelfe werden wir solange nicht imstande sein, eine gute Paraffinwurzel- 
füllung auszuführen, als es uns unmöglich ist, die Wände der Wurzel über 
den Paraffinschmelzpunkt zu erwärmen. 

Eine rationelle Wurzelfüllung mit Guttaperchapoints ist das sau- 
berste und verläßlichste. Bei den engen, mezialen Kanälen der unteren 
Molaren und bukkalen der oberen ist eg empfehlenswert, während der Anti- 


Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 7 


forminbehandlung die Kanäle in der Ausdehnung ihrer Sondierbarkeit mit 
dünnen Beutelrockbohrern zu erweitern, um eie für die Aufnahme der 
Points geeigneter zu machen. Nach erfolgter Trocknung mit Thymol- 
alkohol und heißer Luft wird die Pulpakammer mit Chloroform über- 
schwemmt. Die Points werden dauernd in Thymolalkohol aufgehoben. Es 
wird nun ein Point aus der Lösung genommen, die Spitze in Jodoform- 
pulver getaucht (bei Frontzähnen in Orthoform) und durch das Chloro- 
form der Pulpakammer hindurch in den Kanal geschoben. Die Ober- 
fläche des Points wird durch das Chloroform erweicht und legt sich den 
Kanälen eng an. Durch Nachschieben von weiteren Points, wobei man 
das Chloroformdepot in der Kammer auf der ursprünglichen Höhe erhält, 
erreicht man eine feste Ausfüllung des Kanals mit Jodoform-Guttapercha. 
Die Füllung legt sich an die Wände an und enthält ein Antiseptikum, 
das dauernd seine Wirksamkeit behält, da das Jodoform bekanntlich erst 
beim Zutritt von Zersetzungsprodukten durch Abspaltung von Jod seine 
desinfizierende Wirkung ausübt. Von den alten Wurzelfüllungen, die wir 
gelegentlich zu entfernen in die Lage kommen, sind nächst den Points 
die Jodoformwattefüllungen verhältnismäßig die einwandfreiesten. Wenn 
wir einen Teil einer Guttaperchafüllung zwecks Unterbringung eines Stiftes 
im Wurzelkanal entfernen müssen, können wir uns immer wieder über- 
zeugen, wie dicht die Füllung den Wänden anliegt. Von einem Schlottern 
der Füllung im Kanal, wie auch schon behauptet wurde, kann keine 
Rede sein. Ist nach der Pulpaextraktion der Kanal mit Antiformin und 
Schwefelsäure bearbeitet worden, so ist, wie schon erwähnt, der größte 
Teil der Dentinquerspangen geschwunden und damit auch die einzigen 
etwa in Betracht kommenden Hindernisse für das Vordringen der Points. 
Mit Points werden sowohl Wurzeln nach Extraktion abgeätzter Pulpen 
als auch nach Gangränbehandlungen gefüllt, von den Frontzähnen bis zu 
den Weisheitszähnen. Ist man einmal durch periostitische Komplikationen 
gezwungen, eine solche Füllung zu entfernen, so ist es mit Chloroform 
ohne weiteres zu erreichen. 


Diskussion. 
Prof. Dr. R. Weiser: Ich bin den Ausführungen des Herrn Kollegen 
Gottlieb mit großem Interesse gefolgt und möchte — seinen Anschauungen 


in den weitaus meisten Punkten folgend — die von ihm befolgte Methode als 
machahmenswert erklären. Sein Vortrag wird indes ja sicher im Druck erscheinen 
und aus diesem Grunde muß ich in manchen Punkten zu einer vorsichtigeren 
Fassung raten. Er hat gesagt, daß die Behandlung der gangränösen Molaren 
und Prämolaren erst im Jahre 1892 eingesetzt habe. Die Berliner Schule wurde 
ungefähr im Jahre 1880 eröffnet und Miller war einer der ersten Zahnärzte, 
der gangränöse Molaren und Prämolaren konservierend behandelte. Er hat zwar 
nicht Kalium-Natrium, das Dr. Emil Schreier in die Zahnheilkunde eingeführt 
und mit glänzendem Erfolge verwendet hat, benützt, sondern Karbolsäure in An- 


8 B. Gottlieb. 


wendung gezogen; im Jahre 1884, zu welcher Zeit ich mich der Zahnheilkunde 
zuwendete, wurde die Behandlung gangränöser Molaren und Prämolaren schon von 
verschiedenen Autoren und Praktikern geübt. Es gibt bekanntlich verschiedene 
Methoden der Wurzelbehandlung; ob sie von Erfolg begleitet sind, hängt letzten 
Endes davon ab, ob ein periapikaler Prozeß im Kieferknochen vorhanden ist oder 
nicht. Ist er vorhanden, so wird man mit keiner Methode, die sich nur bis 
zum Foramen apicale erstreckt, einen Erfolg erzielen können. Man muß dann eben 
zur Wurzelspitzenresektion schreiten. Bei aller Anerkennung also, welche ich der 
Methode Dr.Gottliebs zolle, muß ich doch daran erinnern, daß schon zwölf 
Jahre vor 1892 gangränöse Molaren und Prämolaren konservativ behandelt wurden. 
— Ferner erinnere ich an die von Bauer angegebene und von Zsigmondy 
propagierte Natrium-Superoxydmethode. Dann ist eine Methode nicht erwähnt 
worden, die auch eine epochale ist. Das ist die von Hoffendahlund Zierler 
ausgebildete Elektrosterilisation. Besonders bei den engen und verkrümmten Kanälen 
der bukkalen Wurzeln oberer und der mesialen Wurzeln unterer Molaren leistet 
die Elektrosterilisation ausgezeichnete Dienste. Ich habe sie während meiner 
Assistententätigkeit an Prof.v. Wunschheims zahnärztlicher Abteilung an der 
Poliklinik eingeführt und sie liefert auch dort ausgezeichnete Resultate. Ferner 
hat Herr Dr.Gottlieb erwähnt, daß das Jodoform ein vorzügliches Desinfziens 
sei. Es hat eine Reihe von Jahren gegeben, wo es auch für unsere Zwecke 
vielfach verwendet wurde, dann aber wurde behauptet, daß das Jodoform bei 
gangränöser Pulpitis nicht wirke, weil es eigentlich kein Desinfiziene sei, es wirke 
wohl bei schlecht heilenden Wunden und ganz besonders bei schlaffen Granulationen 
Tuberkulöser ganz ausgezeichnet, aber nicht so sehr als Desinfiziens, sondern nur 
als kräftiges Stimulans für die Bildung gut durchbluteter Granulationen. In neuester 
Zeit sind nun wieder Versuche in der Schweiz gemacht worden, welche doch 
wieder bewiesen haben, daß das Jodoform ein sehr gutes Desinfiziens ist. Die 
Wirkung hält länger an, als von anderen Medikamenten behauptet werden kann. 
Auch Thymol ist ausgezeichnet und es sind eine Reihe von Autoren, die durch 
Zerschmelzen von Thymolkristallen in den Wurzelkanälen gleiche Resultate erreicht 
haben. Ich glaube, daß es vorzügliche Dienste leistet. Man muß die Thymol- 
kristalle mittelst heißer Platinnadeln einbringen, weil es sonst schwierig ist, das 
Thymol bis an die Wurzelspitze hinaufzuleiten. 

Widersprechen muß ich der beiläufigen Bemerkung Dr.Gottliebs, daß 
durch Dermatol dasselbe erreicht wird wie durch Jodoform. Viel Gewicht ist 
darauf zu legen, daß zur Wurzelfüllung ein Stoff genommen wird, der sich nicht ver- 
flüchtigt, der sich nicht sehr rasch im Speichel oder in sonstigen Gewebsflüseig- 
keiten auflöst. Auch darin stimme ich nicht bei, daß es nicht gelingen sollte, 
die bukkalen Kanäle oberer Molaren mit Fäden zu füllen. Wenn man sich darauf 
einübt, die Fäden so auf millimeterdünne Nadeln aufzudrehen, daß die Fäden die 
Form des Wurzelkanals haben, so gelingt die Füllung erweiterter bukkaler Wurzel- 
kanäle der ersten Molaren und auch zweiter Molaren jugendlicher Patienten häufig 
recht gut. 


Dr. 8. Hecht: Ich beneide den Vortragenden um seinen Optimismus, der 
ihn zur Annahme verleitet, es gelänge ihm in allen Fällen und aus jedem 
Zahne, mag es sich um einen ein- oder mehrwurzeligen handeln, die Pulpa 
restlos zu extrahieren. Genügt doch schon ein bloßer Hinweis auf den ana- 
tomischen Bau insbesondere der Molarenwurzeln, um einer solchen Annahme jede 
reale Basis zu entziehen. Die Beschaffenheit dieser Wurzeln weist eine solche 
Mannigfaltigkeit von Kurven auf, daß ein Eindringen mit unseren noch so bieg- 
samen Instrumenten von vornherein ausgeschlossen erscheint, eine Manipulation, 
von der zu allernächst die totale Entfernung der Pulpa aus den Wurzelkanälen 
abhängt. Aber auch bei weniger stark gekrümmten Wurzelkanälen können wir 
nie mit absoluter Sicherheit behaupten, die Pulpa ohne jeden Rückstand entfernt 
zu haben, da einschlägige Untersuchungen zur Evidenz ergeben haben, daß eine 
solche Entfernung selbst bei extrahierten Zähnen, also außerhalb des Mundes, nicht 


Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 9 


L 


immer möglich ist, was ja in Anbetracht der anatomischen Struktur der Zahn- 
wurzel ohneweiters einleuchtet. Wie vielfach der Hauptwurzelkanal Verzweigungen 
und Nebenkanälchen, insbesondere gegen den Apex zu besitzt, haben diesbezügliche 
Forschungen von Preiswerk, Fischer, Feiler u.a.zur Genüge erwiesen. 
Die Vorstellung daher, es gelänge, die Pulpa aus allen Kanälen vollständig zu 
entfernen, ist eine arge Selbsttäuschung, vor welcher bei einer so schwierigen 
und noch immer nicht gelösten Frage der exakten Pulpabehandlung nicht ein- 
dringlich genug gewarnt werden kann. 


Das vom Referenten angeführte Antiformin, welches sich als eine mit 
Natronlauge versetzte Hypochloritlösung darstellt, ist nicht, wie er irrigerweise 
meint, ein absolutes Auflösungsmittel für organische Substanzen, denn selbst im 
Reagensglase, wo das Mittel die Pulpa allseitig umspült, wird dieselbe oft erst, 
wie meine eigenen Versuche ergaben, nach Tagen und auch da nicht ganz auf- 
gelöst, im engen Wurzelkanal hingegen, wo die Verhältnisse viel anders liegen, . 
kommt diese auflösende Wirkung nur wenig zur Geltung. Ich verweise da auf, 
die von Möller vor mehreren Jahren veröffentlichte Arbeit über die modernen 
Wurzelfüllungsmethoden. Dieser um die Wurzeltherapie sehr verdiente Autor be- 
handelte die Wurzeln frisch extrahierter Zähne mit Antiformin derart, daß er 
die Wurzelkanäle nach Entfernung der Pulpa mit Antiformin vollgepumpt und 
verschlossen im Thermostaten bei Körpertemperatur mehrmals zu je 24 Stunden 
beließ und dennoch nachher größere Mengen unauigelösten Gewebes in den Kanälen 
nach Spaltung der Zähne vorfand. Um wieviel ungünstiger mögen nun die Ver- 
hältnisse im Munde liegen? — Aber auch als Desinfektionsmittel kommt dem 
Antiformin nicht jene Bedeutung zu, die ihm insbesondere von Mayerhofer 
und Fischer zuerkannt wurde. So zeigen z. B. Tuberkelbazillen, wie von 
Dunges nachgewiesen wurde, dem Antiformin gegenüber eine ausgesprochene 
Resistenz, wofür übrigens die Isoliermethode dieser Mikroorganismen mittelst Anti- 
formin spricht. Hingegen ist das Antiformin, da es ein Alkali ist, als Neutra- 
lisationsmittel bei der Schwefelsäurebehandlung nach Callahan sehr gut zu 
verwenden. Eine absolute Trockenheit des Wurzelkanals ist, wie der Vortragende 
meint, kaum zu erzielen, da bei noch so langer Anwendung selbst der glühenden 
Sonde immer wieder Sekret aus den umgebenden Dentinkanälchen nachsickert, 
daher das beständige Zischen beim Einführen des heißen Instrumentes. Die voll- 
ständig hermetische und wasserdichte Ausfüllung der Kanäle, die der Referent 
mit Points, deren nähere Applikationsmethode er übrigens nicht angibt, erreicht 
haben will und für die er uns jeden Beweis schuldig bleibt, wird, wie ich glaube, 
noch lange ein pium desiderium bleiben. Über die Desinfektionskraft des Jodo- 
forms sind die Akten noch lange nicht geschlossen. Diese ihm durch lange Zeit 
zugeschriebene Eigenschaft wurde, wenn ich nicht irre, von Alexander Fränkel 
wissenschaftlich widerlegt. Nach ihm soll das Jodoform wohl entwicklungshemmend, 
keinesfalls aber abtötend auf Mikroorganismen wirken. Baumgartner ist es 
sogar gelungen, aus einer Jodoformwurzelfüllung heraus Kokken zu züchten. Das 
Jodoform demnach als Dauerdesinfiziens anzusprechen, ist zum mindestens sehr 
gewagt. Der sich jahrelang erhaltende penetrante und die Fäulnis deckende 
Geruch des Jodoforms darf mit seiner Desinfektionskraft nicht verwechselt werden. 
Es wäre freilich nicht nur zu wünschen, sondern ausdrücklich zu fordern, daß 
die Wurzelfüllungsmittel dauernd desinfizioerend zu wirken vermögen. Ein solches 
Dauerantiseptikum erfüllt seine Aufgabe schon bei Wurzelbehandlungen nach frisch 
abgeätzten und extrahierten Pulpen, weil wir bei noch so peinlich aseptischem 
Verfahren und trotz der mit vollem Rechte von Schreier stets geforderten 
Kofferdamanwendungen bei Wurzelbehandlungen — eine Forderung, die, nebenbei 
bemerkt, aus technischen Gründen nicht immer erfüllbar ist, es sei nur auf distale, 
tief unter das Zahnfleisch reichende Kavitäten sowohl bei unteren als oberen 
Weisheitezähnen, die keinen Halt der Kofferdamklammer bieten, hingewiesen — 
mit einer Infektion des Kanals rechnen müssen. Haben wir es mit einer Wurzel- 
behandlung nach einer erkrankten Pulpa zu tun, dann muß die Forderung gestellt 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 2 


10 B. Gottlieb. 


werden, daß das Antiseptikum der Wurzelfüllung nicht nur etwa dauernd zu des- 
infizieren, sondern überdies noch durch organisches Gewebe zu diffundieren befähigt 
wäre. Denn, da wir aus oben angeführten anatomischen Gründen — übermäßige 
Krümmung der Wurzel, oft vorhandene Nebenkanälchen — stets mit Pulparesiduen 
rechnen müssen, ist es von weittragender Bedeutung, daß das Wurzelfüllungs- 
material vermöge seiner Diffusionsfähigkeit diese Pulparückstände durchzudringen 
vermag, um derart die in denselben enthaltenen Mikroorganismen einzuschließen 
und unschädlich zu machen. Das Postulat der dauernden Desinfektionskraft wurde 
von Mayerhofer auch noch deshalb gestellt, damit die in den Dentinkanälchen 
lagernden Mikroorganismen, welche nach Einwanderung in den Wurzelkanal leicht 
zu einer Reinfektion desselben führen, unschädlich gemacht werden können. Nun 
ist es bislang aber noch nicht gelungen, ein solches Mittel ausfindig zu machen, 
denn sowohl die von Albrecht angegebene Wurzelfüllung ale auch das Thymol, 
denen man anfänglich diese zwei Eigenschaften zuschreiben zu dürfen glaubte, 
haben diese Erwartung nicht erfüllt. Möller, der die Albrechtsche Wurzel- 
füllung für die derzeit beste hält, konnte nachweisen, daß sie schon nach wenigen 
Wochen ihre desinfizierende Eigenschaft einbüßt. Aber auch das Thymol, dessen 
Desinfektionsstärke eine ganz eminente ist, da eine Thymollösung von 1:8000 
noch imstande ist, die Entwicklung der Milzbrandbazillen zu hindern, behält diese 
Eigenschaft auf die Dauer nicht. Das Thymol, das nach Adolf MüllerundLewin 
für unsere Zwecke zunächst von dem Schweizer Zahnarzt Foucon angegeben 
wurde, dann in Vergessenheit geraten ist, um nachher wieder von Adloff ent 
deckt zu werden, verschwindet nämlich durch Verdampfung aus dem Wurzelkanal, 
der nach wenigen Monaten leer vorgefunden wird (Adolf Müller). Allerdings 
ist die Annahme gestattet, daß die Thymoldämpfe beim Durchstreifen durch die 
Dentinkanälchen die pathogenen Bakterien abtöten und somit unschädlich machen 
(Wustrow). 

Ziehe ich aus dem oben Angeführten den Schluß, so sehen wir, daß unsere 
derzeitigen Wurzelbehandlungsmethoden noch lange nicht den an sie zu stellenden 
Ansprüchen genügen und daß wir somit bei unserem therapeutischen Verfahren 
bis zu einem gewissen Grade noch immer auf den Selbstschutz der Natur an- 
gewiesen sind. Um aber nicht mißverstanden zu werden, will ich mit allem Nach- 
druck betonen, daß es mir ganz ferne liegt, etwa der Pulpaamputation das 
Wort zu reden. Im Gegenteil, ich zähle zu denjenigen, die mit aller Rigorosität 
für die möglichst exakte Exstirpation eintreten, um den Wurzelkanal von allen 
nur erreichbaren organischen Bestandteilen frei zu bekommen und zu erhalten, 
ein Standpunkt, den sowohl Möller in seiner oben zitierten Arbeit vertritt, als 
auch Fildermann als obersten Grundsatz aufstellt, denn, so meint Filder- 
mann, „die Belassung organischer Materie im Wurzelkanal steht im strikten 
Widerspruch zu den allgemeien Regeln der Medizin und Chirurgie“. Diese Forderung 
darf und kann mich jedoch nicht zum Optimismus derjenigen bekehren, die glauben, 
daß man in allen Fällen imstande ist, die Pulpa rückstandslos zu entfernen, wenn 
man nur die nötige Geduld und Zeit aufbringt (Oppenheim). 


Dr. H. Reschofsky: Siehe S. 14: Über Pulpaamputation. 


Dr. E. Sös: Ich glaube es nicht, daß es irgend einem Zahnarzt gelingt, in 
jeden Wurzelkanal Guttaperchapoints einzuführen. Ich selbst habe seit mehreren 
Jahren Wurzelfüllungen mit Paste gemacht und damit gute Erfolge erzielt. Als 
Dauerantiseptikum verwende ich Thymol. Als Paste verwende ich das Fletcher- 
pulver mit ganz reinem Nelkenöl in ganz dicker Konsistenz, das dann, mit einem 
Tropfen Alkohol verdünnt, in den Kanal eingeführt werden kann. Der Überschuß 
der nach 24 Stunden hart gewordenen Paste wird mit Exkavator oder Bohrer ent- 
fernt und das Pulpakavum mit Guttapercha hermetisch verschlossen. Diese Paste 
kann auch als provisorische Füllung auf Arseneinlagen und in sonstigen Fällen 
gebraucht werden. Sie wird nach längerem Verweilen im Munde nahezu kreidehart 
und kann häufig nur mit Hilfe des Bohrers entfernt werden. 


Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 11 


Prof. Dr. L. Fleischmann: Zunächst einige Bemerkungen anatomischer 
Natur mit Rücksicht auf die Arbeiten, welche die Verzweigungen der Pulpa an 
der Wurzelspitze betreffen. Die anatomischen Verhältnisse sind derartige, daß die 
Wurzelspitze lediglich aus Zement besteht, daß also in ihr keine Dentinkanälchen 
vorhanden sind. Bei Betrachtung von mazeriertem Zement sind allerdings viele 
Kanälchen bzw. Hohlräume vorhanden, die, durch Metalle oder Zelloidin ausgefüllt, 
das Bild von Dentinkanälchen vortäuschen. In vivo sind sie wohl von Weich- 
teilen ausgefüllt, aber von solchen, die praktisch für die Wurzelbehandlung keine 
Rolle spielen, das sind Sharpeysche Fasern und Zementkörperchen, die mit der 
Pulpa selbst in keiner Verbindung stehen. Ich habe das nur bemerkt, weil die 
Verteidiger der Pulpaamputation in diesen Befunden einen Beweis sehen für «lie 
Richtigkeit ihres Vorgehens. Ich will über Pulpaamputation oder -extraktion nicht 
weiter sprechen, aber die anatomischen Befunde sind nicht geeignet, für die Frage, 
ob Pulpaamputation oder -extraktion, eine entscheidende Stütze abzugeben. Was 
die Ausführungen des Referenten anbelangt, so muß ich sie im großen ganzen 
billigen. Nur ist mir sein Vorgehen nach der Extraktion der nicht infizierten 
Pulpa etwas zu aktiv. Es ist ein Unterschied, ob wir eine Pulpa vor uns haben, 
die nicht infiziert ist oder nur eine Entzündung in der Spitze zeigt, oder eine 
mit einem Abszeß oder mit Gangrän. Wenn man eine nicht infizierte Pulpa 
extrahiert, so ist es nicht notwendig, daß man so aktiv vorgeht. Bilutgerinnsel 
müssen allerdings entfernt werden, sie sind eine Quelle für die Infektion, da sie 
ein guter Nährboden für Bakterien sind. Es läßt sich eine Blutung vermeiden, 
wenn man auf die Pulpa nach der Arseneinlage und nach breiter Eröffnung der 
Kammer nicht Adstringentien, sondern Formalin gibt. Formalin hat vor allem 
die Eigenschaft der Durchdringbarkeit der Gewebe (deswegen eignet es sich am 
besten zur Konservierung von Präparaten). Wenn man für 48 Stunden einen 
Bausch mit Formalin auf die bloße Pulpa legt und dann extrahiert, gibt es 
keine Blutung. Reine Verhältnisse vorausgesetzt, ist es nicht notwendig, dann 
noch den Kanal mit Antisepticis zu behandeln. Durch die Desinfektionsmittel 
bringt man reizende Substanzen in den Wurzelkanal hinein, die möglicherweise 
die Heilung am Apex verzögern oder zumindest den Zahn für einige Tage emp- 
findlich machen können. Einen solchen Wurzelkanal kann man in derselben 
Sitzung oder in einer nächsten füllen. Etwas anderes mag es sein, wenn es eich 
um eine Pulpa handelt, die bereits in toto infiziert ist. Dafür haben wir aber im 
allgemeinen klinische Unterscheidungsmerkmale. Wir können klinisch diagnosti- 
zieren, ob wir eine Infektion der Kronenpulpa oder eine Pulpitis totalis vor uns 
haben. Im letzteren Falle oder bei Gangrän ist natürlich das Vorgehen des 
Referenten gerechtfertigt. 


Dozent Dr. B. Klein: Mit den Ausführungen des Referenten bin ich in- 
soferne einverstanden, als er uns seine Methode der Pulpabehandlung dargelegt 
hat, mit der er ausgezeichnete Erfolge erzielte. Wenn Kollege Gottlieb !/s bis 
3/a Stunde dazu verwendet, um einen engen Wurzelkanal zu erweitern, so bin ich 
überzeugt, daß ihm die Erweiterung auch tatsächlich gelingt, und bin weit davon 
entfernt, auch nur den geringsten Zweifel in seine Worte zu legen. Diese Methode 
sowie zahlreiche andere geübte Methoden lassen jedoch eine Reihe von Fragen - 
offen. Z.B.die Kardinalfragen: 1. Ist es unbedingt erforderlich, den engsten Wurzel- 
kanal bis zum Foramen apicale zu erweitern, d.h. ist dann die Möglichkeit einer 
Periostitis ausgeschlossen ? 2.Ist die Wurzelkanalfüllung bis zum Foramen apicale 
unbedingt erforderlich, kann, wenn das geschehen ist, keine Periostitis mehr auf- 
treten? Die Bejahung dieser Fragen konnte bis jetzt von keinem gewissenhaften 
Zahnarzt voll und ganz erfolgen, und zwar aus dem Grunde, weil das ganze 
Verfahren der Wurzelbehandlung immer noch empirischer Natur und wissen- 
schaftlich ungenügend fundiert ist. Es wird viel zu wenig Rücksicht auf den 
jeweiligen Zustand der Pulpa genommen. Wir müssen wohl unterscheiden zwischen 
der absolut nicht infizierten Pulpa und der ausgesprochenen Pulpitis. Bei der 
Behandlung einer nicht infizierten Pulpa ist die Prognose hinsichtlich des Auftretens 

2% 


12 B. Gottlieb. 


einer Periostitis unvergleichlich günstiger als bei der Behandlung einer bereits in- 
fizierten Pulpa. Nach Entfernung der nicht erkrankt gewesenen Pulpa haben wir 
einen reinen Wurzelkanal vor uns, der, wenn er während der Behandlung nicht 
infiziert wurde und auch nachher nicht verunreinigt werden kann, keine Veranlassung 
zu einer periostalen Erkrankung geben sollte. Ganz anders verhält es sich bei der 
Behandlung einer bereits entzündeten Pulpa. Wir können niemals beurteilen, wo der 
Entzündungsprozeß aufhört; in den meisten Fällen geht mit der Entzündung der 
Pulpa gleichzeitig eine solche des Periosts einher. Unsere Therapie besteht darin, 
die entzündete Pulpa zu entfernen. In vielen Fällen geht die Entzündung des 
Periosts dadurch zurück, jedoch nicht in allen. Oft treten die periostalen Er- 
schanungen trotz exaktester Wurzelbehandlung erst nach längerer Zeit auf und 
dürften ihre Ursache in der bereits vor der Behandlung erfolgten Infektion des 
Periosts haben. In 70% der Fälle kann man im Röntgenbilde Veränderungen im 
Bereiche der Spitze wurzelbehandelter Zähne konstatieren. Ob alle diese Ver- 
änderungen pathologischer Natur oder als physiologische Folgeerscheinungen der 
Pulpaentfernung zu deuten sind, läßt sich nicht ohneweiters entscheiden. 

Diejenigen Wurzelkanäle, die einen gangränösen Inhalt aufweisen, geben 
bekanntermaßen die ungünstigere Progose hinsichtlich einer künftigen Periostitis. 
Meinem Ermessen nach gibt es gar keine Gangraena pulpae ohne nachweisbare 
periostale Veränderung. Trotz genauester Behandlung cines solchen Kanals, auch 
wenn nachher die Möglichkeit einer Reinfektion ausgeschlossen wäre, kann jeder- 
zeit die im Periost gesetzte Infektion aufflammen und ganz akute Erscheinungen 
hervorrufen. Hiezu wäre noch Folgendes zu erwähnen: Wir sind für gewöhnlich 
bei Konstatierung einer akuten Periostitis auf die Angaben des Patienten, be- 
sonders auf dessen Schmerzempfindung angewiesen. Bei der chronischen Periostitis 
fällt schr oft dieses diagnostische Hilfsmittel weg. Sind die anatomischen Ver- 
hältnisse im Bereiche der Wurzelspitze so günstig gelegen, daß sich das Granulum 
rasch zur entsprechenden Größe entwickeln kann, fallen jene Druckerscheinungen 
fort, die den Schmerz auslösen, dann kommt es gar nicht selten vor, daß die 
akute Form der Periostitis so rasch in die chronische Periostitis übergeht, daß 
überhaupt keine Schmerzempfindung geäußert wird. Als Beweis hiefür diene der 
Umstand, daß wir gar nicht so selten bei radiologischen Aufnahmen als Neben- 
befund ein großes Granulom an einem Zahn konstatieren, der trotz genauester 
Eruierung niemals Schmerzen verursacht hat. Andrerseits finden wir radiologisch 
kaum nachweisbare Veränderungen an Zähnen, die dem Patienten die rasendsten 
Schmerzen bereiten. In diesen Fällen kann das Granulom infolge ungünstiger 
anatomischer Verhältnisse nicht schnell genug zur genügenden Entfaltung kommen. 

Als letzten Punkt möchte ich noch darauf hinweisen, daß es Individuen 
gibt, die auf jede Art der Wurzelbehandlung prompt mit einer Periostitis reagieren. 
Patienten aus den besten Häusern, die in Behandlung bekannt gewissenhafter Zahn- 
ärzte standen. antworten auf die Frage, wieso sie diese oder jene Zähne verloren 
haben, oft mit dem Hinweise, daß jeder wurzelbehandelte Zahn bei ihnen nach 
einiger Zeit entfernt werden müßte. Und doch ist die hauptsächlichste Beschäftigung 
des Zahnarztes die Wurzelbehandlung, dieselbe resp. der Wunsch nach einer solchen 
treibt den Patienten zum Arzt oft solange, bis die Wurzelspitzenresektion radikale 
Abhilfe schafft. 


Dr. E. Schreier: Die Mitglieder unseres Vereines haben durch ihr zahl- 
reiches Erscheinen ihr Interesse an dem Gegenstande des Vortrages dargetan. 
Es scheint mir nun sehr wünschenswert, daß dieses Interesse wachgehalten wird. 
daß immer mehr und mehr Mitglieder sich versammeln und ausharren. Um dieses 
erstrebenswerte Ziel zu erreichen, gibt es nach meiner Erfahrung nur ein wirksames 
Mittel, das ist die Vorführung von praktischen Demonstrationen (Clinics). Theo- 
retische Vorträge allein sind nur selten imstande zu fesseln und kaum einmal zu 
überzeugen. Ich schlage vor, daß das heute besprochene Thema für die nächsten 
Sitzungen beibehalten wird und daß der Vortragende die Methode, welche er 
beschreibt, vorführt. 


Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins. 13 


Zum Gegenstande selbst bemerke ich, daß die Füllung der Kanäle mit 
Points eine Kontrolle durch das Röntgenbild ermöglicht. Herr Dozent Dr.Klein 
hebt hervor, daß nach seiner Erfahruf®& Patienten, die von den angesehensten 
Zahnärzten behandelt werden, trotzdem zahlreiche Zähne verlieren. Wenn er damit 
beweisen‘ will, daß die Wurzelbehandlung nur selten einen bleibenden Erfolg 
ergibt, so muß ich entschieden widersprechen. Für mich folgt daraus nur, daß 
auch ein angesehener Zahnarzt, ein Hof-, Kammer- oder Leibzahnarzt eine Wurzel- 
behandlung schlecht machen kann. Wenigstens 70% der Zahnärzte arbeiten ohne 
Kofferdam, ohne jede Sorgfalt. Danach sind natürlich auch die Resultate. Ich 
bin vollständig überzeugt, daß die Ergebnisse der Behandlungen, welche er selbst 
durchführt, nicht regelmäßig zu einem Verluste der Zähne führen. 


Dozent Dr. B. Klein: Ich bitte, meine Ausführungen nicht mißzuverstehen. 
Selbstverständliche Voraussetzung bei jeder Wurzelbehandlung ist die möglichst 
erreichbare Asepsis resp. Antisepeis. Ich bin fest davon überzeugt, daß dadurch die 
Reaktionen von seiten des Periosts wesentlich herabgesetzt werden, besonders bei 
intakten Pulpen. Bei allen anderen Formen gilt das, was ich gesagt habe, unter 
der Voraussetzung, daß wir zu den bereits vorhandenen Keimen, die wir ja ver- 
nichten wollen, nicht noch frische hinzubringen. 


Prof. Dr. R. Weiser: Ich wollte anknüpfend an die Bemerkungen des Herrn 
Dozenten Klein sagen, daß er nicht deutlich genug hervorgehoben hat, . daß 
er selbst bei aseptisch und glatt durchgeführten Wurzelbehandlungen devitalisierter 
Zähne Reaktionen sah. Er hat aber zugegeben, daß dies immerhin keine Peri- 
ostitiden sind, sondern andere, vielleicht physiologische Reaktionen. Ob 
eine Periostitis mit Einschluß von Bakterien vorliege, bleibe dahingestellt. Wenn 
das, was er röntgenologisch nachweist, immer Infektionen wären, so müßten wir 
viel mehr Mißerfolge sehen. Wir kennen doch eine erdrückende Reihe von Fach- 
leuten, die über langjährige Praxis verfügen und sagen, daß sie sowohl. mit der 
Konservierung pulpakranker und gangränös gewesener als auch devitalisierter Zähne 
ausgezeichnete Erfolge haben. Ich bin überzeugt, wenn man solche konservierte 
Zähne röntgenologisch auf ihr periapikales Verhalten untersucht, daß man Ver- 
änderungen finden wird. Man darf nur nicht vergessen, daß die Zähne sowohl 
vom Periost ale vom Zahnmark her ernährt werden. Es ist nur möglich, daß 
das Periost, wenn es allein die Ernährung des Zahnes übernehmen muß, dadurch 
hypertrophisch wird und in diesem Zustande ein verändertes röntgenologisches 
Verhalten aufweist. 


Dozent Dr. A. Oppenheim: Seit 15 Jahren bin ich Zahnarzt und so 
lange ich mich erinnere, war und ist das Thema über Wurzelbehandlung offen 
und nie konnte man sich auf eine bestimmte Behandlungsmethode einigen. Jeder 
hat sich eine bestimmte Methode ausgearbeitet und denkt nicht daran, daß die 
meisten Mißerfolge nicht wieder unter seine Augen kommen, da sie sich in andere 
Behandlung begeben; wir sehen immer nur unsere Erfolge. Es wäre doch an der 
Zeit, daß man sich schließlich an erfahrene und aufrichtige Leute wendet, die 
sich die Mühe nehmen, eine Methode auszuarbeiten. Bei vielen besteht auch eine 
Flucht vor der Arbeit. Wenn man sich der Mühe unterzieht, die Zähne in mehreren 
Sitzungen von stundenlanger Arbeit zu behandeln, so kann man mit großer Wahr- 
scheinlichkeit annehmen, daß die Behandlung reaktionslos verlaufen wird. Ein 
eventuell verbleibender geringer Pulpenrest wird weniger Anlaß zu irgendeiner 
Reaktion geben, als der in den Kanälen belassene ganze Pulpenstrang. Selbst auf 
die Gefahr hin, in einzelnen Fällen die Geduld der Patienten auf die höchste 
Probe zu stellen, schrecke ich doch vor diesen Schwierigkeiten nicht zurück. Ich 
weiß, daß ich im Verlauf von 15 Jahren nur vier gesunde Zähne zu Brücken- 
arbeiten devitalisiert, durch die Wurzelbehandlung verloren habe; jedenfalls ein 
sehr geringer Prozentsatz im Vergleich zu den vielen Gefahren der Amputations- 
methode. Ich arbeite nach der von Dr.Gottlieb eben geschilderten Methode 
vielleicht mit der Ausnahme, daß ich die Kanäle vor der Füllung mit Thymol 


14 - Heinrich Reschofsky. 


desinfiziere und nach Füllung mit Points das Kavum mit Chloroform überschütte, 
um durch Aspirationswirkung ein Aufsteigen in die Kanäle zu bewerkstelligen. Es 
kommt in manchen Fällen vor, daß mag infolge anatomischer Besonderheiten die 
Pulpa nicht vollkommen extrahieren kann, und stellen sich periostale Beschwerden 
ein, so bleibt dann noch immer als ultimum refugium der operative Eingriff. 
Daß tatsächlich oft nur der Mangel an Zeit, Überbürdung und die Honorarfrage 
mitbestimmend sind, steht außer Frage. Meiner Meinung nach hat die Pulpen- 
amputation als soziale Indikation und nur als solche eine Berechtigung ebenso 
wie in der Orthodontie die symmetrische Extraktion der ersten Molaren. 


Dr. R. H. Schleyen: Wir haben diese Methode seit einem Jahre bei einer 
Massenpraxis im Garnisonsspital Nr. 1 ausprobiert und haben keine ernstlichen 
Mißerfolge gehabt, wie sie allgemein vorkommen. Wir konnten sehen, welche Miß- 
erfolge die anderen hatten, und man kann sagen, daß 80% zur Revision gekommen 
sind. Es waren nur minimale periostale Reizungen zu konstatieren, die ohne 
Therapie verschwanden. Man kann daher die Methode wärmstens empfehlen und 
es sollte sich jeder Kollege der Mühe unterziehen, dieselbe auszuprobieren. 


Dr. B. Gottlieb: (Schlußwort): Ich möchte vor allem gegen die 
falsche Auffassung des Antiformins Stellung nehmen. Das Antiformin ist ein Mittel 
für sich und dient nicht bloß zur Neutralisierung einer angewendeten Säure Man 
kann auch die Schwefelsäure auslassen. Das Antiformin ist das Mittel, mit dem 
man bei der Wurzelbehandlung alles Wünschenswerte erreicht. Die Reinigung 
des Kanals nach der Extraktion auch ohne Blutung möchte ich wärmstens emp- 
fehlen; ich habe immer gesehen, daß das Antiformin schmutziger herauskommt, als 
es eingeführt wurde. Daß man für die Frontzähne Jodoform nicht verwenden 
kann, ist sicher, aber wir können nichts anderes als ein Dermatolpulver nehmen. 
Herr Prof. Weiser hat mich mißverstanden oder ich habe mich nicht richtig 
ausgedrückt. Ich habe behauptet, daß die rationelle Gangränbehandlung erst 
im Jahre 1892 begonnen hat, die bloß mechanische Reinigung war nach unseren 
heutigen Kenntnissen eben nicht rationell. Weiters habe ich mich auf keine Theorie 
eingelassen. Deshalb, weil man die Wurzelfüllung nicht bie zum Apex hinaufführen 
kann, auf die feste Füllung verzichten, ist unlogisch. Die Gründe für die feste 
Wurzelfüllung haben damit nichts zu tun, ob der letzte Millimeter am Apex gefüllt 
ist oder nicht. " 


Über Pulpaamputation. 


Ein Epilog zur Versammlung des Vereines Wiener Zahnärzte vom 21. November 1918. 
Von Dr. Heinrich Rescholsky. 


Bei dieser Versammlung hielt Kollege Gottlieb ein Referat über 
Antiforminbehandlung der Wurzelkanäle, in welchem er die Kanalfüllung, 
selbst bei zufällig eröffneter Pulpa, geschweige denn bei den übrigen Pul- 
pitiden als kategorischen Imperativ aufstellte. Die Herren Doz. O p p en- 
heim und Dr.Hecht stimmten mehr oder minder energisch bei. Doz. 
Oppenheim insinuierte sogar den Kunstfehler aus Bequemlichkeit. 

Ich werfe den Herren den F'ehdehandschuh hin und trete für die 
Pulpaamputation in die Schranken. Ich behaupte auf Grund tausendfacher 
Erfahrung, daß ich bei Pulpaamputationen nicht mehr Mißerfolge habe 
als bei Wurzelkanalfüllungen. 


Über Pulpaamputation. 15 


Solche Mißerfolge können ja durch eine gelegentliche Nachlässigkeit 
hervorgerufen werden, sonst aber bei richtig gestellter Indikation nur in 
Fällen von ererbter Konstitution oder fallweiser Disposition als Idiosyn- 
krasie oder verminderter Widerstandsfähigkeit. Da diese letzteren auch 
dem exaktesten Kanalfüller mißlingen werden, welche Möglichkeit doch 
die fanatischesten Katexochen-Kanalfüller seufzend zugeben, zählen sie 
bei der vergleichenden Statistik nicht mit. 

Und nun zur Ausführung. 

Ich ätze die Pulpa ab, in der nächsten Sitzung reinige ich sorgfältig 
die Zahnhöhle und lege zum Schluße ein Wattebäuschchen ein, das in 40% 
Formalinlösung (ohne Trikresol!) getaucht und dann fest ausgepreßt 
wurde. Dieses Bäuschchen bleibt 24—48 Stunden drinnen, wenn es sich 
um zufällige Eröffnung oder oberflächliche Pulpareizung handelt. Bei Pul- 
pitiden, je nach dem Grade, längere Zeit. 

Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß totale Pulpitie und Gangrän 
von dieser Methode ausgeschlossen sind. 

Der jedesmalige Verschluß mit irgend einem provisorischen Füllungs- 
material ist unerläßlich. 

Bei der nächsten Sitzung wasche ich die Höhle nach der mechanischen 
Reinigung mit Hs Oz und Alkohol aus, glühe dann ein Asbestbäuschchen, 
tauche es in Alkohol, dann in eine Spur Formalin, presse es wieder aus, 
rolle es in Jodoformpulver und lege es dann in den Eingang des Wurzel- 
kanales. (Um keinen Überschuß der Formalinlösung zu erzielen, tauche ich 
‚das Bäuschchen nicht in die Flüssigkeit, sondern entnehme nur dem, was 
den Stöpsel befeuchtet. Man kann aber auch die Lösung verdünnen.) Sind 
mehrere Kanäle, so kommen natürlich auch mehrere Bäuschchen. 

Endlich lasse ich De Treysche Calxine darüberfließen. Es kann 
natürlich auch ein anderes, nicht reizendes Füllungsmaterial sein, das keinen 
Druck ausübt; deshalb soll auch keine Guttapercha verwendet werden.?) 

Die meisten Mißerfolge der Pulpaamputation bertihen auf der Nicht- 
beachtung der Tatsachen, daß der Querschnitt des Pulpastumpfes eine 
‘Wunde ist, wie auch Dr.Hecht hervorhob, deren Vernarbungsprozeß 
durch konzentrierte, ätzende Chemikalien gestört wird. Manchmal sitzt 
die Einlage nicht fest genug, man fühlt sich verpflichtet, sie energisch 
hineinzupressen, außerdem wird gewöhnlich Guttapercha fest darauf ge 
drückt. Dies wirkt auch auf eine schon entstandene Narbe schädlich. 


1) Uber Empfehlung des Kollegen Kneucker. 

2) Welches Material zur definitiven Füllung verwendet wird, ist gleichgültig. 
Notwendig ist jedoch bei größeren Füllungen eine Zwischenschichte von plastischem 
Zement, welche jeden Druck auf die Unterlage auffängt. 


16 Heinrich Reschofsky. Über Pulpaamputation. 


Die meisten, in den Nervbehandlungen angewendeten Medikamente 
wirken nicht nur ätzend, sondern auch gewebe- und blutlösend; die auf- 
gequollene oder gelöste Wurzelpulpa schmerzt infolge Raumenge oder 
Fermentgasspannung. Im weiteren Verlaufe Nekrose und Eiterung. Genau 
s0, wie wenn man auch unter den strengsten aseptischen Kautelen in ein 
anderes, lebendes Gewebe ätzende Flüssigkeiten einspritzt. Auch durch 
direkten oder fortgepflanzten Druck kann infolge Zirkulationshemmung 
Absterben der Pulpa und dessen Folgeerscheinungen eintreten. 


Das Hauptprinzip der Behandlung bei Pulpaam- 
putation ist die schonendste Versorgung des Pulpa- 
stumpfes. 


Gewiß können hier, wie auch bei der exaktesten Kanalfüllung, gele- 
gentlich Nachschmerzen kommen; aber selbst da genügt meist eine Wieder- 
eröffnung und Nachbehandlung mit milden Mitteln. Als ultima ratio 
bleibt dann noch immer die Kanalfüllung. 


Bei schon ausgeführter Kanalfüllung dürfte es schwieriger sein, im 
Falle einer Reaktion die feste Kanalfüllung herauszulockern. Es wird 
mit Recht behauptet, daß besonders bei engen und gekrümmten Wurzel- 
kanälen, die Pulpaextraktion eine hohe Amputation ist mit einer zer- 
stochenen Rißquetschwunde als Querschnitt. 


Daß bei der Kanalfüllung selten Mißerfolge (Amputationsneurome 
und Druckneurose) auftreten, ist dem Umstande zuzuschreiben, daß die 
Füllung diesen malträtierten Stumpf meist gar nicht erreicht und daß e 
eben Fälle gibt, welche die unglaublichsten Behandlungen ohne Nachteil 
ertragen. Kollege Gottlieb meinte auch ironisch, es sei nicht gleich- 
gültig, ob man ein winziges Stümpfchen oder mehrere Zentimeter Stumpf 
beläßt. Stimmt schon, aber in dem Sinne, daß es nicht gleichgültig ist, 
ob man jemandem ohne zwingende Notwendigkeit das Bein beim Collum 
femoris oder nur den Fuß beim Calcaneus amputiert. 


Und nun kommen wir zur sozial-ökonomischen Seite der Frage. 


Alle gewissenhaften Kanalfüller geben zu, daß die Behandlung. eines 
Molaren bis drei Stunden in Anspruch nimmt und wenn auch diese. drei 
Stunden auf mehrere Sitzungen verteilt sind, ist die Endsumme dieselbe, 
d.h. ein halber Arbeitstag. i 

Wer von den Kollegen, der nicht Kriegsgewinner zu seiner Klientel 
zählt, kann von zwei Patienten im Tage leben? Wenn auch solche Tage 
nur 2—3mal in der Woche vorkommen. 6—8 Nervbehandlungen mindestens 
in der Woche hat jeder beschäftigte Zahnarzt, somit bedeutet deren Be- 
handlung 12—24 Stunden, also zwei bis vier Arbeitstage wöchentlich — 
nur für Wurzelkanalfüllungen. 


B. Gottlieb. Erwiderung auf vorstehenden Artikel. 17 


Der Beamte oder kleine Geschäftsmann, der unsere Klientel bildet 
und mit seiner Familie zu uns kommt, wo jedes Mitglied 2—3 Nervbehand- 
lungen hat, ist nicht in der Lage, einen Tausender auszuzahlen. Dann 
möchte ich gerne den Kollegen sehen, der zu behaupten wagt, daß er bei 
Absolvierung von 12—20 Patienten täglich für die Nervbehandlungen 3 
bis 4 Stunden aufwendet. 

Es ist selbstverständlich, - daß die unsorgfältige Wurzelfüllung 
schlechter ist als eine leichter ausgeführte sorgfältige Pulpaamputation, 
somit bedeutet die Verurteilung der letzteren und der Zwang für Wurzel- 
kanalfüllungen bei einer stärkeren Praxis direkt die Propagierung von be- 
wußten Kunstfehlern. Durch eine überhastete Vielgeschäftigkeit wird viel 
Unheil angerichtet. 

Wenn man nun zwischen zwei Methoden zu wählen hat, die gleiche 
Resultate ergeben, so ist es sozial und auch praktisch wissenschaftlich 
vollkommen gerechtfertigt, die für beide Teile weniger zeitraubende, weniger 
mühev olle und pekuniär billigere Methode zu wählen. 

` Theoretische BAnMpienteiterel hält die BeaeungeDzoNe der Praxis 
nicht aus. 

Ich bin überzeugt, daß viele von den T anwesenden Kollegen 
die Pulpaamputation mit Erfolg und daher mit ruhigem Gewissen: übten 
und auch weiterhin üben; wenn sie sich auch vor dem ironischen und 
aggressiven Tone in Schweigen hüllten. 

Ee gibt nur einen Weg, um diese Frage im Interesse des Gemein- 
wohles zu klären. Und das sind Versuche unter öffentlicher Kontrolle. 

Ich bin bereit, mich dieser Kontrolle zu unterwerfen, dann möge in 
foro publico die Methode empfohlen oder der Stab über sie gebrochen werden. 


Erwiderung auf vorstehenden Artikel. 
Von Dr.B. Gottlieb. 


Herr Dr.Reschofsky spricht immer wieder von einer Wunde 
bei der Pulpaamputation. Die Pulpaamputation wird. an einer kauterisier- 
ten Pulpa vorgenommen, der Querschnitt am Kanaleingang ist also nicht 
als Wunde zu betrachten. Es dreht sich ja die ganze Fragestellung dar- 
um, ob die tote Wurzelpulpa imprägniert als Wurzelfüllung belassen wer- 
den soll oder nicht. — Ferner ist es höchstens als Lapsus- calami zu er- 
‚klären, wenn Dr..R. die imprägnierte Wurzelpulpa funktionell in die gleiche 
Reihe mit dem Ober- plus Unterschenkel: stellt. Das kann doch kaum 
‚sein Ernst sein. 


18 Winke für die Praxis. 


Auch die Stundenberechnung stimmt nicht. In der Regel geht ja die 
Pulpaextraktion glatt vor sich und dauert auch bei Molaren in mehr 
als 90% der Fälle durchschnittlich ?/» Stunde. Die ganze sozialökonomische 
Frage fällt hiemit weg. Ich möchte aber bei der Gelegenheit daran er- 
innern, daß die Patienten, bei denen mit „Rücksicht auf ihre mangelhafte 
Zahlungsfähigkeit“ „einfachere Methoden“ verwendet werden, in der 
Mehrzahl der Fälle ratenweise in Summa für jeden Zahn, den sie 
dauernd erhalten wollen, mehr Geld ausgeben, als wenn von Anfang 
an die verläßlichste Methode ohne Rücksicht auf Zeit und Kostenaufwand 
zur Anwendung gekommen wäre. Eine mit Points gefüllte Wurzel ist fürs 
Leben erhalten und erledigt. Solche Patienten bezahlen die Wurzelbe- 
handlung eines Zahnes nur einmal in ihrem Leben. Es ist eben hier, wie 
auch sonst überall wahr, daß das Teuerste auch das Billigste ist. Ich 
habe die Methode der Wurzelbehandlung mitgeteilt, die ich gegenwärtig 
für die beste halte und deshalb auch übe. 


Winke für die Praxis. 


Zur Technik der Leitungsanästhesie am Foramen 
mandibulare und Foramen infraorbitale. 


Von Dr. Harry Sicher. 


So gründlich durchgearbeitet auch die anatomischen Grundlagen und 
ihre Verwertungsmöglichkeit für die Anästhesie im Bereiche der Mund- 
höhle sind, lassen doch die immer erneut auftauchenden Modifikationen 
einerseits, die auch bei großer Erfahrung nicht immer zu vermeidenden 
Mißerfolge andererseits keinen Zweifel übrig, daß auch geringfügige Ver- 
besserungen oder Vereinfachungen, wenn sie sich auf richtige theoretische 
Befunde und genügende-klinische Erfahrung stützen, von einigem Wert sein 
können. Von diesem Gesichtspunkte mögen auch die folgenden Bemerkun- 
gen aufgefaßt werden. 

Es kann wohl als bekannt. vorausgesetzt werden, daß der Nervus 
alveolaris inferior zum Zwecke der intraoralen Leitungsanästhesie nicht 
bei seinem Eintritt in das Foramen mandibulare aufgesucht werden soll, 
sondern etwas darüber, in der vom Foramen nach hinten und oben ziehen- 
den, gegen den Processus condyloideus allmählig verflachenden Furche. Was 
aber meines Wissens bisher nicht betont wurde, ist die Tatsache, daß diese 
Furche in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle beim Erwachsenen wäh- 
rend der Vornahme der Injektion mit der Nadelspitze ausgezeichnet ge- 
tastet werden kann. Legt man bei der Injektion an der rechten Seite des 





Winke für die Praxis. 19 


Patienten t) den linken Zeigefinger auf die untere Zahnreihe, schiebt die 
Fingerkuppe in das Trigonum retromolare, dessen Grenzen, die Linea 
obliqua externa und interna, dabei gleichzeitig getastet werden und sticht 
nun die Nadel über dem Fingernagel hinter der Linea obliqua interna ein, 
so trifft sie in geringer Tiefe den Knochen. Dabei läuft die Richtung der 
Spritze, wie bekannt, von der Prämolarengegend der Gegenseite nach der 
Einstichstelle. Schiebtt man nun die Nadel in stetem Kontakt mit dem 
Knochen nach hinten, wobei man eventuellen Widerständen durch leichte 
Schwenkungen der Spritze ausweicht, auch wohl die Spritze ein wenig 
zurückzieht, um erneut in der gewünschten Richtung in die Tiefe zu 
gehen, so fühlt man etwa in der Tiefe von 1,5 cm die Nadel deutlich 
über eine Konvexität hinweg in die oben beschriebene Furche glei- 
ten. Bei einiger Erfahrung — besonders durch Versuche am Skelett 
— läßt sich dieser Tastbefund aber nicht nur zur gröberen Orien- 
tierung verwerten, sondern gibt auch einen. brauchbaren Anhaltspunkt ab, 
nach dem man die Variationen der betreffenden Gegend beurteilen kann. 
Wie Klein und ich nachweisen konnten ?), ist nämlich die vordere Be- 
grenzung des Sulcus mandibularis individuell sehr verschieden ausgebildet. 
An dieser stumpfen Leiste setzt sich der vordere Anteil des Ramus ascen- 
dens mandibulae gegen den hinteren ab. Eben dadurch, daß der vordere 
Anteil dicker ist als der hintere, entsteht sowohl Leiste als Furche. Das 
Dickenverhältnis der beiden Knochenpartien variiert nun insoferne, als die . 
vordere bei vielen, besonders bei kräftigen Personen in ihrer Stärke außer- 
ordentlich zunehmen kann, während die Dimensionen der hinteren Partie 
viel geringere Schwankungen aufweisen. Je größer nun die relative Dieke 
des vor dem Sulcus gelegenen Knochens ist, um so weiter wird die Nadel 
bei ihrem Vordringen hinter die Furche, gegen den hinteren Rand des auf- 
steigenden Kieferastes, abgelenkt werden, vorausgesetzt, daß man ihr in 
allen Fällen die gleiche Richtung gibt. Ist man aber einmal auf die 
Tastbarkeit der genannten Furche aufmerksam geworden, dann läßt sich 
auch leicht die geringere oder größere Tiefe derselben abschätzen und da- 
durch auch im letzteren Falle die notwendige Aberration der Nadel in die 
Tiefe leicht korrigieren. Man hat nichts anderes zu tun, als .die Spritze 
mehr oder weniger stark mit dem freien Ende nach hinten zu schwenken, 
wobei sie ein wenig zurückgezogen wird, so daß sie beim neuerlichen Vor- 
dringen in die Tiefe das Hindernis der verstärkten Knochenleiste umgehen 
kann. Um Raum zu gewinnen, läßt man hiebei den Mund des Patienten 


1) Bei der Injektion an der linken Seite des Patienten führt man am besten 
die Spritze .mit der linken Hand, während die rechte tastet. 
2) Vierteljahresschrift f. Zahnheilkunde, H.1, 1915. 


20 Winke für die Praxis. 


leicht schließen. Hinzugefügt sei nur noch, daß in einzelnen — aller- 
dings seltenen — Fällen das Relief an der Innenseite des aufsteigenden 
Astes so wenig ausgebildet ist, daß die Tastbarkeit der Furche sehr er- 
schwert wird. 

Was die Aufsuchung des Foramen infraorbitale bei der intraoralen 
Leitungsanästhesie des gleichnamigen Nerven anlangt, so kann es sich 
hier, wie in allen anderen Fällen, immer nur um die Bestimmung von ana- 
tomischen Orientierungpunkten an der Körperoberfläche handeln, die den 
Variabilitäten Rechnung tragen. In der Tiefe kann und darf immer nur 
das Tasten mit der Injektionsnadel den letzten Ausschlag geben. Eine 
Einzwängung der topographischen Anatomie in geometrische Konstruktio- 
nen, kann durch den Schein der Exaktheit, den sie erwecken, nur gefährlich 
wirken. Nach den Angaben von Bünte und Moral wird die Injektion 
an das Foramen infraorbitale derart ausgeführt, daß man von der Über- 
gangsfalte des Vestibulum oris über dem Eckzahn nach oben und innen 
eineticht, wobei der auf das Foramen aufgelegte Zeigefinger als Zielpunkt 
dient. Das Foramen selbst tastet man etwas über einen Zentimeter unter- 
halb der Stelle des Margo infraorbitalis, an welcher bei vielen Personen 
die Sutura zygomatico-maxillaris als Verdickung des Knochenrandes fühlbar 
ist. Die Aufsuchung des genannten Loches durch den tastenden Finger kann 
nun in einfacher Weise und mit aller nötigen Genauigkeit auch durch den 
folgenden Handgriff erzielt werden. Läßt man den an den Nasenrücken an- 
gelegten Zeigefinger ?) an der seitlichen Abdachung der Nase herabgleiten, 
bis er mit seiner volaren Fläche der Wangenfläche des Oberkiefers, mit 
seinem der Nase zugekehrten Rand aber noch der seitlichen Abdachung 
der Nase anliegt — in diese Lage stellt sich der Finger bei’ der angege- 
'benen Bewegung von selbst ein — und zieht ihn nun soweit nach abwärts, 
daß sich die Fingerkuppe, die zuerst dem Margo infraorbitalis anlag, etwa 
einen Zentimeter nach der Mundspalte verschiebt, dann liegt die Finger- 
kuppe über dem Foramen infraorbitale. Gegen diesen Punkt wird, wie oben 
erwähnt, eingestochen. Nach Entleerung einiger Tropfen der Injektions- 
flüssigkeit, tastet man mit der Nadel das kleine, von der Fingerkuppe be- 
deckte Knochenareale ab, und wird leicht den Augenblick feststellen kön- 
nen, in dem die Nadel in das Ende des Kanales hineinfällt. Dies ist da- 
durch möglich, daß der Kanal bei seinern von hinten oben außen nach 
vorne unten innen gerichteten Verlaufe an der facialen Öberkieferfläche 
schief. ausmündet und die Nadel die längere innere Wand über die kürzere 








3) Anders als bei der mandibularen Anästhesie wird hier bei Injektion 
an der rechten Seite des Patienten die rechte Hand zum Tasten, die linke zur 
Führung der Spritze verwendet und umgekehrt an der linken ‘Seite. 


Referate und Bücherbesprechungen. 2 


äußere hinweg erreicht. Auch für die perkutane Injektion in den Canalis 
infraorbitalis ist die angegebene Methode völlig ausreichend, wenn man 
nur auch hier dem vorsichtigen Tasten mit der Nadel mehr vertrauen will, 
als einer komplizierten und scheinbar exakten geometrisch konstruktiven 
Bestimmung der Einstichstelle. 


Referate und Bücherbesprechungen. 





*Praktikum der klinischen, chemischen, mikroskopischen und bakterio- 
logischen Untersuchungsmethoden. Von Dr.M. kKlopstock und Dr. 
A.Kowarski. Fünfte, umgearbeitete und vermehrte Auflage. Urban 
& Schwarzenberg, 1918. 


Daß innerhalb relativ sehr kurzer Zeit fünf Auflagen, davon drei 
während der Kriegszeit, notwendig wurden, ist wohl der beste und sicher- 
ste Beweis für die Qualität des Buches, das an Quantität das reichlich Ge- 
nügende in kompendiöser Form bietet. 500 Seiten Text, in welchem 30 Ab- 
bLildungen, ferner 24 farbige Tafeln umfassend, erschöpft es das Gebiet deı 
gesamten klinischen Diagnostik, das Kapitel: „Untersuchung der Sekrete 
und Beläge des Mundes und Rachens“ sei als das uns am meisten interes- 
sierende hervorgehoben. Eingehend abgehandelt sind darin: Gewinnung des 
Untersuchungsmateriales, Diphtheriediagnose, Soor, Angina Vincenti (Ba- 
cillus fusiformis und Mundspirochäte), Stomatitis ulcerosa, Noma, Menin- 
gokokken. i 

Die in praxi noch viel zu wenig eingebürgerte mikroskopische Dia- 
gnose der genannten Erkrankungen wird neuerdings als durchaus im Be- 
reich des behandelnden Arztes der Erwägung nahe gebracht. 

Das Postulat der Einbeziehung der verwandten Wissenszweige in 
den Bereich des einzelnen Spezialisten erfährt bei der Lektüre des. leicht 
faßlich und merkbar geschriebenen Buches neue Unterstützung. 

Das Werk überschreitet nicht wesentlich den Umfang der bekannten 
„Kleinen Kompendien“ ohne jedoch in deren Fehler der Oberflächlichkeit 
zu verfallen. 

Die übrigen Abschnitte — Untersuchung der Sekrete und Exkrete 
(Nase, Konjunktivalsack, Sputum, Mageninhalt, Fäzes, Harn, Harnröhre, 
Prosata, Uterus), ferner Blut, Punktionsflüssigkeiten, bakteriologische 
Untersuchung der Haut sowie allgemeine Methodik der bakteriologischenı 
Färbung und Züchtung machen in ihrer Gründlichkeit und zusammenfas- 
senden Kürze das Buch zu einem vollgültigen Nachschlagewerk für den 
Kliniker und Praktiker. 

Über die Ausstattung, die der Verlag dem Buche hat angedeihen 
lassen, ist zu sagen, daß man ihr die Kriegszeit und — Not in keiner 
Weise anmerkt. Wohl das höchste Lob, das jetzt vergeben werden kann. 

—des. 


22 Referate und Bücherbesprechungen. 


Vorschläge für eine einheitliche Bezeichnung der Zähne und ihrer Teile. 
Von H.Türkheim, Hamburg. D.M.f.Z., H.2, Februar 1918. 


| Der vorliegende Versuch Türkheims, die zahnärztliche Nomen- 
klatur zu reformieren, ist gewiß dankenswert und zum mindesten an- 
regend. — Sprachlich völlig korrekt wäre der Ersatz der Bezeichnung 
mesial durch medial. Dagegen scheint mir der Vorschlag, die den 
Lippen und Wangen einerseits, der Zunge und dem Gaumen andrerseits 
zugekehrten Zahnflächen mit frontal und dorsal zu bezeichnen, nicht glück- 
lich, da wir mit diesen beiden Benennungen ganz bestimmte anatomische 
Lagebeziehungen verbinden. Und von der tatsächlichen Lage der einzelnen 
Zähne ganz abzusehen, brächte wohl Verwirrung hervor. Da eine einheit- 
liche Bezeichnung gleichwohl sehr vorteilhaft wäre, sollte man die Namen 
„oral“ und „vestibular“ für die Innen- und Außenfläche der Zähne in Er- 
wägung ziehen. — Wenn sich Türkheim gegen die stets willkürlich 
wechselnde Bezeichnung der Prämolaren mit Recht wendet, so fehlt mir 
andrerseits der Vorschlag zur Ausmerzung einer wissenschaftlich noch un- 
logischeren Benennung, nämlich der „Milchmolaren“, die ja doch Milch- 
prämolaren sind. — Was seine Bedenken gegen die Schreibweise der 
Zähne im Koordinatenkreuz anlangt, so bin ich doch der Ansicht, daß die 
allgemein geübte Art die bessere ist. Wir sind eben gewohnt, uns z. B. bei 
der Lektüre über irgend einen zahnärztlichen Eingriff, das uns zugekehrte 
Gesicht des Patienten vorzustellen, wie wir es täglich so oft im Operations- 
raum sehen, und teilen demnach automatisch die am Papier rechts von 
der Ordinate stehenden Ziffern der linken Gesichtshälfte des Patienten zu. 
— Nochmals sei aber hervorgehoben, daß die Vorschläge Türkheims 
in ihrem Grunde gewiß berechtigt sind und daß eine kommissionelle Fest- 
stellung einer neuen resp. einheitlichen Nomenklatur für unser Spezialgebiet 
sicher sehr vorteilhaft wäre. Sicher. 


. Weiteres zur Theorie über die Ursachen der Kieferverunstaltung de» 
„hohen Gaumens“. Von Paul Wüustrow. D. M.f. Z., H.1, 1918. 

In der Dikussion, ob nach Kantorowicz die behinderte Mund- 
atmung — bei primärem Atmungshindernis in der Nasenhöhle — oder 
nach W. die Keilwirkung der nach innen geneigten Unterkieferzähne auf 
die nach außen geneigten des Oberkiefers ätiologisch für die Entstehung 
des hohen Gaumens in Frage komme, ergreift nochmals Wustrow das 
Wort. Obwohl sich wieder der Hauptteil der Arbeit damit beschäftigt, 
ob der Gaumen als „Gewölbe“ anzusehen sei oder ob der Alveolarfortsatz 
selbständig mechanisch betrachtet werden darf, liegt meiner Meinung das 
Hauptgewicht doch auf zwei anderen Momenten, wie ich dies schon seiner- 
zeit gelegentlich eines Referates hervorhob. Nach Kantorowicz folgt 
bei normaler Nasenatmung einer geringen negativen inspiratorischen 
Schwankung in der Mundhöhle eine entsprechende positive exspiratorische, 
festgestellt durch manometrische Messungen. W ustrow hingegen leugnet 
die letztere, aber ohne Messungen beizubringen. 

Die Entstehung des hohen Gaumens bei verlegten Nasenwegen erfolgt 
nun nach W. durch die Keilwirkung der Molaren während des Kauaktes, da 
sie nicht in horizontaler, sondern in nach innen und unten konvergent ge- 
neigten Kauebenen aufeinandertreffen. Dazu wäre nun zu bemerken, daß die 
Annahme Wustrows, die Zahnreihen seien in der Nacht stets voneinander 


Referate und Bücherbesprechungen. 23 


entfernt, keineswegs richtig ist. Mit der größten Leichtigkeit kann man 
sich davon überzeugen, daß ein großer Teil der Nasenatmer während des 
Schlafes sehr energische Knirschbewegungen macht oder doch die Zähne 
krampfhaft aufeinanderpreßt. Die hier auftretenden Kräfte — die, neben- 
bei bemerkt, oft an eigentümlich gelagerten Schliffflächen kenntlich sind 
— sind zweifellos vielfach größer als die während des normalen Kauaktes 
wirkenden. Und gerade diese Kräfte können bei Mundatmern nicht 
auftreten. Sollte nun wirklich die Keilwirkung der Molaren gerade hier, 
wo diese nächtlichen Bewegungen fehlen, deformierend wirken, während 
bei normaler Atmung die durch das nächtliche Knirschen oft so sehr 
gesteigerte Druckwirkung durch den negativen Atmungsdruck in der Mund- 
höhle kompensiert wird? Ich kann vorläufig nur wiederholen, daß mir 
die Ausführungen von Kantorowicz noch immer als wohlbegründet 
erscheinen. Sicher. 

Über die chirurgisch-bakteriologische Theorie der Wurzelbehandlung. Von 

Paul Wustrow. D. M.f. Z., H. 12, 1917. 


Die Arbeit gilt hauptsächlich der Untersuchung über die Brauch- 
barkeit der Thymolwurzelfüllung. In der Literatur findet sich nämlich die 
Behauptung, daß die mit Thymolkristallen gefüllten Wurzelkanäle durch 
Verflüssigung und Verflüchtigung bald leer sind (Müller). Daß tatsäch- 
lich eine Verflüssigung des Thymols eintritt, konnte auch Wustrow 
nachweisen. Dagegen glaubt er nicht an eine rasche Verflüchtigung des 
Thymols, dem ja nur die Wege durch die Dentinkanälchen und das Fora- 
men apicale offen stehen; zumindest läßt sich nach angestellten Versuchen 
erwarten, daß das Thymol länger im Kanal erhalten bleibt, als unter 
seiner Einwirkung Bakterien keimfähig bleiben können. Um doch die Mög- 
lichkeit einer Verflüchtigung tunlichst einzuschränken, empfiehlt Wastow 
entweder das Bepinseln der Kanalwände mit einer Mastisollösung, um die 
Dentinkanäle zu verschließen, und die nachfolgende Füllung mit einer 
Jodoformthymolpaste (?/s Thymol, t/s Jodoform mit Thymolwasser ange- 
rührt) oder den Ersatz des Thymolwassers in der angegebenen Paste durch 
Mastisol oder Harwardlack. Die Nachprüfung der Brauchbarkeit dieser 
Wurzelfüllungen, die theoretisch wohl begründet ist, wird hoffentlich bald 
und in möglichst ausgedehntem Maße erfolgen. Sicher. 





Über Gefäßverletzungen bei Lokalanästhesie im Gebiete der Mundhöhle. 
Von Hermann Kühns, Rostock. D. M. f. Z., H.3, 1918. 


Als Kriterium für eine erfolgte Gefäßverletzung kommt nach Kühns 
eine im Bereiche des Gesichtes auftretende anämische Hautstelle in Be- 
tracht. Sie betrifft natürlich mehr minder genau das kutane Verbreitungs- 
gebiet des betreffenden Gefäßes oder seiner Äste. Am häufigsten ereignet 
sie sich — besser wäre es zu sagen, manifestiert sie sich — bei der 
Leitungsanästhesie am Foramen infraorbitale, wo die gleichnamigen Ge- 
fäße, eventuell die A. maxillaris externa verletzt wird; durch Verbreitung 
des suprareninhaltigen Anästhetikums erfolgt dann. eben die fast totale 
Kontraktion der Gefäßäste und demgemäß treten an Wange, unterem 
Augenlid und Nase die anämischen Bezirke auf. — Die Injektion an der 
hinteren Austrittsstelle der Nervi palatini descendentes aus dem Canalis 


94 Referate und Bücherbesprechungen. 


pterygopalatinus — also an dem Foramen palatinum posterius majus, 
nicht anterius, wie Kühns in Anlehnung an Bunte und Moral 
schreibt — läßt entweder eine Verletzung der gleichnamigen Gefäße oder 
eine interstitielle Verbreitung der Injektionsflüssigkeit durch den Canalis 
pterygopalatinus in die Fossa sphenopalatina zu. Dadurch kommt es zu 
Beeinflussungen ebenfalls der Infraorbitalgefäße und zu entsprechenden 
Anämien. — Einmal hatte Injektion am Foramen incisivum (palatinum 
anterius) ein streifenförmig von der Mundspalte bis zur Haargrenze längs 
der Mittellinie aufsteigendes anämisches Gebiet zur Folge. Es ist wohl 
nur durch Beeinflussung der A. maxillaris externa, durch eine Anastomose 
(wohl mit der Angularis) und dieser selbst zu erklären. Die mandibulare 
Leitungsanästhesie hatte unter 1000 Fällen nur einmal eine Anämie in 
der Gegend des Foramen mentale zur Folge, deren Erklärung ja selbst- 
verständlich ist. 

Was vor allem praktisch wichtig ist, wäre der Umstand, daß keine 
dieser Gefäßverletzungen üble Folgen gezeitigt hat. Zu erwägen wäre 
nur noch, ob wirklich in allen den Fällen, in denen anämische Hautbezirke 
zu beobachten sind, eine Gefäßverletzung angenommen werden muß, oder 
ob nicht vielleicht die Injektion knapp an das Gefäß besonders bei emp- 
findlichen Personen bereits mittelgroße Arterienstämme zur vollen Kon- 
traktion bringen könnte und damit die Erscheinung bereits zu erklären 
wäre. Fraglich ist ferner, ob Injektion in eine Vene überhaupt Anämien 
erzeugen kann. Zur Entscheidung dieser Fragen wären eben Tierversuche 
noch nötig. Sicher. 


* Über die Behandlung alter Knochenfisteln nach Schußverletzungen. Von 
Emil Kautt. (Aus der chirurgischen Abteilung des Reservelazaretts 
Ettlingen.) Gedruckt mit Genehmigung des Sanitätsamtes des 14. Armee- 
korps. Inaugural-ID)issertation, Heidelberg 1917. 

Unter den zahlreichen Kriegsverletzungen fällt eine Erkrankung be- 
sonders auf, da sie unter der Zahl der chirurgischen Fälle bedeutend über- 
wiegt. Es sind das die hartnäckigen Knochenfisteln nach Schußverletzungen 
mit Zertrümmerung eines Knochens oder eines Gelenks. Bei der großen 
Mehrzahl dieser Fälle liegt der Zeitpunkt der Verwundung schon sehr 
lange, bei einigen sogar bis zu Anfang des Krieges zurück, und heute be- 
steht noch immer eine Knochenfistel, die nicht die geringste Neigung zur 
Ausheilung zeigt. 

Bleiben nun längere Zeit nach der Konsolidierung einer Schußfraktur 
Knochenfisteln bestehen, die keine Neigung zur Ausheilung zeigen, so kann 
man mit ziemlicher Bestimmtheit auf die Anwesenheit von Sequestern 
schließen. Es können dies primäre Knochensplitter sein, die nicht mehr 
einheilten und nekrotisierten, oder auch solche, die erst durch den osteo- 
myelitischen Prozeß am Knochen sich gebildet haben. 

Über den Aufschluß, den uns das Röntgenbild über Anwesenheit, 
Form, Größe und Zahl von Sequestern geben soll, gehen die Ansichten 
sehr auseinander. Das Röntgenbild kann wohl die Diagnose unterstützen, 
häufig aber nur einen mangelhaften Aufschluß über Lage, Zahl und Größe 
der Sequester geben. Meist bekommt man kein klares Bild, wie bei der 
chronischen Osteomyelitis, wo man Knochenhöhle und Sequester deutlich 
erkennen kann, sondern vielmehr decken sich im Bilde einer älteren Splitter- 


Referate und Bücherbesprechungen. 25 


fraktur der mächtige Kallus, Knochenhöhle und Sequester, und häufig ist 
nicht zu unterscheiden, was atypisch gestellter und eingeheilter oder was 
abgestorbener Knochen ist. 

Ist weder durch Sondieren noch durch das Röntgenverfahren ein 
Sequester festzustellen, so ist damit nicht gesagt, daß auch wirklich keiner 
vorhanden ist. Denn einerseits kann er, wie gesagt, von so starken Kallus- 
massen umgeben sein, daß er auf der Röntgenplatte nicht sichtbar wird, 
andrerseits können auch die Fistelgänge bis zu der Stelle, wo der Sequester 
liegt, vielfach gewunden oder verlegt sein, so daß er mit der Sonde nicht 
zu erreichen ist. Auch in diesen Fällen wird man, wenn man einige Zeit 
abgewartet und die Fistel keine Neigung zur Heilung gezeigt hat, zur 
Operation schreiten und häufig wird sich doch noch irgendein verborgener 
Sequester finden, der die Eiterung unterhielt und die Heilung verhinderte. 

Die Behandlungsmethode der Knochenfisteln nach Schußverletzungen, 
die am meisten Aussicht auf Erfolg hat, ist die Radikaloperation, wie 
sie für die chronische Osteomyelitis angegeben und während des Krieges 
für die Behandlung von Knochenfisteln nach Schußfrakturen erneut von 
Axhausen, Franke, Janssen u.a.m. empfohlen worden ist. 

In Anbetracht dessen, daß die Operationen von Knochenfisteln meist 
eine große chirurgische Erfahrung und Technik erfordern, wäre die Frage 
zu erörtern, ob man nicht auch bei den Knochenfisteln nach Schußver- 
letzungen eine Konzentration der Fälle in bestimmten Lazaretten an- 
streben soll, wie das bei anderen Kriegsvefletzungen bereits durchgeführt ist. 

Oberstabsarzt Zilz. 





Zum Krankheitsbilde des Skorbuts. Von R.Pfeiffer. Deutsche med. 
Wochenschr., Nr. 23, 1918. 


Hautveränderungen zeigten sich in der überwiegenden Mehr- 
zahl und überaus wechselnder Form. Relativ selten war das typische Bild 
der Purpura. Seltener war eine großfleckige Form mit spärlicher Aussaat. 
Flächenhafte Hämorrhagien mit heller oder dunkler Tönung waren 
scharf gegen die Umgebung abgesetzt oder wiesen allmähliche Übergänge 
und gelegentliche Ausdehnung über große Gliedabschnitte auf. 

Die Beteiligung des Muskelapparats am Skorbutprozeß war 
häufig und verlief in wechselvollen Bildern. Im Beginne fehlten oft ob- 
jektiv nachweisbare Veränderungen, oder sie beschränkten sich auf leichte 
Druckempfindlichkeit bei lebhaften, spontanen, als Rheumatismus gedeu- 
teten Schmerzen. Mit zunehmender Erkrankung änderte sich die Konsi- 
stenz; die befallenen Muskeln fühlten sich fester an, die Derbheit stieg 
bis zur steinernen Härte. | 

Schleimbeutelerkrankungen kamen nicht zur Beobach- 
tung. Freibleiben de Knochensystems war :Ausnahme, Mitbeteili- 
gung am Skorbutprozesse die Regel. An den Oberschenkelknochen entwickel- 
ten sich gelegentlich Bilder, die an Osteomyelitis, Tumoren und Ba r- 
lowsche Krankheit erinnerten. 

Zahnfleischerkrankung fehlte gelegentlich in einwand- 
freien, diagnostisch sicheren Skorbutfällen während des ganzen Verlaufs 
völlig oder war nur in leichtem Grade und in einer an sich uncharakteri- 
stischen Form sichtbar. Umgekehrt war und blieb eine typische Mundaffek- 
tion gelegentlich das alleinige Symptom der Skorbuterkrankung. Die Be- 


26 Referate und Bücherbesprechungen. 


schaffenheit der Zähne hatte — entgegen früheren Anschauungen — kei- 
nen maßgebenden Einfluß: man sah normales Zahnfleisch bei schlechten 
Zähnen und schwere Entzündungen trotz wohlerhaltenen Gebisses.. Wich- 
tiger schien das Fehlen der Zähne; die dadurch geschaffenen Lücken waren 
meist verschont oder nur wenig beteiligt. 

Bei typischer und starker Ausbildung war die Skorbutaffektion im 
Munde nicht zu verkennen. Das Zahnfleisch war geschwollen, blaurot, blu- 
tend, mit zapfenförmigen Ausläufern. Besonders am Oberkiefer entstanden 
zu beiden Seiten der Zahnreihen durch gleichmäßige Schwellung dicke 
Wülste, die vorn zwischen den geöffneten Lippen sichtbar waren und sich 
hinten als daumendicke, wurstähnliche, zum Teil nekrotische Gebilde in 
der Mitte des harten Gaumens fast berührten. Blutungen erfolgten nicht 
nur beim Kauen und Sprechen, auch spontan sickerte Blut dauernd her- 
vor, die Zähne lockerten sich, starker Foetor ex ore stellte sich ein. Na- 
türlich waren so hochgradige Entzündungen Ausnahmen, meist war der 
Prozeß weniger intensiv oder beschränkte sich in typischer Form auf ein- 
zelne Stellen, an denen man zwischen zwei Zähnen blaurote Zapfen 
gewahrte. 

Das Allgemeinbefinden blieb in leichten Fällen gut, hart- 
näckige Schmerzen und starke Zahnfleischentzündung mit ihren Folgen 
zeitigten erhebliche Kräfteabnahme. 

Die Prognose war quoad vitam günstig. Kein Patient ging an 
unkompliziertem Skorbut zugrunde. 

Für die Ätiologie ergaben sich aus dem anamnestischen Materi- 
ale keine brauchbaren Anhaltspunkte. Eine infektiöse Ursache des Skorbuts 
ist nach den Erfahrungen des Autors sehr unwahrscheinlich, Auslösung 
durch alimentäre Schädigung nahezu sicher. Zilz. 





Spirochätenbefunde und Salvarsan bei Alveolarpyerrhoe. Von Dr. Fritz 
Lesser und Zahnarzt Witkowski, Berlin. Med. Klinik, Nr. 48, 1917. 
Die beiden Autoren sind bereits im Jahre 1913 der Frage der Alve- 
olarpyorrhoe und Salvarsan nähergetreten. Die Versuche, die durchwegs 
gute Resultate zeitigten, wurden jedoch zu zaghaft durchgeführt, indem 
niemals mehr als 2 intravenöse Injektionen verabreicht wurden. Trotzdem 
ergaben die nach 31/2 Jahren kontrollierten Fälle die ganz überraschenden 
Erfolge der Salvarsantherapie. Objektiv nachweisbar war das frische rosige 
Zahnfleisch, die Zähne sind vollzählig erhalten und haben keine Lockerung 
oder Dislokation erfahren. Die Patienten selbst bestätigen, daß das 
schmerzhafte nervöse Gefühl aus dem Kiefer verschwunden und während 
der ganzen Zeit nicht wieder aufgetreten ist. Die beiden Autoren nehmen 
wegen der ungenügend durchgeführten Therapie keine Priorität in An- 
spruch, sondern wollen nur die günstige Wirkung des Salvarsans auf Al- 
veolarpyorrhoe bestätigen. 
Kriegszahnklinik, Jänner 1918. Hofer. 





Zur Klinik der dentalen Aktinomykose. Von Dr. Kantorowicz, 
München. D. M. f. Z., H.2, 1918. 

An 6 Fällen von bakteriologisch sichergestellter Aktinomykose den- 

talen Ursprungs hebt Kantorowicz vor allem die besondere Gutartig- 


Vereins- und Versammlungsberichte. 97 


keit der beobachteten Fälle hervor. Sie haben als gemeinsames das Fehlen 
von Knochenveränderungen, obwohl ja die Prozesse den Kiefer durch- 
setzten. Sie heilten sämtlich auf Inzision, eventuell Exkochleation mit 
nachfolgender Drainage ohne Jodkalium- oder Röntgentherapie. Verfasser 
spricht wohl mit Recht die Vermutung aus, daß viele derartige aktino- 
mykotische Prozesse unerkannt behandelt und geheilt nn i 
icher. 


Vereins- und Versammlungsberichte. 





Verein österreichischer Zahnärzte. 
Ordentliche Monatsversammlung vom 14. November 1917 in der Poliklinik. 
Tagesordnung. 


1. Mitteilungen des Präsidenten. 

2. Dr. Viktor Frey: Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß mit 
besonderer Berücksichtigung der nervösen Störungen. 

3. Allfälliges. 


Präsident begrüßt die Anwesenden und teilt mit, daß vor dem an- 
gesetzten Vortrag des Dr.Frey Herr Dr.Schwabe und Herr Prof. 
W eiser kleine Demonstrationen abzuhalten wünschen. 


Dr.Schwabe demonstriert einen Fall von schiefem Biß infolge 
Arthritis deformans des Gelenkköpfchens des Unterkiefers, bei einem 34- 
jährigen gesunden Mann. Die Verschiebung des Unterkiefers nach rechts 
beträgt 14mm in der Mittellinie, so daß i] auf |3 beißt, und ist im Laufe 
von drei Jahren spontan ohne vorhergegangenes Trauma oder Luxation 
entstanden. Früher bestand völlige Symmetrie der beiden Kiefer, dies ist 
deutlich an den Modellen der oberen und unteren Zahnreihe zu sehen, die 
in die frühere normale Okklusion recht gut eingestellt werden können. 
Patient hatte keine Gonorrhoe oder Lues durchgemacht, auch für Akro- 
megalie besteht kein Anhaltspunkt. Die Röntgenbilder der Sella turcica 
zeigen normale Verhältnisse. Bemerkenswert ist bloß eine Hyperästhesie 
im zweiten Ast des linken Trigeminus und gelegentliche leichte neural- 
gische Schmerzen in dessen Bereiche. Die Röntgenbilder der Kiefergelenke 
zeigen rechterseits normale Verhältnisse, das linke Gelenkköpfchen ist be- 
trächtlich vergrößert, zeigt unscharfe Grenzen gegen die Nachbarschaft, 
hat die Gelenkgrube verlassen und steht bei geschlossenem Munde auf 
der Eminentia articularis. Sehr charakteristisch für das Krankheitsbild 
und ein Beweis dafür, daß der aufsteigende Ast und Körper des Unter- 
kiefers nicht verändert ist, ist der Umstand, daß beim Öffnen des Mundes 
die Asymmetrie völlig verschwindet. | 

Zwei analoge Krankheitsbilder hat Prof. von Eiselsberg im 
Archiv für klinische Chirurgie Bd. 76, S.587 beschrieben, die beide, ganz 
gleich wie in unserem Fall, allmählich ohne Schmerzen oder Kieferklemme 
entstanden sind. Beide wurden durch Resektion des Gelenkköpfchens ge- 
heilt, so daß normaler Biß eintrat; die reseziertten Köpfchen waren be- 
trächtlich vergrößert und wiesen eine unregelmäßige rauhe Oberfläche auf. 


28 Vereins- and Versammlungsberichte. 


Diese Operation ist auch im vorgestellten Falle geplant, nur soll die rich- 
tige Einstellung nach der Operation durch Gleitschienen gewährleistet 
werden. Somit ist der beschriebene Fall, ganz analog den beiden operier- 
ten, ein. abgegrenztes Krankheitsbild eine isoliert auftretende Arthritis 
deformans in einem Kiefergelenk. 

Prof. Weiser: Der Fall erinnert durch sein spontanes Auftreten 
einer schweren Artikulationsstörung und wegen seiner Komplikation mit 
Trigeminus-Neuralgie an .den im K. u. k. Reservespital Nr. 17 (Kieferspital) 
ambulatorisch behandelten k.u.k. Militär-Rechnungsrat M. Patient hat 
in der genannten Anstalt über Empfehlung seines Neurologen Hilfe ge- 
sucht, um seine völlig darniederliegende Kaufunktion tunlichst zu heben. 
Die anfangs dunkle Ätiologie der Funktionsstörung wurde in richtiger 
Weise durch den Chefarzt der zweiten Abteilung des Reservespitals Nr. 17 
R.-A. Dr. Emil Steinschneider gedeutet und durch den röntgeno- 
logischen Befund erhärtet. Steinschneider konstatierte eine ver- 
altete irreponible Luxation des rechten Kiefergelenkes und erkannte in 
genialer Weise als Ursache derselben eine durch vorausgegangene thera- 
'peutische, vom Neurologen ausgeführte Alkoholinjektionen in den Stamm 
des dritten Trigeminusastes, wodurch die bekanntlich vom Trigeminus in- 
nervierten Kaumuskel +) gelähmt worden waren. Durch das Übergewicht 
der funktionstüchtigen Kaumuskulatur der linken Seite des Unterkiefers 
war die scheinbar spontane Luxation habituell geworden. Die Trigeminus- 
neuralgie blieb während der sich auf zwei Jahre erstreckenden Beobachtungs- 
zeit völlig aus und die Artikulationsstörung konnte bei dem vielfache und 
ausgedehnte Zahnlücken aufweisenden unteren Zahnbestande des Patien- 
ten durch ein entsprechendes Zahnersatzstück in ganz befriedigender Weise 
behoben werden. Während nun dieser Fall auf den ersten Blick auch als 
eine artheritische Gelenksdegeneration imponiert hatte, erwies er sich bei 
genauerer Differenzierung als eine auf Nervenläsion basierte Luxation. 

Prof. W eiser demonstriert einen Fall, der in der serbischen Kriegs- 
gefangenschaft Skorbut durchgemacht hat. 

Dem Patienten fehlen im Unterkiefer alle Zähne bis auf die beiden 
letzten Molaren links unten, wovon außerdem der vordere stark ge- 
lockert und kariös ist, der Weisheitszahn in lingualer Malokklusion sich 
befindet. Zu Beginn der Behandlung wies der Patient Ankylose höchsten 
Grades an beiden Kiefergelenken auf. Außerdem bestand völliges Verstri- 
chensein des Vestibulum oris im Bereiche des ganzen Unterkiefers. Lippen 
und Wangenschleimhaut gingen direkt in die Schleimhaut des Mundhöhlen- 
bodens über. 

Behufs operativer Wiederherstellung des Vestibulum oris und Herbei- 
führung von anatomischen Verhältnissen, welche die Ausführung und die 
Gebrauchsfähigkeit einer Unterkieferprothese gewährleisten würden, wandte 
sich die zahnärztliche Abteilung der Wiener allgemeinen Poliklinik an die 
I. Abteilung des Kieferspitales in Wien (Reservespital Nr. 17). 

Der zu jener Zeit dem Kieferspital zugeteilte holländische Spezia- 
list für Weichteilplastiken Dr. J.F.Esser legte rechts und links von 
der Gegend des Lippenbändchens je einen Epitheleinschluß längs des Al- 
veolarrandes des Unterkiefers an. Er ging dabei in Anlehnung an die 


1) Der Fazialis versorgt nur die mimischen Muskel. 


Vereins- und Versammlungsberichte. 29 


seinerzeit von Gersuny ausgeführte plastische Wiederherstellung einer 
Vagina und die von Moszkowicz daraus geschöpfte Anregung für 
andere Weichteilplastiken in folgender Weise zu Werke: 

Von einem vertikalen extraoralen Schnitte in der Kinngegend drang 
er, sich mit dem Hefte eines Skalpells stumpf einen Kanal in die Weich- 
teile bohrend, längs der den unteren Eck- und Backenzähnen entsprechen- 
den Partien des Alveolarkammes rechts und links vor. Für die so 
geschaffenen Kanäle stellte er über meine Empfehlung aus Stents-Abdruck- 
masse geformte und mit hochprozentiger Jodoformgaze überzogene Ein- 
lagen her, welche als die Träger von mit ihrer Epidermisseite gegen die 
Jodoformgaze, mit ihrer wunden Seite gegen die Wundkanalwände sehen- 
den „Thierschlappen‘“ dienten. Die letzteren waren der Haut der Innen- 
geite des linken Oberarmes entnommen worden und heiltn nach Knopfnaht 
der Operationswunde reaktionslos ein. 

Ungefähr 14 Tage später wurden die Epitheleinschlüsse durch intra- 
orale Längsschnitte entsprechend dem Alveolarkamm von 5 4 3[3 45 frei- 
gelegt, die Stent- und Jodoformgazeeinlagen entbunden, wobei sich zeigte, 
daß die Thierschlappen in der ganzen Ausdehnung prompt angeheilt waren, 


Um das so erreichte Vestibulum oris dauernd offen zu halten, wurde 
an der zahnärztlichen Abteilung des Verwundetenspitales der Wiener All- 
gemeinen Poliklinik (Vorstand Prof. Dr. Gustav Wunschheim Ritter 
von Lilienthal) trotz der Ankylose ein unteres Gebiß hergestellt. Das 
Letztere diente auch dazu, um bei der Dehnung der Ankylose durch den 
Steinkam m schen Extensionsapparat die Schleimhaut des Unterkiefers 
gegen Decubitus zu schützen. Hierauf folgte die plastische Deckung eines 
lochförmigen Defektes von Hellerstückgröße im Bereiche der rechten 
Hälfte der Unterlippe durch Stabsarzt Dr. Foramitti. 


Das bereits erwähnte Zahnersatzstück erfüllte seine Aufgabe bei der 
Dehnung der Ankylose vorzüglich, konnte jedoch als Kauapparat nicht 
zur Geltung kommen, erstens aus dem Grunde, weil das Gebiß nur links 
verklammert war und weil rechts weder ein einem Alveolarfortsatz auf- 
biegender Sattel, noch eine Klammer oder auch nur eine Gebißfeder an- 
gebracht werden konnte. 

Zur Behebung dieser Übelstände schlug Prof. Weiser folgenden 
teils chirurgischen, teils zahnärztlichen Behandlungsweg ein: 

a) Die im linken Vestibulum oris „plica-faleiformis“-artig vorsprin- 
gende Narbe wurde an der Grenze gegen die Mundhöhlenboden-Schleimhaut 
abgetrennt und der so freigewordene Schleimhautrand mittels durchgehen- 
der, an die Epidermis der Wangenschleimhaut über Jodoformgazeröllchen 
geknoteter Seidennähte in der passenden Lage fixiert. Der freie Rand der 
Schleimhaut des Mundhöhlenbodens wird an das freigelegte Periost der 
lingualen Partie des Alveolarfortsatzes angenäht. 


b) Der durch Ablösen der pterygiumartigen Narbenstränge in der 
Mitte des Unterkiefers entstandene Schleimhautdefekt wird mit Epidermis- 
lappen gethierscht, welche der Haut der Beugeseite des rechten Oberarmes 
entnommen wurden. Diese Thierschlappen wurden durch eine intraorale, 
schleimhautwärts mit Jodoformgaze benähte Schiene, welche mittels das 
Kiefermittelstück umfassender Drahtnaht und Knüpfung über extraoralen 
Bleiplättchen fixiert worden war, festgehalten. 


30 Vereins- und Versammlungsberichte. 


c) Um das Vestibulum oris im Bereiche der einstigen rechten unteren 
Molaren zu vergrößern, bediente er sich, um noch sicherer als Esser zu 
Werke zu gehen, eines gestielten haarlosen Hautlappens aus dem rechten 
seitlichen Halsdreieck. Das freie untere Ende dieses um 180° nach auf- 
wärts gedrehten Lappens wurde, nach präventiver doppelter Unterbindung 
der Arteria maxillaris externa und der Vena facialis anterior am Margo 
mandibulae durch einen knopflochartigen, in das Vestibulum oris führen- 
den Schlitz in die Mundhöhle eingeführt, hierauf der freie Rand des haar- 
losen Hautlappens mit dem oberen Rande des Schleimhautschlitzes vernäht. 

Nach Einheilung des in die Mundhöhle verpflanzten Anteiles der 
Halshaut wurde der Hautlappen extraoral durchschnitten und der knopf- 
lochartige Schlitz vernäht. Der als Appendix herabhängende Rest des 
Hautlappens wurde an seinem ursprünglichen Fußpunkte so abgetragen, 
daß ein entsprechend kleinerer Rest zurück bleibt, mittels dessen die an- 
gefrischte Narbe im seitlichen Halsdreiecke plastisch gedeckt werden konnte. 


d) Durch die Plastik Dr.Essers, Foramittis und durch die 
von Weiser vorgenommenen operativen Eingriffe war das Vestibulum 
oris des Patienten für alle Zukunft gesichert und in einen Zustand ver- 
setzt, daß eine untere Prothese mit vollem funktionellen Erfolge ge- 
braucht werden konnte. Die neue Prothese wies zunächst eine Klammer 
um den invertierten |8 auf, nachdem der |? wegen zunehmender Lockerung 
aufgegeben worden war. Rechterseits wurde die Prothese unverrückbar 
festgehalten und insbesondere auch am Aufsteigen, sowie an einem Ver- 
schieben nach vorne oder rückwärts verhindert. Diese die Kaufunktion 
ganz überraschend fördernde Fixation ist dadurch bewerkstelligt, daß der 
rechte äußere Rand der unteren Kautschukprothese einen flügelförmigen 
Fortsatz von 2!/zcm Länge und 1!/2cm Breite schräg nach unten und 
außen in die. mit haarloser Epidermis ausgekleidete von Weiser ope- 
rativ hergestellte taschenförmige Versenkung des rechten unteren Vesti- 
bulum oris herabsendet. 

Weiser meint, es sei die Frage nicht von der Hand zu weisen, 
ob nicht in der Verletzungspraxis des Friedens und in manchen sehr 
schweren und desolaten Fällen von Atrophie des Unterkiefers (praecox 
oder senil) mutatis mutandis eine oder die andere der hier erwähnten Me- 
thoden zur Verwertung kommen kann.“ 

Dr.Breuer beglückwünscht Herrn Professor Weiser zu dem 
schönen Erfolge und stellt die Anfrage, ob derartige Transplantationen 
En der Mundschleimhaut nicht zu nachträglichen starken Schrumpfungen 
ühren. 

Prof. Weiser erklärt, daß nach seinen bisherigen Erfahrungen 
dies nicht der Fall sei. 

Dr.Schwabe berichtet über die Art, wie die Alveolarkammplastik 
durch Thierschung von Dr. Pichler geübt wird. Das Einlegen der mit 
Thierschläppchen beklebten Form als Abdruckmasse geschieht in der von 
Esser angegebenen Weise. Darüber läßt man die Zahnprothese weiter- 
tragen. Nach 10—14 Tagen wird die Nahtlinie, wenn sie nicht von selbst 
aufgegangen ist, was meist der Fall ist, an entsprechender Stelle gespal- 
ten und die Stentseinlage rasch provisorisch mit der Zahnprothese ver- 
bunden. Die gegenseitige Lage der beiden Teile zu einander läßt sich durch 
einen kleinen Gipsabdruck leicht festhalten. Die so umgeformte Prothese, 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 31 


welche an der Basis mit schwarzer Guttapercha bestrichen wird, lassen 
wir ein paar Tage tragen, — sie umfaßt bereits genügend den Alveolar- 
kamm — dann wird der Stentskloß durch Kautschuk an der Prothese er- 
setzt und die Prothese ist den neuen Verhältnissen entsprechend umzuge- 
stalten, wobei der Umstand, daß nur wenige Stunden der Patient ohne 
Prothese bleibt, die sonst recht unangenehme Schrumpfung an den Rän- 
dern der Bucht fast völlig verhindert. 

Dr. Breuer dankt den Herren für die überaus interessanten Demon- 
strationen und erteilt Herrn Dr. Frey das Wort zu seinem Vortrage: 

Dr. Frey spricht über „Das Verhalten der Zähne bei Kieferschuß 
mit besonderer Berücksichtigung der nervösen Störungen.“ (In extenso 
erschienen in der Österr. Zeitschr. f. Stomatologie, Heft 3 u. 4, 1918.) 

Dr. Breuer dankt dem Vortragenden für seine interessanten Aus- 
führungen und schließt, da sich niemand zum Worte meldet, die Sitzung. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 





(Zentralverband der österreichischen Stomatologen.) Im Herbst des 
Jahres 1918 hat der Ausschuß des Zentralverbandes der österreichischen 
Stomatologen seine regelmäßige Tätigkeit wieder aufgenommen. Wohl 
hatte er auch während der Kriegsjahre, soweit es durch die Umstände 
ermöglicht war, pflichtgemäß die Interessen der Zahnärzte gewahrt und 
von Fall zu Fall Sitzungen abgehalten. 

Erst mit der Sitzung vom 5. Oktober 1918 aber begann 
wieder die Reihe der regelmäßigen Ausschußsitzungen. In dieser wurde 
über die Gründung eines Mitteleuropäischen Zahnärzte 
bundes Bericht erstattet, die vom Verein Ungarischer Zahnärzte aus- 
ging und die zur Aufgabe hatte, die Zahnärzte der Mittelmächte zu 
vereinigen. Nach einer langen, von allen Teilnehmern bestrittenen De- 
batte wurde eine Beschlußfassung hierüber mit Rücksicht auf die gegen- 
wärtigen politischen Verhältnisse ausgesetzt. Ein Schreiben dieses Inhalts 
wurde an den Verein abgesendet. 

In der Sitzung vom 10. Oktober 1918 stand die Regie- 
rungsvorlage 1917 über das „Gesetz betreffend das Zahntechnikergewerbe“ 
zur Beratung, in der das von Dr.Breuer verfaßte Referat verlesen 
wurde, das er, dem in der Sitzung des Zentralverbandes vom Juni 1917 
ausgesprochenen Wunsche entsprechend, verfaßt hatte. Nach langer De- 
batte wurde der Beschluß gefaßt, den Gesetzentwurf an der Hand des 
Referates genau durchzugehen, jedoch die Beschlußfassung für einen 
späteren Zeitpunkt zu vertagen. 

In der Sitzung vom 12. Dezember 1913 stand zur Dis- 
kussion 1. die Frage der Reorganisation des Verbandes 
und 2. die Stellungnahme zur wirtschaftlichen Organisation 
der Zahnärzte. 

Hinsichtlich des ersten Punktes wurde nach leidenschaftlich geführter 
Debatte beschlossen, die im Hinblick auf die geänderten Verhältnisse 
notwendig gewordene Reorganisation des Verbandes mit Rücksicht darauf 


32 | Kleine Mitteilungen. 


zu vertagen, daß klare politische Verhältnisse noch nicht geschaffen seien 
und man einer endgiltigen Reorganisation durch einen Beschluß, der nur 
provisorischen Charakter haben würde, nicht vorgreifen wolle Aus den- 
selben Gründen wurde ein Antrag auf Änderung des Titels der Österr. 
Zeitschrift für Stomatologie abgelehnt. 

Die Stellungnahme zu der neu gegründeten wirtschaftlichen Organi- 
sation wurde dadurch veranlaßt, daß der Präsident der vorerwähnten 
Organisation, Herr Dr. K. R. Stein, in einem Artikel in der „Ärzt- 
lichen Standeszeitung‘ vom September 1918 namens aller Zahnärzte 
Österreichs das Wort ergriff, in dem er hinsichtlich der Regelung der 
Zahnärzte-Zahntechnikerfrage Ansichten vertrat, die vom größten Teil 
der Zahnärzte nicht geteilt werden. In dieser Sitzung waren auch zweı 
Vertreter der wirtschaftlichen Organisation anwesend, die das Verhalten 
ihres Präsidenten ebenso zu entschuldigen versuchten wie die befren:- 
dende Tatsache, daß die Gründung der „Organisation“ keinem der be- 
stehenden Vereine zur Kenntnis gebracht wurde, und darauf hinwiesen. 
daß der Präsident in einer Zuschrift an die „Ärztliche Standeszeitung“ 
erklärt habe, im eigenen Namen und nicht im Namen der Zahnärzte ge- 
sprochen zu haben. Es wurde beschlossen, an Herrn Dr. Stein eine 
Zuschrift des Inhalts zu richten, daß er nicht das Recht hatte, im Namen 
aller Zahnärzte zu sprechen und daß diese und ähnliche Publikationen 
geeignet seien, die Bestrebungen der Zahnärzte zu stören. Schreiben ähn- 
lichen Inhaltes wurden übrigens auch vom Verein österreichi- 
scher Zahnärzte und vom Verein Wiener Zahnärzte ab- 
gesendet. 

Im Laufe der Debatte wurde auch die Möglichkeit einer Fusion der 
wirtschaftlichen Organisation mit dem Zentralverband erörtert, ohne daß 
die Aussprache vorderhand zu einem greifbaren Ergebnis geführt hätte. 


Kleine Mitteilungen. 





(Gründung von Schulzahnkliniken.) Das Staatsamt für Volksgesund- 
heit hat an alle Landesregierungen einen Erlaß gerichtet, ungesäumt mit 
der Errichtung von Schulzahnkliniken zu beginnen und für deren Förderung 
die Gemeinden, Schulbehörden, Krankenkassen und die gemeinnützigen 
Vereine zu interessieren. In Wien sollen vorläufig etwa zehn solcher 
Schulzahnkliniken errichtet werden. Das Staatsamt für Volksgesundheit 
wird durch Beistellung von Instrumenten und unter Umständen auch von 
Geldmitteln die Aktion fördern. 


—_—— 109°. —— 


Für den wissensehaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gettlieb Gistel & Cie., Wien, II., Mlinzgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


m Zahnärzte Österreichs. 


Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 


Februar ` 1919. 2. Heft. 





| XVII. Jahrgang. 








Nachdruck verboten. 


Original Arbeiten. 





Interessante Fälle aus der Praxis. 
Von Dr. Franz Peter, Wien. 


Die Fälle, die ich mir im folgenden zu publizieren erlaube, sind 
„praktische Fälle“ aus dem Feldzahnambulatorium des ehemaligen k. u. k. 
7. Korps. Es sind Fälle, die jedem Praktiker unterkommen können und 
deren Behandlung insbesondere auf dem Lande, wo die diagnostischen 
und therapeutischen Behelfe der Großstadt fehlen, sich in denselben Bahnen 
bewegen, die der Feldzahnarzt betreten muß. Die zahnärztliche Pflege 
des Feldheeres oblag den Zahnambulatorien und den Kieferspitälern. 
Diese letzteren, in größeren Zentren als moderne Spitäler eingerichtet, 
haben den schwierigen Teil der Kieferverletzungen übernommen, die ge- 
wöhnliche zahnärztliche Behandlung wurde in den Ambulatorien ausge- 
führt. Bei der Größe der im Kriege verwendeten Truppenmassen war 
natürlich der Zugang zu den Ambulatorien ein unbegrenzter; hat es doch 
Zeiten gegeben, wo drei Divisionen mit allen ihren Trains, Kommandos, 
wo einige Feldspitäler und die übrigen korpsunmittelbaren Formationen 
alle ihre Zahnkranken an das einzige Korpszahnambulatorium abgegeben 
haben. Über die organisatorischen Verfügungen, Einrichtungen etc. Be- 
trachtungen anzustellen, hat heute wenig Zweck, da ja die ganze militä- 
rische Organisation aufgehört hat und ein Zukunftskrieg in undenkbarer 
Weite liegt. Was wir Ärzte der Feldambulatorien während der langen 
Kriegszeit in mühevollen Jahren geleistet haben, das war Kulturarbeit 
und -Praxis. 

Und nun die Fälle: 

Blutungen, welche nach Zahnextraktionen auftreten, können 
zweierlei Art sein: 

1. Blutungen, welche ihren Grund in der veränderten oder patho- 

logischen Beschaffenheit des Blutes haben, und ` 

2, Blutungen infolge ungünstiger anatomischer Verhältnisse, also 

infolge ungünstigen Verlaufes oder ungewöhnlicher Größe eines 
Blutgefäßes. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 3 





34 Franz Peter. 


In der Feldambulanz, die ich 3 Jahre lang geführt habe, sind — den 
Verhältnissen entsprechend — eine sehr große Zahl von Zahnextraktionen 
vorgekommen. Doch erinnere ich mich nur einer ganz geringen Anzahl 
von wahren Nachblutungen. Zwei Fälle betrafen Offiziere, in deren 
Familien bereits Todesfälle infolge von Zahnextraktionen vorgekommen 
sind; ein Umstand, auf den die Herren mich nicht vor der Extraktion 
aufmerksam gemacht hatten. In beiden Fällen waren starke Nachblutungen, 
die aber durch exakte Jodoformgazetamponade gestillt werden konnten. 
Auch in allen anderen Fällen, es sind aber unter Tausenden von Fällen 
nur einige vorgekommen, genügte die Tamponade und festes Aufbeißen 
auf einen Wattebausch zur Blutstillung. Ich habe nie von irgendwelchen 
chemischen oder medikamentösen Mitteln Gebrauch gemacht. 

Zur zweiten Gruppe von Blutungen gehören Fälle, wo die abnorme 
Nähe der Art. alveolaris zur Wurzelspitze oder zum : Wurzelspitzenprozeh 
eine Zerreißung dieser Arterie, insbesondere im Unterkiefer bewirkt; auch 
Fälle, bei denen in der Schleimhaut eine kleinere Arterie sich befindet, die, 
bei der Extraktion lädiert, die Blutung verursacht. Die Blutung in letzterem 
Falle ist durch die Naht einfach zu sistieren. Solche Fälle kommen 
relativ häufig vor, oft an der Injektionsstelle. In einem Fall war bei der 
Eröffnung eines palatinalen Abszesses ein Ast der Arteria palatina ge- 
troffen worden; der operierende Arzt hat in diesem Fall den Schnitt 
über die größte Vorwölbung des Abszesses geführt. Da die Blutung auch 
nach längerem Zuwarten nicht aufhören wollte, mußte die Wahl zwischen 
Umstechung und Tamponade getroffen werden; nach der Tamponade stand 
die Blutung. Entfernung des Tampons am dritten Tag; sofort hat die 
Blutung wieder begonnen; erneute Tamponade, Entfernung nach weiteren 
drei Tagen, keine Reaktion. Jedenfalls möchte ich, um Blutungen in 
diesen Fällen zu vermeiden, vorschlagen, bei der Eröffnung eines pala- 
tinalen Abszesses von der allgemeinen chirurgischen Regel, den Schnitt 
über die größte Vorwölbung zu führen, abzuweichen und den Abszeß 
in jedem Fall dort zu eröffnen, wo die fixierte Schleimhaut sich abhebt 
und in die Abszeßschleimhaut übergeht, und zwar in dem Teil des Ab- 
szesses, der dem verursachenden Zahn am nächsten liegt, parallel zum ent- 
sprechenden Teil des Alveolarbogens. 

Nun will ich einen Fall mitteilen, der aus mehreren Gesichtspunkten 
Aufmerksamkeit verdient. l 

Im Juni 1916 erschien im Ambulatorium der Fahrvormeister M. 
einer Divisions-Munitionskolonne und verlangte die Entfernung der Zahn- 
wurzeln behufs späterer Anfertigung eines Gebisses. Der Befund ergah 
das Vorhandensein sämtlicher Zahnwurzeln im Oberkiefer. Es wurde mit 
der Extraktion der Wurzeln der rechten Seite begonnen und die Wurzeln 


Interessante Fälle aus der Praxis. 35 


des II. Prämolaren sowie der beiden ersten Molaren in Lokalanästhesie 
extrahiert. Die Extraktion war sehr leicht, da die Molarenwurzeln bereits 
getrennt waren. Die Alveolarsepta wurden in der üblichen Weise ab- 
gezwickt und der Patient zum Ausspülen entlassen; als Ausspülraum 
fungierte die andere Ecke des Ordinationszimmers. Als ich aber nach 
ein paar Sekunden auf den Patienten blickte, gewahrte ich, daß sich aus 
seinem Munde ein heller, dicker Blutstrom ergoß: das Bild einer Blutung 
aus einem großen Blutgefäß. Sofort nahm ich ihn wieder vor und legte 
das Öperationsfeld frei. Das Blut ergoß sich in dickem Strahl aus der 
Tiefe der Alveole, und als ich nun der Quelle der Blutung nachging, 
gelangte ich durch eine für den kleinen Finger bequem durchgängige 
Öffnung in die Highmorshöhle. Nun wurde die ganze Höhle mit Jodo- 
formgaze tamponiert. Die Blutung aus der Wundhöhle stand; es erfolgte 
aber ein Abgang von Blut durch die Nase, der aber nur tropfenweise 
vor sich ging und nach einigen Minuten von selbst stand. Der Patient 
(es war zirka 3 Uhr nachmittags) blieb in der Ordination. Um 5 Uhr, 
als gerade ein Arzt bei mir war, dem ich den Fall referierte, erfolgte 
plötzlich neben dem Tampon eine neuerliche Blutung, die so heftig war, 
daß der betreffende Herr, ein Nasenspezialist, nicht glaubte, daß der 
Blutung ohne Unterbindung der Karotis beizukommen wäre. Trotzdem 
versuchte ich, da im Ort kein Spital war, noch einmal eine exakte dichte 
Tamponade der Highmorshöhle, die ohne Schwierigkeit gelang. Nun wurde 
Patient in das nächstgelegene Feldspital transferiert und der Chirurgen- 
gruppe Prof. Albrecht übergeben. Dort wurde der Tampon am 5. Tag 
gewechselt und der Patient nach einem zweiten Tamponwechsel zur Weiter- 
behandlung dem Ambulatorium rückgesendet. Ich entfernte den Tampon 
und nun erfolgte die Verheilung der Kommunikationsöffnung ziemlich 
rasch und ohne Reaktion. Die Extraktion der übrigen Zahnwurzeln ging 
glatt. Offenbar war es in diesem Fall zu einer tiefgehenden Zerstörung 
des Oberkieferknochens gekommen, wodurch eine Alveolararterie ver- 
ändert war; das Gefäß war sicherlich erweitert, die Wand morsch, so 
daß das Abzwicken der Alveolarlamelle die Zerreißung der Wand bewirkte. 

In dem geschilderten Falle, der bis Mitte Juli des Jahres beobachtet 
wurde, ist es zu keiner Erscheinung von seiten der Highmorshöhle ge- 
kommen, obwohl einige Male tamponiert worden war und später einige 
Wochen hindurch breite Kommunikation mit der Mundhöhle bestanden hatte. 

Und das ist ein Punkt, der meiner Erachtung nach Aufmerksamkeit 
verdient. Der Zahnarzt kommt häufig in die Lage, mit der Highmors- 
höhle bei der Extraktion in Konflikt zu geraten und das Entschlüpfen 
einer Wurzel in die Highmorshöhle gehört zu den unangenehmsten Kom- 
plikationen der Zahnextraktion. Während aber in diesem Fall der ein- 


3% 


36 Franz Peter. 


zuschlagende Weg nicht zweifelhaft sein kann, ist bei der einfachen Er- 
öffnung der Highmorshöhle noch keineswegs entschieden, ob es besser 
ist, die Höhle als noli me tangere zu betrachten und ihrem Schicksal 
zu überlassen, oder aber ob dieser Weg als grober Fehler aufzufassen und 
die Kommunikationslücke durch ein Stückchen „vorgelagerte“ Jodoform- 
gaze, eventuell durch eine Prothese fixiert, zu schützen sei. Nun habe ich. 
wie es an der zahnärztlichen Klinik in Wien üblich war, in sehr vielen 
Fällen die eröffnete Highmorshöhle, wo ich nach regelrechter Extraktion 
durch die Äußerung des Patienten, das Wasser fließe durch die Nase, 
erst auf die Eröffnung aufmerksam wurde, gar nicht beachtet und in 
keinem Falle sah ich eine Störung. In einem Fall erfolgte zwar eine 
nachfolgende geringgradige Schwellung der Gesichtsweichteile und die 
Patientin gab an, einige Tage einen sehr übelriechenden Ausfluß aus 
der Nase gehabt zu haben, nur konnte der Grund dieser gering- 
gradigen Antrumentzündung auch darin gelegen sein, daß die Extraktion 
sich sehr schwierig gestaltet hatte, der betreffende Kollege damit lange 
Zeit verbracht und inzwischen durch Wattetupfer etc. das Prinzip der 
Unberührtheit der Highmorshöhle nicht beachtet hatte. Auch hier gingen 
die Erscheinungen spurlos zurück und es war auch in den folgenden andert- 
halb Jahren, in denen ich die Patientin zu beobachten Gelegenheit hatte. 
zu keinen weiteren Erscheinungen gekommen. 

Nun folgt eine Krankengeschichte, wo ebenfalls Komplikationen de: 
Antrums vorlagen, ein wahrlich praktischer Fall, welcher sowohl bezüg- 
lich der Diagnose als auch des Verlaufes einige Beachtung verdient. 

Am 12. Dezember 1917 wurde ich beim kranken Obersten v. P. einem 
Konsilium beigezogen. Patient, der an Angina erkrankt war, verspürte 
heftige Schmerzen in der rechten Oberkiefergegend. Ich fand den II. und 
III. Molaren mit großen Amalgamfüllungen versehen, offenbar wurzel- 
behandelte Zähne. Beide zeigten geringgradige Pyorrhoe, waren aber 
sonst ohne Erscheinungen; erster Molar fehlt, übrige Zähne gesund. Die 
Schmerzen hörten noch im Laufe des Tages auf und als ich am 15. wieder 
den Patienten sah, war der Zustand insoweit verändert, daß am Gaumen 
im Bereiche des zweiten Molaren sich eine Fistel etabliert hatte. Erst am 
15. Jänner sah ich wieder den Patienten, der wieder heftige Schmerzen 
angab, ohne einen von den beiden Zähnen beschuldigen zu können. Jetzt 
eröffnete ich den II. Molaren, fand einen gangränösen Kanalinhalt, ins- 
besondere im palatinalen Wurzelkanal; da der Zahn bereits etwas ge- 
lockert war und schon früher eine Fistel hatte, entschloß ich mich zur 
Extraktion; dieselbe ist normal verlaufen. Um sicher zu gehen, prüfte 
ich noch. ob nicht eine Kommunikation mit der Highmorshöhle bestand: 
weder Luft noch Wasser gingen durch und so entließ ich den Patienten. 


Interessante Fälle aus der Praxis. 37T 


Der Tag war vollkommen schmerzfrei; denselben Abend jedoch erschien 
er wieder und gab enorme Schmerzen an. Es wurde nun der Weisheitszahn 
ebenfalls trepaniert, kein lebender Nerv, keine vorangehende Wurzel- 
behandlung, die Pulpahöhle voll mit einer Dentikelmasse, ein einziger 
schwer sondierbarer Kanal. Der Zahn wurde offen gelassen; Patient 
{uhr noch denselben Tag nach Wien und kehrte nach 4 Tagen zurück. 
Er erzählte, daß die Schmerzen nach 24 Stunden aufgehört hätten, seit- 
dem sei er vollkommen beschwerdefrei. Ich gestehe offen, daß ich in 
diesem Stadium der Krankheit trotz des Extraktionsbefundes mir Vor- 
würfe gemacht hatte und der Meinung war, daß die Schmerzen nur 
vom dentikelgefüllten Weisheitszahn ausgegangen seien. Um so inter- 
essanter ist nun der folgende Krankheitsverlauf. In der Nacht vom 28. auf 
den 29. Jänner bekam der Patient wieder heftige Schmerzen in der Gegend 
des extrahierten Zahnes und plötzlich erschien eine großhaselnußgroße 
Geschwulstmasse in der bis dorthin reaktionslos verheilenden Operations- 
wunde. Am 29. Jänner früh fand ich, die Ränder der Extraktionswunde 
auseinanderhaltend, die derbe, blutende Geschwulstmasse fast schwarz ver- 
färbt und stellte die Diagnose entweder auf ein altes, großes Wurzel- 
granulom oder aber auf Polyp der Highmorshöhle. Jetzt erst gab Patient 
zu, daß er seit Jahren ein Druckgefühl in der rechten Wangengegend 
verspüre, weswegen er bereits mehrere Nasenärzte konsultiert hätte. Der 
zum Konsilium beigezogene Chirurg glaubte sogar, infolge der Derbheit der 
Geschwulst, es mit einem Sarkom zu tun zu haben. Da ich nun ohne 
Röntgendurchleuchtung keinen weiteren Eingriff vornehmen wollte, wir 
aber nach 2 Tagen beide auf Urlaub nach Wien zu fahren die Absicht 
hatten, wartete ich ab, um in Wien mit anderen Fachkollegen den Fall 
besprechen zu können. Die Geschwulstmasse wurde im Laufe des Tages 
durch Zungenbewegungen gelockert und in der darauffolgenden Nacht, 
wie Patient erzählte, immer längerer und lockerer, bis sie über den 
Weisheitszahn gestülpt und abgerissen ist. Ob es nun im Halbschlaf 
verschluckt oder ausgespuckt wurde, entzieht sich der Beobachtung. 
Um auf alle Fälle sicher zu gehen, konsultierten wir in Wien einen 
hervorragenden Nasenarzt, der die Extraktionswunde vollkommen in Ord- 
nung fand, die Highmorshöhle durchleuchtete, jedoch auch hier nichts 
Pathologisches bemerkte. Am 28. Februar kehrte Patient vom Urlaub 
zurück und in dieser Nacht gewahrte er plötzlich, daß Nase und Mund- 
höhle miteinander kommunizieren. Ich fand am 1. März eine, für die 
Knopfsonde bequem durchgängige Kommunikationsöffnung, aus der 
bukkodistalen Wundecke ausgehend. Da es außer der Störung, die das Vor- 
handensein einer Kommunikationsöffnung zwischen Mund- und Nasenhöhle 
verursacht, sonst zu keinen Erscheinungen gekommen ist, wartete ich zu, 


38 Fritz Pordes. 


verfertigte weder einen Obturator, den der Nasenspezialist anriet, noch 
nahm ich irgend einen chirurgisch-plastischen Eingriff vor; nach sechs 
Monaten, während deren der Patient ständig kontrolliert wurde, heilte die 
Öffnung zu und seitdem ist Patient vollständig beschwerdefrei. 

Sicherlich sind die Schmerzen von beiden schuldigen Zähnen — der 
Weisheitszahn war inzwischen behandelt und gefüllt worden — ausge- 
gangen. Das seit Jahren bestehende Druckgefühl wäre wohl auf Kosten 
des ständig wachsenden Wurzelspitzengranuloms zu setzen, das ja auch 
in die Highmorshöhle durchgebrochen war, aber doch zu keinen mani- 
festen Entzündungserscheinungen geführt hatte. Merkwürdig ist und bleibt 
das Manifestwerden der Kommunikation, die erst 5 Wochen nach erfolgter 
Extraktion zu Gesicht kam. 

Ich glaube nun, auch diesen Fall in Betracht ziehend, für die ob- 
turatorfreie Behandlung der Highmorshöhle eintreten zu können. Wenn 
dagegen angeführt wird, daß Speisereste sicherer durch eine Platte ab- 
gehalten werden, so sprechen meine Erfahrungen unbedingt dafür, daß es 
in keinem einzigen Fall, selbst dort, wo, wie in den beschriebenen Fällen, 
eine breite Kommunikation längere Zeit bestanden hatte, zu Entzündungs- 
erscheinungen infolge des freien Zutrittes der Speisereste gekommen ist. 
Eher könnte ich mir vorstellen, daß Speisereste, die ja unter einer Platte 
sicherlich vorhanden sind, zu Entzündungen Veranlassung geben. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne 
und Kiefer. 


Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre. 


Von Dr. Fritz Pordes. 
(Schluß.!) 


Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule sowie die bei stärkerer Seiten- 
drehung sich dem abbildenden Strahlenbündel in den Weg schiebende 
Schulterwölbung bilden allerdings eine individuell verschieden große Grenze 
des Möglichen (drittes Bild der Übersichtstafel). 

Zur „Beseitigung“ der Schulter läßt man den Patienten sich mit der 
betreffenden Hand an der Sessellehne festhalten (Fig. 48 B). Ferner soll 
der Hilfsdrehgriff nicht dazu verleiten, daß das Kinn namentlich bei den 
Seitenaufnahmen sich der Brust nähert. Die durch den Hilfsdrehgriff er- 
zielte Lageverbesserung wird nicht geschädigt, wenn das Kinn gestreckt 
wird. Wohl aber wird die Schulter dadurch außer Störungsbereich ge- 


1) S. Nr.8, 9, 11 und 12, 1918 der „Öst. Zeitschr. f. Stomat.“. Abdruck der im 
Verlage Urban & Schwarzenberg in Buchform demnächst: erscheinenden Artikelserie. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 39 


bracht. (Bei der oben beschriebenen paravertebralen, im Laboratoriums- 
Slang sogenannten „beinahe“ — p.a.—- postero-anterioren Aufnahme 
stört die Schulter überhaupt nicht, daher dort das Kinn an die Brust ge- 
zogen werden darf.) 

Wird die Drehung (für den rechten Unterkiefer nach links) weiter 
fortgesetzt, so 'überwandert der dank dem Hilfsdrehgriffe am vorderen 
Bildrand steil aufwärts strebende kontralaterale Ast allmählich die Zähne 
vom Eckzahn aufwärts, die den aufsteigenden Ast überschattende Hals- 
wirbelsäule tritt mehr und mehr zurück und gibt den Processus coronoi- 
deus, die Incisura semilunaris und das Kiefergelenk den Blicken frei. Es 
ist Sache der Übung und der individuellen Möglichkeiten des Falles, bei 
Darstellung des Kiefergelenks gleichzeitig möglichst viel gegen den Eck- 
zahn hin frei zu bekommen (viertes Bild der Übersicht). . 

Es geht, wie betont, bei entsprechender Lagerung weiter, als man 
denken sollte. 

- Die Einstellung ist zielend unter möglichst geringem Neigungs- 
winkel. Man muß das gesuchte Gebilde durch die Skelettlücke erblicken 
können. Zu beachten ist, daß als projektivische Fehlerquellen je nach 
Drehung und Neigungswinkel die tracheopharyngeale Luftsäule als ent- 
sprechend dem Larynxinnern und der schrägen Projektion zackiges und 
verschieden breites Aufhellungsband über verschiedene Bildatellen hinzieht, 
ebenso die Luftsäule über dem Zungenrücken, zwischen welchen beiden 
Aufhellungsbändern die Uvula als Schatten sichtbar wird. Als kleiner 
Schattenhalbmond erscheint am vorderen Rande der trachealen Luftsäule 
ferner der Zungenbeinkörper, von ihm nach hinten und nach oben ziehend 
die Schatten der Zungenbeinhörner und hie und da das Ligamentum stylo- 
hyoideum (wenn verkalkt). Es sind dies Fehlerquellen, an die man denken 
muß, um diagnostische Irrtümer zu vermeiden. Als Regel gilt, daß eine 
z.B. als Fissur ansprechbare Linie, wenn sie den Rand des anscheinend 
gesprungenen Knochens überschreitet und sich in den Weichteilen verfolgen 
läßt, nicht im verdächtigten Knochenteil liegt. 

Zur Lagerung der hier projektivisch besprochenen Aufnahme: Der 
Patient sitzt auf einem Stuhl, dessen Höhe durch Verstellung oder Auf- 
stellung von Unterlagen variabel ist. Der Kopf liegt auf dem Tisch, der 
abzubildende Teil auf der Platte. Der Hilfsdrehgriff, der den kontralate-. 
ralen Kieferast kranialwärts fortbringt, hebt mitunter die abzubildende 
Partie von der Platte ein wenig ab, was nicht sehr viel zu bedeuten hat. 
Um die Lagerung von vorneherein im Sinne des Hilfsdrehgriffes zu ver- 
bessern, liegt die Platte auf einem mit der Basis zum Patienten gekehr- 
ten Holzkeile Will man das dennoch allenfalla durch den „Drehgriff be- 
wirkte Abstehen des Kiefers von der Platte ganz beheben, so kann man 


40 Fritz Pordes. 


die Platte mit einem von der Assistenz während der Ausführung des Dreh- 
griffes noch unterzuschiebenden Sandsack auch jetzt exakt adaptieren. 
Fixation: Schlitzbinde. 

Die Anwendung des Kompressionstubus ist sehr empfehlenswert, 
weil bedeutend resultatverbessernd. Doch erschwert das primäre Anbringen 
des Kompressionstubus die exakte Einstellung. Zur feinen Einstellung 
dieser Schrägaufnahmen ist der lange Zentralstrahl des Holzknecht- 
schen Schwebekästchens wegen seiner großen Ausschläge bei relativ ge- 
ringen Winkeln ein ausgezeichnetes Mittel und durch nichts ersetzbar. Um 
dieses Mittels trotz Anwendung des Kompressionstubus nicht entraten zu 
müssen, stelle ich zuerst mit dem Schwebekästchen ein, entferne dann den 
Zentralstrahl wie zur Aufnahme und schiebe sekundär den Kom- 
pressionstubus ein, was bei der Länge des Hauptstrahlindex und der dadurch 
bedingten Dietanz des Blendenkästchens ohne weiteres zu gehen pflegt. 
Will man ein übriges tun, so kann man über die Antikathode visierend 
feststellen, ob der Tubus nichts vom Bild notwendiges abschneidet. 

Es gibt Fälle, bei denen die zur Darstellung des aufsteigenden Astes 
und der Gelenksgegend nötige starke Seitendrehung nicht möglich ist oder 
bei denen mit dieser Drehung die Exkursionsfähigkeit ihrer Wirbelgelenke 
oder ihrer Muskulatur so völlig erschöpft ist, daß der Hilfsdrehgriff sich 
nicht mehr ausführen läßt, ja daß die Schulter zu sehr im Wege steht, um 
iiberhaupt ein brauchbares Bild zu ermöglichen. Das Strahlenbündel kommt 
durch den Engpaß zwischen Schulterwölbung und kontralateralem Ast. 
einfach nicht mehr in genügender Breite durch. Gründe dafür können sein: 
Frische traumatische oder entzündliche Veränderung größeren Umfanges, 
Torticollis, Spondylitis u. dgl. Dieser Schwierigkeit begegnend, wende ich 


Bückenlage mit sekundär seitwärts gewendetem Kopf 

au. Legt man den Patienten auf den Rücken und dreht dann den 
Kopf auf die abzubildende Seite, so bietet der angespannte Hals dem ab- 
bildenden Strahlenbündel ein breites Einfallsfeld dar. Hauptdrehung auf 
die Seite des abzubildenden Astes und Hilfsdrehgriff werden, so gut es 
cben geht, ausgeführt. Die Einstellung geschieht zielend auf das gewünschte 
Gebilde; Neigung so groß, daß man entsprechend dem durch den Hilfsdreh- 
griff erzielbaren Effekt mit dem abbildenden Strahlenbündel unter dem 
kontralateralen Ast eben durchkommt. 

Auch bei stark gehemmter Beweglichkeit erzielt man damit sehr gute 
Übersichtsbilder immerhin vom ersten Molaren bis zum Gelenk. Ich hatte 
wiederholt Halswirbelverletzte mit bis zur Exkursionsfähigkeit von 30° 
gehemmter Beweglichkeit und konnte so den Erfordernissen der Kieferanalyse 
ohne weiteres nachkommen, was auf andere Weise ganz unmöglich gewesen 
wäre. Fig. 50 zeigt Lagerung und Einstellung. Die Resultate dieser Auf- 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 41 


nahmen sowie der entsprechenden Aufnahme im Sitzen mit Hilfsdrehgriff 
sind der homologen Aufnahme mit C.scher Einstellkappe, wie ein 
Blick auf das entsprechende Bild aus C.s Schema (Fig. 49E) zeigt, 
durch die Darstellung der ganzen Gegend im Zusammenhang ohne Über- 
sehattungen überlegen. Die Serie von Skelettbildern und jeweils in derselben 
Projektion hergestellten Röntgenbildern (Diagrammen) zeigt in fortlau- 


Fig. 50. 


EE 2 





Lagerung zur Aufnahme entsprechend Fig.49 D bei behinderter Beweglichkeit des Halses. 
fender Reihe die Wege des abbildenden Strahlenbündels von der paraverte- 
bralen (.,‚beinahe postero-anterioren“) bis zur schrägen Gelenksaufnahme. 
Die den störenden gegenseitigen Kieferast projektivisch verkleinernde Wir- 
kung des Hilfsdrehgriffes kommt dabei deutlich zum Ausdruck. 


Stereoskopische Röntgenaufnahmen der Kiefer. 


Die Röntgenstereographie besteht wesentlich darin, zwei unter sonst 
gleichen Umständen mit um Pupillardistanz verschobener Röhrenstellung 


eingestellte Aufnahmen herzustellen. Die Betrachtung der Originalnega- . 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 4 


42 _ Fritz Pordes. 


tive im Wheatstoneschen Spiegelstereoskop bzw. allgemein die physio- 
logisch optische Vereinigung der betreffenden Bilder ergibt analog der als 
bekannt voraussetzbaren Photostereographie und Stereoskopie ein „Körper- 
liches“ Bild. Die auf diese Weise sinnfällig erscheinenden Tiefenbeziehun- 
gen bergen jedoch in der Röntgenstereographie eine Reihe von Fehler- 
quellen, deren Besprechung der eigentlichen Behandlung der projektione- 
technischen Fragen der Bildherstellung vorausgeschickt werden muß. 

Die Stereographie im allgemeinen hat den Zweck, die Kenntnis der 
Tiefenbeziehungen bzw. der Distanzen der einzelnen Punkte eines be- 
trachteten Gebildes vom Auge des Beschauers sinnfällig zu machen, in 
derselben Weise, wie wir die Tiefenbeziehungen der Gebilde der Umwelt 
ohne weitere Überlegung „instinktiv“ zu erkennen imstande sind. 

Diese instinktive Erkenntnis ist nichts anderes, als die ohne aktiven 
Denkvorgang automatisch, i. e. subcortical sich vollziehende Verwertung 
einer Reihe von Merkmalen. Wir vermögen in der Regel ohne weiteres zu 
erkennen, welches von zwei räumlichen Gebilden unserem Auge näher, 
welches ihm ferner liegt. 

Die Merkmale, die Kriterien, nach welchen wir unbewußt die Entfer- 
nung eines Gegenstandes zu beurteilen imstande sind, sind folgende: 

1. Der Gesichtswinkel, die scheinbare Größe eines Körpers, dessen 
wirkliche Größe uns aus Erfahrung bekannt ist, mit anderen Worten die 
perspektivische Verkleinerung. Die Überschneidung des ferneren durch das 
nähere Objekt. | 

2. Die Deutlichkeit der kleinsten noch sichtbaren Details und deren 
mit wachsender Entfernung immer weiteres Verschwinden. Hierher gehört 
für unseren Fall allerdings irrelevant auch die Änderung der Farbe durch 
die Luftschichten („wo dort die grünen Fluren den Blick noch blau sich 
färben“). 

3. Die durch Licht- und Schattenverteilung gewonnene Plastik. 

4. Die durch den Muskelsinn wahrgenommene Anstrengung der zum 
Fixieren eines Gegenstandes in der Nähe notwendigen Konvergenz und 
Akkommodation. Diese beiden sind bei emmetropen Augen zwangsläufig 
verbunden. Bei nicht emmetropen und den vielen gewohnheitsmäßig uni- 
okulär Sehenden nicht verbunden. 

5. Die parallaktische Verschiebung. Die dadurch beim Betrachten 
der Umwelt gewonnene Tiefeneinsicht ist im allgemeinen größer, als es die 
infolge der Pupillardistanz gewonnene Verschiedenheit der Bilder des 
rechten und linken Auges in ihrer physiologischen Vereinigung bewirkt. 
Auch der wirklich oder durch gewohnheitsmäßiges uniokuläres Sehen Ein- 
Augige wird ihrer teilhaftig, wenn er sich bewegt. 

Die bildende Kunst mit Ausnahme der Bildhauerei, die letztere 
- ebenfalls im Relief bedient sich zur Vortäuschung der dritten Di- 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 43 


mension lediglich der drei erstgenannten Kriterien, nämlich der Per- 
spektive (Luftperspektive), der Deutlichkeit und der Licht- und 
Schattenplastik. Wir sind gewohnt, auf einem Bilde, einer Zeich- 
nung, einer Photographie aus diesen drei Kriterien uns ohne weiteres 
in den Tiefenbeziehungen der dargestellten Gebilde zurecht zu finden, ohne 
dazu der Akkommodations- und Konvergenzdifferenzen bzw. der parallak- 


Fig. 61 A. 





Fig.51 A. Schema des Spiegelstereoskopes. Fig.51.B. Schema des Linsenstereoskopee. 
4% 


44 Fritz Pordes. 


tischen Verschiebung zu bedürfen. Betrachten wir nun ein Stereo-Paar pho- 
tographischer Bilder im Linsenstereoskop (Brewstersches), so kommt 
zur Erhöhung der Sinnfälligkeit der Tiefenbeziehungen der blendend schöne 
Effekt der parallaktischen Verschiebung. Die Gegenstände im Vorder- 
grunde des Bildes springen geradezu aus der Bildebene hervor. Die Akkom- 
modation und Konvergenz sind dabei außer acht gelassen, da das Bild 
ja de facto in einer Ebene liegt. Die Sinnfälligkeit des stereoskopischen 
Bildes hat etwas bestechende. Über die Lagebeziehungen wäre jedoch 
auch aus dem einfachen Photogramm ohne weiteres Klarheit gewinnbar. 
Der Hauptvorteil besteht dabei in dem Deutlicherwerden von Details, das 
unbewußt durch das stereoskopische Phänomen des gleichsam „hinter die 
Dinge schauen Könnens“ hervorgerufen wird. Der Stereoeffekt ist wie die 
Verwertung der obgenannten Kriterien überhaupt ein unter der Schwelle 
des Bewußtseins sich abspielender physiologischer Vorgang. 

Wenden wir nun diese Erkenntnisse auf die Betrachtung von Cies 
röntgenogrammen an, so gelangen wir zu Folgendem: 

Die aus zwei um Pupillardistanz differierenden Röhrenstellungen ge- 
wonnenen Röntgennegative werden im Spiegelstereoskop betrachtet als Bilder 
des rechten und linken Fokus vom rechten und linken Auge gesehen, physio- 
logisch vereinigt. Man sieht, richtige Technik vorausgesetzt, ein pracht- 
voll körperliches Gebilde. Bei einer postero-anterioren Aufnahme des Schädels 
zum Beispiel glaubt man die Siebbeinzellen, die Augenhöhlen, die Warzen- 
fortsätze „greifen zu können“. Ein etwa auf das Antrum Highmori pro- 
jizierter metallischer Fremdkörper schwebt wunderschön im Raum. Legen 
wir uns aber die Frage vor, ob dieser metallische Fremdkörper hinter dem 
Tuber maxillare oder in der Kieferhöhle liegt, und bemühen wir uns, das 
aus dem stereoskopischen Bilde zu beantworten, so beginnt ein Vorgang, 
den ich mich versucht fühle als den „Kampf der Netzhäute“ zu bezeichnen. 

Man bemüht sich krampfhaft, diesen physiolo- 
gischen Vorgang, der der Erkenntnis der Tiefenbezie- 
hungen sonst unbewußt vorangeht, durch Bewußt- 
seinskontrolle in Gang zu bringen, und man fühlt, 
sit venia verbo, daß die Netzhäute den Dienst ver- 
sagen: „Non possumus!“ und das hat seinen Vorteil. 

Denn das zentralprojektivisch und als Schattenbild der Dichtigkeits- 
unterschiede gewonnene Röntgenbild weist von den gewohnten Kriterien 
der Tiefenbestimmung keines oder zumindest keines in der vom Tages- 
lichtbild gewohnten Beurteilungsmöglichkeit auf. Die scheinbare Größe 
der Körper nimmt mit ihrer wachsenden Deutlichkeit nicht zu, sondern 
ab. Auf einer postero-anterioren Schädelaufnahme ist das plattenan- 
liegende (Gresichtsskelett am deutlichsten, jedoch gleichzeitig am nächsten 
seiner natürlichen Größe. Je weiter weg von der Platte ein Skeletteil liegt. 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 45. 


desto undeutlicher, desto größer aber auch infolge der Strahlendivergenz 
wird sein Schattenbild.e Am stärksten vergrößert und gleichzeitig am 
wenigsten deutlich ist die über dem Bilde als nebuloses Schattenbild 
schwebende Halswirbelsäule. 

Licht- und Schattenverteilung gibt es im Röntgenogramm nicht, 
bzw. nicht im Sinne des Licht und Schattens der Gegenstände im Tages- 
licht. Akkommiodation und Divergenz fallen a priori fort. Es bleibt als ein- 
ziges Merkmal die parallaktische Verschiebung. Alle anderen Kriterien 
sind, wenn nicht geradezu umgekehrt, doch in stärkster Weise dissoziiert. 
Am Beispiel des Metallfremdkörperschattens über dem Schatten der Kiefer- 
höhle auf der postero-anterioren Schädelaufnahme überrascht beispiels- 
weise beim ersten Anblick, wie gesagt, die sinnfällige Schönheit des kör- 
perlich Sehens. Der Eindruck der Körperlichkeit wird vollends zum Gefühl, 
jede Knochenleiste in die ihr zukommende Tiefe lokalisieren zu können, 
um so mchr, ala die Kenntnis der Lagebeziehungen der anatomisch bekann- 
ten (Gebilde dies a priori unterstützt. Die anatomische Kenntnis tritt da- 
bei gewissermaßen an die Stelle der Erinnerung an die erfahrungsgemäße Ge- 
etalt bekannter Dinge, die den ungeübten Beschauer durch unbewußt auto- 
suggestive Korrektur bei einer fehlerhaften Zeichnung ein Vergehen gegen 
die Gesetze der Perspektive nicht erkennen läßt. 

Der geübte Beschauer wird sich jedoch von diesen urteilshemmenden 
Erinnerungsbildern zu emanzipieren und unbefangen zu „sehen“ sich be- 
mühen und dabei finden, daß es aus den erörterten Gründen nicht möglich 
ist, irgend eine Tiefenbestimmung mit Sicherheit vorzunehmen. 

Insbesondere der dichte Schatten des metallischen Fremdkörpers ist 
. in seiner aufdringlichen Helligkeit nicht in einer bestimmten Ebene unter- 
zubringen. Das Kriterium der Deutlichkeit ist dabei völlig außer Geltung 
gebracht. Man kann sich jede Ebene suggerieren, um so mehr, als eine „er- 
fahrungsgemäße“ Größe oder Lage dabei ebenfalls nicht in Betracht 
kommt. Das Phänomen der Durchsichtigkeit der Knochenschatten ist, so 
sehr wir beim Lesen der Röntgenplatten daran auch gewohnt sind, für den 
physiologischen Vorgang der stereoskopischen Lokalisation außerordent- 
lich störend. 

Diese Erörterungen sind keineswegs nur eine Polemik gegen die Me- 
thodik der stereoskopischen Fremdkörperlokalisation. Es wird 
hoffentlich niemanden einfallen, nach einer einzigen — auch stereo- 
skopischen — Aufnahme einen Fremdkörper operativ angehen zu wollen. 
Die publizierten und noch mehr die nicht publizierten Mißerfolge von 
Fremdkörperoperationen nach ungenügender Lokalisation sind zu bekannt. 

Es handelt sich vielmehr darum, eine an sich ganz ausgezeichnete 
Methode vor Diskreditierung zu schützen, die unausbleiblich ist, wenn 
man von ihr verlangt, was sie potentia nicht zu leisten imstande ist. 


46 Fritz Pordes. 


Das physiologisch optisch verwertete Stereoröntgeno- 
gramm ist zur exakten Tiefenmessung nicht geeignet. Anders natürlich 
‚verhält es sich, wenn ein Röntgenstereoplattenpaar Gegenstand photo- 
grammetrischer Ausmessung wird. Die Photogrammetrie ist als exaktes 
Verfahren von physiologischen Täuschungen unabhängig. 

Ob und inwieweit diese mathematischen Ausmessungsmethoden 
(lasselwanders stereophotogrammetrische, die eine Kontrolle der 
physiologischen Resultate ermöglicht, u. v. a.) für die bei verschiedenen 
Projektionen anders aussehenden, vielgestaltigen Knochengebilde anzu- 
wenden sind und ob, wenn schon einmal gemessen und gerechnet werden 
soll, nicht eine breitere Standlinie als sieben Zentimeter günstiger wäre, 
ist hier nicht der Ort zu entscheiden. 

Der unleugbar sehr große Wert der Stereoröntgenographie liegt 
meines Erachtens — und ich weiß mich keineswegs isoliert — nicht in 
ihrer lokalisatorischen Auswertung, sondern vielmehr in der unter sonst 
gleichen Bedingungen größeren Deutlichkeit und Schönheit der Rönt- 
genogramıme. 

Die lokalisatorische Arbeit muß bereits auf andre Art geleistet 
sein, die Lagebeziehungen müssen feststehen, bevor man in das Studium 
der Stereoröntgenogramme eingeht. 

Lokalisation d. h. durchaus nicht nur von Fremdkörpern, sondern 
aller in Betracht kommender röntgenographierter Gebilde — Fragmente, 
Knochenhöhlen,  Sequester. 

Ist man sich diesbezüglich über das Meritorische klar, “dann gewährt 
die Betrachtung des Stereogramms reiche Belehrung über eine Summe von 
Details und ich möchte sagen ein ästhetisches Vergnügen, auf das man 
ungern verzichtet. Die dadurch gewährte Ergänzung der diagnostischen Er- 
kenntnis erstreckt sich jedoch, wie nicht genug betont werden kann, 
nicht auf prinzipielle Entscheidungen, sondern auf den im schöneren 
Bilde vermehrten Detailreichtum. 

So wie das gewöhnliche Photogramm, auf dem die Tiefenbeziehun- 
gen fraglos klar sind, an Sinnfälligkeit und Instruktivität 
vom Stereogramm übertroffen wird, ist auch das Stereoröntgenogramm 
lediglich durch den erhöhten didaktischen Anschauungsawert 
vor der einfachen Röntgenplatte ausgezeichnet, steht aber an Wert 
für die Tiefenlokalisation einem unter 9P oder 
auch nur unter 45° eingestellten Plattenpaar ganz ent- 
schieden nach. | 

Dieses zur Dignität der Methode vorausgeschickt, erübrigt nur die 
Schilderung der technischen Ausführung. 

Es sind zur Röhrenverschiebung um Pupillardistanz verschiedene 
Spezialstative angegeben (Hasselwander, Albers-Schönberg 


Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und der Kiefer. 47 


u. a. ın.), doch sind diese nur für stereogrammetrisch auszuwertende Stereo- 
gramme erforderlich, die mathematisch exakte Einhaltung der Verschie- 
bung und Plattenfokusdistanz erfordern. 

Zur „physiologischen Stereoskopie“ brauchbare Bilder lassen sich 
\edoch ohne weiteres mit einem gut funktionierenden Stativ von der 
Lambertz-Type anfertigen. 

Die Platte liegt in einer Schiebekassette, die es gestattet, den Plat- 
tenwechsel vorzunehmen, ohne den Patienten zu berühren. Lagerung und 
Finstellung wie gewöhnlich zu der eben gewünschten Aufnahme. Fixation: 
Schlitzbinde. Zu beachten ist, daß der röhrentragende Stativarm genau 
parallel dem oberen Plattenrande verlaufe. Ist die Einstellung für 
die gewünschte Aufnahme vollendet, dann notiert man sich die 
Stellung des röhrentragenden horizontalen Stativarmes an der da- 
solbet. befindlichen Zentimetereinteilung und schiebt von dieser Stel-- 
lung die Röhre 3°/;, em nach links (zur Vermeidung von Irr- 
tümern ist es gut, obwohl meritorisch gleichgültig, immer eine Seiten- 
verschiebung, beispieleweise die linke, gewohnheitsmäßig als erste vorzu- 
nehmen). Nun erfolgt die erste Aufnahme. Unmittelbar nach Schluß der 
Exposition wird zunächst die Röhre aus dieser Linkestellung in die Mittel- 
stellung und von da 3!/2cm nach rechts verschoben, so daß die Gesamt- 
verschiebung 7 cm beträgt. Es ist gut, die Verschiebung in diesem Zeit- 
punkte vorzunehmen, damit bis zur zweiten Exposition die Röhre Zeit 
hat, auszuschwingen' und vollkommen zur Ruhe zu kommen. Inzwischen 
wird, ohne die Lage des Patienten zu verändern (!!), die Platte ausge- 
wechselt und dann die zweite Aufnahme exponiert. Die Platten werden 
durch mitphotographierte Bleibuchstaben als R und L signiert. Es ist bei 
einiger Übung nicht sehr schwer, aus der Verschiebung oder aus einer 
vom Bilendentubus abgeschnittenen Plattenecke auch ohne Signatur die 
Seite zu erkennen. 


Schlußwort. 


Die richtige Auswahl der zur Auflösung eines Falles erforderlichen 
Aufnahmen nach Einstellung und Lagerung von Objekt und Platte ist 
Vorbedingung zur richtigen Diagnose. Der gut gewählte Gang der 
Analyse ist die halbe Diagnose. 

Es ist notwendig — von Übersichts- zu Spezialaufnahme schreitend 
-- die Klammern dieses schwierigsten Problems von außen nach innen 
aufzulösen. 

Die Übersichtsaufnahme, sei es intra- oder extraoral, weist den 
Weg zur Auswahl der notwendigen Spezialaufnahmen und enthüllt zu- 
gleich so viel von den individuellen Faktoren des Falles, daß es danach 


48 Fritz Pordes. Die radiographische Darstellung ete. 


in der Regel schon möglich sein wird, die korrigierende individuelle Kon- 
stante in der Einstellung der Spezialaufnahme zu berücksichtigen. 

Den typischen Spezialaufnahmen sind solange atypische — mesial — 
distalexzentrisch — axial etc. ete. Einstellungen anzuschließen, bis alle 
möglichen Fragen bis zur Grenze der Methode erschöpft sind. 

Eine ‚schlecht aussehende“ Aufnahme muß nicht eine schlecht ge- 
machte sein, es gibt genug außergewöhnliche Fälle, bei denen es ohne 
„BEingabeln‘“ wie bei der Artillerie nicht abgeht. 

Niemals darf man ruhen, bevor nicht das jeweilige Ölen 
erreicht ist. Die volle Kenntnis der Methode besteht in der Erkenntnis 
ihrer Grenze — zu wissen, daß das erreichte für den Fall das er- 
reichbare Optimum darstellt. 

Ich bin mir bewußt, die Angaben der Einstellungen nicht völlig de- 
terıniniert, die zur Einführung in mechanisierte Betriebe in Zentimetern 
und Winkelgraden wünschenswerten Angaben nicht gemacht zu haben. 
Der ganze menschliche Körper gestattet und verlangt auch mit wenigen 
Ausnahmen für die Einstellung optimaler Projektionen derartige ziemlich 
absolut determinierte Angaben. Lediglich das Skelett des Kiefers weist 
derartig reichliche und vielgestaltige individuelle Variationen auf, die 
Einstellung von optimalen Aufnahmen hängt hier so sehr von der indi- 
viduellen Konfiguration ab und die zur Erreichung des individuellen Opti- 
mum notwendigen Positionen vori Kopf und Platte sind wiederum indivi- 
duell so verschieden gut erreichbar, daß allgemein gültige Determinationen 
nur Mittelwerte geben können. 

Der Vorteil des freihändigen Arbeitens jedoch besteht in der Erken- 
nung des individuellen Optimum und in der Produktion von diesem Opti- 
mum individuell möglichst nahekommenden Röntgenbildern zum Zwecke 
der Erschöpfung aller Möglichkeiten der Methode. 

Alle angegebenen Mittelwerte bedürfen zur Erreichung dieses Zweckes 
einer individuellen Korrektur. Sie sind zum Mechanisieren im großen Be- 
trieb unentbehrlich. Allein die Röntgenologie der Kiefer liefert dabei nicht 
das Optimum. Von der Auswahl der indizierten Aufnahmen an erfordert 
jede Phase: Einstellung am Kopf des Patienten, Hilfedrehgriff, Fixation, 
Technik der Aufnahme selbst und Diagnose, strengstes Individualisieren. 
Dazu lassen sich didaktisch zwar die erfahrungsgemäß gewinnbaren 
Richtlinien, nicht aber allgemein gültige determinierte Anweisungen for- 
mulieren. . 

Derartige Richtlinien für die oben genannten Phasen mit Ausnahme 
der zwei letzteren habe ich versucht zu geben. 


Winke für die Praxis. 49 
Winke für die Praxis. 


l. Anschmiegen verbogener oberer Kautschuk- 
platten. 

‘Die Platte wird auf das Modell gesetzt und mit Stents ein Abdruck 
genommen. Sollte sich an der Stelle, wo die Platte nicht anliegt, Abdruck- 
masse hineingeschoben haben, so schabt man diese weg. 

Jetzt wird das Modell ohne Platte auf dem Rechaud oder Dreifuß 
erwärmt, dann die aus dem Abdruck genommene Platte so weit erwärmt, 
bis sie weich wird. Inzwischen liegt der Abdruck in einer Tasse mit 
kaltem Wasser. Wenn die Platte durch Erhitzen genügend weich ist, läßt 
sie sich ans warme Modell sehr schön anschmiegen. 

Nun nimmt man den Abdruck aus der Tasse, schleudert das über- 
schüssige Wasser weg, fügt die Platte mitsamt dem Modell in den Ab- 
druck ein, stellt das Ganze (Abdruck nach oben) in die Kuvettenpresse. 
Dort bleibt das Ganze bis zum Abkühlen. 

Ein Springen der Zähne ist nicht zu befürchten, da diese nicht stark 
erwärmt werden und überdies während des Anschmiegens etwas abkühlen. 


2. Unterfütterung unterer Platten. 

Bei nichtpassenden unteren Stücken verfährt man anders. 

Ist es ein altes Stück, wo infolge Kieferschwundes die oberen und 
unteren Zahnreihen nicht mehr schließen, rauht man die Kieferseite des 
Stückes auf, belegt sie mit zwei, drei vorher zusammengeschmolzenen, 
entsprechend zugeschnittenen Wachsplatten, schmilzt diese an das Stück 
an, steckt das Ganze ins heiße Wasser, damit das Wachs gleichmäßig 
weich wird, gibt es dann dem Patienten in den Mund und läßt ihn dann 
beißen. 

Handelt es sich um ein neues Stück, wo die Artikulation zu hoch ist 
und man die Molaren verschleifen müßte, um eine richtige Artikulation 
herzustellen, so sägt man vom unteren Saume des Stückes 1—2 mm breit 
weg und belegt es wie bei dem vorigen mit Wachs. 

Zum Schlusse kommt es in die Kuvette. | 

Dr. Heinrich Reschofsky. 

Um älteren Kindern das gesundheitsschädliche Nägel- 
beißen abzugewöhnen, bewährt sich die Erhöhung des Bisses durch 
Aufbißkappen auf das beste. Mir ist es gelungen, ein 12jähriges Mädchen 
durch Aufzementieren zweier Aufbißkappen beiderseits von 6-313—-6 
nach einer Tragdauer von 6 Wochen von dieser üblen Gewohnheit dauernd 
zu befreien. Dr. Paul Berger. 


50 Referate und Bücherbesprechungen. 


Referate und Bücherbesprechungen. 





Resectio apicis. Von Wilhelm Struck, Parchim. D. M. f. Z., H. 2, 
Februar 1918. 


Eine zusammenfassende Darstellung eines auch gut bekannten Ge- 
bietes, besonders auf Grund eigener Erfahrungen, die eine kritische Sich- 
tung der vorhandenen Methoden erlauben, ist gewiß verdienstvoll. Nur 
muß eine solche Arbeit ganz besonders gewissenhaft und keinesfalls sche- 
matisch durchgeführt werden, weil sonst der Verdacht gar zu nahe liegt, 
sie sei nur geschrieben, weil der Autor für seine Publikationslust kein 
anderes Feld fand. Und dies scheint — besonders im Zusammenhalt mit 
früheren Arbeiten Strucks — hier der Fall zu sein. Ganz abgesehen von 
der Schematisierung des Themas und gänzlich überflüssigen Ausführlich- 
keiten, enthält die vorliegende Arbeit aber auch Stellen, die geeignet 
scheinen, die Methodik der Wurzelspitzenresektion direkt zu verschlechtern. 

Struck reinigt die Kanäle nur mit sterilem Wasser und absolutem 
Alkohol. Besteht denn der Kanalinhalt eines gangränösen Zahnes wirklich 
nur aus wasserlöslichen und fettigen Substanzen? Außerdem wissen wir, 
daß die bakterizide Kraft gerade des absoluten Alkohols keine hervor- 
ragende, jedenfalls eine kleinere ist als die des verdünnten und daß ihm 
vor allem jede Tiefenwirkung fehlt. — Nach dieser „Sterilisation“ des 
Kanals und Einlage eines Jothionalkoholfadens verschließt Struck die 
Trepanationsöffnung mit Watte (sic!). Nach 24 Stunden füllt er mit Ze- 
ment, nachdem der Kanal durch Einführung von reinem Jothion „läufig“ 
gemacht wurde. Was dieses ölige Jothion zwischen Zement und Kanal- 
wand weiterhin macht, ist natürlich nicht zu beurteilen. Höchst eigentüm- 
lich ist es, daß die Operation nicht an die Wurzelfüllung angeschlossen 
wird (es würde dadurch Zeit für andere Patienten geraubt!). Wir wissen 
doch zur Genüge, wie oft bei einem apikalen Prozeß der Verschluß des 
Kanals fast sofort heftigste Reaktion auslöst. — Nach der Wurzel- 
füllung wird röntgenisiert. Und vorher? Allerdings benötigt Struck 
zur Durchführung der Operation zwei Assistenten. Leider wird uns 
nicht gesagt, was denn nun drei Operateure in dem kleinen Operations- 
gebiet machen. Daß der Hammer bei der Aufmeißelung des Herdes von 
dem Assistenten geführt werden muß, ist nicht recht einzusehen. Der 
Operateur hat ja schließlich doch zwei Hände. Dies die wichtigsten Ein- 
wände. Daß Struck, wie er sagt, nicht einmal einen Mißerfolg, 
resp. eine Rezidive gesehen hat, würde erst dann für seine Methodik sprechen, 
wenn wir wüßten, ob er seine operierten Patienten nach einer gewissen Zeit 
auch alle wieder gesehen hat. Ich möchte mir zum Schlusse nur noch eine 
Bemerkung erlauben: Ginge es nicht an, daß die Schriftleitung einer sonst 
so durchaus ernst-wissenschaftlichen Zeitung, wie es die „Deutsche Monats- 
schrift“ ist, derartige journalistische Spaziergänge in die Wissenschaft zur 
Publikation als ungeeignet erklärt? In der fleißigsten, gewissenhaftesten 
Arbeit sind Irrtümer möglich, aber in einer wissenschaftlichen Arbeit soll 
vor allem der wissenschaftliche Ernst deutlich kennbar sein. Und den 
gerade vermisse ich bei Struck. Sicher. 


Referate und Bücherbesprechungen. 51 


Über wichtige und strittige Punkte der modernen Kieferbzuchbehandlung. 
Von Prof. Dr.H.Schröder, Berlin. D.M.f.Z., H.10, Oktober 1917. 
Auf Grund reicher Erfahrung wird eine ganze Reihe von besonders 
wichtigen Fragen in der Therapie der Kieferbruchbehandlung kritisch be- 
leuchtet. Als oberstes Prinzip gilt auch Schröder der Grundsatz, nicht 
einseitig an irgendeiner Methode festzuhalten, sondern aus der Fülle guter 
Methoden für jeden Fall die beste zu wählen. Von: wichtigen. Behandlungs- 
arten führt Schröder genauer zunächst die Anwendung des Ang le- 
schen Zugbalkens an, der durch symmetrische oder asymmetrische Ein- 
stellung an dem dislozierten Fragment oder durch Verbindung mit ver- 
schieden gerichteten Fortsätzen eine Beeinflussung des Fragmentes in fast 
jeder Richtung hin erlaubt. Bei doppelseitigen Defektfrakturen wird mit 
großem Erfolg zwischen ÖOberkiefer und mittlerem Fragment des Unter- 
kiefers eine extraorale Gelenksverbindung hergestellt, die gleichzeitig Fixa- 
tion und natürliche Beweglichkeit der Fragmente gewährleistet. — Was den 
Wert der Pelottenfixation zahnloser Bruchstücke betrifft, so schätzt ihn 
Schröder auch als Fixation bei Osteoplastiken recht hoch ein. — Be- 
herzigenswert sind die Ausführungen Schröders über die Nagelexten- 
sion, besonders wenn man endlich die Richtigkeit des Satzes allgemein 
anerkennt, daß jeder im Knochen implantierte Fremdkörper, wenn er auf 
Zug oder Druck beansprucht wird, durch Resorption in seiner Umgebung 
sich unbedingt lockern muß. Um deshalb besonders bei folgender Osteo- 
plastik die Einheilung des Transplantates nicht zu gefährden, muß vor 
allem der Extensionsnagel weit genug von der Transplantationszone an- 
gebracht sein, er muß möglichst sicher fixiert sein und muß vor allem 
vor Überlastung geschützt werden. Auch hierbei erweist sich die extraorale 
Gelenksverbindung oft von großem Nutzen. Daß die Fixierung von Frag- 
menten durch im Knochen verschraubte Stahlschienen erfolglos bleiben 
mußte, ist selbstverständlich. Wenn fremdes Material zur Überbrückung 

: von Defekten verwendet werden soll, so können Metalle gewiß nicht in 
Frage kommen. Die Tierversuche Schröders haben in der Umgebung 
von implantierten Schwermetallen stets Resorptionserscheinungen gezeigt, 
während Leichtmetalle, vor allem Magnesium rasch resorbiert werden. An 
Elfenbeinimplantaten zeigt dagegen der Tierversuch eine gleichen Schritt 
haltende Neubildung von Knochen an der Stelle des resorbierten Elfen- 
beins. Bei der Implantation von zugespitzten Elfenbeinspänen in Defekte 
des Kiefers kam die Knochenneubildung der Resorption des Elfenbeins 
nicht nach — vielleicht auch wegen der vorangegangenen Schädigung des 
Knochens — und das Implantat verfiel der Lockerung. Daher empfiehlt 
auch Schröder nur mehr die Autotransplantation. wobei die Knochen 
sich möglichst breitflächig berühren sollen. Überschuß von Periost ist zur 
besseren Vereinigung der Knochenenden recht gut, Einhüllung des Trans- 
plantates in Periostlappen aber der Einheilung direkt schädlich, was übri- 
gens besonders nach den Experimenten Macewens vorauszusehen ge- 
wesen wäre. Besonders für den Chirurgen berücksichtigenswert ist endlich 
die Angabe Schröders, man solle Operationsprothesen als Unterlagen 
für Plastiken nicht deshalb zu klein halten, weil die Ausführung der 
Plastik selbst dadurch schwieriger würde. Der funktionelle und kosıne- 
tische Erfolg einer formgerechten Prothese wiegt die Schwierigkeiten, die 
die Mobilisierung eines größeren Hautlappens verursacht, reichlich auf. 


52 : Vereins- und Versammlungsberichte. 


Gerade wegen des großen Wertes der eben besprochenen Arbeit kann 
die Bemerkung nicht unterdrückt werden, daß sinnstörende Druck- oder 
Schreibfehler, wie z. B. die Vertauschung von rechts und links bei der Be- 
schreibung desselben Falles, oder regenerativ statt degenerativ, sich dabei 
wohl hätten vermeiden lassen. Sicher. 


Some new forms of orthodontic mechanism and the reasons for their 
introduction. (Einige neue Formen orthodontischer Apparate und die 
Gründe für ihre Einführung.) Von Edward H. A n g le, MD. D. D. S. Sc. A. 
The Dental Cosmos, Vol. LVIII, Nr.9, September 1916. 

. Angle gibt in einem vor der Schülervereinigung der Angle- 
schen Schule für Orthodontie gehaltenen Vortrag eine Modifikation des 
Stift- und Röhrenapparates an, dessen Handhabung sich für viele als zu 
schwierig erwiesen hat. Er streift zuerst allgemeine orthodontische Fra- 
gen, richtet sich gegen die Praxis, einen oder mehrere aus der Reihe ste- 
hende Zähne zu extrahieren und führt die Folgen eines derartigen Verfah- 
rens an. Ferner warnt er vor zu spät einsetzender orthodontischer Behand- 
lung, was das Resultat bedeutend beeinflussen kann. Nachdem er weiter 
über die Bewegung der Zähne, über die anzuwendenden Kräfte, über 
ihre Größe ‘und Richtung gesprochen, gibt er die Forderungen an, die wir 
an einen brauchbaren Regulierungsapparat stellen müssen. Die Modifi- 
kation seines Stift- und Röhrenapparates besteht im wesentlichen in der 
Verwendung eines elastischen flachen, ungeteilten Expansivbogens mit 
parallelen Seiten und abgerundeten Rändern, die Verschlußschraubenmutter 
der Anker-Klammerbänder sind nicht gerade, sondern gekrümmt, wodurch 
ein besseres Anlegen des distalen Teiles der Scheiden bedingt ist, die ze-. 
mentierten Metallbänder sind im Zentrum ihrer Labialfläche mit einem 
oben offenen Röhrchen versehen, das zum Aufhängen des Expansions- 
bogens dient. 

Am Schlusse bespricht der Verfasser noch die Anwendungsart und 
demonstriert denselben an einem Falle von Infraokklusion und einem von 

Supraokklusion. Zilz. 


Vereins- und Versammlungsberichte. 





Verein Wiener Zahnärzte. 
Sitsung vom 21. Februar 1918. 


Vorsitzender: Prof. Dr. Fleischmann. 
Schriftführer: Dr.Bermann. 


Der Vorsitzende Prof. Fleischmann begrüßt die Anwesenden, 
begründet den Ausfall der Sitzungen und bittet die Mitglieder, die Führung 
des ständigen Programmpunktes „Aus der Praxis“ durch Demonstrationen 
oder Vorträge zu unterstützen. Er gedenkt in warmen Worten des plötz- 
lich aus dem Leben geschiedenen Dr.Schild (die Anwesenden erheben 
sich von ihren Sitzen). Ferner erbittet er sich vom Plenum die Vollmacht, 
den Verein als Mitglied des in Bildung begriffenen Vereines „Wissenschaft- 
liche Vereinigung der Zahnärzte der vier Zentralmächte“ anzumelden. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 53 


Dr.Friedmann berichtet über den Statutenentwurf dieses neuen 
Verbandes und will in der nächsten Sitzung ausführlich darüber referieren. 

Vorsitzender bittet das Plenum, den vom Ausschuß kooptierten 
Dr.Berger als zweiten Schriftführer zur Entlastung des kriegsverletzten 
Dr.Bermann zu bestätigen. (Geschieht.) 

Vizepräsident Dr.Steinschneider übernimmt den Vorsitz und 
erteilt Prof. Fleischmann das Wort. 

Prof. Dr. Fleischmann berichtet über mehrere Fälle von Spon- 
tanfrakturen nach Osteomyelitis. 

1. Bei einem Pat., der im Felde mit einer heftigen Schwellung des 
linken Unterkiefers erkrankte, trat nach vierwöchentlichem Aufenthalte 
im Spitale Spontanfraktur des rechten Unterkiefers ein. In der ihm zu- 
gänglichen Literatur konnte er einen analogen Fall finden. Vielleicht spiele 
die beginnende Tabes eine Rolle bei diesem Pat. mit. 

2. Infanterist N. erkrankte an einer Schwellung der rechten Wange, 
Diagnose: Osteomyelitis des aufsteigenden Kieferastes mit vollständiger 
Auslösung des Knochens und Fraktur ohne traumatische Einwirkung. 

Dr.Pordes bespricht das atypische Röntgenbild dieses Falles, an 
dem sich keine Entzündung und keine Randsklerose nachweisen läßt. 

3. Infanterist N. wurde vor drei Jahren durch Steinschlag in einen 30 m 
ticfen Abgrund geschleudert. Es kann an dem Pat. heute keine andere Er- 
krankung oder Anomalie nachgewiesen werden, als ein offener Biß. Nach der 
von Dr.Pordes gemachten Röntgenaufnahme läßt sich eine veraltete 
Fraktur des oberen Kiefers konstatieren, mit Senkung im rückwärtigen 
Anteile. In der Diskussion an diesem Befund beteiligten sich Dr. Spitzer, 
Dr.Pordes und der Vortragende. 

Doz. Dr.Spitzer erwähnt einen analogen Fall von Osteomyelitis 
des Unterkiefers. Eine Frau, die sich eine Brücke anfertigen ließ, erkrankte 
rıach Befestigung der Brücke unter großen Schmerzen. Als Pat. die Klinik 
aufsuchte — die Brücke war bereits entfernt — waren alle Zeichen einer 
floriden Osteomyelitis vorhanden. Es wurde breit ineisiert. Aus der Wunde 
entleerten sich viele Knochensplitter. Nach zwei Tagen war eine Fraktur 
des Kiefers zu konstatieren. Redner will Pat. in einer der nächsten Sitzun- 
gen vorstellen. 

Dr.Friedmann stellt einen Fall von Brückenersatz mit Ober- 
kiefer eines Pat. vor. Es handelt sich um Totalersatz. Er betont, daß er, 
wenn sich die Pfeiler ohne zu große Schädigung nicht herstellen lassen, 
es vorzieht, ungeteilt den Ersatz anzubringen. Es entwickelt sich eine leb- 
hafte Diskussion über den Wert und Zweck abschraubbarer Brücken, an 
der sich fast alle Anwesende beteiligen. Hierauf schließt der Vorsitzende 
die Sitzung. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 





Was nun? 


Das alte Österreich ist zerfallen und hat sich in eine Reihe von 
Einzelstaaten aufgelöst. Damit stehen die Organisationen, deren Wirken 
den ehemaligen Gesamtstaat umfaßte, vor der Aufgabe, sich den neuen 


34 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


Verhältnissen anzupassen. Auch der Zentralverband der österreichischen 
Stomatologen wird an dieser Aufgabe nicht vorübergehen können. 

Hervorgegangen aus dem vor etwa 20 Jahren gegründeten „Exekutiv- 
komitee“, das sich als Ziel gesetzt hatte, den immer anspruchsvolleren 
Übergriffen der Zahntechniker auf ärztliches Gebiet entgegenzutreten, das 
Assistentenwesen — oder besser gesagt Unwesen — zu regeln und viele 
andere Standes- und wirtschaftliche Fragen der gesamten Zahnärzteschaft 
in sein Programm aufzunehmen, hat der Zentralverband in diesen Be- 
langen allerdings Anerkennenswertes geleistet und die sich gestellten Auf- 
gaben, soweit es gegen die Unvernunft der Behörden und gegen sonstige 
Hemmnisse des alten Staates möglich war, erlüllt. Aber er war schon 
lange reformbedürftig. Es war kein glücklicher Gedanke, den Zentral- 
verband auf die Grundlage zu stellen, daß sowohl Zahnärzte einzeln 
Mitglieder werden konnten als auch zahnärztliche Vereine als solche, die 
dann Delegierte in den Ausschuß zu entsenden hatten. So konnte — 
gewiß ein Unikum — es geschehen, daß alle Mitglieder eines Vereines 
für eich Mitglieder des Zentralverbandes sein konnten, während ihr Verein 
nicht Mitglied wurde. Tatsache ist, daß bei weitem nicht alle Zahnärzte 
und nicht alle zahnärztlichen Vereine des ehemaligen Österreich, selbst 
nicht alle des heutigen Deutschösterreich seine Mitglieder sind. Daß er 
unter solchen Umständen die außerhalb der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage 
gelegenen Interessen der Zahnärzteschaft nicht mit dem nötigen Nach- 
druck zu vertreten vermochte, ist einleuchtend. -In dieser Frage war ein 
Zusammengehen der Zahnärzte und zahnärztlichen Vereine zur Not zu 
erzielen, eine Einigung in anderen wirtschaftlichen Fragen auf die Be- 
lastungsprobe zu stellen, wäre unter solchen Umständen aussichtsios 
gewesen. 

Und doch soll ein „Zentralverband“ das ausführende Organ aller 
zahnärztlichen Vereine bilden, soll alle Organisationen umfassen, 
gleichsam über den Vereinen stehen, die dann, von wirtschaftlichen und 
Standesfragen entlastet, sich nur der Pflege der wissenschaftlichen Be- 
dürfnisse der Zahnärzte widmen könnten. 

Das alles kann und soll nicht verschwiegen werden: Denn nur wenn 
wir uns der Fehler seiner Organisation bewußt werden, können wir 
an eine Reorganisation schreiten. 

Wohl hat es schon vor dem Kriege an Bemühungen nicht gefehlt, 
die Organisation der Zahnärzte des alten Österreich weiter zu fassen und 
insbesondere die nichtdeutschen Vereine für die gemeinsame Sache zu 
gewinnen. Nach dem bemerkenswerten Kongreß in Prag im Jahre 1913 
war man nahe daran, die tschechischen, polnischen und italienischen Vereine 
mit allen deutschen zu einem großen Verband zusammenzuführen. Da 
hrach der Krieg aus, da kam das Ende des Krieges und damit die Frage 
— was nun? 

Der Zentralverband sieht sich nun auf Deutschösterreich beschränkt. 
Und welches das Schicksal dieses Staates immer sein mag, an ein Fort- 
spinnen der in Prag geknüpften Fäden ist selbst für den unwahrschein- 
lichen Fall nicht zu denken, daß es zu der sogenannten Donauföderation 
käme. Viel wahrscheinlicher, weil natürlicher, ist unser Anschluß an 
Deutschland. Damit ist der Reorganisation ein neuer Weg gewiesen. Die 
7,ahnärzte-Zahntechnikerfrage, die gerade im Hinblick auf die wahrschein- 


Kleine Mitteilungen. 55 


liche Vereinigung mit Deutschland bereinigt werden muß, wird wieder 
akut. Wir haben ganz andere Bedingungen, zur zahnärztlichen Praxis 
zu gelangen, als in Deutschland und wir haben keine Kurier- und Gewerbe- 
freiheit, die dort besteht. Es sind jetzt und werden nach Friedensschluß 
noch mehr wirtschaftliche Fragen zu lösen sein. Und da tut eine 
festgefügte Organisation not. Diese durchzuführen, alle Zahnärzte 
Deutschösterreichs zu einen, es verhindern, daß die Vereine eigene Wege 
gehen, daß sich neue gründen, die abseits stehen, muß unsere Sorge sein. 
Nie war ein Zusammenschluß notwendiger als jetzt, und hoffentlich ge- 
lingt er in dem kleinen Deutschösterreich leichter als in dem vielsprachi- 
gen, national und gesellschaftlich zerrissenen alten Österreich. Aber Eile 
tut not, sonst gehen die Ereignisse über uns hinweg und während wir 
beraten oder richtiger, noch nicht beraten, stehen wir vor vollendeten 
Tatsachen und der Zentralverband ist eine Erinnerung gewesen. Caveant 
consules! E. P. 


Kleine Mitteilungen. 


(Zahnpflege in den Schulen, Errichtung von Sehulsahnkliniken.!) In 
der Zeit vor dem Kriege hat erfreulicherweise die Erkenntnis von der 
Wichtigkeit der Zahnpflege in den Schulen an Ausbreitung gewonnen, was 
besonders in der Bildung von Vereinigungen, die eich die Förderung der 
Errichtung von Schulzahnkliniken zur Aufgabe machten, Ausdruck ge- 
funden hat. Namentlich hat außer mehreren lokalen Vereinen die Öster- 
reichische Gesellschaft für Zahnpflege in den Schulen sehr verdienstvoll 
gewirkt. Leider hat der Krieg die Fortsetzung dieser Bestrebungen unter- 
brochen. Nunmehr soll von neuem darangegangen werden, Schulzahn- 
kliniken, und zwar in möglichst ausreichender Anzahl zu errichten, da 
das Bedürfnis nach diesen Einrichtungen gerade jetzt infolge des durch die 
Kriegs- und Ernährungsverhältnisse äußerst ungünstig gewordenen Ge- 
sundheitszustandes der Schuljugend ein sehr dringendes ist. Der gegen- 
wärtige Zeitpunkt ist für die Einleitung einer solchen Aktion deshalb be- 
sonders günstig, weil einerseits zahlreiche Zahnärzte wieder in ihr bürger- 
liches Verhältnis zurückgekehrt sind und verhältnismäßig viele junge 
Ärzte während der abgelaufenen Kriegsjahre in der Zahnheilkunde aus- 
gebildet wurden und anderseits zahnärztliche Einrichtungen und Instru- 
mente durch die Demobilisierung für die Friedensverwendung verfügbar 
geworden sind. Die Landesregierung wird daher eingeladen, ungesäumt 
mit den für die Errichtung von Schulzahnkliniken, beziehungsweise für 
deren Förderung in Betracht kommenden Faktoren (Schul- und Gemeinde- 
behörden, Krankenkassen, Ve&reinen, namentlich auch mit der Österreichi- 
schen Gesellschaft für Zahnpflege in den Schulen in Wien, VII., Neubau- 
gasse Nr. 72) das Einvernehmen wegen ehester Errichtung von Schulzahn- 
kliniken zu pflegen. Wegen Bereitstellung von zahnärztlichen Einrichtun- 
gen für den gedachten Zweck wird hierseits das Geeignete veranlaßt wer- 
den. — Zusatz an Wien: Hinsichtlich der Stadt Wien wäre auf die 
Errichtung von mindestens zehn geeignet gelegenen Schulzahnkliniken hin- 


1) Erlaß des Staatsamtes für Volksgesundheit vom 13. Dezember 1918, Z. 2115, 
an alle Landesregierungen. der aus.ugsweise im Heft 1 erschienen ist. 





56 Kleine Mitteilungen. — Personalien. 


zuwirken. Auch wäre anzustreben, daß die vor dem Kriege geplanten 
Schulzahnkliniken in Liesing, Mödling, Wr.-Neustadt ehestens in Betrieb 
gesetzt werden, daß die schon eingerichtete Schulzahnklinik im Wiener 
Gemeindebezirke Ottakring sofort eröffnet und daß, falls dies nicht schon 
geschehen sein sollte, die während des Krieges geschlossene Schulzahn- 
klinik in Baden wieder eröffnet wird. — An alle: Die Landesregierung 
wolle sonach ungesäumt die geeignet erscheinenden Veranlassungen treffen, 
beziehungsweise möglichst umgehend berichten, welche Einrichtungen und 
Instrumente benötigt werden. Allfällige Gesuche um einmalige staatliche 
Beiträge zu den Errichtungskosten sind entsprechend instruiert mit einem 
ziffernmäßigen Antrage über die Höhe der zu gewährenden Subvention 
hieher vorzulegen. 


(Das Zahntechnikergewerbe in der tschechoslowakischen Republik.) 
Eine Neuregelung des Zahntechnikergewerbes bezweckt ein der tschecho- 
slowakischen Nationalversammlung vorgelegter Antrag des Abgeordneten 
Slavitek: das Zahntechnikergewerbe soll ein konzessioniertes Ge- 
werbe sein. Das Gewerbe soll auf technisch-mechanischen Arbeiten — Er- 
zeugung von künstlichen /ähnen und Gebissen und Reparaturen dieser 
künstlichen Ersatzteile — beruhen. Weiters soll der Zahntechniker befugt 
sein, falls er gewissen Vorbedingungen entspricht: Zahnstein zu entfernen. 
Zähne zu reinigen, Zähne und Wurzeln zu schleifen; Gebißabdrücke für 
künstliche Platten, Zähne, Gebisse, Kronen und Brücken abzunehmen. 
künstliche Zähne, Gebisse, Kronen und Brücken zu befestigen und einzu- 
setzen; Zähne zu plombieren; Zähne zu ziehen, Zahn- und Wurzelreste 
zu entfernen, soweit dies zur Durchführung eines Zahnersatzes notwendig 
ist. Der Gesetzentwurf sieht auch vor, daß für die Fachausbildung der 
Zahntechniker jedes Jahr in Prag ein Kurs abgehalten werde. Nach Ab- 
solvierung des Kurses werden praktische Prüfungen aus den vorgetragenen 
Gegenständen abgelegt werden. Die Prüfung kann wiederholt werden; wer 
aber bei der zweiten Prüfung nicht besteht, erhält keine zahntechnische 
Konzession. 


Personalien. 





(Todesfall.) Am 14. Februar 1919 ist Dr. Ludwig Skorscheban 
nach langem, schwerem Leiden gestorben. Er war der Gründer und Obmann 
der wirtschaftlichen Organisation der Ärzte Wiens, für die er jahrelang 
eine aufreibende, erfolgreiche Tätigkeit entwickelte. Ihm allein ist es zu 
danken, wenn als Frucht seiner nimmermüden Arbeit nunmehr eine fast 
lückenlose Organisation der Ärzte dasteht, die gerade jetzt so dringend 
notwendig ist. Jeder Arzt wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren. 


— bh — 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, HI., Münrgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 
Organ fir, die wissenschaflichen Zahnärzte Österreichs... 


“ Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
-des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen und des Vereines steiermärkischer Zahnärzte, 





XVII. Jahrgang. März 1919. | 3. Heft. 





Nachdruck verboten. 


Otiginal Arbeiten, Be TE 


Aus der I.anatomischen Lehrkanzel der Wiener Universität 
(Vorstand: Prof. Julius Tandler). 5o “in. 


Die enganon am Nervus EE 
` Von Harry Sicher. CT eds 
(Mit 1 Tafel.) | 
Bekanntlich wird die Schleimhaut des :Alveolarfortsatzes des Helen 
kiefers nur zu einem geringen Teile von Ästen des Nervus alveolaris. in- 
ferior versorgt. Die gesamte Mukosa an der: Innenseite ist dem Vertei- 
lungsgebiet des Nervus lingualis zugehörig, während an der Außenseite 
neben dem N. alveolaris der N. buceinatorius jenen: Anteil der Schleim- 
haut versorgt, der neben der distalen Hälfte des II. Prämolaren, dem 
I: Molaren und der mesialen Hälfte des II. Mahlzahnes gelegen ist. Dieser 
Bezirk ist in seiner Größe variabel. Durch die : Untersuchungen von 
Scharlau wissen wir, daß er sich in seiner größten Ausdehnung vom 
Eckzahn bis zum Weisheitszahn ausbreiten oder aber auf das Gebiet 
der distalen Hälfte des zweiten Prämolaren und der mesialen Hälfte 
des ersten Molaren beschränkt‘ sein kann. Unf'also im Unterkiefer schmerz- 
los ‘operieren zu können, ist ‘neben'der Aussehaltung des N. alveolaris in- 
ferior auch die des N. lingualis und des N. buccinatorius notwendig. Wäh- 
rend der'’Zungennerv bei der mandibtlaren Leitungsanästhesie leicht mit 
‘erreicht werden kann, sind wir gezwungen,“ den ‘N, buccinatorius geson- 
dert aufzusuchen. In den meisten Fällen‘igenügt hiezu ja eine submuköse 
Iniektion am Alvedlarfortsatz neben‘ idem zù extrahierenden Zahn::: Hàn- 
delt es sith aber entweder um einen operätiven Eingriff in der ‘Ausdehnung 
mehrerer Zähne oder machen Entzündungserscheinungen eine‘ lokale Ein- 
-spritzung unmöglich, dann ‚wird auch hier eine ERDE des 
“ Nerven nötig werden: 
| In. der Literatur konnte ich: über diesen Genai nur” die Bener- 
“kungen - 'Willigers finden; die auch vòn Fischer ‘und Bünte:-und 
-Mo rât zitiert werden.‘ Willig-er:sägt darüber folgendes: „Nun. findet 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. H 


58 a e p any Bicher. 


Paa 


Porre 


“man aber i gelungener :Mandibularanästhesie fast a in der 
Wangenschleimkgut. etwa. 3—4 om ‘oberhalb der Übergangefalte nach vorn 

„pon der Mündung des Ductus Stenonianus eine in ihrer Größe nicht genau 

:bestimmbare anästhetische Zune. Sie wird vermutlich von einem mit dem 
Nervus buccalis anastomosierenden Ast des Nervus mandibularis versorgt. 

„Wenn man nun von dieser Stelle aus nach unten zu unter die Wangen- 
schleimhaut ein anästhesierendes Medikament injiziert, so wird auch die 
Leitungsfähigkeit des Nervus buccalis aufgehoben und damit eine absolute 
Unempfindlichkeit des Unterkiefers und seiner weichen Bedeckungen 
erzielt.‘ 

Die anatomische Betrachtung lehrt nun ohne weiteres, daß bei dieser 
Methode nur einzelne | vordere Äste des N. buceinatorius ausgeschaltet 
werden können, daß aber der Stamm des Nerven weitab von. der Injek- 
tionsstelle liegt. Da nun aber gerade die weiter zentral vom Stamm 
abgehenden Äste in ihrem Verlauf gegen die Schleimhaut des Alveolar- 
fortsatzes des Unterkiefers verfolgt werden können, ist es, glaube ich, nötig, 

-:nach einer Methode zu suchen, die eine totale Ausschaltung des Nerven 
erlaubt. Eine solche höchst einfache Methode ergibt sich nun auch tat- 
-:sächlich unmittelbar aus dem anatomischen Verhalten des Nerven. 
Der Nervus buceinatorius verläßt den dritten Trigeminusast am Fo- 
ramen ovale in enger Verbindung mit den motorischen Ästen für den Mus- 
- oulus"ieraporalis, dalfer’der’alte Name N: crotaphiticobuccinatorius — 
-Schläfenwangennerv — für den gemeinsamen Stamm. Er wendet sich nun 
absteigend gleichzeitig nach vorne und außen, wobei er zum Musculus 
pterygeideus externus ein variables Verhalten zeigt, indem er entweder 
' -anulen oder innen von diesem’ ‚Müskel gelegen’ sein’ kann, ihn auch oft' per- 
foriert. Immer aber gelangt er, an der medialen Seite des Kieferastes ab- 
wärisziehend, an die Innenfläche der Sehne des Musculus temporalis, dort, 
.wo sich diese an den Processus coronoideus anheftet. Dessen vorderen 
: Rand überkreuzt der Nerv fast. genau in der Höhe, in welcher sich bei 
‚ geöffneten Munde die Kauflächen der Zähne des ÖOberkiefers befinden. 
Knapp nach dieser Kreuzung teilt sich der Nerv und seine Äste erst durch- 
brechen den ‚Musculus buccinatorius, der ihn bisher von der Mundhöhle 
‚trennte, um in der Wangenschleimhaut und in dem früher beschriebenen 
' Bezirke am Alveolarfertsatz zu enden. Seine Ausbreitung reicht dabei bis 
«zum Mondwäünkel. 

‚Gerade die : verher erwähnte Kreuzungsstelle des Nerven mit dem 

vorderen Rand des Processus coronoideus ist der Ort der Anästhesie. 
: Stechen wir nämlich in der Ebene der oberen Kauflächen knapp vor dem 
' yorderen ‘Rande des Processus corenoideus in die Wangenweichteile ein. 
'.9 :haben wir. mit: der Nadel nur Mukosa, die submuköse Drüsenschiehte 








Die Leitungseanästhesie am Nervus buccinatorius. 59 


und die dünne Platte des Musculus buceinatorius zu durchsetzen, um in die 
unmittelbare Nähe des Nerven zu gelangen. Da die Dicke der darübergela- 
gerten Schichten eine variable ist, so tut man gut, während des Einstiches 
oder auch beim Zurückziehen der Nadel eine Strecke etwa in der Tiefen- 
ausdehnung von fünf Millimetern zu infiltrieren, so daß die Anästhesie in 
einer Tiefe von 5—10 mm zur Wirkung gelangt. 

Die beschriebene Stelle entspricht fast vollkommen derjenigen, die 
zur intraoralen Resektion des Nerven von Panas, später von Nelaton 
vorgeschlagen wurde, eine Methode, die durch Holl 1881 eine sichere 
anatomische Grundlage erhielt. Ho1ll sucht den Nerven am Grunde einer 
Turche, die sich bei geöffnetem Munde im hinteren Ende des Vestibulum 
oris findet. Sie wird lateral von der Wange begrenzt, medial durch eine 
Falte, die vom hinteren Ende des oberen Alveolarfortsatzes gegen den: 
letzteren unteren Mahlzahn absteigt. Die Falte enthält die Rhaphe pterygo- 
mandibularis, die vom Hamulus pterygoideus zum oberen Ende der Linea 
mylohyoidea abwärts zieht und an ihrem hinteren Rande vom Musculus 
buccopharyngeus, an ihrem vorderen von Fasern des Musculus buccina- 
torius zum Ursprung benützt wird. Die Furche selbst nannte Holl 
Sulcus buccinatorius, eben wegen ihrer topographischen Beziehungen zum 
gleichnamigen Nerven. Dort soll nach Holl der Nerv von der Mund- 
höhle nur durch die Schleimhaut getrennt sein, eine Angabe, die später 
auch Zuckerkandl wiederholt, die aber sicherlich unrichtig ist. Der 
Nerv liegt hier stets an der Außenfläche des Musculus buceinatorius, even- 
tuell der Rhaphe pterygomandibularis. „Wird am Lebenden oder Kadaver 
ein Schnitt am lateralen Rande dieses Sulcus geführt (die Schneide des 
Messers gering gegen den Processus coronoides gewendet), der die Schleim- 
haut und einige Glandulae molares durchtrennt, so trifft man sofort den 
Nervus buceinatorius, wie er auf der Sehne des am Processus coronoides 
sicn anheftenden Musculus temporalis aufliegt, und man hat ihn nur von 
dem ihn wenig einhüllenden Fettgewebe zu isolieren.“ 

Die Abbildung zeigt die Topographie des Nerven, die ganz der Be- 
schreibung H olls entspricht, wenn man davon absieht, daß eben auch 
der Musculus buccinatorius zu seiner Auffindung gespalten werden mußte. 
Die Abbildung unterrichtet auch über die Topographie der Injektions- 
stelle am vorderen Randes des Processus coronoideus, so daß weitere Aus- 
führungen wohl überflüssig sind. / 

Nur auf einen Punkt muß noch die Aufmerksamkeit gelenkt werden. 
Nach gelungener Leitungsanästhesie des Nervus bucceinatorius treten näm- 
lich am Mundwinkel Parästhesien auf, die aber nie eine größere Aus- 
dehnung erfahren. Da aber die bukkale Anästhesie immer zur Ergänzung 
der. mandibularen Leitungsunterbrechung ausgeführt wird, können sie even- 


5e 


60 'Emil Steinschneider und Fritz Pordes. 


tuell Veranlassung geben zur Verwechslung mit den nach Ausschaltung 
des Nervus alveolaris auftretenden Parästhesien an der Unterlippe. Für 
die letzteren ist aber immer ganz charakteristisch, daß sie sich über die 
ganze Unterlippenhälfte der betreffenden Seite ausbreiten. 

Literatur: Holl, Arch. f. klin. Chir. 1881. — Scharlau, Ergeb. d. ges. 
Zahnhlk. 1914. — Williger, D. Mschr. f. Żahnhlk. 1909. — Zuckerkandi, 
Langen b. Arch. 37. | | — 


Kinnfistel und kommunizierende paradentäre und 
periapikale Resorptionshöhlen — Traumaspätfolge (). 


Ein kasuistischer Beitrag zur zahnärztlichen und En 
Diagnostik. e 


Von Dr. Emil Steinschneider und Dr. Fritz Pordes. 
(Mit 1 Figur.) 

| Die 35jährige Pat. kam — vom Hausarzt mit der Vermutungs- 
dixgnose: Atherom der Kinngegend — in die zahnärztliche Ordination. 
Der erste Blick zeigte, daß es sich keinesfalls um eine Balggeschwulst 
handeln konnte. Die Kinngegend trägt eine — angeblich vor einigen Mo- 
naten spontan und unmerklich langsam entstandene, unscharf abgegrenzte. 
‚dem Knochen festaufsitzende, mit der Haut unverschieblich verwachsene, 
derbe, fast indolente Intümeszenz von der Größe einer kleinen Pflaume. 
Die Haut darüber ist gerade merkbar gerötet. Die Zähne des Unter- 
gehisses sind vollkommen intakt. Lediglich der linke untere Ecekzahn 
fällt durch cine leichte Verfärbung auf. Auch der veränderte Perkussions- 
schall macht ihm auf Pulptod verdächtig. Die Trepanation ‚bestätigt den 
Verdacht — es wird eine gangränöse Pulpa zutage gefördert. 

Um die Zusammenhänge mit dem mentalen Infiltrat klarzustellen. 
wird die Röntgenuntersuchung vorgenommen. Die äls erste gemachte 
Kinnibersichtsaufnahme enthüllt einen um die Wurzelspitzen der mittleren 
Schneidezähne gelegenen, mäßig scharf begrenzten Resörptionsherd von 
über Kirschkerngröße, dessen linker oberer Winkel einen fingerförmigen 
Fortsutz zeigt. Dieser Befund hätte zur Erklärung des Infiltrates völlig 
auszereichl und man hätte aus der in diesem Zeitpunkt erfolgten Been- 
digung der Röntgenanalvse schwer einen Vorwurf erheben können. 
Mit Rücksicht auf die klinisch erhobene Gangrän der linken Eck- 
zuhnpulpa wird dennoch eine Spezialeinstellung für den Eckzahn ge- 
məcht, mit ‘dem Resultat, daß die Eckzahnwurzel marginal von einem 
woane und apikal von einem periapikalen' Resorptioüsherd von je 
H: unlkomeruß umgeben ist. Die beiden ‘Höhlen liegen " RKäuptsächlich 


Kinnfistel und Resorptionshöhlen — Traumaspätfolge (?). | 6l 


distal und sind konfluiert — wovon eine stehen gebliebene vorspringende 
Zacke Zeugnis gibt. Von der periapikalen Höhle geht ein etwa 1!/s mm 
breiter „Kanal“ gegen die Höhle um die Einserspitzen, ohne den linken 
äußeren Schneidezahn einzubeziehen. Es ergibt sich der in der Figur 
ekizzierte Befund von zwei konfluierenden Höhlen am Eckzahn und einer 
mit diesen kommunizierenden Höhle an den Einserspitzen. Die ‚seltsame 
Morphe, die die Vermutung erweckt, als ob vom Eckzahn aus ein Sen- 
kungsabszeß zu den Einsern und von da das Kinninfiltrat entstanden sel, 
regt zu neuerlicher eingehender klinischer Untersuchung an. | 

Bei genauem Zusehen entdeckt man eine feine, blasse Narbe links 
neben dem Infiltrat. Auf genaues Inquirieren erinnert sich Pat., vor mehr 


Fig.1. 





47%; 
a? 


Kombinationsskigse als Ergebnis der Röntgenuntersuchung. 


als 30 Jahren — als Kind — auf diese Stelle gefallen zu sein. Ob 
nun cin Zusammenhang zwischen diesem Trauma und den Resorptions- 
prozessen überhaupt besteht, kann nicht sicher entschieden werden: Wenn 
es der Fall ist, könnte es nur in der mechanischen Schädigung der Pulpen 
und in der dadurch bedingten geringeren Resistenz der betreffenden Stellen 
bestanden haben, da die dem Alter der Trägerin entsprechend engen Fo- 
ramina apicalia Anzeigen, daß die Pulpen nn allzu lange tot sein 
können, 

Die faradische Untersuchung zeigt: daß alle vier Schneidezähne 
tebende (!) Pulpen haben. Die Pulpen der Einser haben also. die Re- 
sorption ihrer Spitzenalveolen überdauert und die Weichteile der .Pulpen 
müssen als durch die Resorptionshöhle ziehend angenommen werden. 

Es wird die operative Freilegung der Höhlen und Resektion der be- 
troffenen Apices beschlossen, muß aber aus äußeren Gründen von seiten 


62 Emil Steinschneider und Fritz Pordes. Kinnfistel etc. 


der Pat. um 14 Tage verschoben werden. Inzwischen kommt das Infiltrat 
am Kinn zur suppurativen Einschmelzung und zum Durchbruch, so daß 
sich eine typische Kinnfistel etabliert und knapp unter dieser eine dem 
Durchbrechen nahe bohnengroße fluktuierende Stelle. 


Öperationsbefund: Nachdem die Pulpen der ITi mit Arsen 
abgetötet und extrahiert worden waren, wird zur Operation geschritten. 
In typischer Weise werden unter Leitungsanästhesie die Wurzeln von [3 
und 1]i freigelegt. Um die Spitze des ß ein gut erbsengroßer, mit Gra- 
nulationen erfüllter Resorptionsherd, der sich an die distale Seite bis zur 
halben Wurzelhöhe fortsetzt. Um die beiden mittleren: Schneidezähne 
ein fast ebenso großer Hohlraum. Die freigelegten Spitzen der drei Zähne 
werden abgetragen — die des 3| ausgiebiger — die Wurzelkanäle mit 
Antiformin-Schwefelsäure gereinigt und mit Guttaperchapoints gefüllt. 
Mit einer Knopfsonde wird nun versucht, über Lage und Verlauf der 
Fistelgänge sich zu orientieren. Die durch die Kinnfistel geführte Sonde 
kommt leicht durch die Weichteile — und zwar nur durch diese — vor der 
Resorptionshöhle der 3 zum Vorschein. Von der Höhle der T[i kann 
man andererseits mit der Sonde wie durch ein Tunnel hinter dem intakten 
RB in der Höhe des unteren Drittels der Wurzel in die Resorptionshöhle 
des |3 gelangen. 

Der Weichteilfistelgang wird mit dem scharfen Löffel ausgekratzt, 
die fiuktuierende Stelle unterhalb des äußeren Fistelmaules inzidiert und 
ebenfalls mit scharfem Löffel behandelt. 


Von einer Naht wird sowohl innen als auch außen abgesehen, die 
inneren Wunden mit Jodoformgaze leicht tamponiert, die äußeren mit 
steriler Gaze bedeckt und verbunden. Am 3. Tage nach der Operation ist 
die Kinnfistel geschlossen, die Inzisionswunde verklebt. Die Jodoform- 
gaze wird entfernt und die Wunden nur mehr ganz leicht mit solcher 
bedeckt. Der [2 reagiert auf faradischen Strom nicht, was ja zu er 
warten war. 


Der Fall ist nach vielen Seiten hin lehrreich. — Man bedenke 
den Weg von der hausärztlichen Diagnose Atherom bis zum detail 
lierten klinischen und röntgenologischen Befund. Und selbst diese mit 
allen Hilfen gewonnene Erkenntnis erhält noch intra operationem insofern 
eine Modifikation, als die Kinnfistel nicht, wie man erwarten müßte, von 
dem Resorptionsherd an den Einserspitzen, sondern vom Eckzahnapex 
echräg nach unten vorne als reine Weichteilfistel verlief. 


\ 


Zusammenfassung: Man kann zwar zu wenig genau, nie 
mals aber zu genau und. vielgestaltig untersuchen. 





Winke für die Praxis. 63° 
Winke für die Praxis. 


Repetitorium der Brückentechnik. 
Von Dr. Emil Steinschneider. 


Bei der ungeheuren Verbreitung der Anfertigung von Kronen und 
Brücken sollte man meinen, daß die Grundprinzipien, die Technik, die 
Indikationen und Gegenindikationen ihrer Herstellung eo ins Fleisch und ` 
Blut der Zahnärzte übergegangen sind, daß füglich dar&ber nichts mehr: 
zu sagen wäre. Wenn man aber die Arbeiten, die einem iù- jahrelanger 
Praxis zu Gesicht kommen, kritisch prüft, wird man finden, daß dem 
nicht so ist. Jeder Tag bringt wieder den Beleg dafür, daß Unwissen- 
heit, Nachlässigkeit und Handeln gegen die bessere Überzeugung Arbeiten 
zustande kommen läßt, an die nicht einmal der Maßstab des Mittelmäßigen 
gelegt werden kann, die ein Schaden für den Patienten und letzten Endes. 
für den Verfertiger sind, Arbeiten, die danach angetan sind, die ‚ganze. 
Kronen- und Brückentechnik zu diskreditieren. 

Die folgenden Zeilen sollen also durchaus nichts Neues bringen, nur 
Altes und Bewährtes wiederholen, dazu bestimmt, ein Repetitorium für 
jene weniger erfahrenen Kollegen zu bilden, die gewissenhaft genug sind, 
vor jeder Brückenarbeit unter Berücksichtigung aller in. Betracht kom- 
menden Umstände das Für und Wider zu erwägen, um den Hilfe suchenden 
Patienten das Beste zu geben. Freilich ist es hiebei oft nicht leicht, 
der Indicatio morbi und der Indicatio causalis zu genügen: leider haben 
wir Zahnärzte in den meisten Fällen auch mit der Indicatio socialis zu 
rechnen, die sich nicht einfach mit dem Grundsatze in Einklang bringen 
läßt, daß das Beste gerade gut genug für die Patienten ist. Dann wird 
man sich bescheiden müssen und das tun, was unter den gegebenen Um- 
ständen erreichbar ist. i 

. Nach diesen Worten, die es zu rechtfertigen versuchen, daß das so 
oft bebaute Gebiet der zahnärztlichen Technik wieder Gegenstand einer 
Abhandlung ist, gehe ich daran, die gesamte Brückentechnik zu besprechen 
und von den folgenden Gesichtspunkten zu betrachten: Definition 
der Brücken, Brückenpfeiler und Art der Befestigung der 
Brücken, Stabilität und Bruchfestigkeit der Brücken, 
Einsetzen der Brücken, Kosmetik und Ökonomie sowie 
Hygiene der Brücken, und will zum Schluß noch einiges sagen über 
Schraubenbrücken und den Weiterbau der Brücken.. 
| Unter Brücken verstehen wir einen für den Patienten nicht ab- 
nehmbaren Zahnersatz, der mindestens auf zwei Widerlagern — Brücken- 
pfeilern — ruht und das Kauvermögen wiederherstellt. Demnach fallen 





64: Winke für. die Praxis., 


nicht unter den Begriff der Brücke die fälschlich als solche bezeichneten 
Prothesen, die nur an dem einen Ende fixiert sind und einen oder gar 
mehrere Zähne freisehwebend angehängt haben. Dies ist. nur ausnahms- 
weise am Ende einer größeren Brücke gestattet, also dort, wo die ein- 
eeitige Befestigung stark ‚genug ist, die Mängel dieser Art von Brücken 
nicht auftreten zu lassen. Diese Mängel bestehen darin, daß der als Hebel 
wirkende Schwebezahn den Stützzahn lockert und dadurch und infolge 
der Dehnbarkeit des Goldes labial respektive axial verschoben wird und 
auf diese Weise nicht nur den hygienischen und kosmetischen Effekt ver- 


eitelt, sondern auch den Zweck jeder Brücke, dem Kauakt zu dienen, . 


nicht erfüllt. 


Auch die vom Patienten herausnehmbaren Prothesen mit mehr oder 
weniger kleinen Platten oder Bügeln, sogenannte abnehmbare Brücken, 


werden wir, wie Kronfeld-richtig bemerkt, nicht unter die Brücken. 


rechnen; der Patient will in seinem psychischen Verhalten nicht beein- 
trächtigt werden, wenn er sich eine Brücke machen läßt, und das kann 


nur durch eine im Munde fixierte Brücke gewährleistet werden — wenn 


sie möglich ist. Das darf ung aber nicht verführen, dort Brücken zu 
machen, wo sie unmöglich sind, weil sie dureh ihre Insuffizienz dann 
den Patienten mehr irritieren, als die kleinen Unbequemlichkeiten einer 
herausnehmbaren Prothese. 


Wie müssen nun die Pfeiler dei Brücken beschaffen sein? 


Grundbedingung ist, die als Pfeiler dienenden Zähne zu devitalisieren. 


Nur so läßt sich ein Zahn schmerzlos und ohne Gefährdung der Pulpa 
so zuschleifen, daß der Kronenring fehlerfrei paßt. Die Nachteile eines 
nicht passenden Kronenringes — Auftreten von Karies, Reizung und 
chronische Entzündung des Zahnfleisches, Durchbeißen des zu dünnen 
Kronendeckels — sind nur zu bekannt, um noch besprochen werden zu 
müssen. Freilich, leichter, rascher und dem Patienten .mehr zu Gefallen 


läßt. sich so arbeiten. Aber sind das die Prinzipien, nach denen wir 
unser Tun und Lassen einrichten sollen? Nur ausnahmsweise ist es bei 


niedrigen, wenig gebauchten Zähnen und günstigem Biß, insbesondere bei 
Weisheitszähnen, möglich, ohne zu devitalisieren, den Zahn richtig. zu- 


zuschleifen. Andrerseits müssen sehr tief zerstörte Brückenpfeiler nach. 


durchgeführter Wurzelbehandlung aufgebaut werden, und zwar ausnahms- 
los mit gutem Amalgam oder Gold, nicht mit Kupferamalgam und. nicht 


mit Zement, nötigenfalls mit Hilfe von in die Wurzeln eingelassenen 


Stiften aus Platiniridium, gegebenenfalls auch aus unedlen Metallen (nicht 
aus Gold). Kupfer soll deswegen nicht verwendet werden, weil es das 


Gold der Kronen amalgamiert und brüchig macht. Auch alte, jahrelang. 


Winke für die Praxis. 63 


getragene Kupferamalgamfüllungen amalgamieren das Gold und müssen 
entfernt werden, während ein Aufbau aus gutem Amalgam schon nach 
einigen Tagen bedenkenlos als Träger einer Krone verwendet werden kann. 
Zement deswegen nicht, weil es, wenn der Aufbau bis unter das Zahnfleisch 
reicht, sicher aufgelöst und zur Unterminierung des Stützzahns Anlaß gibt. 
Das Zuschleifen geschieht mit großen und kleinen Steinchen, Schmelz- 
reißern, Fissurenbohrern und ist keine einfache Sache. Dazu gehört Ge- 
wissenhaftigkeit und viel Ausdauer. An mit chronischen Abszessen be- 
hafteten Zähnen, die unbedingt erhalten werden müssen, wird man die 
Wurzelspitzenresektion machen, die aber oft zweckmäßig erst nach dem 
Einsetzen der Brücke verschoben werden kann, wenn keine akuten Er- 
scheinungen zum sofortigen Eingriff drängen. 

Im allgemeinen sind Brücken mittelst Vollgold- bzw. Richmondkronen 
an den Pfeilern zu befestigen. Zu verwerfen und bei Befolgung des Grund- 
satzes der Devitalisierung der als Brückenpfeiler dienenden Zähne un- 
nötig sind die sogenannten Fensterkronen und die Inlays mit und ohne 
Stift. Man übt vielfach diese Art der Befestigung einerseits aus kosme- 
tischen Gründen, andrerseits um den Stützzahn nicht devitalisieren zu 
müssen. Aber die Fensterkronen können unmöglich am Zahnhals passen, 
da ja der lebende Zahn sich nicht bis auf die Zirkumferenz des Zahn- 
halses zuschleifen läßt. Karies und Pulpitis sind die Folgen. Inlays, 
auch Satteleinlagen, werden schon durch die physiologische Beweglichkeit 
‘der Zähne in den Alveolen beim Kauakt gelockert und das Ende ist 
wieder Karies und Pulpitis. Man muß eben den Mut haben, auch ganz 
gesunde Zähne zu devitalisieren und abzutragen, um der Hygiene, Kos- 
metik. und Stabilität der Brücke entsprechen zu können. Auch die früher 
vielfach geübte Methode des Befestigens der Brücken durch Inlays mit 
Stift in einem entnervten Zahn ist unzweckmäßig, weil das an die Brücke 
angelötete Inlay schwer tadellos passend gemacht werden kann. Nach 
Auswaschen des Zementrandes ist Karies des Zahnes und der Untergang 
‚der Brücke die Folge. | 

Eine andere Befestigung als durch Voll- oder Richmondkronen ist. 
nur unter besonderen Verhältnissen gestattet. Ganz kurze Brücken mit 
einem, höchstens zwei Zwischengliedern können an dem einen Ende sehr 
wohl durch ein Inlay befestigt werden, aber nur auf die von Sachs 
angegebene Art, daß das eine Ende der Brücke eine Vollgoldkrone trägt, 
-das andere einen kurzen, starken horizontalen Platiniridium- oder Gold- 
'zapfen, der in eine Aussparung an der Kauflächenseite eines Inlays des 
‘Pfeilers paßt. Es ist selbstverständlich, daß die Goldeinlage nach Allen 
‚Regeln der Extension for Prevention gebaut sein muß. In diesen Fällen ist 
der physiologischen Beweglichkeit der Zähne beim Kauakt dadurch Rech- 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 6 


66 Referate und Bücherbesprechungen. 


nung getragen, daß in der Aussparung der Goldeinlage der Zapfen einen 
gewissen Spielraum während des Kauens hat. Auch die von Weiser an- 
gegebenen Bars — starke, von dem einen Ende der Brücke ausgehende 
Platiniridiumbalken zum Einplombieren mit Amalgam in den Stützzahn 
— sind für die Dauer nicht praktisch, weil das Amalgam bald gelockert 
wird. Zu erwägen wäre diese Art der Befestigung ebenso wie die durch 
sogenannte Halbkronen dann, wenn Zähne als Pfeiler benützt werden 
müssen, die sich für die Herrichtung und als Träger von Vollkronen des- 
wegen nicht mehr eignen, weil sie stark aus dem Kiefer herausgetreten 
eind und die Teilungsstelle der Wurzeln zutage liegt. Die Halbkronen 
bestehen darin, daß der Kronenring nur bis zur größten Zirkumferenz 
der Zahnkrone reicht. In solchen Fällen kann man besser — nach De- 
vitalisierung — große, die ganze Kaufläche einnehmende, in der Pulpa- 
kammer verankerte Goldeinlagen als Brückenstütze verwenden. In allen 
diesen Fällen muß aber die der Zahnlücke zugewendete Seite des Zahnes 
vorher mit Gold oder Amalgam wieder nach allen Regeln der Extension 


for Prevention zur Verhütung von Karies gefüllt werden. 
(Fortsetzung folgt.) 





Referate und Bücherbesprechungen. 





*Röntgenologie. Eine Revision ihrer technischen Einrichtungen 
und praktischen Methoden. Gemeinsam mit Prof.v.Eiselse- 
berg, Dr. Fr. Eisler, Dr.M. Haudek, Prof.R. Kienböck, Dr. 
R. Lenk, Dr. med. et chem. L. Lilienfeld, Ing. R. Mayer, Dr. 
P.Odelga, Dr.Fr.Pordes, Prof.E.Sommer, O.Sommer, Dr. 
H.Wachtel, Dr.phil. Weissenberg bearbeitet und herausgegeben 
von Prof. Dr.G. Holzknecht. I. Teil: Fremdkörper, Verletzungen, 
chronische Eiterung. Urban & Schwarzenberg, Wien und -Berlin 1918. 


Der fast 600 Seiten starke, mit Illustrationen reich versehene vor- 
liegende erste Band dieses als großes Handbuch konzipierten Werkes bringt 
— soweit dies bei dieser rapid sich fortentwickelnden Wissenschaft über- 
haupt möglich ist — endgültige Klärungen der vielen im Kriege teils neu 
aufgetauchten, teils doch in den Prämissen’ wesentlich modifizierten Pro- 
bleme der Röntgendiagnostik. Im Kriege und durch den Krieg entstanden, 
vermittelt es dennoch alles eher als die in nicht allzu gutem Rufe stehende 
„Kriegsradiologie“ — der „behelfsmäßigen Verfahren‘ —, gibt vielmehr 
gründlichst Erforschtes, reiflichst Erwogenes und vielfach Erprobtes aus 
dem Kriege für den Frieden. — Wollte man versuchen, den Charakter- 
des Werkes, auf dessen reichen Detailinhalt näher einzugehen der Raum 
verbietet, kurz zu kennzeichnen, so könnte man sagen, daß produktives 
Ersinnen mit geduldigstem Erproben die vielen neuen Methoden auf die 
Formel: Einfachst, expeditiv und dennoch exaktest — gebracht hat. — 
Ein wesentlicher Grundzug der Schule Holzknechtse — die prä- 
valierende Verwertung der Röntgenoskopie — der Durchleuchtung — 


Referate und Bücherbesprechungen. 67 


kommt in der Methodik überall zum Ausdruck. Mit welchem Effekt — 
das kann nur der ermessen, der sich durch die Sintflut der röntgenographisch- 
stereometrischen Verfahren der Fremdkörperbestimmung, wie sie sich durch 
4 Jahre allwöchentlich über die Leser ergoß, — theoretisch und praktisch 
durchgearbeitet hat und mit deren Ergebnissen die Erkenntnis vergleichen 
kann, die beispielsweise mittelst „Durchleuchtung in Rotation‘ und mittelst 
des unübertrefflichen „Blendenrandverfahrens‘ wörtlich im Handumdrehen 
gewonnen wird. — Die Krönung des Gebäudes der Fremdkörperradiologie 
bildet die Operation unter direkter Leitung des Röntgenlichtes, wie sie 
von Holzknecht und Grünfeld als ersten 1904 ersonnen und von 
jenem im Verein mit Eiselsberg, Eisler, Odelga mit allem 
Raffinement der Technik an die aktuellen Bedürfnisse adaptiert und aus- 
gestaltet worden ist. — Die Methodik und ihre Haupt- und Nebenerkennt- 
nisse sind auch ohne „Projektil“ für alle Zwecke höchst wertvoll; so wird 
uns Bestimmung des Geschoßsitzes durch Mitbewegung mit einem be- 
stimmten Muskel — myologische Lokalisation — Lilienfeld —, 
ferner die Mitbewegung im Thorax — Kienböck — und in der Orbita 
— Holzknecht und Haudek — gewiß für die Friedensdiagnostik 
ebenso viel auszuwerten geben als in der Zeit der Steckschüsse. — Das 
Kapitel „Quere Rumpfaufnahmen“, Lilienfeld, mit den prachtvollen 
neuen Einstellungen, die die Schulter, das Brustbein, das Becken in Seiten- 
ansicht in ganz unerreichter Schönheit und Deutlichkeit zeigen, sind ein 
Produkt reinster Friedensarbeit und für sie bestimmt. Ebenso sind die 
Pathologie der Skelettverletzung und der chronischen Eiterung — Som- 
mer, Haudek — sowie die Methode der Füllung der Fistelgänge 
mittelst Kontraststäbchen zwecks radiographischer Darstellung — Holz- 
knecht, Lilienfeld, Pordes — überaus wertvolle Bereicherungen 
der Diagnostik — letztere insbesondere für die kommende Zeit des Über- 
ganges und der Nachbehandlung fast wichtiger als für die Kriegszeit. 

| Von besonderem Interesse ist die zusammenfassende Darstellung der 
Kieferröntgenologie von Fr.Pordes. In kurzer Weise, an Schlagworte 
gemahnend, wird übersichtlich das Instrumentar, die Aufnahmetechnik, 
Lagerung und Einstellung beschrieben. Ganz neu ist die vom Autor an- 
gegebene Methode der Spezialaufnahme des Kiefergelenkes, die es ermög- 
licht, die störenden Überschattungen auszuschalten. Welchen Wert diese 
einwandfreie Methode hat, kann nur derjenige ermessen, der sich oft vpr- 
geblich bemüht hat, die zweifellos vorhandenen Veränderungen im Be- 
reiche dieses Gelenkes festzustellen. Das Kapitel über den „Gang der 
Untersuchung“ zeigt in erfreulicher Weise, daß in der Methode System 
gelegen ist. Diesem Umstande dürfte nicht in letzter Linie der schöne 
Erfolg und die neuen Ergebnisse zuzuschreiben sein. Doz.Dr. Klein. 





Zur Verankerung künstlicher Gebisse im zahnlosen Ober- und Unterkiefer. 
Ein neues Öperationsverfahren. Von Oskar Zeller, Berlin-Wilmers- 
dorf. D.M. f. Z., H.1, 1919. 

Ein recht interessanter operativer Plan zur Erzielung einer Fi- 
xation totaler Ersatzstücke, der nur leider bisher lediglich auf Versuchen 
am Kadaver beruht. Er bezweckt — kurz gesagt — in beiden Kiefern 
die Schaffung epithelausgekleideter Kanäle, die in linguobukkaler Rich- 
tung den Alveolarfortsatz durchsetzen und Fortsätze der Prothesen auf- 


Ge 


68 Referate und 'Bücherbesprechungen. 


nehmen könnten. ‘An der technischen Durchführbarkeit ist gewiß nicht 
zu zweifeln, doch läßt sich natürlich über die Verwertungsmöglichkeit der 
Methode nichts sagen, bevor nicht Versuche am Lebenden gemacht sind, 
die ja in der Hand eines geschulten Chirurgen völlig aubeten en wären. 
cher. 


Schweizerische Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde. Bd. XXVIII, Nr.1, 2 
und 3. Sammelreferat. 


W.ild referiert in Nr.1 über „die im Bereich der Zähne 
lokalisierte Tuberkulose“, eine infolge der verschiedenen 
'Sehutzvorkehrungen der Mundhöhle seltene Erkrankung, von der er in 
der Literatur nur 72 Fälle ausfindig machen konnte. Von eigentlichen 
tuberkulösen Tumoren der ‘Schleimhaut sind nur zwei beobachtet worden, 
u. zw. von Clarke und Zilz. Beide Fälle betreffen den Unterkiefer. 
'Tuberkulöse Periostitis und Osteomyelitis lassen sich selten voneinander 
trennen; meist ergeben sie zusammen das Bild der tuberkulösen Ostitis. 
Die Frage, ob es eine tuberkulöse Pulpitis gibt, läßt Wild offen. Die 
tuberkulöse Lymphadenitis unterscheidet sich von der gewöhnlichen 
Drüsenentzündung bei Periostitis dadurch, daß nicht nur die zum Lymph- 
gebiet des Z ahnes gehörigen Drüsen anschwellen, sondern auch die benach- 
‚harten. 
| Prof. Gysi äußert sich an der Hand instruktiver schematischer 
Darstelungen über die Fehlerquellen, die bei Anfertigung einer 
"Kautschukplatte entstehen können, wenn den physikalischen und chemi- 
‘schen Eigenschaften der verwendeten Materialien nicht genügend Rechnung 
getragen ‚wird. Zwischen 10 Sekunden gerührtem Gips und 60 Sekunden 
'gerührtem verhält sich die Ausdehnung wie 1:21/2 und die Erhärtungszeit 
‘wie 2'/2:1. Langes Rühren beschleunigt also, wie bekannt, das Hart- 
werden, vermehrt aber die Ausdehnung. Gysi empfiehlt also bei Ge- 
‘brauch des zur Erhärtung gewöhnlich verwendeten Kochsalzes oder Kali- 
‘layns nur kurzes Rühren. Neuartiger sind seine Erwägungen über die 
-ungleiche Ausdehnung des Gipses beim Modellgießen. Zur seitlichen Aus- 
dehnung kommt immer die vertikale hinzu, die außerdem noch ungleich 
‘ist, weil der Gips bei Oberkiefermodellen über der tiefsten Gäumenpartie 
‘zirka ein Drittel dünner ist als über den Alveolarrändern.. Da Alaun und 
"Kochsalz im Mischwasser die Härte des Gipses beeinträchtigen, muß der 
“Ausdehnung des Modellgipses auf andere Art begegnet werden. Von größter 
"Wichtigkeit ist das richtige Mengenverhältnis von Gips zu Wasser (2: 1), 
man muß kräftig und kurz rühren und sofort gießen. Besonderen Wert 
legt Gysi darauf, daß Wasser oder Gips nie nachgemischt werde. Durch 
diese Maßregeln verringert sich die Expansion auf ein Minimum. Um das 
Aufquellen des Gipsmodells beim Vulkanisieren zu. verhindern, weiß 
Gysi kein verläßliches Mittel. Nur durch. Boraxhärtung des Modells 
"könnte dem entgegengearbeitet werden. 

„Ein neuer künstlicher Zahn“ wird von Bürcher- 
'Hinnen propagiert. Um die infolge der Lage der Stifte bei den bisher 
‘üblichen Zähnen häufigen Brüche zu vermeiden, werdet er eine LameHe 
-an, aus der zur Befestigung mit der Porzellanmasse zwei zungenförmige 
Lappen ausgestanzt sind. Diese liegen zum Unterschied von den bisher 
sehräuchliehen ‘Zähnen: in einer senkrecht zur Ebene der Hauptbearispru- 


Referate und Bücherbesprechungen. 69° 


chung: stehenden Ebene. Mittels der zungenförmigen Lappen wird die La-. 
melle so in Zahnmasse eingebrannt, daß sie bündig mit der Rücken- 
seite der Porzellanmasse zu liegen kommt. Zürcher-Hinnen hält 
diese Verankerung für solider als. mit Stiften und. betont das geringe. 
Volumen. Auch läßt sich bei Verwendung des Lamellenzahnes die Zahn- 
masse ohne Beeinträchtigung der Festigkeit - wesentlich schlanker gestal- : 
ten. Es ist ADZUWATIEN, wie sich der neue Zahn in: der Praxis be- 
währen wird. 

Nr.2 bringt in einem Sitzungsprotokoll der T A odi 
tologischen Gesellschaft bemerkenswerte Ausführungen über das .alte: 
Thema „Amputation oder Exstirpation“. Matter hat in 
langjähriger Praxis nicht einen Mißerfolg mit der Amputationsmethode : 
zu verzeichnen. Prof. Hess ist überzeugt, daß eine Totalexstirpation aus. 
anatomischen Gründen im günstigsten Fall nur bei Eck- und ‚Schneide- 
zähnen durchgeführt werden kann. Klei n hält jede Exstirpation nur für- 
eine tiefere Amputation. 

= Prof. Henschen bringt in Nr. 3 Demonstrationen aus. 
dem Gebiete der Deformitäten und der Geschwulst-, 
pathologiedes Kiefers“. Er erwähnt u. a. eine seltene und merk-, 
würdige sekundäre Metamorphose der bekannten Kieferepulig.: Neben einer. 
gewöhnlichen Epulis sitzt eine zweite, über -kirschgroße Epulis, die durch 
Anlagerung von Zahnstein eine knochenharte. Schale und dadurch .das, 
ussehen der Miesmuschel erhalten hat. Der Autor. weist zur Behandlung 
der Epuliden nachdrücklich auf die Röntgenbestrahlung hin, die bei diesen 
Eeiden bisher. weder angewendet noch vorgeschlagen worden ist. Einen sehr: 
interessanten Fall bildet eine chronische, durch Bacillus fusiformis be-. 
dingte Periostitis, die ein Unterkiefersarkom vortäuscht. | 

„Über die Resorption an Zähnen in Dermoid- 
eysten“ berichtet Marthaler. Höhlen an Zähnen in Dermoidceysten 
werden zumeist einfach als Karies bezeichnet; doch beweist die Unter- 
suchung eines Falles, daß es sich um Resorption handelt, da in der Ent-, 
kalkung keine Zonenbildung zu erkennen ist, da sich ferner in-den Höhlen. 
unzählige Resorptionslakunen finden, die denen bei der Resorption der 
Milchzähne und bleibenden Zähne vollständig gleichartig sind, und da 
schließlich in und an den Höhlen Mikroorganismen fehlen, . 

Geisbach hat einen „Pitceolo-Motor”“ an’'die Tretbohr- 
maschine montiert und auf diese sehr einfache Art einen brauchbaren Er- 
satz für nicht vorhandene oder Yerdorbene &ektrische Bohrmaschinen aus- 
findig gemacht. Wallisch jun. 


aan > -= eP 





Zar Deckung von Gaumendefekten "mit gestielten Halshantlappen: Von 
Max Kappis. Zentralbl. f. Chir., 1918,, Nr. 23. 


Der Autor würde für die Gaumendefektdeckung mit, "Zestielten Hais- 
lappen folgenden Weg vorschlagen: 

l 1. Sitzung: Bildung -eines genügend großen Hanklappene. am Hals 
Lappenbett und Lappenrückseite werden sofort nach T.h iersch: trans; 
plantiert..Zur genügenden Ausspannung wird der. ‚transplantierte Lappen, 
entweder Haut. gegen Haut mit Situationsnähten, völlig a usgespannt,, 
nach außen umgeschlagen oder in den: Defekt w jeder. eingenäht,, Traaplon. 


70 Vereins- und Versammlungsberichte. 


tat gegen Transplantat liegend, am besten mit zwischenliegender Stent- 
masse (Esser). 

2. Sitzung: Mobilisierung des Lappens bis zum Kieferrand, wobei: 
die Schnitte aus kosmetischen Gründen nicht zu hoch kommen dürfen. 
(Die Mobilisierung kann auch [Perthes] in mehreren Sitzungen er- 
folgen.) Eröffnung der Wangentasche von unten her an der Umschlagstelle 
zwischen Kiefer und Wange, wobei ‚besonders auf sichere Unterbindung 
der Maxillaris externa und auf genügende Erweiterung der Öffnung zw- 
schen Kiefer und Wange zu achten ist. Bei günstigen Umständen wird 
weiter gegangen; sonst 

3. Sitzung: Kann die Gaumenspalte genügend breit auf beiden 
Seiten angefriseht-werden, fehlt jede Spannung im Lappen, so kann unter 
Umständen der Lappen unmittelbar in die Spalte, und zwar an beiden 
Seiten eingenäht werden, Haut gegen Mundhöhle, transplantierte Seite 
gegen die Nasenhöhle. Breite Annähung, möglichst Entspannungsnähte, 
sind nötig, da der Lappen allmählich immer stärker gegen seine Ursprungs- 
Fa nach unten gezogen wird. Ist eine breite Anfrischung der Spalte, 

<ire spannunealose Naht nicht möglich, so erscheint es Kappis besser, 
das Lappenende im Munde in einem Wanderlappen zu bilden, dessen Stiel 
am Halse allmählich durchtrennt wird. 

4. Sitzung: Endgültige Durchtrennung des Stieles des Wander-. 
lappens und Einnähen des Lappene in den Defekt, Haut gegen Nase, 
Transplantat gegen Mund. 

5. Sitzung: Nach völliger Anheilung wird der Lappen von der 
Wange wieder abgetrennt und der Defekt endgültig geschlossen, auch auf 
der Entnahmeseite. 

Um den Zahnschluß und das Zerbeißen des Lappens zu verhindern, 
wird am besten ein kronenartiger Aufsatz auf den Zähnen befestigt. 
| Der Autor hält die Uranoplastik vom Halse aus in der beschriebenen 
Form bei den Gaumendefekten, bei denen die örtliche Plastik unmöglich 
oder mißlungen und eine Plastik aus der Nähe nicht gegeben ist, für die- 
einfachste und wenigst entstellende Methode. Zilz. 


Vereins- und. Versammlungsberichte. 


Verein: Wiener Zahnärzte. 


Sitzung vom 21. März 1918. 


Vorsitzender: Prof. Dr. Fleischmann. 
Schriftführer: Dr.Berger. ` 


Nach Eröffnung der Sitzung wird, da keine Mitteilungen an das Ple- 
num zu machen sind, zum zweiten Punkte der Tagesordnung übergegangen 
und Vorsitzender erteilt Doz. Dr. Spitzer das Wort. 

' 1. Doz. Dr. Spitzer stellt eine Pat. vor mit Spontanfraktur des 
Unterkiefers infolge Osteomyelitis. Der Pat. wurde von einem Techniker 
nach vorgenommener Wurzelbehandlung eine Brücke eingesetzt. Bald 
darauf setzten heftige Schmerzen ein und es trat eine Schwellung des Kie- 
fers ein. Nach Aufnahme in die Klinik wurde durch ausgiebige Incisionen 





Vereins- und Versammlungsberichte. iı 


Erleichterung geschaffen. Aus der Wunde wurde Sequester abgestoßen. Nach 
zwei Tagen kam es zur Spontanfraktur in der Gegend des Eckzahnes. ` 
Heute ist die Fraktur geheilt. 

Prof. Dr. Fleischmann schildert einen analogen Fall von 
Fraktur in der Nähe des Gelenkköpfchens. 

2. demonstriert Dr. Spitzer zwei nekrotische . Alveolarsequester 
nach Arsennekrose, hervorgerufen durch Behandlung eines :Weisheitszahnes. 

3. Eine operierte Alveolarzyste, die durch die Nase durchzubrechen 
drohte. Sie bestand seit 8 Tagen, wurde nach Partsch mit bestem Br- 
folge opertert ohne Tamponade. 

Dr. Steinscehneider demonstriert einen operativ geheilten Fall. 
einer an einem oberen Eckzahne vorhandenen „Fausse route‘ durch Auf- 
klappung der Schleimhaut und Füllung des Wurzeldefektes durch Amalgam. 
Bemerkenswert ist, daß überschüssiges Amalgam, das trotz BE ET 
Säuberung zurückgeblieben war (durch Röntgenbild nachgewiesen), reak- 
tionslos einheilte. 

Hierauf wurde .die Sitzung geschlossen. 


Sitzung vom 18. April 1918. 


Vorsitzender: Dr.Steinschneider. 
Schriftführer: Dr.Berman n. 


Vorsitzender entschuldigt den verhinderte Präsidenten. Er macht 

dem Plenum Mitteilung von dem Rücktritte Prof. S ch e ffs vom Lehramte 
und gedenkt in warmen Worten neuerlich der Verdienste, die sich Scheff 
ym den Verein erworben und gibt der Überzeugung Ausdruck, daß das 
Scheiden Prof.Scheffs bei allen Mitgliedern tiefen Eindruck üben und 
daß ihm alle, der fast allen Lehrer war, ein treues, dankbares Angedenken 
bewahren werden. Hierauf erteilt er Doz. Dr. Klein das Wort. 
Doz. Dr. Klein zeigt einen Fall von persistierendem Milchgebiß. 
Ätiologisch wäre nur Heredität nachzuweisen, da auch bei dem Vater 
des Pat. nur sechs bleibende Zähne durchgebrochen - waren. Röntgeno-, 
logisch keine retinierten Zähne nachweisbar. Pat. zeigt im Äußeren nichts 
feminines, was eventuell als Ursache angeführt werden könnte. Das Kiefer 
hat fast normale Größe, nur der Alveolarfortsatz ist zart entwickelt. 

Dr.Berger hält seinen angekündigten Vortrag: Über le 
Arbeiten (erscheint ausführlich in der „Öst. Zeitschrift für Stomatologie“ ), 

. Dr.Sös zeigt einen Fall von ausgedehnter Pyorrhoe, hei dem ne ihm 
gelang, durch eine infolge der schlechten Artikulation bedingte modi zie 
ißkappe Besserung zu erzielen. 

Hierauf wurde die Sitzung geschlossen. 


Sitzung vom 15.Mai 1918. 


Vorsitzender: Dr. Steinschneider. 
Schriftführer: Dr. Bermann. 


Da keine Mitteilungen zu machen sind; wird zum zweiten Punkte des 
Programmes geschritten. . 

Doz. Dr. Klein: Referat über Wurzelspitzenresektion. Vortr. wili 
ein Referat teilen, und zwar will er erst eine ‚Wurzelspitzenresektion an 
Pat. ausführen und dann sein Referat halter” ' 


12: Vereins: :und. Veersammlungsberichte. 


Die Anwesenden begeben sich in den Operationssaal,. wo -der Vortr. 
eine- Wurzelspitzenresektion an einem Pat. vornimmt. Das Referat wird, 
da die Zeit zu TE n ist, für die nächste Sitzung verschoben. 


Sitzung vom 13. Juni 1918. 


Vorsitzender: Dr.Steinschneider. 
Schriftführer: Dr.Bermann. 


Dr. Steinscehneider übernimmt den Vorsitz’ da Prof. Doktor 
Fleischmann durch eine Vorlesung verhindert ist. 
.. Doz.Dr. Klein hält das Referat über Wurzelspitzenresektion (er- 
scheint in der „Zeitschrift für Stomatologie“). 

- Dr. Reschofsky ist für die Füllung des Wurzelkanales vor der 
Operation oder während derselben und empfiehlt Amalgam. | 
‘. Dr. Klein ist unbedingt für die Füllung vor der Operation, da nur. 
so eine vollständige Trockenheit des Kanales gewährleistet ist. Fisteln 
am Gaumen werden auch von fazial operiert, da sich das Fistelmaul nach 
der Operation schließt. Die Fortsetzung der Diekussion wird für die 
nächste Sitzung nach den Sommerferien verschoben. 


Sitzung vom: 24. Oktober 1918. 


Vorsitzender: Prof. Dr. Fleischmann. 
- Schriftführer: Dr.Bermann. Ä 


i Prof. Dr. Fleischmann: Ich eröffne die erste Sitzung nach den 
Ferien und begrüße die Herren. Wir gehen trüben Tagen entgegen und 
fühlen dies als Staatsbürger und Berufsmenschen. 'Es ist klar, daß die 
Lage Wiens in nächster Zeit nicht die sein wird, wie sie es vor dem 
Kriege, ja selbst wie sie während des Krieges war. Wien wird verarmen, 
dies wird sich auch in unserer Praxis äußern. Die Entwicklung unseres 
Berufes bedarf einer wohlhabenden Atmosphäre, welche aber in künftigen 
Tagen fehlen wird. Deshalb müssen wir uns enger im Verein zusammen- 
schließen und durch Selbsthilfe, Kollegialität und: ‚fleißige Arbeit Ersatz 
zu schaffen suchen. 

T Als: Mitteilung hätte ich ihnen folzendes ansufuhzen: Vor einigen 
Monaten kam eine Aktion ungarischer Zahnärzte ins Rollen, die den Zu- 
sammenschluß der Zahnärzte der verbündeten Mächte bezweckte. Infolge 
der gegenwärtigen politischen Lage mußte dieser Plan vertagt werden. 
©  Dr.Steinschneider übernimmt. den. Vorsitz und erteilt Prof. 
Fleischmann das Wort zum nächsten Punkt der Tagesordnung : 
Demonstrationen. 

Prof. Dr. Fleischmann: Es gibt Fälle, wo eine Wurzelspitzen- 
resektion nicht möglich ist, oder aus verschiedenen Gründen nicht durch- 
geführt werden kann. Auch Fälle; wo Pätienten eine Operation verweigerten. 
Für solche Fälle ist es gut, sich einen permanenten Zugang zum Wurzel- 
kanal frei zu halten. Wir kennen das Bild solcher Zähne. Der Zahn ist 
periostitisch.. Es gelingt durch Maßnahmen die Periostitis oder: die Rei- 
zung zum Schwinden zu bringen. Der Zahn beruhigt sich. für kürzere oder 
längere. Zeit und hierauf wiederholt sich das Bild von neuem. In Fällen, 
wa der. Zahn Träger. einer Krone ist, auch als. Brückenpfeiler, bleibt, in 
diesen Fällen nur die Wurzelspitzenresektiop. als, ultimum - refugium 


oio -Vereins- und Versammlungsberichte.- - - 713 


zur definitiven Heilung übrig- Wenn nun eine sölehe aus irgendwelchem 
Grunde nicht möglich ist, so ist es gut, im vorhinein sieh einen Zugang 
zum Wurzelkanal frei zu halten. Ich verfuhr in einem solchen Falle fol- 
'gendermaßen: Bei einem Pat., der chon den zweiten Molar verloren hatte, 
kam der Weisheitszahn, der nur mit der Hälfte der Krone sichtbar war, aber 
mit dem oberen Molar sehr gut artikulierte, als Brückenpfeiler in Frage. Der 
‘Zahn verursachte zeitweilig Schmerzen, nach einer Influenza traten hef- 
tigere Schmerzen auf und nun sollte überdies dieser "Zahn als Brücken- 
pfeiler benützt werden. Von einer Krone mußte, da ja der Zahn höchst 
unvollständig durchgebrochen war, Abstand genommen werden. Es blieb 
also nur die Befestigung mittels eines Inlays übrig, welches durchbohrt 
war, so, daß ich mir durch dieses den Zugang zu dem Wurzelkänal offen 
hielt. Dies - 'bewährte- sieh nicht, weil die Sekrete des Wurzelkanales das 
Zement immer mehr auflösten, so daß schließlich das Inlay in der Luft 
lag. Ich suchte nun einen Weg, um die Sekrete von Zement, das das Inlay 
befestigte, abzuhalten. Ich ging so vor, daß ich mittels Folie-Abdruck von 
der Pulpakammer nahm. Hierauf wurde die Folie durchbohrt und in die- 
selbe ein Röhrchen bis in den Wurzelkanal reichend verlötet, und nun erst 
-konnte das eigentliche Inlay gegossen werden, so daß nun die Sekrete des 
Kanales mit dem Zement nirgends in Berührung kamen. Pat. trägt jetzt 
-die Brücke sechs Jahre. Vortragender demonstriert das Modell und die 
Röntgenbilder. 

Doz. Dr. Klein: Ich erlaube mir einige Fälle aus der Ambulanz 
‚vorzuführen, bei welchen eine falsche Diagnose gestellt wurde, sei es aus 
"Unkenntnis der anatomischen Verhältnisse, sei es aus ‚Mangel an Hilfs- 
mitteln und nicht entsprechender Auslegung von Radiogrammen. : 

1. Bei der Extraktion einer Wurzel eines ‘kleinen Schneidezahnes 
schlüpfte die Wurzel nach aufwärts. Der Pat. wurde der Klinik zuge- 
schickt, mit der Weisung, die' Wurzel aus dem Antrum zu entfernen. D 
‘das Antrum selten bis in die Gegend des kleinen Schneidezahnes reicht, 
war es wohl klar, daß es sich um eine Zyste handelte, in welche die Wurzel 
hineingeschlüpft war. 

Einem jungen Mädchen fehlte der erste Molar, oberhalb desselben 
bestand eine Fistel, in einer Gegend, wo also der Zahn bereits extrahiert 
war. Granulome heilen nach Extraktion des betreffenden Zahnes voll- 
ständig aus. Zysten aber nicht. Es wurde lege artis nach Partsch 
operiert. Nach 14 Tagen war. eine große Höhle zu sehen. Pat. sagte, 
sie könne keine. Nahrung zu steh. nehfhen. ohne ‘daß Speisen in- die Nase 
gelangten. Man bemerkte von der. ‚genannten Öffnung aus den Hiatus. 
. Das „Antrum war sehr breit .offen und..der Hiatus. von der Seite sichtbar. 
‚Ich. fragte beim Rhinologen an, ob nicht bereits Polypenbildung einge- 
treten sei und habe dann durch Operation den Verschluß bewirkt, Die Me- 
_ thode, durch, eine Pelotte mit. Stift ein durch den Mynd zugängliches.Antrum 
zu schließen, wurde bereits von dem Rhinologen veranlaßt. Der Stift ruft 
Störungen hervor, wie ich oft: Zu. beobachten Gelegenheit hatte. Oft habe 
ich dem Pat. daher den Stift im Einverständnis mit dem Khinologen weg- 
genommen. 

2. Es wurde mir ein Fall zur. Behandlung. zugewiesen, wo an dem. 
Pat. wegen habitueller Luxatio mandjbulad beiderseits- das: Unterkiefer- 
köpfchen. reseziert worden war; Sin: Vorgang; : dor gewiß nicht, zy recht- 
fertigėn ist. 


T4 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


3. An Röntgenbildern zeigt Vortr., daß oft eine falsche Auslegung 
der Bilder Veranlassung zu unnötigen Operationen gebe. 

4. Riesenzellensarkom, hervorgerufen wahrscheinlich durch Wuche- 
‚rung der Gingiva infolge bestehenden Kreuzbisses in der Gegend des großen 
Schneidezahnes. 

5. Hypertrophie des Zahnfleisches infolge schlecht sitzender Prothese. 

6. Im Anschluß und Verlauf der Grippe gibt es eine Stomatitis, die 
mit Hämorrhagien an den Papillen ohne Nekrose einhergeht, im Gegen- 
satz zur ulzerösen Stomatitis. Zur Behandlung empfiehlt Vortr. gründ- 
liche Spülung mit 12% H:O;. 5 Minuten Spülen, 5 Minuten Pause. Bei 
‚den Spülungen muß die Flüssigkeit fest durch die Zwischenräume der 
Zähne gepeitscht werden. 

Vorsitzender dankt Doz. Dr. Klein für das reiche Material, das er 
‚vorgeführt. 

Prof. Weiser erwähnt einen Fall von Stomatitis im Anschluß an 
Influenza, der infolge Sepsis zum Exitus führte. Dabei traten ungeheure 
Eiterungen und Schorfbildungen bis zu den Knochen auf. Ein diphtheriti- 
scher Belag hatte sich auf der Schleimhaut etabliert. Temperaturen über 
‚40°, später .schwanden die Membranen. Pat. starb jedoch unter dem Bilde 
einer Sepsis. 

Doz. Dr. Klein: Der Rhinologe, der heute Fälle von Kommunikation 
des Antrums mit der Mundhöhle zu behandeln hat, wird dem Pat. immer 
zur radikalen Operation raten, wie es auf den Kliniken Urbant- 
schitsch und Chiari sehon seit langem geübt wird. Bezüglich des 
von Professor Weiser erwähnten Falles ist er sehr skeptisch, denn 
es läßt sich ja heute schwer entscheiden, ob nicht die Sepsis das Primäre 
war und die Stomatitis hinzugetreten ist. 

Prof. W eiser erwähnt einen Fall, wo trotz radikaler Operation 
‚ein Rezidiv aufgetreten sei. Im übrigen ist es seiner Ansicht nach immer 
noch . angenehmer für den Pat. einen Ausfluß aus dem :Antrum in die 
Mundhöhle, als durch die Nase nach auswärts zu haben. 

Dr. Hecht ist in allen Fällen für die Radikaloperation wegen der 
Unannehmlichkeiten, welche die Kanüle dem Pat. verursacht. 

Hierauf wird die Sitzung geschlossen. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


‚(Mölrtärische Zahnambulatorien.) Dem Erlaß des Staatsamtes für 
Volksgesundheit vom 14. Februar 1919 über Zahnambulatorien ist zu 
entnehmen: 

Künftig haben nur folgende zahnärztliche Ambulatorien in Betrieb 
zu verbleiben, und zwar beim 

1. Rainer-Militärepital in Wien, XIII., 

2. Garnisonsspital Nr.1 in Wien, 

3. Garnisonsspital Nr.2 in Wien, 

4. Reservespital Nr.17 in Wien, 

5. Garnisonsspital Nr. 7 in Graz, 

6. Garmissnsepital Nr. 10 in Innebruck, 





Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 15 


7. Reservespital in Salzburg, 

8. Garnisonsspital Nr.4 in Linz, 

9. Reservespital in Klagenfurt. 

Die angeforderten Zahnärzte für die unter Post 5, 6, 7 und 9 
genannten Ambulatorien können von hier aus nicht zugeteilt werden. Falls 
unter den Berufsmilitärärzten des Territorialbereiches keine Zahnärzte zur 
Verfügung stehen, ist eine Vereinbarung mit Zivilzahnärzten zu treffen. 
Diese Vereinbarungen sind anher zur Genehmigung vorzulegen. 

Zahntechniker sind in der nur unbedingt nötigen Anzahl zu orts- 
üblichen Löhnen aus dem Zivil aufzunehmen. 

Auf unentgeltliche Behandlung haben Anspruch: 

a) alle aktiven Mannschaftspersonen, bei denen ärztlicherseits die 
Vornahme einer zahnärztlichen Behandlung notwendig befunden wurde, 

b) alle Kriegsbeschädigten (Gagisten, Mannschaftspersonen), die eine 
Verletzung der Kiefer bzw. der Zähne im Kriege erlitten haben oder an 
den Folgezuständen einer solchen Verletzung noch leiden. Kriegsbeschä- 
digte, die nicht mehr in spitalsärztlicher Behandlung stehen, haben nach- 
zuweisen, daß bei ihrer seinerzeit stattgefundenen Superarbitrierung er- 
wiesen wurde, daß es sich um eine Kriegsbeschädigung hinsichtlich der 
Kiefer bzw. Zähne gehandelt hat. 

Auf entgeltliche Behandlung haben Anspruch: alle aktiven Gagisten; 
sie haben für die zahnärztliche Behandlung eine nach dem zuliegenden 
Tarife: bemessene Entschädigung, welche nur die Materialkosten deckt, zu 
‚entrichten. Desgleichen können die nächsten Angehörigen (Frau und 
Kinder) der Berufsgagisten und  Berufsunteroffiziere die zahnärztlichen 
Ambulatorien- gegen“ Entgelt nach dem zuliegenden Tarife in Anspruch 
nehmen. 


Tarif 


für diejenigen MUNATBEIEAR, die in den zahnärztlichen Ambulatorien entgeltlich 
behandelt werden. 


Gültig vom 1. Dezember 1918. 


Extraktion eines Zahnes . . Chr SE E Ea 
Extraktion eines Zahnes mit Anästhesie a Fe a Er 
Amalgamfüllung . . . . 2 2.2.2.2. K5.— bis „ 10.— 
OOE 05% a ae et at 
DEDERE = s 05 ae ee a a IM 
ODAO 2 a S a ee a 
Arseneinlage . E E E WE: 
Wurzelbehandlung pro Sitzung und Zahn . . „ 2.— 
Entfernen des Zahnsteines . . ..K3— bis „ 6.— 
Myeiliche 2 Zähne (Platinzähne nach Tageskurs) DR 
hn . i ; <» 6— 
„ Kautschuk hiezu für ie ein Ersatastück E aeea a a a | 5 
Umarbeitung pro Zahn . . . ; E T 
Kautschuk für je ein Ersatzstück Er ne A ee 
Reparatur für jeden neueingesetzten Zehn... . „ 6.— 
a OER a a0 a ee re a A 
Rauhesauger pro Stück . . ee a M 


Gummiplättchen hiezu pro BE an „ l.— 


76 'Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


Goldkrone pro Stück Herstellungskosten . `. :: .K 20:— 
(Gold nach Gewicht und nach Tageskure Zi 10% ze“ 
Schwendung.) 

Richmondkrone pro Stück Heisiellunsässten Zr „ 20.— 
(Gold nach Gewicht und nach Tageskurs plus 10% 
Schwendung.’— Porzellanzahn nach Tageskürs.) | 

''Brückenglieder pro Stück Herstellungskosten . `% . „ 20.— 
(Gold nach Gewicht und nach Tageskurs ' plus 10% 

. Sehwendung. — Porzellanzahn nach Tageskurs.) - 


Goldplattierung eines ` Zahnes Herstellungskosten . . 19. — 
(Gold nach Gewicht.) È ea. 
Klammern aus Gold Herstellungskosten . . u 3.— 
‘(Gold nach Gewicht und nach Tageskurs.) 
Klammern äus unechtem Metall pro Stück . „.4— 
'Magnaliumgebisse pro Zahn o a a y D 
- Pro ‘Ersatzstück . .*% x ng p | ‚10.— 


: Anmerkung: a) Das verwendete Gold ‚wird zum ' jeweiligen 
A E berechnet, : wobei ein 10%iger Zuschlag für Schwendung in 
"Anschlag gebracht wird. b) Die- Behandlungskosten sind zu Beginn der 
z..nus zu erlegen. 


un (Die Verjährung der ärztliehen TEE LE ) Die dritte Tei- 
“ovelle zum bürgerlichen Gesetzbuche änderte den § 1486 dahin ab, daß 
„Forderungen der: Ärzte, Tierärzte etc. in 3 Jahren (früher 30 Jahren) 
verjähren. Der Beginn dieser Verjährung war mit 1. April 1916 festgesetzt, 
‚so daß diejenigen Honorarforderungen,. die bis zum 31. März 1919 ent- 
weder nicht neuerdings anerkannt oder gerichtlich eingeklagt wurden, 
am 1. April 1919 der Verjährung bereits verfallen gewesen wären. 

Die Vollzugsanweisung des -Deutschösterreichischen Staatsamtes für 
. Justiz vom 13. Dezember 1918, Nr.:-105 bestimmt jedoch, daß. die Ver- 
jährung für die Honorarforderungen der Ärzte (nebst anderen, dortselbet 
aufgezählten Forderungen) nicht-vor :Ablauf des: Kalenderjahres, das auf 
das Kriegsende folgt, eintritt. Der Tag, der als Kriegsende zu gelten hat, 
wird durch eine Vollzugsanweisung, : die bisher nicht erschienen ist, 
bestimmt. 

Es liegt im Interesse aller Kollegen, ältere Forderungen entweder 
sofort gerichtlich einzuklagen oder, wo dies aus. Opportunitätsgründen 
untunlich wäre, die Partei zu veranlassen, eine S E An- 
erkennung der Forderung zu geben. 

Bloße Mahnung, genügt nicht, um die Verjährung zu unter- 
brechen. 


4 


(Deutschösterreichisches Steuereinhebanziselek) 1. Direk Er 
die am 22. Dezember 1918 bereits fällig waren, sind (nötigenfalls“nach dem 
letzten .Zahlungsauftrage für die ' betreffende . .Steuerärt) spätestens am 
29. Januar‘ 1919 einzuzahlen. ' Sonst werden: bei Zahlung zwischen: 
30. Januar und 15.'Februar 1919 eine Krone für je. 100. Kronen und Rest 
über 50. Kronen, 16: Februar und 15. März 1919 'zwei Kronen: für je 
100 Kronen und Rest: über 50 Kronen; 16. März und 15. April drei 'Kronen 
für je 100 Kronen und Rest über, ‚Ho Kronen, USW. an Verzugszinsen 
berechnet. (81.) 





var 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


2. Kriegssteuer und Kriegsgewinnsteuer, über welche der Zahlungs- 
a zwischen dem 23. Mai und dem 21. Dezember 1918 dem Steuer- 
pllichtigen zugekommen ist, ist zur Gänze bis 29. Januar 1919 einzuzahlen, 
sonst werden Verzugszinsen wie unter 1. berechnet. (§ 2.) 

3. Kriegssteuer und Kriegsgewinnsteuer, über welche der Zahlungs- 
auftrag vom 22. Dezember 1918 an den Steuerpflichtigen zukommt, ist 
spätestens am 14. Tage nach dem Zustellungstag ganz zu bezahlen, sonst 
werden vom Tage nach der Zustellung bis zum Zahlungstage für jeden 
Tag 2,6 Heller für je 200 Kronen an Verzugszinsen berechnet. (§ 4, Ges. 
9. März 1887, Nr. 23, §$ 1, 3 und Ges. vom 23. Januar 1892, Nr. 26, Art. 1.) 

4. Im Jahre 1919 bleiben nur die Einzahlungstermine folgender 
direkter Steuern unverändert: Hauszinssteuer, fünfprozentige Gebäude- 
steuer, Rentensteuer im Abzugswege, Einkommensteuer, die vom Dienst- 
geber abgeführt wird, Besoldungssteuer und Tantiemenabgabe. Für die 
übrigen direkten Steuern gelten folgende besondere Einzahlungstermine: 
1. Februar 1919: Grundsteuer ganz, Hausklassensteuer ganz, Renten- 
steuer nach Bekenntnis ganz, Einkommensteuer (soweit sie nicht vom 
Dienstgeber abzuführen ist) ganz, allgemeine Erwerbsteuer ein Drittel, be- 
sondere Erwerbsteuer ein Drittel; 1. April 1919: allgemeine und besondere 
Erwerbsteuer, das zweite Drittel; 1. Juni 1919: allgemeine und besondere 
Erwerbsteuer, das letzte Drittel. Die Zahlung hat spätestens am 15. des 
betreffenden Monates zu erfolgen, sonst werden vom 2. des betreffenden 
Monates bis zum Zahlungstage für jeden Tag 2,6 Heller für je 200 Kronen 
an Verzugszinsen berechnet. ($3, und wie unter Punkt 3.) 

5. Die Zahlung hat zunächst nach dem letzten Zahlungsauftrage zu 
erfolgen, der dem Steuerpflichtigen für die betreffende Steuerart zuge- 
kommen ist. Nur Kriegsgewinn- und Kriegssteuer sind nur auf den ein- 
zelnen Zahlungsauftrag hin einzuzahlen. (§$ 3 und 4.) 

6. Die Steuerbehörde kann für die früheren Jahre ab 30. Dezember 
1918, für die Einkommensteuer für 1919 und die Kriegssteuer von 1918 
ab 1. Februar 1919, nach dem Bekenntnisse (nur wenn dieses in auffälligem 
Maße bedenklich erscheint oder überhaupt noch fehlt, nach ihren Behelfen ) 
vorläufige Zahlungsaufforderungen erteilen, deren Betrag (eventuell Diffe- 
renz gegenüber der bereits bezahlten letzten Vorjahrsvorschreibung) spä- 
testens am 30. Tage nach dem Zustellungstage zu erlegen ist, sonst werden 
vom 31. Tage an für jeden Tag 2,6 Heller für je 200 Kronen an Verzugs- 
zinsen berechnet. Gegen die vorläufige Zahlungsaufforderung ist nur 
Stundungsgesuch (siehe Punkt 8) zulässig. Der ordnungsgemäßen Be- 
steuerung wird durch sie nicht vorgegriffen. Stellt sich Überzahlung her- 
aus, so können an Vergütungszinsen für je 100 Kronen Überzahlung 
50 Heller für jeden vollen Kalendermonat und für mehr als einen halben 
Kalendermonat am Anfang oder Ende gefordert werden. (8 5.) 

7. Steuerbeträge bis 100 Kronen unterliegen keinen Verzugszinsen. 

8. Ansuchen um Stundung (2 Kronenstempel) eines nach diesen Be- 
stimmungen fälligen Steuerbetrages oder eines Teiles desselben und um 
Nachsicht der Verzugszinsen können nur aus einem der folgenden drei 
Gründe ausnahmsweise bewilligt werden: a) wenn der Steuerpflichtige an 
der Hand von Belegen dartut, daß die endgültige Steuervorschreibung für 
das betreffende Jahr in wesentlich geringerer Höhe erfolgen wird, für die 
Differenz, b) wenn der Steuerpflichtige an der Hand von Belegen dartut, daß 


18 Kleine Mitteilungen. 


er durch die Zahlung in wirtschaftliche Bedrängnis gerät, c) wenn örtliche 
Verhältnisse (z. B. fremde Besetzung) die rechtzeitige Steuerzahlung vor- 
übergehend ausschließen. ($ 6.) 

9. Liqùide Forderungen an ehemalige österreichisch-ungarische Heeres- 
stellen oder k.k. österreichische Staatsstellen werden bis zwanzig Prozent 
ihres Betrages mit fälligen Steuerzahlungen kompensiert. Der Nachweis 
ist der Steuerbehörde zu erbringen. 

10. Kriegssteuer und Kriegsgewinnsteuer kann mit vierter bis achter 
österreichischer Kriegsanleihe zu folgenden Kursen entrichtet werden: 
amortisable Anleihe: IV. 92,50, V.92,—, VI. 92,—, VII. 92,—, VIII. 92,—; 
Schatzscheine: IV. 95,—, V.96,—, V1. 93,50, VII. 94,—, VII. 95,50. 


Kleine Mitteilungen. 


(Zahnärztemangel in Obersteier.) Vom Stadtamt Rottenmann wird 
berichtet: Für Rottenmann ist die Distriktsarzt-Stelle ausgeschrieben. 
In ganz Öbersteiermark macht sich der Mangel eines Zahnarztes fühlbar. 
Von Leoben bis Aussee einerseits und bis Amstetten anderseits ist kein 
Zahnarzt, weshalb solchen Ärzten, welche Zahnarzneikunde betreiben, dıe 
Bewerbung um die Distriktsarzt-Stelle nahegelegt wird. (Grazer „Ar- 
beiterwille“ vom 11. Jänner 1919.) 


(Mangel an Zahnärzten in Deutschland.) In den „Münchner Neuesten 
Nachrichten“ schreibt Prof.Dr. Walkhoff: Während bei den meisten 
wissenschaftlichen Berufen seit. vielen Jahren ein starker Zugang, ja eine 
bedeutende Überfüllung festzustellen ist, ist für das Studium der Zahnheil- 
kunde auf den deutschen Universitäten bisher das Gegenteil der Fall. Viele 
Jüngere Kriegsteilnenmer, die einen neuen Beruf ergreifen wollen, sollen 
aas nun bei der Wahl des Studiums bedenken. Sie haben im Felde geschen, 
in welch außerordentlichem Unmmfange Zahnerkrankungen im Heere auf- 
traten und von allen Leiden die größte Ursache für die temporäre Feld- 
dienstunfähigkeit unserer Soldaten darstellten. Auch die Schulunter- 
suchungen in Friedenszeiton haben schon gezeigt, daß mehr als 90—95 % 
ailer Kinder kranke Zähne hatten. Es können jedenfalls noch viele Tau- 
sende von Zahnärzten in Deutschland eine sehr nützliche und einträgliche 
Tätigkeit für unser deutsches Volk ausüben. 


(Aufhebung der Beschränkungen des Verkehres mit Gummi.) Das 
Staatsamt für Kriegs- und Thergangswirtschaft hat durch Vollzugs- 
anweisung vom 12. Februar 1919 (St.-G.-Bl. Nr. 128) die Bestimmungen 
der Ministerialverordnung vom 31. Juli 1917 (R.-G.-Bl. Nr. 325), betreffend 
den Verkehr mit Rohgummi, Guttavercha, Balata, Gummimischungen, 
Guemmilösungen, Factis, Gummiabfällen und daraus hergestellten Re- 
gencraten, soweit sie sich auf den Verkehr mit Gummimischungen, Gummi- 
lösungen, Factis, Gummiabfällen und daraus hergestellten Regeneraten 
beziehen, außer Kraft gesetzt. 


_-- s> 8 > «e - — 


Für den wissenrchaftlichen Teil verantwortlicher Redaktenr: Dr. Emil Steinschneflder. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TIT., Münrgasse 6. 


Tafel 1. 


Harry Sicher: Die Leitungsanästhesie am Nervus buceinatorius. 





=e a nali 
ee 


Ir S u 


An einem median zersägten Schädel wurde durch Spaltung der Schleimhaut der Wange und 
des Musculus buccinatorius der gleichnamige Nerv bloßgelegt. 


D. St. = Sonde, in die Mündung des Ductus Stenonianus eingeführt. 
N.b. = Nervus buceinatorius. 
T, = oberfläehliche Portion der Temporalissehne am vorderen Rand des Processus coronoideus 
inserierend. 
.T,=tiefe Portion der Temporalissehne an der Crista temporalis mandibulae haftend. 


Zwischen T, und T, das obere Ende der Fovea retromolaris. 
Vor dem vorderen Anteil der Temporalissehne ist die Innenfläche des M. masseter sichtbar. 


Osterreichische Zeitschrift für Stomatologie 
Organ ir, die wissenschattlichen Zahnärzte Österreichs. 
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 


des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und 
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs. 


XVII. Jahrgang. April 1919. 4. Heft. 








Nachdruck verboten. 


Original Arbeiten. 





Über einen Fall von „Adamantinoma cysticum Hesse“. 


Von Dr. Franz Péter. 
(Mit 1 Figur.) 

Der in Folgendem zu beschreibende Krankheitsfall reiht sich an die 
Fälle, die ich in der „Österreichischen Zeitschrift für Stomatologie“ +) 
publizierte. Wie diese, ist auch er ein Fall, der aus der großen Reihe der 
„praktischen“ Fälle einer langjährigen Feldambulanz herausgerissen wurde 
und als vom Täglichen abweichend der Öffentlichkeit übergeben zu werden 
verdient. 

Am 3. August 1918 erschien in meiner Ordination der Feldwebel F.K. 
eines Epidemiespitales und gab an, daß er sehr starke Schmerzen im 
rechten Unterkiefer verspüre. Ich fand eine kariesfreie, komplette Zahn- 
reihe, sämtliche Zähne im Oberkiefer und Unterkiefer vorhanden, mit Aus- 
nahme des rechten unteren Weisheitszahnes. Der rechte untere zweite 
Molar klopfempfindlich, keine Karies, auch sonst keine Spur einer krank- 
haften Veränderung zu sehen. Der Zahn wurde außer Artikulation gesetzt, 
Patient fühlte sich erleichtert und wurde entlassen. Zwei Tage später, 
‚also am 5. abends, telephonierte mir sein Kommandant, daß der Mann Sonn- 
tag abends plötzlich erkrankt sei, heftiges Fieber bekommen und sich bei 
ihm im Laufe des Tages eine starke Schwellung der rechten Gesichtshälfte 
eingestellt hätte. Dienstag den 6. früh übernahm ich den Patienten in 
Spitalsbehandlung. Nun hat sich aber in der Zwischenzeit das Bild einer 
schweren Erkrankung ausgebildet. Patient fieberte bis 40°, bekam Schüttel- 
frost, es trat eine starke Schwellung der rechten Gesichtshälfte auf von 
einer eigentümlich teigigen Konsistenz, auf den Hals übergreifend und mit 
starker Kiefersperre und enormer Druckempfindlichkeit des Unterkiefer- 
astes, besonders am hinteren Rand einhergehend. Ich untersuchte den 
Patienten nun gründlich, fand aber, daß der Unterkiefer im Bereiche der 


1) Siehe H.2, 1919. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 


=] 


80 Franz Péter. 


Zähne beiderseits gut abzutasten und ohne Infiltrat war, und schloß da- 
durch eine mit den Zähnen zusammenhängende Periostitis aus. Die teigige 
Konsistenz der Schwellung erinnerte an das Bild der Parotitis epidemica 
und hätte nicht die Halbseitigkeit der Schwellung diese Erkrankung aus- 
geschlossen, hätte ich mich sicherlich zu dieser Diagnose entschlossen. 
Da nach den allgemein üblichen Behandlungsarten (Umschläge, Mund- 
spülungen etc.) der Zustand des Patienten sich nicht besserte, konsultierte 
ich am andern Morgen, Mittwoch, den Konsiliarchirurgen des 7. Korps; 
ich konnte die Diagnose nur auf eine Zyste stellen, welche sich am Unter- 
kieferwinkel um den retinierten Weisheitszahn entwickelt und welche sich 
durch Schrunden, die in der Schleimhaut des Trigonum retromolare durch 
den tief hinein beißenden oberen Weisheitszahn verursacht wurden, infiziert 
hatte und zur Vereiterung gekommen war. Ich extrahierte nun diesen über- 
zähligen oberen Weisheitszahn; und da der II. untere Molar an diesem Tage 
deutlich etwas gelockert war und die Schleimhaut an dessen distaler Seite 
gerötet und geschwollen erschien, auch diesen Zahn, in Anbetracht der 
drohenden Symptome, insbesondere der Kiefersperre, des Übergreifens der 
Schwellung auf den Hals und des sich wiederholenden Schüttelfrostes. Es 
entleerte sich aus einer hinter dem Zahne gelegenen Höhle Eiter. Patient 
fühlte sich erleichtert. Nur kurze Zeit dauerte aber diese Erleichterung, 
der Zustand hat sich im Laufe des Tages nicht wesentlich verändert; 
von aulsen kein Zeichen eines zirkumskripten Infiltrates, geschweige denn 
einer eitrigen Einschmelzung im Bereiche der Schwellung, was uns einen 
Fingerzeig für einen Eingriff von außen hätte abgeben können. So ent- 
schlossen wir uns im Laufe des Nachmittages, den Eiterherd von innen her 
breit freizulegen, und ich nahm nun von der die Höhle bedeckenden Schleim- 
haut so viel weg, als ich nur konnte. Nun ging eine Unmasse Eiter ab; 
allerdings machte ich diesmal die Entdeckung, daß wir es nicht mit einer 
einfachen Abszeßhöhle zu tun haben, sondern daß diese Abszeßhöhle am, 
aufsteigenden Unterkieferast sehr weit eine Ausbuchtung haben muß, denn 
beim Druck knapp unterhalb des Gelenkkopfes strömte schon Eiter aus 
der Wunde. Nach diesem reichlichen Eiterabgang besserten sich tatsäch- 
lich die Erscheinungen; Schüttelfrost kam nicht wieder, obwohl die Tem- 
peratur ständig in der Höhe blieb; 38—39° abends; die Schwellung wurde 
etwas weicher, die Schmerzhaftigkeit am Unterkieferast ließ nach; wir 
warteten zunächst zu. Sonntag den 11. August erfolgte nun plötzlich eine 
Verschlimmerung des Zustandes, indem die Schwellung innerhalb weniger 
Stunden rasch zunahm und sich insbesondere am Halse als breites Ödem 
ausbreitete. Nun bat ich den Chirurgen, von einem Eingriff von außen 
abzusehen und noch einmal von der Mundhöhle aus einzugreifen. Ich habe 
nun einen Hebelversuch gemacht, da ich in der Tiefe der Abszeßhöhle die 


Über einen Fall von „Adamantinoma cysticum Hesse“. 8I 


Höcker des Weisheitszahnes zu tasten glaubte und die leere Alveole des 
zweiten Molaren einen günstigen Angriffspunkt für den Hebel abgab. 
Den Weisheitszahn bekam ich nicht, förderte aber durch 2—3 kräftige 
Hebelversuche eine Reihe von Sequestern zutage und nun strömte der Eiter 
wieder von allen Seiten. Jetzt erfolgte erst eine rapide Besserung, die 
Schwellung ging zurück, die Kiefersperre ebenfalls ziemlich rasch, Schmerzer 
haben vollständig aufgehört und innerhalb weiterer vier Tage sank auch 
die Temperatur zur Norm. Im Laufe dieser Behandlung wurde zwar schon 
eine Röntgenaufnahme gemacht, die aber nicht besonders gelungen war, 
man konnte sich nicht recht auskennen; einen Schatten im Unterkiefer- 
winkel deutete der Röntgenologe als den retinierten Weisheitszahn. Ich 
hatte nun allen Grund, die Richtigkeit meiner Diagnose sowie der Be- 
handlungsart nicht anzuzweifeln. Ich behandelte die breite offene Höhle 
mit Wasserstoffsuperoxyd-Ausspülungen weiter, Patient war vollkommen 
beschwerdefrei und am 20. August entließ ich ihn zu seiner Abteilung mit 
dem Auftrag, bei der geringsten Störung sich bei mir wieder vorzustellen. 

Am 5.September erschien Patient wieder im Ambulatorium. Er gab 
an, absolut keine Schmerzen zu haben, sich wohl zu fühlen. Nur kommt hie 
und da, besonders in der Früh, aus der immer noch offenen Wunde Eiter. 
Tatsächlich war die Wunde selbst reaktionslos, der Unterkiefer schmerz- 
los, beim Druck am oberen Teile des Unterkieferastes entleerte sich reich- 
lich dünnflüssiger, grünlichgelber Eiter. Viel auffallender war, daß der 
kräftige Patient vollständig abgemagert war und in dem rasch abge- 
magerten Gesicht erschien die rechte Unterkieferregion, besonders in der 
(Gegend des Kieferwinkels deutlich geschwollen. Nur ein Sequester konnte 
der Grund sein! Ich machte die Anästhesie, legte wieder die Höhle frei und 
entfernte einige kleine Sequester; sonst konnte ich nichts finden; die Sonde 
rutschte aus der Abszeßhöhle entlang dem rauhen Unterkieferast in die 
Höhle. Jetzt erst konnte ich ein besseres Röntgenbild bekommen. An 
diesem war kein Weisheitszahn zu sehen, es war also unsere Diagnose nicht 
richtig. Der ganze Unterkieferast erschien ganz eigentümlich zerklüftet 
und gelockert. Als ganz merkwürdiger Nebenbefund erschien aber in der 
Mitte des Unterkieferkörpers eine haselnußgroße separierte Cyste und im 
vorderen Anteil des Körpers noch eine kleinere. Ich war nunmehr nicht im 
klaren über die Krankheit und fuhr mit dem Patienten ins Kieferspital 
nach Udine, wo ich mit tüchtigen Fachkollegen konsultierte. Auch hier 
gelangten wir zu keiner Diagnose. Erst im Laufe der Zeit ist es mir 
gelungen, das Krankheitsbild zu diagnostizieren. Hesse hat dasselbe 
unter dem Namen Adamantinoma eysticum beschrieben. 

Nach dem Handbuch von Partsch finden sich in diesem Falle 
multiple Zystenbildungen im Unterkiefer, welche ihren Ursprung von ver- 


7% 


82 Franz Péter. Über einen Fall von „Adamantinoma cysticum Hesse“. 


sprengten Schmelzkeimen nehmen. Manchmal erscheint der ganze Unter- 
kiefer wie aus lauter Waben bestehend, sie durchbrechen den Kieferkörper 
und liegen unter dem Periost. 

Daß versprengte Epithelzellen zur Zystenbildung Veranlassung 
geben, sehen wir oft an den follikulären Zysten. Der große Unterschied 
diesen gegenüber besteht darin, daß die Zysten multipel auftreten und tief 
im Unterkieferkörper eingebettet liegen. Der Kiefer ist nun im ganzen 
aufgetrieben und wir haben es mit einer Tumorenbildung zu tun. 


Fig.1. 


ms 





Im vorliegenden Fall ist es nun wahrscheinlich zu einer Konfluenz 
mehrerer Zysten im aufsteigenden Ast gekommen; die so entstandene große 
Zyste ist nun vereitert, woran wahrscheinlich die vom oberen Weisheits- 
zahn verursachten Schrunden die Schuld tragen, die ja schon öfters zur 
Vereiterung von Weisheitszahnzysten Veranlassung gaben. Der kompli- 
zierte Verlauf ist durch diese Annahme leicht zu erklären. 

Der Fall hat viel Ähnlichkeit mit dem, den Bock in seiner Arbeit 
(„Öst.-ung. V.-J.-Schr. f. Z.“ 1906) als Fall 7 publiziert hat. Nur ist der 
Fall erst im 4. Jahre der Erkrankung zur Beobachtung gekommen, während 


Winke für die Praxis. 83 


hier der Patient sofort nach Beginn der akuten Erkrankung beobachtet 
werden konnte. 

Die anderen Zysten im Unterkiefer sowie der schleppende Verlauf, 
die totale Zerklüftung und Zerstörung des Unterkieferastes sichern die 
Diagnose. z 

Was den weiteren Verlauf des Falles anbelangt, so ist der Mann einige 
Zeit im Kieferspital in Udine geblieben; dort wurde er noch einmal 
operiert, wieder wurden Sequester entfernt; ich sah den Mann Anfang Sep- 
tember: im Zustand keine nennenswerte Änderung. Er wurde dann ins 
Hinterland abgeschoben und vor einigen Tagen erhielt ich Bericht über 
seinen Zustand. Er ist noch immer nicht gesund, schon einige Male 
wurden wieder Sequester aus seinem Unterkiefer entfernt und wenn auch 
der Zustand sich etwas gebessert hat, ist er noch immer geschwollen. Die 
Chirurgen, die ihn jetzt behandeln, denken an Osteomyelitis. 

Das beigefügte Röntgenbild (Fig.1) verdanke ich ebenfalls dem .- 
Kollegen, der mir über den Fall berichtete, da ich die ursprünglichen Auf- 
nahmen im Rummel des Rückzuges verlor. 

Es ist wohl äußerst interessant, daß eine Versprengung von embryo- 
nalen Zellen hier gerade in einem Fall stattgefunden hat, wo sonst in 
Bezug auf die Zahnbildung ein geradezu idealer Zustand, eine intakte 
Zahnreihe, fast kariesfreie, kräftige, gesunde Zähne, sich vorfanden. Ein 
lehrreicher Fall aus den Grenzgebieten, denn der klinische Verlauf führt 
vom Zahnarzt zum Chirurgen, von der einfachen Periostitis zur allge- 
meinen Tumorenlehre. 

Uber die Literatur verweise ich auf das Handbuch von Partsch, 
Bd.1, S. 216. 





Winke für die Praxis. 





Repetitorium der Brückentechnik. 


Von Dr. Emil Steinschneider. 
(Fortsetzung.) 
StabilitätundBruchfestigkeit der Brücken hängen von 
zwei Momenten ab: Von der Beschaffenheit des verwendeten Materials und 
der Art der Arbeit einerseits und von der Beschaffenheit und der Zahl der 
Pfeiler andererseits. Es ist überflüssig zu sagen, daß man nur bestes 
Material verwenden soll. Für gegossene Brücken verwenden wir nur nicht 
verunreinigtes Gold (18—22 Karat). Die oft beliebte Verwendung von 
Überbleibseln, Gekrätz usw. zum Gießen rächt sich durch Poröswerden 


84 Winke für die Praxis. 


des Gusses und Bruch der Brücke. Nebst gutem Material ist natürlich auf 
saubere und exakte Arbeit zu sehen. Der Brückenkörper muß immer auf 
der Kaufläche der Pfeilerkronen, eventuell mit Hilfe von vom Körper aus- 
gehenden Fortsätzen angelötet werden. Zweckentsprechend ist es, die 
ganze Brücke durch Platin-Iridiumdraht, der von den Kronen auf den 
Brückenkörper läuft, zù verstärken. Niemals ist der Brückenkörper nur 
an den Wänden der Pfeilerkronen anzulöten, weil die Gefahr des Reißens 
des Goldes dort am größten ist. Fehler, die aus der Beschaffenheit des 
Materials und der Art der Arbeit fließen, lassen sich bei einiger Gewissen- 
haftigkeit immer vermeiden, viel schwieriger die, die sich aus der Be- 
schaffenheit der Pfeiler ergeben, ihrer Unzulänglichkeit, ihrer unzweck- 
mäßigen Belastung und aus Fehlern in der Konstruktion der Brücke. Über 
die in ihrer Konstruktion verfehlten „Konsolen“ wurde schon gesprohen. Es 
ist sicher, daß eine Brücke um so dauerhafter sein wird, auf je mehr Pfeilern 
sie ruht, aber auch hier ist ein Zuviel von Schaden und man wird von den 
“zur Verfügung stehenden Stützzähnen mit weiser Vorsicht extrahieren, um 
ein besseres Passen bzw. Einsetzen und damit eine größere Dauerhaftigkeit 
der Brücke zu ermöglichen. Es wäre z.B. eine Brücke zu machen vom 
ersten Molaren links bis zum ersten Molaren rechts unten und es wären die 
Zähne und Wurzeln nach folgender Formel zur Verfügung 

..6.4r82111.3.56.., wobei die 35.1]1.3 ganz gesund, der 2] und die 
Wurzeln von 4] mit gangränöser Pulpa, der’ 2| überdies gefistelt, die f6 
mit harter Karies behaftet waren. Ich habe in diesem Falle die gesunden 
1Ti1 und die 2%] rechts und f links mit Gangrän der Pulpa extrahiert, so 
daß die Formel der Zähne, auf denen die Brücke ruht lautet 6..3..] 
[..3.6, sicher Pfeiler genug, und ich bin gewiß, daß die Ringe der Kronen, 
die ja einzeln passen müssen, auch nach dem Einsetzen dieser großen 
Brücke fehlerfrei sitzen, besser, als wenn ich alle Stützzähne mit Kronen 
resp. Richmondkronen versehen hätte. Dabei läuft der Träger der Brücke 
nicht Gefahr, von einem der Zähne mit Gangrän der Pulpa später einmal 
eine Periostitis zu bekommen, wenn sie auch vorerst gut behandelt und 
reaktionslos sind. Auch habe ich hier nicht zwei oder mehrere kleine 
Brücken hergestellt, denn ich halte dafür, daß man bei einem Gebiß mit 
allenthalben zerstreuten Lücken nicht mehrere kleine, sondern eine große 
Brücke herstellen soll, die allenfalls aus mehreren miteinander verschraub- 
ten Teilen bestehen kann. Dem Einwand, daß bei so großen Brücken, bei 
denen man also viele Pfeiler verwendet, die Ringe der Kronen nicht genau 
passen können, weil die absolute Parallelität so vieler Pfeiler nicht herzu- 
stellen ist, begegne ich dadurch, daß man ja die Brücken, wie gesagt, in 
mehreren Teilen, die miteinander verschraubt werden, herstellen kann und 
daß, wenn man, wie ich schon oben bemerkte, die Zahl der Pfeiler weise 





Winke für die Praxis. 85 
beschränkt, diese sich so weit parallel schleifen lassen, daß alle Ringe 
passen müssen. Nur auf diese Weise wird man vor Verlegenheit bewahrt, 
in die man kommt, wenn eine der kleinen Brücken insuffizient wird. Ich 
habe jüngst zwei Brücken entfernen müssen, die ein sonst tüchtiger Kollege 
bei der Zahnformel ..6..321 [12.456 wie folgt hergestellt hatte: 
1 [1 blieben stehen, 32 ] rechts Richmondkronen, 45 ] schwebend, mit. einer 
im j rechts einplombierten Bar und [2 Richmondkrone f$ schwebend, 
ff Richmondkrone. Die I Ti wurden nun locker und das Amalgam im 6] 
rechts war herausgebröckelt. Ich habe die i [T extrahiert und eine 
Brücke vom 6| rechts bis zum 3] links mit Vollkronen über diesen beiden 
Zähnen gemacht. Der Patient wäre besser daran gewesen, wenn der Kollege 
gleich den Mut gehabt hätte, die IJ1 zu extrahieren oder in die Brücke 
einzubeziehen und diese dann so zu bauen, wie ich es nachträglich tun 
mußte. 

Noch viel schwieriger ist, bei der Konstruktion einer Brücke die Be- 
lastung richtig zu verteilen, wenn wenig Pfeiler zur Verfügung stehen oder 
wenn diese durch Alveolarpyorrhöe gelockert sind. Im allgemeinen muß 
man sich so helfen, daß die Schwäche des Pfeilers an dem einen Ende der 
Brücke durch Einbeziehung mehrerer Pfeiler an dem anderen Ende zu para- 
lysieren ist. Es ist ja klar, daß z. B. die Pfeiler einer Brücke von 3 bis 8 
zu stark belastet werden. Nimmt man aber noch einen oder zwei Schneide- 
zähne dazu, wird die Brücke der in vertikaler und in horizontaler Richtung 
wirkenden Kaukraft gewachsen sein. Dasselbe gilt auch dann, wenn — 
auch bei kleineren Brücken — der eine Stützzahn gelockert ist. Ist in 
diesen Fällen die Einbeziehung mehrerer Stützen an einem Ende der Brücke 
nicht tunlich, so leistet der von Bryan angegebene Entlastungsbügel aus- 
gezeichnete Dienste. Dieser wird, am besten abschraubbar, von einem 
geeigneten Punkt der Brücke quer über den Gaumen und diesem anliegend 
zu einer gut gestützten Brücke oder einzelnen Kronen der anderen Kiefer- 
hälfte geführt. Andererseits geben auch lockere Zähne, die, durch eine 
Brücke mit festen Zähnen verbunden, in ein starres System einbezogen 
werden, der ersteren einen guten Halt und man soll nicht wahllos von den 
zur Verfügung stehenden Stützen die gelockerten Zähne ziehen, sie viel- 
mehr zum Halt der Brücke heranziehen. Die Brücke hält die lockeren 
Zähne und umgekehrt die Zähne halten die Brücke. 

Besondere Vorsicht muß angewendet werden, wenn ein gestürzter, 
also schiefstehender Zahn als Brückenpfeiler verwendet werden soll. In 
diesen Fällen wird, da ja die Pfeiler bei weitem nicht parallel stehen, in 
den meisten Fällen eine Schraubenbrücke gemacht werden müssen, über die 
ja noch zu sprechen sein wird. Das Bedenkliche an solchen schiefstehenden 
Pfeilern ist aber, daß sie nicht in der Richtung ihrer Längsachse belastet 


g6 Referate und Bücherbesprechungen. Pr 
werden; die Kraft, die einen derartigen Zahn beim Kauen trifft, wird in 
zwei Komponenten zerlegt, die eine wirkt in der Richtung der Längsachse, 
die andere Komponente in der Richtung der Neigung des Zahnes, hat also 
das Bestreben, die ungünstige Lage des Zahnes noch zu erhöhen. Um der 
schädlichen Wirkung dieser Komponente möglichst zu begegnen und die 
Brücke nach den Gesetzen der Statik richtig zu bauen, werden wir ihr eine 
„Sprengung“ geben. Zu diesem Zwecke sollten wir die ganze Brücke bogen- 
förmig gestalten, da dies aber selbstverständlich untunlich ist, werden wir so 
vorgehen, daß der Brückenkörper nicht in einem mehr oder weniger stumpfen 
Winkel den Pfeiler trifft, sondern werden uns bestreben, den Brückenkörper 
an der der Gingiva zugewendeten Seite in der Richtung gegen den schiefen 
Pfeiler bogenförmig zu gestalten. Diese Konstruktion wird die in der 
Richtung der Neigung des schiefstehenden Zahnes wirkende Komponente 
der Kaukraft paralysieren, bedingt aber die Anbringung einer eventuell 
notwendigen Schraube an dem anderen Pfeiler. 

Die Frage, ob Sättel bei sonst schwachen Pfeilern die Haltbarkeit 
der Brücken erhöhen, möchte ich auf Grund meiner Erfahrungen verneinen. 
Sattelbrücken sind nur in gewissen später zu erörternden Fällen indiziert. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und Bücherbesprechungen. 





* Anleitung zur Feststellung der Erwerbseinbuße bei Kriegsbeschädigten. 
Von Dr. Adolf Deutsch, Arzt des Invalidenamtes Wien. Wien 1919. Ver- 
legt vom Staatsamte für Volksgesundheit, Wien. 


Das Heft soll entsprechend den neuen Superarbitrierungsvorschriften 
den Ärzten als Grundlage für die Schätzung der Erwerbseinbuße dienen. 

Im Gegensatz zu den früheren Schätzungen der Berufsunfähig- 
keit wird hier de Erwerbsunfähigkeit der Kriegsbeschädigten 
unter billiger Berücksichtigung des Berufes als Schätzungsgrundlage an- 
genommen. 

Die Verletzungen und deren Folgezustände werden in Prozenten der 
Erwerbseinbuße angegeben, derart, daß nicht die anatomische Schä- 
digung, sondern der funktionelle Ausfall entschädigt wird. 

Allen Ärzten, die mit der Schätzung von Folgen nach Kriegsverletzun- 
gen zu tun haben unentbehrlich, nur ist es sehr zu bedauern, daß der 
Verfasser fast gar keine Rücksicht nimmt auf die so zahlreichen Kriegs- 
beschädigten, die an den Folgen von Kieferverletzungen leiden. 

Dies nachzutragen wäre um so verdienstlicher, als gerade bei diesen 
Kriegsbeschädigten ein Leitfaden für die Schätzung der Erwerbseinbuße 
dringlicher ist als bei allen anderen, für die ja schon im Frieden Schemata 
hiefür bestanden. Steinschneider. 


Referate und Bücherbesprechungen. 87 


Okzipitalneurose infolge von Alveolarpyorrhöe. Von Wilhelm Struck, 
Parchim. D.M,.f.Z., H.11, November 1918. 


Der publizierte F all, in welchem die Pyorrhöe speziell des [7 eine 
Okzipitalneuralgie — nicht Neurose — hervorgerufen haben soll, ist vor 
allem dadurch bemerkenswert, daß an demselben Zahn bei seiner Extrak- 
tion die freiliegende Pulpa nachgewiesen werden konnte. Und doch scheut 
sich Struck nicht, der gleichzeitig vorhandenen Pyorrhöe, die zur Gra- 
nulationsbildung im Periodontalraum geführt hatte, die Schuld beizu- 
messen. Allerdings wird ja dadurch der Fall zu einem interessanten! Die 
Ätiologie ist zweifellos die folgende. Der nicht devitalisierte Mə wurde als 
Brückenpfeiler benützt. Bald war er überempfindlich, was nicht zu ver- 
wundern ist. Die Klagen des Pat., daß vor allem kalter Luftzug die 
Schmerzen im Hinterkopfe auslöse, hätte ja auf diesen Umstand auf- 
merksam machen können. Die später auftretende Karies am Zahnhals, 
die dann zur Pulpitis führte, steigerte allmählich die Krankheitserschei- 
nungen bis zur Unerträglichkeit. Die ganze Publikation bringt nur wieder 
einen Beweis für meine öfter geäußerte Ansicht von der eigenartigen 
Leichtfertigkeit Struckscher Arbeit. Sicher. 


Verletzung des Nervus lingualis in , der Mundhöhle. Von H.Kron, Berlin. 
D. M. f. Z., H. 10, Oktober 1918. 


Kron berichtet über zwei einschlägige Fälle, die ja durch das 
anatomische Verhalten des Nervus lingualis bei seinem Eintritt in die 
Mundhöhle sehr begreiflich sind. Er liegt unter der Schleimhaut des Mund- 
höhlenbodens neben den Molaren vollständig oberflächlich, so daß er durch 
die Schleimhaut bei mageren Personen oft durchschimmert. Der erste Fall 
stellt sich als eine Schnittverletzung des Nerven bei der Eröffnung eines 
Abszesses nach Extraktion des unteren Weisheitszahnes dar. Leider leitet 
Kron aus diesem Falle nicht die notwendige Folgerung ab, daß bei In- 
zisionen lingual der Molaren des Unterkiefers der Schnitt unmit tel- 
bar am Knochen und diesem parallel geführt werden muß. Dann 
erscheint. eine Gefährdung des Zungennerven ausgeschlossen. Im zweiten 
Falle führt Kron die Läsion auf die lingual der Molaren ausgeführte 
Injektion von Novokain-Suprarenin zurück. Beim Endstich wurde der 
Nerv zweifellos getroffen. Daß diese Schädigung allein aber zu einer blei- 
benden Lähmung der Nerven führte, ist meiner Meinung nach — im Gegen- 
satz zu der Krons — wenig wahrscheinlich; die nachfolgende ausge- 
dehnte Weichteilnekrose läßt an eine Verunreinigung der Injektionsflüssig- 
keiten denken. Aus diesem Fall den Vorschlag zu deduzieren, man solle 
bei Iniektionen in der unteren Molarengegend die linguale Seite, vor allem 
aber den Mundhöhlenboden vermeiden, geht, glaube ich, zu weit. Wird 
doch gerade diese Stelle oft genug zur Leitungsunterbrechung des N. lin- 
gualis verwendet. Daß man aber aseptisch vorgehen muß, ist dabei natür- 
lich eine Voraussetzung ebenso wie bei allen Injektionen in der Mund- 
höhle. Sicher. 


Kontraindikationen bei Anwendung der Nervkanalbohrer. Von Walk- 
hoff, München. D.M.f.Z., H.5, Mai 1918. 


Durch das Hinausdringen der Nervkanalbohrer über das Foramen 
apicale bei Gangraena pulpae entstand in einem Falle im Oberkiefer ein 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 8 


88 Referate und Bücherbesprechungen. 


Antrumempyem, in einem anderen Falle durch Eindringen in den Canalis 
mandibularis eine schwere Osteomyelitis des Unterkiefers mit septischen 
Erscheinungen. Weil gerade das Überschreiten des Foramen apicale selbst 
bei größter Übung nicht mit Sicherheit zu vermeiden ist, verwendet W. 
die Beutelrockbohrer nur zur Eröffnung der Kanäle, führt aber die totale 
Ausräumung mit Handinstrumenten unter Zuhilfenahme von Säuren 
durch. Sicher. 


Zahn und Augenleiden. Von Adam, Berlin. D. M. f. Z., H.8, August 1918. 


Eine etwas kursorische Übersicht über Erkrankungen der Orbita 
im Gefolge von Zahnleiden. Im Vordergrund stehen natürlich die ent- 
zündlichen Veränderungen. Im inneren Augenwinkel gelegene Fisteln von 
periostitischen Schneide- oder Eckzähnen ausgehend, können Tränensack- 
fisteln vortäuschen. Akute Periostitiden können direkt oder durch Ver- 
mittlung des Sinus maxillaris zu Orbitalphlegmonen führen. Andrerseits 
können sie zur Thrombose der Vena ophthalmica und weiter des Sinus 
cavernosus führen, die fast immer letal endet. Hiezu wäre zu bemerken, 
daß wohl der Ausdruck Thrombopblebitis besser angebracht wäre; bezüg- 
lich der anatomischen Grundlagen für diesen Prozeß kommt meiner Mei- 
nung nach nicht so sehr eine Verbindung kleiner Venenäste der Alveolen 
mit solchen der Kieferhöhle und weiter der Orbita in Betracht, als viel- 
mehr die breite, direkte anastomotische Verbindung, in welcher die Vena 
facialis anterior in ihrem obersten Anteil — Vena angularis — mit dem 
Anfangsstück der Vena ophthalmica superior am inneren Augenwinkel 
steht. Die nervösen Erkrankungen stellen sich fast alle als Reflexneural- 
gien oder -neurosen dar, können sich auch seltener als motorische Stö- 
rungen manifestieren. Eine von den bisher genannten Erkrankungen völlig 
abzugrenzende Gruppe bilden jene Fälle, in denen eine übergeordnete, 
allgemein wirkende Noxe Schädigungen an Zähnen und Augen hervorruft. 
Diese Scheidung fehlt bei Adam. Hicher gehören Hutchinson sche 
Zähne und Keratitis parenchymatosa bei Lues hereditaria (?) und der 
Schichtstar bei gleichzeitigen rachitischen ATVETTE i 

icher. 


Über angeborene Zähne. Von Schröder und Moral, Rostock. D.M. 
f. Z., 1918, H. 4. 


Nach einer eingehenden Übersicht über die aus der Literatur be- 
kannten Fälle folgt eine genaue Beschreibung eines angeborenen Zahnes, 
der bei einem Kinde von S Tagen entfernt wurde. Das Kind kam mit 
2 Zähnen zur Welt, die beide locker am Unterkiefer saßen. Der eine 
wurde am 4. Tage scheinbar verschluckt. Die histologische Untersuchung 
ergab folgendes: Eine Wurzel fehlte vollkommen Der Schmelz ist nur 
sehr mangelhaft entwickelt. Das Dentin zeigt gegen die Basis des Zähn- 
chens immer weniger Kanälchen in der vermehrten Grundsubstanz. Be- 
sonders interessant ist der Befund von osteodentinähnlichem Gewebe an 
der Zahnbasis, das an einer Stelle sogar in Knochen übergeht. Das zellen- 
haltige Osteodentin scheint dadurch gebildet zu sein, daß bei der Ver- 
kalkung des Dentins Fortsätze gebildet werden, die die Zellen umgreifen 
und endlich einschließen. Im Pulpagewebe, das nur aus dem Parenchym 
und der darüber gelagerten Ödontoblastenschichte besteht, finden sich 





Vereins- und Versammlungsberichte. 89 


zahlreiche kleinere Blutungen. Das ganze Gebilde ist nach S. u. M. weder 

als ein verfrüht durchgebrochener Milchzahn, noch als ein Teil eines 

solchen anzusehen, sondern stellt eine durchaus pathologische ans Vor. 
icher. 


Vereins- und Versammlungsberichte. 





Wirtsehaftliche Organisation der Zahnärzte 
Deutschösterreichs. 


Generalversammlung vom 1. März 1919. 


Vorsitzender: Dr. Stein. 
Schriftführer: Dr. Elkan. 


Dr.Stein eröffnet die Generalversammlung. Nach Begrüßung über- 
s A den Vorsitz dem Schriftführer und erstattet den Rechenschafts- 

richt. 

Dr. Stein referiert über die Tätigkeit des Vorstandes 
im abgelaufenen Vereinsjahr, hebt insbesondere die Tätigkeit der drei ge- 
wählten Ausschüsse hervor, u.zw.: des wirtschaftlichen Aus- 
schusses, ferner des mit der Regelung der Zahntechniker- 
Irage sich befassenden und des wissenschaftlichen 
Ausschusses und weist darauf hin, daß die Vertreter dieser Aus- 
schüsse im Laufe der Verhandlung Spezialberichte erstatten werden. Red- 
ner referiert weiters über die Schritte, die unternommen wurden, um den 
im (rewerbeausschuß angenommenen Gesetzentwurf betreffend das Zahn- 
technikergewerbe zu verhindern, was auch durch die Bemühungen bei den 
kompetenten Stellen gelungen ist. Es wurden 14 Vorstandssitzungen ab- 
gehalten und die Zahl der Mitglieder hat sich auf 120 erhöht. 

Im Punkte der Sachdemobilisierung wurden die nötigen Schritte 
unternommen und es wurde vom Staatsamt für Volksgesundheit der Wirt- 
schaftlichen Organisation das weitgehendste Entgegenkommen zugesichert, 
um die vorhandenen Bestände für Fortbildungszwecke sowie für 
kriegegeschädigte Zahnärzte zu reservieren. Schließlich er- 
wähnt noch der Vorsitzende, daß seitens der Wirtschaftlichen Organi- 
sation ungezählten Kollegen Rat und Hilfe geleistet wurde und daß 
Dr. Stark als Gerichtssachverständiger vorgeschlagen wurde. 

Das Referat des Präsidenten wurde mit großem Beifall auf- 
genommen. 

Hierauf sprach Dr.Stark über die Einkaufszentrale und 
über die zu errichtende Zentraltechnik, für welch letztere sich 
eine große Anzahl von Kollegen interessiert. Eine bedeutende Firma hat 
sich bereit erklärt, kostenlos die Technik einzurichten. Sie stellt ein ge- 
eignetes Arbeitslokal zur Verfügung, ebenso die sonstigen Behelfe und 
das nötige Material. Die Verrechnung geschieht derartig, daß die einlau- 
fenden Beträge der Firma übermittelt werden, worüber monatlich Aus- 
weis erfolgt. (Siehe Bericht hierüber S.93 d. H.) 

Der Bericht Dr.Starks wird mit großem Beifall zur Kenntnis 
genommen und die Bedenken Dr.Mittlers und Dr.Länghs betrefis 


8 


90 Vereins- und Versammlungsberichte. 


des Einvernehmens mit den Zahntechnikergehilfen und der Schwierigkeiten 
der Zustellung der angefertigten Arbeiten werden von den Referenten zur 
Zufriedenheit der Interpellanten zerstreut. 

Hierauf erhält Herr Dr. Rieger zur Erstattung seines Referates 
über die Zahntechnikerfrage das Wort. Er berichtet über die 
Verhandlung zwischen Zahnärzten und Zahntechnikern, sowohl mit den 
Meistern, als auch mit den Gehilfen, die, wenn sie auch kein vollständiges 
Resultat ergeben haben, doch zur Hoffnung berechtigen, daß endlich diese 
über 20 Jahre währende unerquickliche Streitfrage erledigt wird. 

Die Ausführungen Dr. Riegers wurden mit großem Beifall auf- 
genommen und ihm über Antrag Dr.Mittlers der Dank der Versamm- 
lung für ecin vortreffliches Referat ausgesprochen. 

Dr.Kneucker verspricht als Vertreter des wissenschaft- 
lichen Ausschusses, für die Zukunft mehr Vorträge veranstalten 
zu wollen, und zwar nach dem Grundsatze: „Aus der Praxis für die 
Praxis“ und hofft, daß die allgemeinen Verhältnisse für die Abhaltung der- 
selben sich besser gestalten werden. Diese Ausführungen werden beifällig 
zur Kenntnis genommen. 

Der hierauf vom Kassier Dr. Stark erstattete Kassabericht erhielt 
gleichfalls das Absolutorium. Der Mitgliedsbeitrag wurde mit 10 Kronen 
festgesetzt. 

Es erfolgten die Neuwahlen, welche folgendes Resultat ergaben: 
Dr. Kneucker Präsident; Dr. Stark Vizepräsident; Dr. Elkan 
1. Schriftführer; Dr.Rot 2. Schriftführer; Dr. Markus Kassier; 
Dr. Gilanyi, Dr. Rieger, Dr. Natzler, Dr. v. Hauer, Dr. Ha- 
sterlik, Dr.Stein Ausschußmitglieder. 

Weiters wurde beschlossen, die Österr. Zeitschrift für 
Stomatologie als offizielles Organ der Wirtschaftlichen Organisation 
zu bestimmen. 

Auf Antrag Dr. Länghs wurde der Vereinsleitung der Dank für 
die bisherige erfolgreiche Tätigkeit ausgesprochen. 


Vorstandssitzung am 11. März 1919. 


Vorsitzender: Dr. Markus. 
Schriftführer: Dr. Elkan. 


Anwesend sämtliche 12 Vorstandsmitglieder, und zwar: Dr. Kneucker, 
Dr.Markus, Dr.Rieger, Dr.Stein, Dr.Roth, Dr.Gilanyi, Dr.Haster- 
lik, Dr.v.Hauer, Dr.Stark, Dr.Martens, Dr.Natzler und Dr. Elkan. 


Der Vorsitzende drückt dem bisherigen Präsidenten Dr.Stein für 
seine erfolgreiche Tätigkeit um die Wirtschaftliche Organisation den 
wärmsten Dank aus. Dr.Stein resigniert auf seine Stelle als Präsident 
und schlägt Herrn Dr. Kneucker als Präsidenten vor, welcher auch ein- 
stimmig als solcher gewählt wird. Herr Dr. Kneucker übernimmt hier- 
auf den Vorsitz und verfügt die weitere Besetzung der Vorstandsstellen. 

Als II. Präsident wird Herr Dr.Stark gewählt, als Kassier Herr 
Dr.Markus, als I. Schriftführer Herr Dr. Elkan, als II. Schriftführer 
Herr Dr.Roth an Stelle des Herrn Dr.Gilanyi, der aus Gesundheits- 
rücksichten seine Stelle niederlegt. 

Hierauf entwickelt der Präsident folgendes Programm: 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 91 


Da die großen Ziele der Organisation, wie 


Regelung der Zahnärzte-Zahntechnikerfragen, 
Errichtung einer Zentraltechnik, 

Bau des deutschösterreichischen Zahnärztehauses, 
des Zentraleinkaufshauses, 

Einführung von periodischen Fortbildungskursen etc., 


nur dann erreicht werden können, wenn möglichst alle Kollegen der 
„Wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs“ ange- 
hören, wird der Präsident bei den allgemein medizinischen und Fach- 
zeitungen (Österr. Zeitschrift für Stomatologie, Wiener Vierteljahrsschrift 
für Zahnheilkunde, Zahnärztliche Rundschau Berlin, Wiener klinische 
Wochenschrift, Wiener klinische Rundschau, Wiener medizinische Wochen- 
schrift, Ärztliche Standeszeitung) um Aufnahme eines Aufrufes ansuchen, 
wonach die Kollegen aufgefordert werden, der Organisation beizutreten. 
Desgleichen wird der Präsident sich an die zahnärztlichen Vereinigungen 
(Verein österr. Zahnärzte, Verein Wiener Zahnärzte, Zentralverband österr. 
Stomatologen, Verein steiermärkischer Zahnärzte) wenden mit der Bitte, 
möglichst alle ihre Mitglieder zum Beitritte in die „Wirtschaftliche Or- 
ganisation der Zahnärzte Deutschösterreichs“ auffordern zu wollen. Weiters 
wird der Präsident mit dem Präsidentstellvertreter beim Vorstand der 
zahnärztlichen Universitätsklinik bittlich vorsprechen, der Wirtschaftlichen 
Organisation einen Raum der Klinik für Fortbildungszwecke zur Ver- 
fügung stellen zu wollen, da sich die Organisation mit den Absichten trägt, 
für die in der Praxis stehenden Zahnärzte die Wiener Dozenten und Pro- 
fessoren der Zahnheilkunde um Abhaltung kurzfristiger Fortbildungskurse 
zu bitten. — Der Präsident behält sich vor, weitere Vorschläge, welche 
die Ausdehnung der Organisation bezwecken, nach Beendigung der oben- 
genannten Aktionen zu machen. — Das Programm des Präsidenten wurde 
mit Beifall aufgenommen. 

In den wirtschaftlichen Ausschuß wurden noch die Herren Dr. Stein, 
Dr.Martens, Dr.Hasterlik gewählt, denen hauptsächlich die Auf- 
gabe zufallen soll, die Idee des Zahnärztehauses oder eines vorläufigen 
Ersatzes zu verwirklichen. 

Schluß der Sitzung 8!/4 Uhr. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 





Zur Frage der Reorganisation des Zentralverbandes 
der österreichischen Stomatologen. 


Durch den Artikel „Was nun ?“ im Februarhefte d. Z. wurde ich in der 
Absicht, meine persönlichen Gedanken über einen möglichen Zusammen- 
schluß aller Zahnärzte Deutechösterreichs zu einem großen Verbande zu 
Papier zu bringen, bestärkt. Es ist ja klar, daß wir Zahnärzte den 
kommenden Aufgaben, wie sie die angebahnte Auseinandersetzung mit 
den Zahntechnikern, der Anschluß an Deutschland und damit die drohende 
Kurierfreiheit und auch die Stellungnahme zu unseren künftigen Fach- 


992 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


kollegen, den deutschen Zahnärzten, mit sich bringen werden, viel besser 
gerüstet gegenüberstehen würden, wenn wir, statt in einzelne kleine Ver- 
eine zersplittert, in einem großen Verbande vereinigt wären. Der Zentral- 
verband österreichischer Stomatologen ist derzeit doch nur mehr ein 
Verein unter Vereinen, ebenso wie derzeit noch die neugegründete 
„Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs“. Die Auf- 
gabe des Zentralverbandes wäre es aber, wie der Verfasser des „Was nun?“ 
ganz richtig meint: „das ausführende Organ aller zahnärztlichen Vereine 
zu bilden, die dann, von wirtschaftlichen und Standesfragen entlastet, 
sich nur der Pflege der wissenschaftlichen Bedürfnisse der Zahnärzte 
widmen könnten.“ Diese Aufgabe kann er aber nur erfüllen, wenn es ge- 
länge, alle zahnärztlichen Vereine in einem Verbande zu vereinigen, dem 
aber auch jene Zahnärzte, die sich keinem Vereine anschließen, der Organi- 
sation sich aber doch nicht entziehen wollen, angehören könnten. 

Es schwebt mir da vor Augen die Organisation des Lese- und 
Redevereines der deutschen Hochschüler in Wien, Germania. Diesem 
gehören sowohl sämtliche Korporationen, die einen ihrer Mitglieder- 
zahl entsprechend abgestuften Jahresbeitrag leisten, als auch eine 
große Anzahl reiner „Finken“ an. Die Einführung dieser Organisierung 
der Mitgliedschaft hatte einen durchgreifenden Erfolg. ähnlich könnte 
man ja auch den „Zentralverband der Zahnärzte Deutschösterreichs“ 
bilden. Die einzelnen Vereine, Verein österreichischer Zahnärzte, Verein 
Wiener Zahnärzte, die Orthodontische Gesellschaft, die Wirtschaftliche 
Organisation und die verschiedenen Provinzvereine treten zu einem Zen- 
tralverbande zusammen, bilden also den Grundstock des großen Verbandes, 
dessen Leitung einem Ausschusse obliegt, zu dem sämtliche Vereine ihren 
oder ihre „Beauftragten“ zu entsenden haben. Jeder Verein leistet ent- 
sprechend seiner Mitgliederzahl einen Jahresbeitrag, den er ja dann auf 
seine Vereinsangehörigen überwälzen kann, da für diese der Beitrag an 
den Stomatologenverband wegfällt. Später, wenn die Zahl der Einzelmit- 
glieder im Verbande eine gewisse Höhe erreicht haben wird, wird man 
diesen auch eine entsprechende Vertretung im Ausschusse einräumen 
müssen. Die Anzahl dieser „Finken‘ wird gewissermaßen den Maßstab 
fü: die Rührigkeit des Ausschusses und für die Erfolge seiner Arbeit ab- 
geben. 

Die Vorteile des Zusammenschlusses würden sich nicht nur nach 
außen hin erstrecken, sondern auch für die einzelnen Vereinsmitglieder 
würden mannigfache Vorteile herauswachsen. So zum Beispiel könnten jene 
wissensdurstigen Mitglieder, von denen freilich jeder Verein immer nur 
einen ganz bestimmten kleinen Kreis hat, der sogar bei den Wiener Ver- 
einen vielfach die gleichen Personen umfaßt, als Verbandsmitglieder auch 
die Vorträge anderer Vereine als Gäste besuchen, ohne als Schmarotzer 
angesehen zu werden. Das hat aber zur Voraussetzung ein entsprechend 
oft erscheinendes Fachorgan mit Bezugspflicht für alle Mitglieder, in dem 
die jeweiligen Monatsversammlungen mit ihren Programmen veröffentlicht 
werderı könnten, da ja eine schriftliche Verständigung aller Verbandsmit- 
glieder hoffentlich infolge der zu großen Anzahl untunlich wäre. 

Fachorgan! Auch ein wunder Punkt der deutschösterreichischen 
Zahnärzteschaft! Zersplitterung der Kräfte auch hier, so daß das Ver- 
handsorgan darunter leidet. Wie ganz anders ist dagegen die Deutsche 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 93 


Monatsschrift für Zahnheilkunde gestellt, hinter der geschlossen der große, 
rührige Zentralverband der deutschen Zahnärzte steht. Die Publizisten 
und Vortagenden unter diesen sind verpflichtet, in erster Linie der D.M. 
f. Z. ihre Arbeiten anzubieten; die Dentaldepots und einschlägigen Ge- 
schäfte und Fabriken sind verhalten, dort zu inserieren, und die Mitglieder 
halten auch alle ihr Verbandsorgan, weil es durch alle diese Umstände 
reich und gediegen ausgestattet werden kann und doch infolge der großen 
Auflage keinen unverhältnismäßig hohen Bezugspreis zu verlangen braucht, 
so wie die zwei Zeitschriften, die in Wien erscheinen! Eine ähnliche Ver- 
pfiichtung der Vortragenden besteht auch in der Gesellschaft der Ärzte 
in Wien bezüglich deren Organ, der „Wiener klinischen Wochenschrift“. 
Warum sollte es bei den Zahnärzten unmöglich sein? 

Wer aber soll die Umgestaltung in die Hand nehmen und wie soll 
sie durchgeführt werden? Auszugehen hat sie zweifelsohne vom Zentral- 
verbande österreichischer Stomatologen. Als solcher hat er sowieso keine 
Existenzberechtigung mehr, da es ein Österreich nicht mehr gibt und er 
schon aus diesem Grunde zu einer Statutenänderung schreiten müßte. Auch 
gehen die Ansichten über die Tätigkeit des Verbandes in den 20 Jahren 
seines Bestandes vielfach dahin, daß das einzige Ergebnis seiner Arbeit 
auf wirtschaftlichem Gebiete das sei, daß die Streitfrage zwischen Zahn- 
ärzten und Zahntechnikern nicht zu einer Lösung gebracht werden 
konnte. So könnte er als seinen Schwanengesang die Zusammenrufung 
aller zahnärztlichen Vereine Deutschösterreichs zur Beratung über die 
Gründung eines alle umfassenden Zentralverbandes ins Werk setzen und 
dürfte in dem Einigungsbestreben wohl nicht auf unüberwindlichen Wider- 
stand stoßen. Hat doch der 16. Februar 1919 zur Genüge gelehrt, wohin 
Zersplitterung führt. Daher wird bei uns Zahnärzten der Wille zum Zu- 
sammenschlusse zu einem großen Verbande, der unsere wirtschaftlichen 
und Standesfragen nach außen hin einheitlich vertreten kann, doch wohl 
vorhanden sein. Und wo ein Wille ist, wird hoffentlich auch ein Weg zu 
finden sein. Dr.Kränzl. 


Über die Gründung einer Zentraltechnik. >» 
Von Dr. Wilhelm Stark, Wien. 


Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte ich Ihnen die Ziele und 
Arbeiten der Organisation nach den vortrefflichen Ausführungen unseres 
verehrlichen Obmannes nochmals vor Augen führen. Ich habe bereits bei 
der ersten informativen Versammlung, zu der ich die Herren noch vor der 
Konstituierung unseres Vereines einberufen hatte, Ihnen gesagt, daß an- 
läßlich der wirtschaftlichen Not ein Zusammenschluß ein Ding der Not- 
wendigkeit sei, und will Sie nicht mit dem politischen Schlagwort: „dem 
kleinen Mann muß geholfen werden“ ködern, aber Tatsache ist, daß die 
Not der Gesamtheit uns zusammenführte. Es gibt keinen indolenteren 
Stand als den der Ärzte, und da galt es, Sie aufzurütteln und zu gemein- 


1) Referat, erstattet am 1.März 1919 in der Generalversammlung der Wirt- 
schaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs. 


t 


94 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


samer Arbeit anzuregen. Aus den Ausführungen des Herrn Obmannes 
werden Sie ersehen haben, daß wir die Zeit nicht ungenützt verstreichen 
ließen. Unsere Sektionen arbeiteten fleißig, und die Sektion, der anzu- 
gehören ich die Ehre hatte, u. zw. die wirtschaftliche, blieb auch nicht 
hinter den anderen zurück. Daß ich auch der Sachdemobilisierung mein 
Augenmerk zuwandte und Erfolge erzielte, werden Sie bereits heute er- 
fahren haben. 

Nun hatten wir uns noch andere Ziele gesetzt, deren Verwirklichung 
ich anstrebe, u. zw. die Zentraltechnik, Einkaufszentrale und 
Zahnärztehaus. Was die Zentraltechnik anbelangt, bin ich an 
einige Firmen herangetreten und ist es mir gelungen, mit einer Firma ein 
Abkommen zu erzielen. Dieselbe richtet uns eine Technik komplett mit allen 
dazugehörigen und erforderlichen Apparaten sowie Installierungen ein. 
Den Entwurf eines Vertrages hat mir die Firma durch ihren Anwalt 
übermittelt und ich erlaube mir hiemit, Ihnen denselben im Wortlaut vor- 
zulesen. „Die Firma .. . hat sich prinzipiell dazu bereit erklärt, die Er- 
richtung der zahntechnischen Zentrale in der nachstehenden Form und 
unter den folgenden Bedingungen zu ermöglichen. Die Firma .. . stellt 
zunächst ein zum Betriebe der Zentrale geeignetes Lokal für eine noch 
zu vereinbarende Dauer kostenlos zur Verfügung und richtet unter einem 
dieee Lokalitäten gleichfalls kostenlos mit allen zur Ausführung aller 
zahntechnischen Arbeiten in vollendeter technischer Form geeigneten Be- 
helfen ein, des weiteren wird die genannte Firma auch alle Materialien 
zu zahnmtechnischen Arbeiten aus ihren Beständen direkt an die Werk- 
stätten liefern, so daß angesichts der Leistungsfähigkeit der genannten 
Firma auch auf diesem Gebiete für einen ungestörten, von außen unab- 
hängigen Betrieb der Zentrale Vorsorge getroffen ist. Die Verrechnung 
aller zakntechnischen Arbeiten soll in folgender Form erfolgen. Für die 
Zentrale wird von der Organisation ein Vertrauensmann bestellt, der 
die Aufsicht und die buchhalterischen Arbeiten, speziell die interne Ver- 
rechnung zu führen hat. Derselbe wird die jeweils notwendigen Materi- 
alien von der Firma abfordern und hierüber quittieren. Die für die zahn- 
technischen Arbeiten eingehenden Beträge übernimmt die genannte Firma 
in ihre einstweilige Verwahrung. Die Glattstellung der Konti der Firma 
für die gelieferten Materialien soll allmonatlich erfolgen. Die Entschädi- 
gung der Firma für die kostenlose Überlassung des Lokales sowie des 
Instrumentariums soll folgendermaßen erfolgen. Zu den von der Organi- 
sation aillmonatlich festzusetzenden Preisen für die zahntechnischen Ar- 
beiten wird ein 10%iger Aufschlag hinzugerechnet, wovon die eine Hälfte 
der Organisation zufallen soll, die andere Hälfte dieses Aufschlages soll 
die obige Entschädigung für die Firma bilden. Außerdem wird sie gegen 
die Organisation keine wie immer gearteten Ansprüche stellen. Bei einem 
500.000 Kronen jährlich übersteigenden Umsatze der Zentrale wird sie 
1% des Mehrbetrages an .die Organisation abführen, selbstverständlich 
außer den oben angeführten 5%. Bei einer zehnjährigen Dauer des Ver- 
tragsverkältnisses fällt das Eigentum der gesamten Einrichtung der Zen- 
trale kostenlos in das Eigentum der Organisation.“ 

Nun handelt es sich mir darum, eine bestimmte Zahl von Kollegen 
zusammenzubringen, die sich bereit erklären werden, in der Zentrale ihre 
Arbeiten anfertigen zu lassen. Bei der knappen Zeit, die mir zur Ver- 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 95 


fügung stand, habe ich mich telephonisch nur mit einigen Herren in Ver- 
bindung gesetzt und meine Idee wurde von denselben mit Begeisterung 
aulgenoinmen. Dieselben warten darauf, daß ich sie zusammenberufe, da- 
mit wir gemeinsam unseren diesbezüglichen Arbeitsplan ausarbeiten. Ich 
kann jedoch nicht mit weniger als 30 Herren anfangen und gedenke dem- 
nächst eine Versammlung der Interessenten zustandezubringen, um unser 
Projekt zu perfektionieren. Was die Rentabilität dieses Unternehmens an- 
belangt, will ich Ihnen Folgendes mitteilen. Ich rechne approximativ, daß 
ein Techniker, der für einen Zahnarzt außer Haus arbeitet, durchschnitt- 
lich wenigstens 30% verdient. Von einem Durchschnittsverdienst von 
zirka 400 Kronen monatlich, wie ihn der Techniker hat, würde ich mit 
Rückeickt darauf, daß wir billiger arbeiten wollen, bloß 250 Kronen mo- 
uatlich berechnen. Das würde für 30 Mitglieder 7500 Kronen monatlich 
ausmachen und wenn wir die genannte Firma mit 50%, d. i. mit der Hälfte 
partizipieren lassen, ergäbe sich für uns ein monatlicher Reingewinst von 
3750 Kronen. In einem Jahre hätten wir dann ein Kapital von 45.000 Kro- 
nen. Ich betone ausdrücklich, daß wir nur erstklassige Techniker 
und erstklassiges Material verwenden wollen, um unseren Kollegen, die 
durch die Verhältnisse gezwungen sind, außer Haus arbeiten zu lassen, 
zu beweisen, daß sie eine solche erstklassige Arbeit wie bei der Organi- 
sation von keinem einzeln arbeitenden Techniker erhalten können. Ich 
kann Ihnen nicht ausdrücklich genug betonen, daß es uns in erster Linie 
darum zu tun sein wird, alle Ihre Wünsche und Forderungen zu erfüllen 
und den Betrieb klaglos abzuwickeln. 

Ich glaube Ihnen über die zu gründende Zentraltechnik genügend 
Aufschluß gegeben zu haben und will Ihnen noch betreffs der E in ka u fs- 
zentrale bemerken, daß infolge der jetzigen desolaten Verkehrsverhält- 
nisse und ungeklärten Zustände wir vorläufig von einer eigenen Einkaufs- 
zentrale absehen müssen. Nichtsdestoweniger habe ich auch auf diesem 
Gebiete Schritte unternommen und eine Firma wird uns Benefizien ge- 
währen, die sie Zahnärzten, die nicht unserer Organisation angehören, 
nicht bewilligt. Ich muß nochmals auf die Zentraltechnik zurückgreifen, 
wenn ich auch das Ideal, das uns vorschwebt, nämlich die beabsichtigte 
Gründung des Zahnärztehauses mit einigen Worten andeuten will. 
Wie bereits erwähnt, dürfte die Zentraltechnik zirka 45.000 Kronen jährlich 
eintragen, das macht in 5 Jahren zirka t/a Million Kronen aus. Ich bin 
ein großer Pessimist, wenn ich diese minimale Ziffer nenne, denn ich bin 
überzeugt, daß, wenn die Zentraltechnik so funktioniert, wie ich es mir 
vorstelle, ein großer Andrang zu derselben erfolgen wird und daß unser 
Kapital sich bedeutend vermehren und die Ziffer eine viel höhere sein 
wird, da ich entschlossen bin, die besten Zahntechniker zu beschäftigen. 
Andrerseitse glaube ich, daß wir durch gesellschaftliche Veranstaltungen 
zugunsten unseres Projektes auch einen bedeutenden Fond zusammen- 
bringen werden, so daß ich mich der angenehmen Hoffnung hingebe, 
daß wir in zirka 5 Jahren an den Bau des Zahnärztehauses schreiten 
werden, in welchem wir Fortbildungsinstitute, Auskunftei, Bibliothek, 
Gesellschaftsräume, Röntgen-, technisches und Versuchslaboratorium er- 
richten werden, und ich wünsche, daß wir nach 5 Jahren in unserer 
Generalversammlung unseren Jahresbericht mit den Worten einleiten, die 
Prof. Guttmann auf der am 20. Jänner 1919 stattgehabten Haupt- 


96 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


versammlung gesprochen hat: Im Jahre 1913 leitete das Komitee für Er- 
richtung des deutschen Zahnärztehauses seinen Jahresbericht mit dem Satze 
ein: „Das deutsche Zahnärztehaus ist im Bau, wir können wohl unseren 
Bericht mit kaum bedeutungsvolleren Worten beginnen.“ 

Ich schließe hiemit meine Ausführungen und hoffe, daß Sie uns Ihre 
Mithilfe zur Erreichung unserer Ziele nicht versagen werden und uns er- 
möglichen, mit vereinten Kräften zur wirtschaftlichen und wissenschaft- 
lichen Hebung unseres Standes beizutragen. 





Kompromißverhandlungen zwischen Zahnärzten und 
Zahntechnikern. 


Die „Zeitschrift für Zahntechnik“ berichtet unter oben angeführtem 
Titel im Heft 2, 1919 über Verhandlungen zwischen Zahnärzten und Zahn- 
technikern und knüpft ihre Bemerkungen daran. Es entzieht sich unserer 
Kenntnis, was die Zeitschrift für Zahntechnik bewogen hat, sich über die 
Vereinbarung, die von allen Beteiligten an den Verhandlungen getroffen 
wurde, hinwegzusetzen, nämlich nichts zu veröffentlichen, bevor nicht die 
Verhandlungen in welchem Sinne immer zu einem formalen Abschluß ge- 
langt wären. Infolge dieses Vorgehens soll auch hier über die erwähnten 
Verhandlungen kurz berichtet werden. 

Ende Jänner d. J. traten Vertreter aller Wiener zahnärztlichen Kor- 
porationen und die der Zahntechniker — Meister und Gehilfen — zunächst 
inoffiziell und ohne Mandate zusammen, um die Möglichkeiten eines Aus- 
gleichs in der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage zu suchen. Als Grundlage 
diente ein Gesetzentwurf des Herrn Zahntechnikers Fischer, der bis 
auf einen Punkt für die Zahnärzte diskutabel erschien. Es wurde demnach 
beschlossen, sich von den Korporationen Mandate zu holen und dann offiziell 
weiter zu verhandeln. Die von den zahnärztlichen Korporationen gewählten 
Mandatare traten am 8. Febraur 1919 zu einer Beratung zusammen, in der 
einstimmig folgender Beschluß gefaßt wurde: 

„Die am 8. Februar 1919 stattgehabte Versammlung des Ausschusses 
des Stomatologenverbandes hat mit Zustimmung von Vertretern der Ver- 
eine österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte und der 
wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs beschlos- 
sen, den §8 des Antrages des Zahntechnikers Herrn Fischer auf 
Grund des Sanitätsgesetzes abzulehnen. Die übrigen Paragraphen des An- 
trages sind einer wohlwollenden Beratung zu unterziehen. Die Ablehnung 
des 88 erfolgt auch mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Extrak- 
tionen einen Teil der allgemeinen ärztlichen Praxis bilden, besonders der 
Landärzte, und ein solches Zugeständnis seitens der Zahnärzte den schärf- 
sten Widerstand der gesamten Ärzteschaft finden würde.“ (Im $8 des 
Fischerschen Entwurfes wurde den Zahntechnikern das Zahnziehen 
gestattet.) 

Der Präsident des Vereines österreichischer Zahnärzte Dr. Richard 
Breuer wurde gebeten, diese Entschließung in einer für den 10. Fe- 
bruar anberaumten gemeinsamen Konferenz der zahnärztlichen und zahn- 
technischen Vertreter mitzuteilen. Dr.Breuer tat dies und fügte einige 


Kleine Mitteilungen. 97 


Worte der Begründung bei. Der Widerstand der Zahnärzte stütze sich 
auf das Sanitätsgesetz, das bestimmt, daß die Ausübung sämtlicher 
Zweige der ärztlichen Praxis nur den an einer inländischen Universität 
promovierten Doktoren der gesamten Heilkunde gestattet ist. Wenn die 
Zahnärzte jetzt entgegenkämen, so könnten sie es nur so weit, als 
es Rechte ihrer engeren Spezialwissenschaft, keineswegs aber blutige 
Operationen betrifft, die in den Umfang der gesamten ärztlichen Praxis 
fallen. Extraktionen spielen in der Praxis des Landarztes eine große 
Rolle. Demnach hätte über diese Frage eigentlich die Gesamtheit der 
Ärzte zu entscheiden. Auch wenn wir Zahnärzte Extraktionen den Zahn- 
technikern zugestehen würden, ist es mehr als fraglich, ob die Ärzte- 
schaft zustimmen würde, denn es herrsche infolge der durch den Krieg 
geschaffenen Verhältnisse und infolge der von der Regierung geplanten 
Erweiterung der Krankenversicherung eine solche Gereiztheit, daß eine 
Ablehnung bestimmt zu erwarten sei. 

Nun erklärten die Zahntechniker — ohne über die anderen Punkte 
des Entwurfes, über die eine Einigung fast erzielt war, weiter zu verhan- 
dein —, ihren Korporationen zu berichten und dann den zahnärztlichen 
Vertretern Bescheid zukommen zu lassen und die Verhandlungen eventuell 
zu Ende zu führen. Das geschah nicht. Statt dessen erschien der Artikel 
in der „Zeitschrift für Zahntechnik“. 


Kleine Mitteilungen. 





(Errichtung von Schulzahnkliniken in Wien.) Um die zahnärztliche 
Behandlung unbemittelter Schulkinder in Wien zu ermöglichen, sollen für 
die Stadt Wien zehn Schulzahnkliniken errichtet werden, deren Betrieb 
durch den Verein für Zahnpflege in den Schulen erfolgen wird. Von den 
Bezirken kommen für die Errichtung in Betracht der2., 10., 11., 12., 13., 
14., 16., 17., 20.und 21. Bezirk mit je einer Schulzahnklinik. Eine von 
diesen soll zur Ausbildung von Ärzten und Pflegerinnen besonders aus- 
gestaltet werden. Dem Vereine würden durch die Errichtung der Schul- 
zahnkliniken jährliche Betriebskosten von 350.000 Kronen erwachsen. Der 
Wiener Stadtrat hat folgende Anträge angenommen: Die Errichtung von 
Schulzahnkliniken in der Gemeinde Wien wird grundsätzlich genehmigt. 
Das Gesundheitsamt wird beauftragt, die nötigen Lokale sicherzustellen 
und wegen Durchführung des Betriebes im Einvernehmen mit der Schul- 
behörde die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Außerdem hat dasselbe mit 
dem zahnärztlichen Universitätsinstitut und der zahnärztlichen Abteilung 
der Poliklinik .und mit den anderen in Betracht kommenden Stellen im 
Einvernehmen mit der Schulbehörde Vorbesprechungen wegen eventueller 
Übernahme der zahnärztlichen Behandlung der Schulkinder zu pflegen. 
Ferner wird der Magistrat angewiesen, sich wegen Beistellung der zahn- 
ärztlichen Einrichtungen aus den .Militärspitälern mit dem Staatsamte für 
Volksgesundheit in Verbindung zu setzen und die Auswahl mit dem städti- 
schen Gesundheitsamte durchzuführen. Auch für die städtischen Humani- 
tätsanstalten, Jubiläumsspital, Versorgungshäuser, Kinderheilanstalten, 
städtische Kinderübernahmsstelle, Tuberkulosenheilstätte Steinklamm usw., 


98 Kleine Mitteilungen. 


sollen die nötigen Behelfe für Zahnheilkunde aus der Sachdemobilisierung 
erworben werden. Für die auflaufenden Kosten wird im laufenden Jahr 
ein Kredit von 100.000 Kronen genehmigt. 


(Mangel an Arzneimitteln.) Durch einen Erlaß des Staatsamtes für 
Volksgesundheit vom 21. Februar 1919 an alle Landesregierungen wird auf 
den Mangelan Mutterkorn hingewiesen. Auch eine Reihe anderer 
Arzneimittel ist gegenwärtig nur in geringer Menge oder überhaupt nicht 
verfügbar. Nur in geringer Menge vorhanden sind: Wismutsalze, organische 
Silberverbindungen, Pepsin, Perubalsam, Styrax, Sennesblätter, Sene- 
gawurzel, reiner Akaziengummi. Nicht mehr zu beschaffen oder nur mehr 
in seltenen Fällen in Apotheken vorhanden sind: Hypophosphite, Kalium 
sulfoguajacolicum und daraus hergestellte Zubereitungen, Resorcin, Theo- 
brominverbindungen, Lebertran, Ipecacuanhawurzel. Bei diesem Anlasse 
werden den Ärzten auch die Bestimmungen des § 10 der Verordnung des 
Ministeriums des Innern vom 1. Juni 1918 (R.-G.-Bl. Nr. 190), ferner die 
Erlässe des Ministeriums des Innern vom 1. Juni 1918, Zahl 3403/S, und 
des Ministeriums für Volksgesundheit vom 15. Oktober 1918, Zahl 1450, in 
Erinnerung gebracht. Es wird daran die Mahnung geknüpft, nicht nur 
bezüglich der verordneten Mengen möglichste Sparsamkeit zu beachten, 
sondern auch im Hinblick darauf, daß die meisten Arzneiwaren aus dem 
Auslande eingeführt werden müssen, zur Schonung der Valuta bei der Ver- 
schreibung die wohlfeilen Mittel in erster Linie in Betracht zu ziehen und 
von der Verschreibung teurer ausländischer Präparate tunlichst abzusehen. 


(Die wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs) 
erläßt folgenden Aufruf: 


An die Zahnärzte Deutschösterreichs! 


Kollegen! Tretet der „Wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte 
Deutschösterreichs“ bei. Nur durch einmütigen Zusammenschluß aller 
Kollegen können dig großen Ziele, wie: 


Regelung der Zahnärzte- und Zahntechnikerfrage, 
Errichtung einer Zentraltechnik, 
Zentraleinkaufshaus, 

Bau des deutschösterreichischen Zahnärztehauses, 
Einführung von periodischen Fortbildungskursen etc., 


durchgeführt werden. 
Anmeldungen mögen gerichtet werden an den derzeitigen Präsidenten 
der Organisation: Dr. Alfred Kneucker, Wien, VIII., Alserstraße 39. 


(Niederlassung.) Der ständige Mitarbeiter dieser Zeitschrift, Dr. Fritz. 
Pordes, hat sich niedergelassen und ordiniert für Röntgendiagnostik und 
Therapie, IX., Spitalgasse 1a (3—5). Spezialeinrichtung für zahnärztliche 
Röntgenaufnahmen. Tel. Nr. 21563 ev. 95924. 





Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, III., Münzgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 
. Organ für, die wissenschaftlichen Zahnärzte Österreichs. | 
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 


des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und 
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs. 


XVII. Jahrgang. Mai 1919. 5. Heft. 








Nachdruck verboten. 


Original Arbeiten. 


Aus dem Laboratorium der Spiegler-Stiftung in Wien 
(Vorstand: Prof. Dr. Siegmund Fränkel). 


Über den heutigen Stand der Rhodanfrage. ') 
Von Dr. Frans Peter, Wien. 3 


Seitdem Miller bei den ätiologischen Forschungen der Zahnkaries 
die Untersuchung des Speichels, der in diesem vorkommenden fermentativen 
Vorgänge, sowie dessen pathologische Veränderungen in den Vordergrund 
der Untersuchung stellte, wurde die Frage der Speichelphysiologie eine 
der wichtigsten der zahnärztlichen Forschung. Seine Zusammensetzung 
sowie die übrige Physiologie ist sowohl bei Menschen wie auch bei Tieren 
in zahlreichen Arbeiten untersucht und bewertet worden. Für uns Zahnärzte 
hat die Physiologie des Speichels tatsächlich eminente Bedeutung. Es er- 
scheint für mich nicht zweifelhaft, daß zur normalen, gesunden Mundhöhle 
auch die Sekretion des normalen Speichels gehört, wenn auch die Unter- 
suchung von Gottlieb und Sicher die Rolle des Speichels bei der 
natürlichen Resistenz bei Schleimhautverletzungen in Frage stellen. Trotz- 
dem können wir wohl sagen, daß wir in jedem Falle von kariesfreier, nor- 
maler Mundhöhle bei gesunden Individuen wahrscheinlich einen in seiner 
Menge, Zusammensetzung und Alkaleszenz normalen Speichel finden 
werden; andererseits aber auch, daß Veränderungen des Speichels bei Er- 
krankungen auch oft von Veränderungen des Gesundheitszustandes der Mund- 
höhle begleitet werden. Ich verweise z. B. auf die veränderte Speichel- 
beschaffenheit bei der ulzerösen Stomatitis. Ebenso ist es ja möglich, daß 
wir bei fortgeschrittener Zahnkaries Veränderungen des Speichels finden 
werden und daß es einmal faktisch gelingen wird, den Zusammenhang 
zwischen Karies und Speichel, sei es in der Veränderung der Speichel- 
zusammensetzung, sei es in der Veränderung der Spaltungsprodukte und 
Bakterienflora, sei es auch in dem Versagen einer natürlichen Schutz- 





1) Vortrag, gehalten im Verein Österreichischer Zahnärzte am 2. April 1919. 


Österr. Zeitschrift für Stomatolcgie. 9 


100 | | , Frauz Peter. 


wirkung einwandfrei festzustellen. Wenn die Arbeit uber wirklich gelingen 
sollte, dann müßte der experimentelle Weg, wie ihn eben Miller betreten 
bat, weiter betrieben werden, dann müssen eben einwandfreiere Resultate 
herauskommen. So lange der Speichel einer Mundhöhle aber nicht als Ganzes, 
Unteilbares betrachtet wird, so lange einzelne Bestandteile oder Pigen- 
schaften desselben aus dem organischen Ganzen herausgeriesen werden, 
so lange hauptsächlich auf dem Weg der Statistik, nicht aber des Expe- 
rimentes, gearbeitet wird, mögen zwar auch auf diesem Wege interessante 
Einzelheiten der Speichelphysiologie gefunden werden, aber ich glaube 
nicht, daß man einwandfreie Resultate bekommen wird. Und so eine 
Einzelfrage ist die Rhodanfrage. 

Michel, der in seinen Arbeiten für die Wichtigkeit des Speichels 
bei der Ätiologie der Zahnkaries besonders eintrat, hält vier Eigen- 
schaften des Speichels für die Gesunderhaltung der Schlgmhaut und Ab- 
wehrung der Zahnkaries verautwörtliech: 

1. Die Flüssigkeit als Spülmittel, 

2.das Alkali des Speichels, 

3. das Rhodansalz, eventuell seine Säuren (?1) und 

4, elektrische Ladungen. 

- [eh will mich heute nur mit der Rhodanfrage befassen und die anderen 
drei gar nieht berühren, obwohl auch ich die Wiehtigkeit der Flüssigkeit 
als Spülmittel sowie den Grad der Alkaleszenz als wirklich wichtige 
Eigenschaften des gesunden Speichels selbstverständlich anerkenne. 

Bevor ich mich nun mit den Ausführungen Michels, durch dessen 
Untersushungen die Rhodanfrage hauptsächlich aufgerollt wurde, näher 
beschäftige, möshte ich tiber das Wesen, Vorkommen und die Reaktion der 
Rhodanverbindungen eine kurze Übersicht mir erlauben. Die Rhodanwasser- 
stoffsäure ist die geschwefelte Blausäure CNSH, welche in Form von 
Salzen, des Kalium-, Natrium- und Ammoniumsalzes im Speichel vorkommt. 
Im Speiehel ist Rhodan zuerst von Treviranus gefunden worden, jedoch 
erst epätervon Tiedemann und Gmelin als solches erkannt. Es ent- 
steht durch Abbau der Eiweißstoffe und stellt nach neueren Untersuchungen 
‚ein Entgiftungsprodukt des Organismus dar. Zahlreiche Untersuchungen 
beweisen, daß es im Tierepeichel fehlt, ebenso daß es bei vielen Krankheiten 
im. Speichel vermißt wird. Zum Nachweis dienen. mehrere Reaktionen. Die 
- älteste und am meisten gebrauchte ist die Reaktion mit Ferrisalzen. Ferri- 
-Balze (gewöhnlich wird Eisenchlorid genommen) färben Rhodansalze rot, 
die Farbe verschwindet nicht bei Zusatz von Salzsäure. Eine zweite Reak- 
tion stammt von Solera und besteht darin, daß Jodsäure durch Rhodan 
reduziert wird und das freiwerdende Jod durch Stärkekleister leicht nach- 
‚gewiesen werden kann. Eine dritte Reaktion, smaragdgrüne Färbung auf 


Über den heutigen Stand der Rhodanfıage. 101 


Lnsats son werdünmter Kupfersulfetlösung, ist von Colosanti ange 
sehen. Zur quantitativen Bestimmung können die oben erwähnten Reek- 
tionen dienen, indem maa Rhodanlösung mit bestimmtem Rhodangehalt be- 
reitet, diese Standerdlösungen mit dem entsprechenden Reagens versetzt und 
an mit dem Speichel vergleicht, Eine exakte gewichtsanalytische Methade 
jet von Mun ck angegeben und besteht darin, daß der Schwefel der Rho- 
danverbindungen durch Oxydation in Schwefelsäure übergeführt und als 
schwefelsaurer Baryt gewogen wird. 

Michel ist also derjenige, der für die außerordentliche Wichtigkeit 
der Rbodanverbindungen im menschlichen Speichel eintrat. Er geht vom 
Grundprinzipe aus, daß bei Vorhandensein größerer Mengen: solcher 
Stoffe weniger Karies vorkommt und beim Fehlen oder geringeren Mengen 
die Karies überhandnimmt, sogar parallel zur Verminderung. 

Er hat eine große Reihe von Untersuchungen vorgenommen and ist 
eben zu dem oben erwähnten Resultat gekommen. —— - 

Nach ihm waren es insbesondere Michaels, Low, Bea ch, mehrere 
amerikanische Autoren und Lohmann, die die Untersuchungen wieder- 
holten und seine Resultate gänzlieh oder teilweise bestätigen konnten. 
Miller selbst hatte schon seine Aufmerksamkeit auf das Rhodan gelenkt. 
Er hatte durch seine Versuche nachgewiesen, daß der Speichel keine entwiek- 
lungsbemmende Wirkung auf die Bakterien zeigt. Daß speziell die Rho- 
dansalse auch nicht als antibakterielle Mittel aufgefaßt werden können; 
beweisen die Versuche von Nikolas und Dubi ef. hre Versuche stellten 
die Unwirksamkeit des Rhodans in der Verdünnung, wie es im Speichel vor- 
kommt, einwendfrei fest. Die Ansehauung Martinottis, daß Rhodan- 
wasserstoffsäure die Infektion mit "Tuberkelbazillen verhindere, ist von 
Edinger,Schleger und Miller genügend widerlegt, diese Tatsache 
wad won Michel auch nicht negiert. 

dis gibt gewiß eine Anzahl von Autoren, welche insbesonders vor de 
Publikation von Nikolas und Dubief eine keimabtötende Wirkung des 
Rhodans angenommen ‚haben, so Ziegler, Wehrmann und eine 
Reihe anderer, die von Freyvogel in seiner Arbeit zitiert werden: 
Allerdings hat gerade dieser Autor auf die Versuche der beiden erwähnten 
Autoren keine Rücksicht genommen, obwohl diese Versuche auch nach 
Michel einwandfrei sind. 

. Wir ‚können also nach Miller, Nikolas und Dubief wohl an- 
nehmen, daß die Rhodanikonzentration von 0,1 pro Mille nicht imstande ist, 
die Tätigkeit der Bakterien zu ‚beeinflussen. Trotzdem versucht Michel 
gegen diese Ansicht zu kämpfen, indem er sagt: „Wenn man sich erinnert, 
daß in der Mundhöhle aktiver Sauerstoff und Wasserstoffsuperoxyd ge 
funden werden kann, so wäre es nicht unmöglich, daß das schwefelsyansaure 


9% 


10? Franz Péter. 


Salz unter Blausäurebildung zersetzt werden könne, und diesen, wenn auch 
verschwindend geringen Mengen Blausäure muß eine außerordentlich bak- 
terizide Kraft zugesprochen werden.“ Wohl nur eine Hypothese, bei der aber 
bereits der Ausgangspunkt, das Vorhandensein von aktivem Wasserstoff- 
superoxyd, noch keineswegs bewiesen ist, wenigstens werden die diesbezüg- 
lichen positiven Resultate von Wuster durch Dubny negiert. Ich 
glaube, entgegen den Anschauungen Michels, daß betreffend die bak- 
terizide Kraft eines Mittels Versuche in vitro schon genaue Resultate geben 
können, jedenfalls aber so lange, als das Gegenteil durch exakte Versuche 
noch bis heute riicht bewiesen ist. Bis heute ist es nicht bewiesen, daß das 
Rhodan in der Mundhöhle als freie Säure vorkommt, sondern eben nur als 
unwirksames Rhodansalz. Ebenso spricht meiner Anschauung nach der 
Umstand, daß der Tierspeichel kein Rhodan hat, fast absolut dafür, daß 
der Schutzstoff nicht Rhodan sein kann und auch der Tierspeichel läßt die 
Bakterien auch ohne Rhodan ebenso gedeihen, wie der menschliche (R u f- 
fini, Fiocca). Keineswegs will ich damit sagen, daß das Rhodan infolge- 
dessen — diese Folgerung wäre die natürlichere wie die von Michel — 
sogar schädlich ist, es ist eben nur nichts anderes, als ein Stoffwechselprodukt 
der Eiweißstoffe, vielleicht ein Entgiftungsprodukt des Organismus, der zu- 
fällig im Speichel ausgeschieden wird, aber auch im Magensafte; ebenso 
auch durch andere Exkretionsorgane ausgeschieden werden könnte, wie es 
auch bei Einverleibung in größeren Mengen in erhöhtem Maße ausgeschieden 
wird und auch im Harne erscheint. Auch andere Stoffe werden bei erhöhter 
Zufuhr durch den Speichel ausgeschieden (Kochsalz, Quecksilber, Morphin, 
und andere Alkaloide), auch solche, die ansonsten durch andere Organe aus- 
geschieden werden, z. B. Albumosen bei Albumosurie. 

Schwieriger anzufechten sind die Resultate Michaels, da er die 
Rhodanfrage mit der Hypo- und Hyperazidität verbindet, insbesondere 
aber mit dem im Speichel befindlichen Ammoniak in der Weise, daß bei 
den Hypoaziden, wo also der Ammoniakgehalt die Menge Rhodanwasser- 
stoff übertraf, rapide Karies zu bemerken war, bei Gesunden und Hyper- 
aziden, wo das Verhältnis der beiden Bestandteile gleich oder umgekehrt 
ist, fehlt die Karies. 

Sicherlich betritt Michaels, wenn er mit dem allgemeinen Stoff- 
wechsel im Körper sich beschäftigt und nun pathologische Vorgänge der 
Mundhöhle damit in Zusammenhang bringt, einen sehr richtigen Weg, ob- 
wohl er bei stark alkalischem Speichel gerade rapide Karies sieht und da- 
durch den nun herrschenden Ansichten selbst Michels gegenüber sich 
in diametralem Widerspruch befindet. 

Ganz merkwürdig sind aber die Resultate von Low, Beach und 
einigen amerikanischen Autoren. Sie. fanden in jedem Falle von kariösen 


Über den heutigen Staud der Rhodanfrage. 103 


Gebissen Fehlen oder nur geringe Spuren von Rhodansalzen, bei Rhodan- 
darreichung aber schon nach 14 Tagen allmähliche Heilung. Nach ihren Er- 
folgen kann ich wirklich nicht verstehen, weshalb wir alle nicht heute unsere 
Patienten mit Rhodan füttern; daß natürlich bei Verfütterung von Rhodan- 
salzen die Menge derselben sich im Speichel vergrößert, ist selbstverständ- 
lich, sie müssen irgendwo aus dem Organismus ausgeschieden werden, da 
der Körper sie nicht benötigt und nicht brauchen kann. 

Waugh ist durch seine Untersuchungen zu dem Schlusse gekommen, 
daß Rhodankalium schon in vitro einen hemmenden Einfluß auf die Bildung 
von Bakterienplaques ausübe (referiert nach Michel). Leider wird nicht 
angegeben, wie stark die Lösung war, die er verwendete. 

In zahlreichen Arbeiten ist Lohmann, der Begründer der Muzin- 
theorie, für die Wichtigkeit der Rhodansalze eingetreten. Interessant ist es, 
daß sich hier Michel, der ja sonst die Ansichten Lohmanns so scharf 
bekämpft, und Lohmann treffen. Karies wird durch Säure verursacht, 
nur ist diese Säure nach Lohmann nicht die durch Zersetzung von 
stärkehaltigen Nahrungsmitteln durch die Einwirkung von Bakterien ge- 
bildete Milchsäure, nicht eventuell andere in der Mundhöhle selbst gebil- 
dete oder von außen eingeführte Säuren, sondern das Muzin des Speichels, 
welches durch die alkalisch reagierenden Rhodansalze paralysiert wird. 
Diese Alkaleszenz des Speichels ist der beste Schutz gegen Zahnkaries. Nun 
ist die Muzintheorie keineswegs eine erwiesene Tatsache, wenn aber Muzin 
tatsächlich eine die Zähne angreifende Säure ist, so ist es gewiß sehr merk- 
würdig, warum es gerade durch die minimalen Mengen Rhodansalze neutrali- 
siert werden soll, nicht aber durch die Stoffe, welche die Alkaleszenz des 
Speichels bedingen und die in einer vielfach größeren Menge dortselbst vor- 
handen sind. (Widerlegung der Lohmannschen Theorie bei Michel 
und Kantorovicz.) 

Durch alle diese Tatsachen will ich natürlich nicht in Zweifel ziehen, 
daß im pathologisch veränderten Speichel auch die Rhodanmenge vermin- 
dert ist oder auch ganz fehlt. Wir wissen ja, daß in sehr vielen Krank- 
heiten der Speichel pathologisch verändert ist. Freyvogel zitiert eine 
Reihe solcher Krankheiten, auch Fleckseder hat sie in einer Reihe von 
Krankheiten untersucht. Entsprechend den Veränderungen kann Rhodan auch 
fehlen. Rhodan ist eben ein Stoffwechselprodukt und wird bei Erkran- 
kungen, die den Stoffwechsel beeinflussen, eventuell in verminderter Menge 
oder gar nicht ausgeschieden, vielleicht wird es noch im Inneren des Kör- 
pers weiter zersetzt. Es unterliegt ja schon bei normalen Individuen kolos- 
salen Schwankungen. Es kann nun vorkommen, daß diese Krankheiten solche 
sind, bei denen wir eventuell rapid fortschreitende Karies, Pyorrhoe oder 
andere Erkrankungen der Zähne oder der Mundschleimhaut beobachten. Es 


104 Franz Peter. 


können also wehl die beiden Phänomene Mundkrankheit und Rhodanmangel 
ia diesen Fällen Arm irn Arm gehen, sie können sogar regelrecht angetroffen 
werden, es wäre aber noch immer unmotiviert, die beiden rein nach dem sta- 
tistäschen Befund in direkten Zusammenhang za bringen. Hier ist die Ur- 
sache die primäre, allgemeine Erkrankung, die anderen Ersekeinungen — 
solange nicht das Gegenteil bewiesen ist — near von einander unabhängige 
Folgeerscheinungen. 

Aueh Schönauer hat bei einer großen Zahl von Soldaten mit 
unbehandelten Mundhöhlen den Rhodangehalt untersucht. Aus seiner Sta- 
tistik entnehme ich, daß er bei jedem Grad der Michelschen Skala 
(Karies I—V) bei %0—28°o der untersuchten Fälle eine Verminderung 
des Rhodangehaltes findet, durchwegs normales Verhalten. 

Habe ich bis jetzt mieh hauptsächlich mit der Karies beschäftigt wand 
iasbesondere die hieher gehörenden Arbeiten berücksichtigt, se komme ich 
nun zu der zweiten Gruppe von Erkrankungen, die ebenfalls mit Rhodan- 
mangel in Zusammenhang gebracht werden, die Pyorrkoe, ferner Schleim- 
hauterkrankımgen der Mundhöhle, Stomatitiden verschiedener Art, ins- 
besonders die Storhatitis luetiea. 

Was die Pyorrhoe anbelangt, so liegt nur eine Arbeit von Guido 
Fischer vor. Er findet ie jedem Falle seiner Pyorthoefälle vollständigen 
Rhodanmaagel. Nach mehrwöchiger Darreichung von Rhodan findet er 
ständig ein Ansteigen des Rhodangehaltes im Speichel, in eiaigen Fällen 
auch eine Besserung der Pyorrhoe. Diese Besserung können wir wohl auf 
die gleichzeitig durchgeführte rein zahnärztliche Behandlung zurückführen. 
Er arbeitet mit verdünntem, nieht filtriertem Speichel, so daß seine Reset 
tate wohl angezweifelt werden können. Ich habe in drei Fällen von viru- 
lenater allgemeiner Pyorrhoe (unbehandelte Fälle) den Speichel 
untersucht, jedoch insämtlichendrei Fällen hohen Rhodan- 
gehalt feststellen können. 

Auch in gwei Fällen von Stomatitis ulcerosa fand ich no r- 
malen Rhodangehalt. Die Fälle betrafen Kinder. 
| Schmitt stellte durch seine Untersuchungen fest, daß Rhodan- 
mangel für durch Quecksilber und Jodkalium behandelte Syphilis eharak- 
teristisch sei und dasselbe Resultat gewann Freyvogel im München. 
Beide glauben, daß der bei Luetikern ah und für sieh verminderte Rhodan- 
gehalt im Laufe der Behandlung noch weiter zurückgeht, eventuell gaat 
schwindet. Die Stomatitis mercurialis wäre ein F'olgesustand dieses Rho- 
danmeangels und durch Darreichung von Rhodalzid der Firma Reißholz 
leicht zu bekämpfen. 

Ich bin diesen Anschauungen auf Grund eigener Untersuchungen oat- 
gegengetreten, die ich in der Wiener klinischen Wochenschrift im Früh- 


Über den heutigen Stand der Rhodanfrage. 105 


jahre 1917 publiziert habe. Bei einer großen Anzahl von Luskikem in 
allen Stadien der Krankheit und mit den verschiedensten Erscheinungen 
babe ich sehr genau den Rhodangehalt des Speichels bestimmt und bin 
dabei zu dem Schlusse gekommen, daß ein Zusammenhang zwischen Rhor 
daamaagei und Syphilis nieht existiert und daß Luetiker ebense Rhodan 
aussgheiden, in ebenso sehwankenden Gremzen, wie normale Individuen. 


Wenn wir also zu so verschiedenen Resultaten gekommen sind, so 
müssen wir uns fragen, was die Ursache sein kann und man kommt leicht 
zu dem Schlusse, daß eben Fehler in der Methodik schuld sein müssen. Das 
von den meisten Autoren benützte Reagens ist Eisenchlorid. Die Bestim- 
mungen damit können aber nur richtig sein: 1. wenn zu den Bestimmungen 
immer frisch bereitete, verläßliche Lösungen genommen werden, 2. wenn 
die Standardlösung selbst bei jeder Gelegenheit frisch mit Eisenchlorid 
versetzt wird, d.h. eine mit einer bestimmten Menge von Eisenchlorid ver- 
setzte Rhodanlösung darf nicht von einem Tag auf den anderen aufgehoben 
werden, und 3. es muß gleiches mit gleichem verglichen werden, d.h. eine 
klare Lösung mit einer möglichst klaren. Ich glaube also, daß die Methode, 
ein Filterpapier mit Eisenchloridlösung zu tränken und die Untersuchung 
gleich in der Mundhöhle vorzunehmen, eine ständige Fehlerquelle ist und daß 
ebenso das Aufstellen einer Farbentafel zum quantitativen Vergleich seine 
Schwierigkeiten hat. Die Resultate mit dem Michelschen Kolorimeter, 
der nach Versetzung von 5 cm? Rhodanlösung mit 5 cm* Eisenchloridtösung 
hergestellt wurde, können meiner Anschauung nach also nicht einwandfrei 
sein, um so mehr, weil zum Färben der minimalen Menge Rhodansalze eine 
ungleich große Menge Eisensalz genommen wurde und zweitens, da zur 
Speichelprobe im Gegensatze zur Vergleichsprobe nicht 5, sondern 1 em? 
Eisenchloridlösung zugegeben wird. Nur auf ganz gleiche Art, in gleicher 
Schichtendicke vorhandene Lösungen mit dem gleichen Teil Fisenchlorid 
— es genügt ein Tropfen — versetzt, können einwandfreie Resultate geben. 
Die Lösungen müssen klar sein, und zwar entweder soll der filtrierte 8peichel 
mit Eisenchlorid versetzt oder der mit Eisenchlorid versetzte Speichel fil- 
triert werden. Erst dann kann man den Vergleich mit der Standardlösung 
richtig beurteilen. Wenn man dann jedem Speichel genügend Zeit opfert, 
wenn täglich und täglich wieder mit frischen Standardiösungen gearbeitet: 
wird, wenn man eventuell den klar filtrierten Speichel mit verschieden kon- 
zentrierten Eisenchloridlösungen prüft und auf das Zugeben von Salzsäure 
nicht vergißt, kommt man zu dem richtigen Resultate. | 


Was die Untersuchungen mit Jodsäure anbelangt, müssen wir in 


Betracht ziehen, daß Jadsäure ein ungemein labiler Körper ist, der durch 
eine Reihe von Stoffen zu Jod reduziert wird. Es müßte also ausgeschlossen 


106 Frauz Peter. Über den heutigen Stand der Rhodanfrage. 


werden, daß der Speichel solche Stoffe, eventuell von der Außenwelt stam- 
mend, gerade zur Zeit der Untersuchung gehabt hat. 

. „Eine weitere Fehlerquelle, die bei den Untersuchungen bis jetzt nicht 
beobachtet wurde, ist.die Milchsäurereaktion des Speichels. Milchsäure gibt 
mit Eisenchlorid eine kanariengelbe Färbung, die wohl imstande ist, die 
Rhodanreaktion abzuschwächen oder auch, als chemisch stärkeres Agens, 
ganz zu verwischen. In der früher erwähnten Arbeit habe ich genau ange- 
geben, wie oft ich im Speichel der Luetiker Milchsäure fand. Ich glaube 
nun, daß gerade bei geringer Rhodanmenge diese Reaktion oft übersehen 
wurde, was ebenfalls an manchen Statistiken zu Rektifizierungen Veranlas-. 
sung geben könnte. 

Und auf Grund dieser Überlogungen muß ich Freyvogel, dessen 
Arbeit fast gleichzeitig mit meiner erschienen ist und der genau entgegen- 
gesetzte Resultate erhielt, scharf entgegentreten. Der Behauptung gegen- 
über, daß das Rhodanometerpapier der Firma Reißholz bei Massenunter- 
suchungen zu quantitativen Bestimmungen sich am besten eignet, glaube 
ich entgegnen zu können, daß lieber wenige Untersuchungen, aber mit a b- 
solut zuverlässigen Methoden am Platze sind. Krüger hat die 
quantitativen Untersuehungen nach der gewichtsanalytischen Methode ge- 
nauestens ausgeführt und er fand keinen Zusammenhang zwischen Rhodan- 
mangel und Karies. Daß bei mehrwöchentlicher Rhodandarreichung die aus- 
geschiedene Rhodanmenge größer ist, bezweifle ich nicht. Das ist selbst- 
verständlich, daß, wenn ein Stoff in vermehrter Menge in den Körper ein- 
verleibt wird, er auch in vermehrter Menge ausgeschieden wird. Ebenso 
glaube ich, daß man durch hygienisches Ordnen der Mundhöhle und Spü- 
lungen mit Wasserstofisuperoxydlösung die Stomatitiden ebenso vermeiden 
kann, wie durch die Darreichung von Rhodalzid. 

Es wäre nun sehr interessant gewesen, das Verhalten des Rhodans, 
mit Berücksichtigung der vorgebrachten Tatsachen bei einer sehr großen 
Zahl von Personen mit stark kariösen Gebissen einwandfrei zu bestimmen. 
Ich begnügte mich aber mit der Untersuchung von 27 Mundhöhlen, von 
denen ein Teil absolut zugrunde gegangene Gebisse (Gruppe V nach. 
Miehel) aufwies, der andere Teil bereits die Zähne durch Karies verloren 
hat. Diese Leute haben viele Jahrzehnte Karies im Munde gehabt und jetzt, 
wo sie ihre Zähne verloren haben, würde ja kein Grund hier sein, daß das 
Rhodan, wenn durch dessen Mangel die Karies florierte, plötzlich wieder im 
Speichel erscheint. Im Gegenteile, die meisten von diesen Personen sind 
magenleidende, abgemagerte kranke Frauen. Diesmal habe ich immer nur 
zwei Standardlösungen bereitet, von denen die eine 0,04, die andere 0,08 
pro Mille Rhodankalium enthielt. Wir müssen noch in Betracht ziehen die 
gegenwärtigen kümmerlichen Ernährungsverhältnisse in Wien. Die Pa- 


Alfred Kneucker. Weitere Bemerkungen zur Verwendung etc. 107 


tienten haben tagelang kein Fleisch gesehen, das Rhodan bildet eich aus: 
dem Fleischeiweiß, es war also von vornherein mit einer etwas vermin- 
derten Rhodanmenge zu rechnen. Von diesen 27 Fällen fand ich in 18 Fällen 
einen Rhodangehalt von 0,04 pro Mille und darüber, in 9 Fällen einen ge- 
ringeren Rhodangehalt oder ein Fehlen, wobei ich bemerke, daß in 4 Fällen 
Milcheäure vorhanden war. Untersuchte Kontrollpersonen zeigten durch- 
schnittlich den Rhodangehalt von 0,04, selbst der eigene Speichel, der im 
Frieden ja ständig den Gehalt 0,1 pro Mille hatte. 

Resumierend müssen wir also sagen, daß dem Rhodan die Be 
deutung, wie Michel und seine Anhänger behaupten, 
nicht zukommt. Ich habe bei keiner Art einer Mund- 
höhlen- oder Zahnerkrankung eine regelmäßige Rho- 
danabnahme finden können. Eskannalso dem Rhodan 
keine wie immer geartete Schutzwirkung im mensch- 
lichen Speichel zugeschrieben werden. 


Weitere Bemerkungen zur Verwendung der 4pro- 
zentigen Novocain-Suprareninlösung in der Zahn- 
chirurgie. 

Von Dr. Alfred Kneucker, Zahnarzt in Wien. | 

Gelegentlich meines in der wissenschaftlichen Sitzung der wirtschaft-- 
lichen Organisation der Zahnärzte Österreichs am 28. Jänner 1919 gehal- 
teren Vortrages über die Anästhesie bei der Extraktion periostkranker 
Zähne („Zahnärztliche Rundschau“ Berlin, 2/3, 1919) habe ich auseinander- 
gesetzt, daß dort, wo eg sich um die Entfernung nur eines oder höchstens . 
zweier periostkranker Zähne handelt, und wo man die Leitungsanästhesie 
mit der 1—2%igen Novocain-Suprareninlösung weder anwenden kann oder 
will, und wo die lokale Anästhesie mit der niederer dosierten Lösung ver- 
sagen würde, die 4%ige Lösung mit Erfolg verwendet werden kann. 

Die Fälle, in denen man die Leitungsanästhesie nicht anwenden kann, - 
kommen in der Praxis verhältnismäßig häufig vor, und: zwar dann, wenn 
der periostale Eiterherd bereits dem betreffenden Foramen vorgelagert ist, - 
durch das der zu anästhesierende Nervenstamm zieht. So zeigen sich relativ . 
oft diese Verhältnisse beim Foramen infraorbitale, wenn der betreffende . 
Eckzahn eitrig erkrankt ist, — beim Foramen palatinum majus bei distal . 
gelegenen Gaumenabszessen — beim Foramen mentale bei periostitischen 
unteren Prämolaren, beim Foramen mandibulare hingegen ist man oft 
deehalb nicht in der Lage, die Leitungsanästhesie intraoral anzuwenden, - 


Österr. Zeitschrift für Stomatnlapie. 10 


108 2 Alfred Kneucker. - 


weil eine mehr oder minder starke Kieferklemme die exakte LE 
der Ausschaltung verhindert. 

Einen diesbezüglichen interessanten Fall aus .der ahire idhe 
Praxis möchte ich bei dieser Gelegenheit sofort schildern. Er zeigt, wie: 
sehr unter Umständen die höher dosierte Lösung wegen ihrer hervor- 
ragenden hohen . Anästhesierungsfähigkeit imstande ist, die sonst kaum 
behebbaren Schwierigkeiten schließlich doch zu überwinden: 

Ein Kollege frakturiert den rechten unteren Weisheitszahn. Patientin 
ist nach der Fraktur einstweilen wohl von den Zahnschmerzen befreit. 
Einige Wochen später traten unter heftigen Schmerzen Fieber, Ödem und 
Kieferklemme ein. Der Kollege sendet mir nun die Patientin mit dem Er- 
suchen, die frakturierte Wurzel zu entfernen. Bei der Untersuchung zeigt 
sich, daß Patientin die Zahnreihen nur 1—2 mm voneinander ent- 
fernen kann. 

In solchen Fällen steht man nun vor besonders komplizierten Ver- 
hältnissen, wenn man sich die Frage beantworten soll, welche Methode der 
Anästhesie für den nun durchzuführenden zahnchirurgischen Eingriff zu 
wählen sei. Lokalanästhesie mit der sonst gebräuchlichen 1—2%igen Lösung 
ist- nicht anwendbar, weil ihre Injektion sicher Schmerzen ‚hervorrufen 
wird, Vereisung ist wegen der kurzen Dauer der Anästhesie und wegen der 
beengten Raumverhältnisse nicht anwendbar, Chloräthylrausch ist nicht 
durchzuführen, weil er sich ebenfalls nur für kurz dauernden Eingriff eignet 
und weil in diesem Fall die systematisch-chirurgische Freilegung der 
Wurzel immerhin ein verhältnismäßig länger dauernder Eingriff zu werden 
versprach. Leitungsausschaltung am Foramen mandibulare war wegen der 
Kieferklemme unmöglich. In dieser Lage nun kam ich auf die Idee, die 
A%ige Lösung zu verwenden, und ging hierbei so vor, daß ich die Wange, 
8o gut es nur überhaupt ging, weit abzog und vorerst buccal in die mesiale 
Zahnfleischpapille die so stark anästhesierende Lösung injizierte. Der 
Vorteil dieses Verfahrens zeigte sich bald darauf, da die gewissen 
Schmerzen, welche beim gewaltsamen Öffnen mit dem Heister erzeugt 
werden, nach wenigen Minuten lange nicht mehr so intensiv waren wie 
vorher, so daß ich, vorsichtig an der Schraube des Heister drehend, nun 
den Mund so weit öffnen konnte, um die eingrammige P ra v a z spritze, 
mit der langen, sonst für die Leitungsanästhesie bestimmten Nadel armiert, 
nun lingual zur lokalen Injektion verwenden zu können. Die Anästhesie 
war komplett, die systematische Freilegung der Wurzel gelang leicht und 
dann auch verhältnismäßig leicht die Extraktion. 

Was nun die Herstellung der 4A%igen Novocain-Suprareninlösung be- 
trifft, so wird dieselbe auf die Art am praktischsten erreicht, daß man, streng 
aseptisch vorgehend, eine Tablette Form A in 3cm® gekochten Wassers 


e.. O r - 9s apa 3 


Weitere Bemerkungen zur. Verwendung etc. 109 


in dem von Seidel angegebenen Tiegel löst. Bei dieser. Gelegenheit 
möchte ich erwähnen, daß man in Fällen ganz besonderer Empfindlichkeit 
ruhig statt der 3cm® nur 2t/ Wasser nehmen kann, wodurch eine über 
4%ige Lösung entsteht, d.h. man gehe so vor, daß man den Tiegel nur 
bis zum Teilstrich 2%/, füllt. 

‘Durch die so günstigen Resultate, welche mir die 4%ige Lösung 
-durch 3 Jahre ergab, wurde ich veranlaßt, das ursprünglich verhältnis- 
mäßig engere Indikationsgebiet zu erweitern und die Anwendung der 4%- 
igen .Novocain-Suprareninlösung nicht mehr streng. nur auf die. ausge- 
‚sprochen periostitischen Fälle zu beschränken, sondern auch dann anzu- 
wenden, wenn irgend ein Symptom dafür spricht, daß neben der. ae 
bereite schon eine Periostitis vorliegen könnte. 

Die Gründe hierfür sind folgende: 

_ Wenn man vor der. Extraktion eines Zahnes der as Diagnose 
sein genausstes Augenmerk zuwendet und neben: den übrigen Unter- 
suchungsmethoden zur Beurteilung des Falles das Röntgenbild heranzieht, 
so wird man finden, daß die geringfügige, aber bei sensiblen Periostnerven 
unter Umständen so sehr empfindliche partielle akute. — vielleicht erst vor 
wenigen Stunden entstandene — Periodontitis sich BADTETAN nn rönt- 
genologisch nicht nachweisen läßt. | 

Führt man, ähnlich wie es die pathologischen Anatomen achen. 
‚sofort nach der Extraktion eines Zahnes ‚gleichsam dessen Autopsie durch 
— man spüle unter rinnendem Wasser das Blutgerinnsel vom Zahne ab 
— so wird man Gelegenheit haben, die verschiedenen durch die Infektion 
‚bedingten Veränderungen an der Wurzelhaut zu erkennen, und sehen, wie 
oft. die anatomischen Veränderungen gar nicht mit den Symptomen im Ein- 
klange stehen, welche die eigentliche Veranlassung zur Extraktion waren; 
ader mit anderen Worten; Oft findet man. als Zeichen der Entzündung 
nur zarteste, leichte stellenweise Injektionen der Gefäße, kein Granulom, 
keine Eitermengen etc. und doch waren die Schmerzen, derentwegen man 
hatte zur Zange greifen müssen, unerträglich gewesen. Bei. langwierigen 
ehronischen Entzündungen hingegen hat der Patient: oft ausgedehnte Ver- 
änderungen am Periost und am, Knoehen; die Schmerzen aber, eben, deg 
chronischen Verlaufes wegen, warön verhältnismäßig gering gewesen.. Ing- 
‚besondere bei mehrwurzeligen Zähnen kann es vorkommen, daß vielleicht 
die eine Wurzel an Pulpitis, die zweite. an 1 ANETAR, die dritte bereite 
an Periostitis leiden kann. - l 

Wendet man nun in diesem Falle iiir der Vorenn einen 
pulpitischen Zahn zu extrahieren — die Symptome, namentlich. die Tem- 
peraturempßndlichkeit hatten zu dieser Diagnose geführt —, die sch wä- 
chere Lösung an, so kann es. auf Grund der eben geschilderten. Verhält- 


10* 


110 Alfred Kneucker. 


nisse durch die Injektion selbst statt zur Schmerzlosigkeit zur Schmerzemp- 
findung kommen. Wohl könnte der Einwand erhoben werden, daß jeder rou- 
tinierte Zahnarzt die sichere Diagnose Pulpitis oder Periostitis zu stellen 
imstande sein müsse. Grewiß ist dies im allgemeinen der Fall. Bei jenen 
Patienten, die zur Konservierung eines Zahnes a priori Zeit, Mühe, Rönt- 
genbild, Exkavieren des Zahnes, Wurzelbehandlung usw. unter allen Um- 
ständen aufwenden wollen, wird man ja in der Regel durch präzise Arbeit 
auch zur klaren Diagnose kommen. 

Anders aber steht es mit dem Patienten aus der Extraktionsambulanz 
der Kliniken, Spitäler, Krankenkassen etc., von denen der größere Teil 
darauf dringt, nicht durch die Konservierung, sondern durch die Extraktion 
von den Schmerzen befreit zu werden. Und gerade in diesen letzteren 
Fällen kann man sich bei aller Genauigkeit der vorher gestellten Diagnose 
kaum verbürgen, ob sich nicht — besonders bei einem mehrwurzeligen, 
scheinbar nur pulpitischen Zahne — auch mit der Pulpitis eine eben 
entstandene Periostitis bereits etabliert hat. 

Es ergibt sich demgemäß — mit weiter unten zur Besprechung 
‘kommenden Ausnahmen — folgender Standpunkt: 

Bei der Extraktion eines oder höchstens zweier Zähne oder Wurzeln 
wende ich die 4%ige Novocain-Suprareninlösung an. Man hat dadurch als 
Operateur den Vorteil, dem Eingriffe von vornherein mit voller Ruhe 
'entgegensehen zu können, da man ja weiß, daß eine selbst okkulte Peri- 
ostitis durch die so stark anästhesierende Wirkung der höher dosierten 
Lösung in ihrer Empfindlichkeit überwunden wird, und demgemäß weiß, 
daß die Injektion selbst nicht Schmerzen hervorrufen und sichere An- 
ästhesie erzielen wird. Nur muß hervorgehoben werden, daß die 4%ige 
Lösung nur lokal, nicht aber zur Leitungsanästhesie verwendet werden 
soll, da sie, bei derselben verwendet — nach meiner Erfahrung — häufig 
— allerdings harmlose — Nebenerscheinungen, wie z. B. zirkumskripte 
Hautanämie, hervorruft. Bei der lokalen Injektion in das verhältnismäßig 
straffe Gewebe der Gingiva kommt die Lösung so langsam zur Resorption, 
daß sie keinerlei Intoxikation hervorruft; bei der Injektion hingegen, z. B. 
'an der Schleimhautumschlagsfalte, wo das Gewebe gleichsam weitmaschig 
ist, wird die Lösung rascher resorbiert und kann, höher dosiert etc., zu 
Nebenerscheinungen: führen. Nebst dieser langsamen Resorption hat die 
lokale Injektion noch den Vorteil, daß vielleicht ein Teil des Injektione- 
anästhetikums durch die an Ort und Stelle erfolgte Extraktionsverletzung 
wieder nach dem Eingriff ausgeschieden werden dürfte, während die hei 
der Leitungsanästhesie erfolgte Deponierung des Medikamentes ein voll- 
ständiges Aufsaugen desselben bedingt. Die übrigen Nachteile der Leitungs- 
ausschaltung, die Gefahr des Nadelbruches, welche gerade bei der Mandi- 


Weitere Bemerkungen zur. Verwendung etc. 1il 


bularanästhesie recht folgenschwer werden kann, oder die allerdings seltene, 
aber bei aller Peinlichkeit in der Asepsis immerhin mögliche Ein- 
schleppung von Infektionskeimen in die Tiefe und die hierdurch bedingte 
Erzeugung von Abszessen seien hier nur nebenbei erwähnt. 

Und nun noch zur Besprechung jener Fälle, bei denen sich die ii 
wendung der 4%igen Lösung verbietet: 


1. Bei der Extraktion eines völlig gesunden Zahnes. 

2. Bei jenen Fällen, wo die unkomplizierte Pulpitis absolut sicher 
diagnostiziert werden kann, wo also sicher keine  Periostitis 
vorliegt. 

3. Bei jenen Fällen von Periostitis suppurativa, wo der Zahn bereits ` 
von Eiter umspült ist, und schließlich im allgemeinen | 

4. bei jenen Fällen, wo irgend eine andere Methode (V ereisung, Chlor- 
äthylrausch, Leitungsanästhesie mit den nieder dosierten Lösungen) 
leichter, rascher und sicherer zum Ziele führt. 


Um Beispiele anzuführen: Man exkaviert einen eiiwursellgen Zahn; 

beim Exkavieren findet man die Pulpa bloßliegend, empfindlich, blutend. 
Patient verweigert aus irgend einem Grunde die weitere konservierende 
Behandlung und: besteht auf der Extraktion; in diesem Falle Konigi a die 
1%ige Lösung natürlich völlig. 
Ä Oder: Es wäre eine allein stehende, ko, lockere Wurzel zu ent- 
fernen. In diesem Falle wäre es unpraktisch, Injektionsanästhesie überhaupt 
anzuwenden. Am Platze ist Vereisung, da der Eingriff sicher rasch er- 
ledigt werden kann. 

Oder: Ein ringsum von Eiter umspülter, Derieeikranker stark ge- 
lockerter Zahn. Da verbietet sich der Gefahr wegen, die Eiterkeime durch 
Injektion in die Tiefe zu bringen, naturgemäß die Lokalanästhesie und 
man wird je nach der Situation — falls noch durchführbar — zur: Leitungs- 
anästhesie mittelst der 1—2%igen Lösung oder zum ii ai 
greifen. 

l Oder: Es wäre zum Zwecke eines: Ziiinersatzes inè Reihe von 
Wurzeln zu entfernen, eine ganze Kieferpartie gleichsam auszuräumen. In- 
dikation: Anwendung der 1—2 %igen Lösung und Leitungsanästhesie.. 

Ähnliche Beispiele ließen sich noch viele anführen, doch: genügen sie 
zur Orientierung und beweisen : ausdrücklich, daß man im Interesse des 
Gelingens der Anästhesie der Diagnose, an 'welcher Erkrankung der Zahn 
leidet, sein besonderes Augenmerk zuwenden soll; wobei aber die übrigen 
Verhältnisse im Munde und der Körperzustand des Patienten (Alter, all- 
gemeine Erkrankungen, Ernährungs- und Kräftezustand usw.) mit in Be 
tracht zu ziehen sind, oder mit anderen Worten: Man wähle, um in 


112 Alfred Kneucker. 


derAnästhesiemöglichstdenMißerfolgzuvermeiden, 
je nach der Diagnose die entsprechende Methode. 
Diesbezüglich interessant und instruktiv. ist folgender Fall: 


Ein 17jähriges Dienstmädchen bittet um die Extraktion des U von dessen 
"Konservierung sie nichts wissen will. 

Die Anamnese und Untersuchung ergibt, daß der Zahn an akuter 'Bulpitis 
leidet. Da derselbe aber nebst der Temperaturempfindlichkeit auch bereits leicht 
‚klopfempfindlich ist, entschied ich mich, um möglichst in der Anästhesie sicherzu- 
gehen, für die lokale Anwendung der 4A%igen Novocain-Suprareninlösung, um 80 
mehr, als dabei die Gefahr des Nadelbruches bei der Leitungsausschaltung des 
Nervus mandibularis vermieden war; die Tatsache nämlich, daß die im Kriege 
‘erzeugten Nadeln spröde sind und glasartig leicht brechen, darf derzeit nicht 
übersehen werden. 


Während der Extraktion aber gab Patientin Schmerzensäußerungen von sich. 


Die Autopsie des Zahnes von außen ergab keinerlei Zeichen von Peri- 
ostitis; die Autopsie von innen — der Zahn wurde mit dem Hammer zerschlagen — 
erklärte, wieso es zur Schmerzempfindung gekommen war. Die Anästhesie hatte 
wohl die Pulpa der einen Wurzel unempfindlich gemacht — sie war nämlich 
infolge der Suprareninwirkung anämisch geworden —, die Puülpa hingegen der 
zweiten Wurzel war, so wie man es bei Pulpitis totalis zu sehen gewohnt ist, 
stark blutreich, ohne die anämisierende Wirkung zu zeigen, und a aus dem 
zerschlagenen geöffneten Wurzelkanal gleichsam heraus, 

In diesem Falle mußte die Lokalanästhesie selbst unter Kugending der 
höher dosierten Lösung versagen. Hier wäre die Leitungsanästhesie eher am 


Platze gewesen, da durch sie der Nervus alveolaris inferior sicher und mit ihm. die 
Pulpa des [7 ausgeschaltet worden wäre. 


Der Schmerz bei der Extraktion läßt sich nur so erklären, daß de kräftige 
zusammenpressende Druck der Zange auf die geschwollene, stark entzündete, dabei 


aber nicht genügend anästhesierte Pulpa besonders heftige Schmerzen ausgelöst 
hatte, wenn auch die Dehnung der Alveole, die Zerrung am Periost, das Los- 
reißen des Zahnes aus demselben durch die starke anästhesierende Wirkung der 
Lösung kaum empfunden worden sein dürfte. - 


Ich kehre zu dem Hauptthema zurück und möchte nochmals hervor 
heben: 

Vor der Extraktion eines Zahnes verschaffe man sich zumindesten 
über folgende Punkte Klarheit: 


1. Ist der Zahn gesund oder krank ? 

2. Steht der Zahn isoliert oder ist er von gesunden oder kranken 
Zähnen umgeben ? 

3. Woran leidet der Zahn? Pulpitis oder Periostitis ? 

4. Ist der Zahn ein- oder mehrwurzelig ? 

5. Wie alt ist der Patient? 


Weitere Bemerkungen zur \erwendung etc. 113 


6. Ist derselbe im allgemeinen, namentlich was Herz und Niere be- 
trifft, gesund? 

7. Wird der Eingriff voraussichtlich glatt, rasch oder kompliziert 
verlaufen ? 

8. Ist nur ein oder sind mehrere Zähne oder Wurzeln zu extrahieren ? 


Geht man nun nach den genannten Gesichtspunkten vor und wählt 
man, individualisierend, je nach der Lage, aus der großen Zahl der uns 
zur Verfügung stehenden Methoden (Lokal- oder Leitungsanästhesie unter 
Verwendung der 1-, 1:!/»-, 2-, 3, 4, eventuell sogar etwas über 4%igen 
Lösung, Vereisung, Chloräthylrausch usw.) die für den betreffenden Fall 
geeignetste, so wird man die Mißerfolge in der Anästhesie bei Zahnextrak- 
tionen auf ein Minimum reduzieren. 


- Noch ein Wort über die Anwendung. der 4A%igen Lösung bei der 
Durchführung der Wurzelspitzenresektion. 

In den meisten Fällen kommt man dann, wenn die Leitungsanästhesie 
überhaupt ausführbar ist, mit der 1%igen Lösung tadellos aus. Trotzdem. 
aber kommt ee nicht so selten vor, daß die Entfernung der Granulationen, 
namentlich bei den oberen Frontzähnen, wenn die Granulation sehr tief 
sitzt, nicht immer mit kompletter Anästhesie gelingt, und gerade das kann 
den ganzen Eingriff recht peinlich machen, wenn die empfindlichste Partie 
bei der immerhin längeren Operation nicht ausgeschaltet ist. Um nun 
ganz sicher zu gehen, schlage ich folgenden Weg ein: 


Ich schalte mit Leitungsanästhesie unter Anweridung der 1efigen Lb- 
sung aus, spritze aber ein ganz kleines Quantum der höher dosierten Lösung 
auch lokal ein und erreiche damit, daß das entzündete Gewebe nicht nur‘ 
blutleer, sondern auch sicher unempfindlich gemacht wird. 

Bevor ich schließe, möchte ich noch einmal hervorheben, daß, wie 
bereits in der oben zitierten Publikation ausführlich besprochen wurde, 
die Verwendung von nicht mehr als 3cm? der 4%igen: Lösung absolut 
gefahrlos ist, daß damit die Erfolge herrlich sind in so manchem Falle, 
der sonst, was die Anästhesie betrifft, versagt hätte. 

Eben diese durch mehrere Jahre gleichmäßig erzielten Erfolge waren 
für mich die Veranlassung, das Verfahren den Kollegen bekanntzugeben 
mit dem Wunsche, dieselben mögen mit der 4%igen Lösung bei den hierfür 
geeigneten Fällen ähnliche glänzende Resultate erzielen, wie sie. mir be- 
schieden waren. | | 


Literatur: Anästhesie bei der Extraktion periostitischer Zähne Von 
Dr. Alfred Kneucker. Zahnärztliche Rundschau, Berlin, 2/3, 1919. 


114 Winke für die Praxis. 
Winke für die Praxis. 


Repetitorium der Brückeutechnik. 
Von Dr. Emil Steinschneider. 
(Fortsetzung.) 

Beim Einsetzen der Brücken ist auf verschiedene Um- 
stände zu achten. Es kommt selten vor und ist auch gar nicht erwünscht, 
daß die Pfeiler absolut parallel sind, denn die Brücke soll nicht 
nur durch das Befestigungsmittel allein gehalten werden, sondern auch 
durch eine gewisse Spannung, die dadurch entsteht, daß die Brücke auf 
die mit ihren Längsachsen ein wenig divergenten Stützzähne geschoben 
wird. Man wird also ein wenig Gewalt anwenden müssen, um die Brücke 
an ihren Platz zu bringen. Unterstützen kann man den Handdruck durch 
leichte Hammerschläge mit einem Bleihammer auf eigens hiezu konstru- 
ierte Eintreibungsgeräte, die man aber leicht ersetzen kann durch einen 
Zahnbürstenstiel aus Bein oder ein Holzbrettchen, ca. 15 cm lang und 2 cm 
breit, das zweckmäßig an den Enden Metallzwingen trägt. Beim Versuch, 
die Brücke an ihrem Ort im Munde einzusetzen, ist es zweckmäßig, mit 
den mit Wurzelstiften versehenen Kronen zuerst zu beginnen, die Hohl- 
kronen gehen dann leichter auf den Pfeiler. Ist nun die Brücke auf 
diese Weise auf ihren Platz gebracht, wird es sich empfehlen, sie zu- 
nächst — besonders dann, wenn beim Hinauftreiben größere Schwierig- 
keiten zu überwinden waren — provisorisch 24 Stunden tragen zu lassen. 
Dadurch wird die durch die mäßig divergente Stellung der Pfeiler hervor- 
gerufene Spannung gemildert und die Brücke läßt sich nach dieser 
Zeit leichter herausnehmen und wieder einsetzen. Dieses letztere ist des- 
halb von Wichtigkeit, weil das schnellhärtende Zement, das in den weit- 
aus meisten Fällen zur Befestigung der Brücken dient, bei den Versuchen, 
eine schwer aufzusetzende Brücke an ihren Platz zu bringen, erhärten 
könnte, bevor das erstere geschehen ist, ein Mißgeschick, das sich nicht leicht 
gutmachen läßt, ohne die Brücke zum Teil zu zerstören. Wenn auch eine 
gut gearbeitete Brücke nach Überwindung der kleinen Schwierigkeit sofort 
gut an ihrem Platze sitzen soll, kommt es doch insbesondere bei größeren, 
auf mehr als 2 Pfeilern sitzenden Brücken vor, daß durch das Verlöten 
der Teile kleine Mängel entstehen, die es verhindern, diese Brücke voll- 
ends auf ihren Platz zu bringen. Diese Mängel bestehen meistens darin, daß 
das im Innern der Ringe oder Kronen früher verwendete Lot verfließt und 
mehr oder weniger starke Wülste bildet, auf denen die Brücke dann reitet. 
Läßt man sie aber einen Tag unzementiert tragen, wird man den Fehler 
leicht entdecken und beheben können. Aber auch Brücken, die ganz ohne 


Winke für die Praxis.. 115 


Fehler sind, werden sich auf diese Weise besser an ihren Platz lagern. Ein 
Befestigungsmittel für das provisorische Einlegen ist gewöhnlich nicht not- 
wendig, die Brücke hält auch ohne ein Mittel 2—3 Tage. Länger soll es 
schon wegen des auftretenden üblen Geruches nicht’ dauern. : Im Notfalle 
wäre Guttapercha, Paraffin oder dgl. zu versuchen. 

Sind wir nun so weit, gehen wir an das definitive Einsetzen der 
Brücke. Das geschieht, wie schon erwähnt, meistens mit schnellhärtendem 
Zement. Man schützt die betreffende Partie des Mundes mit Watterollen 
vor Feuchtigkeit und legt die entsprechenden Zähne trocken. Der Zement- 
wird sahneartig angerührt in die Krone gegeben und mit einem Spatel 
an die Wände allenthalben verteilt. Dadurch werden auch sich allenfalls 
bildende Luftblasen beseitigt. 

Die Zahnstümpfe werden mit dem Zement bestrichen und die. er- 
weiterten Wurzelkanäle mit diesem gefüllt. Dieses letztere ist nicht ganz 
einfach, da sich allzu leicht Luftblasen bilden, die man versuchen muß, 
mit einem Wurzelkanalstopfer oder sonst einem geeigneten Instrument 
wegzubringen. Zum Vollfüllen der Kanäle mit Zement benutzt man am 
besten die Gelatinefülltuben, die man mit Zement vollfüllt, in den Kanal 
so hoch als möglich einführt und während des Herausziehens ausdrückt. 
Nur so ist man sicher, den Kanal voll mit Zement zu haben. Nun wird 
die Brücke, wie oben beschrieben, eingesetzt und zweckmäßig das über- 
fließende Zement mit dem. in Vaselin getauchten Finger weggewischt. 
Zweckmäßig ist es, in diesem Augenblick zubeißen zu lassen, um rasch die 
Artikulation zu prüfen und dann bei offenem Munde die Brücke so lange 
durch Fingerdruck an ihrer Stelle zu halten, bis der Zement erhärtet: 
ist. Sonst kann es passieren, daß nach dem Erhärten die Brücke ein wenig 
herausgetrieben erscheint und die Artikulation nicht ganz stimmt, was zu 
unangenehmen Korrekturen zwingt. Ist der Zement hart geworden, bröckelt 
man den Überschuß ab und beseitigt die Zementstückchen und Krümel aus 
den Zahnfleischtaschen und Zwischenräumen. 

Wie schwer eine solche Brücke wieder abzunehmen ist, weiß jeder, 
der es einmal versucht hat. Nun kann es vorkommen, daß man Brücken 
provisorisch einsetzen muß, die man nach einer gewissen. Zeit abnehmen 
und erst dann definitiv einsetzen muß. Auch kommt man oft in die Lage, 
von vornherein provisorische Brücken machen zu müssen, die erst später 
durch eine definitive zu ersetzen sind. Das erstere kann z.B.dann vor- 
kommen, wenn wir die Brücke weiterbauen wollen, das letztere z. B. dann, 
wenn — besonders bei vorderen Zähnen — die Extraktionswunden noch 
nicht verheilt sind und man den Patienten nicht ohne Ersatz lassen will. 

In diesen Fällen ist das schnellhärtende Zement zum Befestigen. 
der Brücken ungeeignet. Es wäre naheliegend, in solchen Fällen Flet- 


116 Referate und Bücherbesprechungen. 


cher zu benutzen. Ich habe aber damit keine guten Erfahrungen 
gemacht. Die Brücke lockert sich viel zu rasch. Auch die Befestigung 
mit Guttapercha ist nicht zu empfehlen. Es gehört eine sehr große Ge- 
schicklichkeit dazu, dieses in der Zahnbeilkunde sonst unentbehrliche Mittel 
als Befestigung für Brücken zu benützen. Leicht dagegen und sicher läßt 
sich eine Kombination von Zement und Guttapercha verwenden, so daß 
ich sehr oft diese zur definitiven Befestigung verwende. Es gibt 
im Handel ein fertiges Guttaperchazement für diesen Zweck, mit 
dem aber recht schwer umzugehen ist und zu dem eigene Geräte nötig 
eind. Am einfachsten und sichersten geht man so vor: Man löst ein Stück 
Guttapercha in Chloroform auf und bepinselt mit dieser Lösung die als 
Stützen dienenden Kronen und Ringe von innen aus. Natürlich auch 
die Stifte der Ringstiftkronen. Nach dem Verdunsten des Chloroforms bleibt 
ein dünnes, gleichmäßig aufliegendes Häutchen von Guttapercha liegen. 
Man füllt nun die betreffenden Kronen (und Ringstiftkronen) mit schnell- 
härtendem Zement und setzt die Brücke ein. Sie hält nun im Munde so fest, 
daß man diese Art der Befestigung als definitive belassen kann. Andrer- 
seits läßt sich die Brücke dadurch verhältnismäßig leicht entfernen, daß 
man mit einem ganz kleinen, heiß gemachten Lötkolben — allenfalls auch 
mit einem großen Amalgamstopfer oder ähnlichem Instrument — die Pfeiler 
der Brücke erwärmt und mit kräftigem Zug die Brücke herunterreißt. 


Referate und Bücherbesprecehungen. 





*Chirurg und Zahnarzt. Herausgegeben von Dr. J. Soere nsen und 
Prof. Dr. L.Warnekroe. Zweites und drittes Heft. Berlin, Groß- 
- Lichterfelde 1918. 


Das Doppelheft bringt is Fortsetzung des 1917 erethiekenen erstem 
Heftes die Methoden der Kieferstation der 3. deutsehen Armee. Zuerst 
einen kurzen Überblick der Röntgenauwfnabmen und wie sig dort geübt 
wurden, von Anny Warnekros. Dann in sechs Kapiteln geteilt die 
chirurgische Behandlung der Weiehteil- und Knochenverletzungen von 
Dr. J.Soerensen. Diese Kapitel bilden den wertvollsten Teil des 
Buches, da sie klar und faßlich geschrieben sind und von den gewöhnlichen 
Methoden Abweichendes, daher Interessantes bringen, so z.B. die Befesti- 
gung von Goldschienen unter dem Perioste bei Knochenüberpflanzungen 
im Pereiche des Unterkieferwinkels oder bei zahnlosen Kiefern. Sehr be- 
merkenzwert sind auch die Ausführungen Soerensens über die ein- 
zeitire Fertigstellung großer Hautplastiken, sei es nun die Bildung der 
Oberlippe oder des Kinns. Zum Vergleiche mit den Erfolgen der mehr- 
zeitigen Operationen wünschte man nur ausgedehntere und vertiefte 
Kasuistik. In mystisches Dunkel gehüllt bleibt aber immer noch die 


Referate und Bücherbesprechungen. 117 


Methodo Warnekros mit seinen mit Guttapercha ausgepolsterten 
Rautschtk- oder Metallschienen, Bandschienen, auch abnehmbarer Verband 
genannt. Trotz vieler, allerdings recht kleiner Abbildungen und einiger 
Filmaufnahmen kann man sich kein rechtes Bild über die Indikation und 
die Anwendungsart der Bandschienen, sowie über ihre Detailherstellung 
machen. Auch die übrigen Kapitel über Notverbände, Befestigung der 
Goldschienen unter dem Perioste und die Verwendung des abnehmbaren 
Verbandes bei Schließung von Wolfsrachen gehen nicht anf den Kern 
der Sache ein, sondern bringen meist kur Anpreisung = nr ne | 

Ä ‚E.Kräanzl. 


* Leitiaden für den Phantomkars der konservierenden Zalmkeilkande. Von 
Prof. Dr. med. Erich Feiler. Verlag Hermaan Meusser, Berlin 1919. 
(Leitfäden der Zahnheilkunde, H. 1.) 


= Verfasser sucht in diesem Büchlein allgemeine Regeln der prak- 
tfschen zahnärztlichen Tätigkeit aufzustellen. Wenn es auch in erster 
Linie für den Gebrauch an den deutschen zahnärztlichen Sehulen ge- 
sehrteben ist, wird es doch überall, wo Zahnheilkunde gelehrt und gelernt 
wird, vom Lehrer und Lernenden mit Nutzen verwendet werden können. 
Überall muß ja der Schüler zunächst am Phantom arbeiten und er und 
der Lehrer werden es freudig begrüßen, wenn hier die schematischen, 
theoretischen Grundlagen des Ftillens der Zähne klargemacht werden. Das. 
Buch zerfällt in 8 Teile, die die anatomischen Vorbemerkungen, die Be- 
handlung des Zahnmarks, die Formen der Kavität, die plastischen Fül- 
tingen, die Folienfüllungen, die Einlagefüllungen, das Anlegen der Gummi- 
platte, das Reinigen der Instrumente durch sehr gute, zum großen Teil 
schematische Abbildungen unterstützt, sehr instruktiv darstellen. Nur ein 
Kapitel hat Referent vermißt, das über die prov. Füllungen (Fletcher, 
Guttapercha usw.). 

Nicht nur der Student, der in dem Büchlein alles klar und über- 
sichtlich findet, um ihn in die konservierende Zahnheilkunde einzuführen, 
auch der fortgeschrittene und der in der Praxis stehende Zahnarzt wird 
mit Nutzen die praktischen Anweisungen und Rezepte durchsehen und 
sehließlich wird auch der Lehrer dem Verfasser dankbar sein für einen 
Leitfaden, der jenem so viel Arbeit abnimmt. Steinschneider. 


— 


Schweizerische Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde. Bd. XXVIII, Nr. 4. 


Auf eine Erledigung der alten, wieder zeitgemäß gewordenen 
Frage „Amputation oder Totalexstirpatiom“ drängt Prof. 
W.Hess. (Vergl. Referat im 3. Heft 1919 dieser Ztschr.) Nach Auf- 
zählung der zur Genüge bekannten Nachteile der Exstirpation beruft sich 
Autor auf Boenneckens Statistik, derzufolge die Amputationsmethode 
1/,%, die Exstirpation 21/2% Mißerfolge aufweist, gibt aber schließlich zu, 
„es müssen weitere Untersuchungen an größerem Material gemacht werden, 


118 Referate und Bücherbesprechungen. 


um die Amputationsmethode als eine selbständige, für alle -Zähne gültige 
Wurzelbehandlungsmethode auszubauen, die der Exstirpationsmethode als 
gleichwerte Methode anzugliedern wäre.“ 


„Das Bleichen verfärbter, toter Zähne vermittelst 
Entwicklung von Sauerstoff und Ozon“ bespricht E.H ell- 
müller im Anschluß an E.Me&trals Mitteilungen über dessen diesbe- 
zügliches Verfahren. Die Vorbereitung des Zahnes erfolgt nach beiden 
Autoren durch gründliche mechanische Reinigung der Pulpakammer und 
des Wurzelkanals, Erweiterung des letzteren und Abschluß des Apex ver- 
mittels Guttapercha oder noch besser Zement. Knapp vor der Behandlung 
wird eine Perhydrittablette (Hellmüller zieht das M er ck sehe Präparat 
jedem anderen vor) in einem Mörser zerstoßen und mit möglichst neutraler 
Wasserstoffsuperoxydlösung à ca. 30 Volumsprozente zu einem dicken, brei- 
artigen Magma gemischt. Hellmüller aziduliert dieses mit reiner Salz- 
säure, so daß es 1% davon enthält. In einem anderen Näpfchen wird 1% 
neutrale Lösung von Kalihypermanganat bereitgestellt und in einem 
dritten Wasserstoffsuperoxydlösung zu 30 Volumsprozenten, welche 1% 
reiner oder 7,5% verdünnter Salzsäure enthält. Vermittels eines mit dem 
Magma getränkten Wattebäuschchens wird nun die Zahnhöhle locker voll- 
gestopft. Ein zweites Wattebäuschehen wird nun mit der Kalihypermangan- 
lösung getränkt, und man läßt nun dieses auf das Magma wirken, was eine 
starke Schaumentwicklung zur Folge hat. Hört diese auf, so wird, immer 
auf Watte, neues Kalihypermanganat solange zugeführt, bis das Magma 
vollständig verschwunden ist. Dieses Verfahren wird — nach Métral in 
einer Sitzung — fortgesetzt, bis die Bleichung den gewünschten Grad erreicht 
hat. Dann wird die Höhle mit der azidulierten Wasserstoffsuperoxydlösung 
ausgewaschen, was die Bleichung noch intensiver werden läßt, und nachher 
wird mit Natrium bicarbonatum oder Borax neutralisiert. Darauf werden 
Wurzelkanal und Höhlenwandungen mit einem Zinkoxydchlorid-Zement ge- 
füllt; darüber wird dann die definitive Füllung gelegt. Hellmüller 
verteilt die Bleichung auf mehrere Sitzungen, da er oft nach einiger Zeit 
ein gewisses Nachdunkeln des Zahnes festgestellt hat. Deshalb nimmt er 
das definitive Füllen des Zahnes erst nach mehreren Wochen vor, um der 
Gefahr eines Rückschlags zu begegnen. 


In Erwiderung auf v. Rottenbillers Arbeit nimmt Prof. Hess 
„Zur Frage der Wurzelramifikationen‘“ nochmals das 
Wort. Rottenbiller hat bei 600 Zähnen nur zweimal Wurzelkanal- 
ramifikationen gefunden, was Hess zur Überzeugung bringt, daß sich 
dieses Resultat durch das zu kleine Untersuchungsmaterial und vielleicht 
auch zum größeren Teil durch die ungenügende Technik erklärt. Die von 
zahlreichen Autoren hergestellten Korrosions- und histologischen Präparate 
haben nach Hess’ Ausführungen deutlich erwiesen, daß die Anatomie der 
Wurzelkanäle bedeutend komplizierter ist, als sie in den bisher veröffent- 
lichten Arbeiten und Lehrbüchern beschrieben wird. Wallisch jun. 


© Vereins- und Versammluugsberichte. 119 


Aus Vereinen und Versammlungen. 





Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte 
Deutschösterreichs. 


Vorstandssitzung vom 27. März 1919. 


Anwesende: Dr. Kneucker, Dr.Stark, Dr.Rieger, Dr.Martens, 
Dr.Stein, Dr.Roth, Dr. Natzler, Dr.Markus, Dr.Gilanyi und Dr. El- 
kan. Als Gast Dr.Steinschneider. 


Vorsitzender: Dr. Kneucker. 
Schriftführer: Dr. Elkan. 


Das Protokoll der letzten Vorstandssitzung wird verifiziert. 

Der Präsident berichtet über seine bisherige Tätigkeit und erwähnt, 
daß die Anlage von Büchern (Journal, Kataster, Verteilungsplan usw.), 
die zur ordentlichen Führung der Organisationsangelegenheiten notwendig 
sind, bereits durchgeführt wurde, und gibt den Inhalt seiner Besprechungen 
bekannt, die er mit dem Präsidenten des Zentralverbandes österreichischer 
Stomatologen — Dr.Herz-Fränkl—, mit dem Präsidenten des Vereins 
österr. Zahnärzte — Dr. R. Breuer — und mit dem Verein Wiener Zahn- 
ärzte — Vizepräsident Dr. Steinschneider — geführt hat. Der An- 
trag, die „Zeitschrift für Stomatologie“ als offizielles Organ der Organi- 
sation zu erklären, wird angenommen. Die Zeitschrift wird den Mitgliedern 
zum ermäßigten Preise zugestellt werden können. 

Für die Wirtschaftliche Organisation der Ärzte Wiens, deren Neu- 
wahlen knapp bevorstehen, wird Dr.J.Markus nominiert. Präsident 
teilt mit, daß allen Mitgliedern der Wirtschaftlichen Organisation zwecks 
Einsendung des Jahresbeitrages Erlagscheine übersendet wurden. Der Post- 
sparkasse wurde über die derzeitige Zusammensetzung des Vorstandes der 
Wirtschaftlichen Organisation Mitteilung gemacht. Gleichzeitig hat der 
Präsident dafür Sorge getragen, daß an alle Kollegen Deutschösterreichs 
Karten mit Rückantwort ausgeschickt werden, mit welchen sie zum Bei- 
tritt in die Organisation aufgefordert werden, und die die Ziele und Bestre- 
bungen der Organisation bekanntgeben. 

Der Sitzung wohnt der Redakteur der „Österreichischen Zeitschrift 
für Stomatologie“ — Dr.Steinschneider — bei, der den Antrag 
stellt, daß die Vorträge, welche von der Organisation veranstaltet werden, 
pflichtgemäß in dem genannten Organ publiziert werden. Angenommen. 


Vorstandssitzung vom 6. April 1919. 


Debatte über die Zahntechnikerfrage. Es wird beschlossen, daß eine 
Abordnung aus dem Vorstande, bestehend aus Dr. Kneucker, Dr. Rie- 
ger, Dr.Elkan, zur Regierung entsendet werde mit der Bitte um Ein- 
berufung einer Enquete, da die derzeitige Situation — Überhandnehmen 
des Strohmännertums, Agentenunwesen usw. usw. — einen dringenden Ein- 
griff von seiten der Regierung notwendig machen. Dr.Stark bringt den 
Antrag ein, es möge ein Mitglied in den Ausschuß für Sozialisierung ent- 
sendet werden. Es wird beschlossen, der dringend gewordenen Frage der 


120 Standes- und wirtschaftliche Angelegenbeiten. 


Sozialisierung eine eigene Sitzung zu widmen. Dr.Rieger bringt den 
Antrag ein, an den Verein Wiener und Österreichischer Zahnärzte sowie 
an den Verband österreichischer Stomatologen heranzutreten mit dem Er- 
suchen, je ein Vorstandsmitglied der genannten Vereine in den Vor- 
stand der Wirtschaftlichen Organisation zu entsenden. Der Antrag wird 
einstimmig angenommen. 


(An die Mitglieder der „Wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte 
Beutsehösterreichs“) ergeht die Mitteilung, daß die „Österreichische Zeit- 
‚schrift für Stomatologie“ nach Mitteilung der Verlagsfirma angesichts der 
immer größer werdenden Herstellungskosten schon eine Abonnementspreis- 
erhöhung hätte erfahren sollen. Die zwischen der Organisation und der Ver- 
lagsfirma hierüber stattgefundenen Rücksprachen hatten jedoch das Er- 
gebnis, daß die Mitglieder der „W. O. d. Z2.D:©:“ dennoch die Zeitschrift 
zum ermäßigten Preise von 30 K jährlich ‚beziehen können. 

Es steht zu erwarten, daß vielleicht in sbsehbaser Zeit auch dieser 
ermäßigte Preis reduziert werden kann, wenn wir zu unserem Organ 
stehen. Aus diesem Grunde hat auch der Ausschuß beschlossen, den Mit- 
gliedern der „W. O. d. Z. D-0.“ nahe zu legen, nur Dai jenen Firmen. su 
kaufen, die in der „Ö. Z. f. St.“ an Ä 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


Die Verstaatlichung des Ärztestandes.) 


Schon vor dem Kriege hat die zunehmende Verelendung des Ärzte- 
standes dessen Verstaatlichung auf die Tagesordnung gestellt und wurde 
. von der einen Seite mit ebensoviel Energie bekämpft, als sie von anderer 

Seite propagiert wurde. Insbesondere hat Grün in Wort und Schrift un- 
ermüdlich für deren Verwirklichung gekämpft und alle Gründe, die herbei- 
geschafft wurden, um deren Unmöglichkeit und Schädlichkeit für den Ärzte 
stand zu beweisen, zu entkräften gesucht. Mit den schrecklichen Folgen des 
Krieges nahm die Verelendung des Ärztestandes naturgemäß zu, so daß 
auch diejenigen, die früher der Verstaatlichung feindlich oder ablehnend 
gegenüberstanden, sich der Einsicht in die Notwendigkeit der Verstaat- 
liehung nicht mehr verschlossen, wenn sie auch deren Durchführung mit ge- 
wissen, sicher berechtigten, Kautelen verbinden wollen. Und so wird es wohl 
in naher Zukunft dazu kommen, daß die Tätigkeit der praktischen 
Ärzte auf andere Grundlagen gestellt sein wird als bisher. Ob es möglich 
und wünschenswert ist, die S pezial ärzte zu verstaatlichen, soll hier nicht 
Gegenstand der Berg: sein. N diesen BEN gehören aber auch 


_ 1) Angeblich e wie man der Wirteehaftlichen ONE der Zahnärzte 
Deutschösterreiche mitteilt, en eine Verstaatlichung der Spezialärzte derzeit nicht 
gedacht. Trotzdem wird es gut sein, die Angelegenheit nicht aus den Augen zu 
lassen. Man kann ja nicht wissen, wie sich die Verhältnisse noch ‚gestalten. 


Kleine Mitteilungen. _ 191 


wir Zahnärzte, die ihre Praxis auf zum Teil anderen Grundlagen aufbauen 
müssen als die anderen Spezialärzte, in deren Rahmen wir aus verschiede- 
nen Gründen eine besondere Stellung einnehmen. Mehr als bei anderen Spe- 
zialfächern wird in der Zahnheflkunde bei deren Propagierung in alle 
Schichten der Bevölkerimg das Tätigkeitsgebiet des privaten praktischen 
Zahnarztes eingeengt: Man denke nur an die immer häußigere Errichtung 
von Krankenkassen und Schulzahnkliniken. Da drängt sich die Frage auf, 
ob bei der 'Gleichartigkeit der Gründe, die die Verstaatlichung der prak- 
tischen Ärzte so akut machen, nicht eine fakultative Verstaatlichung 
der zahnärztlichen Hilfe möglich und erstrebenswert wäre. Zweck dieser 
‚Zeilen ist, auch in zahnärztlichen Vereinigungen die Frage der Verstaat- 
lichung zur Diskussion zu stellen, um eine Grundlage für etwa not 
wendige Verhandlungen mit den staatlichen Körperschaften — denn nur 
im Wege der Verhandlungen, nicht über unsere Köpfe hinweg kann eine 
sọ einschneidende Maßregel verwirklicht werden — zu haben. 


(Zentralärzterat für Wien.) Der Ausschuß der Wirtschaftlichen 
Organisation der Ärzte Wiens hat m siner kürzlich abgehaltemen Sitzung 
beschlossen, sich als Zentralärzteret für Wien zu konstituieren. Dieser 
Beschluß lehne jede wie immer geartete Festlegung auf ein politisches 
Programm ab, bekunde vielmehr den festen Willen der Ärzteschaft, in 
jeder Gesellschaftsordnung dem gesundheitlichen Wohle der Bevölkerung 
za dienen und die damit eng verknüpften Interessen des ärztlichen Standes 
su wahren. Die persönliche politische Betätigung jedes einzelnen Arztes 
werde durch diesen Beschluß in keiner Weise berührt. | 


Kleine Mitteilungen. 





(Gegen die Wohnungsreqisition bei Ärzten.) Die oberösterreichische 
Ärztekammer hat an das städtische Wohnungsamt in Linz folgende Zu- 
‚schrift gerichtet: „Da dem Vernehmen nach eine neuerliche Revision der 
Wohnungen durch die aus Vertretern der Gemeinde sowie des Arbeiter- 
und Soldatenrates bestehende Kommission stattfinden soll, erlaubt sich 
die Ärztekammer zu ersuchen, eg mögen ihr allfällige Verfügungen dieser 
Kommission — insoweit sie sich auf ärztliche Ordinations- und Warte- 
räume beziehen — sofort zur Begutachtung bekanntgegeben werden, da Ver- 
fügungen, welche ohne diese Begutachtung der Ärztekammer etwa getroffen 
würden, unter Umständen mit der sofortigen Einstellung des ‚gesamten 
ärztlichen Dienstes in Linz und Urfahr beantwortet werden müßten.“ 
(„Linzer Volksblatt“ vom 13. April 1919.) 


(Ausübung der ärztlichen Praxis durch Unberufene.) In der tschecho- 
slowakischen Republik wurde festgestellt, daß da und dort Leute die 
ärztliche Praxis eröffnen, von denen nicht bekannt ist, ob und wo sie pro- 
moviert worden sind und ob sie Angehörige des tschechoslowakischen 
Staates sind. Es erwächst die Gefahr, daß Unberufene oder Ärzte, welche 


192 Kleine Mitteilungen. — Personalien. 


in unserem Staate nicht praxisberechtigt sind, die ärztliche Praxis aus- 
üben könnten. Im Sinne des Erlasses des Ministeriums für öffentliche Ge- 
sundheitspflege und körperliche Erziehung vom 16. Februar 1919 (Zahl 444) 
ergeht daher an die politische Bezirksverwaltung die Aufforderung, auf 
die genaue Einhaltung der Bestimmungen des Hofkanzleidekretes vom 
24. April 1827 (Zahl 11.840) zu achten, wonach die Ärzte vor der Eröffnung 
der Praxis dem politischen Bezirksamte (Magistrate) ihr Diplom vorzu- 
legen haben. („Prag-Aussiger Ärztliche Nachrichten“ 1919, Nr.7.) 


(Zahnärztliche Behandlung der Schulkinder in Ungarn.) Eine Ver- 
ordnung des Volksbeauftragten für Arbeitswesen und Volkswohlfahrt vom 
29. März 1919 schreibt vor: Jeder praktizierende Zahnarzt hat täglich zwei 
Stunden hindurch in seinen Räumlichkeiten und mit den eigenen Instrumen- 
ten die Zähne der ihm zugewiesenen Schulkinder zu behandeln. Für diese 
Arbeit gebührt ihm eine Entlohnung von monatlich 1000 Kronen sowie der 
Ersatz des Wertes der verbrauchten Materialien. Diejenigen Ärzte, die 
nicht über die erforderliche Menge Materialien verfügen, wird das Volks- 
kommissariat für Arbeitswesen und Volkswohlfahrt mit solchen versehen. 
Aus diesem Grunde hat jeder auf dem Gebiete der Stadt Budapest sich 
aufhaltende Zahnarzt binnen 48 Stunden bei dem Volkskommissariate für 
Arbeitswesen und Volkswohlfahrt anzumelden, welche Vorräte er an folgen- 
den Materialien besitzt: Amalgam, Zement, synthetischen Zement, Kaut- 
schuk und Kunstzähnen. Wer die Anmeldung versäumt oder falsch an- 
meldet, wird mit Entziehung seines Diploms bestraft. (Nach dem „Pester 
Lloyd‘ vom 2. April 1919.) 


Personalien. 





(Todesfall) Am 2. April d. J. starb hier der Zahnarzt Dr. Julius 
Herz im Alter von 74 Jahren. Er hat sich kurz vor dem Kriege von 
der Praxis zurückgezogen und so war es dem standesbewußten Kollegen 
nicht lange vergönnt, sein Otium nach einem arbeitsreichen Leben zu 
genießen. Dr. Herz war der Vater des Präsidenten des Z. V. d. Ö. St., 
Dr.W.Herz-Fränkl. 


(Universitätsnachrichten.) Der Priv.-Doz. Dr. Blessing, bisher 
Direktor der zahnärztlichen Klinik in Braunschweig, wurde als Leiter der 
konservierenden Abteilung des zahnärztlichen Instituts an die Universität 
Rostock berufen. Damit ist in Rostock die Dreiteilung des zahnärztlichen 
Unterrichts durchgeführt. 





—— ob 0b» eo 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redaktaur: Dr. Emil Steinschnelder. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Müinrgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


Organ una Standes-Interessen ger Zahnärzte Österreichs. 


Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und 
der wirtschaftlichen n Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs. 





XVII. Jahrgang. Juni 1919. +» 6, Heft. 





. „Nachdruck verboten. 


Original-Arbeiten. 





Pulpaamputation oder Pulpaexstirpation ? 
Von Prof. Dr. Adloff, Greifswald. 


Man sollte eigentlich meinen, daß diese Frage endlich erledigt sei 
und nur noch theoretisches Interesse habe; immer von neuem wird aber 
der Streit, gewöhnlich von Anhängern der unbedingten Exstirpation, wieder 
aufgenommen, um die Amputätionsmethode zu diskreditieren. In diesem 
Sinne hat kürzlich Gottlieb in dieser Zeitschrift berichtet, indem er 
die Pulpaamputation a limine verwirft. 

Demgegenüber möchte ich erneut feststellen, daß eine vollständige 
Entfernung der Pulpa nur in einem geringen Teil der Fälle möglich ist, 
und. zwar nicht allein wegen der Verzweigungen der Pulpa in der Nähe 
des Foramen apicale, denen ich ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeu- 
tung zuerkennen kann, als vor allem wegen der Enge vieler Kanäle und 
der ` Unzugänglichkeit vieler, besonders distaler Kavitäten bei hinteren 
Molaren, die den Gebrauch des Pulpaentferners illusorisch machen. In 
allen diesen Fällen handelt es sich daher, wenn wirklich der Versuch einer 
Herausbeförderung der Pulpa gemacht wird, de facto niemals um eine Ent- 
fernung derselben, sondern lediglich ebenfalls nur um eine mehr oder minder 
weit nach dem Foramen zu verlegte Amputation, nur mit dem Unter- 
schiede, daß auf die vergeblichen Versuche sehr leicht eine Infektion des 
zurückbleibenden Stumpfes eintreten kann. Diese Gefahr wird durch die 
Amputation mit nachfolgender Imprägnierung vermieden. Ich brauche. nicht 
besonders zu erwähnen — es ist dies oft genug mit allem Nachdruck aus- 
gesprochen worden —, daß auch die Anhänger der Amputationsmethode 
jede Pulpa, deren Entfernung nàch menschlichem Ermessen möglich ist, 
ebenfalls entfernen, daß die Amputation nur für diejenigen, allerdings sehr 
zahlreichen Fälle reserviert bleibt, in denen dieselbe von vornherein aus- 
sichtslos ist. Hier ist sie’aber der Exstirpationsmethode durchaus. über- 
legen. Im Gegensatz zu dieser verlangt sie nichts Unmögliches. Sie trägt 
den durch Beobachtung und Erfahrung gewonnenen Tatsachen Rechnung, 


Österr. Zeitschrift fitr Stomatologie. 11 


N 


124 Adloff. 


sie ist außerdem außerordentlich einfach, wenn sie auch ganz. dieselbe 
Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit verlangt als jede andere Methode. 

Im übrigen ist der Streit, ob die Pulpaamputation oder die Pulpa- 
exstirpation vorzuziehen ist, bei dieser Auffassung ohne jede praktische 
Bedeutung, da ein prinzipieller Unterschied zwischen beiden Methoden hier- 
nach kaum besteht, indem ja, wie ich schon oben betont habe, auch die Pulpa- 
exstirpation in vielen Fällen nur als eine Amputation aufgefaßt werden 
muß. Im übrigen — ob ich die Pulpa amputiere und nach Imprägnierung 
als natürliche Wurzelfüllung im Kanal belasse, ob ich sie mit mehr oder 
weniger großem Erfolg zu entfernen versuche, dabei mir aber bewußt bleiben 
muß, daß eine vollständige Entfernung nicht immer möglich ist, der 
Erfolg muß stets ein guter sein, sobald ich aseptisch und sorgfältig ope- 
riere, denn bei der entzündeten Pulpa, bei der allein die Pulpaamputation 
in Frage kommt, ist ja der Wurzelkanal steril, und wenn eine Infektion 
vermieden wird, kann ein Dauererfolg niemals ausbleiben; allerdings muß 
hinzugefügt werden, daß die Gelegenheit bei den vergeblichen Versuchen, 
die Pulpa herauszubefördern, auf jeden Fall eine viel größere ist als bei 
der Amputation. 

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei der Behandlung der eitrig 
zerfallenen oder gangränösen Pulpa. Hier spielt die Tatsache, daß sehr 
viele Wurzelkanäle uns nicht zugänglich sind, eine große, ja ausschlag- 
gebende Rolle, da hierdurch jede Behandlung zweifelhaft und unsicher wird. 
Zurückbleibende Zerfallsstoffe werden stets eine Quelle der Infektion 
bleiben, wenn nicht ihre Sterilisation auf irgend eine Weise durchführbar 
ist. Hierzu sind ja die verschiedensten Mittel und Verfahren empfohlen 
worden. Gottlieb bevorzugt die Schreiersche Methode, modifiziert 
durch die Anwendung von Antiformin in Kombination mit der Schwefel- 
säurebehandlung nach Callahan. Er verwirft die alleinige Verwendung 
von Schwefelsäure, der er für die Gangränbehandlung jeden Wert abspricht, 
indem er sogar eine Erweiterung der Kanäle durch die Säure leugnet. 
Daß man an ihrer Stelle mit Vorteil Aqua regia benützen kann, scheint 
Gottlieb unbekannt zu sein; im übrigen empfehle ich ihm, den schon 
von Adolf Witzel ausgeführten Versuch zu wiederholen: einen Stift 
in einen Wurzelkanal so einzupassen, daß er nur mit Gewalt zu entfernen 
ist, dann den Kanal mit Schwefelsäure zu behandeln und jetzt den Stift 
von neuem einzuführen. Gottlieb wird sich dann davon überzeugen, 
daß auch die Schwefelsäure eine beträchtliche Erweiterung des Kanals 
zustande gebracht hat. 

Was nun das Antiformin anbetrifft, eo ist über dieses Medikament 
so viel und so oft geschrieben worden, daß ich füglich darauf verzichten 
kann. Daß es sich keinen dauernden Platz in unserem Medikamentenschats 


Pulpaamputation oder Pulpaexstirpation ? 125 


` zu erwerben imstande gewesen ist, beweist schon allein, daß es vor den 
anderen uns zur Verfügung stehenden Mitteln keinen besonderen Vorzug 
besitzt. Und das trifft gewiß auch zu, insbesondere kann keine Rede davon 
sein, daß es mit Sicherheit den organischen Kanalinhalt zur Auflösung 
bringt. Welche Mittel wir aber auch sonst zur Anwendung bringen, niemals 
werden wir damit rechnen müssen, eine absolute Sterilisation der Wurzel- 
kanäle in diesem Falle erreichen zu können. 

Es ist daher auch von der größten Bedeutung, womit wir den ge- 
reinigten Wurzelkanal definitiv versorgen, und es werden nur sölche Mittel 
in Frage kommen, die in irgend einer Weise zu den etwa im Wurzelkanal 
zurückgebliebenen Zerfalleresten in enge Beziehung zu treten vermögen, 
entweder indem sie dieselben durchdringen und sterilisieren oder indem 
sie sie einhüllen und auf diese Weise unschädlich machen. Guttapercha 
gehört zu diesen Mitteln nicht. Außerdem ist es unmöglich, mit derselben 
auch nur einigermaßen enge Kanäle auszufüllen. Ich empfehle Gottlieb, 
die Wurzelkanäle extrahierter Zähne mit Guttapercha auszufüllen und die 
Zähne dann nach der Spalteholzschen Methode, wie ich es zuerst an- 
gegeben habe, durchsichtig zu machen. Er wird sich dann davon über- 
zeugen, wie wenig diese Methode bei ungünstigen Kanalverhältnissen 
leistet. Er gibt dies übrigens ja auch selbst zu, aber seinen Vorschlag, 
die Kanäle in der Ausdehnung ihrer Sondierbarkeit mit dünnen Beutel- 
rohrbohrern zu erweitern, kann ich kaum ernst nehmen. Es ist das ja 
gerade ein Verfahren, vor ‚welchem seit jeher und mit Recht eindringlichst 
gewarnt worden ist. 

Daß auch die Wurzelfüllungspasten unzuverlässig sind, gebe ich zu; 
allerdings darf man sie auch nicht in den trockenen Kanal zu ap- 
plizieren versuchen; dann allerdings wird der Luftgehalt des Kanals eine 
vollständige Füllung verhindern. Wenn aber der Kanal zunächst mit einem 
Antiseptikum beschickt, dann die Paste hineingepumpt und zum Schlusse 
mit einem sterilen Wattebäuschehen die überschüssige Flüssigkeit abge- 
sogen und gleichzeitig ein sanfter Druck ausgeübt wird, so gelingt es wohl 
auch auf diese Weise, auch feinere Kanäle mit der Paste auszufüllen, aber 
ich gebe zu, daß es kein ideales Verfahren ist. 

Ideal sind nach meiner Ansicht nur diejenigen Wurzelfüllungen, die 
flüssig in den Kanal hineingebracht werden können. Nur auf diese Weise 
sind auch diejenigen Stellen mit Sicherheit zu erreichen, die für unsere 
feinsten Sonden zugänglich sind. 

Ausgezeichnet wäre ohne Frage Paraffin, vor allem in Verbindung 
mit Thymol. Es hat aber einen zu hohen Schmelzpunkt und die hierfür 
angegebenen Schmelznadeln sind viel zu dick, um auch nur für feinere 
Kanäle verwendbar zu sein. 


11 


126 B. Gottlieb. 


Dagegen ist reines Thymol außerordentlich brauchbar. Es bleibt 
so lange flüssig, um in aller Ruhe mit feinen Sonden auch in die engsten 
Kanäle hineingepumpt zu werden und es ist ein hervorragendes Dauer- 
antiseptikum. Allerdings schwindet es allmählich, aber es bleibt offenbar 
lange genug im Kanal, um eine Dauersterilisation herbeizuführen. Ist 
das aber der Fall, dann ist es natürlich für den Erfolg ganz gleichgültig, 
ob das Mittel den Kanal dauernd ausfüllt oder ob derselbe leer bleibt. 
Ein vortreffliches Mittel ist auch die Albrechtsche Wurzelfüllung, ja 
ich stehe nieht an, dieselbe als den bedeutendsten Fortschritt zu bezeichnen, 
der auf diesem Gebiet in den letzten Jahren gemacht wurde. Gewiß ist 
dasselbe auch noch nicht vollkommen. Die antiseptische Wirkung geht 
allmählich verloren, auch kontrahiert die Füllung sich etwas. Aber es 
wird doch noch eine ganze Zeit lang Formaldehyd abgeschieden, vor 
allem aber durchdringt es die noch vorhandenen Gewebsreste, umhüllt sie 
und macht sie unschädlich. So kommt es dem Ideal, das zu erstreben ist, 
in der Tat nahe. 

Immerhin muß zugegeben werden, daß die Behandlung der Wurzel- 
kanäle mit eitrigem oder gangränösem Inhalt ein Problem darstellt, dessen 
vollständige Lösung bisher nicht gelungen ist, auch nicht Gottlieb, 
dessen Verfahren weder neu ist noch irgend einen Fortschritt gegenüber 
den bekannten und längst geübten Methoden darstellt. 


Erwiderung auf den vorstehenden Artikel Adloffs. 
Von Dr.B. Gottlieb. 


Das einzige Argument, das Adloff für die Pulpaamputation an- 
führt, ist, daß die Gelegenheit zur Infektion bei öfterem Einführen des 
Nervextraktors größer ist. Dieses Argument hat schon unzählige Male als 
Stütze für die Amputation herhalten müssen, ohne daß sich hiefür ein 
Grund finden ließe. Wenn man für jede Pulpaextraktion zwei- bis dreimal 
soviel sterile Nervnadeln vorbereitet, als Pulpenstränge zu extrahieren sind 
und man für jeden folgenden Versuch eine frische Nadel nimmt, wird die Ge- 
legenheit zur Infektion sicher nicht größer werden. Was man aber mit der 
Nadel nicht besorgen kann, besorgt eben das Antiformin. Daß sich das 
Antiformin nach Adloffs Meinung „keinen dauernden Platz in unserem 
Medikamentenschatz zu erwerben imstande gewesen ist“, kann nur be- 
deuten, daß Adloff.es noch nicht ausprobiert hat. Denn hätte er es 
getan, so könnte er nicht so wegwerfend darüber sprechen. Soviel mir be- 
kannt ist, ist jeder Kollege, der damit arbeitet, davon begeistert und ich 
ann Adloff nur wärmstens empfehlen, die Wirkung. des Antiformins 


kErwiderung auf den vorstehenden Artikel Adloffs. 127 


auf extrahierte Pulpen in vitro zu beobachten und in die engen Kanäle 
der Molaren auch bei distaler Eröffnung mit steifen Millernadeln Antiformin 
hinaufzupumpen, wie er es beim Gebrauch der Pasta beschreibt, und er 
wird sich wundern, welch fabelhaften Schatz wir Zahnärzte im Antiformin 
besitzen. | 

Jede Wurzel ohne Knickung kann mit Antiformin und entsprechenden 
Nadeln durchgängig gemacht und gereinigt werden, und zwar in nicht 
minder steriler Weise an engen Kanälen rückwärtiger Molaren wie an 
solchen einwurzeliger Zähne. Ob jenseits einer etwaigen Krümmung noch 
irgendwelche Pulpareste vorhanden sind, ist für die Praxis ganz gleichgültig. 
Als Hauptargument gegen die Pulpaamputation habe ich die Unmöglichkeit 
einer festen Wurzelfüllung angeführt, deren Vorteile für die Dauererhaltung 
eines Zahnes anscheinend noch immer nicht genügend hochgeschätzt werden. 

Und nun zur Säurewirkung. Wenn man Dentin entkalkt, so bleibt 
der Knorpel zurück vom gleichen Volumen wie das nicht entkalkte Dentin, 
der aber biegsam und schneidbar ist. Das ist ja der Weg, auf dem wir 
das Dentin der mikroskopischen Untersuchung gewöhnlich zuführen. Wenn 
man nun einen Stift in einen Dentinkanal eng einpaßt, dann die Kanal- 
wände energisch entkalkt, ist es wohl denkbar, daß der Stift im Knorpel 
nicht mehr so fest sitzt wie im kalkhaltigen Dentin, daß aber Säure den 
Knorpel auflöst und so den Kanal effektiv erweitert, wird wohl weder 
Adloff noch sonst jemand behaupten wollen, auch wenn die Säure Aqua 
regia ist, dessen Empfehlung für diese Zwecke mir seit langem wohl be- 
kannt ist. Das einzig rationelle Mittel für die Gangränbehandlung ist 
daher nur das Mittel, das den organischen Kanalinhalt zur Quellung und 
Auflösung bringt und das vorhandene Lumen frei macht, d.i. Antiformin; 
mehr können wir vorläufig nicht erreichen, infolgedessen auch nicht er- 
streben. 

Haben wir so das Möglichste an Durchgängigkeit erreicht und durch 
die Umsetzung mit Säure an Ort und Stelle Cl und O entwickelt, so müssen 
wir annehmen, daß wir das Äußerste an Reinigung und Sterilisierung ge- 
leistet haben, und können höchstens durch Einführung von Jodoform am 
Point ein Keimentwicklung hemmendes Mittel deponieren. Adloff gibt 
zu, daß alle Dauerantiseptika, die in Pastenform eingeführt werden, mit 
der Zeit ihre Wirksamkeit verlieren. Wohin man aber mit der Paste 
kommen kann, kommt man auch mit Antiformin und Säure und die bei 
der Umsetzung sich entwickelnden Gase. Folglich ist vom Desinfektions- 
standpunkt die Paste nicht unbedingt notwendig. Welche enorme Vorteile 
jedoch eine feste Wurzelfüllung besitzt, habe ich ausführlich auseinander- 
gesetzt und es ist wohl anzunehmen, daß auch Adloff diese Vorteile 
nicht unterschätzen wird. 


128 P. Adloff. Schlußbemerkung. 


Daß das Antiformin nicht von mir in die Zahnheilkunde eingeführt 
wurde, habe ich nicht verschwiegen, daß aber dessen Anwendung gegen- 
über allen „bekannten und längst geübten Methoden“ mit Ausnahme des 
KNa ein bedeutender Fortschritt ist, verdient unterstrichen zu werden. Daß 
weiters der Fragenkomplex der Wurzelbehandlung noch nicht „erledigt“ ist 
und daß sich in der Angelegenheit wieder jemand zu Worte gemeldet hat, 
nicht überflüssig war, hat die ganze sich anschließende Diskussion gezeigt 
und nicht zuletzt der vorliegende Artikel A dlo f f s. 








Schlußbemerkung. 
Von P. Adlofl. 


Den Ausführungen G ottliebs habe ich wenig zu erwidern, da die- 
selben die prinzipielle Seite des Problems gar nicht berühren. Diese besteht 
noch einmal kurz in Folgendem: 

Es ist in einem großen, vielleicht indem größten 
Teilder Fälle ebenso unmöglich, die Pulpa völlig zu 
entfernen, als enge und gekrümmte Wurzelkanäle 
mit Guttapercha zu füllen. 

Die Therapie der entzündeten, nicht septisch infizierten Pulpa hat 
lediglich die Aufgabe, den sterilen Wurzelkanal durch unsere Behandlung 
nicht zu infizieren. Gelingt uns dieses, dann ist es ganz gleichgültig, 
welche Methode wir bevorzugen, welche Mittel wir anwenden und womit 
wir den Kanal füllen. Die Pulpaamputation ist nur die 
einfachste und sicherste Methode. 

Bei allen Erkrankungen der Pulpa dagegen, bei denen der Wurzel- 
kanal als solcher, d. h. seine Wände und die Dentinröhrchen, infiziert sind, 
ist eine vollständige Sterilisierung desselben schwer, in vielen Fällen un- 
möglich, stets unsicher. Wir müssen immer damit rechnen, daß Zerfalls- 
stoffe zurückbleiten. Daher ist eine Wurzelfüllung zu 
wählen, die zu diesen zurückgelassenen Resten in Be 
ziehung zu treten und sie unschädlich zu machen 
vermag. Guttapercha ist zu diesem Zwecke ganz u n- 
geeignet. 

Bezüglich des Antiformin, das sonst gewiß ein E E Anti- 
septikum ist trotz seiner Unwirksamkeit gegenüber Tuberkelbazillen, kann 
ich das Gesagte nur wiederholen. Es ist nicht richtig, daß es den orga- 
nischen Inhalt im Wurzelkanal mit Sicherheit zur Auflösung bringt. Dann 
hat es aber keine besonderen Vorzüge gegenüber den Bewnarten Sun 
die uns sonst zur Verfügung stehen. 


Adolf Müller. Bemerkungen zum Thema Wurzelbehandlung etc. 129 


Bemerkungen zum Thema Wurzelbehandlung und 
Wurzelfüllung. 


Von Dr. Adolf Müller, Zahnarzt in Wien. 


Die interessante Diskussion, die am 21. November 1918 im Verein 
Wiener Zahnärzte nach dem Vortrag von Dr.Gottlieb, die Wurzel- 
behandlung mit besonderer Berücksichtigung des Antiformins betreffend, 
stattfand, veranlaßt mich, zu diesem Thema einige Bemerkungen zu 
machen. 

Ein alter Meister unserer Spesialwissenschaft sagte, daß bei der 
Wurzelbehandlung und Wurzelfüllung nicht die Hauptsache sei, was hinein- 
komme, sondern was herauskomme. Es ist aber ebenso wichtig, was 
hineinkommt. 

Während der Kriegszeit ist der Kofferdam selten geworden und wir 
konnten nun vergleichen, ob wir schlechtere Resultate bekommen, wenn 
wir die Wurzelbehandlung und die Wurzelfüllung ohne Kofferdam aus- 
führen und haben gesehen, daß die Resultate bei der Wurzelbehandlung 
und Wurzelfüllung auch bei der Arbeit ohne Kofferdam nicht ungünstig 
sind. In mancher Beziehung hat auch die Arbeit ohne Kofferdam Vor- 
teile, die nicht zu unterschätzen sind. Nach der Abtötung der Pulpa mittelst 
Arsenikpasta muß man trachten, daß sämtliche Reste der Arsenikpasta 
aus der Pulpakammer und aus den Wurzelkanälen wieder herauskommen, 
denn durch das Verbleiben solcher Reste können Reizungen der Wurzel- 
haut und der Alveolen stattfinden. Ich habe einige Fälle beobachtet, die mit 
der Nekrose und Sequestration der Alveolarwand des ersten Prämolaren 
im Unterkiefer links endeten, verursacht durch eine Arsenikeinlage, die 
einige Wochen in der Zahnhöhle verblieb und weil die Höhle mit Flet- 
cherschem Zement verschlossen war, meinten die Patienten, daß sie 
eine provisorische Füllung erhalten haben. Es ist wichtig, daß auch 
während die Arsenikeinlage in der Zahnhöhle behufs Abtötung der Pulpa 
sich befindet, das Zahnfleisch und die Alveolen sowie die Zunge und Mund- 
schleimhaut durch einen guten Verschluß von der Ätzung der Arsenik- 
pasta verschont werden. Der dichteste Verschluß bei Arsenikeinlagen ist 
Klebewachs (Kolophonium mit Wachs), es verhindert das Durchdringen der 
Arsenikpasta aus der Zahnhöhle und die Ätzung und Reizung der Alveolen 
und des Zahnfleisches. Es ist richtig, daß Arsenikeinlagen, die länger 
als 3 Tage in der Pulpahöhle verbleiben, das Periost reizen können, so 
daß der Zahn oft lange Zeit nicht mehr zur Ruhe kommt, bei une 
Berührung empfindlich bleibt. 

Um nun sämtliche Reste der Arsenikpasta zu entfernen sind Aus- 
spritzungen mit viel Wasser nach der Ausbohrung zu empfehlen, was bei 


130 Adolf Müller. Bemerkungen zum Thoma Wurzelbehandlung ete. 


der trockenen Behandlung unter Kofferdam nicht so gründlich geschieht. Der 
Arzt schont auch sich bei der nassen Behandlung, weil er bei dem Aus- 
pusten der Zahnhöhle Arsenikstaub in seine Atmungsorgane bekommt. 
Wegen der unsicheren Entfernung aller Reste der Arsenikpasta bin ich 
kein Freund der- Puan patato und ziehe vor, was davon wogen ist 
zu exstirpieren.. 

Auch bei Pulpagangrän ist die Desinfektion durch Waschungen und 
Ausspritzungen mit Wasser von großem Vorteil, es ist bekannt, daß die 
Vernichtung der Bakterien rasch und sicher geschieht, wenn dieselben 
vorher mit Wasser befeuchtet werden. 

Welche Desinfektionsmethode im einzelnen Fall zu wählen ist, hängt 
von den übrigen Umständen ab, die vorhanden sind, es ist jedenfalls gut, 
mit den verschiedenen Desinfektionsmitteln abzuwechseln, indem ver- 
schiedene in der gangränösen Höhle vorhandene Infektionskeime sich nicht 
zu jedem Desinfektionsmittel gleich verhalten, ein Mittel zerstört die eine 
Art der Keime, das andere die andere Art rascher und sicherer. 

Ob Antiformin, Dr.Schreiers Kalium-Natrium, oder Schwefel- 
säure und Natriumsuperoxyd als vorbereitende Mittel zur Gangränbehand- 
lung angewendet werden, überall ist Thymol als Beimischung zur Des- 
infektionsflüssigkeit, in die der in die Wurzel temporär einzuführende 
Baumwollfaden getaucht wird, ein ausgezeichnetes Desinfektionsmittel. 
Der Baumwollfaden wird zuerst mit der Desinfektionsflüssigkeit be- 
feuchtet, dann in Thymolpulver getaucht und in die Wurzeln eingeführt, 
aber nur bei der Behandlung der Pulpagangrän und nicht in jenen Fällen, 
wo die Pulpa erst abgetötet wurde, denn überall, wo frische Pulpareste in 
der Wurzel sich befinden, erzeugt das Thymol starke Schmerzen, soll also 
gemieden werden. 

Besonders gut wirkt das Thymolpulver in Kombination mit Trikre- 
sol-Formalin. Natürlich darf das Trikresol-Formalin nicht mit Natrium- 
superoxyd in der Zahnwurzel zusammenkommen, weil dieses bekanntlich 
eine enorme Hitze entwickelt, die unter Flammenbildung sich kundgibt und 
den Patienten verletzen kann, selbst wenn Kofferdam angelegt ist. 

Chronische Knochenabszesse und Fisteln werden ganz besonders vor- 
teilhaft mit Jodkrystallen behandelt, indem man einige mohnkorngroße 
Stückchen von purem Jod in die Wurzelkanäle einführt und nach dem Ver- 
schluß der Zahnhöhle mit Guttapercha, unter welche ein Wattebäuschchen 
oder Asbestplättchen gelegt wird, dieselben durch einige Tage darin beläßt. 
Natürlich muß am Foramen apicale das Durchdringen der Joddämpfe 
durch die entsprechende vorherige Freimachung desselben ermöglicht 
werden. Nach einigen Tagen werden die Wurzelkanäle gereinigt und das 
Verfahren erneuert, bis die Heilung erfolgt. Bei Fisteln sieht»man die 


Winke für die Praxis. 131 


Schleimhaut um die Fistelmündung durch die ausströmenden Joddämpfe 
braun gefärbt und nach wenigen Tagen wird die Sekretion geringer, bis 
sie endlich aufhört und die Heilung erfolgt. 

Was die Wahl der Wurzelfüllungsmaterialien anbelangt, sind jeden- 
falls diejenigen vorzuziehen, die sowohl antiseptische als auch styptische 
Eigenschaften besitzen, um mumifizierend und konservierend, sekretions- 
beschränkend am Foramen apicale zu wirken. 

Die Art, wie die von mir angegebene Xeroformkarbolzinkoxyd- 
glyzerinpasta‘), dann das 30% Jodoformparaffin und Dijodoformparaffın 
(geruchlos) angewendet wird, ist aus meinen Arbeiten dieses Thema be- 
treffend vom Jahre 1906?) und 1912?) ersichtlich. Ich injiziere diese Fül- 
lungsmassen mit der modifizierten Böhm schen Spritze in die Wurzel- 
kanäle, weil diese Methode die reinlichste und rascheste ist, dazu die gründ- 
lichste, um die Wurzelfüllungsmasse bis zum Foramen apicale gelangen 
zu lassen. Die Röntgenaufnahmen der so gefüllten Zähne sowie die Dauer- 
erfolge sind die besten Beweise für die Richtigkeit dieser Angaben. 


Winke für die Praxis. 





Repetitorium der Brückentechnik. 
Von Dr. Emil Steinschneider. 


Fortsetzung.) 


Es ist nicht nur die Aufgabe des Brückenersatzes — und des Zahn- 
ersatzes im allgemeinen —, eine Restitutio ad integrum des Kauapparates 
— so weit eine solche überhaupt möglich ist — wiederherzustellen, insofern 
dessen physiologische Funktion beim Kauen gestört war, es muß der 
Ersatz in hygienischer und kosmetischer Beziehung auch strengen An- 
forderungen entsprechen, soll er nicht eine Quelle dauernden Unbehagens 
und der Schädigung der harten und. weichen Gebilde des Mundes und 
des gesamten Organismus überhaupt werden. Fast noch mehr als in 
konstruktiver Beziehung wird beim Bau von Brücken gegen die An- 
forderungen der Hygiene und Kosmetik gesündigt. 


1) Rp. Xeroformii 5,0, Zinci oxyd. 15. Glycerini puri quant sat. ut fiat pasta 
mollis, adde acid. carbolic. concentr. pur. liquefact. gutt. XXX. Ds. Wurzelfüllungspasta. 

2) Beitrag zur antiseptischen Wurzelbehandlung. Öst.-Ung. Vierteljahrschrift 
für Zahnheilkunde vom Jahre 1907, Heft II. 

3) Wie sollen Wurzelkanäle gefüllt werden? „Österr. Zeitschrift für Stoma- 
tologie“, 1913, Heft IV. 


Österr. Zeitechrift für Stomatnlngie. 12 


132 \Winke für die Praxis. 


In hygienischer Beziehung muß von einer Brücke verlangt 
werden: 1. daß selbstverständlich keine Wurzeln und Wurzelreste unter dem 
schwebenden Teil der Brücke zurückgelassen werden. Diese Selbstverständ- 
lichkeit wäre nicht zu erwähnen, wenn man nicht so häufig die Folgen 
einer derartigen Nachlässigkeit zu Gesicht bekäme; 2. daß sorgfältig 
Bedacht genommen werde auf die Zahnfleischpapillen, um sie nicht 
durch Druckatrophie zugrunde gehen zu lassen. Das geschieht außer 
durch nicht passende (zu große) Kronenringe durch fehlerhaftes Ver- 
löten zweier oder mehrerer Kronen. Diese müssen wohl konturiert 
werden — durch ein paar Handgriffe rasch und leicht in Gegenwart 
des Patienten zu erzielen, worüber vielleicht in einem eigenen Artikel 
die Rede sein wird —, damit sie mit den Nachbarkronen und Zähnen 
sich nur an einem Punkte, dem Kontaktpunkte, berühren. Und an 
diesem Punkte sind sie zu verlöten. Derart verlötete und eingesetzte 
Kronen werden die dazwischen befindliche Zahnfleischpapille nicht be- 
leidigen. Anders, wenn die Kronenringe, wie man es so häufig sieht, oben 
und unten gleichbreite Zylinder darstellen. Abgesehen von dem schlechten 
kosmetischen Eindruck sind solche Monstra der ganzen Fläche nach mit 
ihren Nachbarn in Kontakt und können natürlich nur der ganzen Fläche 
nach miteinander verlötet werden, so daß kein Platz für die Papille 
bleibt, die dann zugrunde geht; 3. daß die Brücke nicht so konstruiert 
wird, daß Schlupfwinkel für Speisereste entstehen, die dann schwer oder 
gar nicht zu entfernen sind. Das geschieht häufig dadurch, daß Brücken 
an unrichtiger Stelle als Sattelbrücken konstruiert werden, andrerseits, daß 
das Prinzip der Brücken mit schiefer Ebene und Selbstreinigungsraum nicht 
an passender Stelle durchbrochen wird. Im allgemeinen sind Brücken so 
zu konstruieren, daß unter dem schwebenden Teil Raum genug zum Durch- 
spülen und Reinigen mit der Zunge bleibt, also mit schiefer Ebene, Sattel- 
hrücken nur dann, wenn der Biß so niedrig ist, daß freischwebende Zwischen- 
glieder nicht möglich sind. Zu verwerfen ist es, die unhygienischen und 
unökonomischen Sattelbrücken etwa aus Gründen der größeren Haltbarkeit 
zu bauen. Wo die Pfeiler nicht stark genug sind, dort wird auch ein Sattel 
die Haltbarkeit der Brücke nicht vergrößern. Nur eine Ausnahme mache 
ich, und zwar dann, wenn nur ein Schwebezahn (besonders Backen- 
zahn) zwischen zwei Pfeilern zu ersetzen ist. Diesen konstruiere ich als 
Sattelzahn, weil in diesem Falle mit schiefer Ebene hergestellt, ein schwer 
zu reinigender Schlupfwinkel für Speisereste entsteht. Es ist auch darauf 
zu achten, daß die schiefe Ebene nicht konkav, sondern schwach konvex 
gegen den entsprechenden Kiefer gestaltet wird. 

So wie wir uns bemühen, beim Brückenersatz in funktioneller und 
hygienischer Beziehung allen Ansprüchen zu entsprechen, so dürfen wir 


Winke für die Praxis. 133 


inkosmetischer Beziehung nichts vernachlässigen. Nur dann ist der 
Ersatz ein idealer, wenn es dem Patienten und seiner Umgebung nicht 
bewußt wird, „künstliche Zähne“ zu tragen, und wenn durch eine möglichst 
naturgetreue Prothese die Illusion eine vollkommene wird und die Ästhetik 
nicht zu kurz kommt. 

Häßlich, aufdringlich und geschmacklos ist es, wenn im Bereich der 
Frontzähne Vollgoldkronen gemacht werden und die eigene Bequemlichkeit 
oder die Unzulänglichkeit, Zähne mit Porzellanfacetten herzustellen, die dem 
Kauakte standhalten, dies dem Patienten noch als besondere Vollkommen- 
heit des Ersatzes einredet. Wir sind fast immer in der Lage, in jenen 
Fällen, wo die Indikation hierzu besteht, Facettenkronen herzustellen, die 
gegebenenfalls leicht zu reparieren sind. Auch im Bereich der Backen- und 
Mahlzähne soll man, wo immer angängig, Porzellanfacetten machen, schon 
der Ökonomie des Goldes wegen. Bei unteren Brücken, bei denen 
beim Sprechen und Lachen auch die Kauflächen sichtbar sind, wird durch 
Verarbeitung von diatorischen, Röhren- oder Gosleezähnen ein idealer Zahn- 
ersatz geschaffen. 

Andrerseits wird es bei Herstellung eines Brückenersatzes, der die 
Wirklichkeit vortäuschen soll, erlaubt sein, eine Reihe von schönen weißen 
„Perlenzähnen‘“ durch eine Goldkrone oder (im Bereiche der Frontzähne) 
durch eine Goldfüllung in dem einen oder dem anderen künstlichen Zahn 
zu unterbrechen, um die Täuschung vollendet zu machen, so wie wir bei 
Rauchern und bei Patienten mit Schmelzdefekten die Charakteristika solcher 
Zähne durch Schleifen und Bemalen des Ersatzes nachzuahmen trachten. 
Unhygienisch und unkosmetisch ist es, wenn aus dem Kiefer herausgetretene 
Zähne bei fehlenden Antagonisten nicht auf die normale Länge reduziert 
werden und demnach dann die Brücke im Gegenkiefer eine mehr oder 
minder konkave Form erhalten muß, bei der dann ein Sattel mit allen 
seinen Nachteilen angebracht werden muß. 

Unsere Maßnahmen in ästhetischer Hinsicht müssen schon beginnen, 
bevor wir die Herstellung der Brücke in Angriff nehmen. Um den Pati- 
enten für diese oft lange Zeit nicht ohne Zähne zu lassen, werden wir ein 
Provisorium machen, das entweder aus einer in 1—2 Sitzungen herstell- 
baren Zinnbrücke besteht oder in einem Plattenersatz. Ich ziehe die letztere 
Art vor, weil man da noch vor Abtragung der Pfeiler Abdruck nehmen, 
am Modell die entsprechenden Zähne wegradieren und nach dem so vor- 
bereiteten Modell eine Plattenprothese herstellen kann, die man dem Pa- 
tienten unmittelbar nach Abtragung der als Pfeiler zu verwendenden Zähne 
einsetzt, so daß er auch für kurze Zeit nicht in die Lage kommt, mit 
einem sichtbaren Zahndefekt sich der Neugier seiner Umgebung auszu- 
setzen. ‘Fortsetzung folgt.) 


12* 


134 Zahnärztliches Institut der Universität Wien. 


Zahnärztliches Institut der Universität Wien. 


Wiederbesetsung der Lehrkansel. 


Der Präsident der Nationalversammlung hat am 15. Mai d. J. den mit 
dem Titel eines außerordentlichen Universitätsprofessors bekleideten Privat- 
dozenten Dr. Rudolf Weiser zum außerordentlichen Professor der Zahn- 
heilkunde und zum Vorstande des zahnärztlichen Instituts an der Uni- 
versität in Wien und den Dr. Hans Pichler in Wien zum außerordent- 
lichen Professor für Zahnheilkunde an der Universität in Wien ernannt. 


K * + 

Mit seiner Ernennung zum Vorstand des zahnärztlichen Universitäts- 
institutes kommt Prof. Weser auf den Platz, der ihm und dem er 
gebührt. Jeder, dem es vergönnt war, Weiser in seinem Wirken näher 
kennen zu lernen, hat seine tiefe, umfassende Fachkenntnis, hat seine 
manuell und technisch virtuose Beherrschung der diffizilen Kunst der Dis- 
ziplin bewundern gelernt. Sein nimmer müder, jugendlich impetuoser Idea- 
lismus, seine flammende Begeisterung für das Fach lassen ihn, den nie- 
mals Selbstzufriedenen, nicht stille stehen. Wie er selbst beispielsweise 
bei einer seiner wundervoll „okulistisch-minutiösen“ zahnärztlichen Ope- 
rationen jeden Akt lehrend und unterweisend zu erklären liebt, stets besorgt, 
daß sein Auditorium auch genau auf dem Laufenden bleibe, so ist er 
selbst — immer nicht nur Lehrer, immer auch unablässig lernend — 
bemüht, auf den Grenzgebieten der Disziplin tiefer schürfend Neuland sich 
zu erobern. 

Unermüdlich — das Wort ist auf ihn angewendet keine Phrase, für 
ihn, der sich nachts oft und oft bis in die Morgenstunden an der Arbeit, 
den Schlaf nicht gönnt —, um früh dennoch der erste am Platz zu sein. 

Was er als Chef der chirurgisch-prothetischen Abteilung des Re- 
servespitals Nr. 17 (Kieferspital) geleistet hat, gehört der Ruhmesgeschichte 
österreichischer Kriegsmedizin an. Seine fachlichen Erfolge sind bekannt. 
Die ihn wirken gesehen, wissen, daß diese überstrahlt sind von seiner 
allumfassenden großen Güte, von liebevollstem, warmherzigem, väterlich 
besorgtem Bekümmern um persönliches Wohl seiner Patienten und seiner 
Mitarbeiter. 

Als Chef willig und geduldig jedem Vorschlage sein Ohr leihend, 
ist er in seiner kristallklaren Lauterkeit jeder Einflüsterung verschlossen. 
Allzu streng ist er nur gegen sich. Alle anderen beurteilt er mit gütiger 
Objektivität und anerkennt Verdienste auch von engsten Fachkollegen 
neidlosest. Ein wahrhaft guter Mensch und Arzt, ein ganzer Mann betritt 
die Lehrkanzel. —r— 


Rudolf Weiser wurde am 13. Oktober 1859 in Wien als der Sohn eines 
praktischen Arztes geboren. Die Gymnasialstudien hat er am Schottengymnasium 
in Wien begonnen und am Grazer Admonter Gymnasium fortgesetzt. Daselbst legte 
er 1877 die Maturitätsprüfung ab. Im ersten Jahre der Medizin in Graz inskribiert, 
verbrachte er die übrigen Jahre an der medizinischen Fakultät in Wien. Im 
letzten Jahre seiner medizinischen Studien hospitierte er als vikariierender 
Operateur an der Klinik Billroth. 1884 wurde er in Wien zum Doktor 
promoviert. 


Zahnärztliches Institut der Universität Wien. 135 


. Während er sieh anfangs aus familiären Gründen nicht der akademischen 
Laufbahn zuwenden, sondern praktischer Zahnarzt werden und bleiben wollte, suchte 
er später (1904) doch an der Wiener medizinischen Fakultät um Habilitierung als 
Privatdozent an. Auf Grund einer Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, welche er 
während seiner Tätigkeit als praktischer Arzt veröffentlichte, und insbesondere auf 
Grund seiner „Studien und Beiträge zur Technik der Mundchirurgie“, welche er als 
Habilitationsschrift einreichte, wurde der Beschluß des Professorenkollegiums, ihn als 
Privatdozenten für Zahnheilkunde zuzulassen, am 13. Juli 1904 ge- 
nehmigt. Zur Erweiterung seiner Kenntnisse in diesem Spezialfache in wissenschaft- 
licher Beziehung und um die Einrichtungen der deutschen zahnärztlichen Schulen 
kennen zu lernen, inskribierte er bei Prof. W. D. Miller am zahnärztlichen In- 
stitut der Universität Berlin. Zur Erreichung des geistigen Anschlusses zwischen 
den Zahnärzten des In- und Auslandes besuchte er internationale Kongresse in Berlin, 
Paris, London, Stockholm, Amsterdam, Brüssel, Madrid, Rom, Genf, Budapest. Um 
die Einrichtung der amerikanischen Dental Colleges zu studieren, begab er sich, 
vom Ministerium für Kultus und Unterricht mit der „Funktion eines offiziellen 
Vertreters der österreichischen Unterrichtsverwaltung‘‘ beim internationalen zahn- 
ärztlichen Kongresse in St. Louis betraut, im Jahre 1904 nach den Vereinigten 
Staaten von Nordamerika. 

Die Anerkennung seiner Kollegen äußerte sich in der Entsendung Weisers 
als Delegierten der Wiener zahnärztlichen Vereine bei den oben erwähnten Kon- 
gressen und die Würdigung seiner Verdienste in seiner Wahl zum Ehrenmitgliede 
des Zentralvereines deutscher Zahnärzte, der Ecole Dentaire de Paris, des Vereines 
deutscher Zahnärzte in Böhmen, zum korrespondierenden Mitgliede des Landesver- 
bandes der ungarischen Stomatologen und des Vereines preußisch-schlesischer Zahn- 
ärzte sowie zum Vizepräsidenten der Federation Dentaire Internationale. Er ist 
ferner Mitglied der Gesellschaft der Ärzte in Wien und des Vereines österr. 
Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, emerit. Präsident der Orthodontischen 
Gesellschaft in Wien, früherer Präsident und gegenwärtiges Ausschußmitglied des 
Zentralverbandes österreichischer Stomatologen. 1904 wurde er Assistent an 
der zahnärztlichen Abteilung der Wienerallgemeinen Poli- 
klinik, bekleidete diese Stelle auch unter Prof. Dr. Gustav v. Wunschheim, 
bis er am 1. November 1915 an dem neuerrichteten Kieferspitale (Reservespital 
Nr. 17) im Range eines Oberstabsarztes auf Kriegsdauer als Abteilungschefarzt die 
Schwerverletztenabteilung dieser Heilstätte übernahm. Im April 1912 ist Weiser 
der Titel eines außerordentlichen Professors verliehen worden. 

Seit seiner Habilitationsschrift, seiner 15. Arbeit, hat Weiser noch weitere 
39 (im ganzen also 54) Publikationen verfaßt, von welchen ein Teil ins Fran- 
zösische, ins Englische und ins Spanische übersetzt worden ist. Bemerkenswerter 
und von allgemeinem Interesse darunter sind folgende: Zehn Fälle von Extraktion, 
Füllung und Replantation wegen Karies; Heilung einer mit dem Antrum Highmori 
kommunizierenden Kieferzyste; Replantation eines luxierten Zahnes und Verwen- 
dung eines eigenartigen Fixationsapparates; Resultate der radikalen Behandlung 
des Alveolarabszesses und der Zahnwurzelzyste bei Konservierung des Zahnes; 
Studien und Beiträge zur Technik der Mundchirurgie; Accidentia während der Zahn- 
extraktion und Maßnahmen bei solchen; Ein lehrreicher Fall von follikulärer Unter- 
kieferzyste und deren Behandlung; Reflexionen und Vorschläge bezüglich der chi- 
rurgisch-zahnärztlichen Kieferprothesen ; Zur Methodik der operativen Eingriffe bei 
impaktierten Weisheitszähnen des Unterkiefere; Ein Jahr chirurgisch-zahnärztliche 
Tätigkeit im Kieferepitale. 


+ * x 


Mit der Ernennung Hans Pichlers zum a. o. Professor ist ein 
großer Schritt in der Richtung getan, die Dreiteilung des zahnärztlichen 
Unterrichts wie in Deutschland anzubahnen. Pichler, der ein ebenso aus- 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 13 


136 Aus Vereinen und Versammlungen. 


gezeichneter Zahnarzt im engeren Sinne als genialer Operateur ist, wird 
dank diesen Eigenschaften der Wiemer zahnärztlichen Schule ihr eigenes 
Gepräge geben und im Verein mit Weiser, mit dem er die Selbstlosig- 
keit, den Altruismus und die Begeisterung für sein Fach gemein hat, 
dem zahnärztlichen Unterricht in Österreich neue Wege weisen. Die glück- 
liche Verbindung des Zahnarztes mit dem Chirurgen haben Pichler 
wie kaum einen zweiten befähigt, während des Krieges die Station für 
Kieferkranke an der Klinik Eiselsberg zu leiten, an der er uner- 
müdlich und mit Hintansetzung seines persönlichen und materiellen Wohles 
so segensvoll und bahnbrechend gewirkt hat. 


Pichler wurde in Wien im Jahre 1877 geboren. Nach Absolvierung des 
(Gymnasiums in seiner Vaterstadt studierte er an den Universitäten in Prag, Frei- 
burg i. Br. und Wien, wo er 1899 zum Doktor promoviert wurde. Nachdem er schon 
als Student ale Demonstrator am anatomischen Institut unter Zuckerkandl 
tätig gewesen war, wurde er nach der Promotion ÖOperationszögling an der chirur- 
gischen Klinik Eiselsberg. Nach Absolvierung einer mehrmonatigen Volontär- 
zeit bei Smreker ging er nach Amerika und studierte an der Northwestern-Uni- 
versity-Dental-School in Chicago Zahnheilkunde. 

Im Jahre 1903 wurde er praktischer Zahnarzt in Wien, dabei war er an der 
L. chirurgischen Klinik Eiselsberg fallweise als Konsiliarzahnarzt bei Kiefer- 
resektionen und -frakturen tätig, wo er auch während des Krieges militärisch 
kommandiert war und eine Station für Kieferkranke und -verletzte eingerichtet 
und geleitet hat. 

“ Von seinen Publikationen seien erwähnt: Die Vorzüge schnellhärtender 
Amalgame; Über „Extension for Prevention“ und approximale Konturfüllungen ; 
P. und Ranzi, Über Immediatprothesen bei Unterkieferresektionen; Zwei neue 
Instrumente zum Finieren von Füllungen; Über Unterkieferresektionsprothesen ; 
Erfahrungen über Druckanästhesie des Dentins; Praktische Winke zur Asepsis bei 
der Wurzelbehandlung; P. und Oser, Über Immediatprothesen nach Unterkiefer- 
resektion; Übersetzung von Blacks Konservierender Zahnheilkunde; G.V.Black, 
Nachruf; Einiges über Schußverletzungen der Kiefer; Zur Technik der Scharnier- 
schienen; Die Immediatprothese, der beste Wundverband im Munde; Über Knochen- 
plastik am Unterkiefer; Einige Fälle aus der zahnärztlichen Chirurgie; Ist bei 
Unterkieferdefekten durch Schußverletzung die Entfernung eines atrophischen Gelenk- 
fortsatzes zum Zweck des Ersatzes durch ein Transplantat angezeigt? 


Aus Vereinen und Versammlungen. 





Zentralverband der österreichischen Stomatologen. 


(Ausschußsitzungen am 5. und 12. Mai 1919.) Die zwei letzten 
(am 5.und 12.Mai 1919 abgehaltenen) Ausschußsitzungen befaßten sich 
vorzüglich mit der Reorganisation des Zentralverbandes. 
Die Grundlage der geplanten Reorganisation ist folgende: Der Verband 
soll nur aus den Delegierten der in Deutschösterreich bestehenden und 
noch zu gründenden zahnärztlichen Vereine und Organisationen (ähnlich 
wie der Zahnärztebund im Deutschen Reich) bestehen. Also nicht der 
einzelne Zahnarzt, sondern der Verein, dem er angehört, ist Mitglied des 
Verbandes und sendet zu den Sitzungen eine je nach der Zahl seiner Mit- 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 157 


glieder zu bestimmende Anzahl von Delegierten. Auf diese Art soll der 
Verband alle fachärztlichen Vereine umfassen und der Öffentlichkeit gegen- 
über als Vertreter der gesamten organisierten Zahnärzteschaft Deutsch- 
österreichs gelten. — Der Verbandsausschuß hat sich an die Vereine und 
Organisationen mit entsprechenden Zuschriften gewendet und von ihnen 
zumeist schon zustimmende Antworten erhalten. 


Wirtschaftliehe Organisation der Zahnärzte Deutschösterreiehs. 


(Vorstandssitzung vom 24. April 1919.) Vorsitzender: Doktor 
Kneucker. Schriftführer: Dr. Elkan. Anwesend: Dr.Kneucker, 
Dr. Hauer, Dr. Stark, Dr. Gilänyi, Dr. Rieger, Dr. Natzler, 
Dr. Roth, Dr. Hasterlick, Dr. Stein, Dr. Markus; ferner als 
Gäste: Dr.Breuer und Dr.Steinschneider. 


Vorsitzender Dr.Kneucker teilt mit, daß 53 neue Mitglieder der 
Organisation beigetreten sind und daß sich bisher 50 Mitglieder als Teil- 
nehmer für die Zentraltechnik gemeldet haben. Was die Saalfrage für die 
wissenschaftlichen Vorträge anbelangt, so haben Prof. Dr.W eiser resp. 
Doz.Dr. Klein den Hörsaal des zahnärztlichen Universitätsinstituts zur 
Verfügung gestellt. Dr.Markus wurde als Beirat in die Wirtschaftliche 
Organisation der Ärzte gewählt. 

Was die Zeitschrift für Stomatologie betrifft, ist dieselbe für den 
ermäßigten Preis von 30 Kronen für die Mitglieder erhältlich. An zirka 
100 Dentaldepots wurde herangetreten, in dieser Zeitung zu inserieren. 
Auf die Zuschriften haben bereits eine Reihe von Firmen reagiert. 

Hierauf wird der Einlauf einiger Schriftstücke zur Verlesung gebracht 
und die Beantwortung derselben gutgeheißen. Dr. Stark hält hierauf 
einen Vortrag über die Sozialisierung, über welchen in einer der nächsten 
Sitzungen debattiert werden soll. Es wird beschlossen, daß in der Zeit- 
schrift für Stomatologie eine diesbezügliche Notiz erscheine. Was die 
Zentraltechnik anbelangt, wurde auf Antrag des Dr.Markus beschlossen, 
daß von der wirtschaftlichen Sektion ein ausführliches, nach jeder Rich- 
tung erschöpfendes Elaborat ausgearbeitet werden und in längstens vier 
Wochen dem Verband vorgelegt werden soll. Schließlich wird nach Antrag 
Dr. Steins Dr. Stark neuerlich als Gerichtssachverständiger vorge- 
schlagen und dem zuständigen Gerichte nominiert. 


(Präsidium.) Dr. Wilhelm Stark hat seine Stelle als Vizc- 


präsident niedergelegt. An dessen Stelle wurde Dr. Heinrich Rieger 
gewählt. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 





Zahnärztliche Organisation. 
Von Dr.R.Parreidt, Zahnarzt in Leipzig. 


Ein allgemeiner Schrei nach berufsständiger Vertretung erschallt an 
allen Orten. Die veränderten staatlichen Verhältnisse zwingen den ein- 


13* 


158 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


) 


zelnen Anschluß an seine Berufsgenossen zu suchen, da er sonst hilflos 
ist und sich niemand seiner annimmt. Dies fühlen vor allem die Stände, 
deren eich früher die Regierung annahm, da sie deren Bestehen als not- 
wendig für die Wohlfahrt der Bevölkerung ansah. Heute freilich, wo 
mehr der Wille der großen Masse gilt als Vernunftgründe, hat diese 
Fürsorge aufgehört und die Betroffenen müssen sich selbst helfen, in- 
dem sie durch ihre Vereinigung auch eine Masse und damit eine Macht 
bilden. Auch in Deutschösterreich geht man wohl daran, den zahnärztlichen 
Stand neu zu organisieren, da infolge des Umsturzes des Staates die alten 
Verhältnisse zwecklos und zum Teil wohl widersinnig geworden sind. Mit 
großem Interesse verfolgen wir in Deutschland die Bestrebungen der 
deutschösterreichischen Zahnärzte; so erfuhr ich durch den Aufsatz von 
Dr. Kränzl in dem 4. Heft dieser Zeitschrift, daß über die deutsche 
Organisation durchaus keine Klarheit herrscht. Da man aber bei einem 
solchen wichtigen Schritt, wie es die Neuordnung ist, sich überall um- 
sehen soll, wie der Stand wo anders sich ein Haus gebaut, so glaube ich, 
daß es auch an dieser Stelle nicht unerwünscht erscheinen dürfte, einmal 
etwas Genaueres über die zahnärztliche Organisation im Deutschen Reich 
zu erfahren. Ich habe mich zu der Veröffentlichung um so lieber ent- 
schlossen, als ich damit einem Wunsche des Herrn Schriftleiters ent- 
gegenkam. 

Wir müssen in Deutschland zwei verschiedene Arten der Organisation 
unterscheiden: die staatliche und die private. Da für Österreich wohl 
erstere zurzeit nicht in Betracht kommt, so will ich sie nur ganz kurz 
streifen und die andere dafür etwas eingehender besprechen. 

Infolge der Verfassung des Deutschen Reiches gibt es nicht eine 
staatliche Organisation für das ganze Reich, sondern nur solche für ein- 
zelne Bundesstaaten. Einige davon, wie Braunschweig, lassen die Zahn- 
ärzte einfach der Zwangsorganisation der Ärzte angehören. In anderen, 
wie in Sachsen, müssen sie dieser nicht angehören, sie dürfen aber bei- 
treten, wenn von seiten der Mitglieder der Bezirksvereine, wie die ärztlichen 
Vereine genannt werden, kein Widerspruch erfolgt. Nun gibt es zwei Staaten, 
wo die Zahnärzte eine eigene staatlich eingerichtete „Zahnärztekammer“ 
haben, die eine in Baden, wo sie durch ein besonderes Gesetz vom 10. Ok- 
tober und 20. November 1906 errichtet wurde. Nach ihrer Geschäftsordnung 
vom 7. Mai 1907 ist sie berufen, den Gesamtinteressen des zahnärztlichen 
Standes zu dienen und bei der öffentlichen Gesundheitspflege mitzuwirken. 
Die Kammer ist berechtigt, Anträge und Vorstellungen an die Staats- 
behörden zu richten und soll in allen Angelegenheiten gehört werden, die 
den Stand betreffen. Die Kammer hat ein Disziplinarstrafrecht über ihre 
Mitglieder und kann auch auf Geldstrafen bis 200 Mark erkennen, sogar die 
Aberkennung der Approbation ist ihr übertragen. Es gehören ihr 10 Mit- 
glieder an, die von den Zahnärzten des Landes gewählt werden. Weit 
geringere Disziplinarbefugnisse hat die andere Zahnärztekammer, die durch 
Verordnung vom 16. Dezember 1912 errichtete preußische. Sie kann nur die 
Wahlfähigkeit oder das Wahlrecht auf Zeit aberkennen. Der Sitz ist 
Berlin und der Geschäftskreis umfaßt die Standesinteressen der Zahnärzte, 
deren Fortbildung und die Zahngesundheitspflege. Dazu hat sie das Recht, 
Anträge bei den Staatsbehörden zu stellen. Andrerseits soll sie auch zu 
gutachtlichen Äußerungen herangezogen werden. Die Kammer steht unter 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenbeiten. 139 


der Aufsicht des Ministeriums des Innern, das das Recht hat, sie auf- 
zulösen und neu wählen zu lassen. Die Wahlen finden auf drei Jahre 
nach Provinzen statt. Auf jeden Bezirk kommen 2 Mitglieder; sind mehr 
als 200 Zahnärzte ansässig, so sind 3 zu wählen usw. für jede Vollzahl 
ein weiteres Mitglied. 

Eine andere Form der Vertretung der Zahnärzteschaft haben Sachsen 
und Hamburg. In diesen Staaten werden von der Zahnärzteschaft zwei 
Kollegen in das Landesgesundheitsamt bzw. Medizinalkollegium gewählt. 

Die übrigen Bundesstaaten kennen keine staatliche Vertretung des 
Standes der Zahnärzte. 

Die private Organisation muß sehr frühzeitig begonnen haben; denn 
im Jahre 1850, wo man in ganz Deutschland nur etwa 250 Zahnärzte 
zählte, gab es dort schon örtliche Vereine. Bestimmt war ein Verein 
sächsischer Zahnärzte vorhanden, ebenso scheinen aber auch in 
Hamburg und einigen anderen Orten Vereine bestanden zu haben. Kleine 
Vereine, die nur auf einen Ort beschränkt sind, haben auf das Leben und 
Gedeihen des ganzen Standes nur geringen Einfluß. Man kann daher den 
Beginn der Organisation erst von da an rechnen, wo eine Vereinigung 
entstand, die alle Zahnärzte Deutschlands unter einen Hut bringen wollte. 
Dies beabsichtigte der „Centralvereindeutscher Zahnärzte“, 
der auf eine Anregung D.Frickes hin am 5. August 1859 in Berlin 
gegründet wurde. Der erste Vorsitzende aber war — möge dies ein gutes 
Vorzeichen sein — einer Wiener Zahnarzt: Prof. Dr. Heider. Trotz 
der geringen Anzahl der Zahnärzte scheint aber doch schon damals nicht 
die rechte Einigkeit geherrscht zu haben; denn es entstand sofort ein 
zweites Unternehmen: der „Verein deutscher Zahnärzte‘, deren 
Verbandsorgan die damals erscheinende Monatsschrift „Der Zahnarzt“ 
war. Offenbar ging diese Gründung nur von Schmedicke, dem da- 
maligen Schriftleiter des „Zahnarztes“, aus; denn mit dessen Tode 1863 
verschwand auch der Verein wieder und der Zentralverein verbreitete sich 
immer mehr. Er gab 1860 eine selbständige Zeitschrift heraus: „Die Mit 
teilungen des Gentralvereins deutscher Zahnärzte“, 
die aber schon im nächsten Jahre in die Deutsche Vierteljahrsschrift für 
Zahnheilkunde umgewandelt wurde und -heute Monatsschrift (D. M. f. Z.) 
heißt. Schriftleiter wurde Heider zusammen mit zur Nedden. Der 
Zentralverein bearbeitete alles, was die zahnärztliche Wissenschaft und den 
Stand als solchen betraf. Die Zahl der Zahnärzte wurde aber immer. größer 
und die Aufgaben wurden für den Verein, der einmal im Jahr tagte, 
zu vielseitig und zu umfangreich. Es entstanden immer mehr örtliche und 
Landesvereine, die auch an der Hebung des Standes arbeiteten. Dabei 
gab es natürlich ab und zu ein Gegeneinanderarbeiten, das dem Ganzen 
keineswegs förderlich war. Die Behörden, die bald von dort, bald von 
da Eingaben erhielten, wußten nicht mehr, wer denn nun die eigentlichen 
Vertreter der Zahnärzteschaft seien. "Dazu kam, daß die Kurpfuscherei 
auf zahnärztlichem Gebiet sich immer mehr ausbreitete. Von seiten der 
Regierung wurde nichts getan, um den Übergriffen der Nichtapprobierten 
Einhalt zu gebieten. Alle diese Umstände ließen eine schärfere Organi- 
sation geboten erscheinen. So erklärt es sich, daß Klenke für den 
8. November 1885 eine Versammlung der zahnärztlichen Vereine nach 
vepe einberief. Die Sitzung fand auch unter Führung des Zentralvereins 


i40 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


statt und man empfahl auf ihr die Gründung von Lokalvereinen, wo diese 
„nicht ausreichen, tritt der Zentralverein ein“. So blieben die Verhältnisse 
noch 5 Jahre, bis sich dann die Notwendigkeit ergab, den Zentralverein 
von einem Teil seiner Aufgaben zu entlasten. Dies geschah durch Gründung 
des „ Vereinsbundes deutscher Zahnärzte" am 4. August 
1890. Der Zentralverein wurde nun ein rein wissenschaftlicher Verein, wenn 
er auch in seinen Satzungen vom 5. Mai 1910 noch als seinen Zweck be- 
zeichnet: „die Hebung des zahnärztlichen Standes in wissenschaftlicher und 
sozialer Beziehung.“ Dies ist offenbar nur deshalb geschehen, damit er Mit- 
glied des Vereinsbundes bleiben und von seinen reichen Mitteln auch der 
Standesbewegung etwas zukommen lassen konnte. Tatsächlich befaßt er sich 
nur mit der Pflege der Wissenschaft. Er betrachtet es weiter als seine Auf- 
gaben: „Förderung der Forschungen auf dem Gebiete der zahnärztlichen 
Wissenschaft und Technik und deren Verwertung für die Praxis.“ Außer- 
dem aber bezweckt er „ohne Gewährung eines Rechtsanspruches: in außer- 
ordentlichen Fällen die Unterstützung bedürftiger Mitglieder sowie der 
Angehörigen oder Hinterlassenen von solchen und nach Befinden die Ge- 
währung von Beiträgen an bereits bestehende Kassen zur Unterstützung 
von Witwen und Waisen“. Wie sucht er nun diese Zwecke zu erreichen ? 
Vor allem dienen dazu die Jahresversammlungen, auf denen Vorträge und 
Demonstrationen mit daran anknüpfenden Besprechungen abgehalten werden. 
Diese Verhandlungen dauern gewöhnlich 2—3 Tage und finden abwechselnd 
in verschiedenen Städten Deutschlands statt. „Die Gründung von Provin- 
zialvereinen, die auf den Grundsätzen des Zentralvereins beruhen“, steht 
noch in den Satzungen, es ist mir aber kein Fall bekannt, wo ein Verein 
auf diese Weise gegründet worden wäre. Dieser Punkt wird wohl nur 
aus den ursprünglichen Satzungen übernommen sein. Schließlich gibt der 
Verein noch die schon erwähnte Zeitschrift heraus. Dies ist die bekannte 
„Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde“, die nun schon 35 Jahre von 
Hofrat Jul. Parreidt geleitet wird. Sie erscheint bei Jul. Springer in 
Berlin und bringt nur wissenschaftliche Aufsätze, sie wird jedem Vereins- 
mitglied kostenlos zugestellt, dabei beträgt der ganze Beitrag für den 
Centralverein jährlich nur 16 Mark! Der Verhandlungsbericht erscheint 
in der Vereinszeitschrift, es wird: jedoch auf die Vortragenden kein Zwang 
wegen der Veröffentlichung ihrer Vorträge ausgeübt, wie dies in Heft 4 
dieser Zeitschrift dargestellt wurde. Natürlich ist die Veröffentlichung in 
der D. M. f. Z. sehr erwünscht. Die Beiträge werden wie in allen deutschen 
Zeitschriften bezahlt. | 

Wie wir schon sahen, gab der Zentralverein die Vertretung der 
Standesinteressen im Jahre 1890 an eine Vertretung der zahnärztlichen 
Vereine Deutschlands ab. Am 2. April 1891 tagte diese als „III. Dele- 
giertentag“ in Breslau. Damals gehörten dem Bunde neun Vereine an. Die 
Benennung der Vereinigung machte damals Kopfzerbrechen, bis endlich auf 
Vorschlag von Artur Richter der Name „Vereinsbund deutscher Zahn- 
ärzte“ gewählt wurde. Damals wurde noch in den Satzungen festgelegt, 
„den Vorsitz führt der I. Vertreter des Zentralvereins“. Der innige Zu- 
sammenhang ging noch weiter, da man auch in die Satzungen aufnahm, 
daß die Verhandlungen „womöglich am Tage vor den Sitzungen des ZV. 
und an demselben Orte“ stattzufinden hätten. Heute sind diese Beziehungen 
nieht mehr vorhanden, der Zentralverein ist ein Bundesverein wie jeder 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 141 


anderer. Da sich aber in der Geschichte die Geschehnisse oft: wiederholen, 
so bestanden fast die gleichen Zusammenhänge dann auch, als aus dem 
Vereinsbund der „Wirtschaftliche Verband deutscher 
Zahnärzte“ gegründet wurde, worüber später noch gesprochen 
werden wird. | 

Der Vereinsbund vereinigte immer mehr Vereine; er umfaßt heute 
etwa 50, die zu ihrer Vertretung je 2 Vertreter wählen, wovon der zweite 
als Stellvertreter gilt. Diese kommen jährlich einmal zur Beratung zu- 
sammen, ein Jahr um das andere in Berlin, sonst in einer anderen Stadt. 

Der Zweck des Bundes ist die „Förderung der Standesangelegenheiten 
und wirtschaftlichen Interessen der im Deutschen Reich zahnärztlich 
approbierten Personen“. Dazu dienen „die jährliche Hauptversammlung, 
auf der nur Standesangelegenheiten und wirtschaftliche, die. gemeinsamen 
Interessen der Mitglieder berührende Fragen beraten werden“ und die 
Herausgabe einer eigenen Zeitschrift, der „Deutschen Zahnärzt- 
lichen Wochenschrift“ (D.Z.W.). Die Vereine sollen ihre Mit- 
glieder anhalten, diese Wochenschrift zu beziehen. Sie wird also nicht 
kostenfrei zugestellt, wie dies bei der D. M. f. Z. im Zentralverein geschieht, 
dafür kommen dem Vereinsbunde alle Erträge der Zeitschrift ungeschmälert 
zu. Es ist auch mehrmals beschlossen worden, daß Zeitschriften, die kosten- 
los verteilt werden, in keiner Weise unterstützt werden sollen, ja man hat 
dies sogar als standesunwürdig erklärt. Genützt hat es freilich nichts. Der 
schriftstellernde Zahnarzt läßt sich darin nichts vorschreiben oder er steht 
seinen eigenen Standesinteressen zu gleichgültig gegenüber, als daß er sich 
um solche Vorschriften kümmerte. Man erläßt daher am besten derartige 
Beschränkungen gar nicht. Es muß jeder schließlich selbst wissen, was seine 
Arbeiten wert sind; ob sie verdienen, in einem Anzeigeblatte jedem ins 
Haus geworfen zu werden oder ob sie auf literarische Bedeutung Anspruch 
erheben können und wert sind, gegen Entgelt gelesen zu werden. Die Mit- 
glieder des Bundes — also die einzelnen Vereine — sind sonst noch ver- 
pflichtet, die Beschlüsse der Hauptversammlung auszuführen und dem Vor- 
stande Antwort auf erbetene Auskünfte zu erteilen. Außerdem müssen sie 
ein Ehrengericht einrichten, wofür der Vereinsbund eine besondere Ehren- 
gerichtsordnung herausgegeben hat. Die zweite Instanz bildet das Bundes- 
ehrengericht, dessen Richter von der Hauptversammlung des Vereinsbundes 
gewählt werden. Ferner müssen die Bundesvereine von allen Eingaben an 
Behörden u. dgl. eine Abschrift an den Vorsitzenden des Vereinsbundes 
senden, der das Recht hat, Einspruch gegen die Absendung zu erheben; 
über deren Rechtmäßigkeit hat die Hauptversammlung zu entscheiden. 
Ehe dies nicht erfolgt ist, darf die Eingabe nicht abgesandt werden. Es 
soll damit. verhütet werden, daß von verschiedenen Stellen verschieden- 
artige Eingaben über dieselbe Sache erfolgen, was immer der Sache selbst 
sehr geschadet hat, da die Behörden sagten, die Zahnärzte wüßten nicht, 
was sie wollten. Auch Prozesse müssen vor der Einleitung dem Vorsitzenden 
des Vereinsbundes mitgeteilt werden, damit vermieden werden kann, daß 
Angelegenheiten bis zur höchsten Entscheidung durchgeführt werden, wenn 
ein ungünstiger Ausgang zu erwarten ist, oder deren Anstrengung dem 
Stand schaden kann. Der Vorsitzende wird jetzt persönlich gewählt wie 
alle Vorstandsmitglieder, da sich die Wahl nach Vereinen, die ja ursprüng- 
lich bestand, durchaus nicht bewährt hat. 


142 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


20 Jahre hatte der Vereinsbund gearbeitet und viel für den Stand 
getan, da entstand das Verlangen nach einer neuen Organisation. Dies 
verursachte die soziale Gesetzgebung, als sie Krankenkassen für die Ar- 
beiter und ihre Angehörigen schuf. Die Fassung des Gesetzes ließ es 
anfangs zweifelhaft, ob die zahnärztliche Behandlung mit einbegriffen sei 
oder nicht. Infolge von Gerichtsentscheidungen mußten die Krankenkassen 
auch die Zahnbehandlung (Ausziehen und Füllen) bezahlen. Nun besteht 
aber in Deutschland auf dem Gebiete der Heilkunde völlige Gewerbefrei- 
heit, d. h. es kann sich jeder mit Krankenbehandlung befassen, wenn er 
den Drang dazu verspürt, ein Nachweis der Befähigung braucht nicht er- 
bracht zu werden, auch wird keinerlei Vor- oder Ausbildung verlangt. 
Um aber Personen zu haben, die der Staat als besonders vertrauenswürdig 
zur Krankenbehandlung empfehlen kann, hat man eine Approbation für 
Medizinalpersonen eingeführt. Diese gibt in der Hauptsache nur das Recht, 
sich den Titel „Arzt“ oder „Zahnarzt“ beizulegen und wird nur bei der 
Übertragung amtlicher Tätigkeit von den Bewerbern gefordert. Neuerdings 
dürfen auch die Krankenkassen nur mit approbierten Ärzten Verträge 
schließen, leider aber auch mit Zahntechnikern, die gewisse Bedingungen 
erfüllen. Durch diese Rechtslage gibt es nun eine Menge Personen, die 
sich mit Zahnheilkunde befassen, ohne dafür approbiert zu sein. Diese 
wurden von den Krankenkassen oft den Zahnärzten, also den Approbierten, 
vorgezogen. Meist geschah dies aus gesellschaftlichen oder persönlichen 
Beziehungen zu der Kassenverwaltung oder zu den Kassenmitgliedern, auch 
sprach dabei der falsche Wahn mit, daß diese Nichtapprobierten billiger 
arbeiteten. Diese Mißstände und der Entwurf einer neuen Reichsver- 
sicherungsordnung, die diese Zustände abändern sollte, machten das Be- 
dürfnis nach einer besonders lebhaften Bearbeitung der Krankenkassen- 
fragen rege. Auch wollte man die Kollegen, um einen Druck auf Parlament 
und Kassen ausüben zu können, fest in der Hand haben. So entstand denn 
der Plan, eine neue Organisation zu schaffen, die aus Einzelmitgliedern 
bestünde, aber sich über das ganze Reich erstreckte. Damit griff man 
aber in das Arbeitsgebiet des Vereinsbundes ein, der auch anfangs den 
Gedanken stark bekämpfte und Vorschläge machte, dasselbe Ziel auf andere 
Weise zu erreichen. Der Wunsch war aber einmal da und ließ sich nicht 
unterdrücken. Es galt daher, dafür zu sorgen, daß aus dieser Zersplitterung 
der Kräfte, denn eine solche war es zweifellos, nichts Schädliches entstünde. 
So ließ der Vereinsbund in seinem Widerstand nach und suchte dafür in 
dem neuen Verband Einfluß zu erhalten. Dasselbe Bild wie früher, als 
der Zentralverein die führende Stellung in Standesangelegenheiten verlor 
und zum wissenschaftlichen Verein wurde. Auf der Hauptversammlung 
des Vereinsbundes in Berlin 1910 wurde dann folgender Antrag mit 86 gegen 
17 Stimmen angenommen: „Die Delegiertenversammlung erklärt sich mit 
der Gründung eines wirtschaftlichen Verbandes deutscher Zahnärzte ein- 
verstanden und ist bereit, mit diesem Hand in Hand zu gehen.“ Die Folge 
davon war, daß der Vorstand des Vereinsbundes seine Ämter niederlegte, 
der Vorsitzende Hielscher und sein Stellvertreter Konrad Cohn 
nahmen auch keine Wiederwahl mehr an. 

Dem neuen Verband war aber damit der Weg geebnet und er konnte 
seine Arbeit aufnehmen. Der Zweck des Vereins ist, „durch Zusammen- 
echluß der Zahnärzte im Deutschen Reich die beruflichen Interessen des 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 143 


deutschen Zahnärztestandes in ideeller und materieller Beziehung zu 
fördern“. Dies soll erreicht werden’ „durch die Vertretung der zahnärztlichen 
Interessen vor den Behörden, durch Bekämpfung des Kurpfuschertums und 
die Tätigkeit der Nichtapprobierten, durch Unterdrückung des unlauteren 
Wettbewerbes, durch Aufklärung der weitesten Volksschichten über die 
Bedeutung der Zahnheilkunde, durch unentgeltliche Raterteilung an die 
Mitglieder in allen Standesangelegenheiten, durch einen unentgeltlichen 
nenne für Verbandsmitglieder und durch andere ideelle 
ittel“ 

Man sieht, das, was sich der Verband vornahm, ist umfangreich 
gewesen und fiel fast völlig in das Arbeitsgebiet des Vereinsbundes. Ob 
es nötig war, in den Satzungen den Zweck so bis in die Einzelheiten 
auszuführen, mag hier nicht weiter erörtert werden. Mir scheint es besser, 
durch eine etwas dehnbare Fassung der Entwicklung eines Vereines freien 
Spielraum zu gewähren. Der Mitgliedsbeitrag beträgt jetzt 20 Mark; um 
dem Verband von vornherein einen größeren Geldbetrag zukommen zu 
lassen, führte man eine dauernde Mitgliedschaft ein gegen eine Zahlung 
von 200 Mark. 

Die Verwaltung des Verbandes ist folgende: An der Spitze steht 
ein Vorstand mit geschäftsführendem Vorstand. Diese Teilung ist erfolgt, 
da zur Rechtsfähigkeit eines Vereines in Deutschland die gerichtliche Ein- 
tragung nötig ist. Nun wird von den Vereinsregisterrichtern verlangt, daß 
bei Eintragungen jeder Art immer der ganze Vorstand zur Stelle ist, was bei 
vielen Vorstandsmitgliedern, die in verschiedenen Orten wohnen, schwierig 
ist. Deshalb macht man es meist so, daß man einen Vorstand im Sinne des 
Vereinsgesetzes hat, der aus 1—3 Mitgliedern besteht, und einen geschäfts- 
führenden Vorstand oder Ausschuß. Der ganze Vorstand des Verbandes 
besteht aus 8 Herren, davon werden zwei als „Beisitzer“ bezeichnete Herren 
vom Vereinsbund deutscher Zahnärzte ernannt. Damit soll die Verbindung 
zwischen beiden Organisationen hergestellt und ein Gegeneinanderarbeiten 
vermieden werden. Zur Erledigung der laufenden Geschäfte ist eine Ge- 
schäftsstelle in Berlin errichtet worden, an deren Spitze der „General- 
sekretär“ steht. Dieser ist Zahnarzt und darf keine Praxis ausüben; er 
wird vom Verband besoldet. Er besorgt auch die Schriftleitung des Vereins- 
organes, der „aahnärztlichen Mitteilungen“; diese erscheinen 
alle 14 Tage bei Max Steinebach in München und sollen nur Standes- 
angelegenheiten, aber keine Wissenschaft bringen. Die Mitglieder erhalten 
sie kostenlos. 

Das Gebiet des Reiches wird in Großbezirke, meist nach Bundes- 
staaten oder Provinzen, eingeteilt, an deren Spitze ein Vertrauensmann 
steht, unter ihm stehen die Kleinbezirke mit dem Obmann an der Spitze. 
Die Kleinbezirke wählen auf je 20 Mitglieder einen Obmann und auf 
5 Obmänner einen Vertrauensmann. Alle Jahre findet eine Hauptversamm- 
lung statt, die vor oder nach der Sitzung des Vereinsbundes am Orte 
dessen Tagung stattfinden muß — auch schon einmal dagewesen bei 
Zentralverein und Vereinsbund. — Es können aber außerdem auch außer- 
ordentliche Versammlungen einberufen werden. 

Stimmberechtigt sind die Vorstandsmitglieder und Vertrauensmänner. 
Dem Verband ist es gelungen, mit einigen über das Reich verbreiteten 
Krankenkassen zugunsten seiner Mitglieder Verträge abzuschließen. Einen 


144 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


seiner Gründungszwecke, eine Verbesserung der Reichsversicherungsordnung 
herbeizuführen, ist ihm nicht gelungen, dem stand die weit größere Macht 
und die Mittel der Kassen entgegen. Der Zahnarzt muß, wenn er nicht 
durch örtliche Organisation, die alle Zahnärzte ohne Ausnahme umfaßt, 
die Macht hat, sich mit den Nichtapprobierten in der Behandlung der 
Kassenmitglieder teilen, wenn man ihn nicht ganz ausschließt, wo die 
Kasse die Macht dazu hat. 


Dies wären die drei wichtigsten Organisationen; daneben gibt es 
noch eine Anzahl Wohlfahrtseinrichtungen, wie die „Allgemeine deutsche 
zahnärztliche Witwenkasse“, die „Unterstützungskasse für Zahnärzte“, eine 
„Zentralhilfskasse‘‘, die „Sterbekasse des Vereinsbundes deutscher Zahn- 
ärzte“, „Kriegshilfe“‘, deren Zweck schon aus dem Namen hervorgeht. 
Erwähnenswert sind dann noch das „Zentralkomitee für Fortbildungs- 
kurse“ und das für „Schulzahnpflege“, das auch Laien aufnimmt; auch 
ihr Zweck ist im Namen ausgesprochen. Ferner sei an das „Zahnärzte 
haus“ in Berlin erinnert, dessen vorbildliche Einrichtung und Ziele wohl 
zu bekannt sind, als daß darauf hier eingegangen werden müßte. 


Nicht ohne Absicht habe ich die zahnärztliche Organisation dar- 
gestellt, wie sie sich entwickelt hat; wir sollen uns die Geschichte als 
Lehrmeisterin dienen lassen, damit wir Fehler vermeiden können und nicht 
bereits gemachte Erfahrungen erst nochmals selbst an uns erleben müssen. 
Leider wird dies aber noch viel zu wenig beachtet. Überblicken wir noch- 
mals die ganze Entwicklung, so sehen wir, daß nach Schaffung einer Ver- 
einigung aller Zahnärzte im Laufe der Zeit immer wieder der Gedanke 
einer Neugründung auftaucht. Diese wird meist von der bestehenden Or- 
ganisation bekämpft, zum mindesten aber anfangs abgelehnt. Dies Streben 
nach Neugründung kommt mit daher, daß es keine Führung einer solchen 
Organisation fertig bringen wird, alle Wünsche der Mitglieder so schnell 
zur Ausführung zu bringen, wie es diese gern möchten; ja nicht einmal 
die der Mehrheit. Die Mitglieder, die nicht in das Innere des Getriebes 
hineinzusehen vermögen und daher auch die Hemmungen nicht gewahr 
werden, die sich der unermüdlichsten Arbeit der Führer entgegenstellen, 
schieben die Schuld auf diese. Sie glauben, daß eine Neugründung, die 
sich nur einem bestimmten Teil der Aufgaben zu widmen habe, mehr leisten 
müsse. Haben sich erst solche Gedanken festgesetzt, so sind alle Kämpfe 
dagegen vergeblich; dann heißt es nur dafür sorgen, daß durch die Zer- 
splitterung kein Schaden angerichtet wird. Man muß zu erreichen suchen, 
daß sich die Organisationen nicht untereinander bekämpfen, sondern Hand 
in Hand arbeiten. Sie können ruhig getrennt marschieren, aber schlagen 
müssen sie immer gemeinsam, sonst hat der ganze Stand nur Schaden 
davon und er wird noch viel weniger erreichen als bisher. So sehr auch 
eine derartige Zersplitterung überhaupt zu bedauern ist wegen der un- 
nötigen Vergeudung von Kräften, so hat sie auch eine gute Seite: es 
besteht gewöhnlich ein gewisser Wettstreit zwischen den Organisationen 
für das Wohl der Mitglieder zu sorgen, wovon die Gesamtheit nur Nutzen 
haben kann, so lange man nicht gegeneinander arbeitet, weil man seine 
Pläne nicht verraten will. 


Deutschösterreich steht im Begriff, seine Organisation neu aufzu- 
bauen; möge es den rechten Weg finden. Wenn ich mit meinen Darlegungen 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 145 


auch nur ein klein wenig als Wegweiser hätte dienen können, so wäre 
der Zweck der Zeilen erreicht. 


Tätigkeitsbericht des Ausschusses des Zentral- 
verbandes der österreichischen Stomatologen 
während des Krieges 1915—1918. 


In die Zeit, die seit der letzten Verbandsversammlung verlaufen ist, 
fällt der Weltkrieg. Die durch ihn herbeigeführten Schwierigkeiten, die 
mit der Kriegsdienstleistung verbundene Überlastung, von der jeder von 
uns mehr minder betroffen war, die monate- und jahrelange Abwesenheit 
vieler Mitglieder von ihrer Heimat und vom Orte ihrer Niederlassung, 
alle diese Momente führten den Verbandsausschuß dazu, von der Einbe- 
rufung von Jahresversammlungen in diesen Jahren abzusehen. Auch 
manches Ausschußmitglied mußte einrücken und Kriegsdienste weit weg 
von der Heimat, im jetzigen Ausland, leisten. So geschah es, daß Vize- 
präsident Med.-Rat Dr. Friedmann durch einige Monate das Präsidium 
geführt hat und daß der Ausschuß infolge Abwesenheit der Mehrzahl 
seiner Wiener Mitglieder beschlußunfähig wurde und sich längere Zeit 
zwecks gelegentlich notwendiger Besprechung mit der Zusammenkunft 
einiger Mitglieder begnügen mußte. 

Der Verbandsausschuß bemühte sich, seinen Pflichten nach Möglich- 
keit nachzukommen. Doch mußte unter dem Zwange des alles bezwingen- 
den Krieges seine Tätigkeit für wissenschaftliche Inter- 
essen in den Hintergrund treten. Auf Anregung seines Mitgliedes Prof. 
Dr.W eiser hat der Ausschuß zu den Vorträgen in der Gesellschaft 
der Ärzte im März 1916 in Wien der Budapester Kollegen Dr.Gadäny 
und Dr. Ertl über die Behandlung der Unterkieferschußfrakturen und 
Pseudarthrosen an die Verbandsmitglieder Einladungen versendet. Er 
intervenierte ferner bei der anfangs 1917 an alle Verbandsmitglieder er- 
folgten Versendung des in Berlin erschienenen ersten Heftes der Zeitschrift 
„Chirurg und Zahnarzt“ von Dr. Soerensen und Prof. Dr. Warne- 
kros. Ä 
Die Haupttätigkeit des Ausschusses betraf Standesfragen und 
hat hier die Wahrung des bisher Erreichten seine Kräfte vollauf in Anspruch 
genommen. Schöpferische Aktionen mußten entfallen und die gesamte 
Ausschußtätigkeit betraf die Erledigung der einlaufenden Eingaben und 
Geschäfte, die Verhütung von uns drohenden Schädigungen und die Vor- 
arbeit für die künftige Reorganisation des Verbandes. 

Die Arbeit, welche die letzten Friedensjahre ziemlich in Anspruch 
genommen hat, war eben die Reorganisation des Verbandes, 
die durch den Krieg ihre gänzliche Unterbrechung erfahren mußte. Auch 
die schon ausgeführten Vorarbeiten werden mit Rücksicht auf den Zerfall 
der Monarchie noch die größten Veränderungen erfahren müssen. Die 
nächste und wichtigste Aufgabe des Verbandes wird die Durchführung 
seiner Reorganisation sein. 

. Ende des Jahres 1915 beteiligte sich der Ausschuß im Verein mit 
der Wiener Ärztekammer und den beiden in Wien zentralisierten zahn- 


146 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


ärztlichen Vereinen (Verein österreichischer Zahnärzte und Verein Wiener 
Zahnärzte) unter Führung des Kammerpräsidenten Hofrat Prof. Doktor 
Finger an einer Deputation, die sich in verschiedene Ministerien begab, 
um dort gegen die anscheinend ins Auge gefaßte Schaffung eines mili- 
tärischen Dentistenstandes im Sinne der Wahrung ärztlicher 
Interessen Stellung zu nehmen. fm Februar 1916 sprach der Ausschuß 
zugleich mit Delegierten derselben zwei zahnärztlichen Vereine, wieder 
unter Führung der Ärztekammer, im Kriegsministerium vor, um gegen 
die Verwendung von Zahntechnikern in ärztlicher 
Tätigkeit an vielen Spitälern der Front und Etappe vorstellig zu 
werden. l TE, 

Von weit größerer Bedeutung war die Gefahr, welche die Zahnärzte- 
schaft im Jahre 1917 durch eine Regierungsvorlage im Abgeordnetenhaus, 
betreffend ein Zahntechniker-Gewerbegesetz, hätte treffen 
können. Die Gesetzvorlage, eine wortgetreue Wiedergabe des Gesetzent- 
wurfes vom Oktober 1912, war schon im Gewerbeausschuß des Abgeord- 
netenhauses mit einigen Abänderungen, welche von den Zahntechnikern 
gewünscht wurden — Ärzte wurden damals den Verhandlungen überhaupt 
nicht zugezogen —, beschlossen worden und hätte mit Leichtigkeit als zu- 
fälliger J,ückenbüßer das Haus passieren können. In mehreren Sitzungen. 
welche infolge des vorzeitigen Sessionsschlusses und der späteren Wieder- 
eröffnung des Abgeordnetenhauses weit (Juni 1917 und Oktober 1918) 
auseinanderlagen, wurde die Vorlage unter Hinzuziehung von Delegierten 
aus der Wiener Ärztekammer und den beiden Vereinen eingehend beraten. 
Ein vom Präsidenten des Vereines österreichischer Zahnärzte Dr. Richard 
Breuer verfaßtese Referat über den Gesetzentwurf kam 
in 3 Ausschußsitzungen Punkt für Punkt zur eingehendsten Beratung. Der 
Ausschuß will hier im Namen des Verbandes dem Referenten für seine 
vorzügliche, ausführliche Arbeit seinen Dank aussprechen. Bei fast jedem 
Paragraph des Gesetzentwurfes wurden, zumeist im Sinne des Referenten, 
wichtige Veränderungen vorgenommen. Der Zusammenbruch des Reiches 
(und nicht die jüngst entstandene „Wirtschaftliche Organisation der Zahn- 
ärzte Deutschösterreichs‘‘) brachte dem Gesetz sein natürliches Ende. Doch 
hatten diese Beratungen über den Gesetzentwurf immerhin das Gute, daß 
sie den Ausschuß in seiner Mehrheit zu der Einsicht führten, eventuellen 
Verhandlungen mit den Zahntechnikern nicht mehr wie bisher absolut ab- 
lehnend gegenüberzustehen. Als dann (im Dezember 1918) das Verbands- 
mitglied Dr.Rieger, welcher einer Ausschußsitzung, die der Beratung 
von anderen Dingen galt, beiwohnte, die Anregung zu einer unverbindlichen 
Besprechung mit den Zahntechnikern brachte, konnte sie.auf fruchtbaren 
Boden fallen und zu den Verhandlungen zwischen den Zahnärzten und 
Zahntechnikern anfangs dieses Jahres führen (berichtet im Aprilheft 1919 
dieser Zeitschrift, S.96). - 

Bezüglich der eventuellen Titeländerung der Zeitschrift wurde (in 
der Ausschußsitzung vom 12. Dezember 1918) beschlossen, vorderhand den 
alten Titel beizubehalten und mit einer eventuellen Änderung noch bis 
zur Reorganisation des Verbandes zu warten. 

Über das Verhalten des Ausschusses gegenüber der „Wirtschaftlichen 
Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs“ sei auf die im Januarheft 
1919 dieser Zeitschrift veröffentlichte Mitteilung hingewiesen. Der Aus- 


Kleine Mitteilungen. 14i 


schuß hat sich.der Organisation durchaus nicht feindlich gegenübergestellt 
und diesem Standpunkt auch Ausdruck gegeben. Das beweist auch der 
Umstand, daß er mit den Delegierten der Organisation gemeinsame Be- 
ratungen abhielt und mit ihr einheitliche Beschlüsse faßte, sowie die Tat- 
sache, daß ihr diese Zeitschrift als offizielles Organ zur Verfügung ge- 
stellt. wurde. 


Kleine Mitteilungen. 





(Ein Ambulatorium für Geschwulstkranke im Wiener Rudolisspital.) 
Durch den Krieg ist in den wissenschaftlichen Bestrebungen zur frühzeitigen 
Diagnose von Geschwülsten, insbesondere von bösartigen Formen, ein 
völliger Stillstand eingetreten. Mit Rücksicht aber auf die außerordentliche 
Wichtigkeit, die gerade die frühzeitige Erkennung des Charakters der 
Geschwülste für deren Heilung besitzt, hat das Volksgesundheitsamt ein 
Ambulatorium eingerichtet, woselbst an mittellosen Patienten, bei denen 
die Möglichkeit einer bösartigen Geschwulst in Frage kommt, unentgelt- 
lich Blutproben (Serodiagnose nach Abderhalden,Askol i Freund, 
Kaminer, Pregel) gemacht werden, deren Ergebnis dem behandelnden 
Arzt mitgeteilt wird. Hiedurch kann einerseits der Patient von der bangen 
Sorge wegen der Bösartigkeit seiner Erkrankung befreit oder andrerseits 
sehr früh zu einer chirurgischen Behandlung der Geschwulst geschritten 
werden. Im Ambulatorium sollen aber auch, um einem Bedürfnis zahl- 
reicher trauriger Fälle entgegenzukommen, äußerlich zugängliche in- 
operable Neubildungen mit nicht chirurgischen therapeutischen Me- 
thoden behandelt werden. Das Ambulatorium ist im Rudolfsspital in der 
Boerhavegasse, und zwar bei der zweiten chirurgischen Abteilung des 
Primarius Dr. Karl Funke untergebracht; seine Leitung ist Prof. Dr. 
Ernst Freund und die Abhaltung der Ordination Frau Dr. Gisela K a- 
miner übertragen. 


(Zentralstelle für medizinische Kinematographie in Berlin.) Eine 
Zentralstelle für medizinische Kinematographie ist in Berlin gegründet 
worden. Ein nach den Vorschlägen von Dr.Thomalla begründetes und 
im Ausbau befindliches medizinisches Filmarchiv sammelt bereits seit 
einiger Zeit die von Fachgelehrten zu Studien- und Unterrichtszwecken 
seit Jahren hergestellten und bisher allenthalben verstreuten wissenschaft- 
lichen Filme. Nunmehr ist dieses Archiv zur einheitlichen Zusammenarbeit 
mit dem Kaiserin-Friedrich-Haus für das ärztliche Fortbildungswesen zu 
einer „Zentralstelle“ zusammengeschlossen worden. Die Neubearbeitung 
medizinischer Lehrfilme, die von der größten Berliner Filmfirma ohne 
(Gewinnaussichten von rein kulturellen Gesichtspunkten aus übernommen 
worden ist, wird von einem Arbeitsausschuß der Zentralstelle vom rein 
wissenschaftlichen Standpunkt aus überwacht werden. Gemeinsam mit den 
zuständigen Ministerien und einem Beirat von sachverständigen Spezial- 
gelehrten wird über die Zulassung zum Lehrbetrieb bei jedem neuen medi- 
zinischen Lehrfilm ein Zensurausschuß die Entscheidung treffen, ohne dessen 


148 Kleine Mitteilangen. — Personalien. 


Genehmigung kein Lehrfilm in den Handel, das heißt an die Universitäten, 
Institute usw., gebracht werden kann. So ist eine sichere Gewähr ge 
schaffen, daß Deutschland bald eine nach den strengsten wissenschaftlichen 
Gesichtepunkten arbeitende medizinische Kinematographie besitzen wird, 
die zur Bereicherung und Vertiefung des klinischen Unterrichtes Hervor- 
ragendes zu leisten berufen ist. („Die Zeit“ vom 21. Mai 1919.) 


3 Personalien. 





(Ernennung.) Der Präsident der Nationalversammlung hat am 15. Mai 
d. J. dem außerordentlichen Professor der Zahnheilkunde an der Universität 
in Graz Dr. Franz Trauner den Titel und Charakter eines ordent- 
lichen Universitätsprofessors verliehen. 


(Feier.) Hofrat Julius Parreidt, Zahnarzt in Leipzig, feierte am 
18. Juni 1919 seinen 70. Geburtstag. Er wurde geboren in Heideloh in der 
Provinz Sachsen, studierte in Leipzig Zahnheilkunde und wurde dort 1876 
approbiert. Zwölf Jahre war er Assistent an der chirurgischen Univer- 
sitäts-Poliklinik und 35 Jahre ist er Schriftleiter der Deutschen Monats- 
schrift für Zahnheilkunde, des Organs des Zentralvereins deutscher Zahn- 
ärzte. Er hat in Leipzig vor der Gründung des Universitätsinstitute 
zahnärztlichen Unterricht erteilt. Außer etwa 70 Arbeiten erschienen 
von ihm: „Handbuch der Zahnersatzkunde“, dessen 1919 erschienene 
5. Auflage bereits vergriffen ist. Das Buch wurde von Chruscht- 
schoff ins Russische übersetzt. „Praktische Metallurgie für Zahn- 
ärzte.“ „Zahnärztliche Mitteilungen aus der chirurgischen Universitäts- 
Poliklinik Leipzig.“ 1881. Diese drei bei Artur Felix. „Die Zähne 
und ihre Pflege“, Leipzig 1883 bei Reclam Nr. 1760. „Kompendium der 
Zahnheilkunde“, Leipzig 1886, Ambr. Abel; „Zahnheilkunde, ein kurzes 
Lehrbuch für Studierende und Ärzte“, 2. Auflage 1892 und 3. Auflage 1900 
bei Ambr.Barth, wurde von Ottofey in Amerika ins Englische und 
außerdem ins Japanische übersetzt. „Wie studiert man Zahnheilkunde? 
Leipzig, Roßberg, 3. Auflage, 1896 und „Geschichte des Zentralvereins 
deutscher Zahnärzte 1859—1909.“ Berlin, Jul.Springer. Parreidt 
ist Inhaber der Goldenen Medaille des Zentralvereins deutscher Zahnärzte 
und Ehrenmitglied einer Anzahl zahnärztlicher Vereine des In- und Aus- 
landes, darunter des Vereines österreichischer Zahnärzte. 


—. m 


Für dem wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druok von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Münrgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


Organ fr, de Aasenschattlichn Zahnärzte Österreichs. 


Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und 
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs. 





XVII. Jahrgang. Juli 1919. 7. Heft. 


. 





Nachdruck verboten. 


Original-Arbeiten. 


Die anatomischen Grundlagen der intraoralen 
Leitungsanästhesie am Nervus alveolaris inferior. ’) 


Von Harry Sicher. 
(Mit 9 Figuren anf 6 Tafeln.) 2 

| Obwohl die Topographie der mandibularen Leitungsanästhesie in der 
letzten Zeit oft genug Gegenstand eingehender Untersuchungen war, gibt 
es doch keine einzige Darstellung, die in jeder Richtung befriedigen kann. 
Fehlen in der einen Arbeit genauere anatomische Kenntnisse, so sind 
in anderen wieder die Abbildungen so unzureichend, daß sie entweder gar 
keine oder sogar falsche Vorstellungen über die in Frage kommende 
Gegend übermitteln. Ohne näher auf die Literatur einzugehen, erwähne 
ich gerade in bezug auf unzureichende bildliche Darstellung die Arbeiten 
von Bünte und Moral oder von Fischer-Gasser. 

Aber abgesehen von diesem Umstand, hat die genauere Untersuchung 
vom rein anatomischen Standpunkt aus eine Reihe neuer Details ergeben, 
die für die klinische Methode wertvoll waren. Diese Tatsachen bewegen 
mich dazu, die anatomischen Grundlagen der Leitungsunterbrechung des 
N. alveolaris inferior noch einmal im Zusammenhang darzustellen. 

Unsere erste Aufgabe ist es, den Zielpunkt der Injektion festzu- 
legen. Zu diesem Zweck muß das Skelett der Region — der Unterkiefer 
— einer genaueren Betrachtung unterzogen werden (Fig. 1). Selbstverständ- 
lich handelt es sich vor allem um die Gegend des aufsteigenden Astes. Hier 
kommt außer der genauen Beschreibung der praktisch wichtigen Details 
vor allem eine Regelung der Nomenklatur in Betracht, die im Gebrauch 
der Theoretiker sowohl, als der Praktiker ziemlich in Verwirrung geraten 
ist. Der vordere Rand des Astes, gleichzeitig der vordere Rand des Pro- 
cessus coronoideus, läuft außerhalb der Zahnreihe vorbei schräg vorwärts 
und abwärts an der Außenfläche des Kieferkörperse aus. Naturgemäß ist 
nur die am Kieferkörper als stumpfe Leiste oft bis hinter das Foramen 





1) Nach einem Vortrage, gehalten am 20. März 1919 im Verein Wiener 
Zahnärzte. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 14 


150 Harry Sicher. 


mentale zu verfolgende Erhabenheit als Linea obliqua zu bezeichnen. 
Was sich hinter der letzten Alveole als freier Rand senkrecht erhebt, 
ist korrekt nur mit dem Namen Margo anterior des Ramus mandibulae 
zu benennen. Über die Beschaffenheit des Processus coronoideus an seiner 
Spitze, über die Incisura mandibulae und den Processus condyloideus ist 
hier nichts zu sagen. 

An der Innenfläche des Processus coronoideus zieht nun, nahe der 
Spitze beginnend, eine stumpfe Leiste abwärte, die sich weiter unten ge- 
wöhnlich stärker erhebt, dabei mit dem vorderen Rande des Astes nach 
unten divergiert. Im Niveau der Zahnreihe teilt sie sich in einen inneren 
und einen äußeren Schenkel, die je in den inneren und äußeren Rand 
des Alveolarfortsatzes übergehen und dabei zwischen sich ein dreieckiges, 
rauhes Knochenfeld einschließen, das vorne vom letzten Mahlzahn begrenzt 
ist. Diese eben beschriebene Leiste wird in der anatomischen Literatur 
gewöhnlich als Crista buccinatoria angeführt, ein Name, der 
deshalb unlogisch ist, weil die Ansatzlinie des gleichnamigen Muskels 
diese Leiste zwar überkreuzt, ihr aber nicht in der ganzen Länge folgt; 
gerade die letztere Vorstellung wird aber durch diesen Namen erweckt. 

In der zahnärztlichen Literatur wurde für dieselbe Leiste der Name 
Linea obliqua interna eingeführt und dann die eigentliche Linea 
obliqua einschließlich des vorderen Astrandes als Linea obliqua externa 
bezeichnet. Daß diese letztere Bezeichnung unkorrekt ist, wurde bereits 
früher erwähnt und mit ihr fällt natürlich auch der Name Linea obliqua 
interna. Erst durch Eisler erhielt die Leiste einen korrekten, logischen 
Namen, nämlich Crista temporalis mandibulae. Der Mus- 
culus temporalis inseriert nicht nur an jener Linie, die in den landläufigen 
Beschreibungen immer wiederkehrt, nämlich von der Tiefe der Incisura 
mandibulae über die Spitze des Processus coroideus und längs des vorderen 
Kieferastrandes abwärts bis ins Niveau des Alveolarfortsatzes. Er findet 
vielmehr außerdem mit einer vom Hauptanteil deutlich geschiedenen tiefen 
Sehnenportion seine Anheftung eben an der früher beschriebenen Leiste, 
die nichts anderes ist, als das Produkt der hier angreifenden Zugwirkung 
des Muskels (Fig. 2). 

Die beiden Leistenschenkel, in welche die Crista temporalis mandi- 
bulae nahe dem letzten Mahlzahn zerfällt, können als Crus mediale 
und laterale bezeichnet werden; das dreieckige Knochenareale zwischen 
den Crura ist das Trigonum retromolare. Zwischen vorderem 
Rand des Processus coronoideus und Crista temporalis setzt sich jene 
Furche fort, die an der Außenfläche des Kieferkörpers zwischen Processus 
alveolaris und Linea obliqua beginnt. Sie ist jene Grube, die von Bünte 
und Moral den Namen Fovea retromolaris erhalten hat. 


Die anatomischen Grundlagen der iutraoralen Leitungsanästhesie ete. 151 


Ungefähr in der Mitte der Innenfläche des Astes, durchschnittlich 
ın der Höhe der Kauflächen der unteren Molaren gelegen, findet sich das 
Foramen mandibulare, an seiner vorderen oberen Zirkumferenz 
flankiert von einem außerordentlich variabel ausgebildeten Knochenfort- 
satz, der Lingula mandibularis. Sie ist oft scharf zungenförmig, 
frei vorragend, oft nur als Verdickung des vorderen Randes des Kanal- 
einganges erkennbar. An der hinteren Umrandung des Loches beginnt 
eine feine, scharf begrenzte Furche, die nach vorne und unten zieht — 
Sulcus mylohyoideus. 

Am medialen Pol des Condylus mandibulae beginnt nun eine 
stumpfe Knochenleiste, die über das Collum mandibulae absteigt, vor 
dem Foramen gewöhnlich mit der Erhebung des Lingulaursprungs ver- 
schmilzt und sich dann, flacher geworden, nach vorne und unten verfolgen 
läßt. Schließlich geht sie gewöhnlich in jenen Knochenwulst über, der 
unter dem hinteren Ende des Processus alveolaris beginnt und bis zur 
Mitte des unteren Kinnrandes abwärts zieht und nach dem Ansatz des 
Musculus mylohyoideus als Linea mylohyoidea bezeichnet wird. 
Die Leiste selbst kann nach ihrem Verlauf Crista colli mandi- 
bulae benannt werden. Sie ist der Ausdruck der trajektoriellen Knochen- 
struktur. In ihr ziehen nämlich jene Spongiosabälkchen, die beim Kiefer- 
schluß die Druckbelastung im Gebiet des Alveolarfortsatzes auffangen und 
gegen den Condylus leiten, wo der Druck auf die Schädelbasis übertragen 
wird (Walkhoffs Trajectorium dentale). Hinter der Crista colli sinkt 
der Knochen zu einer furchenartigen Vertiefung ein, die von Spee als 
Sulcus nervi mandibularis bezeichnet wurde und seit der 
Arbeit Seidels praktisch eine große Rolle spielt. Wie noch später 
auseinandergesetzt werden wird, hat der Nervus alveolaris inferior keinerlei 
direkte Beziehungen zu dieser Furche, vor allem liegt er nicht in der Furche, 
zu welcher Vorstellung aber der Name von Spee irrtümlicherweise oft 
genug Veranlassung gab. Gerade die Betonung der Furche hat auch 
verhindert, daß der Leiste, die ich als Crista colli beschrieben habe, 
Beachtung geschenkt wurde, obwohl sie es ist, die als primäres Gebilde 
erst die Bildung der Furche bedingt. Dafür sprechen außer dem struk- 
turellen Verhalten der Leiste auch vergleichend-anatomische Befunde. 

Der Sulcus colli mandibulae — wie man den Sulcus nervi 
mandibularis besser benennt — wird nach hinten und unten öfters durch 
eine feine Linie begrenzt, die das rauhe Ansatzfeld des M. pterygoideus 
internus oben zum Abschluß bringt und dem Ligamentum sphenomandi- 
bulare zum Ansatz dient — Linea pterygoidea. 

Die ganze Innenfläche sieht aber, wie ja bekannt ist, nicht rein nach 
innen, sondern zugleich auch nach hinten, und zwar ist dieser Winkel, 


14% 


152 Harry Sicher. 


den sie mit der Sagittalebene bildet, ein individuell variabler. Dieser 
Umstand ist deshalb von Wichtigkeit, weil wir die Nadelrichtung nach 
der Einstellung der Knochenfläche bestimmen müssen. 

Von den beschriebenen Reliefeigentümlichkeiten des Kieferastes sind 
vom Vestibulum oris aus der vordere Rand des Astes und seine Fortsetzung, 
die Linea obliqua, ferner die Crista temporalis mandibulae ohne weiteres 
zu tasten, ebenso natürlich die zwischen ihnen gelegene Fovea retro- 
molaris.. Aber auch die Crista colli läßt sich tasten, allerdings nicht 
mit dem Finger, wohl aber bei der Vornahme der Injektion mit der Spitze 
der Nadel, wenn diese in bestimmter Weise über die Innenfläche des 
Astes gleitet. 

Wir müssen nun nach Besprechung des Skeletts den Verlauf des 
Nervus alveolaris inferior einer genaueren Betrachtung unterziehen (Fig. 3). 
Der dritte Ast des Trigeminus, Ramus mandibularis, zerfällt, wie 
bekannt, knapp nach seinem Austritt durch das Foramen ovale in seine 
Äste. Nach außen wenden sich die motorischen Fasern für M. masseter, 
temporalis, pterygoideus externus und der sensible N. buccinatorius. Nach 
hinten zieht, mit seinen zwei Ursprungsbündeln die Arteria meningea media 
umfassend, der Nervus auriculotemporalis, um hinter dem Kiefergelenk 
vorbei an das Gesicht zu gelangen. Innen, dem Stamm angelagert, findet 
sich das Ganglion oticum, von dem außer den feinen Verbindungszweigen 
zu fast allen Nerven der Umgebung die Nerven für den M. pterygoideus 
internus, den M.tensor veli palatini und tensor tympani abgehen. Nach 
unten wenden sich der Nervus lingualis und der N.alveolaris inferior; 
beide liegen zunächst hart nebeneinander, vorne der N. lingualis, hinten 
der N. alveolaris inferior, zuerst an der Innenseite des M. pterygoideus 
externus, dann zwischen den beiden Musculi pterygoidei. Weiter unten 
entfernt sich der N. lingualis immer mehr vom N. alveolaris inferior, da 
er nach vorne abbiegt. Hier empfängt er die von hinten und oben kommende 
Chorda tympani, die an der Innenseite des N. alveolaris inferior vorbei- 
zieht. Schließlich kommt der N. lingualis am vorderen Rand des M. ptery- 
goideus internus zum Vorschein, dringt durch die Spalte zwischen M. mylo- 
pharyngeus, styloglossus und mylohyoideus — das bekannte muskelfreie 
Feld des Mundhöhlenbodens — in die Mundhöhle ein und ist hier an der 
Übergangsstelle von Zungenschleimhaut in Schleimhaut der inneren Kiefer- 
fläche neben dem letzten Mahlzahn ganz oberflächlich gelegen. Hier 
kann man ihn bei mageren Personen sogar durch die Schleimhaut durch- 
schimmern sehen, jedenfalls aber leicht chirurgisch erreichen. Gleichzeitig 
ist dies natürlich auch jene Stelle, wo der Nerv am leichtesten Ver- 
letzungen ausgesetzt ist. Hier steht der Nerv mit dem Ganglion sub- 
maxillare in Verbindung und löst sich sodann. in seine Endäste auf, die 


Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 153 


zum großen Teil in die Zunge, zum geringeren in die Schleimhaut an 
der Innenfläche des Unterkiefers ziehen. Die letzteren führen den Namen 
Rami alveolares Nervi lingualis. T 

Der Nervus alveolaris inferior zieht vom Foramen ovale aus steil 
abwärts, gleichzeitig auswärts. Er ist zunächst durch den dicken Bauch 
des Musculus pterygoideus externus vom Unterkiefer getrennt; der Innen- 
und Unterfläche dieses Muskels folgt er in leicht S-förmig geschwungenem 
Verlaufe. Mit dem Knochen tritt er erst am Foramen mandibulare selbst in 
Kontakt (Fig. 4). Dort gibt er den Nervus mylohyoideus ab und zieht selbst 
im Unterkieferkanal nach vorne. Meist ist schon vor seinem Eintritt in 
den Kanal der für die Versorgung des Kiefers und der Zähne bestimmte 
Anteil von jenem getrennt, der durch das Foramen mentale austritt. Der 
erstere zieht bekanntlich bis zur Mittellinie durch den Knochen weiter 
und anastomosiert hier sogar mit dem der anderen Seite. 

Diese Beschreibung läßt die Richtigkeit der früheren Angabe ver- 
stehen, nach welcher der „Sulcus nervi mandibularis“, unser Sulcus colli 
mandibulae, mit dem Nerven nichts zu tun hat. Liegt doch zum großen 
Teil der äußere Flügelmuskel zwischen Furche und Nerv. Aber nicht 
nur in dieser einen Richtung divergieren Furche und Leiste gegen den 
Nerven. Präpariertt man von innen her den Nervenstamm frei, räumt 
auch den Musculus pterygoideus externus fort, so sieht man, daß der 
Nervus alveolaris inferior und der Sulcus resp. die Crista colli vom Foramen 
mandibulae aus in zweifacher Richtung divergieren. Erstens weicht der 
Nerv, wie früher beschrieben, stark nach innen gegen das Foramen ovale 
ab, während die Innenfläche des Astes fast vertikal steht. Zweitens aber 
zieht die Crista colli und daher auch die Furche schräg nach oben und 
hinten, während der Nerv fast in derselben Frontalebene aufsteigt (Fig.5). 

Nach dem Gesagten ist es daher zunächst befremdend, wenn die 
Stelle des Sulcus immer als Zielpunkt der Injektion geschildert wird. Daß 
dies trotzdem seine Berechtigung hat, erklärt sich aus folgenden Tat- 
sachen, die bisher meines Wissens unbeachtet geblieben sind. Die topo- 
graphischen Beziehungen zwischen Nerv und Furche ändern sich nämlich 
gründlich, wenn der Mund geöffnet wird. Bei dieser Bewegung bleibt das 
Foramen mandibulare zwar nicht, wie dies früher gelehrt wurde, an Ort 
und Stelle, weil die Achse der Bewegung eben nicht durch das Foramen 
mandibulare verläuft. Es erfährt aber nur eine Verlagerung nach unten, 
weicht dabei nach vorne oder hinten nicht oder nur unmerklich ab. Da 
aber beim Öffnen des Mundes das Kieferköpfchen aus der Fossa mandi- 
bularis weit nach vorne auf das Tubereulum articulare verschoben wird, 
resultiert für den Verlauf der Crista colli als Verbindungslinie des Capi- 
tulum mit dem Foramen mandibulare, daß sie dadurch steil, fast vertikal 


154 Harry Sicher. 


gestellt wird und dabei nur im ganzen tiefer tritt. Durch diese Steil- 
stellung wird aber jene Divergenz zwischen Leiste und Furche gegen den 
Nerven fast völlig ausgeglichen, die bei geschlossenem Munde durch den 
schräg nach oben und hinten aufsteigenden Verlauf der Leiste bestand. 
Der Nerv selbst nämlich erleidet keine Richtungsveränderung, da ja sein 
Eintrittspunkt in den Kiefer, das Foramen mandibulare, nur abwärts 
bewegt wird; wohl aber wird er gespannt, da sich beim Öffnen des Mundes 
die Distanz vom Foramen ovale zum Foramen mandibulare vergrößert, 
und zwar fast genau um die Niveaudifferenz zwischen Tiefe der Fovea 
mandibularis und Höhe des Tuberculum articulare, entsprechend der Ver- 
schiebung des Unterkieferköpfchens.. Durch all dies kommt der Nerv 
natürlich noch immer nicht in die Furche zu liegen, aber er liegt bei ge- 
öffnetem Munde wenigstens in derselben Frontalebene. Daraus erklärt sich 
zunächst die Brauchbarkeit des Sulcus colli als Orientierungspunkt für die 
Anästhesie (vergl. Fig.5 mit Fig. 6). 


Noch unterstützt wird sie durch das Verhalten des Bindegewebes an 
jener Stelle. Wir finden hier nämlich zwischen Innenfläche des Kieferastes 
und Außenfläche des Musculus pterygoideus internus einen Spaltraum, der 
sich nach unten verschmälert und am Ansatze des Musculus pterygoidens 
internus resp. dessen Faszie ein Ende findet. Wohl als Differenzierungs- 
produkt dieser Faszie dürfte der Bindegewebszug aufzufassen sein, der 
von der Unterfläche des Keilbeins zur Lingula und zur Linea pterygoidea 
zieht und dabei den Eingang in den Kanal halbwegs deckt, Ligamen- 
tum sphenomandibulare. 


Nach oben verbreitert sich der eben beschriebene Bindegewebsraum, 
der von Eisler als Spatium pterygomandibulare bezeich- 
net wurde, durch die Divergenz zwischen Kieferast und Muskel. Er wird 
oben begrenzt durch den horizontal verlaufenden unteren Rand des Muskel- 
bauches des Pterygoideus externus. In diesem, von lockerem, fetthaltigem 
Bindegewebe erfüllten Raum verläuft der Nervus alveolaris inferior und 
Nervus lingualis der Außenfläche des inneren Flügelmuskels angeschlossen 
abwärts. Bringt man hier ein Injektionsdepot an die äußere Wand des 
Spatium pterygomandibulare, also an den Knochen, dann ist es vom Nerven 
nur durch lockeres Bindegewebe getrennt und kann ohne weiteres seine 
Wirkung auf den Nerven entfalten. Die äußere Wand des Spatium aber 
gerade an jener Stelle, an welcher innen der Nerv abwärts zieht, und je 
weiter abwärts um so näher dem Knochen kommt, ist bei geöffnetem Munde 
der Sulcus colli mandibulae. 


Aus dem bisher Gesagten ergibt sich zunächst die Möglichkeit, das 
Ziel der Iniektion genau zu bestimmen. Es ist nach alledem eben das 


Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 155 


untere Ende des Sulcus colli mandibulae, wie dies schon früher vor allem 
durch Seidel betont wurde. 

Um über den Einstichpunkt klar zu werden, muß man zunächst 
jene zwei Typen der Injektionstechnik gegeneinander halten, die heute 
noch ihre Geltung haben. Man kann sie als Methode des direkten Ein- 
stiches (Fischer, Bünte und Moral) und als Tastmethode (Braun, 
Seidel) bezeichnen. Ich glaube, daß man die Bevorzugung der zweiten 
Methode nicht erst durch lange Auseinandersetzungen begründen muß, vor 
allem, wenn man sich vor Augen hält, daß man beim Gleiten längs der 
Innenfläche des Kieferastes auch tatsächlich einen ausgezeichneten An- 
haltspunkt für die Lokalisation der Injektionsstelle tasten kann, eben 
die Crista colli und die dahinter gelegene Furche. 

Zwingen also die anatomischen Verhältnisse zur Entscheidung zu- 
gunsten der Tastmethode, dann ist natürlich die Wahl des Einstichpunktes 
von diesem Gesichtspunkte aus vorzunehmen. Er muß erstens in der Ebene 
des Zielpunktes liegen, das ist nach allen zahlreichen Messungen ungefähr 
fingerbreit über der Ebene der unteren Kauflächen. Um zweitens von 
vorneherein Knochenhindernisse, soweit als möglich, zu umgehen, schaltet 
man am besten die Crista temporalis dadurch vom Weg der Nadel aus, 
daß man knapp hinter ihr, also bereits an die glatte Innenfläche des 
Astes einsticht. 

Die Schleimhaut bildet nun gerade in der Nähe dieser Stelle eine 
Falte, die oft zu Täuschungen über die Topographie des Einstichpunktes 
Anlaß gibt und die deshalb mit wenigen Worten erwähnt werden muß. 
Diese Falte zieht nämlich von dem Hamulus pterygoideus, der hinten und 
innen vom hinteren Ende des oberen Alveolarfortsatzes getastet werden 
kann, nach unten und verstreicht hinter dem hinteren Ende des unteren 
Alveolarfortsatzes. Sie ist bedingt durch die Ausspannung eines Sehnen- 
streifens, dor Rhaphepterygomandibularis, die vom Hamulus 
pterygoideus zum oberen Ende der Linea mylohyoidea zieht. Sie dient an 
ihrem vorderen Rande Fasern des Musculus buccinatorius, an ihrem 
hinteren jenen des M. buccopharyngeus, eines Anteiles des oberen Schlund- 
kopfschnürers, zum Ursprung (Fig.7 und 8). 

Die Falte — Gasser spricht von ihr als Molarenfalte — könnte 
man mit Rücksicht auf das darin gelegene Gebilde als Plica pterygo- 
mandibularis bezeichnen, wobei auch ihr Verlauf vollkommen charakteri- 
siert wäre. Sie kann bei geöffnetem Munde durch die Spannung des Sehnen- 
streifers dem tastenden Finger recht derb erscheinen und dann zur Verwechs- 
lung mit der Crista temporalis Anlaß geben. Es erscheint daher am zweck- 
mäßigsten, beim Aufsuchen der Knochenleisten so vorzugehen, daß man 
im Vestibulum oris beginnend zuerst der Linea obliqua folgend den vorderen 


156 Harry Sicher. 


Rand des Astes fixiert. Knapp nach innen und etwas nach hinten, von ihm 
getrennt durch die Fovea retromolaris, tastet man dann die stumpfere 
Crista temporalis mandibulae, korrekter gesagt die daran inserierende 
tiefe Portion des Musculus temporalis. Die Plica pterygomandibularis liegt 
nun noch weiter nach innen und etwas dahinter. 

Bevor wir aus den anatomischen Tatsachen die Technik der In- 
jektion selbst ableiten, müssen wir noch wenige Worte über den Weg 
sagen, den die Nadel beim Vordringen zum Sulcus colli längs des Knochens 
nimmt. Um diese Verhältnisse übersichtlich darzustellen, wurde ein Schädel 
bei weit geöffnetem Munde in Formalin gehärtet, dann in Salzsäure entkalkt 
und nun ein Schnitt geführt, der etwa einen Zentimeter über den Kauflächen 
der unteren Zähne, diesen selbst parallel — kurz, in der Injektionsebene — 
verläuft. Der Schnitt ist also keinem Horizontalschnitt durch den Schädel 
zu vergleichen (Seidl, Merkelu.a.), da er von vorne unten nach a 
oben stark ansteigt (Fig. 9). 

Die Nadel durchdringt nun zunächst knapp hinter der Crista tem- 
poralis mandibulae die Schleimhaut und den Musculus buccinatorius, der ja 
weiter hinten an der Rhaphe pterygomandibularis entspringt; dann stößt 
sie in einer Tiefe von etwa 10 mm auf den Knochen, hinter dem Ansatz 
der tiefen Portion des M. temporalis. Dem Knochen entlang gleitet sie nun 
weiter und gelangt dabei an die Außenfläche des M. pterygoideus internus 
und hart außen am Nervus lingualis vorbei, der hier dem Knochen fast 
anliegt. Nun folgt bereits die Crista colli, über die die Nadel hinweg- 
gleitet, um an die Stelle des Sulcus zu gelangen. Es hängt jetzt ganz von 
der Ausbildung der Leiste ab, ob die Nadel mit dem Knochen an der Stelle 
des Sulcus in Kontakt tritt oder nicht. Ist die Leiste nämlich stark aus- 
geprägt, dann lenkt sie die Nadel ab und die Nadel trifft den Knochen ent- 
weder erst nahe dem hinteren Rande des Astes oder gar nicht mehr und 
dringt dann hinter ihm in die Tiefe. Da nun hinter der Mandibula, in die 
Grlandula parotis eingebettet, die Arteria carotis externa, die Vena facialis 
posterior und endlich auch der Nervus facialis verlaufen, also alles Ge- 
bilde, mit denen man nicht in Konflikt geraten soll, so muß man ein Ab- 
gleiten der Nadel in die Tiefe unbedingt vermeiden. Dies gelingt nun ge- 
wöhnlich leicht dadurch, daß man die Nadel steiler gegen den Knochen 
stellt, wenn man nach Überschreiten der Crista colli den Knochen nicht 
wieder erreicht. 

Ist die Nadelspitze aber in den Sulcus vorgedrungen, dann liegt sie 
bei geöffnetem Munde gerade lateral vom Stamme des Nervus alveolaris 
inferior oder ein klein wenig hinter dem Nerven. Da es sich dabei um 
die Stelle knapp oberhalb des Foramen mandibulare handelt, ist natürlich 
auch die Distanz zwischen Nerven und Knochen eine sehr geringe. Die 


Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 157 


Stelle selbst entspricht dem unteren schmalen Ende des Spatium pterygo- 
mandibulare und ist dementsprechend von lockerem Bindegewebe ausge- 
füllt. An den hinteren Umfang des Nerven angeschlossen verlaufen Arteria 
und Vena alveolaris inferior, die bei der Führung der Nadel längs des 
Knochens wohl selten in Gefahr kommen. 

“< Die Injektionstechnik ergibt sich aus den anatomischen Tatsachen 
mit logischer Konsequenz. Sie schließt sich an die Seidelsche Methodik 
an, weicht aber insoferne von ihr ab, als einerseits der Einstichpunkt 
hinter die Crista temporalis verlegt, andrerseits den Tastbefunden am 
Wegende besondere Beachtung geschenkt wurde. 

-~ Man tastet bei weitgeöffnetem Munde an der rechten Seite des 
Patienten mit dem linken Zeigefinger, an der linken Seite des Patienten 
mit dem rechten Zeigefinger den vorderen Rand des Processus coronoideus, 
indem' man dabei an der Außenfläche des Alveolarfortsatzes der Linea 
obliqua nach hinten und oben folgt. Innen von diesem scharfen Knochen- 
rand fühlt man eine stumpfere Erhebung, die Crista temporalis mandibulae, 
zwischen beiden die Fovea retromolaris. Nun legt man den Finger so in die 
Fovea retromolaris, daß er den Kauflächen der unteren Molaren aufliegt 
und mit seiner Spitze in die Fovea selbst zu liegen kommt. Dann berührt 
er gleichzeitig den vorderen Rand des Processus coronoideus und die Crista 
temporalis mandibulae. Knapp hinter der letzteren wird nun über dem 
Fingernagel eingestochen, wobei man die Spritze quer stellt, um den 
Knochen sofort zu erreichen. Jetzt wird die Spritze so gedreht, daß die 
Nadel mit der Richtung des Knochens einen spitzen Winkel bildet, daß 
also das freie Spritzenende gegen die Seite der Injektion bewegt wird. In 
dieser Stellung schiebt man die Nadel entlang dem Knochen in stetem 
Kontakt mit ihm vor, bis man in einer Tiefe von etwa 1!/.cm die Nadel 
deutlich über die. Crista colli gleiten fühlt. In diesem Augenblick wird 
die Nadel etwas zurückgezogen, möglichst quergestellt — soweit dies die 
Spannung des Musculus pterygoideus internus erlaubt — und wieder über 
die Crista colli hinweg in den Sulcus vorgestoßen. Je stärker ausgeprägt 
die Crista colli ist, und dies läßt sich bei einiger Übung leicht abschätzen, 
um so mehr soll die Spritze mit ihrem freien Ende gegen die gesunde Seite 
gedreht werden. Stößt die Nadel im Sulcus colli auf den Knochen, so ent 
leett man langsam die Spritze. 

Kann man, wie dies z.B. bei alten Leuten vorkommt, an der Jinen 
fläche des Astes mit der Nadel kein deutliches Relief tasten, weil hier eben 
durch die Atrophie des Kiefers die Crista colli verstrichen ist, oder macht 
eine besonders starke Schrägstellung des Astes das Abtasten der Knochen- 
fläche unmöglich — Fälle, die zu den Seltenheiten gehören —, so muß mán 
entweder annähernd an die Stelle des Sulcus, also in einer Entfernung von 

Österr. 7.eitschrift für Stomatologie. 1A 


EDR Harry Sicher. 
1!/s cm binter der Crista temporalis injizieren, oder man unterbricht die 
Injektion und führt sie perkutan durch. 

Daß die Anästhesie deg Nervus alveolaris inferior nicht genügt, um 
den Unterkiefer unempfindlich zu machen, ist bekannt. Versorgt doch der 
Nervus lingualis mit seinen Rami alveolares die Schleimhaut an der Innen- 
fläche, der Nervus buceinatorius ein Stück der Schleimhaut an der Außen- 
fläche des Kiefers. Während man den Nervus buccinatorius gesondert auf- 
suchen muß, ist der Nervus lingualis bei der Vornahme der Hauptinjektion 
leicht zu erreichen. Die Nadel dringt ja, wie früher beschrieben wurde, 
knapp am Nervus lingualis vorbei, zwischen ihm und dem Knochen in die 
Tiefe. Man muß also nur entweder beim Vorschieben der Nadel oder beim 
Zurückziehen etwa 1 cm vor der Crista colli ein zweites Depot anlegen, um 
auch die Leitung des Nervus lingualis zu unterbrechen. 

Die Injektion an den Nervus buecinatorius geschieht, wie ich dies 
anderen Ortes beschrieben habe, knapp vor dem vorderen Rande des Pro- 
cessus coronoideus in der Höhe der Kauflächen der oberen Molaren naeh 
Durchstechung von Schleimhaut und Musculus buceinatorius. 

Ich glaube, daß die geschilderte Methode, weil sie eben wirklich aus 
der genauen anatomischen Untersuchung der Gegend abgeleitet ist, wohl 
die größte Sicherheit für das Gelingön der Injektion bietet. Sie ist vor 
allem auch wie keine andere geeignet, die individuellen Variationen zu 
parieren. Besonders aber möchte ich noch den Umstand betonen, daß sie 
-meiner Erfahrung nach auch rascher gelernt wird als andere, selbstredend 
auch im Paul au breiteste anatomische Basis gestellt. 


"Tafelerklärung: 


Figur 1. 
Unterkiefer von innen gesehen. 
C. o. = Crista colli mandibulae. 
C. l. = Crus laterale, 
C. m. = Crus mediale der 
Cr. t. = Crista temporalis mandibulae. 
F. r. = Fovea retromolaris. 
L = Lingula. . 
L. m. = Linea mylohyoidea. 
M. a. = Margo anterior des Ramus man- 
dibulae. 
S. e. = Sulcus colli mandibulae. 
S. m. = Sulcus mylohyoideus. 
T. r. = Trigonum retromolare. 
Figur 2. 
Ansatz der Sehne des Musculus temporalis 
von innen gesehen. 


F. r. = Fovea retromolaria. 
P. p. = Pars profunda des M. temporalis. 
P.s. — Pars superficialis des M. temporalis. 


Figur 3. 
Verzweigung des dritten Trigeminusastes 
von innen präpariert. Aus dem: Musculus 
pterygoideus internus ist ein Stück aus- 
geschnitten, um die außen von ihm ge- 
legenen Nerven zu zeigen. 


. c. = Arteria carotis communis. 

. e., = Arteria carotis externa. 

. 1. = Arteria carotis interna. 
= Arteria lingualis. 

. e. — Arteria maxillaris externa. 
.8. = Arteria thyreoidea superior. 
ae — Corpus adiposum buccae. 
‚sm. = Ductus submaxillaris. 


Nahh hah 
aa 


Q ~ 


fo 


. em. = Glandula submaxillaris. 

. pt. = Hamulus pterygoideus. 

. sphm. = Ligamentum sphenomandibu- 
lare. 


MuRRnRS 
e" 
I 
lo 
D 
5 
= 
= 
(e 2] 
5 
za 
5: 
0} 
p 
5, 
E 


Tafel I = 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 17. Jahrg., Heft? 


Harry Sicher: Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 


Fig. 1 





Fig. 2 





Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien Druck von Gottlieb Gistel & Cie.. Wien 


Tafel II 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 17. Jahrg., Heft 7 


Harry Sicher: Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 


Fig. 3 





L. sphm. > oy Aii EN | g: = 2 ih Es P. 
M.d Y ) i x f 
L. sim. ` 


erlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien 


“a fel III R 
Osterr. Zeitschrift für Stomatologie, 17. Jahrg., Heft7 


arry Sicher: Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 


Fig. 4 


. 





Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien 


(afel IV $ 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 17. Jahrg., Heit 7 


larry Sicher: Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 





Fig. 6 





erlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien 


Tafel V ù 
; Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 17. Jahrg., Heft 7 


Harry Sicher: Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 


T. 





ferlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien 


Tafel VI 
Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 17. Jahrg., Heft7 


Harry Sicher: Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 


Fig. 9 


Re ER 





NI EXD. 
N. X1. 


’erlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien 


Die anatomischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesie etc. 


L. stm. = Ligamentum stylomandibulare. 
M. d. = Musculus digastricus. 

M. m. = Musculus mylohyoideus. 

M. pt. i. —= Musculus pterygoideus internus. 
N. a. = Nervus accessorius. 

N. a. #. = Nervus alveolaris inferior. 

N. at. = Nervus auriculotemporalis. 

N. b. = Nervus bucecinatorius. 

N. gl. = Nervus glossopharyngeus. 

N. k. — Nervus hypoglossus. 

N. I. = Nervus lingualis. 

N. m. = Nervus mylohyoideus. 

N. v. = Nervus vagus. 

P. p. = Pars profunda des M. temporalis. 
P. 8. = Pars superficialis des M. temporalis. 
V. j. ¿ = Vena jugularis interna. 


Figur 4. 
Spatium pterygomandibulare von hinten- 
her dargestellt. 


M. p. e. = Musculus pterygoideus externus. 
M. p. i. = Musculus pterygoideus internus. 
N. a. ií. = Nervus alveolaris inferior. ` 
. 3. = Nervus lingualis. 

.p. m. = Spatium pterygomandibulare. 


Figur 5 und 6. 

Verhalten des Nervus alveolaris inferior 
zum Knochen bei geschlossenem (5) und 
geöffnetem (6) Munde. 

C. e. = Crista colli mandibulae. 
N. a. 3. = Nervus alveolaris inferior. 
N. l. — Nervus lingualis. 


Figur 7. 
Medianschnitt durch den Schädel eines 
alten Mannes. Die Zunge ist abwärts 
geschlagen. 
Pi. glp. = Plica glossopalatina. 
Pi. php. = Plica pharyngopalatina. 
Pl. ptm. = Plica pterygomandibularis. 
T = Tonsilla palatina. 


159 


Figur 8. 
An der anderen Hälfte des Bchädels der 
Figur 7 wurde durch Abtragung der 
Schleimhaut die Wangen- und Pharynx- 
muskulatur freigelegt. 


G. st. = Qlandula sublingualis. 

G. sm. = Glandula submaxillaris. 

M. b. = Musculus buccinatorius. - 

M. bph. = Musculus buccopharyngeus und 
mylopharyngeus. 

M. m. = Musculus mylohyaideus. 

M. st g. = = Musculus styloglossus. 

N. l. = Nervus lingualis. 

R. ptm. = Rhaphe pterygomandibularis. 

T= Tonsilla palatina. 


Figur 9: 
Schnitt durch einen Schädel bei geöf- 
netem Munde dureh die Ebene der In- 
jektion der Mandibularanästhesie. 


A. c. e. = Arteria carotis externa. 
. į. = Arteria carotis interna. 
= Glandula parotis. 
m. = Ligamentum sphenomandihu- 
are. 

= Musculus buccinatorius. 

= Musculus buccopharyngeus. 

= Musculus pterygoideus internus. 
= Nervus alveolaris inferior. 

— Nervus facialis (vor seinem Aus- 
tritt aus dem Kanal). 
= Nervus lingualis. 

X, X, XII = Nervus glossopharyngeus, 
vagus, hypoglossus. 
N. XI = Nervus accessorius. 
R. ptm. = Rhaphe pterygomandibularis. 
T = Tonsilla palatina. 

T. p. = Pars profunda der Sehne des M. 

temporalis. 

V. f. p. = Vena facialis posterior. 
V. j. 1. = Vena jugularis interna. 


> 


Hd 


z= Burke Mon 
Ar nes Se 


Zur Anatomie und Technik der Injektion an den 
Stamm des II. und III. Trigeminusastes. ') 
Von Dr. Harry Sicher. 
(Mit 6 Figuren.) | 
M. H.! Wenn ich als Thema meines heutigen Vortrages die Leitungs- 
anästhesie an den Stämmen des II. und III. Trigeminusastes gewählt habe, 


nn nn 


!) Nach einem Vortrage, gehalten im Verein Wiener Zahnärzte 


15* 


160 | Harry Sicher. 
G 

so bin ich mir wohl bewußt, daß es nach. Ansicht vieler über den Rahmen 
zahnärztlicher Eingriffe hinausgeht. Es ist nun gerade meine Absicht, 
dieses Bedenken zu entkräften einerseits durch die Besprechung der In- 
dikationsstellung, andrerseits aber durch die Besprechung der Technik. 
Soll erstere die Notwendigkeit dieser Verfahren, wenn auch nur in ein- 
zelnen Fällen zeigen, so soll letztere die Furcht vor zu großen Schwierig- 
keiten oder Komplikationen beseitigen. 

Ich muß zunächst eine Ansicht hier wiederholen, die ich bereits mehr- 
mals zu betonen Gelegenheit hatte, und an welcher ich unverändert fest- 
halte. Es ist dies die unbedingte Notwendigkeit, bei entzündlichen Ver- 
änderungen eines Gewebes diese Stelle bei der Injektion zu vermeiden. 
Für unser Spezialgebiet angewendet, heißt dies, daß entzündliche Verände- 
rungen von Periost und Schleimhaut — im Gefolge einer Periodontitis 
z, B. — für die Anästhesie eine unbedingte Kontraindikation abgeben, wenn 
der Einstich oder das Depot im Bereiche der entzündeten Partien gelegen 
ist. Das gilt nicht nur für den Abszeß, sondern auch für die Infiltration 
der Schleimhaut. Diese Kontraindikation leitet sich nicht so sehr davon ab, 
daß der Einstich und die Injektion in das entzündete Gewebe besondere 
schmerzhaft sind, auch nicht gerade davon, daß die bei der Entzündung 
immer vorhandene Hyperämie das Gelingen der Injektion in Frage stellt. 
Gerade in letzter Zeit wurde ja der Vorschlag’ gemacht, bei Periostitis der 
Zähne mit alleiniger Ausnahme von Abszedierung die lokale Anästhesie 
sensu strictiori mit einer Lösung durchzuführen, die 4% Novokain ent- 
hält. Die Erfolge, die Kneucker mit dieser Flüssigkeit, die er aus den 
Novokain-Suprarenintabletten herstellt, erzielen konnte, gehen aber meiner 
Meinung nach viel eher auf den gleichzeitig aufs Doppelte erhöhten Adre- 
nalingehalt zurück.) Wie dem aber auch sein mag, jedenfalls ist die 
„lokale“ Injektion bei infiltrierter Schleimhaut vor allem anderen 
deswegen kontraindiziert, weil wir mit der Injektion 
in ein von eitererregenden Keimen durchsetztes 
Gebiet eine Propagation der Keime in die Blut oder 
Lymphbahn bewirken können, ein Umstand, auf den ja schon 
öfters hingewiesen wurde. Wenn ein solcher Zufall auch gewiß zu den 
Seltenheiten gehört, muß uns unter allen Umständen allein schon die 
Möglichkeit, daß wir durch unsere Injektion eine Sepsis hervorrufen 
könnten, eine solche Injektion aufs eindringlichste verbieten. 

Nun müssen wir uns nur vor Augen halten, wie wir einer solchen 
entzündeten Schleimhautstelle ausweichen können. Zunächst ist die Ent- 

?) Demnächst werde ich in dieser Zeitschrift des Näheren auf das 
Kneuckersche Verfahren zu sprechen kommen. 


Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 161 


zündung fast immer auf die Gegend der Wurzelspitze des betreffenden . 
Zahnes beschränkt, wenn ich die häufigste Ursache der Schleimhauterkran- 
kung, eben die Periodontitis, betrachte. Dann ist jene Art der Injektion 
kontraindiziert, die man allgemein als lokale Anästhesie s. str. bezeichnet, 
die aber weit eher den Namen Plexusanästhesie verdient, weil 
sie die Nervenleitung im Plexus dentalis unterbricht. Wir sind dann ver- 
pflichtet, die zum Plexus ziehenden Nervenstämme aufzusuchen, also 
eine Stammanästhesie auszuführen, die früher schlechtweg als 
Leitungsanästhesie benannt wurde. In den ersten Stadien einer Entzün- 
dung kommen wir auch mit der Stammanästhesie überall aus. Breitet 
sich die Infiltration aber weiter aus, dann erreicht sie bald jene Stellen, 
an welchen bei einzelnen Arten der Stammanästhesie die Einstiche liegen. 
Dies gilt vor allem für den ÖOberkiefer. Hier liegen die Einstichstellen 
für die intraorale Anästhesie am Tuber maxillare (Nn. alveolares superiores 
posteriores) und im Canalis infraorbitalis (Nn. alveolares superiores ante- 
riores) in der Übergangsfalte, die eine in der Molaren-, die andere in 
der Schneidezahngegend, beide also gar nicht weit ab von, der Wurzel- 
spitzenregion der betreffenden Zähne. Während wir zur Anästhesie der 
vorderen Alveolarnerven noch die perkutane Methode zur Verfügung haben, 
deren Einstich direkt über dem Foramen infraorbitale, also etwa 1/3 cm 
unterhalb des Margo infraorbitalis liegt und demgemäß von den Zähnen 
doch recht weit entfernt ist, müssen wir auf die Tuberanästhesie bereits 
verzichten, wenn ein entzündlicher Prozeß der Molarengegend auch nur 
etwas größere Dimensionen annimmt. Natürlich wird auch die perkutane 
Injektion in den Canalis infraorbitalis nur so lange möglich sein, als 
die Infiltration mindestens 10 mm weit vom Margo infraorbitalis entfernt 
bleibt. 


- Ähnlich ungünstig liegen die Verhältnisse auch am Gaumen, wo der 
Einstich an das Foramen palatinum posterius majus nur etwa 10—15 mm 
vom Zahnfleischrand des vorletzten Molaren gelegen ist; ganz das gleiche 
gilt für die Anästhesie des N. nasopalatinus. 


Während hingegen im Unterkiefer die Stelle, an welcher der Einstich 
für die Anästhesie des N. alveolaris inferior zu finden ist, nur in extremen 
Fällen von Infiltraten erreicht wird, tritt hier ein anderes Moment störend 
ein. Es ist dies die mit Entzündungen in der Molarengegend so oft ein- 
hergehende Kieferklemme, die entweder ein Eingehen mit der Injektions- 
spritze oder aber bei geringerem Grade doch oft eine Orientierung durch 
das Tasten unmöglicht macht. Nun kann zwar in vielen Fällen hier die 
perkutane Anästhesie des Unterkiefernerven einen vollwertigen Ersatz ab- 
geben. Doch kann auch diese Injektion dann kontraindiziert sein, wenn 


162 2: Harry Sicher. 


- Schwellungen der submaxillaren, hinteren Lymphdrüsen, die unterhalb des 
Kieferwinkels liegen, die lokale Entzündung komplizieren. 

Es gibt also genug Fälle, in denen man mit den gebräuchlichen 
Stammanästhesien nicht auskommt, wenn man nicht durch infiziertes Ge- 
biet durchstechen will, was meiner Meinung nach absolut kontraindiziert 
ist. In diesen Fällen hat man nun die Wahl zwischen allgemeiner Narkose 
oder einer Anästhesie, die den Trigeminusast weiter zentralwärts erreicht. 

Wenn wir nun auch besonders in dem Chloräthyl ein relativ un- 
gefährliches und leicht applizierbares Narkotikum haben, das für der- 
artige kurzdauernde Eingriffe ausgezeichnete Dienste leistet, so erfordert. 
die allgemeine Narkose doch die Anwesenheit eines geübten Narkotiseurs, 
ist also dadurch etwas umständlich. Zu mindestens ist daher für jene Fälle, 
in denen eine Assistenz nicht rechtzeitig aufzutreiben ist, eine Methode 
vonnöten, die den Operateur selbständig macht. Und daß natürlich über- 
dies die lokale Anästhesie auch einer kurzdauernden allgemeinen Narkose 
vorzuziehen ist, braucht ja nicht besonders erwähnt zu werden. Es .ist 
daher wohl begreiflich, daß eine Reihe von Autoren die Anästhesie am 
Stamme der Trigeminusäste auch für die Anwendung in der Zahnheil- 
kunde propagiert haben. Daß ich diese Frage nochmals behandle, hat aber 
seine Begründung in folgendem: Für die Anästhesie des II. Trigeminus- 
astes existieren drei Typen von Technizismen, von denen zumindest 
zwei noch jetzt vertreten werden. In der vorliegenden Besprechung will 
ich aber zu zeigen versuchen, daß nur einer der Wege mit Sicherheit 
gangbar ist. Für die Anästhesie des III. Astes dagegen möchte ich eine 
neue Modifikation der Technik angeben, die meiner Meinung nach die 
Schwierigkeiten der Injektion ganz wesentlich verringert. 

Wir beginnen daher zunächst die Besprechung der Anästhesie des 
II. Trigeminusastes an seiner Austrittsstelle aus der Schädelhöhle,, das 
ist also am Foramen rotundum in der Fossa pterygopalatina. 

Die Flügelgaumengrube, die Verteilungsstelle des II. Trigeminus- 
astes und des Endteiles der Arteria maxillaris interna, liegt in der Tiefe 
des Schädelskeletts zwischen Vorderfläche des Processus pterygoideus des 
Keilbeins und Hinterfläche der Maxilla, dem Tuber maxillare. Sie ist 
nach innen gegen den hintersten Abschnitt der Nasenhöhle geschlossen durelr 
die vertikale Lamelle des Os palatinum, nach außen öffnet sie sich durch 
einen zwischen Processus pterygoideus und Tuber maxillare gelegenen 
länglichen Spalt — Hiatus sphenomaxillaris — gegen die Fossa infra- 
temporalis. Die Fossa pterygopalatina selbst stellt einen engen länglichen 
Raum vor, der oben erweitert ist, unten jedoch, sich allmählich ver- 
schmälernd, in den Canalis pterygopalatinus übergeht, der in die Mund- 
höhle führt. Durch den Canalis rotundus — fälschlich, wie ähnliches auch 


Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 163 


an anderen Stellen geschieht, als „Foramen“ bezeichnet — gelangt in die 
Flügelgaumengrube der II. Ast des Trigeminus, Ramus maxillaris. Er zer- 
fällt hier in seine Äste, die zum Teil über das Ganglion sphenopalatinum, 
das hier seiner Innenseite angelagert ist, weiter ziehen. Das Ganglion 
selbst erhält hier außer den vom Trigeminus kommenden sensiblen Fasern 


Fig. 1. 





Fossa pterygopalatina durch Fortnahme des Jochbeines eröffnet. 


C. pip. = Canalis pterygopalatinus (rondiert). 

F'. o. = Foramen opticum. 

F. r. = Sonde im Foramen (Canalis) rotundum. 
F. sph. = Foramen ephenopalatinum. 


der Nervi sphenopalatini noch motorische und sympathische Wurzeln, die 
ihm der Nervus pterygoideus Vidii zuleitet; dieser betritt die Fossa pterygo- 
palatina durch die vordere Öffnung des gleichnamigen Kanals, die innen 
und unterhalb der Öffnung des Canalis rotundus gelegen ist. Die Haupt- 
äste des R. maxillaris sind die folgenden: 


164 Harry Sicher. 


1. Nervi nasales posteriores laterales et septi, die durch das Foramen 
sphenopalatinum, im obersten Anteil des Os palatinum gelegen, die Nasen- 
höhle betreten. Einer von ihnen läuft als Nervus nasopalatinus Scarpae 
bis zum Canalis incisivus nach vorne und unten, durch den er in die 
Mundhöhle eintritt. 


2. Nervi palatini (descendentes), die durch den Canalis Sense: 
palatinus abwärts verlaufen, der in die Mundhöhle durch das Foramen 
palatinum majus und 2—3 Foramina minora ausmündet. 


3. Der Nervus infraorbitalis, der in seinem Verlaufe alle oberen 
Zahnnerven abgibt, verläßt die Fossa pterygopalatina durch die Fissura 
orbitalis inferior dort, wo sie den Hiatus sphenomaxillaris erreicht, legt 
eich auf den oberen Rand des Tuber maxillae und verläuft von hier am 
Orbitalboden weiter vorwärts. 


Die Arteria maxillaris interna betritt durch den Hiatus spheno- 
maxillaris die Fossa pterygopalatina, aus der Fossa infratemporalis 
kommend, und zwar in nächster Nähe des N. infraorbitalis, also im obersten 
Anteil derselben. Ihre wichtigsten Endäste Aa. nasales posteriores, A. pala- 
tina descendens und A. infraorbitalis folgen den gleichnamigen Nerven. 


Aus dieser kurzen Beschreibung des Nerven- und Gefäßverlaufes 
lassen sich am besten und übersichtlichsten die Kommunikationen der 
Fossa pterygopalatina mit den anderen Gruben und Höhlen des Schädels 
ableiten. Daraus ergibt sich auch bereits die Zugänglichkeit der Flügel- 
gaumengrube behufs Anästhesie des darin gelegenen Nervenstammes. 


Diese ist eine dreifache. Von der Mundhöhle aus kann man längs 
des Tuber maxillare, nach oben und innen vordringend, durch den Hiatus 
sphenomaxillaris die Fossa pterygopalatina erreichen. Vom Gesichte aus 
führt der eine Weg längs des Orbitalbodens durch die Fissura orbitalis 
inferior, der zweite von der Wange aus längs des Tuber maxillae und 
durch den Hiatus sphenomaxillaris zum II. Trigeminusast. Alle drei Wege 
werden auch jetzt noch zur Ausführung der Anästhesie am Ramus maxil- 
laris trigemini angegeben. 

Die intraorale Methode hat zwei Nachteile, die ihre praktische An- 
wendung verbieten. Zunächst liegt der Einstichpunkt im hintersten, 
ganz unzugänglichen Gebiet des Vestibulum oris und ist daher: noch viel 
weniger keimfrei zu machen als irgend eine andere offen zugängliche Stelle 
der Mundhöhlenschleimhaut. Dabei führt aber gerade hier der Weg der 
Nadel bis an diè Schädelbasis, von wo durch Foramen rotundum: und 
Fissura orbitalis superior der Weg an die Dura mater encephali offen 
steht. Also gerade hier kann eine Infektion des Stichkanales von den 
ernstesten Folgen begleitet sein. 


Zur Anatomie und Technik des Injektion etc. 165 


Abgesehen davon aber ist ein Vordringen um die Konvexität des 
Tuber maxillae bis in den Hiatus sphenomaxillaris nur durchführbar, wenn 
man zur Injektion eine gebogene Nadel verwendet. Von der Anwendung 
solcher Nadeln aber kann nicht eindringlich genug abgeraten werden. 
Auch eine leichte Krümmung verhindert nämlich bereits das sichere Tasten 
in der Tiefe, also gerade jene Handlung, auf deren Durchführung meiner 
Meinung nach eine exakte Tiefeninjektion überhaupt fundiert sein muß. 
Bei der Führung einer gebogenen Nadel in die Tiefe ist erfahrungsgemäß 
ein Abweichen der Spitze ein unkontrollierbares Ereignis, das natürlich 
die Injektion außerordentlich erschwert oder sogar unmöglich macht. Alle 
Bewegungen, die beim Vorwärtsgleiten längs eines rauhen Knochens schon 
bei einer geraden, starren Nadel nicht leicht sind, sind mit einer gebogenen . 
Nadel ungleich schwieriger. Ich bin daher mit anderen Autoren einer 
Meinung, die die intraorale Injektion an den II. Trigeminuseast verwerfen. 

Die zweite Methode, die den Weg durch die Orbita und die Fissura 
orbitalis inferior wählt, wurde nach einer Anregung von Payr vor allem 
von Härtel ausgearbeitet und empfohlen. Die späteren Autoren haben 
meistens deshalb andere Wege eingeschlagen, weil sie den unangenehmen 
psychischen Einfluß auf den Patienten vermeiden wollen, den ein Einstich 
in die Augenhöhle hervorruft. Dabei aber betonen einzelne, daß gerade 
dieser Weg eigentlich der ideale wäre. Dieser Meinung nun kann ich mich 
durchaus nicht anschließen und muß aus rein: anatomischen Gründen von 
der transorbitalen Methode auf das entschiedenste abraten. 

Betrachtet man die Orbita von vorne her, so daß die Blickrichtung 
mit der Orbitalachse zusammenfällt, so sieht man im Hintergrunde die 
beiden Augenhöhlenspalten, Fissura orbitalis superior und inferior, die 
nach medial konvergent eingestellt sind und medial nur durch eine schmale 
Knochenspange des großen Keilbeinflügels voneinander getrennt sind. 
Über dem inneren, verbreiterten Ende der Fissura orbitalis superior, von 
ihm auch nur durch eine wenige Millimeter breite Knochenbrücke getrennt, 
mündet der Canalis opticus in die Orbita. | 

Die Fissura orbitalis inferior ist nun in sehr variabler Weise aus- 
gebildet; es richtet sich ihre Gestalt scheinbar nach der wechselnden Aus- 
bildung der Maxilla, die wiederum zweifellos von der Größenentwicklung 
des Sinus maxillaris abhängig ist. Bei großem Sinus und daher mächtig 
vorgetriebenem Tuber maxillae rückt nämlich der stumpfe Rand, der das 
Tuber von der orbitalen Fläche des Kieferkörpers trennt, höher hinauf. 
Er kann in das Niveau der Crista infraorbitalis gelangen, ja sogar höher 
zu liegen kommen als diese Leiste. Die Crista infraorbitalis ist jene 
Knochenleiste, die am großen Keilbeinflügel die der Orbita zugekehrte 
Facies orbitalis von jener trennt, die die hintere Wand der Fossa pterygo- 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie, 16 


166° Harry Sicher. 


palatina bildet und nach Spee den Namen Facies sphenomaxillaris 
führt. Crista infraorbitalis und oberer Rand des Tuber maxillae begrenzen 
aber die Fissura orbitalis inferior. Diese Spalte wird demgemäß weiter 
oder enger sein, je nachdem der obere Rand des Tuber tiefer oder höher 
gelegen ist. Liegt er tief, tiefer als die Crista infraorbitalis, dann be- 
kommt man bei der Ansicht von vorne auch einen mehr minder großen 
Anteil der unter der Crista infratemporalis gelegenen Facies sphenomaxil- 


Fig. 2. Fig. 3. 





Orbita von vorne gesehen. Orbita von vorne. 
C. i. o. = Crista infraorbitalis. F. o. = Foramen opticum. 
F. o. = Foramen opticum. F. o. i. = Fissura orbitalis inferior. 
F. o.i. = Fissura orbitalis inferior. F. o. s. = Fissura orbitalis superior. 
F. o. $s. = Fissura orbitalis superior. 
F. r. = Foramen rotundum. 
F. sph. = Facies sphenomaxillaris des 


großen Keilbeinflügels. 


laris zu Gesicht und damit die auf derselben Fläche gelegene vordere 
Mündung des Canalis rotundus (Fig.2); je weiter aber der obere Rand 
des Tuber nach oben rückt, desto kleiner wird das von vorne sichtbare 
Feld der Facies sphenomaxillaris des Keilbeins, und bei einer bestimmten 
Höhe verschwindet das Foramen rotundum aus dem Gesichtsfeld (Fig. 3). 
Schon Härtel war dieses Verhalten aufgefallen und er sagt, daß in 
11% der Fälle das Foramen rotundum wegen großer Enge der Fissura 
orbitalis inferior durch die Orbita nicht zu erreichen ist. Merkwürdiger- 
weise hat er aber daraus keine Konsequenzen gezogen. 





Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 167 


Meine eigenen Untersuchungen an 100 Schädeln des Wiener ana- 
tomischen Museums, von denen etwas mehr als die Hälfte aus Niederöster- 
reich, die anderen aus Böhmen, Galizien, Polen und Rußland stammten, 
‘ergaben aber überraschender Weise ein von Härtel völlig abweichendes 
Resultat. Hier lag nämlich in 60 Fällen (= 60%) die vordere Mündung 
des Canalis rotundus unterhalb des Orbitalbodens, war also durch 
die Orbita von vorne her nicht zu sehen, in 25 Fällen lag sie gerade im 
Niveau des Orbitalbodens, in nur 11 Fällen über diesem.. 4 Schädel zeigten 
ein asymmetrisches Verhalten, indem auf der einen Seite das Foramen 
über, auf der anderen unter dem Orbitalboden lag. Wie die Differenz in 
Härtels und meinen Resultaten zu erklären ist, kann ich nicht angeben. 
Vielleicht spielen hier Rassenunterschiede eine Rolle. 

Wir müssen uns jetzt überlegen, wohin die längs des Orbitalbodens 
nach hinten geführte Nadel gleitet, wenn das Foramen rotundum unter 
dem Niveau des Orbitalbodens liegt. Es ist ohne weiteres klar, daß die 
Richtung der Nadel dann gegen das erweiterte innere Ende der Fissura 
orbitalis superior weist, das ja nur durch eine 2—3 mm dicke Knochen- 
spange von der vorderen Mündung des Canalis rotundus getrennt ist. 
Dann aber kommen nicht nur die Augenmuskelnerven in Gefahr, die hier 
durchtreten, sondern, was viel wichtiger ist, die Nadel folgt dann dem 
Verlaufe der Vena ophthalmica superior durch die Fissura orbitalis superior 
gegen den Sinus cavernosus, in welchen sich die Vene ergießt. Im Sinus 
cavernosus selbst aber liegt die Arteria carotis interna. 

Mir erscheinen daher die Gefahren bei der Vornahme der trans- 
orbitalen Leitungsanästhesie des II. Trigeminusastes wegen der Varietäten 
der Fissura orbitalis inferior so große zu sein, daß ich nicht anstehe, 
diesen Weg für ungangbar zu erklären. 

Es bleibt daher nur der dritte Weg, der von der Wange aus über 
das Tuber maxillare durch den Hiatus sphenomaxillaris in die Fossa 
pterygopalatina führt. 

Im allgemeinen liegt hier der Einstichspunkt unterhalb der vorderen 
Partie des Jochbogens. Nach Braun (Matas) in dem Winkel zwischen 
unterem Jochbogenrand und Maxilla’ (Crista zygomaticoalveolaris), nach 
Kantorowicz gerade unterhalb jenes Winkels, der am oberen 
Jochbogenrand zwischen Processus temporalis und sephenofrontalis des 
Jochbeins immer deutlich gefühlt werden kann. Der erste Einstichpunkt, 
der am weitesten vorne gelegen ist, hat den Nachteil, daß bei etwas 
stärker vorgewölbtem Tuber maxillare die Nadel weit hinter dem Hiatus 
sphenomaxillaris auf die laterale Fläche des Processus pterygoideus auf- 
trifft. Die zweite angegebene Technik dagegen läßt die Nadel in fast 
querer Richtung in die Fossa pterygopalatina eindringen. Das hat nun 


16* 


168 Harry Sicher. 


eine Gefahr, die ja gewiß selten realisiert werden dürfte, aber doch zu 
bedenken ist. Es kann nämlich dann die Nadel, die ja in leicht nach oben 
geneigter Richtung eingestochen wird, an der inneren Wand der Grube 
das Foramen sphenopalatinum treffen und gelangt dann in die Nasen- 
höhle; dies wäre vor allem deswegen zu fürchten, weil dadurch beim 


Fig. 4. 





Einstich in die Fossa pterygopalatina. 


H. sm. = Hiatus sphenomaxillaris. R. = Projektionslinie nach Rattel, deren 
K. = Projektionslinie nach Kanto- Fußpunkt in diesem Falle mit dem 
rowicz. Einstichpunkt nach Braun zusam- 
P. sf. = Processus sphenofrontalis des menfällt. 
Jochbeins. + = Einstichpunkt nach meiner Modifi- 
P.t. = Processus temporalis des Jochbeins. kation. 


Zurückziehen der Nadel der Stichkanal durch die auf der Nasenschleimhaut 
wachsenden Bakterien infiziert werden könnte, ganz abgesehen davon, daß 
natürlich die Injektion wirkungslos bleibt, ein Umstand, auf den ich bereits 
anläßlich eines Referates und später Rattel hingewiesen hat. Einen 
Mittelweg und meiner Meinung nach den relativ besten schlägt daher 


Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 169 


Rattel ein. Er zieht die vertikale Tangente an den äußeren Orbital: 
rand und sticht an der Kreuzungsstelle dieser Vertikalen mit dem unteren 
Jochbogenrand die Nadel ein. Gewöhnlich liegt nun zwar dieser Punkt 
zwischen den von Braun und Kantorowicz angegebenen Einstich- 
stellen. Manchmal fällt er aber mit dem B ra un schen zusammen (Fig. 4): 

Ich glaube nun, daß man am allerbesten den Einstichpunkt derart 
wählt, daß man sich die Punkte von Braun und Kantorowicz 
bestimmt und dann gerade in der Mitte zwischen beiden einsticht. Man 
tastet also einerseits den Winkel zwischen Jochbein und Maxilla, andrer- 
seits den Winkel am oberen Jochbeinrand zwischen seinem horizontalen 
und vertikalen Fortsatz und bestimmt dessen Projektion auf den unteren 
Jochbogenrand.: Gerade in der Mitte zwischen beiden Punkten wird die 
Nadel eingestochen und nach innen und etwas nach hinten und oben ge 
führt. Sie trifft in etwa 3—4Acm Tiefe auf die Hinterwand der Maxilla, 
auf das Tuber maxillare. Hier entleert man zweckmäßig einige Tropfen 
der Injektionsflüssigkeit, um das Vordringen längs des Knochens schmerz- 
los zu bewerkstelligen. Nun tastet man sich längs des Tuber weiter, ver- 
liert bald den Kontakt mit dem Knochen und gleitet in 5—6cm Tiefe 
in die Fossa pterygopalatina. Dies erkennt man vor allem aus den jetzt 
auftretenden ausstrahlenden Parästhesien, die sich auf den Gaumen be- 
schränken, wenn die Nadel etwa in die Mitte der Grube auftrifft, die aber 
Zähne und Lippe und Wange betreffen, wenn der obere Anteil der Flügel- 
gaumengrube erreicht wird. Dies hängt von dem Neigungswinkel der 
Nadel zur Horizontalen ab. 

Ist jedoch das Tuber maxillae besonders kräftig ausgebildet, dan 
wird: auch bei dieser Methode die Möglichkeit bestehen, daß die Nadel 
hinter den Hiatus sphenomaxillarie abgelenkt wird und nun die laterale 
Lamelle des Processus pterygoideus trifft. Dies ist erstens aus dem Aus- 
bleiben der Parästhesien zu erkennen und zweitens aus dem Umstand, daß 
die Nadel, statt in der engen Grube fixiert zu sein, leicht längs der glatten 
Knochenfläche nach hinten abgleiten kann (Rattel). Dann muß die 
Nadel etwas zurückgezogen und in mehr nach vorne gewendeter Richtung 
wieder vorgeschoben werden, bis sie deutlich fühlbar in die Fossa fällt. 

Gerade von der Stelle, an welcher die Nadel die Fossa pterygopalatina 
trifft, und zwar ist es bei der geschilderten Methode zumeist die Hinter- 
wand, hängt es ab, wie lange die Wartezeit zu bemessen ist, bis die 
volle Anästhesie eintritt. Je höher diese Stelle gelegen ist, desto näher 
kommt man nämlich dem Foramen rotundum selbst und damit dem eigent- 
lichen Nervenstamm, desto rascher tritt also die Anästhesie ein. Desto 
eher aber tritt auch eine Diffusion durch die Fissura orbitalis superior 
oder inferior in die Orbita ein; dies hat zwar bei der Anästhesie gar 


170 Harry Bicher. 


keine bleibenden Folgen, nur kommt es zu rasch vorübergehenden Läh- 
mungen von Augenmuskelnerven, die sich in Anfällen von Doppeltsehen 
&ußern. Auf diese Möglichkeit und ihre Harmlosigkeit soll man den Pa- 
tienten unbedingt vor der Injektion aufmerksam machen. Ich siehe es 
daher vor, die Neigung der Nadel über die Horizontale nur sehr gering 
zu nehmen. Die in die Fossa pterygopalatina injizierte Flüssigkeit muß 
dann zwar etwas größer dosiert werden — 3—4cm* — und die Warte- 
seit etwas erhöht werden (bis 15 Minuten), doch treten die genannten, 
zwar harmlosen, aber doch störenden Nebenwirkungen fast niemals auf. 
Das anästhesierte Gebiet umfaßt den gesamten Oberkiefer 
-— Zähne, Knochen, Schleimhaut — und an der äußeren Haut Oberlippe, 
Wange bis zu einer Linie vom Mundwinkel bis zum äußeren Augenwinkel, 
seitliche Nasenwand und unteres Augenlid.. Dazu kommt überdies der 
hintere Anteil der Nase und ein Teil des vorderen Schläfengebietes. 
Nur ein Umstand ist noch zu berücksichtigen, daß nämlich die Alveolar- 
nerven die Mittellinie mit einigen Fasern überkreuzen und daher oft der 
I. Schneidezahn nicht völlig anästhetisch ist. Dies läßt sich aber durch 
die Injektion weniger Tropfen des Anästhetikums neben das Frenulum 
labii euperioris — gleichgültig auf welcher Seite — leicht korrigieren. 

Die ganze Injektionstechnik ist, genauere anatomische Vorstudien 
vorausgesetzt, äußerst einfach. Besonders sollen am Skelett Tastversuche 
mit der Nadel zuerst unter Leitung des Auges, dann blind gemacht werden. 
Sie ist überdies völlig ungefährlich, absolut steriles Arbeiten aller- 
dings eine Conditio sine qua non. 

Die Injektion an das Foramen ovale ist meiner Meinung nach auch 
ohne besondere Schwierigkeiten durchführbar und eigentlich noch unbe- 
denklicher, da hier Einwirkungen auf die Orbita natürlich nicht in Frage 
kommen. 

‚Während die einen Autoren auch hier das Abtasten des Knochens 
in der Tiefe als das wichtigste Orientierungsmittel für die Aufsuchung 
des Foramen ovale, damit also des Stammes des Ramus mandibularis 
trigeminus halten, ist von anderer Seite hier, wie vielleicht nirgends andere 
in solchem Maße, die Methode des direkten Einstiches ausgebildet worden. 
Diese Methode geht derart vor, daß von einem genau bestimmten Einstich- 
punkt aus in genau bestimmter Richtung die Nadel in eine genau bestimmte 
Tiefe eingestochen wird und dann ihre Spitze dem Nervenstamm anliegen 
soll. Ich habe mich schon öfters gegen derartige Methoden ausgesprochen. 
In diesem speziellen Falle habe ich z. B. nachgewiesen, daß von. zwei 
Orientierungsgrößen, die Cieszyński angab, die eine immer falsch ist, 
die andere immer nur annähernde Resultate gibt. Damit ist klar 
gesagt, wie solche Methoden beurteilt werden müssen. Die Berechnungen 


Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 171 


ż. B. der Tiefe des Einstiches geben oft ganz gut brauchbare Orientierungs- 
maße, wenn man sich dessen bewußt ist, daß sie nur 
Näherungswertesind. Mit ihrer Hilfe kann dann die Operation er- 
leiehtert werden, zu Ende geführt werden muß sie aber immer unter Ab- 
tasten der tiefen Knochenpunkte. Nur so kann man von einer Methode 
sicheres (Gelingen erwarten. 

Gerade wenn man das Tasten des Knochens in den Vordergrund 
stellt, ist das Foramen ovale sehr günstig gelegen, da es sich unmittelbar 
an einen sehr markanten Skeletteil anschließt. Es liegt nämlich hart hinter 
der Wurzel der lateralen Lamelle des Processus pterygoideus. Gelingt 
es. uns, den Processus. pterygoideus dort zu erreichen, wo er sich von 
der Unterfläche des großen Keilbeinflügels abhebt, so brauchen wir nur 
dieser Ansatzlinie nach hinten zu folgen, um an ihrem Ende das Foramen 
ovale zu erreichen. Dabei ist die Entfernung der lateralen Lamelle des 
Flügelfortsatzes von der Haut gleich der des Foramen ovale. 

Diese Entfernung läßt sich annähernd recht gut bestimmen. Und 
dieses Maß läßt sich wieder deshalb ganz gut verwerten, weil es uns 
davor bewahrt, bei falscher Richtung am Processus pterygoideus vorbei 
beliebig weit in die Tiefe zu stechen, wodurch vor allem Tube und Pharynx, 
eventuell auch Carotis interna in Gefahr kommen könnte. Stoßen wir 
nämlich in einer Tiefe, die etwa 5 mm das berechnete Maß übertrifft, 
noth nicht auf Knochen, dann wissen wir, daß die Nadelrichtung falsch ist. 

Die Berechnung dieser Entfernung geschieht am korrektesten nach 
der Angabe von Offerhaus. Dieser fand nämlich, daß die Entfernung 
der hinteren Enden der oberen Alveolarforteätze gleich ist der Ent- 
fernung der Foramina ovalia voneinander. Dies erklärt sich anatomisch 
aus:der Tatsache, daß die fast rein vertikal gestellten Processus pterygoidei 
arí ihrem unteren Ende durch den Processus pyramidalis des Gaumenbeines 
mit dem hinteren Alveolarfortsatzende verbunden sind, während an ihrem 
oberen Ende das Foramen ovale zu finden ist. Bestimmt man nun die 
Schädelbreite in der Ebene des Foramen ovale, subtrahiert davon die 
Entfernung der Alveolarfortsätze und halbiert die gefundene Größe, dann 
hat man die Entfernung des Foramen ovale von der Seitenfläche des 
 Gösichtes gefunden. Wir brauchen dazu nur noch die Kenntnis von der 
Froöntalebene,:- in der das Foramen ovale gelegen ist, genauer dessen 
Sagittalprojektion *?) auf die Haut. Es läßt sich am Schädelskelett nun 
leicht nachweisen, daß das Foramen ovale in der Ebene des vorderen Ah- 
hanges des Tuberculum articulare, also annähernd in einer Frontalebene 
gelegen ist, die man vor dem Kiefergelenk durch den Schädel legt. 





3) Sagittalprojektion nennt man die Projektion eines Punktes auf eine 
Sagitfalebene; durch sie iet die Frontalebene des Punktes bestimmt. 


172 Harry Sicher. 


Während wir nach dem oben Gesagten die Methoden des direkten 
Einstichese — Offerhaus, Härtel, Cieszyński — außer ächt 
lassen, wollen wir die Methode Brauns erwähnen, der auch dem: Ab- 
tasten des Knochens die führende Rolle zuerkennt. Braun sticht in der 
Mitte des Jochbogens unterhalb desselben ein und trifft, wenn er die Nadel 
frontal vorschiebt, in einer Tiefe von ca. 4—5 cm auf die laterale Lamelle 
des Processus pterygoideus. Die Nadel trägt eine verschiebliche Kork- 
marke, durch die die Einstichtiefe nach Erreichen des Flügelfortsatzes 
fixiert wird. Nun wird die Nadel bis in die Subeutis zurückgezogen und 
in leicht rückwärts gewendeter Richtung erneut auf dieselbe Tiefe vor- 
gestoßen. Dann liegt die Nadelspitze hinter dem Processus pterygoideus 
und somit hart am Foramen ovale. Diese Methode hat einen nicht zu 
unterschätzenden Nachteil. Während man zwar die Tiefe durch das Tasten 
des Flügelfortsatzes bestimmt hat, ist es nunmehr dem „Gefühl“ über- 
lassen, wie groß man den Winkel nimmt, welchen beim zweiten Vordringen 
die Nadel mit der Frontalen einschließt. Ist er zu klein, dann kommt 
man wieder auf den Processus pterygoideus, ist er zu groß, dann sticht 
man hinter dem Foramen ovale vorbei. Ich glaube nun, daß meine sofort 
zu beschreibende Modifikation dieses Verfahrens, die eigentlich eine Art 
Umkehr desselben darstellt, diesen Fehler vermeidet. Diese Modifikation 
geht auf folgendes Verfahren zurück, das eigentlich die korrekteste Art 
der Aufsuchung des Foramen ovale darstellen würde, in praxi aber nur 
schwer durchführbar ist. 

Sticht man eine Nadel vor dem Kiefergelenk — genauer vor dem 
Tuberculum artieulare — ein und führt sie etwas nach vorne und oben, 
so gleitet sie längs des Planum infratemporale nach innen, bis sie auf 
die Wurzel des Processus pterygoideus aufstößt. Man tastet sich nun an 
diesem Knochen langsam nach hinten, indem man die Nadel immer wieder 
etwas zurückzieht und in nach hinten gewendeter Richtung wieder einsticht. 
Verliert man endlich den Kontakt mit dem Knochen bei erneutem Ein- 
stechen der Nadel, dann liegt ihre Spitze bereits am Foramen ovale, also 
am Stamm des III. Trigeminusastes. Sie steht dabei rein frontal. Diese 
Methode ist deshalb schwierig, weil in der Tiefe die Verschiebungen der 
Nadel auf ziemlichen Widerstand stoßen. Man kann daher zweckmäßig 
das Verfahren folgendermaßen abkürzen: Man tastet sich das Tubereulum 
articulare, was leicht möglich ist, wenn man dabei die Verschiebung des 
Unterkieferköpfehens beim Öffnen des Mundes zu Hilfe nimmt, wobei os 
ja, wie bekannt, aus der Fossa articularis auf das Tuberculum articulare 
rutscht. Nun sticht man knapp vor dem Tuberculum ein und richtet die 
Nadel etwas nach oben und vorne. Sie trifft dann in einer Tiefe von etwa 
3cm auf die glatte Fläche des Planum infratemporale, längs welcher sie 


Zur Anatomie und Technik. der Injektion etc, 173 


weitergleitet, um in einer Tiefe von 4—5 cm auf die Wurzel des Processus 
pterygoideus aufzustoßen. Diese Tiefe markiert man sich an der Nadel. 


Fig. 5. 













LT fl 





FA 


I\\ 
\ 


\1, 8 AN \\ à eT z } 





\ 
\ 


Einstich in das Foramen ovale, 


s F. it. = Facies infratemporalis. P. l. = Lamina lateralis des Pro- 
F. ov. = Foramen ovale. cersus pterygoideus. 
H. p. = Hamulus pterygoideus. T. a. = Tuberculum articulare. 


Nun zieht man die Nadel bis in die Subcutis. zurück und schiebt sie noch- 
mals in rein frontaler Richtung vor. Sie gleitet wieder längs des Planum 
infratemporale nach innen und liegt mit ihrer Spitze in derselben Tiefe 


174 Harry Sicher. Zur Anatomie und Technik der Injektion etc. 


wie vorher am Foramen ovale, also am Stamm des Nervus mandibularis, 
was sich meist durch die in Unterkiefer oder Zunge ausstrahlenden Par- 
ästhesien kundgibt. 


Der Vorteil dieser Methode ist der, daß der Winkel, in dem die 
Nadel zuerst abweichend von der Frontalen eingestochen wird, nicht von 
bestimmter Größe sein muß. Dieser erste Einstich dient ja nur dazu, um 
die Entfernung des Processus pterygoideus und damit des Foramen ovale 
von der Haut zu fixieren. Die Richtung, in der die Nadel beim zweiten 
Vordringen liegen muß, ist aber durch die Frontalebene genau bestimmt. 
Die Differenz in der Entfernung von der Haut bis zum Processus ptery- 
goideus einerseits, bis zum Foramen ovale andrerseits, die durch die an- 
fänglich schräge Richtung der Nadel bedingt ist, ist so gering, daß sie 
nicht in Frage kommt. 


Ich glaube, daß es mit dieser Methode leichter und einfacher gelingt, 
das Foramen ovale zu erreichen als mit den früheren. 


Das anästhetische Gebiet umfaßt die betreffende Hälfte des Unter- 
kiefers (mit Ausnahme der der Medianebene benachbarten Gebiete wegen 
der erwähnten Anastomosen), die eine Zungenhälfte vor den Papillae 
vallatae, die Wange und den größten Teil der Schläfenhaut. 


Für beide Arten der Injektion an den II. und III. Trigeminusast wird 
am besten eine 8cm lange, 1 mm starke Nadel und eine 5 cm? fassende 
Rekordspritze verwendet; auch eine 2 cm? fassende Spritze ist ausreichend, 
da sie ja, wenn nötig, zweimal gefüllt werden kann. Die Lösung ist am 
besten die 2%ige Novokainsuprareninlösung, aus den bekannten Tabletten 
hergestellt. In beiden Fällen ist das Einstichgebiet an der Haut zuerst 
mit Hilfe einer feinen Subcutannadel zu anästhesieren. 


Beide Methoden sind natürlich zunächst nur für jene Fälle gedacht, 
in denen eine der üblichen Leitungsanästhesien kontraindiziert ist. Ge- 
rade die erstere aber wird sich auch bei Eingriffen empfehlen, die den 
ganzen Öberkiefer betreffen, da ja bekanntlich die Anästhesie eines Ober- 
kiefers, abweichend vom Unterkiefer, mindestens vier Einstichpunkte er- 
fordert, nämlich zur Anästhesie der vorderen und hinteren Alveolarnerven 
sowie der vorderen und hinteren Gaumennerven. Die Injektion an den 
Stamm des II. Trigeminusastes vereinfacht diese Anästhesie also ganz be- 
deutend. Nochmals sei betont, daß beide Methoden, steriles Arbeiten 
vorausgesetzt, gänzlich ungefährlich sind. 


Winke für die Praxis. 175 


Winke für die Praxis. 





Zur Verankerung von Amalgamkonturfüllungen. 
Von Dr Alfred Borschke, Zahnarzt in Wien. 
(Mit 1 Figur.) 

Wenn in einem Prämolaren bereits eine Amalgamkonturfüllung 
(nach Black) liegt und der Zahn erkrankt im gegenüberliegenden 
Zwischenraum, so macht es einige Schwierigkeit, für die neue Kontur- 
füllung eine genügende Verankerung zu finden, ohne die alte zu sehr zu 
schwächen. Wenn der ohnehin nicht sehr breite Kauflächenanteil zur Ver- 
ankerung. der beiden Füllungen in zwei gleiche Teile geteilt wird, so ist 
die Gefahr, daß die Stelle des geringsten Widerstandes unter der Kraft 
des Kaudruckes versagt, eine recht große. 

Die Stelle des geringsten Widerstandes liegt in der Verlängerung der 
axialen Wand der Kavität, in der Figur, die einen durch beide Kontakt- 


Fig 1. 





punkte verlaufenden Längsschnitt durch den Zahn darstellt, in der Ver- 
längerung der durch die beiden Pfeile markierten Richtung. 

Es wäre nun unsere Aufgabe, den uns zur Verfügung stehenden Raum 
so zu teilen, daß die Stellen des geringsten Widerstandes möglichst kräftig 
bleiben. Dies kann dadurch erreicht werden, daß die zweite Füllung stufen- 
förmig verlaufend in die erste gelegt wird, so wie eg z.B. durch die von 
A nach B verlaufende Linie in der Figur angedeutet ist. In der nicht 
abgebildeten Daraufsicht würde die neu gelegte Füllung bei B eine 
schwalbenschwanzförmige Verbreiterung aufweisen, die den Kauflächen- 
anteil der alten Füllung größtenteils deckt, so daß der Kaudruck haupt- 
sächlich von der neuen Füllung übernommen wird. Es ist anzunehmen, 
daß die Verankerung der alten Füllung, der noch eine schwalbenschwana- 
förmige Verbreiterung bei A geblieben ist, und die an der Stelle des ge- 


176 Referate und. Bücherbesprechungen. 


ringsten Widerstandes nur wenig geschwächt wurde, dem verminderten 
Kaudrucke standhalten wird. 

Ist aus irgend einem Grunde ein Zweifel vorhanden, daß die Ver- 
ankerung der alten Füllung genügen wird, so kann man den ganzen Kau- 
flächenanteil durch die neue Füllung in Anspruch nehmen, so wie es in 
der Figur die Linie CD andeutet. Es bleibt also von der alten Füllung 
nur der approximale Teil mit dem Kontaktpunkt stehen, der gar keinen 
Kaudruck auszuhalten hat und für dessen Verankerung eine kleine Haft- 
rinne genügen dürfte. Sollte sich dieser Rest der ersten Füllung, noch 
bevor die zweite gelegt wird, lockern oder einem prüfenden Drucke, der 
nicht allzu stark sein muß, nachgeben, so bleibt natürlich nichts anderes 
über, als die ganze mesio-disto-okklusale Kavität in einem zu füllen. 

Bei jugendlichen Individuen, die sehr zu Karies neigen, ist es zweck- 
mäßig, eine einseitige approximale Kavität, wenn im Laufe der nächsten 
Jahre die Erkrankung der anderen Seite desselben Zahnes zu erwarten ist, 
zunächst mit Guttapercha zu füllen und erst zu dem späteren Termin die 
mesio-disto-okklusale Füllung zu legen, deren einwandfreie Verankerung 
über jedem Zweifel erhaben ist. 


Referate und Bücherbesprechungen. 





* Handbuch der Zahnersatzkunde mit Einschluß der Technik des Kiefer-, 
Gaumen- und Nasenersatzes. Von Hofrat Jul. Parreidt, prakt. Zahn- 
arzt in Leipzig. V. Auflage. Mit 367 Abbildungen. Leipzig, Verlag 
von Arthur Felix. 1918. Preis broschiert M 21,—, gebunden M 25,30. 


Bei dem Mangel an guten Lehrbüchern der zahnärztlichen Prothetik 
müssen wir dem verdienstvollen Verfasser dankbar sein dafür, daß er 
eich der Mühe unterzog, sein bekanntes Handbuch in neuer Auflage er- 
scheinen zu lassen. Seit dem Erscheinen der vorhergehenden (IV.) Auflage 
sind fast dreizehn Jahre vergangen und „die Zahnersatzkunst hat weiter 
rasche Fortschritte gemacht“. Leider kann man dem Buche nicht nach- 
sagen, daß es in der neuen Auflage mit diesen Fortschritten gleichen 
Schritt gehalten hätte. Wohl sind die 17 Abschnitte, in die das Buch 
zerfällt, ausgezeichnet gruppiert und bearbeitet, und wenn auch an jeden 
Abschnitt fast die verbessernde Hand angelegt wurde, so ist doch viel 
Altes, Unmodernes — das auch äußerlich (typographisch und textlich) 
als solches hätte gekennzeichnet werden müssen — geblieben, viel Neues 
nicht gebracht worden. Insbesondere die Darstellung der Brückentechnik 
hätte den neuzeitlichen Anschauungen und Fortschritten gemäß viel gründ- 
licher umgearbeitet werden sollen, als es tatsächlich geschehen ist. Trotz 
dieser und vieler anderer Mängel, zu denen auch der gehört, daß es an 
vielen Stellen sich nicht in Details einläßt, die es an anderen Stellen über- 
flüssigerweise bringt, wird das Buch mit großem Nutzen von in der Praxis 
stehenden Zahnärzten gelesen werden, denn es hat den großen Vorzug, 


Referate und Bücherbesprechungen. 177 


dal) es übersichtlich, umfassend und systematisch geschrieben ist, daß es 
für Zahnärzte von einem Zahnarzt geschrieben ist, nach folgenden 
Gesichtspunkten: „Die Zahnheilkunde besteht in der Hauptsache aus 
operativer und prothetischer Technik; beide gehen unmerklich ineinander 
über. Und die Prothesentechnik grenzt unmittelbar an die Chirurgie. Die 
Behandlung der Kieferbrüche, das Regulieren schiefstehender Zähne, der 
Gaumen- und Kieferersatz, das Einsetzen von Stiftzähnen, das Anfertigen 
von Kronen- und Brückenarbeiten, die Vorbehandlung des Mundes zum 
Einsetzen künstlicher Zähne sind Tätigkeiten, die kein Arzt ohne große 
Übung und Fertigkeit in den zahntechnischen Arbeiten und kein Techniker 
ohne medizinische Bildung, außer zum Nachteil des Patienten, besorgen 
kann.“ Steinschneider. 





Die chronische superfizielle Glossitis (Mölleri) — eine Reflexneurose. 
Von Dr. H. Christian Greve in München. M.m. W., 1919, Nr. 17. 


Die Möllersche Glossitis ist eine recht seltene Erkrankung der 
Zunge, die darin besteht, daß heftige brennende Schmerzen meistens an 
einem Zungenrande und an der Spitze bestehen, wodurch der Patient an 
der Nahrungsaufnahme und beim Sprechen infolge Scheuerns an den Zähnen 
oder an Ersatzzähnen behindert ist. Die Krankheit rechnete man bisher 
zu den Dermatosen und unterschied (Mikulicz-Kümmel) von dieser 
Krankheit die Glossodynia simplex, die eine unzweifelhafte Neurose ist. 
Während der objektive Befund hierbei „in der Regel‘ negativ ausfällt, 
findet man bei der Möllerschen Glossitis Exkoriationen. 

Greve kommt auf Grund der Analyse eines Krankheitsfalles und 
genauen Studiums der Literatur zu dem Schluß, daß das ursächliche Moment 
der sogenannten Möllerschen Glossitis (Gl. chronica superficialis, Glosso- 
dynia exfoliativa) nur in einer Neuralgie, und zwar einer Reflexneuralgie 
zu suchen sei. 

Das Studium der Literatur führt Greve auch dazu, anzunehmen, 
daß die Unterscheidung zwischen Glossodynia simplex als Neurose und 
Glossodynia exfoliativa als Erkrankung mit besonderer Lokalisation nicht 
aufrecht zu halten sei. Zwischen beiden Erscheinungen bestehen nur gra- 
duelle Unterschiede, beide gehören in das Gebiet der symptomatischen 
Neuralgien. 

Schließlich weist Greve darauf hin, daß die Behandlung unter 
diesen Voraussetzungen nicht eine lokale sein kann, sondern sich auf das 
Allgemeinleiden zu richten hat. Steinschneider. 





Vorschlag zur Regelung der Schulzahnpflege in Schweden. Herausgegeben 
von Zahnarzt Albin Lenhardtson. Deutsche Ausgabe besorgt von 
Dr. Erich Schmidtf. Verlag-Hermann Meusser, Berlin. 


Die Untersuchungen an den Zähnen schwedischer Schulkinder haben 
ergeben, daß von 1500 Kindern nur ein einziges, ein siebenjähriger Knabe, 
alle Zähne völlig gesund hatte, daß ferner die Anzahl zahnärztlich be- 
handelter und gefüllter Zähne bei sämtlichen untersuchten Kindern nur 21, 
während die Anzahl gesunder Zähne 11.244, schadhafter 9935 und fehlender 
2807 betrug. Eine Übersicht über die geschichtliche Entwicklung der Schul- 
zahnpflege in verschiedenen Ländern weiß nach Lenhardtsons Zu- 


178 Aus Vereinen und Versammlungen. 


sammenstellung von Österreich bezeichnenderweise nur folgendes zu sagen: 
„In diesem Lande ist wenig für die Zahnpflege der Schulkinder getan. Ein 
interessanter Impuls ist gleichwohl gegeben durch die Einrichtung einer 
Zahnklinik im Lehrerseminar in Troppau, ein Vorbild, dem die übrigen 
Seminarien folgen werden.‘ 

Der „Entwurf zu Vorschriften betreffend Zahnpflege für die Schüler“ 
enthält nun folgende grundlegende Bestimmungen: Es sind Schulzahnärzte 
zu bestellen, die mindestens einmal im Jahr bei sämtlichen Schülern die 
Beschaffenheit der Zähne zu untersuchen haben, worüber vollständige 
Buchungen auf vorgeschriebenem Formular zu führen sind. (1.$1.) Den 
Schulzahnärzten obliegt eine Unterrichtstätigkeit, indem sie den Kindern 
Ratschläge, Aufklärungen und Vorschriften betreffs der richtigen Pflege 
der Zähne zu erteilen haben. (1.82.) Die bei den vorerwähnten Unter- 
suchungen angetroffenen Zahnschäden sind zahnärztlich zu behandeln. (I. 
83.) Für jeden Kreisschulinspektoratsdistrikt ist ein staatlich besoldeter 
Zahnpflegeinspektor anzustellen. (II.) Wenn sich der rechtliche Vertreter 
eines Schülers weigert, das Kind schulzahnärztlicher Behandlung zuzu- 
führen, ist er verpflichtet, dem Kinde auf eigene Kosten anderwärtige Zahn- 
pflege zu verschaffen. Die Lehrer haben sich davon zu überzeugen, daß 
jedes Kind eine Zahnbürste besitzt und sie richtig gebraucht. (III.) 

Schweden, das gemeinsam mit Norwegen seit langem auf einer großen 
Höhe der Hygiene-Gesetzgebung steht, würde sich durch die Annahme des 
vorstehend skizzierten Entwurfes vorbildlich betätigen. Der in III. invol- 
vierten Zahnpflege-P flicht müßte allerdings durch Strafbestimmungen 
Nachdruck verschafft werden. Wallisch jun. 


Aus Vereinen und Versammlungen. 





Verein Wiener Zahnärzte. 


Sitzung vom 21. November 1918. 


Vorsitzender: Prof. Dr.L.Fleischmann. 
Schriftführer: Dr. E.Bermann. 


Dr.P.Be rger demonstriert eine Brücke als kombinierte Fixations- 
schiene nach Rhein, verbunden mit Ersatz von fehlenden Zähnen. 

Dr.B.Gottlieb: Die Wurzelbehandlung mit besonderer Berück- 
sichtigung des Antiformins. Mit der Diskussion erschienen in der Österr. 
Zeitschr. f. Stomat., 1919, H.1. 


Sitzung vom 19. Dezember 1918. 


Vorsitzender: Prof. Dr.L. Fleischmann. 
Schriftführer: Dr. E.Bermann. 


Doz. Dr. A. Oppenheim: Demonstration von Modellen ortho- 
pädischer Fälle der Klasse II und Fehldiagnosen derselben. 
Aussprache. 


Dr.S.Hocht: Die Methode, den Unterkiefer bei Klasse II nach 
Angel in toto nach vorne bis zur richtigen, mesio-distalen Okklusion 


‚Aus Vereinen und Versammlungen. 179 


zu verschieben, die uns der Vortragende in so anschaulicher Weise soeben 
demonstriert hat, besitzt zweifellos in für dieselbe geeigneten Fällen ihre 
Vorteile. Allein die Zahl dieser Fälle ist nicht allzu groß. 

Anwendbar ist sie vor allem nur — immer Unterkiefer und Klasse II 
vorausgesetzt, denn nur von dieser ist hier die Rede — bei der I. Ab- 
teilung dieser Klasse, d.i. also dort, wo eine beiderseitige Distalokklusion 
besteht, nicht anwendbar ist sie dagegen schon bei der Unterabteilung der 
I. Abteilung, wo die Zähne nur auf der einen Seite distal okkludieren. 
Denn würden wir hier den Unterkiefer in toto nach vorne verschieben, 
dann bekämen wir auf der vorher anormalen Seite wohl normale mesio- 
distale Beziehungen, auf der anderen, d.i.der bis dahin normal okklu- 
dierenden Kieferseite dagegen eine artifiziell erzeugte abnorme Okklusion, 
indem die Zähne nach Art derjenigen bei Klasse III okkludieren würden. 
Dasselbe gilt natürlich auch für die Unterabteilung der Abteilung 2 der- 
selben Klasse. Aber auch bei der Abteilung 2 ist die Methode nur mit 
Vorbehalt anwendbar, nämlich nur dann, wenn vorher die Retrusion der 
oberen Frontzähne behoben wurde. Ist diese Korrektur nicht voraus- 
geechickt worden, dann bildet sie naturgemäß ein Hindernis bei der vor- 
zunehmenden Mesialverschiebung des Unterkiefers. 

Wie daher ersichtlich, kommt diese Methode nur für eine beschränkte 
Anzahl von Fällen in Betracht, und zwar hier auch nur dann, wenn es 
sich um die Beeinflussung des Unterkiefers in sagittaler Richtung handelt. 
Nun ist aber der in seiner Entwicklung zurückgebliebene Unterkiefer bei 
Klasse II nicht nur in der sagittalen, sondern oft auch in der frontalen 
Dimension unterentwickelt, was sich in der lingualen Okklusion besonders 
der seitlichen unteren Zähne ausprägt. Da muß eben, um eine seitliche 
Expansion des Unterkiefers zu erzielen, jeder Zahn für sich gefaßt und 
an den entsprechend formierten Regulierungsbogen herangebracht werden, 
um derart mittelbar auf den Processus alveolaris des Kiefers einzuwirken. 
Sind überdies, was ja gar nicht selten der Fall ist, die Zähne um ihre 
Längsachse gedreht, dann muß eo ipso wieder jeder Zahn für sich an- 
gegangen werden. 

Die von Grünberg unabhängig von amerikanischen Orthodontisten 
— Bogne, Barnes und Aisworth — angegebene Spiralfeder- 
methode eignet sich nicht so sehr für die Behandlung der Anomalien der 
Klasse II als im allgemeinen zur sagittalen Verschiebung von einzelnen 
Zähnen sowie als Unterstützung des working-retainers bei der frontalen 
Achse, sei es labial, sei es lingual, gekippten Vorderzähne sowohl des 
Unter- als Oberkiefers. 

Von großem Interesse wäre noch die Beantwortung der Frage, welcher 
Teil des Unterkiefers bei der totalen Verschiebung desselben beeinflußt 
wird. Die seinerzeit zwischen Kiefer und Wallisch entstandene 
wissenschaftliche Kontroverse brachte in diesem Punkte keine Klärung. 
Und so ist es bislang unentschieden, ob dabei eine Beeinflussung des 
Gelenkes, des Collum processus condyloides, des Kieferwinkels oder des 
horizontalen Kieferastes im Sinne einer Streckung derselben stattfindet. 

Prof.Dr.R.Weiser: Bezüglich solcher Fälle von Oberkieferfraktur 
mit starker lingualer Okklusion möchte ich berichten, daß es mir in zwei 
Fällen gelungen ist, durch Osteoklase Reposition der Fragmente und 
Heilung zu erzielen. Das ist im Unterkiefer wiederholt gemacht worden, 


180 Aus Vereinen und Versammlungen. 


im Öberkiefer hatte dieses Verfahren von vorneherein seine Bedenken; 
es war ein unheimliches Unternehmen, da es fraglich war, ob die aus 
dünnen Knochenlamellen bestehenden und so vielfach von Alveolen und 
Knochenhöhlen durchsetzten Fragmente des Öberkiefers genügende Be- 
rührungsflächen für die Knochenheilung bieten werden. Indes gelang mir 
die Heilung eines lingualwärts dislozierten Oberkiefermittelstückes und 
zweimal die Verheilung lingualwärts dislozierter rechtsseitiger Oberkiefer- 
hälften nach ausgeführter blutiger Osteoklase prompt binnen 3 Wochen. 
Zur Fixation der reponierten Fragmente bediente ich mich vor der Ope- 
ration hergestellter Fixationsschienen. 

Dr. Harry Sicher: Ich möchte nur anknüpfend an die Bemerkung 
des Herrn Dr.Hecht eine Anregung vorbringen. Es ist unter uns gewiß 
niemand, der die Literatur des bezüglichen Gegenstandes so beherrscht wie 
Herr Doz.Oppenheim. Ich möchte bitten, uns im Referat darüber zu 
berichten, was eigentlich über exakte, durch Röntgenographie zu messende 
Methoden bekannt ist über die Veränderungen des Gesichtsskeletts und 
des gesamten Schädelskeletts bei orthodontischen Maßnahmen. Es wäre 
interessant zu erfahren, ob durch die röntgenologische Untersuchung die 
behaupteten Veränderungen sich bestätigen lassen, wie sie gestützt und 
ergänzt oder ihnen vielleicht widersprochen werden kann durch exakte 
Messung der Röntgenogramme. 

Doz. Dr. A. Oppenheim: Bezüglich der Anfragen des Herrn 
Dr.Hecht möchte ich folgendes bemerken. Herr Dr.Hecht hat vor 
geschlagen, daß man erst die einzelnen Zähne regulieren soll, bevor man 
den Unterkiefer vorschiebt. Herr Dr.Hecht spricht auch von einer en 
masse-Verschiebung der Schneidezähne. Ich habe nur von dem Unterkiefer 
in toto und nicht von einzelnen Zahngruppen gesprochen. Ich verschiebe 
den Unterkiefer in toto. Da ist es von wesentlicher Bedeutung, daß 
alles unterlassen wird, was den Widerstand der einzelnen Zähne schwächen 
kann. Haben wir die Zähne erst in Reih und Glied gestellt, dann ist 
infolge des geschwächten Widerstandes ein Mißerfolg wahrscheinlich. Man 
muß die Zähne so stehen lassen, wie sie stehen, und sind erst richtige 
Beziehungen der Kiefer erzielt, dann gehen wir an die individuelle Be- 
handlung der einzelnen Zähne. Sollte es vorkommen, daß die unteren 
Schneidezähne sehr stark nach vorne gekippt sind, so bildet das kein 
Hindernis für die Behandlung, wie wir sie besprochen haben. Wir haben 
z. B. einen ausgesprochenen Fall der Klasse II, die auszugleichende Be- 
handlungsdistanz in der Molarengegend beträgt sagen wir 6 mm. Wenn 
wir hier richtige Beziehungen bekommen, so haben wir im Bereiche der 
Frontzähne en tete-Biß oder Beziehungen der Klasse III. Durch Auf- 
richten der Frontzähne wird die Inkongruenz in der Verschiebungsdistanz 
in der Molaren- und Schneidezahngegend ausgeglichen; das Aufrichten der 
Frontzähne und die Mesialverschiebung des Unterkiefers werden durch 
Verwendung des neuen Angle-Apparates gleichzeitig besorgt. Herr Doktor 
Hecht wollte wissen, was mit dem Unterkiefer geschieht. Wo die Ver- 
änderungen stattfinden, ist bis heute nicht bekannt; ob der ganze Alveolar- 
fortsatz im Unterkiefer verschoben wird, ob die Veränderungen im Kiefer- 
winkel oder im Processus coronoideus stattfinden, ist nicht geklärt. Damit 
ist auch Herrn Dr.Sicher eine Antwort gegeben. Ich wollte seinerzeit 
bei Prof. Tandler mit den dort gebauten. Apparaten diesbezügliche Ver- 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 181 


suche anstellen, aber sie sind nicht aktiviert worden. Es ist auffallend 
und ich habe darauf auch meine Aufmerksamkeit gelenkt, daß mit der 
Verschiebung des Unterkiefers oder Veränderungen im Öberkiefer auch 
Veränderungen an der Stirne und Nase vor sich gehen. 
Dr.E.Schreier: Dr.Hecht äußert Bedenken, den starren Appa- 
rat anzulegen, solange etwaige Stellungsanomalien einzelner Zähne nicht 
behoben sind. Diejenigen Kollegen, welche das Vergnügen hatten, den 
ersten Kurs bei Grünberg zu hören — ich sage Vergnügen, weil ich 
es als solches empfunden habe, in ein Fach eingeführt zu werden von 
einem Lehrer, welcher es vollständig beherrscht —, werden sich erinnern, 
daß er schon damals gesagt hat: Kommt eine Klasse II zur Behandlung, 
80 ist zunächst eine Klasse I daraus zu machen. Es hat sich mir die 
Gelegenheit geboten, diesen Lehrer meiner Dankbarkeit zu versichern, und 
ich: habe sie gerne ergriffen. 
= Prof.Dr.R.W eiser: Ich möchte mir nur die Anfrage erlauben, 
ob Herrn Doz. Oppenheim die Arbeit von Doz. Zilz bekannt ist, 
der behauptet, daß bei jugendlichen Tieren eine Veränderung des Winkels, 
den horizontaler und aufsteigender Unterkieferast miteinander bilden, z 
erzielen ist. | 
Doz.Dr. A. Oppenheim: Ich habe die Versuche an Affen durch- 
geführt und konnte keine Veränderungen erzielen. An anderen Tieren sind 
solche sicher nicht zu erreichen, weil diese kein Gebiß haben, an dessen 
Zähnen wir einen Apparat in sicherer Lage anlegen können. Es ist mög- 
lich, daß ich deshalb keine Veränderungen erzielen konnte, weil es 
schwieriger ist, aus normalen Verhältnissen anomale zu schaffen. 
Prof.Dr.L.Fleischmann dankt Herrn Doz..Oppenheim für 
seinen Vortrag. 
Dr. H. Reschofsky demonstriert das Anschmiegen ver- 
bogener, oberer Kautschukplatten auf das erwärmte Modell. (S. 
Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1919, H.1.) 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


Der Doktor der Zahnheilkunde. 


Mit Genehmigung der badischen Unterrichtsverwaltung hat die Uni- 
versität Heidelberg die Verleihung der Würde eines Doktors der 
Zahnheilkunde (Doctor chirurgiae dentariae) eingeführt. Zur 
Doktorprüfung werden in der Regel nur Bewerber zugelassen, die sich 
der deutschen zahnärztlichen Prüfung mit Erfolg unterzogen haben; sie 
haben ein der Zahnheilkunde gewidmetes ordnungsgemäßes Studium von 
acht Semestern nachzuweisen, von denen vier der zahnärztlichen Vor- 
prüfung vorangegangen sein müssen. Das Thema der Dissertation kann 
jedem Fache der Medizin oder einem naturwissenschaftlichen, der Medizin 
verwandten Gebiete entnommen werden. Mündlich werden Zahnheilkunde, 
Anatomie, Physiologie und ein Wahlfach aus dem übrigen Gebiete der 
Gesamtmedizin geprüft. Auch die Universität Freiburg wird demnächst 
die zahnärztliche Promotion zur Einführung bringen. 

* * 
x 





182 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


Dem Beispiel der Universität Heidelberg werden wohl in absehbarer 
Zeit auch die anderen Universitäten des Deutschen Reiches folgen und 
damit ist dort wenigstens teilweise t) das erfüllt, was von vielen Univer- 
sitätslehrern und Zahnärzten in Wort und Schrift seit einer Reihe von 
Jahren ebenso leidenschaftlich angestrebt als von anderen heftig bekämpft 
wurde, die für die Zahnheilkunde als einer Spezialdisziplin der Medizin 
nur den Doctor medicinae angemessen erachten. 

Von der Promotion im eigenen Fach erwarten deren Vorkämpfer 
neben der Gewährleistung einer umfassenden Ausbildung, der Hebung des 
Standes gegenüber den Zahntechnikern und sonstigen auf Grund der Reichs- 
gewerbeordnung die Zahnheilkunde ausübenden Heilbeflissenen die Heran- 
bildung genügend zahlreicher Zahnärzte für den Bedarf des deutschen 
Volkes. Schließlich wird auch verhütet, daß die Zahnheilkunde in der 
Gresamtmedizin aufgehe, wie z. B. bei uns und in Italien, ein nach ihrer 
Meinung nicht erstrebenswerter Zustand. 

Die Zahnärzte Deutschösterreichs hatten und haben nicht das 
Recht, sich in den Widerstreit der Meinungen zu mischen und entsprechend 
ihrer Überzeugung Partei zu ergreifen. Wohl aber haben sie die Pflicht, 
innerhalb ihrer Grenzen daran zu arbeiten, daß die Zahnheilkunde aus 
dem Chaos, in das sie hier geraten ist, herausgeführt werde. Die Grund- 
lagen des zahnärztlichen Berufes waren und sind jetzt erst recht auf eine 
andere Basis gestellt als in Deutschland. Dort meint man, mit der Er- 
langung des Doctor chirurgiae dentariae unter anderem die Wirkungen der 
Reichsgewerbeordnung, die erst jüngst das 50jährige Jubiläum feierte und 
die bekanntlich die Ausübung der Heilkunde freigab (Kurierfreiheit), zum 
Teil zu paralysieren. Wir haben keine Kurierfreiheit, dafür aber eine In- 
stitution, die in ihren Wirkungen auf die Zahnheilkunde noch weit ärger 
ist als die Kurierfreiheit und die dem Zahnärztestand unheilbare Wunden 
schlägt: dasStrohmännertum. Das kann nur beseitigt werden, wenn 
der Titel Zahnarzt — nach entsprechender Vorbildung — geschützt wird, 
wenn es sein muß auch ohne die gleichzeitige Regelung des Spezialarzttitels 
der anderen Disziplinen der Medizin. Das ist nur ein — wenn auch der wich- 
tigste — Punkt, um die Grundlagen des zahnärztlichen Berufs auf eine 
gesunde Basis zu stellen, doch gibt es deren so viel — Zahnärzte-Zahn- 
technikerfrage, Unterrichtsfrage, Schulzahnkliniken, Krankenkassen, die 
Honorarfrage, Sachverständigentätigkeit, Personalfragen usw. —, daß der 
bei uns in Bildung begriffene Verband der zahnärztlichen Vereine ein allzu 
reiches Arbeitsfeld vorfindet, das er mit Fleiß und Ausdauer bearbeiten 
muß, damit die Zahnheilkunde auch in Deutschösterreich das werde — 
wenn auch auf anderen Wegen—, was man in Deutschland durch die 
Promotion im eigenen Fach auszubauen hofft: ein Spezialfach der Medizin, 
in das nicht Unberufene einbrechen können. 


1) Angestrebt wurde der Titel Doctor medicinae dentariae. 


— 22.80 pee 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, UI., Münzgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


Organ für, die wissenschaftlichen Zahnärzte Österreichs. 


und Standes-Interessen der 


Offizielles Organ des Vereines Österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und 
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs. 









August 1919. | 8. Heft. 








XVII. ahrgang. 








Nachdruck verboten. 





Original Arbeiten. 


Über eine Modifikation der Mamlokschen Inlay- 

und Plättcehenschiene mit einem Überblick über die 

historische -Entwieklung der Befestigungsapparate 
für lockere Zähne.) ` 


Von Dr.Paul Berger, Wien. 
(Mit 34 Figuren.) 


- M.H.! Als höchstes Ideal und anstrebenswertestes Ziel gilt seit jeher 
in der Medizin die Erhaltung und volle funktionelle Wiederherstellung der 
erkrankten Organe. Es ist selbstredend, daß auch die Zahnheilkunde 
diesem edlen Wettstreit nicht fernblieb und sind uns ganz besonders hin- 
sichtlich der Behandlung und Erhaltung lockerer Zähne Vorschriften aus 
dem dunkelsten Altertum erhalten geblieben. Es wurde natürlich die pri- 
mitive Methode — die Bindung der Zähne — angewendet. Ich erinnere 
an den etruskischen Schädel aus dem 4.—6. Jahrhundert v. Chr. aus dem 
Museum zu Orvieto, an dem man einen Backenzahn an seinen Nachbar 
mit Golddraht gebunden findet. Ebenso gibt die 10. Tafel der 12 römischen 
Gresetzestafeln uns Nachricht darüber, daß auch bei den Römern das Binden 
lockerer Zähne mit Golddraht gepflegt wurde. In gleichem Sinne äußert 
sich Celsus in seiner „De re medica II“ und Plinius der Ältere. Im 
10. Jahrhundert n. Chr. lebte in Cordova Abul Kasim, der in seinem die 
ganze Medizin umfassendem Werke „Altasrif“ ein besonderes Buch der 
Behandlung der Alveolarpyorrhoe widmete, den Zahnstein als die Ursache 
des Lockerwerdens der Zähne angibt und gleichzeitig 14 Instrumente zu 
dessen Beseitigung im Bilde vorführt, von welcher Art heute noch einige 
im Gebrauch sind. Er verwirft den Silberdraht, weil er im Munde grün 
wird, verwendet zum Binden der Zähne Golddraht und beschreibt seine 
Bindmethode sehr ausführlich. 


2) Vortrag, gehalten im Verein Wiener Zahnärzte am 20. Februar 1919 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 17 








184 Paul Berger. 


Aus dem Mittelalter sowie aus der Neuzeit sind uns keinerlei An- 
deutungen über die Behandlung lockerer Zähne bekannt geworden, Erst 
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts traten die Zahnärzte der Idee der 
Befestigung und Erhaltung lockerer Zähne näher und besonders Herbst 
war es, der als erster Goldringe zur Befestigung verwendet hat. Der 
Apparat bestand aus breiten Goldringen, die, miteinander verlötet, auf 


Fig.1. Fig. 2. 





Nach Bryan. 








Nach Bryan. 


die gelockerten Zähne und ihre festen Nachbarn aufzementiert wurden. Es 
war dies sicherlich schon ein gewaltiger technischer Fortschritt, auf 
schnelle und leichte Art einen festen Stützapparat herzustellen. Case 
verbesserte dieses System, indem er frontal die Ringe tief ausschnitt und 
ihnen dadurch ein besseres Aussehen verlieh. Auf dieser H er b s t schen 
Grundidee, der Ringschiene, arbeiteten andere Forscher weiter, von denen 
ich erwähne: Glogauer, Schmidt und Wetzel. Aus der Ring- 
schiene entwickelte sich die von Bryan angegebene Methode, der auf 


Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene ete. 185 


die palatinale Seite der Zähne — ich spreche hier von den oberen Zähnen | 
— eine Platte aus Gold stanzt, welche er zum besseren Halt mit kleinen 
Stiften von Kramponstärke versieht und diese in kleine Kavitäten, die 
er in die Foramina coeca bohrt, verankert (Fig. 1). Für die unteren Zähne 
wird lingual und labial je eine Goldspange etwa 1—1!/s cm breit gestanzt, 
die an den Seiten verlötet, über die Zähne gestülpt und aufzementiert 
wird (Fig.2 und 3). Die Festigkeit dieser Schienen besonders für obere 
Zähne ist sehr gering, denn es genügt schon ein leichter Druck auf den 
Zahn und der kleine dünne Krampon verschiebt sich in seiner Lage. 

Als das Gußverfahren immer weitere Verbreitung fand, wurde es 
natürlich auch zur Herstellung von Stützappäraten herangezogen. Resch 
hat eine Schiene, die aus zwei gegossenen Platten besteht, erfunden, die 


Fig.4. Fig.5. 





Nach Resch. Nach Addicks. 


mit Schräubehen zusammengehalten werden (Fig. 4). Diese Schiene 
wiederum wurde 1902 von Addicks modifiziert, der auf der einen Seite 
eine stark federnde Verbindung der beiden Gußteile anbringt und die 
Schrauben in die Mitte und an das andere Ende verlegt (Fig. Si Warne- 
kros empfehlt ebenfalls eine Gußschiene. 

Bald zeigten sich die großen Nachteile dieser Apparate, die auf den 
ersten Blick sowohl den Arzt als auch den Patienten verblüfften, doch 
waren diese, ganz abgesehen von dem schlechten Anliegen der Ringe, 
sichere Retikula für Schmutz, Speisereste und Zahnsteinbelag, die sowohl 
der Zahnbürste als auch dem Zahnstocher unzugänglich waren. Ich will 
weiter darauf hinweisen, wie durch den immerwährenden Reiz das Zahn- 
fleisch sich weiter retrahierte, eine bestehende Alveolarpyorrhoe durch das 
Eindringen von Gärungs- und Fäulnisprodukten immer florider wurde, 
da doch durch diese Apparate die interdentalen Räume verlegt und so 


17* 


u — — tu t ya u 
š 


186 Paul Berger. 


die Möglichkeit der Ausräumung der Zahnfleischtaschen nicht gegeben war. 
Der Schmelz unter den Ringen wurde usuriert, die Zähne fielen der Karies 
anheim und brachen bald ab. 

Auf diese Mängel hat zuerst Wilhelm Sachs 1906 hingewiesen und 
seine modifizierte C a s e-Halbringschiene angegeben (Fig. 6). Es wurden zu 
ihrer Herstellung zuerst die Zwischenräume der Zähne ein wenig erweitert 
und etwas mehr als das obere Drittel der Zahnkronen völlig parallel- 
wandig geschliffen, die schmalen Ringe verlötet und labial ausgeschnitten. 
Die Nachteile dieser Schiene bestehen darin, daß 1. abgefeilte Teile der 
Zähne unbedeckt bleiben und dadurch empfindlich und kariös werden, und 
2. kann durch den geringen Halt die Schiene leicht sich loslösen, da sie 
ja mit runden Flächen auf ungeschliffenem Schmelz (lingual) aufliegt. 


Fig. 6. Fig.7. 


- — um - 





d a- . “ -. 4 - -— =- -~ — æ a 
t } - =- a an =.. _— — —i 


Nach Sachs. Nach Witkowsky. 


Immerhin war durch diese Schiene, die weit weg vom Zahnfleischrand ge- 
legen, die Möglichkeit der Behandlung der Zahnfleischtaschen gegeben und 
in dieser Beziehung ein großer Fortschritt. Auf diese Idee baute W it- 
kowsky 1911 seine Methode zur Wiederbefestigung gelockerter Zähne 
auf, indem er eine linguale Goldplätte über das obere Drittel der Zähne 
verfertigt, die Zahnkronen zur Aufnahme von Stiften, die er labial ver- 
nietet und mit der Goldplatte verlötet, quer durchbohrt (Fig. 7). Wer das 
poröse Zahnbein unterer lockerer Zähne kennt, wird mit mir überein- 
stimmen, wie leicht die Zahnkrone schon bei der Präparation abbrechen 
kann und wie gering die Widerstandsfähigkeit eines quer durchbohrten 
Zahnes dem Gegenbiß gegenübefist. Dieselbe Methode hat auch Tru e- 
man angewandt, welcher aber, statt zu nieten, Schraubenmuttern in die 
Zähne versenkt. 





Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene etc. 187 


Alle diese Apparate geben den Zähnen nur einen relativen Halt, 
denn sie schützen sie nur gegen den seitlichen Druck und man kann 
sich leicht vorstellen, wie ein Zahn z. B. in einer Sachsschen oder 
Reschschen Schiene durch Aufbiß in die Alveole hinauf- resp. hinunter- 
gedrückt wird. Diese Schienen also entsprechen weder den hygienischen 
Anforderungen, die wir an sie stellen müssen, noch dem Prinzip der un- 
bedingten Stabilität, sind entwicklungsgeschichtlich sehr interessant, von 
ihrer Anwendung ist aber abzuraten. | 

So war der Stand dieser Frage am Anfang des Jahrhunderts, als 
Weiser durch seine Veröffentlichung „Die Rheinsche Methode der 
Fixation lockerer Zähne und Modifikation derselben“ der Zahnärztewelt 
die Kenptnis einer neuen bahnbrechenden Methode vermittelte, die er mit 
geradezu prophetischem Gefühl erfaßte und verwendete. Diese Arbeit, die 
in der Österr.-ungar. Vierteljahrsschrift im Januar 1904 erschien, war nach 
einem Vortrag, der im Oktober 1903 gehalten wurde, verfaßt. Ich werde 
mir erlauben, auf die Gedankengänge und praktischen Erfahrungen, die 
Weiser in seiner Arbeit entwickelt, näher einzugehen, denn die ge 
schilderte Methode mit ihren Modifikationen hat sich als einzige glänzend 
bewährt. 

Weiser erfuhr anläßlich einer Diskussion nach dem: Vortrag 
Bryans aus Basel bei einem Kongreß in Stockholm im Jahre 1902 
durch Prof.Guilford aus Philadelphia von einer Methode, durch Al- 
veolarpyorrhoe locker gewordene Schneidezähne dadurch wieder funktions- 
fähig zu machen, indem man die Pulpen entfernt, die in die Wurzelkanäle 
eingepaßten Stifte durch einen Querbalken verbindet und die ganze Vor- 
richtung in die Zähne einzementiert. Die dieser Methode zugrunde liegende 
Idee stammt von M.L.Rhein aus New York, der schon einige Jahre 
früher zwar ohne Devitalisation der Zähne ähnliche Apparate mit Stiften 
in den Zähnen verankerte. W eiser war bald in die Lage versetzt, an- 
läßlich des Ersatzes eines fehlenden Schneidezahns bei einem an Alveolar- 
pyorrhoe leidenden Patienten diese Methode am Phantom zu erproben (Fig. 8 
und 9). Er präparierte Kronenkavitäten mit entsprechender Verlängerung in 
die Wurzelkanäle und mit seitlichen Ausbuchtungen zur Aufnahme des 
Balkens. Hierauf wurden Matrizen aus Platinfolie verfertigt, die den Zähnen 
genau anrotiert, mit den Stiften und Querbalken verlötet wurden. Diese ganze 
Vorrichtung sollte dann im Wurzelkanal einzementiert, die Mulde im Kronen- 
teil mit Amalgam ausgefüllt werden. Durch einen Zufall kam die am 
Phantom glänzend durchgeführte Arbeit im Munde nicht zur Ausführung. 
Das Einamalgamieren wäre natürlich nur dann möglich geworden, wenn auf 
die Kosmetik keinerlei Rücksicht zu nehmen war. Bald war Weiser 
vor die Aufgabe gestellt, einer jungen Dame, bei der der kosmetische Ein- 


Taa a WE To VE 


188 Paul Berger. 


druck der Arbeit von Wichtigkeit war, anläßlich des Ersatzes eines fehlen- 
den unteren Schneidezahnes eine neue Methode anzuwenden, die den Grund- 
stein zur Inlayschiene gab. Während Rhein — Dental Kosmos, 
Mai 1903 — das Goldgerüste durch Einhämmern von Goldzylindern nach 
vorheriger Zementierung im Kanal in den Kronenkavitäten befestigt, 
fertigt Weiser Goldinlays an, zwar nicht solche, wie wir sie heute nach 


Fig. 8. 





Nach Weiser. 


Fig. 9. 





Nach W eiser. 


Abdruck mit Wachs gießen, sondern er verlötete die für die Kronenkavität 
angefertigte Matrize mit dem Goldgerüst, d. i. Querbalken und Wurzelstift 
mit viel Feingold. Dadurch entstanden Inlays, die in die Zähne einzemen- 
tiert, Resultate zeitigten, die in kosmetischer wie funktioneller Hinsicht 
glänzende waren. 

Daß diese Methode nicht sofort allgemeinen Anklang fand und die 
ihr gebührende Anerkennung der gesamten Zahnärzteschaft erringen konnte, 
lag vor allem in der für diese Schiene notwendigen Devitalisation der 


Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättehenschiene etc. 189 


Zähne und in der für diese Arbeit erforderlichen großen Geschicklichkeit 
und Exaktheit der Ausführung. l | 

Es wurden — und auch heute treffen wir auf Angaben von Autoren — 
mehrfache Gründe gegen die Devitalisation angegeben, von denen nur zwei 
allenfalls gelten dürfen, und die wären 1. hohes Alter, 2. Krankheit und 
dadurch bedingte geringe Widerstandsfähigkeit des Patienten. Alle anderen 
Gründe, wie Schwierigkeit der exakten und vollkommenen Ausführung 
der Nervextraktion, die Frage der Infektion des Wurzelkanals und die 
Schmerzhaftigkeit für den Patienten, all dies kommt für einen geübten 
Operateur, der die Technik der Wurzelbehandlung beherrscht, nicht in 
Betracht. Was die Frage der Zeit betrifft, die die Operation Arzt und 
Patienten kostet, so dürften wohl die wenigen Sitzungen, die man zur Vor- 
bereitung der Zähne mehr braucht, bei einer so großen, erfolgversprechen- 
den: Arbeit nicht ausschlaggebend sein. Dafür aber spricht eine ganze 
Reihe sehr gewichtiger Gründe für die Devitalisation der Pulpen. Die 
Erfahrung bestätigt uns, daß nach Pulpaextraktion gelockerte Zähne 
wieder fester werden, eine Tatsache, die wahrscheinlich damit zusammen- 
hängt, daß die ganze Blutzufuhr vom Periodont aufgenommen und es 
dadurch straffer wird. Wurde doch von vielen Forschern die Devitalisation 
der Zähne als notwendig bei der Behandlung der Alveolarpyorrhoe an- 
gegeben. Es ist auch als sicher anzunehmen, daß die Pulpen solcher 
wackeliger Zähne sicherlich nicht mehr ihre normale Vitalität besitzen 
und auf-dem Wege des Absterbens sind, Beweis dafür die chronische Pul- 
pitis bei Pyorrhoe, die, von der Alveole ausgehend, den Tod der Pulpa 
zur Folge hat. Es ist daher besser, die Pulpen zu entfernen, die Wurzel- 
kanäle antiseptisch zu füllen und dadurch der Absceßbildung vorzubauen 
oder, wenn es doch dazu kommen sollte, den notwendigen chirurgischen 
Eingriff gut vorbereitet zu haben. Alle Befestigungsapparate, die aus: 
Ringen oder Kronen zusammengesetzt sind, machen. das vorherige Be- 
schleifen der Zähne notwendig, das bei lebender Pulpa die Empfindlichkeit 
des Dentins erhöht. Wir sehen, daß die Gründe, die für die Devitalisation 
sprechen, so schwerwiegend und als richtig befunden sind, daß es fast 
überflüssig erscheint, wenn ich behaupte, daß nur eine Befestigungsschiene, 
die durch in Wurzelkanäle verankerte Stifte befestigt ist, den an sie ge- 
stellten Anforderungen der Stabilität genügen kann. 

Der Streit um die Devitalisation der Zähne ist bis heute noch nicht 
verstummt und wir gehen selbst in der letzten Zeit trotz der eklatanten 
Erfolge der Rheinschen Schiene, die, von Weiser propagiert, Oppen- 
heim, Grünberg, Bruhn und Thiersch in Verbindung mit 
Brückenarbeiten bestens erprobt haben, Autoren mit neuen Systemen der 
Befestigung lockerer Zähne ohne Wurzelstifte in die Öffentlichkeit treten. 


190 Paul Berger. 


So demonstrierte Smith auf dem V. internat. Kongreß 1909 in Berlin 
eine Befestigungsschiene, die aus gegossenen Carmichael-Kronen be- 
steht (Fig. 10 und 11). 


Fig. 10. Fig. 11. 





Xach Smith. Nach Smith. 


Guttmann (Berlin) gibt eine Schiene an, die eine gestanzte lin- 
guale Goldplatte vorstellt, die über die Schneide der Zähne reicht, auch 


Fig. 12. | Mi Fig. 13. 





Nach Wallisch. Naċh Wallisch. 


Wallisch (Wien) beschreibt im Heft 3/4 der Österr.-ungar. Vierteljahrs- 
schrift 1916 eine eigene Befestigungsschiene. Diese besteht aus zwei Halb- 
kronen über die festen Eckzähne, die durch eine gegossene linguale Platte 
miteinander verbunden werden. Zwischen dem ersten und zweiten Schneide- 
zahn rechts und links geht je eine Schraubenspindel, welche labial die beiden 
anliegenden Schneidezähne mit schmalen, eng anliegenden verdickten 
Klammern — Doppelklammern — umfaßt und lingual durch je eine in die 
Goldplatte versenkte Schraubenmutter fest angezogen wird (Fig. 12 und 13). 








a Ch 3735: THET 


Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene etc. 191 


Diese Schiene, die zwar leicht herzustellen ist, weist recht beträchtliche 
Fehler auf. Erstens die gefensterte Krone auf den Eckzähnen! Die Krone 
läßt, wie ihr Name ja schon besagt, den beschliffenen Frontteil unbedeckt. 
Beschliffen muß ja der Frontteil werden, sonst ist es unmöglich, über 
den starken Buckel eines Eckzahnes mit der Krone hinüberzukommen, im 
gegenteiligen Falle kann sie wieder dem Wurzelteile nicht richtig anliegen. 
Also entweder den Frontteil beschleifen, dann wird der Zahn empfindlich 
und mit der Zeit kariös, oder nicht schleifen, dann liegt die Krone im 
Wurzelteil nieht genau an und bildet einen sicheren Hafen für Schmutz 
und Speisereste, und wenn der Goldrand auch nicht bis an das Zahnfleisch 


Fig. 14. Fig. 15. 





Nach Burgess. Schiene nach Hruschka. 


reicht, wird es doch durch die abgelagerten Verunreinigungen gereizt und 
die eventuell bestehende Alveolarpyorrhoe kann nicht ausheilen. Dann die 
Doppelklammern! Die SchrAube braucht nur ein ganz klein wenig nach- 
zulassen und die Zähne unter den Klammern werden verunreinigt. Ganz 
abgesehen davon, bieten ja diese Klammern den Zähnen gar keinen Schutz 
gegen den vertikalen Druck, bei jedem Biß werden sie bewegt, der Schmelz 
unter den Klammern springt ab, der Zahn erkrankt und bricht ab. Die, 
Spindel in den Interdentalräumen wirkt wie ein Rechen für Speisereste 
und diese Räume können nicht richtig gereinigt werden. Also auch dieses 
System löst große Bedenken gegen dessen Anwendung aus. — Im Korre- 
spondenzblatt, Heft 3/4, vom Jahre 1916 hat Burgess eine sehr sinn- 
reiche Methode der Zahnbefestigung mit Erhaltung der Nerven angegeben, 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 18 


m. 





192 Paul Berger. 


die aus Goldeinlagen (Pinledge) mit 3 Stiftchen in der Größe und 
Dicke von Krampons besteht (Fig. 14). Diese Goldeinlagen erfordern, um 
festzusitzen, die Entfernung von sehr viel Zahnbein und, wenn ich mir auch 
diese Methode an oberen starken Zähnen ausgeführt denken kann, so be- 
zweifle ich die Anwendungsmöglichkeit an den grazilen unteren Frontzähnen. 
Nicht unerwähnt darf hier die Befestigungsschiene nach Hruschka 
(Fig. 15) bleiben, zuerst veröffentlicht in der Zahnärztl. Rundschau, März 
1912, und neuestens in den Ergebnissen der gesamten Zahnheilkunde, Band 6, 


Fig. 16. : Fig. 17. 


i eaa s nn nn u u al Ā__/ 


Nach Thiersch. Nach Thiersch. 


Heft 1, 1918. Vor der Anfertigung seiner Schiene müssen die Zähne voll- 
ständig parallelwandig geschliffen und auch gekürzt werden, ein Vorgang, 
der bei lebenden, stark konischen Zähnen sicheflich schmerzhaft und nicht 
ohne Einfluß auf die Pulpa bleibt. Die Schiene besteht aus Halbkappen, 
welche nach Abdruck auf dem Modell aus Wachs geformt und gegossen 
werden. Diese Kappen nehmen in sich die Schneidekante auf, reichen lingual 
bis über das Foramen coecum, so daß die Trepanation eines Zahnes bei pul- 
pitischer Erkrankung ohne schwere Schädigung der Schiene unmöglich ist. 
Auch ist es denkbar, daß die nur dünne Zementschicht unter der Schiene 
trotz der Schneidekantenbefestigung leicht gelöst wird und die Schiene 
sich lockert. Wir sehen also, daß alle diese Systeme der Befestigung 
lockerer Zähne ohne Wurzelstifte uns nicht befriedigen können, und wenn 





Über eine Modifikation d. Mamlok schen Inlay- u. Plättchenschiene etc. 193 


sie auch die für die Druckverhältnisse notwendigen Bedingungen erfüllen, 
so ist es wieder die mangelhafte Befestigungsart und die Unzugänglichkeit 
der Zahnpulpa für die eventuelle Behandlung, die gegen diese Schienen 
spricht. 

Auf der anderen Seite wird die Idee der Verankerung in den Wurzel- 
kanälen nicht vernachlässigt, vielmehr fleißig an deren Vervollkommnung 
gearbeitet. Im Jahre 1909 hat Wilhelm Thiersch (Basel) am V. inter- 
nationalen zahnärztlichen Kongreß in Berlin eine genial erfundene Brücken- 
arbeit, verbunden mit einer von ihm angegebenen Befestigungsschiene für 
lockere Zähne demonstriert. Der Apparat besteht aus großen Goldeinlagen 
(Goldkästen) mit Platinstiften, die in den Wurzelkanälen verankert sind 
(Fig. 16 und 17). Bei der Präparation dieser Goldeinlagen ging sehr 
viel Zahnbein verloren und es mußten die Antagonisten, um dem Gegenbiß 
auszuweichen, beschliffen werden. Prof. Bruhn veröffentlicht in der 
„Deutschen Zahnheilkunde in Vorträgen“, 1911, Heft 17/18, die Beschrei- 
bung einer eigenen Schiene, die aus kleinen Goldinlays mit kurzen Stiften 
für die Wurzelkanäle besteht und die von rückwärts in die Zahnhöhle 
geschoben wird (Fig. 18 und 19). Die Anwendung dieser Schiene ist nur 
möglich, wenn die Zähne nach vorne geneigt sind. Außerdem sind die 
Stifte, weil ja die Zähne nicht der Länge nach aufgebohrt sind, sehr kurz 
und daher keine genügend feste Verankerung. 


Veranlassung zur allgemeinen Kenntnis und zur Verbreitung der An- 
wendung des vervollkommten Systems der Verankerung in den Wurzel- 
kanälen gab das im Jahre 1912 von Mamlok verfaßte Buch „Die Be- 
festigungsschiene“, in dem er in leichtverständlicher Darstellung die Kon- 
struktion seiner Plättchenschiene nach Grünbergs Prinzip und im 
Anschluß an die Ideen von Rhein, Weiser, Oppenheim und 
Bruhn die Herstellung seiner Inlayschiene schildert. Bevor ich mir jetzt 
erlauben werde, Ihnen die Herstellung der Inlay- und Plättchenschiene mit 
‚meiner Modifikation vorzuführen, will ich mir gestatten, die Anforderungen, 
die wir an eine gut passende Befestigungsschiene stellen müssen, und deren 
Indikation in kurzen Worten zusammenzufassen. Diese Bedingungen sind: 


1. Festigkeit der Schiene in bezug auf die Druck- 
verhältnisse. Bei jeder Schiene ist es notwendig, daß der Zahn 
nicht bloß gegen den seitlichen, sondern auch gegen den vertikalen 
Druck geschützt ist und der Gegenbiß darf niemals einen einzelnen Zahn 
überlasten, sondern muß auf alle Zähne gleichmäßig verteilt werden. Dies 
erreiche ich dadurch, daß ich, wie ich später zeigen werde, auch die 
Schneidekante in die Präparation der Inlay- und Plättchenschiene ein- 
beziehe, was bis jetzt diesem glänzenden System fehlte. 


18* 


194 ‚ Paul Berger. 


2. Wahrung der strengsten hygienischen Anfor- 
derungen, die darin gipfelt, daß die Schiene die notwendige Beriese- 
lung der Interdentalräume mit Speichel nicht behindern darf, den Zugang 
zu den Zahnfleischtaschen vollkommen frei läßt, nicht Veranlassung zur 


Fig. 18. 





Nach Bruhn. 


Fig. 19. 


. =. qa 1- » ea =e . .. 





ka Sy gungen P 
"vs 





au 
N al a Š 

EHE i 

s 


A ler X. 





Nach Bruhn. 


Stauung von Speiseresten und Säuren gibt, unabhängig vom Arzt, vom 
Patienten selbst gründlich gereinigt werden kann und im. Sprechen nicht 
behindert. 

3. Kosmetik. Wir müssen trachten, in peinlichster Erfüllung der 
oben angegebenen Grundbedingungen der Schiene auch ein gutes Aussehen 
dadurch zu verleihen, daß sie nicht allzu sehr auffällt. Wenn auch die 








ET ICH u Tea Te FREE» 
hJ 


Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene ete. 195 


Kosmetik bei alten Leuten oder bei bärtigen Herren nicht so sehr ins Ge- 
wicht fällt, sind wir oft genötigt, bei jüngeren Patienten Brückenarbeiten 
— ich erinnere nur an den Ersatz eines fehlenden großen oder kleinen 
Schneidezahns durch Inlay- oder Plättchenbefestigung — auszuführen, bei 
denen wir auf die Unauffälligkeit sehr bedacht sein müssen. Doch dürfen 
wir wegen des kosmetischen Erfolges die Druckverhältnisse nicht aus 
dem Auge verlieren. 

Über die Indikation der. mechanischen Wiederbefestigung 
lockerer Zähne ist folgendes zu sagen. Ich schließe mich in dieser Hin- 
sicht ganz der Ansicht Bruhns an, der empfiehlt, in allen Fällen 
mäßiger, aber dauernder Lockerung nach gründlicher medi- 
kamentöser und chirurgischer Behandlung der Zähne die mechanische 
Wiederbefestigung auszuführen. Dieselbe kann auch noch im Falle sehr 
erheblichen Loseseins angewandt werden, doch ist es angezeigt und unter 
Umständen praktischer, wenn wir einen Zahn extrahieren, der, um mit 
Sachs zu sprechen, „eine Lockerheit 4. Grades besitzt, d.h. wenn er sich 
in die Alveole hinauf- resp. hinunterdrücken läßt, so daß er wie auf einem 
elastischen Gummikissen sitzt und auf diesem gewissermaßen geschaukelt 
werden kann.“ 

Um auch die Frage zu streifen, in welchem Zeitpunkt wir einen 
Stützapparat anfertigen sollen, so gibt dafür der Zustand, in welchem wir 
den Mund des Patienten treffen, den besten Fingerzeig, da spielt Dauer 
der Eiterung, Menge der Zahnsteinablagerung, ob Alveolarpyorrhoe oder 
senile Atrophie, ebenso eine große Rolle wie auch der Erfolg, den wir mit 
den bloßen chirurgischen und medikamentösen Maßnahmen bei dem be- 
treffenden Patienten gemacht haben. Nicht außer acht zu lassen ist das 
Röntgenbild und die persönliche Erfahrung ' des behandelnden Arztes, die 
uns lehrt, daß es besser ist, eine Schiene lieber früher zu machen, und 
dies verspricht auch den bleibenden guten Erfolg, als abzuwarten, bis es 
zu spät ist. 

Eine Befestigungsschiene, welche die kardinalen Forderungen der 
Stabilität, Hygiene und Kosmetik bestens erfüllt, ist die von mir modi- 
fiziertte Mamloksche Inlay- und: Plättchenschiene, die ich Ihnen jetzt 
in ihrer Herstellung demonstrieren will. 

Was zuerst die Mamloksche Plättchenschiene betrifft, ist sie aus 
der Schiene, de Grünberg angegeben hat, hervorgegangen. Grün- 
berg devitalisiert die Zähne, füllt die Kanäle und präpariert sie zur 
Aufnahme von Platin-Iridiumstiften. Nach einem Abdruck wird ein 
Amalgammodell angefertigt, auf dem für jeden Zahn ein entsprechendes 
Plättchen aus Platinfolie geprägt wird, das der lingualen Zahnseite genau 
anliegt. Die Folie wird im Munde anrotiert, vom Stift durchstochen und 


196 ‚Paul Berger. 


mit diesem verlötet. Hierauf wird von allen Zähnen mit Plättchen und 
Stift Abdruck genommen, stark mit Feingold verschwemmt und die 
Zwischenräume der Zähne mit Platindraht überbrückt. 

Dieses Grünbergsche System hat Mamlok in seiner Plättchen- 
schiene vervollkommt. Bei der Herstellung derselben beginnt nach Mam- 
l o k jede Behandlung mit der provisorischen Befestigung der Zähne mittelst 
Seiden- oder Drahtligaturen, die möglichst weit weg vom Zahnfleisch gelegt 
werden, damit die Zahnfleischtaschen, die auch während der Schienung 
gründlich behandelt werden sollen, dieser Behandlung zugänglich bleiben 
und jeder Reiz vom Zahnfleisch ferngehalten wird. Drahtligatur bevor- 
zuge ich, da Seide leicht verdirbt. Nach sorgfältiger Reinigung der Zähne 
und grober Entfernung des Zahnsteins werden die Pulpen entweder unter 
Lokalanästhesie sofort extrahiert und, wenn dies unmöglich ist, mit Arsen 
abgeätzt. Bei sehr verengten Wurzelkanälen, wie man sie bei älteren 
Leuten und besonders bei unteren Frontzähnen oft findet, leistet uns 
Schwefelsäure oder Antiformin zu deren Weiterung sehr gute Dienste. 
Nachdem also sorgfältig unter Kofferdam die Pulpen restlos entfernt 
sind, wird eine antiseptische fixe Wurzelfüllung gemacht. Hierauf wird 
von der Zungenseite der Zähne so viel weggenommen, daß wir direkt 
in den Wurzelkanal hineinsehen können (Fig. 20). Es entsteht in der 
Zahnkrone eine Mulde, die nach der Form des Zahnes von wechselnder 
Größe ist und die manchmal vom Foramen coecum bis an die Schneide- 
kante reicht. Ich schräge jetzt mit einem Stein oder einer Scheibe den 
überstehenden lingualen Schneidekantenrand ab, so daß die linguale Seite 
des Zahnes eine ununterbrochene, schiefe Fläche bildet, ebenso wird der 
Zahn an der Schneidekante etwas abgetragen, damit durch das aufgelegte 
Gold der Biß nicht gestört wird. Nun wird jeder einzelne Wurzelkanal 
entweder mittelst Schröderscher Handerweiterer oder mit Beutel- 
rock-Bohrern erweitert. Man beginne mit den dünnsten und verwende je 
nach der Dicke des Zahnes allmählich die stärkeren Nummern, sei aber 
darauf bedacht, den Zahn nicht zu sehr zu schwächen. Trotz der Ligatur 
ist es notwendig, während des Aufbohrens der Zähne dieselben mit der 
linken Hand zu stützen. Sind die Kanäle genügend erweitert, so bereite 
man sich Stifte aus Platin-Iridiumdraht oder aus 18karätigem Golddraht 
vor, die in ihrer Stärke dem Lumen des Kanals entsprechen, gegen die 
Wurzelspitze sich verjüngen. Sie müssen tatsächlich in den Wurzelkanal 
hineinreichen und darin leicht „spielen“. Die Stifte sollen einige Millimeter 
aus dem Kanal vorragen und werden lingualwärts etwas abgebogen. Wir 
gewinnen dadurch zwischen Zahn und Stift mehr Raum für das Plättchen, 
das der lingualen Seite der Zähne anliegen soll. Die Stifte werden nach 
Einpassung entfernt, die Wurzelkanäle provisorisch mit Wattefäden gefüllt 


Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene etc. 


Fig.20. 


mu un. 





] 


% 









AN ` 


- 


ae BF u ne ee oa, 
i t - - 


P = s 
- ja ) 
i 
Das o nca sni - BEL 2 ad en | 


Oben fertige Plättchenschiene von der Zahnseite 
gesehen. 


Zähne präpariert für den Erstes Stadium der Prä- 
Abdruck. paration. Ansicht der 
Mulden und des überste- 
henden Schneidekanten- 

randes, 





Plättchen mit Stiften zum Verlöten eingebettet. 


Fig. 24. 


OL Hr 


Schema nach Mamlok. 


Fig. 21. 





Abdruck. 





Metallstanze mit Plättchen. 


197 


198 = Paul Berger. 


und gegen das Kronenkavum mit Guttapercha abgeschlossen. Jetzt wird 
von der lingualen Seite der Zähne Abdruck genommen. ` Es empfiehlt sich, 
den ganz dünn angerührten Gipsbrei auf die gut eingefetteten Zähne zuerst 
in ganz flüssigem Zustand mit einem. Spatel zu bringen, damit er gut die 
Mulden ausfüllt, und in dem Moment, in dem der Gips zu „ziehen“ beginnt, 
wird eine größere Portion entweder mit einem kleinen Löffel oder mit 
einem biezu präparierten Blechstreifen aufgedrückt. Es ist für die spätere 
Ausführung der Arbeit wichtig, daß in diesem Abdruck die Schneide- 
kante der Zähne und die Mulden wohl ausgeprägt sind (Fig. 21). Auf 
‚diesem Abdruck wird eine Stanze aus Mellot verfertigt und auf dieser 
eine Goldplatte gestanzt, die über die Schneide der Zähne reicht (Fig. 22). 
Ich verwende für die Platte 22karätiges Gold von. 0,35 mm Stärke, 
wenn ich mit der Schiene eine Brückenarbeit verbinde, sonst das ge- 
 wöhnliche Kronenblech 22karätig, 0,25 mm stark. Die Platte kann auch 
doubliert werden. Das Gußverfahren bei dieser Plättchenschiene hat keine 
guten Erfahrungen gezeitigt. Die so gestanzte Platte mit gut ausgeprägten 
Mulden und die auch über die Schneide reicht, wird im Munde probiert 
und, paßt sie gut, auf der Stanze in allen Mulden in der Richtung der 
Zahnachse durchbohrt. Die provisorische Wurzelfüllung wird entfernt, 
die durchlochte Platte in den Mund gebracht und die Stifte eingeführt. 
Erweisen sich die Bohrlöcher zu klein, so kann mit Bohrern das Loch, 
immer in der Längsrichtung der Zähne, erweitert werden. Mit einer 
Ligaturseide, die zwischen den beiden mittleren Zähnen um das Plättchen 
geschlungen wird, zieht man dieses an die Zähne an und drückt gleich- 
zeitig die gelockerten Zähne an die Platte heran, hierauf wieder Gips- 
abdruck. Der Abdruck wird mit Lötgips ausgegossen und Plättchen und 
Stifte werden miteinander verlötet, wobei darauf zu. achten ist, daß die 
Mulden mit Lot gut ausgefüllt werden, damit die Stifte in der Platte 
mehr Halt haben (Fig. 23). Darin liegt ja der tiefe Sinn dieser Mulden, 
daß der Halt der Stifte um die Tiefe der Mulde vergrößert wird (Fig. 24). 
Beim Verlöten der Stifte soll auch die ganze Schiene mit Lot ver- 
stärkt werden. Um sie nicht. zu verbiegen, wird die Schiene zum groben 
Ausarbeiten in einen Gipsblock gebettet, die überragenden Stifte a b- 
gesägt und die Lothöcker mit Steinen geglättet. Hierauf wird die 
Schiene fertig im Munde probiert, das Gold über die Schneidekanten 
gut gebogen und anrotiert, die Ränder mit feinen Steinchen geschliffen, 
finiert und poliert. Das Einsetzen erfolgt, wo es angeht, unter Koffer- 
dam oder unter Speichelabschluß mit Watterollen, nachdem wir die 
Sekretion der sublingualen Drüsen durch Betupfen mit Jodtinktur inhibiert 
haben. Das sehr dünnbreiig angerührte Zement muß mit Wurzelkanal- 
sonden an die gut ausgetrockneten Kanalwände angerieben oder mit Yffi- 


Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene ete. 199 


tubes eingespritzt werden, sodann wird die Schiene, nachdem die Stifte 
angerauht wurden, ebenfalls mit Zement belegt, eingesetzt. Nach dem 
Einsetzen glätte und rotiere man die Ränder der Plättchenschiene besonders 
über die Schneidekante aufs gewissenhafteste an, und wenn wir jede Phase 


Fig. 25. - 


ELLE RATE ERBE a — nut on 0m 





Fig. 26. 





Seitliche Ansicht der Inlayschiene in situ. Beachte die ausgeprägte Mulde auf der 
mesialen Zahnfläche und den Schneidekantenschutz. 


dieser Arbeit mit größter Genauigkeit durchgeführt haben, erhalten wir 
jetzt eine Plättchenschiene, die allen Anforderungen bestens entspricht. 
Inlayschiene. Für Zähne, die in ihrem Körper sehr dick sind, 
sowie bei Progenie kommt die Inlayschiene in Betracht, da diese tiefer in 
die Zähne eingelegt wird und dadurch den Biß nicht stört. Die Präparation 
erfolgt genau so wie bei der Plättchenschiene, nur wird die Mulde auf 


200 - Paul Berger. 


die approximalen Flächen ausgedehnt, um zu ermöglichen, daß die Inlays 
genau nebeneinander zu liegen kommen (Fig. 25 und 26). Die Schneide wird 
mit einem Stein oder einer Scheibe abgeschrägt, da ich auch hier die 
Schneidekante in das Inlay einbeziehe. Natürlich darf keine unter sich 
gehende Stelle vorhanden sein, da sonst der Inlayabdruck nicht heraus- 
genommen werden kann. Der Stiftverlauf muß auch hier natürlich parallel 
sein. Sind die Kavitätenränder geglättet, so wird der direkte Inlayabdruck 
hergestellt, wobei der früher schon eingepaßte, erwärmte Stift durch die 
Wachsform in die Wurzelkanäle geführt wird. Ich nehme den Stift gewöhn- 
lich etwas länger, um die Wachsform an ihm herauszuholen und erst nach- 


Fig. 27. Fig. 28. 


p Ej ) 
i 
| 





a 
Winden. a Dan unten EM l IM .. 


Modifizierte Plättchenschiene”in’situ"von vorne 


3 b tn 
gesehen ll. Zum Vergleiche der Un- . 


WATAER : 1 Plättchenschiene in situ von der palatinalen 
auffälligkeit eine RichmondkroneYauf -|+ Bolso gashó; P 


her wird der Gußstift eingelassen. Man beginnt gewöhnlich mit dem 
äußersten Zahn rechts oder links und modelliert das zweite Inlay erst dann. 
wenn das bereits gegossene erste an seinem Platze provisorisch sitzt. Sind 
alle Inlays aus 22karätigem, reinem Gold gegossen und in die Zähne ein- 
gepaßt, wird ein Gipsabdruck genommen, die Inlays verlötet und, wenn 
große Diastemma zwischen den einzelnen Zähnen bestehen, Golddraht ein- 
gelegt. Die Ausarbeitung erfolgt genau wie bei der Plättchenschiene Auch 
die Inlayschiene wird zuerst in einem Gipsblock grob ausgearbeitet und 
erst nach dem Einsetzen im Munde den Rändern anrotiert und poliert. 
Es ist selbstverständlich, daß nach dem Einsetzen einer solchen Schiene 
der Patient für den Arzt nicht erledigt oder als geheilt betrachtet werden 
darf, es ist vielmehr notwendig, durch regelmäßige Untersuchungen — 
Röntgen! — sich über den Stand der Zähne zu informieren. 





Über eine Modifikation d. Mamlokschen Inlay- u. Plättchenschiene etc. 20] 


Ich habe mir erlaubt, Ihnen in längerer Ausführung die Herstellung 
der beiden Schienen vorzuführen und will ich Sie jetzt auf die Vorteile, 
die ich durch meine angegebene Modifikation, d. i. die Ausdehnung der 
Schiene auf die Schneidekante der Zähne erreiche, aufmerksam machen. 
Zum Ideal der Ma m l o k-Schiene fehlte bis jetzt der Schutz der geschienten 
Zähne gegen den vertikalen Druck. Es ist auch sehr oft vorgekommen, 
daß die dünne Schneide unterer Zähne beim Aufbiß abgesprengt wurde. 
Dies ist jetzt durch den Schutz, den ich durch meine Modifikation erziele, 
unmöglich. Was die Kosmetik betrifft, so habe ich Ihnen an den demon- 
strierten Patienten gezeigt, daß der schmale Schneidekantenteil ganz un- 
auffällig ist und dennoch die Kante bestens gegen Druck schützt (Fig. 27 
und 28). Ich hoffe, durch die angegebene Modifikation auch den letzten 
Vorwurf, der dieser so bewährten Schiene gemacht wurde, beseitigt zu haben. 

M.H.! Ich will annehmen. daß es mir durch diese Demonstration 
gelungen ist, Ihnen die Vorzüge der modifizierten Ma m lo k schen Schienen 
gezeigt und durch die demonstrierten, mit solchen Schienen verbundenen 
Brückenarbeiten bewiesen zu haben, daß die aufgewendete Mühe, die wir 
für die Vorbereitung der Zähne brauchen, vollauf durch den glänzenden 
Erfolg gelohnt wird (Fig. 29—34). Eine solche Schiene erhält dem 
Patienten seine schon verloren geglaubten Zähne, gibt ihm die Sicher- 
heit beim Beißen wieder und, so wunderbar es klingt, die Eiterung bei 
Alveolarpyorrhoe kommt zum Stillstand. Ich glaube, den Vortrag nicht 
schließen zu können, ohne Ihnen die prophetischen Worte in Erinnerung 
zu rufen, die Weiser an den Schluß seiner Arbeit im Jahre 1904 
gesetzt hat und die heute noch mehr wie damals Gültigkeit haben: „Über- 
all dort, wo es sich aber darum handelt, einen in kosmetischer, hygienischer 
und funktioneller Hinsicht einwandfrei definitiven Fixationsapparat her- 
zustellen, der weder die Zunge noch die Artikulation stört, der eine medi- 
kamentöse oder chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe infolge 
seiner Kompendiosität nicht nur nicht hindert, sondern durch die Im- 
mobilisierung der Zähne, die nur durch normale Granulationsbildung er- 
reichbare Heilung mächtig fördert, andrerseits den Patienten nicht sklavisch 
an die Nähe des Arztes bindet, wird dermalen kein anderes Verfahren 
mit der Rheinschen Methode und ihren Modifikationen konkurrieren 
können.“ 


Literaturverzeichnis: Burgess, Dr., Moderne Befestigungen für 
Brückenarbeiten und Befestigungen für lose Zähne. Korrespondenzblatt, Bd. XXXV. 
H. 3/4, 1916. — Bruhn Chr., Prof., Die mechanische Wiederbefestigung gelockerter 
Zähne. D. Zahnhlk. in Vorträgen, H. 17/18, 1911. — Geist-Jakobi, Geschichte 
der Zahnheilkunde. Tübingen 1896. — Hartwig, Dr., Befestigung lockerer Zähnc. 
Österr. Zeitschr. f. Stomat., H. XI, 1913. — Hruschka A., Eine Befestigungsschiene 











Demonstrierter Fall I. Herr B.T. Oberkiefer 
von der palatinalen Seite. 


Fig. 31. 





er; r g lapa e EA 
“ 





Demonstrierter Fall I. Herr B. T. Modifizierte Mam- 

lok sche Plättcehenschiene für die oberen und unteren 

Frontzähne, kombiniert mit Brücken, in Artikula- 
tionsstellung. 


Fig. 32. 





A ; | 
m 3 Denen Fall I. Herr B. T. Unterkiefer von 
der lingualen Seite. 
Modifiziertee Mamloksche Inlayschiene für die un- Fig. 34. 


teren Frontzähne, zu Fall II. Fig.33 und 34. 


Fig. 83. a i 





= PP a Una m i . . = E - 


Demonstrierter Fall II. Frl. E. O. Inlayschiene in 
situ von vorne gesehen. Die Schiene in situ von oben innen gesehen. 





Winke für die Praxis. | 203 


für lockere Zähne (Halbkappenschiene) mit besonderer Berücksichtigung der hygiv- 
nischen Druckverhältnisse. Zahnärztl. Rundschau, Jg. XXI, Nr. 10, 1912. Ergebnisse 
d. ges. Zahnhlk., Bd. VI, H.I, 1918. — Mamlok H.J., Die Befestigungsschien:. 
Meusser Verlag, 1912, Berlin. — Sachs H., Dr., Über Ätiologie und Therapie der 
Pvorrhoea alveolaris. D. Zahnhlk. in Vorträgen, H. 17/18, Leipzig 1911. — Sachs. 
Prof. Dr. Wilh., Berlin, Die mechanische Befestigung durch Alveolarpyorrhoe stark 
gelockerter Zähne. Österr.-ungar. Vierteljahrsschr. f. Zahnhlk., XXII, H.I, 1906. — 
Smith Ch.E. Paris, A few examples of retaining plates for Pyorrhoea. Verhand- 
lungen des V. Intern. zahnärztl. Kongresses Berlin 1909, Bd. II. — Thiersch W.. 
Basel, Moderne Anforderungen an Immobilisationsapparate für Alveolarpyorrhoe. 
Die Goldeinlage als ideale Verankerung. Verhandlungen des V. Intern. zahnärztl. 
Kongresses Berlin 1909, Bd. II. — Wallisch W., Doz., Der lockere Zahn und 
seine Befestigung. Österr.-ungar. Vierteljahrsschr. f. Zahnhlk, XXXII, H. 3/4. — 
W eiser, Dr. R., Die M.Z.Rheinsche Methode der Fixation lockerer Zähne und 
Modifikation derselben. Österr.-ungar. Vierteljahrsschr. f. Zahnhlk., XX, H.I, 1904. 
— Weiser, Doz. R., Wertvolle Neuerungen auf dem Gebiete der Zahnersatzkunde. 
Österr. Zeitschr. f. Stomat., Jg. IX, H. 3, 1911. — Witkowski, Befestigung lockerer 
Zähne. Berlinische Verlagsanstalt 1910. 


Winke für die Praxis. 





Einige Behelfe für die zahnärztliche Praxis. 
Von Dr. A. Borschke. 


Kofferdam kann durch Picken mit Paragummi so wie bei Luft- 
schläuchen für Fahrräder wieder hergestellt werden. Zeitsparend ist es. 
eine möglichst große Anzahl gleichzeitig in Arbeit zu nehmen, die Gummi- 
platten ausgebreitet nebeneinander auf dem Tische aufzulegen und die 
ziemlich dünne (eventuell mit Benzin verdünnte) Gummilösung mit einem 
Pinsel auf die zu verschließenden Stellen aufzutragen. Gleichzeitig wird 
eine Gummiplatte, die dazu bestimmt ist, später in die einzelnen Klebe- 
_ fleckchen zerschnitten zu werden, mit Stecknadeln an den Ecken auf einer 
Korkplatte fixiert, um das Einrollen zu verhindern, und in ihrer ganzen 
Ausdehnung mit Paralösung bestrichen. Dann muß gewartet werden, bis 
die Lösung vollkommen eingetrocknet ist (zirka 10 Minuten bis 1/2 Stunde) 
und die durch das Bestreichen uneben gewordenen Stellen sich wieder 
vollkommen geglättet haben. Ein eventuelles nochmaliges Bestreichen und 
erneuertes Trocknenlassen erhöht die Festigkeit. Dann wird die Klebe- 
platte mit Schere und Pinzette in Streifen und Flecke geschnitten und 
durch Auflegen auf die zu verklebenden Stellen mit denselben fest verbunden. 





204 Referate und Bücherbesprechungen. 


Strips lassen sich leicht durch Bestreichen von Zelluloidfilm mit 
Azeton oder Zaponlack und Einreiben des gewünschten Poliermittels 
(Karborundumpulver) herstellen. 


Die von Prof. Pichler empfohlenen Papierspitzen zur 
Wurzelbehandlung aus japanischem Seidenpapier lassen sich, allerdings in 
schlechterer Qualität, aus Zellstoff herstellen. Herr Prof.Pichler teilt 
soeben mit, daß er zu diesem Zweck jetzt Zigarettenpapier verwendet, 
was gewiß ein sehr brauchbares und empfehlenswertes Material zur Her- 
stellung von Papierspitzen abgibt. 


Die Reste der gebrauchten Guttaperchapoints können durch 
Walken auf einer in heißem Wasser erhitzten Glasplatte wiederhergestellt 
und so wiederholt verwendet werden. 


Ein Ersatz für die Metallkanülen zur Wurzelkanal- 
irrigation nach Dr. Safron läßt sich aus dünnen Glasröhrchen 
ziehen. Gut ist, dabei den Röhrchen eine Kompensationskrümmung zu 
geben. Auf gleiche Art lassen sich sehr zweckmäßige Glaspipetten zum 
Einführen von Medikamenten in den Wurzelkanal anfertigen. 


Abgebrochene oder verbrauchte Exkavatoren, Zahnstein- 
instrumen te, Blackinstrumente etc. lassen sich durch Schmieden, Härten 
und Schweißen wieder in verwendbare Form bringen. 


Referate und Bücherbesprechungen. 





Gnathostatik. Neue Wege der orthodontischen Diagnostik. Von Paul 
W.Simon, Berlin. D. M. f. Z., Heft 2, 1919. 


Mit vollem Recht hebt Simon einen der gröbsten Fehler hervor, der 
der orthodontischen -Meßmethode am Modell mittelst der Symmetroskope 
anhaftet und der einen exakten Vergleich der verschiedenen Modelle voll- 
kommen illusorisch macht. Es ist die Willkür, mit der man die Gipsbasis 
eines solchen Modells beschneidet, welche Ebene aber die späteren Messun- 
gen völlig beeinflußt. Das Verfahren, das Van Loon ausdachte, um 
die Modelle mit einer fixen Ebene, der Frankfurter Horizontalen, in Be- 
ziehung zu bringen, ist derart kompliziert, daß es für die Praxis nicht 
in Frage kommt. Simon ersetzt es nun durch einen genial ersonnenen 
Mechanismus, der im Folgenden nur angedeutet werden kann. Am Pa- 
tienten werden die Bestimmungspunkte der Frankfurter Horizontalebene, 
nämlich der tiefste Punkt des Margo infraorbitalis und der obere Rand des 
Tragus, mit einem aufgeklebten schwarzen „Schönheitspflästerchen‘ mar- 
kiert. Nun wird der obere Abdruck mit einem Löffel vorgenommen, an dem 


Referate und Bücherbesprechungen. 205 


der von Simon angegebene Apparat „Gnathostat“ fixiert ist. Er besteht 
im wesentlichen aus einem halbkreisförmigen Bogen, an welchem in Schlit- 
zen vier bewegliche Zeiger angebracht sind. Der Bogen selbst läuft auf 
einer Stange, die mittelst Kugelgelenk an dem Schieber fixiert ist, der über 
den Griff des Abdrucklöffels geschraubt wird. So ist die Horizontalscheibe 
in jeder beliebigen Ebene fixierbar. Es wird zuerst der Abdrucklöffel mit 
Gips eingebracht, im Munde vom Assistenten festgehalten, der Gnathostat 
am Löffelgriff befestigt und nun mit Hilfe der vier Zeiger die Horizontal- 
scheibe auf die Frankfurter Horizontale eingestellt und so fixiert. Die 
Zeiger weisen auf die vier markierten Punkte. So hat man den Abdruck 
mit der erwähnten fixen, jeden Vergleich ermöglichenden Schädelebene in 
Beziehung gebracht und auf einfachste, hier nicht näher zu schildernde Art 
kann die Basisfläche eben jener Ebene parallel gemacht werden. Ein Blick 
auf die Abbildungen, die ein mit dem Gnathostaten und ein in früherer 
Weise willkürlich beschnittenes Modell zeigen, beweist besser als Worte 
den ganz hervorragenden Wert der Methode, die dabei dòch höchst einfach 
ist. — Als zweiten Fehler bei der üblichen Art der Diagnose und damit 
auch der ganzen Methode betrachtet Simon mit vollstem Recht die Un- 
möglichkeit, die gewöhnlich hergestellten Photographien der Patienten mit- 
einander zu vergleichen, wenn dieser Vergleich eben ein exakter werden soll 
und nicht nur eine scheinbare Stütze für die rein subjektive, gefühlsmäßige 
Einschätzung physiognomischer Abnormitäten und deren Veränderungen. 
Durch Anbringung einer horizontalen Stange von bestimmter Länge 
— 3m — an einem fixen Stativ, die an ihrem Ende ein horizontal um- 
klappbares, mit einem Einschnitt versehenes Plättchen trägt, erreicht 
Simon die notwendige Genauigkeit. Wenn der Patient so gesetzt wird, 
daß das Plättchen, in dessen Einschnitt die Nase des Patienten ragt, die 
beiden Infraorbitalpunkte gleichmäßig berührt, dann ist erstens seine Me- 
dianebene parallel der Plattenebene und zweitens ist die Distanz zwischen 
Medianebene des Patienten und Platte eine genau bestimmte und für alle 
Fälle die gleiche. Zeichnet man an solchen Photographien die Frankfurter 
Horizontale ein, was leicht gelingt, wenn man die Marken mitphoto- 
graphiert, so hat man exakt vergleichbare Bilder. Simon zieht außerdem 
die Vertikale auf die Frankfurter Horizontale durch den Infraorbitalpunkt, 
um so auch eine fixe Frontalebene zu erhalten. Ob aber gerade das letztere 
richtig ist, das heißt, ob man damit eine Ebene erhält, die wirklich von 
den Kieferveränderungen wenigstens relativ frei bleibt, muß vorläufig noch 
dahingestellt bleiben. — Jedenfalls muß man sagen, daß die beiden Ein- 
richtungen Simons, der Gnathostat und der Photostat, in ihrer Ein- 
fachheit geradezu geniale Lösungen von Problemen sind, die bisher so sehr 
vernachlässigt wurden, daß dadurch der ganzen Orthodontie immer der 
Stempel des rein Empirischen aufgedrückt blieb. Jetzt erst ist es möglich 
— und leicht möglich —, auf wirklich exakter Basis weiterzubauen. Gewiß 
wird vieles in der Diagnostik und Therapie geändert werden müssen, wenn 
erst die Fülle des Materiales mit Hilfe der Sim o n schen Apparate durch- 
geprüft sein wird. Sicher. 


206 Aus Vereinen und Versammlungen. 


Aus Vereinen und Versammlungen. 





Zentralverband der österreichischen Stomatologen. 


(Aussehußsitzungen am 26. Mai und 2. Juni 1919.) Die Ver- 
handlungen betrafen fast ausschließlich die Reorganisation des 
Zentralverbandes. Es kamen die zustimmenden Erklärungen des 
Vereins Wiener Zahnärzte, des Vereins österreichischer Zahnärzte und 
des Vereins der Zahnärzte für Tirol und Vorarlberg zur Verlesung. Vom 
Verein steiermärkischer Zahnärzte und von der Wirtschaftlichen Organi- 
sation der Zahnärzte waren damals noch keine Antworten eingelangt.') 

In der Junisitzung,. der in Vertretung des Vereins österreichischer 
Zahnärzte dessen Präsidium (die DDr. Breuer und Kränzl) bei- 
wohnte, kam auch eine vom Volksgesundheitsamt einzuberufende En- 
quete zur Regelung der Zahnärzte-Zahntechniker- 
frage zur Beratung. Es wurde der Beschluß gefaßt, das Volksgesundheits- 
amt im Staatsamt für soziale Verwaltung zu ersuchen, mit der Einberufung 
der Enquete bis zur erfolgten Reorganisation des Zentralverbandes zu 
warten, da dieser dann die Vereinigung aller zahnärztlichen Vereine und 
Korporationen Deutschösterreichs zu einem einheitlichen Körper dar- 
stellen wird. 


Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutschösterreich 8. 


Protokoll der Vorstandssitzung vom 9.Mai 1919. 


Anwesende: Dr. Kneucker, Dr. Markus, Dr. Natzler, Doktor 
Gilänyi, Dr Rieger, Dr Martens, Dr. Hauer, Dr. Roth, Dr. Elkan. 
Als Gäste: Dr. Breuer, Dr. Steinschneider, Dr. Kränzl. Vor- 
sitzender: Dr.Kneucker. Schriftführer: Dr.Elkan. 


Verlesung des Einlaufes: Einladung vom Verbande der Fachärzte 
Wiens an die Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutschöster- 
reichs zur Teilnahme an einer Ausschußsitzung. Hierzu wurde Dr. Stein 
delegiert. | 

Dr. Reschofsky ersucht in einem Schreiben um Intervention 
seitens der Wirtschaftlichen Organisation betreffs der Anmeldung des 
Goldes bei der Vermögensabgabe; Dr.Gilänyi wird damit betraut, im 
Staatsamt für Finanzen Erkundigungen einzuziehen, ob das Gold seitens 
der Zahnärzte überhaupt anzumelden sei. 

In einem Schreiben der Wirtschaftlichen Organisation der Ärzte 
Wiens werden Dr.Grün und Dr. Wantschura als Delegierte für die 
i Enquete betreffend die Zahnärzte-Zahntechnikerfrage no- 
miniert. 

Hierauf referiert Dr.Markus über die Sozialisierung. Referent war 
mit Dr. K neu cker in der Sozialisierungskommission bei Prof. Lederer, 


1) Die Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte hat indessen auch ihre 
Zustimmung gegeben. 








Aus Vereinen und Versammlungen. 207 


welchem von der Sozialisierung der Spezialärzte, also auch der Zahnärzte, 
nichts bekannt ist. Auch die zahntechnischen Betriebe sollen nicht sozia- 
lisiert werden. 


Dr.Markus referiert in Vertretung des Dr. Stark über die Schul- 
zahnkliniken und Ambulatorien -und stellt den Antrag, daß nur Kinder, 
die sich mit einem Mittellosigkeitszeugnis ausweisen, dort behandelt werden 
sollen. Dr. Natzler wird beauftragt, bei Dr. G.W olf, dem General- 
sekretär der Schulzahnkliniken, Erkundigungen einzuziehen. 


Dr.Rieger berichtet über die Zahntechnikerfrage. Es ist von seiten 
des Staatsamtes für soziale Fürsorge eine Enquete in Aussicht genommen, 
für welche Dr. Kneucker und Dr.Rieger als ‘Vertreter der Wirt- 
schaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs nominiert sind. 
Es wird beschlossen, demnächst eine eigene Sitzung einzuberufen, in welcher 
diese Frage allein auf die Tagesordnungekommen solle, um zur Klarheit 
über die in der Allgemeinheit der Mitglieder herrschende Anschauung, 
die Zahntechnikerfrage betreffend, zu kommen. 


Dr.Markus berichtet über die Zentraltechnik und teilt mit, daß 
die Vorarbeiten schon so weit erledigt sind, um eine eigene Vorstands- 
sitzung der Besprechung über die Zentraltechnik widmen zu können. 


Protokoll der Vorstandssitzung vom 23. Mai 1919. 


Anwesende: Dr.Kneucker, Dr.Rieger, Dr.Stein, Dr.Gilänyi, 
Dr.Hauer, Dr.Hasterlik, Dr.Markus, Dr.Natzler, Dr.Roth, Doktor 
Stark, Dr.Elkan. Vorsitz: Dr.Kneucker. Schriftführer: Doktor 
Elkan. . | 


Verlesung des Einlaufes: Doz. Dr. Zilz spricht in einem Schreiben 
seine Bereitwilligkeit aus, einen kurzfristigen Fortbildungskurs für prak- 
tische Zahnärzte abhalten zu wollen. Auch Prof. Dr.W eiser und Prof. 
Dr.Wunschheim haben für einen späteren Zeitpunkt zugesagt. 


Der Verein österreichischer Zahnärzte meldet Dr. Hugo Schön- 
auer als 2. Vertreter für die Sitzungen der Wirtschaftlichen Organisation 
der Zahnärzte Deutschösterreichs an. Der Zentralverband österreichischer 
Stomatologen übersendet ein Schreiben, betreffend die Reorganisation des- 
selben, und ersucht um Entsendung von Delegierten der Wirtschaftlichen 
Organisation in den Zentralverband. 


+ In der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage wird den beiden Vertretern 
Dr. Kneucker und Dr. Rieger in der zu gewärtigenden Enquete 
freie Hand gelassen. 


Hierauf hält Dr. Stark sein bekanntes Referat über die Zentral- 
technik und das Zentraleinkaufshaus; dieselben sollen auf Grundlage einer 
Genossenschaft mit beschränkter Haftung gegründet werden. Er liest die 
Statuten vor, die Anklang finden. Dr.Markus gibt die zum besseren 
Verständnis nötigen Aufklärungen. Dr.Stark demissioniert mit Rück- 
sicht auf seinen Gesundheitszustand als Präsidentstellvertreter, bleibt aber 
im Vorstand und als Mitglied des Wirtschaftlichen Ausschusses. Als Prä- 
sidentstellvertreter wird Dr: Rieger einstimmig gewählt. 


208 Aus Vereinen und Versammlungen. 


Dr.Hauer wird auf sein Ersuchen ermächtigt, den Lehrern in der 
Fortbildungsschule den Dank für den im Schuljahr 1918/19 geleiteten 
Unterricht für die Zahntechnikerlehrlinge auszudrücken. | 


Die Anregung Dr. Markus’ wegen Kohlenbeschaffung für den 
kommenden Winter wird beifälligst aufgenommen. Der Präsident wird 
diesbezüglich eine Eingabe an das Staatseamt für Handel und Gewerbe, 
Industrie und Bauten machen. 


Verein österreichischer Zahnärzte. 
Ordentliche Monatsversammlung vom 5. Dezember 1917. 


Anwesend die Herren DDr. B M lasko, Borschke, Brauner, Breuer, 
Bum, Frey, Friedmann, Karolyi,v.Kail, Kraus, Mitscha, Müller, 
Ornstein, Pichler, Piwnitschka, Schlemmer, Schuster, 
Schönwald, Schwabe, Silberer, Stauber, Steinschneider, 
Weiser, Ziegler. 


Präsident Dr. Breuer eröffnet die Versammlung und hält dem ver- 
storbenen Mitglied Dr. Otto Bertl, der am 10. Oktober 1917 begraben 
wurde, einen warmen Nachruf. 


Nach Verlesung des sehr reihen Einlaufes hält Dr.Breuer seinen 
Vortrag über: Honorarfrage und Steuerangelegenheiten. 


An der Diskussion beteiligen sich die Herren Prof. Dr.W eiser, 
Dr.Schönwald, Dr.Borschke, Dr.Müller, Dr.Frey und Doktor 
Friedmann. 


Ordentliche Monatsversammlung vom 23. Jänner 1918. 


Anwesend die Herren DDr. Ballasko, Borschke, Brauner, Breuer, 
Bum, Dussik, Frey, Karolyi, Kraus, Kronfeld, Löffler, Mitscha, 
Müller, Ornstein, Pichler, Piwnitschka, Schönwald, Schuster, 
Silberer, Steinschneider, Stanka, Prof.Weiser, Prof.v. Wunsch- 
heim, Ziegler. 


Dr. Pichler demonstriert 2 Fälle von Myxepitheliom des Gaumen». 
Er bemerkt hierzu folgendes: „Der Zufall, daß ich gerade zwei alte 
Frauen in Behandlung habe, welche von diesen immerhin nicht allzu 
häufigen Geschwülsten befallen sind, veranlaßt mich, Ihnen die Patienten 
vorzustellen. Es handelt sich dabei um Tumoren, die offenbar schon fötal 
angelegt sind und histologisch sehr nahe verwandt mit den bekannten 
Mischgeschwülsten der Parotisgegend sind. Ich habe die mikroskopischen 
Präparate im Nebenzimmer zum Ansehen aufgestellt. Diese Tumoren 
zeigen gewöhnlich ein sehr langsames Wachstum und sind von einer 
Kapsel eingeschlossen und gegen die gesunde Umgebung gut: begrenzt. 
Es tritt aber bisweilen ziemlich plötzlich ein stärkeres Wachstum auf und 
dann kommt es auch vor, daß die Geschwulst ihre Hülle durchbricht und 
in maligner Weise auf die Umgebung übergreift. 


Aus Vereinen und Versammlungen. 209 


Die erste Pat.Sch. erzählt, daß sie die Geschwulst erst seit drei 
Jahren bemerkt und daß diese seit einiger Zeit schnell gewachsen sei und 
ihr durch ihre Größe Beschwerden macht. Ich vermute, daß sie tatsächlich 
schon viel länger besteht. Es ist eine derbe, ungefähr hühnereigroße Ge- 
schwulst, höckerig, an mehreren Stellen oberflächlich exulzeriert, an der 
Grenze zwischen hartem und weichem Gaumen mit einem breiten Stiel 
aufsitzend. Sie verlegt den Rachen so weit, daß es nicht möglich ist, 
genau zu sehen, wie es hinter dem Tumor aussieht. Ich vermute aber, 
daß die operative Entfernung keine besonderen Schwierigkeiten machen 
wird. Das schließe ich aus meiner Erfahrung mit der zweiten Pat. EF., 
welche ich vor einigen Wochen operiert habe. Ich konnte die etwas kleinere, 
ganz im weichen Gaumen sitzende Geschwulst samt ihrer unverletzten 
Kapsel und der bedeckenden Schleimhaut überall im gesunden Gewebe aus- 
schneiden. Dabei wurde das nasale Blatt des weichen Gaumens ganz er- 
halten und es blieb nur ein großer Defekt des oralen Blattes des weichen 
Gaumens zurück. Der Fall ist deshalb interessant, weil es mir gelungen 
ist, diesen großen Defekt sofort mit Epidermis zu decken. Bei genauem 
Zusehen erkennen Sie, daß der flache Substanzverlust im weichen Gaumen 
mit einem zusammenhängenden, matten, weißlichen Epithelüberzug ver- 
sehen ist. Nur ganz vorne, wo der hintere Rand des Gaumenbeines bei 
der Operation von Periost entblößt worden ist, sieht man eine kleine 
granulierende Fläche. Dieser Erfolg ist ganz bestimmt von allergrößter 
Bedeutung für die Pat., weil ohne den Epidermisüberzug bei der Vernarbung 
sicherlich eine starke Schrumpfung des Gaumensegels eingetreten wäre. Ich 
glaube allerdings, daß trotzdem noch eine gewisse Schrumpfung eintreten 
wird, aber in viel geringerem Maße, als wenn der Substanzverlust per 
granulationem geheilt wäre. Eine leichte Insuffizienz des Gaumensegels 
ist auch jetzt da. (Aufforderung an die Pat.zu sprechen: Die Sprache 
ist ganz frei von nasalem Beiklang.) 


Ich bin überrascht, daß der nasale Ton, welcher vor einigen Tagen, als 
ich die Pat. zum letzten Mal sah, noch sehr deutlich war, inzwischen völlig 
geschwunden ist. Der Weg, auf dem ich das Anheilen der Thiersch- 
schen Läppchen erreicht habe, ist eine Modifikation der Methode von 
Esser. Es wurde ein Stück Abdruckmasse in die muldenförmige Höhle 
‘gedrückt und am hinteren freien Rand der oberen Zahnprothese der Pat. 
provisorisch mit Draht befestigt. Dann wurden die etwas unterminierten 
Ränder des Defektes rundherum mit einigen Nähten gefaßt, so daß eich 
damit die Wundränder überall ein wenig über den Rand der Stentseinlage 
ziehen ließen. Diese wurde hierauf getrocknet, mit Mastisol bepinselt und 
auf der oberen Seite mit einem breiten, vom Oberarm der Pat. entnommenen 
Thierschschen Epidermislappen beklebt, dessen Wundfläche natürlich 
nach außen liegt und dessen Ränder auch die Ränder der Einlage überall 
gut bedecken. Dann wurde die Prothese eingesetzt und die Nähte wurden 
über der oralen Fläche der Einlage radiär miteinander verknüpft, so daß 
diese mit ihrer Epidermisbedeckung der Wundfläche gleichmäßig angedrückt 
wurde. Nach 6—8 Tagen waren die Katgutnähte durchgeschnitten, die 
Prothese mit der Einlage wurde entfernt und es zeigte sich, daß die Epi- 
dermis auf der ganzen Wundfläche mit Ausnahme des Knochens angeheilt 
war. An einer Stelle bestand ein winziges Loch im weichen Gaumen, 


210 Aus Vereinen und Versammlungen. 


das nach der Nase führte, aber unter dem Schutz der Prothese in wenigen 
Tagen. von selbst verheilt ist. 

Nachtrag: 6 Wochen später war die Mulde schon sehr abgeflacht 
und glatt. Die Sprache klingt nur sehr wenig nasal. Beim Trinken voll- 
kommener Abschluß des Velums. Auch bei der anderen Pat. Sch. wurde 
die Geschwulst ohne nennenswerte Schwierigkeit entfernt und die An- 
heilung von Oberhautlappen fast im ganzen Bereich des Defektes erreicht.“ 

Prof. W eiser bemerkt in der Diskussion hierzu: „Außer den von 
mir bereits publizierten Fällen von Anheilung der Thiersch-Lappen 
im Unterkiefer sind mir in jüngster Zeit auch wiederholt Thiersch- 
Lappen im Öberkiefer anstandslos angeheilt, wo es sich darum handelte, 
breite Wundflächen zu epithelisieren, welche bei der Loslösung narbiger 
Anwachsungen von Lippen- und Wangenschleimhaut sich ergaben. Speziell 
mit Bezug auf Dr. Pichlers operierte Myxepitheliome gereicht mir die 
Wahrnehmung zu großer Befriedigung, daß allmählich immer größere Ge- 
N der chirurgischen Stomatologie in die Domäne der Zahnärzte über- 
gehen.‘ 

Dr. Breuer setzt seine Ausführungen über Honorarfrage und 
Seer NEEE gen leiten fort. 


Ordentliche Monatsversammlung vom 6. März 1918. 


Anwesend die Herren DDr. Ballasko, Borschke, Breuer, Bum, 
Dussik, Frey, Friedmann, Jarisch, Kraus, Mitscha, Ornstein, 
Pichler, Piwnitschka,Schlemmer, Schuster, Surreker, Stauber, 
Steinschneider, Prof. Weiser, Prof.v. Wunschheim, Ziegler. — Als 
Gäste: Herasko, Hecht, Hoffmann, Kalmar, Natzler. 


Präsident Dr. Breuer eröffnet die Sitzung. 

Im Einlauf ist eine Einladung der ‚„Wirtschaftlichen Organisation 
der Zahnärzte“, in der um Stellungnahme hierzu ersucht wird. Wir be- 
grüßen die Gründung einer wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte 
und jedem einzelnen Mitgliede steht es frei, dieser Verbindung beizutreten. 

Dr.Friedmann glaubt, daß wir als Verein der Sache zuwartend 
gegenüberstehen sollten. 

Vortrag Dr. Pichler. 

Präsident Dr. Breuer dankt Herrn Dr. Pichler für die besonders 
interessanten Demonstrationen. 

Dr.Kr-onfeld gibt eine Anregung, wonach den Herren, die ein- 
gerückt sind, freigestellt werden soll, ihre Beiträge zu zahlen oder nicht. 


Ordentliche Monatsversammlung vom 5. Februar 1919. 


Präsident: Dr.Breuer. 
Schriftführer: Dr.Kränzl. 


Anwesend die Herren DDr.Ballasko, Borschke, Brauner, Breuer, 
Bum, Dussik, Frey, Friedmann, Fuchs, Hillischer, Jarisch, 
Kränzl, Kraus, Müller, Ornstein, F. Peter, Piwniczka, K. Ro- 
biczek, Safron, Schwabe, Stauber, Steinschneider, Schlemmer, 
Schön, Schönauer, Schönwald, Weiser. Wolf, v.Wunschheim, 
Zeliska, Ziegler. — Als Gäste: Janisch, Irall, Sicher. 





BE SEE Ze Vor uE E 
‘ 


Aus Vereinen und Versammlungen. 911 


Der Präsident eröffnet die Sitzung und konstatiert die Beschluß- 
fähigkeit. Er begrüßt den nach seiner Rückkehr aus der russischen Ge- 


fangenschaft zum ersten Mal im Verein wieder erschienenen Dr. Zeliska. 


Er verliest den Einlauf, darunter eine Einladung der Gesellschaft 
für Zahnpflege in den Schulen. Dazu berichtet Dr. Wolf, daß er als 
Mitarbeiter für Mundhygiene in das Staatsamt für Volksgesundheit be- 
rufen worden sei. 

Hierauf stellt Med.-Rat Dr.Friedmann den Antrag, Punkt 3 der 
Tagesordnung, eine geplante Lösung der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage, 
als nächsten Punkt vornehmen zu wollen; wird angenommen. 

Nach dem erschöpfenden Referat des Präsidenten und einer ein- 
gehenden Wechselrede stellt Prof. Wunschheim den Antrag, ein drei- 
giedriges Komitee zu wählen, welches sich an den Verhandlungen mit 
den Zahntechnikern zu beteiligen habe und dem Vereine jeweils Bericht 
erstatten solle. Wird einstimmig angenommen und hierauf in das Komitee 
gewählt: Dr.Breuer, Dr.Kränzl, Dr.Dussik. 


Verein Wiener Zahnärzte. 
Sitzung vom 16. Jänner 1919. 


Vorsitzender: Prof. Dr.L.Fleischmann. 
Schriftführer: Dr.E.Bermann. 


Dr. Fritz Pordes: Zahnärztliche Röntgenbilder und deren Deutung. 
(Projektionsvortrag.) | 

Bet: der durch den Rahmen eines Vortrages nötigen Auswahl aus 
den zu besprechenden Kapiteln der Kieferradiologie gelangt Vortr. zu den 
als ihm wichtig erscheinenden zwei Fragen nach der Indikationsbreite der 
Röntgenologie in der Zahnheilkunde und nach der Frage der. Deutung 
zahnärztlicher Röntgenbilder. Zur Beantwortung beider Fragen gibt Vortr. 
eine kurze Schilderung der physikalischen Natur der Röntgenstrahlen, 
wobei er zu dem Ende kommt, daß das Röntgenbild als zentral projektivisch 
gewonnenes Diagramm der Dichtigkeitsunterschiede zu betrachten ist, und 
bespricht dann in einer Reihe von nach Kapiteln der Pathologie aus- 
gewählten Röntgenbildern diese beiden Fragen. Die Auswahl der de- 
monstrierten Kapitel war folgende: Stellungs- und Durchbruchanomalien ; 
zahnärztliche Fremdkörper; Fausse route; Veränderungen des Schmelzes; 
Veränderungen des Zements (Hyperzementose); Veränderungen des Dentins 
(Dentikel), sekundäres Dentin, penetrierende Karies; Veränderungen der 
Alveolen; Periodontitis marginalis (Pyorrhoe); Periodontitis periapicalis. 

Als Periodontitis chronica plastica non resorp- 
tiva beschreibt Vortr.an dieser Stelle,eine bisher wenig oder nicht be- 
achtete Form der chronischen Periodontitis, welche röntgenologisch durch 
Verbreiterung des Periodontalraumes und Verdichtung und Verbreiterung 
(reaktiver Entzündung) der Alveolarinnenkompakta gekennzeichnet ist. 


TET. FI NISNI ASENA a eher KEE 


212 Kleine Mitteilungen. 


Die Erkrankung findet sich an jenen Zähnen, welche die anscheinend un- 
erklärlichen periodontitischen Beschwerden verursachen und bisher sehr 
häufig als röntgenologisch negativ befunden worden sind. 

Periodontitis periapicalis resorptiva — Granulom und Wurzelzysten 
mit ihren verschiedenen morphologischen Varietäten und Kombinationen. 

Jedes dieser Kapitel wird zunächst an der Hand typischer Röntgen- 
bilder erörtert und dann einzelne atypische Fälle des betreffenden Kapitels 
demonstriert. Weiterhin werden noch die Indikationen des Grenzgebiets 
der Zahnheilkunde und der „großen Chirurgie“, Tuberkulose, Lues, Aktino- 
myokse, benigne und maligne Tumoren der Erörterung unterzogen. ` 


Prof. L. Fleischmann: Der Beifall, den der Vortrag des Herrn 
Dr. Pordes auslöste, beweist, wie recht ich habe, wenn ich ihm für 
seine ganz besonders instruktiven Ausführungen herzlichst danke. 


. Kleine Mitteilungen. 





(Dem Verband der Zahnärzte der Handelsgremialgehilfenkrankenkasse) 
ist es durch seine Aktion, welche durch dessen Obmann Dr.Stark wirk- 
sam vertreten wurde, gelungen, eine von 50—100% abgestufte Erhöhung 
der Honorare zu erreichen. Leider gab eg — wie immer unter den Ärzten 
— auch diesmal Dissidenten, welche auf eigene Faust Unterhandlungen 
mit der Krankenkasse pflogen und die Arbeiten des Vorstandes erschwerten. 


(Die „Zentralstelle für weibliche Berufsberatung“) sucht geeignete 
Mädchen nach Schulschluß als Lehrlinge der Zahntechnik, ferner Mädchen 
reiferen Alters als Assistentinnen bei Zahnärzten unterzubringen. Aus- 
es erteilt das Sekretariat der „Zentralstelle“, Wien, I., Salvatorgasse 

r. 10. 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


— . 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Mlnzgasse 6, 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 


Organ Mi, Ye nsenshaflichn Zahnärzte Osterreichs. 


Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 
des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und 
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs. 





Original Arbeiten. 





Die folgenden Artikel sind erweiterte Diskussionsbemer- 
kungen zu einem Vortrag Dr. Schreiers, den er als Er- 
widerung auf Gottliebs Vortrag: „Wurzelbehandlung mit 
besonderer Berücksichtigung des Antiformin“ (Öst. Zeitschr. f. 
Stomat., 1919, H.1) im Verein Wiener Zahnärzte gehalten hat. 

Die Ausführungen Schreieres decken sich dem In- 
halte nach mit einem Vortrage, den er im Jahre 1913 im Verein 
Wiener Zahnärzte gehalten hat (Öst. Zeitschr. f. Stomat., 1914, 
H.1); es erscheint daher hier nur sein Schlußwort. 


Zahnärztlich-röntgenologische Betrachtungen zur 
Wurzelbehandlungsfrage. ') 
Von Dr. Fritz Pordes. 


Einleitend sei bemerkt, daß es nicht Gegenstand des folgenden 
kleinen Aufsatzes sein kann, für oder wider eine der vielen unterschied- 
lichen Arten der medikamentösen Behandlung des Pulpkanales Stellung 
zu nehmen. 

Als Röntgenarzt — gleichsam Konsiliarius — sieht man im Laufe 
der Jahre sehr viele Ergebnisse aller Methoden. Und man kommt zu dem 
Ergebnisse, daß jeder gewissenhafte Arzt mit der von ihm geübten Art 
der Behandlung ein relatives Optimum erzielt. Daß es eine universell 
wirksame Methode nicht gibt, konnte — nach dem Erfahrungssatz der 
alten Ärzte, nach dem je mehr Mittel, desto weniger sicher das einzelne 
“— geschlossen werden. 

Überlegen wir, was unter dem Sammelbegriff „Wurzelbehandlung“ 
von einer Behandlungsmethode verlangt wird, nämlich der „reaktions- 
lose Verlauf“, so sehen wir, daß das angefangen von der Devitalisierung 
eines völlig intakten, kariesfreien Zahnes zum Zwecke der Verwendung 
als Brückenpfeiler über die Behandlung einer Pulpitis partialis, totalis 
oder gangraenosa bis zur Heilung bereits manifester Periodontitis peri- 


1) Nach einer Diskussionsbemerkung zur diesbezüglichen Debatte im Verein 
Wiener Zahnärzte. 
Q 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 19 


214 Fritz -Pordes. 


apicalis incipiens und dem ausgebildeten Wurzelspitzengranulom ein recht 
umfangreiches und für eine Behandlungsmethode recht vielgestaltiges und 
reichhaltiges Indikationsbereich darstellt. 


Im günstigsten Fall — bei dem kariesfreien intakten Zahn — hande 
es sich wesentlich um die Erhaltung der im Pulp-Cavum vor- 
auszusetzenden Keimfreiheit. In allen anderen Fällen ist — wie 
bekannt — das Pulpa-Cavum als zweifellos infiziert anzusehen. ° 


Der wichtige Unterschied fiele gewiß noch schwerer in die Wagschale, 
wenn es sich nicht um ein in der Mundhöhle gelegenes Operations- 
feld handelte. Dennoch erschöpft sich im ersteren Falle die Aufgabe des 
Operateurs in der Fernhaltung exogener Noxen. In allen 
anderen aber gilt es, eine durch pathogene Keime hervorgerufene und 
unterhaltene Entzündung zu beeinflussen. 


Zwei Erwägungen waren es vor allem, die mich bewogen, zu dieser 
a priori nur die praktischen Zahnärzte angehenden Debatte das Wort zu 
erbitten. -Die erste betrifft die in der Debatte mehrfach angezogene Frage 
der Sterilität und Asepsis bzw. der Desinfektion und Antisepsis. Sterilität 
— Keimfreiheit im einzig erlaubten Wortsinn — ist bei Eingriffen, 
die innerhalb der Mundhöhle vorgenommen: werden, ein Pium desiderium. 
Schreier hat gewiß recht, wenn er den unter Kofferdam liegenden Zahn 
mit einem aus seiner unhygienischen Häuslichkeit in einen mit allen 
Finessen ausgestatteten ÖOperationssaal gebrachten Patienten vergleicht. 


Abgesehen davon, daß, um den Vergleich vollkommen zu gestalten, 
der Kofferdam am Zahnhals bakteriendicht abschließen müßte, wäre 
selbst der intakte Zahn aber erst dann unter halbwegs aseptischen Kautelen, 
wenn die Zahnoberfläche und die Bohrhöhle — SterilitätanHänden 
und Instrumenten vorausgesetzt — wirklich steril zu machen wäre. Prak- 
tisch ist sie das nicht und es werden zweifellos Erreger von außen nach 
ınnen eingebracht werden. 


Pulpitis partialis aber oder totalis oder gar gangraenosa wäre 
gleichzuhalten etwa einem perforierten Empyem des Wurmfortsatzes oder 
der Spaltung eines Pyarthros —, Fälle, die auch dem penibelsten Chirurgen 
unerwünscht verlaufen können. 

Da somit von Sterilität bei der Wurzelbehandlung kaum mit Recht 
gesprochen werden kann (was natürlich nicht etwa dem leichtfertigen Auf- 
geben der Sterilität dort, wo man sie haben kann — an Händen und In- 
strumenten — das Wort reden soll; fremdes Infektionsmaterial dürfen 
wir keinesfalls dazu tun!), so muß der Weg der Desinfektion und Anti- 
sepsis betreten werden. Sterilität bedeutet Keimfreiheit, Des- 
infektion heißt — so lehrt die Hygiene — Streben nach möglichster 


Zahnärztlich-röntgenologische Betrachtungen etc. | 215 


Vernichtung der pathogenen Keime Sterilisafion und D es- 
infektion sind beide nur am toten Objekt anwendbar. 

Innerhalb des lebenden Gewebes zu desinfizieren, Zellen im Zellen- 
staat elektiv töten, wäre die trotz der bakteriotropen Mittel, wie Eukupin, 
Optochin und Salvarsan, nicht erreichbare Therapia sterilisans magna — 
der medizinische Stein der Weisen. Deeinfizieren können wir den leeren, 
toten Pulpkanal bis zur Abrißstelle der Pulpa in der Gegend 
des Foramen apicale. Der Ort aber, an dem eich die „Reaktion“ ab- 
spielt oder nicht — meines Erachtens richtiger: an dem sie sich immer 
abspielt, und in dem einen Fall die Bewußtseinsschwelle erreicht, in 
dem anderen nicht — ist die periapikale Kalotte des leben- 
den Periodontium. 

Pathogenes Material in der lebenden Pulpa vorhanden oder in eie 
eingebracht, wird durch das, wie Gottlieb so erlösend richtig bemerkt, 
keine Grenze bildende Föramen apicale mit Sicherheit in die genannte 
periapikale Periodontkalotte übergeleitet werden und sich dort einnisten 
können. i - 

Den leeren Pulpakanal mag man nun nach Extraktion der Pulpa 
ferro ignique reinigen und desinfizieren, den Keimgehalt des lebenden 
Gewebes um den Apex wird das sehr wenig kümmern, um so weniger, da 
man das ganze Gebiet wörtlich „aus einem Punkt kurieren“ müßte. 

Es bleibt also — was zu beweisen war — so gut wie immer 
auch bei penibelster Arbeit in der periapikalen Kalotte des 
Periodontium ein Infektrest, der von den Abwehrkräften des 
Organismus überwunden werden muß. 

Ob dies gelingt, hängt einerseits von der Kondition und Konstitution 
des Trägers, andrerseits von der Zahl und Virulenz der Keime ab. Ge- 
. schwächte Individuen (Diabetes, Tuberkulose, Rekonvaleszenz nach Masern, 
„anergisches“ Stadium) werden doppelt im Nachteil sein, da sie einer 
a priori reicheren und virulenteren Mundflora mit verminderten Kräften 
gegenüberstehen. | 

In jedem Fall von Wurzelbehandlung wird sich ein, nennen wir 
es „reaktiver Vorgang“, im Gebiete der Abrißstelle der Pulpa, i.e. peri- 
apikale Kalotte abspielen. 

Ich bin mir bewußt, damit nichts Neues zu sagen. Die Erörterung 
dieser Erkenntnis war als erster Teil jedoch notwendig, um die Voraus- 
setzungen zu dem zweiten, mein Arbeitsgebiet der radiologischen Diagnostik 
betreffenden Teil zu schaffen. 

Ich finde bei wurzelbehandelten Zähnen — auch bei völlig be- 
schwerdefreien, die aus anderen Gründen zur radiologischen Untersuchung 
kommen — in einem überwältigend hohen Prozentsatz — um nicht zu 


19* 


216 Fritz Pordes. Zahnärztlich-röntgenologische Betrachtungeu etc. 


sagen bei allen — Veränderungen im Gebiete der periapikädlen Periodont- 
kalotte, die allerdings meistens so geringfügig sind, daß ich sie im Be- 
funde kaum erwähne, sie vielmehr meistens in den Bereich des sozusagen 
Physiologischen subsumiere. 


Vorhanden sind diese Veränderungen für den geübten Beobachter 
jedoch zweifellos — wie gesagt — in annähernd 100% aller Fälle. 


Es handelt sich um minimale Erweiterungen des peri- 
apikalen Periodontalspaltes, ganz zarte Auffaserung 
und Auflockerung oder — was pathologisch-anatomisch als andere 
Form dem gleichen Vorgange entsprechen würde — um Verstärkung 
der apikalen Alveolarinnenkompakta. 


Kurzum, es sind Zeichen, die unzweideutig auf einen abgelaufenen 
entzündlichen Prozeß deuten, der im Knochen bekanntlich Resorption- 
Halistere einerseits und Apposition-Sklerose andrerseits nebeneinander 
verursachen kann. 


Es resultierte das Paradoxon, daß — wollte man konsequent sein — 
jeder wurzelbehandelte Zahn seine Periodontitis periapicalis durchgemacht 
haben muß, daß es also eine reaktionslose Wurzelbehandlung sensu 
strietiori nicht gibt. 

Wie sich das praktisch verhält, mag etwa an einer kleinen Schnitt- 
oder Stichwunde an den Fingern erörtert werden, wie sie jeder täglich 
an sich beobachten kann. 


Wenn die verletzte Stelle am Tag nach dem kleinen Unfall — be- 
sonders beim Waschen — ein wenig Unbehagen verursacht, ja sogar einen 
kleinen rötlichen Hof zeigt, wird es wohl niemandem einfallen, dem als 
einer infektiößsen Entzündung, die es zweifellos darstellt, ernstlichere Be- 
achtung zu schenken — und doch ist davon zur Lymphangitis und zur 
Phlegmone nicht mehr als ein kleiner Schritt. 

Die kleine Schrunde an der Hand heilt spurlos und das Korrelativ 
an der periapikalen Kalotte um die Abrißstelle der Pulpa hinterläßt 
wegen der eigentümlichen anatomischen Beschaffenheit der Gegend, der, 
chirurgisch gesprochen, denkbar ungünstigsten für den Verlauf eines per 
sit venia verbo secunda®n intentionem heilenden lazerierten Wunde eine 
bleibende Veränderung in Gestalt der beschriebenen feinsten Veränderungen 
am Periodontalspalt und an der Alveolarinnenkompakta. 

Ich hätte die vielen, zum großen Teil als Binsenwahrheiten erschei- 
nenden Prämissen und Erkenntnisse nicht so ausführlich zu erörtern gewagt, 
erschiene mir die Schlußfolgerung für Röntgenologen und Zahnarzt nicht 
so eminent wichtig. Mit ermutigt, diese seit langer Zeit subjektiv evidenten 


a rn A 
nt 


B. Gottlieb. Einige weitere Bemerkungen zur Wurzelbehandlung. 217 


Erkenntnisse mitzuteilen, hat mich die den reichen klinischen Erfahrungen 
des Herrn Dozenten Dr.B.Klein entsprungene Äußerung, daß „jeder 


u. Zahn seine periapikalen Veränderungen habe“. IH Hi 
ie klinische Erfahrung KTeıne, daß im Laufe so gut wie jeder RL iR, 
Pulpbehandlung Zeiten des — wenn auch nur leichtesten und kurz- ` Á 
dauernden — Mißbehagens einen „Vorgang“ um den Apex anzeigen, be- lei: ; 
gegnen sich mit der radiologischen Erfahrung von der sichtbaren Ver- í i 
änderung des periapikalen Gebietes in solchen Fällen. Die Wichtigkeit Ne BE 
scheint mir in der durch diese Erkenntnis noch weiter erschwerten Findung 7 ; im v 
der Grenze zwischen der noch „normaln“ und „schon mit Sicherheit u 

pathologischen“ Periapikalkalotte zu lje@en, um so mehr, als bekanntlich i 
gerade diese Fälle der initialen Periodontitis periapicalis 
resorptiva die diagnostisch nd therapeutisch größeren Schwierig- 
keiten zu bereiten pflegen, als bereits ausgebildete Granulomhöhlen oder 
Zysten. 

Die vorliegende kleine — als vorläufige zu betrachtende — Mitteilung 
ist als erweiterte Diskussionsbemerkung wegen der Kürze der Zeit ohne 
Belegmaterial und entbehrt daher der ziffernmäßigen Exaktheit. Ich hoffe, 
in Bälde das klinische und radiologische Material ausführlicher in Gemein- 
schaft mit Doz. Klein bringen zu können. 









Einige weitere Bemerkungen zur Wurzelbehandlung.'‘' 
Von Dr.B. Gottlieb. 


Ich habe seit der letzten Vereinssitzung KaNa oft verwendet uhd 
bin zu folgendem Schlusse gekommen: Gleichgültig, ob es sich von vorn- 
herein um durchgängige Kanäle handelt oder ob erst versucht werden 
muß, sie durchgängig zu machen, ist sowohl die Dauer der Behandlung 
wie der Endeffekt bei Antiformin und bei KaNa der gleiche. Was KaNa 
durch Erzeugung einer heißen Lauge an Ort und Stelle zu bewirken im- 
stande ist, nämlich die Überführung der organischen Substanzen in einen 
löslichen Zustand, das trifft auch das Antiformin. Daß Säure nicht un- 
bedingt notwendig ist, habe ich betont. Es ist aber jedenfalls überflüssig, 
nach der Säure Soda einzuführen. Man fängt mit Antiformin an und 
hört mit Antiformin auf. Da das Antiformin ein sehr intensives Alkali 
ist, besorgt es selbst die Neutralisation eventuell verwendeter Säure zur 
Genüge. Das Antiformin besteht ja aus Natriumhypochlorid und Laugen. 


1) Zur Diskussion über den Vortrag Dr.E.Schreier: „Warum haben wir 
keine einheitliche Methode der Wurzelbehandlung?“ 


218 B. Gottlieb. 


Nicht nur Zeit und Endergebnis sind die gleichen, sondern auch die 
Zahl der verwendeten Mittel. Beim KaNa wird das Präparat verwendet, 
dann mit Wasserstoffsuperoxyd ausgewaschen und mit Alkohol getrocknet. 
Beim Antiformin wird eventuell noch Säure verwendet und: ebenfalls mit 
Alkohol getrocknet. Die auf diesen Punkt sich beziehende Bemerkung 
des Herrn Dr.Schreier ist also nicht gerechtfertigt. Welches Mittel 
bequemer zu verwenden ist, hängt natürlich in erster Reihe von der Ge- 
wöhnung ab, in zweiter Linie aber auch von der Lokalisation des zu 
behandelnden Zahnes. Bei Trepanation oberer seitlicher Schneidezähne 
z. B. wird es so manchem Kollegen angenehmer sein, eine mit KaNa über- 
zogene Nadel einzuführen, bei unteren Zähnen wird er mit Antiformin 
lieber arbeiten. 

Was nun den Vorgang bei der Antiforminbehandlung anlangt, über 
den Herr Dr.Schreier Auskunft haben wollte, so kann ich nur wieder- 
holen, was ich das erste Mal gesagt habe. Das Antiformin ist imstande, 
organische Substanz aufzulösen. Wenn wir eine frisch extrahierte Pulpa 
in ein Schälchen mit Antiformin geben, die Wurzelbehandlung zum Ab- 
schluß bringen und uns nach der Pulpa im Antiformin umschauen, so 
finden wir höchstens noch einen Schatten. Vermöge dieser Eigenschaft 
des Antiformins sind wir in der Lage, jeden Kanal durchgängig zu machen. 
wenn nicht eine ausgesprochene Knickung im Wurzelverlauf vorliegt. Dazu 
kommt, daß durch die Mechanik des Herausschwemmens ganze Partikel 
an den Kanaleingang befördert werden, was als eine Beschleunigung der 
Reinigung registriert werden muß. Bei der Umsetzung mit Säure wird 
O und Cl frei, die das ihrige zur Desinfektion beitragen. 

«e Warum ich aber, bevor ich zum Antiformin übergegangen bin, was 
übrigens sehr bald nach dem Beginn meiner zahnärztlichen Tätigkeit der 
Fall war, nicht mit KaNa gearbeitet habe, hat darin seinen Grund, daß 
ich davor zurückschreckte, im Munde ein „Feuerwerk“ anzurichten, wie 
ich es von verschiedenen Seiten gehört: hatte. Das muß zumindest als 
starke Übertreibung bezeichnet werden. Im Besitze des Antiformins jedoch 
habe ich keine Veranlassung, im allgemeinen nach anderen Methoden zu 
greifen. 

Der Umstand, daß Schreier bei jeder Gelegenheit mit aller Kraft 
für die Benützung des Kofferdam eintritt, hat stellenweise den Eindruck 
hervorrufen können, daß KaNa nur unter Kofferdam zu verwenden ist. Es 
verdient deshalb neuerdings bestätigt zu werden, daß auch in Fällen, wo 
kein Kofferdam angelegt werden kann, KaNa ganz gefahrlos zu gebrauchen 
ist. Herr Dr.Schreier plädiert mit vollem Recht für den Kofferdam 
und es wird niemandem einfallen, ihm darin: zu widersprechen. Auch vom 
Standpunkte der Zeitökonomie muß man für den Gebrauch des Koffer- 





Einige weitere Bemerkungen zur Wurzelbehandlung. 219 


dam eintreten, da die für das Anlegen desselben aufgewendete Zeit durch 
das von der Sorge um den Speichelzutritt entlastete Arbeiten in den 
meisten Fällen überkompensiert wird. 

Und nun möchte ich noch auf einen Punkt seiner Ausführungen 
eingehen. Er erwähnt, daß er die Pulpa immer unter Anästhesie gleich 
extrahiert und, wenn nicht eine auch bei Zuwarten nicht stillstehende 
Blutung ihn daran hindert, er gleich — natürlich mit Point — füllt. 
Dieser Vorgang ist theoretisch ohne Zweifel der idealste. Das heißt, ins 
Chirurgische übersetzt, eine Operation einzeitig zu Ende führen und gleich 
nähen. Das ist die beste Garantie gegen jede Infektion. 

Die sofortige . Pulpaextraktion unter Anästhesie wird von vielen 
Kollegen geübt. Auch ich habe diese Methode anfangs zögernd und in 
der letzten Zeit immer häufiger angewendet und kann sie ebenfalls aufs 
wärmste empfehlen. Wiewohl ich noch vor fünf Monaten die Arseneinlage 
als normalen Vorgang bezeichnet habe, sehe ich mich veranlaßt, das zu 
widerrufen und es als wünschenswert zu bezeichnen, die sofortige Pulpa- 
extraktion unter Anästhesie, Kofferdam und möglichster Sterilität als Norm 
zu bezeichnen. Viele lassen sich deshalb davon abhalten, weil sie bei 
Eröffnung der Pulpakammer unter Anästhesie eine Empfindlichkeit beim 
Durchstoßen des Kammerdeckels vorfinden und annehmen zu müssen 
glauben, daß bei tieferem Vordringen die Empfindlichkeit sich steigern 
müßte. Es muß daher hervorgehoben werden, daß trotz Vorhandenseins 
dieser Empfindlichkeit die Pulpaextraktion ganz schmerzlos von statten 
geht. Es erinnert uns dies Verhalten an die Tatsache, daß die Schmelz- 
dentingrenze meist empfindlicher ist als.das Dentin, trotzdem die nervöse 
Leitung durch das Dentin zieht. Man muß annehmen, daß die sensiblen 
Auffangsapparate an diesen zwei Stellen (in dem einen Falle die Odonto- 
blastenschicht, in dem anderen Falle die an organischer Substanz relativ 
reiche Schmelzdentingrenze) besonders empfindsam sind, deren Reiz trotz 
vorhandener medikamentöser Leitungsunterbrechung sich zu einer Zeit 
noch durchsetzt, während der von zentralwärts gelegenen Stellen aus keine 
Reize gegen das Zentrum hin befördert werden können. 

Die Methode der sofortigen Pulpaextraktion unter Anästhesie eignet 
sich für jede Praxis, nicht nur weil sie mit dem geringsten Zeitaufwand 
verbunden ist, sondern weil sie logisch und erfahrungsgemäß die beste ist. 
In diesem Punkte müssen wir Dr.Schreier rückhaltslos zustimmen. 

Anders verhält es sich mit der sofortigen Wurzelfüllung in den 
. Fällen von anscheinend stillstehender Blutung. Trotzdem wir diese Me- 
thode vom Standpunkte der Sterilität als das Ideal betrachten müssen, 
trotzdem ich in den Fällen, in denen ich sie angewehdet habe, nicht 
eine periostale Reizung erzeugte, halte ich sie trotzdem nicht für all- 


-T ma ege, 


990 B. Gottlieb. Einige weitere Bemerkungen zur Wurzelbehandlung. 


gemein empfehlenswert. Es kann kommen und kommt auch bei der Be- 
rührung der Points mit der frischen Querschnittswunde zu einer neuer- 
lichen Blutung, die sogar in manchen Fällen am Kanaleingang neben dem 
Point manifest wird, woraus wir schließen können, daß sie in anderen 
Fällen bei geringerer Intensität ebenfalls vorhanden sein kann, ohne am 
Kanaleingang zum Vorschein zu kommen. Dieser Blutung gegenüber 
können wir uns aber keinesfalls so gleichgültig verhalten wie der Chirurg 
gegenüber einer kleinen Nachblutung in sein Operationsfeld. In den 
Weichteilen können Blutgerinnsel organisiert und unschädlich gemacht 
werden, im Wurzelkanal können wir auf so einen Vorgang nicht rechnen. 
Es wird das Blut im Kanal liegen bleiben und bei absoluter Sterilität 
wohl keinen Schaden anrichten, jedoch bei Vorhandensein auch nur einer 
geringen, im Anfang latenten Infektion, mit Rücksicht auf den totalen 
Mangel an Schutzvorrichtungen, in dem toten Kanal im Laufe der Zeit 
Unheil stiften können. 


‘Ferner fehlt mit Rücksicht auf die bestehende Anästhesie die kon- 
trollierende Angabe des Patienten, ob wir mit dem Point schon am 
Foramen apicale sind und stoppen müssen, eine Kontrolle, auf die auch 
eine feinfühlende Hand nur ungern verzichten wird. 


Endlich ist die Pointfüllung undicht, wenn eine Blutung zwischen 
Point und Kanallumen erfolgt ist, wodurch wir einiger Vorteile beraubt 
werden, die ich seinerzeit zugunsten der Guttaperchapointfüllung ange- 
führt habe. 


Aus diesen Gründen sehe ich mich veranlaßt, die Methode der so- 
fortigen Wurzelfüllung nach Pulpaextraktion unter Anästhesie nicht all- 
gemein zu empfehlen. Am geeignetsten hierfür sind die Zähne älterer 
Individuen mit atrophischer Pulpa und engem Foramen apicale. 


Hat man jedoch mit Arsen abgeätzt und tritt bei der Pulpaextraktion 
' nach 48 Stunden keine unstillbare Blutung ein, so empfiehlt es sich, gleich 
zu füllen. Vor allem haben wir die Kontrolle des Patienten und die 
Gefahr der Nachblutung ist nach der Arsenwirkung eine geringere. 


Allenfalls kann man die Behauptung aufstellen, daß man in der 
Regel eine Wurzelbehandlung bei lebender Pulpa in höchstens 2 Sitzungen 
zum Abschluß bringen kann. Es sei nochmals bestätigt und betont, daß 
diese Abkürzung nicht bloß im Interesse der Zeitersparnis gelegen ist, 
sondern auch eines reizloseren Ablaufes der Behandlung. 


Die Forderung nach einer allgemein anerkannten, einheitlichen | 
Methode der Wurzelbehandlung halte ich für durchführbar und dringend. 


Heinrich Reschofsky. Prinzipien der Zahnheilung. 291 


Prinzipien der Zahnheilung. 
Von Dr. Heinrich Reschofsky. 


Dr. Schreier sagt, unser Fach sei nur eine Kunstfertigkoit; 
damit meint er wohl nur die manuelle Ausführung wie auth bei der 
übrigen Chirurgie. Die Entdeckung der Mikrobien und deren Wirkung 
auf den Organismus ist eine Wissenschaft, sie hat auch die Erfindung 
des KaNa gezeitigt, dessen Erfinder sich somit selbst dementieren will. 

Nur schießen wir über das Ziel hinaus. 

Seit Robert Koch wimmelt es. in unserem Gehirn von Bazillen 
und Kokken, unser ganzes Sinnen und Trachten ist darauf gerichtet, die 
Mikrobien zu ätzen, sengen, morden, brennen. Keine Nilflußniederung ist 
je so überschwemmt gewesen, wie die Zahnhöhle mit Antiseptizis. 

Obendrein handelten viele, darunter auch meine Wenigkeit, nach der 
gehäuften Methode und freuten sich kannibalisch, wie da erst die Bazillen 
zappeln müssen, wenn man die wirksamsten Antiseptika addiert, kombiniert 
und kumuliert. Die Toxine der Bakterien wurden gerne übersehen mit- 
samt ihrer Unschädlichmachung, ebenso blieb die Inkompatibilität der 
Chemikalien ein wunder Punkt. | 

Wir sind beherrscht von der Beherrschung der Antisepsis und ver- 
gessen, daß unser Endzweck die Heilung des kranken Zahnes ist und der 
bethlemitische Bakterienmord nur ein Mittel, eine Vorbedingung zu diesem 
Endzweck darstelle. Das hat die allgemeine Chirurgie längst eingesehen 
und ist auf dem Wege über Antisepsis, dann Asepsis zur Überzeugung 
gelangt, daß man alles vermeiden soll, was den Heiltrieb des Organismus 
stören könnte. Antisepsis ist nur ein Teil der Therapie und durch über- 
mäßige Anwendung stört sie nur die Heilung und zerstört ihr eigenes 
Werk. Weshalb sollte der Zahnarzt dieser Erkenntnis nicht zugänglich sein ? 

Ich unterschätze den Eprouvettenversuch nicht, aber den Zusammen- 
hang des lebenden Organismus kann er nie ersetzen, da ist Empirie maß- 
gebend. Auch ich habe meine Anschauung nicht über Nacht gebildet, 
sondern nach vielfachen Mißerfolgen und im: Laufe jahrelanger Erfah- 
rungen. Der Zahn soll nicht als Ding an sich behandelt werden, sondern 
als Teil des Organismus mit Berücksichtigung des vitalen Zusammenhanges. 
Dazu sind wir univ. Med.-Doktoren, daß wir dieser Tatsache Rechnung 
tragen. Und das Mittel, das den Mikrobien vermeint war, schädigt viel 
leichter die empfindlichere Organzelle in ihrer Funktion als das zähe, 
. widerstandsfähigere Bakterium. Deshalb soll die Tätigkeit des konzen- 
trierten Antiseptikums nur auf den Zahn beschränkt bleiben. 

Und das vereint sich nicht mit der alleinseligmachenden Viel- 
geschäftigkeit, denn speziell die mit Watte armierte Nadel wirkt wie .ein 

Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 2% 


222 Heinrich Reschofsky. Prinzipien der Zahnheilung. 


Spritzenstempel und treibt einen Teil des Wurzelkanalinhalts durch das 
Foramen apicale, deshalb vermeide ich es, gleich in der ersten Sitzung 
Vergnügungsreisen durch den Kanal anzustellen. Im günstigsten Falle 
bleiben Veränderungen des Gewebes im Apex, wie sie Doz. Klein im 
Röntgenbilde selbst bei gelungenen, vorläufig reaktionslosen Fällen kon- 
statierte, die Prof. W eiser als Narben diagnostizierte. Eine nicht vas- 
kularisierte Narbe bleibt ein Fremdkörper, der sich nach jahrelanger Ruhe 
rühren kann, und ist stets ein Locus minoris resistentiae wie der ganze 
tote Zahn. Wo man es daher vermeiden: kann, soll man es vermeiden. 
Aber je komplizierter und mühsamer eine Behandlung, desto stolzer ist 
man, sie innezuhaben, und dankt inbrünstig Gott, nicht so zu sein wie 
die Horde. 

Und nun kommt Dr.Schreier, der uns ein Mittel erfindet, mit 
welchem man nur in den Wurzelkanal zu fahren braucht, um dasselbe 
zu erreichen. Einfach empörend! Wenn es schon unangenehm ist, das 
Beharrungsvermögen einer bequemen, altgewohnten Methode durch eine 
mühsame neue zu überwinden, ist es direkt aufreizend, eine einfache an- 
zuerkennen, die jedem zugänglich ist und die ganze hehre eigene Aus- 
erlesenheit unnötig macht. Leider ist die Art und Weise, in welcher Dr. 
Schreier zu seiner Methode bekehren will, beleidigend. Einzelne Aus- 
nahmsfälle, die jedem passieren können, zu verallgemeinern und die An- 
schauungen irgend eines Herrn aus Bombay ‘zum „Standard of gentlemen- 
hood“ zu erheben, erregt Kopfschütteln. Unfaßbar ist mir auch, wie jemand 
die Konstitution und Disposition leugnen kann. Wie viele Menschen 
haben ihr Leben lang faule Wurzeln ohne Beschwerden im Munde, während 
andere ewig an Schmerzen und Entzündungen leiden. 

Wie erklärt sich Dr. Schreier, daß alle kofferdamlosen, daher 
nur Auch-Zahnärzte, mindestens in der Hälfte der Fälle doch mit Erfolg 
arbeiten trotz des Wüsten-Schreiere, der seine KaNa-Magnesiumblitze 
gegen das kofferdammte Zähne-Babel schleudert? ! Dann haben wir es 
ja bei faulen Zähnen mit dem schon infizierten Organ zu tun und es 
‚wird keinem Chirurgen einfallen, bei einem Mißerfolg nach der Operation 
eines eitrigen Blinddarms oder einer Ovarialzyste seiner eigenen oder 
seines Personals Hand- und Fußwaschung die Schuld zu geben. 

Auch die Chirurgen arbeiten nicht alle nach einer einheitlichen 
Methode. Womit der eine glänzende Erfolge erzielt, das versagt bei dem 
anderen, was noch lange nicht gegen seine Tüchtigkeit spricht. Vorurteils- 
lose Prüfung soll jede ernste Anregung empfangen, damit sie befruchtend 
neben den anderen wirken könne. 

Im Sinne meiner Ausführungen ist also das KaNa wohl keine 
Panacee, aber ich verwende es seit 15 Jahren mit dem besten Erfolge 





- E. Schreier. Schlußwort. 223 


und kenne kein anderes Mittel, das ebenso rasch als gründlich desinfiziert 
und dabei so einfach in der Handhabung ist. Deshalb empfehle ich 
wärmstens, es zu versuchen. Nur muß man sich streng an die Vorschriften 
des Erfinders halten, bevor man ein Urteil fällt. Denn jede Behandlung 
ist eine Serie von Einzelaktionen, die wie Kettenglieder ineinandergreifen 
und, da jede Kette so stark ist, wie ihr schwächstes Glied, so wird sie 
reißen, wenn man eines ihrer Glieder willkürlich durch ein schwächeres 
ersetzt. Da hat man kein Recht zum Nasenrümpfen. Andrerseits ist das 
noch kein Anlaß, um beschimpft zu werden. Noch weniger ist es Gott 
lieb, wenn jemand eine so bedeutende Erfindung, die einen mächtigen 
Fortschritt bedeutet, ohne sie überhaupt versucht zu haben, nur so über 
die Achsel mit einigen herablassenden Worten zur Seite schiebt. 

Zum Schlusse möchte ich Ihnen Folgendes ans Herz legen: Gene- 
rationen vor uns haben aus ihren jahrelangen Erfahrungen und glücklichen 
Gedanken die Treppen gebaut und eingesäumt mit den Warnungstafeln 
ihrer Irrtümer. Auf diesen mühvoll gebauten Stufen steigt der Nachfahre, 
dem auf diese Weise Irrtümer erspart bleiben, mühelos empor zu den 
Höhen des heutigen Wissens und es ziemt ihm daher nicht, geringschätzig 
herabzublicken auf eben diese Stufen, denen er es zu verdanken hat, daß 
er so hoch steht. ! 


` 


Schlußwort. 
Von Dr.E. Schreier. 

Ehe ich zur Besprechung der zu meinem Vortrage vorgebrachten 
Bemerkungen mich wende, will ich mich darüber äußern, was mich dazu 
veranlaßt hat, meine Ausführungen in eine ungewöhnliche und heftige 
Form zu kleiden. Das war die Überzeugung, daß endlich etwas zu ge- 
schehen hat, um, wenigstens in unserem Verein, in welchem der viel- 
geplagte Praktiker Belehrung und Anregung zu finden erwartet, es durch- 
zusetzen, daß bei Besprechung einer Frage Tatsachen erörtert werden. 
Herr Dr.Oppenheim hat sich gewundert und gefragt, warum es keine 
einheitliche Methode der Wurzelbehandlung gibt. Diese Frage habe ich 
klar und deutlich beantwortet und gezeigt, daß die Frage falsch gestellt 
war. Denn das hat auch die Diskussion ergeben, daß sie eigentlich zu 
lauten hatte: Warum wird eine Methode der Wurzelbehandlung, die nun 
beinahe 30 Jahre besteht — die Kalium-Natriummethode —, die im Prinzip 
richtig aufgebaut, in der Praxis die besten Resultate ergibt, die von 
jedem leicht und sicher gemeistert werden kann, mit Beharrlichkeit tot- 
geschwiegen und von der Wissenschaft, gegen die sie ja durchaus nicht 
verstößt, bei Seite geschoben ? Diese Frage konnte, wenn wahrheitsgemäß, 


20% 





224 E. Schreier. Schlußwort. 


nicht höflich beantwortet werden, und so ist es natürlich, daß meine 
Ausführungen auf entrüsteten Widerspruch gestoßen sind. 

Über sonstige in der Diskussion aufgeworfene Fragen kann ich mich 
ganz kurz fassen. Herr Dr.Gottlieb meint, niemand wird mir ernst- 
lich widersprechen, wenn ich immer und immer wieder für den Gebrauch 
‚des Kofferdam eintrete. Darin irrt er, alles widerspricht in dieser Frage, 
und es war nicht das erste Mal, daß ich mit scharfer Betonung Aussprüche 
von Professoren zitiert habe, welche an deutschen Universitäten lehren 
und gegen den Gebrauch des Kofferdam sich wenden. Herr Dr.Pordes 
bestreitet, wenn ich ihn recht verstanden habe, die Berechtigung des von 
mir gebrauchten Ausdruckes: Aseptisches Vorgehen. Ich höre von der 
Asepsis immer in der Chirurgie sprechen und habe mir sie bisher immer 
so vorgestellt. Der Chirurg hat irgend einen Eingriff im nicht infizierten 
Gewebe vorzunehmen, das er deswegen für keimfrei hält, weil keine Kon- 
tinuitätstrennung vorliegt. Er reinigt das Operationsfeld und glaubt, daß 
er es keimfrei bekommt. Es ist mir nicht bekannt, daß er, um sicher zu 
sein, eine bakteriologische Untersuchung anstellt und daß er ein Bakterien- 
filter während des Verlaufes der Operation um die Wunde legt, wie es 
Dr.Pordes von mir zu verlangen scheint, wenn er einwendet, daß der 
Kofferdam nicht bakteriendicht schließt. Dann nimmt der Chirurg durch 
Kochen steril gemachte Instrumente in seine, wie er annimmt, nicht durch 
Kochen, steril gemachten Hände, wischt mit sterilen Tupfern das Blut 
weg usw. Wenn ich an einem intakten Zahne aus irgend einem Grunde 
die Wurzelbehandlung zu machen habe, so bringe ich ihn in mein Sana- 
torium, den Kofferdam, dann reinige ich ihn ebenso wie der Chirurg sein 
ÖOperationsfeld, nicht durch Kochen, was auch der Chirurg nicht tut, 
sondern, und da habe ich vor dem Chirurgen einen Vorteil, indem ich ihn 
in Kalilauge bade. Dann öffne ich ihn mit einem in der Flamme aus- 
geglühten Karborundstein und dringe in die Pulpakammer mit einem 
ausgekochten Bohrer. Nichts hindert mich, auch weiter genau so vorzu- 
gehen, wie der Chirurg bei seiner Operation und so bin ich wohl ebenso 
wie dieser berechtigt zu sagen, daß ich aseptisch vorgehe, ùm so mehr, 
als ich niemals in die Lage komme, meine Wunde mit den Händen zu 
berühren. 

Nach Beendigung der Operation bleibt ebenso wie beim Chirurgen 
eine aseptische Wunde, die der Organismus aus Anerkennung für mein 
Vorgehen reaktionslos zur Heilung übernimmt. Daß an den meisten, 
wenn nicht an allen wurzelbehandelten Zähnen röntgenologisch nachweis- 
bare Veränderungen des apikalen Teiles sich finden, bezweifle ich um eo 
weniger, als ich mich schon im Jahre 1893 durch eigene Untersuchungen 
davon überzeugt habe, daß Pulpitis und Periostitis nur Grade derselben 


J. Koch-Langentreu. Bericht über die kieferchirurg. Tätigkeit ete. 295 


Infektion sind, indem ich immer imstande war, bei Pulpitis aus dem 
Periost des extrahierten Zahnes dieselben Eitererreger zu züchten wie aus 
der makroskopisch unveränderten Pulpa. Für mich folgt daraus, daß ich 
jeden pulpakranken Zahn als mit einem apikalen Abszeß kompliziert an- 
nehme, weshalb ich die Wurzel nicht unmittelbar nach der Desinfektion 
fülle, sondern erst in einer späteren Sitzung, wenn eine dichte provisorische 
Füllung reaktionslos vertragen wurde. Eine Ausnahme mache ich nur dann, 
d.h. ich fülle sofort, wenn eine Fistel besteht, denn der Prozeß im Knochen 
kann nur dann heilen, wenn nicht immer von neuem frisches Infektions- 
material durch den Wurzelkanal zugeführt wird, und das ist nur dann 
möglich, wenn der Kanal gefüllt ist. 

Herr Dr.Reschofsky wendet ein, daß auch Zahnärzte, welche 
ohne Kofferdam arbeiten, bei der Wurzelbehandlung Erfolge erzielen, wie 





er angibt, wenigstens in der Hälfte der Fälle. Ich zweifle nicht daran und . 


bin ihm sehr dankbar, daß er bei der Wahrheit bleibt und nicht behauptet, 
daß sie überhaupt keinen Mißerfolg haben. Ich kann ruhig versichern, 
daß alle diese Zahnärzte bei Verwendung des Kofferdam wenigstens um 
30% mehr Erfolge aufzuweisen hätten und dabei rascher, leichter und 
angenehmer, auch für den Patienten, die Arbeit ausführen würden. Ich 
werde mich speziell bemühen, ihn davon zu überzeugen und hoffe, daß 
er schon bei der nächsten Gelegenheit in den Schlachtruf Kofferdam ein- 
etimmen wird. 


: Bericht über die kieferchirurgische Tätigkeit des 
zahnärztlichen Universitätsinstitutes Graz 1914—1918. 
- (Vorstand: Prof. Dr. Franz Trauner.) 
Von Assistenten Dr. Josef Koch-Langentreu. 


Bereits im Jahre 1913, als uns die Gefahr eines Krieges nahe rückte, 
machte Prof. Trauner beim Kriegsministerium in Wien auf die Not- 
wendigkeit einer spezialistischen Behandlung der Kieferverletzten und Zahn- 
kranken aufmerksam und stellte für den Mobilisierungsfall das zahnärzt- 
liche Universitätsinstitut (Z. U.-I.) dem Kriegsministerium zur Verfügung. 
Das Anerbieten wurde mit M.-K.-E. Nr. 2160 ex 17. Mai 1913 angenommen 
und zugleich die Vergütung der Materialkosten durch das Militärärar zu- 
gesichert. Dieser Erlaß bildete die Grundlage, auf der die Behandlung 
der kieferverletzten Soldaten sofort mit Kriegsbeginn in Angriff genommen 
werden konnte. 

Mit 3. Oktober 1914 stellte der Frauen- und Hilfsverein vom Roten 
Kreuze in Steiermark im Rekonvaleszentenheime des Landeskrankenhauses 
(Kottulinski-Stiftung) eine kleine Abteilung von 20 Betten zur Verfügung 
des Z. U.-I. Bereits nach 3 Monaten erwiesen sich diese Räume zu klein 
und wurde das ganze Haus mit 100 Betten Belag Prof. Trauner, der 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 21 


226 | Josef Koch- Lang entren. 


inzwischen zum Oberstabsarzt auf Kriegsdauer ernannt worden war, über- 
lassen. Der weitere Zuzug von Verwundeten, besonders seit dem Eintritt 
Italiens in den Krieg, machte eine Erhöhung des Belages auf 200 Betten _ 
im selben Hause notwendig. Die langwierige, oft 1—2 Jahre und länger 
dauernde spezialistische Nachbehandlung schwer Kieferverletzter ließ auch 
diesen Belagraum zu klein werden, so daß im Juli 1916 das Universitäts- 
spital mit einem Belagraum von 200 Betten dem Kieferspital als Re- 
konvaleszentenstation angegliedert wurde. 


Die Lage des Kieferspitals im Areale des Landeskrankenhauses er- 
möglichte es, die gesamte Behandlung der Verletzten (technisch wie ope- 
rativ) an dem Z. U.-I. zu konzentrieren. Die mit einem Verwundeten- 
transport angekommenen Patienten wurden ins Kieferspital eingeliefert, 
verblieben während der ersten Zeit, so lange sie schwer transportabel waren, 
daselbst und mußten mittelst Rollwagen auf die Klinik geführt werden. 
In der Rekonvaleszenz wurden die Leute dem Universitätsspital übergeben. 
Dortselbst waren auch die Schulen für verschiedene Handfertigkeiten, für 
Sprachen, Schreiben und Lesen sowie für Landwirtschaft untergebracht, die 
den Leuten während der langen Nachbehandlungsperiode Beschäftigung 
bieten und ihnen die Möglichkeit geben sollten, sich für den oft notwendigen 
Berufswechsel vorzubereiten. Zur weiteren Ausbildung wurden solche 
Soldaten ambulatorisch in die verschiedenen Invalidenschulen gesandt. 
Gleichzeitig damit setzte die unter der Leitung des Lektor Steil stehende 
Schulung der Kieferverletzten im Sprechen ein, deren treffliche Erfolge 
für das Fortkommen der Leute im Leben von hervorragender Be- 
deutung sind. 


Am Z. U.-I. wurde ferner die Behandlung der zahnkranken und jener 
Militärpersonen des Korpsbereichs Graz und darüber hinaus durchgeführt, 
die behufs Erlangung der Frontdiensttauglichkeit mit einer Prothese zu 
beteilen waren. Diese Leute — in viele Tausende gehend — waren im 
k. u. k. Reservespital Nr.2 in Eggenberg untergebracht und erschienen zur 
ambulatorischen Behandlung. Zur Bewältigung dieser vielseitigen und um- 
fangreichen Arbeit waren dem Z. U.-I.10 Ärzte zugeteilt worden, die auch 
den Inspektionsdienst in beiden Spitälern versahen. Gegen 20 militarisierte 
‚ Zahntechniker besorgten den technischen Teil des Betriebes. 


Schwierig war es, in den schon für den Friedensbetrieb kisinan 
Räumen des Z. U.-I. Platz zu schaffen für den Massenbetrieb, den es als 
Zentralstelle für alle Kieferverletzten und Zahnkranken zu bewältigen 
hatte. Alle Lokalitäten mußten ausgenützt werden: der Hörsaal wurde 
geteilt und in eine Technik verwandelt, ebenso wie das histologisch-mikro- 
skopische Laboratorium. Weiters wurde das Kurszimmer sowie ein Keller- 
raum den Technikern eingeräumt. Das Zimmer des klinischen Assistenten 
wurde zum ÖOperationsraum umgestaltet.. Im Plombiersaal standen zwölf 
Stühle in enger Nachbarschaft. Das Verbinden der Kriegsverletzten sowie 
ganz kleine chirurgische Eingriffe wurden jedoch in den Verbandzimmern 
der beiden angegliederten Spitäler vorgenommen. 

Leichter gestaltete sich die Einrichtung des Rekonvaleszentenheimes 
als Kieferspital, das nahezu mit demselben Komfort wie das Landeskranken- 
haus ausgestattet ist. Im Universitätsspital hingegen ergaben eich mannig- 
fache Schwierigkeiten. Zur Verfügung standen nur die Aula, das juridische 


Bericht über die kieferchirurgische Tätigkeit ete. 297 


Dekanat und Prüfungszimmer, die juridischen Hörsäle sowie das theo- 
logische Dekanat und die theologischen Hörsäle. Es mangelte an warmem 
Wasser, das immer aus der Küche im Keller geholt werden mußte; die 
schwierige Heizung der hohen Hörsäle im Winter machte sich oft genug 
unangenehm bemerkbar. 


Die Verwundeten kamen in der späteren Kriegszeit durchschnittlich 
5—6 Tage nach dem Trauma, jedoch immer innerhalb der ersten 12 Tage 
in unsere Hände. Zu Kriegsbeginn freilich lagen die Verhältnisse in dieser 
Hinsicht viel ungünstiger, es vergingen oft Monate, ehe die Verletzten 
einer spezialistischen Behandlung zugeführt wurden, was leider nur zu 
oft zu einer nicht mehr gut zu machenden Schädigung des Heilungsverlaufes 
führte. Die primäre Versorgung der Verwundeten von auswärts war die. 
denkbar primitivste und beschränkte sich auf die Stillung der ersten, oft 
äußerst profusen Blutungen, die weitere Behandlung auf Mundspülungen. 
Die Nahrungsaufnahme mochte Tage hindurch gleich Null gewesen sein; 
so war der Gesamtzustand der Patienten immer ein sehr schlechter. Hatte 
sich der Mann nach 24—48 Stunden von den Strapazen des Transportes 
einigermaßen erholt, so wurde an die Versorgung der Wunde geschritten. 
Sehr selten war es notwendig, Narkose anzuwenden, fast immer fanden 
wir mit einer Umspritzung mit 1—2%iger Novokainlösung das Auskommen, 
ja sehr häufig konnten wir gerade diese erste Ausräumung ganz ohne 
jede Schmerzbetäubung ausführen, wenn wir nur mit der nötigen Vorsicht 
zu Werke gingen und vor allem unnötigen Zug und Druck im gesunden 
Gewebe vermieden. Diese erste reinigende und, ich möchte sagen, orien- 
tierende Operation beschränkte sich darauf, alles zu entfernen, was an 
losen Knochenstücken und Zahntrümmern in der Wundhöhle lag und jene 
fürchterliche Jauchung und den Gestank verursacht, der bekanntlich der 
Kieferverletzung eigen ist. Ganz besondere Aufmerksamkeit wurde dabei 
auch den Zahnwurzeln, sowohl frakturierter als auch kariöser Zähne, ge- 
schenkt, weil diese unseren Erfahrungen nach in hohem Maße die primäre 
Heilung der Wunde wie insbesondere der Knochen (Pseudarthrose) ver- 
zögern. Lange dauernde Wangen- und Narbeninfiltrate und Fisteln sahen 
wir prompt sich zurückbilden nach Extraktion einer anfangs vergessenen 
und zurückgelassenen Wurzel. Was die Erhaltung von Knochenstücken 
anlangt, bei denen es fraglich erschien, ob sie wieder funktionstüchtig 
werden würden, so muß natürlich die Kieferchirurgie in ihrem Vorgehen 
knuservativer sein, als es ihre’ große Schwester, die allgemeine Chirurgie, 
ist, aber prinzipiell wurde zweifelhafter Knochen geopfert, auch in größerer 
Ausdehnung, wenn wir hoffen konnten, dadurch eine im Gang befindliche 
Sepsis in ihren schwersten Folgen vom Patienten abwenden zu können. 
Bei allen Unterkieferbrüchen beendeten wir diese erste Operation mit einer 
Drainage der Frakturstelle von der Mundhöhle nach außen mit Gummi- 
drain, das uns ein Reinhalten der Wunde und das tägliche Durchspritzen 
derselben mit H.O, ermöglichte. Es folgte Verband mit Ichthyolglyzerin. 
Der prinzipiellen Verwendung von Ichthyol schreiben wir es zu, daß das 
Erysipel bei uns ein seltener Gast war, während es sonst bei Kopf- 
verletzungen fast unvermeidlich schien. Freilich unterstützten wir diese 
Wirkung des Ichthyols durch eine sorgfältige Pflege der umliegenden Haut 
mit besonderem Augenmerk auf Aknepusteln und seborrhoische Ekzeme 
des behaarten Schädels. Übrigens behielten wir fast alle Fälle von Erysipel 


21* 


228 Josef Koch-Langeutreu. 


in unserer Behandlung, um nicht kostbare, schwer errungene Erfolge mangels 
spezialistischer Beaufsichtigung einzubüßen. Gleichzeitig mit der ersten 
Versorgung der Verletzung wurden Gipsabgüsse der Kiefer genommen 
und so rasch als möglich an die Schienung der Fraktur geschritten. 


Die Gesichtspunkte, die bei der Wahl einer Schienungsmethode für 
uns entschieden, waren in erster Linie die möglichste Fixierung der Bruch- 
stücke in der besterreichbaren Artikulation, in zweiter Linie die tunlichst 
einfache Konstruktion, die eine entsprechende Festigkeit und Dauerhaftig- 
keit versprach neben leichter Möglichkeit der Reinigung und schließlich 
durfte der Apparat nicht zu viel Raum einnehmen, damit der Patient 
nicht unter Behinderung der Nahrungsaufnahme und des Sprechens leide. 
Zwecks leichterer Reinhaltung des Mundes wurden abnehmbare Apparate 
bevorzugt. 


War es gelungen, durch Schienung die Fraktur zur Heilung zu bringen, 
so wurde so rasch als möglich eine Prothese angefertigt, wobei wir bemüht: 
waren, zwischen den kosmetischen und praktischen Gesichtspunkten ein 
entsprechendes Kompromiß zu schließen. Nun kam die Nachbehandlung. 


Schwere Defekte der Weichteile wurden meist bald nach der primären 
Heilung in Angriff genommen, sobald nur die entsprechenden Bedingungen 
— Ende der Sequestrierung und Erweichung der Narben — gegeben 
schienen. Im Kampfe mit den Narben und keloiden Geweben haben sich 
uns die manuelle Massage derselben und die Bestrahlung mit Quarzlampe 
bestens bewährt. Selbstverständlich richteten wir auch unser schärfstes 
Augenmerk auf einen guten Gesundheitszustand der Haut; Komedonen 
und Aknepusteln wurden erst nach den üblichen Methoden zum Ver- 
schwinden gebracht, ehe an die Operation geschritten wurde. Zur Deckung 
der Weichteildefekte wurde ausschließlich die umliegende Haut in Form 
von gestielten Lappen herangezogen. Die Umwälzung gestaltete sich häufig 
sehr groß, da äußere Haut oft zur Bildung der Wangenschleimhaut und 
diese wieder für das Lippenrot gebraucht wurde. Häufig genug mußten 
eine oder mehrere korrigierende Nachoperationen der ersten großen Plastik 
nachgeschickt werden, Ein eigenes Kapitel der Weichteilplastiken stellen 
die Fisteln der Parotis und des Ductus Stenonianus dar. Diese sind im 
allgemeinen als benigen zu bezeichnen; in den meisten Fällen genügte 
eine sorgfältige Faszienplastik zum Verschluß; in zwei Fällen wandten 
wir die Behandlung mit Faden ohne Ende mit bestem Erfolge an. Zur 
Schmerzbetäubung wurde bei allen plastischen Operationen ausschließlich 
die Lokalanästhesie mit 1%iger Novokain-Adrenalinlösung verwendet. 


Schwer gestaltete sich die Behandlung der Pseudarthrosen des Unter- 
kiefers. Erst wurde versucht, nach exaktester Schienung, durch Exzision 
der bindegewebigen Brücke zwischen den Stümpfen und Anfrischung der 
Knochenenden mit Eröffnung der Markhöhle den Knochen zu proliferativem 
Wachstum anzuregen. Hatte dieser Eingriff keinen Erfolg gezeitigt, so 
wurde zur Knochenplastik geschritten. Zur Verwendung gelangten aus- 
schließlich Knochenspäne, die mittelst Kreissäge aus dem einen der 
Knochenstümpfe entnommen wurden und mit einem möglichst breiten er- 
nährenden Weichteil-Muskelstiel in Verbindung standen. Der Knochen- 
span wurde zwischen die Stümpfe gelegt und das Periost sorgfältigst genäht. 
und darüber eine entsprechende Weichteildecke zum Schutze gelegt. Vor- 


Bericht über die kieferchirurgische Tätigkeit etc. 399 


bedingung für diese Autoplastik war exakteste Schienung der Kiefer in 
richtiger Artikulation, um eine sichere Ruhigstellung der Frakturenden 
zu gewährleisten. Dem Patienten wurde anfangs nur breiige Nahrung ver- 
abreicht und ihm auch das weite Öffnen des Mundes untersagt. Von einem . 
Gipsverband wurde jedoch immer Abstand genommen. In jenen seltenen 
Fällen, wo diese Methode, eventuell wiederholt, keinen Erfolg zeitigte 
und dann, wenn Patient einen operativen Eingriff verweigerte, verfertigten 
wir mit Hilfe von abnehmbaren Silbergalerien Prothesen, die fast immer 
das Kauvermögen in zufriedenstellender Weise verbesserten. 

Bei den Verletzungen des Oberkiefers kamen als häufigste und un- 
angenehmste Komplikationen die Perforationen des harten Gaumens und 
die Eröffnung der Kieferhöhle in Betracht. Letztere mußte übrigens oft 
genug erst sekundär wegen Empyems operativ eröffnet werden. Unser 
Vorgehen bei Behandlung von Kieferhöhleneiterungen bestand in ziemlich 
breiter, gut zugänglicher Freilegung von der Mundhöhle aus. Dann wurde 
durch 2—3 Wochen fest tamponiert, inzwischen wurde eine Prothese mit 
zapfenförmigem Fortsatz als Verschluß angefertigt. Dieser Zapfen wurde 
dann nach und nach verkleinert und so der Perforationsöffnung Gelegen- 
heit zum Verschluß gegeben. Chronische Empyeme der Highmorshöhle, 
die jeder Behandlung trotzten, wurden 'behufs Radikaloperation der spe- 
zialistischen Behandlung übergeben; es waren deren nur wenige. 

Was die technische Seite unseres Betriebes anlangt, so hatten wir 
unter dem allgemeinen Mangel an Rohmaterial sehr zu leiden. Vom Jahre 
1917 an konnte Kautschuk nur mehr für die notwendigsten Arbeiten für 
Kriegsverletzte verwendet werden, alle anderen Prothesen mußten aus 
Aluminium und Zellon angefertigt werden, dessen Beschaffung ebenfalls 
mit großen Schwierigkeiten verbunden war. Zur Ausfüllung umfangreicher 
Peloten und Kautschukfortsätze verwendeten wir mit gutem Erfolge das 
Material alter zerstückelter Prothesen in 25% Zusatz zum frischen Material. 

Der gänzliche Mangel an Alkohol zur Desinfektion der Hände zwang 
uns, Benzin zu diesem Zweck zu verwenden und die fast ausnahmslose 
per primam-Heilung unserer Gesichtsplastiken spricht für die gute Ver- 
wendbarkeit desselben als Desinfiziens. 


Statistische Übersicht über die Tätigkeit des Z. U.-Bund der ihm an- 
gegliederten Spitäler 1914—1918: 


Kieferverletzte: Zuwachs: 3117. Abgang: 1308 als dienst- 
tauglich zum Kader, 754 zur Superarbitrierung, 387 in diverse Rekon- 
valeszentenabteilungen abgegeben, 648 in andere Spitäler transferiert, 
20 durch Tod. 

Operationen: Sequestrotomien 741, Geschoßextraktionen 59, 
Abszeßeröffnungen 477, Weichteilplastiken 301, Knochenplastiken 88, 
Kieferhöhlenoperationen 121, Naht von Fisteln der Parotis und des 
Duktus 31, Epulis 19, Zysten 49, Wurzelspitzenresektionen 145, Dentitio 
difficilis des Weisheitszahnes 26, Unterbindungen großer Gefäße 16, Osteo- 
tomien 9, Osteome 1, Alveolarresektionen .135, sonstige 153. 

Ambulatorium: Zahnextraktionen 47.854, Prothesen 20.156, 
Füllungen 15.672. 


230 Winke für die Praxis. 


Winke für die Praxis. 





Zur Herstellung von Amalgamkronen. 
Von Dr. Eduard Kränz). 


Der Aufbau von Amalgam auf Molaren und Prämolaren — ein 

billiger und dauerhafter Ersatz für Goldkronen — wird sehr mit Unrecht 
in der Praxis, selbst in der Praxis pauperum, vernachlässigt. Ohne 
Zweifel ist es leichter, eine Goldkrone dem Gefühle des Patienten nach 
gut sitzend und schön glänzend zu machen, als einen dauerhaften Aufbau ° 
aus Amalgam herzustellen, der mesial und distal richtige Kontaktpunkte 
und naturgemäße Formen aufweist. Da eine richtig verankerte und 
genügend massiv aufgebaute Amalgamkrone eine mindestens ebenso lange 
Lebensdauer wie eine Goldkrone hat, dafür aber nicht den Nachteil des 
. unter das Zahnfleisch getriebenen und dort selbst im besten Falle als 
Fremdkörper wirkenden Ringes, ist die Indikation für jene bei Molaren 
fast immer gegeben. Bei den Prämolaren unterliegt ein ganz freier 
Aufbau auf einen Wurzelstumpf derselben Gefahr der leichten Splitte- 
rung der Wurzel wie eine mit einem einfachen Stiftzahn versehene In- 
zisiven- oder Kaninuswurzel. In vielen Fällen wird aber bei Prämolaren 
schon dann eine Krone gemacht, wenn mesial und distal Karies ist und 
der bukkale oder palatinale bzw. linguale Höcker stärker unterminiert ist. 
In solchen Fällen halte ich die Indikation für eine Krone noch nicht für 
gegeben, weil man mit einer mesio-okkluso-distalen Füllung, die zugleich 
auch die ganze Kaufläche mit einbezieht und dadurch die übrig gebliebenen 
Stümpfe vor dem Absplittern schützt, auch den Zahn dauernd konser- 
vieren kann. ® 


Die Technik der Anfertigung der Amalgamaufbaue als bekannt 
vorausgesetzt, soll der Zweck dieser Zeilen nur sein, gewissermaßen die 
Lust und den Mut zu Amalgamkronen zu heben, da ich aus eigener Er- 
fahrung weiß, daß man immer eine gewisse Scheu vor denselben hat, 
wegen des Zeitaufwandes in den Ördinationsstunden, der geringen Ein- 
schätzung bei den Patienten und des eigenen geringen Zutrauens in 
die Festigkeit des Aufbaues und seiner Widerstandsfähigkeit gegen se- 
kundäre Karies. Letztere Einwände oder Annahmen sind bei richtigem 
Vorgehen beim Präparieren, Verankern und Stopfen des Amalgams eo 
ipso hinfällig. Die Einschätzung ist die materielle Seite der Angelegen- 
heit und erledigt sich daher in jedem Falle und bei jedem Arzte anders. 
Was den Zeitaufwand anbetrifft, so kann man denselben bedeutend herab- 


Winke für die Praxis. 231 


setzen, wenn man sich Ringe und Stifte vorrätig hält. Als letztere haben 
sich in Friedenszeiten, als man noch Messing erhalten konnte, kleine 
Schräubchen aus dieser Metallegierung recht bewährt, weniger solche aus 
reinem Kupferdrahte. Derzeit nehme ich Packfongdraht, weil sich dieser 
von all den Ersatzmitteln für Drähte im Reserveepital Nr.17 am besten 
bewährte, nachdem auch Nickeldraht nicht mehr zu bekommen war. 
Man muß sich natürlich sehr verschiedene Formen von Stiftchen bereit 
halten und wird doch nicht in jedem Falle gleich einen passenden zur 
' Verfügung haben. Doch ist der Zeitaufwand für die Anfertigung oder 
Zurechtfeilung, die richtige Krümmung und Einkerbung nicht allzu groß. 
Bei mehrwurzeligen Prämolaren und den Molaren wird man gut tun, auch 
mehrere Stifte einzuzementieren. Dabei muß man darauf achten, daß 
zwischen dem Stifte und der Matrize oder der Zahnwand mindestens so 
viel freier Raum ist, daß man mit einem Stopfer das Amalgam gut 
hineinstopfen kann, da es sonst an diesen Stellen brüchig werden könnte. 


Für die Matrizen kann man sowohl die im Handel befindlichen 
Kohinoor-Matrizen aus Zelluloid als auch selbst hergestellte aus dünnem 
Neusilberblech oder den ebenfalls im Handel erhältlichen Matrizenblech- 
streifen verwenden. Erstere sind aber der relativen Dicke ihrer Wand 
wegen nur bei alleinstehenden Zähnen und solchen, bei denen noch mehr 
von den Zahnwänden stehen geblieben ist, angezeigt, da sie aus diesem 
Grunde die Herstellung eines guten Kontaktpunktes erschweren und nicht 
so leicht unter das Zahnfleisch zu schieben sind wie die dünneren Blech- 
matrizen. Prof. Pichler bevorzugt Matrizen aus dünnem Kupferblech 
der großen Dehnbarkeit und Biegsamkeit dieses Metalles wegen. Es emp- 
fiehlt sich, der Zeitersparnis halber von den Blechringmatrizen eine Anzahl 
sich vorrätig zu halten, und zwar für Prämolaren aus Streifen in der 
Länge von 23—28 mm, für Molaren von 32—38 mm. Wenn man gewohnt 
ist, die Ringmasse für die Kronen überhaupt mit dem Herbstschen 
Ringmaße zu nehmen, so ist es gut, sich: auch die Kohinoor-Matrizen 
auf dieses Maß hin umzuwerten, weil man dann die Auswahl derselben 
leichter treffen kann. Um diesen an Stellen, wo es sich notwendig erweist, 
also meistens an den proximalen Flächen, eine Ausbauchung geben zu 
können, braucht man nur mit einem erwärmten Instrumente mit geringer 
Kraftanwendung von der Mitte der Kavität nach außen zu drücken und 
es wird sich die gewünschte Bauchung sofort bilden. Bei den Blechmatrizen 
eucht man dies durch Anrotieren oder mittelst der Konturzange zu er- 
reichen. An den proximalen Flächen muß man vor dem Anrotieren selbst- 
verständlich gingival die Matrize durch Holzkeile, nasse Wattebäuschchen 
oder Feuerschwammstückchen festgelegt haben. Okklusal soll die Matrize 





232 = Winke für die Praxis. 


ja nicht zu stark abgerundet sein, weil sonst eine recht unschöne Form 
des Zahnes herauskommt und schon Bedacht auf die Höcker und Fissuren 
— bei Molaren z.B.— genommen werden. Die Kaufläche wird in ihrem 
Umriß natürlich immer breiter aus der Matrize herauskommen, als sie 
dann bleiben kann. Die Konvexität der äußeren und inneren Zahnwände 
muß man eben durch das Zuschleifen mit Scheibchen und kleinen Steinen 
zu erreichen suchen. 


Wenn nicht gerade ein besonders ungünstiger Fall vorliegt, so kann 
man mit der Schlußpräparation des wurzelgefüllten Zahnes, dem Ein- 
passen des Ringes und der Stifte und der Festsetzung der Matrize in 
einer halben Stunde wohl leicht fertig werden. Inzwischen bereitet die 
Assistenz Amalgam und Zement vor. Das Einzementieren der Stifte und 
Stopfen des Amalgams ist das wenigst Zeitraubende.. Auch mit dem 
Modellieren der Kaufläche soll man nicht zu viel tun. Ich habe gefunden, 
daß mir die Form der Kaufläche am besten gelungen ist, wenn ich nach 
einem flüchtigen Zubeißen des Patienten mit dem Amalgamschnitzer nach 
Pichler die Fissuren sozusagen grob hineinzeichnete. Der Amalgam- 
schnitzer ist so genial konstruiert, daß er die natürliche Form der Fissuren 
und Höcker fast von selbst macht. In der nächsten Sitzung wird dann 
die Matrize entfernt und der Amalgamaufbau zugeschliffen und poliert, 
wcbei: man nur darauf achten muß, daß man nirgendwo zu viel weg- 
nimmt in bezug auf die Kontur, denn das kann man dann nicht mehr 
ersetzen und es beeinträchtigt sehr die eigene Befriedigung, die man an 
einer wohlgelungenen Silberkrone hat. Ich habe auch Amalgamkronen aus 
der Safronschen Legierung gegossen und solche, die nach Zinnfolien- 
abdruck am Modell gestopft worden waren, eingesetzt, aber gefunden, 
daß doch die wenigst zeitraubende Methode, die zugleich auch die besten 
Resultate liefert, die direkte Herstellung im Munde des Patienten ist. 


Als Beweis für die Haltbarkeit der Amalgamkronen will ich nur 
anführen, daß ich an von Dr. Zigmondy übernommenen Patienten zwei 
Amalgamkronen auf Prämolaren zu beobachten die Gelegenheit habe, die 
derzeit schon über 15 Jahre tadellos funktionieren und eine Amalgam- 
krone sogar auf einem oberen Eckzahne mit einer kosmetisch sehr be- 
friedigenden Porzellanzementfacette, die, obwohl nur als Notbehelf ge- 
macht, auch schon über 10 Jahre getragen wird. 


Was die materielle Seite der Amalgamkronen betrifft, muß man 
sich eben sagen, daß das Honorar für eine Amalgamkrone in der Tasche 
besser ist als die Forderung für eine Goldkrone im Buch oder — im Kamin! 


Referate und Bücherbesprechungen. 233 


Referate und Bücherbesprechungen. 





* Die Syphilis mit besonderer Berücksichtigung ihrer Erscheinungen im 
Munde. Ein Leitfaden für Zahnärzte und Studierende. Von Georg 
suttmann. Berlin, H. Meusser, 1919. 


Ein ganz vorzügliches kleines Kompendium, ausgezeichnet durch ziel- 
strebige Kürze und übersichtliche Anordnung. Der Autor, praktischer 
Zahnarzt, hat richtig zu beurteilen verstanden, was von dieser ebenso 
wichtigen als umfangreichen Materie der Syphilidologie für den Zahnarzt 
zu wissen von Interesse und Notwendigkeit ist. Die im Interesse des 
Zahnarztes und seiner Patienten gleicherweise unumgänglich zu fordernde 
Kenntnis der luetischen Effloreszenzen der Mund- und Rachenhöhle erfährt 
in dem Büchlein Guttmanns eine anschauliche, durch Textillustra- 
tionen und schr gute farbige Tafeln wirksam unterstützte Darstellung. 
Die von Zeitennot anscheinend unberührte Ausstattung des Buches, Druck 
und Papier, machen seine Lektüre angenehm. —des— 





Zur Pathogenese, Pathologie und Therapie der Alveolarpyorrhöe. Von 
Dr.P.Kranz, Frankfurt a.M. D.M.f. Z., 1919, H.4 u.5. 

Die Beziehungen der Spirochäten und der Salvarsantherapie zu Pyorrhoea 
alveolaris und anderen Erkrankungen des Mundes. Von Hans Seidel, 
Münster i. W. D. Zahnheilk., H. 41. 


Fast gleichzeitig erscheinen zwei Arbeiten, die dasselbe aktuelle 
Thema der Salvarsantherapie der Alveolarpyorrhöe behandeln und un- 
abhängig von einander zu im wesentlichen ganz gleichen Resultaten 
kommen. Es erscheint daher zweckmäßig, diese beiden Publikationen auch 

im Referat nebeneinander zu stellen. 
i Kranz bespricht zunächst die in der Literatur niedergelegten An- 
sichten über Vorkommen und Morphologie der Spirochäten in der Mund- 
höhle. Von allen diesen Beobachtungen ist ja die wichtigste gewiß die 
.von Kolle aufgestellte Behauptung, daß man bei der Alveolarpyorrhöe 
aus der Tiefe der Tasche eine bestimmte Spirochätenart fast in Rein- 
kultur gewinnen kann, der er den Namen Spirochaeta pyorrhoica gab und 
die er als den spezifischen Erreger der Pyorrhöe ansieht. Die Beschrei- 
bung, die Kolle selbst gibt, ist aber keineswegs eine wirklich befrie- 
digende. Er sagt: „Diese Spirochäte ähnelt der Obermeieri; sie ist 10 bis 
124 lang; die Zahl der Windungen beträgt durchschnittlich 5 und 
schwankt zwischen 4 und 7. Die Windungen sind flach, doch bestehen bei 
den einzelnen Individuen gewisse Unterschiede. Die Enden der Spiro- 
. chäten sind meistens zugespitzt; im Dunkelfeld zeigt sie Flexions-, 
Rotations- und Ortsbewegungen. Die Spirochäte steht demnach dem so- 
genannten großen Typus der Zahnspirochäten nahe.“ In gemeinsamer 
Arbeit mit dem Zahnarzt Beyer wurde festgestellt, daß durch intra- 
venöse Injektion von Salvarsan ohne jede lokale Behandlung die meisten 
der behandelten Pyorrhöefälle glatt zur Ausheilung gebracht werden 
‚konnten. Dabei schwinden die anfangs so zahlreichen Spirochäten voll- 
ständig. Die von Kranz angestellten bakteriologischen Untersuchungen 
zeigten nun im Gegensatz zu den Befunden Kolles immer ein buntes 
Gemisch verschiedener Spirochätenformen in dem aus der . Taschentiefe 


234 Referate und Bücherbesprechungen. 


entnommenen Eiter; „von einem regelmäßig in der Überzahl, ja sogar 
in Reinkultur vorkommenden Typ habe ich nichts gesehen“. Eine Er- 
klärung der divergenten Angaben ist vor allem darin zu suchen, daß 
Beyer und mit ihm Kolle ein Krankheitsbild als Alveolarpyorrhöe 
bezeichneten, das augenscheinlich mit der Pyorrhöe nichts zu tun hatte. 
Die von Kolle-Be yer beschriebenen Symptome, wie heftige Schmerzen, 
Ulzerationen in der Wange und am Gaumen, Fieber und vor allem das 
Vorkommen von Sequestrationen nach Verlust des befallenen Zahnes 
beweisen, daß es sich bei ihren Fällen wahrscheinlich um Epidemien von 
ulzerösen Gingivitiden gehandelt hat. Die Krankengeschichten von Kranz 
zeigen nun, daß bei echter Alveolarpyorrhöe eine Salvarsantherapie ohne 
lokale Behandlung stets erfolglos bleibt, daß hingegen Gingivitiden durch 
sie sehr gut beeinflußt werden. Die bakteriologische Untersuchung zeigt 
dementsprechend auch bei der Pyorrhöe keinen Schwund der Spirochäten. 
Auch bezüglich der Beeinflussung anderer pyorrhoischer Zustände kommt. 
Kranz zu dem Schlusse, daß „die Heilerfolge mit Salvarsan weniger 
oder gar nicht dem Einfluß des Salvarsans auf die Spirochäten zuzu- 
schreiben seien, als vielmehr der epithelisierenden, allgemein regenerie- 
renden und roborierenden Wirkung des Allheilmittels“. Er kommt dazu 
unter anderem auch durch die Untersuchung des Speichels bei normalen 
und mit Salvarsan behandelten Individuen, wobei bei ersteren Spuren von 
Arsen im Speichel nachweisbar waren, die durch Salvarsaninjektion nicht 
erhöht wurden. Nach einer Übersicht über die in der Literatur ver- 
breiteten Ansichten über die Ätiologie der Pyorrhöe befaßt sich Kranz 
mit der Nomenklatur. Er faßt dabei die von Kolle und Beyer be 
schriebenen Fälle unter dem Namen Gingivitis pyorrhoica zusammen. In 
bezug auf das sonst unter dem Namen der Alveolarpyorrhöe zusammen- 
gefaßte Krankheitsbild macht Kranz nur den Unterschied zwischen 
Pyorrhoea alveolaris im engeren Sinne und Alveolitis destructiva, bei 
der der bei Alveolarpyorrhöe typische Pus und Tartarus häufig fehlen 
und die Erkrankung und schließliche Auflösung des Alveolarfortsatzes 
die bedeutendste Rolle spielen. 

Die ätiologischen Momente für die Entstehung der Alveolarpyorrhöe 
bilden nach Kranz in erster Linie die lokalen Reize durch die Ab- 
lagerung der Kalkkonkremente, „während für die Fortdauer der Krank- 
heit die lokalen infektiösen Ursachen, die Bakterien und Protozoen. 
Pneumokokken, Micrococcus catarrhalis, die verschiedensten Spirochäten, 
vielleicht auch Amöben, fusiforme Bazillen, eine nicht zu unterschätzende 
Rolle spielen“. Allgemeinerkrankungen läßt er nur als prädisponierende 
Momente gelten. Die Therapie ist eine chirurgisch-chemische, also Ent- 
fernung von Zahnstein und Granulationen und Beeinflussung der letzteren 
und der Mikroorganismen durch Jod, Milchsäure, Methylenblau und Ar- 
gentum nitricum. Wichtig ist der Satz: „Eine 'Restitutio ad integrum 
ist in den meisten Fällen ausgeschlossen, da die Patienten meist erst 
zur Behandlung kommen, wenn der Alveolarfortsatz schon in Mitleiden- 
schaft gezogen ist.“ 

Auch Seidel bespricht im Eingange seiner Arbeit zuerst die Lite- 
ratur über die Mundspirochäten, vor allem wieder die Arbeiten Kolles 
und Beyers. Seine eigenen Untersuchungen decken sich fast völlig 
mit denen von Kranz. Er kommt in den ersten Abschnitten seines 


Referate und Bücherbesprechungen. | 235 


Buches zu der Ansicht, daß die Pathogenität von Mundspirochäten oder 
einer bestimmten Art noch nicht ‘erwiesen ist. Charakteristisch ist vor 
allem seine Stellungnahme zu Kolles Spirochaeta pyorrhoica, die er 
fast wörtlich gleich mit der Ansicht von Kranz dahin präzisiert, daß 
„von einem Bild, das einer Reinkultur gleicht, weder bei den Bildern 
Kolles noch bei denen, die man sich selbst aus Pyorrhöeeiter herstellt, 
die Rede sein kann“. Demnach kann er die Spirochaeta pyorrhoica nicht 
als spezifischen Erreger der Pyorrhöe gelten lassen, zumal sie auch an 
anderen Stellen der Mundhöhle vorkommen kann. „Es empfiehlt sich, über 
den Spirochäten, deren eitererregende Fähigkeiten nicht nachgewiesen sind, 
nicht zu vergessen, daß bei der Alevolarpyorrhöe die bekannten Eiter- 
erreger in Mengen vorkommen.“ — Seine eigenen Beobachtungen über die 
therapeutischen Erfolge mit Salvarsan faßt er ungefähr folgendermaßen 
zusammen: Bei allen Zahnfleischerkrankungen schwinden vorhandene 
Schmerzen meist ganz. Das Zahnfleisch sieht erheblich besser aus, seine 
Neigung zu Blutungen ist verringert. Aber selbst nach mehrmaliger In- 
jektion konnte bei echter Alveolarpyorrhöe ohne lokale Therapie weder 
eine Abnahme der Eiterabsonderung noch eine Heilung der Taschenbildung 
festgestellt werden. Das Zahnfleisch zeigt auch hier ein besseres, strafferes 
Aussehen, doch konnte von einer spezifischen Wirkung des Salvarsans 
auf das Krankheitsbild im ganzen keine Rede sein. Die lokale Salvarsan- 
applikation nach. Beyer bessert das Krankheitsbild in akut entzünd- 
lichen Fällen, ohne es aber ayszuheilen, ruft dagegen bei den nicht akut 
entzündlichen Prozessen sogar eine Verschlechterung im Aussehen des 
Zahnfleisches hervor. Eine lokale Injektion von Salvarsan in das 
Zahnfleisch, wie sie Beyer ebenfalls empfiehlt, hat Seidel ebenso 
wie Kranz aus begreiflichen Gründen überhaupt unterlassen. Man muß 
Kranz Recht geben, der den Mut bewundert, mit dem Beyer diese 
Art von Therapie einschlägt. Was im allgemeinen die Beeinflussung der 
Mundspirochäten durch Salvarsan anlangt, so konnte Seidel weder bei 
intravenöser noch bei lokaler Anwendung eine dauernde Beseitigung der- 
selben feststellen. Viel gründlicher als mit Salvarsan gelang ihm im Selbst- 
versuch die Abtötung der Mundepirochäten durch Spülen mit einer 1% 
Tanninlösung. Als wichtigstes Ergebnis stellt Seidel folgendes hin: 
„Da bei der Salvarsaninjektion die besseren klinischen Erfolge, jedoch 
die schlechteren bezüglich der Spirochätenbeseitigung erzielt werden, wäh- 
rend die lokale Anwendung von Salvarsanglyzerin schlechtere klinische 
Erfolge, jedoch erfolgreichere Spirochätenbeseitigung ergibt, da ferner 
auch sonst nicht immer ein Zusammenhang zwischen Spirochätenabnahme 
und Fortschreiten der Heilung besteht, so ist es höchst unwahrscheinlich, 
daß die Besserung im Aussehen des Zahnfleisches bei Stomatitiden und 
Gingivitiden auf der spirochätentötenden Wirkung der Salvarsaninjektion 
beruht.“ Wieder in Übereinstimmung mit Kranz glaubt Seidel viel- 
mehr, daß diese Beeinflussung des Aussehens des Zahnfleisches auf der 
allgemeinen Arsenwirkung beruht. Bezüglich der Therapie der Pyorrhöe 
warnt Seidel geradezu vor der Anwendung des Salvarsans und befolgt 
wie Kranz die chirurgisch-chemische Therapie. Dagegen hat die Sal- 
varsaninjektion ihre Berechtigung einerseits bei Stomatitis scorbutica und 
bedrohlichen Formen von Stomakace und Noma, ferner auch bei den seltenen 
Fällen von heftigen Schmerzen bei Pyorrhöe, die durch Salvarsan fast 
regelmäßig zum Verschwinden gebracht werden. 


236 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


Wenn wir die fast gleichlautenden Aussagen der beiden gründlichen 
Arbeiten zusammenhalten, dann scheint uns das Urteil über die Salvarsan- 
therapie bei Alveolarpyorrhöe endgültig gefällt. So lange wir bezüglich 
der Ätiologie der Pyorrhöe noch immer im Dunklen tappen, müssen wir 
uns eben mit einer symptomatischen Therapie begnügen, zu der meiner 
Meinung nach neben der chirurgisch-chemischen auch noch die Ent- 
lastungstnerapie nach Károlyi zu zählen ist. Sicher. 


' 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


Bestimmungen über die Verleihung der Würde 
eines Doktors der Zahnheilkunde in Preußen. 


1. Die Verleihung des Doktors der Zahnheilkunde (Doctor medi- 
cinae dentariae) erfolgt durch die medizinische Fakultät, zu der an Uni- 
versitäten ohne planmäßige Lehrer der Zahnheilkunde die außerplan- 
mäßigen Lehrer dieses Faches hinzutreten. Bei der mündlichen Prüfung 
muß mindestens ein Lehrer der Zahnheilkunde beteiligt sein. Es bleibt 
jedoch den Fakultäten unbenommen, besondere Sektionen als Prüfungs- 
kommissionen für die zahnärztliche Doktorprüfung zu errichten. 

2. Die Verleihung des Doktors der Zahnheilkunde ist an die An- 
fertigung einer wissenschaftlichen druckfähigen Abhandlung und eine 
mündliche Prüfung gebunden; sie kann aber auch als eine Ehrenerweisung 
durch freies Zugeständnis der Fakultät erfolgen. Nur in Deutschland 
approbierte Zahnärzte dürfen die Würde eines Doktors der Zahnheilkunde 
erwerben. 

3. Die wissenschaftliche Arbeit hat ein Thema aus der praktischen 
oder theoretischen Zahnheilkunde oder aus den die Zahnheilkunde be- 
rührenden medizinischen Fächern zu behandeln. Die mündliche Prüfung 
umfaßt das gesamte Gebiet der Zahnheilkunde sowie nach näherer Maß- 
gabe der Ziff.8 drei weitere mit der Zahnheilkunde im Zusammenhange 
stehende medizinische Fächer (Anatomie, Physiologie, Pathologie, Chirur- 
gie, innere Medizin, Dermatologie, Hygiene und Bakteriologie, Pharmako- 
logie). | 

4. Die Gebühren sollen 500 Mark nicht übersteigen. Eine Wieder- 
holung der Prüfung soll gestattet sein. 

Eine Promotio in absentia findet unter keinen Umständen statt. 

5. Bei der Meldung ist vorzulegen: 

l. das Reifezeugnis eines humanistischen Gymnasiums, eines Real- 
gymnasiums oder einer Oberrealschule; 

2. die Approbation als Zahnarzt; 

3. der Nachweis eines mindestens achtsemestrigen geordneten 
Studiums (Abgangszeugnisse deutscher oder als anerkannt gel- 
tender Universitäten des Auslandes); 

4. eine in deutscher Sprache abgefaßte, leserlich geschriebene 

Dissertation mit Lebenslauf des Kandidaten; 
5. eine eidesstattliche Versicherung, daß die Dissertation selb- 
ständig, ohne unerlaubte Hilfe gearbeitet ist. 





Kleine Mitteilungen. 237 


6. Bei Zurückweisung der Dissertation kann dem Kandidaten ge- 
stattet werden, spätestens innerhalb eines Jahres eine neue oder die ver- 
besserte Dissertation einzureichen. Die Drucklegung der Dissertation hat 
der Kandidat auf eigene Kosten zu besorgen. Die Genehmigung der 
Fakultät mit gleichzeitiger Bezeichnung des Referenten ist auf dem Titel 
der Dissertation zu erwähnen. 

7. Die Zulassung zur mündlichen Prüfung kann erst nach Annahme 
der Dissertation durch die Fakultät erfolgen. 

8. Die mündliche Prüfung erstreckt sich auf zwei Hauptfächer, von 
denen das eine gemäß Ziff.3 Zahnheilkunde ist, das andere durch den 
Gegenstand der Dissertation bestimmt wird, sowie zwei Nebenfächer, welche 
der Kandidat zu wählen hat. Ist die Dissertation dem Gebiete der Zahn- 
nun entnommen, so wird das zweite Hauptfach von dem Kandidaten 
gewählt 

9. Bei der mündlichen Prüfung soll die wissenschaftliche Seite mehr 
als die praktische betont werden. Die Zensuren dieser Prüfung und die 
Zensur der Dissertation ergeben das Prädikat, mit welchem die Prüfung 
auf dem Diplom als bestanden bezeichnet werden soll. Besteht der Kan- 
didat die mündliche Prüfung nicht, so ist sie ganz zu wiederholen, frühestens 
nach 3 Monaten. Zwischen der mündlichen Prüfung und Promotion kann 
höchstens ein Zeitraum von 2 Jahren liegen. 

10. Bei der Promotion überreicht der Dekan dem jungen Doktor 
das Diplom. Die Kosten der Herstellung des Diploms trägt der Doktorand. 

11. Die Ehrenpromotion bezweckt die Anerkennung ausgezeichneter 
Leistungen auf dem Gebiete der Zahnheilkunde; sie kann auf Antrag 
eines Vertreters der Zahnheilkunde durch einstimmigen Beschluß der 
Fakultät erfolgen. Sie geschieht unentgeltlich und bei kostenfreier Aus- 
fertigung und Zustellung des Diploms. 

12. Nach 50 Jahren kann das Doktordiplom erneuert werden. 

13. Die Doktorwürde geht verloren: 

1. wenn die eidesstattliche Versicherung über die selbständige An- 
fertigung sich als unrichtig erweist; 

2. wenn dem Besitzer rechtskräftig die bürgerlichen Ehrenrechte 
aberkannt sind. 

Die Entziehung des Diploms hat durch öffentliche Bekanntmachung 
am schwarzen Brett zu erfolgen. 


Kleine Mitteilungen. 





(Adreßkalender der Zahnärzte 1919/20.) Die Vorarbeiten für den 
von mir herausgegebenen, im Verlag der Berlinischen Verlagsanstalt 
G.m.b.H., Berlin NW 23, erscheinenden Adreßkalender der Zahnärzte im 
Deutschen Reich und Deutschösterreich, Jahrgang 1919/20, sind so weit 
vorgeschritten, daß ich in den nächsten Wochen die Personalbogen an 
die Herren Kollegen durch unmittelbares Rundschreiben zur Post 
geben kann. 

Zum ersten Mal werden in diesem Kalender auch die Zahnärzte 
Deutschösterreichs Aufnahme finden. Schon jetzt richte ich an die Kollegen 


238 Kleine Mitteilungen. — Personalien. 


die Bitte, die meinem Rundschreiben beigefügten Personalkarten so 
schnell als möglich ausgefüllt zurückzusenden. Die Beantwortung der 
Fragen erfordert nur wenige Augenblicke Zeit. Sie gibt die Gewähr dafür, 
daß der Name und die Personalien richtig angeführt werden. Die Aus- 
stellung liegt ebenso im eigenen Interesse des Einzelnen wie der Gesamt- 
heit. Da der Kalender bei Neuniederlassungen als Nachschlagewerk be- 
nutzt wird, können fehlende Angaben nachteilige Folgen haben. An alle 
Kollegen richte ich die Bitte, sich zur Durchsicht der Adressen der Liste 
der an ihrem Wohnort tätigen Kollegen bereit zu erklären, damit eine 
lückenlose Aufführung aller Zahnärzte möglich ist. Ich bitte diejenigen 
Kollegen, mir auf der Karte recht bald Nachricht zu geben, die zur Durch- 
sicht der Adressenverzeichnisse ihres Wohnortes bereit sind. Alle Aus- 
lagen werden gern erstattet. 
Zahnarzt Erich Lazarus, Berlin NW 23, Claudiusstraße 15. 


(Schulzahnkliniken; Zentralstelle für Materialbeschaffung.) Die ent- 
geltliche Abgabe der in weiterer Folge für den Betrieb der Schulzahn- 
kliniken erforderlichen Heilmittel und des zahnärztlichen Verbrauchs- 
materials (einschließlich der Inventar- und sonstigen Ausrüstungsgegen- 
stände) wird der staatlichen Heilmitteldirektion (Militärmedikamenten- 
direktion) in Wien, IIH., Rennweg, übertragen. Die Abgabe an die Schul- 
zahnkliniken erfolgt gegen Rückersatz der Gestehungs- und Beköstigungs- 
preise mit Regiezuschlag. Die Bezahlung erfolgt durch das Generalsekre- 
tariat der „Österreichischen Gesellschaft für Zahnpflege in den Schulen“. 
Die sonstigen Modalitäten der Gebarung und Verrechnung hat die staatliche 
Heilmitteldirektion mit dem Generalsekretariat im direkten Einvernehmen 
festzusetzen. Im Anschluß an die dort bereits bestehende Zahnmaterial- 
abteilung ist ferner bei der staatlichen Heilmitteldirektion zur Besorgung 
kleinerer Reparaturen zahnärztlicher Utensilien sowohl für die staatlichen 
Zahnambulatorien wie für die Schulzahnkliniken eine einfach ausgestattete 
‘ Werkstätte für Feinmechanik zu errichten. Kompliziertere Reparaturen 
sowie solche, zu deren Durchführung besondere Spezialmaschinen nötig 
sind, hat die staatliche Heilmitteldirektion von Privatfirmen durchführen 
zu lassen. Die Kosten der Reparaturen sind von den Heilanstalten für 
"Heeresangehörige bzw. von der „Österreichischen Gesellschaft für Zahn- 
pflege in den Schulen“ an die staatliche Heilmitteldirektion bar zu bezahlen. 


Personalien. 





(Ernennung.) Der Zahnarzt H.J.Mamlok in Berlin erhielt den 
Titel Professor. 

(Habilitiert.) Für das Fach der Zahnheilkunde habilitierte eich an 
der Frankfurter medizinischen Fakultät Dr. med. et phil. P. Kranz mit 
einer Antrittsvorlesung über „Zahnfleischveränderungen bei Stoffwechsel- 
erkrankungen“. 





Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


— . w T . 
Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, II., Müinzgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 
. Organ ir, die wissenschaftlichen Zahnärzte Österreichs. 
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 


des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und 
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs, 





Oktober 1919. 10. Heft. 


XVII. Jahrgang. 








Nachdruck verboten. 


Original Arbeiten. 





Blutstillung nach mundchirurgischen Eingriffen. 
Von Zahnarzt Dr. Viktor Frey, Wien. 


Nicht bloß nach Zahnextraktionen, sondern auch nach kleineren 
mundchirurgischen Eingriffen (Wurzelspitzenresektion, Exkochleation von 
Granulationen, Zystenoperation, Resektion des Alveolarfortsatzes und 
Ausmeißelungen) müssen wir mit einer eventuellen Nachblutung rechnen. 

Sie ist entweder eine Gefäß- oder eine parenchymatöse Blutung. 
Die Gefäß blutungen kommen meistens am Schleimhautperiost- 
lappen, die parenchymatösen am verletzten Alveolar- 
fortsatz vor. Die Blutungen machen sich meistens dann bemerkbar, 
wenn die Wirkung des Lokalanästhetikums, genauer gesagt des Neben- 
nierenextraktes, dessen gefäßverengernde Wirkung bekannt ist, ver- 
schwindet; außerdemse kommt noch hinzu, daß ein eröffnetes Gefäß des 
Schleimhautperiostlappens sich anfangs dadurch der Beobachtung entziehen 
könnte, daß der zum Hochziehen des Lappens verwendete mehrzinkige 
Haken während des Eingriffs das Gefäß komprimiert, so daß die Blutung 
erst nach Aufhören der Gefäßkompression einsetzt. 


| Blutstillung im allgemeinen. 
Wir kennen 


1. mechanische 
2. thermische Blutstillungsmittel; 
3. chemische 


zu den mechanischen zählen: 


’ 1. die Unterbindung des Gefäßes, 
2. die Umstechung des Gefäßes, 
3. die Torsion des Gefäßendes, 
4. die Kompression 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 


IV 
IV 


240 Viktor Frey. 


a) digital, 

b) durch Tupfer, 

c) durch Tamponade, 
5. die Wundnaht. 


Die Unterbindung des Gefäßes in der Kontinuität kommt wohl bei 
diesen kleinen Eingriffen nicht in Betracht. 

Das Eintreiben von Holzklötzchen (japanischen Zahnstochern) oder 
das Eindrücken von Woachskügelchen zur Stillung von Blutungen aus 
Knochenwunden sei der Vollständigkeit halber erwähnt, doch dürfte eine 
derartige Maßnahme bei unseren Eingriffen kaum in Betracht kommen, 
es wäre denn bei arterieller Blutung aus dem Foramen mentale.!) 

Zu den thermischen Blutstillungsmitteln zählen Thermokauter, 
Galvanokauter, Applikation von Kälte, welche eine Gefäßkontraktion 
bewirkt, sowie heiße Irrigationen, welche die Blutgerinnung beschleunigen. 

Von den chemischen Blutstillungsmitteln seien dae Ferrum sesqui- 
chloratum, Ferripyrin, Alaun, Terpentin, Penghawar Djambi, Gelatine, 
Styptizin, Nebennierenpräparate, Hydrastinin und Koagulen etc. erwähnt. 

In der Münchner medizinischen Wochenschrift, 1916, Nr.43, hat W. 
Heinen (Reservelazarett Zweibrücken) das Jodoformazeton zur Blut- 
etillung empfohlen. Es werden in die blutenden (besonders Knochen-) 
Wunden Gazestreifen gelegt, die mit Jodoformazetonlösung getränkt 
wurden. Die Lösung hat folgende Zusammensetzung: 


Rp. Jodoform. pur. 10,0 
Aceton puriss. 100,0 
Liqu. ammon. caustici 

gtt. III 
Da ad vitr. nigr. 
S. Jodoformaceton. 


Heinen rühmt folgende Vorteile: Sofortige Blutstillung ohne 
Ätzwirkung, Sterilität, Herabsetzung der Sekretion, Bildung schöner 
Granulationen, Fehlen des Jodoformgeruches. 

Schließlich mögen noch Injektionen mit Pferdeserum erwähnt 
werden (Achtung, Anaphylaxie!). 

Wie werden wir uns also vor einem so unliebsamen Ereignis, wie es 
eine Nachblutung bei unseren Eingriffen ist, am besten schützen? Es 
sei bemerkt, daß ja derartige Nachblutungen meist sehr harmloser Natur 


1) Vgl.Eiselsberg, Über einen Fall von Zahnretention. Österr. Zeitschr. 
f. Stomat., Jg. XI, H. 4. 


Blutstillung nach mundchirurgischen Eingriffen. 241 


sind, für den Patienten und seine Familie ist jedoch ein solches Ereignis 
stets alarmierend. | 

Es sei hierbei auf die Arbeiten von Blessing, Die Behandlung der 
Blutungen im Munde. D.M.f Z., 1916, H.10, und Paul Reinewald (Gießen), 
Blutung nach operativen Eingriffen in der Mundhöhle und ihre Behandlung mit 
besonderer Berücksichtigung des Hydrastinin (Bayer). Ergebn. d. ges. Zahnheilk., 
Jg.4, H.4, hingewiesen. 


Vor dem Eingriffe. 


Macht der Patient die Angabe, daß er zu schwer etillbaren Blutungen 
neigt, werden wir ihn drei Tage vor dem Eingriffe je dreimal 0,5 Calcium 
lacticum nehmen lassen, um das Blutgerinnungsvermögen zu steigern.?) 


Ein nicht ganz in den Rahmen dieser Arbeit passender Fall einer stärkeren 
Nachblutung nach Extraktion bei einem sicheren Hämophilen sei des Interesses 
halber erwähnt: TE 

Während meiner Kommandierung auf die Kieferbrucħabteilung der Wiener 
Poliklinik kam der anfangs der Zwanzigerjahre' stehende, schwächliche Heiz- 
hausgehilfe E. H. auf die Abteilung mit der Bitte, ihm die drei isoliert stehen- 
den Wurzeln des l6 zu extrahieren, da er durch einen Aufbiß auf eine Birne 
seit zirka einer Woche aus dem Zahnfleisch blute. Die Blutung war nicht 
besonders stark, aber sie belästigte den Patienten insbesondere bei jedem 
Essen durch den ihm ekeligen Blutgeschmack. Da die offenbar leichte Extraktion 
bei einem Hämophilen nicht ohne weiteres vorgenommen werden konnte, wurde 
der Patient angewiesen, vorerst sicherheitshalber durch eine Woche hindurch 
Calcium lacticun zu nehmen Dann erst wurde in Lokalanästhesie die spielend 
leichte Extraktion vorgenommen. Die Blutung nach der Extraktion war sehr 
gering und stand bald Vorsichtshalber wurde der Patient angewiesen, auf einen 
Wattebausch durch zirka !iz Stunde zu beißen und er blieb hinterher noch ?/s Stunde 
in Beobachtung, ohne daß eine Blutung aufgetreten wäre. Schließlich wurde er 
mit der Anweisung, Calcium lacticum weiter zu nehmen, sich möglichst ruhig zu 
verhalten und bei der geringsten Blutung sich wieder einzufinden, entlassen. Wenige 
Stunden später kam der Patient wieder auf die Abteilung mit einer profusen par- 
enchymatösen Blutung aus allen drei Alveolarfächern. Die in alle drei Alveolar- 
fächer isoliert fest eingestopften Tampons aus 200% klebender Jodoformgaze, 
die vorher in reines Terpentinöl getaucht waren, und der Watteaufbiß durch 
1/2 Stunde hatten Erfolg. Vorsichtshalber wurde der Patient über Nacht ins Spital 
der Poliklinik aufgenommen, damit er in ärztlicher Beobachtung bleibe Die 
Tampons blieben bis zur natürlichen Abstoßung, die in 3—5 Tagen erfolgte, liegen, 
ohno daß eine neuerliche Blutung aufgetreten wäre. 

Interessant aber ist dieser Fall durch seine Anamnese. Der Patient stammt 
von einem seiner Aussage nach gesunden Elternpaare, in der Verwandtschaft 


2) Vgl. Eiselsberg, Über einen Fall von Zahnretention. Österr. Zeitschr 
f. Stomat., Jg. XI, H.4. 


2% 


942 Viktor Frey. 


auch nirgends Hämophilie. Dagegen waren sämtliche 13 Kinder. hämophil Von 
den 13 Kindern sird damals nur mehr 2 am Leben gewesen: 10 (Knaben + 
Mädchen) waren im Alter von 2—4 Jahren an unstillbaren Nasen-, Magen-, Darm- 
blutungen oder inneren Verblutungen zugrunde gegangen, das 11. Kind starb im 
Alter von 16 Jahren an innerer Verblutung nach einem Stoß in den Bauch bei 
einer Balgerei. Die zwei überlebenden Geschwister hatten schon zu wiederholten 
Malen wegen schwer stillbarer Nasen-, Lungen-, Magen-, Darmblutungen sowie 
wegen schwererer Blutungen nach Zahnextraktionen Spitalsaufenthalt notwendig 
gehabt und waren beide von dem Spitale, das sie stets aufzusuchen pflegten, 
mit einem Attest versehen, in welchem ihre erwiesene Hämophilie bestätigt wurde. 
Während nun unser Patient wegen seiner Schwächlichkeit bei der Musterung frei- 
ging, wurde sein Bruder assentiert (das Attest war nicht anerkannt worden) und 
stand damals, in die Kampftruppe eingeteilt, an der Isonzofront. 


Während des Eingriffes. 


Bei dem Eingriffe selbet werden wir den durch das Raspatorium 
von seiner Unterlage abgehobenen Läppen stets umdrehen und auf ein 
eventuell spritzendes Gefäß untersuchen. Findet sich ein solches vor, so 
ist meines Erachtens sofort die Umstechung des Gefäßes der geeignetste 
Vorgang. Beim Ausräumen von Granulationen aus einer Abszeßhöhle 
liegt schließlich der blanke Knochen zutage. Aus den eröffneten Knochen- 
gefäßen findet gewöhnlich nur eine minimale Blutung statt, welche eigent- 
lich fast nie zu Nachblutungen Veranlassung gibt. Außerdem wirkt die 
maschinelle Exkochleation mit der Kautschukfräse 3), sei es durch die 
hierbei entstehende Wärme oder durch Quetschung des Gefäßgquerschnittes 
blutstillend. Dagegen konnte ich bei Eröffnung größerer Zysten zweimal 
beobachten, daß nach Abtragung der vorderen Zystenwand an der hinteren 
Zystenwand Gefäße zu bluten begannen, ohne daß diese Stellen irgend- 
wo berührt worden waren. Sie lagen von der durch die krumme Schere 
gesetzten Trennungslinie weit entfernt, so daß es den Eindruck erweckte, 
als handle es sich hier um besonders vulnerable Gefäße, die durch die 
plötzlich geänderten Druckverhältnisse nach Abfluß des Zysteninhaltes 
zum Bersten gekommen waren. Ich habe in beiden Fällen die kleinen 
spritzenden Gefäßchen durch Verschorfen mit dem Gealvanokauter zum 
Verschluß gebracht. An der Trennungslinie dagegen konnte ich noch nie 
eine stärkere Blutung weder in operatione noch post operationem be- 
merken. Sollte mir aber dennoch eine unterkommen, glaube ich, daß auch 
hier der Galvanokauter am Platze wäre.*) Eine relativ stärkere Blutung 


3) Vgl. Frey, Randbemerkungen zur Frage der "en emabaulaufklenpnng 
Festschr. d. Vereins österr. Zahnärzte, 1911. 

%) Der Kuriosität halber sei erwähnt, daß ich auf der zahnärztlichen Ab- 
teilung der Wiener allgemeinen Poliklinik eine Nachblutung aus dem unteren 


Blutstillung nach mundchirurgischen Eingriffen. 243 


tritt bei der Resektion des Alveolarfortsatzes®) auf, wenn man mit der 
Luerschen Knochenzange allein arbeitet; , sicherer scheint es mir, auch 
“in diesen Fällen die mit der Zange geschaffene Schnittfläche hinterher 
mit der Fräse zu übergehen. Ein weiteres Mittel, Nachblutungen zu ver- 
hüten, ist die exakte Wundnaht, die wir in allen Fällen, wo dies möglich 
ist, in Anwendung ziehen werden. 


Therapie der Nachblutung. 


Handelt es sich um eine genähte Wunde, so werden wir zuerst die 
Kompression in Anwendung ziehen, indem wir auf einer Wunde nach 
Wurzelspitzenresektion eine entsprechend. dicke sterile Gaze- oder Watte- 
lage mit dem Finger pressen, nach Resektion des Alveolarfortsatzes eine 
derartige Zwischenlage durch den Biß des Gegenkiefers fixieren lassen. 
Parenchymatöse Blutungen stehen gewöhnlich in wenigen Minuten. Ist 
dies jedoch nicht der Fall, dann muß die Naht entfernt werden und in 
solchen Fällen findet man dann meistens an der Unterseite des Lappens 
ein kleines spritzendes Gefäßchen, welches durch Umstechung geschlossen 
werden muß, denn das Anlegen einer Ligatur ist an einem kleinen zarten 
Lappen durchaus nicht leicht, weil die Arterienklemme leicht ausreißt. 
Schließlich wird die Wunde nochmals exakt genäht. Bei parenchymatösen 
Nachblutungen aus Zysten käme die Anwendung des Koagulens (10% 
wässerige Koagulenlösung [Kocher Fonio], mittelst Spritze oder Tampons 
appliziert), der Galvanokauter, eventuell Tamponade mit digitaler Kom- 
pression wie oben in Betracht. 

Man verordne dem Patienten die Vermeidung aller blutdruck- 
steigernden Genußmittel, wie Alkohol, Tee, Kaffee etc., in jedem Falle eines 


Nasengange nach einer Zahnzystenoperation erlebt habe. Die Patientin war eine 
zirka 55 Jahre alte schwächliche Wäscherin und durch die Kriegshungerjahre stark 
herabgekommen; die Gefäße leicht atheromatös verändert. Es handelte sich um 
eine zirka pflaumengroße, radikuläre Zahnzyste, ausgehend von dem seinerzeit 
extrahierten 3]. Die äußere Zystenwand vollkommen membranös. Nach Abtragung 
derselben und nach Entleerung des Zysteninhalts sieht man den gegen die Nasen- 
höhle zu gelegenen Zystengrund. Blutung aus der Operationswunde minimal. Einige 
Zeit nach Versorgung der Wunde tritt eine ziemlich starke Blutung aus dem rechten 
unteren Nasengang auf, die spontan nicht zum Stillstande kommt. Der aus der 
Zystenhöhle entfernte Tampon zeigt keine Verletzung des Zystengrundes. Nach 
Tamponade des rechten unteren Nasenganges steht die Blutung. Am nächsten 
Tage hat die Patientin sich selbst den Nasentampon entfernt, es trat eine Nach- 
blutung auf, die aber bald spontan stand. Die rhinologische Untersuchung hat 
keine Vorbauchung der Zystenwand in den Nasengang ergeben. 
5) Frey, „Aus der Praxis“. Österr. Zeitschr. f. Stomat., Jg XIII, H. 10 


24 | Harry Sicher. 


Eingriffes und bei Neigung zu Blutungen intern Styptizin Merck (Styptizin- 
tabletten a 0,05 alle zwei Stunden eine Tablette, bis die Blutung steht), 
hohe Kopflage beim Schlafen und Regelung des Stuhlganges. 


Im übrigen ist das Ereignis der Nachblutung ein sehr seltenes und 
ich konnte solche unter mehr als 300 oben angeführten operativen Fällen 
(klinischer und privater Tätigkeit) nur 7mal beobachten. Jedenfalls ist die 
exakte Blutstillung während des Eingriffes hauptsächlich durch die Wund- 
naht (Umstechung der Gefäße ist außerordentlich selten nötig) die beste 
Prophylaxe einer Nachblutung, 


Bemerkungen zur Verwendung der 4prozentigen 
Novokain-Suprarenin-Lösung in der Zahnchirurgie. 


Eine Entgegnung an Dr. A. Kneucker von Dr. Harry Sicher. 


Kneucker propagiert in der vorliegenden wie in einer früheren 
Arbeit die Verwendung einer 4%igen Novokain-Suprareninlösung zur An- 
ästhesie besonders bei der Extraktion periostitischer Zähne. Wenn wir aus 
der nicht sehr übersichtlichen Puhlikation zunächst die Injektionstechnik 
und sodann Indikationen und Kontraindikationen der Anwendung dieser 
Lösung zusammenstellen, so ergibt sich Folgendes: 


Die Bereitung der Lösung geschieht mit Hilfe der B raun schen 
Novokain-Suprarenintabletten, indem man eine Tablette der Form A in 
3cm? gekochten Wassers löst. Die Injektion wirdin die Zahn- 
fleischpapille oder doch in das straffe Gewebe der 
Gingiva gemacht. Nähere Angaben über die Injektionsstellen 
fehlen, ebenso genaue Dosierung, nur die Maximaldosis ist mit 3cm? der 
4%igen Lösung angegeben. 

Die Indikation für die Anwendung der hochkensentiierten Lösung ist 
zunächst gegeben in jenen Fällen, „wo es sich um die Entfernung nur 
eines oder höchstens zweier periostkranker Zähne handelt, und wo man 
die Leitungsanästhesie mit der .1—2%igen Novokain-Suprareninlösung 
weder anwenden kann oder will, und wo die lokale Anästhesie mit den 
nieder dosierten Lösungen versagen würde...“ Da aber nach Kneucker 
die Diagnose auf Periostitis in ihren Anfangsstadien eventuell übersehen 
werden kann, erweitert sich das Anwendungsgebiet: „Bei der Extraktion 
eines oder höchstens zweier Zähne oder Wurzeln wende ich die 4%ige 
Novokain-Suprareninlösung an. Man hat dadurch als Operateur den Vor- 
teil, dem Eingriffe von vornherein mit voller Ruhe 'entgegensehen zu können, 


Bemerkungen zur Verwendung etc. . 245 


da man ja weiß, daß eine selbst okkulte Periostitis durch die. so stark 
anästhesierende Wirkung der höher dosierten Lösung in ihrer Empfind- 
liehkeit überwunden wird, und demgemäß weiß, daß die Injektion selbst 
nicht Schmerzen hervorrufen und sicher Anästhesie erzielen wird.“ 
Die Anwendung verbietet sich nach Kneucker in folgenden 
Fällen: | | 

„l. Bei der Extraktion eines völlig gesunden Zahnes. 

2. Bei jenen Fällen, wo die unkomplizierte Pulpitie absolut sicher 
diagnostiziert werden kamn, wo also sicher keine Periostitis vor- 
liegt. 

3. Bei jenen Fällen von Periostitis suppurativa, wo der Zahn bereits 
von Eiter umspült ist, und schließlich im allgemeinen 

4. bei jenen Fällen, wo irgend eine andere Methode {Vereisung, 
Chloräthylrausch, Leitungsanästhesie mit den nieder. dosierten 
Lösungen) leiehter, rascher und sicherer zum Ziele führt.“ 


.. Dies nur die wichtigsten Punkte aus der Arbeit Kneuckers, auf 
die wir zunächst kritisch eingehen müssen. 


Kneucker rechnet zu den Fällen, in denen man die übliche 
Leitungsanästhesie nicht anwenden kann, vor allem jene, in denen „der 
periostale Eiterherd bereits dem betreffenden Foramen : vorgelagert ist, 
durch das der zu anästhesierende Nervenstamm zieht. Zu dieser Ansicht 
muß man aber Folgendes bemerken: Wenn wir die häufigste Form der 
Entzündungen im Bereiche der Kiefer, die Periodontitis, in Betracht ziehen, 
eo beginnt der entzündliche Prozeß zunächst im Periodontium an der 
Wurzelspitze des Zahnes und breitet sich von hier fast konzentrisch aus. 
Hat ein solcher Prozeß bereits die äußere Knochenoberfläche erreicht und 
damit auch die den Alveolarfortsatz deckenden Weichteile in Mitleiden- 
schaft gezogen, dann kommt es zu deren Infiltration, später eventuell 
zu ihrer eitrigen Einschmelzung. Diese Infiltrate der Mundhöhlenschleim- 
haut, die aber in der Kneuckerechen Arbeit gar nicht erwähnt werden, 
sind es nun vor allem, die eine Injektion an der Stelle des betreffenden 
Zahnes zunächst unmöglich machen, und zwar in erster Linie aus dem 
Grunde, weil eine Injektion in ein infiziertes Gebiet die Gefahr mit sich 
bringt, daß die pathogenen Keime durch den bei der Injektion aufge- 
wendeten Druck in Blut- oder Lymphbahnen gepreßt werden können. Damit 
aber wäre die Möglichkeit zum Entstehen einer Sepsis gegeben. Wenn 
nun gar ein Prozeß entzündlieher Natur schon so weit reicht, daß er die 
Stellen deckt, an denen wir eine Leitungsanästhesie machen wollen, 
dann ist erst recht eine lokale Anästhesie absolut 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 93 


246 .Harry Sicher. 


kontraindiziert. Wenn auch ein schmaler Streifen der Gingiva an 
ihrem Rande von den Entzündungserscheinungen verschont ist — oft 
täuscht nur die derbe Beschaffenheit des Gewebes, in dem es nicht leicht 
zu ausgiebigen Schwellungen kommt, eine Intaktheit vor —, so ist doch. 
in seiner unmittelbaren Nachbarschaft infiziertes Gewebe vorhanden. Und 
wenn wir noch dazu erwägen, daß eine Injektion in die Gingiva. sensu 
strietiori einen: besonders hohen Druck erfordert, dann ist die Gefahr, 
von der gerade die Rede war, besonders naheliegend. Wir müssen also 
eine lokale Injektion bei Entzündungsprozessen, die sich in Infiltration 
oder Abszedierung der Mundhöhlenschleimhaut äußern, unbedingt ver- 
meiden, auch wenn wir wissen, daß durch sie die Entstehung einer Sepsis 
nur selten provoziert werden wird; allein die Möglichkeit ihrer 
Entstehung verbietet die lokale Injektion. Ganz im Gegenteil zu 
Kneuckers Ansicht sind jene Fälle, in denen eine Leitungsanästhesie 
wegen Entzündung des Einstichgebietes nicht durchführbar erscheint, nur 
durch die Allgemeinnarkose oder durch die Leitungsanästhesie an den 
Stämmen der Trigeminusäste — also an der Schädelbasis — zu beherrschen. 


Wenn aber Kneucker gar die Möglichkeit des Abbrechens einer 
Nadel bei der Vornahme der Leitungsanästhesie als Gegengrund für ihre 
Anwendung anführt, so muß man dem doch energisch widersprechen. 
Wählt man, wie ich dies schon öfters vorgeschlagen habe, eine 0,8 mm 
starke, 5—6 cm lange Nadel zur Rekordspritze, dann ist man vor solchen 
Zwischenfällen: so gut wie sicher. Bricht einmal eine solche Nadel, was 
auch bei dem heute gewiß schlechten Material immer nur auf unvoreich- 
tiges Hantieren zurückzuführen ist, so bricht sie immer an der Lötstelle 
zwischen Kanüle und Ansatz. Dann aber steht das abgebrochene Ende 
der langen Nadel noch so weit vor, daß es sofort mit den Fingern gefaßt 
und herausgezogen werden kann. 


Gehen wir aber weiter und betrachten wir jene anderen häufigeren 
Fälle, in denen eine Entzündung des Periodontium allein ohne Erschei- 
nungen an der Schleimhaut vorliegt, oder gar die Fälle, in denen nur der 
Verdacht auf die Möglichkeit des Bestehens periodontitischer Verände- 
rungen besteht. In allen diesen Fällen wendet ja Kneucker seine hoch- 
konzentrierte Lösung an. 


Um gleich meine Ansicht über dieses Verfahren vorwegzunehmen, 
muß ich sagen, daß Kneucker nur darum bei seiner Injektionstechnik 
eine A%ige Lösung nötig hat, weil seine Technik nicht auf 
den anatomischen Verhältnissen der Kieferinner- 
vation fundiert ist. Wenn man aber die Methode der Injektion 
strenge den anatomischen Tatsachen anpaßt, dann wirkt immer eine 


Bemerkungen zur Verwendung etc. 247 


lokale oder Leitungsanästhesie sicherer als jede andere Methode und 
damit wäre der 4. Punkt der Kneuckerschen Kontraindikation erfüllt, 
damit erübrigt sich die Anwendung seines neuen Verfahrens. Um dies 
zu verstehen, müssen wir uns einen Augenblick lang die Innervations- 
verhältnisse der Kiefer und Zähne vergegenwärtigen. 


Zwischen die feinen Äste, die als Rami alveolares superiores posterio- ` 
res et anteriores im Oberkiefer den Nervus infraorbitalis verlassen und 
ihre Endigungen im Zahne, im Periodontium und in der Gingiva ist ein 
feines Geflecht eingeschaltet, das als Plexus dentalis superior über den 
Wurzelspitzen der Zähne in der Spongiosa des Oberkiefers gelegen ist, 
Ganz ähnliche Verhältnisse finden wir im Unterkiefer, wo die Ästchen des 
N. alveolaris inferior auch nicht direkt zu ihren Endapparaten gelangen, 
sondern vorerst ein weitmaschiges Geflecht bilden. Durch diese Geflechts- 
bildung ist es uns aber möglich, an irgend einer Kieferstelle immer die 
Innervation der Nervenfasern vereinigt zu finden, die Zahn, Alveolar- 
fortsatz und einen Teil der Gingiva der betreffenden Kieferatelle inner- 
vieren. 


Bedenken wir nun, in welcher Weise überhaupt eine Anästhesie dieser 
Nerven erreicht werden kann, eo ist der Weg, wenn wir zunächst in der. 
Mundhöhle selbst bleiben, ein dreifacher. Erstens kann man eine In- 
filtration der Nervenenden versuchen, zweitens kann man die 
Nervenleitung im Plexus dentalis und drittens an den 
Stämmen der Alveolarnerven unterbrechen. Was nun 
das erste Verfahren anlangt, so kann eich die Infiltration der Nerven- 
endigungen naturgemäß nur auf die im Periodontium resp. im Zahnfleisch 
gelegenen beziehen, da ja die in die Pulpa eintretenden Nervenfäden immer 
nur vor ihrem Eintritt in den Wurzelkanal, also an ihrem Stamm er- 
reicht werden können. Zum Zwecke der Infiltration des Periodontiums nun 
ist es üblich gewesen und noch immer üblich, die Flüssigkeit in die Zahn- 
fleischpapille resp. in den Zahnfleischrand zu injizieren, weil ja hier Peri- 
odontium und Bindegewebe der Gingiva in kontinuierlichem Zusammen- 
‚hang stehen. Dabei ist aber zu bedenken, daß erstens die in das straffe 
Bindegewebe der eigentlichen Gingiva injizierte Flüssigkeitsmenge immer 
nur eine sehr geringe sein kann und daß nun diese geringe Flüssigkeits- 
menge durch das ganze so enge Periodontium bis zur Wurzelspitze des 
Zahnes vordringen muß. Daß dadurch die Wirkung der Injektion besonders 
bei mehrwurzeligen Zähnen eine höchst unsichere‘ ist, leuchtet ohne 
weiteres ein; und deshalb braucht Kneucker, der heute noch diesen 
Weg einschlägt, die 4%ige Lösung,’ weil er durch diese V percoriering 
die anatomischen Mängel der Methode kompensiert.’ 


23* 


248 | Harry Sicher. 


Als sichere Methoden lokaler Anästhesie der Zähne und Kiefer 
bleiben demnach die „Plexusanäsethesie“ und die „Stamm 
an&sthesie“. Erstere allerdings ist auch nur dann eine sichere Me- 
thode, wenn man sie nur dort anwendet, wo. es die anatomischen Ver- 
hältnisse gestatten. Da zu ihrem Gelingen notwendigerweise die in der 
Wurzelspitzengegend subperiostal injizierte Flüssigkeit durch den Knochen 
hindurch zu den in der Spongiosa gelegenen Plexusfasern durchdringen 
muß, kann die Plexusanästhesie mit Sicherheit nur dort gelingen, wo die 
äußere Knochenkompakta dünn und porös ist. So beschaffen ist sie aber 
nur im Oberkiefer und im Frontzahnbereich des Unterkiefers. Im Bereiche 
der Prämolaren und Molaren des Unterkiefers hingegen ist die äußere 
Knochenkompakta dick, dabei elfenbeinartig dicht, so daß ein Durch- 
dringen von injizierter Lösung nur höchst selten und vor allem nur zu- 
fälligerweise stattfindet. Wir leiten daher aus den anatomischen Verhält- 
nissen folgende Prinzipien ab (normale Schleimhautverhältnisse voraus- 
gesetzt): 


1. Eine Injektion in die Gingiva sensu strictiori ist zu vermeiden, 
da bei dieser Methode das Gelingen sehr zweifelhaft ist und nur 
durch Hochdosierung (Kneucker) erreicht werden kann. 

2. Die Plexusanästhesie ist von sicherem Erfolg begleitet im 
Oberkiefer und im Frontzahngebiet des Unterkiefers. 

3. Für das Molaren- und Prämolarengebiet des Unterkiefers ist als 
einzig sichere Methode die Stammanästhesie (Leitungsanästhesie 
am N.alveolaris inferior) durchzuführen. 


Die Richtigkeit gerade des letzten Satzes ergibt sich nebenbei auch 
aus dem von Kneucker erzählten Mißerfolg bei der Extraktion eines 
pulpitischen unteren II. Molaren. Er führt allerdings die Schmerzen auf 
eine Quetschung der geschwollenen Pulpa (im Zahn!!) durch den Zangen- 
druck zurück, während „die Dehnung der Alveole, die Zerrung am Periost, 
das Loßreißen des Zahnes aus demselben durch die starke anästhesierende 
Wirkung der Lösung kaum empfunden worden sein dürfte“, eine Erklärung, 
die in ihrem ersten Teil sicher völlig unrichtig, in ihrem zweiten Teil 
zumindest völlig unbewiesen ist. 

Alles bisher über die Anästhesie Gesagte gilt, wie erwähnt, unter 
der Voraussetzung, daß wir keine akut entzündlichen Veränderungen — 
Infiltrate, Abszesse — an Schleimhaut und Periost vor uns 
haben. Sind solche Veränderungen aber eingetreten, dann ist auch dort, 
wo. die Plexusanästhesie sonst indiziert ist, von ihr abzusehen und die 
Stammanästhesie durchzuführen. Aber auch deren Anwendungemöglichkeit 


Bemerkungen zur Verwendung ete. i 249 


hat natürlich ihre Grenzen, die ja Kneucker.am Eingange seiner 
Arbeit sehr richtig zusammenstellt. Reicht das Infiltrat nämlich bis an 
die Einstichstelle, die für die Stammanästhesie vorgeschrieben ist, dann 
kann auch sie nicht in Anwendung kommen, natürlich aus denselben 
Gründen, die wir früher für die Kontraindikation der lokalen Einspritzung 
durch oder in infiziertes Gewebe angeführt haben. Dies tritt nun im Ober- 
kiefer relativ häufiger auf als im Unterkiefer, wo die Einstichstelle bei 
der Leitungsanästhesie am N. alveolaris inferior nur selten von einem In- 
filtrat gedeckt wird. Dagegen kommt hier, wie auch Kneucker richtig 
hervorhebt, die bei periostitischen Prozessen der Molarengegend häufig 
auftretende Kieferklemme als Komplikation in Betracht. Hier aber hilft 
uns in sehr vielen Fällen die perkutane Leitungsanästhesie des N. alveo- 
'laris inferior über die Schwierigkeiten hinweg, eine Anästhesie, deren 
' Technik viel einfacher und„mindestens ebenso sicher ist als die intraorale 
Injektion. Gerade diese Methode wird aber von Kneucker überhaupt 
nicht erwähnt und. doch hätte der von ihm als erster beschriebene Fall 
vielleicht mit dieser Anästhesie rascher und . einfacher erledigt werden 
können als mittelst seiner Methode. Überdies ist die Beschreibung dieses 
Falles gewiß nicht ganz klar. Da die Art der Extraktion bzw. Freilegung 
einer frakturierten Weisheitszahnwurzel nicht besprochen wird, ist auch 
nicht zu beurteilen, wie es möglich war, durch Injektion nur in die mesiale 
Zahnfleischpapille und lingual in die Mukosa eine solche Operation schmerz- 
los zu gestalten. 


Nebenbei sei erwähnt, daß es ganz eigentümlich erscheint, daß die 
in die mesiale Papille injizierte Lösung — es können doch wohl nur ein 
paar Tropfen gewesen sein — die Schmerzen beim gewaltsamen Öffnen 
des Mundes mit dem Heister zu verringern imstande war. Es ist nur an- 
zunehmen, daß irgend eine genaue Kontrolle der Schmerzhaftigkeit durch 
Vergleich vor und nach der Injektion nicht durchgeführt wurde. 
Denn sonst wäre eine solche Behauptung doch sicher nicht zustande ge- 
kommen. Ist doch der Sitz für die beim Mundöffnen auftretenden 
Schmerzen sicher nicht im Periodontium oder auch nur in der unmittel- 
baren Umgebung des Zahnes gelegen. Dazu kommt noch, daß Kneucker 
zur weiteren Injektion doch den Heister brauchte, während bei der per- 
kutanen Leitungsanästhesie die ganze Injektion bei ne Munde 
vor sich geht. 


Überdies möchte ich noch darauf hinweisen, daß sich natürlich bei 
der Bereitung einer hochkonzentrierten Lösung aus Novokain-Suprarenin- 
tabletten auch der Adrenalingehalt automatisch auf das Doppelte 
erhöht, was ja auch Kneucker erwähnt. Ich glaube aber, daß mancher 


250 Harry Sicher. Bemerkungen zur Verwendung ete. 


Erfolg bei entzündlichen Veränderungen gerade auf den erhöhten Adrenalin- 
gehalt zurückgeht, weil dieser trotz der Hyperämie eine Konstriktion der 
Gefäße bewirkt und so den zu raschen Abtransport des Novokains ver- 
hütet. Natürlich darf uns aber auch dieser Umstand nicht verlocken, in 
entzündetes Gewebe zu injizieren. 


- Was die des öfteren wiederholte Bemerkung Kneuckers anlangt, 
daß man bei Verwendung der gebräuchlichen Lösungen Schmerzen hervor- 
ruft, kann ich selbst nur glauben, daß eben Kneucker gewohnt war, 
in das straffe Gewebe der Gingiva oder Papille oder gar in entzündlich 
infiltriertes Gewebe zu injizieren. Daß in diesem Falle die Injektions- 
schmerzen bei der hochdosierten Lösung wegen der raschen — schon 
während der Injektion — auftretenden : Anästhesie bzw. Hypästhesie ge- 
ringer sind als bei den normalen Lösungen, ist wohl vorstellbar. Doch 
habe ich schon früher gesagt, daß die Injektion in Gingiva und Papille 
unanatomisch, die in entzündetes Gewebe aber unbedingt kontraindiziert 
ist. Die Injektion in die locker fixierte Schleimhaut in der Nähe der 
Umschlagsfalte aber, wie sie nach korrekten anatomischen Prinzipien 
durchzuführen ist, schmerzt nicht. Und ist die Injektionsstelle entzündlich 
infiltriert, dann muß sie ja ohnehin umgangen werden, sei es, daß bei 
kleiner Ausdehnung noch immer die Plexusanästhesie mit verschobenem 
Einstich durchführbar ist, sei es, daß man bei größerer Ausbreitung die 
Stammanästhesie anwenden muß. 


Zusammenfassend komme ich also zu folgendem Schlusse: Wenn 
auch die 4%ige Novokainlösung nach Kneucker Erfolge zeitigt — 
und diese Angabe des Autors will ich durchaus nicht in Zweifel ziehen —, 
so kommen sie doch nur dem überraschend, der eben bei unrichtiger — 
unanatomischer — Anwendung der 1!/.—2%igen Lösung Mißerfolge er- 
lebte. Nach den anatomischen Tatsachen führt die richtige Anwendung 
der 1!/»—2%igen Novokainlösung in allen Fällen entweder als Plexus- 
oder als Stammanästhesie zu vollen Erfolgen. Was aber unter allen Um- 
ständen zu vermeiden ist, ist die Injektion in infiltriertes Gewebe, da wir 
damit die Gefahr einer Sepsis durch unseren Eingriff herauf- 
beschwören. Nach all dem ist, wie ich glaube, die 4%ige Novokain- 
Suprareninlösung völlig ‚unnötig, da „eine andere Methode (Leitungs- 
anästhesie mit den nieder dosierten Lösungen — als Plexus- oder Stamm- 
anästhesie —) leichter, rascher und eicherer zum Ziele führt“ — Punkt 4 
der Kneuckerschen Kontraindikationen. 


Alfred Kneucker.- Antwort auf die Polemik Dr. Sichers. 251 


"Antwert auf die Polemik Dr. Siehers: 
„Weitere Bemerkungen zur Verwendung der 
”4prozentigen Novokain-Suprarenin-Lösung“. 

Von Dr. Alfred Kneucker, Zahnarzt in Wien. 


In meiner Erwiderung auf die Ausführungen Sicheres muß ich 
gleich von allem Anfange an seiner Anschauung entgegentreten, daß ich 
bei meiner Injektionstechnik nur „darum die 4%ige Lösung nötig habe, 
weil meine Technik nicht auf den anatomischen Verhältnissen der Kiefer- 
innervation fundiert sei“ 

. Jeder, der die Litsratir über Leitungsanästhesie kennt, weiß, daß 
ich einer der ersten Autoren nach dem epochalen Werke Brauns war, 
der sich mit der Leitungsausschaltung beschäftigt und sich dabei wissen- 
schaftlich publizistisch betätigt hat. Ich verweise diesbezüglich auf meine 
in der Wiener klinischen Rundschau Nr. 1 im Jahre 1908 erschienene Arbeit 
über „Schmerzlose Zahnextraktionen im Öberkiefer mittelst Leitungs- 
anästhesie“, dann auf die Publikation: „Oberkieferleitungsanästhesie bei 
Zahnextraktionen und kleinen chirurgischen Eingriffen“ (Österr. Zeit- 
schrift für Stomat., Mai 1909), auf meinen auf der 8. Verbandsversammlung 
des Zentralverbandes österr. Stomatologen in Graz 1910 gehaltenen Vor- 
trag über „Epiperiostale Eiterungen und Wurzelspitzenabszesse“‘ und meine 
sonstigen sich hauptsächlich mit der Anästhesie beschäftigenden Publika- 
tionen. 

Daß aber die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Leitungsanästhe- 
sie — ganz besonders zu einer Zeit, wo dieselbe noch volles Neuland war — 
selbstverständlich das genaue Studium der anatomischen Verhältnisse im 
Kiefer und in der Innervation bedingt, ist wohl von vornherein klar und 
war ja auch deshalb nicht gar so schwer, weil nebst Braun, dem Vater 
der Leitungsanästhesie, auch so viele andere Autoren, z. B. Hübner, 
Bünte, Moral, Cieszyński und andere, go herrliche anatomische 
Arbeiten schon vor Jahren mit Bezug auf unser Thema publiziert hatten. 

Und gerade, weil mir die erwähnten anatomischen Details in Fleisch 
und Blut übergegangen sind, und gerade, weil ich die Leitungsanästhesie 
so restlos beherrsche, gerade deswegen behaupte ich auf Grund meiner 
Erfahrung, daß es genügend Fälle gibt, in denen man selbst bei voller, 
sicherer Beherrschung der Leitungsausschaltung dieselbe nicht anwenden 
kann, und bei denen sich die Verwendung der von mir vorgeschlagenen 
4%igen Lösung als Segen erweist, weil sie uns in der einfachsten 
Art ermöglicht, den operativen Eingriff, bei dem bereits die usuelle Lei- 
tungsausschaltung unmöglich ist, trotzdem mit Komplewser Anästhesie 
durchzuführen. 


252 | Alfred Kneucker., 


Es würde den Rahmen der Polemik weit überschreiten, wollte ich 
da auf Details ‚eingehen, und ich muß daher nochmals auf meine dies- 
bezüglichen Publikationen verweisen, in denen ich unter anderem aus- 
einandergesetzt habe, daß die bisher allgemein gebräuchliche Leitungs- 
ausschaitung z. B. dann undurchführbar ist, wenn bereits Eitermengen dem 
hetreffienden Foramen, durch das der zu anästhesierende Nervenstamm 
zieht, vorgelagert sind. 

Nehmen wir ein Beispiel — und gerade solche Fälle sind mir in 
der zahnchirurgischen Konsiliarpraxis des öfteren vorgekommen —: Ge 
schlossene obere Zahnreihe, der |2 lingual verlagert, außerdem aber 
trichterförmig kariös und von ihm ausgehend ein weit nach rückwärts, 
in der Gegend des Foramen palatinum majus liegender Gaumenabszeß, der 
mit seinen Eitermengen bereits das genannte Foramen überdeckt.. Das 
Zahnfleisch rings um den |2 in dessen unmittelbarer Umgebung zeigt aber 
keinerlei Entzündungserscheinungen, wie dies bei Gaumenabszessen häufig 
der Fall ist. 

Ich frage nun: Wie soll man in einem solchen Falle vor der Ex- 
traktion des genannten Zahnes die Leitungsausschaltung durchführen, da 
man ja mit der Nadel das Foramen eben der Eitermengen wegen nicht 
aufsuchen darf, ganz abgesehen davon, daß dabei die Injektion der nur 
1—2%igen Lösung schmerzhaft wäre? 

Wohl bliebe für solche Fälle noch die Ausschaltung weiter zentral, 
z. B. durch Injektion an der Schädelbasis; doch ist das eine Methode, 
welche von dem Gros der in der Praxis stehenden Zahnärzte — trotzdem 
die eben genannte Methode der Ausschaltung schon vor vielen Jahren publi- 
ziert wurde — nicht beherrscht wird. Allgemeinnarkose verbietet sich 
aus vielen Gründen, so daß die 4%ige Novokain-Suprareninlösung — da 
ja das Zahnfleisch rings um den kleinen Schneidezahn keine nennenswerten 
Entzündungserscheinungen aufweist und die Entzündungsprodukte, die 
Eitermengen, weit rückwärts liegen — in diesem Falle durch ihre Anwen- 
dung die Schwierigkeiten des voraussichtlich längerdauernden Eingriffes 
tadellos, leicht und schließlich gefahrlos überwinden hilft. Dagegen würde 
ich, wenn der EP wohl periostkrank wäre, ohne daß es zum Gaumen- 
abszeß in der Nähe des Foramen palatinum majus gekommen wäre, 
naatürlicherweise die typische Leitungsausschaltung, und zwar des Nerv. 
palat. anter., des Nerv. incisiv. am Foramen incisivum und der Endäste 
des Nerv. infraorbitalis mit 1—2%iger Lösung gemacht haben. 

Ich möchte also bei dieser Gelegenheit so wie in meiner bisherigen 
Publikationen betonen, „daß die von mir angegebene Methode 
der Verwendung der 4%igen Novokain-Suprarenir 
lösung selbstredend nicht dazu bestimmt sein soll, 


By = 7 T ri, ZZ s 


Antwort auf die Polemik Dr. Sichers. 253 


die bisher gebräuchliche Leitungsausschaltung mit 
der 1—2%igen Lösung zu verdrängen.“ Ich habe ausdrücklich 
die Fälle hervorgehoben, in welchen sich die Anwendung der 4%igen 
Novokain-Suprareninlösung verbietet, und habe dort präzise er 
wähnt, „daß man aus rein chirurgischen Gründen die 
lokale Injektion — auch der höher dösierten Lösung — 
dann vermeiden wird, wenn es sich um die Entfernung 
eines von Eiter umspülten. Zahnes handelt. Indika- 
tion hierfür wäre, sofern sie überhaupt anwendbar, 
die Leitungsanästhesie, damit nicht Infektions- 
keime durch die unter Druck erfolgende Lokalinjek- 
tionin die Tiefe verschleppt würden.“ 

Verallgemeinert man aber den obigen Spezialfall, dann muß jeder 
Praktiker zugeben, daß es bei stärker entwickelter Periostitis oft unmöglich 
ist — auch wenn es nicht zur direkten Abszeßbildung gekommen ist —, 
intraoral die bisher allgemein geübte Leitungsanästhesie durchzuführen, . 
weil die Entzündungserscheinungen, wie z. B. Schwellung der Weichteile 
im Munde, Ödem der Wange, Kieferklemme etc. die Injektion am Tuber 
maxillare, am Canalis infraorbitalis, Foramen palat. maj., Foramen inci- 
sivum und Foramen mandibulare häufig unmöglich machen. | 

Und gerade diese Verhältnisse sind es, die uns zwingen, nach neuen 
Methoden zu suchen, um die Schwierigkeiten der Anästhesie zu über- 
winden, und haben mich veranlaßt, die in den hierzuindizierten 
Fällen von mir seit Jahren geübte Methode der Verwendung der 4%igen 
Novokain-Suprareninlösung zu veröffentlichen, während Sicher auf 
einem ähnlichen Weg, wie ihn vor ihm schon Braun, Offerhaus, 
Cieszyäski, Kantorowicz betreten haben, sich bemüht, den Tri- 
geminus perkutan noch weiter zentral, an der Schädelbasis auszuschalten. 

. Daß seine von ihm erst jüngst (7. Heft der Österr. Zeitschrift für 
Stomatologie 1919) veröffentlichte Methode noch nicht allgemein einge- 
führt ist, ist natürlich, da sie — schwieriger als die allgemein geübte intra- 
orale Leitungsanästhesie und noch schwieriger als die einfache Lokal- 
injektion der A%igen Lösung — noch weit mehr genauere Kenntnis der 
zahlreichen anatomischen Details des Schädels verlangt als die anderen 
genannten Methoden. 

Daf aber die von mir empfohlene 4%ige Lösung, lokal angewendet, 
von jedem Zahnarzt ohneweiters geübt werden kann, wird wohl wegen 
der Einfachheit der Methode nicht bestritten werden können. 

Bei dieser Gelegenheit aber muß ich zu einem weiteren Punkte der 
Sicherschen Polemik Stellung nehmen, nämlich zu der von ihm behaup- 
teten Gefahr der Sepsis bei der lokalen Injektion. 


954 Alfred Kneucker. 


Diese Gefahr besteht in den richtig ausgewählten Fällen nicht, und 
zwar aus folgenden Gründen: 


Die praktische Erfahrung bei der Anwendung der Lokalanästhesie 
überhaupt zeigt, daß man dort, wo das Zahnfleisch nicht direkt vereitert 
oder nicht sichtbar entzündet oder nicht geschwollen ist, ruhig in die 
Gingiva injizieren darf; es wird keine Sepsis eintreten. Ich 
habe ca. 5000 Injektionen der 4%igen Lösung lokäl vorgenommen und 
dabei — bedingtdurch die Einspritzung — nie auch nur die 
geringsten septischen Erscheinungen beobachten können. Weiters: Die 
Zeit: liegt noch gar nicht so ferne hinter uns, wo die Leitungsanästhesie 
oder gar die Ausschaltung des Trigeminus an der Schädelbasis noch un- 
bekannt war und wo von allen Zahnärzten und Ärzten der Welt lokale 
Injektionen wahllos in die Gingiva ohne jedes Bedenken gemacht wurden. 
Wären damals durch die Injektion selbst Fälle von Sepsis bekannt ge- 
worden, so hätte man wohl überhaupt von der Injektion im Munde ab- 
stehen müssen. Nebenbei gesagt, entstehen aber gefahrvolle septische Pro- 
zesse im Munde nur dann, wenn aus irgend einem Grunde die Eitermengen 
nicht zum Abfluß gebracht werden und sich dann den Weg bekannter- 
maßsen in gefahrvoller Weise weiterbahnen. 


Ließe ınan sich aber durch die von Sicher erwähnte „Infiltration“ 
der Gingiva von der Injektion abhalten, so könnte man wohl in den meisten 
Fällen überhaupt nicht, weder durch lokale noch durch Leitungsanästhesie, 
Injektionen vornehmen, ganz abgesehen davon, daß, wenn das Zahnfleisch 
äußerlich gesund erscheint, man ja die nur mikroskopisch erkenn- 
bare Infiltration nicht diagnostizieren kann. Sicher kennt diese Verhält- 
- nisse und gibt in seiner oben zitierten Arbeit an, auf welche Weise die ge- 
nannten Schwierigkeiten überwunden werden können. 

Ich frage nun: Kann der in der Praxis stehende Zahnarzt diese Art 
der Aussehaltung an der Schädelbasis üben? Ich glaube nicht — verein- 
zelte Fälle, wo der betreffende Praktiker sich besonders mit dem Studium 
dieser Methode beschäftigt hat, ausgenommen — und ich bin überzeugt, 
daß der Praktiker, wenn er weiß, er kann die Schwierigkeit der Anästhesie 
mit der lokalen Injektion der 4%igen Lösung — wieder in den hierfür 
geeigneten Fällen — überwinden, doch eher zu dieser Methode greifen 
wird, als zur Ausschaltung am Foramen ovale und rotundum. Dabei aber 
steht hestimmt fest, daß kaum alle Zahnärzte diese Methode auch in spä- 
teren Jahren je erlernen werden, da bekanntlich bis heute — das ist 
ca. 15 Jahre nach den ersten grundlegenden Arbeiten Brauns — selbst 
die verhältnismäßig einfache und leichte Methode der gewöhnlichen Lei- 
tungsanästhesie noch immer nicht von allen Zahnärzten beherrscht wird. 


Antwort auf die Polemik Dr.. Sichers. | 255 


Ich muß aber, um den Verdacht abzuwehren, als ob ich ein septisches 
Vorgehen empfehlen würde, und um Mißverständnisse zu. vermeiden, noch- 
mals meine Arbeiten zitieren und hervorheben, daß ich dort die Indika- 
tionen und Kontraindikationen, die Anwendung der 4%igen Novokain- 
Suprareniulösung betreffend, genau besprochen habe, und verweise insbe- 
sondere nochmals auf den Punkt 4, in dem ich ausdrücklich jene Fälle er- 
wähne, in denen sich die Anwendung der 4%igen Lösung verbietet, nämlich 
dann, „wenn irgendeine andere Methode (Vereisung, Chloräthylrausch, Lei- 
tungsanästhesie mit den nieder dosierten Lösungen leichter, rascher und 
sicherer zum Ziele führt“. 

Schließlich möchte ich noch die Tatsache erwähnen, daß die Gefahr 
der Sepsis im Munde — sofern nur, wie erwähnt, Eiter zum Abfluß kommt 
— bei der bekannten Heilungstendenz und der eigenartigen Widerstands- 
fühigkeit sowohl der Weichteile im Munde als der Kieferknochen überhaupt 
nicht besteht, da ja bekanntlich selbst schwerste Verletzungen, welche mit 
den kompliziertesten Infektionen parallel gehen, in relativ kurzer Zeit ein- 
fach zur Heilung kommen. 

Und nun noch zur Besprechung des von mir "geschilderten Einzel- 
falles von Kieferklemme, ausgehend von einem rechten unteren fraktu- 
rierten Weisheitszahne, in dem mir die Anwendung der 4%igen Lösung so 
herrliche Dienste geleistet hatte und gegen den Sicher allerlei Einwen- 
dungen hat. 

Es erscheint mir zwar nicht praktisch, auf alle Details einzugehen, da 
ich ja auch hier den Rahmen der Polemik weit überschreiten müßte, und 
ich will hier nur das anführen, was zur Klärung des Falles notwendig ist. 
Die Anwendung des Heister also war dabei nicht allein notwendig, um die 
Injektionsspritze anwenden zu können, sondern auch deshalb, um den” 
ganzen operativen Eingriff überhaupt (Freilegung der frakturierten Wurzel 
_ durch Abklappung der Gingiva und des Periostes, Einsägen der bukkalen 
Wand des Alveolarfortsatzes, Wegmeißelung derselben etc.) zu ermöglichen. 

Außerdem aber kann ich nicht umhin, dagegen Stellung zu nehmen, 
daß Sicher meint, man hätte die extraorale Methode der Aus- 
echaltung des Nerv. alveol. inf. machen sollen. Das war in diesem Falle 
undurchführbar, weil das Ödem und die Infiltration sich nicht nur über den 
Mundhöhlenboden, sondern bereits auch längs des Unterkieferrandes über 
die Wange erstreckt hatten, so daß bei der extraoralen Injektion die Nadel 
erst recht — was ja Sicher so gern vermeiden will — infiziertes Gebiet 
hätte durchstechen und passieren müssen. 

Wieder aber muß ich den Fall verallgemeinern und bei dieser Gelegen- 
heit erwähnen, daß es ein großer Unterschied ist, die extraoralen 
Methoden auf der Klinik oder in der Privatpraxis durchzuführen, 


256 Alfred Kneucker. Antwort auf die Polemik Dr. Sichers. 


wa in dieser die Verantwortung dem Patienten gegenüber eine ganz andere 
ist als in jener; außerdem: ist auf der Klinik die Assistenz reichlicher und 
schließlich das Patientenmaterial ein ganz anderes als in der Privatpraxis. 

Es ist bekannt, daß ich selbst vor wenigen Jahren die Methode der 
extraoralen Ausschaltung des Nery. infraorbitalis: publiziert habe, und 
doch bekenne ich aufrichtig, daß ich die Methode nur in den seltensten 
Fällen übe, weil sie wegen des Jodstriches auf die Gesichtshaut, wegen 
des Hauteinstiches in der Gegend des Foramen infraorbitale in der besseren 
Privatpraxis (namentlich von den femininen Patienten) nicht sehr dank- 
bar vermerkt wird. Und ähnliches gilt für die extraorale Ausschaltung des 
Nerv. alv. inferior. | 

Die näheren Angaben über die ‚„Injektionsstellen“ bei der Durch- 
führung der lokalen Anästhesie mit meiner höher dosierten Lösung habe 
ich in meinen Publikationen deshalb nicht gemacht, da sie mir bei der 
Lokalanästhesie als selbstverständlich und nicht erwähnenswert schienen. 

Ich hole sie aber wunschgemäß nach: Habe ich mich nach. reiflicher 
Prüfung des Falles nicht zur Leitungsanästhesie oder zu irgend einer an- 
deren Methode, sondern zur lokalen Anästhesie, so wie ich dies schon aus- 
führlich in meiner zweiten Publikation hervorgehoben habe, entschlossen, 
dann injiziere ich in die mesiale und distale Zahnfleischpapille des zur Ex- 
traktion kommenden Zahns bukkal resp. labial und lingual so viel von der 
Lösung — oft genügen wenige Tropfen —Abis die gewisse bekannte Anämie 
der Gingiva eintritt. Über 3cm? jedoch gehe ich nicht hinaus. 

Was noch die von Sicher aufgestellten Behauptungen über. den 
„Nadelbruch‘ betrifft, so will ich demgegenüber betonen, daß die von 
ihm angewendete Nadel wegen ihrer Dicke den Nachteil hat, einen viel 
*sröberen und demgemäß unangenehmeren Einstichschmerz hervorzurufen, 
als die von mir verwendete, für die Durchführung der Leitungsanästhesie 
am Foramen mandibulare extra lang konstruierte, aber zarte aseptische 
Stahlkanüle ohne Naht. Verwendet man prinzipiell zur Injektion jedesmal 
immer eine neue und ist man noch im Besitze von Kanülen aus Friedens- 
material, so ist ein Nadelbruch wohl fast ausgeschlossen. Verwendet man 
aber eine in Kriegszeiten erzeugte, glasartig spröde Kanüle, so kann es 
selbst bei sachgemäßester Anwendung derselben passieren, daß die Kanüle 
bricht, wozu noch zu bedenken ist, daß nicht zumindestens die häufigste 
Ursache dee Nadelbruches — trotz aller dem Patienten im voraus er 
teilten Ermahnung — in nervösen Abwehrbewegungen (des unruhigen Pa- 
tienten) gelegen ist. Die von Sicher also erwähnte Behauptung, daß „der 
Nadelbruch bei dem heute gewiß schlechten Material immer nur auf 
unvorsichtiges Hantieren zurückzuführen sei“, ist also wohl bestimmt un- 
richtig. 


Harry Sicher. Nochmals über die Anwendung etc. 257 


Und nun zum Schlusse eine persönliche Bemerkung: Meine Anschau- 
ung in der ganzen Frage ist die: Ist die Anwendung der von mir an- 
gegebenen 4%igen Lösung für den Praktiker wertvoll — und auf den 
kommt es-'in erster Linie ai, man denke: bei-den Zahnextraktionen nicht 
nur an die Zahnärzte, sondern auch an die praktischen Ärzte und Land- 
ärzte! —, dann wird und muß sie sich trotz der Sicherschen Polemik 
durchsetzen und Allgemeingut der Ärzteschaft werden. Ich bin hiervon 
' überzeugt und werde die 4%ige Novokain-Suprareninlösung nach wie vor 
verwenden, da sie nicht nur mir, sondern, wie ich aus. mündlichen und 
schriftlichen -Zustimmungen weiß, vielen Kollegen, in zahlreichen, fast 
unüberwindlich gewesenen Fällen leicht, rasch, sicher und gefahrlos die 
erstrebte Anästhesie erreichen ließ. 


Nochmals über die Anwendung der 4prozentigen 
Novokain-Suprarenin-Lösung. 


Von Dr. Harry Sicher. 


Die. Ausführungen Kneucker:s, die er der Kritik ı seiner arten 
Publikationen entgegenhält, sind im wesentlichen nichts anderes als: eine 
Wiederholung derjenigen Punkte, die er früher schon zur Begründung seiner 
Methode anführte. Ich kann daher meine Gegenargumente nicht entkräftet 
sehen, will aber nicht selbst meine Schlußfolgerungen noch einmal auf- 
zählen, da sie dadurch kaum an Beweiskraft gewinnen würden. Und dies 
um go mehr, als ich aus Erfahrung weiß, daß Diskussionen selten zu einer 
Verständigung oder zur endgültigen Lösung der strittigen Fragen führen, 
ihren Wert vielmehr in der Anregung haben, die sie Fernerstehenden 
bieten. Nur eine Bemerkung kann ich nicht unterdrücken. Ich muß leider 
mit Kneucker einer Meinung sein, wenn er behauptet, daß sich die An- 
wendung der 4%igen Lösung auch gegen meine Kritik Anhänger erwerben 
wird, weil ich einsehe, daß eine Methode auch wenn sie nicht ein- 
wandfrei ist, dann Freunde erwirbt, wenn sie um so viel leichter ist 
als die anderen. Gerade aber darin sehe ich eine Gefahr, daß vielen 
diese Methode trotz den Einschränkungen Kneuckers als vollwertiger 
Ersatz für die anatomisch fundierten Methoden der Leitungsanästhesie' 
erscheinen wird und daß das Studium der letzteren in den Hintergrund 
gedrängt werden wird, zum Schaden der zahnärztlichen Wissenschaft und 
nicht zuletzt zum Schaden des Patienten. 


258 Winke für die Praxis. 


Winke für die Praxis. 





Verwendung von Laminaria in der Zahnheilkunde. 
Von Zahnarzt Dr. Viktor Frey, Wien. 


Erweiterung von Zungenfisteln mit Laminaria 
zur Erleichterung einer Fremdkörperextraktion. 
Ein Mittel, das -mir während meiner Tätigkeit auf der Kieferbruch- 
abteilung der Wiener allgemeinen Poliklinik bisweilen gute Dienste zur 
Entfernung von Fremdkörpern (abgeschossene Zahnkronen, Zahnsplitter 
oder Projektilteilchen) aus der Zunge geleistet hat, ist Laminaria. 


Bei Anwesenheit eines der oben angeführten, röntgenologisch fest- 
gestellten Fremdkörpers führt man in die fast stets vorhandene Zungen- 
fistel ein Laminariastäbchen ein, bis es auf den Fremdkörper trifft, und 
schneidet den überstehenden Teil zirka 1—2 mm über der Zungenoberfläche 
ab. In wenigen Stunden ist der Stift so gequollen, daß man leicht mit 
einer schlanken Pinzette, Kornzange oder Wurzelkanalzange durch den 
erweiterten Fistelkanal vordringen und den Fremdkörper fassen kann. 
Entweder wird nun der Fremdkörper ohne weiteres extrahiert‘ oder man 
zieht ihn mit dem Instrument möglichst an die Oberfläche und inzidiert 
durch einen sagittal (Zungengefäße!) über den erweiterten Fistelgang- 
direkt auf den Fremdkörper geführten Entspannungsschnitt; die Ent- 
fernung gelingt dann ohne Schwierigkeiten. 


Diese Methode wurde auch von E. Leser, Frankfurt a. M., im 
Zentralblatt für Chirurgie, 1916, Nr. 52, zur Entfernung von Fremdkörpern 
aus Wundkanälen und Fisteln beschrieben. 


Dehnung verengter Antrumfisteln durch Lami- 
naria. Noch eine andere Verwendung der Laminariastifte sei erwähnt: 


Ist es einem Patienten mit chronischem Antrumempyem, der einen 
Antrumobturator zu tragen verurteilt ist, passiert, daß durch längeres 
(oft genügt schon eine halbe Stunde) Nichttragen des Stiftes die Antrum- . 
fistel derart verengt ist, daß der Obturator nicht wieder auf seinen Platz 
gebracht werden kann, so genügt das Einführen eines Laminariastäbchens 
für wenige Stunden, um den Obturator wieder auf seinen Platz zu bringen. 
Dabei ist jedoch zu beachten, daß der Laminariastift durch eine Draht- 
ligatur (Angle Regulierungsdraht) an einem Nachbarzahn befestigt werden. 
muß, damit er nicht ins Antrum entgleite. Es ist auch dafür Sorge zu 
tragen, daß der gequollene Stift an der Umschnürungsstelle durch die 
Drahtligatur nicht durchschnitten werde. Solchen Patienten muß man 





Referate und Bücherbesprechungen. 259 


besondere Sorgfalt auftragen und sie nach längstens 4—5 Stunden wieder 
bestellen. 

Die Beschwerden durch die rn Laminariastifte sind zumeist 
nur geringfügiger Natur. 


Referate und Bücherbesprechungen. 


Verhornungsprozesse am Zahnfleisch des Menschen. Von Dr. Werner 
x cho erlank. Schweiz. Vierteljahrsschr. f. Zahnheilk., Bd. XXIX, 
- Nr.i. 


Autor beschreibt den Befund einer Hornleiste, die über das Epithel 
am Kiefer des Neugeborenen gelagert ist. Diese Hornleiste spielt beim 
Saugakt eine gewisse Rolle, indem sie den. Kiefer befähigt, durch Kau- 
bewegungen den Brustdrüsensphinkter zur Erschlaffung zu bringen. Im: 
weiteren kommt der Verhornung auch eine Schutzwirkung zu, deren ge- 
rade das Zahnfleisch in besonderem Maße bedarf, da es allein in der 
Mundhöhle keine eigenen Drüsen trägt. Ähnliche Verhornung finden wir 
am Zahnfleisch des zahnlos gewordenen atrophischen Kiefers, ferner auch 
unter pathologischen Verhältnissen. Wallisch jun. 


Über die Stellung des Obergesichtes zur Schädelbasis beim Kinde und 
Erwachsenen unter Berücksichtigung der Rassenprognathie. Von Doktor 
Eugen Adams, Straßburg i.E. D. Zahnhlk., München. 


Das Referat muß sich mit der Anführung der Schlußsätze des 
Autors begnügen, da die detaillierte Darstellung der komplizierten Wachs- 
tumsverhältnisse des Gresichtsschädels für eine kurze Darstellung unge 
eignet sind. Doch ist die Lektüre der Arbeit gewiß jedem zu empfehlen, 
der diesen so wichtigen Vorgängen Interesse entgegenbringt, da die Kurven 
und Tabellen in ausgezeichneter Weise die ablaufenden Veränderungen 
illustrieren. 

1. Das Wachstum des Gesichtsschädels ist sehr unregelmäßig. Inner- 
halb des Gesamtwachstums treten Stadien vergrößerter und verminderter 
Wachstumsintensität auf, die in überwiegendem Maße an die Dentitionen 
gebunden sind. Die Formveränderungen des Gesichteschädels sind dem- 
gemäß zum größten Teil von der Entwicklung der Zähne abhängig. 

2. Am stärksten ist das Wachstum der Höhenmaße, am kleinsten 
das der Längenmaße. 

Durch ungleichförmiges Wachstum der einzelnen Maße ist das 
Obergesicht dauernden Formveränderungen unterworfen, die in den ver- 
schiedenen Lebensaltern verschiedenartig sich ausprägen und demnach 
während der Wachstumsperiode zu wechselnden Lageveränderungen gegen- 
über dem Gesamtschädel führen. 

4. Diese Lageveränderungen werden am profilierten Schädel zweck- 
mäßig durch die Winkel Basion-Nasion-Prosthion und Basion-Nasion-Naso- 
spinale festgelegt‘) Auch die Schwankungen der Winkel innerhalb des. 
Gesamtwachstums sind oft beträchtliche. 


1) Basion = Mitte des vorderen Umfanges des Foramen occipitale. — Nasion 
— Mitte der Naht zwischen Frontale und Nagalia. — Nasospinale = Basis der 
Spina nasalis anterior. — Prosthion = Mitte des Zahnrandes de Processus alveo- 
laris des Oberkiefere. 


260 Referate und Bücherbesprechungen. 


5. Der Neugeborene hat gegenüber dem Erwaehsenen eine starke 
alveoläre Prognathie. Neger (als Typen starker Rassenprognathie) und 
Neugeborene zeigen die gleiche alveoläre Prognathie. Ein Unterschied 
besteht jedoch in der mangelhaften Ausbildung von Nasion-Prosthion 
(Obergesichtshöhe). 

6. Der Neugeborene zeigt im Vergleich zum Erwachsenen auch eine 
spinale Prognathie und ist um 1° prognather als der Neger. Auch hier 
besteht der große Unterschied der kindlichen von der Rassenprognathie, 
daß die Nasenhöhe des Kindes stark rudimentär ist und daher der spinale 
Profilwinkel desselben den der Rassenschädel an Größe bedeutend übertrifft. 

Am Anfang und am Schluß des Wachstums ist der Alveolarfort- 
satz des Oberkiefers gegenüber den Oberkieferkörpern stärker vorgelagert 
als im mittleren Lebensalter. Sicher. 





Die Behandlung erkrankter Oberkieferhöhlen. Von Dr. C. C. Fischer, 
Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Königsberg i. Pr. 
D. M. f. Z., H.8, 1919. 


= Ganz mit Recht wendet sich Fischer gegen die noeh immer von 
zahnärztlicher Seite geübte Coopersche Operation des dentalen 
Antrumempyems, die bekanntlich in der Eröffnung und Durchspilung der 
erkrankten Kieferhöhle von. der Alveole des schuldigen Zahnes besteht. 
Es ist ja klar, daß. auch durch dauernde Spülungen nicht die Grand- 
ursache der chronischen Eiterung, nämlich die veränderte, oft polypös 
entartete Sinusschleimhaut entfernt werden kann. Daher ist es auch nötig, 
durch einen Obturator die Öffnung zwecks Abflusses des immer wieder 
sich bildenden eitrigen Sekrets offen zu halten, der gewiß für den Patienten 
eine schwere Belästigung bildet, und noch obendrein die Schleimhaut immer 
weiter reizt. Wirkliche Abhilfe leistet eben nur die Radikaloperation. 
Wenn. nicht der Patient eine Operation unbedingt verweigert und sich 
mit dem dauernden Tragen des Obturators zufrieden erklärt, läßt man des- 
halb die Alveolenwunde nach Entfernung des erkrankten Zahnes zu- 
heilen und führt die Luc-Caldwellsche, von Deer verbesserte 
Operation durch. Sie besteht im Prinzip in einer breiten Eröffnung des 
Sinus maxillaris einerseits vom unteren Nasengang, andrerseits vom Ve- 
stibulum oris aus. Die erkrankte Schleimhaut. mit eventuell vorhandenen 
Polypen wird exkochleiert. Die breite Kommunikation mit der Nase 
bleibt offen, während man den im Vestibulum oris verlaufenden Schnitt 
` — er reicht vom Sapiens der kranken Seite .bis zum zweiten Schneide- 
zahn der gesunden — ohne Naht zuheilen läßt. Während der ersten 
zwei Tage bleibt die Kieferhöhle durch einen Jodoformgazestreifen 
tamponiert. Die Anästhesie führt Fischer in ziemlich komplizierter 
Weise durch Infiltration in der Nase und im Vestibulum oris durch, 
während sie doch zweifellos in einfachster Art durch die Leitungsanästhesie 
des II. Trigeminusastes in der Fossa pterygopalatina zu erreichen wäre, 
da man dann nur den vorderen Anteil der Nasenhöble infiltrieren müßte, 
da dieser von den Nervi nasales anteriores aus dem Nasoziliarie des 
I. Trigeminusastes versorgt wird. — Das genauere Studium der gewiß 
sehr wertvollen Arbeit sei bestens empfohlen. Sicher. 


Aus Vereinen und Versammlungen. | 261 


Aus Vereinen und Versammlungen. 





Verein österreichischer Zahnärzte. 


Ordentliche Monatsversammlung vom 5. März 1919. 

Präsident: Dr.Breuer. | 

Schriftführer: Dr.KränzLl | 
| "Anwesend die Herren DDr. Ballasko, Borschke, Breuer, Bum, 
Dussik, Frey, Herz, Jarisch, Karolyi, Kränzl, Kraus, A.Müller, 
Ornstein, F. Peter, Piwniczka, Safron, Schlemmer, Schön, 
Schönauer Schwabe, Stauber, Steinschneider, Weiser, Zieg- 
ler. — Als Gäste: Janisch, Irall, Herasko, Sicher, Weinländer, 
Mediz. Breuer jun. 

Präsident Dr.Breuer eröffnet die Sitzung und begrüßt die An- 
wesenden, insbesondere die Gäste. Er berichtet über eine Sitzung des 
Stomatologen-Ausschusses am 8. Februar d. J., zu der auch die Vertreter 
des Vereins der Wiener Zahnärzte und der Wirtschaftlichen Organisation 
der Zahnärzte Deutschösterreichs geladen waren, behufs Aussprache über 
ein gemeinsames Vorgehen in der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage. 

Hierauf erhält Dr.R.Safron das Wort zu einer kleinen Demon- 
stration. i | E ' 

Dann hält Dr.Borschke seinen Vortrag: Zur Verankerung von 
Amalgamkonturfüllungen. (Öst. Zeitschr. f. Stomat., H. 7.) 

In der Diskussion hierzu ergreift zuerst Reg.-Rat Dr. Frey dag 
Wort. Er weist darauf hin, daß eine genügende Separation sehr wichtig 
sei, daß jetzt, wo die Plattenguttapercha nicht mehr erhältlich ist, die 
Separation mit Mastixwatte oder nach Prof. Trauner mit gewöhnlicher 
Stangenguttapercha, in die Wattefäden hineingeknetet werden, Genügendes 
leisten könne. Die derzeit im Handel vorrätigen Stahlmatrizen könne man 
sehr verbessern durch Ausglühen und Erweitern der Löcher mit der Koffer- 
damlochzange. Bei mesiookklusodistalen Füllungen müsse man eine Ring- 
matrize anwenden. Gegen Reizung der Pulpa unter großen Füllungen be- 
währe sich die Anwendung von Zaponlack oder von Lapisieren der pulpalen 
Wand der Kavität.sehr gut. Die Methode Prof. W eiseres, die Füllungen 
in 3 Etagen zu legen, zuerst harter Zement, dann weicher Zement und 
Amalgam gemischt und zuletzt erst Amalgam, sei auch öfters von großem 
Vorteil. Als Stifte zur Verankerung großer Füllungen waren am besten 
selbstverständlich die Platin-Iridiumstifte, die jetzt nicht zu haben sind. 
Neusilberstifte scheinen sich mit der Zeit vollkommen in der Amalgam- 
füllung aufzulösen, wie ein Fall aus der Praxis gezeigt habe. Derzeit 
dürften als Ersatz für Platin-Iridium- wohl reine Nickelstifte das beste . 
sein, wenn sie erhältlich sind. Zum Ausarbeiten des gingivalen Randes 
der Füllungen leisten die sogenannten Zwischenraumfeilen gute Dienste. 

Dr.Schwabe weist darauf hin, daß die konvex-konkave Biegung 
der käuflichen Matrizen für das Anschmiegen an den Zahnhals sehr wichtig 
ist. Er hält dünnes Kupferblech für das beste Material für Matrizen, weil 
dasselbe sehr schmiegsam ist und im Interdentalraum durch einfache Watte- 
bäuschchen angepreßt werden könne. Er verwendet zur Fixierung der 
Matrizen Drahtligaturen oder den Universalseparator. 

Dr. Breuer erinnert daran, daß die Uhrpendelfedern aus sehr 
dünnem, hartem Stahl gemacht sind, in den Uhrbestandteilgeschäften zu 


262 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


haben seien und eventuell einen guten Ersatz für die guten, alten Stahl- 
matrizen abgeben können. BE 

Unter Allfälligem regt Dr. Breuer an, im Mai eine Hauptver- 
sammlung abzuhalten zur Vornahme der Neuwahlen und der Statuten- 
änderung entsprechend den geänderten politischen Verhältnissen. Er be- 
nützt die Gelegenheit, Herrn Dr. Ornstein für die Vertretung des Herrn 
Schriftführers während des Krieges den besten Dank für seine Mühewaltung 
und Unterstützung auszusprechen. 

Dr.Ornstein stellt den Antrag, daß die Hauptversammlung wie 
alljährlich und nach dem Wortlaut der Satzungen im November 1919 
abgehalten werde. Angenommen. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 





Einkaufs-Zentrale und Zentral-Technik. 


Am 18.September d.J.-fand die konstituierende Vollversammlung 
der Einkaufs-Zentrale und Zentral-Technik der wirtschaftlichen Organi- 
‘sation der Zahnärzte Deutschösterreichs statt. Dr.Rieger wies in 
seinen einleitenden Worten darauf hin, daß die Verwirklichung dieses Pro- 
jektes für viele Kollegen in wirtschaftlicher Beziehung von einschneidender 

edeutung sein dürfte. Die Zusammenkunft habe den Zweck, Vertrauen 
und Interesse für dieses zeitgemäße Unternehmen zu erwecken. 

Nach ihm führte Dr. Stark aus, daß es notwendig sei, sich zahlreich 
an der Zeichnung von Anteilen für das Unternehmen zu beteiligen und 
konstatierte mit Genugtuung, daß bereits vor der Generalversammlung 
40 Anteile gezeichnet worden waren. Er erteilt dann Dr.Markus zur 
Verlesung der Statuten und zur Erteilung von Auskünften hinsichtlich 
der Gebarung das Wort. Dr.Markus sagte: 

M.H.! Bei der heutigen Gründung gingen wir von der Anschauung 
und Überzeugung aus, daß der Einzelne machtlos vielen Widerwärtigkeiten, 
die unser Beruf mit sich bringt, gegenübersteht. Die allgemeine Preis- 
steigerung, der wir mit unseren Preisen zu folgen nicht imstande sind, 
weil wir den größten Teil unserer Klientel verlieren würden, ist zur regel- 
losen Preistreiberei geworden. Jeder Tag, jeder Lieferant von Ware und 
Arbeit stellt immer höhere Forderungen, die meist jeder Berechtigung ent- 
behren, und da ist es wohl an der Zeit, daß wir uns zusammenschließen, 
um uns selber zu helfen und zu versuchen, in dieses Chaos Ordnung hinein- 
zubringen. 

Unsere Absicht, im Rahmen der W. O. d. Z.-Ä. die Sache durchzu- 
führen, ließ sich nicht bewerkstelligen, weil es gesetzlich unstatthaft. 
ist, in einem Vereine geschäftliche Unternehmungen zu- gründen; so 
schritten wir an die separate Gründung dieser Genossenschaft, die wir 
als Tochterinstitut der W. O. betrachten, was wir erstens im Titel der Gen., 
ferner in der Bestimmung, daß nur Mitglieder der W.O. auch Mitglieder 
der Gen. sein können, und schließlich in der Bestimmung, daß von 5 Vor- 
standsmitgliedern drei vom Vorstand der W. O. ernannt werden, zum Aus- 
druck gebracht haben. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 263 


Wir wollen und können Ihnen heute keine Versprechungen machen, 
aber wir sind überzeugt, daß schon der Bestand unserer Gen. seine Wir- 
kung tun wird. Ich will Ihnen ein kleines Beispiel geben. Ich habe dieser 
Tage mit einer Firma, welche bisher 14 h für das Schleifen eines Boh- 
rers verlangte, für die W.O. ein Abkommen getroffen, wonach sich der 
Satz auf 10h erniedrigt, was für mich z. B. eine Ersparnis von 284 K jähr- 
lich’ bedeutet. Ähnliche Abkommen mit Elektrikern, Mechanikern u.a. 
werden in der nächsten Zeit folgen. Durch derartige Abkommen wird 
nicht nur eine Verbilligung, sondern auch eine Verbesserung und Beschleu- 
nigung der Arbeit zu erwarten sein. Die Gen. resp. die W.O. behalten 
sich vor, in Streitfällen entscheidend einzugreifen. Daß dies nicht zum 
Schaden der Kollegen geschehen wird, ist selbstverständlich. 


Auch der Bestand oder schon die drohende Errichtung einer Zahn- 
technik wird auf die ins aschgrau fortgesetzte Steigerung der Preise für 
gelieferte zahntechnische Arbeiten mäßigend einwirken. 


Der Vorgang bei der Errichtung der Z.-T. ist folgendermaßen ge- 
dacht: Sobald die entsprechende Anzahl von Anteilen gezeichnet ist, wir 
brauchen 400 Anteile a 200 K, das sind 80.000 K, von denen 40.000 K zur 
Einrichtung der Technik, 40.000 als Betriebskapital gebraucht werden, 
wird ein erstklassiger Techniker, der schon ausersehen ist, aufgenommen, 
zugleich das Lokal gemietet, eingerichtet und mit Zuziehung der notwen- 
digen Hilfskräfte die Arbeit begonnen. Anfangs nur für einige Ärzte, 
deren Urteil kompetent ist. Fallen die Arbeiten zur Zufriedenheit aus, 
werden aus der Zahl der Genossenschafter einige dazu genommen, wobei 
diejenigen, welche außer Haus arbeiten, in erster Reihe berücksichtigt 
werden, usf., bis der volle Betrieb erreicht ist. Bis zur vollen Entwicklung 
des Betriebes dürften bis zwei Jahre vergehen. Ob man den Betrieb dann 
nur zentral führt oder dezentralisieren wird, ist eine Frage der Zweck- 
mäßigkeit, die sich im Laufe der Zeit ergibt. 


Mit der Errichtung der Z.-T. ist der Beginn der Einkaufszen- 
trale gegeben, nachdem die Materialien für die Z.-T. bei entsprechend 
günstigem Geschäftsgang im Großen gekauft werden und von da auch 
an die Mitglieder, welche zu Hause arbeiten lassen, abgegeben werden 
sollen. Der Ein- und Verkauf anderer Artikel soll sich dann anschließen. 


Die Einkaufsgenossenschaft will und darf sich nicht in Gegensatz 
zu den bestehenden Depots stellen, im Gegenteil: Sie wird von denselben 
kaufen. Durch Einkauf im Großen vereinfacht sich die Regie der Depots, 
durch Barzahlung die Verluste derselben, so daß sie nicht zu Schaden 
kommen, wenn sie uns billiger liefern. 


Dieses ist der Gedankengang, der den Gründern der Genossenschaft, 
die wir mit Rücksicht auf die Länge des Titels kurzweg „Eizet‘“ nennen 
wollen, zugrunde liegt. Das vom Vorstande der W. O. d. Z.-Ä. ernannte 
vorbereitende Komitee, welches heute auch in den Vorstand der Genossen- 
schaft gewählt wurde, besteht aus Kollegen, welche an ihrer eigenen Praxis 
bewiesen haben, daß sie keine Theoretiker sind und befähigt erscheinen, 
mit der Durchführung der Aktion ‘betraut zu werden. 

Wir bitten Sie, meine Herren, um Ihr Vertrauen, welches durch kleine 
Fehler und Mißerfolge, die im Anfang jedem Unternehmen anhaften, nicht 
getrübt werden darf. 





264 Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 


.. Selbstverständlich erwächst aus der Zeichnung von Anteilen keinerlei 
Verpflichtung. Die Mitglieder können, müssen aber nicht die Zahntechnik 
in Anspruch nehmen, können und müssen nicht in der Zentrale einkaufen. 

Es ist eina schwere aber ehrenvolle Aufgabe, die wir uns gestellt 
haben, eine Aufgabe, die bei entsprechender Unterstützung von Seite der 
Zahnärzte und guter Geschäftsführung gelingen muß und das Ansehen 
der gesamten Zahnärzteschaft in hohem Maße zu heben berufen ist. 

Hierauf fanden die Wahlen in den „Eizet“ statt. In den Vorstand 
wurden berufen die Herren DDr. Kulka, Markus, Reschofsky, 
Roth und Stark. In den a IRAETA Bayer, Blum, Pick, 
Rieger und Saxl. 





Aufnahmen in das zahnärztliche Institut der Universität Wien für 
das Wintersemester 1919/20. 


A. 


Für die offizielle, einsemestrige theoretische Vor 
lesung und die damit verbundene Patienten-Demonstration kommen für 
nn Wintersemester 1919/20 in uneingeschränkter Zahl zur Auf- 
nahme: 

Ordentliche Hörer der Medizin, welche bereits das 
erste Rigorosum absolviert haben. 


B. 


Für die spezialistische Ausbildung zum Zahnarzte 
und für die auf vier Semester sich erstreckenden Übun- 
gen am Patienten (und im zahntechnischen Laboratorium) können 
wegen Mangel an Raum und wegen Mangel an Lehr- und an Hilfskräften 
ausschließlich zur Aufnahme kommen: 

In erster Linie derzeit noch jene Heimkehrer und österr. 
med. univ. Doktoren österreichischer Staatsangehörigkeit, welche bereits 
in den Semestern 1918/19 und Sommersemester 1919 am 
Institute fleißig und mit Erfolg gearbeitet haben. 

In zweiter Linie nach Maßgabe der vorhandenen Plätze 
auch gegenwärtig schon absolvierte Mediziner öster- 
reichischerStaatsangehörigkeit, welche sich verpflich- 
ten, 2 Jahre zahnärztlich spezialistische Studien zu 
treiben und sich zu Zahnärzten auszubilden. 

In dritter Linie, falls Plätze übrig bleiben oder frei werden, 
österr. med. univ. Doktoren, welche noch keine spezialistischen 
Vorkenntnisse haben und sich verpflichten, sich vier Seme 
ster hindurch zu Zahnärzten auszubilden. 

In vierter Linie inländische praktische Zahnärzte, welche sich in 
mehrwöchigen Kursen in besonderen Kapiteln der Zahnheilkunde unter- 
richten lassen wollen, falls Plätze frei sind und Kurse zu- 
standekommen bzw. im Gange sind. 

In fünfter Linie, falls Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, können 
auch Ausländer aufgenommen werden. wenn sie nachweisen, daß sie 
eine dem österreichischen oder dem reichsdeutschen, dem Schweizer, dem 








Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 365 


amerikanischen, englischen, französischen Zahnarzte gleichwertige Vor- 
bildung genossen haben. 





Zahnärztlieher Unterricht. 


Im Wintersemester 1919/20 werden folgende Vorlesungen und Kurse 
in Wien abgehalten: 

Prof.D.R.Weiser: Semestralvorlesung über Zahnheilkunde für 
Mediziner. Einsemestrige theoretische Vorlesung über Zahnheilkunde und 
damit verbundene Patienten-Demonstration für Mediziner. 3stündig, Sams- 
tag von 8 bis 11 Uhr. Beginn Samstag den 18. Oktober 1919. 

Prof. Dr. R. Weiser: Semestralvorlesung über Zahnheilkunde 
für Ärzte mit praktischen Übungen am Patienten. 5mal wöchentlich von 
a 7 o Beschränkte Hörerzahl. Beginn Montag den 6. Oktober 

um %/:6 

Privatdozent Dr. Bruno Klein: Zahnersatzkunde. 10stündig, 
5mal 8—10. 

Dr. Franz P ten: Klinik und Therapie der Alveolar-Pyorrhöe. 
lstündig, Samstag 8—9. | 

r. Harry Sicher: Zahnärztliche Operationslehre. Astündig, Mon- 
tag, Donnerstag 4—6. 

Dr. Friedrich Pordes: Einführung in die Röntgendiagnostik der 

Zähne und der Kiefer. Istündig, Samstag 10—11. 





Prof. Dr. Gustav Wunschheim: Semestralvorlesungen über Zahn- 
heilkunde für Mediziner. 3stündig, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag 6—7. 

Prof. Dr. Gustav Wunschheim: Praktische Übungen in konser- 
vierender Zahnheilkunde für Vorgeschrittene. 10stündig, 5mal 5—7. 





Prof. Dr. Leo Fleischmann: Histologie und Pathologie der 

Zähne. 2stündig. Nach Übereinkommen. ` 
-Privatdozent Dr. Wilhelm Wallisch: Semestralvorlesung über 
Zahnheilkunde. Freitag 6—8. 

Privatdozent Dr. Bertold Spitzer: Semestralvorlesungen über 
Zahnheilkunde mit praktischen Übungen für Studierende. 2stündig, nach 
Übereinkommen. 

Privatdozent Dr. Julian Zilz: Semestralvorlesung über allgemeine 
und experimentelle Pathologie der Mundhöhle mit besonderer Berücksich- 
tigung der Zähne, für Studierende. 3stündig, nach Übereinkommen. . 

Privatdozent Dr. Bruno Klein: Praktische Kapitel aus dem Ge- 
samtgebiete der Zahnheilkunde, 1stündig, nach Übereinkommen. 

Privatdozent Dr. Albin Oppenheim: Ausgewählte Kapitel, der 
Orthodontie. istündig, Tag und Stunde wird bekanntgegeben. 

Privatdozent Dr. Albin Oppenheim: Einführung in die Ortho- 
dontie. 2stündig, jeden Mittwoch 1/.6—7. 

Privatdozent Dr. Fritz Schenk: Semestralvorlesung für Studie- 
rende, mit praktischen Übungen und Demonstrationen am Patienten. 
3stündig, nach Übereinkommen. 


266 Kleine Mitteilungen. — Personalien. 


Kleine Mitteilungen. 





(Adreßkalender der Zahnärzte 1919/20.) Die Vorarbeiten für den 
von mir herausgegebenen, im Verlag der Berlinischen Verlagsanstalt 
G.m.b.H., Berlin NW 23, erscheinenden Adreßkalender der Zahnärzte im 
Deutschen Reich und Deutschösterreich, Jahrgang 1919/20, sind so weit 
vorgeschritten, daß ich in den nächsten Wochen die Personalbogen an 
die Herren Kollegen durch unmittelbares Rundschreiben zur Post 
geben kann. 

Zum ersten Mal werden in diesem Kalender auch die Zahnärzte 
Deutschösterreichs Aufnahme finden. Schon jetzt richte ich an die Kollegen 
die Bitte, die meinem Rundschreiben beigefügten Personalkarten so 
schnell als möglich ausgefüllt zurückzusenden. Die Beantwortung der 
Fragen erfordert nur wenige Augenblicke Zeit. Sie gibt die Gewähr dafür, 
daß der Name und die Personalien richtig angeführt werden. Die Aus- 
stellung liegt ebenso im eigenen Interesse des Einzelnen wie der Gesamt- 
heit. Da der Kalender bei Neuniederlassungen als Nachschlagewerk be- 
nutzt wird, können fehlende Angaben nachteilige Folgen haben. An alle 
Kollegen richte ich die Bitte, sich zur Durchsicht der Adressen der Liste 
der an ihrem Wohnort tätigen Kollegen bereit zu erklären, damit eine 
lückenlose Aufführung’ aller Zahnärzte möglich ist. Ich bitte diejenigen 
Kollegen, mir auf der Karte recht bald Nachricht zu geben, die zur Durch- 
sicht der Adressenverzeichnisse ihres Wohnortes bereit sind. Alle Aus- 
lagen werden gern erstattet. 

Zahnarzt Erich Lazarus, Berlin NW 23, Claudiusstraße 15. 


Personalien. 





(Prof. Dr. Wilhelm Sachs.) Am 22. September 1919 feierte Wilhelm 
Sachs seinen 70. Geburtstag. Dankbar gedenken auch wir Deutschöster- 
reicher des Ehrentages eines Mannes, von dem so viele von uns während 
seiner Breslauer Lehrtätigkeit Belehrung gefunden und denen er bei den 
Versammlungen des Z. V. d. öst. Stom., deren lieber Gast er viele Jahre war, 
durch Vorträge und Demonstrationen Anregung gegeben hat. 

Diese sowie seine literarischen Arbeiten umfassen das ganze Gebiet 
der zahnärztlichen Disziplinen, wenn auch sein Hauptgebiet die gehäm- 
merte Goldfüllung ist, für deren Verbreitung er in Wort und Schrift tätig 
und deren unerreichter Meister er ist. 

Möge es Wilhelm Sachs noch lange vergönnt sein, aus dem reichen 
Schatz seiner Kenntnisse und Erfahrungen die Jünger des von ihm so ge- 
liebten Faches zu erfreuen. 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


u. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Münzgasse 6. 


Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 
| a aa Zahnärzte Österreichs. 
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 


des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und 
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs. 


XVII. Jahrgang. November 1919. 11. Heft. 














Nachdruck verboten. 


Original Arbeiten. 





Die Darstellung des Kiefergelenkes durch das 
Röntgenbild. 


Von Zahnarzt Karl Herber, Düsseldorf. 
(Mit 9 Figuren.) 

Herr Dr. Pordes-Wien hat in verschiedenen Publikationen eine 
verblüffend einfache Darstellungsmethode des Kiefergelenkes gegeben, die 
heute bereits Allgemeingut in der Röntgenologie des Kopfes geworden ist. 
So einfach die Methode ist, ebenso einfach ist auch die Erklärung der- 
«eiben nach Pordes. Ob dieselbe aber richtig ist oder ob die Erscheinung 
auf anderen Ursachen beruht, ist Zweck dieser Untersuchung. 


Entwicklung. 


Ehe ich aber in die eigentliche Untersuchung eintrete, sei Folgendes 
vorausgeschickt: 

Als ich nach dem Fortgange von Kollegen Hauptmeier-Essen 
das Amt eines Röntgenologen an einer Abteilung des Lazaretts für Kiefer- 
verletzte antrat, wurde im wesentlichen nachgden Methoden, die Kollege 
Hauptmeier angegeben hatte, gearbeitet und die Technik war im 
wesentlichen auf die bekannten typischen Lagerungen „beschränkt, wie sie 
von Cieszyński schematisiert worden sind. Die Lagerung wurde aber 
nicht mittelst der ' Einstellkappe, sondern aus freier Hand nach dem 
Augenmaß bemessen. 

Die häufig vorkommenden Kieferklemmen zwangen mit Notwendig- 
keit dazu, eine einwandfreie Darstellungsmethode des Kiefergelenks zu 
erreichen. Prof. Bruhn, der Leiter des Lazarette, betraute aus dieser 
Notwendigkeit heraus mich mit der Aufgabe, eine Lösung für diese Frage 
zu finden. Ich ging daher zunächst so vor, daß ich das sehr reichhaltige 
Material des Lazaretts an Röntgenplatten daraufhin durchsah, ob eine 
einwandfreie Darstellung des Kiefergelenks etwa durch Zufallstreffer er- 
reicht worden sein könnte. Ä 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 24 


368 Karl Herber. 

Dabei zeigte es sich, daß bei einigen Platten wohl das Kiefergelenk 
in seiner ganzen Ausdehnung vorhanden, daß aber infolge der Projek- 
tionsverhältnisse stets eine starke Verzerrung der in Frage kommenden 
Teile eingetreten war. Da das Stereobild, welches im Lazarett prinzipiell 
zur Anwendung kommt, die Verhältnisse aber wenigstens einigermaßen 
wieder aufrichtet, so wäre denn dieser .Umstand nicht von allzu großer 
Bedeutung gewesen. Ich versuchte daher durch weitere Überdrehung des 
Kopfes aus der: 6. Cieszynskischen Schräglagerung heraus — ich 
benutze der Einfachheit halber diese Einteilung von Cieszyüski. 
wenn ich auch nicht darnach arbeite, nur bemerke ich, daß die Darstellung 
des Gebietes in dieser Lagerung meist nicht so ausfällt, wie der Autor 
sie angibt, insbesondere nicht das Kiefergelenk — und durch schrägen 
Einfallswinkel des Röntgenstrahles die Darstellung des Gelenkes auf 
Kosten der Verzerrung in allen Fällen zu erzwingen. Es zeigte sich aber. 
daß auf diese Weise generell das Gelenk nicht zur Darstellung gebracht 
werden konnte, mir wenigstens wollte es nicht gelingen, bestimmt in jedem 


Falle vorauszusagen, daß das Gelenk in seiner ganzen Ausdehnung ge-. 


troffen sei. Ich schob die. Schuld an diesem Umstande auf individuelle 
anatomische Verschiedenheiten oder habituelle oder koinzidierende Um- 
stände, kurzen Hals, Streckungsunmöglichkeit des Kopfes, Verbände usw. 
Kurzum ich sah ein, daß auf diesem Wege nicht weiter zu kommen war. 

Bei der Durchsicht des Plattenmaterials des Lazaretts aber war mir 
aufgefallen. daß bei einigen Seitenaufnahmen der Ast des Uhnterkiefers. 
der unmittelbar auf der Kassctte. also an der photographischen Platte 
gelegen hatte, in seiner ganzen Ausdehnung klar sichtbar war, ohne daß 
man bei der Betrachtung etwas von dem kollateralen Aste sah. der dem 


Rohre zugekehrt, also der Platte entfernt, gelegen hatte. Ich dachte daran. 


diesem Umstande nachzuforgchen und. wenn ich die Ursache ermittelt 


hätte, zu versuchen, ob auf diese Weise die Darstellung des Kiefergelenks 
nicht möglich sei. Meine Untersuchungen und theoretischen Erwägungen 
führten mich dann zu der Erkenntnis, dals die oben angedeuteten Er- 
scheinungen auf einem Prinzip beruhten, von dessen Einführung in die 
Röntgenologie ich mir eine weitere Verbesserung der Methodik versprach. 
und es gelang mir auch, das Kielergelenk ohne Verzerrung auf die photo- 
graphische Platte zu bannen. Ich war zwar noch nicht ganz sicher über 


den besten Weg, die Art der Kopflagerung und die Einstellung des Strahles. - 


aber ich glaubte den Weg gefunden zu haben. 


So weit war ich, als ich die Publikation von Dr.-Pordes in „Ein: 
Jahr Kriegschirurgie im Reservespital Nr. 17 in Wien“ las und war ganz - 
konsterniert über die Einfachheit der Methode wie auch ihrer Erklärung. : 


Ich versuchte die angegebene Methode und fand die Richtiekeit. d. h. die 


Die Darstellung des Kiefergelenkes durch das Röntgenbild. 269 


Möglichkeit, das Gelenk auf diese Weise zur Darstellung zu bringen, be- 
stätigt und hielt auch die angegebene Erklärung der Erscheinung für 
richtig und ließ meinen ursprünglichen Gedankengang fallen, im Stillen 
belustigt über den Gedanken, hinter den Erscheinungen mehr gesucht zu 
haben, als wirklich dahinter steckte. 

-Nun zwangen mich aber andere Aufgaben der Röntgenologie des 
Kopfes, über die an anderer Stelle zu berichten sein wird (Die Chirurgie 
der Kiefer, Neue deutsche Chirurgie), dazu, doch den ursprünglichen Ge- 
dankengang wieder auszunehmen, und ich glaube behaupten zu können, 
dai die Darstellung des Kiefergelenks nach der Methode von Pordes 
nach den Grundlagen eines neuen Prinzips erfolgt, das mit Erfolg auch 
noch zur Darstellung anderer Körperstellen, namentlich des Kopfes, .zur 
Anwendung gebracht werden kann. Ich halte dus meinen Erwägungen 
heraus daher die Erklärung, die Pordes für die Darstellungsmöglichkeit 
des Kiefergelenks gibt, nicht für richtig, sondern glaube, daß sie auf 
dem Prinzip der Auseinanderprojektion beruht, mit dem ich mich im 
Folgenden näher befassen will. 

Das Prinzip. 

Für die Darstellung der sich vielfach kreuzenden, deckenden, über- 
und nebeneinander liegenden Knochen des Schädels bediente man sich zur 
Hauptsache der sogenannten Wegprojektion. Das Wort ist nicht 
glücklich gewählt, mag aber als‘ Terminus technicus bestehen bleiben. 
Der Ausdruck will besagen, daß die das darzustellende Gebiet über- 
= sehattenden Knochenpartien aus dem Wege geräumt werden durch eine 
zweckmäßige Lagerung des Kopfes einerseits und Einstellung des Röntgen- 
strahles andrerseits. Etwa überschattende Knochenpartien werden weg- 
projiziert. Dieses Prinzip ist das natürlichste und zweckmäßigste, wo es 
zur Anwendung gebracht werden kann. und kann von keinem anderen 
übertroffen werden. Leider aber ist es für das Gebiet des Kopfes nur in 
sehr beschränktern Male anwendbar wegen der anatomisch-topographischen 
Verhältnisse des Kopfskeletts. Selbst da, wo sie überhaupt gelingt, zwingt 
rie in vielen Fällen zu einer Verzerrung des Bildes. 

Namentlich beim Kopf ist man in vielen Fällen gezwungen, den 
Köntgenstrahl durch überschattende Knochen hindurchgehen zu lassen 
und erhält so im Bild übereinanderliegende Schatten. deren Deutung aber 
fast unmöglich erscheint. Hier hilft dann ein weiteres Prinzip dazu, die 
Sachlage aufzuklären, nämlich die stereoskopisehe Aufnahme. 
Piese stellt daher, nicht wie man meist annimmt, lediglich eine kleine 
Verbesserung dar, sondern ist für die Kopfaufnahme als striktes Postulat 
für alle Fälle zu fordern und stellt sich der Wegprojektion als eben- 


24* 


270 | Karl Herber. 


bürtiges Prinzip an die Seite. Man erreicht durch die -Stereovaufnahne, 
daß man die sich deckenden Schatten räumlich auseinanderhalten kann. 
und kann so die Überschattungen von dem darzustellenden Gebiet: trennen. 
Allerdings werden Feinheiten der Struktur dadurch etwas beeinträchtigt. 

Ein weiteres Prinzip ist endlich de Auseinanderprojektion. 
Dieses Prinzip ist vielleicht sehon in: vielen: Fällen zur Anwendung ge- 


Fig.1. 





Fig. 2. 





kommen, klar ausgearbeitet aber ist es, suweit ich die. Literatur deor 
RKöntgenaufnahme überschauen kann. bisher nicht zur Darstellung ge 
kommen. ‘Ich will daher versuchen, die schematischen Grundlagen des 
Prinzips zu erläutern. | 

Wenn man annimmt, A sei ein leuchtender Punkt, B eine. Lanie 
und C eine Fläche, so wird, wenn der Stab B auf der Fläche C aufliert 
oder beinahe darauf, der Schatten, den B auf C wirft, stets gleich groß 
sein. ganz gleich, wie weit ich den Punkt A von B entferne (Fig. 1). 





Die Darstellung des Kiefergeleukes durch das Röntgenbild. 971 


Von dem Punkte A, aus projiziert sich die Linie B auf C in der 
Größe ab, vom Punkte A, aus in der Größe cd. In der Zeichnung sind 
die Linien nicht genau gleich lang, aber doch annähernd, was aber der 
Fall sein würde, wenn B direkt an C läge. (Um die Verhältnisse zeich- 
nerisch darstellen zu .können, wurde die Linie B etwas von C abgesetzt.) " 

Betrachten wir nun unter denselben Gesichtspunkten eine von C 
weiter abstehende Linie B (Fig.2). Die Punkte A, sowie A» sind von B 
genau so weit entfernt wie in der Figur 1. Nur ist die Entfernung der 
Linie B von C eine größere. Projizieren wir jetzt die Linie B auf C, so 
erhalten wir vom Projektionspunkt A, aus die Linie AB, vom Punkt A: 
aus die Linie cd. Unter den gewählten Verhältnissen ist die Linie ed 
beinahe doppelt so groß geworden wie ab. Durch die Annäherung des 


Fig. 8. 





Punktes A an die Linie B haben wir diese auf der Fläche C auseinander- 
projiziert. 

Nehmen wir nun an, der Punkt A sei, was zeichnerisch zu schwer 
darzustellen ist, ins Unendliche gerückt, so wird offenbar die Linie B 
auf C eine Projektion, bilden, bei der das projizierte Bild genau gleich 
dem Original ist. In der Röntgenphotographie aber wirkt bereits eine. 
Entfernung von 60cm vom: Original, so daß man praktisch genau die 
Originalabmessungen erhält. Ä 

- Betrachten wir nun unter denselben Gesichtspunkten zwei verschieden 
weit von der Fläche C abstehende Linien B, und B: (Fig.3). Liegt der 
Projektionspunkt A, in der Unendlichkeit oder wenigstens weit ab von den 
Flächen B, und B:, so wird das Projektionsbild beider Linien auf C 
genau gleich groß werden. (In der Zeichnung ist, weil aus Raumgründen 
A nicht unendlich weit entfernt gezeichnet werden konnte, die Deckung 
nicht absolut genau, aber selbst bei dieser geringen Entfernung ver- 
schwindend klein.) 


Karl Herber. 


wo 
-~J 
ID) 


Nähern wir aber den Punkt A den beiden Linien bis A» (Fig.4), 
so wird die Projektion der Linie Bı auf C (ab) beinahe dreifach so groß 
wie die Projektion der Linie Bz auf C (cd). | 

Kurzum wir erkennen, daß wir durch die Verschiebung des Punktes A 
` ein Mittel in der Hand haben, eine von der Fläche C abstehende Linie B 
nach Belieben sowohl in der Originalgröße wie in jeder beliebigen Ver- 
größerung auf C zu projizieren. 

Streng genommen können wir die Auseinanderprojektion der Linie B 
anf zwei verschiedenen Wegen erzielen: | 


1. dadurch, daß wir bei feststehender Linie B den Punkt A nähern 
oder entfernen, 


Fig.4. 





2. dadurch, dal wir bei feststehendem Punkte A die Linie B der 
Fläche € nähern oder entfernen oder modifiziert die Fläche C 
der feststehenden Linie B nähern oder entfernen. 

Von diesen beiden Wegen kommen für die Projektion der Röntgen- 
darstellung die unter 2 erwähnten Möglichkeiten nicht in Betracht. Denn 
die anatomischen Verhältnisse sind das primär gegebene und sind nicht 
zu verändern, und für den gewollten Zweck wäre es unmöglich, die Platten- 
ebene zu nähern oder zu entfernen. 

Betrachten wir jetzt einmal, um den natürlichen Verhältnissen mehr 
Rechnung zu tragen, die Linie B als Fläche, die ein Maschennetz von 
schachbrettartiger Struktur trägt, wie in der Tat für den Röntgenstrahl 
jeder Körper ein Maschennetz ist, durch welches die harten kurzwelligsten 
Strahlen hindurchgehen, die weichen längerwelligen je nach der Art des 
Stoffes aufgehalten werden. Proiizieren wir jetzt vom Punkte A aus die 


Die Darstellung des Kiefergelenkes durch das Röntgeubild. 273 


Fläche B (a—b—c—d) auf die Fläche C (e—f—g—h), so erhalten wir 
unter den gewählten Dimensionen die Projektionsfläche i—k—l—m (Fig. 5). 

Der Vergleich der beiden Flächen zeigt sofort, daß die projizierte 
Fläche linear doppelt so groß, also flächenhaft vierfach so groß ist wie 
die zu projizierende Fläche. Was sich aber zeichnerisch nicht darstellen 
läßt, sind die Helligkeitswerte in der dunklen Fläche. Nehmen wir an, 
in der Fläche a—b—c—d seien die schwarzen Felder auf einer Glasplatte 
absolut schwarz, die Menge des in jedem Felde vorhandenen Farbstoffs 
verteilt sich aber nach der Projektion auf die vierfache Flächenausdehnung, 
also wird dort kein absolutes Schwarz, sondern nur ein grauer Schatten 
entstehen. 





D 


Gehen wir nun noch näher auf die tatsächlichen Verhältnisse beim 
Kopfskelett, in diesem Fall bei der Gelenkaufnahme, ein, so ‚ergibt sich 
nach den tatsächlichen Massen etwa Folgendes: 

Legen wir den Kopf auf die Platte bzw. auf die Kassette, so liegt 
der Kondylus des darzustellenden Gelenkes beinahe unmittelbar der photo- 
graphischen Platte an, wenn wir die Dicke des Kassettendeckels vernach- 
lässigen. Der Gelenkkopf liegt unmittelbar unter der Haut, also nur durch 
das dünne Tegument von der Platte getrennt, so daß wir praktisch sagen 
können: der Kondylus liegt unmittelbar der Platte an. 

Der kollaterale Ast vom Angulus hinauf zum Kondylus ist, wie wir 
aus dem Artikulationsproblem durch Messungen wissen, zirka 10cm von 
dem anderen, in diesem Falle der Platte anliegenden Ast entfernt. 

Die durchschnittliche Entfernung des Brennfleckes der Röhre vom 
Gesicht, des Patienten beträgt 15cm. Da aber für die Kopfaufnahmen 
nur sehr weiche Strahlen benutzt werden, so können wir ruhig bis ‚zu 
10 cm Entfernung an den Kopf des Patienten herangehen. Wie weit maximal 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 25 


274 Karl Herber. 


diese Annäherung an den Kopf getrieben werden darf, bedarf noch näherer 
Untersuchungen; für unsere Erwägungen an dieser Stelle genügen diese 
Angaben. | | 

Eine nach diesen Verhältnissen gezeichnete schematische Darstellung 
ergibt folgendes Bild (Fig.6): 

Es sei A der Brennfleck der Antikathode des Röntgenrohres. Der 
Kreis BC sei von A aus 10 cm (Tubuslänge) und von der Platte D E F G 
Kondylusabstand) ebenfalls 10 cm entfernt. Dann projiziert der Punkt A 
die Kreisfläcke CB (eine Fläche des kollateralen Kieferastes) in der 
Größe H I auf die Platte D E F G, während die gleichgroße Kreisfläche RS 
(der plattenanliegende Ast) in natürlicher Größe (schraffiert gezeichnet) 
projiziert wird. 

Rechnerisch beiden sich dann die Verhältnisse so: 

Es verhält sich nach Konstruktion 

AO:AP=1:2, mithin 

COIP =1:2, 
also ist PI doppelt so groß wie CO, mithin die Kreisfläche HI 
vierfach so groß wie die Kreisfläche CB. 

Aus diesen theoretischen, zeichnerischen und rechnerischen Dar- 
legungen ergibt sich somit das Resultat, daß wir dem platten- 
fernen Kieferast eine viermal so große Flächen- 
ausdehnung auf der photographischen Platte ge- 
geben haben als dem plattenanliegenden Ast 


Polemik. 


Pordes präzisiert die Aufnahmetechnik des Kiefergelenks folgender- 
maßen: 

„Es ist möglich, das Kiefergelenk in praktisch rein frontaler Ansicht 
ohne störende Überschattungen in jedem Falle mit Sicherheit darzustellen, 
wenn man von der anderen Seite her durch die von der kontralateralen 
Incisura semilunaris und den Processus zygomaticus ossis temporalis 
gebildete halbelliptische Lücke mit dem Hauptstrahl auf das darzustellende 
Kiefergelenk zielt.“ | 

Unter Bezugnahme auf 3 Abbildungen, von denen die eine für unsere 
Untersuchung keine Rolle spielt, reproduziere ich die eine Abbildung 
(Fig.7). Daraus geht hervor, daß also, wenn man die Verhältnisse am 
Schädel untersuchen würde, man durch einen Blick durch diese halbellip- 
tische Lücke den Kondylus der anderen Seite sehen könnte. 

Das ist aber nach meinen Untersuchungen nicht der Fall, bei keinem 
der mir zugängigen Schädelpräparate wollte es mir gelingen, einen direkten 
Einblick in das Gelenk der anderen Seite zu erhalten, wie ich auch den 


Die Darstellung des Kiefergelenkes durch das Röntgenbild. 275 


Schädel hielt und drehte. Wenn ja nun auch das Auge nicht die Eigen- 
schaften besitzt wie der Röntgenstrahl, feste Körper zu durchdringen, so 
müßte doch, falls die Deutung von Pordes richtig sein sollte, gefühls- 
mäßig der Einblick möglich sein, wenn man sich die anliegenden Knochen- 
partien der Schädelbasis, die Gelenkpfanne, Ossa parietale usw. wegdenkt. 

Das ist aber -auch nicht der Fall. Betrachten wir einmal einen 
Sagittalschnitt durch den Schädel, so müßte dann doch wenigstens die 
Einsicht möglich sein (Fig.8). Aber auch dies ist nicht der Fall, wie 
der gezeichnete Sagittalschnitt zeigt. Außer dem die Sehmöglichkeit des 


Fig. 17. Fig. 8. 





= l 
In der halbelliptischen Lücke erscheint das kontra- 
laterale Kiefergelenk. 


Auges behindernden Teile der anderen Seite befinden sich inmitten des 
Schädels starke Knochenpartien; welche immer noch das Gelenk verdecken 
(Keilbeine). 

Diese Partie ist allerdings von verschiedener Struktur, setzt also 
dem Röntgenstrahldurchgang sehr verschiedenen Widerstand entgegen. 
In dem in Frage kommenden Hauptteil ist sie stark spongiös und von 
einer großen Höhle durchsetzt (Keilbeinhöhle). Es wird also die Aufgabe 
sein, bei der Lagerung des Kopfes möglichst den Strahl diese Keilbein- 
höhle passieren zu lassen, dann wird die Klarheit des Bildes am größten. 
Vorhanden sind aber hier immer Knochen und es ist daher nicht anzunehmen, 

25 * 


276 | Karl Herber. 


daß die Verhältnisse so einfach liegen, daß die einfache Durchsicht das 
Bild zustande bringt. I Ä 

Daß meine Deutung der Erscheinung mehr Wahrscheinlichkeit hat 
als die des Autors, kann man ferner an dem zweiten, ebenfalls vom Autor 
entnommenen Bild ersehen (Fig.9). Dieses Bild, welches offenbar nach 
einer Photographie nach dem Ausbleichverfahren entstanden ist, gibt die 
Proportionen richtig wieder und man sieht ohne weiteres das deduktiv 
erhaltene Resultat der Auseinanderprojektion des plattenabstehenden Astes, 
der etwa dreifach so groß erscheint wie der plattenanliegende Ast. 





Diagramm einer Kiefergelenksspezialaufnahme. 


Was aber nicht richtig bzw. subjektiv gefärbt ist, ist die Nach- 
zeichnung der Linien, die vom Autor aber offenbar nur zur besseren Dar- 
stellung der hauptsächlich in Frage kommenden Linien angewendet worden 
ist. Ich kann sehr wohl verstehen, daß die Methode des Ausbleichverfahrens 
für die Reproduktion von Röntgenphotographien vom Autor bevorzugt 
wird, denn die autotypische Darstellung von Röntgenogrammen im Buch- 
druck liefert, selbst die besten Originale vorausgesetzt, so schlechte Re- 
produktionen, daß man besser tut; darauf zu verzichten. Aber für diesen 
konkreten Fall kann die Nachzeichnung nicht als wahrheitsgemäß be- 
trachtet werden. Die Konturen des plattenabstehenden Astes sind nicht 


Die Darstellung des Kiefergelenkes durch das Röntgenbild. 977 


eben nur angedeutet und die Incisura semilunaris tritt nicht so scharf 
markiert hervor, wie der Autor dies darstellt, sondern diese ganze Partie 
liegt im Bild wie ein gleichsam durchsichtiger Schemen vor dem platten- 
anliegenden Aste und beeinträchtigt infolge der starken Auseinander- 
projektion durchaus nicht die Einsicht in die Verhältnisse am platten- 
anliegenden Aste. l 

Ein weiterer Beweis für meine Anschauung ist die Tatsache, daß 
die Bilder dieser Partie bei Röntgenaufnahmen stets etwas flau werden. 
Dies ist leicht zu verstehen, weil die durch das Auftreffen sowohl des 
kollateralen Astes wie auch der Partie des Keilbeins entstandenen sekun- 
dären Körperstrahlen das Bild verschleiern. Nach meinen Erfahrungen 
ist es stets besser, das Rohr etwas härter zu halten, etwa in der Härte, 
wie sie für die Frontalaufnahme gebraucht wird, während die für die 
Seitenaufnahmen übliche Härte etwas zu weich ist. 

Alle diese Umstände haben mich zu der Überzeugung gebracht, daß 
meine ursprüngliche Ansicht über die Auseinanderprojektion richtig ist, 
denn alle tatsächlichen Verhältnisse stehen im vollen Einklange mit den 
theoretischen Erwägungen. 


Schluß. 


Die hier skizzierten prinzipiellen Erwägungen über die Methodik der 
Auseinanderprojektion können sinn- und sachgemäß auch zur Darstellung 
anderer Skeletteile benutzt werden, denen durch einfache Wegprojektion ent- 
weder nicht beizukommen ist, oder nur unter starker Verzerrung der wirk- 
lichen Verhältnisse. Bis zu welchem Grade der Ausführbarkeit die Technik 
getrieben werden kann, steht noch dahin, sicher aber ist, daß sie eines 
weiteren Ausbaues wohl fähig ist. Mir leistet die Methodik bereits heute 
solche Dienste, daß ich auf die Darstellung durch den Film, die'intraorale 
Aufnahme, verzichten kann, die mir deshalb nicht günstig erscheint, weil 
einmal die stereoskopische Darstellungsmethode, auf die ich prinzipiell 
sehr großen Wert lege, nicht oder nur durch sehr zeitraubende Manipu- 
lationen möglich und der Erfolg nicht in allen Fällen sicher ist. Sodann 
aber auch, weil die Orientierung beim Filmbilde wegen des Mangels an 
Fixpunkten meist unmöglich ist, selbst wenn man intraorale Filmauf- 
nahmen machen würde. Ich ziehe daher auch für die Darstellung einzelner 
Zähne die extraorale Aufnahme der Filmtechnik vor und die Möglichkeit, 
auch die Zahngebilde ohne Verzerrung auf die extraoral liegende Glas- 
platte zu bringen, liefert die Methode der Auseinanderprojektion. 


(Geschrieben Dezember 1918.) 


278 Fritz Pordes. 


Aus dem zahnärztlichen Institut der Wiener Universität (Vorstand: 
Prof. Dr. R. Weiser) und dem Zentralröntgeninstitut des Wiener 
allgemeinen Krankenhauses (Vorstand: Prof.Dr.G.Holzknecht). 


Erwiderung auf obige Arbeit. 


Von Dr. Fritz Pordes, Röntgenologen des zahnärztlichen Universitäts-Institute 
in Wien. 


Herber anerkennt meine auf projektivischer Freilegung des Kiefer- 
köpfchens beruhende Gelenkaufnahme, ja er behauptet in Verkennung der 
Tatsachen, daß sie Allgemeingut der Schädelröntgenologie geworden sei. 
Allerdings ist daran, nach Herber, die Einstellung in der besprochenen 
Halbellipse und der Strahlengang schräg von vorne nach hinten, der 
einen von Hindernissen völlig freien Weg findet, nach Herber voll- 
kommen unschuldig. Er leugnet, daß es einen solchen freien Weg gäbe, 
und reproduziert als Beweis eine — nicht sehr klare — Abbildung, die 
eine genaue Queransicht eines Schädels darstellt. Es ist mir nicht er- 
innerlich, behauptet zu haben, daß man rein quer (und zwar gleich- 
gültig w o) einstellen könne und dann das Gelenk frei bekäme. Wesentr- 
lich ist der" Weg durch den Mittelpunkt der Halbellipse auf das kontra- 
laterale Köpfchen, ein Weg, den ich in jedem Kurs allen meinen Schülern 
an jedem Schädel als frei zeigen kann. Ob man nun „auseinanderprojiziert‘“ 
oder nicht, ist für diese Einstellung ganz gleichgültig. Das Köpfchen 
erscheint de facto frei von Überschattung in der kontralateralen 
Halbellipse wie in einer Blende. Daß dabei der kontralaterale Kieferast 
vergrößert und unscharf erscheint, auch lichtschwach, hat Herber 
„entdeckt“. Wie er erscheint, ist aber gleichgültig, da er eben das 
Bild des plattenanliegenden Köpfchens nicht deckt und nicht stört. (NB. 
Meine Bilder sind nicht aus 15cm, sondern natürlich lege artis aus ` 
40 cm. Fokusdistanz hergestellt!) Was Herber an Kiefergelenksbildern 
ausgeführt hat, weiß ich nicht. Ob auf seinen’ Bildern die kontralaterale 
Inzisur als „Blende“ zu sehen war, kann ich nicht sagen. Auf meinen 
ist sie das. Ich wiederhole: Es handelt sich daher um eine bewußte, 
deduktiv bei Betrachtung des Schädelskeletts gefundene projektivische 
Freilegung. Ich bin gerne bereit, Herber einen einwandfreien wissen- 
schaftlieh vollwertigen Zeugen zu nennen, der meine Arbeiten im Jahre 
1916 aus nächster Nähe beobachtet hat und weiß, daß ich zuerst das 
Resultat voraussah und dann die erste Einstellung machte. 

Nun, Herber, der mir in sachlichster Darstellung die Kenntnis 
meines geistigen Eigentums zu vermitteln versucht, möge versichert sein, 
daß es ebenfalls in sachlichster Form geschehen soll, wenn ich jetzt, ge- 
'zwungen durch die Umstände, den Boden der Verteidigung meiner Methode 


Erwiderung auf obige Arbeit. 279 


verlasse und mich kritisch mit seiner „Auseinanderprojektion“ und einigen 
anderen Details seiner Arbeit befassen muß. 


Hätte Herber, ehe er mir meine Methode zu erklären für not- 
wendig fand, anstatt sich mit der Lektüre des im Jahrbuch des Reserve- 
spitals Nr. 17 befindlichen kleinen Auszuges zu begnügen, die im Literatur- 
verzeichnis dieses Auszuges für fachlich interessierte Leser angeführten 
Originalarbeiten gelesen, dann hätte er als Ende des ersten Absatzes be- 
sagter Originalarbeit (Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1916, H.9) den 
Satz gefunden: Ein Versuch zur erwünschten rein fron- 
talen Projektion ist das Herangehen mit der Röhre 
bis hart an das plattenferne Kiefergelenk, um durch 
die aus der Divergenz der Strahlen resultierende 
Unschärfe aller plattenfernen Teile das platten- 
anliegende Kiefergelenk als allein scharf differen- 
zieren zukönnen. Die Resultate dieser Methode sind 
unbefriedigend, ihre Anwendung wegen der geringen 
Haut-Fokusdistanz vielleicht nicht unbedenklich. 


Soweit Herber die Literatur der Röntgenaufnahme überblickt, ist 
die Methode der Auseinanderprojektion nicht erwähnt. Mit diesem Namen 
allerdings nicht. Es blieb vielmehr Herber vorbehalten, zu finden, daß 
ein Objekt, je näher es dem Fokus, je weiter es von der Platte entfernt 
ist, desto größer und lichtschwächer erscheint, daß diese Differenzierung 
nach Schärfe, Lichtstärke und Größe eine gewisse, nicht allzu sichere 
Tiefenbestimmung erlaubt, daß man ein plattenanliegendes Detail auch 
durch Knochen oft zu sehen imstande ist ete. ete. Ja, er illustriert diese 
Erkenntnis durch Skizzen und Mathematik. 


Hätte sein Überblick über die Literatur der Röntgenaufnahme bei- 
spielsweise den allbekannten und für das Studium der Röntgenanatomie 
ganz unentbehrlichen Atlas von Grashey einbezogen, dann hätte er 
auf Seite 36 und 37 der letzten Auflage finden können, daß all das zu 
den Grundgesetzen der guten alten Zentralprojektion gehört. Er hätte 
dort auch Figuren gefunden, die ihm seine Illustrationen zu substituieren 
voll geeignet wären. Hätte er also, wie gesagt, meine kleine Arbeit — 
eventuell auch den „Grashey‘“ — gelesen, dann hätte er kaum von einem 
„neuen Prinzip“ sprechen können. Er hätte vielmehr eingesehen, daß es 
sich bei der Darstellung plattenanliegender Gebilde durch Verminderung 
der Fokushautdistanz um eine mir lange bekannte, in ihrem Prinzip alles 
eher als neue Sache handelt. 


Er hätte aber, was objektiv weniger wichtig ist, in der kleinen Arbeit 
von 1916 zwei PhototafelnmitOriginalröntgenogrammen 


280 | | Fritz Pordes. 


finden können. Er hätte gesehen, daß das Köpfchen wirklich frei liegt, 
daß also die „chemenartige Flauheit“ der kontralateralen 
Inzisur um so weniger stört, weil man nicht durch sie, sondern an ihr 
vorbei das Kiefergelenk sieht, er hätte sich vor allem dadurch er- 
. sparen können, mir den höchst seltsamen Vorwurf der, sagen wir ruhig, 
Fälschung zu machen, begangen durch starkes Ausziehen der Inzisurlinie. 


Da es mir darum zu tun war, zu zeigen, wo diese, im Bild selbst- 
verständlich sehr zarte Linie verlief — setbstverständlich zart, weil 
plattenfern —, selbstverständlich für jeden, für den Zentralprojektion und 
Sekundärstrahlen den Reiz der Neuheit nicht mehr haben. 


Herber möge vielmals entschuldigen, wenn diese rein sachlichen 
Argumente vielleicht schärfer klingen, als sie sollen. Er sei versichert, daß 
mir nichts ferner liegt, als ein persönlicher Angriff. Allein ich muß es 
dennoch sagen: Autodidaxis ist eine sehr schöne Sache. Aber gerade die 
Röntgenologie verträgt es schlecht, wenn jeder einzelne die ganze Wissen- 
schaft neu erfinden zu müssen glaubt. Es gibt gerade da so viel noch 
nicht Erfundenes, daß wir alle sehr froh sein müssen, daß eine Schar der 
klügsten Köpfe uns so viel Erfinderarbeit abgenommen hat, als in den 
25 Jahren nur irgend möglich war. Die ungeheure Größe der Röntgen- 
literatur bringt es mit sich, daß, wer nicht einen Fachröntgenologen zum 
Führer hat, in die Irre gehen muß. 


Herber tut das in vielen Stellen seiner Arbeit. Er tut Cies- 
zyaski Unrecht, er überschätzt die Röntgenstereographie, die, 
cin sehr verteuerndes und gar nicht. fehlerquellenfreies Verfahren, durch 
bessere Aufnahmstechnik längst verdrängt ist, er behauptet, daß 60 cm 
Fokusdistanz Bilder von „praktischen“ Originalabmessungen liefere ete. 


Er muß ja nicht wissen, daß cine ganze große Literatur (Herz- 
größenbestimmung) sich mit der Frage der Fokusdistanz beschäftigt. 
Aber warum behauptet er dann apodiktisch, daß 60 cm genügten, obwohl 
wir mindestens 150—200 zur Teleröntgenographie benötigen. 


Er geht mit der Röhre auf 10 cm Fokushautdistanz, er empfiehlt für 
seitliche Schädelaufnahmen sehr weiches Licht. Unerklärlich, 
warum er die Weichheit der Strahlen als Grund dafür angibt, 
dals er die Hautfokusdistanz vermindern darf. Er muß sie vermindern, 
obwohl er gerade wegen des weichen Lichts nicht dürfte! 

Ich kenne seine Technik nicht, Maßzahlen fehlen. Allein die An- 
gabe, mit sehr weichem Licht, Glas der Röhre der Haut des 
Patienten angelegt, stereoskopische Schädelaufnahmen durchzu- 
drücken, halte ich in dieser Form für ausgesprochen gefährlich. Wie die 


Erwiderung auf obige Arbeit. 281 


Aufnahmen so gemacht aussehen, wie Herber da exakt einstellt, wie 
er blendet, ist eine andere Frage. 


Den vorletzten Absatz des „Polemik“-Kapitels verstehe ich nicht. 
Warum die Flauheit eines Bildes ein Beweis für meine Darstellung des 
Kiefergelenkes nicht in der von mir angegebenen Art, sondern durch 
Auseinanderprojektion sein soll und wie größere Röhrenhärte (NB. 
Herber nennt die Sagittalaufnahme Frontalbild, doch dies nur 
nebenbei) dagegen ein Mittel sein soll, ist mir völlig unklar. 


Allein diese Umstände führen Herber zur Überzeugung, daß die 
Freilegung des Kieferköpfchens auf der Auseinanderprojektion des (da- 
neben abgebildeten) kontralateralen Astes beruhe. 


Im Schlußwort prophezeit Herber der Auseinanderprojektion den 
Sieg über die enorale Zahnaufnahme. Das ist Ansichtssache. Allein, daß 
die Orientierung auf dem enoralen Filmbilde „mangels von Fixpunkten“ 
„meist unmöglich“ sei, darf als allgemein gültig kaum bezeichnet werden. 
Ich glaube vielmehr behaupten zu können, daß es keine Art von 
Röntgenbild gibt, die so Millimeter für Millimeter 
erfüllt von orientierenden Details sei, als ein gutes Zahn- 
röntgenogramm. Vielleicht ist diese Ansicht Herbers damit zu erklären, 
daß es ihm, da er erst auf extraoralen Aufnahmen die Zähne unverzerrt 
darstellen kann, nicht gelingt, einen Zahn enoral unverzerrt darzustellen. 
— Das würde die Sache allerdings anders erscheinen lassen. 


Herber möge nochmals versichert sein, daß es mir ferne liegt, 
ihm persönlich nahe treten zu wollen, wenn ich zusammenfassend sagen muß: 


1. Die „Auseinanderprojektion“ ist die zu den altbekannten Grund- 
tatsachen der Röntgenkunde gehörende Zentralprojektion.. 


LO 


. Meine Kiefergelenksaufnahme hat mit der Darstellung platten- 
anliegender Gebilde durch „Auseinanderprojektion“ bei vermin- 
derter Hautfokusdistanz nichts zu tun. | 


3. Die Methode der „Auseinanderprojektion“ war mir im Jahre 1916 
bekannt, ich habe sie in der Originalarbeit als schlecht und 
gefährlich abgelehnt. 

4. Herber hätte sich durch Lesen der Originalarbeit oder durch 
Lektüre irgend eines guten Röntgenlehrbuches ersparen können, 
eine von mir gekannte und abgelehnte alte Methode als neue Er- 
kenntnis und Erklärung für eine von mir deduktiv abgeleitete 
Einstellung zu publizieren. 


282 Karl Herber. 


Schlußantwort auf die Erwiderung von Dr. Pordes. 
Von Zahnarzt Karl Herber, Düsseldorf. 


Mit Erfinderwahnsinn und Prioritätsideen haben meine Ausführungen 
nicht das Geringste zu tun, worum mir lediglich zu tun war, war das, 
eine Erscheinung aufzuklären und die daraus gewonnenen Konsequenzen 
weiter nutzbar zu machen. Für ein solches systematisches Vorgehen sollte 
doch Dr. Pordes um so eher Verständnis haben, als er bei allen seinen 
Ausführungen in der gleichen Richtung arbeitet. 

Und wenn er in der zitierten Anschrift — die ich de facto über- 
sehen habe — die Auseinanderprojektion als nicht zweckmäßig ablehnt, 
so ärdert das nichts an der Tatsache, daß sie nach meinem Dafürhalten 
tatsächlich doch bei der Kiefergelenksaufnahme zur Anwendung gebracht 
wird. Hier steht Behauptung gegen Behauptung, die meinige gestützt 
durch sachliche Erwägungen und Darstellungen, die Ansicht von Doktor 
Pordes lediglich durch die subjektive Annahme, daß es so kommen 
müsse, wie er es vorausgesehen habe. Die Darstellung von Dr.Pordes 
ist dann richtig, wenn er in der Lage ist, den Beweis zu führen, daß man 
in jedem Falle durch die halbelliptische Lücke das kontralaterale Kiefer- 
gelenk sehen kann, also durch eine photographische Aufnahme — nicht 
Röntgenaufnahme — das Gelenk in der halbelliptischen Lücke zu zeigen. 
Ist das möglich, so ist seine Darstellung richtig, andernfalls ist sie falsch, 
denn dann müssen und werden die überdeckeuden Partien eben durch den 
Röntgenstrahl auseinanderprojiziert. 

Wenn Dr. Pordes glaubt, seine Replik lediglich in sachlichen 
Bahnen gehalten zu haben, so stehe ich nicht an, dies zu bezweifeln, wobei 
ich allerdings Subjekt, nicht Objekt bin, verwahre mich aber gegen den 
Vorwurf der Literaturunkenntnis. Die angegebenen Arbeiten sind mir wohl 
bekannt und der Hinweis darauf, „daß diese Auseinanderprojektion sicher 
schon vielfach zur Anwendung: gekommen sei, daß eine Fokusdistanz von 
zirka 60 cm für ungefähre Teleaufnahmen etc. genüge“, sollte doch Doktor 
Pordes darauf aufmerksam machen, daß die sonst so beliebten Dis- 
qualifizierungsversuche des Gegners in dieser Richtung stets auf die ver- 
tretene Sache ein schlechtes Licht werfen. 

Einige von den angezogenen Einzelheiten bedürfen noch der Richtig- 
stellung, auf die ich nur kurz eingehen will. 
| Man kann bei weichen Strahlen eher näher an den Körper heran- 
gehen als bei harten, weil die Gefahr der Verbrennung verringert wird. 
Wie weit im einzelnen diese Annäherung getrieben werden darf, bedarf 
nach meinen eigenen Worten noch der Untersuchung, und ich stelle Doktor 
Pordes frei, hier seine Bedenken ruhig zu äußern. Tatsache ist, daß 


Schlußantwort auf die Erwiderung von Dr. Pordes. 983 


von meiner Seite Schädigungen nicht beobachtet worden sind. Allerdings, 
das gebe ich zu, daß Pordes so weit im Recht sein kann, wenn er 
die in dem theoretischen Teil gegebenen Zahlen absolut auf die prak- 
tische Anwendung bezieht. Diese sind nur approximativ, wie deut- 
lich hervorgehoben, zur Erläuterung‘ des Prinzips angewendet. Ich wollte 
keine Darstellung der praktischen Ausführung der Gelenksaufnahme geben, 
sondern nur erklären, wie die von Pordes angegebene Gelenksaufnahme 
zustande kommt. 

Die Flauheit eines Gelenksaufnahmebildes bildet deshalb eine Stütze 
für meine Erklärung des Zustandekommens der Gelenksaufnahme, weil sie 
entsteht durch die Körperstrahlen, die beim Auftreffen auf das aus- 
einanderprojizierte Objekt — den darüber liegenden Knochen — entstehen, 
seitliche Aufnahmen sind deshalb stets klarer wie die Frontal- oder, wie 
Pordes will, einen Sammelnamen: Sagittalaufnahmen des Kopfes. 

- Meine Ansicht, daß die Plattenaufnahme die enorale Filmaufnahme 
verdrängen wird, halte ich aufrecht trotz der Ansicht von Pordes, der 
mir nicht zutraut, eine unverzerrte Zahnwurzel auf den Film zu bannen. 
Er mißversteht offenbar den Ausdruck Fixpunkte. Wenn dies deutlicher 
eein sollte, will ich sagen ÖOrientierungspunkte. Der Film liefert stets 
nur einen kleinen Ausschnitt des betreffenden Gebietes, die Platte einen 
großen Komplex. Es ist deshalb für die topögraphische Bestimmung 
leichter, sich ein Bild der Lage zu machen, wenn man einen großen 
Komplex vor sich hat, als nur einen kleinen Ausschnitt. Gelingt es so- 
wohl mit dem Film als mit der Platte, in gleicher Weise un- 
: verzerrte richtige Bilder zu erzielen, so erweist sich die Platten- 
aufnahme der Filmaufnahme überlegen, weil eben der Aufschluß über die 
Umgrenzung des Prozesses und die Orientierung wegen der Übersichtlich- 
keit leichter ist. 

Wirklich gespannt aber bin ich auf die fehlerquellenfreien Verfahren, 
welche die Röntgenstereophotographie übertreffen sollen, mir ist keines 
für diesen Zweck bekannt. Wenn Pordes allerdings die Tiefen- und 
Lagebestimmungen von Objekten meint, so mag er Recht haben, dazu halte 
ich die Stereographie diesen 'Methoden unterlegen, für die Betrachtung der 
Situationsverhältnisse und die Aufrichtung der Projektion und die Orien- 
tierung für das Auge aber kenne ich kein besseres Verfahren als das 
Stereogramm. 

Zum Schlusse noch eine Bemerkung entfernteren Zusammenhangs: 
Im allgemeinen pflegen Deduktionsbeweise immer schwächer zu sein als 
Induktionsbeweise und auch dieses Moment sollte Dr. Pordes veranlassen, 
recht vorsichtig mit Deduktionsbeweisen zu operieren. 


284 | KriizBeoxdes. 


Aus dem Zentralröntgenlaboratorium des Wiener allgemeinen Kranken- 
hauses (Vorstand: Prof. Dr.G.Holzknecht). 


Epilog zur Schlußantwort. 
Von Dr. Fritz Pordes, 


Herber ermuntert mich, meine Bedenken ruhig 
zu äußern. Daher folgt, gegen die sonstige Übung, die 
Re-Duplik sofort. 


In den Spalten einer zahnärztlichen Zeitschrift einen röntgenologischen 
Konflikt auszutragen, ist ebenso schwer, als es schwer wäre, in einer 
Röntgenzeitschrift eino zahnärztliche Streitfrage zu erledigen. — Stünden 
wir uns in einer Röntgenzeitschrift gegenüber, dann hätte ich den ersten 
Artikel Herbers unerwidert ruhig dem Urteil der Fachgenossen über- 
lassen können. | 

Herbers röntgenologische Ausführungen werden nicht ein bißchen 
richtiger dadurch, daß er sie zweimal sagt. Auch wenn er sich das zweite 
Mal ein wenig unklarer ausdrückt. (S. den Absatz: „Die Flauheit...“ 
„Lagebestimmung—Aufrichtung der Projektion (!?)“, „bei- 
läufige Teleaufnahme (!)“ ete. Ungebräuchliche, undefinierte und darum 

gänzlich unklare Begriffe!) 

Doch alle diese Dinge, die „Erklärung der Gelenksaufnahme dureh 
Auseinanderprojektion“ miteingeschlossen, sind kleine Unrichtigkeiten im 
Vergleich zu der in der ersten Arbeit von mir noch immer wegen der Un- 
gewöhnlichkeit der Behauptung für einen Druckfehler gehaltenen Stelle 
über die Lichtquantität und -qualität. Die in diesem Punkte größere 
Deutlichkeit der „Schlußantwort““ läßt keinen Zweifel über die Meinung 
Herboers mehr zu. Mein Sperr- und Fettdruck hat als Warnung nicht 
ausgereicht. Ich fürchte, Herber wird es wieder als persönlichen Angriff 
auffassen. Aber — rein sachlich —, ich lehne es ab, mit Herber über 
eine röntgenologische Frage ernsthaft zu diskutieren, so lange er über 
den Punkt der Nahaufnahme eine mit den Grundbegriffen der Röntgen- 
lehre in so krassem :Widerspruch stehende und für jeden anderen Röntgen- 
dilettanten die unheilvollsten Folgen mit sich bringende Behauptung, wie 
sie der Satz: ‚Man kann bei weichen Strahlen näher herangehen, weil 
die Gefahr der Verbrennung verringert wird“ involviert, aufrechtzuerhalten 
geneigt ist. 

Das Gegenteil ist richtig. Die Gefahr der Verbrennung wird ver- 
vielfacht! 

* 8 * 

Der nicht röntgenologisch Arbeitende braucht nicht zu wissen, was 

an dieser Behauptung so ungeheuerlich ist. Es bedeutet daher keine Miß- 


Epilog zur Schlußantwort. 285 


achtung der Kenntnisse der Leser dieser Zeitschrift, wenn ich einige Grund- 
tatsachen der Lehre ven den Röntgenstrahlen kurz erörtere. 

1. Weiches Röntgenlicht nennen wir das weniger penetrations- 
kräftige, hart das penetrationskräftigere. Weiches Licht ist, da ein 
größerer Bruchteil in den obersten Schichten der Haut stecken bleibt und 
dort zum Energieumsatz kommt, für die Haut bedeutend schädlicher. Die 
entzündungserregende Lichtmenge ist, je weicher das 
Licht ist, desto geringer. 

2. Die Flächenenergie, d.h. die Menge des Lichtes, die die Flächen- 
einheit erhält, wächst im Quadrat der abnehmenden Entfernung 
vom Fokus der Röhre. 

Nun eine kleine Berechnung: Eine quere Kopfaufnahme, wie z. B. 
eine Aufnahme des Kiefergelenkes, lege artis aus 60cm Fokusplatten- 
distanz mit normal harter Röhre und mit Verstärkungsfolie würde der 
Haut eine gewisse mäßige Röntgenlichtmenge. zumuten, die sie glatt ver- 
trägt. Sie verträgt auch glatt die 4—6fache Menge. Nennen wir diese 
Aufnahmelichtmenge A. Gehen wir nun mit der Röhre auf 30cm Fokus- 
plattendistanz, so kommt der Fokus der etwa 15 cm hoch liegenden platten- 
fernen Gesichtshaut auf 15 cm nahe (statt 45cm). Die Haut bekäme bei 
gleicher Expositionszeit (3X 3—9) die 9fache Menge. Da bei halber 
Distanz theoretisch nur 1/4 Expositionszeit nötig wäre (praktisch 
ist es mehr, da der Absorptionsverlust den Dispersions- 
verlust unverhältnismäßig übertrifft!), so bekäme die Haut 
2a A=21/, A. Eine noch erträgliche Menge. 

Nun kommt das weiche Licht. Ist das Licht um wenige Wehnelt- 
Grade weicher, so ist das Licht viel wirksamer. Die wirksame 
Menge des resorbierten Lichtes kann leicht doppelt, auch dreifach so groß 
sein. Nehmen wir nur doppelt, so gibt das schon 4!/: A 

Weiches Licht verlangt bekanntlich längere Esnos ion: Doppelte 
Zeit ist nicht sehr viel dafür. Wir bekommen 9A. 

Nun macht Herber regelmäßig Stereoaufnahmen, d.h.zwei Auf- 
nahmen. Das ist also 18 A. Eine ganz ansehnliche Menge! Es’ kommt 
aber in den besten Laboratorien vor, daß eine Platte mißlingt. Oder 
hat Herber nie eine Wiederholung? Kommt es dazu, dann bekommt 
die Haut des Patienten 36mal die Dosis einer lege artis gemachten Auf- 
nahme! ! — Vorausgesetzt, daß immer und überall mit Folie gearbeitet 
wird. Ich kenne genug Laboratorien, wo das nicht der Fall ist. Röntgen- 
autodidakten namentlich neigen sehr dazu, die Verstärkungsfolie aus 
plattenkosmetischen Gründen abzulehnen. Da nur für solche die Arbeit 
Herbers eine Gefahr bedeutet, so kann es wohl geschehen, daß einer 
die Methode ohne Verstärkungsschirm, d.h. mit etwa 6facher Expositions- 


en zu ui 


986 | Franz Péter. 


zeit anwendet, um so mehr, als Herber bei „weichem Licht die 
Verbrennungsgefahr für verringert“ hält!!!!! Die Haut des Pa- 
tienten bekommt dann bei einfacher Aufnahme 9 X 6 — 54, bei Stereo- 
aufnahme 108 und bei mißlungener Stereoaufnahme 216 „Aufnahmen“, und 
zwar weiches Licht! ! 

Nun, entweder arbeitet Herber nicht so, wie er es angibt, oder 
er setzt Verbrennungen nach Noten! Tertium non datur! Womit für mich 
die Angelegenheit erledigt erscheint. 


Beitrag zur Topographie des N. mentalis. 
Von Dr. Franz Péter, Wien. 
(Mit 3 Figuren.) 


Für die Aufsuchung der Nervenstämme, die wir bei Anästhesierungen 
der Kiefer und der Zähne mit unserer Spritze aufsuchen müssen, sind 


Fig.1. 





gewisse topographisch-anatomische Orientierungspunkte angegeben, mittelst 
welcher wir zu den betreffenden Nervenstämmen gelangen können. 

So einen Orientierungspunkt liest man überall für die Aufsuchung 
des N. mentalis, demzufolge der Nerv am Unterkieferkörper in wechselnder 
Höhe, dem Zwischenraum des I. und II. Prämolaren entsprechend, zu 
finden ist. Ä 

Das stimmt auch natürlich bei intakter Zahnreihe. Anders aber, 
wenn Zähne fehlen, wenn durch das Fehlen der Zähne die Prämolaren 
ihre Stellung verändert haben. Noch schwieriger wird. die Orientierung, 
wenn überhaupt keine Zähne mehr im Kiefer vorhanden sind und wenn 
man in die Lage kommt, bei operativen Eingriffen im Bereiche dieser 


a nn, 


Beitrag zur Topographie des N. mentalis. 287 


Kiefer als Vorakt der Operation, den Nerven freizulegen, was sicherlich 
bei allen operativen Eingriffen im Bereiche vom Eckzahn bis zum I. Mo- 
laren am Unterkiefer die beste Methode darstellt, um denselben sicher 
schonen zu können. 


Fig. 2. 





Die Aufsuchung des Nerven und seine Schonung bei Operationen 
am zahnlosen Kiefer sind desto eher zu empfehlen, da im zahnlosen Kiefer 
der Nerv infolge des Schwundes des Alveolarfortsatzes fast am oberen 
Rande des Kiefers liegt, ein Umstand, den man schon bei dem: Schleim- 
hautschnitt berücksichtigen muß. 

Ich habe jahrelang im Seziersaal eine Methode benützt, den N. mentalis 
freizulegen, welche sich nicht auf die Zähne, sondern ‚auf andere Orien- 


288 Winke für die Praxis. 
tierungspunkte stützt und daher auch bei zahnlosem Kiefer angewendet 
werden kann. 

Man tastet den vorderen Rand des Musc. masseter, der bei allen 
Menschen als tätiger Kaumuskel gut ausgebildet und leicht tastbar ist, 
besonders wenn man den Patienten auffordert, stark zusammenzubeißen. 
Nun bestimmt man die Medianlinie des Kiefers, eine Linie, die wir Zahn- 
ärzte ja bei unseren prothetischen Arbeiten zu bestimmen gewöhnt sind. 
Wenn man nun die Distanz dieser zwei Linien halbiert, bekommt man 
die Linie, in welcher der N. mentalis liegt. 

Wenn auch sicherlich Abweichungen um 1—2 mm von dieser Regel 
vorkommen, so ändert das an der Brauchbarkeit der Methode nichts und 
es gelingt in jedem Fall, den Nerven in kürzester Zeit freizulegen. 

Die umstehenden Zeichnungen demonstrieren das Verhalten dieser 
Linien. 


Winke für die Praxis. 





Behandlung tiefkariöser Molaren mit lebender Pulpa. 
Von Zahnarzt Dr. Viktor Frey, Wien. 


Ich mußte im Juli 1910 einer Patientin einen unteren Prämolaren, 
der bald nach dem Einsetzen einer Prothese infolge der dortselbst ver- 
ankerten Klammer am Zahnhalse empfindlich geworden war, mit Lapis 
tuschieren. Im Oktober 1911, also 15 Monate später, schlug ich der 
Patientin vor, da die Zahnhalsschmerzen immer wieder aufgetreten waren, 
den Zahn zu devitalisieren und zu krönen, obwohl der Zahn sonst un- 
gefüllt war, damit der wichtige Klammerzahn für lange Dauer erhalten 
bleibe. Ich war sehr erstaunt, beim Aufsuchen des Kanals das Lumen 
in der Höhe der schmerzhaften und nur oberflächlich kariösen Zahnhals- 
partie fast obliteriert zu finden. Es handelte sich um einen wandständigen 
Dentikel, welcher der Ätzung entsprechend gegen die Pulpahöhle vor- 
gedrungen war. Nach Wegbohren des Dentikels erwies sich der Kanal 
dem Alter der Patientin entsprechend weit. Es liegt nun sehr nahe, die 
mächtige Dentikelbildung als Folgeerscheinung der Lapisätzung anzu- 
sprechen, weil ich gelegentlich späterer Beobachtungen oft das gleiche 
Resultat vorfand. Ich glaubte, mir diese Erfahrung +) insoferne nutzbar 





15 Ich erhebe hierauf natürlich keinerlei Priorität, da ich weiß, daß dieses 
Verfahren auch von anderen Zahnärzten geübt wird. Grund dieser Mitteilung 
ist nur, cin zweckmäßiges Verfahren in Erinnerung zu bringen. 


Winke für die Praxis. 289 


machen zu können, als ich bei tief kariösen Mahlzähnen durch Ätzen des 
Kavitätengrundes mit Lapis die Bildung eines Dentikels künstlich: zu 
fördern trachtete, fußend auf der Erfahrung, daß die Zähne ein Ätzen 
mit Lapis — sei es am Zahnhals oder in einer Kavität, wie z.B. bei 
Rinderzähnen — sehr gut vertragen. Ich bin mit den gewonnenen Re- 
sultaten recht zufrieden. | 

Handelt es sich also um einen Mahlzahn mit Caries profunda, 50 
wird zuerst alles kariös erweichte Dentin sorgfältig aus- 
geschnitten und genau untersucht, ob nicht ein Pulpahorn exponiert wurde. 
Ist dies nicht der Fall, wird nach Trockenlegung des Zahnes mittelst 
eines angefeuchteten Wattebäuschehens Lapispulver aufgenommen und 
damit der ganze Kavitätengrund abgeätzt. Das Zahnbein verfärbt sich 
zuerst gelb; diese Farbe geht später in ein Braun. und schließlich in 
das bekannte Tiefschwarz über. Nach erfolgter Lapisierung wird die 
Kavität mit Warmluft gut ausgetrocknet und mit Zinkoxydeugenolpaste . 
verschlossen. Treten in den nächsten Tagen Erscheinungen einer Pulpen- 
hyperämie auf, so säume man nicht, den: Zahn zu devitalisieren. Dies 
ist aber äußerst selten der Fall. Bleibt jedoch der Zahn wie gewöhnlich 


ruhig — ein leichter Nachschmerz unmittelbar nach der Sitzung ist 
zwar manchmal vorhanden und höchstens in einer halben Stunde vor- 
über —, so schneidet: man in der nächsten Sitzung den oberflächlichen 


Teil der nunmehr erhärteten Zinkoxydeugenolpaste weg, versäubert die 
schwärzlich verfärbten Kavitätenränder und verschließt den Zahn mit 
einer doublierten Amalgamfüllung. Die Zähne vertragen dieses Vorgehen 
außerordentlich gut; allerdings bekommen die Zähne infolge des Durch- 
scheinens der geschwärzten Dentinschichte oft das Aussehen grauver- 
färbter, toter Zähne (sie reagieren aber prompt auf faradischen Strom) 
und deshalb eignet sich dieses Verfahren natürlich nur für Mahlzähne, die 
bei nicht übermäßig großer Mundöffnung auch beim Lachen nicht sicht- 
bar sind. Das Einbringen von Metallfüllungen allein in derart tief kariöse 
Zähne ist wegen der hierauf folgenden hyperämischen Erscheinungen und 
des eventuellen Pulpatodes unzulässig und deshalb müssen Metallfüllungen 
in solchen Zähnen immer mit einer Isolierschichte unterlegt werden; aber 
selbst dann werden leichtere oder schwerere hyperämische Zustände der 
Pulpa nicht immer vermieden. Nach vorhergegangener Lapisätzung jedoch 
habe ich derartige Vorkommnisse nur äußerst selten beobachtet. Über 
die Größe des von mir erwarteten Dentikels kann ich allerdings keine 
Auskunft geben, da sich bisher die Gelegenheit nicht ergab, einen vor 
Jahren derart vorbehandelten Zahn devitalisieren zu müssen. Es würde 
dies aber auch ganz belanglos sein, weil wir ja auch sonst in stark 
xefüllten Zähnen stets Dentikel zu finden gewöhnt sind, doch vermute 


290 Referate und Bücherbesprechungen. 


ich, daß die Lapisätzung die Dentikelbildung beschleunigt. Das durch 
die Ätzung verfärbte Dentin ist eine d ü n'n e Silberalbuminatschichte, da 
Lapis keine tiefgreifende Ätzung bewirkt. Diese Schichte hat ein 
schlechteres Wärmeleitungsvermögen als normales Zahnbein, wie wir dies 
von geätzten Zahnhälsen und Kinderzähnen wissen. Außerdem mögen die 
antiseptischen und adstringierenden Eigenschaften des salpetersauren 
Silbers eine gewisse Rolle spielen. 

Ich möchte nicht mißverstanden werden: Ich gebe zu. daß durch 
derartige Lapisätzungen däs Aussehen der Zähne gewi nicht gehoben 
wird, empfehle daher dieses Verfahren nicht allgemein, sondern möchte 
es nur auf jene Fälle beschränkt wissen, in welchen wir erfahrungsgemäß 
trotz Isolierschichte mit gewissen hyperämischen Zuständen rechnen 
müssen und in welchen es uns darauf ankommt, die Pulpa z. B. bei noch 
nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum durchzubringen. 


m m nn 


Referate und Bücherbesprechungen. 





* Zahnärztlich-technische Propädeutik für Studierende der Zahnheilkunde. 
Von Zahnarzt Robert Neumann, ehem. stellv. Direktor des zahnärzt- 
lichen Instituts der Universität Marburg. Mit 168 Figuren im Text. 
Berlin, Hermann Meusser, 1919. 


Das Buch soll dem Studierenden Anhaltspunkte für die teehnische 
Arbeit im Labọratorium geben und ist also gedacht als Leitfaden bei 
den praktischen Arbeiten. 

Wenn Verfasser sagt, daß es den mündlichen Unterricht weder er- 
setzen noch entbehrlich machen soll, hat er nur zu sehr recht, denn bei 
aller relativen Reichhaltigkeit wird der Student manchmal in Verlegenheit 
kommen, wenn er sich aus dem Buch Rat holen soll. Z.B.beim Biegen 
der Klammern, ein Kapitel, das bei aller Schwierigkeit der Darstellung 
sehr knapp ausgefallen ist, und das ist doch viel wichtiger als z. B. das 
Kapitel über „Gezogene Kronen“ ‚über die 5 Seiten geschrieben sind. Dieres 
Kapitel hätte ganz entfallen können. Solche Kronen muß man nicht 
machen können und ein Anfänger schon gar nicht. 

Das Buch ist gut ausgestattet und mit vielen, wirklich guten Ab- 
bildungen versehen, so daß es der Student mit vielem Nutzen wird zur 
Hand nehmen. Steinschneider. 


* Die Zukunft der Zahnheilkunde und die zahnärztliche Sanierung dex 
deutschen Volkes. Von Prof. Dr. med. Alfred Kantorowicz, Direktor 
der Univ. er und der städt. Schulzahnklinik Bonn. Sammlung 
Meusser, H. 7. Berlin, Hermann Meusser, 1919. 

Es. ist a daß in allen Kulturstaaten die Bevölkerung zum 
größeren Teile von nicht approbierten Zahnheilkundigen behandelt wird. 

Was da Ursache, was Wirkung ist, läßt sich schwer sagen. Gibt osx sa 


Referate und Bücherbesprechungen. 291: 


viele nicht approbierte Zahnheilkundige, weil es zu wenig Zahnärzte 
(approbierte Zahnheilkundige) gibt, die das Bedürfnis der Bevölkerung 
nach zahnärztlicher Hilfe befriedigen könnten, oder umgekehrt. Wie dem 
auch sei, in Deutschland sind jetzt Bestrebungen am Werk, dieses Miß- 
verhältnis zum Verschwinden zu bringen, und zwar auf zwei Wegen. 

Der am meisten in die Augen fallende ist wohl der, den insbesondere 
Walkhoff und sein Anhang betritt, das sind die Bemühungen, den Zu- 
gang zum zahnärztlichen Studium zu vermehren, und darum der Kampf 
um den Doctor med. dent. und der Kampf gegen das Aufgehen der Zahn- 
heilkunde in die allgemeine Medizin (wie in Österreich, Italien ete.). Das 
ist jetzt erreicht: und die nächsten Jahre werden ja zeigen, ob die an 
diese Bestrebungen geknüpften Hoffnungen in dieser Hinsicht sich er- 
füllen werden. 

Wesentlich anders ist der Plan, den sich Kantorowicz zurecht 
gelegt hat, um zu verhindern, „daß der größere Teil des deutschen Volkes 
von nicht approbierter Zahnheilkundigen behandelt werde“. Den in der 
vorliegenden Abhandlung entwickelten Gedankengang hat Verfasser schon 
Anfang des Jahres 1918 in einem Gutachten an die medizinische Fakultät 
in Bonn über die Vermehrung des Zustroms zum zahnärztlichen Studium 
skizziert. Er ist der folgende: Das Deutsche Reich benötigt etwa 
20.000 Zahnärzte, um das Bedürfnis nach approbierter zahnärztlicher Hilfe 
zu befriedigen. Da „die gesellschaftliche Stellung und soziale Bewertung 
durch das Fehlen auch sich dem Laien aufdrängender ideeller Momente bei 
der Berufsausübung nicht die des Arztes ist“, übt die Zahnheilkunde auf 
junge Studenten nur einen geringen Reiz aus, trotzdem die materielle Lage 
der Zahnärzte eine gute und durchschnittlich bessere als die der Ärzte ist. 
Da aber auch alle. Vorschläge zur Vermehrung des Zustroms (Einführung 
des Doktortitels, Gleichstellung der Zahnheilkunde mit den übrigen medi- 
zinischen Disziplinen, Übergang zur Medizin und Verminderung der An- 
forderungen beim Studium) nach des Verfassers Meinung untaugliche 
Mittel sind, muß die Frage der Vermehrung der Zahnärzte auf anderem 
Wege gelöst werden; nämlich durch V erminderung der Zahl 
der Zahnk ranken auf einen so geringen Stand, daß die verfügbare 
Zahl der -Zahnärzte ausreicht, um sie zu behandeln. Und der Weg hierzu 
ist eine derartige Organisation der Schulzahnpflege — 
die er unter Anführung der heutigen Mängel des näheren entwickelt —, 
daß die Zahnkrankheiten in allen Schichten der Bevölkerung auf die gleiche 
geringe Bedeutung zurückgeführt werden, die sie in Schichten einnehmen, 
die von. Jugend an Zahnpflege getrieben haben. Wenn auf diese Weise 
in etwa 8 Jahren die Zähne der deutschen Schuljugend saniert. sein werden, 
wird die Gebißanfertigung — das Rückgrat der zahntechnischen Praxis — 
in etwa 20 Jahren verschwinden. Es:ist gar nicht zu denken, daß auch 
der Stand der Zahnärzte dadurch überflüssig wird; sein künftiges Arbeits- 
gebiet ist Orthodontie, konservierende Zahnheilkunde und Schulzahnpflege. 

Zum Schluß tritt Verfasser für die Ausbildung von Schulzahn- 
schwestern auf, der die rein mechanische Behandlung überlassen werden 
soll. Dieser ganze Plan, der verwirklicht eine ideale zahnärztliche Welt 
schaffen würde, in der es keinen Kampf gibt mit Zahntechnikern, und in 
der alle Menschen gesunde Zähne haben, zeugt von hoher ethischer Auf- 
faesung des Berufs, an welche aber weder viele Berufsgenossen noch die 


292 Aus Vereinen und Versammluugen. 


Bevölkerung heranreicht. Beides ist aber notwendig zur Erreichung eines 
so hehren Zieles, und da gilt es vorher noch viel zu erziehen — bei Zahn- 
ärzten und der Bevölkerung. 

Ich habe in diesem kurzen Referat nur den Grundgedanken der Ab- 
handlung besprochen, empfehle aber allen Kollegen nachdrücklich, sie im 
Original nachzulesen, insbesondere denen, die sich mit Standes- und Schul- 
zahnpflegefragen beschäftigen. Sie werden vielleicht manches zu bemängeln 
‚haben — Schulzahnschwesterun —, aber sie wird ihnen vielfach in ihren 
Bestrebungen neue Wege weisen. — Steinschneider. 





Der Bacillus fusiformis, ein Erreger der Gangrän der Zahnpulpa. Von 
Prof.Dr.Adloff. D.M.f. Z., H.9, September 1919. 


In einem extrahierten Zahn fand sich die Pulpa zum Teil schwarz, 
zum Teil grau verfärbt und konnte trotz ihrer Erweichung noch in toto 
aus dem Zahn entfernt werden. Die Gramfärbung zeigte nun fast eine 
Reinkultur des Bacillus fusiformis, da sich nur einzelne Spirochäten, aber 
weder Strepto- noch Staphylokokken fanden. Interessant war es, daß in 
den verschiedenen Schichten der Pulpa verschiedene Entwicklungsstadien 
des Bacillus fusiformis nachweisbar waren, und zwar von der Oberfläche 
nach der Tiefe zuerst Stäbchen mit abgerundeten Enden, dann spieß- und 
sichelförmige Exemplare, endlich lange Fäden. Es ist dadurch wohl er- 
wiesen, daß Bacillus fusiformis zumindest in einzelnen Fällen der Erreger 
einer primären Pulpitis gangraenosa sein kann. Sicher. 


Aus Vereinen und Versammlungen. 





J ahresversammlung des Zentralverbandes der 
österreichischen Stomatologen. 


Die gefertigte Verbandsleitung beehrt sich, die Mitglieder zu der für 
Sonntag und Montag den 7.und 8 Dezember-1919 an- 
beraumten und im zahnärztlichen Univ. -Institut, Wien, VIII, Floriani- 
gasse 46, um 8 Uhr früh beginnenden 


XVII. ordentlichen Verbandsversammlung (Jahresversammlung) 


einzuladen. Sie wird mit wissenschaftlichen Vorträgen und praktischen 
Demonstrationen verbunden sein. 


Tagesordnung der Geschfftssitzung 
(Anfang Sonntag um 11 Uhr vormittags). 


. Begrüßung durch den Präsidenten. 

Jahresbericht durch den Schriftführer. 

. Kassabericht durch den Säckelwart. 

. Bericht der Schriftleitung der Österr. Zeitschr. f. Stomat. 
. Reorganisation des Verbandes und Beschlußfassung. 

. Allfällige Anträge. 


D Yta S o ‘H 


Aus Vereinen und Versammlungen. 293 


Anträge sind schriftlich bis längstens 5. Dezember an die Verbands- 
leitung (Wien. l., Graben 31) zu richten. 


Möglichst vollzählige Beteiligung erscheint schon 
mit Rücksicht auf den Punkt 5 der Tagesordnung 
dringend geboten! 


Das Programm der. wissenschaftlichen Sitzungen 
wird zeitgerecht bekanntgegeben. Bisher haben Vorträge und Demonstra- 
tionen angemeldet: Prof.Fleischmann, Dr.G ottlieb, Doz.Klein, 
Dr. Franz Peter, Prof. Pichler, Dr. Pordes, Dr. Sicher, Prof. 
Weiser. 

Weitere Anmeldungen sind an den Schriftführer (Dr. Bum, Helfer- 
storferstraße 6) zu richten. 

“Bei den wissenschaftlichen Sitzungen sind durch Mitglieder eingeführte 
Kollegen als Gäste herzlich willkommen. 
Dr.Bum, | Dr.W.Herz-Fränkl. 


derzeit 1. Schriftführer. derzeit Präsident 


Verein österreichischer Zahnärzte. 


Ordentliche Monatsversammlung vom 2. April 1919. 


Präsident: Dr.Breuer. 

Schriftführer: Dr. Ornstein. 

Anwesend die Herren DDr.Ballasko, Borschke, R. Breuer, Bum, 
Eiffinger. Frank, Frey. Fuchs, Herz, Karolyi, F.Péter, J.Peter, 
Pichler, Piwniczka, Ornstein, Safron, Schlemmer, Schön, 
Schönauer, Schwabe, Schwarz, Stauber, Steinschneider, Prof. 
W eiser, Ziegler. — Entschuldigt: Kränzl. — Als Gäste: Fehl, Gott- 
liob, Herasko, Irral, Krasa, Kulka, Linker, Natzler, Sicher, 
Weinländcr, Woselka. 

Der Präsident eröffnet die Sitzung und begrüßt die Erschienenen. 
Über Antrag des Herrn Dr.Ornstein wird einstimmig beschlossen, einen 
Fachmann zu ersuchen, dem Verein in einer außerordentlichen Monats- 
versammlung über die Vermögensanmeldung mündliche Erläuterungen 
zu geben. , 

Der Präsident verliest hierauf eine Zuschrift der Zentralkasse 
der Ärzte Deutschösterreichs, welche sich mit der Eintreibung von Honorar- 
forderungen der Ärzte befaßt. die ja in 3 Jahren nach dem Moratorium — 
also in Kürze — verjähren. Somit ist diese Gesellschaft sehr geeignet, 
uns vor Schaden zu bewahren. Der Sitz des Vereins ist: Linz, Christian 
Coulinstraße 22. Der jährliche Mitgliedsbeitrag beträgt K 12,—, die ein- 
malige Beitrittsgebühr K5,—, wer als unterstützendes Mitglied beitreten 
will, zahlt K 6,— als Beitrag. Mit Rücksicht darauf, daß sich Prof. 
Wunschheim dafür interessiert, muß angenommen werden, daß die 
Sache eine gute ist. Die Forderungen sind auf ein Blatt zu 'schreiben, 
die Hereinbringung übernimmt der Verein. Derselbe übernimmt sämtliche 
Forderungen, halbjährig erfolgt die Abrechnung. 

- Gleichzeitig lief auch eine Zuschrift vom Inkasso-Verein ein. Bei 
diesem sind K 60,— zu zahlen und man erfährt nie, wie die Verrechnung 
steht. 


294 Aus Vereinen und Versammlungen. 


Dr.Fuchs begrüßt das von Ärzten gegründete Unternehmen der 
Zentralkasse und berichtet, daß, wenn sich die Herren Ärzte dafür inter- 
essieren, hier in Wien eine Filiale errichtet werden soll. 

Der Präsident verliest hierauf ein Schreiben der Wirtschaftlichen 
- Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs, welche zum Beitritt ein- 
ladet, worauf der Präsident betont, daß jenen Herren Mitgliedern, die 
dem Rufe Folge leisten wollen, kein Hindernis in den Weg gelegt werden 
solle. — Er berichtet ferner, daß als Vertreter der Zahnärzte Herr Med.-Rat 
Dr. Friedmann in den Zentralärzterat der Wirtschaftlichen Organi- 
sation der Ärzte Wiens gewählt worden sei, und teilt ferner noch mit. 
daß das Mieterschutzgesetz auf unbestimmte Zeit verlängert wurde. 

Hierzu ergreift Dr. Schwabe das Wort: Es ist vielleicht von 
Interesse zu erfahren, daß das Mieterschutzgesetz keine Anwendung findet, 
wenn man — wie ich — Kontrakt hat. Es sind bereits mehrmals Ent- 
scheidungen in diesem Sinne erfolgt. Jeder, der einen Kontrakt einge- 
gangen ist, möge sich also vorsehen und denselben erneuern, bevor die 
Frist abgelaufen ist, sonst kann es geschehen, daß Steigerung oder Kün- 
.digung ihn am ZEndtermin erreichen, denn der Mieter. der keinen 
Kontrakt hat, kann weder gesteigert noch gekündigt werden, der andere 
aber, der kann das eine oder das andere erleben. 

Herr Dr. Harry Sicher als Gast des Vereines hält seinen Vortrag 
über die Leitungsanästhesie des Nervus infraorbitalis. (Erschien ausführ- 
lich in H.1 der Zeitschr. f. Stomat., Jg. 1919.) Dann demonstriert Doktor 
Sicher an Präparaten die von ihm angewandte Methode. 

Der Präsident dankt dem Herrn Dr.Sicher für seinen Vortrag 
mit Demonstration. 

Es folgt Dr. Franz Peter mit seinem Vortrage: Über den gegen- 
wärtigen Stand der Rhodanfrage. (Erschien ausführlich in H.5, 1919, der 
Zeitschr. f. Stomat.) 

Nach herzlickem Dank an den Vortragenden schließt der Präsi- 
dent die Sitzung und erwähnt noch, daß er, sobald die Antwort der 
Steuerschutzstelle eintrifft, eine außerordentliche Monateversammlung ein- 
berufen werde, bei der alle Herren vollzählig erscheinen mögen. 


Außerordentliche Monatsversammlung vom 28. April 1919. 


Präsident: Dr.Breuer. 
Schriftführer: Dr. Kränzl. 


Anwesend die Herren DDr. Ballasko, Borschke, Brenner. Breuer. 
Bum, Eiffinger, Frank, Frey, Fuchs, Jarisch, Kartin, Kränzl, 
Löffler, Mitscha, Müller, Ornstein, J. Peter, Piwniczka, Ro- 
biczek, Schlemmer, Schön, Schönauer, Schwabe, Schwarz. 
Smreker, Stanka, Stauber, Steinschneider, Weiser, Wunsch- 
heim, Ziegler. — Als Gäste: Bermann, Elkan, Fehl. Gilanyi, 
Hauer, Herasko, Irall, Natzler, Weinländer und der Vortragende 
Kammersekretär Szombathy. 


Der Präsident eröffnet die Versammlung, begrüßt alle Herren 
auf das herzlichste und stellt Herrn Kammersekretär Dr.Szombathy 
als Fachmann der Steuerschutzstelle vor, der die Liebenswürdigkeit hat, 
den Herren die nötigen Aufklärungen und Ratschläge betreffs der Abgabe 
der Erklärung über das Privatvermögen zu geben. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 29905 


Nach dem sehr eingehenden und übersichtlichen Referat werden von 
einigen Herren besonders berührende Fragen in dieser Angelegenheit ge- 
stellt, die Herr Dr.Szombathy ausführlichst beantwortet. 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 





Verhandlungen in der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage. 


Die Not der Zeit, in der die fabriksmäßig betriebenen „Zahnateliers“ 
mit ihrem Agenten- und Ratensystem aufs lukrativste sich gestalteten und 
die im Verborgenen blühenden Winkelateliers mit und ohne Strohmänner 
wie Pilze aus der Erde schossen, brachte diejenigen Kreise, die berufen 
und befähigt waren, diesen Schädlingen an den Leib zu rücken, zur Über- 
zeugung, daß wieder der Versuch gemacht werden sollte, die Regelung 
der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage zu einer alle Inter- 
ssentengruppen befriedigenden Lösung zu bringen. 

Es vereinigten sich daher zu Beginn dieses Jahres ') die Vertreter 
iles Zentralverbandes und der zahnärztlichen Vereine mit denen der kon- 
zessionierten Zahntechniker und der Gehilfen zu einer unverbindlichen 
jespreehung. in welcher einstimmig die prinzipielle Geneigtheit zur Herbei- 
führung einer Einigung zum Ausdruck gebracht wurde. Damals legten 
die Zahntechniker einen von ihnen ausgearbeiteten Gesetzentwurf vor, den 
sie als Verhandlungsbasis empfahlen. Ihm entsprechend soll das Gewerbe 
der Zahntechnik. wie es bisher bestanden und in der Verordnung vom 
Jahre 1892 seinen gesetzlichen Ausdruck fand, allmählich erlöschen, dafür 
aber den derzeitigen konzessionierten Zahntechnikern und den als (iehilfen 
derzeit, arbeitenden Anwärtern eine Erweiterung ihrer bisherigen Befug- 
nisse eingeräumt werden. Die Vertreter der Zahnärzteschaft nahmen dieseu 
Vorschlag. der alle Wünsche der Zahntechniker enthielt, jedoch nach dereu 
eigenen Erklärung nicht als letztes und unabänderliches Wort zu betrachteu 
war, entgegen, um ihren Korporationen Bericht zu erstatten und Weisungen 
bezüglich ihres weiteren Verhaltens, insbesondere über das weiteste Aus- 
maß der zu gewährenden Zugeständnisse, einzuholen. Inzwischen wurde 
das Volksgesundheitsamt (des Staatamtes für soziale Verwaltung), das 
«ich von den Korporationen über deren Standpunkt informieren ließ, von 
dieser Aktion verständigt. 

Nach Ablauf des Sommers wurden die meritorischen Verhandlungen 
wieder aufgenommen. Zuvor aber hatte der Zentralärzterat (die Wirt- 
«chaftliche Organisation der Ärzte Wiens), der in dieser Frage auch sein 
Votum abzugeben berufen war, seinen Standpunkt präzisiert und die zahn- 
ärztlichen Vertreter verpflichtet, daran festzuhalten. Der Zentralärzterat 
nahm als Verhandlungsgrundlage den Regierungsentwurf vom Jahre 1917 
an und wies das Verlangen der Zahntechniker und ihrer Gehilfen nach 
einer Erweiterung ihrer Befugnisse auf Extraktionen entschiedenst zurück 
mit dem ausdrücklichen Begehren, daß das Verbot der Vornahme vou 
Zahn- oder Wurzelextraktionen und von sonstigen blutigen Eingriffen 
‚im Gesetz enthalten sein müsse. 


r) Siche die Österr. Zeitschr. f. Stomat., H. 4, 1919, S 96. 


296 Kleine Mitteilungen. 


Mehrere im Volksgesundheitsamt unter dem Vorsitz des Unterstaats- 
sekretärs Prof. Dr. Tandler gemeinsam abgehaltene Beratungen (die 
letzte am 28. Oktober d. J.) führten zu keinem positiven Resultat. Doch 
fand zwischen den Vertretern der Zahnärzte und der konzessionierten Zahn- 
techniker am 3. November d. J. wieder eine Konferenz statt, die unter 
Festhaltung der von den Ärzten gestellten Haupt- 
bedingungen 'zu einer Einigung führte. Doch haben die 
Gehilfen ihre Teilnahme an dieser Beratung abgelehnt. Eine ausführ- 
lichere Darstellung der Verhandlungen folgt. S. F. 


m 


Kleine Mitteilungen. 





(Das neue Ärztegesetz in Tschechoslowakien.) Nach dem Gesetze 
vom 15. Juli 1919 ist die Ausübung der ärztlichen Praxis im Gebiete des 
tschechoslowakischen Staates gestattet: 1. Staatsbürgern der tschecho- 
slowakischen Republik, die bis 31. Juli 1919 das ärztliche oder, soweit 
solche noch gültig sind, das wundärztliche Diplom an einer Universität 
im Gebiete des tschechoslowakischen Staates oder der ehemaligen öster- 
reichisch-ungarischen Monarchie erworben haben, wenn. sie des Diplomes 
nicht verlustig geworden sind. 2. Staatsbürgern der tschechoslowakischen 
Republik, die nach dem 31. Juli 1919 das medizinische Doktordiplom an 
irgendeiner Universität des tschechoslowakischen Staates erworben haben, 
soweit sie des Diplomes nicht verlustig geworden sind. 3. Fremden Ärzten, 
die zur Professur an irgendeiner medizinischen Fakultät des tschechoslowa- 
kischen Staates berufen worden sind, soweit sie an dieser das Amt eines Pro- 
fessors verschen. Staatsbürgern der tschechoslowakischen Republik, die das 
ärztliche Doktordiplom an einer ausländischen Universität erworben haben, 
auf die sich die Bestimmung des ersten Absatzes nicht bezieht, ist die Aus- 
übung der ärztlichen Praxis nur nach durchgeführter Nostrifikation ge- 
stattet. Durch Staatsverträge mit anderen Staaten können Ausländer unter 
bestimmten Bedingungen zur Praxis in Tschechoslowakien zugelassen 
werden. Der Minister des öffentlichen Gesundheitsamtes und der körper- 
lichen Erziehung kann in berücksichtigungswürdigen Fällen Ausländer, die 
ein inländisches Doktordiplom erworben oder ein ausländisches Diplom 
“nostrifiziert haben, zur Ausübung der ärztlichen Praxis in der tschecho- 
slowakischen Republik zulassen. Der zur Praxis berechtigte Arzt kann 
sich wo immer nicderlassen, hat aber vor Beginn der Praxis das Diplom 
der betreffenden Behörde, die die Staatssanitätsverwaltung in erster Instanz 
besorgt, zur Einsichtnahme und Vormerkung vorzulegen. Über die näheren 
Bestimmungen über Nostrifikation, Reserve der Ausländer usw. werden 
besondere Verordnungen ergehen. (Nach den Aussiger „Ärztlichen Nach- 
richten“ 1919, Nr. 19.) 


wi - 0 A00 =-« 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Münzgasse 6. 


Osterreichische Zeitschrift für Stomatologie 
Organ für, die wissenschaflichen Zahnärzte Österreichs. 
Offizielles Organ des Vereines österreichischer Zahnärzte, des Vereines Wiener Zahnärzte, 


des Vereines deutscher Zahnärzte in Böhmen, des Vereines steiermärkischer Zahnärzte und 
der wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs. 





XVII. Jahrgang. Dezember 1919. | 12. Heft. 





Nachdruck verboten. 


Original Arbeiten. 





Antrittsvorlesung 


des a.o Professors Dr. Rudolf Weiser, Vorstandes des zahnärztlichen 
Universitätsinstitutes in Wien. 


Das zahnärztliche Universitätsinstitut in Wien, 
seine Aufgaben und die Lehrkräfte, welche sie 
lösen sollen. 


Hochansehnliche Versammlung! 


Gründe rein persönlicher oder, besser gesagt, familiärer Natur, welche 
hier nicht interessieren können, haben mich ursprünglich davon abgehalten, 
mich um die hohe Auszeichnung zu bewerben, welche die medizinische 
Fakultät mir beschieden hat. — Desungeachtet dürfte vielleicht das Wahr- 
nehmen der „Vox populi, vox Dei“ das verehrliche Professorenkollegium 
bewogen haben, mich für die Leitung des zahnärztlichen Universitäts- 
institutes in Vorschlag zu bringen. Wenn Sie mich nun, sehr geehrte An- 
wesende, ‘trotz der Tatsache, daß ich aus den eingangs erwähnten Gründen 
einer Kandidatur um die Lehrkanzel am zahnärztlichen Institute der 
Wiener Universität entsagen zu müssen glaubte, am heutigen Tage, der 
. für mich unter allen Umständen ein Ehrenfest in einem ziemlich bewegten 
Lebenslaufe bedeutet, auf dieser Lehrkanzel stehen sehen, so können Sie 
wohl ermessen, daß nicht krankhafter Ehrgeiz, Eitelkeit oder sonst ein 
minderwertiges Motiv, sondern lediglich soziales, akademisches und kol- 
legiales Pflichtgefühl, deutschösterreichischer Patriotismus einerseits, die 
Freude am Lehren und der Hang zu wissenschaftlicher Forschung andrer- 
seits mich doch bestimmt haben, der mich ungemein ehrenden Berufung 
Folge zu leisten. 

Unter diesen Umständen mögen Sie, hochgeschätzte Zeugen dieses für 
mich denkwürdigen Ereignisses, mir glauben, daß ich all meine ver- 
fügbare Kraft daran setzen will, um zu erreichen, daß mein Dienst- 
antritt mit einem Aufschwung in der Entwicklung der Zahnheilkunde 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 26 


298 Rudolf Weiser. 


zeitlich wenigstens zusammenfällt. In der Ausführung dieses meines 
Vorsatzes hoffe ich wesentlich gefördert zu werden durch den Umstand, 
daß: meines verstorbenen Freundes Zsigmondy und meine bereits im 
Jahre 1901 einem in London tagenden „Komitee zur Regelung des zahn- 
ärztlichen Unterrichtes“ vorgelegten Forderungen !) in Prof. Dr. Julius 
Tandlers Artikel: „Vorschläge zur Reform des medizinischen .Unter- 
richtes“ mutatis mutandis gewissermaßen eine Sanktion erfahren haben. 
Durch die großzügige Aktion, welche Hofrat Prof. Dr. Julius Hochen- 
egg ins Leben zu rufen im Begriff ist, sollen dann alle Zukunftspläne 
bezüglich der Ausgestaltung des medizinischen und damit auch des zahn- 
ärztlichen Unterrichtes in greifbare Wirklichkeit umgesetzt werden. 

Soweit ich zurückdenke in die soziale Tätigkeit der za h n ärzt- 
lichen Delegierten in den Fachvereinen und in den Ärzte- 
kammern, stellten wir Zahnärzte stets die Notwendigkeit fest, dal 
der zahnärztliche Unterricht an den medizinischen Fakultäten nicht nur 
wissenschaftlich vertieft, sondern ganz besonders den Anforderungen der 
Praxis besser angepaßt und deshalb auch auf zwei Jahre aus- 
gedehnt werden müsse. Nur auf diese Weise kann erreicht 
werden: 

1. daß jeder Spezialist, der sich Zahnarzt nennt und als solcher 
praktiziert, auch Anforderungen, welche die konservierende, die operative 
Zahnheilkunde, die Zahnersatzkunde und die Orthodontie an sein Können 
stellen, vollkommen gewachsen ist; daß er nicht in allen schwierigeren 
operativen Fällen mit dem einen Auge nach einem älteren durch Empirie 
geschulten Routinier, mit dem anderen etwa gar nach einem allgemeinen 
Chirurgen schielt, der gerade Zeit und Lust hat, sich mit nn 
Detailangelegenheiten zu befassen, und 

2. kann bei einem sich auf zwei Jahre erstreckenden Unterrichte 
etwas ganz besonders Wichtigeserreicht werden: Die jungen 
Adepten der Zahnheilkunde werden die Zeit und auch an der Wiener 
Schule die Gelegenheit finden, sich eingehend und ausreichend mit 
der Zahntechnik zu befassen. So und nur so werden wir vor dem 
schweren Unrechte bewahrt bleiben, von einem oder dem anderen fanati- 
sierten einseitig-parteimännischen Abgeordneten als Gewerbepfuscher be- 
zeichnet, bzw., wie es vorgekommen ist, von einem Sektionschef des 
Handelsministeriums als solche behandelt — und der Volkswut 
preisgegeben zu werden. 


1) Die Stellung der österreichischen Zahnärzte zur Frage des zahnärztliche 
Studienganges. Von Dr. Otto Zsigmondy und Dr. Rudolf Weiser, Wien. 
Wiener zahnärztl. Mschr., Jahrg. III, Nr. 10. Redigiert von Dr. Siegfried Ornstein. 


Antrittsvorlesung. 299 


Und ich für meine Person werde noch für eine andere ein- 
schneidende Reform mit aller Macht einstehen, hochansehnliche Versamm- 
lung, und das ist: für eine Fachprüfung! — An dieser ge- 
eignetsten Stelle, heute, wo ich die Ehre genieße, die einfluß- 
reichsten, maßgebendsten Faktoren, die behördlichen Spitzen, welche am 
lebhaftesten an dieser pädagogischen und akademischen Frage interessiert 
sind, als Festgäste empfangen zu haben, ist der glückliche Moment ge- 
geben, nicht in die leere Luft hinaus, sondern mit Aussicht auf Erfolg die 
Notwendigkeit der Einführung einer Prüfung geradeindiesem 
Fache der Heilkunde zu erörtern. Ganz abgesehen von der hier zu weit 
führenden Frage, ob eine Fachprüfung mit Rücksicht auf das leidende 
Publikum wünschenswert, ob sie andrerseits im Zusammenhange mit der 
Spezialistenfrage empfehlenswert oder verwerflich sei, ist eine 
solche für Zahnärzte unabweislich notwendig, weil die Zahn- 
ärzte jener Kulturstaaten, in welchen für die Ausübung der Zahnheil- 
kunde nicht die vollen medizinischen Studien gefordert werden, auf ihre 
Spezialprüfungen sich stützend — die österreichischen Zahnärzte 
im allgemeinen nicht als zur Führung dieses Titels berechtigt angesehen 
haben, und ganz besonders ist sie notwendig im Hinblicke auf die dem- 
nächst bevorstehende Einführung von Prüfungen in ein 
zelnen Teilender Zahnheilkunde für solche konzessionierte 
Zahntechniker und für zahntechnische Gehilfen, welchen bereits 
die alte österreichische Gesetzgebung behufs Schaffung eines Übergangs- 
stadiums und behufs endgültiger Lösung der Zahnärzte-Zahntechniker- 
frage die Vornahme zahnärztlicher Eingriffe schon zugestehen wollte. 

In der Zahnheilkunde ist also die Spezialistenprüfung unerläßlich: 

1.als Ehrensache im Wettbewerbe mit ausländischen Zahnärzten und 

2. als ein unentbehrliches Rüstzeug im Kompetenzstreite mit den Ge- 
werbetreibenden, den Zahntechnikern, welche ihre zwar an sich völlig 
unberechtigten Aspirationen auf ärztliche Befugnisse mit dem Hinweis 
auf den von ihnen in ihrer gewerblichen Tätigkeit geforderten, den eben- 
falls Zahntechnik treibenden Zahnärzten .bisher aber erspart ge- 
bliebenen Befähigungsnachweis für die Ausübung der Zahn- 
technik — von jeher so wirkungsvoll begründen. 

Um jeglicher Mißdeutung von vornherein entgegenzutreten, sei es 
mir gestattet, auch hier festzulegen, daß ich — bei aller Befürwortung eines 
besonders im Übergangsstadium möglichst großzügigen und weitherzigen 
Ausgleiches mit den hochachtbaren und ein hochentwickeltes Kunstgewerbe 
treibenden Zahntechnikern jederzeit für die sogenannte reinliche Scheidung 
gewesen bin und bleiben werde. Das heißt also: nach meiner Über- 
zeugung sind dem Zahnarzte alle Manipulationen im Munde, dem Zahn- 


26* 


300 Rudolf Weiser. 


techniker die Arbeiten auf dem Modelle vorzubehalten. Die prozentuelle 
Teilung des Erträgnisses der geleisteten Arbeit hat nach genau zu ver- 
einbarenden und sozialen Prinzipien zu erfolgen. Läßt man sich von diesen 
Grundsätzen leiten, welche mehr oder weniger genau denjenigen ent- 
sprechen, wie sie unleugbar bei der Mehrzahl der standesbewußten Zahn- 
ärzte in Kraft stehen, hält man sich ferner vor Augen, daß das zahn- 
leidende Publikum im allgemeinen, die Kieferverletzten und die an Neu- 
bildungen der Kiefer im besonderen — sowohl der Zahnärzte, als der 
Zahntechniker unmöglich entraten können, daß somit beide Stände, 
der zahnärztliche, wie der zahntechnische, jederzeit reichlich 
lohnende Arbeit finden werden, daß sie ihrer hehren kulturellen Aufgabe 
gegenüber der leidenden Menschheit am besten dann gerecht werden 
und auch ihre eigenen materiellen Interessen dann am besten wahren 
können, wenn sie sich nicht in gehässiger Weise befehden, sondern Hand 
ın Hand sich ergänzen, und — wohlbeachtet — verfällt die neue 
Regierung nicht in die Schwäche der alten, daß sie bald unter dem 
Drucke der einen, bald unter den Einflüssen der anderen politischen Partei 
den Gewerbetreibenden auf Kosten der Ärzte und zum 
Schaden der Patienten eine Einräumung auf ärztlichem 
Gebiete nach der anderen erteilt, dann muß doch endlich — nach 
bald fünfzigjähriger Dauer (!) — die Zahnärzte-Zahntech- 
nikerfrage, dieser dunkle Punkt in der öffentlichen Rechtspflege, in einer 
beide Teile befriedigenden, keine der Parteien ver- 
letzenden Weise gelöst werden können! — 

Die oberwähnte Prüfung für Zahnärzte soll selbstredend 

3. auch ein Schutz für das zahnleidende Publikum werden. 

Sie soll endlich meines Erachtens eine rein praktische, dafür: 
aber eine um so ernstere Prüfung sein. 

Wenn ich den Moment, in dem ich mein Lehramt am zahnärztlichen 
Universitätsinstitute antrete, für geeignet erachte, um vor maßgebenden 
Kreisen ein Programm zu entrollen, so darf ich auch nicht verabsäumen. 
drei Felder unserer spezialistischen Tätigkeit zu beleuchten, welche für 
die Volkshygiene von bedeutender Tragweite sind: die Schulzahn- 
pflege, die Armenzahnpflege und die chirurgisch-prothetische Behandlung 
der Kieferverletzten. Während für die beiden ersteren ärztlichen Be 
tätigungsgebiete vorläufig nur erst vielversprechende Anfänge zu' ver- 
zeichnen sind, hat das letztgenannte im früheren Österreich-Ungarn bereits 
einen bemerkenswerten Grad der Entwicklung erreicht, 
so zwar, daß wir in unseren Leistungen gleichen Schritt hielten mit allen 
groen Kulturstaaten. — Es soll eine Hauptaufgabe des zahnärztlichen 
Universitätsinstitutes werden, diese drei Gebiete sorgfältig auszubauen 


- Antrittsvorlesung. 301 


und insbesondere auch das Pflichtgefühl und die Opferfreudigkeit, an 
diesem Ausbaue mitzuschaffen, in der jungen Ärzteschaft zu wecken und 
zu erhalten. | 

Ich übernehme heute ein trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten 
bei seiner Errichtung glänzend dastebendes Institut. Es 
ist die zweite Schöpfung meinessehrgeehrten Vorgängers, 
Regierungsrates Prof. Dr. Julius v. Scheffs, der durch sein über den 
ganzen Erdball verbreitetes Werk, das „Handbuch der Zahnheilkunde“, 
dazu beigetragen hat, auch den von österreichischen Ärzten gelieferten 
Bausteinen den gebührenden Platz in der zahnärztlichen Literatur zu 
sichern. Das im Herbst 1914 eröffnete Institut ist das Werk Scheoffs 
und seines auch organisatorisch so hochbegabten langjährigen Assistenten 
Doz. Dr. Bruno Klein, der seit drei Vierteljahren die Lehrkanzel inne- 
hatte und mit der supplierenden Leitung dieser Anstalt betraut war. 

Für die Verhältnisse vor Ausbruch des Weltkrieges würde das In- 
stitut seiner Aufgabe wahrscheinlich genügt haben. 

Um aber den Aufgaben, welche sich heute, in einer Epoche des 
Werdens und Neuerstehens, einem schaffensfreudigen Vorstande eines zahn- 
ärztlichen Universitätsinstitutes ganz von selbst und mit unwidersteh- 
licher Gewalt aufdrängen, gerecht werden zu können, müssen natürlich 
nicht unbedeutende bauliche Erweiterungen angestrebt werden. Ein un- 
erläßliches Erfordernis sind ein Krankensaal mit einer, wenn 
auch nur bescheidenen Anzahl von Betten, ein zweiter, bedeutend 
größerer ÜÖperationsraum für aseptische Operationen, ein Operations- 
saal zur Vornahme von Extraktionsübungen und auch von 
septischen Mundoperationen und endlich ein eigener geräumiger 
‚Sterilisationsraum. | 

Wenn bettlägerige Patienten Aufnahme finden sollen, muß logischer- 
weise auch eine auf Krankenkost eingerichtete Wirtschaft geschaffen 
werden und, wenn eine solche systematisiert ist, dann ließe sich für die 
Assistenzärzte, die Zahntechniker und die zahnärztlichen Assistenz- 
schwestern eine Verpflegsstation errichten, wodurch Zeitersparnis und ein 
gewisses ethisch-hebendes Heimatsgefühl für die Institutsangehörigen er- 
zielt würde. Mit einem Wort: Aus den längst nicht mehr 
ausreichenden Ambulatorien wird die durch die 
Wucht der Tatsachen dringend geforderte Zahn- 
klinik sich entwickeln müssen! — — — 

Von großem Werte wäre es ‚auch, im Schoße des zahnärztlichen 
Universitätsinstitutes eine Ausbildungsschule für zahnärzt- 
liche Assistenzschwestern zu errichten, wodurch einer 
Reihe von Frauenexistenzen ein besseres Fortkommen gesichert und der 


302 Rudolf Weiser. Antrittsvorlesung. 


lebhaften Nachfrage nach gutgeschulten derartigen Hilfskräften seitens 
der zahnärztlichen Ambulatorien und höheren Institute sowie der prak- 
tischen Zahnärzte Rechnung getragen würde. 

Neben diesen großen Erfordernissen werden sich so manche kleinere 
Bedürfnisse leicht befriedigen lassen. So gehört z.B.in das freilich jetzt 
schon sich als viel zu klein erweisende zahntechnische Laboratorium 
auch eine Drehbank, an welcher ein tüchtiger Mechaniker arbeitet, der 
sich gleichzeitig auf das Schärfen von Bohrern und das Schleifen von 
Messern, Exkavatoren und Meißeln, sowie auf das Reparieren von Appa- 
raten verstehen müßte: sowohl die jungen Ärzte als auch die Zahn- 
techniker würden dadurch so manches zu sehen. bekommen, was sie für 
ihren Beruf mit großem Vorteile verwerten könnten. 

Daß für die Durchführung eines so groß angelegten Programmes 
unmöglich die Kraft einer einzelnen Person ausreicht, ist sonnenklar. 

Die ungeahnte Ausdehnung des Faches, die eigenartigen Beziehungen 
der Zahnheilkunde zum Kunstgewerbe, ihre Betätigung auf einem Grenz- 
gebiete zwischen ihr und anderen Spezialfächern der Medizin, die tech- 
nische Schwierigkeit, der Aufwand von Zeit und Mühe, welcher mit der 
praktischen Ausführung ihrer Maßnahmen verbunden sind, bringen es mit 
sich, daß zur ersprießlichen Arbeit eines zahnärztlichen Universitäts- 
institutes, zumal wenn ein sehr populär gewordenes Ambulatorium mit 
demselben affiliiert ist, ein ganzer Stab von Lehrern, Assistenten und 
anderen Hilfekräften mitwirken muß. Trotz des Gefühles moralischer 
Verpflichtung, dem mich an und für sich mit freudigem Stolze 
erfüllenden Rufe Folge zu leisten, hätte ich den Mut hierzu nicht ge 
funden, wenn sich nicht zufälligerweise gerade jetzt 
eine so glänzende Gruppe von begeisterten Mit- 
arbeitern ergeben hätte, wie sie günstiger nicht 
leicht wieder angetroffen werden kann. 

Von den Assistenten, welche ich aus der Ära Regierungsrat Scheff 
übernommen habe, bekennen sich zwei, Dr. Franz Peter und Dr. Harry 
Sicher, mit Stolz auch als Schüler Tan dle rs, Kollege Prof. F l eis ch- 
mann, der seine Mitwirkung am Institute zugesagt hat, zur Schule 
Ebner und Schaffer, Doz. Zilz, der sich ebenfalls anschließen will, 
ist Schüler Hofrat Weichselbaums, Ehrlichs und Kolles, unser 
Röntgenologe Dr.Pordes ein Schüler Holzknechts, als Internist 
ein Schüler Hermann Schlesingers, als Zahnarzt ein SchülerScheffs, 
der Orthodontist Doz. Oppenheim war Assistent Angles und ist 
Schüler Grünbergs, Kollege Prof.Pichler übermittelt uns die Tra- 
ditionen Eiselsbergs und Blacks, Doz. Dr. Bruno Klein, der sich 
als supplierender Leiter so vorzüglich bewährt hat, wird mit Assistent 


Alexander Klein. Zur Pathologie und Therapie der Blutungen ete. 303 


Peter zusammen durch persönliche Unterweisung dafür sorgen, daß die 
kommende Generation der Zahnärzte sattelfest in der Zahntechnik wird, 
meine Wenigkeit wird die von den Meistern Billroth, Wölfler, 
Partsch, Willoughby Dayton Miller und Sache über- 
kommenen Prinzipien vertreten. Noch fahnde ich nach einem Physiker. 
der meine Schüler in die Praxis der Elektrotechnik und der Mechanik ein- 
führt; nach einem Künstler, der uns in der Keramik und in der Por- 
zellanmalerei auf die richtigen Bahnen führt. 


+ ` 


Im zweiten Teil seiner Antrittsvorlesung: Einführung in 
die zahnärztliche Mundchirurgie, erläutert der Vortragende 
an der Hand von über 50 Diapositiven das angekündigte Thema und 
schließt mit folgenden Worten: 

Die zahnärztliche Therapie ist als ein wundervolles Ineinandergreifen 
von Chirurgie, allgemeiner Medizin und angewandter Technologie zu be- 
trachten; dieser eigenartige Wissenszweig bedarf daher auch einer be- 
sonderen Behandlung und Pflege von seiten der Staatsämter für Unter- 
richt, für Volksgesundheit und für die Finanzen. Wir — vor Jahresfrist 
noch österreichisch-ungarisch gewesenen — Zahnärzte erfüllen die Grund- 
bedingungen, um dieses Fach der Heilkunde zur Blüte zu bringen, so dab 
unsere Schulen binnen kurzem eine Attraktion in so mancher Beziehung 
auch für amerikanische Zahnärzte bilden könnten, vorausgesetzt, 
daß die kompetenten Staatsverwaltungen gewillt und in der Lage | sein 
werden, uns ausgiebig zu unterstützen. 

Erfüllt von dem Ernst meiner Mission, bitte ich i Staatsamt für 
Unterricht, das Staatsamt für Volksgesundheit, das Professorenkollegium, 
die engeren Fachkollegen und nicht zuletzt meine Hörer und Hörerinnen. 
mich in der schwjerigen Lösung meiner Aufgaben tatkräftig zu unter- 
stützen, zum Heile und zum Wohle der leidenden Mitmenschen, zum Wieder- 
aufbau unseres niedergebrochenen Vaterlandes und zum Ruhme unserer 
Alma mater! 


Aus dem zahnärztlichen Institut der Wiener Universität 
' (Vorstand: Prof. Dr. R.W eiser). 


Zur Pathologie und Therapie der Blutungen aus der 
| Mundhöhle. 


Von Dr. Alexander Klein, Assistenten. 


Die Zahnblutungen gehören zu den häufig beobachteten Zwischen- 
fällen bei der Ausübung der operativen Zahnheilkunde. 


304 Alexander Klein. 


Während sie aber in der Mehrzahl der Fälle geringerer Natur und 
durch relativ einfache Maßnahmen leicht zu beheben sind, können sie, 
bedingt durch gewisse Allgemeinerkrankungen oder durch die Zerreißung 
eines größeren Gefäßstammes, bedrohlichen Charakter annehmen, ja sogar 
den Tod herbeiführen. 

Besonders gefährlich können Nachblutungen werden, da sie 
häufig erst stunden- oder tagelang nach dem ersten Eingriff erfolgen und 
oft erst in vorgerücktem Stadium, wenn der Patient bereits stark aus- 
geblutet ist, dem Arzt zu Gesicht kommen. Sie sind entweder durch die 
Loslösung eines Thrombus oder nach dem Nachlassen der Wirkung eines 
_ gefäßverengernden Medikamentes (Adrenalin, Suprarenin) durch die ab- 
norme Erschlaffung der Gefäßmuskulatur bedingt. 

Zur Blutung können das Zahnfleisch, das Periost oder der Knochen 
selbst Anlaß geben, wobei die Blutung arteriellen, venösen 
oder parenchymatösen Charakter haben kann. 

Die Arterien, welche im Bereiche der Mundhöhle und Kiefer bei 
Blutungen in Betracht kommen, gehören dem Stromgebiet der Art. carotis 
externa an. Neben der Art. lingualis sind Art. maxillaris externa und 
interna mit ihren zahlreichen Ästen die arteriellen Blutleiter dieser Region. 

Venöse Blutungen werden durch die Läsion der Wurzeln 
der drei Venae jugulares hervorgerufen. Diese stehen durch zahlreiche 
Wurzelanastomosen untereinander in Verbindung und werden durch dichte 
submuköse Venennetze verstärkt. 

Außerdem kommen noch, wie erwähnt, parenchymatöse 
Blutungen zur Beobachtung. 

Es sind gewisse Erkrankungen, bei welchen schwere Blutungen 
spontan, nach Traumen oder auch nach chirurgischen Eingriffen auf- 
treten können. 

Die Rigidität der Gefäße bei Arteriosklerose, welche ja zu Blutungen 
in allen Körperteilen Anlaß geben kann, spielt natürlich auch bei Blu- 
tungen in der Mundhöhle eine Rolle. 

Weiters sehen wir bei Fällen von schwerem Ikterus eine auffallende 
Neigung zu Blutungen ähnlich wie bei Leberkrankheiten überhaupt, welche 
mit längerdauerndem Verschluß der Gallengänge einhergehen. 

Häufig machen sich bei der Leukämie Blutungen schon frühzeitig 
bemerkbar. Insbesondere Blutungen aus dem Zahnfleisch können in 
späteren Stadien einen bedenklichen Grad erreichen. 

Ebenso finden wir bei einer Reihe von Infektionskrankheiten die 
Neigung zu Blutungen. Fleckfieber, Typhus, Variola und Malaria sowie 
die septischen Erkrankungen zeigen häufig die Anzeichen der hämor- 
rhagischen Diathese im weiteren Sinn des Wortes. 


Zur Pathologie und Therapie der Blutungen aus der Mundhöhle. 305 


Morawitz+) rechnet zur hämorrhagischen Diathese im strengen 
Sinn des Wortes alle jene Fälle, bei welchen die Neigung zu multiplen 
Blutungen als einziges oder als wichtigstes Krankheitssymptom auftritt. 
Er nimmt dabei an, daß es sich einerseits um die Schädigung einzelner 
bestimmter Gefäßbezirke, andrerseits um eine herabgesetzte Gerinnbarkeit 
des Blutes, d.h.um eine Störung der Thrombenbildung handelt. 

Da diese beiden Erscheinungen bisweilen gemeinsam auftreten, so 
wäre an einen Zusammenhang derselben zu denken. 

In den Bereich der echten hämorrhagischen Diathese gehören drei 
irankheitsgruppen: 1. der Skorbut mit der Müller-Ba rlo w schen 
iırankheit; 2. die Purpura oder Morbus maculosus Werlhofii; 3. die 
::;ämophilie. 

Alle schweren Blutungen im Bereiche der Mundhöhle erfordern ein 
zielbewußtes und zweckentsprechendes ärztliches Handeln. Hierbei muß 
man unterscheiden zwischen Blutungen infolge hämorrhagischer Diathes« 
und Blutungen nach Verletzung eines kleineren oder größeren Gefäßes. 

Haben wir z.B. bei einem Patienten, welcher seiner eigenen Angabe 
nach, die Neigung zu Blutungen besitzt, einen zahnchirurgischen Eingriff 
vorzunehmen, dann empfiehlt es sich, ihm prophylaktisch durch 3 Tage 
dreimal täglich 0,5g Calcium lacticum intern zu geben. Aber auch -um 
Nachblutungen zu verhindern, gab ich, wenn die primäre Blutung auf 
andere Weise gestillt wurde, Calcium lacticum mit gutem Erfolge. 

Am häufigsten beobachten wir Blutungen nach Zahnextraktionen. 

Worin bestehen die ärztlichen Maßnahmen zur Blutstillung ? 

Häufig gelingt es uns durch das feste Aufbeißenlassen auf eine 
größere Lage Watte, Blutungen zum Stillstand zu bringen. Wenn dies 
nicht .der Fall ist, so schreiten wir an die Tamponade der durch die 
Extraktion entleerten Alveolen mit hochprozentiger Jodoformgaze. Nach 
Weiser?) empfehlen wir ausdrücklich die hochprozentige (200%) Gaze, 
da diese eine ungleich stärkere Wirkung hat und einige Tage belassen 
werden kann, ohne sich zu zersetzen. Dabei ist von größter Wichtigkeit, 
das Zahnfach durch Ausspritzen mit einer antiseptischen Flüssigkeit 
gründlich von Blutgerinnseln zu reinigen und den Tampon direkt dem 
Knochen anzudrücken. Darüber kommt neuerdings ein großer Wattebausch, 
auf welchen der Patient aufzubeißen hat. 

Trotz der vasokonstriktorischen Wirkung bei Kälteapplikation und 
der Förderung der Blutgerinnung bei Anwendung von Hitze gind die 
häufig geübten kalten oder heißen Spülungen nicht zu empfehlen, da der 
mechanische Insult beim Spülen der Blutkoagulierung nicht förderlich ist. 


1) Jahreskurse f. ärztl. Fortbildung, 1919, Märzheft. 
?) Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1913, H. 6. 


Österr. Zeitschrift für Stomatologie. 27 


306 Alexander Klein. Zur Patholsgie und Therapie der Blutungen etc. 


Herrenknecht?) empfiehlt die Einlage von in steriles Wachs 
getauchten Wattebäuschehen in die Alveole. Niemayer*) fixiert einen 
Tampon im Zahnfach durch eine Kautschukplatte. 

Vielfach, so unter anderem von Marks?) und Zilz®), wird Ge- 
latine in Form des keimfreien Präparates von Merck sowohl als Injektion 
als lokal empfohlen. Ebenso berichten zahlreiche Autoren 7) über günstige 
Erfolge bei Anwendung von Tierserum. 

Von medikamentösen Blutstillungsmitteln wären weiters zu erwähnen: 
Styptiein, Nebennierenpräparate, Penghawar Djambi. Zu warnen ist vor 
Eisenchlorid, welches ätzt und Embolien verursachen kann. | 

Blessing‘) berichtet über günstige Resultate mit Coagulen 
Kocher Fonio und Hydrastinin „Bayer. Ersteres wird in Form von Auz- 
spritzungen der Alveole oder durch Applikation der 10%igen Lösung 
mittelst Tupfer angewendet. 

Fonio®) empfiehlt bei schweren hämophilen Blutungen auch die 
intravenöse Darreichung seines Coagulens. 

Hydrastinin wird subkutan oder intern in Form von Liquor Hydra- 
stinini (Bayer) und von Tabletten verordnet. 

Auch bei der lokalen Anwendung der 10%igen Lösung sind 
Blessings Erfahrungen im allgemeinen gute. 

Auf Grund der Berichte anderer Autoren +°) und fußend auf per- 
sönlichen Erfahrungen, glaube ich, daß trotz der großen Menge der uns 
zur Verfügung stehenden Medikamente diejenigen Blutungen, welche auf 
Tamponade mit nachfolgendem Aufbeißen auf einen Wattebausch nicht 
zum Stehen kommen, auch nach Anwendung von Medikamenten nicht 
sicher gestillt werden können. Wohl können diese zur Unterstützung der 
Tamponaden, resp. chirurgischen Therapie wertvolle Dienste leisten. 

Sehr gut wird man in manchen Fällen profuse parenchymatöse Blu- 
tungen mit dem Thermokauter beeinflussen können. 

Das beste Mittel, hartnäckige. Blutungen zum Stillstand zu bringer. 
ist die Naht, welche ich in vielen Fällen, wo es sich um ernstere Blu- 
tungen gehandelt hat, mit bestem Erfolge angewendet habe. Die Technik 
der Naht kann eine zweifache sein. Man tamponiert in vorher be- 


°) Deutsche zahnärztl. Wochenschr., 1908, S. 45. 

%) Nach Blessing, Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk., 1916, H. 10. 
*) Zahnärztl. Rundschau, 1916, Nr. 21. 

“) Österr. Zeitschr. f. Stomat., 1910, Nr. 6. 

") Lehfeld, Zahnärztl. Rundschau, 1913, Nr. 38 

*) Deutsche Monatssehr. f. Zahnheilk., 1916, H. 10. 

") Deutsche med. Wochenschr., 1916, S. 1344. 

1") Dr. Franz Peter. Österr. Zeitschr. f. Stomat, H.2, 1919. 


‚Johann Messing. Über die antiseptische Drainage der Pulpakanäle. 307 


schriebener Weise die Alveole mit Jodoformgaze und vereinigt die Gin- 
givalränder durch die Naht über dem Tampon. 

Besser ist es noch, den in die Wunde ragenden Alveolarfortsatz mit 
der Luerzange abzukneipen. Dadurch erhält man zwei große Zahnfleisch- 
lappen, welche man durch tiefgreifende starke Nähte fest aneinander legen 
und dadurch die Wunde vollständig schließen kann. Der Vorteil dieses 
Vorgehens ist, daß man den Tampon entbehren kann, bei dessen Ent- 
fernung es häufig zu Nachblutungen kommen kann.. 

Auch bei Gefäßblutungen, welche nicht selten nach operativen Ein- 
griffen oder durch Arrosion infolge nekrotisierender Prozesse in der 
Mundhöhle beobachtet werden, ist die einfache Umstechung der blutenden 
Stelle der sicherste Vorgang und nur in den seltensten Fällen wird man 
zur Ligatur der Carotis externa schreiten müssen. 

An dem reichen Material des zahnärztlichen Institutes hatte ich 
Gelegenheit, die meisten der erwähnten Methoden kennen zu lernen und 
mich über deren therapeutischen Wert zu informieren. 

Auf Grund meiner Erfahrungen halte ich die Naht für die sicherste 
und zweckentsprechendste Methode der Blutstillung, da wir durch sie in 
die Lage versetzt werden. durch einen einfachen chirurgischen Eingriff 
jede Blutung in der Mundhöhle zum Stillstand zu bringen. 


Aus dem zahnärztlichen Institut der Wiener Universität 
(Vorstand: Prof. Dr. Rudolf Weiser). 
Über die antiseptische Drainage der Pulpakanäle. 
(Vorläufige Mitteilung.) 


Von Dr. Johann Messing, Demonstrator am Institut. 


Die nach Pulpaextraktion, auch bei streng aseptischem bzw. anti- 
septischem Vorgehen des ÖOperateurs, häufig auftretende periostale Emp- 
findlichkeit kann unter Umständen den Arzt zu einschneidenden Maß- 
regeln zwingen. Die meisten helfen sich in solchen Fällen damit, dal 
sie den betreffenden Zahn offen lassen, um so den Sekreten freien Abfluß 
zu verschaffen. Diese Art der Behandlung hat jedoch große Nachteile. 
Erstens ist der auf- bzw. absteigenden Infektion Tür und Tor geöffnet 
und zweitens. können sich die Pulpakanäle sehr leicht verstopfen, womit 
der beabsichtigte Zweck illusorisch wird. 

Weiser geht in einem solchen Fall so vor, daß er den betreffenden 
Zahn durch einen mit einem Desinfiziens getränkten Wattefaden drainiert. 


277 


308 Jobann Messing. 


Wenn es sich z. B.um einen einwurzeligen Zahn handelt, so wird eine 
mit Watte, die mit dem betreffenden Desinfiziens getränkt ist, umwickelte 
Millernadel längs einer Wand der Kavität nach außen geführt, der übrige 
Hohlraum mit Guttapercha gut ausgefüllt und nun die Nadel heraus- 
gezogen, so daß der Faden festgehalten wird. Das herausragende Ende 
wird kurz abgeschnitten. 

Es erhebt sich nun die Frage, ob eines der in der Zahnheilkunde 
gebräuchlichen Desinfizientien durch einige Zeit imstande ist, eine aui- 
steigende Infektion zu verhindern. Es wurden zu diesem Zwecke 15 Fälle 
von mir bakteriologisch nachgeprüft, außerdem eine große Anzahl von 
Patienten klinisch beobachtet. Als Desinfizientien wurden verwendet: 
Kreosot und Trikresol-Formalin. Während das letztere sich schon in 
40 Teilen Wassers löst, braucht das Kreosot 120 Teile heißen Wassers 
zur Lösung. Aus diesen Gründen scheint das Kreosot geeigneter, der 
auflösenden Wirkung des Speichels länger zu widerstehen. Es hält sich 
ziemlich lange in den Fäden und ist noch nach Wochen durch den Geruch 
deutlich erkennbar. Kreosot hat auch eine außerordentlich starke Des- 
infektionskraft. Es tötet nach Guttmann sporenfreie Bakterien in 
0,3% Lösung in 1—2 Minuten und hemmt die Entwicklung der Tuberkel- 
bazillen auf erstarrtem Blutserum schon bei einem Gehalt des Nähr- 
bodens von 1: 2000. 

Was die Art der bakteriologischen Untersuchungen anbetrifft, so ` 
mußte zunächst das etwa zurückgebliebene Desinfiziens aus den unter- 
suchten Fäden entfernt werden. Seit den Desinfektionsversuchen von 
Geppert wissen wir, welch große Bedeutung der Entgiftung der unter- 
suchten Objekte beizumessen ist. Während bei den Metallsalzen die 
chemische Neutralisation eine leichte ist, ist es bei den Phenolen -sehr 
schwierig, das Desinfektionsmittel restlos zu entfernen, und am ehesten 
noch durch starke Natron- oder Kalilauge möglich, deren Verwendung 
sich aber wegen ihrer stark keimtötenden Eigenschaften verbietet. 
Schneider und Seligmann empfahlen das Auswaschen des Unter- 
suchungsobjektes in 2°/o Natronlauge. Nach ihrem Vorschlag wurden die 
Fäden behandelt. 

Um festzustellen, ob die verwendete Lauge keine schädigende Wir- 
kung auf die Keime ausübt, wurde in einem Vorversuch ein mit 2°/o 
Natronlauge getränkter Wattefaden in eine mit Staphylokokken infizierte 
Bouillon versenkt. Es ließ sich keine Wachstumshemmung feststellen. 

Das orale Ende des Fadens wurde stets abgeschnitten. Der Rest 
wurde in Streptokokkenbouillon versenkt. Bei Trübung der Bouillon wurde 
im hängenden Tropfen und im Ausstrich untersucht. Es wurden dabei 
gewöhnlich nur Streptokokken, nur selten Stäbchen festgestellt. Aus der 


Über die antiseptische Drainage der Pulpakanäle. 309 


Bouillon wurde auf Agar weitergezüchtet. In einigen Fällen wurde auch 
auf anaerobes Wachstum untersucht. Dabei wurde die Bouillon im Wasser- 
bade !/» Stunde erhitzt und dadurch von Sauerstoff möglichst befreit, 
dann mit sterilisierttem Paraffinöl überschichtet. 


Bei 6 von den bakteriologisch untersuchten Fällen blieb der drai- 
nierende Faden eine mehr oder minder lange a steril. Folgende Bei- 
spiele mögen angeführt werden. 


6| Pulpitis, Pulpaextraktion nach Arsenapplikation. Kreosotdrai- 
nage. Nach 3 Tagen Faden noch steril. 


|3 Pulpaextraktion nach Druckanästhesie Zunächst Trikresoldrai- 
nage durch 4 Tage. Faden bleibt steril. Nunmehr Kreosotdrainage durch 
4 Tage. Gleicher Befund. Neuerliche Kreosotdrainage durch 6 Tage, wieder 
derselbe Befund. Anaerob kein Wachstum. 


3| Pulpaextraktion nach Druckanästhesie. Kreosotdrainage durch 
2 Tage; Faden steril. Neuerliche Kreosotdrainage durch 4 Tage. Faden 
wieder steril. Neuerliche Kreosotdrainage durch 6 Tage. Bouillon wird 
leicht trübe. Mikroskopisch Kokken. Anaerob kein Wachstum. 

I? Pulpaextraktion nach Druckanästhesie. Nach 11tägiger Kreosot- 
drainage Faden steril. 

In den übrigen Fällen erwies sich der drsinierende Faden nicht als 
steril. Es konnte ein, wenn auch nur kümmerliches und langsames Wachs- 
tum im Bouillon und auf Agar festgestellt werden. Wenn auch diese Herab- 
setzung der Wachstumsfähigkeit noch keinen zwingenden Schluß auf eine 
dauernde Virulenzverminderung der infizierenden Bakterienflora zuläßt, so 
erlaubt doch. die klinische Beobachtung diese Annahme. Es konnte bei 
keinem der zahlreichen beobachteten Patienten auch bei mehrmonatiger 
Beobachtung ein Rezidivieren der Periostempfindlichkeit oder ein peri- 
apikaler Prozeß konstatiert werden. 

Längere klinische Beobachtungen werden noch nähere Aufklärungen 
über die Dauererfolge der Drainage ergeben. Das prompte Aufhören der 
Druckerscheinungen und der Schmerzen lassen dieselbe als eine Bereiche- 
rung der Wurzelbehandlungsmethoden erscheinen. 


Literatur: Grassberger, Die Desinfektion im Handbuch der Hygiene 
von Rubner. — Paschkis in Scheffs Handbuch der Zahnheilk., Bd. II. -— 
Schneider und Sceligmann, Zeitschr. f. Hygiene und Inf., 1908. — Lauben- 
heimer, Phenol und seine Derivate als Desinfektionsmittel. Urban & Schwarzen- 
berg, 1909. — Geppert, Berl. klin. Wochenschr, 1890, 8.246. — Guttmann. 
Zeitschr. f. klin. Med.. Bd. 13 


310 Winke für die Praxis. 
Winke für die Praxis. 


Repetitorium der Brückentechnik. 
Von Dr. Emil Steinschneider. 
(Schluß.!) 

Zum Schluß sei hier noch einiges gesagt über die Indikationen 
und Kontraindikationen für den Brückenzahnersatz. 

Bei der Stellung der Indikation für den Brückenzahnersatz sollen 
wir uns von zwei Gesichtspunkten leiten lassen: 1. ob unter Berück- 
sichtigung der Anzahl und Stärke der Pfeiler eine Brücke überhaupt mög- 
lich ist und 2., wenn dies festgestellt ist, wie er zu machen ist, d.h. wie 
die einzelnen Pfeiler untereinander zu verbinden sind, um möglichste 
Stabilität der Brücke zu gewährleisten. 

Mit Zugrundelegung des früher Gesagten wird die Indikation nicht 
schwer zu stellen sein und es bleibt nur übrig, mit wenigen Worten 
noch auf einige Kontraindikationen einzugehen, die sich nicht ohne weitere: 
aus dem oben Gesagten ergeben. und zwar sind es 1. der tiefe (gesunkene) 
Bi und 2. das nächtliche krampfhafte Zusammenbeilsen. 

Ad 1. Hier ist der durch Extraktionen, Abrasion der Zähne u. dgl. 
entstandene gesunkene Bils zu verstehen. Wenn es nicht möglich ist, ihn 
durch ausgedehnte Brückenarbeiten zu „heben“ wird das 
Anbringen cines partiellen Brückenzahnersatzes immer zu Mißerfolgen 
führen. 

Wohl zu unterscheiden davon ist der partielle tiefe Bib. entstanden 
durch Verlängerung der Zähne bei fehlenden Antagonisten. Hier kann 
man sich, wie schon oben erwähnt, durch Devitalisieren, Abtragen un:l 
Krönen der zu langen Zähne helfen oder durch operative Entfernung eines 
hypertrophischen Alveolarfortsatzes. 

Ad 2. Gegen das nächtliche Zusammenbeißen hat Karolyi die 
Aufbilskappen angegeben, die, mit. weichbleibendem Kautschuk ausgekleidet. 
mit Vorteil bei Patienten anzuwenden sind, die ihre Brücken trotz rich- 
tiger Konstruktion immer wieder losheben oder sonstwie beschädigen. 

Ich will nicht schließen, ohne ein paar Worte über Schrauben- 
brücken zu sagen. Ich bin weit davon entfernt, hier die verschiedenen 
Arten der Schraubenbrücken zu besprechen, nur die Indikationen hierfür 
möchte ich prüfen, die ich mir vor Jahren zurechtgelegt habe. Und da mul: 
ich jetzt sagen, daß ich über die Zweckmäßigkeit dieser Art von Brücken 
anderer Meinung geworden bin. nicht so schr wegen der Mißerfolge, die bei 
Schraubenbrücken zutage treten, sondern weil ich der Meinung bin, daß 





1) Siehe Österr. Zeitschr. f. Stomat., H.3, 4, 5. 6, 1919. 


Referate und Bücherbesprechungen. 3ll 


bei vorsichtigem, zielbewußtem und genauem Arbeiten die Konstruktion 
von Schraubenbrücken eine unnötige Belastung von Arzt und Patient 
darstellt. Es mag für gewisse Fälle angenehm und praktisch sein, vom 
Arzte abnehmbare Brücken im Munde der Patienten zu wissen, aber im . 
allgemeinen müssen wir sagen, daß in fast allen Fällen, die eine In- 
dikation für Schrauben geben würden, und zwar 1. Möglichkeit des Weiter- 
baues, 2. Divergenz der Pfeiler, 3. Erleichterung beim Einsetzen großer 
Brücken, 4. Verbindung mit Schienen für lockere Zähne, 5. Sattelbrücken 
und Bryanscher Bügel, 6. Reparaturmöglichkeit gebrochener Facetten 
man ohne Anwendung von Schrauben, in vielen Fällen sogar besser, aus- 
kommt. Die Schraube ist immer ein locus minoris resistentiae der ganzen 
Brücke, und da eine Brücke nur so stark ist wie ihr schwächster Teil, 
bin. ich dazu gekommen, Schrauben möglichst auszuschalten und andere 
Wege einzuschlagen, die zu demselben Ziele führen, gleichgültig, ob es 
augenblicklich sich darbietende Schwierigkeiten sind, zu deren Überwindung 
die Schraube dienen sollte (Punkte 2—5), oder Vorteile, die man aus der 
Konstruktion mit Schrauben für später erhofft (Punkt 1 und 6). In diesen 
Fällen — insbesondere für den ins Auge gefaßten Zweck des Weiter- 
baues, für den es andere, später einmal zu besprechende Methoden gibi 
— ist die Brücke zu diesem Zeitpunkte am Schraubenteil oft so her- 
genommen, daß mit der neuen Brücke oft auch die alte neu gemacht 
werden sollte. Punkt 6 der Indikationen kann beim heutigen Stand der 
Brückentechnik füglich gänzlich entfallen. Mit einer gewissen Berechti- 
gung kann man noch die Indikationen 4 und 5 gelten lassen. Insbesondere 
der Bryvansche Bügel wird zweckmäßig immer abschraubbar gemacht 
werden. l 


* * 
% 


Vielleicht war es einigen Kollegen von Nutzen, diese kurzen, schlag- 
wortartigen Notizen gelesen zu haben. Ich behalte mir vor, einzelne 
Punkte, die hier im Zusammenhang nur gestreift werden ‘konnten, aus- 
führlicher zu behandeln. 





Referate und Bücherbesprechungen. 





* Medizinische Terminologie. Ableitung und Erklärung der gebräuchlichsten 
Fachausdrücke aller Zweige der Medizin und ihrer Hilfswissenschaften. 
Von Walter Guttmann, Oberstabsarzt z.D.an der Kaiser Wilhelm- 
Akademie für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin. X. und 
XI. vollkommen umgearbeitete Auflage mit 309 Abbildungen. Urban & 
Schwarzenberg, Berlin-Wien 1919. i 


Verfasser hat sich bei Abfassung des Buches zur Aufgabe gestellt: 
Die gebräuchlichsten Fachausdrücke der gesamten modernen Medizin ein- 


312 Referate und Bücherbesprechungen. 


schließlich ihrer naturwissenschaftlichen Hilfsdisziplinen (besonders 
Chemie, Physik, Botanik, Zoologie) begrifflich sowohl wie ethymologisch 
zu erklären. Daß und wie ihm dies gelungen, beweist die Tatsache, daß 
in wenigen Jahren die 10. und 11. Auflage notwendig wurde. Nicht nur 
Studierende und Laien, die mit der mediZinischen Sprache vertraut 
sein müssen (Rechtsanwälte, Richter), auch Ärzte werden das Buch mit 
Vorteil gebrauchen, das ihnen kurz, prägnant und erschöpfend die so ver- 
wickelte medizinische Terminologie erklärt. Unterstützt wird dieses Be- 
streben durch zahlreiche kleine Abbildungen, die besser als Worte den 
Begriff erläutern. Wenn auch speziell zahnärztliche Termini technici hie 
und da fehlen und bei einer nächsten Auflage nachgetragen werden 
können, so tut das dem auch äußerlich prächtig ausgestatteten Werk nur 
wenig Abbruch und muß allen, die ärztliche Literatur lesen, als uneut- 
behrliches Vademekum willkommen sein. Steinschneider. 





Der Wert der seitlichen Kaubewegungen. Von Alfred Gysi, D. D. S. 
Schweiz. Vierteljahrsschr. f. Zahnheilk., Bd. XXIX, Nr.1. 


Prof.G ysi hat ein einfaches und sinnreiches Experiment erdacht, 
das den Wert jener künstlichen Zähne dartut, die in einem Gelenksartiku- 
lator aufgestellt worden sind und dem Patienten seitliche Kaubewegung 
gestatten, zum Unterschied von den nur in einem Scharnierartikulator 
aufgestellten Zähnen, die entweder keine oder nur unrichtige Seiten- 
bewegung gestatten. G ysis hierzu konstruierter Apparat registriert auto- 
matisch den Druck, der nötig ist, um mit einer Messerschneide senkrecht 
z.B.eine 2 mm dicke Hanfschnur durchzuschneiden. Im Durchschnitt war 
ein senkrechter Druck von 14 Pfund nötig. Führte aber das Messer eine 
ziehendd seitliche Bewegung von nur 3mm aus, so wurde die Schnur mit 
nur 7 Pfund Druck zerschnitten usf. Diese und ähnliche Versuche sind in 
ihren Folgerungen leicht auf das menschliche Gebiß zu übertragen, wobei 
noch der Umstand zu berücksichtigen ist, daß bei senkrechtem Druck der 
Zähne die Fasern meist unzerkleinert bleiben, wobei nur der Saft zwischen 
ihnen ausgequetscht wird, so daß die trockenen Fasern eine schwer zu 
schluckende und schwer zu verdauende Masse bilden. Wallisch jun. 


—— - — 


Fugenlose Kronen. Das Sharpsche System in abgeänderter Form. Von 
B.Dirks, Würzburg. D.M. f. Z., H.9, September 1919. 


Ganz mit Recht wendet sich Dirks gegen jene Methoden der 
Kronenanfertigung, bei welchen der Ring an einem Abdruck des Zahnes 
unter Radierung des von Gingiva gedeckten Halsteiles geschieht; noch 
vermehrt werden die Fehlerquellen, wenn man nach Oettinger, um 
den Abdruck unzerbrochen aus dem Munde zu entfernen, den Gips nicht 
vollständig erhärten läßt, weil so gerade die dünnen Zahnfleischränder 
am Halse kaum jemals genau im Abdruck wiedergegeben werden können. 
Es kann nur das Anpassen des Ringes im Munde des Patienten genaue 
Resultate ergeben, und wenn man bedenkt, wie viel auch bei dieser Methode 
gesündigt wird, so kann man nicht eindringlich genug vor jeder Modell- 
arbeit warnen. Sicher. 


Aus Vereinen und Versammlungen. 313 


Aus Vereinen und Versammlungen. 





Verein österreichischer Zahnärzte. 
Ordentliche Monatsversammiung vom 14.Mai 1919. 


Präsident: Dr. Breuer. 
Schriftführer: Dr Kränzl. 


Anwesend die Herren DDr.Ballasko, Bardach, Borschke, Brau- 
ner, Breuer, Bum, Dussik, Eiffinger, Frank, Frey, Fuchs, Herz, 
Hillischer, Kail, Kränzl, Kraus, Kronfeld, Löffler, Müller, 
Ornstein, F.Peter, Pichler, Piwniczka, Schlemmer, Schön, 
Schönauor, Schwabe, Smreker, Stauber, Steinschneider, 
Stenner, Prof Weiser, Ziegler. — Als Gäste: Sicher, Pordes, 
Kulka, Janisch, Eder, Suge: Weinländer, Mediz. Breuer jun., 
Mediz. H o f er. 


Der Präsident begrüßt die Mitglieder und Gäste und dankt dem 
Herrn Prof. W eiser und dem Herrn Doz. K lein für die Liebenswürdig- 
keit, der Versammlung den Saal des zahnärztlichen Universitäts-Instituts 
zur Verfügung gestellt zu haben. 

Die Wirtschaftliche Organisation der Ärzte Wiens will bei Standes- 
fragen, welche Zahnärzte berühren, die Vertreter der Zahnärztevereine 
einladen. Ebenso hat die Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte 
Deutschösterreichs ersucht, zu ihren Ausschußsitzungen jeweils einen Ver- 
treter des Vereines zu entsenden. Daher bittet Präsident die Mitglieder, 
zur Wahl je eines Vertreters für die Wirtschaftliche Organisation der 
Ärzte Wiens und die Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutsch- 
österreichs zu schreiten und schlägt als Vertreter für die Wirtschaftliche 
Organisation der Ärzte Wiens Dr.Dussik und für den Ausschuß der 
Wirtschaftlichen Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs Doktor 
Schönauer vor. Beide Herren werden gewählt. 

Ferner teilt Präsident mit, daß eine Zuschrift vom Zentralverband 
der österreichischen Stomatologen eingelaufen sei. Der Zentralverband hat 
die Absicht, sich zu reorganisieren. Es sollen die Vereine, die bisher in 
Deutschösterreich bestanden haben, sich zusammenschließen, wie es seiner- 
zeit für ganz Österreich gedacht war. Es bst dies jetzt auch eine un- 
bedingte Notwendigkeit und ist dieser Plan sehr zu begrüßen. Wie dieser 
Zusammenschluß erfolgen soll, muß noch in diesem Sommer beraten werden 
und er: bittet die Miglieder abzustimmen, ob sie damit einverstanden sind, 
daß der Verein einen Vertreter zur Mitberatung in den Stomatologen- 
verband entsende. Angenommen. 

Der Präsident macht noch darauf aufmerksam, daß bis 30. April das 
Bekenntnis zur Erwerbssteuer abzugeben gewesen wäre, welche Frist noch 
bis 31. Mai verlängert wurde, und bittet dann Herrn Dr. Si cher, seinen 
Vortrag „über die anatomischen Grundlagen der intra- 
oralen Leitungsanästhesie am Unterkiefer“ zu halten. 
(Erschien ausführlich in H.7, Jg. 1919 der Österr. Zeitschr. f. Stomat.) 

Präsident spricht in seinem sowie im Namen aller Herren den herz- 
lichsten Dank für seinen höchst lehrreichen und interessanten Vortrag aus. 

Prof. W eiser ladet die Herren, die sich dafür interessieren, ein, 
zwischen 4 und 6 Uhr im Universitäts-Institut der Ambulanz beizuwohnen, 


314 Aus Vereinen und Versammlungen. 


in der fast immer eine oder mehrere Anästhesien nach der Methode Sicher 
vorgenommen werden. 


Präsident dankt dem Herm Prof. Weiser für die Einladung 
sowie Herrn Dr. Sicher für seinen Vortrag. 


Reg.-Rat Frey erwähnt noch das harte Los unserer Kriegsgefangenen 
in Sibirien, darunter unseres Kollegen Dr.Koller, der inzwischen, er- 
taubt sein soll. Es soll am 1. Juni ein Sammeltag stattfinden, damit das 
Kapital zur Befreiung der Gefangenen — es sind 3 Millionen hierzu nötig 
— aufgebracht werde, und fordert die Kollegen auf, sich daran zu beteiligen. 


Der Präsident dankt Herrn Dr. Frey mit warmen Worten für 
seino Mitteilungen, wünscht allen Herren einen guten Sommer, gute Er- 
holung und spricht die Hoffnung aus, im Herbst unter besseren Verhält- 
nissen wieder die Sitzungen aufnehmen zu können. 


Verein Wiener Zahnärzte. 
Hauptversammlung vom 28. Jänner 1919. 


Vorsitzender: Prof. Dr.L.Fleischmann. 
Schriftführer: Dr. E.Bermann. 


Prof.Dr.Fleischmann: Ich eröffne die Sitzung, konstatiere die 
Beschlußfähigkeit und begrüße die erschienenen Herren. Die diesmalige 
Hauptversammlung ist um so wichtiger, als es die erste seit dem Jahre 
1915 ist, die wir abhalten können. Ich selbst will in meinem Berichte 
mich kurz fassen. — Sie wissen, daß es uns infolge der Kriegsereignisse 
nur mit großer Mühe möglich war, das Vereinsleben aufrecht zu erhalten 
und wenn uns nicht Doz. Dr. Klein mit der Fülle des klinischen Materials 
beigesprungen wäre, so wäre ein solcher überhaupt unmöglich gewesen. 
— Ihm gebührt daher das größte Verdienst und ich lege großen Wert 
darauf, dies im Protokoll festzulegen. 

Ich erteile zunächst dem Vizepräsidenten Dr. Steinschneider 
das Wort. 

Dr.Steinschneider: Als Vertreter des Vereines haben Doktor 
Reschofsky und ich an einer Besprechung bei Dr. Rieger teil- 
genommen, zu der Abordnungen der Zahnärzte, Zahntechniker und Ge 
hilfen erschienen waren, die zunächst unverbindlich untersuchen sollten. 
ob eine Einigung in der Technikerfrage möglich wäre. Einer der Herren 
hatte auch ein Elaborat mitgebracht, welches ich Ihnen verlesen werde; 
dieses soll nun die Grundlage darstellen, auf der wir weiter arbeiten 
werden. Ich bitte Sie, zwei Herren als Ihre beglaubigten Mandatare zu 
wählen, die namens des Vereines die Verhandlungen führen sollen. 

Dr. Reschofsky beantragt, das Plenum wolle beschließen, in 
die Verhandlung einzugehen und zwei Mandatare für diese Verhandlungen 
zu ernennen. 

Per. acclamationem werden Dr. Reschofsky und Dr. Stein- 
sehneider gewählt. 

Dr.Bermann verliest den Jahresbericht: 


Aus Vereinen und Versammlungen. 315 


M. H.! Als ich vor 4 Jahren anläßlich der letzten abgehaltenen Jahres- 
vereammlung den Jahresbericht verlas, waren erst 4 Monate des Weltkrieges ver- 
gangen, heute liegt das grauenhafte Morden hinter uns und wir echicken uns an, 
unsere Kräfte, die bis vor kurzer Zeit vollauf von der zahnärztlichen Kriegschirurgie 
und der Heilung der Kriegsschäden in Anspruch genommen waren, der fast ent- 
wiekelten Friedensarbeit zu widmen. So wie jede zivile Tätigkeit mußte auch 
unser Vereinsleben dem Krieg seine Opfer bringen und so darf es Sie nicht 
wundern, wenn mein Bericht nach 4 Jahren recht mager ausfällt.. Versuchten wir 
auch in den Jahren 1915 und 1916 ein Vereinsleben durch Abhaltung unserer 
Monatsversammlungen zu erhalten, so zeigte es sich doch, daß dieses Leben ein 
kinstliches war — zum größten Teile hatte wohl der Umstand die Schuld. daß 
weitaus der größte Teil der Mitglieder teils im Felde, teils im Hinterlande zu 
militärärztlicher Tätigkeit einberufen war und selbst die wenigen in Wien Ver- 
bliebenen kaum die Zeit fanden, sich zu den Sitzungen einzufinden. Ich bin objektiv 
genug, auch einen zweiten Grund, der besonders für das Jahr 1916 maßgebend 
war, anzuführen Die Einseitigkeit unserer Programme — immer nur Kieferschüsse 
— konnte auf die in Wien Verbliebenen, die zum größten Teile selbst mitten drin 
standen, wenig Anziehung ausüben, die anderen, die damit nichts zu tun hatten, 
die wollten auf die Dauer eo ipso nichts davon wissen. Und doch erlaube ich mir, 
hier auf die Wichtigkeit dieses Gegenstandes hinzuweisen, denn ein jeder von uns 
wird in der Folgezeit Patienten mit Folgen nach geleilten Kieferverletzungen 
zu behandeln haben, und ich glaube, daß es jeder nachträglich dankbar begrüßen 
wird, auch nach dieser Seite hin scin Wissen und Können bereichert zu haben — 
Ich glaube, dieses dürften die zwei wichtigsten Punkte sein, die unser Vereins- 
leben so beeinträchtigten, daß wir seit April 1916 bis Februar 1918 keine Monats- 
versammlungen abhielten. Im Jahre 1918 beriefen wir neuerlich dio Herren zu 
Sitzungen ein und versuchten durch einen ständigen Programmpunkt ‚Aus der 
Praxis“ alle Mitglieder zur Tätigkeit heranzuziehen, überdies hat ihnen der wissen- 
schaftliche Ausschuß in seinem Herbstzirkular ein Programm für die Folge in 
Aussieht gestellt, das wohl in jeder Hinsicht geeignet ist, das Interesse zu heben. 
— Der, ich mub es konstatieren. auffallende Massenbesuch ist für den Ausschufs 
eine Anerkennung Ihrerseits und jedenfalls ein Lohn für jeden Vortragenden und 
Demonstrierenden, der gewiß keine Befriedigung darin finden kann, für 4 bis 
5 Anwesende seine Mühe aufgewendet zu haben. 

Der Verein war am 24. Jänner 1917 vom Verein österreichischer Zahnärzte 
za einem Vortrag Dr.Bohrs über die neue Steuernovelle und am 18. März 1917 
zu einem Vortrag Prof. Chiaris „Plomben, Zähne und Prothesen in den tieferen 
Luftwegen“ geladen, doch war auch an diesen beiden Sitzungen die Beteiligung 
von seiten unserer Vereinsmitglieder nur cine mäßige. ` 

In der Technikerfrage sollte durch Vorlage eines neuen Technikergesetzes 
die leidige Frage endgültig gelöst werden. Die Delegierten des Vereines nahmen 
an 2 Sitzungen des Zentralverbandes teil, in denen zu der Vorlage Stellung 
genommen werden sollte. Die damals schon herrschenden Zustände im Abgeordneten- 
hause ließen es als unwahrscheinlich erscheinen, daß diese Vorlage je Gesetz, 
zumindest nicht von diesem Abgeordnetenhause crledigt werden dürfte. Der wenige 
Tage später erfolgte Umsturz hat auch diese Vorlage wie so viele andere hinweg- 
gefegt und die Lösung gehört der Zukunft an. 

Die Zahl der ordentlichen Mitglieder ist durch die im Jahre 1915 erfolgte 
Aufnahme der Herren Prof. Loos und Weiser auf 75 gestiegen. Im Jahre 1916 
verloren wir die Ausschußmitglieder Bunzl, 2. Schriftführer, und Hartwig, 
unseren Bibliothekar. Ersterer starb als Kriegsgefangener in russischer Kriegs- 
gefangenschaft. letzterer nach langem, qualvollem Leiden. Im vorigen Jahr ver- 
loren wir unser ordentliches Mitglied Dr.Schild, der plötzlich aus dem Leben 
schied. — Ich bin mir bewußt, im Sinne aller zu sprechen, wenn ich dem Ge- 
danken Ausdruck gebe, daß wir diesen pflichttreuen und lieben Kollegen cin dauernd 
ehrenvolles Angedenken bewahren wollen. Ausgetreten resp. automatisch infolge 


316 Aus Vereinen und Versammlungen. 


Nichtbezahlung des Jahresbeitrages ausgeschieden sind 5 ordentliche Mitglieder, 
so daß für das Jahr 1918 ein Mitgliederstand von 68 resultiert. 

Von unseren Mitgliedern wurde unser Präsident zum außerordentlichen Pro- 
fessor ernannt und der Verein feierte diese Auszeichnung in einem gemütlichen 
Abend beim „Silbernen Brunnen“. 

Unser Ehrenmitglied Reg. Rat Prof. Scheff hat im vorigen Jahre die 
Altersgrenze erreicht und mußte vom Lehramte scheiden. Die meisten von uns 
dürfte diese Nachricht überrascht haben, da es wohl keinem je einfiel, dem jungen 
Scheff seine Jahre nachzurechnen. Die Verdienste, die er sich als Gründer 
einer zahnärztlichen Klinik erworben, sind zu bekannt, als daß ich sie hier be- 
sonders hervorheben müßte; er war der Lehrer des größten Teiles der Zahnärzte 
Österreich-Ungarns. Was er jedoch unserem Vereine war, kann nicht genug betont 
werden. Er ermöglichte es uns seinerzeit, unsere Sitzungen von der Bierbank 
in die Räume des Universitäts-Instituts in der Türkenstraße zu verlegen und stellte 
uns dadurch das gesamte klinische Material zur Verfügung, er gewährte uns in diesen 
schönen Räumen, die seine Zähigkeit engherzigem Bürokratismus abgerungen, 
neuerdings Gastfreundschaft und förderte unseren Verein mit Rat und Tat in 
jeder Hinsicht, so daß es unsere Pflicht ist, ihm neuerdings unseren herzlichsten, 
innigsten Dank auszusprechen. In ihm hat der Verein einen guten „Hausgeist“ 
verloren, möge der neue unserem Vereine ebenso gewogen sein. 

M. H.! Ich bin mit meinem Berichte zu Ende und will denselben nicht 
schließen, ohne nochmals den innigen Appell an Sie zu richten, jeder nach seinen 
Kräften den Ausschuß, den Sie heute wählen werden, in seiner Arbeit zu unter- 
stützen; denn nur so ist es möglich, unseren Verein der Höhe zuzuführen. 


Der Bericht wird von dem Plenum mit Beifall aufgenommen. 

Dr.Friedmann erstattet den Kassabericht, aus dem hervorgeht. 
daß das Vereinsvermögen gegenwärtig K 3788.— beträgt; gleichzeitig 
schlägt er eine Erhöhung des Jahresbeitrages vor mit Rücksicht auf die 
erhöhten Ausgaben und bittet, das Plenum wolle beschließen, daß auf die 
rückständigen Mitgliedsbeiträge der im Kriege eingerückt gewesenen Mit- 
glieder verzichtet werde. 

Zu Revisoren werden Dr.Herz und Dr. Längh bestimmt. 

Dr.Spitzer: Ich bin gegen eine Erhöhung, da der Verein keine 
Gelder aufzuhäufen braucht. Sollte es einmal nötig sein, größere Summen 
zu irgend einem Zwecke zu investieren, dann könne an das Plenum 
herangetreten werden und ich bin sicher, daß dann auch das Geld be- 
willigt werden wird. Ich halte es für recht und billig, daß die ausständigen 
Beiträge der Kriegseingerückten amnestiert werden. (Ängenommen.) 

Dr. Längh: Die Kassagebarung ist eine ‘so ausgezeichnete, daß 
sogar ein Plus von K 50.— in den Barbeträgen vorhanden ist. — Ich 
bitte das Plenum, unserem verdienten Kassier das Absolutorium zu er- 
teilen. (Geschieht per acclamationem.) 

Dr.Friedmann: Die überschüssigen K 50.— gestatte ich mir als 
Spende der Bibliothek zuzuführen. Ä 

Prof.Dr.Fleisehmann: Meine Herren! Wir kommen nun zur 
Wahl des Ausschusses und zur Aufnahme der neugemeldeten Mitglieder. 
Gelegentlich der letzten Ausschußsitzung teilte mir Dr. Friedmann 
mit, daß im Verein gegen mich eine Mißstimmung herrsche. Es möge daher 
die Wahl des Ausschusses unbeeinflußt durch irgend welche Direktive vor 
sich gehen. — Als Skrutatoren bitte ich die Herren Dr. Fehl und Doktor 
Reschofsky zu fungieren. 





Aus Vereinen und Versammlungen. 317 


In den Ausschuß werden gewählt: 

Obmann: Prof.Dr. Fleischmann. Obmannstellvertreter: Doktor 
Steinschneider. 1.Schriftführer: Dr.Bermann. 2. Schriftführer: 
Dr. Berger. 1. Kassier: Dr. Friedmann. 2. Kassier: Dr. Herz- 
Fränkl. Bibliothekar: Dr.Sicher. 1. Beisitzer: Dr. Klein. 2.Bei- 
sitzer: Dr.Spitzer. Neu aufgenommen die Herren: Dr.Beck, Doktor 
Franz Peter, Dr. Pordes, Dr. Schleyen und Dr. Sicher. Prof. 
Dr.Fleischmann und Dr.Spitzer widmen der Bibliothek je K 50.—. 


Sitzung vom 20. Februar 1919. 


Vorsitzender: Prof. Dr.L. Fleischmann. 
Schriftführer: Dr.E.Bermann. 


Prof.Dr.L. Fleischmann eröffnet die Sitzung und begrüßt die 
erschienenen Gäste. Vor Eingehen in die Tagesordnung berichtet er, daß 
die Verhandlungen mit den Zahntechnikern weitergehen. Er erinnert daran, 
daß in der letzten Sitzung zwei Mitglieder delegiert wurden, die im Verein 
mit den Delegierten der anderen zahnärztlichen Vereine verhandeln. Der 
Entwurf, der vorgelegt wurde, wurde im wesentlichen angenommen bis auf 
einen wichtigen Punkt, der es den Zahntechnikern verwehrt, Extraktionen 
vorzunehmen. Auf Grundlage der übrigen Punkte wird weiter verhandelt 
und später referiert werden. Die Delegierten werden keine bindenden 
Schlüsse fassen, sondern lediglich dem Plenum Vorschläge unterbreiten. 

Dr. Paul Berger: Über eine Modifikation der Mamelokschen Inlay- 
und Plättchenschiene mit einer historischen Übersicht über die Entwicklung 
der a ennEanpatate für lockere Zähne. (In extenso erschienen H.8, 
1919, d. Z.) 

Prof. Dr. L. Fleischmann dankt dem Vortragenden herzlichst 
für seine interessanten Ausfühungen und eröffnet die Diskussion. Ä 

Dr. B. Gottlieb: Ich möchte auf einige Punkte des Vortrages 
zurückkommen. Herr Dr.Berger gibt Ligaturen um die Zähne, wie es 
oft vorgeschlagen wurde, um sie für die Dauer der Behandlung zu im- 
mobilisieren ünd die Zähne in einem bestimmten Verhältnis zu erhalten. 
Sowohl für die Immobilisierung wie für die weiteren technischen Arbeiten 
ist es empfehlenswerter, wie ebenfalls schon vielfach vorgeschlagen, auf 
die Zähne Gips zu gießen und ihn hart werden zu lassen. Sind die Zähne 
so locker, daß man sie in eine andere Stellung bringen will, so kommt 
zuerst die Ligatur und wird dann der Gips darauf gegeben. Es ist besser, 
die Stifte um vieles länger stehen zu lassen, um bei der Fixierung der 
Plättchen auf Parallelität achten zu können. Daß man von dem Guß- 
verfahren abgekommen ist, stimmt nicht. Es gibt Kollegen, die begeisterte 
Anhänger vom Gußverfahren sind. Daß beim Stanzen und Löten ein Sich- 
werfen der Schiene viel eher erfolgen kann, als wenn die Schiene gegossen 
ist, ist selbstverständlich. Es kommt in erster Reihe darauf an, wie die 
Schiene gegossen wird. Es ist gut, für jeden Zahn einen Eingußstift zu 
schaffen, die wie Radien zum Eingußkanal zusammenlaufen. Wenn die 
modellierte Schiene so gegossen wird, so hat man durch die Fixierung 
der einzelnen Radien eine große Gewähr, daß sich das Modell nicht ver- 
biegt. Durch die Ausdehnung der Schiene auf die Schneidekante bekommen 


318 Aus Vereinen und Versammlungen. 


wir einen kosmetischen Nachteil. Der Schutz gegen den Kaudruck ist 
der Vorteil, den wir dafür eintauschen. Es ist nun zu entscheiden, in 
welchem Maße sich diese zwei Momente aufwiegen, und Individalisierung 
wird am Platze sein. Als besonderen Grund hat Herr Kollege Berger 
angeführt, daß Fälle vorkommen, wo die Schneide abbricht. Bei der Inlay- 
schiene ist ein Abbrechen der Frontzähne nicht selten. Bei den Plättchen- 
schienen ist das schwer denkbar. Es ist kaum anzunehmen, daß solche 
Fälle vorkommen. Fixierung und Alveolarpyorrhoe bildet ein langes 
Kapitel, aber keinesfalls ist es richtig, daß in jedem Falle die Eiterung 
versiegt. Als Gegenargument für eine solche Behauptung genügt auch 
nur ein Fall, den ich demonstrieren kann, in welchem die Zähne fixiert 
wurden, und zwar durch ausgedehnte Brücken, und in dem die Eiterung 
in einem oberen Eckzahn 10 Jahre angehalten und jeder Therapie Hohn 
gesprochen hat. Bei der Fixierung bei Zähnen mit Alveolarpyorrhoe ist 
nur ein Moment im Auge zu behalten. Wenn wir die Alveolarpyorrhoe 
heilen wollen, so handelt es sich um Körperbestandteile, die eine gewisse 
pathologische Beweglichkeit besitzen. Wollen wir in solchen Fällen eine 
Therapie einschlagen, so ist es vom medizinischen Standpunkt klar, daß 
wir den eiternden Teil fixieren müssen. Bei der Alveolarpyorrhoe müssen 
wir also den Zahn fixieren. Wenn wir den Reiz ausgeschaltet haben, 
können wir sie heilen. Daß eine Alveolarpyorrhoe, die zur Heilung neigt, 
durch ein ständiges Wackeln des Zahnes nicht geheilt wird, ist selbst- 
verständlich. 

Dr.S.Hecht: Zu den soeben vernommenen Ausführungen erlaube 
ich mir zunächst einige Bemerkungen technischer Art zu machen. 

Der Vortragende verfährt bei der Konstruktion einer Inlayfixations- 
schiene derart, daß er durch das für jeden Zahn modellierte Wachsinlay 
einen vorher dem Wurzelkanal angepaßten Stift aus 18er Gold hindurch- 
führt, denselben vorstehen läßt und daneben einen zweiten Stift als Ein- 
gußstift anbringt. Das Vorstehenlassen des Wurzelstiftes ist nicht zu 
empfehlen, denn derselbe würde das Einfließen des Gußgoldes unbedingt 
stören, wenn nicht gar die Herstellung des ganzen Goldinlays verhindern, 
weil sich das Gußmaterial zweifellos um das vorstehende Wurzelstiftende 
ballen würde. Wenn das Inlay aus 22er Gold oder gar aus Feingold ge 
gossen wird, ist die Verwendung von 18er Gold für Wurzelstifte aus dem 
Grunde gewagt, weil beim Eingießen des höherkaratigen Inlaygoldes der 
minderkarätige Stift sehr leicht zusammenschmelzen würde. In prinzipieller 
Beziehung sei Folgendes bemerkt: Nach vielfacher und langjähriger Er- 
fahrung, die ich mit der Fixation gelockerter Zähne gemacht habe, kam 
ich zur Überzeugung, daß als die einzig richtige und zweckmäßige Fixation 
nur diejenige anzusehen ist, die mittelst der Inlayschiene ausgeführt 
wird. Diese Befestigungsart, die zuerst von Rhein angegeben und nach- 
her vielfach modifiziert wurde, ist bei uns meines Wissens zuerst von 
Weiser geübt worden. Bei der Bindung lockerer Zähne kommt es 
wesentlich darauf an, daß der Bandageapparat so wenig als möglich 
voluminös und so wenig als nur angängig die Oberfläche der Zähne 
bedeckt, sondern in die Zähne versenkt. wird. Diese beiden Momente stehen 
nämlich in engem Zusammenhange mit der Haltbarkeit des Apparates 
bzw. der Vorschubleistung der Entstehung der sekundären Karies. Während 
all die heute wohl schon als abgetan zu betrachtenden Ganz- und Halb- 


Aus Vereinen und Versammlungen. 319 


ring- und oberflächlich liegenden Schienenbefestigungen infolge ihrer 
mechanischen Konstruktion und der Funktion der Zähne nach Auflösen 
des Zementes die idealsten Schlupfwinkel für Speisereste und deren Zer- 
setzungspunkte abgeben, ist das exakt gearbeitete Inlay eine Zahnfüllung 
und als solche nur den Haltbarkeitsgesetzen der Füllungen überhaupt 
unterworfen. Und da das Inlay außerdem, sei es mittelst des durch das- 
selbe in den Wurzelkanal reichenden Stiftes, sei es mittelst des von ihm 
selbst in die Wurzel fortlaufenden Gußzapfens den Zahn in seiner Längs- 
achse mehr oder weniger tief durchmißt, bietet es dem gelockerten Zahn 
eine Stütze, wie sie von keiner anderen Vorrichtung übertroffen wird, 
Die Plättchenschiene steht: der Inlayschiene weit nach. Wohl ist sie 
auch mit Wurzelstiften versehen, aber da sie erstens einen mehr oder minder 
großen Teil der Zahnoberfläche deckt, zweitens nicht im Zahnkörper als 
Ganzes versenkt, sondern mehr oberflächlich liegt, erreicht sie einerseits 
lange nicht die Solidität des Inlays und begünstigt andrerseits die Ent- 
stehung von Karies. Ich bin jedoch trotz der relativ großen Vorzüge 
der Inlayschiene anderen Schienenarten gegenüber weit davon entfernt, 
dieselbe’ etwa als Ideal eines Befestigungsapparates hinzustellen. Es haften 
ihr, mag sie noch so sorgfältig und einwandfrei gearbeitet sein, diejenigen 
Mängel an, welche jeder festsitzenden, d.h. für den Arzt nicht ohne weiteres 
entfernbaren Brückenprothese eigen sind. Für die Schienung mittelst der 
Inlayschienen kommen bekanntlich hauptsächlich die. gelockerten sechs 
Frontzähne sowohl des Ober- wie Unterkiefers in Betracht. Für die seit- 
lichen und die Mahlzähne soll diese Art von Bandage, weil unzweckmäßig, 
nicht verwendet werden. 

Haben wir nun mit einem ganz enormen Aufwand an Zeit und Geduld 
eine solche Vorrichtung fertiggestellt und in die Zähne versenkt, so 
drängt sich mit geradezu gebieterischer Notwendigkeit die Frage auf: 
Was ist zu machen, wenn eines der Inlays sich lockert? Diese Frage 
finde ich sonderbarerweise in keiner von den einschlägigen Abhandlungen 
auch nur gestreift. Es hat fast den Anschein, als wichen solche Arbeiten 
dieser Frage mit einer gewissen Scheu aus. Ist der ganze Apparat locker, 
was eben — so weit wenigstens meine eigene Erfahrung reicht — fast nie” 
der Fall ist, dann hat die W iedergutmachung des Schadens weiter keine 
Schw ierigkeit. Es bleibt in einem solchen Falle nichts anderes übrig, als 
die ganze Schiene herauszubohren. Hiermit ist aber meistens das Schicksal 
des ganzen Verfahrens besiegelt. Man kann den aufgebohrten und in dem 
überwiegenden Prozentsatz der Fälle geschwächten Zähnen keine zweite 
Schiene mehr zumuten. Es bleibt daher — die Zustimmung des Behandelten 
vorausgesetzt — nichts anderes übrig, als entweder alle lockeren Zähne 
zu entfernen und unter Benützung der etwa noch festeitzenden Zähne als 
Brückenpfeiler, eine Brückenprothese anzufertigen oder aber, wenn man 
alle noch konservierbaren Wurzeln behalten will, auf dieselben Richmond- 
kronen aufzusetzen und sie zu einem Ganzen zu vereinigen. Unter diesem 
Gesichtswinkel betrachtet, steht der vielgeprüfte Praktiker vor Inangriff- 
nahme einer Befestigung lockerer Zähne vor einem Dilemma: Schiene 
oder Decapitatio der Kronen von Haus aus. Ich persönlich schreite, die 
Einwilligung des Patienten vorausgesetzt, so radikal diese Methode vielen 
auch scheinen mag, ohne Bedenken zur Abtragung der Kronen und An- 
fertigung eines Ersatzes, der entweder aus miteinander verbundenen 


320 Aus Vereinen und Versammlungen. 


Richmondkronen oder aber einer wirklichen Brücke besteht. Ich halte es 
mit Bruhn, der den Wert der Wurzel mit vollem Rechte viel höher 
stellt als denjenigen der Krone. Eine Krone kann ich ersetzen, eine durch 
unzweckmäßige vorhergegangene Verwendung unbrauchbar gewordene 
Wurzel aber keinesfalls. 

Somit. wäre ich auch bei demjenigen Punkte angelangt, der vielfach 
die Kontraindikation für die Verwendung einer festsitzenden Schiene abgibt. 

Bislang ist es uns leider nicht: gelungen, eine abnehmbare Schiene 
zu konstruieren. Theoretisch hat diese Frage Luniatschek wohl 
schon vor Jahren gelöst, indem er in die Wurzeln mit einem Gewinde 
versehene Hülsen einzuführen und dieselben mit der Schiene mittelst 
Schraubenspindel zu befestigen empfiehlt. Praktisch ist jedoch diese 
Methode schon aus rein anatomischen Gründen in den allerseltensten Fällen 
durchführbar. Die Wurzeln der oberen seitlichen Inzisivi sind nur äußerst 
selten und die der vier unteren nahezu nie stark genug, um eine Erweite- 
rung des Kanals bis zu jenem Durchmesser zu gestatten, um eine von 
ihm angegebene Schraubenhülse aufzunehmen. 


Vor der Verbindung einer Inlayschiene mit festsitzenden Hülsen- 
kronen für die Biskuspidaten, wie sie uns an dem oben demonstrierten 
Patienten vorgeführt wurde, ist nicht eindringlich genug zu warnen. 


Was nun die günstige Beeinflussung der Pyorrhoe durch Fixation 
der betroffenen Zähne betrifft, habe ich im allgemeinen mit der Fixation 
gute Erfahrungen gemacht. Allerdings wende ich der chirurgischen 
Therapie derselben meine ganze Aufmerksamkeit zu. 


Ob die Alveolarpyorrhoe durch die Extraktion der Pulpa günstig 
beeinflußt wird, ist wohl eine vor Jahren aufgestellte Hypothese, aber 
noch keineswegs erwiesene Tatsache. 


Dr. Maximilian Pick: Ich möchte nur fragen, wie sich Kollege 
Berger vorstellt, daß durch seine Modifikation der Plättchen- bzw. 
Inlayschiene der Kaudruck in der vertikalen Richtung gemildert wird. 
Nach meiner Anschauung verbindet die Schiene die in Betracht kommenden 
-Zähne zu einem starren System und es ist für die Verteilung des Kau- 
druckes resp. dessen Einwirkung auf einzelne Zähne (Wurzeln) gleich- 
gültig, ob die Schiene über die Kaukante geführt wird oder nicht. Die 
Modifikation hat nur den Vorteil, daß sie die Kaukanten vom Absprengen 
durch den Kauakt schützt. 


 Prof.Dr.L.Fleischmann: Ich möchte nur einiges über die In- 
dikationsstellung für die Anfertigung einer Schiene sagen. Es ist das 
Glück der Schienenbehandlung, daß der Mund, der zur Alveolarpyorrhoe 
neigt, im allgemeinen wenig Disposition zur Karies zeigt. Wo Tendenz 
zur Karies vorhanden ist, muß von Schienen abgesehen werden. Auch 
bloßliegenden Zahnhälsen ist die Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ehe man 
eine Schiene anfertigt, muß man konstatieren, ob das Dentin daselbst 
eine Erweichung zeigt. Wenn das Dentin irgendwie zur Halskaries neigt, 
so ist keine Schiene indiziert und es bleibt als Therapie der Wahl nur 
die Krönung, wobei bei gelockerten Zähnen das Kollar sehr tief unter 
das Zahnfleisch geschoben werden kann, ohne Reizerscheinungen hervor- 
zurufen. Eine weitere Kontraindikation kann in dem Zustand der Wurzel- 
spitzen gelegen sein. Ich habe seinerzeit einen Fall publiziert, wo es im 





Aus Vereinen und Versammlungen. 321 


Verlaufe einer Pyorrhoe zur vollständigen Resorption einer Wurzel ge- 
kommen ist. Vor kurzer Zeit sah ich einen Fall, wo die oberen Front- 
zähne durch eine Inlayschiene fixiert worden waren; es bestand eine solche 
Lockerung, daß man alle sechs Zähne mit den Fingern herausnehmen 
konnte. Bei allen Zähnen war eine starke Resorption der Wurzel zu 
konstatieren, an zwei Zähnen fehlte die Wurzel zur Hälfte, bei den vier 
Schneidezähnen ging die Resorption jedenfalls über die Wurzelspitze hinaus. 
Da gelockerte Zähne nur mit dem Spitzenteil der Wurzel samt der Alveole 
durch das Periodontium in ungestörter Verbindung stehen, hört bei Re- 
sorption dieses Teiles jegliche Verbindung zwischen Zahn und Alveole 
auf. Ich meine deswegen, daß man sich durch Röntgenaufnahme vom Zu- 
stande der Alveole und der Wurzel überzeugen soll, ehe man eine Schiene 
anfertigt. Wenn man Zähne befestigen will, die keine Alveolarfortsätze 
oder die resorbierte Wurzeln haben, so wird man Mißerfolge erzielen. Ich 
will noch auf ein technisches Detail hinweisen. Der Vortragende empfahl 
0,35 mm starkes Goldblech zur Schiene. Das ist wohl etwas zu dick, um 
exakt gestanzt werden zu können. Ich lasse zuerst eine Lage Feingold 
-von 0,1, die den Zähnen anliegt, stanzen, dann eine Lotschichte von 0,1 
Dicke und dann eine 0,15—0,20 dicke Schicht 22er Gold, die dann verlötet 
werden. Auf diese Weise. bekommt man eine exakt sitzende Schiene. 


Dr. P. Berger (Schlußwort): Es ist für mich die Feststellung 
wichtig, daß ich die Fixationsschiene nicht als Heilmittel der Alveolar- 
pyorrhoe ansehe. — Ich wundere mich, daß mich Kollege Gottlieb 
dahin mißverstanden hat. Wenn ich behauptete, daß ein Patient für den 
Zahnarzt nicht erledigt ist, sobald er die Schiene hat, so beweist das 
genug. Ich will Herrn Prof. Fleischmann danken für die Anregung 
zur Untersuchung des Dentins. Ich möchte zur Verbreitung der Schiene 
nur sagen, daß die Fälle des Mißlingens gering sind. Meine Erfahrungen 
in dieser Hinsicht decken sich mit denen Mamloks, der auch noch 
keinen schlechten Endausgang gesehen hat. Wenn es zur Resorption der 
Wurzel kommt, kann man nichts dagegen tun, aber weil es einmal zur 
‚Resorption kommt, deshalb die Schiene nicht anfertigen, würde ich als 
Verschulden ansehen. Ich habe erwähnt, daß ich kein neues Verfahren 
anführe, mir hat es sich heute darum gehandelt, hier auszuführen, daß 
ich es für dringend notwendig erachte, die Schneide der Zähne dem Gegen- 
biß gegenüber zu schützen. Sie haben gesehen, daß eine Schiene des 
Schutzes der Schneide nicht entbehren kann. Der ganze Druck legt sich 
nach vorne. Ich nehme an, daß bald die Schneide abspringen würde, wenn 
eie nicht durch einen Kantenschutz geschützt wäre. 


Über die von Gottlieb weiter angeführten Hilfsmittel bei der 
Herstellung der Schiene erlaube ich mir zu bemerken, daß ich nur eine 
Modifikation der Mamlokschen Schiene angegeben habe, muß aber, 
was die Ausführung der Arbeit betrifft, auf die eo vorzügliche Original- 
arbeit Mamloks verweisen. 


Was das Gußverfahren betrifft, so habe ich gesagt, daß das Guß- 
verfahren auch von mir geübt wird, bei Plättchenschienen hat sich das 
Gußverfahren aber nicht bewährt. Ich habe bereits widerlegt, daß die 
Alveolarpyorrhoe nicht durch Schienenbehandlung geheilt wird. 


322 Aus Vereinen und Versammlungen. 


Was Kollege Hecht meint, daß es gefährlich ist, eine Krone mit 
Plättchenschiene zu verbinden, so bin ich der Ansicht, daß die Annahme, 
daß sich eine Krone loslöst oder der Zahn unter der Krone schlecht wird, 
zu jenen Zufallserscheinungen gehört, die doch nicht hemmend auf die 
Ausführung einer solchen Arbeit wirken dürfen. 


Sitzung vom 20. März 1919. 


Vorsitzender: Dr. E. Steinschneider, dann Prof. Dr. L. Fleisch- 
on. 
Schriftführer: Dr.E Bermann. 


Dr.E.Steinsehneider verliest einen’ Brief der Wirtschaftlichen 
Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs, der zum Beitritt einlädt, 
und legt den Kollegen nahe, die Bestrebungen der Wirtschaftlichen Or- 
ganisatioù zu unterstützen. 


Vor Eingehen in die Tagesordnung demonstriert Dr. F. Pordes 
zwei Fälle von schwerer Veränderung des Kiefergelenkköpfchens, die als 
Arthritis deformans anzusprechen sind, im Röntgenbilde. Veränderungen 
dieser Art im Profil des Kieferköpfehens waren mit den bisher üblichen 
Aufnahmemethoden graphisch nicht darzustellen. Ihre Darstellung ist ihm 
mit Hilfe seiner Spezialaufnahme des Kiefergelenks in rein ftontaler Rich- 
tung durch die kontralaterale Incisura semilunaris gelungen. 


Weiterhin zeigt Redner einen Fall von einer den ganzen horizontalen 
Unterkieferast einnehmenden Zyste und einen unteren Eckzahn mit zwei 
Wurzeln. Letzteres Röntgenbild ist dadurch bemerkenswert, daß man nach 
einem im Kronen- und Halsteil gemeinsam verlaufenden Wurzelkanal 
etwa in der Höhe des Limbus alveolaris eine deutliche Bifurkation der 
Kanäle wahrzunehmen vermag. 


Dr. E.Steinschneider dankt für die interessante Demonstration 
und bittet Herrn Dr.Schreier, seinen Vortrag zu halten. 


Dr. E. Schreier: Bemerkungen zu Dr. Gottliebs Referat: 
Über den gegenwärtigen Stand der Wurzelbehandlung. 


Aussprache auf die nächste Sitzung verschoben. 


Prof. Dr. L.Fleischmann bittet Herrn Dr.Sicher, seinen an- 
gekündigten Vortrag zu halten. 


Dr. fAl.Sicher: Anatomische Grundlagen der Leitungsanästhesie am 
Unterkiefer. (In extenso erschienen H.7, 1919.) 


Prof.Dr.L.Fleisehmann: Ich danke Herrn Kollegen Sicher 
für seine geistreichen Ausführungen und für seinen Vortrag, in dem er 
uns mit den Resultaten seiner Forschungen bekanntgemacht hat. Ich 
glaube von der Eröffnung einer Diskussion absehen zu können, da Herr 
Dr.Sieher für uns ganz neue Dinge gebracht hat, denen niemand von 
ns etwas hinzufügen könnte. Ich danke Herrn Dr. Sicher nochmals 
estens. 


m a 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 323 


Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 





Reorganisation des Zentralverbandes der österreichisehen Stomatelogen. 


Am 7.und 8. Dezember fand die 17. ordentliche Verbandsversamm- 
lung unter überaus zahlreicher Beteiligung statt. Über den wissenschaft- 
lichen Teil derselben sowie über die Geschäftssitzung wird ein ausführ- 
licher Bericht in den nächsten Heften veröffentlicht. Aus der letzteren 
sei nur berichtet, daß die geplante Reorganisation des Verbandes durch 
die Annahme der von allen beteiligten Vereinen beratenen und gut- 
geheißenen Statuten zur Tat geworden ist. Der Zentralverband hat daher 
in seiner jetzigen Form zu bestehen aufgehört und der Ausschuß wird 
die Geschäfte so lange leiten, bis aus der Mitte der von den Vereineu 
zu en Delegierten gemäß den neuen Statuten ein Vorstand ge- 
wählt wird. 


Verhandlungen in der Zahnärzte-Zahntechnikerfrage. 


Im letzten Hefte (Nr. 11) hatten wir berichtet, daß die Besprechungen 
zwischen Zahnärzten und Zahntechnikermeistern zu einem positiven Er- 
gebnis geführt habe, dem aber die Gehilfenschaft noch nicht zugestimmt 
hätte. Nach dem Beschlusse beider Parteien hätte das Ergebnis unter- 
fertigt dem Staatsamte für Volksgesundheit überreicht werden sollen. Der 
Zentralärzterat nahm die Einigung zwischen Zahnärzten und Zahn- 
technikermeistern,zur Kenntnis, gestattete aber die Überreichung des unter- 
fertigten Protokolls und des einverständlich geänderten Gesetzentwurfes 
1917 nicht früher, als bis die Gehilfenschaft den Abmachungen beigepflichtet 
und das Protokoll mitunterfertigt hätte. Neuerliche Verhandlungen führten 
nun dazu, daß am 20. November d.J.die Gehilfenschaft die getroffenen 
Vereinbarungen auch annahm und ihre gewählten Vertreter das Protokoll 
unterfertigten, die auch die Erklärung abgaben, gemeinsam mit den Ver- 
tretern der Zahnärzte und konzessionierten Zahntechniker bei den Par- 
teien der Nationalversammlung vorsprechen zu wollen, auf daß an den 
getroffenen Vereinbarungen seitens der Nationalversammlung nichts mehr 
geändert werde. Nachdem so das letzte Hindernis beseitigt war, stand der 
Überreichung der Vereinbarungen an das Staatsamt. für Volksgesundheit 
nichts mehr im Wege. 


Und so wurde denn am 29. November d. J. das von allen Beteiligten 
unterfertigte Protokoll samt dem den Wünschen der Zahnärzte und Zahn- 
techniker angepaßten Gesetzentwurfe von Dr. Richard Breuer als Ver- 
treter der Zahnärzte, dem Genossenschaftsvorsteher A.Bulin und dem 
Zentralobmann des Verbandes der Gehilfen R. Bambas deputativ im 
Volksgesundheitsamte überreicht. Hoffen wir, daß von den beteiligten 
Staatsämtern der Entwurf ehebaldigst ausgearbeitet und von der Re- 
gierung der Nationalversammlung noch in diesem Jahre vorgelegt werde. 
Das Staatsamt für Volksgesundheit nahm auch den Wunsch entgegen, daß 
gleichzeitig in einer Verordnung die Führung des Titels „Zahnarzt“ und 
der Betrieb der Zahntechnik durch Ärzte geregelt werde. R.B. 


324 Kleine Mitteilungen. — Personalien. 


Kleine Mitteilungen. 





(Errichtung einer Schulzahnklinik in Wien.) Der Wiener Stadtrat 
hat beschlossen, in der Quellenstraße im 10. Bezirk eine Schulzahnklinik 
einzurichten. Die Klinik, deren Einrichtung rund 71.000 Kronen kostet, 
on auch von den Kindern des angrenzenden 11. Bezirkes benützt werden 

önnen. 


Personalien. 





(Todesfall.) Am 21. November d. J. ist in Zollikon-Zürich der be- 
kannte Zahnarzt Dr. Paul de Ferra im 69. Lebensjahre plötzlich einem 
Herzschlag erlegen. Die Zahnheilkunde betrauert in ihm einen Mann, der 
sich neben der. Veröffentlichung einer Reihe wissenschaftlicher Arbeiten 
durch die Herausgabe des Index stomatologicus, einer fort- 
laufenden internationalen systematischen Literaturübersicht und des 
Vademecum anatomicum, eines kritisch-etymologischen Wörter- 
buches der systematischen Anatomie, einen in der ganzen Welt bekannten 
Namen erworben hat. 


l (Ehrung.) Die medizinische Fakultät der Universität in Greifswald 
hat den Leiter des dortigen zahnärztlichen Instituts ‚Prof. Dr. Adloff 
zum Doktor der Zahnheilkunde ehrenhalber ernannt. 


(Auszeiehnung.) Dem um die wissenschaftliche und praktische Zahn- 
heilkunde verdienten Zahnarzt H.J.Mamlok in Berlin wurde der: Titel 
eines Professors verliehen. 


(Habilitierung.) Dr.P.Kranz hat sich an der medizinischen Fakul- 
tät in Frankfurt a.M. als Dozent für Zahnheilkunde habilitiert. 


— 199-4: —— 


Zur gefälligen Beachtung! Mit Rücksicht auf die mit Jahresbeginn neuerlich 
steigenden Herstellungskosten sehen wir uns leider gezwungen, den Bezugspreis 
der „Stomatologie“ pro 1920 für sämtliche Interessenten entsprechend zu 
erhöhen. . 
Wir bitten unsere geschätzten Bezieher, von dieser unausweichlichen Er- 
höhung freundlichst Kenntnis nehmen zu wollen, und hoffen, daß dieselben, den 
ungünstigen Zeitverhältissen Rechnung tragend, auch fernerhin ihrem Verbands- 
organe treu bleiben werden. 

Der Preis für das Abonnement wird K 20 für das I. Vierteljahr betragen. 


Für den wissenschaftlichen Teil verantwortlicher Redakteur: Dr. Emil Steinschneider. 


Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien, TII., Münzgasse 6. 


Inhaltsverzeichnis. 





Originalarbeiten. 
Seite 
Audloff: Pulpaamputation oder Pulpaexstirpation? . . 22H nenne. 18 
— Schlußbemerkung . . . . . u E : j ; = 128 
Berger: Cher eine Modifikation der Mamlok She Inlav- ad Plnttchenschieng 
mit einem Überblick über die historische Entwicklung der Befestigungs- 
apparate für loekere Zähne .... poi k er e e aae a A 
Frey: Biv ulung nach mundehirurgisehen Haih T 239 
“ottlieh: Die Waurzelbehandlnng mit besonderer Berhrksichtifung 1 Anke 
EIS SE eg le . e. e. o e a E E E E 1 
— Eirwiderung auf den Artikel R exse Rilke g über Pulpaamputation . . 17 
— Ersiderung auf den Artikel Adloffs: Pulpaamputation oder Pulpaex- 
STIITRELIDI a En ch Aue ben a DDR ar a E Aa ee can 62 
— Kine weitere Bemerknnsen zur W ezebe adini 2: Be le ee 
Heıhr ii: 3.» Darstellung des Kieferrelenkes dureh das Röntgenbild . EBENEN. 
— Sen össantwort auf die Erwiderung von Dr. Pordes . 2... len 
Kiein \osander: Zur Pathologie und Therapie der Blutungen aus der Nina. 
l EN a a ee le a a R A ae ls 
Koucuelher: Weitere Bemerkungen zur Verwendung I gi aigen Novocain- 
Soprgecinlösung in der Zahnehirurgie 2 2 2 2 2 2 nn een. 107 
— Ar: nt auf die Polemik Dr. Siehers: „Weitere Bemerkungen zur Ver- 
wendnug der $° igen Novoeain-Suprareninlösung 2 2 222222. . 251 
Koech- ac eentreu: Berieht über die kieferehirureische Tätigkeit des zahn- 
ar: geben Universitätsisstitutes Graz 1914—1918. 2.202022. 22 
Mesing: Uber die antiseptische Drainage der Pulpakanäle . ... . .. . 307 
Müller: Bemerkungen zum Thema Wurzelbehandlung nnd Wurzelfülung . . 129 
Peter: Interessante Fälle ans der Praxis. oo 2 2 om onen. BB 
= Uber einen Fall „Adamantinoma eystieum Hesse“ . . 2 2 2 2 220.20..79 
— Über den heutigen Stand der Rhodanfrage 2... 2 2 nn nn T 
-  beitrae zur Topographie des N. mentalis 2. 2 2 2 2 2 nn nn nn. WBB, 


Pordes: Die radiographische Darstellung der einzelnen Zähne und Kida 
Studien zur Röntgenanatomie und Projektionslehre . ..... . . 38 
- Zannarztlheh-röntgenolovische Betrachtungen zur W innelbehäudlaneetrire 213 
— FErwiderung auf die Arbeit Herbers über die Darstellung des Kieferge- 
leukes dureh das Rönteenbild . . 2 oo nn. DTB 


IV Inhaltsverzeichnis. 


Seite 
Pordes: Epilog zur Schlußantwort Herbers . . . . . 284 
Reschofsky : Über Pulpaamputation. Ein Epilog zur V A TO v ereines 
Wiener Zahnärzte vom 21. November 1918 . . .. aaa... M4 
— Prinzipien der Zahnheilung . .. ... 222.0. U En ur ee 
Schreier: Schlußwort zur Frage der Wurzelbehandlung . . . . .. . . . . 23 
Sicher: Die Leitungsanästhesie am Nervus buceinatorius.. . . . 57 
— Die anatemischen Grundlagen der intraoralen Leitungsanästhesi a am Nerii 
alveolaris inferior. . . . . 149 
— Zur Anatonfie und Technik dér Injektion, an dek Sami dé: IL pa 
IIl. Trigeminusastes . . . . . . 159 
— Bemerkungen zur Verwendune Aa 4 ‚igen Noroeain-Suprareniklosung 
in der Zahnchirürgie’ . .. 12. & wen so 8 2 2 are 244 


— Nochmals über die Auwendaue der dökigen Novoe Suparentallsung: 257 
Steinschneider und Pordes: Kinnfistel und kommunizierende paradentare 
und periapikale Resorptionshöhlen — Traumaspätfolge ? Ein kasuistischer 


Beitrag zur zahnärztlichen und röntgenologischen Diagnostik . . . . . 60 
Weiser: Antrittsvorlesung. Das zahnärztliche Universitätsinstitut in Wien, seine 
Aufgaben und die Lehrkräfte, welche sie lösen sollen . . ......297 


Winke für die Praxis. 


Berger: Gesundbeitsschädliches Nägelbeißen . . .... ne AI 
Borschke: Zur Verankerung von Amalgamkonturfüllungen ae ne ee 175 
— Einige Behelfe für die zahnärztliche Praxis . . . 2... 2 2 22 ne.. 203 
Frey: Verwendung von Laminaria in der Yahnheilkunde . Be A ae 258 
— Behandlung tiefkariöser Molaren mit lebender Pulpa . . ....... 228 
Kränzl: Zur Herstellung von Amalgamkronen . .. oe i 
Keschofsky: Anschmiegen verbogener, oberer Kantachnkplatten re eh 49 
—  Unterfütterung unterer Platten. -. . . 2.222 a.’ ce ee A 
Sicher: Zur Technik der Leitungsanästhesie am Foramen mandibulere und 
Foramen infraorbitale . . . . . 2... ae a EEE in 18 
Steinschneider? Repetitorium der Brückentechnik . . . 63, 83, 114. 131, 310 


Referate und Bücherbesprechungen. 


(* Bücher.) 


Adam: Zahn und Augenleiden .. . 88 
Adams: Über die Stellung des Obres chlas a zur ‚Schädelbasis Bein Kinde dad 
beim Erwachsenen unter Berücksichtigung der Rassenprognathie.. . . . 259 


Adloff: Der Bacillus fusiformis, ein Erreger der Gangrän der Zahnpulpa . . 292 
Angle: Some new formes of orthodontic mechanism and the reasons for their 
introduction (Einige neue!Formen orthodontischer Apparate und die Gründe 
für ihre Einführung). . . : >: Co onen 52 
"Deutsch: Anleitung zur Feststellung der Erwerlsseinbuße bei Kriegsbe- 
Schädigten; e 5: arr wa un ee ee 86 


» 


Inhaltsverzeichnis. V 


Seite 
Dirks: Fugenlose Kronen. . . EE E | i 
“Feiler: Leitfaden für den Ehaitonikin dei konkerniktenien Zahnheilkunde 117 
Fischer: Die Behandlung erkrankter Oberkieferhöhlen . . . . . 260 
Greve: Die chronische superfizielle Glossitis (Mölleri) — eine Reilesheniose 177 
“Guttmann: Die Syphilis mit besonderer Berücksichtigung ihrer Erscheinungen 
im Munde . .... IE a a Dot ae a Er u RE a a 
— Medizinische erminleieh NEU AT AU: ore aue ee ae ed 
Gysi: Der Wert der seitlichen Kaubewegungen . . 3-2 222.02. . 8312 
Holzkuecht: köntrenoloeie . . . re ae ee 206 
Kantorowiez: Zur Klinik der email Akeinankole an . 26 
"Die Zukunft der Zahnheilkunde und die zahnärztliche Samorin des 
‘deutschen Volkes. . . . . . 290 
Kappis: Zur Deckung von ssuimendefekten mit PENT Halshantieppen . 69 
Kautt: Über die Behandlung alter Knochenfißteln nach Schußverletzungen . . 24 
"Klopstoek und Kowarski: Praktikum der klinischen, chemischen, mikro- 
skopischen und bakteriologischen Untersuchungsmethoden . . . . ... 21 
Kranz: Zur l’athozenese, Pathologie und Therapie der Alveolarpyorrhöe . . ..233 
kron: Verletzung des Nervus lingualis in der Mundhöhle . ... . . 8 


Kühns: Über Gefäßverletzungen bei Lokalanästhesie im Gebiete der Mundhöhle 23 


*Lenhardtson-Schmidt: Vorschlag zur Regelung der Schulzahnpflege in 


Schweden JH. 8 sn ad ee, ee e at 
Lesser und Witkowski: Spirochätenbefunde und Salvarsan bei Alveolar- 
pvorrhoe. . . . . 26 
"Neumann: Zahnärztlich- teehiniäche Propädeutik für Studierende, ie Zahn: 
heilkunde . . . 290 
"Parreidt: Handbuch det Zalinersatzkund: niit Einse hinß der Technik de: 
Kiefer-. Gaumen- und Nasenersatzes . . 2.2 nn nenne. 176 
Pfeiffer: Zum Krankheitsbilde des Skorbuts . . . . . E ae 
Schoenlank: Verhornungsprozesse am Zahnfleisch des Menschen. rn a anag 
Schröder: Über wichtige und strittige Punkte der modernen Kieferbruchbe- 
handlung . ... E U re ee eo] 
— und Moral: Über gbeni Zähne . EEE 88 
Seidel: Die Beziehungen der Spirochäten und der Salsırsanhern apie zu ai Caka 
alveolaris und anderen Erkrankungen des Mundes . . ...... . . B3 
Soerensen und Warnekross: Chirurg und Zahnarzt . . ....... -6 
Sımon: Gnathostatik. Neue vr der orthodontischen N ©.. 204 
Struck: Resectio apicis . .. kouee a en a a a zn O 
— Okzipitalneurose infolge von Alstolamsorckoe k aoit 87 
Türkheim: Vorschläge für eine einheitliche BEZELCHUNNE der Zähne ind ihrer 
Tele ..... ee 22 
Walkhoff: hontramdikationen hei Anwen dunk der Nenk anaibolira ee. 7; 
Wustrow: Weiteres zur Theorie über die Ursachen der Kieferverunstaltung 
des „hohen Graumens“ . . . . eo 22 


— Über die ebirurgisch- bakterioloriäche Theorie der Ww iteelhehendiunr ne 2 


Yí Inhaltsverzeichnis. 


Seite 
Zeller: Zur Verankerung künstlicher Gebisse im zahnlosen Ober- und Unter- 
kiefer. Kin neues Opcrationsverfahren. . . . De er e G 
Schweizer Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde: 1.705 © 1 
Zahnärztliches Institut der Universität in Wien. 
Wiederbesetzung der Lehrkanzel . . 2. 2 rn nn nen tn. TH 
Aus Vereinen und Versammlungen 
Zentralverband der österr. Stomatologen: 
Ausschußsitzungen - 2 2 2 2 on Ener 13208 
Tätirkeitsbericht: . 2-2 22.48 = 2.0.88 2% Sa Dem 
Einladung zur Jahresversammlung ®. 2.2 oo on oo DIR 
Wirtschaftliche Organisation der Zahnärzte Deutschösterreichs: 
Mitteilung an die Mitglieder . ea ee ae ee Adi a Zar dr aa 
Vorstandssitzungen . . S ab de ee ee A ee re II Ta a 
Generalversanımlune 2220 Be ae D 
Verein österreichischer Zahnärzte: 
Ordentliche Monatsversammlune . 22 2 2 nenn. 27, 208, 261. 293. B13 
Verein Wiener Zahnärzte: 

Hauptversammlung 42.208 4 we Kia d 
Ordentliche Monatsversammilunsen 2. 2 2 2 2 202. 22, 70. 178, 211, 317. 322 
Standes- und wirtschaftliche Angelegenheiten. 

E. P.: Was nun”... E ers ee rar 
S. F.: Verhandlungen in de TATEN Zahntechnikerfrage . ee e e e 2A 
R. B.: Verhandlungen in der Zahnärzte-Zahntechnikerfraee . 2.2.0... RT 124 

kränzl: Zur Frage der Reorganisation des Zentralverbandes der osterr. Stoina- 
toloren . .. ; BE ee ee 
Parreidt: Folie Dee tion o. ea ee E ge ee T 
Stark: Über die Gründung einer Zentraltee hnik La ua a Sr date Sa A 
Redaktionelle Artikel: Doktor der Zahnheilknnde . . 2 aaa‘ L IR] 
Verstaatlichung des Ärztestandes . ... a ee ee 

Mitteilungen: Anfnahmen in das ahnlich Taste der Universität in 
Yor ere ee ee re oh 

Bestimmungen über die Verleihung der Würde eines Doktors der Zahn- 
herlknade 1 Pienben: a. ee ee ee Dei 
Kinkaufszentiale und Zahvtechnik . . . . .. ; | 202 
Kompromibyerhandlungen zwischen Zahnärzten an: Yale PIR eoe G 
Militärische Zahnambulatorien . .. an et Ba nr a 


Reorganisation des Zentialverbandes ie ENNE hon NEE 1.5323 


le — ee 





ned OF MINNESOTA 
wenn dayro. 16-1 





sg 
a e 
9 o 
o © 
2 D 
ET 
iG 
O 
E 
EN 
2