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Full text of "Österreichisch-ungarische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 23.1907"

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Dental Library 


















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XXIII. Jahrgang. 


1907. 


Heit IV. 


Oesterreichisch-ungarische 

7iert elj ahr s sehr ift 

für i 

Zahnheilkunde. 

- -- 

Herausgegeben unter ständiger Mitwirkung der Herren: 

Prof. Dr. J. v. Arkövy, Budapest — Dr. S. Bauer, Budapest — Prof. Dr. 
H. Bönnecken, Prag — Dr. W. Bruck, Breslau — Dr. R. Bum, Wien 

— Doz. Dr. L. Hattyasy, Budapest — Prof. Dr. C. Jung, Berlin — 
Dr. T. Kaas, Krems — Dr. M. Karolyi, Wien — Dr. R. Kronfeld, 
Wien — Dr. J. Lartsckneider, Linz — Doz. Dr. R. Loos, Wien — 
Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck — Dr. A. Oppenheim, Biünn — 
Dr. G. Pr ei s werk, Basel — Prof. Dr. G. Port, Heidelberg — Doz. Dr. 
C. Rose, Dresden — Doz. Dr. A. Rotkmann, Budapest — Prof Dr. 
W. Sachs, Berlin — Prof. Dr. J. Scheff, Wien — Dr. F. Schenk, Wien 

— Dr. E. Smreker, Wien — Dr. B. Spitzer, Wien — Doz. Dr. J. Szabö, 
Budapest — Dr. F. Tänzer, Triest — Prof. Dr. F. Trauner, Graz — Doz. 
Dr. W. Vajna, Budapest — Prof. Dr. 0. Walkhoff, München — Dr. 
W. Wallisch, Wien — Doz. Dr. R Weiser, Wien — Doz. Dr. 

G. v. Wunschheim, Wien 
von 

JULIUS WEISS 

Wien, I. Bez., Petersplatz Nr 7. 

Abonnement per Jahr: 

Für Oesterreich-Ungarn K 6.-, für Deutschland; Mk. 6.— 
inklusive portofreier Zusendung. 


Im Buchhandel zu beziehen durch die 

W a.l3.i»3^.a.-a.sser’ec3a.e 3s. -u. 3s. Hoftonc3a.3a.a.xicUia.rig- 

Adolph W. Künast 

Wien, I. Hoher Markt Nr. l. 


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Inhalts - Verzeichnis, 


A. Original-Arbeiten. 

Seite 

An der Lan , Othmar v., Dr., Assistent an der zahnärztlichen Ab¬ 
teilung der allgemeinen Poliklinik in Wien. Die Anwendung 
des elektrischen Stromes zur Diagnose verschiedener Pulpa¬ 
erkrankungen .194 

Äyräpää Matti, Professor in Helsingfors. Ueber prothetische Be¬ 
handlung der Nasendeformitäten.617 

Baumgartner Erich, Dr., Zahnarzt in Graz. Notizen aus der Praxis 893 
Mc Bride R . JD,, D. D. S., Zahnarzt in Dresden. Die Orthodontie 

in ihrer praktischen Verwertung .......... 219 

Beyendorf Th., Dr., Privatdozent in Jena. Die Unterzahl der Zähne 

im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung.68 

Bobrzyniecki Arpdd R. v., Dr., k. u. k. Regimentsarzt in Wien. 

Stomatika.435 

Fischer Guido, Dr., Privatdozent in Greifswald. Die Retention 

gebrannter Porzellanfüllungen.421 

Fleischmann Leo , Dr., Zahnarzt in Wien. Das transparente Dentin. 

Ein Beitrag zur pathologischen Histologie des Dentins 30 

Frey Viktor, Dr., Zahnarzt in Wien. Erwiderung auf Dr. Guido 
Fischers Artikel: Die Retention gebrannter Porzellan¬ 
füllungen .483 

Hasse G., Zahnarzt in Coblenz. Ueher die Beziehungen zwischen 
der Kristallgestalt und den Formveränderungen der Zahn¬ 
amalgame .603 

Uawley C. A., D. D. S., Professor in Columhus (Ohio). Eine genaue 

Methode in der Orthodontie.278 

Jung , Dr., Professor in Berlin. Stomatitis sympathica .... 489 

KüOca Max, Dr., Zahnarzt in Teschen. Ueber die wichtigsten 
mechanischen und einige chemische Eigenschaften der 
Silikat- und Zinkphosphatzemente.568 


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IV 


Seite 

Lartschneider Josef, Dr., Zahnarzt in Linz a. D. Studien über 
die pathologische Anatomie und Therapie der Wurzel¬ 
erkrankungen mit Berücksichtigung der Trikresol-For¬ 
malinbehandlung .146 

— Beiträge zur Anatomie und Chirurgie der von den oberen 

Frontzähnen ausgehenden Kiefererkrankungen.345 

— Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllungen . . 405 

Mayrhofer Bernhard, Dr., Professor in Innsbruck. I. Die dentale 

Augenwinkelfistel. II. Heilung einer dentalen Augenwinkel¬ 
fistel ohne Extraktion durch Wurzelresektion mit Jodoform- 

Knochenplombe . 6 

Mrdcek Leopold, Dr., Zahnarzt in Kremsier (Mähren). Ein neuer, 
sehr leicht ausführbarer und billiger Ersatz für ab¬ 
gesprungene Zähne an festsitzenden Brücken.462 

Müller Adolf, Dr., Zahnarzt in Wien. Beitrag zur antiseptischen 

Wurzelbehandlung.218 

Pichler Hans , Dr., Zahnarzt in Wien. Zwei neue Instrumente zum 

Finieren von Füllungen.. . . 379 

Preiswerk Paul, Dr. in Basel. Beiträge zur Kasuistik und Therapie 

der Kieferbrüche.444 

Scheff Julius, Dr., Professor in Wien. Beseitigung der Schwierig¬ 
keiten beim Aufsuchen der Molar Wurzelkanäle. 1 

Schneider Albrecht , Chemiker in Hamburg. Das Poröswerden des 

Zahnkautschuks.89 

Schreier Philipp, Dr., Zahnarzt in Brünn. Zur Behandlung der 

Pulpagangrän mit Trikresol-Formalin. 56 

Spitzer Bertold, Dr., Assistent am k. k. zahnärztlichen Universitäts- 
Institut. Ueber eine höchst seltene, eigentümliche Affektion 
des Zahnfleisches.20 

— Beiträge zur Resektionsprothese.493 

Tänzer Ferdinand, Dr., Zahnarzt in Triest. Zur Behandlung der 

Wurzelhautentzündung.459 

Urhantschitsch Eduard, Dr., Assistent am k. k. zahnärztlichen 
Universitäts-Institut in Graz. Die Rachitis und ihr Ein¬ 
fluss auf das Milchgebiss.529 

Wallisch Wühelm, Dr., Zahnarzt in Wien. Ein naturgetreuer 

Artikulator.369 

Wiessner V., Dr. in Freiwaldau. Die Mitleidenschaft der Knochen- 

und Zahnsubstanz bei allgemeinen Ernährungsstörungen 604 

Wu/nschheim G. v., Dr., Privatdozent, Vorstand der zahnärztlichen 
Abteilung det Allgemeinen Poliklinik in Wien. Zi*r Frage 
der Gaumenobturatoren.. . . . 141 


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V 


B. Berichte aus Instituten und Vereinen. 

Seite 

K. k. zahnärztliches Universitäts-Institut (Prof. SchefF) in Wien. 
Bericht, erstattet von Dr. Bruno Klein, I. Demonstrator 

daselbst.. 94, 665 

Zentral verband der österreichischen Stomatologen .... 102, 675 

Verein Wiener Zahnärzte ..101 

Associazione stomatologica Triestina.103, 304, 464 

Zahnärztliche Klinik der königl. Universität (Prof. v. Arkövy) in 
Budapest. Jahresbericht, erstattet von Dr. Josef Sturm, 

Assistent daselbst. 104 

Stomatologischer Lehrstuhl — Stomatologische Klinik (Budapest) 106 

XVI. Internationaler medizinischer Kongress 1909 in Budapest. 805 

79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Dresden, 

1907. 806, 465 

Dr. Sandbloms Kurs in Berlin. Bericht, erstattet von Dr. Ferdinand 

Tänzer in Triest.677 

Schweizerische Odontologische Gesellschaft. XXII. Jahresver¬ 
sammlung, Luzern, 1907 (Programm).308 

I. französischer Kongress für Stomatologie. 1. bis 5. August 1907 310 
— Eindrücke mit besonderer Berücksichtigung der zahnärzt¬ 
lichen Ausstellung. Von Dr. Julius Haas in Bielitz . . 679 

C. Referate und Journalschau. 


Aethylchloridnarkose, Todesfall..322 

Anästhesie durch destilliertes Wafeser . .321 

Aspirationstechnik, ihre Verwendung in der Zahnheilkunde . . 110 

Aufklappung der Schleimhautbedeckung der Kiefer ..... 476 

Augen der Zahnärzte.313 

Bicuspidaten, deren Behandlung.473 

Brückenpfeiler, sollen als solche dienende gesunde Zähne devi- 

talisiert werden?.314 

Degenerationszeichen, Beiträge zur Lehre derselben.112 

Druckanästhesie des Zahnbeines .684 

Elektrosterilisation putrider Wurzeln, Wirkung und Nebenwirkung 

des Stromes.689 

Empfindliches Zahnbein, mit besonderer Berücksichtigung des 

Druckverfahrens.319 

Frommes österr. Medizinal-Kalender.695 

Goldeinlagen. 115, 126, 471, 694 

Goldfüllungen in unmittelbarer Nähe lebender Pulpa und die 
Einlage eines neuen Nichtleiters, der gleichzeitig als Hafk¬ 
mittel dient.126 


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VI 


Seite 


Goldfüllungen in Kinderzähnen.B16 

Injektionsanästliesie.692 

Karzinome der Mundschleimhaut.123 

Kieferklemme, ein Fall von schwerer, narbiger.470 

Kiefer nekrosen.116 

Kontinuitätsresektionen des Unterkiefers und deren protbetische 

Behandlung.470 

Künstliche Gebisse in der Speiseröhre und ihre Entfernung . . 469 

Ligaturen in der Orthodontie.317 

Maxillotomie und Wurzelresektion.122 

Mundhälfte, linke, Eigentümlichkeiten derselben.689 

Neuralgie ........ .690 

Parotitis, postoperative.468 

Porzellanarbeit, Betrachtungen über die Fortschritte.693 

Porzellanfüllungen, eine neue Verankerungsmethode.120 

Porzellanfüllungen, schwierige.691 

Quecksilbervergiftung nach einer Zahnfüllung. 692 

Rhinoüth infolge Retention des Caninus ..475 

Silikatzemente.475 

Soldaten, ihre Zähne.322 

Speichel, dessen Verhalten gegenüber Bakterien.320 

Stellungs- und Bildungsanomalien durch Röntgenaufnahmen 

sichergestellt.111 

Stomatitis, existiert eine solche durch Kautschukprothesen hervor¬ 
gerufen? .688 

Technik, Lehrbuch (Prof. J u n g) .468 

Zahnerkrankungen bei Milchdiät.113 

Zahnformel der platyrrhinen und katarrhinen Primaten . . . 324 

Zahnpulpa, deren konstruktive Erkrankung.686 

Zahnpulver und Lippenekzem. 113 

Zweite Dentition vom Standpunkte der Medizin.127 


D. Varia. 


Berlin: Auszeichnung .. 330, 706 

Ernennung.830 

Todesfall.478 

Breslau: Auszeichnung.330 

Brüssel: Ehrenmitgliedschaft.130 

Dresden: Uebersiedlung.706 

Graz: Professur.705 

Greifswald: Berufung. 330 


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VH 

Seite 

Heidelberg: Auszeichnung.880 

Dozentur.706 

Jena: Dozentur.706 

Leipzig: Auszeichnung.706 

München: Auszeichnung.330 

Münster: Berufung. 380 

Paris: Ehrenmitgliedschaft.380 

Ehrenmitgliedschaft.478 

Rostock: Dozentur . ;.706 

Wien: K. k. zahnärztl. Universitäts-Institut. Nachricht .... 704 
Zahnärztl. Abteilung der allgemeinen Poliklinik. Nachricht 704 

Preisausschreiben.812 

Nekrologe: Prof. Anton Bleichsteiner.828 

Geo Forssmann.129 

Willoughby Dayton Miller f.696 


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Mechitharisten-Buchdruckerei, Wien, VII. 


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XXIII. Jahrgang. 


Jänner 1907. 


Heft I. 


J M Ö 

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Oesterreichisch-ungarische 


Yierteljahrsschrift flir Z 


abDbeilkande. 


Herausgegeben von 


JULIUS WEISS, Wien, I. Petersplatz 7 

unter ständiger Mitwirkung der Herren: 

? of ; S r ‘ i ^ rköy y* Budapest - Dr. S. Bauer, Budapest - Prof. Dr. A. Bieichsteiner, Graz - 
Prof Dr. H. Bönnecken, Prag —Dr.W. Bruck, Breslau — Dr.R. Bum,Wien — Doz. Dr.L. Hattyasv 
Budapest — Prof. Dr. C. Jung, Berlin — Dr. T. Kaas, Krems — Dr. M. Karolyi, Wien - Dr. R. 
ponfeld, Wien — Doz. Dr. R. Loos, Wien — Dr. J. Mädzsar, Budapest — Prof. Dr. B. Mayr¬ 
hofer, Innsbruck — Prof. Dr. W. D. Miller, Berlin — Dr. G. Preiswerk, Basel — Prof. Dr. G. Port 
H e idelberg — Doz. Dr. C. Rose, Dresden — Doz. Dr. A. Roth mann, Budapest — Prof Dr* 
W. Sachs, Berlin — Prof. Dr. J. Scheff, Wien — Dr. F. Schenk, Wien - Dr. E. Smreker, Wien 
— 5 r ‘ B * S P itzer * Wien - Doz. Dr. J. Szabö, Budapest - Dr. F. Tänzer, Triest — 
Dr \f* I rauner ! Wien ~ Doz - Dr * w - Vajna, Budapest — Prof. Dr. 0. Walkhoff, München 
Dr. W. Wallisch, Wien — Doz. Dr. R. Weiser, Wien — Doz. Dr. G. v. Wunschheim, Wien. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Beseitipi 1er ScMerigteiten beim Anfencbeo 1er 
Molarmelkanäle. 

(Aus dem k. k. zahnärztlichen Universitäts- 
Institute in Wien.) 

Von Prof. Dr. Julius Scheff ', Vorstand desselben. 

Darüber dürften wohl alle Zahnärzte einig sein, dass das 
Aufsuchen der buccalen Wurzelkanäle oberer und des mesialen 
Kanals unterer Molaren manchmal nicht nur umständlich und 
zeitraubend, in vielen Fällen mitunter unmöglich wird, einerseits 
weil der Zugang zumeist beschwerlich, besonders aber weil die 
Lichtverhältnisse des Operationsfeldes in der Regel ungenügende 
sind. Von jenen Fällen, bei welchen die Eingangsöffnung der 
Kanäle verengt ist, sei hier abgesehen, weil deren Behandlung 
unter gewöhnlichen Verhältnissen einen sicheren Erfolg kaum 
erwarten lässt. 

oj Jeder Zahnarzt, der eine Wurzelbehandlung zu einem 
befriedigenden Abschluss zu bringen beabsichtigt, ob er damit 
bloss für eine gewisse Zeit oder in den vorwiegendsten Fällen 
einen Dauererfolg erzielen will, muss zugeben, dass derselbe 


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2 


Prof. Dr. Julius Schelf, Wien. 


bei den Molaren ab und zu scheitern kann, wenn nämlich, 
wie das mitunter vorkommt, deren Wurzelkanäle weder 
operativ noch medikamentös einer entsprechenden Behandlung 
zugänglich sind. Wir wollen hiebei auch jener Fälle gedenken, 
bei welchen infolge der Lage und Stellung der Wurzeln der 
Eingang ihrer Kanäle kaum auffindbar ist, wodurch sie in 
bezug auf ihre Entleerung sowohl wie auch hinsichtlich ihrer 
aseptischen und antiseptischen Behandlung unüberwindliche 
Schwierigkeiten setzen. Diese Schwierigkeiten zu überwinden 
liegt nicht immer im Bereiche der Möglichkeit, denn bei den 
vielfachen Knickungen — winkelige Abbiegung der Wurzel¬ 
spitze — ist die vollständige Entleerung des Wurzelinhaltes 
kaum auszuführen. Wenn auch in den letzten Jahren die 
verschiedenartigsten Medikamente zur Sterilisierung zurück¬ 
gebliebener zerfallener Pulpenreste empfohlen wurden, wodurch 
mitunter vorzügliche Erfolge erzielt werden, so bleibt doch die 
einzig richtige und beinahe niemals versagende Methode die, 
den Wurzelkanal vollständig entleert zu haben. 

Nur in einem solchen Falle ist vollkommene Gewähr für 
den sicheren Erfolg einer Wurzelbehandlung gegeben, gleich¬ 
viel ob es sich um die Entfernung einer lebenden vorher ab¬ 
getöteten oder um eine gangränöse Pulpa handelt. Es ist 
wenigstens nach meiner Erfahrung kaum zweifellos, dass sich 
eine lebende Pulpa nach ihrer Abfötung für die weitere Be¬ 
handlung besser eignet als eine partielle oder totale Gangrän. 

Wie immer die Verhältnisse liegen mögen, von welcher 
Art die einzuleitende Behandlung ist, stets wird ein voll¬ 
kommener Zugang zu den Wurzelkanälen als die erste und 
wichtigste Bedingung anzusehen sein. Einen solchen aber in 
geeigneter Weise herzustellen, ist mit der bis jetzt geübten 
Art nicht leicht möglich. 

Es wäre nicht ausgeschlossen, dass manche Kollegen die 
gleiche Methode anwenden. Die Wege sind eben verschieden, 
die zum Ziele führen, der meinige höchst einfach, vielleicht von 
vielen, durch die Not gezwungen, benützt worden. Das ändert 
nicht, dass ich damit vor die Oeffentlichkeit trete. Dies wird 
dadurch in erster Linie gerechtfertigt, dass auf meiner Klinik 


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Beseitigung der Schwierigkeiten beim Aufsuchen der Molarwurzelkanäle. 3 


eine sehr grosse Zahl von Wurzelbehandlungen, unter welchen 
sich viele Molaren des Ober- und Unterkiefers befinden, zur 
Ausführung kommen, wobei ich die Bemerkung machen konnte, 
dass sich namentlich dem Anfänger beim Aufsuchen der Molar¬ 
wurzelkanäle grosse Schwierigkeiten entgegenstellen. Ich liess 
die Freilegung der Wurzelkanäle in der verschiedenartigsten 
Weise vornehmen und kam schliesslich zu der Ueberzeugung, 
dass mein Verfahren infolge seiner Einfachheit die Möglichkeit 
bietet, leichter und besser als bisher arbeiten zu können. Ohne 
mich weiter auf eine Prüfung der verschiedenen Hindernisse 
einzulassen, denen die Unzulänglichkeit der bisherigen Be¬ 
handlungsart zugeschrieben werden muss, will ich, um die 
Sache zu vereinfachen, direkt aufs Ziel losgehen, wobei ich vor¬ 
ausschicke, dass wir die oberen Molaren von den gleich¬ 
namigen Antagonisten getrennt vornehmen werden. 

Eine für alle Fälle einheitliche Behandlung lässt sich 
schon deshalb nicht angeben, weil kein Fall dem anderen 
gleicht und es ja bekannt ist, dass die Nützlichkeit für den 
einen Fall häufig die Unzulänglichkeit für den anderen ergibt. 
Eines jedoch lässt sich nicht in Abrede stellen, dass nämlich 
die Innenfläche der buccalen Wand oberer Molaren im Ver¬ 
hältnis zur gegenüberstehenden palatinalen nicht ganz senk¬ 
recht aufsteigt. Innerhalb der ersteren liegen aber die Eingangs¬ 
öffnungen der buccalen Wurzelkanäle, die infolge ihrer ver¬ 
steckten Lage auch noch in die denkbar ungünstigste Be¬ 
leuchtung gerückt sind. Die buccale Wand ist es hauptsächlich, 
die demnach die Auffindung der Kanäle erschwert, ja ab und 
zu unmöglich macht. 

Es liegt somit auf der Hand, dass durch den Wegfall 
der buccalen Wand die Verhältnisse nach jeder Richtung ge¬ 
änderte und verbesserte werden müssen. Sind wir dergestalt 
imstande, die Eingänge zu den Wurzelkanälen sicher zu stellen, 
so ist auch für uns die Richtung gegeben, in welcher wir uns 
im weiteren Verlaufe der Behandlung zu bewegen haben. Da¬ 
bei besteht nicht die Absicht, Vorschläge über Wurzelbehandlung 
oder neue Methoden anzugeben, wie dieselbe am besten aus¬ 
zuführen wäre, da jeder der Meinung ist, dass nur die von 

l* 


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4 


Prof. Dr. Julias Scheff, Wien. 


ihm geübte die richtige sei und auch am sichersten den Erfolg 
verbürge. 

Ich erinnere mich dabei unwillkürlich eines Gespräches 
mit einem auswärtigen Kollegen anlässlich seines Besuches 
meiner Klinik. Er äusserte nämlich sein Erstaunen über die 
Genauigkeit, mit der die Wurzelbehandlung von meinen 
Schülern vorgenommen werde und bemerkte, dass er viel ein¬ 
facher vorgehe. Er hätte niemals einen Misserfolg gehabt* 
trotzdem er viele Tausende (!!) in dieser Weise schon behandelt 
habe. Seine Behandlung war in der Tat die denkbar einfachste. 
Vorher Arsen, am nächsten Tag Aufbohrung des Kanals, Am¬ 
putation eines Teiles der Pulpa mit einem geeigneten Bohrer 
und sofortige Füllung mit dem hiefür entsprechenden Material. 
Also Witzei in zweiter aber schlechterer Auflage ohne dessen 
Geist und Verstand. Ultra posse nemo obligatur. 



Fig. 1. 


In Fig. 1 ist ein Molar des Oberkiefers aufgenommen. Es 
ist ganz irrelevant, ob derselbe der rechten oder linken Seite 
angehört. Die 'Kavität erstreckt sich von der mesialen 
Seite auf die Kaufläche, die Pulpa blosslegend. Nach Auf¬ 
bohrung des Pulpakavums — vorausgegangene Arseneinlage 
oder Adrenalin-Injektion — erweist sich der palatinale Wurzel¬ 
kanal leicht zugänglich, dessen Entleerung bekanntlich kaum je 
Schwierigkeiten verursacht. Um nun auch die buccalen Kanäle 
ausfindig zu machen, müsste in erster Linie von deren innerer 
Zahnwand ziemlich viel weggebohrt werden, was aber nicht immer 
den erstrebten Erfolg bringt, schon deshalb nicht, weil dadurch 
die Licht Verhältnisse der Kavität womöglich schlechtere werden. 
Gelingt dies trotzdem, so können wir nur bei richtiger Hand¬ 
habung des Mundspiegels und unter fortwährender Benützung des- 


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Beseitigung der Schwierigkeiten beim Aufsueben der Molarwurzelkanäle. 5 


selben — ein immerhin nicht angenehmes Hindernis zur freien Be¬ 
tätigung — die beiden Eingang* Öffnungen eruieren. In den meisten 
Fällen werden wir aber trotz dieser Beihilfe nur schwer zum 
Ziele kommen und deshalb halte ich es für richtiger, schon vor 
Beginn der Wurzelbehandlung die Beseitigung der buc- 
calen Wand teilweise oder, wenn no t wendig, voll¬ 
ständig vorzunehmen (Fig. 2). Eine eingehendere Beschreibung 



Fig. 2. 

p palatinaler, bm buccal-mesialer, bd buccal-distaler Wurzelkanal. 

bis zum Abschluss der Behandlung erachte ich für überflüssig, 
denn jeder weiss, wie er vorzugehen hat, wenn die Wurzel¬ 
kanäle in ihrem Eingang freigelegt sind. In jedem Falle kann 
man bei der Abtragung der buccalen Wand in ihrer Höhe 
zumeist soviel zurücklassen, dass die Retention der am Schluss 
vorzunehmenden Füllung gesichert bleibt. 

Der Vorgang ändert sich nicht, wenn die kariöse Zerstörung 
von einer anderen als der vorhin angeführten Fläche ausgeht. 



Fig. 3. 


Bei unteren Molaren (Fig. 3) ist das Verfahren meines 
Erachtens einfacher, da wir beim Aufsuchen der Kanäle bloss 
jenen Teil der buccalen Wand zu entfernen haben, der das 
Operationsfeld nach der mesialen Seite beschattet. Manchmal 
ist, obgleich selten, die Abtragung überflüssig, namentlich wenn 
der mesiale Wurzelkanal von vorne aus leicht zugänglich, respek¬ 
tive entsprechend beleuchtet ist. Aber auch unter günstiger Be¬ 
leuchtung ist es leichter, nach Wegnahme der vorderen äusseren 


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6 Prof. Dr. J. Scheff, Wieu. Beseitigung der Schwierigkeiten etc. 

buccalen Wand den mesialen Kanal zu erreichen, insbesondere 
wenn er zweiEingangsöönungen aufweist (Fig. 4). Der Ersatz der 
verloren gegangenen Aussenfläche mit dem entsprechenden 
Füllmaterial macht gewiss keine Schwierigkeiten, denn sowohl 

m 

Fig 4. 

m medialer, d distaler Wurzelkanal. 

die palatinale wie auch die distale Wand können in ihrer ur¬ 
sprünglichen Stärke erhalten bleiben und bieten in Verbindung 
mit den Wurzelkanälen hinreichend Retention. 

Es ist selbstverständlich, dass die ganze Manipulation 
unter Rotterdam ausgeführt werden soll. 



Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 


L Die Male AapmMIM. 

II. Heilen euer dentalen Aueniitelltiel ohne Eitrattion 
M Warzelresektion mit Jodifori-Kiochenplaih e. 

Von Prof. Dr. B. Mayrhofer in Innsbruck. 

I. 

Gleich den dentalen Kinnfisteln nehmen auch die von 
den Zähnen ausgehenden, in der Nähe des inneren Augen¬ 
winkels mündenden Fisteln, die dentalen Augenwinkel¬ 
fisteln, wie wir sie kurz nennen wollen, eine besondere 
Stellung unter den Zahnfisteln ein. Sie verdanken dieselbe der 
Möglichkeit, sie manchmal mit Tränensackfisteln zu verwechseln. 
Sind schon Zahnfisteln im Oberkiefer im allgemeinen minder 
häufig als im Unterkiefer, so stellen begreiflicherweise die 
Augenwinkelfisteln ein um so selteneres Vorkommnis dar. Dem- 


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Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck. Die dentale Augenwinkelfistel. 


7 


entsprechend ist die Zahl der in der Literatur niedergelegten 
einschlägigen Fälle keine grosse. * 

1. bis 5. Fall. Parinaud berichtet über zwei Fisteln 
am unteren Orbitalrand bei Kindern von 5 bis 6 Jahren und 
zwei Fisteln in der Tränensackgegend bei Erwachsenen (1), ferner 
über einen 5. Fall bei einem 7jährigen Knaben, wo die 
Fistel vom linken Caninus ausging (2). 

6. Fall. Sewill beobachtete bei einem 10jährigen 
Knaben am rechten inneren Canthus eine Fistel, die vom 
entsprechenden Eckzahn ihren Ausgang genommen hatte (3). 

7. bis 9. Fall. Sch eff teilt einen ähnlichen Fall mit (4) 
und erwähnt zwei weitere eigene Fälle in seinem Lehrbuche, 
deren einer vom ersten Molaris ausging (5). 

10. und 11. Fall. Schmidt sah zwei Fälle, einen bei 
einem 12jährigen Mädchen, der von einem zweiten (!) Molaris 
ausging, einen anderen vom Eckzahn verursachten bei einem 
50 jährigen Manne, der später am gleichseitigen Auge er¬ 
blindete (6). 

12. Fall. Sauer konnte den Zusammenhang einer 
Augenwinkelfistel mit dem linken ersten Molaris nachweisen (7). 

13. und 14. Fall. Gasper publizierte zwei hieher ge¬ 
hörende Fälle; der eine betraf einen Erwachsenen mit Ausgang 
der Fistel vom ersten oberen Molaris, der andere ein 16 Monate 
altes Kind, Ausgang vom oberen grossen Schneidezahne (8). 

15. Fall. Ziem beschreibt ausführlich einen Fall von 
dentalem Antrumempyem, welches im Bereiche des unteren 
Augenlides in dessen medianer Hälfte nahe dem inneren Augen¬ 
winkel durchgebrochen war (9). 

16. Fall. Sch eff hatte Gelegenheit, eine unterhalb des 
linken inneren Augenwinkels etablierte Fistel zu heilen, indem 
er die nach Extraktionsfraktur zurückgebliebene Wurzelspitze 
des Eckzahnes entfernte (10). 

17. und 18. Fall. Im Jahresberichte des Wiener zahn¬ 
ärztlichen Institutes 1902/03 und 1903,04, erstattet von 

* Da eine Vervollständigung der Kasuistik wünschenswert wäre, er¬ 
laube ich mir, die Herren Kollegen um publizistische oder private Mitteilung 
etwa beobachteter Fälle zu bitten. 


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8 


Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck. 


B. Spitzer, sind zwei ganz gleichartige Fälle, frakturierten 
Eckzahn rechts, beziehungsweise links betreffend, enthalten (11). 

Zu diesen in der Literatur verzeichneten Fällen bin ich 
in der Lage, sechs Fälle aus dem Allgemeinen Krankenhause 
in Linz (Prim. Dr. A. Brenner) und drei eigene Beobach¬ 
tungen hinzuzufugen. 

19. Fall. Franziska R., 19 Jahre. Seit zirka 1'/* Jahren 
Fistel unter dem rechten Orbitalrande. Mit der Sonde gelangt 
man, nach abwärts und hinten vordringend, in der Tiefe von 
3 Cm. auf eine Rauhigkeit. An Stelle des 6| nur Reste der 
Wurzeln vorhanden, deren vordere durch kurze Stösse der 
von oben durch die Fistel eingeführten Sonde bewegt werden 
kann. Extraktion der Wurzeln, Auskratzung der Alveole. Heilung. 

20. Fall. Johann R., 30 Jahre. In der Gregend des linken 
inneren Augenwinkels ein walnussgrosser, fluktuierender 
Tumor, der nach Zahnschmerzen vor 14 Tagen entstanden 
ist. Vor 8 Tagen bildete sich im Vestibulum oris über dem 
linken Eckzahn eine stinkenden Eiter entleerende Fistel. Die 
Sonde dringt durch diese Fistel nach aufwärts in den 
fluktuierenden Tumor vor, der am Tage nach der Aufnahme 
spontan im Augenwinkel auf brach, wobei sich massenhaft 
Eiter entleerte. Unter feuchtem Verbände gingen die akuten 
Erscheinungen rasch zurück. Operativer Eingriff verweigert. 

21. Fall. Johann K., 32 Jahre. Fistel 1 Cm. unter dem 
linken inneren Augenwinkel, seit V* Jahre bestehend, wobei 
sie sich wiederholt — im ganzen sechsmal — spontan schloss 
und wieder aufbrach. Von den beiden linksseitigen oberen 
Schneidezähnen sind nur mehr die kariösen Wurzeln vorhanden. 
Extraktion derselben, Auskratzung der Fistel, Heilung. 

22. Fall. Anna M., 20 Jahre. Nachdem sich Patientin in 
einer rechten oberen Schneidezahnwurzel mit einer beinernen 
Nadel herumgestochert hatte, bekam sie tags darauf eine 
Schwellung der rechten Wange, welche bald zurückging, später 
wieder auftrat, nach einer Inzision am Alveolarfortsatze sich 
wieder mehr verlor, dann sich aber unter Schmerzen neuer¬ 
dings einstellte, so dass von aussen nahe dem rechten Augen¬ 
winkel eine Inzision gemacht werden musste, wobei sich viel 


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Die dentale Augenwinkelfistel. 


9 


Eiter entleerte Die Inzisionswunde schloss sich nicht, auch die 
Schwellung blieb bestehen. Extraktion, Exkochleation, Heilung. 

23. Fall. Franz R., 19 Jahre. Seit 3 Wochen Schwellung 
der linken oberen Wangengegend, nach vorausgehenden Zahn¬ 
schmerzen entstanden. Haut des unteren Lides stark verdünnt. 
Daselbst deutliche Fluktuation, kariöse Molaren auf derselben 
Seite. Bei Inzision an der Durchbruch drohenden Stelle unter 
dem Augenhöhlenrande entleert„ sich massenhaft Eiter. Nach 
Extraktion der Molaren ergiesst sich aus den Alveolen der¬ 
selben ebenfalls Eiter. Drainage, später Tamponade, Heilung. 

24. Fall. Maiie 6., 16 Jahre. 5 Wochen vor der Auf¬ 
nahme Zahnschmerzen, hierauf Schwellung der linken Wange. 
Vor zwei Wochen Extraktion des |^, worauf die Geschwulst 
in der Hauptsache abfiel, aber eine bis gegen den inneren 
Augenwinkel hinauf reichende Schwellung an der linken Nasen¬ 
seite zurückblieb. Die Sonde gelangt durch die leere Alveole 
in einen Fistelgang, der bis V« Cm. unterhalb des linken Augen¬ 
winkels reicht. Spaltung der Alveole, Auskratzung des Fistel¬ 
ganges, Heilung. 

In den beiden letzten Fällen kam es, dank der ein¬ 
geschlagenen Therapie, nicht mehr zur vollständigen Ausbildung 
der bis zum Durchbruch vorbereiteten Fistel. 

Meine eigenen Fälle waren folgende: 

25. Fall. Rosina Sch., 25 Jahre. Fistel nahe dem rechten, 
inneren Augenwinkel mit bedeutendem Wangeninfiltrat, aus¬ 
gehend vom _2j. Spaltung, Auskratzung, Wurzelresektion am 
rechten kleinen Schneidezahn mit Erhaltung desselben; Heilung 
•(Juni 1904). 

26. Fall. Lisbeth E., 20 Jahre. Superficiale Kiefernekrose, 
ausgehend von \$J_ mit Fistelbildung knapp unter dem linken 
Canthus internus. Extraktion der beiden Molaren, Nekrosen¬ 
operation, Exkochleation der Fistel, Heilung (12). 

27. Fall. Anna Th., 17 Jahre. Fistel nahe dem linken 
inneren Augenwinkel, ausgehend vom linken, kleinen Schneide¬ 
zahn. Der Fall ist weiter unten ausführlich beschrieben. 

Ueber die A e t i o 1 o g i e des in Rede stehenden Krankheits¬ 
prozesses ist nicht viel zu sagen; die veranlassende Ursache 


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10 


Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck. 


ist Pulpagangrän. In allen bekannt gewordenen Fällen war 
dieselbe die Folge einer penetrierenden Karies. Es wäre aber 
selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass auch von einem 
äusserlich intakten Zahne mit infiziertem Zahnmarke (Trauma, Ab¬ 
kauung, Alveolarpyorrhoe) eine Augenwinkelfistel ausginge ; ein 
deraitiges Vorkommnis ist jedoch bis jetzt nicht mitgeteilt worden. 

Die pathologische Anatomie hat bezüglich der 
Verhältnisse, wie sie bei zirka 6jährigen Kindern vorliegen, 
schon Parinaud geschildert (13). In diesem Alter reicht 
nämlich der noch ganz im Knochen verborgene bleibende 
Caninus bis nahe an den Infraorbitalrand, während seine 
Alveole mit der des Milcheckzahnes kommuniziert, so dass am 
letzteren etablierte Eiterungsprozesse einen natürlichen Weg 
bis zum unteren Augenhöhlenrande vorfinden. Aehnlich ver¬ 
hält es sich mit den Alveolen der übrigen Zähne, insbesondere- 
der Backenzähne. 

Für das Zustandekommen des einen seiner beiden bei 
Erwachsenen beobachteten Fälle macht der Autor ein 
Gefässkanälchen verantwortlich, das vom Alveolarfortsatze in 
der Substanz des Kiefers zum Sinus lacrymalis emporsteigt* 
nach oben sowie nach unten Aeste absendend, die oberen 
zum Orbitalrande und zur Nasenhöhle, die unteren zu ver¬ 
schiedenen Alveolen. Im anderen Falle Parinauds (bei einem 
Erwachsenen) nahm der Eiter seinen Weg durch den Sinus 
maxillaris, mit anderen Worten: ein dentales Antrumempyem 
war nahe dem Orbitalrande durchgebrochen. Im übrigen liegen 
über den Weg, auf welchem die Infektion vom Zahne weiter- 
geschrilten ist, meist keine Angaben vor. In meinen drei Fällen, 
die ich gelegentlich der Operation daraufhin untersuchte, fand ich 
die vordere Gorticalis von der Sequesterhöhle, bzw. der apicalen 
Knochenusur her durchbrochen und den Fistelgang von da auf 
der Oberfläche des Knochens dem Periost entlang 
und unter der Haut nach aufwärts steigend. Es ist daher die 
Annahme naheliegend, dass neben jenem, nach anatomischen 
Studien theoretisch zugrunde gelegten Knochenkanälchen, jeden¬ 
falls auch die bekanntlich höchst variablen Gefäss- und Lymph- 
bahnen der Weich teile, in welch letzteren ich bisher aus- 


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Die dentale Augenwinkelfistel. 


11 


schliesslich den Fistelgang eingebettet fand, zur,Erklärung des 
Zustandekommens unserer Fisteln herangezogen werden müssen. 

Als veranlassende Zähne kommen Schneide-, Eck-, 
Backen- und Mahlzähne in Betracht. Die geringe Anzahl der 
zur Verfügung stehenden Fälle gestattet nicht eine prozentuelle 
Berechnung, doch fällt bei Erwachsenen die relativ häufige 
Beteiligung des kleinen Schneidezahnes auf, während bei 
Kindern der Eckzahn prävaliert, was Parinaud hinreichend 
erklärte und nebenbei ein Streiflicht auf die vulgäre Be¬ 
zeichnung dieses Zahnes als „Augenzahn“ wirft. 

Die Mündung der Fistel ist bald näher, bald etwas weiter 
vom Augenwinkel gelegen, gegen den unteren Alveolarrand 
oder gegen die Nase zu, und es ist einleuchtend, dass man 
manchmal im Zweifel sein wird, ob man eine Fistel als Augen¬ 
winkel- oder als Wangenfistel ansprechen soll, sowie es ja 
auch zwischen Kinn-, Unterkieferrand- und Halsfistel keine 
strengen Grenzen gibt. Die die Fistel umgebende Haut ist ent¬ 
weder narbig eingezogen, am Knochen fixiert, im übrigen von 
normalem, blassen Aussehen oder bläulich livid verfärbt; oder 
die Fistel sitzt auf einem Granulationspfropf oder aber auf 
einer kleineren oder grösseren, umschriebenen, geröteten An¬ 
schwellung. Auch die Umgebung kann mehr oder minder ge¬ 
schwollen sein. Am benachbarten Auge sind nur selten be¬ 
sondere Erscheinungen, wie Oedem der Lider, Tränenträufeln, 
leichte Conjunctivitis zu bemerken. Schwerere Störungen des 
Auges können sich nur bei komplizierendem Uebergreifen der 
Entzündung auf das Gewebe der Orbita ereignen (Fall 11 [?] r 
sowie ein Fall von Zahnfistel am äusseren Canthus, den Williams 
beobachtete [14]). Wiederholt wird angegeben, dass gleich¬ 
zeitig mit der äusseren auch eine Zahnfleischfistel bestand. 

Ausser einem einfachen Fistelgange infolge Pulpagangrän 
kann auch ein Antrumempyem (Parinaud, Ziem) oder 
eine Kiefernekrose (Fall 26) nahe dem Augenwinkel per¬ 
forieren und eine Fistel unterhalten, sowie das gleiche bei jeder 
Art von Zahnzyste denkbar wäre. 

Was Symptome und Verlauf anlangt, so können 
sich Augenwinkelfisteln, sowohl rasch unter heftigen Schmerzen,. 


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12 


Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck. 


Schwellung, eventuell Fieber (Fall 20 und 23), als auch lang-; 
sanier, unter mehrfachen akuten Attacken entwickeln (Fall 22 
und 24). Die Fisteln können entweder fortwährend sezemieren 
oder wiederholt oberflächlich verkleben und wieder aufbrechen 
{Fall 21). Im chronischen Stadium verursachen sie keine 
Schmerzen, veranlassen aber dennoch die geängstigten Patienten 
in der Regel bald, ärztliche Hilfe aufzusuchen. Nur selten ist 
die Indolenz so gross, derartige Dinge länger, anstehen zu 
lassen (Fall 19). 

Die Diagnose der Fistel an sich ergibt sich von selbst.. 
Eine um so genauere Untersuchung erfordert die Feststellung 
ihrer Herkunft. Hier kommt vor allen Dingen die Aehnlichkeit 
mit der Tränensackfistel in Betracht. Die Differentialdiagnose 
gegenüber diesem Leiden hat Sehe ff (15) zuerst genauer 
präzisiert. Sie stützt sich in erster Linie auf die Lokalisation. 
Tränensackfisteln münden fast immer in unmittelbarster Nähe 
des Canthus internus. Nur selten findet eine kurze Eitersenkung 
nach dem unteren Orbitalrande zu statt und dann ist fast 
immer ein derber, meist geröteter Gewebsstrang nach dem 
Canthus hin zu verfolgen. Die Zahnfisteln hingegen sind fast 
ausnahmslos 1 Cm. und mehr vom Canthus entfernt nach ab¬ 
wärts in der Nasenwangenfurche oder mehr gegen die Nasen¬ 
abdachung oder gegen den Orbitalrand zu gelegen. Nur in 
meinem Falle von Kiefernekrose fand sich die Fistel knapp 
unter dem Canthus. 

Das zweite von Sch eff erwähnte Unterscheidungsmerk¬ 
mal bezieht sich auf das Sekret, das er bei Träriensackfisteln 
als glasig, rohem Eiweiss ähnlich bezeichnet. Dem wäre hinzu¬ 
zufügen, dass diese Beschaffenheit natürlich nur dem Sekrete 
chronisch gewordener Tränensackfisteln zukommt; beim eben 
erfolgten Durchbruch der Dakryocystitis,. oder wenn eine Tränen¬ 
beinkaries vorliegt, ist das Sekret eitrig, wie bei der Zahnfistel. 

Entscheidend ist der dritte von Sch eff, hervorgehobene 
Untersuchungsbehelf: die Sondierung. Bei Tränensackfisteln 
kann die eingeführte Sonde nur mehr oder minder schräg 
nach aufwärts, gewöhnlich bis in den Tränensack, bei Zahn¬ 
fisteln nur nach abwärts vorgeschoben werden, eventuell bis 


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Die dentale Augenwinkelfistel. 


ia 

in die Alveole des schuldigen Zahnes. Ein Fall von Suk, wo 
die Sonde auch bei der Tränensackfistel nach abwärts glitt, weil 
die Fistel oberhalb des Canthus mundete, kann als vereinzelt 
gelten (16). 

Verwechslung mit entzündlichen Prozessen in der 
Orbita ist kaum möglich. Letztere gehen mit auffallenden 
Augenerscheinungen einher, welche sowohl anamnestisch als 
objektiv (Protrusion und Beweglichkeitseinbusse des Bulbus r 
Sehstörungen) nachweisbar sind; auch gelangt hiebei die hori¬ 
zontal eingeführte Sonde, die bei allen anderen, hier in Frage 
kommenden Prozessen in dieser Richtung sofort an den 
Knochen anstösst, unbehindert in die Orbita. Sitzt die Fistel 
näher dem Infraorbitalrande, insbesondere nach aussen zu, so 
rückt auch eine tuberkulöse Karies des Orbital- 
ran d es in den Bereich der Erwägung und ist auch der ziemlich 
seltene Durchbruch eines Antrumabszesses zu berück¬ 
sichtigen. Uebrigens kann auch durch Trauma eine Nekrose 
am Oberkieferknochen entstehen und eine Fistel am 
unteren Orbitalrande unterhalten, wie ein im Allgemeinen 
Krankenhause in Linz beobachteter Fall bewies. Manchmal 
sieht die Fistel einem Furun k el täuschend ähnlich (vgl. die 
beigegebene Abbildung), doch kommen Furunkel in dieser 
Gegend äusserst selten vor und dürfte auch die Anamnese 
sofort Aufschluss geben. 

Ist der dentaleürsprung des Leidens per exclusionem 
festgestellt, so bereitet die Auffindung des schuldigen Zahnes 
nach den bisherigen Erfahrungen gewöhnlich keine Schwierig¬ 
keiten, höchstens könnten sich solche ergeben, wenn die vor¬ 
handenen Zähne der betreffenden Seite kariesfrei wären, wo 
dann durch faradische Vitalitätsuntersuchung ein toter Zahn 
oder durch Röntgenaufnahme eine Apexusur nachgewiesen 
werden müsste. Das erstere Verfahren halte ich für das zu¬ 
verlässigere. In scheinbar zahnlosem Kiefer könnte eventuell 
eine Wurzel vom Zahnfleisch überwachsen sein, die durch 
Röntgenphotographie leicht aufzufinden wäre, während bei 
Vorhandensein mehrerer kariöser Zähne eine Durchspritzung 
Aufschluss geben würde. 


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14 


Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck. 


Die Prognose ist durchaus günstig, falls die Therapie 
gründlich gemacht wird, sonst wäre an die Möglichkeit einer 
Fortsetzung der Entzündung in die Orbita (Phlegmone, Opticus 
atrophie oder Phthisis bulbi, vielleicht gehört Fall 11 hieher) 
zu denken. 

Prophylaktisch käme in Betracht, bei Kindern im 
Alter von ungefähr 6 Jahren gegen eine Karies der oberen 
Milcheckzähne, aber auch der Backenzähne nicht gleiehgiltig 
zu sein. Auch bei Erwachsenen sind Augenwinkelfisteln ein relativ 
seltenes Vorkommnis. Immerhin ist beachtenswert, dass sich 
trotz vorhandener Zahnfleischfistel, dem gerne sogenannten 
„Sicherheits“-Ventil, nachträglich äussere, darunter speziell 
auch Augenwinkelfisteln, entwickeln können, ein Umstand, der 
neuerdings ermahnt, endlich einmal damit aufzuhören, die Zahn¬ 
fleischfistel als ein gar so lächerlich geringfügiges Leiden hin¬ 
zustellen. 

Die Therapie bestand bisher einzig in Exkochleation 
und Aufopferung des Zahnes durch Extraktion desselben. Dass 
auch eine andere Therapie möglich ist, soll im folgenden 
gezeigt werden. 

II. 

Der rationelle, auf pathologisch-anatomische Studien ge¬ 
stützte Gedankengang, auf Grund dessen Part sch die Wurzel¬ 
resektion zur Behandlung gewisser Zahnfleischfisteln empfahl (17), 
hat im Laufe der letzten Jahre durch zahlreiche klinische Beob¬ 
achtungen die erfahrungsgemässe Bestätigung seiner einwand¬ 
freien Richtigkeit erhalten. Er musste ebenso auch für äussere 
Fisteln die gleiche Geltung haben, es musste durch Entfernung 
des apicalen Infektionsherdes bei gleichzeitiger Schonung des 
bezüglichen Zahnes ebenso Heilung einer äusseren Fistel erzielt 
werden können, wie dies bei Zahnfleischfisteln schon oft ge¬ 
lungen ist. Die praktischen Erfahrungen hierin sind allerdings 
noch gering; in der Literatur ist kein Fall verzeichnet, auch 
privat ist mir keiner bekannt geworden. 

Ich selbst verfüge bis jetzt über 4 Fälle von äusserer 
Fistel, die auf die angegebene Weise operiert und geheilt 


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Heilung einer dentalen Augenwiukelfistel etc. 


15 


wurden, wobei sich aus der Anwendung der Jodoform-Knochen¬ 
plombe noch besondere Vorteile hinsichtlich Heilungsdauer und 
kosmetischem Erfolge ergaben (18). 

1. Fall (1904). Rosina Sch., 25 Jahre. Rechtsseitige 
Augenwinkelfistel mit ausgedehntem entzündlichen 
Infiltrat der Wange, ausgehend vom 2|. Wurzelresektion am 
letzteren vom Vestibulum oris aus, Exkochleation, Tamponade. 
Heilung in 17 Tagen. 

2. Fall (1906). Marie R., 30Jahre. Rechtsseitige Wangen¬ 
fistel etwas oberhalb des Unterkieferrandes in der Gegend 
der Backenzähne, ausgehend von 5 |, etwa 3 Monate bestehend. 
Wurzelresektion von aussen mit Umgehung der Mundhöhle, 
Exkochleation, Exzision der Fistel, Jodoform-Knochenplombe, 
Naht. Heilung in 5 Tagen (19). 

3. Fall (1906). Othmar B., 14 Jahre. Kinnfistel, im 
Kinngrübchen sitzend, seit ungefähr 2'/* Jahren bestehend, 
ausgehend vom kariesfreien i, von dessen Schneidekante eine 
kleine Ecke abgesprengt ist. Patient erinnert sich nicht, wann 
dies geschehen sein mag, auch ein spezielles Trauma (Stoss, 
Fall, Schlag), das den Zahn getroffen hätte, wird bestimmt in 
Abrede gestellt. Dagegen hat Patient die Gewohnheit, Nüsse 
mit den Zähnen aufzuknacken. Trepanation und Desinfektion 
des mit jauchig stinkendem Detritus angefüllten Wurzelkanals. 
Wurzelresektion von aussen mit Vermeidung einer Eröffnung 
der Mundhöhle. Exkochleation, Exzision der Fistel, Jodoform- 
Knochenplombe, Naht. Heilung in 5 Tagen. 

4. Fall (1906). Frl. Anna Th., 17 Jahre. Linksseitige 
Augenwinkelfistel. Anamnese: Patientin, die sich bis dahin 
eines vollständigen Gebisses von 28 Zähnen (Weisheitszähne 
noch nicht durchgebrochen) erfreute und wenig an Zahn¬ 
schmerzen gelitten hatte, begab sich vor 5 Monaten wegen 
schadhafter oberer Schneidezähne in die Behandlung eines Zahn¬ 
technikers. Derselbe zwickte ihr die Kronen aller vier Schneide¬ 
zähne ab und verfertigte eine Plattenprothese. Nach einem 
Monat schwoll die rechte Wange unter Schmerzen stark an. 
Die Geschwulst verging einige Zeit darauf wieder. Später schwolt 
die linke Wange an, die Geschwulst verging aber nicht, vielmehr 


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16 


Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck. 


bildete sich allmählich in der Nähe des linken inneren Augen¬ 
winkels ein Knötchen, welches schliesslich vor 2 Wochen 
von einem Arzte aufgeschnitten wurde, wobei sich Eiter ent¬ 
leerte. Der Arzt empfahl der Patientin, sich zur weiteren Be¬ 
handlung nach Innsbruck in die Klinik zu begeben, welchem 
Rate sie nach einigem Zu warten, als die Wunde sich nicht 
schloss, sondern als Fistel bestehen blieb, Folge leistete. 

Status praesens: Kräftiges, gesund aussehendes 
Mädchen. Mundverhältnisse sehr unhygienisch. Zwar sind die 
Zahnkronen, trotz mehrfacher Karies, mit Ausnahme der gänzlich 
fehlenden oberen Schneidezahnkronen, nirgends erheblich kon¬ 
sumiert, doch ragen sie verhältnismässig wenig aus dem auf¬ 
gelockerten, gewucherten, leicht blutenden Zahnfleische hervor 
und sind reichlich mit Zahnstein und einem schmierigen Belage 
bedeckt. Die Wurzeln der Schneidezähne sind infolge Ueber- 
deckung durch das kranke Zahnfleisch gänzlich unsichtbar. Aus 
den Taschen dringt eitriges Sekret hervor. Üeber der Wurzel 
des B|,- ferner links neben dem oberen Lippenbändchen und 
zwischen |28 öffnet sich je eine Zahnfleischfistel. Entsprechend 
l| |12 fühlt man im Vestibulum oris eine derbe, auf Druck etwas 
schmerzhafte Auftreibung. Auf der linken Nasenabdachung nahe 
dem inneren Augenwinkel befindet sich auf einer über heller¬ 
stückgrossen, erhöhten, geröteten Hautpartie eine gelbliche 
Borke, nach deren Entfernung eine Fistelöffnung zutage tritt. 
Auch die Umgebung ist etwas geschwollen. (Vgl. die Abbildung.) 
Bei Druck auf die Umgebung der Augenwinkelfistel entleert 
sich aus der Zähnfleischfistel neben dem Lippenbändchen reichlich 
Eiter; umgekehrt kommt bei Druck auf den derben Tumor im 
Vestibulum oris ein eitrig seröses Sekret aus der äusseren Fistel. 

Therapie: Zunächst wurde getrachtet, hygienische Ver¬ 
hältnisse im Munde herzustellen; es wurden alle kariösen Höhlen 
provisorisch gefüllt, der Zahnstein entfernt und das gewucherte 
Zahnfleisch ausgiebig kauterisiert, dadurch insbesondere die 
Schneidezahnwurzeln freigelegt urid hierauf desinfiziert. Durch 
das jugendliche Alter der Patientin und die lückenlose Zahn¬ 
reihe war von vorneherein angezeigt, diese Wurzeln für eine 
Brücke zu konservieren. Es wurde angenommen, dass die 


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Dentale Augenwinkelfistel. 








18 


Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck. 


Fistel über dem Bj ? welche mittels Durchspritzung als von 
der 2|-Wurzel ausgehend nachgewiesen wurde, ein Prozess für 
sich sei und auf Grund früher gemachter Erfahrungen unter 
Verzicht auf medikamentöse Experimente die Wurzelresektion 
ausgeführt. Der gelegentlich derselben erhobene Befund — 
bedeutende Usur mit Ausbuchtung, sowie corticaler Sequester — 
rechtfertigte das chirurgische Vorgehen. Auch stand diese Fistel 
mit dem übrigen Krankheitsherde tatsächlich in keiner Ver¬ 
bindung. Schwieriger war angesichts der von M bis J2 reichenden 
lntumeszenz die Entscheidung bezüglich der drei anderen Wurzeln 
oder, richtiger gesagt, es war unmöglich, ohne Augenschein zu 
entscheiden, wie hier die Verhältnisse liegen mögen. Es wurde 
daher beschlossen, die drei Wurzeln in einem Operationsakte 
anzugehen, bei dem ausgedehnten Operationsfelde, da die 
äussere Fistel ja auch gleich einbezogen werden sollte, selbst¬ 
verständlich in Narkose (Billroth-Mischung). 

Ein bogenförmiger, nach unten konvexer, zirka 3 Gm. 
langer Schnitt in der beweglichen Mucosa über die Mitte der 
drei Zahnwurzeln legte üppig vorquellende Granulationen 
bloss; nach der Wegkratzung zeigte sich, dass die vordere 
Corticalis entsprechend allen drei Wurzeln lochförmig usuriert 
war. Jede Wurzel hatte ihre eigene selbständige Knochen- 
usur. Bei den beiden mittleren Schneidezähnen war sie hasel¬ 
nussgross. Der Apex des |2 lag in grösserer Ausdehnung bloss, 
und nach Resektion desselben gewann man Zugang zu einer 
nussgrossen, von Granulationen ausgefüllten Höhle, welche 
jedoch mit dem Antrum nicht kommunizierte. Dagegen führte 
von ihr, auf der Vorderfläche des Oberkieferknochens und unter 
der Haut liegend, ein Granulationsgang nach aufwärts bis 
zur äusseren Fistel, so dass eine von oben nach unten ein¬ 
geführte Sonde in der Knochenhöhle zum Vorschein kam. 
Der obere Rand der Knochenusur war entsprechend dem Be¬ 
ginne des Fistelganges erweicht, so dass er sich leicht mit dem 
scharfen Löffel wegkratzen liess. Nach Auskratzung des Fistel¬ 
ganges von unten, sowie der Fistel von aussen wurde die 
äussere Wunde mit einem schmalen Vioformstreifen, der behufs 
Drainage nach oben ein Stück weit nach abwärts in den 


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HeiluDg einer dentalen Augenwinkelfistel etc. 19 

Wundkanal eingeführt wurde, locker tamponiert. Hierauf 
wurden die drei Knochenhöhlen mit Jodoformplombe ausgefüllt 
und die Schleimhaut durch sieben Nähte verschlossen. Die 
Naht heilte bis auf eine kleine sich bald schliessende Stelle per 
primam. Die äussere Wunde vernarbte unter stetiger Ver¬ 
kürzung des Tampons binnen 2 Wochen. Eine Naht der 
äusseren Wunde dürfte an dieser Stelle in solchen Fällen 
kaum je wohl angebracht sein, wenigstens habe ich in meinen 
Fällen das Gewebe hier entweder zunderartig aufgelockert 
oder so stark entzündlich infiltriert angetroffen, dass ein 
Nähen ausgeschlossen war. Auch konnte ich bei Fall 4 auf 
die Drainage der Wundsekrete nach aussen nicht verzichten, 
um nicht die weiter unten befindlichen Knochenplomben zu 
gefährden. 

Nach dem günstigen Ausgange der mitgeteilten Fälle 
kann fernerhin, wie schon früher bei Wangen- und Kinnfistel 
bewiesen, auch bei dentaler Augenwinkelfistel die 
Extraktion des schuldigen Zahnes nicht mehr 
al£ unbedingte Voraussetzung der Heilung 
gelten. 


Literatur: 

1. Parinaud: Arch. g$n. de med., Juni 1880. 

2 . Derselbe: Eine Zahnfistel, die eine Tränensackfistel vorläuscht. 
Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. 1884, S. 137 (Ref.). 

3. Sewill: Odontolog. Gesellschaft von Grossbritannien, 1868. 

4. J. Sch eff: Pester medizinisch-chirurgische Presse, 1882. 

5. Derselbe: Lehrbuch der Zahnheilkunde, II. Aufl. 1884, S. 317. 

6. Schmidt: Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1887, S. 383. 

7. Sauer: Ibidem, S. 384. 

8. Casper: Lidabszess in Verbindung mit Zahnwurzelabszess. Zentralblatt 
für Augenheilkunde, 1882, S. 106. 

9. Ziem: Allgemeine medizinische Zentralzeitung, 1887, Nr. 37 und 38. 

10. Sch eff: Haudbuch der Zahnheilkunde, II. Aufl. 1903, II, 2, S. 241. 

11. B. Spitzer: Bericht des zahnärztlichen Institutes der Wiener Universität. 
Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1905, S. 433. 

12 Mayrhofer: Ein Fall von partieller dentaler Oberkiefemekrose mit 
Durchbruch nahe dem Augenlide und in die Nasenhöhle. Oesterr.-ungar. 
Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1906, S. 491. 

2 * 


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20 Prof. Dr. B. Mayrhofer. Heilung einer dentalen Augenwinkelfistel etc. 


13. N. Feuer: Die Beziehungen zwischen Zahn- und Augenaffektionen. 
Schelfs Handbuch, II. Aufl. 1903, H, 2, S. 482 ff. 

14. C. Williams: Dental Cosmos. 1867 (vgl. N. Feuer 1. c.). 

15. J. Scheff: Zur Differentialdiagnose der Zahn fleisch-Wangenfistel unter¬ 
halb des inneren Augenwinkels und der Trfinensackfistel. Deutsche 
Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1887, S. 363. 

16. J. äuk: Zwei Fälle selten vorkommender Durchbruchsstellen bei Dakryo- 
cystitis. Wiener klinische Wochenschrift, 1898, S. ö09. 

17. C. Part sch: Ueber Wurzelresektion. Deutsche Monatsschrift für Zahn - 
heilkunde, 1899, S. 348. 

18. Mayrhofer: Erfahrungen mit der Jodoform-Knochenplombe hinsichtlich 
Vereinfachung der Nachbehandlung nach Wurzelresektion und Zahn¬ 
zystenoperation. Oesterr. Zeitschrift für Stomatologie. 1906, S. 209. 

19. Mayrhofer: Wangenfistel; Heilung mit Erhaltung des schuldigen 
Zahnes durch Wurzelresektion von aussen und Jodoform-Knochenplombe. 
Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1900, S. 323. 

20. C. Wedl: Pathologie der Zähne, S. 167. 

21. 0. Eversbusch, Graefe-Saemisch: Handbuch der gesamten Augen¬ 
heilkunde, II. Aufl., 1903, S. 66ff. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 


Aus dem k. k. zahnärztl. Uni versitäts - Insti tu t 
(Prof. Scheff) in Wien. 

Von Dr. Bertold Spitzer, Assistenten daselbst. 

Abgesehen von den einzelnen Arten der Stomatitis, bei 
denen das Zahnfleisch fast stets in verschiedener Weise in 
Mitleidenschaft gezogen ist, kommen Erkrankungen der Gingivai. 
vor, deren Hauptsymptom eine entzündliche Schwellung ist. 
Eine sehr häufige Ursache derselben sind mechanische Reize r 
die bei längerer Einwirkung nicht nur eine Hypertrophie des 
benachbarten Gewebes, sondern auch in Kontinuität eine solche 
der entfernteren Partien hervorrufen können. So lehrt die Er¬ 
fahrung, dass selbst durch kariöse Zähne eine allgemeine Hyper¬ 
trophie des Zahnfleisches an dem betreffenden Kieferteile bedingt 
werden kann. Diese Erscheinungen, sowie jene, welche man des> 


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Dr. Bertold Spitzer, Wiea. Ueber eme Affektion des Zahnfleisches. 21 

öfteren bei Menstruationsstörungen oder Schwangerschaft zu 
beobachten Gelegenheit hat, werden vielfach der Stomatitis 
katarrhalis zugerechnet. 

Bei der Gingivitis expulsiva, die von Pons und Teissier 
beschrieben wurde, ist das Zahnfleisch in der ersten Periode 
der Erkrankung deutlich aufgewulstet und von violetter Farbe. 
Bei der von Arkövy beschriebenen Gingivitis nudata tritt die 
Schwellung der Gingiva im Verhältnis zu den Hauptsymptomen 
— Denudation der Papillarschichte der Schleimhaut, deren 
Klebrigkeit und das Gefühl des Brennens — zurück. All die 
in Kürze erwähnten Erkrankungen können bei rechtzeitiger 
Entfernung der Causa movens einer vollständigen Heilung zu- 
geführt werden, ohne dass die Nachbargebilde Schaden leiden, 
während alle länger dauernden Erkrankungen des Zahnfleisches 
schliesslich zu einer Entzündung des Alveolarperiostes führen, 
welche zunächst lokal beschränkt bleibt, allmählich aber zum 
Schwund der Alveolen und zur Lockerung der Zähne führen kann. 

Ganz anders sind jene Fälle von Gingivitis, die schlecht¬ 
weg als Hypertrophia (Elephantiasis) gingivae bezeichnet werden, 
keine günstige Prognose gestatten und trotz vielfach ange¬ 
wendeter Therapie nicht geheilt werden können. Meist tritt 
dieselbe ohne jedes Prodromalsymptom auf, um an Intensität 
immer mehr zuzunehmen, und nur die radikalste Kur kann 
sie bezwingen. Derartige Erkrankungen sollen nach Angabe 
einiger Autoren hauptsächlich bei geistig Minderwertigen, welche 
auch in körperlicher Beziehung mangelhaft entwickelt sind, Vor¬ 
kommen. 

Salt er beschreibt eine sehr seltene Affektion, die er als 
harte Hypertrophie des Zahnfleisches bezeichnet. Sie besteht 
in allmählicher Schwellung des Zahnfleisches. Der von der Er¬ 
krankung betroffene Teil fühlt sich hart an und ist fast un¬ 
empfindlich. Mit dem Fortschreiten der Verdickung verändern 
auch die Zähne ihre Stellung und werden locker. Das Zahn¬ 
fleisch aber heilt erst nach dem Ausfall oder nach der Ex¬ 
traktion der Zähnp. Heath berichtet über zwei Fälle von 
enormer Hypertrophie der Gingiva. In dem einen Fall handelt 
es sich um ein 4 1 /* Jahre altes, sonst gesundes Kind, bei dem 


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Dr. Bertold Spitzer, Wien. 


das Zahnfleisch im Ober- und Unterkiefer so mächtig ent¬ 
wickelt war, dass die Zähne mit Ausnahme der Kronenspitzen 
vollständig bedeckt waren. Der Zustand entwickelte sich inner¬ 
halb 2 Jahre. Im zweiten Fall erstreckte sich die Hypertrophie 
nur auf die rechte Seite des Unterkiefers. Die Entfernung des 
hypertrophischen Zahnfleisches und des Alveolarteiles in einem 
Stücke führte zur Heilung. Hisey (Ohio) beschreibt einen 
Fall, der einen 15jährigen Knaben betrat. Die Schwellung war 
von derartigen Dimensionen, dass die Form des Mundes ent¬ 
stellt war und die Sprache, sowie die Mastikation wesentlich 
gestört wurden. Auch Whiteley sah einen ähnlichen Fall. Die 
Entfernung der Zähne und die Abtragung der hypertrophischen 
Zahnfleischpartien brachten schliesslich Heilung des Zustandes. 
Metnitz und Kraus hatten Gelegenheit, je einen Fall mit den 
besprochenen Erscheinungen am Zahnfleisch zu beobachten. 
Parreidt sah eine solche Hypertrophie bei einem 4jährigen 
Mädchen, das zugleich an Hypertrychosis universalis litt. 

Mir selbst bot sich an der Klinik die Möglichkeit, eine 
derartige Erkrankung zu sehen und eingehend zu beobachten. 
Es würde zu weit führen, die ganze Krankengeschichte an¬ 
zuführen, deshalb mögen nur die wichtigsten Punkte derselben 
hier Raum finden. Lina Sch., 19 Jahre alt, aus Jerusalem, 
bemerkt seit 2 Jahren eine Schwellung des Zahnfleisches, die 
langsam zunahm, bis der gegenwärtige Zustand erreicht war. 
Das Leiden ist seit Beginn von Schmerzen begleitet. Der be¬ 
handelnde Arzt bestätigte schriftlich die erwähnten Angaben 
mit dem Zusatz, dass man dortselbst vergeblich versuchte, da¬ 
gegen anzukämpfen. Patientin stand 11 Wochen im dortigen 
Hospital in ambulatorischer Behandlung, wo ihr die hyper¬ 
trophischen Papillen zweimal abgetragen wurden, doch stets 
kehrte der frühere Zustand wieder. In ätiologischer Hinsicht kein 
bestimmendes Moment. Bei meiner Untersuchung ergab sich 
folgender Befund: Die Gingiva des Ober- und Unterkiefers stark 
gewulstet, die Prämolaren und Molaren von ihr so weit gedeckt, 
dass nur die Kauflächen sichtbar sind, über die übrigen Zähne 
zieht sie schürzenartig hinweg und deckt zwei Drittel ihrer 
Fläche. Die mächtigen Interdentalpapillen drängen sich zwischen 


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Ueber eine höchst seltene, eigentümliche Affektiou des Zahnfleisches. 23 



den approximalen Flächen der Zähne hindurch. An der Aussen- 
seite zeigen die Papillen epitheliale Trübungen, während sie 
an der Vorderfläche der unteren Schneidezähne etwas ab¬ 
gehoben sind. Die Zähne insgesamt gelockert, der zweite untere, 
rechte Backenzahn fehlt. Die hier den Alveolarteil deckende 
Gingiva normal. Starke Salivation, keine Fistelbildung, Foetor 
ex ore. Das Zahnfleisch fühlt sich schwammig an, ist viel dunkler 


Fig. 1. 

gefärbt als die übrige Schleimhaut und blutet nicht leicht. Aut 
Druck entleert sich aus den Zahnfleischtaschen ein gelblich- 
weisses, geruchloses Sekret (Befund: Mundhöhlenparasiten der 
verschiedensten Formen). Die submaxillaren Drüsen links etwas 
geschwollen, Zahnstein ist in geringer Menge vorhanden. Die 
Zähne selbst mit Ausnahme der drei unteren Molaren, die tief 
kariös sind und sogleich extrahiert werden, äusserlich intakt 
(Fig. 1). 


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24 


Dr. Bertold Spitzer, Wien. 


Zugleich mit der Extraktion der genannten Zähne werden 
die hypertrophischen Partien des Zahnfleisches am Unterkiefer 
abgetragen und die stark blutenden Wundflächen kauterisiert. 
Das Zahnfleisch des Oberkiefers wird einer energischen 
Friktionskur unterzogen. Nach einigen Tagen beobachteten 
wir, dass die Extraktionswunden normalerweise fast vernarbt 
waren, dagegen zeigten sich bereits an jenen Stellen, wo die Pa¬ 
pillen gänzlich abgetragen, wurden, kleine rote Wärzchen, die 
den Beginn zur rezidiven Wucherung bildeten (Tuschieren mit 
Lapis). Am Oberkiefer war gleichfalls kein Erfolg zu bemerken. 
Der in geringer Menge vorhandene Zahnstein war gleich zu 
Beginn der Behandlung entfernt worden. Die stark gelockerten, 
linken, unteren Prämolaren wurden extrahiert und das an¬ 
haftende Zahnfleischgewebe sowie das Periost dieser Zähne 
der histologischen Untersuchung unterzogen. Da sich der Zustand 
der Gingiva im Oberkiefer trotz der Friktionskur nicht besserte, 
versuchten wir auch an der linken Kieferhälfte die Exzision 
des hypertrophischen Zahnfleischgewebes, während rechts die 
Massage mit 3 prozentiger Borlösung, die wir mit dem besten 
Resultate in Anwendung bringen, fortgesetzt wurde. Blut- und 
Harnbefund normal. Die radiologische Untersuchung des Kiefer¬ 
skelettes ergab keine pathologischen Veränderungen. 

Sch eff bekam vor einigen Jahren einen ähnlichen Fall 
zur Behandlung. Derselbe betraf eine junge, blühend aussehende 
Frau von 22 Jahren. Das Zahnfleisch konnte in der Wucherung, 
Lockerung und starken Blutung nicht beschränkt werden. Die 
Zähne wurden nach und nach locker und das schliessliche 
Ende war ihre Entfernung. 

Sch eff untersuchte das Periost der extrahierten Zähne 
und fand in demselben Tub erkelbazi 11 en, eine auffallende 
Erscheinung, die meines Wissens bisnun nicht zur Wieder¬ 
holung kam. 

Die Patientin ging nach Ablauf eines Jahres an florider 
Tuberkulose zugrunde. 

Diese höchst interessante Mitteilung veranlasste mich, bei 
meiner Patientin gleichfalls auf Tuberkelbazillen zu untersuchen, 
wobei jedoch das Resultat vollkommen negativ blieb. 


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Ueber eine höchst seltene, eigentümliche Affektion des Zahnfleisches. 25 


Die Bestrahlung mit Radium zeigte keinen Erfolg. Die 
Patientin klagte seit dieser Zeit über grössere Schmerzen in 
den Zähnen des Unterkiefers und so entschlossen wir uns zur 
Extraktion der noch vorhandenen Zähne. 

Im Bereich der linken Oberkieferhälfte waren die rest¬ 
lichen Teile des Zahnfleisches unterdessen wieder ein wenig 
gewuchert, rechts war die Friktionskur nicht vom geringsten 
Erfolg begleitet. 

Nachdem alle Behandlungsversuche erfolglos waren, blieb 
uns schliesslich nichts übrig, als der Patientin die Extraktion 
auch dieser Zähne mit gleichzeitiger Exzision der stark ge¬ 
wucherten Zahnfleischränder und -papillen zu empfehlen; dieser 
Eingriff wurde auch mit ihrem Einverständnis vorgenommen. 
Die Pulpa der extrahierten Zähne zeigte makroskopisch nur die 
Zeichen einer Hyperämie. 

In der kürzesten Zeit waren die Extraktionswunden ver¬ 
heilt und ein normales Gewebe deckte die Alveolarteile der 
beiden Kiefer. Patientin, die vorher über besonders heftige 
Schmerzen klagte, die sich besonders nachts steigerten, war 
von jetzt ab viel munterer und fühlte sich wohler. 

Sechs Wochen nach Entfernung der Zähne erhielt Patientin 
ein oberes und unteres Ersatzstück, die sie ohne jedwede Re¬ 
aktion von seiten der Schleimhaut tragen konnte. 

Wir wissen aus Erfahrung, dass häufig bei sonst normaler 
Beschaffenheit des Zahnfleisches eine Entzündung der Interdental¬ 
papille, die, örtlich begrenzt, einen oder mehrere Zahnzwischen¬ 
räume befällt, sich meist nur durch intensive Schmerzen be¬ 
merkbar macht; die das besprochene Leiden begleitenden 
Schmerzen dürften ihre Ursache nicht nur in der erkrankten 
Gingiva, sondern auch in dem im Stadium einer chronischen 
Entzündung befindlichen Periost gehabt haben. 

Was die Aetiologie dieser eigenartigen Erkrankung betrifft, 
so kann dieselbe wohl nur durch eine systematische Unter¬ 
suchung ähnlicher Fälle ergründet werden. Im oben beschriebenen 
Fall fand ich das erste Glied zu dieser mir gestellten Aufgabe, 
weshalb auch die Aufnahme des histologischen Befundes (Pro- 


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v I 



26 


Dr. Bertold Spitzer, Wien. 


fessor Dr. Pal tauf), der eingehend behandelt wird, gerecht¬ 
fertigt erscheinen dürfte. 

Die mikroskopische Untersuchung der von den Zähnen 
abgelösten Gewebsstücke(FärbungmitHämatoxylin-Eosin, Unna’s 
Methylenblau, Pyronin-Metbylgrün) zeigt ein ausserordentlich 
gefässreiches, entzündliches Granulationsgewebe; die Gefässe 



Fig. 2. 


sind sehr weit, stellen geradezu lakunäre Räume vor, deren 
Zwischengewebe stellenweise nicht mehr ausmacht als die Blut¬ 
räume; dabei besitzen die Gefässe trotz ihrer Weite sehr häufig 
eine einfache Endothellage als Wand, der manchmal noch eine 
Lage spärlicher Zellen aufliegt. Die Endothelien sind gross, 
zeigen grosse helle Kerne; dabei bilden die Zellen manchmal 
syncytienähnliche Bänder, in denen die Abgrenzung einzelner 
Zellen unmöglich ist, oder es bilden sich durch Aneinanderlagerung 
mehrerer Zellen umschriebene, knopfartige Protuberanzen, in 


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Ueber eine höchst seltene, eigentümliche Affektion des Zahnfleisches. 27 


denen die einzelnen Elemente sich auch nicht abheben, so dass 
dieselben Riesenzellen ähnlich erscheinen; sie bilden aber 
die Wand von Bluträumen. Selten ist es der Fall, dass die 
grossen Endothelien auf längere Strecken hin doppelt gelagert 
sind; durch Protoplasma-Ausläufer entstehen Anastomosen mit 
benachbarten Gefässen, von denen es dahingestellt bleiben mag, 
ob es neue Gefässanlagen sind; allerdings wurde dafür sprechen, 
dass man ausser den ungleich weiten, buchtigen Hohlräumen 
stellenweise schmale, mehr gestreckt verlaufende Gefässver- 
bindungen findet, an welchen die Endothelien einen Zug parallel 
gelagerter, scheinbar spindeliger, aneinandergereihter Zellen 



bilden; dieselben fallen dadurch auf und würden zunächst 
auch Spindelzellen entsprechen; ihre Anastomose mit den 
Endothelien, die Einmündung der schmalen Lumina in die grossen 
Bluträume lassen aber ihre Natur als junge Gefässbildungen 
erkennen. 

Das Zwischengewebe besteht fast überall aus einer 
zarten, durchsichtigen, nur wenig streifigen Grundsubstanz, in 
welcher spärlich rundliche und kurzspindelige oder verzweigte 
Zellen liegen mit hellen Kernen und bei Pyronin-Methylgrün 
kaum sichtbarem Protoplasma und zahlreiche bei derselben 
Färbung leuchtend rot gefärbte Zellen, die durch den dunklen, 
häufig exzentrisch gelagerten Kern sich als Plasmazellen erweisen. 


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•28 


Dr. Bertold Spitzer, Wien. 


Namentlich erscheint der dem exzentrisch gelagerten Kerne 
gegenüberliegende Zellrand leuchtend rot. Auch das Unna'sche 
Methylenblau lässt die Zellen deutlich als Plasmazellen hervor¬ 
treten; dieselben finden sich sehr zahlreich, stellenweise in dem 
Grade, dass das ganze Gewebe zwischen den weiten Bluträumen 
fast nur aus ihnen besteht. Ausser Plasmazellen finden sich 
noch kleine mononukleare Zellen vom Charakter der Lympho¬ 
zyten, endlich polynukleare Leukozyten, die aber erst in den 
oberen und obersten Schichten, sowohl in den Gefässen als im 
♦Gewebe reichlicher erscheinen (Fig. 2 und 3). 

An einem der untersuchten Gewebstücke grenzt sich ein 
etwa klein erbsengrosser Knoten dadurch ab, dass er beider¬ 
seits durch tief in das Granulationsgewebe vorgeschobene 
Epithelzapfen und -stränge von der Umgebung geschieden ist 
und ferner aus einem insofern etwas anders gearteten Gewebe 
besteht, als die Blutgefässe zwar äusserst zahlreich, aber nicht 
so weit sind und eine zellreichere Wand besitzen; hier enthält 
das Zwischengewebe sehr wenig Plasmazellen, stellenweise fehlen 
solche ganz und es finden sich neben spärlichen Spindelzellen 
in der zarten Grundsubstanz fast nur mono- und polynukleare 
Leukozyten. Dadurch, dass fast nur Gefässe das Gewebe zu¬ 
sammensetzen, ist dasselbe nicht unähnlich jungen und 
wuchernden Anteilen entzündlich affizierter angiomatöser 
Warzen. 

Die Oberfläche der Wucherungen des Zahnfleisches zeigt 
vielfach noch das geschichtete Plattenepithel, stellenweise bilden 
dasselbe ziemlich dicke Lagen mit reichlichen unter sich auch 
anastmosierenden Zapfen und netzartigen Fortsätzen, die sich 
verschieden tief ins Granulationsgewebe einsenken; stellenweise 
ist das Epithel sehr dünn oder fehlt vollständig, so über aus 
dem übrigen Gewebe vordringenden und sich vorwölbenden 
Höckern und Protuberanzen, wie einer oben als fast nur aus 
Gefässen bestehend beschrieben ist. An solchen des Epithels 
entblössten Stellen lagern grosse Mengen von Bakterien, nament¬ 
lich ein Filz von meist senkrecht zur Oberfläche gelagerten, 
leicht gebogenen Leptothryxfäden. Nirgends zeigt das Ge¬ 
webe Ansätze zu einer Narbenbildung; an einigen Schnitten 


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Heber eine höchst seltene, eigentümliche Affektion des Zahnfleisches. 29 


findet sich zentral ein fibröses Gewebe und einige Zuge 
fibrösen Gewebes. Dasselbe ist aber als Rest des ursprüng¬ 
lichen fibrösen Gewebes zu betrachten, das auch durch das 
Einwachsen neugebildeter Gefässe und das Auftreten von 
Plasmazellen in ihrer Umgebung in das beschriebene Gewebe 
umgewandelt wird; dafür spricht, dass das noch vorhandene 
fibröse Gewebe sehr zellarm ist und als solches an das gefäss- 
reiche, fast ausschliesslich von Plasmazellen gebildete ent¬ 
zündliche Gewebe anschliesst, so dass jeglicher Uebergang aus 
einem an jungen Bindegewebszellen reichen Gewebe fehlt, wie 
es sich bei beginnender Narbenbildung (Organisation) findet. 
Auch in den tiefen Anteilen der im gehärteten Präparate noch 
0*6 bis 1 Cm. dicken Wucherungen, fehlt jegliche Andeutung einer 
Narbenbildung, resp. Bindegewebsbildung. 

Die Untersuchung von Zahnfleischpräparaten (Hypertrophia 
gingivae infolge Zahnsteins und infolge Durchbruchs eines 
permanenten Zahnes) ergab eine weit geringere GefässWucherung 
und das Vorhandensein eines an jungen Bindegewebszellen 
reichen Gewebes. 

Ich sehe mich veranlasst, Herrn Prof. Dr. Pal tauf für 
seine ganz besonders liebenswürdige Unterstützung an dieser 
Stelle noch ergebenst zu danken. 

Literatur: 

Metnitz: Ueber Zahnfleischwucherung. Wiener zahnärztl. Monatsschrift, 1901. 
Arkövy: Gingivitis nudata. Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift, 1893. 
Salter: Tamoren und andere Erkrankungen des Zahnfleisches Uebersetzung 
aus „Salters Pathology and Surgery“, Deutsche Vierteljahrsschrift für 
Zahnheilkunde, 1877/78. 

Treuenfels: Die Entzündung der interdentalen Zahnfleischpapille. Deutsche 
Monatsschrift für*Zahnheilkunde, 1902. 

Pons: Ueher die Gingivitis expulsiva und ihre Behandlung. 

Teissier: Die Gingivitis expulsiva in ihrer Beziehung zu Diathesen be¬ 
trachtet Zahnarzt, 1861. 

Parreidt: Lehrbuch der Zahnheilkunde, Leipzig 1907. 

Hisey: Ein Fall von enormer Hypertrophie des Zahnfleisches. Korrespondenz- 
blatt für Zahnärzte, 1893. 


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30 


Dr. Leo Fleischmann Wien. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Das traisparmte Dentin. 

Aus dem Wiener histologischen Universitäts- 
Institut (Vorstand: Hofrat Prof. v. Ebner). 

•Ein Beitrag zur pathologischen Histologie des Dentins von 
Dr. Leo Fleischmann , Zahnarzt in Wien. 

(Mit zwei Tafeln.) 

Normales Dentin zeigt an der Oberfläche sowohl an 
•Quer- als auch an Längsschliffen in auffallendem Lichte 
schillernden Seidenglanz und ist auch in dünnen Schliffen 
undurchsichtig. Der Seidenglanz hängt nach v. Ebner 1 
mit der Verlaufsrichtung der Zahnkanälchen und der fibrillären 
Struktur der Grundsubstanz zusammen. Unter gewissen Um¬ 
ständen geht der Seidenglanz verloren, das Dentin nimmt ein 
gelbliches hornartiges Aussehen an, wird durchscheinend 
und in dünnen Schliffen durchsichtig. Dieser Eigenschaft ent¬ 
sprechend nennt man es transparentes oder diaphanes 
D en tin. 

Der Zustand der Transparenz ist regelmässig zu be¬ 
obachten in den Wurzeln der Zähne alter Individuen; manch¬ 
mal auch in den Kronen solcher Zähne; weiter bei Karies 
der Zähne als eine den kariösen Herd in einem gewissen Ab¬ 
stand umgebende Zone; dann in den Kronen stark abgekauter 
Zähne; endlich (Miller 2 ) auch bei Frakturen, Rissen im Zahn¬ 
schmelz und bei Resorptionen im Dentin. 

Das Phänomen der Transparenz gewapn erhöhtes und 
besonderes Interesse, als J. T o m e s diese Erscheinung als 
Beweis von Lebensvorgängen im fertigen Zahnbein hinstellte, 
während bis dahin das fertig ausgebildete Dentin als „totes 


1 v. E b n e r: Histologie der Zähne in Scheffs Handbuch der Zahn¬ 
heilkunde. Bd. 1. 

2 Miller: Transparenz des Zahnbeins und die Wirkung von Säuren 
auf den Schmelz. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1903. 


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Das transparente Dentin. 


31 


Gevvebe u angesehen worden war. Seit diesen ersten Unter¬ 
suchungen J. T o m e s* 1 war es das Ziel der Forschung seitens 
aller jener, die der Pathologie und pathologischen Histologie 
der Zähne nähertraten, Natur und Ursache der Transparenz 
zu ergründen, ohne dass eine UebereinStimmung — sei es in 
den Befunden, sei es in deren Deutung — erzielt worden 
wäre. So kam es, dass im Laufe der letzten Jahrzehnte die 
verschiedensten Theorien über die Ursache der Transparenz 
aufgestellt wurden. Jede fand Anhänger; keiner blieben Gegner 
erspart. 

Erst Walkhoff schien durch seine eingehenden Unter¬ 
suchungen die Frage zur definitiven Lösung gebracht zu haben. 
Mindestens wurde seine Ansicht über die Transparenz nach 
dem Zeugnisse Millers in Deutschland allgemein akzeptiert. 
Miller selbst, zurzeit auf dem Gebiete der Zahnpathologie der 
angesehenste Forscher, erkennt sie so rückhaltslos an, dass er 
in seiner letzten Abhandlung 2 zu dieser Frage eine neuerliche 
Untersuchung nach der histologischen Seite als überflüssige 
Mühe unterlässt. 

Alle Untersucher — auch Walkhoff — haben ihr Augen¬ 
merk bei der Erforschung der Transparenz lediglich dem Zu¬ 
stand der Zahnkanälchen und deren Inhalte zugewendet, 
während die Grundsubstanz nur insoweit Untersuchungsobjekt 
ward, als einzelne Forscher versucht haben, eine Vermehrung 
oder Verminderung des Kalkgehaltes derselben festzustellen. 

Der Zustand der leimgebenden Ebnerschen Fibrillen der 
Zahnbeingrundsubstanz im transparenten Dentin wurde bisher 
nicht beachtet. Diese auffallende Lücke auszufüllen und eine 
eventuelle Zustandsänderung der Fibrillen bei der Transparenz 
festzustellen, war ursprünglich der Plan dieser Arbeit. Im 
Verlauf meiner zu diesem Zweck vorgenommenen Untersuchungen 
gelangte ich jedoch zur Kenntnis einiger Tatsachen, die sich 
mit der Walkhoffschen Ansicht nicht in Einklang bringen 


1 J. T o m e s : Ein System der Zahnteilktmde. (Deutsch von Znr 
Nedden.) Leipzig 1861. 

2 1. c. 


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32 


Dr. Leo Fleischmann, Wien. 


liessen, und die so die unmittelbare Veranlassung wurden, 
dass ich die Gesamtveränderungen bei der Transparenz in den 
Bereich meiner Untersuchungen zog. Betrachtet man einen 
Schliff durch trockenes normales Dentin im Mikroskop, so 
sieht man, dass die Zahnkanälchen bis in die feinsten Fieder- 
chen hinein mit Luft gefüllt sind und sich dadurch von der 
Grundsubstanz aufs deutlichste abheben. In einem Schliff durch 
transparentes Dentin sieht man, dass die Kanälchen nicht 
mit Luft gefüllt sind und dass sie sich von der Grundsubstanz 
nur undeutlich abheben. Das Bestreben aller Autoren .war 
daher darauf gerichtet, den Umstand zu eruieren, der im 
transparenten Dentin den Lufteintritt in die Kanälchen ver¬ 
hindert, bzw., der den Unterschied der Brechungsexponenten 
zwischen Grundsubstanz und Inhalt der Kanälchen so ver¬ 
ändert, dass diese beiden Gebilde sich um so vieles undeutlicher 
voneinander abheben, als im normalen Dentin. 

Normalerweise bricht der Inhalt der Zahnbeinkanälchen 
das Licht viel schwächer als das die Kanälchen umgebende 
Medium, die Grundsubstanz. Die Annäherung der beiden 
Brechungsexponenten, bzw. die Verminderung ihrer Differenz 
kann erfolgen: durch eine Verstärkung des BrechungsVermögens 
des Kanalinhaltes oder durch eine Schwächung des Brechungs¬ 
vermögens der Grundsubstanz. Beide dieser Möglichkeiten 
fanden Anhänger. Die Verteidiger der zweiten, dass die Grund¬ 
substanz schwächer lichtbrechend geworden sei, sehen die Ur¬ 
sache davon in einer teilweisen Entziehung der Kalksalze. 
Die anderen, die Verteidiger der ersten Möglichkeit, nehmen 
an, dass der Inhalt der Kanälchen stärker lichtbrechend wurde, 
indem die weiche Zahnfaser innerhalb der Kanälchen eine 
Aenderung ihres Zustandes erfährt. Während die Kalkentziehung 
der Grundsubstanz ein einfacher chemischer Prozess ist, der 
auch durch von aussen kommende Umstände bewirkt werden 
kann, setzt die Umwandlung des protoplasmatischen Zell¬ 
ausläufers, der Zahnfaser, Lebensvorgänge in dieser selbst 
voraus. 

Dementsprechend sehen die einen in der Transparenz 
lediglich die Folgen einer chemischen Reaktion, die anderen 


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Das transparente Dentin. 


33 


die Folgen eines Lebensvorganges, eine „vitale Erscheinung“. 
Der Begründer der „vitalen“ Theorie der Transparenz ist, wie 
bereits erwähnt, J. Tomes. 

Tom es* sieht die Ursache der Transparenz in einer 
„Konsolidation der Zahnbeinfibrillen (Tomessche Fasern) inner¬ 
halb der Röhren. Dadurch obliterieren diese und machen ihren 
Umriss dunkel.“ Die Konsolidation der Fasern führt Tomes 
auf ihre Verkalkung zurück. Am besten seien die konsolidierten 
Fasern zu sehen, wenn man einen Zahn nimmt, in welchem 
die Karies nur langsame Fortschritte macht. „Schneidet man 
mit einem scharfen Messer von der missfärbigen Partie eines 
solchen Zahnes in gleicher Richtung mit dem Verlauf der 
Zahnbeinröhrchen, so kann man die verkalkten Fibrillen im 
Innern der Röhre in Stücke gebrochen sehen, andere auf der 
Oberfläche oder an einem Ende des Schnittes herausragend.“ 
An Schliffen durch senile transparente Wurzeln sah Tomes 
nur, dass die Kanälchen keine Luft enthielten. Ohne weitere 
Untersuchungen und ohne weitere Beweisführung dehnt er 
seine Ansicht von der Verkalkung der Fasern, die er an 
Schliffen durch kariöses Material gewonnen hat, auch auf die 
senile Transparenz aus. 

So bestechend auch die Tomessche Theorie erscheint, 
so wurde sie von ihrem Begründer doch nicht genügend durch 
tatsächliche Befunde gestützt, um in der Folge nicht teils an- 
gefochten, teils abgelehnt zu werden. Denn tatsächlich ist 
Tomes den Beweis für seine Behauptung, dass die Fasern 
im transparenten Dentin verkalkt sind, schuldig geblieben. Er 
gründet seine Ansicht — abgesehen von der Tatsache, dass 
die Kanälchen im transparenten Dentin luftleer sind — auf 
die Ergebnisse des vorhin zitierten Versuches und bildet ein 
auf diese Weise gewonnenes Präparat in Fig. 130 seines 
zitierten Buches ab. Dieses Präparat entstammt aber nicht 
transparentem, sondern kariösem Dentin. Tomes sagt 
das ja selbst, indem er darauf hinweist, dass man den Schnitt 
durch die „missfärbige Partie“ eines kariösen Zahnes führen 


i 1. c. 

3 


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84 


Dr. Leo Fleischmann, Wien. 


soll. Schon der Umstand, dass es sich um schneidbares 
Material (ohne vorhergegangene künstliche Entkalkung) handelte, 
ist beweisend, dass das Dentin kariös war. Die transparente 
Zone, die immer in einiger Entfernung von dem durch Karies 
erweichten Herd gelegen ist, ist nie missfärbig, nie erweicht, 
also auch nicht scbneidbar. T o m e s hätte also bestenfalls nur 
den Nachweis erbracht, dass im erweichten kariösen Dentin 
die Fasern verkalkt sind — aber auch das ist nicht richtig, 
denn die in Fig. 130 abgebildeten, über den Rand heraus¬ 
ragenden Gebilde sind nicht verkalkte ehemals weiche Fasern, 
als die Tom es sie deutet, sondern die mit ihrer Scheide 
isolierten Kanälchen. 1 

Magitöt 2 schliesst sich im Prinzipe der Tomesschen 
Ansicht an, ohne aber neue Beweisgründe für deren Richtig¬ 
keit beizubringen. Er stellt die Hypothese auf, dass die Pulpa 
bei kariösen Prozessen ein verkalkendes Exsudat liefere, welches 
die Kanälchen erfüllt und sich unter Umständen auch an der 
Innenfläche der Pulpahöhle niederschlägt. Hier liegt augen¬ 
scheinlich eine Verwechslung mit Sekundärdentin vor. Trans¬ 
parenz, die nicht als Begleiterscheinung der Karies, sondern 
aus anderen Ursachen auftritt, erwähnt er überhaupt nicht. 

Desgleichen tun dies Neu mann 3 und Hertz 4 nicht. 
Die transparente Zone beim kariösen Herd sehen sie als eine 
vitale Erscheinung an, ohne jedoch weiter auszuführen, wie 
sie sich diesen vitalen Prozess, beziehungsweise dessen Folgen 
vorstellen. Neu mann gibt übrigens an, dass er den diaphanen 
Hof nur in einem einzigen Falle, Hertz, dass er ihn in jedem 
vierten bis fünften Falle von Karies gefunden habe. Tatsächlich 
findet man ihn immer, wenn die Pulpa noch vorhanden und 
nicht geschädigt ist und eine genügend dicke Zone intakten 
Dentins zwischen Pulpahöhle und kariösem Herd vorhanden ist. 

1 Mau vergleiche Römer: Zahnhistologische Studie, Freiburg 1899, 
und Fleischmann: Ueber Bau und Inhalt der Dentinkanälchen. Archiv 
für mikroskopische Anatomie, Bd. 66. 1905. 

2 Magitöt: Traitö de la Carie dentaire, 1867. 

3 Neumann: Archiv für klinische Chirurgie, Bd. VI. 

4 Hertz: Ueber Zahnkaries. Virchows Archiv, Bd. XLI. 


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Das transparente Dentin. 


85 


Th. Leber und J. B. Rottenstein* bestreiten, dass 
die Transparenz die Folge eines vitalen Prozesses sei — das 
Phänomen käme lediglich durch Entkalkung der Grundsubstanz 
zustande. Die beiden Autoren untersuchten nur kariöses Ma¬ 
terial. Eine wesentliche Stütze für ihre Ansicht fanden sie in 
dem Umstande, dass Transparenz sich auch bei Karies von 
natürlichen Zähnen vorfindet, die, an Platten befestigt, im 
Munde getragen wurden, bei denen also jede Lebenserscheinung 
ausgeschlossen ist. Verkalkung der Fasern haben sie wohl ge¬ 
sehen, doch halten sie die Erklärung der Transparenz, die 
Tom es und Magitöt dadurch gegeben, für nicht zutreffend. 
Nach ihren Befunden wären nämlich die verkalkten Fasern 
nicht überall in der durchscheinenden Substanz zu sehen; doch 
erhellt aus der Beschreibung ohne weiteres, dass die beiden 
Autoren nicht den transparenten Hof um den kariösen Herd, 
sondern diesen selbst im Auge hatten. Bezüglich der Trans¬ 
parenz bei Karies natürlicher Zähne, die, an Platten befestigt, 
im Munde getragen wurden, verweise ich auf die Arbeit 
Millers 1 2 3 * * , da ich über eigene Untersuchungen mangels eines 
geeigneten Materials nicht verfüge. Miller hat gezeigt, dass 
Transparenz in solchen Fällen nur dann zu beobachten ist, 
wenn die ersten Anzeichen der Karies zu einer Zeit aufgetreten 
waren, in der der Zahn sich noch an seinem natürlichen Platze 
im Munde befand. Desgleichen betonte M ill er den tiefgreifenden 
Unterschied zwischen transparentem und entkalktem Dentin in 
deren Verhalten gegenüber Farbstoffen. Transparentes Dentin 
färbt sich nie; entkalktes sehr leicht und mit verschiedenen Farb¬ 
stoffen. Miller fand, dass nach ganz kurzer Einwirkung einer 
verdünnten Säure auf Dentin sich diese Stelle später sofort 
kenntlich machen lasse durch ihre leichte Färbbarkeit mit Eosin. 

Wedl 8 kam auf Grund seiner Untersuchungen zu ganz 
andern Resultaten als alle vorgenannten Forscher. Ehe ich 

1 Th. Leber und J. B. Rottenstein: Untersuchungen über die 
Karies der Zähne. Berlin 1867. 

* 1. c. 

3 C. W e d 1: Pathologie der Zähne. Leipzig 1870. II. Auflage, heraus¬ 

gegeben von v. Metnitz und v. Wunschheim. Leipzig 1901. 

3 * 


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Dr. Leo Fleischmann, Wien. 


diese Resultate hier wiedergebe, möchte ich auf den funda¬ 
mentalen Unterschied hin weisen, der zwischen Wedls Auf¬ 
fassung des normalen Baues der Dentinkanälchen und jener 
Tomes’ besteht. Nach der Tomesschen, von Neumann 1 2 * * * 
weiter ausgebildeten Lehre gibt es innerhalb der Scheiden 
solide protoplasmatische Gebilde, die Tomesschen Fasern oder 
Zahnfasern 8 . Wedl dagegen steht auf dem Standpunkt, dass 
die Zahnbeinfasern oder Dentinzellenfortsätze, die innerhalb- 
der Zahnröhrchen verlaufen, aus einer resistenten peripheren 
Zone und einer zentralen zähflüssigen beständen. Er identifiziert 
also die Tomessche solide Faser mit seinen hohlen Dentin- 
zellenfortsätzen. Auf Grund der von ihm beobachteten Tat¬ 
sache, dass in trockenen Schliffen durch transparentes Dentin 
die Kanälchen keine Luft enthalten, stellt er sich im Sinne 
seiner anatomischen Anschauungen zwei Fragen: sind die 
Dentinzellenfortsätze im transparenten Dentin überhaupt vor¬ 
handen, und wenn, sind dieselben imbibitionsfähig? Er bejaht 
die Fragen. Die erste, weil er nach Behandlung mit verdünnter 
Salzsäure die Dentinzellenfortsätze im transparenten Dentin 
deutlich hervortreten sah; die zweite, weil es ihm gelang, 
diese Fortsätze mit karminsaurem Ammoniak und Essig¬ 
säurebehandlung zur Darstellung zu bringen. Aus diesen beiden 
Gründen weist er die von T o m e s aufgestellte Theorie von 
der Verkalkung der Fibrillen zurück. Tatsächlich ist Wed 1 
aber zu dieser Zurückweisung nicht berechtigt; denn der Um¬ 
stand, dass die Fortsätze nach Säurebehandlung sichtbar 
und imbibitionsfähig sind, spricht weit eher für die Richtigkeit 
der T o m e s sehen Ansicht, dass es sich um Verkalkungen 
handle, als gegen sie. Wedl erklärt die Transparenz auf 
folgende Weise: „Man kann annehmen, dass die seneszierenden 
Fortsätze ebenso wie andere alternde Gewebe ihr Quellungs- 

1 Nenmanü: Beitrag zur Kenntnis des normalen Zahnbein- unct 
Knochengewebes. Leipzig 1863. 

2 Bezüglich der historischen Entwicklung dieser Lehre verweise ich^ 

um hier nicht vom Gegenstände abzuschweifen, auf Römer: Zahnhisto¬ 

logische Studie; Walkhoff: Lehrbuch der Histologie der Zähne, uuct 

Fleischmann; Ueber Bau und Inhalt der Dentinkanälchen. 


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Das transparente Dentin. 


37 


vermögen mehr oder weniger eingebusst haben, ihre zentrale 
zähflüssige Substanz verschwunden sei und sie überhaupt mit 
der sie einschliessenden Wand des Zahnröhrchens derartig 
fest verbunden seien, dass der Eintritt der atmosphärischen 
Luft überhaupt nicht mehr möglich sei“. Die W edIsche Theorie 
steht und fällt vor allem mit der Richtigkeit der histologischen 
Grundanschauungen ihres Autors. Nachdem diese als un¬ 
richtig erwiesen wurden, entbehrt die Theorie ihrer Grundlage. 

Nach Baume 1 ist primär jedenfalls eine Verminderung 
des Kalkgehaltes die Ursache der Transparenz. Die Wirkung 
dieser Verminderung auf die Zahnkanälchen schildert Baume 
in folgender Weise: „Durch die Entziehung der Kalksalze 
kommt es zu einer Quellung der Grundsubstanz, die ihrerseits 
Verquellungen der Kanälchen und eine Schrumpfung der Fasern 
herbeiführt.“ Die Verquellung der Kanälchen und die Schrumpfung 
der Fasern wären also die unmittelbare Ursache, die das 
Phänomen der Transparenz hervorruft. Ursache der Kalk¬ 
entziehung sollen bei Karies Säuren, bei der senilen Trans¬ 
parenz ein auf das Dentin einwirkendes Sekret der Pulpa 
sein. Die Annahme dieses Pulpasekretes ist eine ganz will¬ 
kürliche, durch keine einzige Tatsache begründet. Doch ab¬ 
gesehen davon; eine teilweise oder auch gänzliche Entkalkung 
von Dentin führt nie zu einer Verengerung der Zahnbeinkanälchen 

— davon kann man sich hundertfältig überzeugen bei der künst¬ 
lichen Entkalkung des Dentins, wie sie vorgenommen wird 
um Dentin schneidbar zu machen. 

Walkhoff* kommt auf Grund seiner Untersuchungen 
unter Zurückweisung aller bisher aufgestellten Theorien zu 
folgendem Schlüsse: 

„Das transparente Dentin ist der Ausdruck einer vitalen, 
physiologischen Tätigkeit der Zahnfasern, welche normales 

i R Baume: Lehrbuch der Zahnheilkunde. II. Auflage. Leipzig 1885. 

* Walkhoff: Mikroskopische Untersuchungen über pathologische 
Veränderungen des Dentins. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1885. 

— Neue Untersuchungen über die Pathohistologie des Dentins. Deutsche 
Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1892. — Die normale Histologie mensch¬ 
licher Zähne. Leipzig 1901. 


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Dr. Leo Fleiscbmann, Wien. 


Zahnbein in normaler Weise auf Kosten ihrer eigenen Grösse 
produzieren“. 

Walkhoff ist also der Ansicht, dass nicht eine Ver¬ 
kalkung der Fibrillen, sondern eine fortschreitende Neubildung 
von Zahnbeingrundsubstanz seitens der Faser innerhalb der 
Kanälchen die Transparenz herbeiführe. 

Die Untersuchungen Walkhoffs waren sehr eingehend. 
Ich werde auf dieselben nach der Erörterung meiner eigenen 
Ergebnisse noch ausführlich zurückkommen und unterlasse es 
deshalb, um Wiederholungen zu vermeiden, an diesem Orte 
dazu Stellung zu nehmen. 

Wellauer 1 hat im Gegensätze zu Walkhoff nur 
kariöses Material untersucht; er sieht als Ursache der dabei 
auftretenden Transparenz eine Konkurrenz mehrerer Umstände 
an: 1. teilweise Entziehung des Kalkgehaltes der Grund¬ 
substanz, 2. zeitweise Infiltration der Zahnbeinfasern mit Kalk¬ 
salzen in Lösung und 3. teilweise oder gänzliche Verkalkung 
der Fasern. Für die unter Punkt 1 und 2 genannten Um¬ 
stände erbringt er keine beweisenden Gründe. Punkt 3 erläutert 
er in einer Fussnote, aus der sich ergibt, dass er Walkhoffs 
Ansicht einfach akzeptiert hat. Wellauer sagt nämlich, dass 
unter teilweiser oder gänzlicher Verkalkung, die „Ablagerung 
neuer Grundsubstanz an die Wände mit Einlagerung von Kalk¬ 
salzen und infolge dieses Vorganges Verkleinerung der Fibrillen 
selbst“ zu verstehen seien. 

Miller* schliesst sich Walkhoff vollständig an. 

Biro 8 gibt seiner Ansicht, ohne sich auf irgend welche 
Befunde zu berufen, dahin Ausdruck, dass die transparente 
Zone im kariösen Dentin eine Säurewirkung sei. Die Trans¬ 
parenz des senilen Zahnbeines führt er auf eine Verkalkung 
der Fasern zurück, welche die Folge einer Ernährungsstörung 
sein soll. 

1 Wellauer: Handbuch der Zahnheilkunde von Scheff, I. Auf¬ 
lage, 1892. 

* Miller: Die Mikroorganismen der Mundhöhle. II. Auflage, 1892. 

* Biro: Ueber die prädisponierenden Ursachen der Karies. Oesterr.- 
ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1898. 


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Das transparente Dentin. 


89 


Miller* wendet sich in seiner letzten Arbeit neuerdings 
gegen alle Autoren, insbesondere gegen Ben nett*, die in der 
letzten Zeit gegen die vitale Theorie der Transparenz auf¬ 
getreten sind. Ich habe schon gelegentlich der Erwähnung der 
Arbeit von Leber und Rottenstein auf diese Abhandlung 
Millers hingewiesen. Miller erörtert und widerlegt hier in 
der eingehendsten Weise alle von den Gegnern der vitalen 
Theorie vorgebrachten Ein wände auf Grund sorgfältiger Ver¬ 
suche. Nach ihm gibt es in toten, pulpalosen Zähnen keine 
Transparenz mehr. Er hat damit wohl endlich die rein 
chemische Theorie der Transparenz definitiv erledigt und den 
Sieg der vitalen besiegelt. 

Damit ist aber für die Lösung der ganzen Frage noch 
nicht alles getan. Denn wie sich aus der vorstehenden Literatur¬ 
übersicht ergibt, ist auch unter den Anhängern der vitalen 
Theorie alles eher als Uebereinstimmung vorhanden. Ein 
Umstand, der daran gewiss mit Schuld trägt, ist das oft nicht 
einwandfreie Untersuchungsmaterial. Zumeist (ich habe darauf 
immer speziell aufmerksam gemacht) wurde die Transparenz 
in Untersuchung gezogen, soweit sie als Begleiterscheinung 
der Karies auftritt. Und zwar wurde die Untersuchung nicht 
auf den diaphanen Hof, der in einer gewissen Entfernung vom 
kariösen Herd gelegen ist, beschränkt, vielmehr verwendeten 
einzelne Forscher auch ein Gutteil des Herdes selbst. Im 
Verlauf des kariösen Prozesses kommt es, ehe der vollständige 
Gewebszerfall eintritt, durch Säureeinwirkung zur Entkalkung 
des Gewebes. Solches teilweise oder vollständig entkalktes 
Dentin hat ein mattes, durchscheinendes Aussehen und könnte 
daher auch als transparent bezeichnet werden. Tatsächlich 
unterscheidet es sich aber von dem gelblichweissen, hornartigen 
Aussehen der eigentlich transparenten Zone schon makro¬ 
skopisch sehr deutlich. Auch das histologische Bild ist ein 


1 Miller: Ueber die Transparenz des Zahnbeines. Deutsche Monats¬ 
schrift für Zahnheilkunde, 1903. 

* Bennett: Zitiert nach Miller. (Transact. der Odout. Soc. of 
Great-Britaiu. Vol. 28, pag. 40.) 


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Dr. Leo Fleischmann, Wien. 


ganz anderes. Trotz des Durchscheinens sind dort die 
Kanälchen vorhanden und deutlich sichtbar. Es ist eher das 
Bild, wie es normales, künstlich entkalktes Dentin bietet. 
Jedenfalls ist dieses „durchscheinende“ Dentin sorgfältig von 
der eigentlichen transparenten Zone zu unterscheiden. Natürlich 
müssen diese Partien bei der Untersuchung, wenn es die 
Transparenz gilt, vollständig ausser Spiel bleiben. 

Wiewohl an der Identität der Transparenz im Gefolge 
des Seniums und jener im Gefolge der Karies wenigstens in 
histologischer Beziehung Zweifel nicht gehegt wurden (mit Aus¬ 
nahme von Biro, 1 der übrigens die ganze Frage nur streift 
und keine tatsächlichen Gründe anführt), halte ich es doch für 
empfehlenswert, beide Arten getrennt zu untersuchen, schon 
aus dem Grunde, um Identität oder Verschiedenheit sicher und 
endgiltig feststellen zu können. 

Die Untersuchungen, über die ich im folgenden berichte, 
erstrecken sich lediglich auf transparentes Dentin in senilen 
Zähnen. Alle Schlussfolgerungen gelten demgemäss, wie ich 
schon hier vorweg bemerke, zunächst nur für dieses Zahn¬ 
bein Es wird erst Sache weiterer Untersuchungen sein, fest¬ 
zustellen, wie weit sich die Schlussfolgerungen auch auf die 
Transparenz aus anderen Ursachen ausdehnen lassen. 

Ich untersuchte möglichst dünne, verschieden orientierte 
Schliffe durch frische, ferner durch in Formalin fixierte und 
konservierte und endlich durch trockene Zähne, sowie Schnitte 
durch entkalktes Material. 

I. Verhalten der Zahnbeingrundsubstanz bei der 
Transparenz. 

Seit den Untersuchungen v. Ebners 2 wissen wir, dass 
die Elementarteile der Zahnbeingrundsubstanz leimgebende 
Fibrillen sind, die, zu Bündeln vereinigt, durch eine Kittsubstanz 
zusammengehalten werden; ferner, dass die Ablagerung der 


1 Biro: 1. c. 

2 v. Ebner: Ueber den feineren Ban der Knochen. Sitzungsbericht 
der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, Wien, Bd. 72, III. Abteilung. 


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Das transparente Dentin. 


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Kalksalze bei der Verkalkung des Dentins in diese Kittsubstanz 
hinein erfolgt, während die Fibrillen frei von Kalk bleiben; 
und endlich, dass die Fibrillen im allgemeinen senkrecht auf 
die Kanälchen und parallel zu den Wänden des Zahnes ver¬ 
laufen. 

Eine Veränderung der Grundsubstanz bei der Transparenz 
wäre nun in dem Sinne denkbar, dass es zu einer Vermehrung 
der Kalksalze kommt, indem die Ablagerung derselben nicht 
nur in die Kittsubstanz zwischen die Fibrillen, sondern in die 
Fibrillen selbst stattfindet, dass es sich also um eine Ver¬ 
kalkung der leimgebenden Fibrillen selbst handelt. Versuche, 
die Miller unternommen hat und die der quantitativen Be¬ 
stimmung des Kalkgehaltes im transparenten Dentin galten, 
haben ergeben, dass eine wenn auch geringe Vermehrung des 
Kalkgehaltes vorhanden ist. Dieses Untersuchungsergebnis, das 
ja von vorneherein für die geäusserte Vermutung sprechen 
wurde, erlaubt aber keine weiteren Schlüsse, weil ja die Ver¬ 
mehrung der Kalksalze auch eine Folge der vermehrten Kalk¬ 
ablagerung in die Kanälchen sein könnte. 

Eine sichere Entscheidung dieser Frage lässt sich mittels 
derselben Methode treffen, mittels der v. Ebner seine Ent¬ 
deckungen machen, bzw. beweisen konnte. Verascht man einen 
Schliff durch Dentin auf einem Platinblech oder hält man ihn 
bei 130° durch mehrere Stunden in Wasser, so gehen die 
leimgebenden Fibrillen zugrunde und an ihre Stelle treten am 
trockenen Schliffe feine luftführende Röhrchen. Fände nun im 
transparenten Dentin tatsächlich eine Verkalkung der leim¬ 
gebenden Fibrillen statt, so dürften nach der Veraschung eines 
Schliffes durch solches Dentin keine luftfübrenden Röhrchen 
mehr auftreten. Macht man diesen Versuch, so überzeugt man 
sich leicht, dass die feinen Röhrchen genau so zu beobachten 
sind wie im normalen Dentin. 

Die leimgebenden Fibrillen der Grund¬ 
substanz erleiden also bei der Transparenz keine 
nachweisbare Veränderung. 

Bestätigt wird dieser Befund durch die Ergebnisse der 
Untersuchung eines Schliffes durch transparentes Dentin im 


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Dr. Leo Fleischmann, Wien. 


polarisierten Lichte, insoferne das Verhalten der Fibrillen das¬ 
selbe ist, wie im normalen Dentin. Aach in transparentem 
Dentin sind die Fibrillen positiv, einachsig doppeltbrechend 
mit der Längsrichtung entsprechender optischer Achse, und 
es zeigt sich bei gleicher Dicke vergleichbarer Schliffe kein merk¬ 
licher Unterschied in der Interferenzfarbe. 

n. Verhalten der Zahnkanälchen hei der Transparenz. 

An Schliffen durch senile Wurzeln bemerkt man, dass 
im allgemeinen die der Pulpahöhle benachbart gelegenen Teile 
des Dentins noch normale Beschaffenheit zeigen, während die 
peripheriewärts gelegenen Teile transparent sind. Der Ueber- 
gang des normalen Dentins in das transparente ist in den 
verschiedenen Horizontalebenen der Wurzel kein gleichmässiger 
und regelmässiger, wiewohl im grossen und ganzen eine zu¬ 
nehmende Verbreiterung der transparenten Zone gegen die 
Spitze der Wurzel hin statt hat, so dass die Spitze selbst häufig 
nur aus transparentem Dentin besteht. An radialen Längs¬ 
schliffen durch eine solche Wurzel sieht man infolge des un- 
gleichmässigen Fortschreitens der Transparenz in den ver¬ 
schiedenen Horizontalebenen die Grenze zwischen normalem 
und transparentem Dentin nicht geradlinig, sondern zickzack¬ 
förmig verlaufen (Fig. 1). Die Zacken des normalen und trans¬ 
parenten Dentins greifen wie die Zähne zweier Zahnräder in¬ 
einander. 

Betrachtet man einen solchen radialen Längsschliff durch 
eine trockene Wurzel im Mikroskop in durchfallendem Lichte, 
so erscheinen die Kanälchen mit ihren Aesten und Fiederchen 
im Bereich des normalen Dentins dunkel; der Raum zwischen, 
den Kanälchen (die Grundsubstanz), sowie das gesamte trans¬ 
parente Dentin (Kanälchen und Grundsubstanz) hell. In auf¬ 
fallendem Lichte ändert sich das Bild total. Die Kanälchen 
des normalen Dentins erscheinen hell, silberglänzend; alles 
andere dunkel. 

Während also im normalen Dentin die weiche Inhalts¬ 
faser des Kanälchens beim Trocknen zugrunde geht und an 
ihre Stelle Luft tritt, besitzen im transparenten Dentin, 


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Das transparente Dentin. 


4$ 


die Kanälchen einen Inhalt, der durch das 
Trocknen nicht alteriert wird und der die Lich¬ 
tung der Kanälchen so ausfüllt, dass die atmo¬ 
sphärische Luft keinen Zutritt hat. 

Ebenso wie mit der Luft, verhält es sich auch mit Farb¬ 
stoffen. Bringt man einen Schliff durch normales Dentin z. B. 
in Safranin, so dringt der Farbstoff in die Kanälchen ein und 
färbt sie tiefrot. Transparentes Dentin bleibt völlig ungefärbt. 
Dabei ist hier zu betonen, dass es für den Erfolg der Färbung 
ganz gleichgiltig ist, ob man Schliffe durch ganz frische, durch 
konservierte oder trockene Zähne nimmt. 

Die die Kanälchen im transparenten Dentin erfüllende 
Inhaltsmasse bedingt, dass jene sich nicht so deutlich und in 
die Augen fallend von der Grundsubstanz abheben, wie im 
normalen. Immerhin kann man den Verlauf der Kanälchen 
aber auch im transparenten Dentin genau verfolgen. Nur an 
einzelnen Stellen, insbesondere in der Peripherie nahe der 
Körnerschicht kann man von den Kanälchen nichts mehr wahr¬ 
nehmen; das Dentin sieht hier vollständig homogen aus. 

In den übrigen Partien erscheinen die Kanälchen als 
die Grundsubstanz durchziehende Bänder; bei hoher Einstellung 
dunkel mit hellen Säumen; bei tiefer Einstellung hell mit 
dunkeln Säumen, doch heben sich die Bänder beiweitem nicht 
so deutlich ab, wie etwa die normalen Kanälchen (Fig. 2). 

Daraus ergibt sich unmittelbar, dass die 
Füllmasse der Kanälchen schwächer lichtbrechend 
ist als das die Kanälchen umgebende Medium, 
die verkalkte Grundsubstanz, dass sie aber immer¬ 
hin stärker lichtbrechend ist, als der normale 
Inhalt der Kanälchen. Die Bänder haben einen schein¬ 
bar gestreckteren, geradlinigeren Verlauf als die Kanälchen des 
normalen Dentins. Dass man bei der Betrachtung diesen Ein¬ 
druck gewinnt, ist eine Folge einerseits des Umstandes, dass 
sich die Bänder nicht so deutlich von der Grundsubstanz ab¬ 
heben, wie die normalen Kanälchen; anderseits auch des 
Umstandes, dass die Seitenäste und Seitenfiederchen im trans¬ 
parenten Dentin vollständig verschwinden. 


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Dr. Leo Fltischmaun, Wien. 


Aus der Tatsache, dass in trockenen Längsschliffen durch 
die Kanälchen nirgends Luft wahrgenommen werden kann 
{Fig. 1 und 2), ergibt sich, dass hier kein Hohlraum vor¬ 
handen sein kann, dass die Kanälchen kein Lumen mehr be¬ 
sitzen, also im frischen Zustande auch keine Fasern besitzen 
können. Der eventuelle Einwand, dass die Lumina der Kanälchen 
so minimale wären, dass aus diesem Grunde beim Eintrocknen 
der Fasern Luft nicht einträte, ist hinfällig, wenn man in Be¬ 
tracht zieht, dass in normalem Dentin in trockenen Zähnen 
die Luft auch in die allerfeinsten Endverzweigungen und Seiten- 
fiederchen eindringt und dort wahrzunehmen ist. 

Die Transparenz des Dentins setzt also eine vollständige 
Aufhebung des Lumens der Kanälchen voraus. Damit soll 
aber nicht gesagt sein, dass im transparenten Dentin nicht 
ein oder das andere Kanälchen ein Lumen besitzen und luft- 
hältig sein kann Es kommt nicht gar so selten vor, dass ein 
einzelnes normales oder mehr minder verengtes luftführendes 
Kanälchen innerhalb ganz luftleerer Umgebung verläuft (Fig. 2). 
Solange solche Kanälchen vereinzelt oder nur in verschwinden¬ 
der Minderheit vorhanden sind, gewährt das Dentin noch immer 
den Eindruck der vollständigen Transparenz. 

In Präparaten, in denen die Kanälchen im Querschnitt 
getroffen sind, findet man selten nur transparentes Dentin. 
Solche Querschnitte erhält man, wenn man tangentiale Längs¬ 
schliffe durch die Wurzel anfertigt, also Schliffe in Ebenen, 
die senkrecht stehen auf der Ebene, in der z. B. das in Fig. 1 
abgebildete Präparat liegt. 

Geht dieser Schliff durch eine Ebene, die jene, in der 
Fig. 1 liegt, in der Linie AB schneidet, so wechseln trans¬ 
parente und normale Zonen, und man findet die quer ge¬ 
troffenen Kanälchen zum Teil mit noch erhaltenem, zum Teil 
ohne Lumen. Da, wie sich später noch ergeben wird, die Ver¬ 
engerung der Kanälchen eine allmähliche ist und in den ein¬ 
zelnen Kanälchen in verschiedener Entfernung von der Pulpa¬ 
höhle beginnt, so werden an Querschnitten die erhaltenen 
Lumina auch nicht gleich weit sein, d. h. die Durchmesser 
derselben verschieden gross sein. Geht der Schliff durch eine 


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Das transparente Dentin. 


45 


Ebene, welche jene in Fig. 1 in der Linie CD schneidet, so 
werden die kronenwärts gelegenen Teile des Schliffes trans¬ 
parentes, die wurzelwärts gelegenen normales Dentin enthalten. 
Aus dieser Betrachtung ergibt sich, dass man bei der Be¬ 
urteilung von Querschliffen durch die Kanälchen grosse Vor¬ 
sicht walten lassen muss. 

Färbt man solche Querschliflfe mittels Safranin, so er¬ 
hält man insoferne instruktive Bilder, als überall, wo noch 
ein Lumen in den Kanälchen vorhanden ist, Farbstoff eindringt. 
Betrachtet man einen trockenen ungefärbten Querschliflf (durch 
die Kanälchen) trocken im Mikroskop, so sieht man, dass sich 
Kanälchen, welche kein Lumen mehr enthalten, nur äusserst 
undeutlich von der Grundsubstanz abheben; ja, wir sind, wenn 
der Schliff nicht ausgezeichnet poliert ist, oft nicht in der Lage, 
sie überhaupt zu erkennen. Bettet man einen solchen Schliff 
nach der Methode von Kruckenberg* in hartem Kanada¬ 
balsam ein, so wird der Unterschied zwischen den ausgefüllten 
Kanälchen und der Grundsubstanz schon deutlicher. 

Der Uebergang von der Norm bis zum Verschluss des 
Lumens, also bis zur vollständigen Obliteration, vollzieht sich 
im einzelnen Kanälchen allmählich, wenn auch nicht immer 
auf dieselbe Weise. Man sieht die verschiedenen Uebergangs- 
formen am häufigsten natürlich an der Grenze zwischen nor¬ 
malem und transparentem Dentin; hin und wieder aber auch 
an einzelnen Kanälchen mitten im transparenten Dentin. Ich 
habe gerade solche Stellen für die photographische Repro¬ 
duktion gewählt, weil sich hier das einzelne Kanälchen von 
der veränderten Umgebung besonders deutlich abhebt. Die 
verschiedenen histologischen Bilder sind in Fig. 2 bis 6 wieder¬ 
gegeben. Man sieht das einemal, wie das mit Luft gefüllte 
Kanälchen sich allmählich und gleichmässig verengt. Die sonst 
annähernd parallel verlaufenden Begrenzungslinien der Kanälchen 
werden konvergent, bis an Stelle des dunkeln Kanälchens das 
früher geschilderte Band tritt (Fig. 2). 

i Vgl. J. Schaffer in Enzyklopädie der histologischen Technik 
„Knochen und Zähne“. 


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Dr. Leo Fleiscbmanu, Wien, 


An einer andern Stelle sieht man das mit Luft gefüllte 
Kanälchen sich nicht gleichmässig und allmählich verengern, 
sondern engere und weitere Stellen in unregelmässiger Auf¬ 
einanderfolge abwechseln. Die Kanalwandung ist dann wie 
mit Erhabenheiten und Vertiefungen versehen (Fig. 3). 

Sind diese Erhabenheiten an einander gegenüberliegenden 
Stellen der Wandungen, und stossen sie zusammen, so kommt 
es stellenweise zu vollständigem Verschluss des Kanälchens. 
Es sieht dann aus, als wäre dieses durch quergestellte Septen 
mehrfach abgeteilt (Fig. 4, 5 und 6). Die zwischen zwei solchen 
Septen ausgesparten Räume sind zylindrisch, oder mehr der 
Kugelgestalt sich nähernd, oder auch ganz unregelmässig. Sie 
sind an trockenen Schliffen mit Luft gefüllt. Manchmal liegen 
kugelförmige, mit Luft gefüllte Hohlräume rosenkranzförmig 
innerhalb eines Kanälchens angeordnet. Die Kugeln werden 
dabei oft gegen die Peripherie des Dentins zu immer kleiner, 
bis das Lumen des Kanälchens vollständig geschwunden ist. 
Das sind dann die schon lange bekannten „Körnerreihen“. 

Aus der Deutung dieser Bilder ergibt sich, dass es sich 
in allen Fällen um eine Verengerung oder Verlegung des 
Lumens der Kanälchen handelt, die hervorgerufen wird durch 
eine unter verschiedenen Formen erfolgende Ablagerung einer 
festen Substanz, bis im extremen Fall das ganze Kanälchen, 
davon erfüllt und das Lumen total aufgehoben ist. 

Doch muss es bis zu diesem Extrem nicht immer kommen. 
■Das ergibt sich einerseits aus dem bereits erwähnten Um¬ 
stande, dass man vereinzelte Kanälchen mit gut erhaltenem 
oder auch verengtem Lumen innerhalb ganz transparenter 
Umgebung findet; anderseits daraus, dass es Kanälchen ebenfalls 
innerhalb transparenter Umgebung gibt, die nur stellenweise 
noch mit der Substanz erfüllt sind, stellenweise noch ein 
Lumen besitzen. Einzelne Kanälchen bleiben also dauernd in 
dem Uebergangsstadium. 

Die nächste Frage, die sich ergibt, ist die nach der 
Natur der die Kanälchen erfüllenden Substanz. Bisher haben 
wir nur erfahren, dass ihr Lichtbrechungsvermögen etwas 
schwächer ist als das der verkalkten Zahnbeingrundsubstanz 


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Das transparente Dentin. 


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und dass sie sich gegen Farbstoffe refraktär verhält. Weitere 
Untersuchungen lehren, dass die Substanz gegen Säuren sehr 
empfindlich ist. Behandelt man einen Schliff durch trans¬ 
parentes Dentin mit verdünnten Säuren, so kommen die 
Lumina der Kanälchen wieder deutlich zum Vorschein, das 
Dentin gleicht wieder völlig normalem, und der Inhalt der 
Kanälchen, gleichviel, ob er dieselben ganz oder nur teilweise, 
wie in den Uebergangsformen, erfüllt hat, schwindet (Fig. 7). 

Die Füllungsmasse der Kanälchen ist also 
in Säuren leicht löslich. Durch Alkalien wird die 
Substanz nicht angegriffen. 

— Um die Substanz im Inneren der Kanälchen Farbstoffen 
zugänglich zu machen und sie so zur Darstellung bringen zu 
können, empfahl mir Herr Prof. Schaffer, einen Schliff 
mittels eines sauren Salzes, etwa mit einer 5 prozentigen Alaun¬ 
lösung zu beizen und darnach mittels Delafields Hämatoxylin 
zu färben. Ich habe diese Methode angewendet. Ein Schliff 
durch transparentes Dentin wurde in eine 5 prozentige Alaun- 
Jösung gebracht; nach 2 Stunden wurde er herausgenommen, 
in destilliertem Wasser gut gewaschen und für 24 Stunden in 
stark verdünnte Delafieldsche Hämatoxylinlösung eingelegt. Ein 
grosser Teil der Schliffoberfläche blieb ungefärbt. Es war da 
nichts zu sehen als ein diffuser Farbniederschlag, wie man 
ihn immer erhält, wenn man einen Schliff in Hämatoxylin zu 
färben versucht. An einzelnen Stellen war der Kanalinhalt 
vollständig gelöst und nur die Neumannschen Scheiden gefärbt. 
An manchen Stellen des Präparates endlich fanden sich die 
Neumannschen Scheiden gefärbt und innerhalb derselben war 
streckenweise ein tiefblau gefärbter Inhalt warzunehmen. Dass 
diese blau gefärbte Inhaltsmasse tatsächlich den Ablagerungen 
entspricht, ergab sich aus ihrer Form und ihrer Lage innerhalb 
der Kanälchen (Fig. 8). Die Zeit von 2 Stunden erwies sich in 
anderen Fällen als zu lang; vielfache Versuche zeigten mir, 
dass sich eine bestimmte Zeit schwer angeben lässt, dass man 
bei jedem Schliff die Länge der Zeit, in der nur Beizung und 
nicht Lösung der Inhaltsmasse stattfinden soll, ausprobieren 
muss. Lässt man nämlich die Alaunlösung zu lange einwirken, 


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Dr. Leo Fleischmann, Wien. 


so wird der Schliff vollständig entkalkt, die Inhaltsmasse der 
Kanälchen vollständig gelöst, und der Schliff gleicht dann, wie 
ich schon vorher betonte, einem entkalkten Schliff durch 
normales Dentin. 

Erwägt man, dass die Substanz, die die Kanälchen 
erfüllt, in Säuren leicht löslich ist; dass ihr Lichtbrechungs¬ 
vermögen nur um ein geringes von der verkalkten Grund¬ 
substanz sich unterscheidet; dass sie nach Beizung durch ein 
saueres Salz mit Hämatoxylin färbbar ist; endlich, dass der 
einzige anorganische Bestandteil auch im normalen Dentin Kalk¬ 
salze sind, so ergibt sich aus der Gesamtheit dieser Umstände 
mit höchster Wahrscheinlichkeit, dass die Substanz aus Kalk¬ 
salzen besteht, wenn auch zugegeben werden muss, dass den 
einzelnen Argumenten keine beweisende Kratt innewohnt. Be¬ 
kräftigt wird die Ansicht durch den schon früher zitierten 
Versuch Millers, der bei der Transparenz eine Vermehrung 
der Kalksalze konstatieren konnte. Da die Grundsubstanz un¬ 
verändert bleibt, so kann die Vermehrung nur auf eine Ab¬ 
lagerung in den Kanälchen bezogen werden. 

In vollständig transparentem Dentin ist keine Spur der 
Zahnfaser mehr vorhanden. Das ergibt sich unmittelbar aus 
der Beobachtung, dass die Kanälchen kein Lumen mehr 
besitzen, sowie aus der Tatsache, dass nach der Entkalkung 
frischer Schliffe sich die Faser in den Kanälchen nicht nach- 
weisen lässt (Fig. 7). Wäre sie im frischen transparenten 
Dentin vorhanden, so müsste sie nach der Entkalkung als or¬ 
ganische Substanz innerhalb der Kanälchen wahrzunehmen 
sein. Tatsächlich kann man sie nur in jenen Partien des 
Dentins wahrnehmen, die noch nicht vollkommen transparent 
geworden sind und in denen die Kanälchen noch ein Lumen 
besitzen (Fig. 8). 

Jedenfalls müssen wir den Zahnfasern während des 
Prozesses des Transparentwerdens eine wichtige Rolle zu¬ 
schreiben, da die Ablagerung der Kalksalze innerhalb des 
Kanälchens entschieden unter Vermittlung der Faser erfolgen 
muss. Denn dass die verkalkte Zahnbeingrundsubstanz der 
Leiter der jedenfalls aus dem Blute stammenden Ablagerungen 


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Das transparente Dentin 


49 


sein könnte, ist wohl ohne weiteres zurückzuweisen; ein 
anderer Weg aber kommt nicht in Betracht. 

Die Rolle, die die Zahnfaser dabei spielt, kann eine 
doppelte sein: es könnte zu einer Ablagerung der Kalksalze 
in die Faser hinein kommen, derart, dass die peripheren Teile 1 * * 4 
derselben zunächst verkalken, hierauf fortschreitend die zentralen 
bis kein weicher Teil mehr vorhanden ist. Es könnte aber auch 
sein, dass es durch die Faser zu einer Ausscheidung von Kalk¬ 
salzen in die Kanälchen hinein kommt, und die Faser im selben 
Masse, wie Kalksalze ausgeschieden werden, einem atrophischen 
Prozesse anheimfällt. Wahrscheinlich handelt es sich um den 
letzteren Modus, möglicherweise aber auch um beide. Sicher 
lässt sich die Frage zurzeit wohl nicht entscheiden. 

Die Wandungen der Kanälchen, die Neumannschen 
Scheiden, bleiben beim Transparentwerden des Dentins er¬ 
halten. An Schliffen lässt sich das Vorhandensein der Scheiden 
auch in normalem Dentin nur schwer konstatieren; ohne 
Färbungen überhaupt nicht, weil sie sich von der Grundsubstanz 
in ihrem optischen Verhalten nicht oder zu wenig unterscheiden. 
Was in Schliffen als Scheide gedeutet wurde, ist immer nur 
das bekannte optische Trugbild. 

Nach der Entkalkung transparenten Dentins sieht man, 
wenn man mit Hämatoxylin färbt, die Scheiden deutlich hervor¬ 
treten, und man kann konstatieren, dass auch die Stärke-, 
bzw. Dickenverhältnisse der Scheiden gegenüber der Norm 
unverändert sind (Fig. 7). Das Bild gleicht überhaupt voll¬ 
ständig einem Bilde von normalem Dentin. Desgleichen lassen 
sich aus entkalktem transparenten Dentin in gleicher Art wie 
aus normalem die Scheiden durch Einwirken erwärmter Kali¬ 
lauge isolieren. 

^ Irgend eine Ursache, etwa einen Reiz — sei er chemischer, 
sei er mechanischer Natur — der die Kalkablagerung in den 
Kanälchen veranlassen würde, kennen wir für das senile Dentin 

1 „Peripher“ auf den Querschnitt der Faser bezogen; denn dass der 

Prozess in den peripheren Teilen der Kanälchen (wobei sich peripher auf 

den Querschnitt der ganzen Wurzel bezieht) beginnt, kann man schon makro¬ 
skopisch konstatieren. 

4 


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60 


Dr. Leo Fleiscbmann, Wien. 


nicht, und es wäre auch gar nicht einzusehen, wie der Reiz, 
den wir uns ja auf die Pulpa einwirkend, denken müssten, 
gerade in den peripheren Teilen des Dentins, wo die Trans¬ 
parenz zuerst und am stärksten auftritt, seine Wirksamkeit ent¬ 
falten könnte. 

Es ist wohl kaum ein Zweifel, dass es sich bei der Trans¬ 
parenz in senilen Zähnen um eine regressive Metamorphose 
handelt, wie sie im Alter in den verschiedensten Organen auf¬ 
tritt. Das war auch schon die Auffassung Wedls. Und des¬ 
halb reiht er auch die senile Transparenz in seinem patho¬ 
logischen System unter die Atrophien ein. 

Tatsächlich ist die senile Transparenz des Dentins ge¬ 
wöhnlich mit atrophischen, bzw. regressiven Vorgängen in der 
Pulpa vergesellschaftet. Ob die Transparenz des Dentins sekundär 
auf die Atrophie der Pulpa folgt, oder ob beide Prozesse neben¬ 
einander und unabhängig voneinander entstehen, vermag ich 
nicht zu sagen. 

Sache frischer Untersuchungen wird es sein festzustellen, 
ob auch, bei aus irgend welchen anderen Gründen auf¬ 
tretenden atrophischen Vorgängen der Pulpa in den Zähnen 
junger Individuen, Transparenz im Dentin auftritt. Sollte dies 
der Fall sein, so wäre damit allerdings der Beweis erbracht, 
dass die Transparenz des Dentins eine Folge der Pulpa¬ 
atrophie sei. 

Resümiere ich die Ergebnisse meiner Untersuchungen 
kurz, so ergibt sich: 

1. Das Transparentwerden des Dentins ist 
eine Folge der vollständigen Obliteration der 
Kanälchen. 

2. Diese Obliteration wird herbeigeführt 
durch Ablagerung einer Substanz, die, wie wir 
mit höchster Wahrscheinlichkeit sagen können 
aus Kalksalzen besteht. 

3. Ob es sich um eine Einlagerung der Kalk¬ 
salze in die Tomessche Faser oder um eine Aus¬ 
scheidung der Kalksalze in die Kanälchen durch 


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Das transparente Dentin, 


51 


die Tomessche Faser handelt, lässt sich nicht 
entscheiden. . 

4. Die Neumannschen Scheiden und die 
Zahnbeingrundsubstanz erleiden beim Trans¬ 
parentwerden keine Veränderung. 

Es bleibt mir noch übrig festzustellen, wie weit sich die 
eben geäusserten Schlusssätze mit den Ansichten früherer 
Autoren decken, bzw. in welchen Punkten sie von ihnen 
differieren. 

Ich habe schon in der an die Spitze meiner Arbeit 
gestellten Literaturübersicht jeweils darauf hingewiesen, dass 
die meisten bisher aufgestellten Theorien unhaltbar waren, 
weil sie entweder auf falschen Voraussetzungen aufgebaut 
waren oder durch Tatsachen widerlegt wurden. Nur zwei 
blieben übrig: die eine von Tom es, die sich mit meiner 
Ansicht im Prinzipe deckt; und die andere von Walkhoff, 
der die folgenden Auseinandersetzungen gewidmet sind. 

Während ich das Phänomen der Transparenz, im Sinne 
einer regressiven Metamorphose, als eine Folge von Kalk¬ 
ablagerungen in die Kanälchen deute, deutet es Walkhoff, 
im Sinne eines physiologischen Vorganges, als eine Folge von 
Neubildung von Zahnbeingrundsubstanz in den Kanälchen. 

Dass es im verkalkten Dentin noch zur Neubildung von 
Grundsubstanz seitens der Faser und demzufolge zu einer Ver¬ 
engerung der Kanälchen kommt, ist seit langem bekannt. Als 
klassischer Beleg dafür erscheint die von J. Tomes 1 ent¬ 
deckte Tatsache, dass in den immerwachsenden Zähnen, zum 
Beispiel den Nagezähnen von Eichhörnchen, die Dentinkanälchen, 
die der Spitze des Zahnes näher liegen, enger sind als die, 
die dem offenen Ende näher liegen. Nach Walkhoff 2 führt 
ein einfaches Fortschreiten dieses physiologischen Vorganges 
zur Transparenz des Dentins. 

W a 1 k h o f f wäre mit dieser Erklärung im Rechte, wenn 
die die Kanälchen ausfüllende Masse wirklich verkalkte Grund- 


* J. T o m e 8: Philosoph. Transact., 1850, Part. II. 

2 Walkhoff: 1. c. 

4 * 


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52 


Dr, Leo Fleischmaim, Wien. 


Substanz wäre. Das ist aber keineswegs der Fall. Denn 
wenn es sich tatsächlich um neugebildete Grundsubstanz 
handelte, so müsste diese auch nach dem .Entkalken als so¬ 
genannter Zahnknorpel Zurückbleiben, d. h. das Lumen des 
Kanälchens dürfte durch die Entkalkung nicht verändert werden. 
Statt dessen sehen wir die auffallende Tatsache, dass durch 
die Entkalkung Kanälchen, die gar kein oder ein minimales 
Lumen hatten, so weit werden, dass sie von normalen nicht 
unterschieden werden können. Das kann nur die eine Ursache 
haben, dass die Kanälchen nicht durch Grundsubstanz, sondern 
durch eine Substanz ausgefüllt wurden, die durch die Ent- 
kalkungsflüssigkeit vollständig zum Schwinden gebracht worden 
ist. Die Tatsache, dass nach Einwirkung von Säuren die 
Kanälchen wie normale hervortreten, konnte natürlich Walkhof f 
nicht unbekannt bleiben, zumal schon Wedl auf sie hin¬ 
gewiesen hat. Wiewohl Walkhoff zwar nicht direkt darauf 
hinweist, dass diese Tatsache gegen seine Ansicht sprechen 
würde, sucht er sie dennoch zu entkräften, indem er die Er¬ 
weiterung der Kanälchen nach der Entkalkung darauf zurück¬ 
führt, dass durch die Kalkentziehung eine Entspannung der 
Grundsubstanz eintritt, die die Erweiterung der Kanälchen zur 
unmittelbaren Folge hat. W'ürde durch die Entziehung der 
Kalksalze der Grundsubstanz tatsächlich eine so enorme Er¬ 
weiterung der Kanälchen im transparenten Dentin eintreten 
können, so müsste doch naturgemäss etwas Aehnliches bei 
der Entkalkung normalen Dentins zu beobachten sein. 

Eigens ausgeführte Versuche zeigten mir, 
dass ein wahrnehmbarer oder gar messbarer 
Unterschied zwischen dem Lumen der Kanälchen 
vor und nach der Entkalkung im normalen Dentin 
nicht besteht. 

Eine Ausfüllung, bzw. eine Verengerung der Kanälchen 
durch Neubildung von Grundsubstanz, wie sie Walkhoff 
annimmt, kann also für die Entstehung der Transparenz nicht 
verantwortlich gemacht werden. 

Angesichts dieser Feststellung erscheint es mir nur von 
untergeordneter Bedeutung, wenn ich noch auf einen Punkt 


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Das transparente Dentin. 53 

hinweise, in welchem meine Ansicht von der Walkhoffs 
abweicht. 

Walkhoff hält die Kanälchen nicht für vollständig 
obliteriert, sondern nur für bedeutend verengt und dem¬ 
entsprechend die Zahnfaser nicht für geschwunden, sondern 
nur für verschmälert. Er führt an, dass er die Faser bei ent¬ 
sprechender Vergrösserung innerhalb der Kanälchen immer 
verfolgen konnte, und gibt eine von ihm selbst „schematisch“ 
genannte Skizze dieser Verhältnisse. 

Dem widerspreche ich. Man sieht im transparenten 
Dentin nur die bereits geschilderten Bänder. Was Walkhoff 
in seiner Skizze als Faser wiedergibt, scheint mir nichts 
anderes als ein solches Band bei hoher Einstellung zu sein. 
Aus diesem Grunde, der Nichtexistenz der Fasern, gelang 
ihm auch an Längsschliffen (durch die Kanälchen) niemals 
deren Färbung. 

An Querschliffen (durch die Kanälchen) erzielte Walkhoff 
Färbungen. Ich muss hier betonen, dass eine solche Färbung 
von Kanälchen-Querschnitten durchaus nicht das Vorhanden¬ 
sein von Fasern beweist, da man gefärbte Querschnitte, wie 
ich im Laufe dieser Arbeit schon ausgeführt habe, auch an 
Schliffen durch mazerierte, trockene Zähne, wo sicher keine 
Faser vorhanden ist, erhält. Man erzielt eine Färbung nur 
da, wo noch ein Lumen vorhanden ist, gleichgiltig, ob dies 
von einer Faser ausgefüllt ist oder nicht. Ein gefärbter Quer¬ 
schnitt beweist daher auch nur, dass ein Lumen vorhanden 
ist, und wenn man viele solcher gefärbter Lumina in einem 
Präparat findet, so folgt daraus, dass es sich nicht um trans¬ 
parentes Dentin handelt. Im exquisit transparenten Dentin 
gibt es auch an Querschnitten durch die Kanälchen keine 
Färbung. Ich habe bereits im Verlaufe meiner Arbeit darauf 
hingewiesen, wie vorsichtig man in der Deutung von Quer¬ 
schnittsbildern sein muss, und die Gründe dafür an derselben 
Stelle erörtert. 

Walkhoff führt als Stütze seiner Ansicht, dass Fasern 
vorhanden sind, auch ein klinisches Räsonnement ins 
Treffen, nämlich die Empfindlichkeit des kariösen Dentins. Ich 


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54 


Dr. Leo Fleiscbmann, Wien. 


habe keinen Grund, darauf hier einzugehen, weil eine Em¬ 
pfindlichkeit der transparenten Partien des senilen Dentins 
nicht bekannt ist. 

Zum Schlüsse meiner Arbeit sei es mir gestattet, noch 
auf einen Punkt zurückzukommen, der meiner Ansicht nach 
einer Aufklärung bedarf. Er betrifft die „ Körnerreihen ü . Es 
ist erinnerlich, dass ich diese Gebilde als bei der Ablagerung 
der Kalksalze in den Kanälchen ausgesparte Räume gedeutet 
habe. Wedl 1 hielt diese Gebilde für Fetttröpfchen, eine Deutung, 
die seither von allen Autoren zurückgewiesen wurde und die 
auch unhaltbar ist. Doch bildet Wedl 2 als Stütze seiner 
Ansicht einen histologischen Befund ab, der, wenn er richtig 
wäre, meine Auffassung der gesamten Frage unhaltbar machen 
würde. 

Wedl bildet ein Präparat ab, das einer senilen Wurzel 
entstammt, in welchem die Kanälchen mittels erwärmter Salz¬ 
säure isoliert wurden. In einem so isolierten Kanälchen sind 
nun Körnerreihen zu sehen. Wäre dies richtig, dann könnte 
schlechterdings nicht die Rede davon sein, dass sie Kalk¬ 
ablagerungen ihr Entstehen verdanken. 

Ich habe nun in zahlreichen Versuchen immer bestätigt 
gefunden, dass die Körnerreihen bei Einwirkung von Säuren 
sehr bald verschwinden. — Die Körnerreihen des Ueberganges 
vom normalen zum transparenten Dentin können daher un¬ 
möglich mit den von Wedl abgebildeten identisch sein. — 
Es ist kein Zweifel, dass die von Wedl abgebildeten Körner 
oder Tröpfchen mit den Körnerreihen des transparenten 
Dentins nichts zu tun haben, sondern jenen Gebilden ent¬ 
sprechen, die man bei dem Isolieren der Kanälchen mittels 
Säuren oder Alkalien als Zerfallsprodukte der Zahnfasern 
erhält. 3 


* C. Wedl: Pathologie der Zähne, I. Auflage. 

2 C. Wedl: Atlas zur Pathologie der Zähne, Tafel X, Fig. 95. 

3 Vgl. Fleischmann: Ueber Bau und Inhalt der Dentinkanälchen. 
Arch. f. mikr. Anat. und Entwicklungsgeschichte, Bd. 66, Tafel 85, Fig. 15. 


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Osterr. wig. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1907. Heft I. 


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Taf. II 


Dr. L. Fleischmann : Das transparente Dentin. 


Dr. L. Fleischmann : Das transparente Dentin. 



& Fig. 6 


Fig - 5 Fig. 6 



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Das transparente Dentin. 


55 


Zu besonderem Danke bin ich Herrn Hof rat v. Ebner 
und Herrn Prof. £}chaffer verpflichtet, die auch diesmal 
meine Arbeit, obwohl sie einem pathologischen Thema galt, 
auf die wohlwollendste Weise unterstützt und gefördert haben. 

* 

Erklärung der Abbildungen (Mikrophotographien). 

Fig. 1. 

Radialer Längsschliff durch eine trockene Wurzel, n normales Dentin; 
t transparentes Dentin. 1:100. 

Fig. 2. 

Derselbe Schliff 1:1000. a sich allmählich verengerndes Kanälchen; h obli- 
teriertes Kanälchen bei hoher Einstellung; t bei tiefer Einstellung. 

Fig. 3. 

Aus einem Horizontalschliff durch eine trockene Wurzel 1:1000. a Kanälchen 
mit unregelmässig geformten Ablagerungen an den Wänden. 

Fig. 4, 5 und 6. 

Uebergangspartien aus Fig. 1. Vergr. 1:1000. Fig. 4 und 5 sind dasselbe 
Kanälchen; Fig. 4 bei hoher, Fig. 5 bei tiefer Einstellung. 

Fig. 7. 

Schliff durch transparentes Dentin, in 5 prozentiger Alaunlösung entkalkt, mit 
Delafield gefärbt; a Neumannsche Scheiden; b Seitenästchen. 

Fig. 8. 

Schliff durch transparentes Dentin, gebeizt in 5 prozentiger Alaunlösung, mit 
Delafield gefärbt; bei a Füllungsmasse der Kanälchen blau gefärbt. 

Fig. 9. 

Schliff aus der Uebergangszone des normalen zum transparenten Zahnbein, 
entkalkt mittels 5prozentiger Alauulösung, mit Delafield gefärbt; a Zahn- 
fa8em; b Scheiden. 


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Dr. Philipp Sehreier, Brünn. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Zur BehanllüBtL 4er Pnlpappn mit Mresol-Formalin. 

Von Dr. Thilipp Schreier , Zahnarzt in Brünn. 

Unsere Disziplin hat dank der wissenschaftlichen Be¬ 
arbeitung der letzten Jahrzehnte solche Fortschritte gemacht, 
dass die zahnärztliche Kunst trotz ihrer Jugend mit Stolz auf 
ihre praktischen Erfolge blicken kann und mit Bezug auf ihre 
Leistungsfähigkeit für die leidende Menschheit neben vielen 
anderen ärztlichen Spezialgebieten einen hervorragenden Platz 
einzunehmen verdient. Neuerlich scheint wieder ein unermess¬ 
liches Feld, das bisher der allgemeinen Bearbeitung grosse 
Schwierigkeiten entgegensetzte und den eifrigsten Pionier 
nicht selten entmutigte, dem Gebiete des „non possumus“ ent¬ 
rissen zu sein und wenn die wenigen überschwenglichen Be¬ 
richte, die bis jetzt über die Trikresol-Formalinbehandlung der 
Pulpagangrän bekannt sind, auch weiterhin ihre Bestätigung 
finden, so wird wieder ein bisher beinahe unlösliches und doch 
so oft an uns gestelltes Rätsel der Zahnheilkunde seiner glück¬ 
lichen Lösung näher gebracht. 

Dr. Bukley, Zahnarzt in Chicago, hielt auf dem Inter¬ 
nationalen zahnärztlichen Kongress in St. Louis anfangs Sep¬ 
tember 1904 einen Vortrag, betitelt: „The chemistry of Pulp- 
Decomposition with a rational treatment for this condition and 
ts sequaele“, in dem er auf Grund der chemischen Bestand¬ 
teile, in welche das in Gangrän übergegangene Pulpagewebe 
zerfällt, eine Behandlung mit Trikresol-Formalin empfiehlt, die 
nicht nur auf wissenschaftlicher Basis aufgebaut ist, sondern 
auch wunderbare Resultate ergeben soll Der Vortrag hat 
meines Wissens keine aussergewöhnliche Beachtung erhalten, 
da die zahnärztliche Welt sich schon gewöhnt hat, mit jedem 
Saison- und Modewechsel eine neue Pulpagangränbehandlung 
als non plus ultra angepriesen zu erhalten, und es ist ein be¬ 
sonderes Verdienst Dr. Lartschneiders in Linz und Hof¬ 
zahnarzt Eschers in Rudolstadt, dass sie diese empfohlene 


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Zur Behandlung der Pulpagangrän mit Trikresol-Formalin. 


57 


Methode geprüft und die Zahnärzte des Kontinents darauf 
aufmerksam gemacht haben. Beide Praktiker sprechen sich 
derart enthusiastisch aus, dass diese Behandlung, namentlich 
bei dem Umstande ihrer leichten Durchführbarkeit, ohne Zweifel 
rasch populär werden und ihren Siegeslauf durch die Welt 
nehmen wird. Ich halte es daher für eine Pflicht erfahrener 
Kollegen, sich vielfach über diesen Gegenstand auszusprechen 
und ihre Beobachtungen im guten oder schlechten Sinne be¬ 
kannt zu geben, damit man durch Sichtung eines grossen 
Materials ein klares Urteil gewinnt, das sonst durch Vorein¬ 
genommenheit oder wahllose Verwendung leicht getrübt wird 
und auch zu Enttäuschungen führen kann, welche wieder die 
wahre Erkenntnis verhindern. 

Da ich in den Publikationen Dr. Lartschneiders 
und Esch ers die ausführliche Behandlung des Vortrages 
Dr. Bukleys vermisse, dieser aber zum vollen Verständnis und 
zur Beurteilung seiner auf chemische Grundsätze basierenden 
Behandlung unbedingt erforderlich ist, fühle ich mich ver¬ 
pflichtet, bevor ich auf weitere Besprechungen mich einlasse, 
diesen Vortrag in extenso zu behandeln; ich habe ihn dem 
Februarhefte des „Dental Cosmos“ 1905 entnommen und will 
ihn in den ersten Teilen nur skizzieren, während ich den Ab¬ 
schnitt über die Behandlung in wörtlicher Uebersetzung bringen 
. werde. 

Dr. Bukley sagt in der Einleitung seines Vortrages, 
dass insolange wir nicht genau die Natur der chemischen 
Prozesse verstehen, welche sich beim Zerfall der gangränösen 
Pulpagewebe abspielen, und die resultierenden Endprodukte 
nicht kennen, muss eine jede Behandlung empirisch sein, wie 
es in der Vergangenheit bis jetzt der Fall war; das entspricht 
aber nicht der Tendenz unseres Zeitalters, nicht in der Medizin, 
nicht in der Zahnheilkunde. Wir müssen daher die genaue 
Kenntnis der chemischen Prozesse zu erlangen suchen, die sich 
während der Gangräneszenz der Pulpa ergeben. Die chemische 
Untersuchung der Pulpagewebe hat dieselben Grundelemente 
ihrer Zusammensetzung gezeigt, wie sie den übrigen orga- 


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58 


Dr. Philipp Sehreier, Brünn. 


nischen Geweben eigen sind. Es sind dies Kohlenstoff (7, Wasser¬ 
stoff ff, Sauerstoff 0, Stickstoff ff, Schwefel S und Eisen Fe. 
Die aus diesen Elementen sich auf bauenden Verbindungen 
werden, je nachdem ob sie Stickstoff enthalten oder nicht, 
in Stickstoffverbindungen und in nichtstickstoflhältige Ver¬ 
bindungen unterschieden. Die ersteren sind die Eiweiss- 
Verbindungen oder Proteidsubstanzen mit komplizierten mole¬ 
kularen Anordnungen ihrer Elemente, die letzteren sind die 
Kohlehydrate und Fette. Beim Zerfall der Pulpa entstehen aus 
höher zusammengesetzten organischen Molekülen einfachere Ver¬ 
bindungen, und zwar zerfallen die Kohlenhydrate durch Gärung 
(Fermentation), die Eiweisskörper durch Fäulnis (Putrefaktion). 
Auf Grund eingehender Versuche behauptet Dr. Bukley, dass 
durch die Einwirkung von Mikroorganismen vorerst die Kohlen¬ 
hydrate neben anderen Verbindungen Kohlensäure (ff 2 0 + (70*) 
und Essigsäure (ff (7* ff» 0*) produzieren, in diesem nunmehr 
saueren Medium vermögen fäulniserregende Organismen, die 
stets auch vorhanden sind, die komplizierten Eiweissmoleküle 
zu zersetzen und die dadurch entstandenen ersten Produkte 
sind Schwefelwasserstoff ( H 2 S ), ferner Putrescin ((7 4 ff, 8 ff v ) und 
zwei isomere Substanzen: Kadaverin und Neuridin ((7 6 ff, 4 ff 2 ). 
Im fortlaufenden Prozesse zerfallen die letzteren Substanzen 
weiter und Ammoniak (ffff 3 ) oder dessen Derivate werden 
gebildet. Da hingegen während des ganzen Herganges keine 
alkalische Reaktion eintritt, bleiben die Fette unver¬ 
ändert. 

Die hauptsächlichen Endprodukte, die sich während der 
Gangräneszenz der Pulpa entwickeln, sind demnach: Wasser* 
Kohlensäure, Essigsäure, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und 
Fette; da auch die Zahnfibrillen in den Zersetzungsprozess 
einbezogen sind, so sind neben der Pulpakammer und den 
Wurzelkanälen auch die Zahnbeinröhrchen von denselben End¬ 
produkten des Zerfalles erfüllt. Diese chemischen Prozesse, 
die auf Grund seiner Untersuchung von dem Vortragenden al& 
feststehend angenommen werden, bilden für Dr. Bukley die 
Grundlage seiner rationellen Behandlung, die ich der 
Wichtigkeit halber nunmehr in freier Uebersetzung folgen lasse : 


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Zur Behandlui g der Pulpagangrän mit Trikresol-Formalin. o& 

„Bei der Auswahl der Medikamente, die demnach bei 
der rationellen Behandlung zu verwenden sind, werde ich 
Mittel wählen, welche die Fähigkeit besitzen, sich chemisch 
mit den aus der Zersetzung der Pulpa resultierenden End¬ 
produkten zu verbinden. In dieser Erwägung müssen wir uns 
erinnern, dass der Zustand der Fäulnis durch Einwirkung von 
Mikroorganismen eingeleitet wird, der einen fortschreitenden 
analytischen Prozess darstellt, und dass unter den ersten Zer¬ 
fallsprodukten, Schwefelwasserstoff, Putrescin, Kadaverin und 
Neuridin zu zählen sind. 

Die letztgenannte Verbindung gilt an und für sich für 
nicht infektiös, kann aber verunreinigt mit anderen giftigen 
Fäulnisprodukten toxische Bedeutung annehmen, jedenfalls ent¬ 
steht aber bei ihrem weiteren Zerfalle Ammoniak. Schwefel¬ 
wasserstoff ist wichtig, weil er ein saures Gas ist, das einen un¬ 
angenehmen Geruch und lokal reizende Eigenschaften hat und 
ihm ein Anteil bei der Entfärbung der Zahnstruktur zukommt; 
aber ich muss es hier aussprechen, dass seine Rolle bei der 
Verfärbung der Zähne weit überschätzt wird. 

Putrescin und Kadaverin sowie Neuridin sind vielleicht 
die wichtigsten Verbindungen, die durch den Zerfall der Eiweiss¬ 
moleküle entstehen, sie sind basische Stickstoflfverbindungen, 
die nach den Untersuchungen von Scheurlen und Grawitz 
an und für sich fähig sind, Entzündung und Nekrose zu er¬ 
zeugen und die in ihrem weiteren Zerfalle Ammoniak ent¬ 
wickeln. 

Die bei der Pulpazersetzung erzeugten Gase sind dem¬ 
nach: Kohlensäure, Ammoniak und Schwefelwasserstoff. Ent¬ 
wickeln sich diese Gase in solchen Fällen, wenn kein freier 
Abzug durch eine offene Kavität besteht, wird ein Druck er¬ 
zeugt, der die Wurzelspitzen durchdringen kann, wodurch sie 
in die umgebenden Gewebe gelangen und auch giftige Ptomaine 
mit sich reissen; dadurch wird eine Entzündung erzeugt, die 
einen Alveolarabszess etablieren kann. 

In solchen Fällen, wenn wir die Pulpakammer eröffnen, 
eine gangränöse Pulpa finden und die Ptomaine und End¬ 
produkte noch nicht durch die Wurzelspitze sich ihren Weg 


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60 


Dr. Philipp Schreier, Brünn. 


gebahnt haben, sollte unsere Behandlung darin bestehen, dass 
wir sofort in die Pulpakammer ein Agens hermetisch ein- 
Schliessen, welches flüchtig, demnach durchdringend ist und 
welches in Kontakt mit den Endprodukten sich mit ihnen 
chemisch verbindet und sie in geruchlose, nicht infektiöse Ver¬ 
bindungen verwandelt. Solch ein Agens haben wir im Formal- 
dehyd CH\ 0, ein Gas, das im Handel in 40 prozentiger 
Lösung als Formalin bekannt ist. 

Es ist seit langem bekannt, dass Ammoniak eines der 
wichtigsten Endprodukte bei Zerfall der Proteidmoleküle ist. 
Es ist ebenso bekannt, dass Formaldehyd sich mit Ammoniak 
zu einer festen Verbindung vereinigt, die geruch- und farblos 
und von süsslichem Geschmacke ist, im Handel als Urotropin 
bekannt, als chemische Formel (C, H) 6 N A Hexamethylen-Tetramin 
heisst; es ist auch durch gute Autoritäten gestützt, dass Formal- 
debyd sich mit Schwefelwasserstoff und mit basischen Ptomainen 
chemisch vereinigt und geruchlose Verbindungen bildet. Da 
Formalin unverdünnt eine zu starke Lösung für unseren all¬ 
gemeinen Gebrauch ist, verwende ich in der oberwähnten An¬ 
nahme, dass die Fette im Zerfallsprozesse un¬ 
verändert bleiben, als Verdünnungsmittel Kresole, welche 
wieder chemisch auf die fetten Bestandteile einwirken. Die 
Kresole sind Homologe der Karbolsäure, es gibt ihrer drei: 
Metakresol, Orthokresol, Parakresol. Das Produkt, das am 
besten für unseren Gebrauch geeignet ist, ist Trikresol, eine 
geläuterte Mischung dieser drei. Es ist eine beinahe farblose 
Flüssigkeit, von kreosotähnlichem Geruch, löslich im Wasser bis 
zu 2*5 Prozent. Trikresol wurde als Vehikel für das Formalin 
aus drei Ursachen gewählt: 1. Es lässt sich mit Formalin in 
allen Verhältnissen mischen und erzeugt so ein gutes pharma¬ 
zeutisches Präparat; 2. es ist ein gutes Desinfiziens und bei¬ 
nahe dreimal so wirksam wie Karbolsäure; 3. es wirkt chemisch 
auf die fetten Bestandteile und beeinflusst in geeigneter Weise 
diese Substanzen. 

Die Formel, welche ich mit günstigen Erfolgen bei der 
Behandlung der Pulpagangrän verwende, ist folgende: 


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Zur Behandlung der Pulpagangrän mit Trikresol-Formalin. 


61 


Trikresol ) _ 

Formalin I aa P artes ae( I ua ^ es - 

S.: Auf einem kleinen Stückchen Baumwolle in der Pulpa¬ 
kammer 24 bis 48 Stunden hermetisch abgeschlossen. Eine 
Behandlung ist im allgemeinen genügend. 

In der Behandlung von Abszessen ohne eine Fistelöffnung 
ist es gut, die Formel zu modifizieren. In diesen Fällen ist der 
Zerfall der Pulpagewebe bereits vollkommen. Die Zwischen¬ 
produkte (Ptomaine) sind ausgiebig zerfallen, Eiter hat sich 
von dem die Wurzelspitzen umgebenden Gewebe gebildet und 
der erste Schritt bei der Behandlung solch eines Abszesses ist 
die mechanische Entleerung des Eiters. Wir haben es nicht nötig, 
Formaldehyd in solch konzentrierter Mischung zu gebrauchen, 
wie in solchen Fällen, wo die Pulpakammer, die Wurzelkanäle 
und Zahnbeinröhrchen mit dem gangränösen Material gefüllt 
sind. Die Konzentration der Formaldehydlösung muss der Zahn¬ 
struktur entsprechend verdünnt sein, da es eines der reizbarsten 
Mittel ist, die dem Therapeuten bekannt sind. Eine sichere 
Formel für Abszesse ohne Fistel ist: 

Trikresol 3*0 
Formalin 1*0 

S.: Mechanische Entleerung des Eiters und auf Baum¬ 
wolle im Kanal für 24 bis 48 Stunden, hermetisch abgeschlossen, 
zwei- bis dreimal anzuwenden. Oft ist eine Behandlung ge¬ 
nügend. a 

Nach weiterer Anführung von Experimenten, welche die be- 
zeichnete Einwirkung des Formalins auf Ammoniak und Schwefel¬ 
wasserstoff illustrieren, schliesst der Vortrag Dr. Bukleys. 

Auf den Vortrag folgte eine Diskussion, in welcher der 
erste Sprecher Dr. A W. Harlan aus New-York betonte, dass 
der Vorschlag, dem gangränösen Inhalt der Wurzelkanäle auf 
chemischem Wege beizukommen, von Dr. Emil Schreier in 
Wien ausging, der im Jahre 1890 in geistreicher, einwendungs¬ 
loser Weise darlegte, dass durch Kalium eine Verseifung des 
ganzen putriden Inhaltes herbeigeführt werden kann. 


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32 


Dr. Philipp Schreier, Brönn. 


Auch Dr. Hodgen spricht über die Behandlung mit 
Natrium-Dioxyd, welches eine Saponifikation (Verseifung) der 
gangränösen Massen bewerkstelligt, ohne aber den Autor dieses 
Behandlungsvorganges, Dr. Schreier (Wien), zu zitieren, denn 
trotz der Modifikation der reinen Kaliumbehandlung ist der 
chemische Vorgang derselbe und der Begriff „Verseifung des 
gangränösen Inhaltes“ ist von Dr. Schreier (Wien) geprägt 
worden. 

Um auf den Vortrag Dr. Bukleys zurückzukommen, 
will ich hervorheben, dass zwei Punkte eine nähere Erläuterung 
verdienen. Erstens führt Dr. Bukley in seinem Vortrage 
deutlich aus, dass in den Fällen, wo sich schon ein apicaler 
Abszess gebildet hat, keine chemischen Zersetzungsprodukte 
mehr vorhanden sind, welche das Substrat für die Trikresol- 
Formalineinwirkung abgeben und in welchen Fällen die 
mechanische Entleerung des Eiters verlangt wird, dann aber 
doch die bezeichnete Lösung in verdünnter Zusammensetzung 
ihre Wunder wirkt. Wenn Dr. Bukley seine Methode auf 
logischen Konsequenzen aufbaut, so wird die wissenschaftliche 
Folgerung hier durchbrochen und es können nur praktische 
Ergebnisse zu dieser Anempfehlung führen. Zweitens ist die 
Einwirkung des Trikresols auf die Fette mit einer einfachen 
Behauptung, dass nämlich ersteres die letzteren in geeigneter 
Weise chemisch beeinflusse, abgetan, während diese chemische 
Wechselwirkung einer eingehenden Erklärung bedurft hätte. 
Verschiedene Chemiker von Beruf konnten, befragt, mir über 
die Beziehung von Trikresol zu Fetten gar nichts sagen, andere 
haben eine solche überhaupt in Abrede gestellt. 

Ferner ist nicht deutlich zu ersehen, ob Dr. Bukley den 
Wurzelinhalt mechanisch entfernt und erst den entleerten Kanal 
mit Trikresol-Formalinwatte stopft; man muss nach seiner 
■Gebrauchsanweisung annehmen, dass er nur die Pulpakammer 
ausräumt, dagegen die Wurzelkanäle unberührt lässt, es wäre 
denn, dass er einen apicalen Abszess zu eröffnen hätte. Die 
veröffentlichten kasuistischen Fälle des Dr. Lartschneider 
lassen ersehen, dass dieser in der Mehrzahl der Fälle die 
Wurzelkanäle gereinigt hat, in einigen Fällen nicht. Seine 


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Zur Behandlung der Pulpagangrän mit Trikresol-Formalin. 63 

zweite, in der Julinummer vorigen Jahres angeführte Serie lässt 
diesen Punkt auch unklar, doch lässt die Angabe, dass die 
Kanäle mit heisser Luft möglichst ausgetrocknet werden, 
die Annahme einer mechanischen Reinigung zu. Deutlicher 
spricht sich Dr. Es eher aus, der in der ersten Sitzung 
in die Pulpakammer das mit Trikresol-Formalin getränkte 
Bäuschchen einlegt und in der zweiten Sitzung die Nerv¬ 
kanäle weit eröffnet, aber auch nicht genauer angibt, 
ob er mit Nervnadeln manipuliert oder nicht, wenngleich die 
Deutung der Textfassung berechtigt erscheint, dass dies nicht 
geschieht. Sollte sich die Tatsache ergeben, dass der putride 
Wurzelkanalinhalt durch das Trikresol-Formalin derart sterilisiert 
und auch für alle Folgen unschädlich gemacht wird, dass er 
förmlich die Wurzelfüllung im Kanäle bildet und die medika¬ 
mentöse Paste bloss für die Pulpakammer bestimmt ist, dann 
wären wir geradezu aus einem Wirrsal komplizierter, die 
höchsten Anforderungen auf die Geschicklichkeit des Operateurs 
stellender und dabei erst unsicherer Verhältnisse in eine 
geradezu ideale Situation versetzt. Es wäre Sache der Lehr¬ 
anstalten und Institute, dass sie dieTrikresol-Formalinbehandlung, 
welche ganz sicher bald einen breiten Rahmen in der zahn¬ 
ärztlichen Praxis einnehmen wird, einer genauen wissen¬ 
schaftlichen Untersuchung unterziehen, die Indikationen und 
die Grenzen ihrer Wirksamkeit bestimmen und auf eventuelle 
Rezidiven prüft, da ihnen allein die nötigen Arbeitskräfte und 
Zeit zur Verfügung stehen. 

Ich will nun meine eigenen Erfahrungen, die sich auf 
viele hundert Fälle bereits erstrecken, an die schon erwähnten 
Publikationen anschliessen und im vorhinein bemerken, dass 
auch meine Resultate derart überraschend gute sind, dass ich 
mich dem Lobe der Trikresolbehandlung bedingungslos an¬ 
schliessen kann. Ich verfahre sowohl bei schmerzhaften 
als auch unempfindlichen Zähnen mit gangränöser Pulpa 
folgendermassen: Dem zu behandelnden Zahn lege ich als 
Conditio sine qua non Kofferdam an, eröffne weit die Pulpa¬ 
kammer, reinige nun diese langsam und vorsichtig, lege ein 
mit Trikresol-Formalin getränktes Wattebäuschchen ein und 


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64 


Dr. Philipp Schreier, Brünn. 


verschliesse mit Fletcher. Nach 24 bis 48 Stunden 
wird der Okklusivverband eröffnet und es zeigt sich die Tat¬ 
sache, die bisher niemals in so kurzer Zeit und in 
so vollkommener Weise erzielt werden konnte, 
dass der faulige Geruch ganz geschwunden ist 
und die Watte nur den Geruch des Medikamentes verrät. 
Nun suche ich mit Nervnadeln, die in die medikamentöse 
Lösung getaucht waren, die einzelnen Kanäle auf und reinige 
sie langsam und vorsichtig. Es ist möglich, dass diese Prozedur 
überflüssig ist, halte sie aber aus den verschiedensten Gründen 
für opportun, denn schädlich kann sie in keinem Falle sein ; 
dagegen befinden sich in den Wurzelkanälen oft Fremdkörper 
aller Art, die gewiss im Interesse des Dauererfolges besser 
entfernt sind, ferner können auch kleine Abszesse in apice, 
die sich leicht der Konstatierung entziehen, zur Eröffnung 
gelangen und endlich reiht sie sich unserem bisherigen Gedanken¬ 
gange ein. Nach erfolgter Reinigung führe ich mit Trikresol- 
Formalin getränkte Fäden möglichst tief in die Kanäle ein, 
schliesse mit Fletcher und nach weiteren 48 Stunden 
mache ich die definitive Füllung. Ohne durch Anführung langer 
Behandlungsreihen ermüden zu wollen, will ich nur kurz er¬ 
wähnen, dass ich in dem halben Jahre der Trikresol-Formalin- 
behandlung mehr gangränöse Zähne aller Art mit Erfolg ge¬ 
schlossen habe, als vielleicht in meiner vieljährigen intensiven 
Praxis bis dahin. Ganz vereinzelte Misserfolge können höchstens 
nach der Richtung ins Gewicht fallen, dass es immer Fälle 
geben wird mit bedeutenden anatomischen Veränderungen der 
Wurzel und des sie einschliessenden Alveolarfortsatzes, welche 
nur einem operativen Eingriff durch die Alveolarwand weichen 
werden, es unterliegt aber keinem Zweifel, dass die bekannte 
Wurzelspitzenresektion nur als ultimum refugium durch die 
neue Methode eine grosse Einschränkung erfahren wird. 

Man kann von einer rationellen Pulpagangränbehandlung 
nicht sprechen oder schreiben, ohne auf die 8 ehr ei ersehe 
Kaliumbehandlung einzugehen. Es ist eine unläugbare und 
trotz vielem Widerstreben nunmehr auch anerkannte Tatsache, 
dass mit dieser Methode das erstemal der tastende Weg im 


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Zur Behandlung der Pulpagangräu mit Trikresol-Formalin. 


65 


Dunkeln verlassen und eine klare wissenschaftliche Behandlung 
inauguriert wurde, welche dem mit dem Mittel hantierenden 
Operateur viel Erfolg und viel Freude sicherte. Und doch ist 
anderseits mit Bedauern zu konstatieren, dass sich das Mittel 
nicht einer allgemeinen Verbreitung erfreute, sondern nur von 
einigen, wenn ich mich so ausdrücken darf, Gourmands 
goutiert wurde. Ich kann dafür keine andere Erklärung finden, 
als dass das Mittel infolge seiner unheimlichen Eigenschaft, im 
Wasser zu explodieren, bei den Kollegen eine Scheu erweckte. 
Man hat ein ängstliches Gefühl, mit einem Körper zu hantieren, 
der schon in kleinsten Partikelchen, wie sie an der Nadel 
haften, eine sichtbare Flamme gibt und knisterndes Explosions¬ 
geräusch verursacht; es hat auch den Nachteil dass trotz 
des Paraffinverschlusses sich zwischen diesem und dem Kalium, 
infolge seiner grossen Verwandtschaft zu Wasser eine Schichte 
Kaliumhydrat als weisser etwas steifer Körper bildet, 
welcher wieder den Zugang zum Kalium für die Nadel er¬ 
schwert. Auch lässt es doch nicht selten im Stiche, wahr¬ 
scheinlich weil es, wie Es eher treffend bemerkt, nur lokal 
wirkt und, wo man mit dem Kalium nicht hingelangt, auch 
keine Zersetzung stattfindet. Das Formalin hingegen hat neben 
seiner chemischen Einwirkung die wunderbare Eigenschaft, 
dass es auch über seinen Sitz hinaus wirkt, also auch durch 
impermeable und unzugängliche Wurzelkanäle bis jenseits der¬ 
selben seine Einwirkung trägt. Dabei ist es ein leicht erhältliches 
Präparat, dessen Verwendung so handlich ist und dessen Ge¬ 
brauch sich so einfach darstellt, dass die Pulpagangrän- 
behandlung, die bisher nur für wenige auserwählte, mit be¬ 
sonderer Erfahrung und Geschicklichkeit begabte Fachmänner 
reserviert blieb, nunmehr Gemeingut aller Kollegen werden 
kann, was ja bei der ungeheuren Verbreitung dieses Krankheits¬ 
prozesses im Interesse der leidenden Menschheit zu begrüssen ist. 

Das Formalin hat nunmehr einen allerersten Rang im 
zahnärztlichen Arzneischatz erobert, den es aber auch schon 
seit Jahren bei Behandlung der Pulpitis einzunehmen verdient. 
Wir besitzen im Handel ein Formalinpräparat unter dem 
Namen Abrahams Formagen, dessen genaue Zusammensetzung 


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66 


Dr. Puilipp Schreier, .Bittun 


mir nicht bekannt ist, das die glänzende Eigenschaft besitzt, 
dass es, auf eine entzündete noch so schmerzhafte Pulpa auf¬ 
gelegt, die intensivsten Schmerzen sofort mit einem Schlage 
behebt und auch sofort eine Plombo auf die nicht abgetötete 
Pulpa applizieren lässt. 

Die Kollegen, welche dieses Präparat kennen, werden 
meiner Aussage beipflichten; ich verwende es nicht aus Gründen, 
die auszuführen mich zu weit von meinem Thema ablenken 
würden und erwähne das Formagen nur der Vollständigkeit 
halber. Hingegen kann ich nicht eindringlich genug die Formalin¬ 
behandlung der Pulpitis nach abgetöteter Pulpa empfehlen, 
wie sie von Prof. Boennecken in Prag schon vor zirka 
10 Jahren in dieser Vierteljahrsschrift beschrieben und vor¬ 
geschlagen wurde. Prof. Boennecken hat in diesem 
Aufsatze die Pulpa-Dekapitation vorgeschlagen ohne nach- 
herige Extraktion der Nervfäden, statt dessen wird die 
entleerte Pulpakammer mit Formalin auf 3 Minuten über¬ 
schwemmt, hierauf mit Formalinpaste gefüllt und dann sofort 
die definitive Plombe* fix und fertig gemacht. Trotzdem 
die Pulpa-Dekapitation nichts neues war und von Julius 
Witzei schon vor mehr als 20 Jahren angegeben wurde, hat 
doch diese Behandlung keine allgemeine Verbreitung erlangt. 
Prof. Boennecken hat im Gegenteil so viel Opposition 
gefunden, dass er selbst irre geworden ist und später eine 
nachträgliche Entfernung der Nervfäden konzediert hat. Und 
doch ist diese Pulpabehandlung trotz ihrer Einfachheit absolut 
sicher, und es ist zu staunen, dass in diesem Falle sich das 
Leichte und Gute gegenüber dem Schweren und Unverlässlichen 
nicht spielend das Feld erobert hat. Witzei hat neuerlich 
die Dekapitation mit nachheriger halber Sondierung der Wurzel¬ 
kanäle mit schwarzer Chlorzinklösung wärmstens angeraten; 
ich könnte selbst nur Gutes aus eigener und fremder Erfahrung 
über diese Methode berichten, es ist aber schon eine viel 
schwierigere Manipulation und deshalb gegenüber der einfacheren, 
leichteren Boennecken sehen sehr im Nachteil. Wenn man be¬ 
denkt, dass man jeden Zahn, an beliebiger Seite erkrankt, nach 
vorheriger Abtötung der Pulpa in 20 bis 25 Minuten leicht und 


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Zur Behandlung der Pulpagangrän mit Tiikresol-Formalin. 67 

definitiv mit Amalgam plombieren kann, so hat man damit 
eine Stufe erlangt, die kaum günstiger zu erhoffen ist. Man 
gelit einer Devitalisation eines Zahnes nicht scheu aus dem 
Wege, sondern wendet sie schon in zweifelhaften Fällen an, 
was, ich wage es zu sagen, in der Mehrzahl der von Karies 
an den Seitenflächen befallenen Bicuspidaten und Molaren der 
Fall ist, erspart sich viele Reklamationen und Unannehm¬ 
lichkeiten und geht vielen nervenzerrüttenden Situationen aus 
dem Wege. Nach vielen Tausenden zählen schon so von mir 
geübte Pulpabehandlungen und die Misserfolge sind so ausser¬ 
ordentlich selten, dass die Ausnahmen hier wirklich die Bestätigung 
der Regel beweisen. Ich gebe gerne zu, dass jeder Praktiker 
mit seiner Pulpabehandlungsmethode ebenso zufrieden sein 
wild, doch wenn ich auch den Erfolg nicht in Abrede stellen 
will, leichter und einfacher auszuführen kann keine andere als 
die von Boennecken hier bezeichnete sein. Ich stehe nicht 
an, zu behaupten, dass ich die Pulpabehandlung mit Formalin 
nach Angabe Boenneckens und die doublierten Amalgam¬ 
füllungen nach Robitschek zu den grössten Errungen¬ 
schaften der Zahnheilkunde in unserer Epoche rechne, denn 
diese zwei Momente haben es erst ermöglicht, eine erfolgreiche 
konservative Behandlung der Zähne in die weiten Schichten 
der Menschheit zu übertragen und ich wollte heute kein Zahn¬ 
arzt sein, wenn ich auf diese beiden Faktoren verzichten müsste. 
Es wäre zu wünschen und, um mich auch etwas optimistich 
auszusprechen, es scheint sogar die berechtigte Hoffnung zu 
bestehen, dass durch die Formalinbehandlung der Pulpagangrän 
wieder eine neue Aera für die Zahnheilkunde ersteht. 

Ich kann meinen Aufsatz nicht schliessen, ohne noch auf 
die grossen Aufgaben hinzuweisen, die voraussichtlich durch 
die Einbeziehung der Pulpagangrän in unseren Behandlungs¬ 
kreis unserer Disziplin erwachsen werden. Jedem in weiten 
Kreisen wirkenden Praktiker ist bekannt, dass der arme, also 
grösste Teil der Bevölkerung mit einem pulpakranken Zahne 
nur behufs Extraktion zum Zahnarzt kommt. Dieser kann es 
aber schon jetzt nicht mit seinem ärztlichen Gewissen und 
Ehrgefühl vereinbaren, einen pulpitischen Zahn zu extrahieren. 

5 * 


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68 Dr. Philipp Schreier, Brünn. Zur Behandlung der Pulpagangrän etc. 

Wenn nunmehr auch ein gangränöser Zahn eine leichte, rasche 
und erfolgreiche Behandlung zulässt, darf der Zahnarzt auch 
hier nicht mehr zur Zange greifen, um die radikale erwünschte 
Hilfe zu bringen; es kann aber der praktizierende Zahnarzt 
bei aller seiner Humanität nicht verhalten werden, eine immer¬ 
hin kunstreiche, kostspielige und zeitraubende Behandlung 
umsonst zu bieten. 

Es erwächst nunmehr für uns die Aufgabe, mit allem- 
Nachdruck auf Kommune, Land und Staat einzuwirken, dass 
sie Zahnärzte für nichtsolvente Bevölkerungsschichten bestellen; 
namentlich sind die Mitglieder der verschiedenen Krankenkassen 
zu belehren, dass sie mit vollem Rechte von ihren Versicherungs- 
Instituten auch eine rationelle zahnärztliche Behandlung be¬ 
anspruchen können, da mit der Leistungsfähigkeit der Zahn¬ 
heilkunde auch ihre Notwendigkeit resultiert, die sie auf gleicher 
Stufe mit anderen ärztlichen Gebieten rangieren muss. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Die Ontrahl der Zaine in neischlichei Misse ml ihm 


Von Dr. Th. Dependorf , Privatdozent in Jena. 

Im Verlaufe des letzten Sommersemesters wurde mir aus» 
der chirurgischen Poliklinik folgender merkwürdige Fall von 
Unterzahl der Zähne im Ober- wie Unterkiefer zugeschickt r 
Fritz B., 13 Jahre alter Knabe, macht den Eindruck 
eines weit jüpgeren Kindes. Sein Knochenbau ist zart, ohne 
auffällige Merkmale von überstandener Rachitis, seine Mus¬ 
kulatur sehr schwach entwickelt. Der Junge zeigt ein scheues* 
unfreundliches Wesen. In seinem ganzen Gesichtsausdruck 
macht sich durch Einklemmen der Lippen ein fremder, fast ab- 
stossender Zug bemerkbar, die Nase ist eingedrückt und verbreitert* 
angeblich durch einen Sturz auf einen Treppenabsatz vor voll¬ 
endetem dritten Lebensjahr. B. ist mehrfach an der Nase und 
im Rachen operiert worden. Auf das tote, glanzlose Aussehen 


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Dr. Th. Depeudorf, Jena. Die Unterzahl der Zähne etc. 


69 


der Haare und den spärlichen, ^struppigen Haarwuchs, sowie 
die trockene Oberfläche seiner Haut weiss schon die Mutter 
hinzudeuten. Augenbrauen und Wimpern fehlen fast vollständig. 
Auch die Entwicklung der Fingernägel ist nicht normal, das 
Nagelbett erscheint kurz und schmal, der Nagel selbst ver¬ 
kümmert. Ebenso ist die Speichelung gering. 

Die Mutter kommt mit ihrem Sohn wegen angeblicher 
Zahnlosigkeit ihres Kindes, die Ursache seiner schlechten Ver¬ 
dauung sein soll. 

Der Zahnwechsel des Kindes ist in ganz anormaler Weise 
vor sich gegangen. Nach dem Berichte der Mutter ist der erste 
Zahn mit drei Jahren gekommen, und zwar der zweite Milch¬ 



molar rechts oben, ihm folgte der zweite der linken Seite; 
bald darauf brachen die beiden ersten Milchmolaren der rechten 
und linken Seite durch. Mit ihnen zugleich erschien der merk¬ 
würdig geformte Eckzahn jederseits im Oberkiefer. Nach einem 
weiteren halben Jahr kamen die unteren Canini, nach abermals 
der gleichen Zeit die unteren Milchmolaren rechts und links 
zum Vorschein. Schliesslich vervollständigten dieses eigenartige 
Gebiss der laterale obere Incisivus rechts und links. Das fertige 
Gebiss sehen wir in Fig. 1 und 2. 

Darnach lassen sich im ganzen 14 Zähne feststellen. 
Der zweite obere Incisivus und die Eckzähne haben die Form 
von Reptilienzähnen, zumal die unteren Canini; sie erinnern 
an kräftige, überzählige Zapfenzähne. Der erste Milch- 


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70 


Dr. Tu. Depeudort, Jena. 


molar besteht oben wie unten. Die ihm folgenden Backen¬ 
zähne besitzen mehr die Form der ersten bleibenden Molaren 
als der zweiten Milchmolaren. 

Auch die Milchzahnnatur der übrigen Zähne ist aus ihren 
Formen nicht ohne weiters festzustellen. Als durchgebrochene 
Glieder der ersten Zahnreihe müssen wir diese Zähne trotz¬ 
dem alle dem Milchgebiss zuzählen. Das ganze Gebiss setzt 
sich schliesslich aus folgenden Komponenten zusammen: 

5432|2345 
5 4 3 | 3 4 5 

Der Gaumen ist flach und schmal, in der Mitte von 
einem Torus durchzogen, die Gaumenfalten sind gut ausgeprägt. 



Fig. 2. 


Die Kiefer geben sich an Kleinheit gegenseitig nichts 
nach; besonders fällt der ausserordentlich niedrige Alveolarfort¬ 
satz am Unterkiefer auf. 

Wie die Röntgenaufnahme beweist, fehlen bislang sämt¬ 
liche Anlagen der übrigen nicht vorhandenen Zähne. 

Der Junge hat niemals einen Zahnwechsel durchgemacht 
und wird auch voraussichtlich keine andere Zusammenstellung 
seines Gebisses erfahren. 

Seine Geschwister, seine Eltern sollen alle normal ent¬ 
wickelte Gebisse besitzen. 

Anamnestisch ergibt sich die Tatsache, dass der Knabe 
als Kind ausserordentlich schwächlich gewesen ist, vielfach 




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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 71 


an Krämpfen gelitten hat, sich sehr langsam entwickelte und 
bis auf den heutigen Tag als das Sorgenkind seiner Eltern 
gilt. Seine zwei älteren Geschwister (Schwestern) sind gesund. 
Nach diesem Jungen hatte die Mutter eine Fehlgeburt. 

Luetische Einflüsse liegen dem Vernehmen nach nicht 
zugrunde, auch fehlen derartige Merkmale bei dem Kinde. 
Ebenso sind rachitische und skrofulöse Veränderungen nicht 
zu konstatieren, die den rachitischen Kiefern eigene Figuration 
ist nicht ausgesprochen vorhanden. 

Zuerst war ich geneigt, in diesem Falle an Kretinismus 
zu denken, und zwar an Myxödem. Für diese Diagnose fehlen 
jedoch einige wichtige Anzeichen, wie gestörte psychische 
Funktionen, in der Jugend verdickter Leib, Verzögerung des 
Fontanellenschlusses, das Ausbleiben der Stütz- und lokomo- 
torischen Funktion. Kretinismus kommt demnach kaum in 
Betracht. Wir haben es sehr wahrscheinlich nur mit besonderen 
nervösen Erscheinungen in der Ernährung zu tun, mit tropho- 
neurotischen Störungen der Hautanhänge, neben allgemeiner 
körperlicher Schwäche. 

Drei Jahre vor dieser Beobachtung war ein zweiter Fall 
von Unterzahl bei einem 23jährigen Dienstmädchen in meiner 
Klinik zur Behandlung gekommen. 

0. F. ist eine gesund aussehende, mittelkräftige Person 
mit kleinem Gesicht, doch groben, gewöhnlichen Zügen. Als 
Kind hat sie schwer an Skrofulöse und Rachitis gelitten. Alte 
Narben an beiden Seiten des Halses deuten auf Drüsen¬ 
operationen hin. Daneben bestehen Verdickungen der Hand- 
und Fussgelenkknochen, leichte Krümmung der Unterarme und 
Unterschenkel, wohl als sichere Zeichen überstandener Rachitis. 
Ihre Mutter ist klein und zart gebaut, sie besitzt ein schlechtes 
Gebiss, in dem fast alle Zähne fehlen; ihr Vater soll gesund 
sein. Tuberkulose ist in der Familie der Mutter vorhanden. 
Die Patientin kommt, um sich für ihre fehlenden Frontzähne 
einen Ersatz anfertigen, zu lassen. Bei der Untersuchung der 
Zahnreihen ergeben sich ganz eigenartige Gebissverhältnisse, 
die, wie Patientin angibt, seit mehreren Jahren so bestehen. 
(Fig. 3 und 4.) 


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72 


Dr. Th Dependorf, Jena. 


Zwischen teilweise verkümmerten bleibenden Zähnen und 
persistierenden Milchzähnen stehen Reste von Wurzeln 
bleibender und Milchzähne. Die Wurzeln sind klein und kurz, 
sie liegen teilweise lose im Zahnfleisch. Es fehlen gänzlich die 



Fig. 


zwei unteren mittleren und die vier oberen Schneidezähne, 
der linke obere erste Prämolar, die vier zweiten Prämolaren, 
an ihrer Stelle stehen rechts die zweiten Milchmolaren, links 
sind sie kurz zuvor entfernt worden. Der rechte Eckzahn ist 



Mir. 4. 


nach vorne bis in die Gegend des ersten Incisivus gewandert, sein 
Vorgänger steht an dem ihm zukommenden Platze fest im Kiefer. 

Sämtliche bleibenden Zähne sind klein und zierlich ent¬ 
wickelt, die unteren ersten Prämolaren besitzen eckzahn¬ 
ähnliche Formen. Der gewölbte Gaumen zeigt seitlich 
verbreiterte Alveolarfortsätze. Der Oberkiefer ist etwas kleiner 
als der Unterkiefer, hier ist der Alveolarfortsatz verschmälert. 


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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutnng. 73 


Die verkümmerten Wurzeln der ersten Molaren sind 
überall entfernt worden, der zweite Molar links unten ist im 
Durchbruch. Es fehlen also im Gebi?s 



Fig. o. 


Der vor Jahren festgestelite Zustand hat sich bis heute nicht 
verändert. 

Ausser diesen beiden charakteristischen Fällen echter 
Unterzahl sind im Verlaufe der gleichen Zeit einzelne anormale 



Fig. 6. 


Zustände im Bereiche der voi deren Zähne, zumal der Incisivi, 
Persistieren einzelner Gruppen von Milchzähnen (Fig. 7, 
Persistieren von 111 11 - i -j —-——) Unterdrückung von Ersatz¬ 
zähnen zur Beobachtung gekommen. Von diesen, die sonst 
eine nähere Beschreibung nicht erheischen, will ich noch einen 
Fall anführen. (Fig. 5 und 6.) 


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74 


Dr. Th. Dependorf, Jena. 


Das Gebiss der Patientin von 24 Jahren zeigt steile 
Stellung der Zähne und keine schönen Formen. Die Schneide- 
zähne sind oben wie unten verkümmert. Die Eckzähne besitzen 
Kegelform. Im Oberkiefer stehen an Stelle der zweiten Incisivi 
kleine verkümmerte Kegelzähne, im Unterkiefer fehlen die 
Ersatzzähne der mittleren Incisivi. Die Patientin war in ihrer 
Jugend ein skrofulöses und schwächliches Kind. 

Interessant ist hier die Anomalie im Ober- und Unter¬ 
kiefer im Bereiche der Incisivi. Die fehlenden Ersatzzähne im 
Unterkiefer sind, wie eine Röntgenaufnahme feststellen konnte* 
nicht angelegt. 



Fiir. 7. 

Im Gegensatz zur Ueberzahl hat die Unterzahl der Zähne 
im menschlichen Gebiss weit weniger Interesse beansprucht. 
Die Fälle des Mangels einer grösseren Anzahl von 
Zähnen haben wegen ihres rein zufälligen Charakters fast noch 
weniger die Aufmerksamkeit der Zahnärzte und Naturforscher 
erregt als das Fehlen einzelner Glieder. Vielleicht erheischen 
sie auch in der Tat keine besondere Aufmerksamkeit. Sie 
streifen das Gebiet der pathologischen Veränderungen sehr 
scharf, sind sie doch nicht ausschliesslich, aber meistens Re¬ 
sultate allgemeiner pathologischer Veränderungen des Körpers. 

Von der echten Unterzahl im Gebiss, der Reduktion, 
ist die scheinbare Unterzahl, die Retention, zu trennen. 


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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 7 j> 


Vor der Radiographie hatte die Diagnose für die Festlegung 
dieses Unterschiedes mit Schwierigkeiten zu kämpfen, heute 
ist es leicht, mit Hilfe einer Röntgenaufnahme die verborgenen 
Zähne und Zahnanlagen zu bestimmen. 

Die Unterzahl einzelner Zähne in einer geschlossenen 
Zahnreihe wird auf solche Weise in den meisten Fällen als 
eine Retention, nicht als eine Reduktion von Zähnen be¬ 
wiesen werden können, ein eigentlich selbstverständliches Er¬ 
gebnis. So ist der vollständige Ausfall der dritten Molaren 
eine viel seltenere Erscheinung als früher angenommen wurde 
und die Abwesenheit des Caninus in dem Zahnbogen weist 
keineswegs auf sein vollständiges Fehlen hin. Die Radiographie 
beweist, dass in einer sonst geschlossenen Zahnreihe ein 
fehlender Eckzahn oder Prämolar stets retiniert ist und nur 
in wenigen Fällen darf der Weisheitszahn trotz seiner sonstigen 
Reduktionserscheinungen als nicht angelegt betrachtet werden. 
In der Beurteilung ähnlicher Zustände im Bereich der Prä¬ 
molaren wie der noch übrigen Zähne ist gleichfalls Vorsicht 
geboten und die Radiographie zu Rate zu ziehen. Frühzeitige 
Extraktionen einzelner Zähne oder Entfernung des Zahnkeimes 
bei Extraktion der Milchzähne, wie das bei Prämolaren sehr 
leicht statt hat, können zu Täuschungen in der Diagnose 
Anlass geben. 

Anders hingegen steht es mit dem seitlichen Schneide¬ 
zahn des Oberkiefers; im Falle seines Nichterscheinens ist er 
auch tatsächlich nicht zur Entwicklung gekommen, bisweilen 
fehlt er in beiden Dentitionen. Seinem Durchbruch stehen 
nicht die häufig unüberwindlichen Schwierigkeiten entgegen wie 
z. B. dem Eckzahn. 

Bei dem Fehlen des zweiten Incisivus spielt die Heredität 
nicht selten eine Rolle, zumal dort, wo die normale Ent¬ 
wicklung sämtlicher übrigen Zähne für eine Entwicklungs¬ 
störung des Zahnkeimes nicht spricht. Die Eltern oder Gross¬ 
eltern der in Frage kommenden Person zeigen dann vielfach 
den gleichen Fehler im Gebiss. 

Das gänzliche Fehlen einzelner Milchzähne ist 
ebenso selten wie ihre Retention. Man hat über derartige 


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76 


Dr. Th. Dependorf, Jena. 


Fälle kaum berichtet. Das Fehlen ganzer Gruppen von 
Zähnen darf dagegen im Milchgebiss als mehrfach beobachtetes 
Vorkommnis gelten, ja selbst der vollständige Ausfall sämtlicher 
Milchzähne und Zahnanlagen ist vorgekommen. 

Das Ersatzgebiss zeigt alsdann die gleichen Erscheinungen, 
vielleicht nicht ganz so ausgesprochen. 

Dabei ist die Persistenz von Milchzähnen, zumal von 
oberen Milcheckzähnen, unteren Milchincisivi und Milchmolaren 
eine ziemlich häufige Erscheinung. Aus dem Beharren dieser 
Zähne in der Zahnreihe zweiter Dentition ist aber keineswegs 
auf eine Unterzahl im Ersatzgebiss zu schliessen. In vielen 
Fällen kommen die Zähne als sogenannte dritte Dentition im 
späteren, bisweilen im hohen Alter zum Durchbruch. Die 
sicherste Diagnose stellt auch hier die Röntgenaufnahme. 

Das Fehlen von Zahn gruppen finden wir im Bereiche 
der ersten, wie zweiten Dentition, entweder beides zusammen, 
bei vollständiger Unterdrückung der Zahnkeime und Ersatz¬ 
keime oder das eine ohne das andere. In seltenen Fällen ist 
trotz Fehlens der Milchzähne ein verspäteter Durchbruch der 
bleibenden Zähne beobachtet, bzw. angegeben worden. Aus¬ 
geschlossen erscheint es nicht, dass trotz Verkümmerung, von 
Milchzahnanlagen die Keime der Ersatzzahnreihe zur voll¬ 
ständigen Entwicklung gelangen, besonders in Fällen schwerer 
Rachitis, Skrofulöse oder Kretinismus. 

Der Mangel einer Zahngruppe wird vielfach mit der Ent¬ 
wicklungsperiode der einzelnen Glieder im Zusammenhang 
stehen, es werden vornehmlich die Zähne nicht zur Ent¬ 
wicklung gelangen, welche zur Zeit der Erkrankung lokaler 
oder allgemeiner Natur zur gleichzeitigen Anlage sich rüsten. 
Das wird nicht immer, aber meistens der Fall sein. So sehen 
wir die Unterdrückung oder Verkümmerung der Keime gruppen¬ 
weise im Bereiche der Incisivi, bei der zweiten Dentition ge¬ 
paart mit dem Fehlen der ersten Molaren oder das Auftreten 
nur dieser Zähne und den Verlust sämtlicher übrigen. Oder 
wir finden die Prämolaren und die zwei letzten Molaren nicht 
in der Zahnreihe, die übrigen aber vorhanden, oder schliesslich 


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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 77 

nur den ersten Incisivus und ersten Molaren und den Mangel 
sämtlicher anderen Zähne. 

Im Milchgebiss fehlen am häufigsten die oberen Schneide¬ 
zähne, dann die unteren und schliesslich die oberen ersten 
Milchbackenzähne. Im Vergleich zum Ersatzgebiss ist dieser 
Ausfall aber seltener. Es treffen folgende Gruppen fehlender 
Zähne zusammen: 

Milchgebiss: 

III|III | II111II (IV)I(IV) (V)IV|IV(V) 

| II111II 111 IV | IV V IV | IV V 

Ersatzgebiss: 

I 2|2 21112 21 12 54[45 8 7 5 4 3 2[2 3 4 5 7 8 

21112 (2) 111 (2) 1|1 21)12 5 414 5 8 7 5 4 3 2|2 3 4 5 7 8 

Die Gruppen sind nicht immer in dieser übereinstimmenden 
Form vorhanden. Durch den vorzeitigen oder zu spät ein¬ 
tretenden Schwund mancher Anlagen und die offenbar be¬ 
stehende Alterierung des ganzen Systems, tritt hier und dort 
eine Verzögerung in der zeitlichen Entfaltung oder selbst früh¬ 
zeitiger Verlust einzelner Keime ein, so dass bisweilen Zähne 
aus einer Gruppe später erscheinen, deren grösster Teil der 
Mitglieder bereits zugrunde gegangen ist. Die am meisten be¬ 
obachteten Gruppen sind 


Vielfach treten auch noch im späteren Alter Milch- 
und Ersatzzähne durcheinander zutage. In einem reduzierten 
Gebiss sind die zur Welt gekommenen Teile fast immer rudi¬ 
mentäre Organe. Die Backenzähne besitzen kleine Wurzeln, 
unregelmässig geformte Kronen, die Eckzähne den Typus echter 
derber Kegelzähne und die Incisivi Zapfenform oder irgend 
eine verkümmerte normale Form. 

Der Durchbruch erfolgt absolut unregelmässig, setzt erst 
im 3. 4., selbst 9. oder 10. Jahre, vielleicht noch später ein 
und vollzieht sich träge und unsicher, indem bald hier, bald 
dort ein Zahn geboren wird. Es sind Kinder beobachtet, die 


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78 


Dr. Th. Dependorf, Jena. 


bis zum 12. Lebensjahr keinen Zahn im Munde hatten und 
bei denen im Laufe der nächsten Jahre eine spärliche Anzahl 
nicht näher zu bestimmender Zähne durchbrach. Das können 
Fälle echter Unterzahl sein, aber ebenso gut auch diesen Zu¬ 
stand infolge der trägen Entwicklung Vortäuschen. 

Trotzdem treten nach fehlendem Milchgebiss Ersatz¬ 
zähne auf. Tomes beschreibt einen Fall, wo nach dem 
Fehlen fast sämtlicher Milchzähne ein vollkommen normales 
Ersatzgebiss, was Stellung und Form der Zähne anbetrifft, zur 
richtigen Zeit zum Durchbruch gekommen war. 

Das Fehlen ganzer Zahnreihea ist mit Sicherheit fest- 
gestellt worden. 

In der Literatur werden verschiedene derartige Fälle 
beschrieben und verbürgt. (Tomes, Linderer.) Ganz offen¬ 
bar liegt bei solchen Befunden eine Agenesie oder eine voll¬ 
ständige Atrophierung der Zahnleiste zugrunde. Wahrscheinlich 
ist diese Leiste überhaupt nicht zur Anlage gekommen. 

Der Mangel einer ganzen Ersalzzahnreihe erscheint selbst 
nach dem Bestehen einer normalen Milchzahnreihe nicht un¬ 
möglich. Klag es weiss über einen derartigen Zustand bei 
einem 32jährigen Manne, Weichardt bei einem 21 Jahre 
alten Patienten zu berichten. Fox beobachtete den Schwund 
-der ganzen zweiten Zahnreihe mit Ausnahme des linken oberen 
Incisivus'. 

Die von Metnitz angegebenen Berichte über Unterzahl 
-der Zähne scheinen zum grössten Teil Verzögerungen im Durch¬ 
bruch infolge Rachitis zu sein. 

Nur eine charakteristische Unterzahl ist aus den Dar¬ 
stellungen als echte Reduktion zu erkennen. Es handelt sich 
um ein 18jähriges Mädchen, welches mit Keratitis parenchy- 
matosa infolge von Lues hereditaria behaftet, im ganzen nur 
sechs Zähne im Munde halte, drei erste Molaren, den linken 
oberen lateralen Incisivus und zwei Milcheckzähne, deren Zahn- 


1 Eine typische Unterzahl im bleibenden Gebiss beobachtete Tomes. 
Ein älterer Mann besass nach einem normal entwickelten Milchgebiss nur 
vier Molaren und vier Schueidezähne, in jeder Kieferhälfte je einen Zahn. 


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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse nnd ihre Bedeutung. 79 


61 2 III 6 

formet also —6TTl|—- n * c ht übersehritt, ein seit dem 

achten Lebensjahre bestehender Zustand. Ein weiterer Durch¬ 
bruch erschien den ganzen Befunden nach ausgeschlossen. 

Das Mädchen, vollkommen kindlich in seiner Entwick¬ 
lung, menstruiert erst seit zwei Monaten und macht den Ein¬ 
druck einer Vierzehnjährigen. Hier handelt es sich, wie v. M etnitz 
sagt, um einen Fall von Unterzahl der Zähne bei einem in 
der Entwicklung zurückgebliebenen Individuum. Die Erklärung 
gibt aber erst meiner Meinung nach die Lues. 

Wenn wir hier nicht den örtlich direkt wirkenden Ein¬ 
fluss der hereditären Lues als Ursache der Aplasie im Ge 
biss in Betracht ziehen wollen, so müssen wir jedenfalls an 
mangelnde histogenetische Energie denken infolge vererbter 
Veranlagung und da kommen wir, meiner Ansicht nach als 
das naheliegendste, immer wieder auf die Lues als die Ur¬ 
heberin zurück. 

Mögen die Fälle dieser Art des gruppenweisen Ausfalles 
und des totalen Mangels von Zähnen für viele nur eia 
kasuistisches Interesse besitzen, die Wissenschaft verlangt doch 
eine Aufklärung über diese merkwürdigen Defekte. Um so 
mehr muss dieser Gegenstand zum Nachforschen reizen, als 
bei der Reduktion der Zahnzahl die sonst unermüdlich 
treibende Kraft der epithelialen Zahnleiste zu vermissen ist. 

Aus den kurzen vorher gegebenen Angaben ergibt sich 
die Tatsache, dass eine Verminderung der Zahl der per¬ 
manenten Zähne nicht ohne weiteres aus dem Zustand des 
Milchgebisses zu erklären ist. Es spielen besondere Umstände 
dabei mit. Peimanenten Zähnen brauchen nicht unbedingt 
Milchzähne vorauszugehen und Milchzähnen brauchen nicht 
notwendig bleibende Zähne zu folgen. Eine ursächliche Er¬ 
klärung fehlt den Mitteilungen. Ueberhaupt ist in dieser Hin¬ 
sicht den Berichten schwer nachzukommen, denn die meisten 
Fälle aus der Literatur sind leider ganz ungenügend be¬ 
schrieben. 

Es ist kaum zu entscheiden, ob es sich in den Fällen 
echter Unterzahl um wirkliche Agenesie handelt oder nur um 


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Dr. Th. Dependorf, Jena. 


eine bestimmte Form der Aplasie. Wo weder Milch- noch 
Ersatzzähne zum Vorschein kommen, nachweislich mittels 
Röntgenaufnahme ihre Entwicklung fehlt, müssen wir wohl an 
eine tatsächliche Nichtentstehung denken. Bleiben die Nach¬ 
folger der ersten oder die Vorgänger der zweiten Dentition aus, 
so liegt ein vollständiger Mangel an Anbildung der Zahn¬ 
leisten, eine Unterdrückung der Zahnkeime der betreffenden 
Zahnserie vor. 

Die Ursachen der Unterdrückung einzelner Zähne und 
Zahngruppen bestehen demnach in der Verkümmerung oder 
dem Ausfall der Zahnanlagen. Die Keime kommen entweder 
gar nicht zur Entwicklung, gehen als Epithelzapfen schon zu¬ 
grunde oder die Anlage erreicht eine gewisse Entwicklungs¬ 
stufe, reduziert dann und bleibt unvollendet. 

Treten in den Fällen anfänglicher unvollkommener 
Bildung allgemeine gesunde Verhältnisse im Körper auf, so 
ist die Vollendung des Zahnes nicht ausgeschlossen. Solche 
Ergebnisse sind offenbar da anzunehmen, wo nach länger 
bestehender Unterzahl oder gar gänzlichem Mangel von Zähnen 
ein spärlicher Durchbruch allmählich zustande kommt. 

Als eine Veranlassung zur Unterdrückung einzelner Zahn¬ 
keime ist vielfach Rachitis und Skrofulöse angegeben worden. 
Wohl nicht immer mit Recht! Unregelmässigkeiten und 
Störungen im Durchbruch des Zahnes, hypoplastische Zahn¬ 
formen sind sicherlich häufig eine Folge von Rachitis. Während 
im Milchgebiss das vorzeitige Erscheinen der Zähne für 
Rachitis spricht, ist es im Ersatzgebiss vielfach umgekehrt der 
Fall. Hier bleiben die Zähne über die Zeit hinaus retiniert; 
ihr Durchbruch verzögert sich, da sie für ihre Entwicklung 
längere Zeit gebrauchen, schlecht assimilieren, besonders auch 
das Wurzelwachstum träge vor sich geht und der Kiefer sich 
über den Anlagen vorzeitig schliesst. Solche Prozesse 
dürfen wir aber nicht mit einer echten Unterzahl, einer 
Reduktion verwechseln, wenn nicht hier und dort doch Keime 
zugrunde gehen. Es besteht keine Schrumpfung, keine Atrophie 
der Gewebe, sondern nur eine Hemmung und Verlangsamung, 
vielleicht auch zeitweiser Stillstand der Assimilation, veranlasst 


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Die Unterzabl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 81 

durch konstitutionelle Erkrankungen, zu denen wir ausser 
Rachitis und Skrofulöse noch manche andere, auch rein in¬ 
fektiöse Erkrankung rechnen können. 

Die Wirkung auf den Zahnbau äussert sich zeitlebens 
durch Furchen, Rinnen, Gruben, Vertiefungen auf den Kronen, 
ja selbst auf den Wurzeln der Zähne. Ob durch wiederholte 
Zufuhr von Phosphor oder durch stark kalkhaltige Nahrungs¬ 
mittel eine bessere Verkalkung tatsächlich erzielt wird, ist 
äusserst zweifelhaft. Notwendiger erscheint es, den Gesamt¬ 
organismus zu kräftigen, um die Fähigkeit der assimilierenden 
Zellen zu erhöhen. 

Kassowitz, v. Geuser beschreiben günstige Erfolge, 
die sie nach Verabreichung von Phosphor bei völliger und 
nahezu vollständiger Zahnlosigkeit zu verzeichnen hatten. Es 
handelte sich in zwei Fällen (ein elfjähriges Mädchen und ein 
zwölfjähriger Knabe) um schwere Formen von Rachitis mit 
auffallenden Diflformitäten am Knochengerüst. Der erzielte 
Erfolg ist wohl zum grössten Teil mit auf den gebesserten 
Zusland des Gesamtorganismus zurückzuführen, der die 
Assimilationskraft der bildungsfähigen Zellen erhöhte und zur 
Aufnahme phosphorsauren Kalks mehr befähigte. 

Für die echte Unterzahl möchte ich Rachitis nur in 
seltenen Fällen verantwortlich machen, Skrofulöse schon eher, 
wegen ihrer hemmenden Einwirkung auf die Entwicklung ein¬ 
zelner Organe. Daher beeinträchtigt die Rachitis in erster 
Linie den Entwicklungsprozess der Zähne und die Schmelz¬ 
bildung, erst in zweiter Linie kommt das Ausbleiben oder 
richtiger die Retention einzelner Zahngruppen durch 
sie in Betracht. 

Sehe ff gibt der Rachitis tarda die Schuld, die ge¬ 
wöhnlich im vorgeschrittenen Alter zur Entwicklung gelangt. 
Hiebei ist nach Sch eff ein unvollständiger Durchbruch oder 
das Ausbleiben einzelner Zahngruppen, ja mitunter das voll¬ 
ständige Fehlen sämtlicher Zähne zu beobachten. Einen Fall 
letzterer Art hatte Scheff zu verfolgen Gelegenheit. Bei einem 
Mädchen im Alter von zwölf Jahren war — mit Ausnahme 
von je zwei Molaren im Ober- und Unterkiefer — kein 

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82 


Dr. Th. Dependorf, Jena.' 


weiterer Zahn zum Durchbruch gekommen. Die Kieferränder 
waren scharfkantig, woraus geschlossen werden konnte, dass 
kein retinierter Zahnkeim vorhanden sei. 

Bei solchen Beobachtungen im Kindesalter, wo Röntgen¬ 
aufnahmen fehlen, muss man meines Erachtens nach stets 
damit rechnen, dass die Zahnkeim^im Kiefer angelegt sind 
und erst später, vielleicht innerhalb der nächsten zehn Jahre, 
nach einander zum Durchbruch gelangen. Es sind Fälle genug 
bekannt geworden, wo bei vorhandener Rachitis auf Phosphor¬ 
behandlung die Dentition in Anregung gebracht wurde und 
einzelne Zähne verspätet zum Durchbruch gelangten. 

Von grösserem Einfluss erscheint mir die Lues heredi- 
taria, vor allem, da sie bereits intrauterin im Bereiche der 
Zahnanlagen in pathologischer Weise den Zahnkeim beeinflussen 
kann. Ich denke hierbei ausser der allgemeinen Form der 
Dystrophie an dieleichten chronischen Entzündungserscheinungen 
im Bereiche des Knochenbaues, an die Ostiten und Periostitiden 
infolge hereditärer Lues, die auch im Kiefer zum Austrag 
kommen, durch starke Wucherung der Periostzellen und des 
Markes die Keimesentwicklung der Zähne hemmen und zur 
Resorption bringen. 

Eine Auflösung sämtlicher Keime ist hierbei natürlich 
nicht erforderlich, hier und dort wird sich eine Anlage zumal 
der Milchzähne entwickeln, während durch die syphilitischen 
Reize die Ersatzzahnkeime am meisten zu leiden haben. Ausser 
luetischen Reizen können chronische Entzündungszustände im 
Kiefer infolge jeder anderen Erkrankung Zerstörung der Keime 
hervorrufen. Die grösste Bedeutung aber in der Beurteilung 
ätiologischer Momente bei der Unterzahl, zumal im Schwund 
von Zahngruppen und ganzen Serien fällt eigenartigen nervösen 
Erscheinungen zu. 

Es gibt eine Gruppe von Krankheiten, bei denen die 
Analogien mit der Rachitis so zahlreich und so verführerisch 
sind, dass sie vor nicht gar so langer Zeit fast von allen 
Aerzten mit der Rachitis identifiziert worden sind; diese Gruppe 
umfasst die verschiedenen Formen des Kretinismus, unter denen 
für uns speziell das Myxödem und der Mongolismus in Be- 


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Die Unterzabl der Zähne im menschlichen Gebisse nnd ihre Bedeutung. 88 

tracht kommen. Eine stark verspätete Dentition, das Fehlen 
ganzer Zahngruppen, der Ausfall einzelner Zähne ist bei diesen 
Arten der Idiotie ebenso häufig beschrieben wie bei der aus¬ 
gesprochenen Rachitis. Darin, wie in manchen anderen 
Symptomen gleichen sich diese im Grunde ganz verschiedenen 
Krankheiten, ohne aber die gleichen Ursachen aufzuweisen. 

Zumal die myxödematösen Idioten zeigen die grösste Ab¬ 
weichung vom normalen Verhalten des gesamten Gebissystems, 
seiner Entwicklung nach wie in der Form seiner einzelnen Glieder. 
Etwas weniger unregelmässig sehen wir dagegen die Zustände 
bei den mongolischen Kindern, aber immerhin auffällig genug, 
um die bestehenden Gebissverhältnisse als wirkliche Mängel 
zu bezeichnen. In therapeutischer Hinsicht bewirken besonders 
bei den Mongoloiden die Schilddrüsenpräparate einen über¬ 
raschenden Erfolg. Der Durchbruch der fehlenden Zähne er¬ 
folgt mit dieser Therapie im schnelleren Tempo, so dass 
schliesslich die normale Zahl von Zähnen im Munde vor¬ 
handen ist. 

Die Zähne besitzen mitunter, aber durchaus nicht immer, 
einen hypoplastischen Typus, eine Erscheinung, die ihr Ver¬ 
halten von dem der rachitischen Difformitäten klarstellt. 

Zugleich aber erkennen wir aus dem tatsächlich er¬ 
folgenden Durchbruch der Zähne keine Entwicklungshemmung 
in der Anlage der Zähne selbst, keine echte Agenesie, sondern 
nur den Mangel einer fehlenden Kraft, die den Durchbruch 
sonst zu besorgen hat, einen Fehler in der physiologischen 
Beschaffenheit der aufbauenden und zerstörenden embryonalen 
Bindegewebszellen. Hiermit will ich keineswegs das Auftreten 
echter Unterzahl im Gebiss der Idioten verneinen In Fällen 
schwerer angeborener Idiotie sind solche Defekte wohl einwandfrei. 

Eine weitere Form nervöser Erscheinungen, für mich die 
wichtigste, betrifft die trophoneurotischen Störungen der Haut¬ 
anhänge. 

Bei ganz schwächlichen, in der Entwicklung arg zurück¬ 
gebliebenen Kindern, mögen sie von Haus aus erblich belastet 
sein oder nicht, kommen derartige Momente meiner Meinung 
nach am häufigsten in Frage, (vgl. Fall I.) 

6 * 


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84 


Dr. Th. Dependorf, Jena. 


Die interessante Tatsache, dass echte Unterzahl im Ge¬ 
biss nicht selten mit eigenartigen Veränderungen der Haare, 
der Nägel oder der Hautdrüsen, Hypertrichosis, Onychauxis* 
Anidrosis gleichzeitig vorhanden ist, besteht. Diese Erkrankungen 
der Hautanhänge werden jetzt allgemein auf trophoneurotische 
Erkrankungen zurückgeführt und als neurotische oder neuritische 
Atrophien und Hypertrophien bezeichnet. 

Als Ursache hierfür nimmt man irgend welche Erkrankungen 
in den Zentren oder peripheren Nerven an, ja selbst ausser« 
gewöhnliche Reizzustände genügen, um den normalen Einfluss 
auf die Ernährung abzuschwächen oder ganz zu hemmen. Von 
allen Organen ist besonders die äussere Haut zu nervösen 
Ernährungsstörungen ausersehen, die vereint mit oder nach 
Nervenaffektionen Vorkommen. In der Literatur finden wir 
Fälle von Hypertrichosis beschrieben, bei denen seidenweiches 
Haar mit echter Unterzahl der Zähne und mangelhaften anderen 
Hautgebilden zusammenfällt. 

Darwin hat eine Anzahl merkwürdiger Fälle dieser Art 
aus dem Tierreich gesammelt. Im allgemeinen weiss man, dass 
gewisse Anomalien der Haare sich gleichzeitig mit Anomalien der 
Zähne finden. Ich erinnere an den haarlosen Hund in der Türkei, 
der nur vier Molaren und einige unvollkommene Incisivi besitzt. 
Auch bei Menschen hat man mit erblicher Haarlosigkeit vererbten 
Zahnmangel gefunden. Ebenso wie Mangel von Haaren sich 
mit Mangel von Zähnen vereint findet, kommt anderseits über¬ 
mässiger Haarwuchs oder schlechte Entwicklung der Nägel oder 
unvollkommene Ausbildung der Hautdrüsen mit Mangel an 
Zähnen vor. Dieses Zusammentreffen ist nicht stets am Platze. 
Zumal die von Hypertrichose befallenen Menschen, welche 
starkes schwarzes Haar tragen, zeigen mitunter ganz normale 
Gebisse, aber eine enorme Hypertrophie des Alveolarfortsatzes 
und des Zahnfleisches. 

Das letztere gilt von der bekannten Julia Pastrana r 
einem behaarten Frauenzimmer. Diese Person, deren Mund, 
wie ein Schweinsrüssel gebildet, sehr weit Vorstand, besas& 
keine übermässige Zahl von Zähnen, wie behauptet wurde, 
sondern nach den Abdrücken, dieHepburn von den Kiefern 


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Die Uuterzabl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 8> 

genommen hatte, eine so hochgradige allgemeine Hypertrophie 
des Zahnfleisches und der Alveolaren, dass man eigentlich nur 
sehr wenig Zähne sehen konnte. Ueber die sonstigen Haut¬ 
anhänge ist leider nichts berichtet worden. Das Gebiss des 
13jährigen Haarmenschen Fedor Jeftichejew hat Parreidt 
1863 näher untersucht und fand im Oberkiefer nur zwei, im 
Unterkiefer drei schlecht entwickelte Zähne. Das Haar war 
seidenweich, lanugoähnlich, wie auch sonst häufig bei Hyper- 
trichosis mit Defekten der übrigen Dermoidgebilde, die Nägel 
und Schweissdrüsen schwach entwickelt. 

Bei diesen Zuständen greift auch die Vererbung ein. 

So war bei der Haarfamilie aus Barma das eigentüm¬ 
liche seidenartige Haar, welches das ganze Gesicht bedeckte 
von der dritten Familie her ererbt. In jedem einzelnen Falle 
fand sich bei der Untersuchung auch die Zahl der Zähne 
reduziert. (Tomes.) 

Solche Erscheinungen sind offenbar zugleich ein Beweis 
für Vererbung erworbener Eigenschaften, denn es ist unwahr¬ 
scheinlich, dass jedes Kind und Enkelkind ganz unabhängig 
wieder genau die gleichen pathologischen Zustände erwirbt, wie 
die Eltern; dabei ist anzunehmen, dass die Veranlagung zur 
krankhaften Veränderung der Hautanhänge jedesmal wieder 
vererbt wurde und nicht die abgeschlossene Veränderung selbst. 

Eine erbliche Kiefermissbildung und ZahnungsVerspätung, 
die die Mitglieder einer Familie in auf- und absteigender 
Linie betraf, hat Hilzensauer ausführlicher beschrieben. 
Die Deformität war von der Mutter ererbt. In zweimaliger 
Ehe zeugte diese Frau je ein Geschwisterpaar, einen Knaben 
und ein Mädchen. Alle vier Kinder besassen ein unvoll¬ 
ständiges Milchgebiss, verspäteten Durchbruch der bleibenden 
Zähne im 22., 20. und 17. Lebensjahr, sowie eine massige 
Entwicklung und wulstige Verdickung der Alveolarfortsätze 
und des Zahnfleisches. Die Milchzähne sollen dem älteren 
Paar im Oberkiefer vollständig gefehlt haben, im Unterkiefer 
zum grössten Teil. Das beste Gebiss zeigt der jüngste Sohn, 
aber immer noch arg entstellt. Diese Eigenart haben sämtliche 
Kinder von ihrer Mutter geerbt, welche die gleichen unförm- 


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86 Dr. Th Dependorf, Jena. 

liehen Kiefer hatte, wie sie namentlich an den Kindern aus 
erster Ehe auffallen. 

Dabei zeigen die Leute, wie Hilzensauer hervorhebt, 
keinerlei Merkmale überstandener konstitutioneller Krankheiten, 
sie sind vielmehr durchwegs gut entwickelt. 

Nähere Angaben über Beschaffenheit der Haare und 
Nägel, besonders bei der Mutter, über die geistigen Fähig¬ 
keiten der Mutter wie der Kinder werden nicht gemacht. 

Wir müssen uns hier mit der eigentümlichen Tatsache 
begnügen, dass sich eine erworbene Eigenschaft der Mutter 
konstant selbst in zweifacher Ehe auf ihre sämtlichen Kinder 
übertragen hat. Eine Abschwächung hat nur das jüngste Kind 
erfahren. 

Eine Vererbung missgestalteter Kiefer in ähnlicher Form 
betrifft die Familie eines Rittergutsbesitzers in Sachsen. In 
dieser Familie hatten, wie mir bekannt geworden ist, von 
sechs Kindern zwei eine eigentümliche Deformität der Kiefer 
und Zähne von ihrer Mutter geerbt. Diese Entstellung bestand 
in einer wulstigen Auftreibung und Verdickung der Alveolar¬ 
fortsätze und dem Mangel der meisten Zähne. Das Milchgebiss 
bestand bei beiden Kindern aus einigen unteren Zähnen, das 
Ersatzgebiss aus wenigen Backenzähnen im Ober- wie Unter¬ 
kiefer. Die Kiefer waren gleichmässig, aber unnatürlich ver¬ 
dickt, ohne entzündliche Erscheinungen. Genauere Angaben 
konnte ich nicht erhalten 

Wir kennen den Zahn, ebenso wie den Nagel oder die 
Hautdrüsen als einen Abkömmling der Haut, als ein reines epi- 
dermoidales Gebilde. Er untersteht demnach den gleichen 
nervösen Ernährungsbedingungen wie die anderen Hautanhänge 
vor allen Dingen während seiner Entwicklung und folglich 
auch den gleichen krankhaften Prozessen, die im trophischen 
Zentrum für die äussere Haut oder auf den peripheren Bahnen 
sich geltend machen. 

Ich nehme eine trophoneurotische Ursache für die Ent¬ 
stehung der Reduktion um so mehr in Anspruch, als das 
symmetrische Auftreten der Aflfektion dafür spricht, sonstige 


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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 87 


Verletzungen des peripheren oder zentralen Nervensystems 
nicht auf ein ätiologisches Moment hindeuten und auch sonst¬ 
wie nervöse Nebenerscheinungen fehlen. 

Die Wirkung dieser Störungen verlege ich bei gänzlichem 
Mangel aller Zähne und dem Fehlen der meisten Milchzähne 
in eine frühe Zeit; schon im Mutterleibe hat der schädigende 
Einfluss begonnen. Ob die krankhaften Prozesse oder Reiz¬ 
zustände zentral oder peripher tätig gewesen sind, lässt sich 
nicht immer sicher entscheiden, ebensowenig, ob der mütter¬ 
liche Organismus in irgend welchem Zusammenhang mit den 
Störungen steht. 

Voraussichtlich sind ähnlich wie bei der Hypertrichosis 
und Onychauxis vasomotorische Einflüsse neben den Nerven¬ 
erkrankungen nicht auszuschliessen. 

Ebenso wird es sich meistens um periphere Reizzustände 
oder Erkrankungen handeln, da bei den beobachteten Fällen 
sonst keine weiteren neuropathischen Erscheinungen vorhanden 
sind oder erwähnt werden, die doch bei zentralen Erkrankungen 
des trophischen Systems vorliegen müssten. Hierbei kommen 
hauptsächlich die extrauterinen Fälle in Betracht; die Erklärung 
des intrauterinen Vorganges stösst auf noch grössere Schwierig¬ 
keiten. 

Im Kindesalter kann die Trophoneurose zur Unterdrückung 
der Ersatzzähne und der echten Molaren führen, derjenigen 
Zähne, die sich während der ersten Lebensjahre entwickeln. 
Unwahrscheinlich ist es hingegen, dass bei der Retention von 
Zähnen, deren Ausbildung vollendet ist, die nervösen Er¬ 
nährungszentren und Leitungen der äusseren Haut wirksam sind. 

Bei den eingangs von mir mitgeteilten Beobachtungen 
ist die echte Unterzahl im Gebiss des Knaben, welche durch 
eine Röntgenaufnahme bestätigt wurde, auf trophoneurotischer 
Basis entstanden. Die mangelhafte Entwicklung sämtlicher 
.epidermoidaler Anhänge unterstützt diese Anschauung. 

Im zweiten Falle hingegen scheinen die Lücken in der 
permanenten Zahnreihe durch den Einfluss der Skrofulöse und 
Rachitis bedingt zu sein. 


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88 


Dr. Thodor Dependorf. Die Uuterzahl der Zähne etc. 


Den angeborenen Mangel von Zähnen, also die Nicht¬ 
entfaltung jeglicher oder einzelner Zahnanlagen halte ich für 
selten. In den meisten Fällen findet eine langdauernde Re¬ 
tention der Zähne statt oder eine ungenügende Wurzelbildung 
und das in erster Linie bei Rachitis, Skrofulöse und einzelnen 
Formen des Kretinismus. 

Eine wirkliche frühzeitige Auflösung der Zahnkeime muss 
mit besonderen Umständen Zusammenhängen, deren Ursache 
entweder ernste konstitutionelle Krankheiten zumal im fötalen 
und Säuglingsleben oder direkte lokale, schwerwiegende Ein¬ 
flüsse oder auch irophoneurotische Störungen darstellen. 

Wir erhalten demnach schliesslich folgende Anordnung 
der einzelnen Ursachen der Entstehungsformen der Reduktion 
der Zahnzahl : 

1. Ursachen in Form lokaler Wirkungen im direkten 
Bereich der Kiefer: 

a) Zerstörung des Zahnkeimes durch äussere mechanische 
Eingriffe, Operationen, Extraktionen, durch Trauma, Ver¬ 
letzungen aller Art; 

b) Dystrophien infolge chronischer Entzündungen der 
Kiefer. 

2. Ursachen in Form konstitutioneller Erkrankungen: 

a) Allgemeine Störungen in der Entwicklung und Er¬ 
nährung des gesamten Organismus; 

l) spezielle Störungen in der Knochen- und Zahn¬ 
entwicklung. 

3. Ursachen in Form trophoneurotischer Erkrankungen. 

Literatur: 

1. Rudolf A p e 1: Ueber Trophoneurosen. Dissertation, Jena 1903. 

2. Busch: Die Ueberzahl und Unterzahl in den Zähnen des menschlichen 
Gebisses etc. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1887. 

3. Leo Hilzensauer: Erbliche Eiefermissbildung und Zahnnngsver- . 
spätung. Oesterreichisch-ungarische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 
Jänner 1904. 

4. Prof. Kassowitz: Infantiles Myxödem, Mongolismus und Mikromelie. 
Wien 1902. Verlag von Perl es. 


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Albrecht Schneider, Hamburg. Das Poröswerden des Zahnkautschuks. 89 


5. Dr. K i e 1 h a u s e r: Die Unterzahl der Zähne. Oesterreichiscb-uugarische 
Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Oktober 1895. 

6. — Ueber das angeborene Fehlen und Unterzahl der Zähne. Deutsche 
Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1894, S. 375. 

7. Julius P a r r e i d t: Compendium der Zahnbeilkuude. Leipzig 1900. 

8. Seheffs Handbuch der Zahnheilkunde. Wien 1903. 

9. Tomes-Holländer: Die Anatomie der Zähne. 

10. Karl Wedls Pathologie der Zähne. Leipzig 1904. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Das Foröswien des ZaMaotsiMs. 

Von Albrecht Schneider , Chemiker in Hamburg. 

Es sind in letzter Zeit vielfach Abhandlungen über das 
„Poröswerden“ des Zahnkautschuks während der Vulkanisation, 
namentlich in zahnärztlichen Fachblättern, erschienen. Auf 
Grund unserer mehr als 50jährigen Erfahrungen auf diesem 
Gebiete sollen im folgenden die Gründe dieser Erscheinung 
dargelegt und praktische Winke für deren Vermeidung gegeben 
werden. 

Zunächst möchte ich den Gang der Methode bei der 
Herstellung einer Zahnkautschukplatte kurz skizzieren. Die erste 
Form des zu behandelnden Gebisses wird mit Hilfe einer so¬ 
genannten Abdruckmasse gewonnen. Der Abdruck wird mit 
Gips ausgegossen und nach dessen Erhärlen die Abdruckmasse 
mit heissem Wasser entfernt. Auf diese Weise erhält man ein 
genaues Modell, auf dem dann die Gestalt der zukünftigen 
Kautschukplatte vorläufig in Wachs modelliert wird. An 
dieser Wachsplatte werden alsdann die künstlichen Zähne 
befestigt und nun beginnt die Herstellung der eigentlichen 
zur Vulkanisation notwendigen Gipsform. Zu dem Zwecke 
bringt man in die untere Hälfte der Küvette Gipsbrei und 
drückt das Wachsmodell mitsamt den Zähnen vorsichtig 
hinein, lässt erstarren und bestreicht den fest gewordenen 
Gips mit Vaseline. Darauf füllt man die andere Hälfte der 
Küvette ebenfalls mit Gipsbrei, drückt die andere bereits feste 


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90 


Albrecht Schneider, Hamburg. 


obere Form hinein und lässt erhärten. Hierauf hebt man die 
beiden Formhälften voneinander ab und entfernt durch Auf¬ 
giessen von kochendem Wasser sämtliches Wachs und sämtliche 
Vaseline. Dann schliesst man die Form wieder, die nun nur 
noch im Gips die künstlichen Zähne enthält, legt den Bügel 
über und bringt sie in siedendes Wasser. Durch diese Be¬ 
handlung wird der Gips gut vorgewärmt, so dass er später 
den Kautschuk nicht abkühlt und ihn gut plastisch erhält. 
Während des Erwärmens schneidet man den Kautschuk 
zurecht und breitet ihn auf einer 20 bis 30 Mm. dicken, gut 
an gefeuchteten Gipsplatte aus, die zum Durchwärmen auf ein 
Gefäss mit siedendem Wasser gelegt ist. Auf diese W r eise 
erhält man eine Wärmeplatte, die bewirkt, dass der Kautschuk 
plastisch wird und doch ein Ueberhitzen ausgeschlossen ist. 
Nach dieser Vorbereitung „stopft“ man die inzwischen gut durch¬ 
gewärmte Form mit dem gleichfalls gut angewärmten Kautschuk 
völlig aus, presst die beiden Formhälften zusammen, nachdem man 
noch einen feuchten Leinwandlappen (Pausleinen) dazwischen 
gelegt hat. Dann öffnet man, entfernt die Leinwand und den 
überschüssigen Kautschuk, erwärmt die wiedergeschlossene Form 
nochmals im siedenden Wasserbade und presst sie schliesslich 
unter der Presse fest zusammen, damit der so gut durch¬ 
gewärmte und infolgedessen äusserst plastische Kautschuk 
auch in die feinsten Winkelchen eindringt. Die so vorbereitete 
Küvette wird nun mit einem eisernen Bügel fest zusammen¬ 
geschraubt, im Vulkanisierkessel mit Wasser bis zum Bedecken 
der Form übergossen und dann bei offenem Hahne die 
Temperatur allmählich gesteigert, bis Dampf aus dem Hahne 
austritt. Dann schliesst man das Ventil, steigert langsam inner¬ 
halb einer halben Stunde den Druck bis auf 6 bis 7 Atm. 
und hält ihn eine Stunde lang in dieser Höhe. Schliesslich 
lässt man bis unter 100° G. erkalten, öffnet den Vulkanisier¬ 
kessel, kühlt die Form in kaltem Wasser ab und nimmt das 
vulkanisierte Gebiss heraus. Dickere Platten vulkanisiert man, 
indem man den Druck langsamer ansteigen lässt, und zwar 
sollte die Steigerung etwa 1 Atm. in einer Viertelstunde 
betragen. Man erreicht hiedurch eine gute, gleichmässige 


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Das Poröswerden des Zahnkautschuks. 


91 


Durchwärmung und infolgedessen auch gute Vulkanisation. 
Der höchste Druck hiebei braucht auch nur eine Stunde zu 
währen. Zur Erreichung einer doppelten Kontrolle empfiehlt es 
sich, ausser einem Manometer noch ein Thermometer an dem 
Vulkanisierapparat anzubringen. Letzteres stellt man in eine 
unten geschlossene Röhre, die durch den Deckel des Vulkanisier¬ 
kessels geht und die der besseren Wärmeleitung wegen eine 
genügende Menge Quecksilber enthält. 

Bei den zahllosen Proben, die wir im Laufe der Zeit mit 
den verschiedensten Zahnkautschuksorten auf vorstehende Art 
anstellten, ist uns ein poröses Produkt noch nicht vor¬ 
gekommen. 

Wie steht es nun aber mit der wissenschaftlich-theo¬ 
retischen Grundlage des Poröswerdens? Welches ist das Gas, 
das die Blasenbildung verursacht, welches seine Entstehungs¬ 
ursache ? 

In Nr. 5 — 6 der „Odontologischen Blätter“, Berlin, 
Juni 1906, meint Herr G. H. Pawelz, in diesem Zusammen¬ 
hänge erneut die Frage aufwerfen zu müssen, ob das Eintreten 
des Schwefels in den Kautschuk durch Addition oder durch 
Substitution erfolge, mit anderen Worten, ob der dem Kautschuk 
zugrunde liegende Kohlenwasserstoff eine doppelte Kohlenstoff¬ 
bindung enthalte, die das glatte Eintreten von Schwefelatomen 
unter Wandlung der Doppelbindung in eine einfache zulässt, 
oder ob eine Verdrängung von Wasserstoffatomen und die 
damit gegebene Bildung von Schwefelwasserstoff den Eintritt 
des Schwefels bedinge. Eine solche Frage besteht für die 
wissenschaftliche Welt nicht mehr, sie ist durch die Arbeiten 
von Weber, Harries, Marckwaldt, Frank u. a. 
längst im Sinne der Addition entschieden. Das Polypren, 
welches den Hauptbestandteil des Rohkautschuks bildet, zeigt 
in all seinen Eigenschaften die Merkmale einer ungesättigten 
Verbindung. Bei der eigentlichen Vulkanisation darf 
demnach keine Gasentwicklung auftreten; eine solche, 
d. i. Poröswerden des Kautschuks, ist immer ein Beweis für 
das Vorhandensein eines sekundären Vorganges. 


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92 


Albrecht Schneider, Hamburg. 


Dieser kann herrühren von der Form anhaftenden Fremd¬ 
körpern, Vaseline, Wachs u. dg]., welche beim Erhitzen mit 
Schwefel reichliche Mengen von Schwefelwasserstoff entwickeln. 
Die Porosität wird sich alsdann nur an der Oberfläche des 
vulkanisierten Gegenstandes bemerkbar machen. 

In den weitaus meisten Fällen jedoch wird die Blasen¬ 
bildung im Innern der Masse zu beobachten sein, alsdann 
ist sie die Folge einer fälsch geleiteten Vulkanisation, die 
Folge zu raschen oder zu starken Erhitzens. Der Vorgang, 
welcher sich dabei abspielt, ist leicht zu erklären: Die Reaktion 
der Schwefeladdition ist eine exothermische, d. h. sie erzeugt 
Wärme. Wird sie daher zu plötzlich eingeleitet, so erwärmt 
sich der Kautschuk weit über die Temperatur des ihn um¬ 
gebenden Dampfes hinaus, bis zu einem Punkte, wo die zuvor 
bereits gebildete Schwefel Verbindung ihrerseits Schwefelwasser¬ 
stoff abspaltet. Der Versuch lässt sich mit fertigem Hart¬ 
kautschuk ausführen, die Temperatur, bei der die Abspaltung 
bemerkbar wird, liegt zwischen 180 und 200° G. Das entwickelte 
<Jas ist am Geruch unschwer als Schwefelwasserstoff zu er¬ 
kennen. Auch stimmen mit dieser Erklärung alle sonstigen 
Erscheinungen beim Poröswerden der Platten aufs beste überein. 

Wird die Reaktion behutsam eingeleitet, so hat die ent¬ 
stehende Wärme Zeit, sich gegen die Oberfläche hin aus¬ 
zugleichen; erhitzt man hingegen zu plötzlich, so wird die ge¬ 
samte Reaktionswärme auf einmal frei und führt die gefähr¬ 
liche Ueberhitzung herbei. Das umgebende 150 bis 165° heisse 
Wasser muss also gegenüber der höheren Reaktionswärme 
kühlend wirken, ähnlich so wie sich geschmolzenes Blei zur 
Kühlung von glühendem Eisen benützen lässt. Es leuchtet nun 
ein, dass diese Kühlung in dünnen Platten leichter vor sieh 
geht, als in dicken. Kautschuk ist ein äusserst schlechter Wärme¬ 
leiter, der Wärmeausgleich kann sich daher in dickeren Gegen¬ 
ständen nicht rasch genug vollziehen, so dass im Innern des 
Körpers leichter jene Grenze überschritten wird, jenseits 
derer, wie oben gezeigt, die Schwefelwasserstoflfabspaltung 
ein tritt. Es ist demzufolge eine häufig beobachtete Erscheinung, 
dass in derselben Vulkanisation dünne Platten vortrefflich 


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Das Poröswerden des Zahnkautschuks. 


9£ 


geraten, während dicke Platten derselben Mischung verbrennen, 
d. h. porös werden. 

Ferner erklärt sich zwanglos, warum farbige Platten 
weniger zum Poröswerden neigen, als schwarze. Die zum 
Färben von Kautschuk benuizbaren Metallsulfide und Oxyde 
sind sämtlich gute Wärmeleiter; befördern und beschleunigen 
also den Wärmeausgleich und verringern die Gefahr zu grosser 
Erhitzung im Innern des Körpers. 

In Uebereinstimmung mit dieser Theorie müssen zur Er¬ 
zielung einer guten Vulkanisation in der Praxis die folgenden 
Grundsätze beobachtet werden: 

1. Grösste Sauberkeit in bezug auf Entfernung aller 
Vaseline- und Wachsteilchen. 

2. Erhitzen nur durch siedendes Wasser. Jedes direkte 
Erwärmen ist zu vermeiden. 

3. Allmähliches, vorsichtiges Erhitzen des Vulkanisier¬ 
kessels auf 165° C., was einem Dampfdrücke von 6 Alm. ent¬ 
spricht. Bei dünnen Platten kann diese Temperatur innerhalb 
30 Minuten erreicht werden, bei dickeren aber soll man den 
Druck um nicht mehr als I Atm. in je 15 Minuten steigern. 

4. Bei schwarzen Platten besondere Sorgfalt. 

Ein Zahnarzt, der sich nach diesen Regeln richtet und 
seinen Zahnkautschuk von einer einwandfreien Firma bezieht* 
wird nicht mehr über poröse Platten zu klagen haben. 


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94 


K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 


Berichte aas Instituten and Vereinen. 


Gericht des k. k. saknärctMtn Institutes der Universität in Vien 
(Prof. Dr. J. Scheff). 

Erstattet von Dr. Bruno Klein , I. Demonstrator daselbst. 

Der vorliegende Bericht umfasst die Studienjahre 1904/05 
und 1905/06. 

Im Studienjahr 1904/05 wurde das Institut von 13.354 Pa* 
tienten aufgesucht, von denen 7995 konservativ, 3546 operativ 
behandelt wurden; bei 751 Patienten wurde ein teilweiser oder 
ganzer Zahnersatz ausgeführt. 

Die Hörerzahl betrug 92 Aerzte, 15 Mediziner und 2 Hospi¬ 
tanten. 


Altersfrequenz: 


Alter der Patienten 

Männlich 

Weiblich 

1 — 10 Jahre. . . 

. . 198 

230 

11—20 

7i 

. . 1907 

2296 

21-30 

» • • • 

. . 2203 

2264 

31-40 

7) 

. . 1374 

1211 

41—50 

» 

. . 197 

261 

51-60 

n 

. . 88 

97 

über 60 Jahre . . . 

. . 28 

28 


5995 . 6387 

12.382 

Konsultationen: 972 


13.354 


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K. k. zahnärztl. Institut (Prof. ScheflP) der Universität in Wien. 


95 


Zahnfüllungen: 

























96 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 

Abgesehen von den Extraktionen, welche hauptsächlich 
Wurzeln, pulpitisch oder periostitisch erkrankte oder total 
zerstörte Molaren betrafen, wurden noch 85 anderweitige 
operative Eingriffe vorgenommen. In 18 Fällen musste die 
Wurzelspitzenresektion ausgeführt werden, da es unmöglich war, 
auf rein konservativem Wege den chronischen Eiterungsprozess, 
der in der Umgebung der Wurzelspitze des Zahnes sich ab¬ 
spielte, zur Heilung zu bringen. Bei 14 Patienten wurden 
stark prominierende Alveolarteile, welche Schmerzhaftigkeit 
und nebenbei geringe Tendenz zur Resorption zeigten oder 
voraussichtlich beim Tragen eines Ersatzstückes Schmerzen 
ausgelöst hätten, entfernt. Bei 18 Fällen von Fistelbildung infolge 
abgestossener Alveolarsequester trat nach Entfernung der letz¬ 
teren in kurzer Zeit Heilung ein. Bei 25 Patienten gelang es nur 
mit Hilfe des Meisseis tief frakturierte Wurzeln zu entfernen; 
meistens handelte es sich um Patienten, die von auswärls an 
die Klinik gesandt wurden und denen der zurückgebliebene 
Wurzelrest starke Schmerzen bereitete. Nach Abpräparieren 
des Zahnfleisches und Abtragen der vorderen Alveolenwand 
gelang es immer leicht den Zahnrest zu entfernen. Ferner 
wurden 4 Fälle von Epulis, 2 Fälle von Stomatitis aphtosa, 
5 Fälle von Impressionsfraktur des Alveolarfortsatzes infolge 
Sturzes und 4 Empyemata antri Highmori behandelt Zur 
Deckung von Defekten infolge Lues, Oberkieferresektion und 
Wolfsrachen wurden 26 Obturatoren, zur Narbendehnung nach 
Unterkieferresektionen 3 Dehnapparate verfertigt. 

Die meisten Extraktionen und sämtliche operativen Ein¬ 
griffe wurden unter Lokalanästhesie ausgeführt. Zur Anwendung 
kam in 253 Fällen mittlere Schleichlösung mit oder ohne 
Zusatz von Suprarenin, in 864 Fällen Benesol, in 56 Fällen 
Tonocain-Suprarenale, in 110 Fällen Süprarenin-Kokaintabletten 
und in 82 Fällen Chloräthyl, letzteres hauptsächlich bei In¬ 
zisionen von Alveolarabszessen. 

Im Studienjahr 1905/06 wurde das Institut von 14.842 Pa¬ 
tienten frequentiert. 9365 wurden konservativ, 3705 operativ 
behandelt, ausserdem erhielten 855 Patienten zum Teil totalen, 


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»7 


K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 

zum Teil partiellen Zahnersatz. Die Hörerzahl betrug 93 Aerzte, 
15 Mediziner und 4 Hospitantinnen. 72 Hörer der Medizin 
belegten den durch die neue Rigorosenordnung obligat vor¬ 
geschriebenen Kursus, der speziell für sie gehalten wird. 


Altersfrequenz: 


Alter der Patienten 

Männlich Weiblich 

1 —10 Jahre . 

.... 268 

361 

11-20 „ . 

.... 1948 

3385 

21-30 „ . 

.... 1597 

2252 

31-40 „ . 

.... 1531 

1906 

41-50 „ . 

.... 152 

294 

51-60 „ . 

.... 84 

157 

über 60 Jahre . 

.... 47 

36 


5627 

8391 


14.018 

Konsultationen: 824 

14.842 

— 

Z 

ahn fü Hungen: 



Füllungsmaterial 

Incisivi 

Canini 

Prä- 

molares 

Molares 

Summa 


Gold. 

428 

256 

189 

558 

1421 


Amalgam. 

4 

12 

907 

1245 

2168 


Porzellan und Jenkins . . 

265 

62 

88 

9 

374 


Zement und Ascher . . . 

1228 

666 

271 

187 

2847 


Wurzelfüllung nach Arsen- 
einlage. 

611 

412 

856 

212 

2091 


Wurzelfüllung n. Gangrän¬ 
behandlung . 

112 

106 

156 

28 

397 


Guttapercha. 

182 

111 

215 

290 

748 


Odontolithiasis. 

— 

— 

— 

- 1 

167 



7 


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98 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in VVien. 


Extraktions -Tabelle: 


Diagnose 

I 

Incisivi j 

Ganini 

Prä¬ 

molares 

Molares 

Summa 

Pulpaerkrankung .... 

— 

— 

113 

359 

472 

Periost. et absc. alveol. . 

107 

54 

162 

749 

1072 

Necros. tot. dent. et radicis 

468 

165 

722 

1627 

2982 

Stellungsanomalie .... 

12 

9 

— 

— 

21 






4B47 

Zahnersatz- 

Tabelle: 



Vollständige und partielle Ersatzstücke 

. 359 

Umarbeitungen . 




. 153 

Reparaturen . . 




. 115 

Stiftzähne . . . 




. 51 

Richmondkronen 




. 46 

Vollgoldkronen . 

. 


• • 

. 65 

Goldstücke und Brücken . 


• • 

. 25 

Richtmaschinen . 



• • 

. 

17 

Obturatoren . . 

• . 



. 24 


93 anderweitige operative Eingriffe, die sich in nach¬ 
folgender Weise gruppieren, wurden mit bestem Erfolge aus¬ 
geführt, und zwar hatten wir in 4 Fällen Gelegenheit, das 
Redressement force an oberen grossen Schneidezähnen, die 
um 99° gedreht waren, erfolgreich zu versuchen. 3 Fälle von 
Kinnfisteln, die der Assistent des Institutes in ausführlicher 
Weise beschrieben (Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahn¬ 
heilkunde, XXII. Jahrgang, Heft IV, pag. 497), 2 Fälle von 
Gingivalerkrankungen infolge akuter Leukämie, deren eingehende 
Bearbeitung einem der nächsten Hefte dieser Zeitschrift Vor¬ 
behalten ist, 2 Fälle von Phosphornekrose, 1 Fall von Follikular- 
zyste, 24 Regulierungen, 18 Zahnzysten, 19 Wurzelspitzen¬ 
resektionen, 11 Kieferresektionsprothesen, die teils während der 
Operation, teils nach derselben zur Verwendung kamen, ferner 


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K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 


99 


1 Oberkiefer- und 2 Unterkieferfrakturen, womit die Reihe der 
interessanten Fälle des vergangenen Jahres abgeschlossen wird. 

Die Extraktionen wurden zum grössten Teil sowie sämt¬ 
liche operative Eingriffe unter Lokalanästhesie ausgeführt. Zur 
Verwendung kamen Schleich und Benesol, während in weiteren 
302 Fällen die von verschiedenen chemischen Fabriken zu 
Versuchszwecken dem Institute zur Verfügung gestellten 
Anästhetika benützt wurden. 

Von diesen sei zunächst des S t o v a i n s Erwähnung getan, 
das im Jahre 1904 von.Fourneau synthetisch dargestellt und 
von der Firma J. D. R i e d 1 in den Handel.gebracht wurde. Stovain, 
das in kleinen glänzenden Schüppchen kristallisiert, ist im 
Wasser sehr leicht löslich, zeigt schwach saure Reaktion, ist 
in der Hitze sehr gut sterilisierbar, doch darf dieselbe 120° 
nicht übersteigen, da sonst Zersetzung eintritt. Zur Verwendung 
kamen 1- und 2prozentige Lösungen. Die jedesmalige Dosis 
betrug 1 bis l 1 /« Ccm. der lprozentigen oder V* bis 1 Ccm. 
der 2 prozentigen Lösung. In 38 Fällen war die Analgesie nach 
drei Minuten eine vollständige, id est 60 Prozent Erfolg, in 
20 Fällen wurde geringe, in 5 Fällen starke Schmerzhaftigkeit 
angegeben. Unangenehme Erscheinungen, Reizungen oder 
Schädigungen, die auf die wenn auch schwach saure Reaktion 
zurückzuführen wären, wurden nicht beobachtet. 

Von den Farbenfabriken Bayer & Co., Elberfeld, wurde 
dem Institut das Alypin zur Verfügung gestellt. Die Lösungen 
des Alypins reagieren neutral, sind sehr gut sterilisierbar, ohne 
dabei an anästhesierender Wirkung zu verlieren. 

Zur Verwendung kamen 2prozentige Lösungen. Injiziert 
wurde die Menge von '/* bis 1 Ccm. mit Zusatz von 1 bis 

2 Tropfen einer Lösung von Suprareninum boricum 1: 1000. 
125 Extraktionen verliefen schmerzlos und nur in 14 Fällen 
wurde geringe Schmerzhaftigkeit angegeben. Bei 8 Patienten 
konnte man post extractionem schmerzhafte Infiltrationen der 
Gingiva und leichte Schwellungen der Umgebung beobachten, 
Erscheinungen, welche möglicherweise mit der leichten Zer¬ 
setzung des Suprarenins in Beziehung zu bringen wären. In 
4 Fällen wurden an der Schleimhaut des harten Gaumens 

7* 


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100 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 

linsen- bis hellergrosse Substanzverluste beobachtet, deren 
Ursache wahrscheinlich in der ischämischen Wirkung des Su- 
prarenins und in dem starken Injektionsdrucke gelegen sein 
durfte, wodurch oberflächliche Nekrose der Epithelialschichte 
bedingt wird. Nähere Angaben hierüber erfolgen in einem der 
nächsten Hefte dieser Zeitschrilt. 

Unangenehme Erscheinungen, die direkt auf das Alypin» 
zurückzuführen wären, wurden nicht beobachtet. 

Das Novocain, das von den HöchsterFarbwerken 
sowohl in fertiger Lösung als auch in Pulverform und Tabletten 
in den Handel gebracht wird, wurde in 162 Fällen verwendet, 
wobei nur 13 Patienten angaben, geringe Schmerzen empfunden 
zu haben, womit aber bei genauerer Fragestellung in der Regel 
der Einstich- und Injektionsschmerz gemeint war. Die jedesmal 
injizierte Menge betrug V* bis 1 Ccm. einer 2 prozeniigen 
Novocainlösung mit Zusatz von 1 bis 2 Tropfen Suprareninum 
boricum oder es wurden Novocain-Suprarenin-Tabletten E in 
1 Ccm. destillierten warmen Wasser aufgelöst, wodurch wir 
eine 2prozentige Novocain - Suprareninlösung erzielten. Bei 
grösseren operativen Eingriffen konstatierten wir eine beträcht¬ 
liche Tiefenwirkung, auch machten sich bei grösseren Dosen 
niemals unangenehme Erscheinungen bemerkbar. Bei der grossen 
Anzahl von Injektionen mit Novocain sind wir zu dem Resultat 
gelangt, dass dasselbe allen Anforderungen, die an ein gutes 
Anästhetikum gestellt werden, vollkommen entspricht und können 
wir den besonders ausführlichen Berichten von Braun und 
Cieszynski beistimmen. 

Die von der Firma Bauer & Co. zur Erprobung der 
Klinik zugesandten Formaminttabletten kamen bei 
Stomatitiden, starkem Foetor ex ore infolge vernachlässigter 
Mundpflege, und bei Ankylostoma sowohl bei Kindern als auch 
bei Erwachsenen in Anwendung. Schon nach verhältnismässig 
kurzer Zeit konnten wir eine bedeutende Besserung des Zu¬ 
standes der Mundschleimhaut konstatieren, die darin bestand,, 
dass der üble Geruch aus der Mundhöhle vollständig beseitigt 
war, dass die vorher aufgetretenen starken Blutungen geringer 
wurden und der Patient ein behaglicheres Gefühl im Munde hatte. 


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Verein Wiener Zahnärzte. 


101 


Jothion, ein neues Jodpräparat, das von den Farben¬ 
fabriken Friedrich Bayer & Co. hergestellt wird, fand bei 
uns ausgiebige Verwendung. Es enthält 70 Prozent Jod in 
organischer Bindung und zeichnet sich dadurch vor der ge¬ 
wöhnlichen Jodtinktur aus, dass es die Schleimhaut auch bei 
wiederholter Anwendung nicht schädigt und infolge seiner Farb¬ 
losigkeit keine Spuren an der Haut zurücklässt. Das Jothion 
kam zum Zwecke der Anregung von Granulationen, in operativ 
gesetzten Defekten, bei Periostitis, Gingivitis und Stomatitis zur 
Anwendung und hat sich in allen Fällen gut bewährt. 

(Fortsetzung folgt.) 


Verein Wiener Zahnärzte. 

Anlässlich der Feier des 25 jährigen Stiftungsfestes wurde 
über Antrag des Vorstandes in der am 17. November 1906 ab¬ 
gehaltenen Vollversammlung Reg.-Ra' Prof. Dr. Julius Scheff 
in Wien einstimmig zum Ehrenmitglied gewählt. 

Der Antrag wurde eingehend begründet und die Ver¬ 
dienste Prof. Scheffs um die Entwicklung und Verbreitung 
der Zahnheilkunde in Oesterreich durch zahlreiche wissen¬ 
schaftliche Arbeiten theoretischen und praktischen Inhalts, 
sowie durch die überaus fruchtbare Lehrtätigkeit hervorgehoben. 

Ein grosser Teil der Vereinsmitglieder hat seine Aus¬ 
bildung an dem Wiener zahnärztlichen Universitäts- Institute 
genossen, welches vor fast zwei Dezennien von Prof. Scheff 
mit den ihm damals zu Gebote stehenden bescheidenen Mitteln 
eingerichtet wurde und das dank seiner unermüdlichen Tätig¬ 
keit sich zu seiner gegenwärtigen anerkannten Höhe empor¬ 
gearbeitet hat. Dr. H. F. 


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102 


Zentralverband der österreichischen Stomatologen. 


ZeotralvcrM Her isterrelcbiscben Stoiatilop. 

Einem allgemeinen Wunsche entsprechend, wird der 
Zentralverband der österreichischen Stomatologen nicht nur 
zur Zeit der Jahresversammlung, sondern auch während des 
Jahres wissenschaftliche Versammlungen abhalten r 
um den Mitgliedern Gelegenheit zu geben, sich über die Neue¬ 
rungen auf dem Gebiete der Zahnheilkunde im Laufenden 
zu halten. 

Das Unterzeichnete Präsidium gestattet sich nun, die 
Kollegen zur Teilnahme an diesen Versammlungen, sei es als 
Vortragende und Demonstratoren oder als Zuhörer, höflichst 
einzuladen und bittet, ihm eventuelle Vorschläge bezüglich eines 
abzuhaltenden Vortrages mitzuteilen, sowie jene Themata, über 
welche Orientierung gewünscht wird, freundlichst anzugeben. 

Die erste dieser nur wissenschaftlichen Zwecken ge¬ 
widmeten Versammlungen findet Samstag den 16. März, um 
7*6 Uhr nachmittags, in der Abteilung für Zahnheilkunde der 
Wiener Allgemeinen Poliklinik, IX. Höfergasse 1, statt Doz. Dr- 
Loos wird über die „Topographie der .Pulpahöhle 
und Präparation der Kavität“ sprechen und Doz. Dr. 
Weiser einen mit Demonstrationen verbundenen Vortrag über 
„Atypische Zahnextraktionen“ halten. Weitere Ver¬ 
sammlungen sind für Mitte April und Mai in Aussicht genommen. 

Die Kollegen Doz. Loos, Müller, Pichler, Doz. Weiser, 
Doz. v. Wunschheim und andere haben ihre Mitarbeiter¬ 
schaft bereits zugesagt. 

Gäste sind sehr willkommen ; doch wird das einen Gast 
einführende Mitglied gebeten, denselben vorher beim Präsidium, 
des Verbandes anzumelden. Nach dem Besuche von drei Ver¬ 
sammlungen erwächst für den Gast die Verpflichtung, dem 
Zentralverbande beizutreten. 1 

1 Der Jahresbeitrag für den Zentralverband der österr. Stomatologen 
beträgt 10 Kronen; der Bezug der „Oesterr. Zeitschrift für Stomatologie“ 
steht dem Einzeluen frei (für Mitglieder 8 Kronen) und wird als das einzige 
offizielle Organ für Standesinteressen der Zahnärzte Oesterreichs dringend 
empfohlen (Bezugsanmeldungen: Wien, VII/i Mariahilferstrasse 92). 


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Associazione stomatologica Triestina. 


103 


Das Verbandspräsidium bittet, der Einladung um so ge¬ 
wisser Folge zu leisten, als es die Absicht hat, diese vorerst 
probeweise veranstalteten Versammlungen zu regelmässigen Fort¬ 
bildungskursen auszugestalten, falls eine zahlreiche Beteiligung 
ihre Existenzberechtigung bekräftigen sollte. 

Für das Präsidium des Zentralverbandes der österreichischen 

Stomatologen: 

Dr. Rud. Bum Dr. F. Trauner 

Schriftführer. Präsident. 


Associazione slonalolopa Tritslioa. 

In der Monatssitzung vom November wurde von Herrn 
Dr. D. Dalma aus Fiume als Gast ein mit grossem Interesse 
aufgenommener Vortrag über „Geschichte, Indikation und An¬ 
wendungsreife des Nervocidins“ gehalten. Es wurden ferner 
zwei Zuschriften der Herren Prof. Dr. Cav. Chiavero aus 
Rom und Prof. Dr. Sachs aus Berlin zur freudigen Kenntnis 
genommen. Die Herren versprechen, der Einladung der Asso¬ 
ciazione folgend, in absehbarer Zeit Vorträge in der Gesell¬ 
schaft zu halten. 

In der am 21. Jänner abgehaltenen Monatssitzung 
teilt der Präsident der Versammlung das Ableben des Herrn 
Dr. Geo. Forssman aus Stockholm, der die konstituierende 
Sitzung im vorigen Jahre mit seinem Besuche beehrte, mit. 
Die Versammlung nahm diese Mitteilung mit dem Ausdrucke 
der innigsten Teilnahme entgegen. 

Es fand eine allgemeine Diskussion über das Thema: 
„Plastische Füllungen“ statt, an der sich alle Mitglieder lebhaft 
beteiligten. Es wurde über die Blacksche Amalgamfüllungs¬ 
methode „Extension for prevention“ eingehend gesprochen, 
die Vorteile der verschiedenen Silikate erörtert, der tadellose 
Randschluss der immer mehr in Vergessenheit geratenen 
Kupferfüllungen hervorgehoben, die Vorzüglichkeit der roten 
Guttapercha als Füllungsmaterial gelobt, wobei nach Flaggs 
Prinzipien (siehe Plastic and Plastic filling by Foster Flagg, 


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104 Zabnärztl. Klinik (Prof. Arkövy) der kgl. Universität in Budapest. 

D.D.S., Philadelphia), Erwärmung der Guttapercha im Wasser¬ 
bade und Arbeiten mit erwärmten Instrumenten, vorgegangen 
werden soll. 

Dem Präsidenten des Zentralverbandes der österreichischen 
Stomatologen, Herrn Dr. Franz Trauner, wird der Dank 
votiert für die freundliche Zusage, bald den Verein zu besuchen. 

Endlich wird ein Schreiben des Herrn Dr. J. Ghompret 
von der Stomatologischen Gesellschaft in Paris verlesen, in 
welchem die Associazione ersucht wird, für den zahlreichen 
Besuch des am 5. August stattfindenden Kongresses in Paris 
aus Anlass der 20jährigen Gründung der Gesellschaft zu wirken. 
Es wird beschlossen, in diesem Sinne zu wirken und die Ge¬ 
sellschaft zu ihrer Gründungsfeier wärmstens zu beglück¬ 
wünschen. 


Jakrestericlt der zahfiäntlielien Klinik (Prof. Dr. t. Arkövy) 
Iler KöBiglicheg Uiiversität ii Budapest 

Erstattet von Dr. Josef Sturm. 

Im ersten Semester des Studienjahres 1905/06 be¬ 
suchten 2448 Kranke die Klinik, und zwar: 

Knaben unter 14 Jahren . . . 238 

Mädchen „ 14 „ ... 194 

Erwachsene Frauen.1030 

„ Männer .... 986 

Extraktionen wurden bei 2129 Kranken ausgeführt, und 


zwar 

in 


298 

Fällen 

an Milchzähnen und bei Zahnwechsel, 

618 

n 

wegen Gangraena pulpae, Periodontitis und Ne- 
crosis radicis, 

215 

n 

an schon frakturierten Zähnen, 

98 

7i 

bei Irregularitäten, 

82 

» 

bei Caries alv. specifica, 

761 

n 

wegen Pulpitis, 

57 

n 

wegen Dentitio diff. mol. III. 


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Zahnärztl. Klinik (Prof. Arkövy) der kgl. Universität in Budapest 105 


Konservativ wurden 319 Kranke behandelt, und zwar 
wurden in 208 Fällen von Caries dentium einfache Füllungen, 
in 69 Fällen von Pulpitis Wurzel- und Kronenfullungen und 
in 42 Fällen von Gangraena pulpae ebenfalls Wurzel- und 
Kronenfüllungen ausgeführt. 

Ausserdem wurden behandelt: 

5 Kranke wegen Empyema Antrum Highmori, 

8 „ „ Blutung nach Extraktion, 

3 „ „ von Zähnen ausgehenden Zysten. 

Die Zahl der Hörer betrug 49, von denen 9 auf die 
konservative Operationslehre und 40 auf das Poliklinikum ent¬ 
fielen. 

Zu Spezialisten wurden in diesem Semester 6 Aerzte 
ausgebildet. 

Im zweiten Semester wurden 3704 Kranke be¬ 
handelt : 

Knaben unter 14 Jahren . . . 457 
Mädchen „ 14 „ ... 279 


Männer .1395 

Frauen.1573 


Extraktionen wurden in 3218 Fällen ausgeführt, und 
zwar in: 


181 

Fällen 

an Milchzähnen und bei Zahnwechsel, 

1718 

r> 

wegen Pulpitis, 

1082 

y) 

wegen Gangraena pulpae, Periodontitis und Ne- 
crosis radicis, 

148 

V) 

bei Caries alv. specifica, 

51 

n 

bei Irregularitäten, 

38 


wegen Dentitio diff. mol. III. 


Konservativ wurden 486 Kranke behandelt, und zwar 
wurden in 238 Fällen einfache Füllungen, in 201 Fällen Wurzel¬ 
behandlung samt Füllungen und in 47 Fällen Gangränbehand¬ 
lung und Füllung vorgenommen. 


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106 Stomatologischer Lehrstuhl. — Stomatologische Klinik. 

Ausserdem wurden behandelt: 

2 Kranke wegen Antrumempyem, 

13 „ „ Nachblutung, 

3 „ „ Epulis. 

Für das Poliklinikum waren 35, für die konservative 
Operationslehre 6 Hörer, insgesamt 41, inskribiert. 

Zu Spezialisten wurden 5 Aerzte ausgebildet. 

Die Klinik war 11 Monate des Studienjahres den Patienten 
zugänglich; während dieser Zeit standen 6152 Kranke in Be¬ 
handlung. 

Seitens des odonto technischen Laboratoriums 
wurden folgende Arbeiten an Patienten ausgeführt: 

41 Kautschukpiecen mit 319 Zähnen, 

27 Stiftzähne, 

22 Vollkronen, 

7 fixe Brücken aus Gold, 

7 Obturatoren (nach Antrumoperation), 

3 Regulierungsapparate. 

Sowohl die pathologische, als auch die odonlotechnische 
Sammlung wurde in diesem Jahre vielfach bereichert. 


Slonatoliipcta Lehrstuhl. — Stonatologische Klinik. 

Einer soeben erschienenen ausserordentlichen Ausgabe 
des „Stomatologiai Közlöny“ entnehmen wir, dass der königl. 
ungarischen Minister für Kultus und Unterricht verordnet hat, dass 
die an der Budapester Universität kürzlich systemisierte Lehr¬ 
kanzel unseres Faches und die für ihre Zwecke zu erbauende 
Klinik anstatt der bisher gebräuchlichen Benennung „Zahn¬ 
ärztliche etc.“ von nun an ausschliesslich die Bezeichnung 
„Stomatologische Lehrkanzel“ und „Stomato¬ 
logische Klinik“ tragen sollen. 

Wir lassen den Wortlaut der am 12. November 1906 
von dem Landesvereine der ungarischen Stomatologen an 
den Unterrichtsminister gerichteten Eingabe folgen. 


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Stomatologischer Lehrstahl. — Stomatologische Klinik. 


107 


An Se. Exzellenz, den königl. ungarischen Minister für Kultus 
und Unterricht. 

Der Landesverein c(er Stomatologen Ungarns beschloss 
in seiner Sitzung vom September 1904 auf Antrag Dr. Emil 
Nagys einstimmig, Ew. Exzellenz zu gelegener Zeit die Bitte 
vorzulegen, dass selbst in amtlichen Beziehungen anstatt der Be¬ 
nennung „Zahnheilkunde“ das Wort „Stomatologie“ gebraucht 
werden soll. Nunmehr, da einerseits die Zahnheilkunde (recte 
Stomatologie) eine Universitätslehrkanzel sich erwarb, anderseits 
eine moderne, den berechtigten Forderungen entsprechende 
zahnärztliche (recte stomatologische) Klinik erbaut werden soll» 
hält der Verband es für zeitgemäss, Ew. Exzellenz jene Bitte 
zu unterbreiten. 

Die Ausübung der Zahnheilkunde geriet im letzten Jahr¬ 
hundert in die Hände dazu berufener und medizinisch aus¬ 
gebildeter Aerzte, ebenso wie auch jene Zeit längst entschwand* 
als noch die Aerzte die Wundbehandlung für anstössig er¬ 
achtet haben. Diese wurde auch von Laien ausgeübt; heute 
ist die Chirurgie eines der glänzendsten Spezialfächer. Ebensn 
steht es mit der sogenannten „Zahnheilkunde“. Heutzutage 
ist die „Zahnheilkunde“ eine auf wissenschaftlicher Basis 
stehende ärztliche Disziplin, gerade so wie die Geburtshilfe, die 
Rhino-Laryngologie, Augenheilkunde usw. Heute werden die 
Zahnerkrankungen als wissenschaftlich erkannte, erforschte, 
spezielle pathologische Gewebsalterationen aufgefasst, welche 
mit Rücksicht auf ihre Beziehungen zu den umliegenden Ge¬ 
weben (weiche und harte Gewebe des Mundes) von Aerzten 
behandelt werden. Kurz gesagt, in den letzten Jahrzehnten hat 
sich die „Zahnheilkunde“ in den Händen der Aerzte zur 
«Stomatologie“ emporgeschwungen. Es ist ganz und gar un¬ 
möglich, ein Organ aus dem Gesamtorganismus herauszugreifen, 
dasselbe isoliert vom übrigen Körper zu betrachten und dessen 
Krankheiten zu behandeln, ohne deren Folgen und Beziehungen 
zum ganzen Körper in Betracht zu ziehen. Der die Zahn¬ 
erkrankungen heilende Arzt hat auch Tag für Tag mit Ge¬ 
weben zu tun, wie Zahnfleisch, Kiefer, Knochen, und häufig 


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108 Stomatologischer Lehrstuhl. — Stomatologische Klinik. 

ist er gezwungen, durch Zahnerkrankungen verursachte Kiefer¬ 
erkrankungen zu operieren, d. h. eine stomatologische Praxis 
auszuüben. In diesem Sinne musste auch seit ihrem Bestehen 
die „Zahnärztliche Klinik“ verfahren; und somit ist jener Arzt 
kein „Zahnarzt“, sondern Stomatolog und jene Anstalt (Klinik) 
ist keine „zahnärztliche“, sondern eine stomatologische Klinik. 
Dafür, dass dem so ist, können noch jene Institutionen, Ver¬ 
eine, Fachblätter des gebildeten Westens angeführt werden, 
welche sich unter dem Epitheton „Stomatolog“ gruppierten, 
geschaffen wurden und existieren; so z. B. der „Stomatologen- 
Verband österr. Zahnärzte“, die „Stomatologische Sektion der 
internationalen ärztlichen Kongresse“; auch unser Verband führt 
den Titel seit seinem 10 jährigen Bestände; ferner „Oesterr. Zeit¬ 
schrift für Stomatologie“; „Stomatologiai Közlöny“ etc. Mit 
einem Worte, in jedem Lande, wo ausschliesslich Aerzte mit 
der Behandlung erkrankter Zähne beschäftigt sind, wurde von 
jener irrigen und heute schon anachronistischen Benennung 
Abstand genommen und zur Benennung des Faches, der 
Körperschaften, der Fachblätter amtlich und gesellschaftlich 
das Wort „Stomatologie“ in Gebrauch genommen. 

Wir glauben daher, dass unser Vaterland, welches in 
den epochalen Evolutionskämpfen des Faches in den letzten 
Jahrzehnten bahnbrechend war, heute in den Aeusserlich- 
keiten auch nicht Zurückbleiben darf, zumal da seine Fach¬ 
kreise als erste in Europa sich zu einem stomatologischen Ver¬ 
bände vereinigten und an so manchen Orten (Oesterreich) die 
ungarischen Institutionen als Muster galten. 

Auf dem im Jahre 1909 in Budapest stattfindenden inter¬ 
nationalen Aerztekongresse wird auch eine internationale 
Assoziation der Fachgenossen gebildet, welche auf Antrag 
Belgiens und Frankreichs den Namen „Stomatologisch“ führen 
wird. Dasselbe wurde auch von verschiedenen Universitäten 
anerkannt, als sie für „Stomatologie“ die venia legendi er¬ 
teilten (Bohosiewicz, Lemberg). 

Wir ersuchen auf Grund dieser Motive, Ew. Exzellenz 
möge dahin wirken, dass die Benennung des Faches auch in 
amtlichen Beziehungen „Stomatologie“ lauten soll, hauptsächlich 


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Stomatologischer Lehrstuhl. — Stomatologische Klinik. 


10» 


aber, dass das neuerdings dem Fache zu errichtende Heim, die 
Zahnärztliche Klinik, „Stomatologische Klinik“ getauft werde. 

Ew. Exzellenz etc. 

Der derzeitige Leiter des ungarischen Unterrichtswesens, 
Graf Albert App ony i, hat nach dem Referate des Ministerial¬ 
rates Ludwig von Töth diese Angelegenheit in kurzer Zeit 
günstig erledigt und hievon den Landesverein der Stomato- 
logen und den Senat der Universität verständigt. Die an den 
letzteren herabgelangte Verordnung lautet wie folgt: 


Vom königl. ungarischen Unterrichtsminister. 

101.152. Nr. 906. 

An den löbl. Senat der königl. Universität Budapest. 

Der Landesverein der Stomatologen Ungarns wandte sich 
laut seinem in der Sitzung vom September 1904 gefassten 
Beschlüsse am 12. November 1906 mit der Bitte an mich, dass 
in Betracht der immer mehr zunehmenden Bedeutung der Zahn¬ 
heilkunde unter den übrigen Spezialfächern der medizinischen 
Wissenschaft und jenes Umstandes, dass das Wirken der die 
moderne zahnärztliche Praxis ausübenden Aerzte nicht mehr 
nur einzig allein auf das lokale Heilverfahren der Zähne be¬ 
schränkt ist, sondern sich auch auf die kurative Behandlung 
der übrigen Gebiete des Mundes im Zusammenhang mit der 
Erkrankung der Zähne erstreckt, ihrem Wunsche Folge geleistet 
werde, dass die Benennungen „Zahnarzt“ und „Zahnheilkunde“ 
durch die im Westen Europas überall üblichen und richtigeren 
Benennungen „Stomatolog“ und r Stomatologie“ ersetzt werden. 

Da die seitens genannten Vereines vorgebrachten Argu¬ 
mente als recht und billig erachtet wurden, verordne ich somit, 
dass die für den Unterricht der Zahnheilkunde erst kürzlich 
systemisierte Lehrkanzel, wie auch die zu deren Zwecken zu 
errichtende neue Klinik unter Weglassung der bisherigen Be¬ 
nennung „zahnärztliche“, nunmehr „stomatologische Lehrkanzel“ 
und „stomatologische Klinik“ genannt und künftighin dieses 
Fach in allen Beziehungen mit diesem neuen Namen erwähnt 
werden soll. Von diesem Beschlüsse etc. 

Budapest, 22. Dezember 1906. Apponyi m. p. \'.’ 


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110 


Referate und Joumalschau. 


Referate und Journalsehau. 

Die Verwendung der Aspirationstechnik in der Zahnheilkunde. 

Von H. Schröder , Greifswald. (Deutsche Monatsschrift für Zahn¬ 
heilkunde, XXIV, 7.) 

Die Aspirationstechnik wurde bereits von Dill für di<> 
Behandlung pulpaloser und wurzelkranker Zähne vorgeschlagen; 
doch ist, wie Verfasser vielfach nachweisen konnte, der Wurzel¬ 
kanal auf diese Weise nicht zu säubern. Dagegen ist es mög¬ 
lich, von der lingualen oder buccalen Fläche des Alveolar¬ 
fortsatzes aus im Bi er sehen Sinne Hyperämie im Bereiche der 
Wurzelhaut zu erzeugen. Mit Hilfe einer kräftigen Aspirations¬ 
spritze und Ansatzstücken aus Weichgummi und Glas (Schröpf¬ 
köpfen) gelingt es leicht, durch eine Fistelöffnung den jauchigen 
Inhalt aus dem Fistel- und Wurzelkanal herauszusaugen. Das 
periapicale Gewebe wird durch die Schröpfung und die sich 
daran schliessende Stauungshyperämie auf das günstigste be¬ 
einflusst. Besteht keine Fistel, so legt Schröder eine solche 
an, indem er mit einem feinen Handbohrer nach Hart mann 
Zahnfleisch und Knochen durchbohrt, was unter Lokalanästhesie 
ganz schmerzlos durchführbar ist. Auch bei Alveolai pyorrhoe 
empfiehlt Verfasser die Schröpfung. Der Schröpfkopf wird 
nach einem Gipsmodell in der Weise hergestellt, dass er aus 
einer inneren weichen und äusseren harten Kautschuklage 
besteht und die erkrankte Kieferpartie nach aussen absolut 
luftdicht abschliesst. Ueber der erkrankten Partie des Alveolar¬ 
fortsatzes, resp. über den an Pyorrhoe erkrankten Zähnen 
besteht ein grösserer Hohlraum, welcher durch eine Kautschuk¬ 
röhre mit der Aspirationsspritze in Verbindung steht. Beim 
Ansaugen tritt zunächst das eitrige Sekret heraus, dann folgt 
eine kräftige Blutung aus dem hyperämischen Gewebe. Die 
jedesmalige Herstellung der Schröpf kappe ist etwas umständ¬ 
lich, doch sind die Kosten gering und die Zeit, die mit der 
Anfertigung des Apparates vergeht, steht in keinem Verhältnis 
zu der Mühe, die die sonstige Behandlung einer Alveolar- 
,jpyorrhoe erfordert. _ Dr. R Kronfdd. 


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Beferate und Journal schau. 


111 


Stellungs- und Bildungsanomalien durch Röntgenaufnahmen 
sichergestellt. Von K. Evler und G. Wobersin. (Medizinische 
Klinik, II. Jahrg., Nr. 27.) 

Das Röntgenbild ist bei abnormem Zahnwechsel unent¬ 
behrlich: man erhält Aufschluss über das Vorhandensein eines 
bleibenden Zahnes unter einem Milchzahn und über seine 
Lagerung; erst hiernach ist oft zu entscheiden, ob dieser 
Milchzahn extrahiert werden darf oder konservierend zu be¬ 
handeln ist. Die Untersuchungen der Verfasser erstreckten sich 
auf 449 Soldaten. Bei 18 von diesen waren bleibende Zähne 
— im ganzen 39 — nicht erschienen. Es waren dies zumeist 
der zweite Prämolaris, der obere Ganinus und der obere 
laterale Incisivus, seltener andere Zähne. Statt dessen waren 
bei 12 von diesen 18 Soldaten noch Milchzähne vorhanden. Das 
Röntgenbild zeigte, dass der obere Caninus in allen Fällen 
vorhanden, resp. retiniert war. 

Dagegen war in den Fällen, wo der obere laterale 
Incisivus fehlte, auch am Bilde in der Tiefe des Kiefers von ihm 
nichts zu sehen. Die Röntgenaufnahmen bei fehlenden Backen¬ 
zähnen ergaben verschiedene Befunde. Die Verfasser schliessen 
nach ihren Fällen, dass bei fehlendem, oberen, seitlichen 
Schneidezahn auch ohne Röntgenaufnahme ein völliges Fehlen 
dieser Zähne angenommen werden kann. Werden sie durch 
persistierende Milchzäbne angedeutet, so sind diese stets zu 
konservieren. Fehlen die Milchzähne, so ist bei vorhandener 
Lücke für entsprechenden Ersatz zu sorgen. In den meisten 
Fällen wird ein Eingreifen aber nicht notwendig sein, da die 
Ganini in der Regel dicht an die mittleren Schneidezähne heran 
gerückt sind. In neuerer Zeit sucht man auch diese Unregel¬ 
mässigkeiten in geeigneten Fällen zu beseitigen, indem man 
mit Hilfe von Richtmaschinen für die seitlichen Incisivi Platz 
schafft, um sie dann künstlich zu ersetzen und der Zahnreihe 
ein gefälliges Aussehen zu verleihen. Hinsichtlich der Canini 
werden wir stets durch die Röntgenaufnahme Klarheit über 
ihre Lagerung schaffen und darnach unsere Massnahmen richten 
müssen. Bei den zweiten Bicuspidaten ist den Röntgen¬ 
strahlen kein grosser praktischer Wert beizumessen, es sei 


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112 


Referate und Journalschau. 


denn, dass es sich um die Erhaltung persistierender zweiter 
Milchmolaren handelt, denn gerade unter diesen scheinen die 
Ersatzzähne nicht angelegt zu sein. Auf keinen Fall wird man 
sie zur Klarstellung der Unregelmässigkeiten dieser Zahngruppe 
entbehren können. Dr. R. Kronfeld. 


Beiträge zur Lehre von den Degenerationszeichen. Von 

Dohrn-Schede-Schroeder, Kassel. (Vierteljahrsschrift für gericht¬ 
liche Medizin, Jänner 1906.) 

Die Verfasser versuchen durch umfangreiche Unter¬ 
suchungen an Verbrechern und Normalen (Soldaten) den Be¬ 
weis zu erbringen, wie wenig die ganze Lehre von den De¬ 
generationszeichen einer sachgemässen Nachprüfung standhält; 
so fanden sie z. B., um nur zwei der bekanntesten „Stigmata“ 
zu erwähnen, angewachsene Ohrläppchen bei Normalen in 
23*65 Prozent, bei Verbrechern in 31*3 Prozent der Fälle, ab¬ 
stehende Ohren bei 13*5 Prozent der Normalen und bei 
8*5 Prozent der Verbrecher. Aehnliche, ganz geringe Diffe¬ 
renzen ergab die Untersuchung der Mundorgane. Schroeder 
stellte folgende Tabelle auf: Nonmde Verbrecher 


Prognathie.643 66 

Aufbiss.3*0 1*4 

Kreuzbiss.1*2 1*2 

Voluminöser Unterkiefer . . 0 5 0*6 

Progenie.0*7 50 

Unentwickeltes Kinn . . . 0*16 0*12 

Vorstehendes Kinn.... 7*0 6-7 

Eckiger Zahnbogen ... 4*8 6*5 

Unregelmässige Zahnstellung. 5*0 7*5 

Offener Biss.0-7 1-7 

Diastema.10*0 8*3 

Meisseiform der Zähne . . 5*3 5*5 

Zapfenform.1*8 0'7 

Unterzahl.2*0 3*0 

Erosionen.2*7 3*3 

Hoher Gaumen.6*2 3*9 

V-Fonm des Gaumens. . . 0-3 1*3 

Breiter Oberkiefer .... 0*16 1*3 


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Referate und Jourualschau. 


113 


Insgesamt fand Schroeder Anomalien der Mundorgane 
bei Verbrechern in 80-82 Prozent, bei den Normalen in 
72-34 Prozent. Eine überwiegende Häufigkeit dieser Anomalien 
ist demnach bei Verbrechern nicht zu konstatieren, und es ist 
keineswegs gerechtfertigt, solche Degenerationszeichen immer 
wieder ins Treffen zu führen. Dr. R. Kronfeld. 


Zahnpulver und Lippenekzem. Von R. Saboumud, Paris. 
(Revue Odontologique, VIII, 1906.) 

Verfasser fand bei drei Frauen hartnäckige Ekzeme 
der Lippen, welche jeder medizinischen Behandlung trotzten. 
Das Zahnpulver enthielt in allen drei Fällen Salol, jedesmal 
trat nach Weglassen des Pulvers in kurzer Zeit vollständige 
Heilung ein. Eine dieser Patientinnen war von ihrem Arzte 
wegen „Hyperacidität des Speichels“ nach Vichy geschickt 
worden, woselbst alsbald eine auffallende Besserung ihres Zu¬ 
standes eintrat, welche auf Kurgebrauch und güte Luft zurück¬ 
geführt wurde, in Wirklichkeit aber daher rührte, dass die 
Dame ihr gewohntes Zahnpulver nicht mitgenommen hatte 

Dr. R. Kronfeld. 


Zahnerkrankungen bei Milchdiät. Von Pietkiewfcz. (Tribüne 
med., 1906, p. 310.) 

Bei länger fortgesetzter Milchdiät kommt es wohl infolge 
längeren Verweilens der Milch im Munde zu mannigfachen 
Erkrankungen der Zähne und des Zahnfleisches, welche zwar 
nicht zum Bewusstsein des Kranken kommen, aber zum Aus¬ 
fall der Zähne führen können. Es ist daher eine strenge 
Hygiene des Mundes notwendig: häufiges Ausspülen mit anti¬ 
septischem, alkalischen Mundwasser, mindestens dreimal im 
Tage Bürsten der Zähne mit einer harten Bürste unter Ver¬ 
wendung eines Zahnpulvers. Als zweckmässig erscheint folgende 
Zusammensetzung: Natr. borac. 30-0, Kali chlor., Calc. carbon., 
Magn. carb. äa 10 0, Menthol 10. Dr. R. Kronfeld. 


8 


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114 


Referate und Journalschau. 


Gesichtsschutzmaske nach Angabe des Zahnarztes 0. Eichen¬ 
topf. (Münchener medizinische Wochenschrift, 1906, Nr. 40.) 

Das Zelluloid, welches von Eichentopf bereits früher 
für Herstellung von Separierstreifen und Matrizen für plastische 
Füllungen verwendet wurde, dient ihm zur Herstellung einer 
durchsichtigen, dünnen und sehr leichten Maske, welche Mund 
und Nase bedeckt und weder das Sprechen noch das Atmen 
stört. Die Luftzufuhr erfolgt durch zwei seitwärts verlaufende 
Ausbuchtungen, die nach Anlegen einen weiten Kanal bilden. 

Befestigt wird die Halbmaske durch zwei Gummischnüre, 
welche man um die Ohrmuscheln legt. Etwa vorhandene 
Druckstellen werden beseitigt, indem man die betreffenden 
Partien in heisses Wasser taucht und dann dem Gesicht an¬ 
passt. Vor den Gazemasken, welche von Aerzten bisher ge¬ 
braucht wurden, hat die Eichentopfsche den Vorzug, öfter 
benützt und leicht aseptisch gehalten werden zu können. 
Letzteres geschieht durch Abwaschen mit kaltem, leicht des¬ 
infizierendem Wasser. Der Zweck der Maske ist ohne weiteres 
einleuchtend; sie soll dazu dienen, Aerzten, Zahnärzten etc. 
einen Schutz vor Infektion zu gewähren, sie soll den Arzt sowie 
den Patienten vor gegenseitiger Belästigung durch den Atem 
schützen. Die Maske dürfte deshalb speziell von Nasen- und 
Halsärzten mit Erfolg angewandt werden. In zweiter Linie ist 
die Maske in Anwendung zu bringen bei allen Operationen, 
bei denen strengste Asepsis des Operationsfeldes erforderlich 
ist und eine Infektion desselben durch den Atem aus Mund und 
Nase des operierenden Arztes vermieden werden muss. 

Eichentopf empfiehlt die Maske besonders auch für 
Zahnärzte. Bei allen Behandlungen, wo eine dichte An¬ 
näherung an den Patienten und infolgedessen auch ein gegen¬ 
seitiges Anhauchen unvermeidlich ist, wird die Anwendung 
der Maske vom Patienten angenehm empfunden. Zu erwähnen 
wäre noch, dass die Maske bei Ausübung anderer Berufe, 
welche ein Verweilen in Gesichtsnähe verlangen (Friseure) oder 
bei Arbeiten mit schädlichen, giftigen Stoffen (Chemiker, Schrift¬ 
setzer), ihren Nutzen bringen würde. Die Maske ist vor Feuer 
zu schützen! Dr. R. Krmfeld. 


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Referate und Joumalschau. 


115 


Warum wir Molaren und Prämolaren mit Goldeinlagen 
füllen. Von W . Thierschi Genf. (Schweiz. Vierteljahrsschrift für 
Zahnheilkunde, 1906, III.) 

Nach Besprechung der Indikationen und Kontraindikationen 
für Zement, Amalgam, Porzellan und Gold setzt Verfasser die 
Vorzüge der Goldeinlagearbeit auseinander und demonstriert 
dieselben an Modellen, sowie an mit Eosin durchtränkten 
Präparaten. Die Farbe der Goldeinlage ist gleich derjenigen 
der Goldfüllung, besser als die des Amalgams, schlechter als 
die des Porzellans. Bei den rückwärts gelegenen Kavitäten bildet 
sie jedenfalls keine Gegenindikation. Die chemische Wider¬ 
standsfähigkeit im Munde ist eine absolute Der Rand¬ 
schluss der Geldeinlage wird zumeist getadelt, da man eine 
Auswaschung des Zementes fürchtet. Dieser Einwand ist ganz 
unrichtig. Wir haben hier nicht eine Zementlinie wie sie beim 
Porzellan unvermeidlich ist, da dort die Platinmatrize von der 
Einlage abgeschält werden muss und so einer dünnen Schicht 
Zement Platz macht, sondern bei der Goldeinlage wird die 
Matrize der Einlage selbst einverleibt. Ausserdem werden die 
Ränder der Kavität etwas nach aussen hin abgeschrägt und 
diese Kante durch die Einlage selbst sowohl, als auch zum 
Uebeifluss noch durch die etwas überhängenden Ränder der 
Matiize überdeckt. Somit können wir, solange der Zement noch 
weich ist, mit Mattpolierern für Hand und Maschine das Gold 
zu absolutem Kontakt mit der Zahnsubstanz anpolieren, ein 
Kontakt, der demjenigen der besten Goldfüllung in nichts nach¬ 
gibt. Die ganze Auswaschungsfrage fällt also für die Goldeinlage 
vollständig weg, denn wenn diese passt wie sie soll und die 
Ränder vorschriftsgemäss anpoliert sind, so ist die Zementlinie 
gleich null und Auswaschung und somit Kariesrezidiv an den 
Rändern vollständig ausgeschlossen. 

Die UnveränderlichkeitvonForm und Volumen 
ist eine absolute, die Adaptabilität an die Zahnwand 
eine hochgradige, denn die zur Herstellung unserer Einlage 
verwendete Gold- oder Platinmatrize lässt sich mit allergrösster 
Genauigkeit an die Wand der Kavität anpressen und polieren. 
Die Adhäsion ist eine vollkommene, denn wir kombinieren 

8 * 


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116 


Referate und Journalschau. 


ja gerade die einzige Eigenschaft, die den Zement — wäre 
er nicht sonst unbrauchbar — so wertvoll machen würde und 
die der Goldfüllung fehlt, nämlich seine Klebfähigkeit mit den 
vorzüglichen Eigenschaften des Goldes. Der Goldfüllung gegen¬ 
über hat die Goldeinlage folgende Vorzüge. Das Schädigen der 
Zahnsubstanz durch den Goldhammer fällt bei der Einlage weg. 
Schwacher Schmelz wird weggeschnitten, gesundes Zahnbein 
dagegen nicht unterminiert. Die Grösse der Kavität hat keinen 
Einfluss auf Dauer und Schwierigkeit der Behandlung, während 
beim Goldfüllen „5 Minuten mehr Bohrmaschine sofort 
3 / 4 Stunden mehr Goldhammer bedeuten“. Die Rekonstruktion 
des Zahnes erfolgt nicht im Munde, sondern im Atelier, auf 
Modellen und Artikulatoren; dadurch wird die ganze Behand¬ 
lung für Patienten und Operateur weniger anstrengend, weniger 
zeitraubend. Während die Möglichkeit, eine überaus grosse 
Goldfüllung zu legen, oft an der geringen Ausdauer des 
Patienten scheitert, ist die Goldeinlage um so wertvoller, je 
grösser der Defekt ist. Gerade da, wo sie schon eher eine 
partielle Krone als eine Füllung genannt werden kann, kommen 
wir zum Kernpunkt der ganzen Frage, zu der mächtigen Rolle, 
die das Goldinlay in der konservativen Zahnheilkunde zu spielen 
berufen ist. Viele hundert Zähne, die Tag für Tag rücksichtslos 
abgeschnitten werden, um einer Krone Platz zu machen, können 
durch die Goldeinlage zu lebenslänglicher Gebrauchsfähigkeit 
zurückgeführt werden, ohne dass das Zahnfleisch und die Wurzel¬ 
haut dem Insult und der drohenden Gefahr eines Halsbandes 
ausgesetzt werden. Dr. R . Kronfeld. 


Ueber Kiefernekrosen. (Aus der königl. Poliklinik für Zahn- 
und Mundkrankheiten zu Breslau [Direktor Prof. Dr. Partsch}). 
Inaugural-Dissertation von Georg Goldschmidt. 

Kiefernekrosen kommen häufiger vor als in den meisten 
Lehrbüchern angeführt wird. Die Nekrosen sind meistens eine 
Folgeerscheinung der Osteomyelitis. Letztere Bezeichnung ist als 
Sammelname für Periostitis und Ostitis zu gebrauchen, weil 
es auch manchmal klinisch unmöglich ist, die Entzündung des 
Knochenmarks von der des Knochens und der Knochenhaut 


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Referate und Journalschau. 


117 


zu trennen. Reine Periostitis kann auch corticale Sequester 
verursachen, meist jedoch wird sich aber die Entzündung auf 
die Corticalis und das Knochenmark fortpflanzen. Als Erreger 
and die pyogenen Mikroorganismen anzusehen. Immer finden 
sich Mischinfektionen von Staphylo- und Streptokokken mit 
Mund- und Fäulnisbakterien. Das Krankheiisgift ist also kein 
spezifisches. 

Osteomyelitis der Kiefer entsteht: 

1. Traumatisch: Fall, Schlag, Stoss, Schuss. 
Kieferfrakturen geben im Gegensatz zu anderen komplizierten 
Frakturen eine ungemein günstige Prognose. Ferner geben 
gelegentlich auch Zahnextraktionen zu Nekrosen Veranlassung, 
wobei es nicht immer notwendig ist, dass der Kieferknochen 
frakturiert ist; das verletzte Periost ist der Einwanderung 
pathogener Mikroorganismen sehr leicht zugänglich; 

2. durch Uebergreifen einer eiterigen Entzündung aus 
der Umgebung auf das Periost und von da auf das Knochen¬ 
mark (spontane Periodontitis nach Pulpagangrän oder artifizielle 
nach unvorsichtiger Gangränbehandlung); 

3. hämatogen: Die Infektion scheint auf venösem 
Wege zustande zu kommen, indem kleine mit Eitererregern 
beladene Thromben durch das am Kiefer besonders verbreitete 
Venennetz in benachbarte Venen gelangen und nun neue 
Entzündungsherde bilden. Die Eingangspforte ist meist schwer 
zu finden, da die kleinen Läsionen der Schleimhaut längst 
verheilt sein können (locus minoris resistentiae). Arterielle 
Infektion scheint nach Verfasser nur bei Endocarditis und 
Pyämie vorzukommen, dann finden sich aber auch Metastasen 
in anderen Organen. Kiefernekrosen nach Zahnextraktionen, 
bei Durchbruch von Mileh- und bleibenden Zähnen, besonders 
des Weisheitszahnes können durch Infektionen auf hämatogenem 
Wege erklärt werden. Knochenei terunge'n im Gefolge von In¬ 
fektionskrankheiten aller Art werden als sekundäre Osteo¬ 
myelitiden bezeichnet. 

Da bei allen Infektionskrankheiten Schwellungen der 
Mundschleimhaut, des Periosts, kleine Geschwüre und Ex- 
koriationen ziemlich häufig sind, können diese Stellen ge- 


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118 


Referate und Jonmalschau. 


legentlich als primäre Herde für eine Entzündung auf häma¬ 
togenem Wege in Betracht kommen. 

Nekrosen kommen ferner vor nach Einwirkung von 
Phosphor, Arsen, Quecksilber (im letzteren Falle indirekt auf 
dem Wege einer Stomatitis), ferner im Gefolge von Syphilis 
(besonders am Oberkiefer) Tuberkulose (selten), Tabes, auch 
bei malignen Geschwülsten; hingegen verursacht Aktinomykose 
wohl Periostitiden, jedoch so gut wie nie Nekrosen. — Zu be¬ 
merken sind folgende Charakteristika für tabische Nekrosen: 
das Betroffen werden gesunder Zähne, die Analgesie des an¬ 
grenzenden Zahnfleisches und der ziemlich schmerzlose Ver¬ 
lauf. Bei der Autopsie wurde stets eine Atrophie und Degene¬ 
ration des Trigeminusstammes besonders der aufsteigenden 
Wurzel und der Kerne gefunden. 

Klinische Formen der Osteomyelitis: 

1. Diffus: Der Knochen ist in seiner ganzen Ausdehnung 
ergriffen. Sehr gefährlich und fast ausnahmslos tödlich; 

2. zirkumskript: Es besteht zwar Fieber, jedoch 
bleibt das Allgemeinbefinden ein gutes, zum Unterschied von 
der septikämischen Form. Ein umschriebener Bezirk des Kiefers 
wird schmerzhaft, Lockerung von Zähnen, die Schmerzen nehmen 
bei Berührung und Druck an Intensität zu; Schwellung der 
umgebenden Weichteile (Unterkiefer — gegen den Winkel; 
Oberkiefer — Wange und Augenlider); vermehrter Speichel-, 
fluss, starker Mundbelag, Foetor ex ore, Ankylostoma, Drüsen¬ 
schwellungen, Kopf- und Nackenschmerzen. Nach wenigen 
Tagen Abszessbildung, aus den Alveolen quillt bei starkem 
Druck übelriechender Eiter. In der F olge werden teils grössere, 
teils kleinere Sequester abgestossen. Vollständige Heilung tritt 
erst ein, wenn alle nekrotischen Knochenstücke abgestossen 
sind. (Dauer meist 4 bis 6 Wochen, unter Umständen aber 
auch erst nach Monaten oder Jahren.) 

Als Komplikation bei Nekrosen des Oberkiefers kann* 
Meningitis (Lymphbahnen!) entstehen, bei Nekrosen des Unter¬ 
kiefers sind akutes Glottisödem und Mediastinitis beobachtet 
worden. Durch die Aspiration putrider Stoffe kann es zu 


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Referate und Journalschau. 


119 


multiplen Lungenabszessen, Lungengangrän, septischen Pneu¬ 
monien, eitriger Pleuritis und Perikarditis kommen. 

Erwähnt wird ferner die sklerosierende Osteomyelitis 
(Garrä), die akut oder subakut beginnt und bei der es einzig 
zu einer Auftreibung des Knochens ohne Eiterung und Fistel¬ 
bildung kommt. (Sequester- und Fistelbildung oft erst nach 
Jahren.) Bei isoliertem Vorkommen ist die Unterscheidung 
von syphilitischen Exostosen schwer, auch geben diese Formen 
zur Verwechslung mit myelogenen und periostalen Sarkomen 
Anlass. 

Therapie: Bezüglich der Lockerung der Zähne ist es 
nur dringend geboten, den schuldigen Zahn zu entfernen, die 
übrigen gelockerten, aber nicht schuldtragenden Zähne sind zu 
erhalten. Um dem Eiter freien Abzug zu gestatten, muss eine 
ausgiebige Inzision, womöglich von der Mundhöhle aus, bis 
auf den Knochen gemacht werden. Die Beschwerden des 
Patienten gehen rasch zurück, die Eiterung hält aber an. Mit 
der Sonde spürt man rauhen beweglichen Knochen. Erst wenn 
der Sequester vollständig losgelöst ist, wird er entfernt, sonst 
muss man seine Demarkation abwarten. (4 bis 6 Wochen bei 
kleineren, bei grösseren Monate und Jahre.) Nach Möglichkeit 
muss man versuchen, auch den Sequester vom Munde aus zu 
extrahieren. Bei Entfernung eines grossen Sequesters aus dem 
Oberkiefer ist an eine eventuell eintretende Kommunikation der 
Mundhöhle mit einer Nebenhöhle, beziehungsweise der Nase 
zu denken. 

Bei Nekrosen auf syphilitischer und tuberkulöser Basis 
ist entsprechende Allgemeinbehandlung einzuleiten. 

Prophylaxe: Asepsis bei Zahnextraktionen (ausgekochte 
Instrumente und sauber gereinigte Hände), reichliche Spülungen 
nach der Extraktion, Vermeidung von Quetschungen des Zahn¬ 
fleisches, sachgemässe Zahnpflege. Peinlichste Reinigung des 
Mundes bei Traumen des Kiefers und bei Infektionskrank¬ 
heiten. 

Dann folgt eine Kasuistik von 12 Fällen. Die Aetiologie 
betreffend, traten die Nekrosen auf: 


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120 


Referate und Jouraalschau. 


Nach Zahnextraktionen.3 mal 

Pulpagangrän (die Pulpa war unter einer 
Zementfüllung abgestorben) 1 .... 1 „ 

Caries periodontitis.2 „ 

Idiopatisch.3 „ 

Nach Typhus, Influenza und Masern je . 1 „ 

Dr. Viktor Frey . 

Eine neue Verankerungsmethode für gebrannte Porzellan¬ 
füllungen. Von Dr. phil. Guido Fischer , Hannover. (Deutsche 
Monatsschrift für Zahnheilkunde, September 1906.) 

Verfasser glaubt, die Befestigung gebrannter Porzellan¬ 
einlagen in der Kavität durch das Prinzip der Aussparung im 
Porzellan sicherer als bisher üblich zu erreichen. 

1. Flache kleinere Füllungen bis zirka 3 Mm. Dicke durch 
Anrauhen eines bestimmten Bezirkes der Füllungsrückseite mit 
Hilfe eines Gipskieselgurkernes im Folienabdruck; 

2. grössere Füllungen in der gleichen Weise und ausser¬ 
dem mit einer zweckmässigen Verankerung von feinen Platin¬ 
stiften. 

An den Misserfolgen (herausgefallene Füllungen) trägt 
nach Verfasser die ungenügende Rauhigkeit der Porzellanrück¬ 
seite schuld. Es soll der zentrale Bezirk der Füllungsrückseite 
angerauht werden. Der Abdruck wird in ein Gemisch von 
2 Teilen Gips und 1 Teil Kieselgur eingebettet und die Ein¬ 
bettungsmasse trocknen gelassen (zirka 15 bis 20 Minuten), 
Dann trägt man mit einem feinen Pinsel eine kleine Menge 
des weich angerührten Gipskieselgurgemisches auf den Boden 
des Abdruckes auf, doch darf die Gipsmasse nirgends an den 
Folienrand reichen, sondern nur den basalen Teil der Folie 
gleichmässig überdecken. Ist dieser Gipskieselgurkern im Er¬ 
härten, soll man ihn mit einer stumpfen Nadel und mit einem 
Pinsel modellieren, indem man die Nadel etwas schräg nach 
innen geneigt zwischen Folie und Gipswand verstreichen lässt, 
wodurch die spätere Füllung einen unter sich gehenden Rand 
erhält. Die Oberfläche des Kernes wird von einer Anzahl von 
Nadelstichen grob durchlöchert und angerauht. Ist der Kern 


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Referate und Journal schau. 


121 


vollständig erhärtet, so wird dünner Porzellanbrei aufgetragen 
und die Einlage gebrannt. Die Rückseite derselben soll das 
genaue Negativ des Gipskernes sein, Vertiefungen, Zapfen, 
Spitzen und Kanten aufweisen. Da der Gipskern durch die 
Hitze morsch und sandig geworden ist, lässt er sich mit einer 
feinen Bürste unter einem kräftigen Wasserstrahl entfernen. 
— Besondere Unterschnitte im Dentin sind nicht notwendig, 
man bringt nur mit einem kegelförmigen Bohrer an geeigneten 
Punkten zarte Rauhigkeiten im Dentin an und zementiert die 
Füllung ein. 

Verwendung von Stiften: Dieselben sind aus Platin, 0*4 Mm. 
stark und werden in 3 Grössen angewendet, 1*5 Mm. und 
2 Mm. lang mit je einer Kuppe (Knopf) und 2-5 Mm. lang mit 
Kuppen an beiden Enden. Ein derartiger Stift wird in das 
weiche Gipskieselgurgemisch (im Abdruck) versenkt, und zwar 
so, dass das knopfartig abgestumpfte Ende desselben bis zur 
halben Länge in der Gipsmasse verborgen ist, während die 
andere Hälfte frei herausragt. Die Spitze des Stiftchens muss 
mindestens 1 Mm. unter dem Kavitätenrand endigen. Dann 
wird der Gipskem in oben angeführter Weise modelliert und 
Porzellanmasse aufgetragen und gebrannt. Nach Beendigung 
des Schmelzprozesses und Entfernung der Gipsmasse ragt die 
mit dem knopfartigen Ende versehene Hälfte des Stiftchens frei 
in den nach Ausspülung des Gipskernes geschaffenen Hohlraum 
am Boden der Einlage. Auch mehr als ein Stiftchen können 
zur Anwendung kommen. 

Hiezu möchte ich mir folgende Bemerkungen erlauben: 
Es ist Erfahrungstatsache, dass sich die Porzellanmasse von 
der Gipsunterlage (Loch im Abdruck) beim Schmelzen zurück¬ 
zieht. Am besten kann man dies ersehen, wenn der Riss bis 
zum Kavitätenrand geht. Wird ein solcher Abdruck — ohne 
ihn beim Transport von der Kavität in die Einbettungsmasse 
zu zerren — zum Brennen verwendet, so wird der Rand der 
Einlage gerade dort, wo die Jenkiiis-Masse auf der Gipsunter¬ 
lage fliessen soll, einen äusserst mangelhaften Rand¬ 
schluss aufweisen. Dies ist auch einer der Gründe, weswegen 
ein bis zum Rande eingerissener Abdruck unbrauchbar ist. 


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Referate und Journalscbau. 


Daher ist auch ein genaues Negativ des modellierten Gipskiesel¬ 
gurkernes nicht zu erwarten. Eine genau nach Fischers An¬ 
gabe hergestellte Füllung hat diese Vermutung bestätigt. Sie 
zeigte einen allerdings scheinbar rauhen zentralen Bezirk, der 
aber unter Lupenvergrösserung sich in einzelne glasig glän¬ 
zende, halbkugelförmige Gebilde (also glatte, nicht rauhe 
Unebenheiten) auflösen Hess, die ich als Effekt der Unmöglich¬ 
keit der Jenkins - Masse, auf einem Gipskieselgurgemisch zu 
fliessen, ansprechen muss, weshalb ich auf Grund dieses Vor¬ 
versuches und der theoretischen Erwägungen Fischern 
Methode — meinerseits wenigstens — nicht empfehlenswert finde. 

Dr. Viktor Frey . 


Die „chirurgische Wurzelbehandlung“: Maxillotomie und 
Wurzelresektion. Von Dr. phil. Guido Fischer , Hannover. (Deutsche 
Monatsschrift für Zahnheilkunde, August 1906.) 

Die Ausführungen des Verfassers gipfeln in folgendem: 

Jeder wurzelkranke Zahn soll zuerst medikamentös be¬ 
handelt werden; gelingt diese Behandlung nicht oder sind be¬ 
sondere Gründe (Zeitmangel, seltene Behandlungsgelegenheit} 
vorhanden, dann tritt die chirurgische Wurzelbehandlung in 
ihre Rechte. Dieselbe teilt Verfasser ein in die 

a) Maxillotomie == Eröffnung der knöchernen Alveole im 
Bereich der erkrankten Wurzel, und in die 

b) Wurzelresektion = Abtragung der Wurzelspitze, ent¬ 
weder 

a) auf direktem Wege = Abschneiden der Wurzelspitze 
mittels einer vom Verfasser angegebenen Kreissäge, oder 

ß) auf indirektem Wege, d. h. die Wurzelspitze kann erst, 
nach Exstirpation eines Teiles des Wurzelkörpers erreicht 
werden und kann dann ohne Gefahr von Nebenverletzungen 
wichtiger Gewebskomplexe beseitigt werden (z. B. bei Resektion 
am unteren zweiten Prämolaren die aus dem Foramen mentale 
austretenden Nerven und Gefässe). 

In allen Fällen müssen pathologische Bildungen an der 
Wurzelspitze (periostale Wucherungen, Granulationen, In¬ 
krustationen usw.) gründlich entfernt werden. Die Abtragung 


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Referate nml Journalschau. 


123. 


der Wurzelspitze ist nur dann notwendig, wenn sie vom Periost 
entblösst (Nekrose), stärker gekrümmt oder der Kanal un¬ 
passierbar ist; wenn die Wurzel abnorm lang ist und durch 
die Maxillotomie nicht freigelegt wird, sondern von der Knochen¬ 
lamelle bedeckt und von Granulationen umgeben ist. Die 
Wurzelfüllung geschieht erst nach dem chirurgischen Eingriff 
und nach gründlicher Desinfektion. Tamponade der Wunde 
nach erfolgter Operation ist nicht immer erforderlich. (?) 

Die vom Verfasser angegebenen Kreissägen sind nach Art 
der Trepanbohrer gearbeitet (Rauhe, Düsseldorf); doch bieten 
die Konstruktion und die Verwendung dieser Instrumente keinen 
Vorteil gegenüber der Verwendung des gebräuchlichen chirur¬ 
gischen Meisseis, welch letzterer leichter sterilisierbar ist und 
auch ein reinlicheres und übersichtlicheres Arbeiten gestattet. 
Merkwürdig klingt es, wenn der Verfasser nach vollendeter 
Operation den Zahnfleischlappen über die Knochen wunde legt 
(ohne Tamponade!) und das Ganze dem normalen Heilungs¬ 
prozess überlässt. 

Im übrigen sei auf Prof. Dr. Mayrhofers Artikel im 
August- und Septemberheft (1906) der „Oesterr. Zeitschrift für 
Stomatologie“ verwiesen. Dr. Viktor Frey . 


lieber die Karzinome der Mundschleimhaut. (Aus dem 
Konvent-Hospital der Barmherzigen Brüder zu Breslau [Prof. 
Dr. C. Part sch]). Inaugural-Dissertation von Franz Thomas , 
praktischer Arzt. 

Aetiologisches: Die Leukoplakia oris, welche durch 
Alkohol- und Tabakmissbrauch, kariöse und schlecht in der 
Alveole sitzende Zähne, ferner durch Gicht, Magenkrankheiten 
und Lues entstehen kann, gibt ein prädisponierendes Moment 
zur Bildung eines Mundhöhlenkarzinomes ab. Verfasser bringt 
eine Statistik von 14 Fällen (7 Mundbodenkarzinome und 
7 Wangenschleimhautkarzinome). In 50 Prozent der Fälle 
werden wjöisse Plaques neben dem Karzinom gefunden und 
konnte in 3 Fällen direkt die Entstehung des Karzinoms auf 
Grundlage dieser Plaques beobachtet werden. Andere chroni- 


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124 


Referate und Journalscbau. 


sehe Reizzustände: in 2 Fällen konnte je 1 kariöser Backen¬ 
zahn beschuldigt werden. Klinisch ist zwischen beiden Arten 
kein Unterschied. 

Symptome und Verlauf: Zuerst bildet sich ein 
kleines, derbes Knötchen, welches bald oberflächlich exulzeriert 
und meist vom Patienten als etwas Harmloses angesehen wird, 
so dass leider oft sehr spät ein Arzt zu Rate gezogen wird. 
Die Ulzeration schreitet rasch weiter. Es treten übelriechender 
Ausfluss aus dem Munde, ziehende Schmerzen vom Geschwür 
zum Ohr der erkrankten Seite und Kieferklemme auf. 

Beim Uebergreifen auf den Alveolarfortsatz kommt es 
zur Lockerung der Zähne, ln vorgeschrittenen Stadien werden 
die Patienten durch kolossale Speichelabsonderung und übel¬ 
riechenden jauchigen Ausfluss gequält. Die nicht operierten 
Patienten gehen entweder an Inanition oder Schluckpneu- 
rnonie zugrunde. 

Das Alter betreffend kamen zur Beobachtung Patienten 
zwischen 40 und 50 Jahren 1 mal 
50 „ 60 „ 5 „ 

» 60 „ 70 „ 7 „ 

* 70 „ 80 n ln 

Männer : Frauen = 5:1. 

% Metastasen setzen diese Karzinome in entfernteren Organen 
in der Regel nicht, sondern es werden nur die regionären 
Lymphdrüsen ergriffen (submaxillare, submentale und jugulare 
Lymphdrüsen). Als signum mali ominis ist die frühzeitige, 
doppelseitige Drüsenschwellung zu betrachten. 

Differentialdiagnose: Karzinom ergibt sich aus 
den obgenannten Symptomen. Zu beachten ist die harte Kon¬ 
sistenz, der stete Ausgang von der Schleimhaut und die rasche 
Exulzeration. 

Lues: Der Knoten entwickelt sich in der Muskulatur, 
■durch Perforation entsteht ein trichterförmiges Geschwür mit 
speckigem Belag und unterminierten Rändern- Der Verlauf ist 
schmerzlos. Die Diagnose kann ex juvantibus (Jodkali) ge¬ 
stützt werden. 


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Referate und Journalschau. 


125 


Tuberkulose: Sehr schmerzhafte und flache Geschwüre. 

Die mikroskopische Untersuchung eines zur Probe ex- 
zidierten Stückchens entscheidet. Unter Umständen könnte 
Aktinomykose Anlass zur Verwechslung geben. 

Therapie: Alles Aetzen und Abkratzen ist zu vermeiden, 
da mechanisch irritierte Krebse Neigung zu rapidem Wachs¬ 
tum zeigen. Möglichst rasche Operation ist dringend geboten. 
Dieselbe muss weit im gesunden Gewebe vorgenommen und 
alle regionären Lymphdrüsen und in der Regio submaxillares 
die Glandula submaxillaris salivalis müssen entfernt werden. 
Bei Resektionen eines Teiles des Unterkiefers wird der Defekt 
durch eine Immediatprothese aus Aluminiumbronze (sogenannte 
Hausmannsche Schiene') ersetzt. Schlägt dieser Versuch fehl, 
so muss man nach abgelaufenem Heilungsprozess der Deviation 
der infolge Muskel- und Narbenzuges verlagerten Kieferstümpfe 
durch die Sauer sehe schiefe Ebene zu begegnen trachten. 
Post operationem ist zu befürchten: Tod an Schluckpneumonie, 
Nachblutung und Zungenretraktion. (Letztere wird dadurch 
vermieden, dass man den Zungenrest an die Schleimhaut des 
Unterkiefers, der Wange oder der Lippe annäht.) 

Ernährung durch die Schlundsonde, welche durch die 
Nase eingeführt wird, ist nötig. 

Prognostisches: Von den 14 beobachteten Fällen 
kommen 2 nicht in Betracht, weil über deren weiteren Ver¬ 
lauf nichts mehr in Erfahrung gebracht werden konnte. Von 
den übrigen 12 Fällen sind 7 Patienten an Rezidiven gestorben 
und 5 (mehrere nach einigen Rezidivoperationen) dauernd ge¬ 
heilt worden (41-66 Prozent Dauerheilungen). Die Prognose ist 
also im allgemeinen ungünstig. 


i Im Lehrbuche der zahnärztlichen Technik von Jung, II. Auflage, 
p. 285 und 286, heisst es aber ausdrücklich: „Wir verdanken die Idee der 
Immediatschiene in dieser Form Part sch und nicht, wie vielfach an¬ 
genommen wird, Hausmann. Letzterer verwendete durcblochte Alumininm- 
bronzeschienen für die Verbindung bei komplizierten Brüchen der Extremi¬ 
tätenknochen; der Gedanke jedoch, sie zweckmässig znm Ersatz von rese¬ 
zierten Teilen zu benützen, ist das geistige Eigentum von Part sch“. 


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126 


Referate und Jounialsclian. 


Als prophylaktische Massregel käme in Betracht die Ver¬ 
meidung jener chronischen Reizzustände, welche erfahrungs- 
gemäss zur Karzinomentwicklung Anlass geben können, wie 
übermässiges Rauchen, Schnapstrinken und schlechte Zahn¬ 
pflege. Dr. Viktor Frey. 

Methoden, um Zähne mit Goldinlays zu füllen. (Methods 
of filling Teeth with Gold Inlays.) Von P. Hinman, 
Atlanta. (Items of Interest, Jänner 1906.) 

Nach Aufzählung der mannigfachen Vorteile, welche die 
Inlays vor den Goldfüllungen haben, wie der Ausfall der langen 
Sitzungen, die Unmöglichkeit des Abblätterns der Füllung, die 
leichtere Herstellung der Kontur, die Möglichkeit des Wieder¬ 
einsetzens bei eventuellem Misserfolg, betont Autor die Selten¬ 
heit einer sekundären Karies bei Inlays und glaubt die Ursache 
darin zu erblicken, weil man gezwungen ist, die Ränder der 
Kavität nach buccal und lingual auszudehnen. 

Es folgt nun eine ausführliche Beschreibung des Vorganges, 
der Kavitätpräparation, des Abdrucknehmens und Schmelzen 
des Inlays. Hauptgewicht legt Autor auf die breite Verankerung 
in der Kaufläche. Dr. Opph. 


Das Legen von Goldfflllungen in unmittelbarer Nähe lebender 
Pulpa und die Einlage eines neuen Nichtleiters, der gleichzeitig 
als Haftmittel dient. (ConcerningthePlacementofGold 
inCloseProximityoftheLivingPulp, and theNew 
Gold Anchor Intermediary.) Von Larnhe , Trenton. 
(Items of Interest, November 1905.) 

Das Mittel, das Autor seit einigen Jahren mit angeblich 
bestem Erfolg verwendet, stellt einen Ersatz für Zement dar 
und sollen seine Vorzüge vor dem Zement hauptsächlich darauf 
beruhen, dass es ein besserer Nichtleiter ist, dass es antiseptische 
Wirkung ausübt, dass es keine Säure enthält und somit jeder 
Reiz auf die Pulpa ausgeschlossen ist; das Mittel, dem Autor 
den Namen „Gold Anchor Intermediary“ beilegt, besteht aus 


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Referate und Journalschau. 


127 


Thymol, Damarlack, Bariumsulfat und Nelkenöl und reteniert 
infolge seiner starken Klebekraft sehr gut die ersten in die 
Kavität gebrachten Zylinder. Dr. Opph. 

Die zweite Dentition vom Standpunkte der Medizin. (The 
secondDentition; i ts medical aspects.) Von Armstrong, 
(Dental Record, August 1905.) 

Die zweite Dentition ist nicht nur für den Zahnarzt von 
Interesse, sondern steht mit fast allen Spezialgebieten der 
Medizin in näherem oder fernerem Zusammenhang. Unter den 
Allgemeinerkrankungen, welche die Ursache für eine fehlerhafte 
Dentition abgeben, ist vor allem die Rhachitis zu nennen; der 
verspätete Durchbruch der Milch- wie der bleibenden Zähne 
ist eine allgemein bekannte Tatsache. Die Zähne selbst zeigen 
fehlerhafte Entwicklung des Schmelzes und werden sehr rasch 
kariös. Das zuweilen vorkommende übermässige Wachstum 
der Kiefer, sowie das Fehlen einzelner Zahnkategorien über¬ 
haupt und die dadurch bedingten Irregularitäten der Zahnstellung 
sind in den meisten Fällen Folgeerscheinungen der Rhachitis. 

Beim Kretinismus macht sich dieser verspätete Durchbruch 
noch auffallender bemerkbar und zitiert Autor den Fall eines 
9 jährigen Mädchens, das vor der Behandlung noch keinen Zahn 
des bleibenden Gebisses hatte. 

Hereditäre Syphilis soll den Durchbruch der Milchzähne 
beschleunigen; die bleibenden Zähne zeigen charakteristische 
Veränderungen, die als Hu tch in so n sehe Zähne wohl bekannt 
sind. Während jedoch eine Anzahl Autoren diese charakteristi¬ 
schen Veränderungen als Folgeerscheinung einer syphilischen 
Alveolarperiostitis auffasst, andere wieder sie dem Gebrauche 
von Quecksilber zuschreiben, will Henoch, der bedeutendste 
deutsche Pädiater, dieselben als durch Rhachitis bedingt auf¬ 
gefasst wissen. 

Akute Erkrankungen, wie Exantheme, Pneumonie und noch 
mehr chronische Störungen des Magendarmtraktes während der 
ersten zwei Jahre, in denen der Verkalkungsprozess an den 
Schneide- und Eckzähnen sowie an den ersten Molaren vor 
sich geht, lassen dauernde Schädigungen in dem Schmelz dieser 


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128 


Referate und Joumalschau. 


Zähne zurück. Der Keim dieser Zähne kann sogar derartige 
trophische Störungen erlitten haben, dass er ganz zugrunde geht. 

Unter den lokalen Ursachen für eine fehlerhafte Dentition 
sind in erster Reihe die adenoiden Wucherungen zu nennen; 
das durch dieselben bedingte Mundatmen ruft die charakteristi¬ 
schen Veränderungen des Gaumens und die dadurch bedingten 
Stellungsanomalien der Zähne hervor; doch sind diese Ver¬ 
änderungen auch zuweilen ohne adenoide Wucherungen anzu- 
treflfen. Autor möchte diese Veränderungen nicht so sehr der 
lokalen Beeinflussung durch die Adenoide, sondern einer all¬ 
gemeinen lymphatischen Diathese zuschreiben, welche für beide 
Veränderungen verantwortlich zu machen ist. 

Sichere, aber leicht zu verhütende lokale Ursachen sind 
das Daumen- und Lippensaugen, welche beide üblen Gewohn¬ 
heiten charakteristische Veränderungen verursachen. 

Alveolarabszesse der Milchzähne und vorzeitige Extraktion 
derselben fuhren zu Unregelmässigkeiten, indem im ersteren 
Falle der Follikel des bleibenden Zahnes alteriert wird und 
häufig hypoplastische Entwicklung des Schmelzes aufweist, in 
letzterem eine Vorschiebung des 6jährigen Molaren und Raum- 
behinderung für den zweiten Bicuspis statthat. Fehlerhafte 
Dentition kann zuweilen die Ursache für lokale und Allgemein¬ 
erkrankungen abgeben. Die leicht gestörte Nachtruhe und ein 
wenig gesteigerte Temperatur sowie vermehrte Salivation und 
lokale Schmerzhaftigkeit können leicht übersehen und vernach¬ 
lässigt werden. Zurückgebliebene Reste der Milchzähne können 
durch Verletzung der Weichteile Geschwüre, weiter sich aus¬ 
breitende Infektionen sowie Schwellung und Vereiterung der 
benachbarten Lymphdrüsen verursachen. 

Deletären Einfluss kann die Dentition bei bestehenden Neu¬ 
rosen ausüben. Durch den Durchbruch der Zähne kann eine 
bis dahin latent gebliebene Epilepsie zum Ausbruche kommen, 
eine bestehende eine schwere Verschlimmerung erfahren. 
Hysterische Affektionen sowie Chorea können ebenfalls eine 
Aggravation erleiden, und zufällig bestehende fieberhafte Er¬ 
krankungen können einen in allen Symptomen schwereren 
Verlauf nehmen. Dr. Opph. 


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Dr. Geo. Forssman *J*. 


129 


Dr. Geo. Fomman f. 

In Stockholm starb am 16. Jänner d. J. einer der hervor¬ 
ragendsten und tüchtigsten Zahnärzte Schwedens. Im Jahre 1858 
inVeljö geboren, legte er 1882 sein Examen als Zahnarzt ab. 
In demselben Jahre reiste er nach Amerika und studierte in 
Philadelphia, wo, er zum Doctor of Dental Surgery promoviert 
wurde. 

Im Philadelphia Dental College halte ich das Glück, seine, 
Freundschaft zu erwerben, die er mir bis in die letzten Tage 
bewahrte. Er war in Philadelphia einer der best Vorbereiteten 
und es war vorauszusehen, dass er bei seinem Talent, seinem, 
Fleiss und seinen edlen Charaktereigenschaften sich in seiner 
Heimat rasch eine bedeutende Stellung erwerben würde. In, 
der Tat erfreute sich Forssman in Stockholm einer, um¬ 
fassenden und erstklassigen Praxis — noch im letzten Herbst 
wurde er zum König berufen. 

Als Mitglied der schwedischen zahnärztlichen Gesellschaft 
(1884) widmete er sich mit grossem Eifer der Förderung ihrer 
Ziele. Seiner Initiative verdankt die Gesellschaft ihr eigenes* 
Haus. Als ich im September 1897, vom Internationalen Kon¬ 
gress in Moskau zurückkehrend, die Jahresversammlung der 
Gesellschaft schwedischer Zahnärzte in Stockholm besuchte, 
konnte ich über sie in der „Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift 
fär Zahnheilkunde tf folgendes berichten: „Die Gesellschaft be¬ 
steht aus über 100 Mitgliedern, hat ein reizendes Heim mit 
reicher Bibliothek, einer wahren Schatzkammer von Präparaten, 
Zahnanomalien, historischen Instrumenten etc. Das Vereins¬ 
lokal ist so gross, dass kameradschaftliche Festlichkeiten zeit¬ 
weise darin abgehalten werden. Ich Tand den kollegialen Geist, 
der unter den schwedischen Kollegen herrscht, wirklich be¬ 
neidenswert. 

Meines Wissen^ dürfte die Gesellschaft schwedischer Zahn T 
ärzte wohl die einzige sein, die, alle Kollegen des Landes zu-, 
sammenfassend, in gleicher Weise wissenschaftliches Streben 
und kameradschaftliches Wesen zu fördern in der Lage ist.“ 

9 


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180 


Varia. 


Forssman ist mehrere Jahre Vorstand dtr Gesellschaft 
gewesen; unter anderen Vertrauensstellungen, die er einnahm, 
war er 1901 bis 1903 Mitglied der Examenkommission an dem 
zahnärztlichen Institut in Stockholm. 

Gelegentlich einer Erholungsreise in Italien besuchte 
Forssman am 21. März 1906 die konstituierende Versammlung 
der Associazione stomatologica Triestina, wo er im Fluge die 
Sympathien der Mitglieder gewann. Er war schon damals in¬ 
folge eines in Venedig zugezogenen Diätfehlers unwohl und auf 
der Rückreise in Wien zeigte es sich, dass er einen Typhus er¬ 
worben hatte. Freund Weiser betreute ihn auf das freund¬ 
schaftlichste. Aus Sehnsucht zur Familie und Heimat trat 
Forssman trotzdem die Rückreise an, wo er langsam genas. 

Um so erschütternder traf die Todesanzeige seine Freunde 
und Kollegen. Er scheint an einer Typhusrezidive gestorben 
zu sein, die ihn in wenigen Tagen dahinraffte. 

Seine Bestattung gestaltete sich zu einer grossartigen 
Kundgebung der ihm gezollten Wertschätzung. Vier Blumen¬ 
wagen folgten seinem Sarge. Telegramme trafen von Freunden 
und Kollegen der ganzen Welt ein. Um ihn trauern die Braut, 
mit der er sich erst kürzlich verlobte, zwei Schwestern und 
eine Pflegetochter. Die Associazione stomatologica Triestina 
drückte in der Jännersitzung ihre tiefste Teilnahme aus. 

Dr. Ferdinand Tänzer , Triest. 


Varia. 


BRÜSSEL Ehrenmitgliedschaft Die „Societe beige de 
Stomatologie“ hat auf Antrag der DDr. H. Allayes und 
Oswald Rubbrecht in ihrer Sitzung vom 20. Jänner d. J. 
Prof. Dr. Josef v. Arkövy in Budapest in „Anerkennung des 
hohen Wertes seiner wissenschaftlichen Arbeiten“ einstimmig 
zum Ehrenmitglied gewählt. —.— 


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XXIII. Jahrgang. 


April 1907. 


Heft II. 


Oesterreiohisoh-ungarische 

Yierteljahrssclirift für ZabDheilkande. 

Herausgegeben von 

JULIUS WEISS, Wien, I. Petersplatz 7 

unter ständiger Mitwirkung der Herren: 

Prof. Dr. J. Arkövy, Budapest — Dr. S. Bauer, Budapest — Prof. Dr. A. Bieichsteiner, Graz — 
Prot Dr. H. Bönnecken, Prag — Dr.W. Bruck, Breslau — Dr.R. Bum, Wien — Doz. Dr.L.Hattyasy, 
Budapest — Prof. Dr. C. Jung, Berlin - Dr. T. Kaas, Krems — Dr. M. Karolyi, Wien - Dr. R. 
Kronfeld, Wien — Doz. Dr. R. Loos« Wien — Dr. J. Mädzsar, Budapest — Prof. Dr. B. Mayr¬ 
hofer, Innebruck — Prof. Dr. W. D. Miller, Berlin — Dr. G. Preis werk, Basel — Prof. Dr. G. Port, 
Heidelberg — Doz. Dr. C. Röse, Dresden — Doz. Dr. A. Rothmann, Budapest — Prof. Dr. 
W. Sachs, Berlin — Prof. Dr. J. Schelf, Wien — Dr. F. Schenk, Wien — Dr. E. Smreker, Wien 

— Dr. B. Spitzer, Wien — Doz. Dr. J. Szabö, Budapest — Dr. F. Tänzer, Triest — 
Dr. F. Trauner, Wien — Doz. Dr. W. Vajna, Budapest — Prof. Dr. 0. Walkhoff, München 

— Dr. W. Wallisch, Wien — Doz. Dr. R. Weiser, Wien — Doz. Dr. G. v. Wunschheim, Wien. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Zur Frais der Grannenobtaratoren . 1 

Von Privatdozenten Dr. G. v. Wunschheim , Vorstand der zahn¬ 
ärztlichen Abteilung der Allgemeinen Poliklinik in Wien. 

Am 16. November 1906 suchte der 21 Jahre alte Hoch¬ 
schüler v. H. unsere Abteilung auf, um sich einen Obturator 
anfertigen zu lassen. Patient zeigte eine angeborene Urano- 
schisis, die das Velum und etwa 1 Cm. des harten Gaumens 
umfasste (siehe Fig. 1), nie operiert worden war und die Sprache 
sehr ungünstig beeinflusste. Die an und für sich leise Sprache 
des einen apathischen Eindruck machenden Patienten war nur 
schwer verständlich und stark nasal. Beim Phonieren wölbte 
sich der durch den sehr breiten Spalt des Velums, der von 
letzterem nur einen schmalen Saum zu beiden Seiten übrig 
liess, gut sichtbare Passavantsche Wulst an der hinteren 
Pharynxwand sehr kräftig hervor. 

Die Zahnreihe des Patienten war mit Ausnahme der noch 
nicht erschienenen Weisheitszähne und der verloren gegangenen 

1 Vorgetragen in der Sitzung des Vereines österreichischer Zahnärzte 
vom 10. April 1907. 

1 


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142 


Doz. Dr. G. v. Wunschheim, Wien. 


61 56 komplett und streng geschlossen. Sie zeigte sehr ungünstige 
Artikulationsverhältnisse, insofern nur ß mit J7 7 ] und 7| und ]§ 
mit |4 in Berührung kamen, während alle anderen Zähne ausser 
Artikulation standen. 

Um für die Klammern der Platte des Obturators Platz 
zu schaffen, wurden die ihre Gegenzähne ohnedies nicht be¬ 
rührenden zweiten oberen Prämolaren entfernt und hierauf 
der mit einer sehr grossen Amalgamfüllung versehene lebende, 
linke obere erste Mahlzahn mit einer Vollkrone versehen (Fig. 2). 
Daran schloss sich die Anfertigung einer Gaumenplatte aus 



Fig. i. 

schwarzem Kautschuk mit vier breiten Goldklammern, die den 
harten Gaumen nicht ganz bis zur vorderen Grenze des Defektes 
bedeckte und an ihrem hinteren Rande ein kleines Kästchen 
aus Gold einvulkanisiert hatte, in welchem der Schieber der 
Spiralfeder des anzufertigenden Schiltskyschen Obturators durch 
eine Schraube fixiert werden konnte. 

Nun wurde zur Herstellung des Klosses, der in üblicher 
Weise zunächst aus weicher Guttapercha hergestellt wurde, ge¬ 
schritten. Dabei ging Herr Dr. v. An der Lan, Assistent der 
Abteilung, so vor, dass er an der Platte hintereinander zwei 
Ringe provisorisch befestigte, die einem Drahte als Führung 
dienten. Letzterer trug an seinem rückwärtigen Ende eine un- 


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Zur Frage der Gaumenobturatoren. 


143 


gefähr der Breite der hinteren Rachenwand entsprechend 
grosse Platte aus Guttapercha. Der Draht wurde nun bis zur 
Berührung der hinteren Rachenwand eingeführt und so gebogen, 
dass der untere Rand der Guttaperchaplatte auf den Passa- 
vantschen Wulst zu stehen kam. Hierauf musste Patient 
phonieren, wodurch der sich kontrahierende M. constrictor 
pharyngis superior die Platte nach vorne schob, was am 
stärksten beim Aussprechen des Vokales a geschah. Diese 
Stelle wurde am Drahte markiert und auf gleiche Weise auch 
die anderen Dimensionen des Klosses bestimmt. 

Am 14. Dezember vorigen Jahres wurde der provisorische 
Obturator, dessen Kloss infolge der Ausdehnung des Velum- 



Fig. 2. 


defektes eine ganz ungewöhnliche Grösse hatte, eingesetzt und 
zur Freude des Patienten sofort eine ganz auffallende Besserung 
der Sprache erzielt. Der nasale Klang war fast völlig ver¬ 
schwunden und die Lautbildung bis auf einzelne Konsonanten, 
die noch etwas mühsam herausgebracht wurden, tadellos. 
Ebenso ging Schlucken und Trinken ganz normal und machte 
der Obturator dem Patienten überhaupt keinerlei Beschwerden. 
Letzterer wurde nun Herrn Dr. Rauch, Assistenten an der 
otriatischen Abteilung des Herrn Prof. Urbantschitsch, 
behufs methodischer Sprachübungen überwiesen. Ende Februar 
erschien der Patient, der sich unterdessen auch zu Hause auf¬ 
gehalten hatte, wieder. Er machte einen viel frischeren, leb- 

i* 


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144 


Doz. Dr. G. y. Wunschheim, Wieu. 


hafteren Eindruck als vorher, sein früher apathisches Benehmen 
war verschwunden. Seine Sprache hatte sich noch mehr ge- 



Fig. 3. 


bessert, so dass ein nicht sehr aufmerksamer Beobachter nichts 
Abnormes mehr hätte bemerken können. 

Es wurde daher nun zum Ersätze des Guttaperchaklosses 
durch einen definitiven geschritten. Zunächst bekam Patient 



Fig. 4. 


einen solchen aus weichbleibendem Kautschuk, der drei Wochen 
später durch einen solchen aus Silber ersetzt wurde (Fig. 3 
und 4). 


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Zur Frage der Gaumeuobturatoren. 


145 


Der definitive Kloss ist aus dünnem Feinsilberblech ge¬ 
arbeitet, hohl und nicht schwerer als der Guttaperchakloss. 
Die denselben tragende Spiralfeder durchsetzt den Hohlkörper 
von vorne # nach rückwärts, woselbst sie mit einer Schraube 
abnehmbar fixiert ist. Um bei einem eventuellen Bruche der 
Spiralfeder ein Hinabgleiten des Klosses in den Oesophagus 
zu verhindern, ist im Innern der Spiralfeder nach dem Vor¬ 
gänge Schiltskys ein goldenes Kettchen durchgezogen und 
an seinen Enden verlötet. 

Zur Ausführung des Klosses in Silber hatte ich mich 
deswegen entschlossen, weil der sonst allgemein übliche, weich¬ 
bleibende Kautschuk sich unter dem Einflüsse der Schleimhaut¬ 
sekrete bald zersetzt, übelriechend wird und die Schleimhäute 
reizt. Dementgegen bleiben die Flächen des Feinsilberklosses 
immer blank, es setzt sich kein Schleim an ihnen fest und 
wohl vermöge der antiseptischen Eigenschaften des Silbers 
wird die Mucosa in keiner Weise irritiert. 

Noch hätte ich zu erwähnen, dass die ungewöhnliche 
Grösse des Klosses durch den bedeutenden Umfang des Gaumen¬ 
defektes bedingt war. Mehrfache Versuche, den Guttaperchakloss 
während der Probezeit zu verkleinern, schlugen fehl, insofern 
die Sprache sofort wieder undeutlich wurde. 

Zum Schlüsse danke ich den Herren Dr. v. An der Lan, 
Dr. Rauch und Doz. Dr. Weiser, in dessen Atelier die 
schwierige Anfertigung des Metallklosses in künstlerischer Weise 
durchgeführt wurde, bestens für ihre freundliche Unterstützung. 


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146 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Stadien übsr die pattoltisclit Aialonie ul Therapie 1er 



Von Dr. Josef Lartschneider, gewesener Assistent am k. k. ana¬ 
tomischen Institute in Wien und gewesener Operateur an der 
ersten chirurgischen Klinik in Wien, Zahnarzt in Linz a. d. Donau. 

Ein Jahr ist verflossen, seitdem ich meinen ersten Auf¬ 
satz' über die Bukleysche Behandlung der Pulpagangrän 
(Trikresol-Formalinbehandlung) veröffentlicht habe, nicht ohne 
dass ich dabei ganz frei von Besorgnissen gewesen wäre, so 
unerhört schienen mir und scheinen mir auch heute noch 
manchmal die Erfolge dieser Behandlungsmethode. Allein bald 
nachher, drei Monate später, konnte ich in den dankens*- 
werten Ausführungen 0. Eschers,* deren Studium ich jedem 
Kollegen empfehlen möchte, eine Bestätigung meiner Angaben 
finden. Zahlreich sind die zustimmenden Aeusserungen, die 
mir seither zugekommen sind und in neuester Zeit ist eine 
ganze Literatur über die Trikresol-Formalinbehandlung ent¬ 
standen. 

Trotz allem konnte mir nicht entgehen, dass ein beträcht¬ 
liches Heer von Zweiflern von vornherein, sozusagen prinzipiell 
abseits stand, ja, als ich im November 1906 über Einladung 
im Verein der Wiener Zahnärzte einige Worte über dieses 
Thema gesprochen habe, klang sogar etwas wie ein Vorwurf 
aus den Entgegnungen einiger Herren Kollegen, als hätte ich 


' Dr. J. Lartschneider, Linz: Behandlung der Pulpagangrän mit 
Trikresol-Formalin. Oesterr. -Ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 
1906, Heft II. 

’ 0. Escher, Hofzahnarzt, Rudolstadt: Behandlung der Pulpagangrän. 
Deutsche zahnärztliche Wochenschrift, 30. Juni 1906. 


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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 147 

-da ein Allheilmittel empfohlen oder als hätte ich jemals be¬ 
hauptet, durch die Anwendung dieses Medikamentes sei man 
jeglicher' Rücksichtnahme auf Sauberkeit und Aseptik ent¬ 
bunden ! „Dieses Verfahren“, sagte ein Wiener Kollege, „erinnert 
mich an einen Chirurgen, der darauf ausgeht, ein Mittel zu 
erfinden, das, auf die Hände gebracht, ihn der Mühe des 
Händewaschens enthebt“. Alle Einwendungen, die bezeichnender¬ 
weise durchwegs ohne eigene persönliche Erfahrung, lediglich 
auf theoretische Erwägungen hin gemacht wurden, haben mich 
nicht im geringsten überrascht, sind wir ja gerade bezüglich 
Wurzelbehandlungsmethoden so und so oft schon schmerzlich 
enttäuscht worden. 

Die Erfolge der Trikresol - Formalinbehandlung können 
kaum mehr angezweifelt werden. Allein über die Technik ihrer 
Ausführung und über ihre Indikationen ist man auch heute noch 
im unklaren. Das Empfinden Sehreiers (Brünn), 1 dass auch 
meine bisherigen Ausführungen noch manche wichtige Frage 
offen lassen, kann ich nur gerechtfertigt finden. Lediglich aus 
taktischen Gründen habe ich mich bisher in dieser Frage eines 
doktrinären Auftretens enthalten und mich auf vielleicht er¬ 
müdende kasuistische Mitteilungen beschränkt, welche einfach 
und schlicht meine Erfahrungen vorführen und zu Versuchen 
aufmuntem sollten. Wer aber in den Arbeiten Dr. Bukleys 
Näheres über diese Behandlungsmethode zu erfahren sucht, der 
wird erst recht enttäuscht sein. Dr. Bukley fertigt in seinem 
ersten Aufsatz 2 nach den Ausführungen über die Chemie der Pulpa¬ 
gangrän die Behandlung der Pulpagangrän mit folgenden 
Worten ab: „Ein kleines, in die (Trikresol-Formalin-) 
Lösung getauchtes Wattebäuschchen wird in die 
Zahnhöhle eingeführt und diese dann durch 24 bis 
48 Stunden verschlossen. Zwei- oder dreimalige, 
manchmal auch einmalige Behandlung genügt“. 


1 Dr. Philipp Schreier, Brünn: Zar Behandlung der Pnlpagangrän 
mit Trikresol-Formalin. Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 
1907, Heft I. 

2 A rational treatement for putrescent Pulps. Dental Review, 
Dezember 1904. 


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148 


Dr. Josef Lartschueider, Linz a. d. Donau. 


Dies ist das Ganze, was uns Bukley über seine „Be¬ 
handlungsmethode“ angegeben hat. So und nicht anders 
stand die Sache, als ich im November 1905 mit meinen Ver¬ 
suchen begann. 

Die vielfach verbreitete Ansicht, dass die Angaben 
Dr. Bukleys von seinen Landsleuten nicht beachtet worden 
sind, ist ganz irrig und wäre bei dem Interesse, welches die 
amerikanischen Kollegen allen Neuerungen in unserem Fache 
entgegenbringen, ganz unverständlich. Schon im November- 
Cosmos 1905' ergreift Bukley wieder das Wort. Diesmal 
behandelt er den Vorgang bei der Verfärbung toter Zähne, 
sucht die Chemie dieses Prozesses zu ergründen und kommt 
zu dem Schlüsse, dass durch eine Behandlung mit .No-Super¬ 
oxyd und Schwefelsäure diesem Uebelstand am besten vorgebeugt, 
respektive abgeholfen werden kann. Im Mai-Cosmos 1906* 
bespricht Bukley wieder die rationelle Behandlung der 
Pulpagangrän. Er stellt jetzt die Forderung auf, in jedem 
Falle Kofferdam anzulegen, den betreffenden Zahn zuerst mit 
10 Prozent Formalinlösung oder mit Sublimatlösung 1:500 
zu waschen, mit Alkohol auszuschwemmen und dann Trikresol- 
Formalin ää partes unter Fletcherverschluss in die Pulpa¬ 
kammer einzulegen. In der zweiten Sitzung soll das Trikresol- 
Formalin mit in Wasserstoffsuperoxyd, im Verhältnis von 
1:500, gelöstem Sublimat sauber ausgewaschen werden, um 
dann das Trikresol-Formalin, jetzt im Verhältnisse von 2: 1, 
in die Wurzelkanäle einzuführen. Diese Einlage soll drei bis 
vier Tage verbleiben und erst nach Ablauf dieser Zeit wäre 
anzunehmen, dass wir Asepsis erzielt hätten. Üeber den weiteren 
Verlauf der Behandlung bis zur definitiven Füllung des Zahnes 
spricht sich Bukley wieder nicht näher aus. Wenn lebende 
Pulpareste im Wurzelkanal vorhanden sind, wäre es absolut 


1 The Chemistry of Pulp-Decomposition with deference to the dis- 
coloration Problem; and a rational Method of treating these conditions. 
Cosmos, November 1905, Seite 1302. 

2 The rational treatement of putrescent pulpes and theyr sequelae. 
Cosmos, Mai 1906, Seite 587. 


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Stadien Über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 149 

unstatthaft, Trikresol-Formalin zu verwenden. Einen Grund 
für diese auffallende Einschränkung gibt Bukley nicht an. 

Einen eigenen Absatz widmet er später den Alveolar¬ 
abszessen, bei welchen nach Bukley die Anwendung von 
Trikresol-Formalin ebenfalls kontraindiziert ist. 

Nach Entleerung des Eiters soll in solchen Fällen Sublimat¬ 
lösung, Eukalyptusöl, Thymol in Verwendung kommen. Bukley 
restringiert und modifiziert seine Behandlungsmethode im Ver¬ 
laufe seiner weiteren Publikationen derart, dass man sich kaum 
mehr zurechtfinden kann. 

Im Mai-Cosmos 1906, Seite 574 bis 587, werden die 
Gangränbehandlung Bukleys und seine chemischen Deduk¬ 
tionen einer lebhaften Diskussion unterzogen. Bei aller An¬ 
erkennung, die Bukley für seine diesbezüglichen Anregungen 
zuteil werden, ist man vielfach über seine Ausführungen un¬ 
befriedigt. Die Worte A. W. Harlans, Boston: „That is, 
what I call a polypharmacy“ geben dem Unbehagen der 
amerikanischen Kollegen beredten Ausdruck. Dasselbe ist aller¬ 
dings angesichts des grossen Apparates, den Bukley zur 
Behandlung der Pulpagangrän mittlerweile aufgeboten hat, nur 
allzu begreiflich. Die allerneuesten Nachrichten aus Amerika 
zeigen uns zur Evidenz, dass dort die Trikresol* Formalin¬ 
behandlung auch heute noch nicht über das Stadium der 
Diskussion hinausgelangen konnte. 

Das Sekretariat der Dental Society of the state of New- 
York hat im Oktober 1905 an alle Mitglieder ein Zirkular 
versendet, in welchem zu Versuchen mit dem Trikresol-For¬ 
malin bei Gangrän der Pulpa aufgefordert wurde. Dabei wurde 
folgende Direktive ausgegeben (wörtliche Uebersetzung): 

„Bei der Behandlung gangränöser Pulpen sind folgende 
drei Faktoren in Betracht zu ziehen: 

1. muss Aseptik erzielt werden; 

2. muss der Wiederkehr der Sepsis vorgebeugt werden; 

3. muss die Farbe des Zahnes erhalten oder, sollte der 
Zahn bereits verfärbt sein, seine natürliche Farbe wieder er¬ 
zielt werden. 


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150 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


Zur Erzielung der Aseptik sollen wir Mittel auswählen 
und gebrauchen, welche die Endprodukte (infektiösen Stoffe) 
mit den geringsten Mühen, für die Patienten sowohl als für 
uns selber, auf chemischem Wege unschädlich matfhen können. 
Dies kann erreicht werden, indem man den Zahn nach An¬ 
legung des Rubberdam sterilisiert und dann mit einem grossen 
Rundbohrer die Detritusmassen aus der Pulpakammer mecha¬ 
nisch entfernt, ohne jedoch einen Versuch zu machen, den 
Inhalt der Wurzelkanäle zu entfernen. Und nun verschliesst 
man die Pulpakammer, nachdem man ein Wattebäuschchen, 
getränkt mit Trikresol-Formalin ää partes, in dieselbe gelegt 
hat. Ich ziehe vor, mit einem schnellhärtenden Zement zu 
verschliessen, indem ich dann sicher bin, dass das Medikament 
luftdicht eingeschlossen ist und nicht ausgewaschen werden 
kann. Dies kann so bleiben, je nachdem man den Patienten 
für eine nächste Sitzung bestellen kann. Die Einlage kann 
ausgewechselt werden, entweder am nächsten Tage oder sie 
kann eine Woche und noch länger liegen bleiben. In der 
zweiten Sitzung kann die Einlage nach Anlegung von Koflferdam 
wieder entfernt werden, die Wurzelkanäle werden auf das 
peinlichste gereinigt und mit Alkohol gewaschen und nachher 
kann das Medikament auf Baumwolle in jeden Wurzelkanal 
ein geführt werden. Die Kavität wird dann wieder hermetisch 
verschlossen. Es empfiehlt sich, die Einlage wieder drei oder 
vier Tage liegen zu lassen. Nach dieser Zeit werden die Dentin¬ 
röhrchen sterilisiert sein und es ist so Asepsis erreicht worden. 
Alles dies ist notwendig, um eine Wiederkehr der Sepsis in 
den definitiv gefüllten Wurzelkanälen zu verhindern.“ 

Ein Jahr nachher, 1906, anlässlich der Jahresversammlung 
der Dental Society of the state of New-York, sollte das Re¬ 
sultat dieses Rundschreibens bekanntgegeben und diskutiert 
werden. Im November - Gosmos 1906, Seite 1130 bis 1138, 
ist der Bericht dieser Versammlung enthalten. Aus demselben 
ist ersichtlich, dass elf amerikanische Kollegen auf Grand dieses 
Rundschreibens mit dem Trikresol-Formalin Versuche gemacht 
haben. Ein einziger beruft sich auf Hunderte von Fällen, die 
er mit gutem Erfolge behandelt hat, die meisten begnügten sich 


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Studien über die pathologische Anatomie nnd Therapie etc. 151 

unbegreiflicherweise mit der Behandlung eines einzigen Falles, 
obwohl sie durchwegs mit dem Erfolge angeblich zufrieden 
waren. Die anknüpfende diesbezügliche Debatte ist lang, für 
und wider wogt der Strom der Beredsamkeit, das Ergebnis 
aber ist zum mindesten unbefriedigend und schliesst endlich 
mit den Worten Dr. Rheins, die ich des Interesses halber 
in wörtlicher Uebersetzung folgen lasse: „Zwischen Dr. Bukley 
und mir herrscht keine Meinungsverschiedenheit in dieser Frage 
der Wurzelbehandlung, aber Dr. Bukley s Behandlungsmethode 
ist falsch verstanden und falsch ausgelegt worden. Das ist zur 
Evidenz ersichtlich aus der soeben stattgefundenen Diskussion. 
Er ist absolut dagegen, dass man dieses Mittel anwendet bei 
Zähnen, in welchen lebendes Gewebe zurückgeblieben ist; 
ebenso ist es nicht gut, es bei Vorhandensein eines periapicalen 
Abszesses zu gebrauchen. Es ist vielmehr so aufzufassen, dass 
man das Mittel in eine Zahnkrone legt, in welcher eine' putres- 
zente Pulpa vorhanden ist. Das Medikament darf nicht in das 
Innere einer Zahnwurzel eingeführt werden, sondern es soll 
in die Krone eingelegt werden* bevor der Zahn vollständig 
behandelt worden ist. Unter solchen Umständen kann der 
Zahn hermetisch verschlossen werden und es werden auch 
keine unangenehmen Zwischenfälle auf treten. Eine grosse An¬ 
zahl der erwähnten Misserfolge verraten offenbar die Tatsache, 
dass es unter ganz anderen Bedingungen angewendet wurde, 
als sie von Bukley angegeben wurden. Jedenfalls soll hervor¬ 
gehoben werden, dass Bukley niemals der Ansicht war, dass 
dies eine spezifische Behandlungsmethode wäre für jeden 
krankhaften Vorgang in den Wurzelkanälen. Dies ist eine Tat¬ 
sache, die gut verstanden sein sollte!“ 

Ich will nun versuchen, auf Grund der an mehr als 
900 Fällen gesammelten Erfahrungen die Technik und die 
Indikationen der Trikresol-Formalinbehandlung zu schildern. 
Die Wichtigkeit der Sache möge als Entschuldigung dienen 
dafür, wenn ich oft weit ausgreife und vielleicht manches er¬ 
wähne, was eigentlich selbstverständlich ist. Es scheint heute 
manches so einfach und sieht einem Ei des Columbus täuschend 
ähnlich! Dies kann aber an der Tatsache nichts ändern, dass 


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162 


Dr. Josef Lartschneider, Lins a. d. Donan. 


ich seit dem Beginn meiner Versuche trotz Bukley haupt¬ 
sächlich auf mich selbst angewiesen war und mancherlei Um¬ 
wege und Irrwege wandeln musste, bis ich schliesslich so weit 
gekommen bin, dass ich seit mehr als einem Jahre in keinem 
Falle von medikamentöser Wurzelbehandlung jemals das Be¬ 
dürfnis gehabt habe, zu einem anderen Mittel als zum Trikresol- 
Formalin zu greifen. Ich weiss, dass ich mich mit diesen 
Worten Dr. Bukley diametral gegenüberstelle. 

Es fällt mir gar nicht ein, diese Art der Wurzelbehand¬ 
lung als die einzig richtige zu bezeichnen. Ich habe schon 
bei einer früheren Gelegenheit ausdrücklich betont, dass sich 
die meisten der Herren Kollegen irgend eine Behandlungs¬ 
methode zurecht gelegt haben, mit der sie ihr gutes Auskommen 
finden. Aber bei der Wichtigkeit dieser Frage halte ich es für 
wünschenswert, die Trikresol-Formalinbehandlung einer öffent¬ 
lichen Diskussion zu unterwerfen. Sollten durch diese Aus¬ 
führungen recht viele Kollegen zur Veröffentlichung ihrer 
bezüglichen Erfahrungen und Ansichten angeregt werden, so 
würde ich dies als die beste Anerkennung für meine Be¬ 
mühungen auf das freudigste begrüssen. 

Technik der Trikresol-Formalinbehandlung. 

Die Krone eines Zahnes sei durch Karies defekt geworden. 
Die durch Karies entstandene und mit Speiseresten gefüllte 
„Kronenhöhle“ (i. e. der durch Karies entstandene Defekt der 
Zahnkrone) hat an ihrem Grunde eine kleine Oefihung, durch 
welche man mit der Sonde in die Pulpakammer gelangt. 
Pulpakammer und Wurzelkanal sind mit jauchig zerfallenen 
Detritusmassen erfüllt. Die Diagnose auf Karies mit gangränösem 
Zerfall der Pulpa ist somit festgestellt. Vor Beginn der Be¬ 
handlung wird von Bukley Anlegung von Kofferdam als un¬ 
erlässlich gefordert. Was soll dann in Fällen geschehen, in 
denen die Anlegung von Kofferdam nicht möglich ist? Sollen 
diese Fälle, die gar nicht so selten Vorkommen, von der 
Trikresol-Formalinbehandlung ausgeschlossen sein? Ich be¬ 
handle beinahe durchwegs ohne Kofferdam, was bei einiger 
Uebung gar keine Schwierigkeiten bietet. Die Anlegung des 


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Stadien über die pathologische Anatomie and Therapie etc. 158 

Kofferdam gehört für Arzt und Patienten nicht zu den An¬ 
nehmlichkeiten, abgesehen von der Ersparnis an Auslagen und 
Zeit, was z. B. bei 900 Fällen ganz gewaltig in Betracht 
kommt! Gegen den Speichel kann ich mich durch Watterollen, 
schnelles Arbeiten und geschickte Assistenz genügend schützen 
und mehr kann man meines Erachtens nach Anlegung des 
Kofferdam auch nicht erreichen. 

Die in der Kronenhöhle enthaltenen Massen werden teils 
durch energisches Auspusten mit dem Ballon, teils durch 
Auswaschen mit in Karbolwasser oder Alkohol getauchten 
Schwämmchen, die pathologisch veränderten Dentinschichten 
mit einem Rundbohrer gründlich entfernt, bis die Kronenhöhle 
sich allenthalben von sauberen Wänden begrenzt darstellt. Nun 
erweitert man ausgiebig den Zugang der Pulpakammer, bis ihre 
Wände in die Wände der Kronenhöhle unmittelbar als ebene 
Flächen übergehen. Ausgiebiges und schonungsloses Freilegen des 
Operationsfeldes ist unerlässlich. Nur so kann es verhindert 
werden, dass einzelne Ausbuchtungen der Pulpakammer der Be¬ 
handlung entgehen. Die Ausmündungen aller Wurzelkanäle wird 
man auf diese Weise mühelos zur Ansicht bekommen. Das 
ganze Operationsfeld repräsentiert sich jetzt als eine grosse, 
von sauberen Wänden begrenzte Höhle, an derem Grunde die 
Ausmündungen der Wurzelkanäle als schwarze Punkte sichtbar 
sind. Durch ausgiebiges Einpusten Von heisser Luft werden 
jetzt die in den Wurzelkanälen befindlichen gangränösen 
Detritusmassen möglichst getrocknet. Aus weiten Kanälen kann 
man mit einer Nervennadel diese Massen nach Möglichkeit 
entfernen. Dabei soll man nicht energisch vorgehen und nicht 
zu tief mit der Nadel Vordringen, es soll ja ein Durchpressen 
und Durchpumpen des jauchigen Inhaltes durch das Foramen 
apicale vermieden werden. Und jetzt tritt das Trikresol-Formalin 
in seine Rechte. Ich verwende seit Monaten in allen Fällen 
Trikresol-Formalin im Verhältnis 2:1. Das Rezept mit Glyzerin¬ 
zusatz ist aus Versehen in meinen letzten Aufsatz gelangt. In 
geräumige Nervkanäle wird ein in diese Flüssigkeit getauchter 
Wattefaden mit einer glatten Nadel ohne Gewaltanwendung 
vorgeschoben. Bei oberen Molaren gelingt es jedesmal leicht, 


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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


in den palatinalen Kanal einen Wattefaden einzuführen. Des¬ 
gleichen bieten sich dieser Prozedur bei unteren Molaren keine 
Schwierigkeiten, insofern es sich um distale Wurzelkanäle 
handelt. Schwerer ist es schon, die mit Watte umwickelte 
Nadel in buccale Kanäle oberer oder in mesiale Kanäle unterer 
Mahlzähne einzuführen. Desgleichen bieten oft Weisheitszähne 
ähnliche Schwierigkeiten. Ich bin schon längst davon ab¬ 
gekommen, mich mit zeitraubenden und mühevollen Er- 
weiterungs- und Einführungsversuchen abzugeben, ja, ich möchte 
manche bisherige Misserfolge auf solche zu energische Be¬ 
handlungsversuche zurückführen, denn man kann dabei nur 
zu leicht putreszente Partikelchen durch das Foramen apicale 
durchdrängen. Es genügt vollständig, wenn die betreffenden 
Ausmündungen der Wurzelkanäle ausgiebig freigelegt und gut 
für Instrumente zugänglich sind, was durch schonungsloses 
Aufbohren der Pulpakammer und eventuelles Abtragen der im 
Wege stehenden Pulpakammerwandungen jedesmal leicht zu 
erreichen ist. Wenn mir die Einführung eines Wattefadens 
nicht ohneweiters gelingt, presse ich ein in Trikresol-Formalin- 
lösung getauchtes Wattebäuschchen auf den Eingang des be¬ 
treffenden Wurzelkanals und lasse es dabei bewenden. Man 
muss aber darauf achten, dass diese Einlage bei dem nach¬ 
folgenden Verschlüsse des Zahnes nicht verschoben wird. Ich 
habe übrigens versuchsweise einigemale es unterlassen, ge¬ 
räumige Wurzelkanäle mechanisch irgendwie zu reinigen und 
habe mich gerade so, wie bei engen Wurzelkanälen, darauf 
beschränkt, auf ihren Eingang das getränkte Wattebäuschchen 
zu pressen, um an seine Stelle dann in der nächsten Sitzung 
Trikresol-Formalinpaste zu pressen. Ich habe auch in diesen 
Fällen, in denen also die mit Trikresol-Formalin imprägnierten 
Detritusmassen als Wurzelfüllungsmaterial dauernd verblieben, 
durchwegs gute Resultate erzielt. Trotzdem entferne ich den 
Inhalt geräumiger Wurzelkanäle, und zwar lediglich aus Sauber¬ 
keitsrücksichten, jedoch, wie schon erwähnt, nur in dem Masse, 
als es leicht und ohne besondere Umstände möglich ist. Ich 
habe schon oben erwähnt: man kann meiner Meinung nach 
durch energische mechanische Reinigung nur schaden! 


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Studien über die pathologische Anatomie nnd Therapie etc. 155 

Ich verschliesse immer mit Fletchers Artificial-Dentin. Nach 
einigen Tagen, je nach den gegebenen Verhältnissen, werden 
die Wattefäden, respektive Wattebäuschchen entfernt. Die 
Watte hat jetzt — äusserst wenige Fälle ausgenommen — den 
typischen Trikresol-Formalingeruch. Ich habe mehreremal ver¬ 
suchsweise schon 4 Stunden nach der ersten Sitzung die Ein¬ 
lagen gewechselt und dabei, konstatiert, dass der fötide Geruch 
nach dieser kurzen Zeit schon vollständig geschwunden war. 
Die entfernten Wattefäden sind gewöhnlich leicht livid verfärbt, 
es hängen an ihnen gewöhnlich graue, krümelige Partikelchen. 

Die Frage, was mit dem gangränösen Inhalte der Wurzel¬ 
kanäle geschieht, die in letzter Zeit so oft an mich gerichtet 
wurde, entfallt wohl nach diesen Ausführungen, denn ich finde 
nach diesen vorbereitenden Eingriffen die Wurzelkanäle, so¬ 
weit sie mir zugänglich sind, in der Regel leer. Es kann 
höchstens noch der im obersten, meistens unzugänglichen und 
oft umgebogenen Anteile der Wurzelkanäle befindliche Inhalt in 
Betracht kommen. Allein, wo das Instrument nicht hinkommt, 
da kommt uns die penetrierende Wirkung des Trikresol- 
Formalin zustatten, welches die Desinfektion der dort ange¬ 
sammelten, restlichen jauchigen Detritusmassen besorgt. Man 
kann sich auf diese erprobten Eigenschaften des Trikresol- 
Formalin ruhig verlassen. Gibt es übrigens irgend eine chemi¬ 
sche oder mechanische Reinigungsmethode, welche uns be¬ 
stimmte und objektiv wahrnehmbare Sicherheit bietet dafür, 
dass der gesamte Inhalt der Wurzelkanäle, auch der in den 
erwähnten äussersten und engsten Anteilen befindliche, ent¬ 
fernt worden ist? Ich kenne keine! Zum mindesten ist mir 
keine einfachere, mühelosere und bei genügender Assistenz 
durchwegs ohne Anlegung des Kofferdam durchführbare Be¬ 
handlungsmethode bekannt 

Den weiteren Verlauf der Behandlung habe ich mir so ein¬ 
gerichtet, dass ich in die Wurzelkanäle eine Trikresol-Formalin- 
paste einpresse. Ich bin dabei von der Erwägung ausgegangen, 
dass es nur von Vorteil sein kann, ein Mittel, welches so prompt 
und in so kurzer Zeit eine Sterilisierung des putreszenten 
Kanalinhaltes bewirkt hat, dauernd in den Wurzelkanal zu ver- 


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156 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


senken, schon in Anbetracht der Tatsache, dass ein Zurück¬ 
bleiben solcher Detritusteilchen trotz peinlichster mechanischer 
Reinigung des Wurzelkanals in jedem Falle möglich ist. Ich 
sehe auch die Notwendigkeit nicht ein, das Trikresol-Formalin, 
welches so gute Dienste geleistet hat, nachträglich mit Subli¬ 
mat 1: 500 oder Wasserstoffsuperoxyd u. dgl. mühselig zu ent¬ 
fernen, um dann den Wurzelkanal mit Points oder irgend einem 
anderen Mittel auszustopfen. 

Es ist hier nicht der Ört, um den alten Streit: hie Paste, 
hie Points, auszukämpfen. Tatsache ist, dass beide Methoden 
viele Anhänger haben, der beste Beweis, dass beide gut sind. 
Bukley selbst verwendet, wie ich aus privaten Mitteilungen 
ersehe, Points, ich verwende ausschliesslich Paste. Ein Ver¬ 
mittlungsvorschlag wäre, zuerst Paste einzupressen und dann 
Points nachzuschieben. Mir^^s eine Beruhigung, in einem 
Wurzelkanal ein so vorzüglici-^^ntiseptikum, wie das Trikresol- 
Formalin, dauernd deponiert zu wissen. Man braucht nur eine 
Reihe extrahierter Zähne, besonders mehrwurzeliger, zu be¬ 
sichtigen, um sich davon zu überzeugen, wie hypothetisch 
vielfach die Bemühungen genannt werden müssen, Wurzel¬ 
kanäle mechanisch einwandfrei zu reinigen. Meiner Ansicht 
nach gelingt das Füllen der Wurzeln in vielen Fällen am 
ehesten durch energisches Einpressen einer Paste. Deshalb 
habe ich seinerzeit Herrn chem. Dr. Rudolf Tscherne, Apo¬ 
theker „zum schwarzen Adler“ in Linz, angeregt, eine Trikresol- 
Formalinpaste zur Dauerfüllung von Wurzelkanälen herzustellen. 
Mit derselben habe ich durchwegs gute Erfolge gehabt In der 
für den Gebrauch so bequemen Verpackung in Zinntuben 
haben die Trikresol-Formalinpasten leider den Nachteil, sich 
zu versteifen. Ich halte ihre Expedition in Gläsern mit ein¬ 
geriebenem Glasstöpsel für entsprechender. 

ln neuester Zeit werden von mehreren Seiten Trikresol- 
Formalinpasten auf den Markt gebracht. Es ist gewiss nichts 
dagegen einzuwenden, aber alle diese Fabrikate segeln unter 
Bukleys Flagge und Dr. Bukleys Autorität wird zu Reklame¬ 
zwecken — ganz gegen seinen Willen, wie ich erfahren habe 
— gehörig ausgebeutet. Ich erlaube mir ganz nebenbei zu be- 


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Stadien über die pathologische Anatomie nnd Therapie etc. 157 

merken, dass die Herstellung einer Trikresol-Formalinpaste 
zu Wurzelfüllungen lediglich meine Idee war. Dr. Bukley 
selbst füllt, wie ich schon erwähnt habe, mit Points, nachdem 
er das Trikresol-Formalin mit Wasserstoffsuperoxyd und Subli¬ 
mat sorgfältig aus den Wurzelkanälen ausgewaschen hat. 
Wissenschaftliche Tatsachen sollen nicht verschleiert werden! 
Es kann sich übrigens jedermann leicht selbst eine Trikresol- 
Formalinpaste herstellen, indem er sich jedesmal etwas Fl et eher 
anrührt, dem er dann eine kleine Menge Trikresol-Formalin 
beimengt, um dann damit den betreffenden Wurzelkanal aus- 
zufullen. 

Die Grösse des herausgezogenen Wattefadens gibt mir 
einen Anhaltspunkt für den Rauminhalt der betreffenden 
Wurzelkanäle, dementsprechend muss auch die Menge der 
eingepressten Paste sein. Der £ Fassungsraum der Wurzelkanäle 
ist oft überraschend gross! Ic>nsomit ein hanfkomgrosses 
Stück der Paste auf die Mündung des Nervkanals und presse 
mit einem Schwämmchen dasselbe fest in den Kanal. Man 
beachte dabei, dass nicht zu viel Paste an den Rändern des 
Schwämmchens zurückquelle. Ich erleichtere mir die Sache 
dadurch, dass ich den Eingang der Nervkanäle mit einem 
Rosenbohrer muldenförmig erweitere, welche Mulde zur Auf¬ 
nahme des Pastestückchens bestimmt ist. Indem ich dann über 
diese mit Paste gefüllte Mulde ein Stück unvulkanisierten 
Kautschuk oder Pressschwamm lege und dasselbe mit einem 
runden Stopfinstrumente fest an die Kanalmündung presse, 
habe ich eine ziemliche Gewähr für das Vordringen des Medi¬ 
kamentes in den Wurzelkanal. Zur Sicherheit sondiere ich 
noch mit einer möglichst dicken Sonde, lege wieder ein Stück 
Paste in die Mulde usw., bis ich endlich annehmen kann, 
dass eine der Grösse des entfernten Wattefadens ungefähr ent¬ 
sprechende Menge von Paste in den Wurzelkanal eingepresst 
ist. Die Mündung ganz enger, unzugänglicher Kanäle erweitere 
ich ebenfalls muldenförmig und fülle die Mulde mit Paste. Aus 
Pulpakammer und Kronenkavität wasche ich dann mit Alkohol 
sorgfältig jede Spur von Paste heraus und fülle dann, auch 
die Pulpakammer, mit dem für den betreffenden Fall aus- 

2 


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Dr. Josef Lartschueiddr, Linz a. d. Donau. 


*58 

gewählten Füllungsmaterial. Nur bei Metallplomben gebrauche 
ich die Vorsicht, dass ich die Pulpakammer mit Fletcher so¬ 
weit ausfülle, bis alle Mündungen der Wurzelkanäle über¬ 
deckt sind. 

Ich habe mich in den bisherigen Ausführungen bemüht, 
der von der Dental Society of the state of New-York (Seite 149) 
in ihrem Rundschreiben aufgestellten Forderungen: 

1. es muss Aseptik erzielt werden, 

2. es muss der Wiederkehr der Sepsis vorgebeugt 
werden, 

gerecht zu werden. Ich gehe nun zur Besprechung des dritten 
Faktors über, welcher nach dem erwähnten Rundschreiben 
bei der Behandlung gangränöser Pulpen in Betracht zu 
ziehen wäre: 

3. es muss die Farbe des Zahnes erhalten oder, sollte 
der Zahn verfärbt sein, seine natürliche Farbe wieder 
hergestellt werden. 

Hat die Farbe eines toten Zahnes noch nicht gelitten, 
so kommen zur Erhaltung derselben lediglich mechanische 
Mittel und eine entsprechende Auswahl des Plombenmaterials in 
Betracht. Zu den mechanischen Mitteln gehört vor allem eine sorg¬ 
fältige Präparation der zur Aufnahme der Füllung bestimmten 
Kavität. In diese Kavität muss unbedingt auch die Pulpakammer 
einbezogen werden. Ob in engen Wurzelkanälen Gangrän¬ 
massen zurückblieben oder nicht, ist meines Erachtens für die 
Farbe der Zahnkrone belanglos. Anders aber liegen die 
Verhältnisse in Betreff der Pulpakammer. Es kann nicht genug 
die Notwendigkeit einer ausgiebigen Eröffnung der Pulpakammer 
betont werden. Ihre Wände sollen, wie schon früher erwähnt 
wurde, flächenhaft in die Wände der Kronenkavität übergehen. 
Diese Forderung wird leider nur zu oft ausser acht gelassen. Ge¬ 
rade bei den oberen Schneide- und Eckzähnen, deren livide Ver¬ 
färbung die Patienten ganz besonders beklagen, wird so häufig 
der Wurzelkanal von der Seitenfläche der Zahnkrone oder vom 
Foramen coecum aus eröffnet und von der Trepanations- 


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Stadien Über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 159 

Öffnung aus behandelt, ohne dass man sich um den distal ge¬ 
legenen, meistens ziemlich geräumigen Anteil der Pulpakammer 
samt Inhalt kümmert. Derart mangelhaft behandelte Zähne 
bieten dann schon nach kurzer Zeit einen geradezu kläglichen 
Anblick. In solchen Fällen muss vor Anlegung der Füllung 
von der Trepanationsöffnung abwärts die seitliche, respektive 
rückwärtige Wand der Pulpakammer möglichst ausgiebig ab¬ 
getragen und die in der Pulpakammer befindlichen Massen 
sorgfältig entfernt werden. Aus der gleichen Ursache muss bei 
approximalen Kavitäten ein Teil der Kaufläche des Zahnes 
geopfert werden, damit von oben die ganze Pulpakammer 
überblickt werden kann. (Extension for prevention.) Auch die 
Ränder der Kavität sollen genau untersucht und gereinigt 
werden, damit nicht in kurzer Zeit die Füllung den gewissen 
dunklen Hof aufweist, den man so oft beobachten kann. Hat 
man endlich die für die Aufnahme der Plombe bestimmte 
Kavität sorgfältig hergerichtet, so kommt erst noch das Plomben¬ 
material gar sehr in Betracht. Legt man nämlich in eine solche 
Kavität eine Gold- oder gar eine Amalgamfüllung, so bringt 
man sich selbst um die Früchte der bisherigen Bemühungen, 
denn die Farbe eines toten Zahnes wird durch solche Plomben 
immer schlecht beeinflusst. Ebenso ist es unstatthaft, dass 
Guttaperchaspitzen in die Pulpakatnmer hereinragen oder dass 
die Pulpakammer mit grauer Guttapercha angefüllt wird. 
Phosphat-Zementplomben sind auch nicht geeignet, indem sie 
in toten Zähnen unter dem Einfluss des Speichels Zer¬ 
setzungen eingehen, dunkel werden und direkt faulen. Oft 
konnte ich beim Anbohren solcher Plomben einen fauligen 
Geruch konstatieren. Ich lege in derartigen Fällen aus¬ 
schliesslich weisse Silikatplomben (Ascher oder Silicin) oder 
ich fülle die Pulpakammer mit weissem Silikatzement und 
darüber gebe ich eine (gleichzeitig präparierte) Lage von rötlich¬ 
gelbem oder bräunlichgelbem oder grauem Silikatzement, je 
nach der Farbe des betreffenden Zahnes. Ich halte bei toten 
Zähnen solche Silikatplomben „mit weissem Kern“ am zweck¬ 
dienlichsten und habe damit quoad Farbe sehr schöne Resul¬ 
tate erzielt. 

2 * 


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160 


Dr. Josef Laitschneider, Linz a. d. Donau. 


Haben tote Zähne zur Zeit, als sie in Behandlung ge¬ 
nommen werden, schon ihre natürliche Farbe verloren, so 
kommen bei unseren Bestrebungen, dieselbe wieder herzustellen, 
ausser den mechanischen Hilfsmitteln und der Auswahl eines 
entsprechenden Füllungsmateriales auch noch chemische Agentien 
in Betracht, mit denen wir den Zahn zu bleichen („bleaching“) 
trachten. Ich habe beim „Bleichen“ der Zähne nie besondere 
Erfolge erzielt und fürchte sehr, dass die diesbezüglichen Er¬ 
wartungen vielfach wenn nicht illusorisch, so doch übertrieben 
sind. Ich achte auch in solchen Fällen hauptsächlich auf eine 
sorgfältige Präparation der Kavität mit möglichst ausgiebiger 
Abtragung der kranken Dentinschichten und Anlegung einer 
Silikatplombe „mit weissem Kern“. Mit den damit erzielten 
Erfolgen bin ich noch stets zufrieden gewesen. 

Ich möchte noch erwähnen, dass mir ein Auswaschen der 
Kavität mit Sublimatlösung 1:500, wie es Bukley vorschreibt, 
für die Erhaltung der Zahnfarbe nicht vorteilhaft scheint 

Indikationen für die Trikresol-Formalinbehandlung. 

In jedem Falle von Pulpagangrän, der in Behandlung 
genommen wird, muss natürlich vor allem konstatiert werden, 
ob eine einfache Gangrän vorliegt oder ob es schdh zu patho¬ 
logischen Veränderungen an und um die Wurzelspitze ge¬ 
kommen ist. Die Differentialdiagnose ist in der Regel leicht. 
Wenn der betreffende Zahn auf Druck unempfindlich ist, keine 
Fistel oder sonstige Anhaltspunkte eines apicalen Prozesses auf¬ 
weist und auch anamnestisch diesbezüglich nichts erhoben werden 
konnte, so kann man annehmen, dass Apex und periapicales 
Gewebe noch nicht besonders gelitten haben. In solchen Fällen 
handelt es sich einfach darum, ja nichts von dem jauchigen 
Inhalt durch das Foramen apicale durchzupressen und in 
den Wurzelkanal ein Medikament einzuführen, welches infolge 
seiner chemischen, antifei mentativen und antibakteriellen Eigen¬ 
schaften eine Sterilisierung der gangränösen Detritusmassen 
bewirkt. Sobald wir die Diagnose auf unkomplizierte Pulpa¬ 
gangrän gestellt haben, sei es an einem intakten Zahne oder an 


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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 161 

einem plombierten Zahne (Verfärbung, mangelhafter Zustand 
einer Füllung) oder sei es bei einem bisher unbehandelten, 
tief kariösen Zahn, so ist eine kunstgerechte Trikresoleinlage 
und sofortiger Verschluss mit Fletcher unbedingt indiziert. In 
solchen Fällen werden wir äusserst selten einen Misserfolg 
haben, am ehesten bei einem oder dem anderen unteren, 
seltener oberen Molaren. In Fällen, wo der Patient nach 
der ersten Einlage mit Schmerzen wiederkommt, entferne ich 
die Einlage sofort und lasse den Zahn offen, bis er sich wieder 
vollständig beruhigt hat. Ich lasse während dieser Zeit den 
Patienten ein Wattebäuschchen mit Kölnerwasser in die Kavität 
legen. Dasselbe muss er täglich zweimal wechseln. Nach Ab¬ 
lauf dieser Zeit wiederhole ich die ganz gleiche Prozedur: Ein¬ 
lage eines Trikresol-Formalinfadens und Verschluss mit Fletcher, 
und zwar diesmal gewöhnlich mit Erfolg. So z. B. habe ich einer 
Patientin aus einem toten j6 eine defekte Zementplombe entfernt 
und in die gereinigte Pulpakammer ein in Trikresol-Formalin ge¬ 
tauchtes Wattebäuschchen eingelegt und den Zahn verschlossen. 
Am nächsten Tage kommt Patientin mit starker periostaler 
Reizung ohne Schwellung. Ich entferne die Einlage, lasse 
den Zahn offen und nach Ablauf von 10 Tagen hatte die 
neuerliche Einlage eines Trikresol-Formalinwattebäuschchens 
mit darauffolgendem Fletcherverschluss den gewünschten Erfolg. 

Ich habe auf diese merkwürdige Tatsache schon vor 
längerer Zeit aufmerksam gemacht. In den neuesten amerika¬ 
nischen Berichten (im November-Cosmos 1906, Seite 1133) 
finde ich einen analogen Fall erwähnt, den ich als Bestätigung 
dieser anscheinend nicht unwichtigen Beobachtung anführen 
möchte. Dr. Illison Hillyer berichtet, dass er wegen 
Schmerzen einen linken, oberen, zweiten Molaren durch eine 
Füllung trepaniert und eine Trikresol-Formalineinlage gemacht 
hat. Diese Einlage musste wegen starker Schmerzen in der 
nächsten Nacht entfernt werden. Patient musste dann ver¬ 
reisen, wodurch die Fortsetzung der Behandlung verzögert 
wurde. Mittlerweile hatte er sich täglich Watte mit Nelkenöl 
in den Zahn gelegt. Nach seiner Rückkehr wurde der Zahn 
neuerdings mit Trikresol-Formalin behandelt. Diesmal war die 


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Di** Josef Lartschneider, Lüiz a. d. Donau. 


Behandlung erfolgreich, so dass der Zahn schon nach weiteren 
3 Tagen plombiert werden konnte. Dr. Hillyer schliesst 
seinen Bericht mit folgenden Worten: „Bei der ersten Be¬ 
handlung war etwas nicht entsprechend. Bei der zweiten 
war es entsprechend. Wenn dies durch die Erfahrung aus¬ 
probiert ist, kann ohne weiteres zugegeben werden, dass 
diese Behandlungsmethode eine eminent befriedigende ist, mit 
einigen auf individuelle Einzelnheiten zurückführenden Ein^ 
Schränkungen.“ 

Natürlich ist bei stärkeren periostalen Schmerzen die Ver¬ 
ordnung von schmerzstillenden Mitteln, Pyramidon, Aspirin etc. 
indiziert. 

Die Erfolge, welche ich bei der Behandlung unkomplizierter 
Gangränfälle (d. h. bei Gangrän ohne apicale und periapicale 
Entzündüngsprozesse) erzielt habe, sind wirklich in jeder Be¬ 
ziehung zufriedenstellend. Selten ergeben sich in solchen Fällen 
Schwierigkeiten im Verlaufe der Behandlung. Ich erwähne als 
Beispiel einen 46 jährigen Patienten (Priester), bei dem ich an 
fünf Zähnen (zwei einwurzeligen, einem zweiwurzeligen mit 
Zahnfleischfistel und zwei drei wurzeligen Zähnen) tiefgreifende 
Karies mit gangränösem Zerfalle der Pulpa konstatiert habe. 
Ich habe alle diese fünf Zähne gleich in der ersten Sitzung 
nach Einlage von Trikresol-Formalin-Wattefäden mit Fletcher 
verschlossen. Nach 3 Wochen kam der Patient wieder mit der 
Versicherung, dass er nicht einen Moment Schmerzen an irgend 
einem der behandelten Zähne verspürt habe. Ich hatte ihn auf 
die Eventualität vorbereitet. Die Fistel war spurlos verschwunden, 
die entfernten Wattefäden ganz ohne jauchigen Geruch. Nach 
Einpressen von Trikresol-Formalinpaste habe ich alle fünf 
Zähne der Reihe nach plombiert. Bis heute ist die Heilung 
in jeder Hinsicht anhaltend. Von vielen Seiten sind in jüngster 
Zeit die glänzenden Erfolge der Trikresol-Formalinbehandlung 
bestätigt worden. Mehrere Autoren äussern sich geradezu be¬ 
geistert über diese Behandlungsmethode. Auch am Grazer zahn¬ 
ärztlichen Universitäts-Institute sind die Versuche mit Trikresol- 
Formalin aufgenommen worden. Dem betreffenden Berichte 
(erstattet von Herrn Assistenten Dr. Urb a nt sc hi t sch) ent- 


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Stadien über die pathologische Anatomie nnd Therapie etc. 163 


nehme ich folgendes: „Mit der von J. P. Bukley empfohlenen, 
von Dr. Lartschneider in die Praxis eingeführten Trikresol- 
Formalinmischung erzielten wir bei Pulpagangrän überraschende 
Erfolge“. 

Pathologische Anatomie der Wurzelentzfindungen. 

Ich bin wiederholt gefragt worden, ob man auch bei 
akuten Entzündungsprozessen Trikresol - Formalin anwenden 
könne. Die üblichen Bezeichnungen akut und chronisch mit 
allen ihren Zwischenstufen von subakut bis subchronisch können 
einer konkreten Abgrenzung nicht standhalten und sollten ganz 
fallen gelassen werden. Auch in der Zahnheilkunde sollte das 
betreffende Stadium eines periapicalen Prozesses nach dem 
jeweiligen Stande der Krankheitssymptome, subjektiven sowohl 
als objektiven, bezeichnet werden, und zwar: 

1. Als Stadium der Hyperämie mit Druckempfindlichkeit 
und anderen gewöhnlich nicht bedeutend störenden Sensationen? 
objektiv ist höchstens eine Rötung der betreffenden Zahnfleisch¬ 
partien vorhanden. 

2. Als Stadium der je nach der Virulenz der Entzündungs¬ 
erreger mehr oder weniger starken Anschwellung, Exsudation 
und Transsudation. Die Schmerzen können jetzt schon sehr 
intensiv sein. 

3. Als Stadium der Abszedierung, häufig verbunden mit 
schwereren Allgemeinsymptomen: Prostration, Schüttelfröste, 
Fieber, grosse Schmerzen; Anschwellung ist meistens vor¬ 
handen, später eventuell Fluktuation, Fistelbildung etc. 

Meistens ist zur Zeit der Behandlung das erste Stadium 
der Entzündung (Hyperämie) bereits überschritten, denn gar 
selten entschliessen sich die Patienten, gleich beim Auftreten 
der Initialsymptome sofort ärztliche Hilfe in Anspruch zu 
nehmen. Anderseits kann es aber bei Alveolarprozessen nicht 
zu ausgedehnteren, nicht eitrigen Exsudaten kommen (zweites 
Stadium), wie dies anderswo, insbesondere in der Pleurahöhle, 
im Herzbeutel etc., der Fall ist. Es darf nicht übersehen werden. 


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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


dass sogar schwere Alveolarprozesse vorhanden sein können, 
ohne dass objektive Symptome (Rötung, Schwellung, Fluktuation, 
Fistelbildung etc.) nachweisbar sind. Diese Tatsache muss 
besonders betont werden, sie ist es, die uns bei der Stellung 
der Diagnose, von der schliesslich die ganze Behandlung 
abhängt, oft die grössten Schwierigkeiten macht Die periapicalen 
Entzündungsprozesse müssen sich eben, wie uns ein Blick auf 
die bezüglichen anatomischen Verhältnisse lehrt, mit ganz 
besonders ungünstigen Raumverhältnissen abfinden. Hyperämie, 
Exsudation, Eiterbildung, alles muss sich im Beginne der Er¬ 
krankung in einem von knöchernen Wänden eng umschlossenen 
Raum, dem obersten, die Wurzelspitze umfassenden Teil des 
Alveolarfaches, abspielen. Während unter solchen Umständen 
das frühzeitige Auftreten heftiger subjektiver Symptome nur 
allzu begreiflich ist, sind die objektiven Symptome (Schwellung, 
Fluktuation, Fistelbildung) ganz von den im betreffenden Falle 
vorliegenden anatomischen Verhältnissen abhängig, denn sie 
bilden die Hindernisse, welche sich den Ausbreitungs- und 
Durchbruchsversuchen der Entzündungsprodukte (Infiltration, 
Exsudation, Eiter) entgegenstellen. Der im Foramen apicale 
und im Wurzelkanal gebotene Abzugskanal ist beinahe immer 
ungenügend, abgesehen davon, dass er meistens an einer 
Plombe oder, bei nicht kariösen Zähnen, in der Pulpakammer 
blind endigt. 

Bei einer ganzen Reihe von Patienten können wir ge¬ 
legentlich „Fisteln“ konstatieren, über deren Entstehungszeit 
nichts zu eruieren ist. Der Eiter hat offenbar seinerzeit so 
günstige Durchbruchsverhältnisse vorgefunden (dünne oder gar 
poröse Wand des Alveolarfaches etc.), dass es ohne weiters 
zur Fistelbildung kommen konnte und für den Patienten war 
der Prozess ohne Beschwerden erledigt. In anderen Fällen ist 
der Zeitpunkt der Entstehung einer Fistel dem Patienten un¬ 
vergesslich geworden: tagelang hatte er die grössten Schmerzen, 
Fieber und Schüttelfröste zu erdulden, bis endlich die Lamina 
corticalis des Kieferknochens absorbiert und der Eiter unter die 
Beinhaut vorgedrungen war. Dieselbe wurde von ihrer Unterlage 
abgehoben und endlich wurde auch die Beinhaut an einer oder 


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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 


166 


mehreren Stellen eitrig eingeschmolzen und der Eiter Konnte 
sich in den Weichteilen mächtig ausbreiten, bis es endlich 
zur Fistelbildung oder zur Inzision kam. In solchen Fällen 
kommt es zur Bildung grosser, entzündlicher, durch reaktive 
Randprozesse noch vergrösserter fluktuierender Tumoren, 
deren Diagnose gewiss keine Schwierigkeiten bietet. Auch bei 
einem Durchbruche des Alveolarabszesses in die Highmors¬ 
höhle oder, was sehr selten ist, in die Nasenhöhle ist die Dia¬ 
gnose leicht. Aber es gibt, wie schon erwähnt, Alveolarabszesse, 
welche überhaupt keine objektiven Symptome zur Folge haben, 
sozusagen „latent“ im Bereiche der Spongiosa des Kiefer¬ 
knochens verlaufen, von den schwersten subjektiven Symptomen 
begleitet sind und, wenn sie nicht erkannt werden, lange 
Zeit hindurch bestehen können. Ich vermute, dass manche 
Gesichtsneuralgie auf solche Affekte zurückzuführen ist. Grosse 
„latente“ Alveolarabszesse gehen meiner Beobachtung nach 
beinahe immer von den oberen seitlichen Schneidezähnen aus. 
Ich werde die pathologische Anatomie und Symptomatologie 
dieser interessanten Krankheit, die gar nicht so selten vorkommt 
und auf die meines Wissens noch niemand aufmerksam 
gemacht hat, bei einer anderen Gelegenheit näher schildern. 
Einen derartigen Fall habe ich übrigens schon veröffent¬ 
licht. * 

Sobald eine Hyperämie, entzündliche Infiltration und Ex¬ 
sudation der periapicalen Gewebe vorliegt, haben wir unsere 
Bestrebungen nicht mehr, wie bei unkomplizierten Gangrän¬ 
fällen, lediglich auf eine Desinfektion des Wurzelkanals zu 
richten, wir müssen vielmehr auch trachten, die erkrankten 
Gewebe heilend zu beeinflussen und sie vor eitrigem Zerfall zu 
bewahren. Nach allem, was ich in dieser Hinsicht erfahren 
habe, muss ich dem Trikresol-Formalin unbedingt solche 
therapeutische: resorbierende, auftrocknende, antibakterielle 
und schmerzstillende Eigenschaften zuschreiben, denn man 


1 Dr. Josef Lartschneider: Die Behandlung von Fistelzähnen mit 
Trikresol-Formalin. Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 
1906, Heft III, Seite 344. 


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166 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donao. 


kann mit diesem Medikament auch in solchen Fällen geradezu 
Hervorragendes leisten. 

Es kommt z. B. ein Zahn in Behandlung, der vor längerer 
Zeit nach durchgeführter Wurzelbehandlung gefüllt wurde und 
der sich seit einiger Zeit durch Druckempfindlichkeit und 
pulsierende Schmerzen beim Stiegensteigen und bei heissen 
Speisen und Getränken unangenehm bemerkbar macht. Mit 
Jodpinselungen Zeit zu verlieren, ist ganz zwecklos. Man trepa¬ 
niere sofort durch die Plombe und eröffne den Wurzelkanal. 
Wir werden es auf das freudigste begrüssen, wenn die Wurzel 
seinerzeit mit Paste und nicht mit Points gefüllt wurde. Die 
in den Wurzelkanal eingeführte Nadel wird immer einen 
mehr oder minder ausgesprochenen Gangrängeruch zeigen. 
Nach Einlage eines Trikresol-Formalinfadens wird der Zahn mit 
Fletcher verschlossen. Dabei ist es nicht notwendig, den Nerv¬ 
kanal mit Alkohol oder Sublimat etc. vorher auszuwaschen. Die 
Beschwerden schwinden in kurzer Zeit und nach einigen Tagen 
schon kann der Zahn gewöhnlich dauernd plombiert werden. 
Der Erfolg ist durchwegs ein idealer. 

Oder es kommt ein Patient und klagt über Druck¬ 
empfindlichkeit, Längerwerden, zeitweise heftigere Schmerzen 
an einem anscheinend tadellosen Zahn. Die Beschwerden 
wären erst seit kurzer Zeit aufgetreten. Eine leichte Ver¬ 
färbung des betreffenden Zahnes und seine elektrische Unter¬ 
suchung geben uns genügende Anhaltspunkte für die Diagnose: 
Pulpagangrän mit periapicaler Entzündung. Für das Vorhanden¬ 
sein von Eiter ist infolge der nicht besonderen Heftigkeit der 
bestehenden subjektiven Symptome und infolge Mangels jeg¬ 
licher objektiven Symptome kein Anhaltspunkt vorhanden. Der 
Zahn muss sofort trepaniert werden. Der Inhalt der Pulpa¬ 
kammer wird entfernt, ebenso der Inhalt der Wurzelkanäle, 
soweit es leicht tunlich ist. Nach einer Trikresol-Formalin- 
einlage wird der Zahn sofort verschlossen. Der Erfolg ist 
durchwegs zufriedenstellend. Hie und da können nach dieser 
Sitzung durch einige Stunden Schmerzen auftreten, die aber 
ohne jegliches Zutun wieder vergehen. Ich mache die Patienten 
immer darauf aufmerksam. Sollten die Schmerzen länger an- 


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Stadien über die pathologische Anatomie and Therapie etc. 167 

halten, so öffne ich den Zahn, lasse ihn einige Zeit offen und 
wiederhole dann die Behandlung, wie ich schon früher er¬ 
wähnt habe. 

In anderen Fällen verursachen wieder unbehandelte 
Zähne, die von tief greifender, chronischer Karies mit Pulpa¬ 
gangrän befallen sind, oft plötzlich, ohne dass Anschwellungen 
auftreten, die heftigsten Schmerzen. Ergibt die Untersuchung, 
dass die Pulpakammer noch nicht offen ist, so wird sie mit 
einem Rundbohrer eröffnet und die Schmerzen sind meistens 
momentan behoben. Ist aber die Pulpakammer schon offen, 
so handelt es sich gewöhnlich um einen zufälligen hermetischen 
Verschluss irgend eines Wurzelkanals durch fester geformte 
Speiseteilchen u. dgl. Ausräumen der Pulpakammer und vor¬ 
sichtiges Sondieren der Wurzelkanäle behebt meistens alle Be¬ 
schwerden. Entweder verschliesse ich solche Zähne nach einer 
Trikresol-Formalineinlage noch in derselben Sitzung oder erst 
nach einigen Tagen, nachdem sich die Patienten selbst während 
dieser Zeit den Zahn mit in Kölnerwasser, Karbolwasser, 
Nelkenöl o. dgl. getauchten Watteeinlagen behandeln. Solche 
Zähne werden einer Trikresol - Formalinbehandlung selten 
Schwierigkeiten bieten. 

Hieher gehören auch die „angebohrten“ Zähne. Diese 
„Behandlungsmethode“ ist noch immer vielfach üblich! Ich 
habe noch jeden angebohrten Zahn, der mir seit meinen Ver¬ 
suchen mit Trikresol-Formalin in die Hände gekommen ist, in 
zwei Sitzungen fertig behandelt und plombiert. Ueberhaupt 
ist es eine Freude, Pulpagangrän mit oder ohne periapicalen 
Entzündungsprozessen vor Eintritt der Eiterung mit Trikresol- 
Formalin zu behandeln. Gar oft hat eine Trepanation mit 
gleich nachfolgender Trikresol-Formalineinlage einen ähnlich 
glänzenden und schmerzstillenden Erfolg, wie man ihn nach 
Arseneinlagen bei Pulpitis so häufig mit Genugtuung kon¬ 
statieren kann. 

Hat es sich bei den bisher erwähnten Fällen um präven¬ 
tive und therapeutische Bestrebungen gehandelt, welche die 
Sterilisierung gangränöser Detritusmassen und die Wieder¬ 
herstellung gesunder Verhältnisse im Bereiche der entzündeten 


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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donan. 


periapicalen Gewebe bewirken sollen, so kommt nach der 
Etablierung eines Eiterherdes (Alveolarabszess) noch ein drittes 
Moment in Betracht, nämlich die Entleerung des Eiters und 
die Heilung der im Bereiche der Spongiosa gelegenen Abszess¬ 
höhle. Während das Trikresol - Formalin den ersten beiden 
Forderungen, wie ich gezeigt habe, vollkommen gerecht wird, 
so kommt für die dritte Forderung: Entleerung und Heilung 
des Alveolarabszesses, nur ein einziger Weg in Betracht: 
den eingeschlossenen Eitermassen muss der Abfluss aus 
der betreffenden, in unseren Fällen häufig sogar allseits von 
knöchernen Wänden umschlossenen Abszesshöhle ermöglicht 
werden. 

Sobald sich ein Alveolarabszess etabliert hat, ist der 
Wurzelkanal und sein jauchiger Inhalt vollständig nebensächlich 
geworden. Jetzt ist der Abszess in den Vordergrund getreten. 
Er nimmt seinen Verlauf beinahe durchwegs ganz ohne Rück¬ 
sicht auf den Wurzelkanal und seinen jauchigen Inhalt. Ist 
es doch nur deshalb zur Abszessbildung gekommen, weil der 
Wurzelkanal wegen seiner mangelhaften Raumverhältnisse 
weder eine medikamentöse Beeinflussung der periapicalen 
Krankheitsherde noch einen hinreichenden Eiterabfluss er¬ 
möglicht hat. Wir können diese Tatsache täglich beobachten: 
Sobald sich ein grösserer Alveolarabszess gebildet hat, nimmt 
derselbe allen Kanalsondierungen und Gangränbehandlungen 
zum Trotz seinen mehr oder minder heftigen Verlauf und 
kommt endlich nach Durchbruch des Eiters zur Ausheilung. 
Daher müssen alle Wurzelbehandlungen zur Zeit des Be¬ 
standes eines Abszesses als sinnlos bezeichnet werden, insofern 
sie etwa als dem Abszesse geltende Heilversuche aufgefasst 
werden, abgesehen von Fällen geringfügiger purulenter, peri- 
apicaler Infiltration, in denen der eröffnete und mechanisch 
erweiterte Wurzelkanal als genügender Abflussweg in Betracht 
gezogen werden kann. Etwas anderes ist es, wenn wir dabei 
darauf bedacht sind, die im Wurzelkanal befindlichen Detritus¬ 
massen zu sterilisieren, um nach Ablauf dieses Alveolar¬ 
abszesses eine Rezidive zu verhindern. Sehen wir ja so oft, 
dass von einem einzigen unbehandelten gangränösen Zahn 


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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 169 

eine ganze Reihe von nacheinander ablaufenden Alveolar¬ 
abszessen verursacht werden kann. 

Warum sollten wir zur Sterilisierung einer gangränösen 
Pulpa, weil zufällig gerade ein Alveolarabszess vorhanden ist, 
uns nicht des Trikresol - Formalin bedienen, das sich ja in 
dieser Hinsicht vor der Abszessbildung so glänzend bewährt 
hat? Ich finde es deshalb unbegreiflich, warum Dr. Bukley 
und seine Landsleute nicht oft genug vor der Anwendung des 
Trikresol-Formalin während des Bestandes eines Alveolar¬ 
abszesses warnen können und warum Bukley für solche 
Fälle wieder eine eigene Mischungsformel und eine ganze 
Reihe anderer Medikamente (Sublimat 1:500, Eukalyptusöl, 
Thymol) zur Einführung in den Wurzelkanal empfiehlt. 

Ganz neu und mir vollständig fremd ist die Auffassung 
Dr. Bukleys, dass es möglich wäre, in gewissen Entzündungs¬ 
stadien durch interne Medikationen die Bildung von Alveolar¬ 
abszessen zu verhindern. Ich erlaube mir, die betreffenden Aus¬ 
führungen des genannten Autors (siehe Mai-Cosmos 1906) in 
in wörtlicher Uebersetzung anzuführen: 

„Bei der Behandlung von Fällen, in denen der Patient 
Anzeichen hiefür bietet, dass die eingeschlossenen Gase noch 
nicht durch das Ende der Wurzel hinausgetrieben worden 
sind, um dann die giftigen Ptomaine in die umgebenden Ge¬ 
webe zu verstreuen, ist es unsere Pflicht, zu versuchen, eine 
Abszessbildung zu verhindern (aborting an abscess) und der 
Natur bei diesen Bestrebungen zu Hilfe zu kommen. Gerade 
bei der Behandlung solcher Fälle wird uns eine praktische 
Kenntnis der Pathologie und Pharmakologie zustatten kommen. 
Häufig verschieben die Patienten das Aufsuchen eines Dentisten 
bis die Infektion in ein Stadium vorgeschritten ist, in welchem 
alle Mittel zur Abwendung eines Abszesses versagen; aber in 
vielen Fällen kann dieser Eventualität durch den Gebrauch ge¬ 
eigneter Heilmittel vorgebeugt werden. Nachdem unser Medi¬ 
kament hermetisch in den die putreszente Pulpa enthaltenden 
Zahn eingeschlossen ist, sollte sich unsere Aufmerksamkeit über¬ 
dies der infizierten Auskleidung des Alveolarfaches zuwenden 
(infected alveolo — cemental membrane). Um die Infektion zu 


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170 Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 

kontrollieren und gleichzeitig die Bestrebungen der Natur, die 
abnormen Verhältnisse wieder in Ordnung zu bringen, zu unter¬ 
stützen, ist es nicht nur unser Recht, sondern auch unsere 
Pflicht, in solch schweren Fällen interne Medikamente anzu¬ 
ordnen. Hier sind ,alterative‘ (d. h. die Säfte allmählich ver¬ 
bessernde) Medikamente indiziert. Der hauptsächlichste Re¬ 
präsentant der ,a)terativen Klasse 1 ist das Jodkalium.“ 

Dass in Fällen, welche mit schwereren Allgemeinsymptomen 
(Streptokokken-Invasion), Fieber, Schüttelfrösten, Prostration 
eine interne Medikation indiziert ist, brauche ich wohl nicht 
weiter auszufübren. Es sollen hier hauptsächlich Tonica und 
Roborantia in Betracht kommen, Antipyretica müssen aber stets 
mit Berücksichtigung des betreffenden Gesamt Organismus aus¬ 
gewählt werden (z. B. Cave Antipyrin und ganz besonders Anti- 
febrin bei Herzfehlern und Arteriosklerose). Ferner ist die Be¬ 
merkung Dr. Bukleys, dass in Malariagegenden Chinin gute 
Dienste leisten kann, gewiss zutreffend, denn ohne Zweifel tritt in 
solchen Gegenden mancher larvierte Malariafall in Form einer 
von Zähnen ausgehenden Neuralgie auf. Ferners verlangen 
heftige und manuellen und lokalen Bemühungen trotzende 
Schmerzen die Anwendung von Antineuralgicis. Morphium 
versagt häußg. Seine Verordnung erheischt auch wegen der 
relativ häufig vorkommenden Idiosynkrasie einige Vorsicht. 
Aspirin, Pyramidon und Trigemin leisten diesbezüglich aus¬ 
gezeichnete Dienste und können durchwegs, ohne eine schlechte 
Beeinflussung des Gesamtorgänismus befürchten zu müssen* 
verordnet werden. Dass aber die Suppuration eines lokalen 
Entzündungsprozesses, der noch dazu von einer jauchigen 
Pulpa verursacht und unterhalten wird, durch Jodkali ver¬ 
hindert werden kann, müsste erst erwiesen werden und 
widerspricht zum mindesten dem, was ich seinerzeit an der 
Wiener medizinischen Schule über „Entzündung“ gelernt habe. 
Niemandem wird es z. B. einfallen, bei einer Schussverletzung 
Jodkalium zu verabfolgen, um eine Abszessbildung im zer¬ 
fetzten und infizierten Schusskanal zu verhindern. Ueber- 
haupt muss Dr. Bukley gegenüber festgestellt werden, dass 
nach unseren Auffassungen eine Entzündung niemals auf 


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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 171 

chemische Agentien zurückzuführen ist. Chemikalien können 
ätzen, aber nicht entzünden, wenigstens haben wir es so 
gelernt. Es scheint diesbezüglich eine verschiedene Auffassung 
vorzuliegen. 

Der Uebergang in das Stadium der Suppuration erfolgt 
oft plötzlich: ein „toter“ Zahn, der sich seit längerer Zeit 
in irgend einer Weise störend bemerkbar gemacht hat, 
verursacht plötzlich rasende Schmerzen, Fieber, Schüttel¬ 
fröste etc. Schon am nächsten Tage kann ein grosser Alveolar¬ 
abszess mit ausgedehnten, oft die ganze Wange und beide 
Augenlider oder am Unterkiefer den Mündboden der be¬ 
treffenden Seite umfassenden Oedemen vorhanden sein (akut 
auftretende Abszesse). 

Die Behandlung solcher Fälle ist sehr einfach, wenn zur 
Zeit, als wir sie in Behandlung nehmen, an irgend einer 
Stelle des entzündlichen Tumörs der Eiter sich ganz nahe an 
die Oberfläche gedrängt hat oder gar schon durchgebrochen 
ist (reife Abszesse). Nach ausgiebiger Inzision und Entleerung 
des Eiters soll man in jedem Falle auch den Eingang in die 
im Bereiche der Spongiosa gelegene Abszesshöhle („Knochen¬ 
lade“) aufsuchen und sich überzeugen, ob derselbe weit genug 
ist für einen genügenden Eiterabfluss. Ich führe zu diesem Zwecke 
ein gerades, sondenförmiges Instrument, in die Inzisionswunde, 
taste damit den knöchernen Grund der Wundhöhle ab und 
finde meistens ohne weiters das Loch im Knochen, durch 
welches das Instrument in die „Knochenlade“ eindringen kann. 
Ich kann jetzt mit dem Instrumente dieses Loch, wenn es 
für einen genügenden Eiterabfluss zu klein scheint, erweitern 
und mir überdies eine Vorstellung von der Grösse der Knochen¬ 
lade, von hineinragenden Wurzelspitzen, Kommunikationen mit 
der Nachbarschaft (Antrum) etc. machen. 

Da im Bereiche des Zahnfleisches gesetzte Inzisions¬ 
wunden sehr rasch verkleben, empfiehlt es sich, entweder 
durch leichte Tamponade oder dadurch, dass man mit der 
Schere aus einem Wundrande einen Zahnfleischlappen ex- 
zidiert, ein vorzeitiges Verkleben derselben zu verhindern. 
Die Patienten lassen sich diese Eingriffe ruhig gefallen, wenn 


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172 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


wir vorher eine lokale Injektion (ich verwende Novocain) 
machen. Natürlich darf die Injektionsnadel nicht in die Abszess¬ 
höhle . Vordringen, denn da würde die Injektionsflüssigkeit 
sich einfach ohne jeden weiteren Erfolg mit dem Eiter mischen. 
Auch soll die Injektionsspritze nach dem Einstich in das 
Gewebe ganz langsam entleert werden. Bei Beobachtung 
dieser Vorschrift kann man in noch so entzündete Gewebe 
Novocain injizieren, ohne dem Patienten grössere Schmerzen 
zu bereiten. Auch soll man nach der Injektion mindestens 
10 Minuten zuwarten. Die Ausserachtlassung dieser zwei 
Forderungen: langsam injizieren und nachher mindestens 
10 Minuten warten, kann das beste Anästhetikum in Miss¬ 
kredit bringen. 

Es ist eine Freude, zu beobachten, wie schnell „reife“ 
Alveolarabszesse unter der angedeuteten Behandlung: Inzision 
und Sondierung, respektive Erweiterung des Zuganges zur 
Knochenlade unter Lokalanästhesie und Offenhalten der In¬ 
zisionswunde ausheilen. 

Oft kommen grosse, von ausgedehnten Oedemen und 
schweren Allgemeinsymptomen begleitete Alveolarabszesse in 
Behandlung, welche trotz längeren Bestehens noch keine Spur 
einer Fluktuation zeigen, noch „unreif“ sind. Natürlich ist es 
auch in solchen Fällen schon zur Abszedierung gekommen, 
nur ist es dem Eiter noch nicht gelungen, durch die Lamina 
corticalis durchzubrechen. Ergibt eine eingehende lokale Unter¬ 
suchung, dass eine fluktuierende Erweichung des entzündlichen 
Tumors nicht sobald zu erwarten ist und sind anderseits, ab¬ 
gesehen von den quälenden Schmerzen, schon schwerere All¬ 
gemeinsymptome vorhanden oder ist gar die Möglichkeit einer 
Streptokokken-Invasion nicht abzuweisen, so haben wir die 
Pflicht, sofort chirurgisch einzugreifen, vorausgesetzt natürlich 
die Einwilligung der Patienten. Denn vielfach werden unsere 
gutgemeinten Vorschläge an dem alten Vorurteil der Leute: 
„Solange man geschwollen ist, kann man nichts tun!“ scheitern. 

Ich trachte zunächst den schuldigen Zahn zu eruieren, 
injiziere langsam in der Gegend seines Apex Novocain in das 
Zahnfleisch, trenne dann die Weichteile durch einen bis auf 


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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 173 

den Knochen reichenden Querschnitt, schiebe die Wundränder 
nach oben und unten zurück, so dass die von Weichteilen 
entblösste Alveolarwand in genügender Ausdehnung besichtigt 
werden kann. Die dabei auftretende Blutung ist nicht zu 
fürchten und steht nach kurzer Kompression mit dem Gaze¬ 
tupfer. Meistens findet man an der Farbe, dem Blutgehalt und 
an Rauhigkeiten des Knochens einen Anhaltspunkt für das 
weitere Vorgehen. Nach Abtragung des betreffenden Stückchens 
der Corticalis (gewöhnlich gelingt dies mit einem kleinen 
scharfen Löffel oder mit einem Rundbohrer) ist das Alveolar¬ 
fach eröffnet. Meistens kommt jetzt schon Eiter zum Vor¬ 
schein. Seine Ausflussöflnung wird noch erweitert und die 
Sache ist erledigt. Die Inzisionswunde wird wieder durch leichte 
Tamponade oder Exzision offen gehalten. 

Auch sehr schwere Fälle von Alveolarabszessen werden 
durch zielbewusstes operatives Eingreifen in kurzer Zeit zur 
Heilung gebracht. 

Ich weiss, dass man sich gerade in diesem „virulenten“ 
Stadium meistens auf die Verordnung von Dunstumschlägen, 
lauwarmen Mundspülungen etc. beschränkt und ruhig die 
Fluktuation, eventuell sogar den spontanen Durchbruch des 
Eiters abwartet. Man braucht dann nur solche Patienten anzu¬ 
sehen, um sich eine Vorstellung von den ausgestandenen 
Qualen machen zu können. Ich möchte sehr dafür eintreten, 
alle diese Fälle sofort operativ zu behandeln. Der Eingriff ist 
unter Novocain-Injektion leicht durchführbar; schon nach der 
Injektion fühlen sich die Patienten infolge des Nachlassens der 
spannenden Schmerzen erleichtert und getröstet und lassen 
sich die weiteren Eingriffe ruhig gefallen. 

Ich habe früher manche Fälle — ich gestehe es offen — 
durch „Wurzelresektionen kuriert“, die heute durch eine einzige 
Trikresol-Formalineinlage mit Erfolg behandelt werden können. 

Anderseits beschränken wir uns in „virulenten“ Fällen, 
die nach einem chirurgischen Eingriff geradezu schreien, wo 
es gilt, schwer leidenden Patienten die ersehnte Erleichterung 
zu verschaffen, darauf, Umschläge zu verordnen oder im besten 

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Dr. Josef Lartschneider, Liuz a. d. Donau. 


Falle raffen wir uns zu einer Inzision ins Zahnfleisch auf. Und 
wie dankbar sind gerade solche Fälle für eine zielbewusste und 
energische operative Behandlung. Dabei kommt es auf die 
Resektion der Wurzelspitze gar nicht an. Die Wurzelspitze 
kommt erst in Betracht, wenn sie unseren Bestrebungen, zum 
Krankheitsherde vorzudringen, im Wege steht — und da kann 
mit einem Rundbohrer leicht abgeholfen werden. Die Einlage 
einer Jodoform-Knochenplombe mit folgender Naht der Wunde 
bietet in einzelnen Fällen gewiss Vorteile, wäre aber bei Vor¬ 
handensein von Eiter oder gar bei Fieber als grober Fehler 
zu betrachten, geradeso wie andere Abszesse niemals, auch 
nach noch so gründlicher Eiterentleerung und Exkochleation 
durch Naht verschlossen werden dürfen. 

Die meisten dieser Abszesse, im Oberkiefer sowohl als 
im Unterkiefer, kommen schliesslich an der labialen, respektive 
buccalen Kieferseite als entzündliche Tumoren zum Vorschein. 

Von den Gaumenwurzeln oberer mehrwurzeliger Zähne 
ausgehende Alveolarabszesse brechen in der Richtung gegen 
den harten Gaumen durch und zeigen sich daselbst als runde, 
fluktuierende Geschwülste oder Fisteln. Die poröse Beschaffenheit 
des Processus palatinus bietet den Durchbruchsbestrebungen 
solcher Abszesse selten grössere Schwierigkeiten, sie erreichen 
daher auch meistens nur Bohnengrösse und verursachen 
beinahe nie schwerere Symptome. Eine Inzision in den 
fluktuierenden Tumor und Trepanation des betreffenden 
Zahnes mit darauffolgender Trikresol-Formalineinlage bringt 
Gaumenabszesse und Gaumenfisteln überraschend schnell zur 
Heilung. Gaumenabszesse, die den grössten Teil des harten 
Gaumens als grosse, kugelige, weiche Tumoren bedecken und 
grosse Beschwerden verursachen, gehen beinahe immer von 
einem seitlichen oberen Schneidezahn aus. Dabei bietet die 
apicale Gegend dieses kranken Zahnes, von der labialen Seite 
besichtigt, häufig nicht die geringsten Anhaltspunkte für die 
Annahme des Bestehens eines solchen Gaumenabszesses. Oefters 
jedoch konnte ich daselbst unter der geröteten Schleimhaut 
gelegene Stränge — infiltrierte Lymphgefässe — tasten, was 
in diagnostischer Hinsicht zu bemerken wäre. 


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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 176 

v. Metnitz erwähnt in seinem Lehrbuche (Seite 192): 
„Der seitliche Schneidezahn verursacht gar nicht selten Ab¬ 
szesse, welche hinter demselben auf der Gaumenseite des 
Alveolarprozesses sich hefinden und wohl den halben harten 
Gaumen einnehmen können.“ 

Schon früher (Seite 165) habe ich erwähnt, dass ander¬ 
seits auch grosse, von seitlichen oberen Schneidezähnen aus¬ 
gehende Alveolärabszesse längere Zeit hindurch bestehen können, 
ohne dass diesbezüglich objektive Symptome, also auch keine 
Gaumenabszesse, auftreten. .Nirgends in der mir zugänglichen 
Literatur finde ich nähere Ausführungen über diese inter¬ 
essanten Krankheitsherde. Ein näheres Eingehen in diese Details 
würde mich zu weit von meinem Thema abführen. Ich werde 
bei anderer. Gelegenheit über ihre pathologische Anatomie und 
Aetiologie berichten. 

In manchen Fällen, besonders im Oberkiefer, kommt es 
bei kleineren periapicalen Eiterungen nicht zur Fistelbildung, 
sondern der Eiter breitet sich längs der Zahnwurzel nach 
abwärts aus und kommt schliesslich unter dem Zahnfleischrand 
rings um den Zahnhals zum Vorschein. Solche Fälle bieten 
durchwegs eine günstige Prognose für das Trikresol-Formalin. 
Es erübrigt mir noch, auf kleine, entzündliche Tumoren hin¬ 
zuweisen, die gewöhnlich in der apicalen Gegend der oberen 
Prämolaren und Molaren, manchmal auch der Eckzähne Vor¬ 
kommen. Sie entstehen gewöhnlich ganz allmählich, nachdem 
sich der betreffende „tote“ Zahn einige Zeit bemerkbar gemacht 
hat, sind rund, bis erbsengross, unter der unveränderten 
Schleimhaut liegend und mehr oder weniger leicht verschieblich. 
Gegen Druck sind sie gewöhnlich empfindlich und können 
schon beim Lachen oder Mundverziehen bis ins Auge aus¬ 
strahlende Schmerzen auslösen. Es sind kleine Granulom¬ 
geschwülste, die gestielt durch einen Knochendefekt hindurch 
mit der periapicalen Abszesshöhle Zusammenhängen. Vielleicht 
ist eine geringe Virulenz der Entzündungserreger die Ursache 
für die Entstehung solcher Tumoren. 

Auffallenderweise bietet die Behandlung dieser Fälle 
meiner Erfahrung nach manche Schwierigkeiten. Es empfiehlt 


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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


sich, solche Zähne nach der Trepanation, ausgiebigen Er¬ 
öffnung der Pulpakammer und Untersuchung der Wurzel¬ 
kanäle längere Zeit offen zu lassen. Während dieser Zeit soll 
sich der Patient selbst den Zahn täglich mit Watteeinlagen 
behandeln. Sobald der erwähnte Tumor kleiner und gegen 
Druck unempfindlicher ist (dies braucht oft mehrere Wochen), 
Vorm derselbe durch Trikresol-Formalin und eventueller gleich¬ 
zeitiger Inzision in den noch nicht vollkommen zurück¬ 
gegangenen Tumor durchwegs zur Heilung gebracht werden. 

Alveolare Abszesse des Unterkiefers erzeugen analoge 
Symptome. Zu erwähnen wäre, dass von den Schneidezähnen 
des Unterkiefers ausgehende Alveolarabszesse im Bereiche der 
Spongiosa des Kieferknochens als eingeschlossene Abszesse 
sich ausbreiten und längere Zeit hindurch die grössten Be¬ 
schwerden: Schmerzen, brettharte Infiltration des Kinnes etc., 
verursachen können und, wenn sie nicht durch Trepanation 
vom Vestibulum oris aus eröffnet werden, schliesslich nach 
aussen durch die Haut durchbrechen und unterhalb des Kinnes 
jahrelang am Knochen festsitzende Kinnfisteln zur Folge haben. 

Bei Alveolarabszessen der unteren Molaren muss natürlich 
gmf gjeventuell eintretende Mundsperre gedacht werden. Auf 
die oft abenteuerlichen Ausartungen der von unteren Weis¬ 
heitszähnen ausgegangenen Alveolarabszesse ist schon von 
anderen Autoren hingewiesen worden. 

Die Residuen abgelaufener Alveolarabszesse: Fisteln 
und harte, meistens periostale Auftreibungen in der apicalen 
Gegend des betreffenden Zahnes, bieten ein weites und dank¬ 
bares Feld für die Trikresol-Formalinbehandlung. 

Schon in einem früheren Aufsätze' habe ich auf die 
überraschend günstige Beeinflussung der Zahnfleischfisteln durch 
das Trikresol-Formalin hingewiesen. Fisteln, deren Beginn 
viele Jahre zurückreicht, heilen nach einmaliger Trikresol- 
Formalineinlage, so dass bald nachher nur mehr ein graues, 
narbiges, am Knochen anhaftendes Pünktchen die Stelle be¬ 
zeichnet, an welcher früher die Fistelmündung war. Jedes 

1 Siehe Seite 165, Anm. 1. 


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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 177 

Durchspritzen des Fistelganges vom Wurzelkanal aus ist über¬ 
flüssig, ebenso Sondieren etc. Es genügt einfaches Auspusten 
des eröffneten Wurzelkanals mit heisser Luft und Einführung 
eines Trikresol-Formalinfadens in den Wurzelkanal, wenn es 
leicht möglich ist, sonst Aufpressen eines in das Medikament 
getauchten Wattebäuschchens. In die Gegend der Fistelmündung 
injiziere ich einige Tropfen Novocainlösung, spalte dann mit 
dem Messer bis auf den Knochen und exkochleire, wenn not¬ 
wendig, auch den knöchernen Anteil der Fistel mit einem 
geraden, löffelförmigen Exkavator. Die Inzisionswunde muss 
einige Zeit offen gehalten werden. Das prompte Heilen auch 
jahrelanger Zahnfisteln nach sq einfacher Behandlung ist auf 
den ersten Blick überraschend, aber im Hinblick auf analoge 
Vorkommnisse in der Chirurgie vollständig verständlich. Ein 
eingewachsener Nagel oder irgend ein von aussen einge¬ 
drungener Fremdkörper kann monatelang sein Unwesen treiben 
und monströse Granulationswucherungen, exzessive Eiterung, 
Anschwellungen etc. verursachen. Nach Exzision des betreffenden 
Nagelteiles oder nach Entfernung des Fremdkörpers sind in ganz 
kurzer Zeit alle diese Symptome verschwunden. Schliesslich ist 
ja eine gangränöse Pulpa auch als Fremdkörper zu betrachten, 
der durch das Foramen apicale in das umgebende Gewebe 
hineinragt und wegen seines Gehaltes an Infektionsstoffen 
allerlei Gefahren birgt und entzündliche Reaktionen unterhält. 

Auch die früher erwähnten, nach periapicalen Abszessen 
zurückbleibenden periostalen Verdickungen und Auftreibungen 
an der apicalen Gegend, die nach meiner Beobachtung meistens 
an mittleren oberen Schneidezähnen und an Molaren (oben und 
unten), seltener an Prämolaren, Vorkommen und häufig die 
Keime für Rezidiven enthalten, schwinden meistens nach Frei¬ 
legung und Behandlung der betreffenden Wurzelkanäle mit 
Trikresol-Formalin. Sollten nach der ersten Einlage Schmerzen 
auftreten, empfiehlt es sich, den Zahn einige Zeit offen zu lassen, 
ln hartnäckigen Fällen können diese Auftreibungen durch In¬ 
zision oder Trepanation eröffnet und unter leichter Tamponade 
und gleichzeitiger Trikresol-Formalineinlage in den Wurzelkanal 
zur Heilung gebracht werden. 


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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


Knochensequester habe ich bei Alveolarabszessen 
öfters getroffen. Meistens handelte es sich um kleine, dünne 
Knochenlamellen, welche alle Kennzeichen eines Sequesters: 
Verfärbung, glatte, absorbierte Ränder etc., aufwiesen. 

Grössere Sequester können oft Fistelgänge mit weitab¬ 
liegenden Fistelmündungen (Nasenbein, unterer Orbitalrand etc.) 
verursachen. 

Selten bieten solche Fälle Schwierigkeiten in bezug auf 
die Diagnose und Therapie. 

Das chirurgische Gesetz: Ubi pus, ibi evacuatio, das 
heisst, sobald ein Eiterherd mit Grund vermutet werden kann, 
soll er aufgesucht, ausgiebig eröffnet und einige Zeit hindurch 
offen gehalten werden, gilt auch für die Zahnheilkunde! 

Wurzelbehandlung bei lebender Pulpa. 

Den Anregungen Dr. Schreiers 1 in Brünn zufolge 
habe ich, ausser in Fällen, wo die Nervextraktion als vor¬ 
bereitende Operation für die Anfertigung von Stiftzähnen und 
Brücken unerlässlich war, seit Monaten keinen Nerv mehr 
extrahiert, sondern mich lediglich auf die Amputation der 
Kronenpulpa beschränkt. Ich weiss, dass diese Methode viel¬ 
fach perhorresziert wird. Ja, ich kann mir denken, dass 
vielleicht mit abfälligem Nasenrümpfen diese meine Aus¬ 
führungen beiseite gelegt oder gar als Ausfluss eines geringen 
Verständnisses für exaktes Arbeiten aufgefasst werden. Dem 
gegenüber erlaube ich mir die Frage: Was dann, wenn die 
Pulpa trotz aller Bemühungen überhaupt nicht oder nur teil¬ 
weise extrahiert werden kann? In solchen Fällen muss sich 
jeder mit der Abtragung der Kronenpulpa begnügen, ja, ich 
glaube kaum, dass dabei das Herumstochern mit der Donaldson¬ 
nadel für einen glatten Verlauf der Behandlung von Vorteil 
war. Was aber in dem einen Fall billig war, soll dies nicht 


1 Dr. Philipp Schreier, Brtknn: Zur Behandlung der Pnlpagangrän 
mit Trikresol-Formalin. Oesterr.-nngar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilknnde, 
1907, Heft 1, Seite ö6. 


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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 179 


auch in anderen Fällen recht sein? Ich kann nur versichern, 
dass der Verlauf und die Erfolge nach Nervamputation voll¬ 
ständig zufriedenstellend sind! 

Ich bin Dr. Schreier dankbar, dass ich der für Arzt 
und Patienten gleich aufregenden Prozedur der Nervextraktion 
und der ewigen Nervennadelmisere enthoben bin. Trotz aller 
Versicherungen unsererseits, „dass es nicht wehe tun wird“, ist 
das Nervextrahieren gewöhnlich doch scheusslich schmerzhaft. 

Ich bin herzlich froh, aus allen diesen Bedrängnissen 
einen glücklichen Ausweg gefunden zu haben. Unser Beruf 
wird viel von seinen Aufregungen und Schrecken ver¬ 
lieren, wenn wir von den Nervextraktionen absehen und 
uns auf die Pulpaamputation beschränken. Diese Methode in 
Verbindung mit der Trikresol-Formalinbehandlung bietet eine 
sichere Gewähr für ganz vorzügliche Erfolge. Der Vorgang, 
den ich dabei beobachte, ist folgender: Ich amputiere mit 
einem Rundbohrer die Kronenpulpa, säubere die Pulpakammer 
möglichst gründlich von den Pulparesten und Bohrspänen und 
lege auf die Nervenstümpfe ein in Trikresol-Formalin getauchtes 
Wattebäuschchen und verschliesse mit Mastix oder mit Fletcher. 
Nach 5 Minuten, wenn möglich nach einigen Tagen, entferne 
ich diese Einlage, presse Trikresol-Formalinpaste in die Pulpa¬ 
kammer, so dass alle Nervenstümpfe bedeckt sind und 
plombiere dann den Zahn nach entsprechender Präparation der 
Kavität. Trikresol - Formalin auf einen blutenden Nerven¬ 
stumpf gebracht, erzeugt nie Schmerzen, im Gegenteil, wirkt 
schmerzstillend, ln der nächsten Sitzung kann man konstatieren, 
dass die Nervenstümpfe braun, trocken und bei oberflächlicher 
Untersuchung unempfindlich sind. Bei tieferem Eindringen mit 
der Nadel kommt man noch auf lebende Pulpa. Jedenfalls 
wird nach einiger Zeit die ganze Pulpa infolge der pene¬ 
trierenden Eigenschaften des Trikresol - Formalin in einen 
braunen, geschrumpften, sterilen Faden verwandelt sein (Mumi¬ 
fikation). Ich zweifle nicht, dass das Trikresol-Formalin auch 
die Kronenpulpa anstandslos durchsetzen und mumifizieren 
wurde, halte jedoch die Abtragung derselben zur Erhaltung 
der Farbe des Zahnes für notwendig. 


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Dr. Josef Lartschneider, Lins a. d. Donau. 


Die besten Erfolge, d. h. einen meistens ganz reaktions¬ 
losen Verlauf, habe ich in den Fällen beobachten können, bei 
denen die Pulpa nicht durch Verätzung, sondern durch eine 
„apicale“ Novocaininjektion unempfindlich gemacht wurde. 
Daher soll man eine Arseneinlage, besonders in Fällen, wo 
es sich doch nur um die Anästhesierung der Kronenpulpa 
handelt, nicht zu lange liegen lassen. 5 bis 6 Stunden nach 
der Arseneinlage kann, besonders wenn das Medikament bei 
blossliegender Pulpa appliziert wurde, gewöhnlich die Amputa¬ 
tion der Pulpa vollständig schmerzlos ausgeführt werden. Die 
nach der Amputation auftretenden reaktiven Erscheinungen 
sind in der Regel nach 3 bis 4 Tagen vollständig verschwunden. 


Pulpa- und Dentinanästhesie. 

Man kann eine Pulpa auf zweierlei Art unempfindlich 
machen: entweder durch Verätzung (Mortifikation) oder durch 
Anwendung irgend eines Anästhetikums (Impression, Injektion). 
Im letzteren Falle ist die Unempfindlichkeit der Pulpa eine 
temporäre, d. h. nach Ablauf der Wirkungsdauer des be¬ 
treffenden Mittels wird die Pulpa wieder empfindlich und blut- 
hältig, sie „lebt“ weiter. Ich habe nie beobachten können, 
dass eine Impression oder Injektion Pulpatod zur Folge ge¬ 
habt hätte. 

Was die Impression (Kokain) betrifft, so kann man bei 
Zähnen mit gesunder Pulpa geradezu Triumphe feiern, kommt 
uns daher bei Voroperationen für Kronen- und Brückenarbeiten 
sehr zustatten. Bei den Nervbehandlungen kommen jedoch bei¬ 
nahe ausschliesslich entzündete Pulpen in Betracht und da lässt 
die Impression meistens vollkommen im Stich. Man erspare 
sich in solchen Fällen alle weiteren Bemühungen und greife 
zum Arsen (Kobalt verwende ich nicht gerne wegen seiner 
blauschwarzen Farbe) oder zur Injektion. 

Zu Injektionen behufs Pulpaanästhesie verwende ich aus¬ 
schliesslich eine 2prozentjge Novocainlösung mit dem Zusatze 
von Suprarenin. Dabei kann ich Dr. Julius Misch (Berlin) nur 


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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 181 

beistimmen, der den bisher üblichen Zusatz von 0'00009 Gr. 
Suprarenin grösser als notwendig erachtet. Abgesehen von 
den toxischen Eigenschaften stört das Suprarenin häufig infolge 
der im Bereiche der injizierten Gewebe auftretenden Zirkulations¬ 
störungen nach Zahnextraktionen den glatten Wundverlauf. Da¬ 
her sind die Anregungen Misch’, den Suprareningehalt der In¬ 
jektionsflüssigkeit herabzusetzen, freudigst zu begrüssen. Allein 
gleich auf 0 - 000l)15 Gr. Suprarenin herabzugehen, finde ich 
nicht für angezeigt. Nach meinen Erfahrungen erfüllt eine 2pro- 
zentige Novocainlösung mit dem Zusatze von nur 0*000015 Gr. 
Suprarenin zwar bei Zahnextraktionen meistens vollständig 
ihren Zweck, allein bei Pulpaanästhesie lässt sie häufig trotz 
langem Zuwarten im Stich, was sich schon äusserlich durch 
die geringe Anämisierung des Injektionsfeldes manifestiert. Ich 
bin mit dem Suprareninzusatz langsam in die Höhe gegangen 
und habe gefunden, dass erst bei einem Zusatz von 0*00005 Gr. 
Suprarenin die Erfolge bei Pulpaanästhesie zufriedenstellend 
sind. Dabei beträgt der Suprareninzusatz erst die Hälfte 
der üblichen Beimengung von 0*00009 Gr. Die toxischen Er¬ 
scheinungen nach solchen Injektionen sind wirklich minimal. 
Meistens konnte ich nur rasch vorübergehendes Herzklopfen 
und leichtes Depressionsgefühl beobachten. Kinder unter 
9 Jahren bekommen •/» bis */ 4 Spritze. Auch alte Leute ver¬ 
tragen diese Injektion sehr gut. Ich habe die „Marktplatz- 
Apotheke“ in Linz, deren Spezialität schon seit vielen Jahren 
die Fabrikation und der Versand von „Injektions-Phiolen“ 
ist, veranlasst, Novocainlösung mit 0*00005 Gr. Suprarenin¬ 
zusatz in Phiolen anzufertigen. Die „Marktplatz - Apotheke“ 
in Linz ist vollständig verlässlich. Ich kann sie den Herren 
Kollegen bei eventuellem Bedarfe schon deshalb empfehlen, 
weil dort die Novocain-Injektionen genau um die Hälfte des 
Preises erhältlich sind, zu welchem die Höchster Farbwerke 
ihre Injektionen verkaufen. 

üeber die Technik der zum Zwecke der Dentin- und 
Pulpaanästhesie auszuführenden Injektionen möchte ich, trotz¬ 
dem diese Frage schon von mehreren Seiten erörtert wurde, 
folgendes berichten. 


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Dr. Josef L&rtschneider, Linz a. d. Donau. 


Da es sich in solchen Fällen um die Anästhesierung des 
ins Foramen apicale eintretenden Nervenfadens handelt, muss 
man mit der Injektionsnadel entweder in die Nähe der Wurzel¬ 
spitze des betreffenden Zahnes zu gelangen suchen oder, wenn 
dies nicht möglich ist, weiter zentralwärts den Nervenstamm, 
von dem sich der betreffende Pulpafaden im weiteren Verlaufe 
abzweigt, aufsuchen, um auf dem Wege der Leitungsanästhesie 
auf die zu behandelnde Pulpa einzuwirken. 

Im Oberkiefer sind die anatomischen Verhältnisse derart, 
dass man durchwegs leicht den betreffenden Nervenfaden an 
seinem Eintritt in das Foramen apicale anästhesieren kann. 

Der vom Ganglion semilunare (Gasseri) abzweigende 
Nervus maxillaris entsendet bekanntermassen die Rami alveo¬ 
lares superiores, welche durch mehrere im Bereiche der oberen 
und lateralen Knochenwand der Oberkieferhöhle befindlichen 
Nervenlöcher durch dieselbe durchtreten und nun an der 
lateralen Anthrumwand, bedeckt von der serösen Auskleidung 
der Höhle, nach abwärts zum Alveolarfortsatz gelangen. 
In ihrem weiteren Verlaufe entsteht durch reichverzweigte 
Anastomosenbildung zwischen den einzelnen Rami alveolares 
(anterior, posterior, superior) der im Bereiche der Spon¬ 
giosa des Alveolarfortsatzes gelegene Plexus dentalis superior, 
aus dem die am Grunde der einzelnen Alveolarfächer in die 
Foramina apicalia eintretenden Pulpafäden abgehen. Ausser¬ 
dem entspringen eine Unzahl feiner Nervenfäden aus diesem 
Plexus, die an zahlreichen Poren die dünne Cortical- 
lamelle des Alveolarfortsatzes durchbrechen und das Zahn¬ 
fleisch des Oberkiefers als Rami gingivales superiores durch¬ 
setzen. 

Nachdem man sich an der labialen Fläche des Pro¬ 
cessus alveolaris über die Lage der Wurzelspitze des be¬ 
treffenden Zahnes orientiert hat, sticht man daselbst die In¬ 
jektionsnadel tief unter das Zahnfleisch und schiebt sie dann 
unter langsamer Entleerung der Injektionsspritze dem Knochen 
entlang nach aufwärts. Da der Plexus dentalis superior nur 
durch eine dünne und infolge zahlreicher Nervendurchtritte 
noch dazu poröse Knochenlamelle vom Zahnfleisch getrennt 


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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 183 


ist, gelingt es meistens leicht, den in Betracht kommenden 
Pulpafaden direkt zu anästhesieren. Oberflächliche Injektionen, 
die sich als grosse ödematöse Quaddeln manifestieren, sind für 
Zahnextraktionen genügend, scheinen infolge der geringen 
Tiefenwirkung aber für die Pulpaanästhesie weniger wirksam 
zu sein, es wäre denn, dass man den Suprareninzusatz be¬ 
deutend erhöht. 

Viel ungünstiger für die Pulpaanästhesie durch Injektion 
liegen die anatomischen Verhältnisse des Unterkiefers. 

Der Nervus alveolaris inferior betritt als stattlicher 
Nervenstamm an der Lingula mandibulae das Foramen man¬ 
dibulare und ist während seines ganzen Verlaufes im Canalis 
mandibularis der Aussenwelt entrückt und kommt erst am 
Foramen mentale, etwas unterhalb der Wurzelspitzen der Prä¬ 
molaren gelegen, als Nervus mentalis wieder zum Vorschein. 
Er verzweigt sich jetzt als Nervus mentalis unter der Schleim¬ 
haut der Unterlippe und enthält die für sie bestimmten sen¬ 
sorischen Nervenfasern. Aber nicht der ganze Nervus alveolaris 
inferior tritt als Nervus mentalis durch das Foramen mentale 
aus dem Innern des Unterkieferknochens heraus, sondern ein 
ziemlich beträchtliches Nervenstämmchen zieht im Bereiche 
der Spongiosa des Unterkiefers weiter, gleichsam als Fortsetzung 
des Nervus alveolaris inferior bis zur Medianlinie, wo die 
beiderseitigen Unterkieferäste zusammenstossen und endigt in 
den als Rami dentales et gingivales inferiores bezeichneten 
Nervenfäden, welche, vielfach untereinander anastomosierend, 
ein im Bereiche der Spongiosa gelegenes feines Netz bilden, 
von dem die für die unteren Schneide- und Eckzähne be¬ 
stimmten Pulpafäden abgehen. 

Die für die unteren Prämolaren und Molaren bestimmten 
Pulpafäden entspringen aus einem im Bereiche der Spongiosa 
des Unterkieferknochens sich ausbreitenden Nervenplexus, in 
welchen die vom Nervus alveolaris inferior während seines 
Verlaufes durch den Canalis mandibularis abgehenden Nerven¬ 
fäden einmünden. 

Wenn es gelänge, wie schon vorgeschlagen wurde, mit 
der Injektionsnadel den Nervus alveolaris inferior vor seinem 


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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


Eintritte ins Foramen mandibulare zu treffen, so könnten wir die 
Anästhesierung sämtlicher Zähne der betreffenden Unterkieferhälfte 
vornehmen — gewiss in vielen Fällen ein wünschenswertes Ziel. 
Allein, ich kann mich der Vermutung nicht verschliessen, dass 
dieser Eingriff sich kaum jemals in der Praxis einbürgern 
wird. Ich habe die „Injectio mandibularis“ wiederholt aus¬ 
geführt, habe auch einigemal gute Resultate damit erzielt, 
allein ich bin wieder davon abgekommen. Die Orientierung 
ist nämlich furchtbar schwer, die leiseste Veränderung der 
Kopfhaltung bedingt eine Verschiebung der topographischen 
Verhältnisse. Alle meine Versuche, irgend eine Art „Rosa- 
Nelatonsche“ Linie zur sicheren Orientierung zu konstruieren, 
sind erfolglos gewesen. Zudem darf nicht vergessen werden, 
dass die Möglichkeit einer Verletzung der Arteria alveolaris 
inferior oder gar einer der beiden Arteriae maxillares absolut 
nicht von der Hand zu weisen ist. Zudem verweise ich auf 
die vielen üblen Zufälle, die schon nach der Injektion der 
unteren Weisheitszähne (Schlingbeschwerden, Glottisödeme, 
Atembeschwerden) gar nicht so selten auftreten und bei noch 
weiter rückwärts am Halse ausgeführten Injektionen erst recht 
in das Bereich der Möglichkeit gezogen werden müssen. 
Konstant haben die Patienten nach derartigen Injektionen 
über längere Zeit andauernde, Schmerzen im Kiefergelenk und 
über Schlingbeschwerden geklagt. 

Ich habe übrigens in Fällen, wo es sich um die An¬ 
ästhesierung unterer Molaren und Prämolaren gehandelt hat, 
durch buccal und lingual vom betreffenden Zahne unter 
das Zahnfleisch ausgeführte tiefe Injektionen wiederholt Er¬ 
folge erzielt. 

Injektionen, welche in die unter den Schneide- und Eck¬ 
zähnen labial und lingual gelegenen Zahnfleischpartien quoad 
Dentin- und Pulpaanästhesie ausgeführt werden, sind ganz 
erfolglos. 

Auch in Fällen, in denen ich den Pulpafaden mit der 
Dönaldsonnadel extrahiert habe, lege ich mit vorzüglichem 
Erfolge nach der Nervextraktion einen in Trikresol-Formalin 


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Stadien über die pathologische Anatomie and Therapie etc. 185 

getauchten Wattefaden und verschliesse mit Fletcher. In der 
gleichen Sitzung schon Paste einzupressen und den Zahn 
dauernd zu plombieren, möchte ich nicht empfehlen. Ich habe 
einigemal in solchen Fällen mehrere Monate nachher wegen 
plötzlich auftretender Schmerlen behufs neuerlicher Trikresol- 
Formalinbehandlung trepanieren müssen und dabei im Nerv¬ 
kanal ausgesprochenen Gangrängeruch konstatieren können. 
Es scheint, dass das im Nervkanal angesammelte Blut ein 
Hindernis für das Vordringen der Paste war. 

Sehr gute Dienste hat mir oft die Kombination von 
Arsen und Inj ektion, in die Pulpa selbst, geleistet. Wenn 
es uns rasch und ohne langes Herumsuchen gelingt, mit der 
Injektionsnadel in den Nervkanal zu gelangen und gleichzeitig 
schon einige Tropfen zu injizieren, so kann die Pulpa 
schmerzlos extrahiert werden. 

Pulpaanästhesie hat natürlich auch Dentinanästhesie zur 
Folge. Man muss sich davor hüten, in Fällen, wo es sich nur 
um eine temporäre Anästhesierung des Dentins handelt, Arsen 
(bei naheliegender Pulpa auch Karbolsäure) anzuwenden, da 
dies eine Mortifikation der Pulpa bedingen würde. 

Die vielen Bemühungen, irgend ein verlässliches Mittel zur 
Dentinanästhesie ausfindig zu machen, sind nur allzu gerecht¬ 
fertigt. Injektionen leisten, besonders im Oberkiefer, oft gute 
Dienste — und doch finde ich es begreiflich, dass man sich 
vielfach dagegen sträubt, behufs schmerzloser Exkavation In¬ 
jektionen zu machen. Zur „Impression“ entschliesst man sich 
schon leichter, aber sie erfordert meistens-viel Zeit und Geduld 
und lässt uns trotzdem gar nicht selten vollkommen im Stich. 
Von manchen Seiten wurde Aethylchlorid empfohlen und sehr 
gerühmt. Ich verwende es oft — aus Verlegenheit — wenn 
ich mir gar nicht zu helfen weiss. Das Ausbohren ist ja nach 
ausgiebiger Anwendung von Aethylchlorid immer schmerzlos, 
allein bis zum Eintritt des Frierens verursacht der kalte Spray 
oft starke Schmerzen und nachher werden die Patienten, 
wie ich wiederholt gesehen habe, noch stundenlang von über¬ 
aus heftigem und schmerzhaftem Reissen und Stechen im be- 


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Dr. Josef Lartschneider, Liuz a. d. Donau. 


treffenden Zahne geplagt, so dass mir auch dieses anscheinend 
so einfache Mittel ziemlich verleidet wurde. Ich helfe mir 
durch Austrocknen der Kavität mit heisser Luft und durch 
Anwendung von möglichst scharfen - Bohrern. Das Bohren 
selbst soll so ausgeführt werden, dass man den Bohrer 
immer nur ganz kurz ansetzt und wieder abhebt. Oft und 
rasch hintereinander hintupten mit dem Bohrer wird leichter 
vertragen, als wenn man den Bohrer ansetzt und in con- 
tinuo weiterbohrt. Ein Heisslaufen des Bohrers darf nicht 
Vorkommen. 

Es ist selbstverständlich, dass bei blutender Pulpa 
peinlichste Anti- und wenn möglich Asepsis für den weiteren 
Verlauf der Behandlung ausschlaggebend ist. Das Uebergreifen 
infektiöser Stoffe auf die periapicalen Gewebe ist hier besonders 
leicht möglich, denn man darf nicht übersehen, dass man 
durch die Nervextraktion Lymphgefässe eröffnet und dass bei 
lebender Pulpa der Fundus des Alveolarfaches mit gesundem, 
zarten Gewebe ausgebettet ist, während im Verlaufe des gan¬ 
gränösen Zerfalles der Pulpa, vom Initialstadium bis zu ihrer 
vollständigen Nekrosierung, sich in jedem Falle um den Apex 
herum entzündliche Prozesse mit allen ihren Folgen (Exsudation, 
Bindegewebsbildung etc.) abgespielt haben. Die daraus resul¬ 
tierenden Schwarten und Verdickungen sind als Ausdruck 
der Abwehrversuche des Organismus gegen eine Invasion der 
Fäulniskeime durch das Foramen apicale zu betrachten. Wit 
treffen daher nicht selten intakte Zähne mit verjauchter Pulpa, 
die jahrelang im Alveolarfache stecken können, ohne jemals 
periapicale Entzündungen zu veranlassen. 

Alle bei Nervbehandlungen in Betracht kommenden 
Instrumente müssen selbstverständlich auch im aseptischen 
Sinne rein sein, was nur durch ausgiebiges Auskochen erzielt 
werden kann. Speziell die Donaldsonnadeln erheischen eine 
besondere Beachtung, denn sie sind infolge ihrer Beschaffenheit 
geradezu prädestiniert zum Uebertragen von Infektionsstoffen. 
Ihre mechanische Reinigung nach dem Gebrauche ist sehr 
schwer, ja es ist beinahe unmöglich, alle Gewebsfetzen aus 
den Haken der Nadel zu entfernen, ohne ihrer Brauchbarkeit 


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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 187 

Abbruch zu tun. Leider ist der Preis der Donaldsonnadeln ein 
so hoher (1 Krone pro Stück), dass es nicht jedermann gegönnt 
ist, die Nadel nach einmaligem Gebrauche weggeben zu 
können. Ich lege schon gebrauchte, aber noch verwendbare 
Nadeln nach möglichst gründlicher mechanischer Reinigung in 
löprozentiges Karbolglyzerin und koche sie vor jedem weiteren 
Gebrauch aus. Es ist selbstverständlich auch darauf zu sehen, dass 
Nervennadeln, Sonden u. dgl., die bei eitriger oder gangränös 
zerfallener Pulpa in Benützung standen, trotz Auskochen nicht 
bei Behandlung anscheinend nicht infizierter Pulpen verwendet 
werden. Wie auf jeder chirurgischen Klinik, trotz aller Des¬ 
infektion und Sterilisation, ein eigener aseptischer Operationssaal 
vorhanden ist, in welchen prinzipiell keine „eiterigen Fälle 0 
hineinkommen, so sollten wir trotz aller antiseptischen Kautelen 
darnach trachten, Patienten mit lebender, nicht infizierter Pulpa 
auf einem für solche Fälle reservierten Operationsstuhl mit 
eigens hiefür bestimmten Instrumenten vorzunehmen. Alle 
diese Vorsichtsmassregeln sind aber ungenügend, wenn nicht 
auch bei der Arbeit zielbewusst vorgegangen wird. So soll 
man z. B. direkt auf die Pulpakammer losgehen, dieselbe mit 
einem desinfizierten Rundbohrer ausräumen und die Nerven- 
stümpfe sofort mit einem in Trikresol - Formalinlösung ge¬ 
tauchten Wattebäuschchen tuschieren oder mit Trikresol-For- 
malinpaste decken und dann erst die kranken Dentinschichten 
abtragen, um die Kavität für die Aufnahme der Plombe zu 
präparieren. Denn im kranken und schmierigen Dentin herum¬ 
arbeiten und dann wieder abwechselnd mit dem verschmierten 
Rundbohrer in der Pulpa herum wühlen — wer dächte da nicht 
an einen Chirurgen, der im Verlaufe einer Laparotomie, durch 
die vorliegenden Verhältnisse veranlasst, eine digitale Unter¬ 
suchung des Rectums vornimmt und dann wieder, ohne sich 
zu waschen, am Peritoneum herumhantiert ? Ueberhaupt 
werden wir uns bei einiger Aufmerksamkeit bei ganz un¬ 
glaublichen aseptischen Inkonsequenzen ertappen! Trotz aller 
gegenteiligen Versicherungen ist die Zahnheilkunde diesbezüglich 
noch lange nicht auf der Höhe. Es gibt da noch viel zu re¬ 
formieren und zu lernen. Es schadet gar nicht, wenn hie und 


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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


da auch auf Uebelstände offen hingewiesen wird, wir brauchen 
uns deren nicht zu schämen. Auch die Chirurgie, mit der wir seit 
neuester Zeit so gerne liebäugeln, hat lange Zeit, mindestens 
ein Menschenalter, gebraucht, bis ihr die Li st er sehen Ideen 
in camem et succum übergegangen sind. 

Zum Schlüsse dieses Absatzes muss ich noch die Be¬ 
handlung der Pulpitis purulenta besprechen. Sobald die Diagnose 
auf eiteriger Pulpitis feststeht, tupfe ich den Eiter mit Watte- 
bäuschchen weg, lege auf den blutenden Pulpastumpf ein in 
Trikresol-Formalin getauchtes Wattebäuschchen und schliesse 
sofort mit Fletcher. In jedem solchen Falle schwinden die 
Schmerzen sofort nach der Trikresol-Formalineinlage. Nach 
8 Tagen entferne ich die Einlage, presse nach Amputation 
der Kronenpulpa auf den Stumpf Trikresol-Formalinpaste und 
plombiere den Zahn nach entsprechender Präparation der 
Kavität. Durchwegs sind in solchen Fällen nach der angedeuteten 
Behandlungsmethode die Erfolge zufriedenstellend. Ich kann 
nicht begreifen, warum Dr. Bukley nicht oft genug, wie schon 
erwähnt, allerdings ohne nähere Angabe von Gründen, davor 
warnen kann, in Fällen von nur partiellem Zerfalle der Pulpa 
Trikresol-Formalin anzuwenden. 

Was den Gebrauch von Koflferdam bei Nervbehandlungen 
betrifft, so bin ich natürlich dafür, dass Anhänger vom Koflfer- 
dam möglichst ausgiebigen Gebrauch machen sollen. Anderseits 
habe ich schon früher ausgeführt, auf welche Momente es bei 
unseren Bestrebungen, eine Infektion der blossliegenden Pulpa 
durch Instrumente etc. zu verhindern, ankommt. Ich finde 
daher absolut keine Notwendigkeit dafür vorhanden, bei den 
Nervbehandlungen ohne Wahl und Qual Koflferdam anzulegen, 
wenn der Speichel auf eine für Arzt und Patienten bequemere, 
weniger zeitraubende und minder kostspielige Weise vom 
Operationsfelde abgehalten werden kann. Zudem nehmen bei 
einiger Uebung und guter Assistenz die meisten Nervbehand¬ 
lungen so wenig Zeit in Anspruch, dass man kaum jemals 
wegen des Speichelflusses ins Gedränge kommt. Sollte übrigens 
diese unangenehme Eventualität einmal die Notwendigkeit er¬ 
geben, die Behandlung zu unterbrechen, so stopfe ich ein in 


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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 189 


Trikresol-Formalinlösung getauchtes Wattebäuschchen fest in 
die Kavität, wodurch ich die Pulpa für einige Minuten genügend 
geschützt erachte. 

Bemerkungen zu Dr. Bukleys Theorie. 

Dr. Bukley kommt durch seine eingehenden Unter¬ 
suchungen über die Chemie des Pulpazerfalles zu dem Schlüsse, 
dass bei der Behandlung der Pulpagangrän ein Mittel hermetisch 
in die Pulpakammer eingeschlossen werden muss, welches flüchtig 
ist, penetrierend wirkt und imstande ist, die giftigen Endprodukte 
der Fäulnis chemisch in ungiftige und geruchlose Verbindungen 
zu verwandeln. Er hat das Formaldehyd als jenes Mittel erklärt, 
welches diesen Forderungen gerecht werden könne. Denn das 
Formaldehyd verbindet sich mit Ammoniak, einem der Haupt¬ 
endprodukte beim Gewebezerfall, zu Urotropin, einem geruch- 
und farblosen Körper von süsslichem Geschmack. Ausserdem 
ist es erwiesen, dass sich das Formalin chemisch mit Schwefel¬ 
wasserstoff und mit basischen Ptomainen zu geruchlosen Pro¬ 
dukten verbindet. Allein die gewöhnliche (40 prozentige wässe¬ 
rige) Formalinlösung ist zu stark. Daher hat sich Bukley um 
ein geeignetes Verdünnungsmittel umgesehen und seine Wahl 
ist auf das Trikresol gefallen, weil es sich 1. mit Formalin in 
jedem Verhältnis gut mischen lässt, 2. ein gutes Desinfiziens 
ist und 3. auf die Fettbestandteile der Detritusmassen wirkt. 
Denn die Fette bleiben, da während des ganzen Fäulnis¬ 
prozesses keine alkalische Reaktion eintritt, unverändert. Das 
Trikresol löst die Fettröpfchen auf und wenn dann die Nerv¬ 
kanäle nachher mit Alkohol ausgewischt werden, was Bukley 
voraussetzt, bilde sich Lysol, was wieder ein gutes Desinfiziens sei. 

Die Gründe, warum Bukley dem Formalin Trikresol 
beimengt, scheinen mir nicht besonders gewichtige zu sein, 
denn verdünnen kann man das Formalin mit Wasser auch, 
und dem Formalin, das ja eines unserer besten Desinfektions¬ 
mittel ist — jedenfalls ist es stärker als Trikresol — aus anti¬ 
bakteriellen Rücksichten noch Trikresol, respektive Lysol bei¬ 
mengen, ist wahrlich nicht nötig. Und das Vorhandensein von 
Fetten, respektive Fettsäuren allein ist kein genügender An- 

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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


lass, um Trikresol in den Wurzelkanal einzuführen, da ihre 
Anwesenheit wahrscheinlich belanglos ist. Es ist daher die Ver¬ 
mutung naheliegend, dass man mit Formalin allein die gleichen 
Erfolge bei Pulpagangrän erzielen könnte. 

Ich habe deshalb eine Reihe gangränöser Zähne mit 
wässeriger Formalinlösung ohne Trikresolzusatz behandelt. Ich 
habe mit 10 prozentiger wässeriger Formalinlösung begonnen, 
habe dann eine Reihe von Patienten mit löprozentiger Formalin¬ 
lösung behandelt und bin schliesslich zur 20 prozentigen Lösung 
übergegangen. Enthält doch eine Trikresol-Formalinmischung 
ää partes auch 20 Prozent Formalin. 

In allen diesen Fällen wurde der betreffende gangränöse 
Zahn gleich in der ersten Sitzung nach der Formalineinlage 
mit Fletcher verschlossen, ohne dass nachher irgendwelche 
periostale Reizungen, Schmerzen oder Anschwellungen auf¬ 
traten. Allein ich musste in allen Fällen schliesslich zur Trikresol- 
Formalinmischung greifen, da die Wattefäden stets den jauchigen 
Geruch aufwiesen, solange ich nur Formalin allein appliziert 
habe. In einem Falle habe ich den ersten in 20prozentige 
wässerige Formalinlösung getauchten Wattefaden unter herme¬ 
tischem Verschlüsse eine Woche liegen gelassen — ohne Erfolg. 
Ein zweiter derartiger Faden blieb wieder eine Woche liegen, 
wieder ohne Erfolg, und eine dritte 20prozentige Formalinein¬ 
lage blieb wieder erfolglos eine Woche liegen — also nach drei¬ 
wöchentlicher Behandlung mit 20 prozentigern Formalin war 
der Gangrängeruch noch vorhanden. Ich habe dann einen 
Trikresol-Formalinfaden eingelegt und nach 3 Tagen war der 
gangränöse Geruch verschwunden und der Zahn wurde jetzt nach 
Einpressung von Trikresol-Formalinpaste gefüllt. Daher kann 
Formalin ohne Trikresolbeimengung zu Wurzelfüllungen, z. B. als 
Formalinpaste nicht besonders empfohlen werden. Ich bin im 
Laufe weniger Monate viermal in die Lage gekommen, Wurzel¬ 
kanäle wegen plötzlicher periostaler Reizungen trepanieren 
zu müssen, die 4 bis 7 Monate früher mit Formalinpaste gefüllt 
wurden und habe in sämtlichen vier Fällen ausgesprochenen 
Gangrängeruch konstatieren können, was nach den vorherigen 
Ausführungen allerdings erklärlich ist. 


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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 191 

Nach dem überraschenden Ergebnis dieser Untersuchungen 
habe ich eine Reihe von gangränösen Zähnen mit konzen¬ 
triertem Trikresol (ohne Formalinzusatz) behandelt. Der 
Gangrängeruch war in den meisten Fällen (8 von 11 Fällen) 
tiach einigen Tagen verschwunden, so dass die Zähne schon 
in der zweiten Sitzung nach Einpressen von Trikresol-Formalin- 
paste plombiert werden konnten. Schmerzen oder Anschwellungen 
traten niemals auf. 

Ich war über die Resultate dieser Versuche nicht wenig 
überrascht und habe jetzt unter denselben Vorsichtsmassregeln, 
wie ich sie bei Trikresol-Formalineinlagen beobachte, auch 
andere Medikamente, konzentrierte Karbolsäure, Kreosot, 
l°/oo Sublimatalkohol und 1 prozentigen Chinosolspiritus in 
gangränöse Zähne eingeführt und die Kavität sofort mit Fletcher 
hermetisch verschlossen. Und siehe da, auch unter Anwendung 
dieser Mittel traten niemals Schwellungen oder Schmerzen 
auf. Allein ich musste schliesslich immer wieder zur Trikresol- 
Formalinmischung greifen, da nur sie imstande war, den 
Gangrängeruch der Watteeinlagen zu beheben. 

Diese Tatsachen bedeuten den Zusammenbruch der 
Bukleysehen Voraussetzungen. Gewiss sind seine chemischen 
Untersuchungen richtig, aber sie sind für die Gangränbehandlung 
belanglos. 

Ist es da nicht wahrscheinlich, dass die vielen Miss¬ 
erfolge bei Gangränbehandlung lediglich auf die bisher geübte 
Technik der Behandlung zurückzuführen sind? Sind wir doch 
jede gangränöse Pulpa sofort mit Sonden, Nervennadeln und 
Injektionsspritzen angegangen und nun begann ein Sondieren, 
Scheuern und Ausspritzen des Wurzelkanals, bis wir — warum, 
wussten wir meistens selbst nicht — die Ueberzeugung hatten, 
dass der ganze Unrat einschliesslich sämtlicher Bakterien und 
Kokken aus dem Wurzelkanal herausbefördert worden ist. 
Wer hätte sich bisher getraut, auf eine gangränöse Pulpa 
nach Auspusten mit heisser Luft ruhig z. B. ein Karbol- 
bäuschchen zu legen und dann mit Fletcher zu verschliessen? 
Und doch stellt sich jetzt heraus, dass dies das einzig richtige ist 
und dass wahrscheinlich alle unliebsamen Ereignisse, die wir früher 

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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


im Verlaufe der Gangränbehandlungen erlebt haben, artifizieller 
Natur gewesen sind ? Jedem von uns sind gewiss schon Zähne 
untergekommen, die seit Jahren eine gangränöse Pulpa ohne 
jegliche Zwischenfälle in sich bargen, die aber dann, wenn 
sie trepaniert und „behandelt“ wurden, nicht mehr zur Ruhe 
kamen. Dies wäre ein Fingerzeig für uns gewesen, wenn unser 
Blick nicht durch jahrzehntelange, sozusagen von Generation 
zu Generation übernommene Vorurteile getrübt gewesen wäre. 

Es dürfte die Annahme gerechtfertigt sein, dass es sich 
bei der Behandlung von Pulpagangrän nicht so sehr um 
chemische Prozesse als um die Behebung mikrobiotischer Vor¬ 
gänge handelt. Ein Beweis hiefür sind mir die Erfolge, welche 
die Gynäkologen seit neuester Zeit bei Behandlung von 
inoperablen Uterus Karzinomen mit Trikresol-Formalin erzielen. 
Denn es ist wohl sicher, dass es bei der medikamentösen Be¬ 
handlung von Karzinomen nicht auf chemische, sondern auf 
biologische und anliparasitäre Momente ankommt. Ich entnehme 
diesbezüglich der letzten Nummer der „Gynäkologischen Rund¬ 
schau“ (redigiert von Dr. Oskar Fränkl, Wien) folgendes: 

Prof. Dr. Franz Torggler, Vorstand der Frauenklinik 
in Klagenfurt, referiert über seine Erfolge bei der Behandlung 
inoperabler Uteruskarzinome mit Trikresol-Formalin: „Wenn 
Leopold schon 189G reine Karbolsäure mit Erfolg an¬ 
wendete, so lag es nahe, das Trikresol, das dreimal so wirksam 
und dabei nur etwa ein Drittel so toxisch wie Karbolsäure 
ist, zu verwenden, um so mehr als Zahnärzte seit kurzer Zeit 
Trikresol-Formalin ää partes zur Behandlung der Pulpagangrän 
verwenden und besonders auf die stark desodorisierende 
Wirkung hinweisen. Schon die ersten Versuche boten ein 
überraschendes Ergebnis. Gazetupfer, getränkt in obiger Tri- 
kresol-Formalinlösung, wurden in die Wundhöhle eingeführt, 
durch Tamponade der Scheide mit Gaze fixiert und 48 Stunden 
liegen gelassen. Meist schon nach dem ersten, sicher nach 
dem zweiten Wechsel zeigte sich die Wundhöhle ganz trocken, 
mit einem derben, lederartigen Schorf überzogen. Der Schorf 
fällt erst nach 8 bis 10 Tagen ab, die Trockenheit hält an, 
der penetrante Geruch bleibt weg. Schmerzen oder andere 


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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 193 


Unannehmlichkeiten zeigte bisher diese Behandlung nicht und 
werde ich nun auf die Anwendung von reinem Trikresol über¬ 
gehen* Uebrigens soll die Trikresolbehandlung eingehender 
geprüft werden.“ 

Jedenfalls haben wir alle Ursache, Dr. Bukley für seine 
Anregungen dankbar zu sein! Seinem gründlichen Wissen, 
dem ehrlichen und selbstlosen Streben, das aus allen seinen 
Publikationen spricht, wird es voraussichtlich gelingen, diese 
rein theoretischen Schwierigkeiten zu lösen. 

Jodoform als WurzelfOllungsmateriaL 

Meine gelegentlichen ungünstigen Aeusserungen über die 
Verwendbarkeit des Jodoforms als Wurzelfüllungsmaterial boten 
einem reichsdeutschen Herrn Kollegen Veranlassung zu mass- 
losen Angriffen gegen meine Persönlichkeit. 1 Zu meinem Be¬ 
dauern muss ich den Ton, den der betreffende Herr Kollege 
änzuschlagen für notwendig gefunden hat, zurückweisen, ohne 
dass ich in der Lage wäre, irgend eine der damals gemachten 
Einwendungen zurücknehmen zu können. Schon seit Billro ths 
Zeiten wird das Jodoform — das Pulver sowohl wie die 
Jodoformgaze — auf allen Kliniken vor dem Gebrauche steri¬ 
lisier!, der beste Beweis, dass sich, ganz entgegen der Ansicht 
des betreffenden Kollegen, kaum jemand finden dürfte, der 
nicht weiss, dass das Jodoform keine bakteriziden Eigenschaften 
besitzt. Wohl aber spalten sich vom Jodoform, wenn es mit 
Wundsekreten oder bakteriellen Stoffwechselprodukten zu¬ 
sammenkommt, antiseptisch wirkende Jodverbindungen ab, 
lediglich diesem Umstande, nicht dem Jodoform als 
solchem, ist auch seine hemmende Wirkung auf Reinkulturen 
zuzuschreiben. Wie soll aber das Jodoform in einem Wurzel¬ 
kanale, der im Sinne des betreffenden Herrn Kollegen „steril 
und lege artis vorbereitet ist“, bakterizide Eigenschaften ent¬ 
wickeln? Allerdings ist der Beweis, dass es möglich wäre, die 
Wurzelkanäle, einige wenige etwa ausgenommen, trotz aller 

i Deutsche zahnärztliche Zeitung, München, V. Jahrg., Nr. 138, 10. De¬ 
zember 1906. 


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194 


Dr.’Othmar v. An der Lan, Wien. 


Bemühungen rein (d. h. steril) zu machen, noch zu erbringen. 
Ich habe mich schon früher diesbezüglich geäussert. Ist es 
unter solchen Verhältnissen nicht auf das freudigste zu be- 
grüssen, dass wir in der Lage sind, Medikamente von an¬ 
erkannt hervorragenden antibakteriellen Eigenschaften in den 
betreffenden Wurzelkanal als Füllungsmaterial zu deponieren? 
Dies alles soll mich nicht hindern, anzuerkennen, dass ich 
selbst das Jodoform lange Zeit hindurch als Wurzelfüllungs¬ 
material mit gutem Erfolge verwendet habe. Dass ich heute 
zu Wurzelfüllungen lieber Trikresol-Formalin verwende, brauche 
ich nach allem wohl nicht näher zu begründen. 


N Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Die AivniiK its cMtriscta Strom« nr Diapose rar- 
scliefaer FalpaerMupi . 1 

Aus der zahnärztl. Abteilung der Allgemeinen Poli¬ 
klinik in Wien (Vorstand: Doz. Dr. G. v. Wunschheim). 

Von Dr. Othmar v. An der Lan , Assistent daselbst. 

Wenn ich mir heute erlaube, auf eine diagnostische 
Methode — die Untersuchung mit dem elektrischen Strome — 
aufmerksam zu machen, so will ich auch gleich nicht un¬ 
erwähnt lassen, dass es sich nicht um eine neue Art der 
Untersuchung handelt. Die ersten Versuche und Anwendungen 
des elektrischen Stromes als Diagnostikum datieren schon 
einige Jahre zurück. 

So hat Fuyt (Utrecht) gefunden, dass ganz schwache 
Induktionsströme, welche von gesunden Zähnen sehr un¬ 
angenehm empfunden werden, von solchen mit gangränöser 
oder mumifizierter Pulpa absolut nicht mehr wahrgenommen 
werden. An einem mit Füllung zu versehenden Zahn, dessen 
Pulpa anscheinend entfernt war, konnte er durch Schmerz- 

1 Vortrag, gehalten in der Sitzung des Vereiues österreichischer Zahn- 
ärzte vom 6. März 1907. 


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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 195 


empfindung nachweisen, dass noch lebendes Gewebe vorhanden 
war. Zähne, die ihres Schmelzes verlustig sind, reagieren 
schneller, sensibles Zahnbein ist empfindlicher wie normales. 
Fuyt, der die Verlässlichkeit seiner Methode sehr betont, be¬ 
nützte einen kleinen Induktionsapparat. Zur Untersuchung ver¬ 
wendete er den primären Strom. 

Hafner-Schurter (Zürich) sagt in seiner Veröffent¬ 
lichung: „Bei Gebrauch des Bonwill-Hammers — Hafner ar¬ 
beitete mit Wechselstrommotor von 110 Volt, an die Licht¬ 
leitung angeschlossen; ebenso ist das Bohrmaschinenkabel mit 
dem Anker direkt gekuppelt — beobachtete ich nun vor zirka 
einem Jahre, dass gewisse Patienten im Momente des Auf¬ 
setzens des Stopfers wegen eines zuckenden Schmerzes, der 
den ganzen Zahn durchlief, in die Höhe fuhren. Dieses Phä¬ 
nomen war bei demselben Patienten an einem Zahne mit 
extrahierter Pulpa nicht mehr nachzuweisen, womit die elek¬ 
trische Reaktion gefunden war.“ Hafner hat diese Erscheinung, 
die er auf den Erdstrom zurückführte, weiter verfolgt und lür 
die Diagnose auf lebende oder tote Pulpa verwertet. Für die 
Untersuchung benützte Hafner natürlich nicht diesen un¬ 
kontrollierbaren Erdstrom, sondern die durch Anschluss an die 
Lichtleitung gewonnene Stromquelle, welche er durch Ein¬ 
schalten von Glühlampen auf unter 5 Volt Spannung reduzieren 
konnte. Ein Voltmeter von 0 bis 10 erlaubte die genaue Be¬ 
stimmung der Stromstärke. Hafner stellte seine Untersuchungen 
mit dem Gleichstrom an. Dazu benützte er zwei Elektroden, von 
denen eine, mit metallenem Handgriffe versehen, dem Patienten 
in die korrespondierende Hand gegeben, die andere, eine von 
Hartkautschuk umschlossene Metallspitze, als Untersuchungs¬ 
spitze durch Berührung des Zahnes zur Stromschliessung ver¬ 
wendet wurde. Im Momente der Berührung, natürlich bei ent¬ 
sprechender Stromstärke, fühlt der Patient einen die ganze 
Pulpa durchzuckenden Schmerz. Die Pulpa ist lebend. Bleibt 
der Zahn selbst nach Erhöhung der Voltzahl auf 5 bis 7 reak¬ 
tionslos, so ist er als tot zu bezeichnen. Als ein unerlässliches 
Erfordernis betrachtet Hafner weiters die vollständige Isolierung 
des zu untersuchenden als auch des zum Vergleiche dienenden 


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196 


Dr. Otbrnar y. An der Lan, Wien. 


Zahnes. Geringste Mengen Speichel sind als gute Leiter ge¬ 
eignet, den Strom abzulenken und falsche Bilder vorzu¬ 
täuschen. 

Fast gleichzeitig mit Fuyt und Hafner beschäftigte 
sich Schröder (Greifswald) mit dieser Untersuchungsmethode. 
Während Fuyt mit primärem Induktionsstrora, Hafner mit 
Gleichstrom arbeiteten, verwendete Schröder sekundären 
Induktionsstrom. Die Untersuchungen Schröders erstreckten 
sich .auch auf den Zustand der Pulpa nach lokaler Anästhesie. 
Er berichtet, dass dabei die Sensibilität bedeutend vermindert 
wird. In einigen Fällen starb sogar die Pulpa ab. 

Seit Mitte September v. J. habe ich mich, auf Anregung 
meines Chefs Doz. v. Wunschheim, mit der Untersuchung 
durch den elektrischen Strom beschäftigt und in dieser verhältnis¬ 
mässig kurzen Zeit den ausserordentlichen Wert derselben 
schätzen gelernt. Ich bin der Ueberzeugung, dass diese Methode 
als eine äusserst bequeme, rasch durchführbare und in für uns 
gerade sehr schwer zu erkennenden Fällen als absolut sicher, 
allseits baldige Anerkennung finden wird. 

Das Wesen dieser Methode beruht auf der Durchleitung 
eines Induktionsstromes durch das Pulpagewebe. Ist dieses 
lebend, so wird es durch den Strom gereizt, es kommt zu 
Empfindungen, Schmerzäusserungen. Ist die Pulpa abgestorben, 
so fehlen diese, der Zahn bleibt reaktionslos. Um sich jedoch 
ein Urteil über den auszulösenden Effekt bilden zu können, 
müssen verschiedene Einflüsse berücksichtigt werden Die Pulpa 
ist von einem Gehäuse aus verschieden festen Substanzen ein¬ 
geschlossen. Dieses setzt dem Eindringen des Stromes einen 
Widerstand entgegen, der erst überwunden werden muss. Je 
dicker und fester nun das Gehäuse ist, desto grösser der 
Widerstand. Wir finden demnach die Pulpa der starken, 
massiven Mahlzähne gegen den elektrischen Strom besser ge¬ 
schützt als die zarteren Vorderzähne, d. h. es ist zur Auslösung 
einer Reaktion eine grössere Stromintensität notwendig. Aber 
nicht nur die Dicke der Hülle ist als Widerstand massgebend, 
sondern auch die Stärke ihrer einzelnen Schichten. Schmelz 
leistet grösseren Widerstand als Dentin und Zement und es 


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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 197 


wird naturgemäss ein Zahn mit stärkerer Schmelzkappe eine 
grössere Stromstärke benötigen und umgekehrt, ein seines 
Schmelzes, sei es angeboren oder erworben, beraubter Zahn 
geringere Intensität. Ich habe versucht, den Widerstand der 
Zahnsubstanzen zu bestimmen, bin jedoch vorläufig zu keinem 
abschliessenden Resultat gekommen, um hier Zahlen anführen 
za können. Nur soviel sei hier erwähnt, dass Dentin und 
Zement ungefähr denselben Widerstand bieten, beide aber 
vom Schmelz darin bedeutend übertroffen werden. Feuchte 
Gewebe leiten besser als trockene. Ein stärkerer organischer 
Feuchtigkeitsgehalt der Zahngewebe wird daher auch von 
Einfluss sein. Jugendliche Personen haben verhältnismässig 
grosse Pulpakammern, weite Wurzelkanäle und weite Dentin¬ 
kanälchen. Im Laufe der Jahre werden die Wurzelkanäle durch 
Apposition von sekundärem Deniin verengert, damit der Quer¬ 
schnitt der Hülle vergrössert. Ebenso wird das Dentin durch 
fortwährende Ablagerung von Kalksalzen dichter, widerstands¬ 
fähiger, im höheren Alter durch teilweise Verödung der Zahn¬ 
beinkanälchen an organischer Substanz ärmer. 

Sehr in Betracht kommt auch die allgemeine Sensibilität, 
welche die variabelsten Resultate bedingt. So bekommt man 
an verschiedenen Personen, gleichen Geschlechtes und Alters, 
mit annähernd gleich grossen und normal gebauten Zähnen, 
an denselben Zähnen verschiedene Reaktionen Einer empfindet 
den Strom bereits bei 1 Cm. Rollenabstand als Schmerz, der 
andere erst bei 4 bis 5 Cm. Rollenabstand als unangenehme 
Empfindung. Bemerkenswert wäre auch noch folgendes. Unter¬ 
sucht man einen Zahn, so findet man hie und da eine Reaktion 
erst bei einer ziemlich hohen Stromintensität. Wiederholt man 
die Applikation des Stromes, so tritt die Reaktion bedeutend 
früher ein. Es scheint, dass in diesen Fällen das Empfinden 
für die Elektrizität erst geweckt werden muss. 

Infolge aller dieser das Untersuchungsergebnis beein¬ 
flussenden Momente müssen wir darauf verzichten, die ganze 
Untersuchungsmethode in feste Regeln, das wäre eine graduierte 
Abstufung der notwendigen Stromintensität, einkleiden zu 
wollen. Dies gilt sowohl für die gesunde als erst recht für 


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198 


Dr. Othiuar v. Au der Lau, Wien. 


die erkrankte Pulpa Nur ganz allgemein lässt sich bei physio¬ 
logischem Zustand der Pulpa sagen: Die Mahlzähne und in 
gleicher Linie die Eckzähne benötigen zur Auslösung einer 
Empfindung den stärksten Strom, ungefähr 6 bis 10 Cm. Rollen¬ 
abstand; die mittleren oberen Schneidezähne etwas weniger als 
die Backenzähne, 3 bis 5; die seitlichen Schneidezähne 2 bis 4; 
die Zähne des Unterkiefers sind um ein geringes sensibler 
als die des Oberkiefers. Wie schon betont, sind diese Angaben 
nur als Durchschnittszahlen aufzufassen. Ausnahmen bilden 
beinahe die Regel. Ein Ausbleiben der Reaktion bei dieser 



Fig. 1. 


Intensität als Tod, respektive pathologische Veränderung der 
Pulpa zu deuten, ist entschieden zu verwerfen. 

Zur Untersuchung benütze ich einen kleinen, in Fig. 1 abge¬ 
bildeten Induktionsapparat. Den primären Strom von 110 Volt 
Spannung liefert der Anschluss an die Lichtleitung. Als Wider¬ 
stand ist eine Glühlampe von 16 Kerzen eingeschaltet. Die Zahn¬ 
stange, auf welcher die Sekundärspule verschieblich ist, trägt 
eine rein empirische Einteilung von 0 bis 10. Das ist der Rollen¬ 
abstand in Zentimeter ausgedrückt. Während jedoch auf allen 
Induktionsapparaten diese Einteilung von links nach rechts 
lauft, ist sie hier umgekehrt von rechts nach links, also gleich¬ 
laufend mit der Sekundärspule, so dass der Rollenabstand 0 den 


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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 199 

schwächsten, jener von 10 den stärksten Strom anzeigt, was 
den Vorteil der bequemeren Ablesung schafft. 

Als eine wesentliche Verbesserung der bisherigen Elek¬ 
troden, und damit der ganzen Untersuchungsmethode, müssen 
die Elektroden nach Wunschheim (Fig. 2a) betrachtet werden; 
Bei den von Hafner verwendeten Elektroden durchläuft der 
Strom die Längsachse des Zahnes. Ich halte diese Methode 
nicht für so gut, da es z. B. bei feuchter Gangrän, wo der 
ganze Wurzelkanal mit flüssigen Massen, also vorzüglichem 
Leiter, erfüllt ist, leicht zu Reizungen am Apex kommen kann 
und damit auch Täuschungen unterlaufen können. Eine 
weitere, äusserst lästige Unbequemlichkeit ist die dabei unbe- 



Fig. 2 a. Fig. 2 b. 


dingt notwendige Isolierung durch Kofferdam. Beides entfällt 
bei den Wunschheimschen Elektroden. Es sind dies zwei 
gleichartig geformte, vorne halbkreisförmig abgebogene, von 
Hartkautschuk bis auf die ungefähr stecknadelkopfgrossen Spitzen 
umschlossene Metalldrähte (Fig. 2 a). Beide Elektroden werden 
auf den Zahn gesetzt. Der Strom ist am Zahne lokali¬ 
siert und durchfliesst denselben in querer Rich¬ 
tung. Eine Ablenkung, wenn nicht gerade das Zahnfleisch 
mit den Metallspitzen berührt wird oder grössere Speichel¬ 
mengen die Verbindung damit herstellen, ist ausgeschlossen. 
Die zeitraubende Isolierung durch Kofferdam kann ganz ruhig 
beiseite gelassen werden. Wenn ich früher erwähnte, dass ein 
Längsstrom sehr leicht Reizungen am Apex und dadurch 


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200 


Dr. Otbmftr v. Au der Lan, Wien. 


falsche Diagnose veranlassen kann, so kann bei dem quer 
durchgeleiteten Strom der Einwand erhoben werden, dass 
leicht lebendes Gewebe an der Wurzelspitze zu übersehen ist. 
Ich leugne nicht diese Möglichkeit, im Gegenteil, bin selbst 
davon überzeugt. Dieser Umstand hat aber nicht die geringste 
praktische Bedeutung. Kommt wirklich in der Tiefe lebendes 
Pulpagewebe nicht zur Diagnose, so wird dies alsbald bei der 
ohnehin notwendigen Wurzelbehandlung einem kund. Jeden¬ 
falls ist dabei eine Infektion über das Foramen apicale hinaus 
noch nicht eingetreten. In den vielen untersuchten Fällen hat 
sich übrigens bei vollständige^ Reaktionslosigkeit stets eine 
total abgestorbene Pulpa ergeben. 

Die Wunschheimschen Elektroden, die sich so aus¬ 
gezeichnet bewährten, hatten einen kleinen Fehler. Ich konnte 
leider oft genug die Erfahrung machen, dass ich, sowohl durch 
eigene Unachtsamkeit, wie hauptsächlich durch die Unruhe 
der Patienten, die eine oder andere Elektrode mit dem Zahn¬ 
fleisch in Berührung brachte, was sofortige Ablenkung des 
Stromes und ziemliche Schmerzauslösung bewirkte, so zwar, 
dass es öfters Mühe kostete, die Patienten wieder soweit zu 
beruhigen, bis eine richtige Angabe erwartet werden konnte. 
Aus demselben Grunde war ich stets gehindert, höhere Partien 
— Collum — eventuell oberen Teil der Wurzeln zu unter¬ 
suchen. Die Berührung mit der Gingiva war unvermeidlich. 
Um dies zu ermöglichen, Hess ich an einer der Wunschheim¬ 
schen Elektroden das Ende des umhüllenden Hartkautschuks 
breiter und mit einem seitlichen Ansatz, ähnlich einem Fuss- 
stopfer, anfertigen (Fig. 26). Die Metallkuppe ragt an der Fuss- 
fläche nur um ein geringes vor und ist allseitig vom isolierenden 
Kautschuk umgeben. Der seitliche Ansatz dient hauptsächlich 
dazu, bei Untersuchungen am Zahnhalse sich zwischen Wurzel 
und Gingiva einzuschieben und letztere womöglich abzudrängen. 
Dadurch sind zwei wichtige Vorteile gegeben: Erstens ist das 
Zahnfleisch tadellos geschützt, zweitens ist man in der Lage, 
höhere Partien zur Untersuchung zu bringen. 

Der Vorgang bei der Untersuchung selbst gestaltet sich 
höchst einfach. Es genügt vollkommen, den zu untersuchenden 


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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 201 

Zahn von allzu starken Speichelmengen zu befreien. Die An¬ 
legung des Kofferdam ist vollständig überflüssig. Ich wische 
den Zahn nur mit trockener Watte ab. Hierauf gebe ich eine 
Elektrode, und zwar die mit dem seitlichen Ansatz, möglichst 
nahe dem Zahnhalse, die zweite ungefähr vis-ä-vis und lasse 
nun den Strom von der geringsten Intensität durchströmen. Er¬ 
halte ich keine Reaktion, so laste ich bei ruhiger Lage der ersten 
Elektrode' mit der anderen den Zahn nach allen Richtungen 
ab. Ich mache dies deshalb, weil der Querschnitt, speziell der 
des Schmelzes, nicht überall der nämliche ist. So erhält man 
z. ß bei einem oberen mittleren Schneidezahn, die erste Elek¬ 
trode labial am oberen Drittel der Kronenhöhe, die zweite 
lingual am Tuberculum aufgesetzt, keine Reaktion. Führt man 
nun letztere allmählich gegen die Schneidekante, wohin sich 
das Dentin tiefer hinein erstreckt, respektive die Schmelz¬ 
schichte verjüngt, so erhält man bei gleicher Stromstärke 
Empfindung. Habe ich nach dieser Abtastung noch keine Re¬ 
aktion hervorgerufen, so lasse ich bei steter Wiederholung 
desselben Manövers den Strom langsam anschwellen, bis ich 
eben eine solche auslöse. Zur Beurteilung und Verwertung des 
gewonnenen Resultates ist neben dieser Untersuchung noch 
die des Vergleichszahnes notwendig. Da, wie schon betont, 
gar viele Momente den Widerstand gegen den elektrischen 
Strom vermehren, respektive vermindern und dabei der ge¬ 
nauen Bestimmung entrückt sind, so sind wir eben darauf 
angewiesen, den ausgelösten Effekt an einem, voraussichtlich 
mit denselben Widerständen etc. ausgestatteten Zahn zu prüfen. 
Erst bei einer sich dabei ergebenden Differenz sind wir er¬ 
mächtigt, auf eine abnorme Veränderung des untersuchten 
Zahnes zu schliessen. Selbstverständlich müssen für beide 
Zähne die gleichen Untersuchungsbedingungen geschaffen 
werden. Als Vergleichszahn dient am besten der korrespon¬ 
dierende, bei Mangel desselben der Antagonist. Zur Dia¬ 
gnostizierung einer toten Pulpa lasse ich stets den Strom auf 
seine grösste Intensität steigern. Bei Mahl- und Eckzähnen, 
besonders älterer Leute, befeuchte ich überdies die Elektroden 
mit physiologischer Kochsalzlösung, um einen recht guten 


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‘202 


Dr. Othmar v. Au der Lau, Wien. 


Kontakt zwischen Zahn und Elektrode herzustellen. Ferner 
trachte ich, die eine Elektrode so hoch als möglich anzusetzen. 
Bleibt trotz alledem der Zahn empfindungslos, so kann ich 
mit absoluter Sicherheit die Diagnose stellen. Sehr oft haben 
wir es mit gefüllten Zähnen zu tun. Ist der Zahn Träger einer 
Metallfüllung, so muss vor allem nachgesehen werden, ob diese 
Füllung mit dem Zahnfleisch in Berührung steht. Ist dieses der 
Fall, muss es vermieden werden, eine Elektrode auf die Metall¬ 
füllung aufzusetzen, da eine Ablenkung des Stromes sofort 
einzutreten pflegt. Ist die Metallfüllung gegen die Gingiva durch 
Zahnsubstanz getrennt, gleichsam isoliert, so hängt die Be¬ 
nützung derselben von der zu erwartenden Diagnose ab. Ist 
Verdacht auf abgestorbene Pulpa, so ist die Füllung ja nur 
ein Erleichterungsmittel, indem das Metall als ausgezeichneter 
Leiter eine eventuelle Reaktion nur rascher auslösen würde. 
Für alle anderen Diagnosen, zu denen ein Vergleich mit dem 
Kontrollzahn absolut erforderlich, ist die Benützung einer Füllung 
— auch Zement oder Porzellan — nicht zulässig, da die Wider¬ 
stände nicht dieselben sind, wie die der Zahnsubstanzen. Auf 
die pathologischen Verhältnisse übergehend, möchte ich die 
einzelnen Erkrankungen der Pulpa, für welche die Untersuchung 
mit dem elektrischen Strome Vorteile bietet, der Reihe nach 
durchbesprechen. 

Von den fünf Kardinalsymptomen der Entzündung ist 
zur Diagnose „Pulpitis“ einzig und allein der Dolor verwertbar. 
Schmerz, oder sagen wir besser die Grösse des Schmerzes, ist 
für uns ein rein subjektiver Begriff, abhängig von der all¬ 
gemeinen Sensibilität, der moralischen Ueberwindungskraft und 
Selbsterziehung. Insoferne wir nun nach den Angaben der 
Patienten unser Urteil fällen müssen, sind wir stets in eine 
etwas prekäre Lage versetzt. Der praktisch erfahrene Zahnarzt 
wird zu diesen Schmerzangaben wohl stets Nebenumstände, wie 
Ausbreitung des kariösen Prozesses, Aussehen der Kavität etc., 
in Erwägung ziehen. Vollständig behoben wird die Unverläss¬ 
lichkeit jedoch nicht. Da wir uns einmal mit den uns bis jetzt zu 
Gebote stehenden Mitteln auf kein anderes Symptom stützen 
können, müssen wir eben mit diesem Dolor vorlieb nehmen. 


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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 203 


Aber wir dürfen diesen Schmerz nicht als einen starren Begriff 
deuten, nicht von der Anschauung ausgehen, dass ein halb¬ 
stündiger Schmerz eine Pulpitis partialis, der ausgelöste Schmerz 
bei Sondierung womöglich eine totale Entzündung anzeigt, 
sondern wir müssen den Schmerz als das nehmen, was er ist: 
eine individuelle Empfindungsäusserung, d. h. wir müssen eben 
auch individualisieren. Und das ist möglich 

1. durch genau abzustufende, leicht applizier bare Reize; 

2. durch genau kontrollierbare Reize; 

3. durch Vergleich mit analogen, aber gesunden Ver¬ 
hältnissen. 

Walkhoff ist den ersten Bedingungen durch seine 
Applikätion von verschieden temperiertem Wasser ziemlich nahe 
gekommen. Die Unbequemlichkeit in der Anwendung und das 
Fehlen des dritten Momentes dürfte wohl das Hindernis einer 
weiteren Verbreitung seiner Methode sein. Mit dem elektrischen 
Strome haben wir ein ideales Mittel in die Hand bekommen, 
sämtliche Bedingungen leicht erfüllen zu können. 

Wir können den Strom von der geringsten, nicht mehr 
wahrnehmbaren bis zur grössten Schmerz auslösenden Intensität 
langsam anschwellen lassen. Die Anwendungsweise ist eine 
höchst einfache, die Kontrolle durch einen Blick auf die Skala 
stets gegeben. Täuschungen durch falsche Angaben der Pa¬ 
tienten lassen sich umgehen, indem bei eingeschaltetem Strome 
derselbe einfach nicht geschlossen wird; der Zahn wird nur 
mit den isolierenden Kautschukpartien berührt. 

Untersuchen wir einen pulpitischen Zahn, so finden 
wir infolge der erhöhten Reizbarkeit des entzündeten Gewebes 
eine leichter auslösbare Reaktion. Die erhaltene Reaktion muss 
mit jener eines oder mehrerer gesunder Zähne, am besten des 
korrespondierenden, in Vergleich gezogen werden. Da wir es nun 
bei Pulpitis fast immer mit nicht mehr vollkommen intakten 
Zähnen, d. h. allseits mit Schmelz- und normal dicken Dentin¬ 
schichten umschlossenen Pulpen zu tun haben, da ferner in¬ 
folge des Zersetzungsprozesses die physiologische Zusammen¬ 
setzung der Zahnsubstanzen und damit auch die Leitungs¬ 
fähigkeit für den elektrischen Strom eine veränderte ist, 


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204 


Dr. Othmar v. An der Lan, Wieu.* 


anderseits die Diagnose nur durch Vergleich mit dem Kontroll- 
zahn möglich ist, ist es wohl auch leicht einzusehen, dass als 
erste Grundbedingung die Schaffung analoger Untersuchungs¬ 
verhältnisse notwendig ist. Es ist nicht zulässig, einfach beide 
Elektroden irgendwo am Zahne aufzusetzen — womöglich eine 
Elektrode gar in die Kavität — und das so gewonnene Resultat 
mit dem Kontrollzahn in Vergleich zu ziehen. Selbstverständlich 
wird man auf diese Weise infolge des geringeren Widerstandes 
eine rascher auftretende Irritabilität vorfinden, auch bei ge¬ 
sunden Pulpen. Man muss daher einen Durchmesser zur Unter¬ 
suchung bringen, der jenem des Kontrollzahnes identisch ist, 
der, kurz gesagt, dieselben Widerstände bietet. Haben wir 
nun einen oder mehrere gleiche Querschnitte untersucht und 
verglichen, hat sich dabei für den Untersuchungszahn eine er¬ 
höhte Reizbarkeit ergeben, so können wir mit grosser Bestimmt^ 
heit eine Pulpitis diagnostizieren. 

Wahrend bei einer gesunden Pulpa der ausgelöste Effekt 
sich meistens zuerst in einer unangenehm kribbelnden Em¬ 
pfindung kundgibt, die erst bei weiterer Steigerung der In¬ 
tensität in Schmerz übergeht, um nach Abstellen des Stromes 
auch wieder sofort zu verschwinden, tritt bei entzündeter Pulpa 
sofortiger und anhaltender Schmelz auf. Dieser anhaltende 
Schmerz muss bei einer etwaigen Wiederholung der Applika¬ 
tion natürlich wieder verklungen sein. Je rascher nun die Re¬ 
aktion eintritt, je intensiver und anhaltender die Schmerz¬ 
empfindung ist, desto vorgeschrittener die Entzündung. Wir 
haben zur Diagnosenstellung eine Schmerzäusserung vor uns, 
die einer gewissen Beurteilung unterliegt, insoferne wir einerseits 
die Grösse der ursächlichen Quelle, d. i. die Stromintensität, 
genau kennen, anderseits durch den Kontrollzahn die indivi¬ 
duelle Veranlagung berücksichtigen. Die Differenz in der 
Stromintensität, der anhaltende Schmerz und in letzter 
Linie die Intensität desselben sind für die Diagnose mass¬ 
gebend. Eine Spezialisierung der mannigfachen Entzündungs¬ 
formen, wie sie die meisten Lehrbücher aufweisen, ist natür¬ 
lich nicht möglich und praktisch auch so ziemlich belanglos. 
Ergibt sich eine leichtere Irritabilität der Pulpa bis zu l l /. 4 Gm. 


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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 805 

geringeren Rollenabstand und ist dabei der Schmerz nicht 
lange andauernd» höchstens .eine halbe Minute, so können wir 
die konservative Behandlung einschlagen. Grössere Differenzen 
und länger anhaltender Schmerz schliesst selbe aus. Selbst-* 
verständlich werden wir auf die bisherigen Anhaltspunkte nicht 
verzichten, sondern diese stets in Einklang mit dem erhaltenen 
Resultat zu bringen suchen. Unfehlbar ist ja diese Untersuchung 
auch nicht und doppelt hält besser. 

Die Pulpitis ulcerosa partialis gibt sich durch .ver¬ 
minderte Reizbarkeit zu erkennen. Es ist, entsprechend der Aus¬ 
dehnung des Prozesses, eine grössere Stromintensität not¬ 
wendig. So finden wir bei zerfallener Kronenpulpa und Dprch- 
leitung des Stromes in Kronenhöhe den Zahn empfindungslos. 
Erst bei Aufsetzen einer Elektrode am Hals, respektive, oberen 
Wurzelpartien, erregen wir Empfindung. 

Den ausgezeichneten Dienst, den uns diese Methode ge¬ 
währt, lernen wir wohl am besten an Zähnen mit abge¬ 
storbener P u lp.a. kennen. Wenn wir bedenken, wie vielfach 
die Folgeerkrankungen abgestorbener Pulpen sind, und wie be¬ 
deutungsvoll eine richtige Diagnose ist, so können wir die ab¬ 
solut sichere und rasch durchführbare Erkenntnis derselben nicht 
hoch genug einschätzen.. Von jeher wurde auf alle möglichen 
Kennzeichen der toten Pulpa das grösste Gewicht gelegt .und 
diese im Laufe der Jahre zu einem schönen Symptomenkomplex 
vereinigt, Es ist nicht Aufgabe dieser Zeilen, näher darauf ein¬ 
zugehen. Jeder Praktiker wird aber wissen, dass es sehr oft, 
auch bei Anwesenheit gut ausgeprägter Kennzeichen, grosse 
Schwierigkeit bietet, eine absolut verlässliche Diagnose zu 
stellen. Und wie viele Pericementiden und Fistelbildungen gibt 
es, wo die Anhaltspunkte sich auf ein Minimum reduzieren, ja 
selbst gapz fehlen können. Nur eine Untersuchungsart möchte 
ich hier kurz erwähnen, weil sie im Prinzipe auf der gleichen 
Basis bei uht, wie .die mit dem elektrischen Strome, und viel¬ 
fach das schliessliche Um und Auf der Diagnose auf Tod der 
Pulpa bildet: nämlich die Probe auf kalt oder warm. Gewiss 
wird man damit oft zum Ziele kommen, aber beinahe ebenso 
oft im Stiche gelassen. Ich habe in letzterer Zeit öfters solche 

5 


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906 


Dr. Othm&r y. An der Lan, Wien. 


Proben gemacht und gefunden, dass sie sehr unzuverlässlich sind. 
So konnte ich öfters konstatieren, dass ganz bestimmt lebende 
Zähne keine Temperatur-Reaktion gaben. Eine Erscheinung, 
die teilweise, wie schon Miller in seinem Lehrbuche angibt, 
fortwährend im Leben gemacht werden kann. Viele können 
z. B. Gefrorenes mit aller Gemütsruhe beissen. Anderseits erhält 
man wieder bei bestimmt abgestorbenen Pulpen auf Wärme 
eine Reaktion. Wärme wird bei toten Zähnen mit periöstaler 
Erkrankung, die sonst latent sein kann, als Schmerz empfunden. 

Jeder Irrtum ist. ausgeschlossen bei der Untersuchung 
mit dem elektrischen Strome. Ist lebendes Gewebe Vorhanden, 
so gibt sich das bei entsprechender Stromanwendung un¬ 
vermeidlich zu erkennen. Die blosse, von weniger sensibel Ver¬ 
anlagten vielleicht nicht angegebene Empfindlichkeit kann ja 
durch Stromsteigerung zum Schmerz erhöht werden. Natürlich 
muss für die Diagnose „abgestorbene Pulpa“ auch hier der 
physiologische Bau des Zahnes und alle bereits oben erwähnten 
Momente in Betracht gezogen werden. So können wir einen 
Mahlzahn erst bei Reaktionslosigkeit gegen die Stromintensität 
von 9 bis 10 Cm. Rollenabstand, untere Schneidezähne schon 
bei 6 bis 7 Cm. Abstand als abgestorben ansehen. Ich lasse 
übrigens, wie ebenfalls schon erwähnt, den Strom ad maximum 
steigern. Von den vielen untersuchten Fällen möchte ich hier 
einige besonders typische erwähnen. 

Erster Fall: Fräulein H. L., 20 Jahre alt, wurde im Juni 1906 
,in Behandlung genommen. Patientin gab an, schon seit längerer 
Zeit an nicht besonders intensiven dumpfen Schmerzen an den 
beiden oberen mittleren Schneidezähnen zu leiden. Die Inspektion 
ergab: An den approximalen Flächen kleine, etwa 2 Jahre 
alte Zementfüllungen, Füllungen noch tadellos; die beiden ijt 
ansonsten von vollkommen normaler Farbe und Transparenz, 
Klopf- und Druckversuche vollständig unempfindlich. Gingiva 
gesund, Wurzelspitze nicht druckempfindlich, Gewebe dortselbst 
nicht entzündet, Zahnstein nicht vorhanden, Trauma aus¬ 
geschlossen. Ich muss sagen, dass ich damals der Sache ganz 
ratlos gegenüberstand und nur, ut aliquid fiat, Jodpinselung 
machte. Da Patientin mehrere kleinere kariöse Stellen hatte, 


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Die Anwendung, des elektrischen .Stromes Atu*.-Diagnose etc. 207 


wurde • sie zur weiteren;Behandlung. zugSwtefeeh. In* Laufe des 
Novembers kam der behan'delndfe; Arzt, i ein äusserst 1 füchtigfer 
und gewissenhafter,schön viele.; Jahre” auf unserer Klinik' 1 
arbeitender Heit, zu mirund bät mich,'üch möbhte doch die 
Patientin :ansehen, . er . wisse , sich keinen Rat. Die Patientin' 
klage; über fortwährende. :Schmerzen, für die er- keine Ursache 
finden könne. . Aus Verlegenheit habe er schon; Öfters Jod-» 
pinseJuhgen gemacht.; .Bei der Probe auf! kalt und warm gab» 
Patientin, auf warm: Empfindung an.Ich fand dieselbe Patientin' 
vor. Trotz der verflossenen 4 Monate nicht die geringste Ver-»» 
Änderung, Nur die' Schmerzen gab Pätientin-als etwas inten-; 
siyer an.. Ich untersuchte die Patientin mit dem faradischen 
Strome. Die beiden ergaben abgestorbene Pulpa. Die 
Trepanation bestätigte die Diagnose. Die Pulpa war in eine’ 
nicht besonders riechende Detritusmasse umgewandelt. Wurzel 1 - 1 
behandlung, nach zweimaligen Einlagen Füllung. Schmerzen' 
seitdem vollständig geschwunden. . 

Einen zweiten Fall möchte ich erwähnen, weil er zeigt/ 
wie unsicher manchmal die Diagnose ist und wie selbst Er¬ 
fahrene sich täuschen können. • 

v. H. R. suchte behufs Anfertigung eines Obturators- 
(Uranoschisis) unsere Ambulanz auf. Untersuchung ergab: Zahn-) 
reihe vollständig uhd sehr streng geschlossen. An eine Unter- 1 
bringüng von Klammem nicht zu denken. Die Artikulation' 
eine höchst ungünstige. 15 trägt eine grosse Amalgamfüllung 1 
an der Kaufläche. Das Aussehen dieses Molaris ist typisch das 1 
eines toten Zahnes, dunkelgrau verfärbt, ohne jegliche Trans- 1 
parenz. Er steht in Artikulation. Der elektrische Strom war: 
infolge Kurzschlusses gebrauchsunfähig. Auf- eine eventuelle 1 
Wurzelbehandlung kann sich Patient nicht erinnern. Mein Chef,- 
dem ich den Fall vorstellte, erklärte, hier müsse zur Platz¬ 
gewinnung extrahiert werden, und zwar rechterseits der ausser 
Artikulation stehende 51, links ]6, der tot sei. Auf meine Mit- 1 
teilung der Apparat wäre momentan, gebrauchsunfähig, meinte 
der Herr Dozent: Nun, der Zahn ist sicher tot. Eine Vorherige : 
Untersuchung mit der Probe auf kalt und warm war negativ. 
Ich machte sofort, und nur aus Zufall die Extraktion- des 51 ; 

6 * 


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08 


Di. Othrn&i v. An der Lan, Wien. 


J6 wollte ich nächsten Tag: entfernen. Da unterdessen der Kurz¬ 
schluss behoben war« untersuchte ich interessehalber den |6 und 
fand ihn zu meiner Ueberraschung. lebend; J6 blieb erhalten. 

Dritter Fall: T. t R., 24 Jahre, wegen Fistelbildung in 
unsere Behandlung getreten. Die Untersuchung ergab: ]§ schon 
seit mehreren Jahren extrahiert. Kiefer daselbst glatt verheilt. 
Patient gibt auf das bestimmteste an, dass der entfernte Zahn 
vollständig war. Jf trägt eine grosse, die mesiale und einen 
Teil der Kaufläche einnehmende Zementfüllung. Füllung stark 
ausgewaschen, sekundäre Karies. Die Krone stark verfärbt, 
ohne Transparenz, j? ebenfalls grosse distale Zementfüllung, 
stark verfärbt, keine Transparenz. 1^ und |f sehen sich in 
Farbenton und Transparenz vollkommen gleich. Perkussionsschall 
des [2 vielleicht etwas heller. Gingiva über ]2 bis ]f etwas ge¬ 
rötet und ödematös; genau in der Mitte von J2 und Jf, ungefähr 
'/« Cm. vom Bande entfernt, eine mit etwa linsengrossen 
Wucherungen überdeckte Fistelöffnung. Auf Druck über den 
Wurzelspitzen obgenannter Zähne keine Eiterentleerung. Bei 
Sondierung der Fistelöffnung konnte ich nur 6 bis 7 Mm. Vor¬ 
dringen, die Richtung mehr gegen jf; Schmerzen, Wurzel- 
fremitus oder sonstige Symptome, die einen Anhaltspunkt ge¬ 
geben, nicht vorhanden. Probe auf kalt und warm bei beiden 
negativ. Wer .war der Schuldige? Zwei Umstände sprachen 
wohl für den Backenzahn. Nämlich die allerdings fast kaum 
unterscheidbare Verdunkelung des Perkussionsschalles und die 
Richtung des Fistelganges. Aber beide Symptome waren so 
unausgesprochen, dass zumindest die Sicherheit der Diagnose 
geschwächt wurde. Der elektrische Strom stellte in 10 Sekunden 
die Diagnose klar. J2 zeigte sich lebend, |f tot. Extraktion, 
Fistel glatt vernarbt. 

Von grossem Werte dürfte die Untersuchung mit dem 
faradischen Strome bei Dentikelbildung werden. Wir stehen 
heute dieser Krankheit fast vollständig ohnmächtig gegenüber, 
insoweit es uns nur selten gelingt, eine genaue Diagnose zu 
stellen und wir daher öfters in die Lage kommen, ganz un¬ 
schuldige Zähne zu mortifizieren. Ich habe gesagt: „dürfte 
werden“, weil ich darüber zu wenig Erfahrung gewonnen. Aber 


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Die Auwendung dea elektrischst! Stromes znr Diagnose etc. 209 


cs ist leicht begreiflich, dass .'der - Widerstand gegen den elek- 
irischen Strom durch die Dentikelbildxmgen, soweit sie wenigstens 
wandständig sind, wesentlich erhöht wird und dadurch schon 
Sin pathologische Veränderung angezeigt wird. Ein weiteres 
und viel Wichtigeres Moment ist ferner der* Umstand, ; dass 
beim Durchsenden des Stromes von verschiedenen Richtungen 
ebenfalls' Differenzen zustande kommen, da ja die Dentikel 
doch; meistens die Pulpakammer nicht gleichmässig verkleinern, 
sondern in verschieden gestaltigsten; Formen den Querschnitt, 
id est die» Widerstandsfähigkeit des,Zahnes' vetgrössern, respek¬ 
tive horrtialbelassen. Ich : habe nur einen Fall 'zur Unter¬ 
suchungbekommen.'^ ^ 

Frl. M. L., 22 . Jahre, wurde wegen mehrerer kariöser 
Zähne anfangs September vorigen Jahres::in Behandlung ge¬ 
nommen. . Nachdem bereits mehrere Füllungen gelegt worden, 
kam: der betreffende Arzt zu mir, mit. dem Ersuchen, die Patientin 
äAzuseheni: Patientin gab an, seit längerer Zeit im linken Ober¬ 
kiefer Schmerzen zu empfinden. Diese Schmerzen sind nieht 
besonders stark, treten gewöhnlich am Morgen auf und sind bis 
gegen Mittag anhaltend. ■ Weniger durch die Intensität, sind sie 
.durch ihre Regelmässigkeit lästig. Die Inspektion ergab: Vor¬ 
handene Zähne am linken Oberkiefer |t 234 67 ; davon IJj* mit 
frischen Ascherfüllungen versehen; |367 vollkommen intakt. 
M. zeigt abgeslockte Karies, ohne jedwede Erweichungsstelle. 
Krone etwas missgebildet; der Zahn steht ausserhalb der 
Artikulation. Sollten die Schmerzen von den Zähnen ausgehen, 
konnte nur 14 in Betracht kommen, dieser selbst gibt keine ab¬ 
norme Reaktion. Die Probe auf kalt und warm ergibt lebende 
Pulpa. Ein. leiser Verdacht auf Verkalkungen verschwand 
bei der Mitteilung, dass Patientin sich alsP eine äuSserst sen¬ 
sible, nervöse Person gezeigt hätte und ich schloss mich der 
sehr bequemen und nichtssagenden Diagnose auf Hysterie an; 
Patientin wurde mit Jod gepinselt. Ende November wurde ich 
neuerdings zur selben Patientin gerufen. Schmerzen sind immer 
gleich vorhanden. Im. Besitze des elektrischen Stromes nahm 
ich nun eine genaue Untersuchung vor’; sämtliche Zähne er¬ 
gaben lebende Pulpa. Der |4 reagierte schon bei Aufseizen 


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«210 Mi/ ";Dn:Othm«r v. An der Lan, Wietti- 

dinier Elektrode auf dieKafufläche verhältnismässig sehr früh, 
Rollenabstahd 2, was durch den: Schmelzdefekt natürlich war. 
«Nur an einer . Stelle zeigte sich eine. Abnormität. Setzte - ich 
■nämlich eine Elektrode aufdieWangenfläche und fuhr mit 
der anderen Elektrode über idie Kaufläche, so konnte ich ganz 
deutlich, dem buccalen, Horn. entsprechend, einen Bezirk ■; fest- 
Stellen def unempfindlich blieb Und, bei. dem. ich die Intensität 
^astnbfn .3 Cm. steigert! musste, um eine Reaktion auszulösen. 
Liess ich den. Strom; bOfcoaWingual durchlaufen,, benötigte ich 
die Stromstärke .von 7. Cm.,... während'.eine Elektrode an der 
ImgUglen^Wähd fixiert,•; die ahdfere-)Von:. der: buccalen.Fläche 
zur distalen geführt, eine Herabsetzung der Intensität auf 
4 Cm. erlaubte« Mein ehemaliger Yerdächtauf.Deaüifcelbildung 
tauchte wiederum; auf 1 und nahm festeire Formen anv. Ich be- 
,$chloss< denjZahn zO Vdevitalisieren. Nach, einer, Arseneinlage 
•eröffnete ich die Pulpakammer, Leider bin ich dabei zu rasch 
vorgeganger) und habe mir dadurch das . genaue iBild zerstört. 
Tatsächlich fand ich ein ungefähr stecknadelkopfgrosses, oblonges 
Dentikel, das frei in der. Pulpäkammer lag. Jedenfalls wurde 
-es beider Aufbohrung der Kammer.,aus seiner natürlichen 
Lage : gebracht* Dpr Fall erforderte eine zweite. Arseneinlage. 
Wurzelbehandlung/ Füllung: Die Schmerzen .seitdem. wie weg¬ 
geblasen, Da ich es hier mit einem missbildeten Zahne zu tun 
hatte, sah-ich-iVon derb Vergleiche mit dem KontTollzahn ab. 

^Betrachtet jUian das Resultat; der Untersuchung, -so kann 
man, ohne besonderer Phantasie sieh schuldig, zu machen, das 
Dentikel ganz gut im buccalen Horn gelegen sich, vorstellen. 
Die distale Wand, ist, anatomisch gewiss schwächer, als die 
buccale oder linguale. Diese Verkleinerung des Querschnittes, 
die hauptsächlich auf dasKonto des Dentins geht, ist jeden¬ 
falls nicht so bedeutend,, dass die grosse. Differenz .in der In¬ 
tensität — fast 3 Cm. — dadurch erklärlich; wird. Es muss 
das ja tatsächlich vorhanden gewesene Dentikel entschieden 
derartig, gelagert gewesen sein, dass der buccal-linguale Quer¬ 
schnitt vergrössert wurde. Vergleichen, wie noch die Ergebnisse 
der Untersuchungen von der KaufläChe aus, die — soweit 
äusserlich zu beobachten war —r so ziemlich gleichmässig 


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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 211 


defekt war, so können wjr als höchst wahrscheinlich annehmen, 
dass das Dentikel der buccalen Wand, respektive dem buccalen 
Horn angehört hat. 

Zwei Momente sind aus diesem Falle fQr die Diagnose 
auf Dentikel zu entnehmen. Erstens wird durch Dentikelbildung 
der Widerstand erhöht; zweitens, die Erhöhung des Wider¬ 
standes erstreckt sich, sofeme wir es nicht mit vollständiger 
Verkalkung der Pulpa zu tun haben,' nur auf bestimmte Quer¬ 
schnitte, welche ihrerseits wieder anatomisch diese Erhöhung 
nicht rechtfertigen.. Da wir den physiologischen Bau der Zähne, 
d. h.: Schmelz-, Dentindicke, Feuchtigkeitsgehalt etc., genau, zu 
bestimmen nicht in der Lage sind, ist die Kontrolle am Ver¬ 
gleichszahn unbedingt notwendig. 

Wenn auch die Diagnose auf Dentikel. mit; dieser Me¬ 
thode noch auf recht grosse Schwierigkeiten stossen dürfte, so 
habe ich doch die feste Ueberzeugung, dass der elektrische 
Strom einen guten diagnostischen Behelf bilden, wird. Die Er¬ 
fahrung wird wohl Aufklärung bringen. 

Zum Schlüsse möchte ich noch kurz erwähnen, dass 
Kollegen, die in ihrer Praxis öfters den Versuch der Pulpa- 
uberkappung machen, stets Gelegenheit haben, den Zustand 
der Pulpa zu kontrollieren. Hafner berichtet, dass es ihm 
besondere Freude bereitet hat, nach solchen Versuchen den 
Erfolg zu beobachten. 

Anschliessend an meinen Vortrag demonstrierte Dr. Müller 
(Wien) einen kleinen, sehr handlichen, transportablen Induk¬ 
tionsapparat. Den primären Strom liefert ein Chromsäure- 
Element. Müller lässt gleichfalls den Strom quer durch den 
Zahn laufen und benützt als Elektroden zwei Metalldrähte, die 
in Form einer Pinzette gefasst sind. Zur Isolation werden diese 
mit GjummischläUchen überzogen.. 

Die Verwendung des elektrischen Stromes für die Diagnose 
verschiedener Pulpaerkrankungen bietet für den in der Praxis 
stehenden Zahnarzt so viele Vorteile, dass wohl keiner vor dem 
Versuche damit zurückschrecken sollte. Aeltere und erfahrene 
Praktiker- dürften ja eine seltenere Verwendung dafür haben. 
Aber in den wenigen Fällen. wird der Induktionsapparat voll 


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218 


Dr. üthmar v. An der Lan, tVie». - 5 - 

zu Ehren kommen und viel Zeit und Aerger ersparen, Ich selbst 
möchte meinen Apparat unter keinen Umständen-mehr ent¬ 
behren. • • -• - ' 

Für die Anregung und gütige Unterstützung erlaube ich 
mir hier meinem hochverehrten Chef, Doz: v. Wünschheim, 
meinen besten Dank auszusprechen: • ' - : 

Nachtrag.. r; •. 

Unmittelbar vor Drucklegung dieser ' Zeilen erschienen in 
der „Deütschen Monatsschrift für Zahnheilku-n’de # , 
Heft 3, zwei Artikel, die.;.sich ebenfalls mit - der-Untersuchung 
durchr den elektrischen Strom befassen. ’ ’ . 

Ueber den Nachweis dfes LehensZustarides 
der Pulpa unversehrte aussehender Zähne’ durch 
den elektrischen Strom von Hesse, Breslau. 

Moderne diagnostische Methoden für die Er¬ 
krankungen der Pulpa und ihrer Ausgänge von 
Frohmann. . - 

Die Untersuchungen He ss es erstrecken sich hauptsäch¬ 
lich auf abgestorbene Pulpen bei äusseriich intakten Zähnen. 
Nach Hesse, gibt es kein glänzenderes und einwandfreieres, 
schnelleres und sicherer zum Ziele führendes Mittel, um bei 
einem unversehrt aussehenden Gebiss, Zähne mit abgestorbenem 
Zahnmark ausfindig zu machen, als die Untersuchung mittels 
des elektrischen Stromes. Hesse benützt einen Schlitten- 
Induklionsäpparat mit einem Chromsäure-Element von zirka 
2 Volt. Zur Untersuchung wird der primäre Strom verwendet 
der gleich wie bei Fuyt, Hafner, Schröder die Längs¬ 
achse des Zahnes durchläuft. Als Untersuchungselektrode: ge¬ 
braucht Hesse eine aus Ton geformte Spitze, die behufs 
Isolierung auf ein von Holz umschlossenes Metallstück auf¬ 
gesetzt ist. 

Frohmann tritt sehr energisch für den sekundären 
Strom ein, der eine feinere Differenzierung zulasse, als die zu 
grosse Abstände umfassende Einteilung des Eisenkernes beim 
primären Strom. Die Stromschliessnng ist gleich wie bei Hesse 
in der Längsachse des Zahnes. Frohmann bezeichnet, «nt- 


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Die Anwendung des" elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 213 

sprechend dem Sprachgebrauch der Physiologie, den Punkt 
(Stromstärke), bei welchem die Reaktion ausgelöst wird, äls 
Reizschwelle des Zahnes, eine glücklich gewählte Bezeich¬ 
nung, die verdiente, allgemein eihgefuhrt zu werden, ln dem 
elektrischen Strom ersieht Frohmänn ein ausserordentlich 
sicheres: diagnostisches-Untersuchungsmittel. Ganz speziell dürfte 
die bisher praktisch unmögliche Differenzierung der ver¬ 
schiedenen Pulpifisformen um ein wesentliches gebessert und 
dadurch auch der masslosen Abätzung jeder irritierten und 
entzündeten Pulpa ein Riegel vorgeschoben werden. 

Literaturverzeichnis. 

Fuyt: Ueber die Anwendung schwächerer Induktion «ströme zum Aufsuchen 
gewisser Krankheiten der Pulpa. Deutsche Monatsschrift für Zahnheil¬ 
kunde, 1903, Heft 7. 

Hafner-Schürt er: Diagnose von Pulpakrankheiten mittels Elektrizität, 
Schweiz. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1902. 

Schröder: Der Induktionsstrom als Diaguostikum in der zahnärztlichen 
* Praxis. Korrespondenzhlätt für Zahnärzte* 1905, Heftig 
He äse: Ueber den Nachweis des Lehenszustandes der Pulpa unversehrt 
aussehender Zähne durch den elektrischen Strom. Deutsche Monatsschrift 
für Zahnheilkunde, 1907, Heft 3. 

Frohmänn:. Moderne diagnostische Methoden für die Erkrankungen der 
Pulpa und ihrer Ausgänge. Ibidem. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 



Von Dr. Adolf Müller , Zahnarzt in Wien (früher Agram). 

Als Fortsetzung meiner Arbeit über die Antiseptik und 
Aseptik in der Stomatologie schildere ich nachfolgend einige 
von mir geübte Modifikationen der Wurzelbehandlung. Ich 
bespreche zuerst die Fälle,' wo man Wurzeln mit abgestorbener, 
bereits gangränöser Pulpa zu behandeln hat. Solche Wurzel- 

• Vortrag, gehalten im Verein österreichischer Zahnärzte am 7. No¬ 
vember 1906. 


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Dr. AdolfMttUeiy Wien. 


214 

kanäle pflege ich hauptsächlich., mit.Thymol zu behandeln, um 
eine vollkommene Sterilisation derselben zu 'bewerkstelligen. 
Bevor ich die Details schildere,, will ich kurz die Entstehung 
dieser Thymolbehandlung skizzieren:' 

Als ich vpr zwölf Jahren an Rom an dem internationalen 
Aerztekongress teilnahm, zeigte uns ein : Zahnarzt aus der 
Schweiz, dessen Name, mir' entfallen ist, wie. er beL.bereits 
sterilisierten Wurzeln die Dauerfüllung mit Thymol macht. Er 
schmolz, das Thymol auf der.Bunsenflamme und Hess es in 
die Wurzelkanäle hineinfliessen, so dass diese naich dem Starr* 
werden des Thymols damit ganz ausgefüllt waren, worauf die 
definitive Füllung der Krone-folgte. - - 

Bekanntlich 1 schniilzt das Thymol schon bei -j- 50° und 
die ganz hervorragenden ahtiseptischen Eigenschaften bei 
relativer Ungiftigkeit in den für unsere Zwecke erforderlichen 
Dosen, dann der Umstand, dass es die Schleimhaut nicht 
verätzt und einen angenehmen Geruch hat, machen es ganz 
besonders für die zahnärztliche Praxis geeignet. Diese Um¬ 
stände haben mich dazu »bewogen, dass ich sowohl nach 
Devitalisatianen und Exstirpationen der Pülpa, als auch nach 
vollendeter Vorbehandlung bei Pulpagangrän, die Wurzelkanäle 
in der erwähnten Weifee : mit Thymol dauernd füllte. 

Bald sah ich die Resultate, da Patienten nach der 
Devitalisation und Exstirpation der Pulpa, welche bekanntlich 
in manchen Fällen nur amputiert werden kann, wiederholt 
nachträglich Schmerzen bekamen, die 'durch den Reiz, welchen 
das Thymol auf die *m Wurzelkanal zurückgebliebenen Reste 
der Pulpa ausübte, entstanden sind. Solche Reste der Pulpa 
konnten bei Wurzelfüllungen mit anderen antiseptischen Mitteln 
ohne Anstand in den Wurzelkanälen bleiben. 

Ich musste nun die Füllung öffnen und noch eine Arsen¬ 
einlage machen, um die Schmerzen zu beheben. 

Anders verhielten sich solche Zähne, welche eine gangränöse 
Pulpa hatten und nach der damals allgemein geübten Vor¬ 
behandlung zuletzt mit Thymol aüsgefüllte Wurzeln erhielten. 
Da waren die Resultate in der ersten Zeit sehr befriedigend, 
aber nach Monaten oder Jahren kamen die Patienten mit 


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Beitrag zuii antiseptiaclien Wurzelbehandlung. 


215 


periostitiseben Erscheinungen, welche mich veranlassten, die 
Füllungen zu öfiEben und ich fand die Wurielkanäle leer, trotz¬ 
dem ich dieaeihenimitThymolgeföllt hatte; Ich sah^also, dass 
das Thymol vprschwuüden rund .seine, antiseptische:Wirkung 
darum nicht' mehr vorhanden i war. Der. niedere Schmelzpunkt 
des Thymols' mgreht. den .Prozesä leicht erklärlich, da durch 
den. Genuss ; warmer Speisen die Auflösung und Verdampfung 
und auch, die Resorption und 1 Imbibition stattgefunden hat. Diese 
Resultate brachten mich zur Ueberzeugung,: dass das Thymol 
allein als Danerantiseptikum für Wurzelfüllungen nicht zu ver- 
wenden ridtf' dass es. aber wohl, anderen: i-WurzelfÜllungs- 
materialidm beigemengt!, deren, antiseptikche Kraft erhöhen kann, 
ivas besondeihsbei Wurzelfüllungen nach der; Behandlung der 
Pulpagangrän.von bedeutendem Wert: ist. Dieses Thema habe 
ich bereits rar vier Jahren bei der Versammlung'deutscher 
Naturforscher uhd Aerzte in Karlsbäd besprochen. 

i .Nqni haben mich gerade diese Eigenschaften, des Thymols 
veranlasst, i.dasselbe .zur Desinfektion der Wurzelkanüle mit 
Pulpagangrärl !zu verwenden.' Besonders die Eigenschaft, dass 
es keinen Aetzschorf erzeugt und darum die Gewebe durch¬ 
setzen,, fcanifci verleiht dejn Thymol den besonderen Wert für 
unsere Zwecke,, Indern ich es dafür empfehle, will ich keines¬ 
wegs ; den Wort anderer unentbehrlicher Desinfektionsmittel, 
die wir zu dem Zweck verwenden, herabsetzen, wie wir ja die 
besten Resultate mit alle» Riesen Mitteln erzielen können. Ich 
will.nur zu allen diesen Methoden noch einen Beitrag liefern. 

[Ich beginne die Thymolbehandlimg in ^er Weise,, das$ 
ich : das Thymol in Substanz in die Wdrzetyanäle einführe, 
und zwar .erst dann, wenn ich dieselben am Eingänge trichter¬ 
förmig mit Rosenbohrern erweitert und mit Schwefelsäure oder 
Aqua regia, sowie mechanisch möglichst rein gemacht habe. 

In den Wurzeleingang führe ich. das Thymol in der 
Weise ein, dass icli mit der Pinzette, auf deren Spitzen ich 
etwas von der Jodoformwurzelfüllung, von welcher ich später 
sprechen werde, genommen habö, ein bis Reiskorngrosses Stück 
Thymol fasse (es klebt nämlich auf det Pasta) und dieses in 
die Wurzeleingänge hineinstopfe, indem ich ein Baumwoll- 


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216 


Dr. ÄÄttlfi lBllter, Wien. ; : ■ • 

bäuschcben dazu nehme, welches zugleich den Verschluss der 
Kavität bildet. Mit einem zweiten' BaumwoIIbüuschchen ver- 
schliesse ich die Kavität noch besser und belasse das Thymol 
ein bis zwei Tage, darin. Die nächste Einlage, welche am 
SWeiteft oder dritten Tage gemacht wird, mache ich wieder, 
indem ich vodier. mit Schwefelsäure, Aqua regia oder: Schreiers 
Kalium-Natfium.vorhehandle, und zwar wird - jetzt das Thymol 
mit einem: fedtondeii: Amalgamträger in die .■ Wurzelkanäle 
hiö.'öjjfepresstäiddeSnauf der/Spiritusflämme flüssig gemacht, 
in untere ^ähne hioöißfeetropft oder in Stücken: eingeführt .und 
mit:: än^r.Wtoiiett-öfi|opf^ gemacht oder in . die 

Kanäle: yneingestopflii Um den federnden: Amalgamträger mit 
Thymol fcu füllen,- benütze ich einen Thytnolbehälter aus Metall, 
welcher acht kleine Näpfe von zirka 8 Mm. Durchmesser ühd 
1$ Mm. Tiefe enthält und mit einen! Deckel versehen ist 
Jedem Patienten wird das Thymdl aus' einem bestimmten Napf 
mit einem vorher ausgekochten Amalgämträger eingetragen. 
Natürlich;.wird auch der Thymolbebälter, nachdem alle Näpfe 
benützt wurden, ausgekocht. Der Träger wird mit Thymolpulver 
gefüllt, indem man ihn einigemal in den vollen Napf hineinstösst. 

• Nun verschliesse ich die Kavität mit einem Baumwoll- 
bäuschchen und mit Wachs, welches ich mit einem löffel- 
förmigen Spatel eingiesse oder bei oberen' Zähnen mit dem 
gewöhnlichen Spatel eindrüeke. 

■ Die Einlagen wiederhole ich nach Bedarf, bis die Wurzel¬ 
sonde keinen putriden Geruch mehr aufweist, was bei gewöhn¬ 
lichen, dicht komplizierten Fällen- nach wenigen Einlagen 
der PaH ist. Besonders rasch und bequem ist die Desinfektion 
der Wurzeln, die man zur Aufnahme von Stiftzähnen oder 
Brücken vorbereitet. 

Wenn die Wurzelkanäle zur Aufnahme , der definitiven 
Wurzelfüllung vorbereitet sind, pflege ich diese mit einer Pasta 
äüszufullen, welche folgendermassen zusammengesetzt ist: 

- : Mp^ Jbdpfqrmii 25*0 
; Zinci oxydat. 100-0 

- ' . I Gfyceririi puri quant sat ut flat pasfa. 


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Beitragsor antiseptischen WartelbehandlnDg. - • 2if 

Statt des Jodoforms kann man Xeroform nehmen, tim 
eine geruchlose Pasta zu erhalten. 

Die wasserentziehende Kräft des Glyzerins, die adstrin¬ 
gierende Eigenschaft des Zinköxyds und die antiseptische Eigen¬ 
schaft des Jodoforms und Xeroforms entfaltet in dep Wurzel¬ 
kanälen eine sehr günstige Wirkung. 

Diese Pasta wird in eine Schraubenspritze (Tropfspritze 
nach Guyon), die zirka 6 Cm. lang ist und den Durchmesser 
von zirka 1 Cm. hat, mit einem Spatel eingetragen. Ich ver¬ 
wende auch die Scheuerschen Wurzelfüllungspasten in Tuben,' 
aus welchen man sehr gut die Pasta in die Schraubenspritze 
direkt einpressen kann. In der Schraubenspritze, welche an 
ihrer Mündung verschlossen werden kann, wird die Pasta auf¬ 
bewahrt und unmittelbar vor dem Gebrauche nach Bedarf in 
eine kleine Injektionsspritze gepresst. Bei der einmaligen Um¬ 
drehung der Schraube wird immer die gleiche Dosis der Pasta 
in die kleine Spritze eingetrieben, somit ist die genaue 
Dosierung ermöglicht. Die kleine Injektionsspritze ist eine 
modifizierte sogenannte Zahnpistole von Böhm (Noffke). Diese 
habe ich mit einem festen Knopf für den Daumen und einer 
breiten Platte für den Zeige- und Mittelfinger versehen lassen, 
damit man einen kräftigen Druck ausüben kann und damit 
die Kanüle, aus welcher die Pasta heraustritt, den Instrumenten¬ 
tisch nicht berühren kann. Mit dieser kleinen Spritze wird die 
Pasta in die Wurzelkanäle gepresst, die vollkommen ausgefüllt 
werden, dann kommt eine Asbestkapsel als Abschluss des 
Kronenpulparaumes, darüber eine Zementschichte und über 
diese die definitive Füllung. Um die antiseptische Kraft der 
Wurzelfüllung zu erhöhen, drücke ich beim Wurzeleingang in 
die Pasta einen kleinen Thymolkristall, bevor die Asbestkapse) 
aufgelegt wird. Die Asbestkapseln werden in einem Formalin- 
Desinfektor, den ich zur Desinfektion der Papierpolierscheiben 
konstruiert habe, desinfiziert, bevor sie gebraucht werden. 

Um Fisteln zu heilen, verschliesse ich die Wurzel, nach¬ 
dem sie mit Thymol ausgefüllt wurde, mit Zement und dieser 
Verschluss bleibt einige Tage unberührt, in welcher Zeit sich 


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218 Dr. Adolf Müller, Wied. Beitrag zir aqtisaptisebtn Waudbehandluug. 

gewöhnlich die Fistelmündungen vdrscbliessen und bsdä darauf 
verheilen. . > 

Bei Patienten, welche nicht in meiner, Nähp ymhnen und 
darum nicht zur regelmässigen Behandlung kommen können, 
reinige ich die Wurzelhöhle mechanisch und mit Schwefelsäure, 
lege das Thymol, wie geschildert, in den Zahn, gebe dem 
Patienten einige Thymolkristalle mit der Weisung, er möge 
sich täglich morgens nach der' Peinigung seiner Zähne .ein 
Thymolstückchen in die Zahnhöhle einführen und dieselbe 
dann mit Baumwolle verschliessen, dann nach aeht oder zehn 
Tagen zur definitiven Füllung zu mir kommen, was gewöhn¬ 
lich ohne Anstand möglich ist, nachdem die Wurzelkanäle ge¬ 
nügend desinfiziert erscheinen. 1 

Ich möchte noch kurz solche Fälle erwähnen, wo die 
Pulpa devitalisiert und entfernt wurde. 

Angeregt durch die Demonstration von Dr. Trauner, 
welcher die Wurzeln mit ParafflnstäbChen füllt, benütze ich 
in vielen Fällen dieses Material, um die Wurzeln damit zu 
füllen, ich füge dem Paraffin 30 Prozent Jodoform bei und 
lasse davon Stäbchen anfertigen, die in die erwähnte modi¬ 
fizierte Böhmsche Spritze hineinpassen. Nachdem ich die 
Spritze auf der Bunsenflamme leicht erwärmt habe, injiziere 
ich die halb flüssige Jodoformparaffinmasse in die Wurzel¬ 
kanäle, wodurch dieselben vollkommen ausgefüllt werden, so 
dass Nachblutungen oder Gasansammlungen in den Wurzel¬ 
kanälen sicher verhindert werden. Das Injektionsverfahren ist 
in denjenigen Fällen kontraindiziert, wo die Wurzeln offen 
in das Antrum Hyghmori hineinragen, weil jede Masse, die in 
dasselbe eindringen würde, daselbst imangenehme "Wirkungen 
hervorrufen könnte. 

Ausser mit Paraffin pflege ich auch nach der Divitalisation 
der Pulpa die Wurzeln mit der erwähnten Jodoform- oder 
Xeroformpasta zu füllen, arbeite aber immer mit der Injektions¬ 
spritze, indem ich es vermeide, das Wurzelfüllnngsmaterial mit 
den Fingern zu berühren, um das aseptische Verfahren möglichst 
vollkommen durchzuführen. 


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R D. Mc Bride, D.D. S., Dresden. Die Örthodontie etc. 


219 


* , Nachdruck nur mit Zustimmung des Verfassers gestattet. ' 

Die Orthotoie in ihrer praktischen Terwertann. 

Von Hofrat B. D. Mc Bride, D. D. S. in Dresden. 

Indem ich gerne der Aufforderung nachkomme, für die 
i, Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde“ einen Artikel über 
praktisch angewandte Örthodontie zu schreiben, liegt es mir 
ferne, eine lange Abhandlung über dieses Thema zu publi¬ 
zieren, ich will vielmehr nur jene Kollegen, die mit diesem 
Spezialfache unserer Wissenschaft, namentlich was dessen 
grundlegende Prinzipien anlangt, weniger vertraut sind, mit 
demselben näher bekannt machen. Da ich schon zwei Ab¬ 
handlungen über dieses Thema geschrieben habe, so komme 
ich, wenn ich mit demselben, von anderer Seite beleuchtet, 
jetzt wieder vor die Oeffentlichkeit trete, nur meinem lebhaften 
Interesse für die Sache nach. Doch will ich heute, dem Ver¬ 
langen nach der Schilderung einer praktisch anwendbaren und 
erzieherischen Methode nachgebend, diese Abhandlung mit der 
Absicht schreiben, ein höheres Ideal in der Korrektion von 
Stellungsanomalien zu erwecken. 

Für die, welche an der Örthodontie ein Interesse haben, 
ist es erfreulich, den gewaltigen Fortschritt, den diese Wissen¬ 
schaft in den letzten Jahren gemacht hat, zu konstatieren. In 
dieser Beziehung hat sie mit den anderen Zweigen der Zahn¬ 
heilkunde gleichen Schritt gehalten. Bisher hatte sie nicht das 
Anrecht auf den Namen Wissenschaft, da sie keine fixen 
Normen hatte. Das einzige Augenmerk war auf die Ver¬ 
besserung der äusseren, sichtbaren Veränderungen der Zähne 
gerichtet und war hierbei der normale Kontakt der korrespon¬ 
dierenden Kauflächen ganz ausser acht gelassen. So kam es 
häufig vor, dass bei den Bemühungen, die eine Deformität zu 
beseitigen, eine andere geschaffen wurde, nicht minder ent¬ 
stellend als die ursprüngliche. Jetzt aber ist unsere Disziplin 
auf eine derart wissenschaftliche Basis gestellt, dass die Kor- 


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220 R. D. Mc Bride, D. D. 8., Dresden. 

rektion jeden Falles, der nicht durch Extraktion verstümmelt 
wurde, so einfach und die Erfolge so sicher sind, wie ein 
mathematisches Problem. 

Die scheinbar schwersten und- kompliziertesten Fälle 
können in überraschend kurzer Zeit durch plan- und fall- 
gemässe Anwendung der die moderne Orthodontie charakteri¬ 
sierenden Methoden korrigiert werden. Für alle diese Methoden 
ist die Grundbedingung: normale Okklusion aller Zähne und 
normal geformte Zahnbogen. Alle bisher und selbst einige in 
letzter Zeit erschienenen Werke über Orthodontie dienen eher 
dazu, den Jünger in der Orthodontie zu verwirren, als ihn in 
die richtige Bahn zu lenken, die Korrektion schlecht stehender 
Zähne und die Umformung anormaler Zahnbögen durchzu¬ 
führen. 

Die Literatur über Orthodontie 1 ist so zahlreich und so 
leicht zugänglich, dass es nicht nötig ist, in diesem kurzen 
Artikel von der mir gestellten Aufgabe abzuweichen. In einer 
Abhandlung: „Moderne Entwicklung in der Orthodontie“, die 
ich im Jahre 1905 der American Dental Society of Europe 
vorlegte, erläuterte ich die Prinzipien der neuesten Errungen¬ 
schaften unserer Wissenschaft bis zu jenem Zeitpunkte. In 
dieser Abhandlung besprach ich die Beziehungen der Orthodontie 
zur Kunst, die Notwendigkeit der Forderung nach dem Vor¬ 
handensein aller Zähne, die normale Okklusion, die Diagnose 
der Stellungsanomalien, die Wichtigkeit des ersten Molaren 
und die mesio-distale Verschiebung der Zahnbogen. Für die¬ 
jenigen, denen die amerikanische Literatur über diesen Gegen¬ 
stand nicht zur Verfügung steht, will ich einige dieser wichtigsten 
Prinzipien nochmals in Kürze besprechen. Ich - will später in 
diesem Artikel nicht nur die praktische Anwendung dieser 
Prinzipien vor Augen führen, sondern auch an der Hand einer 
detaillierten Beschreibung die Behandlung einzelner Fälle die 
neuesten Errungenschaften unserer Wissenschaft demonstrieren. 

1 „Items of Interest“ publiziert die Abhandlungen der American Society 
of Orthodontists. 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


221 


Jedenfalls wird die strikte Forderung nach Erhaltung aller 
Zähne zur Erzielung der bestmöglichen Harmonie der Okklusion 
und des Gesichtsausdruckes bei jenen auf Widerstand stossen, 
die die Extraktion fordern, um so, durch Platzgewinnung für 
die anormal stehenden Zähne, regelmässigere Stellungen zu 
erreichen. Ich fordere alle meine Kollegen, welche diesen Ideen 
in der Behandlung von Stellungsanoipalien huldigen, auf, diesem 
Artikel ihre volle Aufmerksamkeit und ihr ernstes Studium zu 
widmen und ich gebe der sicheren Hoffnung Ausdruck, dass sich 
dieselben veranlasst sehen werden, ihre Patienten in idealerer 
Weise ihrer Kunst teilhaftig werden zu lassen. Ich finde kein Be¬ 
denken, es laut auszusprechen, dass eine derartige Verstümmelung 
des Zahnapparates nicht streng genug verurteilt werden kann. 
In unserem erleuchteten Zeitalter ist es kein geringerer Missgriff, 
einen anormal stehenden Zahn zu extrahieren, wie aus einem 
schön geformten Bogen einen Zahn zu entfernen. 

Den grössten Schwierigkeiten in der Korrektion von 
Stellungsanomalien begegnete ich in den Fällen, in denen zur 
Erzielung eines schönen Resultates ein oder mehrere Zähne 
gezogen wurden. Es verschafft mir gar keine Genugtuung, 
wenn ich mir die Behandlung von Fällen in Erinnerung bringe, 
bei denen ich zur Vornahme der Korrektion einzelne Zähne 
opferte, alles jedoch zu einer Zeit vorgenommen, in der die 
intermaxillaren Ligaturen noch unbekannt waren, welche uns 
jetzt in den Stand setzen, die mesio-distale Disharmonie der 
Zahnbögen ohne Beeinträchtigung der Schönheit derselben 
auszugleichen, ohne Störung ihrer Symmetrie, ohne Herab¬ 
setzung der Gebrauchsfähigkeit und des richtigen Zusammen¬ 
schlusses der beiden Zahnbögen, ohne Beeinträchtigung des 
Gleichgewichtes in der Harmonie des Gesichtes. 

In dem eng begrenzten Gebiete des Mundes und seiner 
nächsten Umgebung liegt die ganze Macht für ein ausdrucks¬ 
volles und schönes Gesicht. Die ästhetische Zeichnung dieses 
ausdrucksfähigen Gebietes ist nicht zuletzt von den Zähnen 
abhängig, und wird sich schliesslich jede Stellungsanomalie der 
Zähne in mehr oder weniger hohem Grade in einer Beein¬ 
trächtigung des ganzen Gesichtsausdruckes kundtun. Für den 

6 


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222 


ß. D. Mc Bride, D. D. 8., Dresden. 


Orthodontisten sind die ästhetischen Beziehungen dieses aus¬ 
drucksvollen Gebietes ein wichtiger Faktor; bei sachgemässer 
Anwendung der richtigen Prinzipien der Orthodontie kann er 
durch seine Erfahrung und Geschicklichkeit gewisse Zuge der 
Unvollkommenheit in einem Gesichte abschwächen und mildern, 
ja dieselben zu harmonischer Schönheit bringen. Um den 
höchsten künstlerischen Erfolg zu erreichen, muss er ein klares 
Verständnis für die richtigen harmonischen Verhältnisse eines 
Gesichtes in jedem gegebenen Typus mitbringen. Früher war 
von den Orthodontisten als allgemein giltig angenommen, 
dass das Vorbild für ein ideales Gesicht auf geometrisch genau 
festgesetzten Linien beruhe; viele von ihnen nahmen sich den 
Apollo Belvedere, das Meisterstück griechischer Kunst, zum 
Vorbild. Doch die Erfahrung hat uns gelehrt, dass volle Har¬ 
monie des ausdrucksfähigen Gebietes des Gesichtes in jedem 
gegebenen Falle nur dann erreicht werden kann, wenn alle 
Zähne und jeder einzelne in seiner normalen Stellung vor¬ 
handen ist. Wenn wir dieses harmonische Verhältnis der 
Zähne erreicht haben, so haben wir die Genugtuung, den 
gestörten Ausdruck um den Mund in weiter unveränderlicher 
Form in das richtige Verhältnis zu dem ganzen Gesicht ge¬ 
bracht zu haben. 

Zuweilen fehlt scheinbar noch einige Zeit nach vollendeter 
Korrektion das harmonische Gleichgewicht des ganzen Ge¬ 
sichtes. Dies muss man aber der zurückgebliebenen oder erst 
allmählich erfolgenden Entwicklung des Alveolarfortsatzes zu¬ 
gute rechnen, welche durch die früher bestandene Stellungs¬ 
anomalie bedingt war; sind jedoch die normalen Verhältnisse 
der Zähne einmal hergestellt, so vollendet die Natur bald die 
Entwicklung des Alveolarfortsatzes und gibt so im Laufe der 
Zeit dem Ausdrucke des Gesichtes das für diese Type charak¬ 
teristische richtige Gleichgewicht und die richtige Proportion. 

Kenntnis der vollkommenen Harmonie des Gesichtes ist 
ebenso wichtig, wie die genaue Kenntnis unseres Vorbildes 
für eine tadellose Okklusion. Ohne den Versuch zu machen, 
eine anatomische Beschreibung der Okklusion der Zähne zu 
geben, will ich bloss bemerken, dass, wenn die Zähne in rich- 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


liger Okklusion sind, die zur Berührung kommenden Flächen 
die grösstmögliche Kaufläche und den Zähnen eine gegenseitige 
Stütze bieten. Jeder Zahnarzt sollte mit den Verhältnissen der 
normalen Okklusion wohl vertraut sein. In keinem Falle sollte 
ein Zahnarzt je denVersuch einer Korrektion unternehmen, ohne 
sich vorher gründlich mit den Verhältnissen der normalen 
Okklusion vertraut gemacht zu haben. Bevor er eine Unvoll¬ 
kommenheit richtig diagnostizieren kann, muss er lernen, was 
Vollkommenheit ist. Nur der Mangel für die richtige Erkenntnis 
der einer normalen Okklusion zugrunde liegenden Prinzipien 
war in früheren Zeiten die Ursache für eine Konfusion der 
Ideen, welche zur Erfindung und Konstruktion vielfacher und 
komplizierter Apparate führte, welche nach Ansicht der Er¬ 
finder in jedem besonderen Falle den speziellen Erfordernissen 
entsprechen sollten. 

Diese falschen Ideen wurden kräftigst von den meisten 
Zahnärzten propagiert und unterstützt, bis Angle seine Ein¬ 
teilung der Stellungsanomalien der Zähne gab. 1 

Diese Einteilung brachte nicht nur eine gründlichere 
Kenntnis der grundlegenden Prinzipien der Orthodontie mit 

> Die Einteilung der Stellungsanomalien ist bier aus Rücksicht für 
eiu leichteres Studium und raschereüebersicht nur in Kürze wiedergegeben. 
Klasse I: Die Bogen sind in mesio-distaler Beziehung normal. 

Klasse II: Der untere Bogen ist in seinem Verhältnis zum oberen distalwärts 
vom Normalen verschoben. 

Abteilung 1: Beideiseits distal; Vortreibung der oberen Schneide- 
zähne; gewöhnlich Mundatmer. 

Unterabteilung: Einseitig distal; Vortreibung der oberen Schneidezähne; 
gewöhnlich Mundatmer. 

Abteilung 2: Beiderseits distal; zurückgedrängte obere Schneide¬ 
zähne; Naseuatmer. 

Unterabteilung: Einseitig distal; zurückgedrängte obere Schneidezähne; 
N&senatmer. 

Klasse III: Der untere Bogen ist in seinem Verhältnis zum oberen wesial- 
wärts vom Normalen verschoben. 

Abteilung: Beiderseits mesial. 

Unterabteilung: Einseitig mesial. 

(Angles „Malocclusion of the teeth“, pag. 44.) 

6 * 


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224 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


sich, sondern vereinfachte auch die für die Vornahme von 
Korrektionen notwendigen Apparate, da die Behandlung aller 
zu den drei Klassen gehörigen Fälle in ihrer Ausübung die 
gleiche ist. 

Auf zwei Artikel möchte ich die Aufmerksamkeit meiner 
Leser lenken, obzwar dieselben nicht in direktem Zusammen¬ 
hänge mit dem zu behandelnden Thema stehen, nämlich auf 
den von Dr. J. B. Davenport (Paris), betitelt „Die mensch¬ 
lichen Zahnbogen“ im „Dental Cosmos“, 1887, und auf den 
im „International Dental Journal“, 1892, erschienenen Artikel 
„Die Artikulation der Zähne“. 

In dieser Abhandlung fordert Dr. Davenport als Grund¬ 
prinzip für die Orthodontie richtige Okklusion und demon¬ 
striert die Linie derselben. Er schreibt: „Ich glaube, dass 
richtige und vollkommene Artikulation der Zähne die einzig 
wahre, physiologische Basis ist, die zu erreichen das Ziel aller 
unserer Bestrebungen sein soll. Die am häufigsten vor¬ 
kommende Irregularität der Zähne bezieht sich auf deren 
Kauflächen und trotzdem ist darauf in den über Stellungs¬ 
anomalien erschienenen Werken nur wenig Gewicht gelegt. 
Je näher dem Vorbild der Vollkommenheit wir die Zähne 
unserer Patienten bringen, desto grösser ist unser Verdienst 
um sie, doch kann dies nicht blindlings geschehen, ohne die 
Kenntnis dessen, was eigentlich richtige Artikulation ist.“ Er 
bemerkt dann noch: „Schliesslich ist richtige Artikulation 
der einzig verlässliche Retentionsapparat.“ 

Dies ist in der Tat die Hauptdoktrin der heute zu Recht 
bestehenden Orthodontie. Das Hauptverdienst für die praktische 
Anwendung und Verwertung derselben gebührt Dr. Angle, 
der durch die 1900 erfolgte Publikation seines Buches: „Die 
Behandlung der Stellungsanomalien der Zähne“, die Basis für 
moderne Orthodontie gab. Dr. Angle hat sich die Ergründung 
der Orthodontie zur Lebensaufgabe gestellt und wir alle, die 
wir seinen Lehren jetzt folgen, sind ihm zu dauerndem Dank 
verpflichtet. 

Bei der Diagnose der Stellungsanomalien müssen wir 
vor allem dem mesio-distalen Verhalten der Kiefer und der 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


226 


Zahnbögen unsere Aufmerksamkeit schenken; es kommen ferner 
die Linie der Okklusion, die Okklusionsflächen, der Gesichts¬ 
ausdruck und schliesslich die normale Form der Zahnbögen 
in Betracht 

Bei der Stellung der Diagnose müssen wir einen ver¬ 
lässlichen Anhaltspunkt haben und es wurden zu diesem Zwecke 
die ersten Molaren gewählt, da sie als die zuerst durch¬ 
brechenden Backenzähne in der Folge den Grundstock der 
Okklusion bilden. Das richtige gegenseitige Verhältnis bei ge¬ 
nauer Okklusion ist durch das Eingreifen des mesio-buccalen 
Höckers des oberen ersten in die buccale Grube des unteren 
ersten Molaren gegeben; nach dem gegenseitigen Verhältnis 
dieser beiden Kardinalpunkte wird bei der Diagnose das nor¬ 
male, beziehungsweise das mesio-distale Verhalten der beiden 
Zahnbögen zueinander bestimmt. Wenn die Molaren normal 
schliessen, dann ist auch für alle anderen vor und hinter den¬ 
selben durchbrechenden Zähne die Möglichkeit eines normalen 
Durchbruchs gegeben. Wenn die ersten Molaren nicht normal, 
sei es nun mesial- oder distalwärts, zur Okklusion kommen, 
dann sind alle anderen Zähne, sowohl vor wie hinter denselben, 
gezwungen, in anormaler Weise, mesial- oder distalwärts, je 
nach dem Verhalten der ersten Molaren, durchzubrechen und 
zu okkludieren. Da die Gestaltung beider Bögen von dem Vor¬ 
handensein dieser Zähne abhängig ist, so sollten wir denselben 
unsere sorgsamste Aufmerksamkeit zuwenden und durch deren 
Erhaltung die von der Natur beabsichtigten Zwecke zu er¬ 
füllen helfen. 

Einige Orthodontisten haben in jüngster Zeit die Ansicht 
ausgesprochen, dass die oberen Molaren immer in ihrem rich¬ 
tigen mesio-distalen Verhältnis durchbrechen und infolge dieser 
sicheren und immer bestimmten Stellung als Ausgangspunkt 
für die Diagnose anzusehen sind. Trotz grösster Achtung vor 
den diese Theorie zu erhärten suchenden Deduktionen, konnten 
meine Erfahrungen und Beobachtungen sich bis jetzt nicht 
mit derselben einverstanden erklären. Trotzdem fordert dieser 
hervorragende Orthodontist nicht — einige seiner Jünger tun 
es — dass in allen Fällen, in denen der untere Bogen in 


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226 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


distaler Okklasion (Klasse II) steht, die indizierte Behandlung 
einfach darin bestehe, den oberen Bogen für den speziellen 
Fall ideal zu formen und den unteren derart zu gestalten, dass 
die Zähne richtig zur Okklusion kommen, wenn der Unter¬ 
kiefer im ganzen nach vorne gebracht wird; die oberen ersten 
Molaren sind nach Ansicht 1 dieses Autors imm er in ihrem 
richtigen mesio-distalen Verhältnis. Wird der Unterkiefer im 
ganzen nach vorne gebracht, so müssen, wenn die Zähne 
dann richtig artikulieren, die Kondylen notgedrungen auf die 
Eminentia articularis zu stehen kommen. Diese Verschiebung 
der Stellung der Zähne von distaler zu normaler Okklusion 
durch Vorschieben des ganzen Unterkiefers ist eine Behand¬ 
lungsweise, die Dr. Norman W. Kingsley vor 25 Jahren in 
speziellen Fällen angab und der er den Namen „jumping 
the bite' gab. In Fällen, in denen der Unterkiefer in seiner 
Entwicklung zurückgeblieben ist, wird eine derartige Behand¬ 
lung die besten ästhetischen Erfolge liefern — wenn dieser 
Erfolg auch dauernd zu erhalten ist — und ist vollkommen 
indiziert. Doch scheint es mir nicht ganz rationell, alle zur 
Klasse II gehörigen Fälle von diesem Standpunkte aus zu 
behandeln. Ich glaube, dass die schönste Harmonie bei der 
Behandlung der einfachen, zur Klasse II gehörigen Fälle, bei 
denen keine ausgesprochene Unterentwicklung des Unterkiefers 
vorhanden ist, wenngleich die ersten Molaren ihre richtige 
mesio-distale Stellung einnähmen, durch Rückwärtsbringung 
der oberen und Vorwärtsbringung der unteren Molaren, wie 
ich es später beschreiben will, erzielt werden kann. Im allge¬ 
meinen sind zwar die ersten Molaren der markanteste und am 
besten zu kontrollierende Pfeiler des ganzen Gebisses, doch dass 
die Natur in der Stellung dieser Zähne niemals irren sollte, 
ist eine Anschauung, die ich mit meinen Erfahrungen und 
Ansichten nicht in Einklang bringen kann. Ich ziehe es nicht in 
Zweifel, dass erfahrene Orthodontisten bei der Behandlung von 
Fällen der Klasse II günstige Resultate erzielen können, ohne die 
oberen Molaren durch irgendwelche mechanische Kraft distal- 
wärts zu bewegen und sich auf die Natur verlassen, dass die¬ 
selbe derartige Veränderungen in der Struktur des Knochens 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


227 


erzeugt, welche gegebenen Falles diese Bedingungen als natürliche 
erscheinen lassen, doch glaube ich, dass die Anwendung dieses 
Prinzip es in der Hand des weniger Erfahrenen zu Misserfolgen 
führen muss. Ich komme auf dieses Thema noch bei der Be¬ 
sprechung der Behandlung einzelner Fälle zurück. 

Wenn die oberen ersten Molaren in ihrem richtigen mesio- 
distalen Verhältnis durchbrechen und auch richtig artikulieren, 
so können die folgenden Zähne bei ihrem Durchbruch ihre 
normale Stellung in den Zahnbögen einnehmen, müssen dies 
aber nicht. Nicht selten kommen auch die folgenden Zähne in 
schlechter Stellung zum Durchbruch. In diesen Fällen (Klasse I) 
besteht die Behandlung in der Einstellung der schlecht stehenden 
Zähne in die Linie der Okklusion. Das Endresultat muss eine 
volle Harmonie der Zahnbögen und eine tadellose Artikulation 
aller Zähne sein, denn das Verhalten der ersten Molaren, der 
Grundpfeiler der richtigen Artikulaton, zueinander ist richtig. 

Der einfachste, angenehmste und wirksamste Apparat für 
die Korrektion derartiger Stellungsanomalien ist der Expansions¬ 
bogen, welcher, wenn richtig, in Verbindung mit Draht und 
„Cordonnet ligature“ 1 gehandhabt, bei der Schaffung eines voll¬ 
kommen normalen Zahnbogens von grösster Wirksamkeit ist. 

Wenn jedoch der untere Molar bei seinem Durchbruch mit 
seinem Antagonisten distalwärts (Klasse II) oder mesialwärts 
(Klasse DI) zur Artikulation kommt, dann wird jeder nach¬ 
folgende Zahn ebenfalls gezwungen, eine dementsprechende 
falsche Stellung einzunehmen und das Endresultat wird eine 
auf beide oder nur auf eine Seite sich beschränkende falsche 
Artikulation aller Zähne sein, entweder Klasse II oder III. 

Die Behandlung dieser sich auf das mesio-distale Ver¬ 
hältnis der Zähne beziehenden Stellungsanomalien zeigt deut¬ 
lich, dass wir nicht einen oder gar mehrere Zähne extrahieren, 
sondern die Ursache für diese Stellungsanomalie dadurch zu be- 


1 „Cordonnet ligatnre tf kann von der Firma Au Ver ä Soie, Mr. L. Boucher, 
23, Rne Turbigo, Paris, beschafft werden. Die Firma sendet Musterkarten mit 
den verschiedenen zur Anwendung gelangenden Grössen. Grössen 1—5 werden 
empfohlen. 


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R. D. Uc Bride, D. D. S., Dresden. 


seitigen trachten sollten, dass wir die ersten Molaren, die natür¬ 
lichen Ankerpunkte für eine richtige Artikulation, an ihre normale 
Stelle bringen. In den Fällen, in denen der untere Zahnbogen 
distal im Vergleich zu normalen Verhältnissen steht (Klasse II), 
erreichen wir dies durch Distalwärtsschiebung aller oberen und 
Mesialwärtsschiebung aller unteren Zähne, oder in besonderen 
Fällen, in denen das Profil es verlangt, durch Vorwärtsbringung 
des Unterkiefers en masse, soweit, bis die ersten Molaren richtig 
artikulieren, bis alle Kontaktflächen der Zähne in ihren normalen 
Beziehungen zueinander stehen und ein harmonisches Verhältnis 
in der Grösse beider Bögen erreicht ist 



Fig. A. 


Um diese mesio-distale Verschiebung der Zähne zu er¬ 
reichen, werden an den oberen und unteren Zahnbogen 
Expansionsbögen angelegt, welche in den an die Klammer¬ 
bänder der ersten Molaren angelöteten Tuben ruhen. Die für 
diese Bewegung nötige Kraft liefern die zwischen beide Kiefer 
gespannten elastischen Ligaturen, welche einerseits ein an der 
Unterfläche des oberen Bogens in der Gegend der Eckzähne 
angebrachtes Häkchen, anderseits das distale Ende der an die 
unteren Molarenbänder angelöteten Tuben umfassen (Fig. A)'. 
Die Kraft wirkt wechselseitig, indem sie die oberen Zähne 
distalwärts, die unteren mesialwärts bewegt. Die richtige und 

1 Alle Teile dieseB Apparates sind von der S. S. White Dental Manu¬ 
facturing Co. geliefert. 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 229 

intelligente Anwendung dieser Kraft hat einen so weiten, 
neuen Wirkungskreis eröffnet, dass dadurch geradezu eine Um¬ 
wälzung der Orthodontie hervorgerufen wurde. Durch die 
Kombination der Expansionsbögen, welche für alle gleichzeitig 
bestehenden Stellungsanomalien einzelner Zähne vollkommen 
verwendbar sind, mit dieser intermaxillaren Verankerung für 
die Korrektion jeder sich auf das mesio-distale Verhältnis der 
Bögen beziehenden Anomalien haben wir einen Apparat zur 
Verfügung, hervorragend durch seine einfache Konstruktion, 
Anpassungsfähigkeit und leichte Handhabung, einen Apparat, 
der, richtig gehandhabt, die kompliziertesten Fälle in über¬ 
raschend kurzer Zeit und nahezu ohne die geringsten Unan¬ 
nehmlichkeiten für den Patienten zu korrigieren vermag. 

Sowohl oberer wie unterer Expansionsbogen müssen 
Schraubenmuttern haben, die an dem vorderen Ende der an 
die Molarenbänder gelöteten Tuben wirken. Diese Schrauben¬ 
muttern geben dem behandelnden Arzte die grösstmögliche 
Kontrolle über die Bewegungen der Kiefer in die Hand, da er 
durch Anziehen der Muttern an dem oberen Bogen die ganze 
elastische Kraft der Ligaturen auf den eisten Molar wirken 
und denselben distalwärts schieben kann, während er durch 
Nachlassen der Muttern die ganze Kraft wieder auf den vorderen 
Teil des Bogens wirken lassen kann. Die unteren Frontzähne 
sollen an den Expansionsbogen angebunden sein, damit die an 
den ersten Molaren mesialwärts wirkende Kraft in allmählicher 
Bewegung des ganzen unteren Bogens zu wirksamer Ausübung 
kommt. Werden die Muttem an dem unteren Expansiönsbogen 
angezogen, so wird die ganze, mesialwärts wirkende elastische 
Kraft nur auf die unteren Frontzähne wirken, während durch 
Nachlassen der Muttem, wenn die Frontzähne nicht an den 
Expansionsbogen angebunden sind, die ganze Kraft jetzt nur 
auf die Molaren und Bicuspidaten wirkt. 

In jenen Fällen, in denen die distale Okklusion des Unter¬ 
kiefers nur auf eine Seite beschränkt ist, ist die Behandlung 
dieselbe wie die eben beschriebene, nur mit dem Unterschiede, 
dass eben nur ein Häkchen und nur eine Ligatur zur Ver¬ 
wendung kommen. 


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230 B. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 

Gewöhnlich sind in den zu Klasse II gehörigen Fällen 
die Okklusionsflächen nicht normal, indem die Scbneidekanten 
der unteren Frontzähne auf die linguale, gingivalwärts bereits 
abgeschrägte, schiefe Fläche der oberen Frontzähne oder auf 
den harten Gaumen selbst zu ruhen kommen. Doch auch 
dieser scheinbar schwerste Teil der Behandlung wird durch 
die Wirkung der intramaxillaren Ligatur korrigiert, da dieselbe 
bei ihrer Neigung, die unteren Molaren zu verlängern, auch 
die Bicuspidaten, wenn dieselben an den Expansionsbogen an¬ 
gebunden sind, mitnimmt. Zuweilen ist es bei der Korrektion 
der Okklusionsflächen, welche die soeben beschriebenen 



Fig. B. 


charakteristischen Eigenschaften zeigen, zur Verstärkung der 
Wirkung der intramaxillaren Ligatur notwendig, in der Gegend 
der ersten Molaren kurze Gummibänder am oberen und unteren 
Bogen anzubringen. Dasselbe Resultat erreicht man, wenn man 
eine der intramaxillaren Ligaturen über das Ende der an das 
obere Molarenband gelöteten Tube legt. 

In den zur Klasse III gehörigen Fällen, in denen der 
untere Bogen im Vergleich zu normalen Verhältnissen mesial- 
wärts steht, ist die oben beschriebene Behandlung umgekehrt. 
Die Häkchen befinden sich am oberen Rand des unteren 
Expansionsbogens, soweit als möglich vorne, und die elastischen 
Ligaturen sind zwischen diesen und den an den oberen Molaren- 
bändem angelöteten Tuben gespannt, wie aus Fig. B ersichtlich. 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 231 

Seitdem nun der erste Molar als der Schlüssel für das 
Zustandekommen einer richtigen Artikulation angesehen wird, 
können wir schon in frühzeitigem Alter jede an diesen sich 
zeigende falsche Artikulation korrigieren und es so den noch 
folgenden Zähnen ermöglichen, bei ihrem Durchbruch an die 
richtige Stelle im Bogen zu stehen zu kommen. Wenn wir nun 
aus der Möglichkeit einer so frühzeitigen Behandlung unsere 
Vorteile ziehen wollen, so können wir diese einfachen Fälle, 
die sich schliesslich zu mehr komplizierten entwickeln würden, 
mit Leichtigkeit und rasch korrigieren. 

Mit diesem Apparat kann man unter anderem auch die 
relative Distanz zwischen vorderem und rückwärtigem Teil der 
Zabnbögen vergrössem oder verkleinern. So war z. B. in Fall II t 
Klasse II, nicht Raum genug, dass die oberen Eckzähne an 
ihrer richtigen Stelle durchbrechen. Intermaxillare Verankerung 
auf beiden Seiten wirkte distalwärts zuerst auf die Molaren und 
hierauf auf die Bicuspidaten, welche an diese mit Ligatur be¬ 
festigt wurden. Die oberen Frontzähne wurden an den Ex¬ 
pansionsbogen angebunden und durch Anziehen der Muttem 
vor den an den Molarenbändern angelöteten Tuben nach vor¬ 
wärts bewegt. So wurde durch die Rückwärtsbewegung der 
Bicuspidaten und Molaren und die Vorwärtsbewegung der 
Frontzähne genügend Raum für den normalen Durchbrach der 
Eckzähne und zu gleicher Zeit richtige Artikulation für alle 
Zähne geschaffen. 

Die oberen und unteren Expansionsbögen werden nach 
der später zu beschreibenden Methode von Hawley in einer 
dem speziellen Fall entsprechenden Form des Zahnbogens ge¬ 
staltet; während wir nun einfach alle Zähne mit diesem Bogen 
in Berührung zu bringen trachten und so den normalen Zahn¬ 
bogen hersteilen, bewerkstelligen inzwischen die elastischen 
Ligaturen die Korrektur der anderen Unregelmässigkeiten in 
der Artikulation. 

Hat sich nun jemand die grundlegenden Prinzipien der 
modernen Orthodontie, die ich in Kürze und nur in all¬ 
gemeinen Zügen beschrieben habe, zu eigen gemacht, so ist es 
«ine seltene Ausnahme, dass man bei der Korrektion von 


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832 


R. D. Mc Bride, D. D. S , Dresden. 


Stellungsanomalien zu anderen Apparaten greifen muss, als 
zum Expansionsbogen mit den dazu gehörigen Behelfen. 



Pall I, Fig. 1. 

Um nun diese Methoden zu demonstrieren, habe ich mir 
zuerst einen Fall gewählt, der nach An gl es Klassifikation zu 



Fall I, Fig. 2. 


Klasse II, Abteilung 1, Unterabteilung, gehört. Derselbe ist in 
den Fig. 1, 3, 5, 7 und 9 illustriert. 

Fall I. Die Illustrationen zeigen die Modelle der Zähne 
eines 14 jährigen Knaben. Die Korrektion dieses Falles war 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


233 


in 15 Wochen durchgeführt. Die Fig. 2, 4, 6, 8 und 10 zeigen 
die Artikulation 3 Jahre nach Vollendung der Behandlung. Die 



Fall I, Fig. 3. 

dabei verwendeten Apparate bestanden in den an den Klammer- 
bändem der ersten Molaren angebrachten Expansionsbögen, in 



Fall I, Fig. 4. 


„Cordonnet ligature“ und Drahtligaturen. Diagnostizieren wir 
nun diesen Fall vom Standpunkte normaler Okklusion. Wir 
sehen, dass das mesio-distale Verhalten der Bögen auf der 


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234 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


linken Seite (Fig. 1) nach dem Verhalten der ersten Molaren, 
wie dies durch die horizontalen Striche angezeigt ist, normal 
ist. Auf der rechten Seite (Fig. 3) ist das mesio- distale Ver¬ 
hältnis nicht normal. Der untere erste Molar ist in distaler 
Okklusion. Die Linie der Okklusion 1 ist nicht normal (Fig. 7 
und 9). 

Die Fläche der Okklusion ist ebenfalls nicht normal, da, 
wie aus Fig. 1, 3 und 5 ersichtlich, die Schneidekanten der 
unteren Schneidezähne auf die Schleimhaut des Mundhöhlen¬ 
daches zu ruhen kommen. Mit den uns zu Gebote stehenden 
Kenntnissen können wir nun alle in diesem Falle notwendigen 
Aenderungen präzise durchführen, um eine normale Okklusion 
aller Zähne und normal geformte Zahnbögen zu erreichen. 
Die erste Frage, die man sich aufwerfen muss, ist natürlich 
nach der diesen Zähnen entsprechenden Form des Bogens. 
Sind dieselben normal und gleichmässig geformt, so muss, 
sollen sie nach richtig eingestellter Okklusion den Bogen genau 
ausfüllen, für diesen eine besondere Form gewählt werden, 
welche auch mit den symmetrischen Gesetzen )ler Natur in Ein¬ 
klang stehen muss. Bis nun war nur das eigene Urteil, geübt 
und geschärft durch Beobachtung, der einzige Führer bei der 
Entscheidung, wiewohl die Natur selbst in diesen speziellen 
Fällen das Vollkommenste geleistet hatte. Doch diese Art der 
Beurteilung führ^ leicht zu Irrtümern. Es ist das Verdienst meines 
hochgeschätzten Freundes und Kollegen, Prof C. A. Hawley, 
Normen aufgestellt zu haben, n^ch welchen wir die Zähne in 
ihre natürliche Stellung bringen und schon vor der Behand- 

1 Linie der Okklusion: Stehen die Zähne in normaler Okklusion, so 
wird man die grösste Anzahl ihrer Berührungspunkte längs einer imaginären 
Linie finden, welche über die Spitzen der buccalen Höcker der Molaren und 
Bicuspidaten und über die Schneidekante der Eck- und Schneidezähne des 
Unterkiefers, entlang den Furchen zwischen buccalen und lingualen Höckern 
der oberen Molaren und Bicuspidaten nach vorwärts geht und, ein Drittel 
der Kronenlänge von der Schneidekante entfernt, den lingualen Höcker der 
oberen Eckzähne und Schneidezähne traversiert. Dies wollen wir als Linie 
der Okklusion bezeichnen, längs der bei normalen Verhältnissen der aus¬ 
gedehnteste Kontakt aller Zähne stattfindet. 

(Angles „Malocclusion of the teeth“, pag. 13.) 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


235 


lung mit mathematischer Präzision die genaue Form des Zahn¬ 
bogens für jeden Fall von Stellungsanomalien bestimmen können. 

i 


Fall I, Fig. 5. 

Die erste diesbezügliche Mitteilung Prof. H a w I e y wurde 
in St. Louis auf dem „Fourth International Dental Gongress“, 




Fall I, Fig. 6. 


diezweite vor dem „New-York Institute of Stomatologie“, 1906, 
und vor der .American Dental Society of Europe“, 1906, ge¬ 
macht. Die Einführung der normalen Okklusion als Basis für 


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236 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


die Orthodontie legte den Grundstein zu unserer Wissenschaft; 
der nächste wichtige Schritt war die Einführung der intra- 



Fall I, Fig. 7. 


maxillaren Ligatur, der uns die Möglichkeit bot, die Zahnbögen 
in mesio-distaler Richtung zu verschieben; die letzte Errungen- 



Fall I, Fig. 8. 

schaft der Orthodontie ist Prof. Hawleys Methode zur exakten 
Bestimmung der Grösse und Form der Zahnbögen. Prof. Ha wley s 
erste Veröffentlichung erregte in Amerika grosses Aufsehen 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


287 


und Dr. Ottolengui, der Herausgeber der „Items of Interest“, 
äusserte sich bei der Besprechung derselben dahin, dass diese 



Fall I, Fig. 9. 


eine der wertvollsten Arbeiten war, die je über Orthodontie ge¬ 
schrieben wurden. 



Fall I, Fig. 10. 


Diese Veröffentlichung, die mit der peinlichsten Sorgfalt 
ausgearbeitet wurde, ist von so hervorragender Wichtig¬ 
keit, dass ich den Herausgeber dieser Zeitschrift veranlasste, 


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Google 





238 


ß. D. Mc Bride, D. D. S-, Dresden. 




u Prof. Hawleys zweite Publikation im Anschluss an meinen 

vorliegenden Artikel vollinhaltlich zu reproduzieren, was er 


Fall I, Fig. 12. 

Methode zur Bestimmung der natürlichen Form eines anormalen 
Bogens nicht vertraut sind, auf, seinem Aufsatze das aufmerk¬ 
samste Studium zu widmen. 


Fall I, Fig. 11. 


auch bereitwilligst getan hat. Ich fordere nun alle jene, die 
für Orthodontie ein Interesse haben und mit Prof. Hawleys 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


239 




Es sei nur bemerkt, dass Prof. Hawley der Bestimmung 
der Form jeglichen Zahnbogens im lebenden Kiefer die Prin- 


Fall I, Fig. 13. 

zipien des Bonwillschen gleichschenkeligen Dreieckes zugrunde 
legt und indem er fand, dass diese Prinzipien, entsprechend 


der Breite 4er mittleren und seitlichen Schneidezähne, sowie 
der Eckzähne, durch Umkehrung des Vorganges bei Bon will 
und richtige Anwendung der von ihm entdeckten diesbezüg- 

7* 


Fall I, Fig. 14. 


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240 


ß. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


liehen Beziehungen sich auch für die Korrektur der Stellungs¬ 
anomalien verwenden lassen, konstruiert er die gewünschte 
Form des Bogens auf durchsichtigem Zelluloid, das er auf das 
Modell legt, wodurch er, da jede gewünschte Bewegung der 
Zähne genau sichtbar ist und er auch weiss, bis zu welchem 
Grade die Stellung der Zähne geändert werden soll, den 
günstigen Einfluss unserer Behandlung auf die Konturierung 
des Gesichtes genau bestimmen kann. Die allgemeine An¬ 
wendbarkeit dieser Methode als Basis für unsere Diagnose 
leistet uns durch dauernden Vergleich und Studium in den 
verschiedenen Stadien der Vollendung unserer Arbeit bei der 
Lösung mancher komplizierter Probleme grosse Dienste. Nach 
Dr. Hawleys Beobachtungen kann man die Form des Zahn¬ 
bogens nach der Breite der oberen mittleren Schneidezähne 
genau bestimmen und können wir daher das Diagramm auch 
in jenen Fällen zur Anwendung bringen, in denen alle anderen 
bleibenden Zähne noch nicht durchgebrochen sind. 

Der Wert der Erkenntnis, der jedem, selbst dem Fort¬ 
geschrittensten, durch das Diagramm vor der Behandlung 
eines Falles von Stellungsanomalie erwächst, kann nicht hoch 
genug eingeschätzt werden. Das Diagramm ist für den Ortho- 
dontisten dasselbe, was der Kompass dem Seemann ist. Die 
Diagramme, die Prof. Ha wie y auf durchsichtiges Zelluloid hat 
drucken lassen, sind sehr bequem, da sie die Arbeit erleichtern, 
doch erfordert es nur einige Minuten Zeit, sich für jeden 
Fall ein Diagramm anzufertigen. 1 Das Instrument, die Messung 
der Zähne vorzunehmen, ist in Fig. C abgebildet. 

Wir wollen nun in der Diagnose unseres Falles I fort¬ 
fahren und ein Hawley-Diagramm nehmen, dessen Radius der 
kombinierten Breite des oberen mittleren, seitlichen Schneide¬ 
zahnes und Eckzahnes entspricht, der in diesem Falle 23*8 Mm. 
beträgt, und wollen dasselbe an das obere Modell genau an- 
legen (Fall I, Fig. 11). Wenn die ersten Molaren richtig arti¬ 
kulieren, wie auf der linken Seite (Fall I, Fig. 1), so wird das 
Diagramm derart angelegt, dass der erste Molar die auf dem- 

1 Diese Diagramme, auf durchsichtigem Zelluloid gedruckt, sind noch 
nicht auf dem Markt, werden jedoch wahrscheinlich bald zu haben sein. 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


241 


selben eingezeicbnete mesio-distale Stellung einnimmt (Fall I, 
Fig. 11, linke Seite). Wenn jedoch die Molaren nicht richtig 
artikulieren, wie auf der rechten Seite (Fall I, Fig. 3), so wird 
das Diagramm so eingestellt, dass es das richtige mesio-distale 
Verhalten des ersten Molars nach behobener Anomalie dar¬ 
stellt. In unserem Falle muss der obere rechte Molar ungefähr 
2 Mm. distalwärts, der untere um ebensoviel mesialwärts be¬ 
wegt werden, um richtige Okklusion herzustellen. Es muss 
daher die mesio-distale Stellung des oberen ersten Molars auf 
dem Diagramm um ungefähr 2 Mm. mehr distal sein als die 
auf dem Modell (Fall I Fig. 11, rechte Seite). 



Fig. C. 


Prof. H a w 1 e y empfiehlt zur Bestimmung des Radius 
des unteren Bogens, anstatt zur Zeichnung derselben das Mass 
der unteren Zähne zu nehmen, vom Radius des oberen Bogens 
die Distanz von der Linie der Okklusion bis zur Kante der 
buccalen Höcker abzuziehen; doch da er seine Diagramme 
paarweise für den oberen und unteren Bogen konstruiert hat, 
so wählen wir das dem oberen entsprechende untere Diagramm 
und, indem wir bei seiner Anlegung dieselben Ratschläge be¬ 
folgen, wie sie für den oberen Bogen gegeben wurden, zeige 
ich in Fall I, Fig. 12, dessen richtige Lage. Man sieht, dass die 
mesio-distale Lage des linken unteren Molars dieselbe ist 
wie am Modell, da er ja mit dem oberen richtig artikuliert 
(Fall I, Fig. 1), dass dagegen die Stellung des rechten unteren 


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242 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


Molars aut dem Diagramm die Stellung desselben anzeigt, die 
er nach Aufhebung der Stellungsanomalie der Molaren der 
rechten Seite einnehmen wird. Der untere Molar muss un¬ 
gefähr 2 Mm. mesialwärts bewegt werden (Fall I, Fig. 3). 

Ist die Anlegung der Diagramme genau durchgeführt, so 
ist die Stellung, die jeder Zahn behufs Erzielung normaler 
Okklusion und richtig geformter Zahnbögen einnehmen muss, 
genau durch den für jeden Zahn auf dem Diagramm ein¬ 
gezeichneten Raum angegeben und sind wir hierdurch in die 
Lage versetzt, jedes die Behandlung und die Retention des 
Falles betreffende Detail sorgfältig und bedächtig zu studieren. 
Wir haben das Bild des Normalen und Anormalen vor uns. 
Dies vervollständigt unsere Diagnose, die ohne jeden Zweifel 
korrekt ist 

Die Behandlung ist jetzt klar vorgezeichnet. Ein Apparat, 
ähnlich dem in Fig. A dargestellten, wird angelegt. Die Ex¬ 
pansionsbögen werden so geformt, dass, wenn die Zähne mit 
denselben zur Berührung gebracht worden sind, die Form 
der Zahnbögen mit der Form der Hawley-Diagramme überein¬ 
stimmen muss Da der Expansionsbogen mit der buccalen und 
labialen Fläche der Zähne in Berührung kommt, das Hawley- 
Diagramm jedoch eine Linie repräsentiert, die über die buccalen 
Höcker der Molaren und Bicuspidaten und über die Schneide¬ 
kanten der Eck- und Schneidezähne zieht, so kann man leicht 
abschätzen, welche Abweichung in der Form des Expansions¬ 
bogens im Vergleich mit der Form des Hawley-Diagrammes 
stattfinden muss. Die intermaxillare Ligatur an der rechten 
Seite wird, indem sie den oberen Bogen distalwärts und den 
unteren mesialwärts bewegt, normale Verhältnisse hersteilen. 
Bevor die Expansionsbögen in die an den Mblarenbändern 
angelöteten Tuben eingelegt werden, werden sie nach aus¬ 
wärts gebogen, so dass ihre elastische Kraft die Bogen in der 
Gegend der Molaren dehnt. Im Beginne der Behandlung wirken 
die intermaxillaren Ligaturen auf beiden Seiten, doch sind die 
Muttern am oberen Expansionsbogen locker, damit die durch 
die elastischen Ligaturen ausgeübte Kraft die oberen mittleren 
Schneidezähne zurück in die Reihe bringen soll. Während diese 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


848 


Kraft an den oberen mittleren Schneidezähnen wirkt, sind in¬ 
zwischen die seitlichen genügend weit nach aussen gebracht, 
um zu verhindern, dass dieselben nicht hinter die mittleren 



Fig. D. 


zu stehen kommen. Die mittleren und seitlichen Schneidezähne 
werden gleichzeitig durch „Cordonnet ligature“ gedreht oder 
dadurch, dass man diese Zähne nach der in Fig. D gezeigten 



Fig. E. 


Art bindet. Ist für die Eckzähne genügend Raum geschaffen 
worden und beginnt der Bogen schon eine normale Form 
anzunehmen, so werden die Eckzähne nach unten an ihren 
Platz gebracht, indem man „Cordonnet ligature“ fest um ihren 


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844 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


Hals bindet — das Zahnfleisch wird vorher anästhesiert — 
und an den Expansionsbogen anbindet, der, da er ja bei dem 
Anbinden etwas nach oben gebogen wird, durch seine elastische 



Fig. 


Kraft die Verlängerung dieser Zähne erleichtern wird. Es wird 
notwendig sein, dies drei- oder: viermal zu wiederholen, um 
diese Zähne an ihre richtige Stelle herunterzubringen. Fig. D, 
E, F und 6 sind An gl es Buch entnommen, um praktisch zu 



Fig. G. 


demonstrieren, wie die Zähne mit den Expansionsbögen in 
Kontakt gebracht werden. Selten ist es notwendig, den lingualen 
Verstärkungsbogen (Fig. D) zu gebrauchen, obzwar es zuweilen 
notwendig ist, die Erweiterung der Zahnbögen zu beschleunigen. 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 245 

Selten gebrauche ich Metallbänder für Anbringung der Ligaturen, 
bei Drehungen der Zähne, ich gebe der „Cordonnet ligature“ 
in der in Fig. H gezeigten Form der Anwendung den Vorzug. 
Man wird bemerken, dass in Fig. D zwischen dem mesio-buccalen 
Rand des linken oberen mittleren Schneidezahnes und dem 
Expansionsbogen ein Keil liegt, ebenso in Fig. F zwischen 
rechtem Eckzahn und Expansionsbogen. Zu diesem Zweck be¬ 
nütze ich Hickoryholz, das in, den Dentaldepots in Form von 
kleinen runden Stäbchen zu haben ist, und welches früher zur 
Befestigung von Stiftkronen^.uV enützt wurde. Diese Stäbchen 
werden bis zur gewünschte^ jtärke abgeflacht und auf der 
einen Seite eine kleine Kerbt ur Aufnahme des Expansions¬ 
bogens eingeschnitten, um so ine Verschiebung des Keiles zu 
verhindern. Ich habe damit., bei Rotation von Zähnen in 



Verbindung mit „Cordonnet ligature“ oder Drahtligaturen aus¬ 
gezeichnete Erfolge; ebenso wenn ich Zähne, wie in Fig. F 
gezeigt ist, in ihre richtige Lage zurückdrängen will. Starke 
Gummikeile, die in den Dentaldepots zu haben sind, sind für 
diesen Zweck auch gut brauchbar. 

Für den Unterkiefer gelten im allgemeinen dieselben 
Regeln wie die für den Oberkiefer gegebenen. Die zweiten 
Milchmolaren werden extrahiert und ein nach dem Hawley- 
Diagramm geformter Expansionsbogen angelegt. Den seitlichen 
Schneidezähnen, die in ihrer jetzigen Stellung eingekeilt sind, 
müssen wir vor allem unsere Aufmerksamkeit zuwenden und 
sie annähernd in eine Reihe mit den mittleren zu bringen 
trachten. Die an der rechten Seite wirkende intermaxillare 
Ligatur wird den unteren rechten Molar mesialwärts und den 
oberen distalwärts bis zu ihrer normalen Stellung bewegen. 
Dieselbe intermaxillare Ligatur wird auch die rechten unteren 


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346 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


rückwärtigen Zähne verlängern und so die Fläche der Okklu¬ 
sion zu korrigieren trachten. Um auch an der linken Seite 
die rückwärtigen Zähne beider Bögen zu verlängern, werden 
an den Expansionsbögen in der Gegend der Molaren kurze 
Gummibänder angebracht. Die jetzt auf beiden Seiten wirkenden 
kombinierten Kräfte der elastischen Ligaturen werden die rück¬ 
wärtigen Zähne genügend verlängern, um die Fläche der Okklu¬ 
sion zu korrigieren. Der linke untere erste Bicuspis wird durch 
Anbinden an den ersten Molar und hierauf der Eckzahn auf 
dieselbe Weise nach rückwärts bewegt Der rechte untere Eck¬ 
zahn und erste Bicuspis nehmen ihre richtige mesio-distale 
Stellung ein. 

Dieser Fall war vor ungefähr 3 Jahren vollendet und das 
Resultat wurde allgemein als glänzend bezeichnet. Die Okklu¬ 
sion war vollkommen richtig und auch ich war mit dem Er¬ 
folge der Behandlung ganz zufrieden, bis ich die Form der 
Zahnbögen mit den Hawley-Diagrammen verglich; die hierzu 
gehörigen Illustrationen siehe Fall I, Fig. 13 und 14. Die An¬ 
wendung der Hawleyschen Methode zur Bestimmung der nor¬ 
malen Form der Zahnbögen brachte mich erst darauf, wo 
der Fehler in meinem Urteil steckte. Es wäre nicht schwieriger 
gewesen, die Zähne in richtige Stellung, den Gesetzen der 
Natur entsprechend, gemäss dem Diagramm, zu bringen, als 
in die unrichtige Stellung, in die ich sie gebracht hatte. In der 
Tat würden die Diagramme die Behandlung vereinfacht haben, 
da man bezüglich der Richtigkeit des Verfahrens niemals im 
Zweifel ist. 

Die Behandlung dieses Falles, sowie aller anderen soll 
nicht geteilt werden. Hat man einmal eine richtige Diagnose 
gestellt, so soll man wissen, welche Veränderungen in der 
Stellung der Zähne notwendig sind, um normale Okklusion 
und normal geformte Zahnbögen herzustellen, soll man die 
Kräfte kennen, die nötig sind, den gewünschten Erfolg voll 
und ganz zu erreichen, soll alle gleichzeitig wirken lassen und, 
wenn richtig bemessen, sollen dieselben nicht mehr Unbehagen 
verursachen, als wenn man jede einzeln wirken Hesse. 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


247 


Die Schnelligkeit, mit der Zähne bewegt werden können, 
ist bei verschiedenen Patienten verschieden, doch in keinem 
Falle sollte die Bewegung dauernden oder selbst nur längere 
Zeit anhaltenden Schmerz verursachen. Das knöcherne Ge¬ 
webe, in das die Zähne eingebettet sind, kann dazu gebracht 
werden, sich durch einen mässigen Grad von auf den Zahn 
wirkender Kraft dem Prozess der Absorption in physiplogischer 
Weise zu unterziehen. Die Schmerzen hängen lediglich von 
der ausgeübten Kraft ab, die — wenn kontinuierlich wirkend — 
leicht, jedoch stärker sein kann, wenn sie in Intervallen ein¬ 
wirkt, da in diesem Falle das alterierte Gewebe Zeit zur Er¬ 
holung hat. Ein einmal richtig ausgeübter Druck sollte nie, 
ausser durch die Gewebsveränderungen selbst, reduziert werden. 
Die angewandte Kraft sollte so bemessen sein, dass sie ein 
leichtes Gefühl von Spannung oder Druck, niemals aber 
Schmerz verursacht. Das nach dem in Intervallen ausgeübten 
Druck zurückbleibende Gefühl der Spannung soll im Verlaufe 
einer Stunde geschwunden sein und kein unangenehmes Gefühl, 
welcher Art immer, Zurückbleiben. Das äusserste Mass, bis zu 
dem ein Zahn innerhalb physiologischer Grenzen durch Ab¬ 
sorption bewegt werden kann, beträgt 2 Mm. täglich. 

Fall II gehört zur Klasse II, Abteilung2, und ist ein für 
diese Klasse typischer Fall. Die unteren ersten Molaren sind 
in distaler Okklusion, auf der linken mehr als auf der rechten 
(Fall II, Fig. 1 und 2). Die Linie der Okklusion ist nicht normal 
(Fall II, Fig. 5 und 6). Die Fläche der Okklusion ist ebenfalls 
nicht normal, da die unteren Schneidezähne mit der Schleim¬ 
haut des Mundhöhlendaches in Berührung kommen. Die Hawley- 
Diagramme sind entsprechend den in Fall I gegebenen In¬ 
struktionen ausgewählt und genau angelegt (Fall II, Fig. 5 und 6). 
Die Tatsache, dass der linke untere Molar in stärkerer distaler 
Okklusion steht als der rechte, ist bei der Anlegung der Dia¬ 
gramme genau berücksichtigt. Da die ersten Molaren der 
Grundstock für eine richtige Okklusion sind, so zeigt uns die 
mesio-distale Stellung dieser Zähne, wie an dem Diagramm 
(Fall II, Fig. 5 und 6) ersichtlich, jene Stellung, die sie ein¬ 
nehmen müssen, um normale Okklusion und normal geformte 


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248 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


Bögen herzustellen. Beobachtet man diese Tatsache in allen 
Fällen, so wird niemand je Schwierigkeiten haben, diese 
Diagramme anzulegen. 



Fall II, Fig. 1. 


In diesem Falle ist das linguo-distale Verhalten der oberen 
und unteren Molaren ungefähr richtig. Die Zurückdrängung der 
oberen Schneidezähne hat auch eine solche der unteren und 



Fall II, Fig. 2. 


eine Verkürzung sowohl des oberen wie des unteren Bogens 
verursacht. Die oberen Eckzähne, die zu wenig Raum hatten, 
sind verspätet durchgebrochen und sind in labialer Okklusion. 
Der rechte untere zweite Bicuspis, der auch keinen Raum zum 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


249 


Durchbruch hatte, ist in lingualer Okklusion. Ein Studium 
des Falles II, Fig. 1, 2, 5 und 6, zeigt deutlich den sicheren 
Weg für die Behandlung, der zur Erzielung eines vollen Er¬ 
folges eingeschlagen werden muss. 



Fall II, Fig. 3. 


Ein Apparat, wie in Fig. A (Seite 228) illustriert, wird an¬ 
gelegt und die Expansionsbögen entsprechend der Form der Dia¬ 
gramme zurechtgebogen. Die intermaxillaren Ligaturen werden 



Fall II, Fig. 4. 


das Missverhältnis in mesio-distaler Richtung und in der Ebene 
der Okklusion beheben und werden gleich von Beginn an in Ver¬ 
wendung genommen. Sogleich wenden wir unsere Aufmerksam¬ 
keit den zurückgedrängten oberen und unteren Schneidezähnen 


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250 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


zu und bringen sie durch Anbinden an den Expansionsbogen 
so rasch als möglich in die richtige Stellung. Die Muttem an 
den Expansionsbögen, am vorderen Ende der Tuben, werden 



Fall II, Fig. 5. 


zur Beschleunigung der Bewegung dieser Zähne von Zeit zu 
Zeit angezogen. Ist für die Eckzähne genügend Raum ge¬ 
schaffen , so werden sie nach der im Falle I beschriebenen 



Fall II, Fig. 6. 


Methode nach unten in ihre richtige Stellung gebracht. Fall 11, 
Fig. 3 und 4, zeigt die Okklusion nach der Behandlung und 
Fig. 7 und 8 zeigen die genaue Uebereinstimmung der Zahn¬ 
bögen mit den Diagrammen, sowie dass jeder Zahn den für 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


251 


ihn bestimmten Platz einnimmt. Das einzige, das an diesem 
Fall kritisiert werden kann, ist eine leichte Drehung des rechten 
unteren zweiten Bicuspis. Ich mache meine Leser nur auf- 



Fall II, Fig. 7. 


merksam, dass alle Illustrationen von genauen Photographien 
genauer Modelle stammen und nicht blosse Skizzen sind. Die 
Illustrationen sind praktische Orthodontie. In diesem Falle 



Fall II, Fig. 8. 


wäre die natürliche leichte Neigung der vorderen Zähne 
(Fig. 3 und 4) zu beachten. Ich mache aufmerksam, dass wir in 
diesen zwei Abbildungen den Zustand der Okklusion unmittelbar 


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252 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


nach Abnahme des Regulierungsapparates vor uns sehen und 
dass die Zähne, trotzdem sie ihre richtige Stellung einnehmen, 
doch noch nicht in ihrer richtigen Okklusion fest geworden sind. 



Fall III, Fig. 1. 


Von Zeit zu Zeit sollten von den Kauflächen der Zähne 
mit dem Apparat in situ Abdrücke genommen und von den¬ 
selben Studienmodelle gemacht werden, an der Hand welcher, 



Fall III, Fig. 2. 


mit Zuhilfenahme der Diagramme, der Fortschritt des Falles 
genau verfolgt und verstanden werden kann. 

Fall III gehört zu Klasse II, Abteilung 1. Die unteren 
Molaren sind in distaler Okklusion und wie in Fall II auf der 
linken Seite mehr wie auf der rechten (Fall III, Fig. 1 und 2). 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 253 

Die Linie und die Fläche der Okklusion sind ebenfalls nicht 
normal. Fall III, Fig. 5 und 6, zeigt die Hawley-Diagramme 
in richtiger Lage. Nicht zu übersehen ist, dass infolge der 



Fall III, Fig. 3. 


grösseren Disharmonie im mesio-distalen Verhalten auf der 
linken Seite, der obere erste Molar dieser Seite etwas mehr nach 
rückwärts bewegt werden muss, als der entsprechende Zahn 



Fall III, Fig. 4. 


der entgegengesetzten Seite. Die Behandlung in diesem Falle ist 
so klar vorgeschrieben wie in den zwei früher beschriebenen. 
Ein Apparat, wie in Fig. A (Seite 228) abgebildet, wird an- 

8 




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254 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 




Fall III, Fig. 5. 

Dies geschieht, wie in Fall I, dadurch, dass die Expansions¬ 
bögen, bevor dieselben in die Tuben an den Molaren gebracht 
werden, nach aussen abgebogen werden. Die intermaxillaren 


gelegt und die Expansionsbögen entsprechend den Diagrammen 
geformt. Sowohl oberer wie unterer Bogen müssen entsprechend 
den Diagrammen in der Gegend der Molaren erweitert werden. 


Ligaturen werden sofort nach Anlegung des Apparates an¬ 
gebracht. Sie sollen die mesio-distale Verschiebung der Zahn¬ 
bögen und die Fläche der Okklusion korrigieren. Die Muttem 


Fall III, Fig. 6. 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


255 




am oberen Expansionsbogen sind nicht angezogen, um die 
Kraft der intermaxillaren Ligatur vorerst auf die oberen Schneide- 


Fall III, Fig. 8. 

ihre normale Stellung gebracht werden, hinter diese zu stehen 
kommen. Fall I1J, Fig. 3 und 4, zeigen den Zustand der Okklu¬ 
sion unmittelbar nach Entfernung des Regulierungsapparates 

8 * 


Fall III, Fig. 7. 


zähne wirken zu lassen. Die seitlichen oberen Schneidezähne 
werden etwas über ihre normale Stellung hinaus vorgeschoben, 
um zu verhindern, dass sie nicht, während die mittleren in 


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266 R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 

und Fall III, Fig. 7 und 8, zeigt die Form der Bögen nach 
Vollendung der Behandlung. ; 

Fall IV gehört zur Klasse II, Abteilung 1, und repräsen¬ 
tiert den Typus, der den höchsten Prozentsatz aller in meine 
Beobachtung kommenden Fälle von Stellungsanomalien liefert 
(Fall IV, Fig. 1). Die Diagnose und Behandlungsart unter¬ 
scheiden sich nicht wesentlich von den zwei zuletzt besprochenen 
Fällen. 

Die Diagramme zeigen, dass in der Gegend der Molaren 
keine Expansion nötig ist (Fall IV, Fig. 3 und 4). Das Re¬ 
sultat der Behandlung ist aus Fall IV, Fig. 2, 5 und 6, er¬ 
sichtlich. 

Meine Beobachtungen bestärken meine Ansicht, dass 
Stellungsanomalien der Klasse II auf dem Kontinent und noch 
mehr in England viel häutiger sind, als in Amerika. Ortho- 
dontisten in Amerika haben die Beobachtung gemacht, dass 
gewisse Klassen von Stellungsanomalien in manchen Gegenden 
häufiger Vorkommen als in anderen. Wenn meine Beobachtung 
richtig ist, dass die Stellungsanomalien, bei denen der untere 
Bogen im Vergleich zu normalen Verhältnissen zu weit distal 
steht, in den europäischen Ländern häufiger Vorkommen als 
andere, wo doch keine ausgeprägte Vermischung von Rassen 
besteht, so kann die Ursache für die Abnormität in der 
Entwicklung der Kiefer eher verstanden werden, als das Vor¬ 
kommen einer bestimmten Klasse von Stellungsanomalie in 
bestimmten Gebieten in Amerika, wo die Nationalität keinen 
greifbaren Einfluss hat in der Bestimmung der Ursache irgend 
einer besonderen Abnormität in der Entwicklung der Knochen. 

Fall V gehört zur Klasse I und ist, trotzdem seine Be¬ 
handlung noch nicht beendet ist, doch mit vorgestellt wegen des 
auf beiden Seiten in der Gegend der Bicuspidaten und Molaren 
vorhandenen offenen Bisses (Fall V, Fig. 1, 2 und 3). Drei 
Familienmitglieder weisen dieselbe Stellungsanomalie auf, die 
sie von der Mutter ererbt haben. Der rechte untere zweite 
Milchmolar ist zwischen dem ersten Bicuspis und ersten Molar 
tief eingezwängt. Bei Vergleich der Illustrationen Fall V, Fig. 1 


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Die Ortbodontie in ihrer praktischen Verwertung. 2fi7 

und 4, wird man bemerken, dass der Milchmolar extrahiert 
wurde; Das Röntgenogramm 1 zeigt, dass der rechte untere 
Zweite Bicuspis nicht vorhanden ist. Das in Fall V, Fig. 7, dar- 



Fall IV, Fig. 1. 


gestellte Diagramm zeigt den Weg für die Behandlung. Aber¬ 
mals mache ich auf die Anlegung des Diagramms aufmerksam. 
Der Fall gehört zur Klasse I, bei der die ersten Molaren im 
richtigen mesio-distalen Verhältnis stehen; es bleibt daher die 



Fall IV, Fig. 2. 


mesio-distale Stellung dieser Zähne, wie aus dem Diagramm 
ersichtlich, unverändert Ein Apparat, ähnlich dem in Fig. A 
abgebildeten, wird angelegt. Die Klammerbänder an den ersten 
unteren Molaren sind so angebracht, dass die Tuben im all- 


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268 


E. D. Mc Bride, D. D. 8., Dresden. 




gemeinen dieselbe Neigung nach vorne und unten haben, wie ! 
die Molaren, so dass der Expansionsbogen unter den Hals der i 
vorderen Zähne zu, liegen kommt. Ist der Expansionsbogen ; 


Fall IV, Fig. 4. 

richten und nach rückwärts bewegen, wie aus Fall V, Fig. 4 
und 5, ersichtlich. Dies sind bloss Studienmodelle und ver¬ 
anschaulichen nicht das Endresultat meiner Behandlung. Später 
werden die unteren Bicuspidaten an den Expansionsbögen an- 


Fall IV, Fig. 8. 


angelegt, so wird er nach oben gefedert und so hoch als 
möglich an allen unteren Vorderzähnen angebunden. Die so 
erzeugte elastische Spannung wird die ersten Molaren auf- 


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Die Orthodoutie iu ihrer praktischen Verwertung. 


269 


gebunden und genügend gehoben, um mit den oberen normal 
zu artikulieren. Oft ist es bei der Korrektion eines solchen 
offenen Bisses notwendig, Bänder mit kleinen Häkchen an die 



Fall IV, Fig. 5. 


oberen und unteren Zähne anzuzementieren und dieselben 
dann mit Hilfe kleiner intermaxillar gespannter Gummibänder, 
die zwischen den gegenüberliegenden Zähnen liegen, zu ver- 



Fall IV, Fig. 6. 


längern. Fall V, Fig. 3, zeigt, dass der obere Bogen sich schon 
seiner normalen Form nähert. Ist der Fall vollendet, so wird 
der fehlende rechte untere zweite Bicuspis durch eine kleine 
Brücke ersetzt. 


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260 


R. D. Mc Bride, D.D. S., Dresden. 


Fall VI gehört zur Klasse I und ist ebenfalls noch nicht 
ganz beendet. Patient ist ein junges Mädchen von 13 Jahren. 
Dieser Fall ist nicht wegen besonderer Schwierigkeiten in 
der Behandlung in diesen Artikel aufgenommen worden, sondern 



Fall V, Fig. 1. 


Fall V, Fig. 2. 



Fall V, Fig. 8. 


nur, um den von einem vermeintlichen Spezialisten der Ortho- 
dontie den ängstlichen Eltern des Kindes gegebenen falschen Rat 
zu widerlegen. Ich hörte zufällig, dass dieser Spezialist als 
Einleitung für seine Behandlung den oberen linken Eckzahn 
extrahieren und unter Chloroformnarkose ein Segment des 
Alveolai fortsatzes zwischen den oberen mittleren Schneide- 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


Y 

261 

zähnen entfernen wollte. Für die Notwendigkeit der Extraktion 
des Eckzahnes, sowie für die Notwendigkeit, Patienten durch 
den Vorschlag der Entfernung eines Knochensegmentes in 



Fall V, Fig. 4. Fall V, Fig. 5. 



Fall V, Fig. 6. 


Narkose so zu ängstigen, bin ich ausserstande, eine plausible 
Erklärung abzugeben, geschweige denn, dass ich mich ernstlich 
über die Beweggründe zu einer so irrationellen Behandlungs¬ 
weise auslassen würde. 


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B. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


Ich will dieses Thema verlassen und meine Leser nur 
bitten, zu berücksichtigen, was für Behelfe uns für die Korrektion 



Fall V, Fig. 7. 


von Stellungsanomalien zur Verfügung stehen und dann zu 
beurteilen, ob es ein geringeres Verbrechen wäre, einen schön 


Fall V, Fig. 8. 

geformten Zahnbogen (Fall VI r Fig. 4,6 und 9) durch Extraktion 
des linken oberen Eckzahnes zu verstümmeln, als wenn der¬ 
selbe Zahn aus dem Zahnbogen (Fall VI, Fig. 1, 3 und 7) 



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Die Orthodoutie in ihrer praktischen Verwertung. 263 

extrahiert worden wäre. Zu bedenken ist ferner, dass der Fall 
zur Klasse ] gehört, bei der das mesio-distale Verhalten der 
Zahnbögen normal ist und dass, wenn ein Zahn aus einem 
der Bögen entfernt wird, eine nicht wieder zu korrigierende 
Inharmonie verursacht wird. Ferner ist zu bedenken, dass, da 
das mesio-distale Verhältnis der Zahnbögen normal ist, derselbe 
schöne Erfolg, der in diesem Falle bald erreicht sein wird, 
auch ohne die letzten Errungenschaften der modernen Ortho- 
dontie hätte erreicht werden können. Ich will auch auf die 
Tatsache aufmerksam machen, dass, entsprechend dem 
Diagramm (Fall VI, Fig. 7), der linke obere Eckzahn, wenn 
genügend verlängert, seine richtige Stellung im Zahnbogen 
einnimmt« 

Der Vorgang bei der Behandlung dieses Falles ist nicht 
unähnlich dem in Fall I beschriebenen, nur dass die inter¬ 
maxillaren Ligaturen zur Zurückbringung der oberen mittleren 
Schneidezähne in die Reihe und nicht zur Verschiebung der 
Bögen in mesio-distaler Richtung Verwendung finden. 

Für die Leser, welche diesem Aufsatze aufmerksame Be¬ 
achtung geschenkt haben, ist es klar, dass, wenn die Grund¬ 
prinzipien der modernen Orthodontie richtig angewandt werden, 
die Korrektur eines scheinbar komplizierten Falles von Stellungs¬ 
anomalie nicht schwieriger ist, als die eines einfachen. Die 
Hauptfrage ist jetzt nur nach der Zeit, die zur Erzielung 
voller Harmonie in der Okklusion und in der Form der Zahn¬ 
bögen erforderlich ist. 

Fall VII ist ein anderer typischer Fall und gehört zur 
Klasse II, Abteilung 1. Er wurde vor ungefähr 6 Jahren beendet. 
Die Disharmonie in der Okklusion dieses Falles wurde durch 
Vorwärtsschieben der unteren Zähne von distalen zu normalen 
I Verhältnissen, und zwar durch Vorwärtsbringen des Unter- 
, kiefers korrigiert und ich bringe diesen Fall jetzt vor, um zu 
zeigen, wo ich mich in meinem Urteil bei der Formation der 
Zahnbögen irrte, wie dies durch die Anlegung des Diagrammes 
| (Fall VII, Fig. 4) ersichtlich ist. Da dieser Fall durch Vorwärts- 
1 bringung des Unterkiefers korrigiert wurde, so wurden die 


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264 


ft. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


oberen Molaren nicht distalwärts bewegt und zeigt daher das 
Diagramm (Fall VII, Fig. 3) ungefähr die Stellung der ersten 
Molaren, die sie einnehmen würden, wenn der Bogen in der 
Gegend der Molaren zu normalen Verhältnissen gedehnt 
worden wäre. 



Fall VI, Fig. 1. Fall VI, Fig. 2. 



Fall VI, Fig. 3. 


Die Korrektur der mesio-distalen Disharmonie der Kiefer 
und Zahnbögen durch Vorbringen des Unterkiefers en masse, 
um hierdurch eine Verschönerung in den ästhetischen Linien 
des Gesichtes herbeizuführen, bildete schon oft den Gegenstand 
heftiger Kontroversen und trotzdem sind einzelne Fragen, die 
sich auf die physiologischen Veränderungen an den anatomischen, 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


265 


hierbei in Betracht kommenden Teilen beziehen und die diese 
Behandlungsart begleiten müssen, noch immer ungelöst. 

Werden auch die Prinzipien als zu Recht bestehend an¬ 
erkannt, so glaube ich doch, dass die Methode, die ich vor 
einigen Jahren verteidigte, insoferne richtig ist, dass es höchst- 



Pall VI, Fig. 4. Fall VI, Fig. 6. 





imm 





Fall VI, Fig. 6. 


wahrscheinlich ist, dass meine zu jener Zeit gezogenen Schluss¬ 
folgerungen bezüglich der Veränderungen im temperomaxillaren 
Gelenk, die notwendigerweise auftreten müssen, soll der Unter¬ 
kiefer dauernd in der vorgeschobenen Stellung bleiben und 
diese normal und natürlich erscheinen lassen, im allgemeinen 
richtig waren. Doch erforderte diese Methode eine so lang- 


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266 


R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


wierige Behandlung, dass sie jetzt tatsächlich veraltet ist. Aus 
den Beobachtungen, die seit der Zeit, da die Möglichkeit ge¬ 
geben wurde, alle Zähne zu normaler Okklusion zu bringen, 



Fall VI, Fig. 7. 


gemacht wurden, ist ganz entschieden zu ersehen, dass, möge 
auch die ausdrucksfähige Partie des Gesichtes eine kleine Un¬ 
vollkommenheit der Gleichmässigkeit, sei es nun in der Stellung 



Fall VI, Fig. 8. 


des Kinnes oder anderswo, zeigen, dass die Herbeiführung 
richtiger Okklusion in jugendlichem Alter der Natur günstige Ge¬ 
legenheit gibt, jede früher daselbst bestandene Ungleichmässig- 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


267 


keit so auszugleichen und zu verändern, dass dieselbe sich im 
Laufe der Zeit, ohne Ausnahme, zu der für diesen Typus charakte¬ 
ristischen Gleichmässigkeit und Proportion entwickeln wird. 



Fall VI, Fig. 9. 


Diese Beobachtungen dienen eher dazu, die Ansicht zu bestätigen, 
dass die moderne Orthodontie zur Korrektion einfacher Fälle 
der Klasse II nicht, wie es kürzlich gefordert wurde, eine Vor- 



Fall VI, Fig. 10. 

Schiebung des Unterkiefers verlangt; es ist nun meine Absicht, 
zu zeigen, dass es, trotz aller Wahrscheinlichkeit, in bestimmten, 
in Uebereinstimmung mit den Prinzipien moderner Orthodontie 


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R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


behandelten Fällen fraglich ist, so hergestellte Beziehungen 
dauernd zu erhalten. Indem ich dies erkläre, wünsche ich nicht 
der Ansicht Raum zu geben, als ob es inkorrekt oder unmöglich 



Fall VII, Fig. 1. 


wäre, in speziellen Fällen durch Vorschieben des Unterkiefers 
die ästhetischen Proportionen wieder herzustellen, in jenen 
speziellen Fällen, in denen die zurückgebliebene Entwicklung 



Fall VII, Fig. 2. 


des Unterkiefers eine derartige Disharmonie in den Linien des 
Gesichtes verursacht, dass dadurch die Gleichmässigkeit der 
Gesichtszüge dieser speziellen Type, zu welcher der Fall ge¬ 
hört, eine schwere Beeinträchtigung erleidet. 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 269 

Früher musste der Patient bei der Korrektion solcher 
Fälle, wie in Fall VII, nachdem die Zähne in ihre richtige 



Fall VII, Fig. 8. 

Stellung gebracht waren, eine Platte tragen, die den Gaumen 
deckte und mit der nur die vorderen unteren Zähne in Be¬ 
rührung kamen. Diese Platte musste so lange getragen werden, 



Fall VII, Fig. 4. 


bis sich die Backenzähne durch ihr natürliches Wachstum so¬ 
weit verlängert hatten und die Fläche der Okklusion derart 
war, dass der untere Zahnbogen, wenn der Kiefer nach vorne 

9 


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270 


E. D. Mc Bride, D. D. S. f Dresden. 


gebracht wurde, normal oder so normal als möglich mit dem 
oberen artikulieren konnte. War einmal diese neue Okklusion 
erreicht, so musste der Kiefer dauernd in dieser vorgeschobenen 
Stellung erhalten werden; denn wenn die Kondylen die Mög¬ 
lichkeit hätten, vor und rückwärts zu gleiten, so würde an der 
Eminentia articularis nie die Veränderung Platz greifen, die 
eine bleibende ästhetische Verschönerung des Gesichtes zur 
Folge hätte. Wenn die Zähne in Okklusion blieben, so wäre 
der Gesichtsausdruck vom künstlerischen Standpunkt verbessert. 

Doch beim Lachen oder selbst beim geringsten Nachlassen 
der Spannung der Muskeln würden die Kondylen in ihre 
natürliche Stellung in die Fossa glenoidalis zurücktreten und 
die einzige Veränderung, die Platz greifen würde, wäre eine 
kompensierende, an dem bei vorgeschobenem Kiefer vor¬ 
handenen Berührungspunkte zwischen Kondylen und Eminentia 
articularis. Der Teil des Kondylenkopfes, der bei stattfindender 
Okklusion der Zähne auf die Eminentia articularis zu ruhen 
kommt, wird abgefiacht. Meine, an Schädeln, an denen ein 
solcher Zustand durch natürliche Ursachen bedingt war, ge¬ 
machten Beobachtungen, erhärten diese Ansicht ausser allem 
Zweifel. Beinahe alle, die die eben besprochene Behandlungs¬ 
methode übten, verwendeten ein Retentionsprinzip, das die Vor- 
und Rückwärtsbewegung der Kondylen gestattete. Um nun eine 
ständige und unveränderliche Verbesserung des Gesichtes zu 
erzielen, muss der Unterkiefer dauernd in seiner vorgeschobenen 
Stellung festgehalten werden, welcher Zustand in der Fossa 
glenoidalis wahrscheinlich solche Veränderungen hervorrufen 
würde, dass diese vorgeschobene Stellung der Kondylen im 
Laufe der Zeit vollkommen natürlich und normal erscheinen 
würde. Die Veränderungen, die in der Fossa glenoidalis statt¬ 
finden würden, wären wahrscheinlich dieselben, wie sie in 
jeder leeren Gelenkpfanne nach nicht wieder eingerichteter 
Verrenkung auftreten, indem die Tiefe der Gelenkpfanne durch 
Anlagerung neuen Knochengewebes in zentraler Richtung ver¬ 
mindert wird. Manche Orthodontisten behaupten, dass die mit 
einer solchen Behandlung einhergehenden physiologischen Ver¬ 
änderungen in einer leichten Knickung des Kiefers am Kiefer- 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


271 


winkel oder am Halse der Kondylenknöpfchen zum Ausdruck 
kommen. Doch bei genauem Studium einer Anzahl von Schädeln 
wird es ersichtlich, dass derartige Veränderungen unwahr¬ 
scheinlich sind. 

Unmittelbar nach Einführung der intermaxillaren Ligatur 
zur Verschiebung der Zahnbögen in mesio-distaler Richtung 
und zur Korrektion der Fläche der Okklusion durch rasches 
Verlängern der rückwärtigen Zähne, machte ich mir die aus 
dieser elastischen Kraft erwachsenden Vorteile zu eigen und 
korrigierte eine Anzahl von Fällen, bei denen scheinbar eine 
zurückgebliebene Entwicklung des Unterkiefers vorhanden war 
und derselbe distal zu normalen Verhältnissen stand, durch 
rasche Verlängerung der rückwärtigen Zähne und Herstellung 
normaler Okklusion durch Vorschiebung des Unterkiefers, ohne 
die Zahnbögen zu verschieben. Doch war ich im Laufe der 
Zeit erstaunt, zu finden, dass bei einigen Fällen, trotzdem die 
Okklusion vollkommen richtig geblieben war, die Gesichts¬ 
konturen schliesslich erkennen liessen, dass der Unterkiefer 
wieder in seine frühere zurückgeschobene Stellung getreten war, 
und dass die eventuell erreichten Erfolge meiner Behandlung 
auch durch Distalschiebung des oberen und Mesialschiebung 
des unteren Zahnbogens, ohne Vorschiebung des Unterkiefers 
en masse hätten erreicht werden können. Ob mm der Unter¬ 
kiefer dauernd in seiner vorgeschobenen Stellung erhalten 
wird oder die Kondylen genügend Spielraum haben, auf der 
Eminentia articularis vor- und rückwärts zu gleiten, jedenfalls 
muss man sich fragen, wieso bei der früheren, protrahierten 
Behandlungsmethode die Okklusion imstande war, die neu 
hergestellten Verhältnisse zu erhalten und wieso sie dies bei 
den jetzt angewandten, modernen Methoden nicht imstande 
ist Eine sachgemässe Erklärung für diese Fragen findet man 
in dem Studium der für die Korrektion der Fläche der Okklusion 
angewandten Methoden. 

Durch Anwendung der Bissplatte verlängerten sich die 
rückwärtigen Zähne durch eigenes Wachstum so weit dass 
sie bei vorgeschobenem Unterkiefer richtig zur Okklusion kamen. 
Die so verlängerten Zähne waren in solidem Knochengewebe 

9 * 


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272 


B. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden. 


des Alveolarfortsatzes eingebettet und so in den Stand gesetzt, 
der natürlichen Neigung der Muskeln, den Unterkiefer zurück 
in seine frühere Stellung zu bringen, erfolgreich Widerstand 
zu leisten. Wenn jedoch die rückwärtigen Zähne durch die 
intermaxillaren Ligaturen oder auf andere Weise rasch ver¬ 
längert werden und alle zur Herstellung einer richtigen For¬ 
mation beider Kiefer nötigen Kräfte gleichzeitig wirken, so 
sind die Zähne nach vollendeter Behandlung nicht in solides 
Knochengewebe eingebettet. Die Natur hatte noch nicht ge¬ 
nügend Zeit gehabt, den Alveolarprozess zu genügend starker 
Entwicklung zu bringen und so es den Zähnen zu ermöglichen, 
den natürlichen Einflüssen, die Kondylen in ihre natürliche 
anatomische Stellung, in die Fossae glenoidales zurückzubringen, 
erfolgreich Widerstand zu leisten. Anstatt dass nun das Kiefer¬ 
gelenk sich in der Folge derart verändert, dass es mit der 
neugeschafifenen Stellung des Unterkiefers harmoniert, rückt 
derselbe allmählich in seine frühere Stellung zurück, während 
sich die Zähne des Oberkiefers ein wenig distalwärts, die des 
Unterkiefers ein wenig mesialwärts neigen. 

Meine ersten diesbezüglichen Beobachtungen, dass die 
Zähne in bestimmten Fällen nicht imstande sind, den Unter¬ 
kiefer, wie oben beschrieben, in seiner vorgeschobenen Stellung 
zu erhalten, datieren aus dem Jahre 1903. Andere Orthodontisten 
haben dieselben Beobachtungen gemacht. Trotz dieser Beob¬ 
achtungen bezüglich der Unverlässlichkeit der Zähne, unter be¬ 
stimmten unbeständigen Umständen neu hergestellte Verhältnisse 
zu erhalten, wünsche ich nicht, und ich wiederhole es noch 
einmal, der Ansicht Raum zu geben, dass es in bestimmten 
Fällen nicht ratsam ist, den Unterkiefer vorzuschieben, oder 
dass man bei diesen keine guten Resultate erzielen kann. Ich 
glaube nur annehmen zu dürfen, dass der Erfolg der Behandlung 
in diesen Fällen hauptsächlich von dar Ausschaltung aller 
jener Bedingungen abhängt, die darauf abzielen, die Zähne zur 
Erhaltung der gewünschten ästhetischen Verhältnisse unbeständig 
zu machen. 

Soeben habe ich drei extreme Fälle der Klasse II in 
meiner Behandlung, bei denen der Unterkiefer zur Verbesserung 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


278 


der Harmonie des Gesiebtes vorgeschoben wurde und ich bin 
sicher, dass die Resultate fraglos zufriedenstellende sein werden. 
Einer dieser Fälle betrifft eine junge Dame, die sich schon ge¬ 
raume Zeit vor Beginn der Behandlung zur Verbesserung dieser 
ihrer Entstellung angewöhnt hatte, den Unterkiefer so weit 
nach vorne gerückt zu halten, dass die unteren vorderen 
Zähne tatsächlich mit den oberen in Kontakt kamen, welche 
Stellung die Bildung eines offenen Bisses in den rückwärtigen 
Partien der Zahnbögen zur Folge hatte. Der Unterkiefer nahm 
scheinbar nur während des Kauaktes eine distale Stellung ein 
und, so weit ich feststellen konnte, schien es nur freier Wille 



Fig. I. 


der Patientin zu sein, den Unterkiefer distal zu bewegen, so 
dass die Kondylen ihre normale anatomische Stellung in den 
Fossae glenoidales einnahmen. Dies ist der einzige Fall, bei 
dem ich einen solchen Zustand beobachten konnte und habe 
ich auch Ursache anzunehmen, dass solche Fälle eine seltene 
Ausnahme sind. 

Es ist höchst wahrscheinlich, dass in nächster Zukunft 
einige jetzt noch offene Fragen bezüglich der physiologischen 
Veränderungen, die durch die Vorschiebung des Unterkiefers 
zur Verbesserung der ästhetischen Harmonie des Gesichtes 
hervorgerufen werden, durch die Resultate der jetzt unaus¬ 
gesetzt durchgeführten diesbezüglichen Arbeiten eine zufrieden¬ 
stellende und entscheidende Antwort erhalten werden. 


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274 


B, D. Me Bride, D. D. 8., Dresden. 


Der erfahrene Orthodontist findet bei der Korrektur der 
Stellungsanomalien der Zähne keine Schwierigkeiten, doch die 
Frage der Retention ist ein Problem, das die Geschicklichkeit 
und die Geduld, selbst des Erfahrensten, oft auf harte Proben 



Fig. K. 


stellt Der Retentionsapparat, den ich jetzt immer gebrauche, 
ist das aus meiner vieljährigen Erfahrung in der Orthodontie 
gewonnene Resultat, und auch in jenen zahlreichen Fällen, wo 
die Patienten ferne von Dresden wohnen und ich nach be- 



Fig. L. 


endeter Behandlung und Anlegung des Retentionsapparates in 
vielen Fällen oft monatelang nicht Gelegenheit habe, mich per¬ 
sönlich von dem jeweiligen Zustand zu überzeugen. Einzelne 
Fälle kommen überhaupt nicht wieder. Wegen dieser Umstände 
habe ich es nicht für praktisch gefunden, die Zähne mit irgend 
einer Form von fixem Retainer festzuhalten, schon wegen der 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 276 

Möglichkeit irgend eines unvorhergesehenen und unangenehmen 
Zwischenfalles, der bei dieser Art von Retention Vorkommen 
kann. Ein Retentionsapparat soll einfach in seiner Konstruktion, 
allgemein anwendbar in seiner Anpassungsfähigkeit sein und 
soll drei wichtige Eigenschaften besitzen. Vor allem muss er 
jede Veränderung der Stellung eines einzelnen Zahnes, wie der 
Zähne im ganzen verhindern, ferner muss er das mesio-distale 
Verhältnis der Bögen zueinander aufrecht erhalten und drittens 
darf keine Veränderung in der Fläche der Okklusion stattfinden. 

Fig. I, K und L zeigen die Form eines Retentions¬ 
apparates, der diese Eigenschaften besitzt. Man ersieht aus 
Fig. K und L, dass dieser Apparat die Zähne einzeln und 
im ganzen in ihrer richtigen Stellung hält und dass die an 
der buccalen Seite sich befindenden Ausläufer (Fig. I) dazu 
dienen, das mesio-distale Verhalten der Zahnbögen zu erhalten. 
Die Fläche der Okklusion ist hergestellt und wird richtig da¬ 
durch erhalten, dass die unteren vorderen Zähne auf die 
obere Kautschukplatte unmittelbar hinter die oberen Front¬ 
zähne zu beissen kommen. Der Kautschuk ist nur mit den 
sechs oberen und unteren Frontzähnen in Kontakt und ist 
von den Bicuspidaten und Molaren weggeschnitten (Fig. K 
und L), um diesen Zähnen die Möglichkeit zu geben, in voll¬ 
kommen richtige Okklusion zu treten. Der distale Teil der 
unteren Platte ist durch kleine Häkchen, die in der lingualen 
Grube des unteren ersten Molars ruhen (Fig. L), verhindert, 
sich zu senken. Ich benütze diesen Apparat seit einer Reihe 
von Jahren und hat mich derselbe so vollkommen zufrieden 
gestellt, dass ich der Frage der Retention keine weiteren Be¬ 
trachtungen mehr widme. Fig. M, N, 0 und P zeigen meine 
letzten Aenderungen an diesem Apparat. Der Retainer, wie er 
in Fig I, K und L abgebildet ist, wurde gleich nach Ent¬ 
fernung des Regulierungsapparates angelegt und, nachdem die 
Zähne sich etwas gefestigt hatten, durch den Metallretainer 
ersetzt 

Ich gebrauchte diesen Metallretainer durch 6 Monate und 
er besitzt vor dem in Fig. I, K und L abgebildeten mannig¬ 
fache Vorteile. In Fällen, in denen die bleibenden Zähne noch 


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276 


R. D. Mc Bride, D. D. 8., Dresden. 



Fig. M. 



Fig. N. 


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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 


277 


nicht durchgebrochen sind, ist der Retentionsapparat (Fig. I, 
E und L) zu empfehlen. Nachdem ich dieses System durch 
Jahre erprobt habe, bin ich überzeugt, dass es durch alle 



Fig. O. 


seine mit demselben verbundenen Vorteile das lang empfundene 
Bedürfnis nach einem allgemein anwendbaren System der Re¬ 
tention in weit höherem Masse erfüllt, als jedes andere in der 



Fig. P. 


Orthofiontie bekannte System. Dieser einfache Apparat kann 
umgeändert werden, um allen speziellen Erfordernissen zu ent¬ 
sprechen. 


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278 


Prof. C. A. Hawley, D.D. S., Columba« (Ohio). 


Patienten, die ich nicht kontrollieren kann, bekommen 
ein Duplikat des Retentionsapparates mit. Von Zeit zu Zeit 
senden sie mir den in Stents genommenen Biss, nach dessen 
Modellen ich den jeweiligen Zustand der Okklusion entnehme. 
Der Retentionsapparat wird noch einige Zeit nach Herstellung 
vollkommener Okklusion getragen und dann entfernt. Ist ein¬ 
mal vollkommen normale Okklusion hergestellt, so ist jede 
weitere Veränderung in der Stellung der Zähne unmöglich, da die 
normale Okklusion, der natürliche Retainer, unveränderlich ist. 

Ich habe versucht, in diesem kurzen Aufsatze alles, was 
sein umfassender Titel andeutet, in gedrängter Form zu bringen 
und vom praktischen Standpunkte meinen Lesern eine detail¬ 
lierte Beschreibung der höchstentwickelten Methoden der Ortho- 
dontie zu liefern. 


Nachdruck nur mit Zustimmung des Autors gestattet. 

Eine paiie Methode in Her Ortbodsntie . 1 

Von Prof. C. A. Hawley , D. D. S., Columbus, Ohio. 

Auf dem vierten internationalen zahnärztlichen Kongress 
in St. Louis, Mo., hatte ich die Ehre, vor der Abteilung für 
Orthodontie einen Vortrag zu halten, betitelt: „Die Festsetzung 
des normalen Bogens und seine Verwendung für die Ortho¬ 
dontie“. Hierbei wurde eine Methode gezeigt, um vor der 
Aenderung des Zahnbogens denselben genau zu bestimmen 
oder im vorhinein die neue Linie der Okklusion festzu¬ 
stellen. Die Linie der Okklusion wurde von Dr. Angle 
definiert als „die Linie des grössten normalen, geschlossenen 
Kontaktes“. Dieselbe geht im unteren Bogen über die Höhen 
der buccalen Höcker der Mahl- und Backenzähne und die 
Schneiden der Eck- und Schneidezähne; im oberen Bogen 
wird dieselbe gefunden längs des Einschnittes zwischen buccalen 
und lingualen Höckern der Mahl- und Backenzähne und über 
den lingualen Oberflächen der Eck- und Schneidezähne, un- 

1 Vortrag, gehalten in dem New-Tork Institute of Stomatology am 
4. April 1906. Veröffentlicht in dem „Journal of the allied Societies“, 
Jnly 1906. Mit Zustimmung des Autors übersetzt. 


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Eine genaue Methode in der Orthodontie. 


279 


gefähr eia Drittel dieser Oberflächen entfernt von den Schneiden. 
Die erwähnte Methode, welche den Gegenstand meines Vor¬ 
trages bildete, verlegt diese Linie der Okklusion direkt in 
den unteren Bogen. Im oberen Bogen wird eine Linie be¬ 
stimmt, gehend durch die Höhen der buccalen Höcker der 
Mahl- und Backenzähne und die Schneidekanten der Schneide- 
und Eckzähne, und von dieser Linie ist die Linie der richtigen 
Okklusion leicht zu finden. In jedem Falle bestimmt die Linie 
die Form, die Tiefe und die Länge des Bogens. 

Gelegentlich meines früheren Vortrages und seit dieser 
Zeit wurden Befürchtungen laut, dass, wenn man in die Ortho¬ 
dontie einen mathematisch und geometrisch ausgedachten Plan 
bringe, man die künstlerische Beurteilung beschränke oder aus- 
scheide und dass die Methode keinen Platz lasse für die Be¬ 
urteilung der Veränderung der Form des Bogens, um den An¬ 
forderungen der verschiedenen Typen zu entsprechen. 

Diese Befürchtungen und Einwände haben zu einem Miss¬ 
verständnisse geführt in bezug auf die Dehnbarkeit der Me¬ 
thode in ihrer Anwendung. In diesem Vortrage wünsche ich 
einiges zur Klärung bei der Demonstration der Methode bei¬ 
zufügen und in Erwiderung der oben gemachten Einwürfe will 
ich die Behauptung aufstellen, dass diese Methode, weit ent¬ 
fernt, die Beurteilung der künstlerischen Erfordernisse in der 
Orthodontie irgendwie zu hindern, die wertvollsten Grundsätze 
festlegt und die wichtigste Basis gibt, auf welcher künstle¬ 
rische Resultate in der Orthodontie erreicht werden müssen, 
und statt die Verschiedenheiten des Bogens, die den ver¬ 
schiedenen Typen entsprechen, zu beschränken, bildet sie den 
einzigen sicheren Führer für diese Abweichungen. 

Der mathematische Ausdruck des Gebisses ist im Zahn¬ 
schluss und in der Form des Bogens, in der Linie der 
Okklusion, enthalten. Der normale Zahnschluss wurde von 
Dr. Bonwill beobachtet und von Dr. Angle zur Basis der 
modernen Orthodontie gemacht. Da bleibt keine Frage offen 
bezüglich der normalen und wünschenswertesten Okklusion 
oder des Wunsches auf möglichste Herstellung und Bewahrung 
derselben. 


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980 


Prof. C. A. Hawley, D. D. S., Colombos (Ohio). 


Die ideale Form des Bogens ist mit einiger Schwierigkeit 
festgesetzt worden und wir geben zu, dass nicht für alle Fälle 
ein idealer Bogen vorhanden ist. 

Dr. A. H. Thompson hat ausgedehnte Beobachtungen 
der Bogenform bei den verschiedenen Rassen gemacht und 



Fig. 1. 

gibt uns die folgenden typischen Formen: „Die eckige Form“ 
(Fig. la), sagt er, „wird gewöhnlich gefunden bei Personen von 
stark knochiger Konstitution und schottischer oder irischer Ab¬ 
stammung, d. i. gallischer Herkunft. Der Bogen mit „abge- 



Fig. 2. 


rundeten Ecken“ (Fig. 16) wird gefunden bei wohl entwickelten 
Amerikanern. Der „runde Bogen“ (Fig. 1 c) ist ganz charakte¬ 
ristisch für gewisse Rassen, und zwar für die kurzköpfigen Süd¬ 
deutschen. Der „abgerundete V-förmige Bogen“ (Fig. Id) gehört 
der Schönheit und wird am meisten beobachtet bei den Frauen 
der lateinischen Rassen.“ 


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Eine genaue Methode in der Orthodontie. 


981 


Dr. Bon will untersuchte, wie er in seinem Werke „Ueber 
die Artikulation der Zähne“ angibt, 4000 Gebisse an lebenden 
Personen und 6000 Schädel und stellte auf Grund dieser Be¬ 
obachtung einen Bogen fest, der auf dem gleichseitigen Drei¬ 
ecke basiert und den gut entwickelten Zahnbögen konform 
befunden wurde. Dieser Bogen (Fig. 2) ist nicht genau die 
Form einer der von Dr. Thompson gezeigten Typen, er 
scheint aber eine Kombination des Bogens mit abgerundeten 



Fig. 8. 


Ecken und des abgerundeten V-förmigen Bogens zu sein, was 
ganz natürlich ist, wenn wir bedenken, dass Dr. Thompson 
verschiedene Rassentypen vorführt und Dr. Bon will ein 
Ideal von den best entwickelten Gebissen aus wählt. Dieser 
BonwillscheBogen ist ganz ähnlich dem in Dr. Blacks „Dental 
Anatomy“ gezeichneten typischen Zahnbogen (Fig. 3) und dem 
„Text Book of Prosthetic Dentistry“ von Essig entnommen. 

Während Dr. Bonwills Bemühungen hauptsächlich 
darauf gerichtet waren, sein Prinzip für die Aufstellung künst¬ 
licher Zähne zu verwerten, schien er doch deren Wichtigkeit 


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Prof. C. A. Hawley, D. D. 8., Columbus (Ohio). 


für die Orthodontie zu würdigen, denn er sagt: „Das Studium 
dieser Gesetze wird Sie belehren über die wahre Wissenschaft 
in der Regulierung von unregelmässiger Zahnstellung.“ Und 
wenn sein Werk tatsächlich die richtigen Prinzipien der natür¬ 
lichen Bewegung der Kiefer zeigt, und dies scheint ohne Frage, 
so muss eine Wissenschaft der Orthodontie, welche nach einem 
grossen und umfassenden Werke zielt, diese Prinzipien aufhehmen 


A'- - ß‘ 



und muss an den lebenden Kiefern die Bedingungen erzeugen, 
welche die normalen Bewegungen möglich machen, durch Er¬ 
zeugung einer normalen Okklusion und dadurch, dass die 
Grösse und Form des Bogens mit der Grösse der Zähne und 
der wahrscheinlichen Weite zwischen den Kondylen in Ueber- 
einstimmung gebracht wird. 

In Fig. 4 haben wir Dr. Bonwills geometrische Figur, ein 
gleichseitiges Dreieck AFG (eingezeichnet in einen Kreis), 


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Bülte genaue Methode in der Orthodontie. 


dessen Basis F G die Entfernung zwischen den Kondylen dar¬ 
stellt, welche von 3 bis 5 Zoll variiert. Demgemäss sind im 
künstlichen Gebiss die Eck- und Schneidezähne in dem Bogen 
des Kreises AJCH angeordnet, dessen Grösse verschieden ist 
nach der Grösse der Zähne, welche für den Fall nach dem 
Urteil des Operateurs ausgewählt sind. 

Wenden wir dieses Prinzip auf die Orthodontie an, wo 
uns die Grösse der Zähne und mit deren Breite der Durch¬ 
messer des Kreises AJCH gegeben ist, so müssen wir das 
Verfahren umdrehen und eine Beziehung zwischen diesem 
Kreise und dem gleichseitigen Dreiecke AFG oder dem Kreise, 



Fig. 5. 


in welchem dieses eingezeichnet ist, finden. Eine solche Be¬ 
ziehung konnte ich in Dr. Bonwills Schriften nicht finden. Man 
findet sie aber in dem Dreiecke EDC, dessen Spitze beim 
Punkte C auf dem Durchmesser des Kreises AJCH liegt, 
dessen Basis eine Tangente desselben Kreises bei A darstellt; 
die Seiten sind durch die Punkte J und H gezogen, welche 
mit dem Radius von A aus auf dem Kreise bestimmt sind. 

Um das Diagramm zu konstruieren, nimmt man den Radius 
des Kreises AJCH , der gegeben ist durch die kombinierte Breite 
des grossen und kleinen Schneidezahnes und des Eckzahnes in der 
Linie A‘ B‘. Mit dem Radius A B beschreibt man auf der Linie A C, 
welche.der Durchmesser des Kreises wird, den Kreis AJCH 


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284 


Prof. C. A. Hawley, D. D. 8., Colambos (Ohio). 


und markiert vom Punkt A aus mit dem Radius H und J. Wir 
haben so den Kreisbogen, auf dem die sechs Frontz&hne auf- 
gestellt werden, wissen aber nichts von der Grösse des Drei¬ 
eckes AFG. Von C aus zieht man die Linien GL und C D 
über H und J hinaus; eine Tangente des Kreises durch A 



Fig. 6. 


schneidet die Linie in E und D, so entsteht ein gleichseitiges 
Dreieck ECB. Man nimmt eine Seite dieses Dreieckes als Radius, 
bestimmt von A aus auf der Linie A J den Mittelpunkt und 
zeichnet den grossen Kreis AFG. Trägt man den Radius 
sechsmal auf dem Umfang auf und verbindet die ungeraden 


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Eine genaue Methode in der Orthodontie. 


285 




Fig. 7. 

Punkte, so bekommt man das Dreieck AFG. Zieht man dann 
die Linien FJ und GH, so bekommt man die gewünschte 
Figur, auf der man die Breite der Zähne, wie man sie im 
Munde findet, aufträgt. 

Die Zähne können alle gezeichnet werden, wie Fig. 5 
zeigt und wie ich es zuerst auslührte oder es wird nur ein 
Bogen benützt. Die frühere Methode war für mich von grossem 
Vorteil, weil sie einen besseren Ueberblick über die vollendete 
Arbeit gab. 

Meine gegenwärtige Methode zeigen folgende Fälle: 
Klasse II, Div. I, Alter 10, wovon Fig. 6 die Vorder- und Seiten¬ 
ansicht zeigt. Die Milchmahlzähne und Eckzähne sind vorhanden. 
Die Methode, diesen Bogen zu bestimmen, werden wir später 
besprechen. Fig. 7 zeigt die Kauflächen der oberen und unteren 
Zahnreihe. Der Bogen ist übertragen auf ein Stück durch¬ 
scheinendes Zelluloid und setzt man dies in richtiger Position 


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Prof. C. A. Hawley, D. D. S M Oolumbus (Ohio). 


auf das Modell, so kann man jede Bewegung, die notwendig 
ist, den Fall zu korrigieren, ganz genau zu Gesicht bringen. 
Auch die Verkürzung des Bogens zeigt sich und dies ist sehr 
wichtig bei der Berechnung des Effektes, den die proponierte 
Bewegung im Gesichtsausdrucke hervorbringt. Ich möchte Sie 



Fig. 9. 


hier aufmerksam machen auf die geringe Ausdehnung, die im 
Unterkiefer angezeigt ist, im Vergleich mit dem Oberkiefer. In 
dieser Art der Fälle zeigt es sich, dass die Enge des Ober¬ 
kiefers den Unterkiefer nach rückwärts gedrückt hat und dass die 
Ursachen, welche die Enge bewirken, diesen Effekt im Unter¬ 
kiefer nicht erreichen; derselbe nimmt daher eine distale Position 


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Eine genaue Methode in der Orthodontie. 


287 


ein, um eine bequeme Okklusion zu erreichen. So sind die 
Eondylen in eine abnorme Position in die Fossa glenoidalis 
zurückgedrängt. Dafür spricht auch die Tatsache, dass, wenn 
der obere Bogen erweitert ist, der untere sehr leicht vorwärts 
kommt und niemals mehr mesio-distale Retention braucht, als 
durch die Höcker der Mahlzähne geboten wird. Diese Tatsache 
drängte sich mir auf beim Studium von Fällen dieser Art mit 
dem Diagramm. Das Diagramm wird gebraucht bei einem 
behandelten Fall als eine konstante Marke für die Bewegung, 



Fig. 10. 


indem man im Munde von Zeit zu Zeit misst und mit dem 

Diagramm vergleicht oder man kann auch das Zelluloid jeder¬ 
zeit in den Mupd geben und da direkt die Position der Zähne 
notieren. Fig. 8 zeigt die Kauflächen dieses Falles, nachdem 
die Regulierung beendet, Fig. 9 zeigt die Vorderansicht und 
die Seiten. 

Im nächsten Falle Fig. 10 sind die oberen Mahlzähne 
in lingualer Okklusion; es entsteht nun die Frage, ob die 
unteren Molaren Fig. 11 auswärts gedrückt werden sollen. Die 

io* 


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288 Prof. C. A. Hawley, D. D. 3., Columbus (Ohio). 

Verkürzung des Bogens und das Fehlen der zweiten Molajen 
erweckt diesen Eindruck. Aber das Diagramm Fig. 12 zeigt, 
dass dies unrichtig wäre und fordert die Verschiebung beider 
Bögen. Fig. 13 zeigt die Bögen und Fig. 14 die Okklusion 
des vollendeten Falles. Diese zwei Fälle zeigen nach meiner 
Meinung genügend die Methode des Arbeitens. Ich wünsche 
weder jetzt, noch wünschte ich früher, dass man glaube, ich 
bestehe auf dieser Bogenform bis ins einzelne für jeden Fall. 
Wenn man einen schematischen Bogen annehmen würde, so 



Fig. 11. 


wäre der von Dr. Bon will zweifellos der beste für eine all¬ 
gemeine Anwendung. Derselbe kann nach geometrischen und 
mathematischen Regeln genau hergestellt werden und jeder 
Grösse der Zähne angepasst werden. Bevor ich die Frage er¬ 
örtere, wie nahe wir unsere Arbeit diesem Bogen in allen Fällen 
anpassen sollen, will ich Ihnen die Meinung von Dr. William 
J. Brady Vorbringen, die er in einem Vortrage »Einige Punkte, 
betreffend Okklusion“ in der „American Society of Ortho- 
dontists“ in St. Louis, 12. Juni 1901, ausgesprochen hat. In 
bezug auf den Bonwill-Bogen sagt er: „Es ist Tatsache, dass 
jeder Zahnbogen diesen vollendeten Linien entsprechen würde, 
wenn die Natur in ihrer Absicht nicht gehindert würde. Die 


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Eine genaue Methode in der Orthodontie. 


289 




Fig. 13. 


Fig. 12. 


mechanischen Verhältnisse des Falles erfordern behufs grösster 
Zweckmässigkeit einen Bogen von dieser Form, und die mecha¬ 
nischen Kräfte des Kauaktes erzeugen einen Bogen, der dem 
erwähnten so nahe als möglich kommt. Selbst bei schlechter 
Okklusion folgen die Zähne dieser vollendeten Form, soweit 
es die mechanischen Verhältnisse des Falles gestatten. Diese 
verlangen einen Bogen von einer ganz bestimmten Form, infolge 
bestimmter unabänderlicher Gesetze und nicht, weil jemand 
denkt, es sollte so sein oder weil dies ein schönes Diagramm 
auf dem Papier geben würde. Solange der Kiefer ein gleich¬ 
seitiges Dreieck enthält und bei Seitenbewegung auf dem einen 
Kondyl sich dreht, solange wird diese Bogenform das unver¬ 
änderliche Ziel sein, das die Natur auf ihrem Wege zu erlangen 
sucht, ebenso wie es für uns das Schlussresultat sein sollte, das 
wir in unserer Arbeit suchen. Solange der Unterkiefer seine Form 
oder seine Bewegung nicht ändert, wird jedermann oder sollte 


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290 


Prot C. A. Hawley, D. D. S., Columbus (Ohio). 


jedermann die Bögen von der gegenwärtigen Form haben und 
weder Rasse noch Farbe, weder seelische noch körperliche 
Eigentümlichkeiten werden diese Tatsachen ändern“. 

Ich für meinen Teil gebrauche es als ein Mass, als eine 
Basis für die Diagnose und das Studium, um akkurat und 
systematisch vorzugehen, um im vorhinein abzuschätzen, 
was wir auszuführen wünschen und um rasch und genau 
zum Ziel zu gelangen. Wir sollten nicht eine Bogenform zu 




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Fig. 14. 


ändern versuchen, ohne ein bestimmtes Ziel im Auge zu 
haben. In meiner eigenen Praxis, beim Studium von Fällen 
und als Mass für deren Fortschritte war diese Methode un¬ 
schätzbar. Um einen Plan zu zeigen für Abweichungen des 
schematischen Bogens verweisen wir auf Fig. 15, wo wir den 
Bonwill-Bogen finden und daneben einen punktierten Bogen. 
Der Bonwill-Bogen ist gezeichnet für die Grösse der Zähne in 
diesem Falle. Wünschen wir den punktierteb Bogen '/* Zoll 
näher, so zeichnen wir die Linien für die Mahlzähne und 
Backenzähne '/« Zoll nach innen vom schematischen Bogen 


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Eine genane Methode in der Orthodontie. 


291 


an jeder Seite. Der engere Bogen wird notwendigerweise 
länger sein als der Bonwill-Bogen und hier haben wir die 
Wahl, die Mahlzähne rückwärts zu bringen und die Lippen 
unverändert zu lassen oder die Mahlzähne auf ihrem Platz zu 
lassen und die Lippen auswärts zu drücken. Aehnliche Ueber- 
legungen können angestellt werden für einen weiteren Bogen. 
Wir können so für jeden Typus und für jedes Temperament 



Berechnungen anstellen, die eine gesunde Grundlage für die 
künstlerischen Resultate in der Orthodontie sein werden. Diese 
Berechnung eröffnet einen Weg für eine wissenschaftliche Be¬ 
handlung der Frage des Typus und des Temperaments in Be¬ 
ziehung auf die Zähne. 

Dadurch, dass normale Okklusion hergestellt und 
dass die Bogenform in Harmonie mit der Grösse der Zähne 
gebracht wird, bekommen die Kiefer ihre natürliche Be¬ 
wegung und das Gebiss erlangt die natürliche Entwicklung, 


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Prof. C. A. Hawley, D. D. 8., Colnmbns (Ohio). 


soweit die mechanischen Verhältnisse es gestatten. In bezug 
auf die Retention werden wir uns gegen irgend eine schliess- 
liche retrogressive Veränderung, welche eintreten könnte, am 
wirksamsten dadurch schützen, dass wir den Bogen den natür¬ 
lichen mechanischen Kräften der Kiefer anpassen. Betrachten 
wir die Frage von der künstlerischen Seite, so ist, während 
die Natur in Wirklichkeit vielleicht nicht in allen Fällen die 
Zähne in genauer Weise dem Individuum angepasst hat, bei 
der gegenwärtigen Entwicklung der Orthodontie die Hypothese, 
dass die Natur dies doch getan hat, eine sichere Basis für die 
Arbeit. Denn wenn wir alle Uebelstände der Extraktion be¬ 
trachten, wie sie von vielen, und insbesondere von Dr. E. A. 
B o g u e hervorgehoben wurden, müssen wir in der Tat zögern, 
einer Auffassung von Verbesserung durch Verstümmelung 
zu vertrauen, verglichen mit der Nützlichkeit des Gebisses, 
wenn die Zähne sich an der Stelle befänden, wo die Natur 
sie hinzustellen beabsichtigte. 

Bis jetzt haben wir angenommen, dass die zentralen, 
die lateralen Schneidezähne und die Eckzähne durchgebrochen 
oder dass das Gebiss tatsächlich voll entwickelt war. Um aber 
in unserer Wissenschaft fortzuschreiten, müssen wir Entwicklungs¬ 
störungen schon in früher Jugend beobachten. Wir müssen zwerg¬ 
hafte und abnorme Bedingungen erkennen, sobald dieselben 
sich zeigen. Bei Anwendung dieser Methode fand ich sehr bald, 
dass in einer grossen Zahl von Fällen, die in meine Hände 
kamen, die notwendigen Daten nicht erbracht werden konnten. 
Sehr oft waren die Eckzähne nicht durchgebrochen und in 
vielen Fällen auch die lateralen Schneidezähne. Ich half mir 
durch das Abmessen des zentralen Schneidezahnes, um mich 
dann auf einen früher behandelten Fall zu beziehen, der einen 
zentralen Schneidezahn von derselben Breite hatte und in der 
Voraussetzung, dass die Zähne immer in Proportion stehen, 
gebrauchte ich denselben Bogen. Diese Methode wurde an¬ 
gewandt in dem Falle Fig. 6, 7, 8 und 9. Die Variationen, 
welche sogleich zutage traten, führten mich, indem sie gleich¬ 
zeitig eine ziemlich genaue Anleitung boten, dazu, in eine 
Erforschung der proportionellen Breiten der Zähne, wie sie in 


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Eine genaue Methode in der Orthodontie. 


293 


einem und demselben Munde Vorkommen, einzugehen, zum 
Zwecke der Anlegung von Serien entsprechender Bögen zum 
Gebrauche bei jungen Patienten. Zu diesem Zwecke habe ich 
von über 100 Gebissen Maasse gesammelt und in folgendes 
Schema gebracht: 

Sammlung. 

Modell Nr.. 

Geschlecht. 

Alter. 


Oben 

Bechts Links 

Zentraler. 

Lateraler. 

Eckzahn. 

1. Backenz. 

2. ßackenz. 

1. Mahlz. 

2. Mahlz. 

3. Mahlz. 


Unten 

Bechts 

Zentraler. 

Lateraler. 

Eckzahn. 

1. Backenz.. 

2. Backenz. 

1. Mahlz. 

2. Mahlz. 

3. Mahlz. 


Weite des ursprünglichen Bogens 
Weite des erweiterten Bogens ... 


Links 


Dr. Black hat in seiner „Dental Anatomy“ eine Tafel 
von Maassen der Zähne veröffentlicht, welche eine Reihe von 
Variationen in bezug auf ihre mesio-distale Breite enthält, aber 
ohne Beziehung auf ihre Verschiedenheit in demselben Munde. 
Eine Auswahl dieser Maasse ist folgende: 


Zentrale Schneidezähne. . . . 7'9 bis 9-9 

Laterale „ . ... 4*9 „ 6-9 

Eckzähne.6-9 „ 8-9 

Erste Backenzähne.6-9 „ 7-9 

Zweite „ .5-9 „ 7-9 

Erste Mahlzähne.8 9 , 11-9 


Diese Maasse repräsentieren nicht die grössten Extreme; 
grössere als die hier dargestellten sind jedoch selten. Wären die 

1 Hier und in allen folgenden Tabellen sind die Maasse in Millimetern 
angegeben. 


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294 


Prof. C. A. Hawley, D.D. S., Columbus (Ohio). 


Zähne im Munde in bezug auf die grösste und kleinste Breite in dem* 
selben Verhältnis, so würden wir bei einem 7-9 grossen Schneide¬ 
zahn einen 4-9 kleinen Schneidezahn, 6*9 Eckzahn, 6*9 ersten, 
5*9 zweiten Backenzahn und einen 8*9 Mahlzahn usw. finden. 
Entsprechend jeder Grösse des zentralen Schneidezahnes könnte 
man darnach den Radius bestimmen und so die Diagramme 
zeichnen. Aber dies ist keineswegs der Fall. Bei einem 7*9 zen¬ 
tralen Schneidezahn finden wir oft einen 6*6 oder 6*9 kleinen 
Schneidezahn und der Eckzahn kann ganz klein sein, oder 
entsprechend gut entwickelt, oder wir haben einen wohl pro¬ 
portionierten grossen und kleinen Schneidezahn und der Eck¬ 
zahn ist viel grösser. Um nun die Natur dieser Verschieden¬ 
heiten klarzulegen, wählte ich von den 100 Maassen alle Fälle 
von jeder Breite des grossen Schneidezahnes und machte von 
jeder derselben eine Tabelle. Die Zahl der Fälle von jeder 
Grösse des zentralen Schneidezahnes war bei 7*9— 15, 8*1 — 7, 
8*4-16, 8*6-16, 8*9-9, 8*1-14, 9*4-13, 9*7-5, 9*9 — 2. 
Einen Teil der 100 Fälle konnte ich nicht benützen, und zwar 
denjenigen, wo die Zähne fehlten oder die Verschiedenheit so 
gross war, dass eine exakte Messung in Frage gestellt schien. 

Auf Grund der Zusammenstellung dieser Reihen fertigte 
ich meine Tafeln an, von welchen hier nur eine, den 8*9 zen¬ 
tralen Schneidezahn betreffend, als Beispiel angeführt ist: 


Zentraler Lateraler 

Schneidezahn 

Eckzahn 

Erster Zweiter 

Backenzahn 

Erster 

Mahlzahn 

8*9 

6*1 

7*9 

6*9 

6-9 

10*4 

8*9 

71 

7*9 

7*4 

7*6 

10*4 

8*9 

6*4 

7*6 

6*4 

6*4 

10*7 

8*9 

71 

7*9 

71 

6*9 

10*7 

8*9 

6*9 

8*4 

7*4 

7*4 

11*2 

8*9 

6*1 

7*6 

7*6 

7*1 

10*4 

8*9 

7*1 

8*4 

7*4 

6*6 

10*2 

8*9 

6*6 

7*6 

6*9 

6*9 

10*9 

6*4 

6*9 

8*1 

6*9 

6*9 

10*4 

Durchschnitt: 

8*9 

6*9 

7*9 

7*1 

6*9 

10*7 


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Eine genaue Methode in der Orthodontie. 295 

Nehme ich die durchschnittliche Breite der anderen Zähne, 
so habe ich die durchschnittliche Breite der Zähne, welche jeder 
Breite des Schneidezahnes entspricht und damit den durch¬ 
schnittlichen Radius, der uns den wahrscheinlichen Bogen für 
jede Grösse des zentralen Schneidezahnes gibt. 


Zentraler Lateraler _ , , 

Sehneidezahn Eckzahn 

Erster Zweiter 

Backenzahn 

Erster 

Mahlzahn 

Radius 

Korrigierter 

Radius 

7-9 

6-6 

7-4 

6-6 

6-6 

9-9 

21-9 

21-8 

8-1 

6-6 

7-6 

6-9 

6-6 

10-2 

22-3 

22-3 

8-4 

6-9 

7-6 

7*1 

6-9 

10-4 

22-9 

22-8 

8-8 

71 

7-6 

7-1 

71 

10-7 

23-3 

23-3 

8-9 

6-9 

7-9 

7-1 

6-9 

10-7 

23-7 

23-8 

9-1 

7*1 

8*1 

71 

71 

10-7 

24-3 

24-3 

9-4 

7-1 

8-1 

7-6 

7-4 

10-7 

24-6 

24-8 

9*7 

7*1 

8-6 

7-6 

7-4 

11*2 

25-4 

25-4 

9-9 

7-9 

8-6 

7-9 

7-4 

11-2 

26-4 

25-8 

In 

die 

letzte Reihe habe ich 

die, wie 

ich sie 

> 

nennen 


will, richtig gestellten Radien gesetzt, bei welchen wir eine an¬ 
steigende Ordnung erhalten. Ich wünsche an dieser Stelle die 
beinahe gleichmässige Steigerung des ersten Mahlzahnes her¬ 
vorzuheben und komme später auf deren Bedeutung zurück. 
Nehmen wir diese richtig gestellten Radien, so haben wir einen 
Bogen für jede Breite des zentralen Schneidezahnes, was ich 
als Basis für die Diagnose, für das Studium und für die Be¬ 
handlung von Fällen vorschlage, wo nur ein Teil der Zähne 
durchgebrochen oder wo ein Alter von 12 Jahren noch nicht 
erreicht ist. Sie können gebraucht werden als ein Führer für 
alle Fälle, denn wo wir alle Zähne messen können, brauchen 
wir nur das Diagramm mit dem richtigen Radius auszusuchen 
und in den Zähnen selbst zu messen. Bedenkt man, dass diese 
Bogen nur die durchschnittliche Grösse darstellen und dass 
kleinere oder grössere Zähne in Verbindung mit demselben 
grossen Schneidezahn stets Vorkommen werden, so wirft sich 
die Frage auf, ob irgend ein Anzeichen besteht, aus welchem 
wir beurteilen können, in welcher Richtung diese Variation 
eintreten wird, d. h. ob gegen kleinere oder grössere Zähne. 
Ich glaube, wir haben dieses Anzeichen in dem ersten Molar 


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29« 


Prof. C. A. Hawley, D. D. S., Colnmbns (Ohio). 


und dieser Zahn ist immer zur Zeit des Durchbruches des 
grossen Schneidezahnes vorhanden. So wie der erste Molar 
von der durchschnittlichen Breite hinauf oder hinunter variiert, 
so werden, wie ich glaube, auch die öbrigen Zähne variieren; 
nehmen wir z. B. an, wir haben einen Fall, in welchem der 
grosse Schneidezahn 8*6 und der erste Molar 10*7 ist. Hätte 
ich nun einen zweiten Fall mit einem gleich grossen Schneide¬ 
zahn, aber mit einem ersten Molar 11-2, so würde ich an¬ 
nehmen, dass der kleine Schneidezahn und der Eckzahn und 
alle übrigen Zähne wahrscheinlich gross werden und würde 



Fig. 16 a. 


den nächstgrösseren Bogen wählen. In dieser Methode haben 
wir, wie ich glaube, den Schlüssel zu einer ziemlich genauen 
Beurteilung des zukünftigen Gebisses. Beim Aufstellen dieser 
Durchschnitte habe ich versucht, wenn schon ein Fehler sein 
sollte, diesen nach der Seite des grösseren Bogens zu machen. 
Ich glaube nämlich, dass, wenn wir den Bogen auch etwas breiter 
bekommen als die Zähne ihn auszufüllen vermögen, wenn 
derselbe passend geformt und die Zähne zu normaler Okklusion 
gebracht sind und der Irrtum im ungünstigsten Falle einige 
Hundertel eines Zolles beträgt, der Druck der Wangen und 


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. ®’ ne genaue Methode in der Orthodontie. 297 

Lippen und der Einfluss der Kauflächen, sowie der Druck des 
durchbrechenden zweiten Molars nach vorne die Zwischenräume 
schliessen wird. Die Natur hat uns ein Beispiel ihrer Voraussicht 


Fig. 16 b. 


dadurch gegeben, dass sie die gesamte Breite der Milchmahlr 
zähne bedeutend grösser machte als die der Backenzähne, 
welche an deren Stelle treten. 


Fig. 16 c. 


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298 Prof. C. A. Hawley, D. D. 8., Colombos (Ohio). 

Aehnliche Tabellen wurden für die unteren Zähne her¬ 
gestellt und das Ergebnis machte es offenbar, dass man sich auf 



Pig. 17. 



Fig. 18. 

die Gleichförmigkeit am unteren Bogen, gezeichnet nach den 
Maassen der unteren Schneidezähne und Eckzähne, nicht ver¬ 
lassen kann. Während die unteren Backenzähne und Mahl- 


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Eine genaue Methode in der Orthodontie. 


299 


zähne ziemlich gleichförmig sind in ihrer Beziehung zu den 
oberen, sind es im selben Munde die Schneidezähne und Eck- 



Fig. 18. 

zähne nicht. Dieser Mangel an Gleichförmigkeit ist wahrscheinlich 
kompensiert durch die Neigung der Zähne und den Ueberbiss. 


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300 


Prof. C. A. Hawley, D.D. S., Colombos (Ohio). 


Ohne diese Verschiedenbeiten ausführlich besprechen zu wollen, 
will ich nur raten, dass, statt den unteren Bogen nach 
Messungen der unteren Zähne zu zeichnen, wie dies in meinem 
früheren Vortrag beschrieben wurde, der Radius für den unteren 
Bogen um 3*3 bis 5*8 Millimeter kürzer genommen werde, als der 
obere, und zwar innerhalb dieses Zwischenraumes je nach der 
Grösse der Zähne oder der Entfernung zwischen der Linie 
der Okklusion und der Spitze der buccalen Höcker. 

Zur Illustration der Art, wie ich diese Bogen gebrauche, 
wollen wir den Fall eines 8 Jahre alten Kindes nehmen (Fig. 16a, b,c). 



Fig. 19. 

Wir haben hier von den bleibenden oberen Zähnen nur die 
mittleren Schneidezähne und die ersten Molaren und von den 
unteren die mittleren und seitlichen Schneidezähne und die 
ersten Molaren durchgebrochen. Alle Milchmolaren unten, so¬ 
wie die ersten Milchmolaren oben sind extrahiert worden. 

Die Bögen sind konsequenterweise kontrahiert, besonders 
die oberen, in welchen die mittleren Schneidezähne sich in 
lingualer Okklusion befinden. Die mittleren Schneidezähne sind 
8*4 und die Molaren 9*4, während der Durchschnittsmolar für 
dieses Diagramm 10 4 ist. Da der Molar klein ist, dürften wir 
voraussichtlich kleine seitliche Schneidezähne finden und mög¬ 
licherweise auch kleine Backenzähne. Diese Zähne sind es, 


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Google 


Eine genaue Methode in der Orthodontie. 


301 


welche am meisten variieren; ich würde daher keinen grösseren 
Bogen wählen, als jenen für 8*4. Ich halte es für zweckmässig, 
diesen Bogen soweit auszudehnen, als dies in sicherer Weise 
geschehen kann, weil das Kind eine Operation zur Entfernung 
der adenoiden Wucherungen hinter sich hatte und die ganze mög¬ 
liche Ausdehnung der nasalen Passagen braucht. Fig. 17 zeigt 
die Ausdehnung des Bogens, welche notwendig sein wird. 

In Fig. 18 haben wir einen anderen Fall, auch ein Kind 
von 8 Jahren, bei welchem die Okklusion sich in distaler 



Fig. 20. 


Richtung einstellt. Fig. 19 zeigt die Kauflächen der oberen 
Zähne. Bei diesem Fall haben wir einen 9 7 mittleren Schneide¬ 
zahn und einen 10*7 Molaren, während die Skala uns einen 
Molaren 11*2 gibt. Wir werden daher den 9*7 Bogen verwenden 
und voll entwickelte Zähne erwarten. 

Es mag behauptet werden, dass es unnötig sei, diesen 
Bogen mit den Milchzähnen zu dieser Zeit zu erweitern und 
dass das natürliche Wachstum des Kiefers genügen wird, um 
für die Zähne Raum zu schaffen. Aber man kann die Schneide¬ 
zähne nicht in richtige gerade Stellung bringen, ohne entweder 
den Bogen zu erweitern, oder aber sie bedeutend vor die ihnen 

li 


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302 Prof. C. A. Hawley, D. D. S., Colombos (Ohio). 

eigene, für sie richtige Lage zu stellen. Wenn der ganze Bogen 
erweitert ist, werden die Kronen der sich entwickelnden Backen¬ 
zähne mit den Milchmolaren mitgenommen und die Aussicht, 
dass sie in schlechter Okklusion durchbrechen, ist sehr ver¬ 
ringert. 

Was die Frage anlangt, die sich ergeben mag, ob 
die ersten Molaren bei ihrem Durchbruche normalerweise 
in den ihnen zukommenden bucco-lingualen Stellungen sich 
befinden sollten, führt das Studium der Fälle auf dem Wege 
dieser Methode mich dahin, anzunehmen, dass sie es allerdings 



Fig. 21. 


sollten. Ungeachtet der Tatsache, dass wenige Kinder unter 
Bedingungen aufgezogen worden sind, bei denen die Zähne 
in der ihnen zukommenden und normalen Weise gebraucht 
wurden, habe ich dennoch genug Fälle gefunden, in welchen 
sie in ihrer vollen bucco-lingualen Breite durchgebrochen sind. 
Dies scheint, wie ich glaube, meine obige Schlussfolgerung 
zu rechtfeitigen. Eines von diesen Kindern, ein 7 Jahre 
alter Knabe, ist in Fig. 20 gezeigt. Fig. 21 zeigt die Kau- 
flächenseite. Die Schneidezähne sind 8 - 6 breit, die Molaren 
11*2, was um 0-5 breiter ist als der Durchschnitt und befinden 
sich in ihrer korrekten bucco-lingualen Lage, wie aus dem Dia¬ 
gramm ersichtlich ist. 


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Eine genaue Methode in der Orthodontie. 


303 


Es wurde nun genug gezeigt, um diese Methode zu 
illustrieren und zu ermöglichen, ihren Wert zu beurteilen. 
Es gibt viele andere interessante Punkte im Zusammenhang 
mit diesen Messungen, welche sich als wertvoll darstellen 
dürften, aber ihre Besprechung liegt nicht innerhalb des Rahmens 
dieses Vortrages. 

Ich will, was die Typen anbelangt, allerdings die Frage 
nicht aufwerfen, wieviel Variationen bei den verschiedenen 
Rassen und Temperamenten erforderlich sind, oder ob solche 
Variationen überhaupt wünschenswert sind, oder ob wir nicht 
bei unseren gegenwärtigen Kenntnissen des Gegenstandes 
sicherer daran sind, wenn wir eine mögliche Verbesserung 
in künstlerischer Beziehung, einer grösseren Nützlichkeit durch 
Anwendung des Bonwill-Bogens zum Opfer bringen. Ohne, 
wie gesagt, diese Frage zu besprechen, möchte ich nur sagen, 
dass die einzige sichere Grundlage, auf welcher solche Varia¬ 
tionen gemacht werden können, ein sorgfältig berechneter 
Bogen aus diesen Messungen ist. Was schliesslich die Variationen 
zu künstlerischem Zwecke, welcher Art immer betrifft, glaube 
ich, da Mathematik die Grundlage von Architektur, Musik, 
Malerei und allen Künsten und Wissenschaften ist, dass diese 
Grundsätze, welche wir im Verlaufe dieser Arbeit nieder¬ 
gelegt haben, jeder Ausübung der Orthodontie zugrunde liegen 
müssen. 


11* 


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304 


Associazione stomatologica Triestina. 


Berichte ans Institnten and Vereinen. 


Issocianoie stuatologica Triestina 

Die Jahresversammlung fand am 11. März 1907 
statt. In derselben wurden zu Funktionären gewählt: 

Dr. Ferdinand Tänzer zum Präsidenten, 

Dr. Hermann B o d o zum Präsidenten-Stellvertreter, 

Dr. Julius Gr an di zum Schriftführer, 

Dr. Rudolf Fuchs zum Kassier. 

In der Monatsversammlung vom 15. April fand 
eine allgemeine Diskussion über Kiefer- und Zahn¬ 
regulierung statt. Dr. Tänzer skizziert kurz die Methoden 
von Angle, Gase, Baker, Pfaff, Herbst, Heidenhaus, 
Pr eis werk, Birgfelds Kiefergelenksregulierung, das Wesen 
der reziproken Apparate, der passiven Regulierung etc. und zeigt 
ein ungemein interessantes Buch von F. Maury, Dentisten an 
der königl. polytechnischen Schule zu Paris, vom Jahre 1830, in 
welchem Maury von den Mitteln spricht, die Zähne, welche eine 
falsche Richtung genommen haben, wieder in ihre natürliche 
Lage zu bringen, ja Maury spricht von Meister Fouchart, 
der bereits 1728 eine Abhandlung herausgab über die Mittel, 
die Zähne zu ersetzen und den Fehlern in der Bildung der 
Gaumenwölbung abzuhelfen. 

Von den DDr. Bodo, Springer und Tänzer wurden 
eine Reihe Modelle demonstriert, an denen die Behandlung 
der Kieferanomalien gezeigt wurde. Besonders lehrreich und 
interessant war der folgende von Dr. Springer demon¬ 
strierte Fall: 

14 jähriger Knabe. Physiognomie wenig verändert. Nur 
in der Lippenregion etwas abgeflacht, in der Gegend der Eck¬ 
zähne etwas vorgebaucht. Inspektion der Zähne ergibt: 

Unterkiefer in distaler Okklusion von £ Molaren. In 
der Gegend der Prämolaren eingezogen. Eckzähne etwas vor¬ 
stehend. Schneidezähne dicht gedrängt innerhalb des normalen 


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XVI. internationaler medizinischer Kongress 1909 in Budapest. 306 


Bogens. Oberkiefer in der Gegend der Prämolaren einge¬ 
zogen. Eckzähne nach labial durchgebrochen. Schneidezähne 
palatinal gedrängt, teilweise um die Längsachse rotiert. Zwei 
laterale Schneidezähne und ein Prämolar einander fast be¬ 
rührend. 

Ursache: Wahrscheinlich frühzeitige Extraktion der 
Milcheckzähne. 

Aufgabe: Regulierung ohne Extraktion. 

1. Erweiterung der Kiefer in der Gegend der Prämolaren. 

2. Vordrängen und Geraderichten der Schneidezähne, 
Platz schaffen für die Eckzähne. 

,3. Vordrängen des ganzen Unterkiefers und gleichzeitiges 
Zurückdrängen des ganzen Oberkiefers. 

Therapie: Alle drei Aufgaben zugleich gelöst durch 
die Angleschen elastischen Bögen, Drahtligaturen und Gummi¬ 
keile. Oberkiefer Retraktionsbogen (Schweizer Regulierungs¬ 
apparate). Unterkiefer einfachen Expansionsbogen. Aufgabe 3 
gelöst durch Gummischnüre, die schief von der Gegend des 
ersten Molaren des Unterkiefers gegen die Eckzähne des Ober¬ 
kiefers aufsteigen (Bakers Intermaxillary anchorage). Innerhalb 
vier Monaten so weit, dass eine Fixierung des erhaltenen Zu¬ 
standes vorgenommen werden kann. 


I?L intsmationaler leteitiscte Koopis 1909 ln Budapest. 

Der XV. internationale medizinische Kongress in Lissabon 
hat Budapest, die Haupt- und Residenzstadt von Ungarn, zum 
Orte der nächsten Zusammenkunft gewählt 

Die Vorarbeiten des Kongresses sind im Gange. Seine 
kais. und königl. apost Majestät der König hat das Protektorat 
des Kongresses übernommen. Der Staat und die Hauptstadt 
haben zur Deckung der Auslagen je 100.000 K bewilligt. Die 
Komitees für Organisation, Exekution, Finanzierung und Em¬ 
pfang, sowie die Sektionen haben sich bereits konstituiert und 
haben die Statuten bestimmt. Die Zahl der Sektionen ist 21, 
da jedes Spezialfach eine eigene Sektion erhalten hat. 


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306 


79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aefzte. 


Der Tag der Eröffnung ist auf den 29. August 1909 
festgesetzt und die Sitzungen werden bis 4. September dauern. 
Voraussichtlich dürfte der Kongress sehr besucht sein; die 
bisherigen Kongresse wiesen eine Frequenz von 3000 bis 
8000 Teilnehmern auf. In Anbetracht der geographischen Lage 
von Budapest ist mindestens auf 4000 bis 5000 Teilnehmer 
zu rechnen. 

Die Leitung legt selbstverständlich auf die wissenschaft¬ 
liche Tätigkeit des Kongresses das grösste Gewicht und ist 
bestrebt, als Referenten die hervorragendsten Vertreter der 
medizinischen Wissenschaft zu gewinnen. 

Das erste Zirkular, das alles Wissenswerte, sowie die 
Statuten 'des Kongresses enthält, wird bereits im Laufe des 
Jahres 1907 versendet werden. Bis dahin gibt der Generalsekretär 
des Kongresses: XVI. internationaler medizinischer 
Kongress,Budapest(Ungarn), VIII. Esterhäzygasse7, 
den Interessenten bereitwilligst Auskunft. 


79. Ymaiilrai totaler Naturforscher int iente. 

Dresden, 15. bis 21. September 1907. 

Die allgemeinen Sitzungen der diesjährigen Tagung 
sollen Montag den 16. und Freitag den 20. September vor¬ 
mittags stattfinden; es sind dafür Vorträge von den Herren 
Professoren Dr. Hempel (Dresden), Dr. Hergesell (Strass¬ 
burg), Dr. Ho che (Freiburg i. B.), Dr. zur Strassen (Leipzig) 
in Aussicht genommen. Für Donnerstag den 19. September 
vormittags ist eine Gesamtsi tzung der beiden wissen¬ 
schaftlichen Hauptgruppen, für den Nachmittag des¬ 
selben Tages sind gemeinsame Sitzungen je der 
beiden Hauptgruppen geplant. 

Die Abteilungssitzungen sollen am 16. nachmittags 
und am 17. und 18. vormittags und nachmittags abgehalten 
werden. 


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79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 


307 


Die Abteilung für Zahnheilkunde ersucht, da den späteren 
Mitteilungen über die Versammlung, die im Juni zur Versendung 
gelangen, bereits ein vorläufiges Programm der Verhandlungen 
beigefugt werden soll, Vorträge und Demonstrationen 

— namentlich solche, die grössere Vorbereitungen erfordern 

— bis zum 25. Mai bei dem mitunterzeichneten ersten Ein¬ 
führenden, Hofzahnarzt Dr. med. C. Rös e, Dresden-A., Waisen¬ 
hausstrasse 9, anmelden zu wollen. Vorträge, die erst später, 
insbesondere erst kurz vor oder während der Versammlung 
angemeldet werden, können nur dann noch auf die Tages¬ 
ordnung kommen, wenn hiefür nach Erledigung der früheren 
Anmeldungen Zeit bleibt; eine Gewähr hiefür kann daher nicht 
übernommen werden. 

Die allgemeine Gruppierung der Verhandlungen soll so 
stattfinden, dass Zusammengehöriges tunlichst in derselben 
Sitzung zur Besprechung gelangt; im übrigen ist für die Reihen¬ 
folge der Vorträge die Zeit ihrer Anmeldung massgebend. 

Ganz besonders erwünscht wären Vorträge über Gegen¬ 
stände, welche sich zur Besprechung in kombinierten Sitzungen 
zweier oder mehrerer verwandter Abteilungen eignen, da es 
dem universellen Charakter der Gesellschaft Deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte, in welcher im Gegensatz zu den zahl¬ 
reichen alljährlich stattfindenden Spezialkongressen sämtliche 
Zweige der Naturwissenschaften und Medizin vertreten sind, 
entspricht, dass gerade solche, mehrere Abteilungen inter¬ 
essierende Fragen zur Verhandlung gelangen. 

Die Einführenden: Die Schriftführer: 

Zahnarzt Hans Falck. 

Hofzahnarzt Hofrat Wiih. Pfaff. 

Hofzahnarzt Dr. med. C. R5se. 


Zahnarzt Dr. E. Kunstmann. 
Zahnarzt Walther Polscher. 


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308 


Schweizerische Odontologische Gesellschaft. 


XXII. Jilnumanlni der Scimmiscta OdoitolepickD 

Gesellscbafl. 

Luzern, 25., 26. und 27. Mai 1907. 

Programm: 

Samstag den 25. Mai. 4 Uhr nachmittags: Geschäft¬ 
liche Sitzung. — 8'/, Uhr abends: Im Restaurant Flora 
beim Bahnhof: Gesellige Vereinigung. 

Sonntag den 26. Mai, 8'/* Uhr morgens: Im Kursaal: 
Vorträge und Demonstrationen. — 1 Uhr: Bankett im Palace 
Hotel. — 4 Uhr: Dampferpartie. — Abends von 7 Uhr an: 
Rendezvous zum Abendessen im Stadthofgarten. — 9 1 /* Uhr: 
Im Kursaal: Variete-Vorstellung. 

Montag den 27. Mai, 8'/, Uhr morgens: Im Kursaal: 
Vorträge und Demonstrationen. — 1 Uhr mittags: Abschieds¬ 
bankett im Hotel Victoria beim Bahnhof. 

Angemeldete Vorträge und Demonstrationen 

(uacb der Reihenfolge ihrer Anmeldung): 

1. Prof. Dr. Redard (Genf): a) Hutchinsonsche Zähne; 
b) Thema Vorbehalten. 

2. Wilh. Thier sch, D.D.S. (Genf): a) Wie wir Molaren 
und Prämolaren mit Goldeinlagen füllen (Vortrag); b) Technik 
für Goldeinlagen in Molaren und Prämolaren (Demonstration). 

3. Prof. Machwuerth, D.D.S. (Zürich): Behandlung 
der Pulpagangrän a) vermittels Elektrosterilisation, b) vermittels 
Trikresol-Formalin. 

4. Prof. Dr. Stoppany (Zürich): Zur Odontologie der 
lateralen Lippen-Kieferspalte. 

5. Prof. Dr. Römer (Strassburg): Die pathalogisch-ana- 
tomischen Befunde bei den verschiedenen Formen der Pulpitis 
(Projektionsvortrag). 

6. P. Guye, D.D.S. (Genf): Thema Vorbehalten. 

7. Dr. A. Senn (Zürich): Die Grundlage der konser¬ 
vierenden zahnärztlichen Behandlung. 


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Schweizerische Odontologische Gesellschaft. 


809 


Diskussions -Themata: 

1. Weitere Erfahrungen mit Silikatzementen (Referent: 
Prof. Gysi, D.D. S.). 

2. Behandlung der akuten Periodontitis. 

3. Die Verwendung von Zähnen mit lebender Pulpa 
zu Kronenträgern. 

4. Erfahrungen mit Formamint. 

5. „ „ Sahirpräparaten. 

6. Die Wurzelspitzenresektion. 

7. Die Biersche Methode. 

Zeitdauer für Vorträge 30 Minuten, für Diskussions¬ 
bemerkungen 10 Minuten. 

Die Manuskripte sind dem Protokollführer zur Veröffent¬ 
lichung im Vereinsorgan zu übergeben, desgleichen die Dis¬ 
kussionsbemerkungen. 

Preis der Festkarte: Fr. 15.—. 

Die Festkarte wird nur an Zahnärzte und Aerzte abgegeben 
und mit ihr zugleich ein Festzeichen, dessen Tragen obli¬ 
gatorisch ist. 

Im Namen des Vorstandes: 

Die Aktuare: Der Präsident: 

Bug. Müller. A. Senn, 

E. Grosheintz. Zttrich ’ Bahnhofstr - 12 - 

Als Hotels sind empfohlen: I. Ranges: Palace, Du Lac, 
Victoria, Waldstätterhof, Bristol. — II. Ranges: Engel, Rössli, 
Rütli. 


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310 


I. französischer Kongress fttr Stomatologie. 


I. Mute KsitreR fär Stonatolep. 

Paris, 1. bis 5. August 1907. 

Das Organisation - Komitee hat uns das nachfolgende 
Zirkular zur Veröffentlichung eingeschickt: 

P. T. 

Die „Sociöte de Stomatologie“, die den 20. Jahrestag 
ihrer Begründung festlich begehen will, hat die Einberufung 
eines Kongresses für Stomatölogie beschlossen, der vom 1. bis 
5. August 1907 in Paris tagen soll. 

Dieser Kongress wird die längst gewünschte Weihe der 
beruflichen Ideen und wissenschaftlichen Grundsätze sein, für 
welche unsere Gesellschaft seit ihrer Entstehung eingetreten 
ist. Er wird streben darzutun, dass die Stomatologie ein Zweig 
der Heilkunde, d. h. ein medizinisches und chirurgisches Spezial¬ 
fach ist unter den anderen (Ophthalmologie, Laryngologie etc.\ 
welches von den Ausübenden umfassende medizinische Kennt¬ 
nisse und die Gesamtheit wissenschaftlicher Studien verlangt, 
die in allen Ländern in dem Titel eines Doktors der 
Medizin beschlossen und bestätigt erscheint 

Die Krankheiten der Zähne, des Zahnsystems, die Krank¬ 
heiten des Mundes stehen in engem Zusammenhang mit allen 
übrigen Krankheiten und mit dem Allgemeinzustande des 
Organismus und eine genaue Kenntnis dieser Zusammenhänge 
ist unerlässlich für die, welche in der zahnärztlichen Kunst 
oder vielmehr in der Stomatologie und all dem, was sie begreift, 
sich betätigen sollen. 

Die technische Unterweisung im eigentlichen Sinne, die 
auf allen Spezialgebieten und ganz besonders auf dem unsrigen 
den Meister in der Praxis macht muss im vollen Umfange 
durch rationellen Unterricht gesichert sein. Die Stomatologie 
ist die Summe aller jener technischen und wissenschaftlichen 
Kenntnisse und der Stomatologe wendet sie in der Behandlung 
der Zähne und des Mundes an. 


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I. französischer Kongress für Stomatologie. 


311 


Diese gleichzeitig wissenschaftliche und praktische Auf¬ 
fassung unserer Kunst, die so offenkundig auf das allgemeine 
Wohl abzielt, ist nicht den französischen Stomatologen allein 
zu eigen. Sie ist gleichermassen die Auffassung einer grossen 
Anzahl von Stomatologen des Auslandes, deren Arbeiten, deren 
Veröffentlichungen und wissenschaftliche Vereinigungen uns 
längst schon mit ihrem hohen Grad medizinischer Ausbildung 
und ihren für den Beruf gestellten Forderungen bekannt ge¬ 
macht haben. 

Unser I. französischer Kongress für Stomatologie rechnet 
es sich zur Ehre, Sie zu seinen Sitzungen einzuladen. Denn 
nur durch Ihre Mitwirkung und die aller unserer Mitbrüder in 
den anderen Ländern wird er seine wahre Bedeutung und 
seinen Vollwert erlangen. Ihre Anwesenheit wird unseren Be¬ 
strebungen einen allgemeinen Charakter verleihen; das Band 
des ärztlichen Berufes, der uns alle vereint in einer gemein¬ 
samen Sympathie, wird Einigkeit und den Erfolg unseres Werkes 
sichern, welches wissenschaftlich, sittlich und sozial zugleich ist. 

Das Organisations-Komitee: 

Ehrenpräsidenten: Gallppe and Redler. 

Präsident: Cruet. Vize-Präsidenten : Claude-Martin and J. Ferrler. 

Generalsekretär: Chompret. Sekretäre: Böliard and Bozo. 

Schatzmeister: Gires. 

Mitglieder: Amoödo, Bachelier, Baeque, Böal, Beltrami, Besson, Bouvet, 
Bouyer, Bugnot, Capdepont, Caumartin, Chemln, Courehet, I. Daven- 
port, Dunogler, Farä, Fleury, Frey, Gaillard, Grapjon, Hügensehmldt» 
Maing uy, Marals, Maurel, Montäs, Noguö, Nux, Nuyts, Pietklewlez, 
Pitseh, Queudot, P. Robin, Rodler, Rosenthal, Siffre, J. Tellier, 
Thäsöe, Thomas, Tourtelot. 


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312 


Preisausschreiben. 


PräsamMta. 

Die „Rotterdamsche Tandheelkundige Vereeniging“ setzt 
einen Preis von Dreihundert Gulden (Fünfhundert Mark) 
aus, für die Erfindung eines 

Gnatho-Dynamometers (Biss-Kraftmessers) 

welcher sich für den Gebrauch in der zahnärztlichen Praxis eignet. 

Das Instrument soll einen Druck bis zu 200 Kg. anzeigen, 
die Messungen sollen bei den ersten 20 Kg. bis auf 1 Kg. genau 
sein, darüber hinaus soll die eventuelle Abweichung möglichst 
nicht mehr als 2 Kg. betragen. Die Kaukontaktstellen sollen 
zwischen einen Abstand von 1 Cm. eingeführt werden können. 

Obwohl das Instrument nur den Druck in einer Richtung 
zu messen hat, soll es auch bei einer mässigen seitlichen Ver¬ 
schiebung funktionieren. Bei den Frontzähnen soll nur der 
Druck bei Zusammenschluss der Schneidekanten, nicht beim 
Ueberbiss gemessen werden können. Das Instrument soll mög¬ 
lichst einfach, stark und, soweit es mit dem Mund in Berührung 
kommt, sterilisierbar sein. Die Kauplatten dürfen die Zähne 
nicht beschädigen. Bei einer Nachprüfung muss der Messer read- 
justiert werden können. 

Das Resultat wird allen Bewerbern mitgeteilt. Alle In¬ 
strumente werden den Eigentümern zurückgesandt. 

Die Preiszuerkennung findet im Jänner 1909 in der jähr¬ 
lichen Hauptversammlung der „RotterdamscheTandheelkundige 
Vereeniging“ statt. 

Die Preisbewerber werden ersucht, ein Exemplar unter 
Motto bis zum 1. Oktober 1908 franko an die „Rotterdamsche 
Tandheelkundige Vereeniging“, 115 Aert van Nesstraat, Rotter¬ 
dam, einzusenden, begleitet von einer kurzen Beschreibung des 
Apparates. Ausserdem ein versiegeltes Kuvert mit demselben 
Motto, worin sich Name und Wohnort des Erfinders an¬ 
gegeben findet. 

Die Jury besteht aus den Zahnärzten C. H. Witthaus, 
D. D. S., Rotterdam, B. Frank, A. A. H. Ham er, D. D. S., 


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Referate and Jonrnalschau. 


313 


I. J. E. de Vries, Amsterdam, und einem technischen Sach¬ 
verständigen. 

Die Entscheidung findet im Laufe des Monats Dezember 
1908 statt. 

Zahnärztliche und technische Zeitschriften werden ersucht, 
diese Mitteilung zu übernehmen. 

M. Soebree-Moens 

Sekretär. 


Referate und Journalsehau. 


Die Augen der Zahnärzte. Von C. A. Wood, Professor der 
Augenheilkunde an der Northwestern University. (Dental Review, 
1906, 12.) 

Die Beschäftigung des Zahnarztes bringt es mit sich, dass 
er bereits in seiner frühesten Studienzeit gezwungen ist, Nah¬ 
arbeit zu verrichten, also fortwährend stark zu akkomodieren. 
Junge Leute, welche von Kindheit an hypermetrope oder 
astigmatische Augen haben, sollten den zahnärztlichen Beruf 
nicht wählen, da sie infolge der übermässigen Anstrengung 
beim Akkomodieren bald an Kopfschmerzen, Augenschmerzen 
und Entzündungserscheinungen leiden würden. Eine wichtige 
Rolle spielt die Beleuchtung des Operationsfeldes. Das diffuse 
Tageslicht (nicht direktes Sonnenlicht) eignet sich für unsere 
Zwecke am besten. Muss man künstliches Licht anwenden, so 
wähle man, wenn möglich, gedämpftes Gaslicht; in zweiter 
Linie genügt auch elektrisches Licht. Die Lichtquelle ist derart 
anzubringen, dass das Auge des Operateurs weder direkt noch 
durch Reflexion von den Strahlen getroffen wird. Verfasser 
hatte oft Gelegenheit, zu beobachten, dass ein zu starkes 
Licht gleichzeitig den Mund des Patienten und die Augen des 
Zahnarztes beleuchtete und konnte in einem Falle bei einem 
vierzigjährigen Arzte eine Erkrankung der Regenbogen- und 
Netzhaut lediglich auf diese Ursache zurückführen. Von grosser 
Bedeutung ist ferner die richtige und rechtzeitige Wahl 


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314 


Referate and Jouraalschau. 


des Korrektionsglases. Gewöhnlich wird der Fehler begangen, 
dass der Zahnarzt erst dann zur Brille greift, wenn sich bereits 
Störungen seines Sehapparates zeigen. Je früher das Glas für 
die Naharbeit verwendet wird, desto mehr wird der Akkomo¬ 
dationsapparat und damit das ganze Auge geschont. Dies gilt 
besonders von schwach hypermetropen und astigmatischen 
Augen. Wenn jemand findet, dass er auf 10 Zoll Distanz nicht 
imstande ist, mit jedem Auge gesondert Diamantdruck zu lesen, 
sollte er sofort zur Brille greifen. Bei der angestrengten Arbeit, 
welche das Auge des Zahnarztes den grössten Teil des Jahres 
zu leisten hat, muss es auch Zeit und Gelegenheit zur Erholung 
finden. Man vermeide es, in der Bahn oder im Wagen, sowie 
im Bette liegend zu lesen, man mache häufig Ausflüge ins 
Freie, um dem Auge die Möglichkeit zu bieten, in die Feme 
zu blicken und den Akkomodationsapparat zu entlasten. 

Dr. R. Kronfeld. 


Sollen gesunde Zähne, welche als Brückenpfeiler dienen, 
devitalisiert werden? Von G. Robin, Paris. (L’Odontologie, 
XXXV, 7.) 

Hat der Zahnarzt das Hecht, gesunde Zähne zu devitali- 
sieren? Diese Frage ist bei Brückenarbeiten oft von grösster 
Bedeutung. Die Gegner der Devitalisierung führen folgende 
Gründe ins Feld: Die Abtötung der Pulpa ist unnötig und 
verursacht überflüssige Arbeit; die lebende Pulpa sichert die 
Stärke und die Lebensfähigkeit des Zahnes; die Devitali¬ 
sierung bietet oft unvorhergesehene Komplikationen, teils durch 
die Schwierigkeit, die devitalisierten Wurzelpulpen vollständig 
zu entfernen, teils durch die Unmöglichkeit, die Wurzelkanäle 
vollständig auszufüllen. Dem gegenüber behaupten die Anhänger 
des Devitalisierungsverfahrens folgendes: Ohne Devitalisierung 
ist es nahezu unmöglich, die natürliche Zahnkrone exakt und 
soweit abzuschleifen, wie es für die Brückenarbeit erforderlich 
erscheint; die Devitalisierung schützt ferner den Zahn vor 
späteren Erkrankungen, wie Temperaturempfindlicbkeit, Den- 
tikelbildung, Pulpitis, Pulpagangrän und Wurzelabszessen. 


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Referate und Jonmalschau. 


315 


Robin hebt als besonders wichtig für die Beantwortung dieser 
Frage vier Gesichtspunkte hervor. 

1. Jeder Zahn, der als Brückenpfeiler dienen soll, muss 
auf das sorgfältigste und genaueste zugeschliffen werden. Der 
Emailüberzug muss überall, auch unter dem Zahnfleischrande, 
entfernt werden, von der Höhe der Zahnkrone muss soviel 
abgetragen werden, dass für eine, respektive bei abnehmbaren 
Brücken für zwei übereinandergestülpte Goldkappen genügend 
Platz frei wird. Dieses Abschleifen ist immer äusserst schmerz¬ 
haft, so dass der Operateur, durch die Klagen des Patienten 
irritiert, um möglichst schonend vorzugehen, manches Detail 
übersieht und sich mit einem Ungefähr begnügt, welches für 
die Dauerhaftigkeit der Brücke gewöhnlich zum Verhängnis 
wird. Ist dagegen der Zahn devitalisiert, so wird das Ab¬ 
schleifen zu einer schmerzlosen Operation. 

2. In welchem Zustande befindet sich ein lebender, ent¬ 
sprechend zugeschliffener Zahn unter einer Brücke? Nachdem 
er durch das Abschleifen bereits in hohem Grade irritiert 
wurde, ist er nunmehr der bekannten schädlichen Wirkung 
des Zementes ausgesetzt. Er lebt wohl, aber unter welchen 
Verhältnissen! Die Pulpa erträgt diese um so schwerer, je 
mehr von der Zahnkrone abgeschliffen wurde, respektive je 
dünner der sie umgebende Dentinmantel ist. 

3. Jede Nerv- und Wurzelbehandlung birgt gewisse Ge¬ 
fahren in sich. Doch sind dieselben mit unseren heutigen 
Hilfsmitteln keineswegs zu fürchten. Wir können unter strengen 
Kautelen der Asepsis die Pulpa eröffnen und entfernen, ohne 
irgendwelche Infektion befürchten zu müssen. Da wir bei durch 
Karies eröffneten und bereits infizierten Pulpen heutzutage dank 
der Antisepsis mit 95 Prozent Erfolg arbeiten, so können wir 
wohl mit Recht auf ein noch günstigeres Resultat hoffen, wenn 
wir von vomeherein aseptisch operieren. Man darf ferner nicht 
übersehen, dass die Pulpa mit zunehmendem Alter ihre wichtige 
Funktion als Ernährungsorgan des Zahnes immer mehr verliert. 
In gleichem Masse verengern sich die Wurzelkanäle, so dass 
wir bei älteren Personen nicht selten Pulpakammer und Wurzel¬ 
kanäle vollständig verkalkt finden. Es ist also auch aus diesem 


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316 


Referate and Jonraalsehau. 


Grunde wenigstens bei Steren Personen gegen die Devitali¬ 
sierung nichts einzuwenden. 

4, Der devitalisierte Zahn besitzt aus anatomischen 
Gründen keineswegs die Lebensfähigkeit wie der lebende. 
Anderseits weiss man aber, dass mitunter (bei gewissen Fällen 
von Alveolarpyorrhoe) gerade durch die Entfernung der Pulpa 
die Erhaltung des Zahnes möglich wird. Man sieht, dass 
theoretische Erwägungen nicht am Platze sind, wo wir uns 
alltäglich überzeugen, dass tote Zähne dieselben Dienste leisten 
wie lebende. 

Robin stellt schliesslich folgende Sätze auf: 

1. Bei abnehmbaren Brücken müssen die Pfeiler de- 
vitalisiert werden. Hier ist kein Zweifel möglich, wenn man 
an die hochgradige Verstümmelung denkt, welcher jene unter¬ 
zogen werden müssen. 

2. Bei fixen Brücken haben wir uns zu fragen, ob der 
Patient die schmerzhafte Prozedur des minutiösen Abschleifens 
ertragen kann oder nicht; danach richtet sich die Entscheidung, 
ob die Pulpa erhalten oder entfernt wird. Diese Frage lässt sich 
nur von Fall zu Fall entscheiden. Verfasser hat sich wieder¬ 
holt überzeugt, dass die Amerikaner im Ertragen von Schmerzen 
weit standhafter sind als die romanische Rasse — für letztere 
also wieder ein Argument zugunsten der Devitalisation. 

Dr. R. Krmfeld. 


GoldfQllungen m Kinderzähnen. Von R. Ottdengui, New- 
York. (The Dental Review, XX, 5.) 

„Die Zähne der Kinder müssen mit Gold gefüllt werden. 
Diesen Satz sollte sich jeder Zahnarzt, welcher seinen Beruf, 
seine Arbeit und die Kinder liebt, mit goldenen Lettern in 
sein Herz eingraben, dieses Gesetz sollte er als Leitmotiv an 
seinem Operationsstuhl anbringen, damit er es stets vor Augen 
habe.“ Mit diesen Worten leitet Ottolengui seinen Vortrag 
ein und begründet seine immerhin nicht gewöhnliche An¬ 
schauung in eingehenderWeise. Das wichtigste Gegenargument, 
dass die Eltern die grossen Auslagen scheuen, fällt weg, wenn 
man ihnen begreiflich macht, dass eine Goldfüllung, welche 


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Referate and Journ&lschan. 


317 


für Lebenszeit hält, billiger ist, als das oftmalige Füllen des¬ 
selben Zahnes mit plastischem Material. Freilich muss man 
seiner Goldfüllung sicher sein, und Ottolenguis 25jährige 
Erfahrung auf diesem Gebiete spricht dafür, dass er mit seiner 
Methode tatsächlich Dauerresultate erzielt. Erkrankung oder 
Verlust der Pulpa nach sekundärer Karies kommt bei den 
von ihm mit Gold gefüllten Kinderzähnen fast niemals vor 
und wenn es einmal vorkommt, so rührt dieser Misserfolg von 
fehlerhafter Arbeit her und beweist nichts gegen die Methode 
als solche. Auch ist das Goldfüllen bei Kinderzähnen durchaus 
nicht besonders schmerzhaft, wenn man den Zahn sofort beim 
ersten Auftreten von Karies füllt. Sollte in diesem Stadium die 
Zahnkrone noch so wenig durchgebrochen sein, dass das 
Kofferdamanlegen unmöglich oder zu schmerzhaft wäre, so 
wird der Zahn zunächst provisorisch mit Guttapercha gefüllt. 
Die Fissuren werden möglichst weit im Gesunden ausgeschnitten, 
die kariösen Stellen erst zum Schlüsse mit einem grösseren 
Rundbohrer entfernt. So lange man im Gesunden arbeitet, 
spürt das Kind gar nichts und das schliessliche Entfernen der 
kariösen Partien ist zwar etwas schmerzhaft, aber so rasch 
vorüber, dass die Kinder darüber erstaunt und gleichzeitig 
erfreut sind, die gefürchtete Maschine los zu werden. Verfasser 
baut das Gold über die Kavitätenränder hinaus auf, so weit 
es der Biss gestattet, um die spröden Emaiiränder vor Ab- 
splittem und den Zahn vor sekundärer Karies zu schützen. 
Zum Schlüsse gibt Verfasser noch der Ueberzeugung Ausdruck, 
dass nur ein Kinderfreund imstande ist, Kinderzähne richtig 
zu behandeln; ein solcher wird gewiss der Goldfüllung den 
Vorzug geben, da gerade die Kinderzähne eine Füllung er¬ 
fordern, welche sie für eine möglichst lange Periode konser¬ 
viert, eine längere, als dies bei den Zähnen Erwachsener 
nötig ist. Dr. R. Kronfeld. 


Ligaturen in der Orthodontie. Von W. J. Brady. (West. 
Dent. Journ., XX, 5.) 

Wie viele andere Dinge in der Zahnheilkunde, leisten 
Ligaturen, wenn richtig angewendet, wertvolle Dienste, während 

12 


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BIS 


Referate un4 Joumalschatt. 


sie bei falscher Anwendung Schaden und Schmerzen ver¬ 
ursachen. Das beste Material ist der von Angle empfohlene 
ausgeglühte (weiche) Messingdraht. Silber, Gold und Platin sind 
zu weich, Kupfer verfärbt die Zähne in hässlicher Weise, Eisen 
und Stahl ebenfalls. Neusilber und andere Nickellegierungen 
sind nicht genug geschmeidig. Der Draht soll, mit dem Mikro¬ 
meter gemessen, immer die gleiche Stärke haben uüd in Stücken 
von 12 Zoll Länge vorrätig gehalten werden. Nach Befestigung 
des Expansionsbogens wird der Draht zwischen den Zähnen 
durchgeführt, wobei zu beachten ist, dass er ätets an der 
distalen Seite des zu bewegenden Zahnes am Zahnhalse liegen 
soll, weil die distale Seite des Zahnes die stärkere Wölbung 
besitzt und diese den Draht am Abrutschen verhindert. Die 
beiden langen Enden werden mit den Fingern gehalten, fest 
angezogen. Erst wenn der Zähn möglichst stark gegen den 
Expansionsbogen gepresst wurde, dürfen die Drahtenden um¬ 
einander gedreht werden. Es gelingt dies leichter mit den 
blossen Händen als mit der Zange, weil diese den Draht oft 
durchreisst oder bricht. Der zusammengedrehte Draht wird 
in zirka '/„ Zoll Länge abgeschnitten und entlang dem Ex¬ 
pansionsbogen niedergebogen, wozu man sich am besten eines 
breiten Fussstopfers bedient So lässt sich jede Verletzung der 
Wangen- und Lippenschleimhaut vermeiden. Beim Durchführen 
des Drahtes zwischen den Zähnen achte man darauf, die Inter¬ 
dentalpapille nicht zu verletzen und schiebe das etwas um¬ 
gebogene Drahtende knapp am Zahnhalse zwischen diesem 
und der Papille durch. Zeigt die Ligatur Neigung abzurutschen, 
so muss der Zahn umbändert werden. An das Band wird eine 
kurze Röhre horizontal angelötet. Diese zieht Brady allen 
Oesen, Knöpfen, Haken, Sporen und Kerben vor. ln einer 
Reihe von Abbildungen zeigt er die Anwendungsmöglichkeiten 
der Drahtligatur zum Vorziehen, Drehen und Fixieren schief¬ 
stehender Zähne. Es ist unnötig, in jeder Sitzung die Ligaturen 
zu entfernen. Hat der Zahn nachgegeben, so wird er mit 
Danmen und Zeigefinger neuerdings an den Expansionsbogen 
gepresst, die Drahtenden werden mit der Zange fest zugedreht 
und in dem Masse, wie der Zahn vorrückte, kürzer abgeschnitten. 


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Referate und Journakchau. 


819 


. In Fällen, welche besonders starke Zugkräfte erfordert, 
kehrt Brady zu der .früher allgemein üblichen Gummiligatur 
zurück, welche er, wegen Gefahr des Abrutschens, nie ohne 
Metallband an dem Zahne befestigt. Auch ;hiefür bieten einige 
Bild» beachtenswerte praktische Winke. 

Dr. B. Krorifeld. . 


Die Behandlung des empfindlichen Zahnbeins mit besonderer 
Berücksichtigung des Druckverfahrens. Von W. D, Müler. 

(Deutsche Monatsschrift tür Zahnheilkunde,. 1906, 12.) , > 

Wir haben Zwar in der Injektion von Kokain öder Novo¬ 
kain. in Verbindung mit einem der Nebennieren-Präparate ein 
Mittel, um jede Zahnbehandlung Schmerzlos auszuführen. Doch 
ist die Injektion selbst nicht schmerzlos, das weitere Verhalten 
der Zahnpulpa nach der Injektion noch nicht sicbergeslellt und 
die zu injizierende Substanz für den Organismus gewiss nicht 
indifferent. Es ist daher gerechtfertigt, wenn man neuerdings 
nach Methoden sücht, um die Empfindlichkeit des Zahnbeines 
herabzusetzen. Ausser der Anwendung schärfster Instrumente 
und gründlicher Austrocknung des Zahnbeines hatte Miller 
die besten Erfolge mit einem Gemische von gleichen Teilen 
Chloroform und Zinkchlorid in Substanz, welchem noch Kokain 
zugesetzt wird. Gegen die Empfindlichkeit am Zahnhalse ver¬ 
wendet er. Argentum nitricum in Substanz und überzieht die 
behandelte Partie mit einer Schichte Fletchers Arlificial-Dentin, 
welche einige Stunden liegen bleibt und ein möglichst weites 
Eindringen des Mittels in das Zahnbein gestattet. Die Wirkung 
jeder chemischen Substanz auf das Zahnbein hängt von der 
Tiefe ab, bis zu welcher die Substanz vordringt. Darauf beruht 
das seit etwa drei Jahren bekannte Druckverfahren. Mit einer 
Hochdruckspritze wird eine anästhesierende Lösung durch das 
Zahnbein gepresst. Miller konnte an frisch gezogenen Zähnen 
experimentell feststellen, dass es in der Tat möglich ist, mit 
der Jewett-Wilcox-Spritze Farbstofflösungen durch die ganze 
Dicke des Zahnbeines durchzupressen und die Pulpa dadurch 
zu färben. Es genügt dazu schon ein Druck von weniger als 
5Atm. Er konnte mit Weglassung der Spritze dasselbe erreichen, 

12 * 


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820 


Referate and Joumalschaa. 


indem er ein Stück Gummiröhre über die Krone des Zahnes 
zog, dasselbe am Zahnhalse unterband, einige Tropfen einer 
Farbstofflösung in die Röhre einführte und, das offene Ende 
zuhaltend, einen leichten Druck mit den Fingern ausübte. Es 
ist daher unnötig, diese Hochdruckspritze zu verwenden, welche 
bei einem Druck von 3000 (!) Pfund pro Quadratzoll gewiss 
die Pulpa schädigen muss. In vielen Fällen erreicht Miller 
die Anästhesierung des Zahnbeines in folgender einfacher und 
unschädlicher Weise: Nachdem wir die Höhle, soweit es 
ohne Schmerzen möglich ist, exkaviert haben, nehmen wir 
einen Abdruck derselben mit Stentsmasse, führen ein mit 5 bis 
10 prozentiger Kokainlösung getränktes Wattebäuschchen in die 
Höhle, dann legen wir ein Stückchen Kofferdam auf die Höhle 
und drücken den inzwischen hart gewordenen Stentsabdruck 
wieder fest darauf. Wir erzielen dadurch einen Verschluss der 
Höhlenränder, so dass die Flüssigkeit nicht leicht entweichen 
kann; mit dem Finger können wir genügend Druck an¬ 
wenden, um die Lösung in das Zahnbein hineinzutreiben. Das 
Einpressen von Lösungen wird wesentlich erschwert in allen 
Fällen, wo sich sekundäres Dentin gebildet hat, desgleichen 
bei dicken Lagen von knorpelartig erweichtem, schmierigem 
oder fettigem Zahnbein. In solchen Fällen muss man durch 
vorherige Behandlung mit absolutem Alkohol oder Chloroform 
zunächst das Fett entfernen. Dr. R. Kronfdd. 


lieber das Verhalten des Speichels gegenüber Bakterien. 

Von Dr. P. Clairmont , Wien, Klinik Eiseisberg. (Wiener klinische 
Wochenschrift, XIX, 47.) 

Den Chirurgen ist es bekannt, dass Wunden in der 
Mundhöhle eine gute Heilungsfähigkeit besitzen. Sie heilen in 
der Regel per primam und selbst bei den offenen Unterkiefer¬ 
frakturen kommt es selten zu Infektionen. Dies ist um so auf¬ 
fallender, als gerade die Mundhöhle sich durch Bakterien¬ 
reichtum auszeichnet. Man erklärt sich die Erscheinung ver¬ 
suchsweise damit, dass die Mikroorganismen der Mundhöhle 
in Schach gehalten werden durch Momente, welche ihrer Ver¬ 
mehrung und Virulenz entgegenwirken, wie man ja auch in 


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Referate und Journalschau.. 


321 


anderen Organen natürliche Schutzkräfte vermutet. Ueber die 
Einwirkung des Speichels auf Bakterien bestehen bisher keine 
einheitlichen Anschauungen. Nur zwei Tatsachen können als 
erwiesen abgesehen werden: .die Abschwächung der Pneumonie¬ 
kokken im Speichel. und die Zerstörung von Toxinen durch 
Verdauungsfermente. Verfasser untersucht zur Klärung, dieser 
Fragen den Speichel von Hunden, Katzen, Kaninchen, Ziegen, 
Affen und Menschen und findet, dass der Gesamtspeichel von 
Tieren und Menschen für gewisse Bakterien, besonders für 
Staphylokokken ein schlechter Nährboden ist, in welchem 
spärliche Keime nicht fortkommen und reichliche Mengen sich 
in ihrem Wachstum frühzeitig erschöpfen. Zu diesen schlechten 
Existenzbedingungen, welche die Bakterien in der Mund¬ 
höhle finden, kommt noch ihre mechanische : Weg¬ 
schwemm ung durch den Speichel. Von einer direkt 
bakteriziden Wirkung des Speichels kann dagegen nicht ge¬ 
sprochen werden. Am stärksten erweist sich der Einfluss des 
ParotissekrCtes, am schwächsten jener des Gl. submaxillaris. 
Wird dem Speichel Bouillon zugesetzt, so werden die Existenz¬ 
bedingungen für Bakterien gute, so dass sie in ihrem Wachs¬ 
tum nicht-mehr durch den Speiehel gehemmt werden können; 
Abwesenheit derartiger guter Nährböden und künstliche Speichel¬ 
vermehrung hingegen 1 vermögen die Mundhöhle nahezu steril 
zu machen. Daraus ergibt sich für die Praxis, dass man durch 
Anregung der Speichelsekretion (Injektion von Pilokarpin oder 
Reizung der sekretorischen Nervenfasern) und Fernhaltung guter 
Nährmedien den Selbstschutz in der Mundhöhle steigern kann. 

Dr. B. Krönfeld. 


Anästhesie durch destilliertes Wasser. (Revue Odontolo- 
gique, 1906, II.) 

Das destillierte Wasser vermag, wenn es nach Art von 
Kokainlösungen injiziert wird, lokale Anästhesie zu erzeugen. 
Die Vorzüge dieser Methode liegen in ihrer Einfachheit, in der 
Vermeidung aller Intoxikationserscheinungen, in der Unschäd¬ 
lichkeit in bezug auf Herz, Lungen und Nieren und im Aus¬ 
fälle des postoperativen Schmerzes. Stevens berichtet über 


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Referate und Joornalachatu 


51 Fälle, und zwar eine Probelaparotomie, 39 Operationen 
voti Hämorrhoiden, 5 Analfisteln, 3 Atherome und 3 Varicen. 
Bei der Laparotomie war das Zerren am Mesenterium schmerz¬ 
haft, so dass er gezwungen war, die Operation in Aether- 
narkose zui beenden. Offenbar wirkte das injizierte Wasser 
-durch Druck mechanisch auf die Nervenendigungen. > 

, . " ' Dri B. Srbnfeld. 

Ein Todesfall in Aethylohloridnarkose. {Lancet, Nr. 4305, 
ref. nach „Korrespondenz-Blatt für Schweizer Aerzte“; XXXV J,9.) 

: Das bisher nur als Lokalanästhetikum verwendete, leicht 

verdampfende Präparat.wird in.Amerika und England bei zahn¬ 
ärztlichen Operationen häufig sur allgemeinen Anästhesie ver¬ 
wendet, ja es' wurde auch bei Amputationen, Herniotomien 
u. dgl zur Narkose benülzL Es existiert bereit? eine umfangreiche 
englische Literatur über die Vorteile und Gefahren dieses Mittete. 
Vor kurzem ereignete sich wieder ein Todesfall bei einem Zahn¬ 
arzt, der als Emfübper und Lehrer der Aetbylchloridnarkose 
über die grösste Erfahrung darüber verfügte. Ein 67jähriger 
Geistlicher, dem vier Zähne extrahiert werden sollten, erhielt 
die übliche Dosis von 5 Ccm. Bei der Extraktion des vierten 
Zahnes wurde er plötzlich blass und starb sofort darauf. Alle 
Wiederbelebungsmassregeln blieben erfolglos. Dies ist der neunte 
Fall von tödlicher Aetbylchloridnarkose, über den in der 
Literatur berichtet wird. , Dr. R. Kronjdd. 


Uober die Zähne der Soldateil. Von A. W. Grigori. 
(Russische medizinische Rundschau, IV, 2.) 

Verfasser untersuchte die Zähne bei 1500 Soldaten eines 
Regimentes und verglich seine Ergebnisse mit denen anderer 
Autoren. Fast in der Hälfte aller Fälle von Karies waren die 
ersten Molaren erkrankt. Die Molarzähne werden von der 
Karies fast fünfmal häufiger affiziert, als alle übrigen Zähne. 
Dabei erkranken die unteren Molaren 1*6 mal häufiger, als die 
oberen. Ebenso erkrankt der erste Molar zweimal häufiger, als 
der zweite, letzterer zweimal häufiger, als der dritte Molar. Die 
Tabelle wies ebenfalls nach, dass die Schneide- und Eckzähhe 


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Referate und Journalschau, 


323 


und die ersten Bicüspidaten des Oberkiefers viermal häufiger 
an Karies erkranken, als die des Unterkiefers. Die zweiten 
Bicüspidaten des Ober« und Unterkiefers erkranken an Karies 
gleich häufig. Im allgemeinen fand Autor unter den 1500 Sol¬ 
daten, die er untersucht hatte, bei 1065 kariöse Zähne. Diese 
Zahl Ist ziemlich hoch und übersteigt weit die von den anderen 
russischen Aerzten angegebenen Ziffern. 

Die besten Zähne hatten die Mordwinen und Grossrussen, 
die schlechtesten die Juden, Polen und Deutschen. Auch 
die anderen Autoren, die J -*ich mit dieser Frage beschäftigt 
hatten, gelangten zu fast ähnlichen Resultaten. Wenn man auf 
die Frage eingeht, warum die einen Nationalitäten, z. B. die 
Juden, so häufig von der Karies befallen werden, während die 
anderen, z. B. die Gxossrussen, viel weniger unter der Karies zu 
leiden pflegen, so kommen hier eine Reihe von Momenten 
ih Betracht, die uns die Sache sehr leicht erklären können. 
Bei den Juden spielen in dieser Beziehung die Konstitution^ 
anomfelien eine sehr wichtige Rolle: die körperliche Entwickelung 
der Juden bleibt hinter der der Grossrussen weit zurück, die 
Widerstandsfähigkeit ihres Nervensystems ist eine sehr geringe. 
Auch die Lebensart der Juden ist eine ganz andere, als die 
der Grossrussen. Während die Mehrzahl der letzteren auf 
dem Lande ihr Leben zubringen, wohnen die ersteren fast 
ausschliesslich in den Städten. Der Bauer auf dem Lande 
geniesst sehr wenig Süssigkeiten, die das Zahngewebe in er¬ 
heblichem Masse schädigen. Er gebraucht auch nicht das 
weiche klebrige Brot, welches aus dem feinen Weizenmehl 
gebacken wird. Das Gegenteil gilt von den Einwohnern der 
Städte, folglich auch von den Juden. Nach der Haarfarbe 
eingeteilt, zeigten die Mannschaften in bezug auf die Karies¬ 
erkrankung folgende Verhältnisse: Bei je 100 Soldaten mit 
hellblonden Haaren fand man 187 kariöse Zähne, bei je 100 
mit dunkelblonden Haaren 217 kariöse Zähne, bei je 100 mit 
schwarzen Haaren 290 kariöse Zähne. Diese Zahlen wider¬ 
sprechen dem von den anderen Autoren erhobenen Befunde, 
nach dem die Zahnkaries viel häufiger die Hellblonden befällt. 
Warum die Resultate des Autors gerade so ausgefallen sind, 


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324 


Referate and Joumalschau. 


lässt sieb aus dem Umstande erklären, dass die meisten Soldaten 
mit schwarzen Haaren Israeliten waren, bei denen die häufige 
Zahnkaries auch von anderen Ursachen abhängig war. 

Dr. B. Kronfdd. 


Oie Beziehungen zwischen der Zahnformel der platyrrhinen 
und katarrhinen Primaten. (De betrekking tusschen de 
tandformulen der platyrrhine en katarrhine Pri¬ 
maten.) Von L. BnVt. Tijdschrift voor Tandheelkunde, 
XIII 6 - jaargang, Afl. ?. (Abgedruckt aus: Verslag van de 
Gewone Vergadering der Wis- en Natuurkundige Afdeeling 
van de koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amster¬ 
dam van Bl Maart 1906.) 


Zu den Kennzeichen, die fiie katarrhinen -von den pla¬ 
tyrrhinen Affen unterscheiden, gehört in erster Linie das: Gebiss, 
indem bei ersteren, den Affen der alten Welt und dem 
Menschen, zwei Prämolären und drei Molaren, bei letzteren 
dagegen drei Prämolaren und drei, resp. zwei Molaren vor¬ 
handen sind. Zur Uebersicht seien die beiden Gruppen einander 
gegenübergestellt: 


Katarrhine Affen und Mensch: 

._ | Cebidae: 

Platjrrh,ne Affen j Hapa|idoe; 


2 P, 

3 P, 
3 P, 


3 M 
3 M 
2 M 


Zweifellos muss das Gebiss der katarrhinen von dem 
der platyrrhinen Affen abgeleitet werden; das der ersteren 
und des Menschen ist im Vergleich mit letzterem als reduziert 
zu betrachten, da ein Prämolar fehlt. In der Beantwortung 
der Frage, welcher P verloren gegangen sei, geht nun Bolk 
seinen eigenen Weg und gelangt dadurch zu höchst interessanten 
und überraschenden Ergebnissen. Bekanntlich nehmen die 
Anthropologen an, P s sei verschwunden und unter ihnen ist 
es hauptsächlich Duckworth, der in dem von ihm häufig 
beobachteten Auftreten von Zahnrudimenten zwischen P, und 
Mt im Oberkiefer eine Reminiszenz an den früheren Zustand 
erblickt. Die Anatomen dagegen sehen den P, für den ver¬ 
lorenen Prämolaren an, indem sie von der Tatsache ausgehen, 


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Referate und Journalschau. 


326 


dass die Anzahl der Bicuspidaten bei den primitiven Primaten 
vier war. Nach Leche sind die vier Prämolaren auf drei 
heruntergegangen durch Verlust des auf den Caninus folgenden P. 
Bei Mikrochoerus findet man im Oberkiefer drei, im Unter* 
kiefer vier Prämolaren, von welchen der erste nur noch ein 
Rudiment ist. Nun könnte man mit Recht den Uebergang von 
drei auf zwei P auf dieselbe Weise erklären, also dass wieder 
der auf den Ganinus folgende P gefallen sei. 

Bolk wendet sich nun gegen die Annahme, dass P, 
verloren gegangen sei, indem'er darauf hinweist, dass dieser 
Zahn, statt der Reduktion anheimzufallen, im Gegenteil der 
stärkere ist von den Prämolaren bei Cebus, Chrysothrix, 
Mycetes und Hapale.. Dass der hinterste Prämolar beim Menschen 
verloren gegangen sei, glaubt Bolk ebensowenig, da jeder 
Zahn, je näher er der Gegend des grössten Kaudrückes kommt, 
also der zweite und dritte Prämolar, an Volumen zunimmt. 
Demnach ist ein strikter Beweis für das Ausfallen eines P, 
oder P» nicht erbracht. 

Die Meinung des Verfassers ist nun folgende: Das Gebiss 
der katarrhinen Primaten ist entstanden aus dem der plätyrrhihen 
dadurch, dass - bei letzteren der letzte oder dritte Molar und 
ebenso der letzte oder dritte Prämolar geschwunden ist, 
während der dritte Milchmolar seinen Charakter 
als Milchzahn verloren hat und zu einem per¬ 
manenten Zahn geworden ist. Verfasser nennt seine 
Hypothese. die der terminalen Reduktion. 

Dass Milchzähne zu bleibenden umgewandelt werden, ist 
übrigens aus anderen Tiergruppen bekannt, z. B. den Marsu- 
pialiem, bei denen mit wenigen Ausnahmen das gesamte Milch - 
gebiss bis auf einen Zahn bleibend geworden ist. Dann bei 
Erinacaeus, bei dem das persistierende Gebiss zum Teil aus 
bleibenden, zum Teil aus Milchzähnen besteht. 

Auch was die M orphologie der Milchmolaren bei den 
Platyrrhinen betrifft, so führt Bolk an, dass »tj derselben 
sowohl in der Konfiguration seiner Krone, als in der Anzahl 
seiner Wurzeln sehr verschieden ist von m, oder m„ dagegen 
sehr übereinstimmt mit M, dieser Affen. Ebenso ist m s funktionell 


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Referate and Joarnaleehan ; 


38* 

höher entwickelt als sein Ersatzzahn P,; d. h. das Gebiss wird 
durch Ersatz des m, durch P, funktionell minderwertig. Wenn 
also m t persistent wird, so bedeutet dies einen Gewinst für 
den Mechanismus des Gebisses. 

Was den Menschen betrifft, so erinnert ffas frühe Er¬ 
scheinen von Mi, der gleichzeitig mit dem Milchgebiss funktioniert, 
an den Zustand der jungen Platyrrhinen. . - 

In bezug auf die histologische Anlage des M, ist keine Ver¬ 
schiedenheit mit der der Milchzähne zu beobachten, da bei 
letzteren sich die Papille in der -9, bis 12„ bei ersterem in der 
17, Woche einstülpt. Zwischen der Anlage des M t und M t 
besteht dagegen eine Pause von einem Jahr. Man kann daraus 
den Schluss ziehen, dass m, der Platyrrhinen analog 
ist dem Mi der Katarrhinen, dass ferner M, der 
Platyrrhinen homolog ist dem M t der Katarrhinen 
und M t der ersteren homolog M t der letzteren. 

Für M a der Platyrrhinen fehlt jedoch das Homologon 
M, bei den Katarrhinen. Nun ist es aber eine bekannte Tat¬ 
sache, dass bei Katarrhinen, beim Menschen und unter den An¬ 
thropoiden bei Gorilla und Orang Utang ein M, gesehen wird. 
Ausserdem hat Zuckerkandl nachgewiesen, dass beim 
Menschen meist das epitheliale Rudiment eines M t angelegt 
wird. Diesen resp. seine Anlage, konnte man bis jetzt nicht 
genügend interpretieren, während man ihn nun als Atavismus 
zu betrachten hat: Af, des Menschen, G orilla und Orang 
Utang ist das Homologon des Af, der platyrrhinen 
Affen. 

Als Zwischenglied zwischen dem ursprünglichen platyr¬ 
rhinen und dem definitiven katarrhinen Gebiss ist das der 
Hapalideo anzusehen, indem bei ihnen bereits M, konstant 
fehlt, während die zweite Phase der Progression von m» zu M, 
noch nicht durchlaufen ist. 

Was nun die manchmal zwischen P, und M, beim 
Menschen anzutreffenden Rudimente anbelangt, so sind sie 
nach Verfasser Spuren von dem verloren gegangenen P», mit 
welcher Ansicht übrigens den Anthropologen Recht gegeben 
wird, die diesen als den ausgefallenen Prämolar bezeichnen. 


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Referate «Dil JouraftUetHuj. - ; 


327 


Zum Schlüsse zeigt Bolk, dass das bleibende Gebiss 
beim Menschen- im Vergleiche zu seinem Milchgebiss eine 
Regression bedeutet, indem für ♦»* mit vier Höckern und drei 
Wurzeln nur ein zweihöckeriger und meist, ein wurzeliger P* 
folgt, ein Verhältnis, wie. es zwischen w* und P* bei Platyr- 
rhinen. besteht. 1 r .. _ 

. Das menschliche Gebiss zeichnet sich aus durch Reduktion 
des letzten Molaren, der P* ist auf dem Wege der Reduktion 
und m» ist sehr progressiv entwickelt: drei Erscheinungen, die 
vollkommen übereinstimroen mit denen, die sich bei der Ent¬ 
wicklung des katarrhinen aus dem platyrrhinen Geb^s .zeigen. 
Es fehlt also nur noch, dass m t persistent wird und f** nicht 
mehr durchbricht ... . 

Für letzteres Symptom bringt Magitot eine grosse An¬ 
zahl Beispiele, (Wie jedenfalls inancher Kollege, so habe auch 
ich mich oft gefragt, warum m t so häutig persistiert. Ich habe 
eine grosse .Anzahl Fälle der Art beobachtet und besonders 
sehöne der Gipsmodehsanuntung der Anatomie Zürich einver¬ 
leibt, darunter einen Fall, in welchem im Unterkiefer trotz 
Persistenz beider m t und:Fehlen des P* beide Weisheitszähne 
tadellos in der Reihe stehen- Der Reif,). 

Im Zukunftsgebiss des Menschen wird also 
P, nicht mehr durchbrechen, w, wird persistent 
und zu Mi\ dadurch wird M, zu M% und M, zu M a 
und da Mt verschwindet, bleibt die Anzahl der 
Molaren gleichwohl drei. 

( Dr. phil, U- de Terra, Zürich. 


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328 


Prof. Dr. Anton Bleichsteiner f. 


Prof. Dr. Alton Bleictotmr f. 

Anton Bleichsteiner wurde im Jahre 1841 in Wien 
geboren, vollendete seine Studien in Graz und promovierte 
daselbst im Jahre 1872. Anfangs Assistent an der anatomischen 
Lehrkanzel, wandte er sich später dem Spezialfache der Zahn¬ 
heilkunde zu und genoss in Wien unter Steinbergers Leitung 
seine Ausbildung. Im Jahre 1876 liess er sich in Graz als 
praktischer Zahnarzt nieder und habilitierte sich im Jahre 1884 
als Dozent. Im Jahre 1895 bekam Bleichsteiner den Titel 
eines ausserordentlichen Professors und wurde im September 
1905 zum öffentlichen ausserordentlichen Professor für Zahn¬ 
heilkunde ernannt. . 

BI eichst ein er war ein ausgezeichneter Praktiker und 
auch literarisch mehrfach tätig. Im Scheffsehen Handbuch 
bearbeitete er das Kapitel: „Lokale Anästhesie“. — In dieser Zeit¬ 
schrift sind zahlreiche Beiträge von ihm erschienen, von denen 
insbesondere seine Habilitationsschrift über Unterkieferbrüche 
erwähnt sein mag, in welcher er einen neuen Verband nach 
dem Rüthenickschen Prinzip empfahl. 

Sein grösstes Verdienst bestand unstreitig in der Pro¬ 
pagierung der Kokaininjektion und in der von ihm angegebenen 
Injektionstechnik. Die nach seinen Angaben verfertigte In¬ 
jektionsspritze fand allgemeine Verbreitung. Als Vizepräsident 
der österreichischen Abteilung für Zahnheilkunde besuchte er 
im Jahre 1893 den Weltausstellungskongress in Chicago, wo 
er, wie auch bei den Kongressen in Paris und Wien, Vorträge 
über seine Injektionsmethode hielt. 

Das zahnärztliche Universitätsinstitut in Graz wurde nach 
Bleichsteiners Angaben errichtet und ihm die Leitung des¬ 
selben übertragen. Bei der Eröffnungsfeier am 8. Februar 1904 
hielt er einen gross angelegten Vortrag „Ueber die Entwickelung 
der Zahnheilkunde und ihre Stellung zur übrigen Medizin“. 
Wer Bleichsteiner persönlich gekannt hat, wird ihn wohl 
nie vergessen können und stets wird ihm das Bild dieses leb- 


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Prof. Dr. Anton Bleichsteiner f. 


haften frohsinnigen Mannes mit dem schönen charakteristischen 
Gelehrtenkopf in Erinnerung bleiben. „Offen und ehrlich“ — 
das war der Grundzug seines Charakters. Wenn diese seine 
Offenheit auch manchmal eine gewisse Barschheit in seinem 
Wesen vortäuschte, wir, die unter ihm lernten und dienten 
und ihn durch den täglichen Verkehr näher kennen lernten, 
wir alle wussten, welch goldenes Herz er hatte und sein Wort 
galt uns als Evangelium. 

Ende Mai vorigen Jahres wurde Bleichsteiner während 
seiner Ordination von einer Hämatemesis befallen; Zwar erholte 
er sich scheinbar wieder und eine Zeitlang fühlte er sich 
relativ ganz wohl. Sein eisernes Pflichtbewusstsein und seine 
Liebe zur Arbeit zwangen ihn, die quälenden Schmerzen zu 
unterdrücken, doch bald siegte die furchtbare Krankheit und 
fesselte ihn ans Bett. Durch eine Operation hoffte er wenigstens 
von den Schmerzen befreit zu werden und am 16. April 1907 
unterzog er sich derselben. Da zeigte es sich nun leider, dass die 
Krankheit derartig verheerende Fortschritte gemacht hatte, so 
dass eine Radikaloperation vollkommen unmöglich war und in 
der Nacht vom 16. auf den 17. April hatte er ausgelitten. 

ist Bleichsteiner auch von der Erde geschieden, in 
unserer Erinnerung wird er immer fortleben und unwillkürlich 
fallen mir die Worte des griechischen Dichters ein: „ Mrj Äeys 
tivrjoxstv Tobt dyaboöc.“ 

Dr. Eduard ürbantsehitsch. 


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330 


-Varia.. 

V a r i a. 


PARIS. EhrenmRgliedschaft Prof. Dr. Josef v. Arkövy 
wurde in der am 18. März d. J. stattgehabten Sitzung der 
Sociätö de Stomatologie einstimmig zum Ehrenmitglied ge¬ 
wählt. 

BERLIN. Ernennung. Zu ausserordentlichen Üniversitäts- 
professoren wurden ernannt: Oberstabsarzt Dr. Williger, 
Leiter der Abteilung für operative Zahnheilkünde; Dr. Dieck, 
Leiter der Abteilung für konservative Zähnheilkunde, und 
Dr. Schröder, Leiter der Abteilung für Zahnersatzkunde am 
königlichen zahnärztlichen Universitätsinstitut. 

>— Auszeichnung. Die von ihrem Lehramt zurücktretenden 
Prof. Dr. Busch und Prof. Dr. Warnekros in Berlin wurden 
zu Geheimen Medizinalräten ernannt. 

BRESLAU. Auszeichnung. Prof Dr. Part sch wurde zum 
Geheimen Medizinallat ernannt. 

MÜNCHEN. Auszeichnung. Prof. Dr. Walkhoff wurde der 
Titel eines königlichen Hofrates verliehen. 

HEIDELBERG. Auszeichnung. Dem Direktor des zahnärzt¬ 
lichen Universitätsinstitutes, Prof. Dr. G. Port, wurde das 
Ritterkreuz I. Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen ver¬ 
liehen. 

GREIFSWALD. Berufung. Dr. Guido Fischer, Zahnarzt 
in Hannover, - wurde an Stelle des nach Berlin berufenen 
Prof. Dr. Schröder zum Leiter des zahnärztlichen Universitäts¬ 
instituts berufen. 

MÜNSTER. Berufung. An das neu errichtete zahnärztliche 
Institut wurde Zahnarzt Apffelstädt als Leiter berufen. 


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XXIII. Jahrgang. 


Heft UI. 


Juli 1907. 

Oesterreichisch-ungarische 

Vierteljahrsschrift für Zahoheilkande. 


Herausgegeben von 

JULIUS WEISS, Wien, I. Petersplatz 7 

unter ständiger Mitwirkung der Herren: 

^ 0f w r, Rinrt kÖ R?’ , Budape n ö o r, S * ®^ uer ’ Budapest - Prot Dr. H. Bönnecken, Prag - 
P Breala “ “ Dr - B- Bum » Wien - Doz. Dr. L. Hattyasy, Budapest — Proff Dr. 

C. Jang» Berlin — Dr. T. Ka&s, Krems — Dr. M Karolyi, Wien - Dr. R. Kronfeld, Wien — 

Pro/b^W^n^niAr Rl“rn"~ D n?‘f n R * L u°- W i en “ Prof Dr - B * Mayrhofer. Innsbruck - 
pp‘?• SoP'iv^’ B “£ n - r P r * Oppenheim, Brünn - Dr. G. Preiswerk, Basel - Prof. Dr. 

iv’w c el u erg i>Tr- Doz ' Br ; £’ Röse » Dresden - Doz. Dr. A. Rothmann, Budapest - 
W?/; 1 *’ Sa «f h ^ ®? riin Dr * J - Sch eff, Wien - Dr. F. Schenk, Wien - Dr. E. Smreker, 

IW T B * w ?ltMr ’ Jf ien r Boz - J * 8zabö « Budapest - Dr. F. Tänzer, Triest — 
D /* w w e » ? J"Sr“ Dos A Dr *^ W, o Va i? a : Buda P eat Prof * Dr - 0. Walkhofif, München 
— Dr. W. Wallisch, Wien — Doz. Dr. R. Weiser, Wien — Doz. Dr. G. v. Wunschheim, Wien. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

ßeiträp nr Anatomie ml Chirarjie der von den oberen 
Main aispteidei Eleferertraakinpn. 

Von Dr. Josef Lartschneider, gewesener Assistent am k. k. ana¬ 
tomischen Institut in Wien und gewesener Operateur an der 
ersten chirurgischen Klinik in Wien, Zahnarzt in Linz a. d. Donau. 

Auffallend war mir von jeher der verschiedene, in be¬ 
stimmten Fällen typisch wiederkehrende Verlauf der von den 
oberen Frontzähnen ausgehenden Alveolarprozesse. Dass diese 
Vorkommnisse nicht auf Zufälligkeiten, sondern auf ganz be¬ 
stimmte anatomische Tatsachen zurückzuführen wären, war 
naheliegend. Die Sache schien mir wichtig genug, um dies¬ 
bezügliche anatomische Untersuchungen anzustellen. Das Er¬ 
gebnis derselben hat mir bald diese anscheinenden Rätsel und 
Schwierigkeiten gelöst. Ich war überrascht, wie prompt die 
Anatomie alle die am Patienten gemachten Erfahrungen er¬ 
läutert und bestätigt hat. 

Ich habe eine grosse Reihe von Oberkieferknochen be¬ 
trachtet und bald ist mir aufgefallen, dass sich trotz aller 
individuellen Eigenheiten zwei grosse Gruppen unterscheiden 

l 


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346 


Dr. Josef LartSchneider, Linz a. d. Donau. 


lassen, je nach dem Verhalten respektive dem mehr oder 
minder stärkeren Prominieren der den Zahnwurzeln ent¬ 
sprechenden Wülste (Juga). 

Bei der einen Gruppe sind die „Juga“ als weit vor¬ 
springende Knochenwülste (Fig. 1) deutlich markiert. Ohne- 
weiters kann man sich in solchen Fällen über die Lage der 
einzelnen Wurzeln und Wurzelspitzen orientieren. Vielfach ist 



Fig. 1. 

Stark entwickelte Juga. 


die labiale Wand der Alveolarfächer durchscheinend dünn, ja 
nicht selten schaut die nackte Wurzelspitze (besonders häufig 
bei Eckzahnwurzeln) durch einen fensterartigen Defekt dieser 
zarten Wand. Die zu dieser Gruppe gehörigen Fälle sind durch¬ 
wegs Individuen mit gracilem Knochengerüste zugehörig. 

Die zweite Gruppe umfasst die Fälle, bei welchen die 
Juga nicht so kräftig ausgebildet sind. Besonders das dem 
seitlichen Schneidezahn zugehörige Jugum bietet besondere 


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847 


Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc. 

Eigenheiten. Es fehlt häufig gänzlich, während das dem grossen 
' Schneidezahn und dem Eckzahn entsprechende Jugum noch 
deutlich vorspringt. An seiner Stelle ist ein Grübchen („Fossa 
incisiva“) vorhanden, das um so tiefer ist, je deutlicher an seinen 
beiden Seiten das Jugum des grossen Schneidezahnes respektive 
des Eckzahnes vorspringt (Fig. 2). Die Orientierung über die Lage 
der Wurzelspitze des seitlichen Schneidezahnes durch blosse Be- 



Fig. 2. 

Das der Wurzel des seitlichen Schneidezahnes entsprechende Jugnm fehlt, 

sichtigung der labialen Fläche des Oberkieferfortsatzes ist infolge¬ 
dessen unmöglich. Ein Einblick in die Alveolarfächer ergibt, 
dass die labiale Wand des dem grossen Schneidezahn und dem 
Eckzahn zugehörigen Faches dünn und durchscheinend ist, 
während sie beim Fach des seitlichen Schneidezahnes massiver 
und daher nicht mehr durchscheinend ist. Bei einem solchen 
Oberkiefer, dessen Zahnfächer durch Abtragung der labialen 
Corticalschichte eröffnet sind (Fig. 3), treten diese Verhältnisse 

i* 


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348 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


und ihre Ursachen besonders deutlich zutage. Während die 
Wurzel des grossen Schneidezahnes und des Eckzahnes vertikal 
stehen, verläuft die Wurzel des seitlichen Schneidezahnes schiet 
nach oben und rückwärts, sie bettet sich sozusagen nach auf¬ 
wärts zu immer tiefer in die Spongiosa des Alveölarfortsatzes. 
Dies ist in besonders starkem Masse der Fall, wenn diese 



Fig. 3. 

Die Wurzeln sämtlicher Zähne sind durch Abtragung der labialen Corticalis 
des Processus alveolaris freigelegt. 

Wurzel, wie dies häufig vorkommt, noch dazu in ihrem obersten 
Anteile nach rückwärts gekrümmt ist (Fig 4). 

Sagittalschnitte durch die einzelnen Alveolarfächer (eigent¬ 
lich sind es sagittale Radialschnitte) bieten lehrreiche Ab¬ 
bildungen. 

Solche durch das Alveolarfach des grossen Schneide¬ 
zahnes und des Eckzahnes geführte Schnitte zeigen, wie ober¬ 
flächlich die Wurzeln dieser Zähne in ihrem ganzen Verlaufe 


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Beiträge zur Anatomie nud Chirurgie etc. 


349 



Fig. 4. 

Die Wurzel des seitlichen Schneidezahnes ist in ihrem obersten Anteil nach 
rückwärts gekrümmt. 


Fig. 5. Fig. 6. 

Sagittaler Radialschnitt durch das Alveolarfach des grossen Schneidezahnes 
(Fig. 5) und des Eckzahnes (Fig. 6). Die Spongiosa wurde teilweise abgetragen. 




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350 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


liegen (Fig. 5 und 6) und wie dünn die labiale Wand der be¬ 
treffenden Alveolarfächer durchwegs ist. 

Ganz anders liegen die topographischen Verhältnisse beim 
kleinen Schneidezahn. Fig. 7 enthebt mich wohl jeder näheren 
Erörterung. Ohneweiters ist ersichtlich, wie tief die Wurzel 
dieses Zahnes in die Spongiosa eingebettet ist. Das gleiche ist 
aus der Fig. 8 ersichtlich. 

Es ist selbstverständlich, dass die den Abbildungen 5, 6, 
7 und 8 zugrunde liegenden Präparate dem gleichen Ober¬ 
kiefer angehören. 



Fig. 7. 

Sagittaler Kadialschnitt durch das Alveolarfach des kleinen Schneidezahnes. 

In jenen seltenen Fällen, wo es sich um Individuen mit 
besonders kräftigem Knochenbau handelt, sind auch beim 
grossen Schneidezahn und beim Eckzahn ähnliche anatomische 
Verhältnisse zu beobachten wie beim kleinen Schneidezahn. 

Indem ich nun auf die pathologische Anatomie der von 
oberen Frontzähnen ausgehenden Kiefererkrankungen über¬ 
gehe, kann ich mich auf meine bei einer anderen Gelegenheit 
über dieses Thema veröffentlichten Ausführungen 1 berufen. 


1 Dr. Lartschneider, Linz: Studien über die pathologische Ana¬ 
tomie und Therapie der Wurzelerkranknngen, Oesterr.-nngar. Vierteljahrs- 
schrift für Zahnheilkunde, 1907, Heft II. 


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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc. 


361 


Ich muss nochmals betonen, dass für die Symptome und den 
Verlauf des betreffenden Alveolarprozesses, abgesehen von 
der Virulenz der Entzündungserreger, die Widerstände mass¬ 
gebend sind, die sich den Entzündungsprodukten bei ihren 
Ausbreitungs- und Durchbruchsbestrebungen entgegen stellen- 
Tritt z. B. in einem Alveolarfache eines der zur ersten Gruppe 
(graciler Knochenbau) gehörigen Oberkiefers irgend eine peri- 
apicale Infektion und Abszessbildung auf, so wird der Eiter 
gar bald durch die dünne und noch dazu von vielen Gefäss- 
und Nervenlöchem siebartig durchbrochene labiale Wand des 
Alveolarfaches durchbrechen und unter dem Perioste, resp. dem 
Zahnfleische erscheinen. Dies ist aber gleichbedeutend mit der 


3 2 i 



Fig. 8. 

Horizontaler Querschnitt durch den Alveolarfortsatz eines Oberkiefers 
(1 grosser Schneidezahn, 2 kleiner Schneidezahn, 3 Eckzahn). 

wichtigen Tatsache, dass sich rasch und ohne dass der Patient 
viel zu leiden hatte, ein fluktuierender Zahnfleischabszess 
oder eine Zahnfleischfistel gebildet hat. Die Gefahr einer folgen¬ 
schweren Sekretstauung oder eines Durchbruches in die Spon¬ 
giosa hinein ist hiemit abgewendet. Solche Fälle können durch¬ 
wegs ohne operativen Eingriff zur Heilung gebracht werden 
(z. B. mit Trikresol-Formalineinlagen). 

Im Hinblicke auf diese Verhältnisse finden wir es er¬ 
klärlich, wieso es oft in ganz unglaublich kurzer Zeit am Ober¬ 
kiefer zur Bildung grosser, fluktuierender (reifer), von ausge¬ 
dehnten Oedemen umgebener Abszesse kommen kann. 

Unglücklicher sind in dieser Beziehung Individuen mit 
kräftigem Knochenbau veranlagt. Bei ihnen sind die den Zahn- 


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352 


Dr. Josef Lartsdmeider, Linz a. d. Donau. 


wurzeln entsprechenden Juga wenig oder (wie beim seitlichen 
Schneidezahn) gar nicht entwickelt, die Wurzeln liegen tiefer 
im Kieferknochen eingebettet, die labialen Wände der Alveolar¬ 
fächer sind massiver. Demnach werden solchen Patienten schon 
periapicale Entzündungen, welche vom grossen Schneidezahn 
oder vom Eckzahn ausgehen, viele Beschwerden verursachen. 
Besonders schwer aber müssen solche Prozesse verlaufen, 
wenn sie vom seitlichen Schneidezahn ausgehen! Und in der 
Tat, immer und immer wieder ist es der seitliche Schneide¬ 
zahn, der allen unseren Bemühungen trotzt, er ist es, 
der uns meistens veranlasst, zur Operation zu schreiten. 

Ein Blick auf die Fig. 7 und 8 zeigt uns, dass bei peri- 
apicalen Abszessen dieses Zahnes der Durchbruch des Eiters 
nach vorne (labialwärts) beinahe unmöglich ist. Denkbar wäre 
dies, wenn der Eiter sich nach abwärts in den Bereich des 
untersten Drittels des Alveolarfaches, also in die Nähe des 
Zahnhalses drängen könnte. Dort erst würde er günstige Be¬ 
dingungen für einen Durchbruch durch die vordere (labiale) 
Wand des Alveolarfaches finden, denn sie ist erst in ihren 
tiefer (distal) gelegenem Anteile dünn und porös. Und tat¬ 
sächlich finde ich, dass in den verhältnismässig wenigen 
Fällen, in denen es bei periapicalen Entzündungen seitlicher 
Schneidezähne zur Bildung von Zahnfleischfisteln kommt, die¬ 
selben meistens tief unten, nahe dem Zahnhälse, und zwar 
lateral von ihm, also zwischen seitlichem Schneidezahn und 
Eckzahn gelegen sind, so dass man manchmal zweifeln könnte, 
ob diese „Fisteln“ nicht vom Eckzahn ausgehen. Häufig 
kann man am Skelett an dieser Stelle einige grössere „Gefäss- 
löcher“ (Poren) konstatieren (siehe Seite 347, Fig. 2). Der¬ 
artig situierte Zahnfieischfisteln können meiner Erfahrung nach 
ohneweiters als zum s e i 11 i c h e n Schneidezahn gehörig dia¬ 
gnostiziert werden. Vom Eck zahn ausgehende Fisteln habe 
ich immer weiter oben, in der Nähe seines Apex getroffen. 
Desgleichen ist es erklärlich, dass die Etablierung solcher tief 
gelegener, vom seitlichen Schneidezahn ausgehender Fisteln 
meistens längere Zeit beansprucht. In einem Falle, der erst 
11 Monate nach dem Beginn der Erkrankung in meine .Be* 


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Beiträge znr Anatomie and Chirurgie etc. 


353 


handlung kam, sah ich eben eine solche Fistel entstehen. 
Gerade dieser Umstand hat den Patienten, der früher die 
ganze Zeit hindurch wegen Rheumatismus behandelt wurde, 
bewogen, einen Zahnarzt aufzusuchen. 

Während in solchen vom seitlichen Schneidezahn aus¬ 
gehenden Fällen dem Eiterherde labial beinahe unüberwind¬ 
liche Schranken gesetzt sind, kann man aus der Fig. 7 ersehen, 
dass diesbezüglich die Bedingungen nasalwärts viel günstiger 
liegen. Frei ragt die Kuppe des Alveolarfaches, von einer 
dünnen, porösen Knochenlamelle (Cribrum) umschlossen, in 
das zarte Gebälk der Spongiosa (Markhöhle des Oberkiefer¬ 
körpers) hinein. Und tatsächlich kommt es häufig vor, dass 
vom seitlichen Schneidezahn ausgehende Alveolarabszesse 
nach oben durch das Cribrum in die Spongiosa durchbrechen 
und durch eitrige Einschmelzung der zarten Knochenbalken die 
Bildung grosser Knochenabszesse zur Folge haben. Bei der 
weiten Ausdehnung der Spongiosa ist es erklärlich, dass der 
Eiter in Gegenden Vordringen kann, die weit von dem Aus¬ 
gangspunkte des Krankheitsherdes entfernt sind. 

Jahrelang können solche Abszesse im Innern des 
Oberkieferknochens, im Bereiche seiner Spongiosa ihr Un¬ 
wesen treiben, bis der Eiter endlich spontan oder infolge eines 
operativen Eingriffes an irgend einer Stelle durch die Lamina 
corticalis des Oberkieferknochens hindurch nach aussen ge¬ 
langt. Solche Fälle sind gar nicht so selten, sie kommen dem 
Zahnarzt gewiss öfter in die Hände als die vielbeschriebenen 
und in jedem Lehrbuche für Zahnheilkunde ausführlich be¬ 
handelten Empyeme der Highmorshöhle. Ich vermute, dass 
manche «Gesichtsneuralgie“ auf solche Abszesse zurückzu- 
führen ist und dass öfters, wenn uns die Angaben der Patienten 
immer und immer wieder veranlassen, an ein Empyem des 
Antrums zu denken, ohne dass wir trotz eingehender und 
wiederholter Untersuchung Anhaltspunkte für diese Annahme 
finden, solche im Mark des Oberkieferknochens ge¬ 
legene Eiterherde vorhanden sind. Ihre Diagnose ist 
freilich nicht immer leicht, denn sie verlaufen häufig, ohne ob¬ 
jektive Symptome (Schwellung, Fluktuation) zu bieten; der 


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354 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Don&n. 


Eiter kann eben nirgends durch die Lamina corticalis des 
Oberkieferknochens durchbrechen — der Verlauf ist quasi 
„latent“. Mehr Anhaltspunkte bieten die subjektiven Symptome, 
die Anamnese und das Fehlen eines Antrumempyems. Die 
Patienten klagen über dumpfe halbseitige Gesichtsschmerzen, 
die, vom Oberkiefer oder von den Zähnen des Oberkiefers aus¬ 
gehend, sich zeitweise zu rasender Heftigkeit steigern und gegen 
das Auge und die Schläfe ausstrahlen. 

Wichtig für die Diagnose scheint mir das Vorkommen 
geschwollener Lymphstränge, die ich wiederholt in solchen 
Fällen an der apicalen Gegend des betreffenden seitlichen 
Schneidezahnes unter der Schleimhaut, an der Kuppe des 
Vestibulum oris, nahe der Umschlagsfalte, nachweisen konnte. 
Hüten muss man sich vor Verwechslungen mit submukös ge¬ 
legenen Schleimdrüsenknötchen. 

Ich erlaube mir, einige diesbezügliche Fälle aus meiner 
Praxis bekannt zu geben. 

I. Grosser, hagerer, 48jähriger Patient. Seit 7 Jahren leidet er un¬ 
gemein häufig an dumpfen, halbseitigen Gesichts- und Kopfschmerzen. Sie 
strahlen vom linken Oberkiefer gegen das Auge, die Stirne und die Schläfe 
aus, sind nicht intensiv, aber lästig und nehmen ihm jede Arbeitslust. 
Gemttt8affekte, Bücken, rasches Stiegensteigen, Wind und Kälte lösen sofort 
diese Schmerzempfindungen aus, die dann tagelang anhalten. Die ver¬ 
schiedensten therapeutischen Massnahmen erwiesen sich erfolglos. Vor 
2 Jahren wurde dem Patienten geraten, die linke Gesichtshälfte bei Wind 
und schlechtem Wetter mit Vaselin einzufetten. Dies hat ihm angeblich 
noch am meisten genützt. Seither ging Patient bei schlechtem Wetter und 
im Winter überhaupt nur mehr mit eingefettetem Gesichte herum. Zeitweise 
kommt es ihm vor, als ob diese Schmerzen doch von den Zähnen ausgingen. 
Dies hatte ihn heute, wie schon früher öfters, veranlasst, zahnärztliche Hilfe 
in Anspruch zu nehmen. Patient hat wohlgepflegten Mund. Die Untersuchung 
zeigt, dass die intakten, oberen, linken, beiden Schneidezähne eine tote Pulpa 
haben und druckempfindlich sind. Nach der Trepanation durch die Foramina 
coeca entleert sich sofort rötliches, stinkendes Serum, und zwar unter an¬ 
scheinend grossem Druck, denn die ersten Tropfen wurden geradezu heraus¬ 
gespritzt Patient hat hierauf in die Operation eingewilligt. Querschnitt in 
der apicalen Gegend über beide Wurzeln (l£ und ]2), Trepanation durch die 
Wurzelspitze des seitlichen Schneidezahnes in die Spongiosa hinein (Fig. 10). 
Sofort entleert sich Eiter. Ein starker Fissurenbohrer wird in die Trepanations- 
Öffnung eingeführt und dieselbe medialwärts erweitert, bis auch die Wurzel¬ 
spitze des mittleren Schneidezahnes in die jetzt querovale TrepanationsÖffhung 


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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc. 


355 


einbezogen war. Ich konnte jetzt eine beinahe walnussgrosse Knochenhöhle 
überblicken! Tamponade der Höhle mit Vioformgaze. Nach mehrmaligem 
Tampon Wechsel ging die Heilung in 8 Wochen anstandslos vonstatten. Patient 
ist seither (U/ 2 Jahre) von seiner „Gesichtsneuralgie“ vollständig geheilt. 

II. 17 jähriges, kräftiges Mädchen. Es kam am 29. Dezember 1905 
zu mir. Die letzten 6 Tage und Nächte waren äusserst qualvoll und schlaflos. 
Schon seit Februar 1905 leidet sie häufig an rechtseitigen Gesichtsschmerzen, 
die vom Oberkiefer ausgehen. Alle therapeutischen Bemühungen waren er¬ 
folglos. Im September 1905 wurde sie deshalb nach Wien zu einem nam¬ 
haften Spezialisten gebracht, der sie an einen Zahnarzt wies. Derselbe hat 
ihr mehrere Zähne plombiert. Im gleichen Zustand kam sie wieder nach 
Hause. Die letzte Zeit hat sie wieder unsäglich gelitten. Sie wurde von 
ihrem Hausarzt an mich gewiesen. 

Status praesens: Kräftig gebautes, etwas blasses Mädchen, wohl- 
gepflegter Mund. 38*6 ® Fieber. Am rechten Oberkiefer objektiv gar nichts 
nachzuweisen. Die ganze Zahnreihe auf Beklopfen empfindlich. Der seitliche 
Schneidezahn hat eine kleine Plombe, nicht verfärbt. Die elektrische Unter¬ 
suchung ergibt Pulpatod! Trepanation durch die Plombe, sofort entleert 
sich dicker, gelber, stinkender Eiter. Da kein Nachlassen der Schmerzen 
eintrat, willigte Patientin am nächsten Tage in die Operation. Trepanation 
durch die Wurzelspitze des seitlichen Schneidezahnes hindurch in die 
Spongiosa. Sofort entleert sich dicker, gelber Eiter und GewebsfetZen. Die 
Abszesshöhle ist sehr gross und reicht medialwärts hinter den grossen 
Schneidezahn bis zur Mittellinie und zieht sich lateral hinter den Eckzahn 
hin. Leichte Tamponade der Wunde (nicht Irrigieren!). Am Abend desselben 
Tages 40’2 # ! Die Heilung ging prompt vonstatten. In 6 Wochen war alles 
verheilt. Patientin ist seither gesund. 

HI. Einen ähnlichen Fall (kräftige, junge Frau, Turnerin) habe ich 
4 Monate nach dem Beginne der angeblichen „Gesichtsneuralgie“ operiert. 

IV. Ich verweise noch auf den Fall, den ich bei einer anderen 
Gelegenheit veröffentlicht habe 1 und bei dem auffallenderweise die eröffnete 
grosse Knochenhöhle leer und an ihren Wänden von einer anscheinend glatten, 
von Gefässen durchzogenen Membran ausgekleidet war. Doz. Dr. v. Wunsch¬ 
heim hält diesen Fall für eine vereiterte Zahnzyste. 

V. Einen jungen, kräftigen Mann mit starkem Gebiss habe ich vor 
einigen Monaten operiert, der einen sehr interessanten Befund darbot. Alle 
drei rechten oberen Frontzähne (Eckzäbne und beide Schneidezähne) waren 
verfärbt (tot) und trugen je eine Zementplombe. Ueber den grossen Schneide¬ 
zahn, ungefähr seiner Wurzelspitze entsprechend, war eine „Zahnfleisch¬ 
fistel“, welche auf Druck seröse Flüssigkeit entleerte. Eine zweite solche* 


1 Dr. Lartschneider: Behandlung von Fistelzähnen mit Tri- 
kresol-Formalin. Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1906, 
Heft HI, Seite 353. 


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Dr. Josef Lartsclmeider, Linz a. d. Donau. 


Fistel sass lateral vom seitlichen Scbneidezahn, zwischen ihm and dem Eck- 
zahn, tief unten nahe dem Zahnfleischrande. Der Patient gab an, dass er 
vor vielen Jahren oft an seinen Vorderzähnen zu leiden hatte und wieder¬ 
holt eine geschwollene Oberlippe hatte. Seit mindestens 11 Jahren war der 
Zustand angeblich stationär, es traten seither niemals grössere Beschwerden 
auf, allein Patient batte immer das Gefühl, dass an seinem Oberkiefer irgend 
etwas nicht in Ordnung wäre. 

Die durch die Zementplomben hindurch ausgefübrte Trepanation ergab, 
dass die Wurzelkanäle der drei erwähuten und vor vielen Jahren wurzel¬ 
behandelten Zähne jauchige Detritusmassen enthielten. Es wäre in diesem 
Falle wohl zwecklos gewesen, sich auf irgend welche medikamentöse Wurzel¬ 
behandlungen einzulas8eu. Patient hat in die vorgeschlagene Operation sofort 
eingewilligt. Die lateral vom seitlichen Schneidezahn gelegene Zabnfistel 
wird durch einen nach oben konvexen, die Weichteile bis auf den Knochen 
durchtrenn enden Schnitt mit der am Apex des grossen Schneidezahnes ge- 



Fig. 9. 


legenen Zahnfleischfistel verbunden und die Weichteile stumpf nach oben 
und unten zurückgeschoben. Da zeigte sich, dass entsprechend den Zahn¬ 
fleischfisteln die Corticalis des Oberkieferknochens je ein banfkomgrosses 
Locb hatte. Die knöcherne Umrandung desselben war morsch und porös und 
wurde mit dei£ scharfen Löffel und Kundbohrer abgetragen. Durch diese 
Löcher gelangte ich mit der Soude in eine grosse, hinter den Wurzeln der 
Schneidezähne und des Eckzahnes gelegene Knochenhöhle. Jetzt wurde ein 
Fissurenbohrer in den lateral vom kleinen Schneidezahn befindlichen Knochen* 
defekt (Fistel) eingesetzt und in nach oben konvexem Bogen die labiale 
Wand der erwähnten Knochenhöhle samt den Zahnwurzeln der beiden 
Schneidezähne abgetragen, bis ich mit dem Bohrer in der am Apex des grossen 
Schneidez ahne« gelegenen Fistelmündung angelangt war (Fig. 9). Die Abszess- 
* höhle, welche jetzt ausgiebig eröffnet und zugänglich war, konnte nun genau 
überblickt werden und stellte sich jetzt als eine über haselnussgrosse, hinter 
den Wurzeln der beiden Schneidezähne und des Eckzahnes im Bereiche der 
Spongiosa gelegene Höhle dar. Auch von der Eckzahnwurzel wurde das 
oberste Ende abgetragen. Die Abszesshöhle wurde mit Tupfern und dem 


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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc. 


357 


scharfen Löffel gereinigt. Leichte Tamponade mit Vioformgaze. Die ganze 
Operation dauerte 20 Minuten. Die Heilung erfolgte prompt nach mehr¬ 
maligem Tamponwechsel in 8 Wochen. 

Es ist selbstverständlich, dass in jedem Falle nach der Operation die 
betreffenden Zähne und Zahnwurzeln entsprechend behandelt wurden. 

VI. 26 jähriges, gesundes, kräftiges Fräulein mit sehr schönen breiten 
Zähnen. Der ]_? war seinerzeit gaumenwärts disloziert und gedreht- Vor 
17 Jahren (die Patientin war damals 9 Jahre alt) wurde sie deswegen in 
Behandlung genommen. Sie bekam eine „Maschine“ und hat dieselbe ein 
Jahr lang getragen, jedoch ohne Erfolg. Im zehnten Lebensjahre kam Patientin 
nach Wien. Dort wurde sie von einem Zahnarzt diesbezüglich behandelt. 
Nach einem halben Jahre war der [2 an die ihm gebührende Stelle gerückt, 
allein bald darauf bekam sie an diesem Zahne, ganz nahe am Zahnfleischrand. 
(Patientin macht diese bezeichnende Angabe spontan) eine Fistel, aus der 
immer Eiter abfloss, ohne dass es jemals zu Schwellungen oder Schmerzen 
gekommen wäre. Nach einigen Monaten wurde dieser Zahn durch das Foramen 
coecum trepaniert und eine langwierige Wurzelbehandlung eingeleitet. Die 
Fistel kam zwar schliesslich zur Heilung und der Zahn wurde mit einer 
Zementplombe verschlossen, die nach einigen Jahren durch eine Amalgam¬ 
plombe ersetzt wurde. Durch die nächsten 15 Jahre hindurch geschah weiter 
nichts an dem Zahn, obwohl Patientin einigemale im Jahr von ihm be¬ 
unruhigt wurde. Die Zahnfleischflstel hat sich zwar nicht mehr gezeigt, allein 
es traten jedes Jahr wiederholt leichte Gaumenschwellungen auf, die stets 
wieder zurückgingen. Der ]2 war zu solchen Zeiten „locker“ und länger. 
So oft Patientin nach Wien kam, hat sie den betreffenden Zahnarzt auf¬ 
gesucht, denn sie hatte immer das Gefühl, der Zahn werde nächstens ver¬ 
loren gehen. Sie wurde immer wieder vertröstet, es wurde ihr stets bedeutet, 
es wäre das beste, solche Zähne nicht anzurühren. 1906 im Frülyahr, also 
nach 17 Jahren, kam Patientin zu mir. Die Beschwerden waren damals be¬ 
sonders heftig. 

Status praesens: Sehr schöne, breite, kräftig entwickelte, intakte 
Frontzähne. Nur der ]2 war dunkelbräunlich verfärbt. Entsprechend seinem 
Foramen coecum sass eine hanfkomgrosse, schwarze Amalgamplombe, die 
natürlich auch au der Verfärbung des Zahnes mit schuld war. Die labiale 
Fläche des Alveolarfortsatzes, entsprechend dem [?, bot ein vollständig 
normales Aussehen, keine Fistel oder Narbe sichtbar, die ganze Gegend auf 
Druck unempfindlich, jedoch an der apicalen Gegend unter der Schleimhaut 
verschiebliche harte Stränge zu tasten (Lymphgefässe). Der Gaumen dem 
|2 entsprechend geschwollen, die Gaumenfälten etwas ödematös geschwellt 
und stärker vortretend. 

Der Zahn wurde durch die Plombe hindurch trepaniert Sofort entleert 
sich übelriechender, dünnflüssiger Eiter. Die Spannung hat sofort nach¬ 
gelassen. Der Zahn wurde offen gelassen. Nach einigen Tagen kam Patientin 
wieder, es ging ihr viel besser. Die Sekretion hat anscheinend ganz auf- 


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Dr. Josef Lärtsehneider, Linz a. d. Donau. 


gehört. Daher entschloss ich mich, in den Wurzelkanal des I? eineu Trikresol- 
Formalinfaden einznführen und mit Fleteher zu verschliessen. Einige Stunden 
nachher kam Patientin wieder wegen heftiger Schmerzen, die seit dem Ver¬ 
schlüsse des Zahnes wieder aufgetreten wären. Der Zahn wurde sofort 
eröffnet und der Wattefaden entfernt, worauf sich einige Tropfeu dicken 
Eiters entleerten und die Schmerzen waren wieder behoben. Der Zahn wurde 
jetzt 2 Wochen offen gelassen und dann neuerdings nach einer Trikresol- 
Formalineinlage in den Wurzelkanal geschlossen. Jetzt traten keine Schmerzen 
mehr auf und nach weiterem Verlauf von einigen Wochen wurde der Watte¬ 
faden entfernt, Trikresol-Formalinpaste in die Wurzel gepresst und nach 
gründlicher Eröffnung und Reinigung des Kronenanteiles der Pulpakammer 
die ganze Kavität (einschliesslich Pulpakammer) mit weissem „Silicin“ gefüllt. 
Die weisse Plombe hat die Farbe des Zahnes sofort günstig beeinflusst. Es 
traten zwar seither nie mehr grössere Beschwerden auf, aber ganz „ruhig“ 
war der Zahn doch nicht. Die Patientin hat mich wiederholt wegen dieses 
Zahnes aufgesucht, so dass ich mich endlich doch entschloss (April 1907), 
den Krankheitsherd von der vorderen labialen Fläche des Oberkiefers aus 
zu eröffnen. Trepanation der Markhöhle des Oberkieferkörpers durch Corticalis 
und die Wurzelspitze des kranken Zahnes hindurch. Die Operation verlief 
anstandslos, in 10 Minuten war der Eingriff vorüber. Hinter der Wurzel¬ 
spitze des i 2 , nach ihrer Abtragung, gelangte ich mit dem Rosenbohrer in 
eine grössere, ganz im Bereiche der Spongiosa gelegene Abszesshöhle (Knochen¬ 
lade). Ohne zu sondieren oder zu reinigen, habe ich diese mit einem Vioform- 
gazestreifen leicht trainiert und nach mehrmaligem Tamponwechsel war nach 
4 Wochen alles vollständig geheilt, die Beschwerden haben seit der Operation 
vollständig aufgehört, nachdem sie früher durch 17 Jahre hindurch der 
Patientin zu schaffen gemacht haben. 

Instinktiv werden solche Patienten häufig veranlasst, neben 
ihrem Hausarzt auch den Zahnarzt aufzusuchen. Da aber, ab¬ 
gesehen etwa von einer entzündlichen Rötung des Zahnfleisches 
und einer mehr oder minder ausgesprochenen Druckempfindlich¬ 
keit aller Zähne des Oberkiefers der betreffenden Seite nichts 
nachweisbar ist, werden solche Patienten wieder ihrem Haus¬ 
arzte zugewiesen und so geht die Sache weiter, bis endlich doch 
eine Zahnfleischfistel oder ein Gaumenabszess oder andere 
objektive Symptome die Diagnose ermöglichen. Man muss in 
solchen Fällen immer die oberen Frontzähne genau unter¬ 
suchen und elektrisch prüfen. Sind einer oder mehrere von 
ihnen tot oder wurzelbehandelt, so müssen sie unbedingt 
trepaniert und die Wurzelkanäle energisch sondiert und auf 
eine etwa vorhandene Pulpagangrän untersucht werden. Ent- 


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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc. 359 

leert sich aus der Trepanationsöffnung Eiter, so ist die Dia¬ 
gnose freilich sicher. Lassen jetzt nach der Trepanation die 
Schmerzen nicht bald nach, so ist es widersinnig, mit Wurzel¬ 
behandlungen Zeit zu verlieren. Das einzig Richtige ist nun 
die Trepanation der in der Spongiosa gelegenen Abszesshöhle 
durch die Gorticalis und eventuell durch die Wurzelspitze des 
betreffenden Zahnes hindurch (Fig. 10). Die Abtragung der 
Wurzelspitze ist nicht das Hauptmoment, sondern die aus¬ 
giebige Eröffnung der Abszesshöhle! Um die Wurzelspitze 
kümmere ich mich nur dann, wenn sie mir bei meinem Vor¬ 
dringen zum Eiterherd im Wege steht. 



Fig. 10. 

Die Spongiosa wurde abgetragen, um eine Abszesshöhle zu veranschaulichen. 

T = Trepanationsöffnung. 

Die Operation ist einfach und unter Lokalanästhesie leicht 
mit dem Rundbohrer und scharfen Löffel auszuführen. Auch 
die grössten Knochenhöhlen heilen nach öfterem Tampon¬ 
wechsel in längstens 8 Wochen. Der Heilungstrieb im Munde 
ist enorm. Sehen wir doch die furchtbaren Verletzungen, welche 
bei der Exstirpation des ganzen Oberkiefers gesetzt werden, 
in ganz kurzer Zeit vollständig verheilen. 

, Wiederholt bin ich bei derartigen Operationen in Knochen¬ 
höhlen geraten, deren Ausdehnung geradezu imponierend war, 
ja einigemale konnte ich es kaum glauben, dass ich nicht in 


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360 Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 

die Highmorshöhle geraten wäre. Man darf nicht vergessen, 
dass das zarte Gebälke der Spongiosa einem Vordringen der 
Entzündung, respektive einer eiterigen Einschmelzung sehr 
wenig Widerstand bietet. Sobald ein Alveolarabszess nach 
rückwärts in die Spongiosa des Oberkiefers durchgebrochen 
ist — und bei oberen seitlichen Schneidezähnen sind die Be¬ 
dingungen für solche Komplikationen besonders günstig — 


F.«. A. 



Fig. 11. 

Rechts ein Gefassloch (F. n.) am Gaumen, links die Residuen eines abgelaufenen, 
vom seitlichen Schneidezahn ausgegangenen und gaumenwärts durchgebrochenen 
Alveolarabszesses (A.). 

kann sich der Eiter im Bereiche der Spongiosa nach allen 
Richtungen ausbreiten, besonders nach rückwärts, im Inneren 
des geräumigen Gaumenfortsatzes (siehe Fig. 13). 

Bei den Durchbruchsbestrebungen solcher Abszesse nach 
aussen (aus dem Bereiche der Spongiosa heraus) kommen dem 
Eiter meines Erachtens jene in der Corticalis des Oberkiefer- 


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361 


Beitritt zur Anatomie und Chirurgie etc. 


. befin «"»> “*« «hr zu statten, welche den 
Durchtritt der Gefässe und Nerven vermitteln. 

, . Die * e ^ nna i ime ist S ewiss nicht unberechtigt. Sehen wir 
doch z. B. bei Entzundungsprozessen der Kopfschwarte die 
Entzundungserreger den Blutgefässen entlang in das Innere 
der knöchernen Schädelkapsel Vordringen, um daselbst auf die 
Hirnhäute und das Hirn überzugreifen. 


Nicht unwichtig scheint mir ein häufig vorhandenes be¬ 
sonders grosses Loch zu sein, welches am harten Gaumen 2 Mm 
bis 1 Cm. rückwärts vom Zahnhalse des kleinen Schneide¬ 
zahnes, seiner Wurzel entsprechend, gelegen ist (Fig. 11 F. «.). 

• D Kibderschädel ist dieses Loch besonders gross, liegt 
im Bereiche des Gaumenanteiles des Os incisivum und scheint 
ur die ernährenden Gefässe dieses Knochens wichtig zu sein 
(Foramen nutrilium). 

Aus dem Vorkommen eines so grossen, hinter dem 
kleinen Schneidezahn gelegenen Foramen nutritium wäre die 
Tatsache wohl erklärlich, dass von diesem Zahne ausgehende 
Alveolarabszesse oft in auffallend kurzer Zeit unter die Schleim¬ 
aut des harten Gaumens durchbrechen und dort grosse 
fluktuierende Tumoren und später „Gaumenfisteln“ bilden. 


.. VIL Qanm enfistel. Patientin (Fräulein) leidet schon seit mindestens 
10 Jahren an einer „Gaumenfistel“. Patientin ist selbst zur Vermutung gelangt, 
dass dieselbe mit dem seitlichen, oberen linken Schneidezahn im Zusammen- 
ange steht. Aus der Fistel ergiesst sich schon seit vielen Jahren Eiter, und 
swar in besonders reichlicher Menge, während sie mit dem Finger in der 
Gegend der Nasenwurzel (links) drückt. Der linke, seitliche Schneidezahn 
mirde im Verlaufe der Jahre öfters behandelt und plombiert. Wegen der 
Fistel wurde sie stets vertröstet, „sie sei etwas ganz Nebensächliches und 
werde schon abheilen, wenn alles abgeflossen ist“. In letzter Zeit hat Patientin 
jedoch am linken Auge, und zwar an seinem unteren Rande häufig spannende 
und ziehende Schmerzen verspürt, welche gegen die Nasenwurzel hin aus¬ 
strahlten. Ich betone, dass diese Angaben ganz spontan gemacht wurden. 
Vor einigen Tagen hatte sie sich den betreffenden Zahn ausgebissen, was 
die Veranlassung war, zahnärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. 

Status praesens: Gesunde, kräftig gebaute Patientin. Die oberen 
Frontzähne mit Ausnahme des linken, seitlichen Schneidezahnes vorhanden, 
mit Zementplomben versehen, jedoch lebend. Die Krone des linken, seitlichen 
Schneidezahnes im Niveau des Zahnfleisches abgebrochen, der Wurzelkanal 


2 


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362 Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 

offen, mit gangränösen Detritusmassen gefüllt. Am harten Gaumengewölbe, 
l 1 /. Cm. über dem linken, seitlichen Schneidezahn, eine Fistelmtindung, aus 
der sich dünner, rötlichgelber Eiter tropfenweise entleert, sobald Patientin 
mit dem Finger in der Gegend der linken Nasenwurzel drückt Der linke 
Eckzahn intakt feststehend, der linke, erste Backenzahn in der Höhe des 
Zahnfleischrandes abgebrochen, seine Wurzel offen, Gangrän der Pulpa, Die 
sichelförmig gebogene Sonde gelangt durch die erwähnte FUtelmündung in 
eine grosse Höhle. Die Sonde gleitet leicht nach vorne und oben. Die Wurzel- 
spitze des ]2 als frei hereinragende Zacke deutlich mit der Sonde zu tasten. 
Es war also ohneweiters zu konstatieren, dass ein von der Wurzel des liuken, 
seitlichen Schneidezahnes ausgegangener, periapicaler Abszess seinerzeit in 
die Spongiosa des Oberkieferkörpers und des Gaumenfortsatzes eingebrochen 
ist, daselbst ziemliche Verheerungen zur Folge hatte und schliesslich gaumen- 
wärts durch die orale Rindenschicht des Gaumenfortsatzes wahrscheinlich 
auf dem Wege eines Gefässloches unter das Zahnfleisch gelangt ist, dasselbe 
weithin von seiner knöchernen Unterlage als fluktuierenden Tumor abgehoben 
hat, bis eudlich der Eiter nach Eiuschmelzung des Zahnfleisches nach aussen 
gelangte. Der Abszess konnte die langen Jahre hindurch infolge der Un¬ 
zulänglichkeit des Abzugskanales nicht ausheilen, ja eine Heilung wäre in 
diesem Falle bei den bestehenden Verhältnissen wohl kaum jemals erfolgt. 

Ueber die Therapie konnte in diesem Falle kein Zweifel obwalten. 
Novocaininjektion in die Umgebung der Gaumenfistel, Erweiterung der Fistel¬ 
mündung mit dem Messer und dem Rnndbohrer bis auf Erbsengrösse und 
vorsichtiges Auskratzen der Abszesshöhle („Knochenlade“) mit dem scharfen 
Löffel. Da die Abszesshöhle weit nach vorne und oben reichte, war es 
wünschenswert, auch vom Vestibulum oris ans einen Zugang zu derselben 
zu schaffen. In diesem Falle habe ich von der typischen Trepanation durch 
die Lamina corticalis und Wurzel spitze des i? hindurch abgesehen, da ja das 
vorhin erwähnte Wurzelfragment des ü einen bequemen Zugang in Aussicht 
stellte. Nach der Extraktion dieses Fragmentes konnte ich mit dem kleinen 
scharfen Löffel leicht den Grund seines Alveolarfaches einstossen und nun war 
die Abszesshöhle auch von vorne offen. Mit der in das Alveolarfach des ü ein- 
geführten weichen Sonde konnte ich jetzt durch die Mündung der Gaumen* 
fistel in die Mundhöhle gelangen. Die genaue Untersuchung zeigte, dass die 
Abszesshöhle trotz ihrer imponierenden Grösse lediglich im Bereiche der 
Spongiosa des Oberkiefers gelegen war und nicht in die Highmorshöhle 
dorcbgebrochen war. Der Patientin konnte demnach baldigste Heilung ihres 
langjährigen Leidens vorausgesagt werden. Die Abszesshöhle wurde nun 
durch den Gaumendefekt und das Alveolarfach des I* leicht mit Vioform- 
gaze tamponiert Nach 3 Tagen Tamponwechsel. Die Gaumenfistel war nach 
1 Woche bis auf eine rote Einkerbung des Zahnfleisches geheilt Nach 3 Wochen 
war auch der am Alveolarfache des Ji befindliche Zugang zur Höhle durch 
feste Granulationsmassen geschlossen. Die Wurzel des L? wurde gleichzeitig 
mit Trikresol-Formalineinlagen behandelt. Nach einmaligem Tamponwechsel 
war der gangränöse Geruch vollständig geschwunden. 12 Tage nach der 


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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc. 


363 


Operation konnte in die Wurzel des Ijj schon ein Stiftzahn eingemauert 
werden. Vier Woeben nach der Operation war Patientin vollständig geheilt. 
Die Schmerzen am linken Auge waren sofort nach der Operation verschwunden. 

Manchmal, allerdings in seltenen Fällen, dringt der Eiter, 
nachdem er in die Spongiosa durchgebrochen ist, nach auf¬ 
wärts (naso-frontal). Die Spongiosa erstreckt sich ja auch in 
das Innere des Processus nasalis maxillae (Fig. 12 und 13). 

Die verschiedenen, in der Nähe des inneren Augenwinkels 
konstant vorkommehden Gefäss- und Nervenlöcher (siehe 



Stifur* itu'ixivu 


Fig. 12. 

Sagittaler Badialschnitt durch das Alveolarfach des rechten seitlichen Schneide¬ 
zahnes. Die innerhalb des Processus palatinus gelegene Spongiosa hat an 
einer Stelle eiu festeres Gefüge (Sutura incisiva). Die Spongiosa dringt nach 
aufwärts in den Bereich des Processus frontalis maxillae. Eines der dort be¬ 
findlichen Gefässlöcher ist durch den Schnitt eröffnet. 

Fig. 1, 2, 3, 4) bilden geradezu präformieite Durchbruchsstellen 
für solche Eiterherde. 

Diese Tatsachen erklären uns ohneweiters das auf den 
ersten Blick überraschende Vorkommnis, dass von oberen Front¬ 
zähnen ausgehende Kieferabszesse in der Nähe des inneren 

2 * 


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364 Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 

Augenwinkels unter die Haut durchbrechen und daselbst kleine 
fluktuierende Tumoren und Augenwinkelfisteln bilden 

Ebenso ist es erklärlich nach den vorhergegärigerien Aus¬ 
führungen, dass solche dentale Augenwinkelfisteln meistens 
vom oberen seitlichen Schneidezahn ausgehen, t i 

Auf eine Tatsache möchte ich noch aufmerksam machen, 
welche wahrscheinlich die Bildung von „Gaumenfisteln“ und 
wohl auch von dentalen Augenfisteln begünstigt. Die Stelle, 



Fig. 13. 

„Durch Abtragung der vorderen (labialen) Lamina corticalis wurde die Mark¬ 
höhle des Oberkieferkörpers eröffnet. Die Wurzeln der Zähne und die 
Substantia spongiosa wurden exstirpiert, um die Geräumigkeit der Markhöhle 
.*darzutun. Desgleichen ist das Anthrum durch Abtragung seiner fäcialen 

Wand eröffuet. 

an welcher einstens die Verschmelzung des Incisivum mit dem 
Os palatinum stattgefunden hatte, ist häufig auch später noch 
durch ein festeres, beinahe corticales Gefüge der Spongiosa 
markiert und als Sutura incisiva ohne weiters erkennbar (Fig. 12, 
Sutura incisiva). Bei seinem Vordringen nach rückwärts sind 


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Beiträge zur Anatomie uud Chirurgie etc. 


365 


jetzt dem Eiter an dieser Stelle Schranken gesetzt, er wird 
deshalb um so energischer nach unten (palatinal) oder nach 
aufwärts (nasal) Vordringen. In dem einen Falle wird es zur 
Bildung einer „Gaumenfistel“ in dem anderen zur Bildung 
einer dentalen Augenwinkelfistel kommen. 

Die von den Frontzähnen ausgehenden periapicalen 
Entzündungsprozesse greifen demnach sehr häufig auf die 
Spongiosa des Oberkiefers über; sie treten zur Markhöhle 
(Fig. 13) des Oberkiefer k ö r p e r s ähnlich in Beziehungen, wie 
dies bei solchen von den prämolaren und molaren 
Zähnen ausgehenden Prozessen bezüglich der Oberkiefer¬ 
höhle (Anthrum) der Fall ist. Die Aetiologie und die patho¬ 
logische Anatomie der Anthrumempyeme ist schon seit 
langem bekannt, während die in der Markhöhle des Ober¬ 
kiefers vorkommenden und oft durch viele Jahre persistierenden 
Abszesse, die meines Erachtens nicht minder interessant, oft 
nicht minder folgenschwer und auch nicht weniger häufig sind 
als die Anthrumprozesse, bisher völlig unbeachtet geblieben sind. 

Diese beiden Erkrankungen des Oberkiefers, die Abszesse 
der Kieferhöhle (Anthrum) und die Abszesse der Mark¬ 
höhle treten sogar nicht selten zueinander in Beziehungen, 
indem Markhöhlenabszesse in die Kieferhöhle durchbrechen und 
Kieferhöhleneiterungen zur Folge haben. In solchen Fällen 
kommt es dann zur Bildung einer riesig grossen Abszesshöhle, 
welche aus der Verschmelzung der Kieferhöhle (Anthrum) mit 
der im Bereiche der Substantia spongiosa des Oberkiefer¬ 
körpers gelegenen Abszesshöhle entstanden sind. Das Röntgen¬ 
bild eines solchen von mir operierten Falles (Fig. 14) im Zu¬ 
sammenhalt mit Fig. IS ist die beste und einfachste Erklärung 
dieser interessanten Erkrankung. Natürlich ist es für den Ver¬ 
lauf und die Behandlung nicht gleichgiltig, ob ein einfaches 
oder ein mit Markhöhlenabszess kombiniertes Anthrum- 
empyem vorliegt. 

Ich erlaube mir des Interesses halber einen solchen von 
mir operierten Fall, welcher, auch das nachstehende Röntgen¬ 
bild geliefert hat, eingehend zu erörtern. 


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Dr. Josef Lartschueider, Linz a. d. Donau. 


Linker - 
Ecktnhn 



Fig. 14. 


Das schöne Röntgenbild verdanke ich dem Herrn Dr.Riedl. Assistenten 
an der chirurgischen Abteilung des allgemeinen Krankenhauses in Linz. 
Vor der Röntgenaufnahme habe ich die Höhle mit in Wismut getauchtem 
Gazestöft (10 0 Gr. Bismutum subnitricum, 6 Gr. Mucilagogummi arab.) 
von der zwischen 12 und I? gelegenen Fistel aus fest austamponiert. 


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Beiträge zar Anatomie und Chirurgie ete. 


367 


VIII. Kombiniertes Anthrumempyem. 28jähriger, ziemlich 
indolenter Bindergehilfe. Anamnestisch konnte folgendes erhoben werden. 
Vor 6 Jahren hat sich Patient den linken oberen Schneidezahu „ausgebissen“. 
Bald nachher traten grosse Schmerzen auf, Patient hatte wiederholt die 
linke Oberlippe und Wange geschwollen. Nach längerer Zeit war endlich 
das „Geschwür“ durchgebrochen (zwischen 15 und l_5» nahe dem Zahnhalse 
des 15, wo die „Fistel“ auch zur Zeit der Operation noch bestand) und 
nun begann der „Zahnfluss“. Schwellungen waren seither keine mehr auf¬ 
getreten. Vor 3 Jahren hat ein Arzt die Wurzel des 15 gezogen. Der „Zahn- 
flnss“ war dann ein halbes Jahr hindurch angeblich besser, dann hat er 
aber wieder begonnen und seit 1 Jahr ungefähr ist er besonders heftig. Patient 
ist über sein Leiden sehr bekümmert, um so mehr, als er in letzter Zeit häufig 
von Kopfschmerzen geplagt wird. Er hat schon verschiedene Aerzte konsultiert. 

Status praesens: Kräftig gebauter Patient von etwas blasser 
Gesichtsfarbe. Die Frontzähne des Oberkiefers intakt, bis auf den fehlenden ]_?. 
Nahe dem Zahnhalse des [5 eine „Zahnfleischfistel“, aus der sich auf Druck 
massenhafter, dünnflüssiger, gelber, nicht jauchiger Eiter ergiesst. Sonst am 
Oberkiefer nichts Abnormes zu konstatieren. Nasensymptome waren niemals 
vorhanden, offenbar infolge des genügenden Eiterabflusses durch die Fistel. 
Operation: Nach ausgeführter Lokalanästhesie Schnitt durch die Weichteile 
von der Fistel aufwärts gegen die Spitze des JJ. Die Weichteile werden nach 
links und rechts zurückgeschoben, hierauf der Knochen (labiale Wand des 
Alveolarfaches des j_5) von der Fistel aufwärts mit dem scharfen Löffel ab¬ 
getragen , so dass man schliesslich durch ein grosses Loch in die riesig 
grosse Abszesshöhle gelangte. Dabei entleerte sich massenhaft Eiter. Mit der 
Sonde konnte ich 41/2 Om. nach aufwärts und lateral Vordringen, desgleichen 
konnte ich mit dem Instrument mesial hinter die Wurzel des ji gelangen. 
Es war demnach klar, dass in diesem Falle der von der Wurzel des L5 aus¬ 
gegangene „Markhöhlenabszess“ in das Anthrum durchgebrochen ist, so 
dass es schliesslich nach eitriger Einschmelzung der seidenpapierdünnen 
Scheidewand zwischen beiden Höhlen (Fig. 15) zur Bildung einer grossen, 
bimförmigen Höhle gekommen ist. Der stumpfe Pol der Birne entspricht dem 
Anthrnm Highmori, während der spitze, zapfenförmige Pol der Birne im 
Bereiche der mittlerweile eitrig eingescbmolzenen Substantia Spongiosa des 
Oberkieferkörpers gelegen ist. 

Bezüglich des Heilungsverlaufes solcher „kombinierter“ 
Anthrumempyeme wäre zu bemerken, dass der der Mark¬ 
höhle entsprechende Anteil der Abszesshöhle nach öfterem 
Tampon Wechsel durch Granulation und Bindegewebsbildung 
zur Ausheilung gebracht werden muss. Der restliche, dem 
Anthrum entsprechende Anteil der Abszesshöhle muss weiter 
rückwärts durch den Alveolarfortsatz hindurch trepaniert und 


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368 Dr. J. Lartschneider, Linz. Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc. 

dann mittels eines Zapfens aus Gold öder Kautschuk ge¬ 
schlossen und behandelt werden, wie dies bei gewöhnlichen 
Anthrumempyemen üblich ist. 

Das Ergebnis dieser Ausführungen möchte ich in folgende 
S&tze kurz zusammenfassen: 

Von den Wurzeln der Frontzähne des 
Oberkiefers ausgehende periapicale Ent¬ 
zündungsprozesse können auf dasMark (Sub- 
stantia spongiosa) des Oberkieferkörpers 
übergreifen und Markhöhlenabszesse (Mye¬ 
litis) verursachen. 

Diese Markhöhlenabszesse verlaufen entweder 

1. „latent“, d. h. siebleiben oft durch viele Jahre 
hindurch auf den Bereich der Substantia spongiosa be¬ 
schränkt und werden endlich auf operativem Wege 
(Trepanation der Markhöhle durch die Corticalis und 
eventuell durch die betreffende Wurzelspitze hindurch) 
eröffnet oder 

2. sie brechen schliesslich spontan irgendwo durch 
die Corticalis hindurch nach aussen, und zwar: 

a) labialwärts: gewöhnliche Zahnfleischfistel; 

b) palatinalwärts: Gaumenfistel; 

c) naso-frontalwärts: dentale Augenwinkelfistel; 

d) in das Anthrum Highmori hinein: kombi¬ 
niertes Anthrumempyem; 

e) Die Entzündungsprodukte benützen bei ihren 
Durchbruchsbestrebungen jene im Cribrum alveo¬ 
lare (Wände des Alveolarfaches) und in der 
Lamina corticalis des Oberkiefers befindlichen 
Löcher (Foramina nutritia, Poren), welche den 
Durchtritt der Gefässe und Nerven vermitteln. 

Am Schlüsse meiner Ausführungen fühle ich mich ver¬ 
pflichtet, meinem ehemaligen Chef, dem Herrn Hofrat Professor 
Dr. Karl Toldt, Vorstand der I. anatomischen Lehrkanzel in 
Wien, für die Bereitwilligkeit zu danken, mit welcher er mir 


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Dr. Wilhelm Wallisch, Wien. Ein naturgetreuer Artikulator. 369 

die reichhaltigen Sammlungen seines Institutes zur Verfügung 
gestellt hat. 

Desgleichen danke ich seinem Assistenten, dem Herrn 
Dozenten v. Schuhmacher, für vielfach erwiesene Freundlich¬ 
keiten. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Ein natnrptreier Artikulator . 1 

l 

Von Dr. Wilhelm Wallisch , Zahnarzt in Wien. 

Der neue Artikulator wurde von mir entsprechend den 
natürlichen Verhältnissen des Kiefergelenkes kon¬ 
struiert. Derselbe ist ein einfacher Schamierartikulator, der 
durch eine Schraubendrehung in einen Artikulator mit einer 
„im Raume fortschreitenden Achse“ verwenden werden kann. 
Die Achse gleitet auf einer Gelenkbahn, die der Form des 
Tuberculum articulare nachgebildet ist. Fig. 1 zeigt die Gelenk¬ 
fläche des Tuberculum articulare und das Unterkieferköpfchen 
in der Ruhestellung des Unterkiefers. Diese Figur wurde da¬ 
durch gewonnen, dass eine Schädelgelenkfläche mit Gipsbrei 
ausgegossen und der Unterkiefer bei genauem Zahnschluss dem 
Schädel angepresst wurde. Der Gipsabdruck wurde mit Wachs 
ausgegossen, in der Bewegungsrichtung des Unterkieferköpfchens 
durchgeschnitten und gezeichnet. 

< . Das Köpfchen lehnt sich an den absteigenden 
Teil des Tuberculum und wird in seiner Lage 
durch die aufein ander treffenden Zähn e gehalten. 
Fehlen die Zähne, so rückt das Köpfchen gegen die Cavitas 
glenoidalis, ohne jedoch deren Boden jemals zu berühren, da 
in der tiefsten Stellung der äussere Teil beider Kondylen den 
äusseren Pfannenrand triflt. 

’ Um im zahnlosen Munde Zähne einzusetzen, muss erst 
die in Fig. 1 gezeigte Ruhestellung des Unterkiefers festgestellt 


1:1 * Vortrag, gehalten im Verein Wiener Zahnärzte. 


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Dr. Wilhelm Wallisch, Wien. 


werden. Dies geschieht durch das Einsetzen und Probieren der 
sogenannten Bissschablonen. Ich habe bereits in einer früheren 
Arbeit „Das Kiefergelenk und der zahnärztliche Artikulator“ 
(„Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde“, Heft II, 
1903) die Lehren Parreidts und Bonwills zitiert, um diesen 
wichtigen Punkt durch die Ansichten erfahrener Praktiker zu 
beleuchten. 

Durch den „naturgetreuen Artikulator* soll die Möglichkeit 
gegeben werden, mit dem Modelle die Bewegungen des Unter¬ 
kiefers nachzuahmen, um die richtige Stellung der aufgestellten 
Zähne zu kontrollieren. Bleiben die Prothesen bei den ver¬ 
schiedensten Bewegungen des Kiefers fest sitzen, so ist die 



Fig. 1. 


Stellung der Zähne richtig, im entgegengesetzten Falle falsch. Dies 
hängt wieder von dem Druck ab, den die Zähne aufeinander 
ausüben. Trifft dieser Druck den Kiefer senkrecht oder von 
aussen nach innen, so bleiben die Prothesen auf ihrem Platze, 
wirkt der Druck jedoch von innen nach aussen, so werden die 
Prothesen auf der entgegengesetzten Seite von ihrer Unterlage 
abgehoben. Ein einfaches Beispiel hiefür ist der häufige Fall, 
bei dem die Zähne im Oberkiefer fehlen, derselbe ausserdem 
geschwunden ist, während im Unterkiefer nur die Vorderzähne 
stehen, die etwas nach vorne geneigt sind. Ersetzen wir dem 
Patienten die oberen Zähne und lassen die Vorderzähne hinter 
die unteren beissen, so wird das Stück bei allen Bewegungen 
fest sitzen. Der Patient wünscht jedoch, dass seine oberen 
Vorderzähne über die unteren beissen, wie es seine natürlichen 
Zähne getan hatten; in diesem Falle werden die unteren Zähne 


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Ein naturgetreuer Artikulator. 


371 


die oberen immer abheben. Um dies zu verhindern, müssen wir 
dem Patienten auch die oberen und unteren Backen- und Mahl¬ 
zähne ersetzen, und zwar in der richtigen Artikulationsebene. 
Schiebt der Patient dann den Unterkiefer vor, so rücken die 
höher gestellten unteren Backen- oder Mahlzähne auf die tiefer 
gestellten oberen Backen- oder Mahlzähne soweit, als die Vorder¬ 
zähne Übereinandergreifen; die unteren rückwärtigen Zähne 
drücken die obere Prothese direkt an den Gaumen an. Diese 
für das Aufstellen künstlicher Zähne richtige Artikulationsebene 
zeigt uns die Natur am schönsten beim offenen Biss oder bei 
Prognathie. Der erste Mahlzahn steht am tiefsten, von dem¬ 
selben steigen nach vorne die Backenzähne, nach rückwärts 
die Mahlzähne aufwärts. Beim normalen Biss, bei dem die 
oberen Vorderzähne die unteren überragen, findet sich diese 
Anordnung selten so gut ausgeprägt. Stehen die Vorderzähne 
mit ihren Schneiden aufeinander, so berühren die rückwärtigen 
Zähne sich meist gar nicht — wenn auch der Zwischenraum 
zwischen den Zähnen nach rückwärts immer geringer wird. 
Bei geringem Uebergreifen der Vorderzähne treffen beim Vor¬ 
schieben des Unterkiefers die Weisheitszähne meist die zweiten 
oberen Molaren. 

Wird der Unterkiefer bei einem vollständigen und 
gesunden Gebisse so vorgeschoben, dass der Unterkiefer 
dem Schädel angedrückt wird, bis die Schneidezähne mit ihren 
Schneiden aufeinanderstehen, so steht der Unterkiefer so viel 
tiefer als der Weg beträgt, den das Unterkieferköpfchen auf 
dem absteigenden Teile des Tuberculum articulare bis zum 
horizontalen Teile desselben zurückgelegt hat. Der Unter¬ 
kiefer hat sich bei dieserBewegung nicht gedreht, 
sondern er hat sich parallel zu seiner Ruhelage 
verschoben. Die Ursache hiefür liegt in der Entwicklung der 
Gelenkflächen. Beim Neugeborenen ist die Gelenkfläche des 
Schädels eine ebene Fläche, das Köpfchen des Unterkiefers ist 
trommelschlägelartig. Mit dem Durchbruch der Zähne wurde der 
Unterkiefer gleichsam von der Schädelgelenkfläche entfernt, diese 
folgt aber nach und bildet, das Tuberculum, das sich im Wachs¬ 
tum den durch die Zähne und durch deren Formen gegebenen 


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372 


Dr. Wilhelm Wallisch, Wien. 


Bewegungen anpasst, wobei auch die jetzt überflüssige kugelige 
Form des Unterkieferköpfchens in die für die Bewegungen 
zweckmässige querovale umgewandelt wird. 

Auf Basis dieser wissenschaftlichen Grundlage wurde 
mein Artikulator konstruiert und das besondere Augenmerk 
darauf gerichtet, die für das Aufstellen der Zähne unbedingt 
notwendige Stabilität zu erzielen, weshalb auch von der An- 

t 



Fig. 2. 


bringung von Federn abgesehen werden musste Der Artikulator 
(Fig. 2) besteht aus einem Körper und den zwei eingeschobenen 
Trägem für die Aufnahme der Modelle. Die Träger werden 
mittels Schrauben fixiert. Die Seitenwände des Körpers ent¬ 
halten die der Form des Tuberculum articulare nachgebildeten 
Gelenkflächen c, auf welchen die Achse des Oberteiles sich 
bewegt. Um eine parallele Verschiebung des Oberteiles zu 
ermöglichen, wurden ausserdem zwei offene Gelenkflächen a 
angebracht, welche den ersten Gelenkflächen parallel und genau 


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j 


Ein naturgetreuer Artikulator. 


373 


gleichgeformt sind. Auf diesen offenen Gelenkflächen bewegt sich 
eine der Achse parallel gestellte Stange b. Durch diese Vor¬ 
richtung entfällt auch die Stellschraube, welche bei den anderen 
Artikulatoren den freien Anblick der lingualen Artikulation 
benimmt. Um den Artikulator in einen gewöhnlichen Scharnier- 
artikulator zu verwandeln, werden die Blenden i gegen c ge¬ 
drückt und durch die Schraube k festgestellt. Die Schraube 
ist links geschnitten, weshalb durch die Schraubendrehung die 
Blenden noch fester gegen die Achse angedrückt werden. 

Fig. 2 zeigt die Modelle beider Kiefer mit den künstlichen 
Zähnen im Artikulator eingestellt, und zwar in dem Momente, 
in welchem die Kanten der Vorderzähne sich berühren. Gleich¬ 
zeitig berühren sich die Höcker der oberen ersten Backenzähne 
mit den Höckern der zweiten unteren Backenzähne dd und die 
distalen Höcker der ersten oberen Molaren haben sich auf die 
mesialen Höcker der zweiten unteren Molaren e« geschoben. 
Durch diese Art der Zahnaufstellung ist ein Abheben der oberen 
Prothese beim Vorschieben des Unterkiefers ausgeschlossen. 
Die als Schatten gezeichnete obere Zahnreihe zeigt die Zahn¬ 
stellung in der Ruhestellung des Unterkiefers. Die Abbildung 
zeigt auch deutlich, wie die Zähne zugeschliffen werden müssen, 
um den beabsichtigten Effekt zu erreichen. 

Der Artikulator gestattet aber auch die Ausführung der 
seitlichen Bewegungen. Während auf der einen Seite der 
obere Eckzahn sich über den unteren Eckzahn schiebt — 
welche Bewegung die obere Platte auf der anderen Seite von 
ihrer Unterlage abhebeln würde — schieben sich bei dieser 
Zahnstellung auf der anderen Seite die schiefen Zahnflächen 
übereinander und halten die Platte am Gaumen fest. 

Es drängt sich nun gewiss die Frage auf, ob diese 
schematische Gleitbahn für alle Fälle genügt und ob es nicht 
möglich ist, die jedem Falle entsprechende Gleitbahn heraus¬ 
zufinden. 

Zur ersten Frage bemerke ich, dass ein ziemlich hohes 
Tuberculum gewählt wurde, das bei zahnlosem Munde eigent¬ 
lich nie höher gefunden wird. 


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374 


Dr. Wilhelm Wallisch, Wien. 


Was geschieht, wenn das Tuberculum niederer ist? Schiebt 
ein solcher Patient den Unterkiefer vor, so muss sich der 
Unterkiefer drehen, die Zähne werden vorne klaffen, was bei 
künstlichen Zähnen kein Nachteil ist. Das Klaffen der Vorder- 
zäbne kann aber auch anzeigen, dass die Entfernung der Kiefer 
voneinander zu gross genommen wurde, indem durch die zu 
hohen Bissschablonen das Unterkieferköpfchen dem horizontalen 
Teile des Tuberculum zu nahe gerückt wurde. 

Was die zweite Frage betrifft, so muss ich hier wieder¬ 
holen, dass bei Patienten, die ein vollständiges Gebiss haben, 
der Weg, den der Kondylus beim Vorschieben des Unterkiefers 
zurücklegt, genau bestimmt werden kann durch den Weg, den 
z. B. ein Zahn des Unterkiefers zurücklegt, da bei paralleler 
Verschiebung eines Systemes jeder Punkt dieses Systemes den 
gleichen Weg macht. Da für uns aber gerade beim zahnlosen 
Munde die Form des Tuberculum wichtig ist, so können wir 
dieses Hilfsmittel nicht anwenden, da wir nie wissen, ob der 
Unterkiefer nicht doch eine Drehung gemacht hat oder die 
Untersuchung wäre so kompliziert, dass wir sie für die Praxis 
nicht brauchen können. 

Wenn Christensen glaubt, durch die verstellbare Gleit¬ 
bahn seines Artikulators die Form des jeweiligen Tuberculums 
zu finden, so zeigt schon der einfache Blick auf das Tuberculum, 
dass dies ein Irrtum ist: er findet die gerade Verbindungslinie 
der ersten und der letzten Stellung des Kondylus, wobei der 
Unterkiefer sich ausserdem noch gedreht hat. Wenn die letzten 
Worte seines Aufsatzes: „ ... so wird sich beim Einprobieren 
zeigen, dass die Zähne genau so im Munde artikulieren, wie 
im Artikulator“, richtig sind, so hat er gerade das Gegenteil 
von dem erreicht, was er wollte. Da bei seiner zweiten Biss- 
nahme die Bissschablonen sich vorne berühren und rückwärts 
klaffen, so müssten also auch die Zähne sich so berühren und 
die obere Platte würde vom Oberkiefer abgehebelt. 

Dass der Bonwillsche Artikulator mit seiner horizontalen 
Gleitstange unrichtig ist, haben schon viele Autoren hervor¬ 
gehoben, doch sind Bonwills Studien über die geometrischen 
und mechanischen Gesetze der Artikulation der menschlichen 


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Ein naturgetreuer Artiknl&tor. 


375 



Zähne sehr wertvoll. Ich habe auch bei der Konstruktion meines 
Artikulators Bonwills gleichseitiges Dreieck verwendet, in¬ 
dem die Gelenkflächen des Artikulators 10 Gm. voneinander 
entfernt gehalten wurden. Um mit Hilfe des Dreieckes die 
Modelle richtig in den Artikulator einzustellen, wurde ein 
Rahmen (Fig. 3) gewählt, der an den Häkchen f des Artikulators 
fixiert wird und der an seiner vorderen Wand durch ein vor- 


Fig. 3. 

springendes Zäpfchen h die vordere Spitze des Dreieckes be¬ 
zeichnet, die Stelle, wo die beiden unteren mittleren Schneide¬ 
zähne sich berühren. Der Rahmen trägt ausserdem an beiden 
Seiten verschiebbare Nadeln g, welche im Verein mit der vor¬ 
springenden Ecke die Bissschablone mit dem Modell fixieren 
sollen. Man braucht dann bloss unter das Unterkiefermodell 
und über das Oberkiefermodell Gipsbrei zu geben, um die 
Modelle richtig in den Artikulator einzusetzen. 


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376 


Dr. Wilhelm Wallisch, Wjem 


Besonders wichtig ist ein genaues Einstellen der Modelle, 
wenn man auf Grund des Dreieckes die künstlichen Zähne auf¬ 
stellen will. Bon will hat mit Hilfe des Dreieckes den Zahn¬ 
bogen für den Oberkiefer konstruiert. Fig. 4 zeigt das gleich¬ 
seitige Dreieck A A F mit der Senkrechten F T auf A A. 



Um den Bogen für die künstlichen Zähne zu finden, 
nimmt man die Breite des ausgesuchten grossen und kleinen 
Schneidezahnes sowie des Eckzahnes in die Zirkelöffnung, setzt 
in F ein und beschreibt einen Kreis, der in J die Senkrechte 
schneidet. Dies ist der Mittelpunkt für einen zweiten Kreis mit 
demselben Radius. DFD gibt den Bogen für die oberen 
Vorderzähne. Verbindet man D mit -4, so gibt dies die buccale 
Wand der Backen- und Mahlzähne. Bon will bestimmt weiters 


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Ein naturgetreuer Artikulator, 


377 


konstruktiv die Grösse und Stellung dieser Zähne, was mir 
sehr gekünstelt und ausserdem nicht richtig vorkommt. Ich 
habe nur gefunden, dass die Linie EYE. die Parallele zu AA 
durch F, ungefähr die Grenze des zweiten Mahlzahnes gegen 
den dritten angibt. Da beim künstlichen Gebisse der dritte 
Mahlzahn fehlt, so ist damit die Grösse desselben gegeben. 
Zu den Rahmen passend, die zur Einstellung der Modelle 



Fig. 5. 


dienen, habe ich Bögen nach verschieden grossen Vorderzähnen 
hersteilen lassen, die in die Häkchen des Artikulators ein¬ 
gehängt werden. Der Grösse der Vorderzähne entsprechend, 
sind Ausschnitte am Bogen angebracht. Hängt man den 
Bogen (Fig. 5) in den Artikulator ein, so kann man den Um¬ 
fang des Bogens auf der Bissschablone des Ober- oder Unter¬ 
kiefers abzeichnen und so die Zähne des Unter-, respektive 
Oberkiefers aufstellen. 

3 


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878 Dr. Wilhelm Wallisch, Wien. Ein naturgetreuer Artikulator. 

Natürlich darf man nicht vergessen, dass dieser Bogen 
eine Schablone ist, die individualisiert werden muss. Ins¬ 
besondere wird man die Mahlzähne etwas mehr nach innen 
rücken müssen, damit nicht ihr Druck nach aussen von der 
Alveolarleiste wirkt. 

Um auch für die Bissschablone schon ein sicheres und 
bequemes Arbeiten zu haben, verwende ich auch da den 



Fig. 6. 


Bogen (Fig. 6), der aus einer Metallplatte ausgeschnitten ist und 
bis zum zweiten Mahlzahn inklusive reicht. Die Bissschablonen 
bekommen dadurch eine gleichmässige Form, was das Ein¬ 
probieren im Munde sehr erleichtert. 

Bei der Konstruktion des Artikulators habe ich es ver¬ 
sucht, die Ideen Bon wi 11s auf die richtige anatomische Grund¬ 
lage zu stellen und sie in eine für den Praktiker passende 
Form zu bringen, so dass ich den Artikulator auch einen natur¬ 
getreuen Bonwill-Artikulator nennen könnte. 


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Dr. Hans Pichler, Wien. Zwei neue Instrumente zum Finieren etc. 379 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Zwei neue Miwote zu Finieren non FInnien. 

Von Dr. Hans Pichler, Zahnarzt in Wien. 

Wenn ich mit dieser kleinen Publikation den Kollegen 
zwei neue Instrumente vorlege und zur eigenen Erprobung 
empfehle, bin ich mir wohl bewusst, dass es sich dabei um 
keine sehr bedeutende Sache handelt und dass sich mit ihnen 
gewiss nichts wesentlich Besseres erzielen lässt, als mit 
manchen anderen gebräuchlichen Instrumenten. Ich weiss auch, 
dass es bedenklich ist, unser Instrumentarium noch vergrössern 
und komplizieren zu wollen. Ich bin jedoch nach mehrjährigem 
Gebrauch zur Ansicht gelangt, dass die beiden Instrumente 
mir ermöglichen, gewisse Details beim Finieren von Füllungen 
etwas leichter und bequemer und vielleicht sogar ein ganz 
klein wenig exakter auszuführen, als ich es ohne sie könnte. 
Wenn auch nur einige wenige Kollegen diese Hilfsmittel ver¬ 
suchen und zu demselben Schlüsse gelangen, ist die Sache der 
Mitteilung wohl wert gewesen. Der nächste Anlass dazu war 
der, dass die Firma Weiss & Schwarz in Wien es jetzt 
übernommen hat, die Instrumente herzustellen und in den 
Handel zu bringen. 

Bevor ich auf die Beschreibung der Instrumente selbst 
eingehe, sei es mir gestattet, etwas weiter auszuholen und 
einige allgemeine Bemerkungen über das Finieren von Füllungen 
vorauszuschicken. Mit dem Ausdrucke Finieren meine ich das 
Wegnehmen des Füllungsüberschusses, unter Polieren verstehe 
ich das Glätten der Füllungsoberfläche. 

Es kommt beim Finieren erstens darauf an, dass dort, 
wo Füllung und Zahn aneinanderstossen, die Oberfläche der 
Füllung ganz glatt in die Zahnoberfläche übergeht, ohne dass 
die eine über die andere hervorragt, ohne dass eine Stufe 
oder eine Spalte besteht. Auch das geringste Uebergreifen der 
Füllung über die benachbarte Zahnoberfläche mit einem dünnen, 

3* 


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880 


Dr. Hans Pichler, Wien. 


allmählich sich verjüngenden Rand ist verwerflich, weil solche 
dünne Füllungsteile bekanntlich bald abbröckeln, wodurch eine 
Stufe entsteht. 

Es kann die Mahnung nicht oft genug wiederholt werden, 
jede fertige Füllung mit einer sehr spitzen Sonde in der Weise 
zu prüfen, dass man überall in beiden Richtungen über die 
Ränder geht. Nur wenn der Uebergang ein vollkommen 
glatter ist, soll man mit dem Resulta r zufrieden sein. Für 
die Prüfung des gingivalen Randes approximaler Füllungen 
empfiehlt Dr. Black eine gerade oder fast gerade Sonde zu 
verwenden, die in einem sehr spitzen Winkel zur Zahnober¬ 
fläche geführt wird. Man ist damit viel weniger einer Täuschung 



Fig. 1. 

Entstehen eines dünnrandigen Amalgamüberschusses beim Abstreichen mit 
einem Spatel in der Richtung von der Füllung gegen den Kavitätenrand. 

ausgesetzt, als bei Benutzung einer Sonde mit einem kurzen 
Haken am Ende. 

Das zweite Erfordernis beim Finieren ist das, dass die 
Füllung dieselbe Wölbung habe wie jener Teil der ursprüng¬ 
lichen Zahnoberfläche, den sie ersetzt. 

Bei plastischen Materialien — ich denke dabei vornehm¬ 
lich an Amalgam, da die Zemente doch in den meisten Fällen 
für einen dauerhaften Konturersatz nicht forinbeständig genug 
sind — geschieht das erste Finieren gewöhnlich durch Konden¬ 
sieren und Glattstreichen mit Spateln oder ähnlichen stumpfen 
Werkzeugen. Eine genauere Beobachtung zeigt aber, dass auf 
diese Weise die eben angeführten Forderungen meist nur un¬ 
vollkommen erreicht werden: Streicht man mit dem Spatel 
von der Füllung gegen den Zahn (Fig. 1)* so zieht man etwas 


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Zwei nene Instrumente znm Finieren von Füllungen. 381 

Füllungsmaterial über die Schmelzoberfläche und lässt schliesslich 
fast stets eine Spur des oben beschriebenen dünnrandigen Über¬ 
schusses zurück; streicht man dagegen von der Zahnoberfläche 
gegen die Füllung, so geschieht es erstens, dass dadurch das 
Füllungsmaterial von der Höhlenwand abgezogen wird, so dass 
der Randschluss leidet und zweitens, dass das Instrument im 
Moment, wo es von der harten Zahnoberfläche auf die nach¬ 
giebigere Füllung kommt, diese etwas eindrückt und so eine 
leichte Depression der Füllungsoberfläche gegenüber der Zahn¬ 
oberfläche hervorruft. (Fig. 2.) 

Führt man das Instrument mehr oder weniger parallel 
dem Eavitätenrand, so kommt man eigentlich am besten aus, 


-> 



Entstehen einer Depression, wenn man mit dem Spatel von der Zahnober¬ 
fläche gegen die Füllung streicht 

erreicht aber ein exaktes Resultat auch nur dann, wenn der 
Spatel die Zahnoberfläche genau längs des Kavitätenrandes 
tangential berührend geführt wird (Fig. 3a; die Richtung, in 
der der Spatel bewegt wird, steht senkrecht auf der Papier¬ 
ebene). 

Man kann also ein weiches Material mit dem Spatel nur 
ausnahmsweise wirklich genau finieren. Das Uebergreifen des 
Füllungsmaterials lässt sich dabei höchstens dort mit Sicher¬ 
heit vermeiden, wo es nicht darauf ankommt, dass die Füllung 
ebenso stark gewölbt sei, wie die benachbarte Zahnoberfläche 
(z. B. an der Approximalfläche eins Zahnes, der auf dieser Seite 
keinen Nachbar hat). In diesem Falle dient der Rand der 
Kavität als Führung für das Instrument, etwa so, wie wenn 
man den Inhalt einer übervollen Küvette mit dem Gipsspatel 


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382 


Dr. Hans Pichler, Wien. 


am Rande glatt abstreicht. Es bleibt also bei allen weichen 
plastischen Füllungen ziemlich viel Finierarbeit übrig, die erst 
nach beendigtem Erhärten mit Sandpapierscheiben, Steinen, 
Polierstreifen etc. gemacht werden kann. Daran liegt nicht viel, 
soweit die Füllungsoberfläche für rotierende Instrumente gut 
zugänglich ist, mit denen man rasch und ausgiebig arbeiten 
kann; es Hesse sich höchstens einwenden, dass dabei auch 




Fig. 3. 

Führung des Spatels parallel zum Baude der Kavität; dabei exaktes Ab¬ 
streichen des Ueberschnsses, wenn der Spatel genau am Rande der Kavität 
tangiert (a), Entstehen eines Ueberscbusses oder einer Depression, wenn dies 
nicht genau zutrifft (b und c). 

ein ziemlich ausgiebiges Abschleifen des Schmelzes nicht ganz 
vermieden werden kann. In früherer Zeit ist. man auch mit 
diesen Finiermitteln ganz gut ausgekommen. Seit man aber 
gelernt hat, auf den vollen Ersatz des approximalen Konturs 
Gewicht zu legen, seit man einsieht, dass eine approximale 
Füllung nur dann ihren Zweck ganz erfüllt, wenn sie einen 
wohlgeformten und geglätteten Berührungspunkt mit den* 


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Zwei neue Instrumente zum Finieren von Füllungen. 


383 


Nachbarzahn hat, ist das Modellieren und Abschleifen appro- 
ximaler Füllungsoberflächen schwieriger geworden. Wenn man 
nicht eigens zu diesem Zweck exzessiv separiert, ist es aus¬ 
geschlossen, den gingivalen Rand oder den Eontaktpunkt etwa 
mit rotierenden Scheiben zu glätten. 

Hier kommt daher eine andere Methode des Finieres zu 
Ehren, welche viel genauer ist als die früher beschriebene des 
Abstreichens von überschüssigem FüUungsmaterial, nämlich 
die Methode des Wegschneid ens, 

Wir verwenden sie bei hartem Material, z. B. bei Gold 
oder voll erhärtetem Silikatzement; am allerbesten aber eignet 
sich dazu ein Material von solcher Konsistenz, dass es sich 


i 



leicht schneiden lässt, ohne dabei plastisch zu sein. Es ist das 
z. B. die Konsistenz des halb erhärteten Amalgams, so wie 
sie ein schnell härtendes Amalgam gleich nach Beendigung 
des Stopfens hat. Ich habe schon oft hervorgehoben, wie 
vorteilhaft es ist, diese glückliche Konsistenz beim Finieren 
auszunützen. 

Ich will hier zunächst nur das Finieren an den axialen 
Flächen der Zähne behandeln. Ueber das Finieren an den 
Kauflächen folgen einige Bemerkungen später. 

Beim Wegschneiden führt man immer das Messer in der 
Riehtung vom Zahn gegen die Füllung mehr oder weniger 
senkrecht auf den Kavitätenrand. Dabei muss es stets tangential 
zur Krümmung der Zahnoberfläche gehalten werden. 


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B84 


Dr. Hans Pichler, Wien. 


Man wird natürlich nicht den ganzen Ueberschuss mit 
einem Schnitt wegnehmen wollen, sondern wird in dünnen 
Spänen immer mehr davon wegnehmen, indem man anfangs 
das Messer an einem vom Kavitätenrand entfernt gelegenen 
Punkt (Fig. 4 a) tangieren lässt und die Neigung allmählich 
ändert, so dass man erst nach mehreren Schnitten den 
Tangierungspunkt wirklich an den Rand der Kavität selbst 
verlegt (Fig. 4 c). Beim Finieren von Gold ist das selbstverständ¬ 
lich, da man dieses nur in dünnen Spänen schneiden kann, 
bei Amalgam ist es ein Gebot der Vorsicht: es könnte sonst 
gelegentlich ein Teil der Füllung herausbrechen. 

Solange es sich um konvexe Teile der Zahnoberflächen 
handelt, ist es klar, dass sich am besten eine Ebene als 



Fig. 5. 


Tangente eignet. Das ist der Grund, warum die Finiermesser 
am besten eine flache Klinge haben. Gebogene Klingen 
„schmiegen sich mit ihrer konkaven Seite der Zahnoberfläche“ 
allerdings besser an, sind aber deshalb gefährlich, weil man 
leicht damit in die Füllung zu tief einschneidet, sobald der 
Krümmungsradius ihrer Biegung kleiner wird als der der be¬ 
treffenden Zahnoberfläche. Wir finden an den Approximal- 
flächen fast immer Partien, die eben sind und an solchen Stellen 
ist die konkave Klinge gefährlich. Es kann z. B. leicht ge¬ 
schehen, dass das hohle Messer den Zahn an einer Stelle sehr 
schön tangiert, dabei aber an einer anderen Stelle mit der 
Spitze in die Füllung hineinschneidet (Fig. 5). 

Schon die ebene Klinge erfordert eine besondere Auf¬ 
merksamkeit bei der Führung dort, wo die Approximalfläche 
konkav ist, wie z. B. regelmässig an der mesialen Fläche 


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Zwei neue Instrumente zum Finieren von Füllungen. 38B 

oberer Bicuspidaten. Für das Finieren au diesen Stellen muss 
man in der Tat konvexe Schneiden verwenden. Ich benütze 
eine konvexe Feile oder einen grossen Löffelexkavator. 

Theoretisch genommen wäre es daher von diesem Stand¬ 
punkte aus am richtigsten — wenn man ein Instrument sucht, 
das sich überall universell anwenden lässt — die konvexe 
Seite eines gebogenen Messers -zu benützen. 

Dabei ergeben sich aber einige Nachteile: 

1. Ist es viel leichter, bei einem flachen Messer sich in 
jedem Moment über die Neigung zum bearbeiteten Teil der 
Zahnoberfläche richtig Rechenschaft zu geben; 

2. ist die Schneide einer ebenen Klinge viel leichter ge¬ 
rade und scharf zu erhalten und 

3. müsste man einer gebogenen Klinge für die Verwendung 
an stark distal gelegenen Approximalflächen eine besonders 
starke Neigung gegen den Schaft geben, die ihre Verwend¬ 
barkeit an anderer Stelle wieder beeinträchtigen würde. 

Es ist also besser, die Konkavität des zu ersetzenden 
Konturs als einen Ausnahmsfall zu betrachten, bei dem spezielle 
Vorsicht und spezielle Instrumente von nöten sind, um so 
mehr, als die Konkavitäten an den Axialflächen an ganz 
typischen Stellen liegen und keine grosse Breitenausdehnung 
haben, so dass es nicht so schwer ist, bei einiger Aufmerk¬ 
samkeit das Hineinschneiden in den Kontur mit der flachen 
Klinge zu vermeiden. 

Dies sind also die Gründe, warum ich glaube, dass die 
Finiermesser ebene Klingen haben sollen. 

Aus ähnlichen Gründen ist die Schneide gerade und nicht 
sichelförmig konkav. Es kommt ja natürlich vor allem darauf 
an, wie die Schneide, also eine Linie, nicht eine Fläche, die 
Zahnoberfläche tangiert. Denn beim Schneiden wird ja die 
Klinge immer ein wenig gegen die Oberfläche geneigt und 
parallel zu sich selbst, aber nicht genau in ihrer eigenen 
Ebene fortbewegt, etwa wie die Klinge eines Hobels, eines 
Rasiermessers etc. bei ihrem gewöhnlichen Gebrauch. Wenn 
man eine ebene Klinge mit konkaver Schneide gegen die Zahn- 


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386 


Dr. Hans Pichler, Wien. 


Oberfläche geneigt führt, erzielt man natürlich dieselbe ge¬ 
wölbte Schnittfläche wie mit einer gebogenen Klinge, die man 
mit der konkaven Seite flach aufgelegt führt. 

Sehr nützliche Finiermesser mit ebenen Klingen sind die 
anbei abgebildeten Messer von Black (Fig. 6). Während ich sie 
für leichter zugängliche Stellen bevorzuge, schien es mir zweck¬ 
mässig, ein Paar Messer zu konstruieren, mit welchen auch 
die weiter hinten im Munde gelegenen approximalen Flächen 
der Zähne bequem zu finieren wären. Zu diesem Zweck habe 
ich der Klinge, die in Form und Dimensionen den Blackschen 
Messern genau nachgebildet ist, eine derartige 45gradige Neigung 
gegen den Schaft gegeben, dass sie eine Mittelstellung ein¬ 
nimmt zwischen einer Klinge, die um 45° über die Kante und 
einer solchen, die um 45° über die Fläche gebogen ist, ähn¬ 
lich wie sie z. B. die Flächen des Vajnaschen Spatels (Fig. 7) 
haben. 

Diese Neigung ermöglicht es, die Klinge sowohl in die 
Sagittal- wie in die Frontalebene einzustellen, ohne dass dabei 
der Schaft des Instrumentes um mehr als 45° von der Sa- 
gittalaxe ab weicht. Man kann also alle axialen Flächen auch 
der letzten Mahlzähne damit tangieren, wie es zum korrekten 
Finieren nötig ist, ohne mit den Wangen in Konflikt zu 
kommen oder die Mundwinkel übermässig auszudehnen. Na¬ 
türlich ist ein Instrumentenpaar (Fig. 8) (je eines rechts und 
links) notwendig, die an einem Schaft zu einem doppelendigen 
Instrument vereinigt sein können, aber wegen der Gefahr von 
Verletzungen durch das ünbenützte Ende wohl besser getrennte 
Handgriffe haben. 

Ich will jetzt noch auf eine weitere gemeinsame Eigen¬ 
schaft aller dieser Messer näher eingehen. Es ist das die 
Kompensationskrümmung, der Contra-angle, wie es 
englisch heisst. 

Diese hat den Zweck, den working point des Instruments, 
das ist die Stelle, an der der Widerstand beim, Arbeiten an* 
greift, ungefähr in die gerade Fortsetzung des Handgriffes zu 
verlegen. 


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Zwei nene Instrumente zum Finieren von Füllungen. 


387 




Fig. 8. 

Das Finiermesserpaar des Autors. 


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Fig. 7. 

Spatel »Protektor* 
nach Vajna. 



888 


Dr. Hans Pichler, Wien. 


Fig. 9 stellt ein starres System dar; der längere Arm sei 
um seine eigene Axe drehbar festgehalten; auf den kürzeren 
Arm wirke eine Kraft in der Papierebene in der Richtung 
eines der Pfeile ein. Dann befindet sich das System in labialem 
Gleichgewichtszustand: In dem Momente, wo die Kraft im 
geringsten schräg gegen die Papierebene wird, wird das kurze 


Fig. 9. 

Ende umkippen, indem sich das lange um 180° um seine 
Axe dreht. 

Auf die Praxis übertragen heisst das: Wenn ich mit 
einem analog gebauten Instrument arbeite, dreht es sich mir 
in der Hand. Das Drehmoment wird grösser mit der Entfernung 
des Angriffspunktes der Kraft von der Drehungsaxe, es wird 



Fig. 10. 

Zwei verschiedene Formen von Eompensationskrümmnng. 

gleich Null, wenn diese Entfernung gleich Null wird. Das be¬ 
deutet, dass ich die Tendenz zum Drehen in der Hand ver¬ 
schwinden machen kann, wenn ich dem Instrument eine der¬ 
artige Kompensationskrümmung gebe, dass seine Spitze in die 
gerade Fortsetzung des Schaftes zu liegen kommt (Fig. 10). 

Ein zweites, weniger vollkommenes Gegenmittel ist das, 
die Handgriffe recht dick und kantig zu machen. Das beseitigt 
natürlich nicht die Tendenz zum Drehen, gibt aber immerhin 


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Zwei neue Instrumente zum Finieren von Füllungen. 389 

die Möglichkeit, dieser Tendenz durch Festhalten wirksam zu 
begegnen. 

Das Prinzip der Kompensationskrümmung ist natürlich 
uralt und findet seine Anwendung bei allem möglichen Werk¬ 
zeug; wenn ich nicht irre, begegnet man ihm schon bei den 
primitiven Instrumenten der Steinzeit. Ich weiss mich sehr gut 
zu erinnern, dass ich schon als Kind die Beobachtung machte, 
dass ich mit meinen kleinen Spielzeug-Gartenwerkzeugen viel 
ungeschickter arbeitete als mit den grossen, schweren, meinen 
Körperkräften viel weniger angemessenen Werkzeugen der 
Landleute. Ich wusste mir freilich die Ursache damals nicht 
zu erklären. Meine Schaufel sah so aus (Fig. 11), die des 
Arbeiters so (Fig. 12). Die Krümmung des Stieles kompensiert 



die winkelige Stellung des Schaufelblattes zum Stiel derart, 
dass der Angriffspunkt der Last in die Fortsetzung der Ver¬ 
bindungslinie jener Punkte kommt, an denen die beiden Hände 
des Arbeiters den Stiel anfassen. 

Ich weiss nicht, wer dieses alte Prinzip zuerst klar 
formuliert hat. Ich selbst kenne es aus den Lehren Blacks, 
der es stets hervorhebt und bei allen seinen Instrumenten an¬ 
gewendet hat. Jedenfalls sind sich viele Zahnärzte und Fabri¬ 
kanten zahnärztlicher Instrumente dessen nicht klar bewusst. 
Beweis dafür, dass sehr viele Instrumente in Gebrauch sind 
und noch immer gemacht werden, die ganz unnötigerweise 
diesem Prinzip nicht Rechnung tragen und daher nur un¬ 
vollkommen brauchbar sind. Aus diesem Grunde dürfte es 
nicht überflüssig gewesen sein, an dieser Stelle wieder einmal 


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390 



Fig. 13. 

Kauflächen-Modellier- 
instramente des Autors. 


Dr. Hans Pichler, Wien. 

darauf hinzuweisen. Man vergleiche, um 
nur ein Beispiel zu nennen, die Sicherheit 
und Bequemlichkeit des Arbeitens mit dem 
S. S. Whiteschen Contra-angle-Handstück 
mit der Unhandlichkeit des einfachen Recht¬ 
winkelstücks. Dieser Vergleich dürfte ge¬ 
nügen, um jeden von dem Wert der Kom¬ 
pensationskrümmung im allgemeinen zu 
überzeugen. Je grösser die angewendete 
Kraft, je grösser die Abweichung des In¬ 
strumentenendes von der Schaftrichtung und 
je dünner der Handgriff, desto notwendiger 
ist sie. 

Das zweite Instrument (Fig. 13), das 
ich hiemit den Kollegen vorlege, habe ich 
mir zum Modellieren und Finieren der Kau¬ 
fläche bei grossen Amalgamfüllungen an¬ 
gefertigt. Es ist ein Instrumentenpaar, 
zweckmässig an einem gemeinsamen Griff 
vereinigt und sieht etwa aus wie ein Paar 
übergrosser, rechts und links gekrümmter 
Löffelexkavatoren Nur ist die Schneide 
nicht rund, sondern zeigt in der Mitte 
eine rechtwinkelige Ecke. Dieser rechte 
Winkel entspricht ungefähr dem Winkel, in 
dem die geneigten Flächen der Kauhöcker 
in den Kauflächenfurchen aneinanderstossen 
(Fig. 14). Der Winkel von 45°, in dem die 
Klinge zum Schaft steht, ermöglicht es, 
sowohl die Längs- als auch die Querfurchen 
bequem aus dem Amalgamüberschuss der 
Kaufläche herauszuschneiden. Dabei be¬ 
kommt man unmittelbar eine Neigung der 
schrägen Flächen von 90° gegeneinander. 
Steilere als rechtwinkelige Furchen braucht 
man niemals nachzuahmen, flachere lassen 
sich leicht herstellen, wenn man ab- 


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Zwei nette Instrumente zum Fioieren von Füllungen. 


391 


wechselnd nur mit einer der beiden Kanten schneidet Und 
das Instrument jedesmal etwas anders neigt. Hat man die 
Furchen zur gehörigen Tiefe ausgekratzt, so modelliert man 
noch die einzelnen Höcker genauer aus, wobei es zustatten 
kommt, dass man immer eine der vier zur Verfügung stehenden 
Schneiden bequem in der gewünschten Neigung halten kann. 

Zum Schlüsse prüft man mit einer sehr spitzigen Sonde 
die Ränder der Füllung; der geringste Füllungsüberschuss ist 
daran kenntlich, dass die von der Schmelzoberfläche gegen 
den Rand geführte Sonde hängen bleibt. Er wird durch sorg- 



Fig. 14. 


faltiges Wegschneiden oder -schaben in der angegebenen 
Richtung abgetragen. Dabei muss man für konkave Stellen 
natürlich ein Instrument mit konvexer Schneide, in der Regel 
einen gewöhnlichen Löfifelexkavator zu Hilfe nehmen. Diese 
Arbeit lässt sich in dieser Weise schnell und so genau machen, 
dass das nachträgliche Polieren mit Bimsstein- und Kreidepulver 
nur mehr sehr wenig Mühe macht. 

Mit Hilfe meines Instrumentes lässt sich die Kaufläche 
wirklich recht rasch in scharf ausgeprägtem Relief modellieren. 
Das ist insofeme oft eine Erleichterung, als man so schon, 
ohne den Aufbiss zu prüfen, ziemlich leicht die richtige Höhe 
der Füllung annähernd herausbringt und dadurch die lang¬ 
weilige und bei schnellhärtendem Amalgam für die Füllung 


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890 



Fig. 13. 

£ auflächen-Modellier- 
instrumente des Autors. 


Dr. Hans Pichler, Wien. 

darauf hinzuweisen. Man vergleiche, um 
nur ein Beispiel zu nennen, die Sicherheit 
und Bequemlichkeit des Arbeitens mit dem 
S. S. Whiteschen Contra-angle-Handstück 
mit der Unhandlichkeit des einfachen Recht¬ 
winkelstücks. Dieser Vergleich dürfte ge¬ 
nügen, um jeden von dem Wert der Kom¬ 
pensationskrümmung im allgemeinen zu 
überzeugen. Je grösser die angewendete 
Kraft, je grösser die Abweichung des In¬ 
strumentenendes von der Schaftrichtung und 
je dünner der Handgriff, desto notwendiger 
ist sie. 

Das zweite Instrument (Fig. 13), das 
ich hiemit den Kollegen vorlege, habe ich 
mir zum Modellieren und Finieren der Kau¬ 
fläche bei grossen Amalgamfüllungen an¬ 
gefertigt. Es ist ein Instrumentenpaar, 
zweckmässig an einem gemeinsamen Griff 
vereinigt und sieht etwa aus wie ein Paar 
übergrosser, rechts und links gekrümmter 
Löffelexkavatoren Nur ist die Schneide 
nicht rund, sondern zeigt in der Mitte 
eine rechtwinkelige Ecke. Dieser rechte 
Winkel entspricht ungefähr dem Winkel, in 
dem die geneigten Flächen der Kauhöcker 
in den Kauflächenfurchen aneinanderstossen 
(Fig. 14). Der Winkel von 45°, in dem die 
Klinge zum Schaft steht, ermöglicht es, 
sowohl die Längs- als auch die Querfurchen 
bequem aus dem Amalgamüberschuss der 
Kaufläche herauszuschneiden. Dabei be¬ 
kommt man unmittelbar eine Neigung der 
schrägen Flächen von 90° gegeneinander. 
Steilere als rechtwinkelige Furchen braucht 
man niemals nachzuahmen, flachere lassen 
sich leicht hersteilen, wenn man ab- 


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Zwei nene Instrumente zum Finieren von Füllungen. 391 

wechselnd nur mit einer der beiden Kanten schneidet lind 
das Instrument jedesmal etwas anders neigt. Hat man die 
Furchen zur gehörigen Tiefe ausgekratzt, so modelliert man 
noch die einzelnen Höcker genauer aus, wobei es zustatten 
kommt, dass man immer eine der vier zur Verfügung stehenden 
Schneiden bequem in der gewünschten Neigung halten kann. 

Zum Schlüsse prüft man mit einer sehr spitzigen Sonde 
die Ränder der Füllung; der geringste Füllungsüberschuss ist 
daran kenntlich, dass die von der Schmelzoberfläche gegen 
den Rand geführte Sonde hängen bleibt. Er wird durch sorg- 



Fig. 14. 


fähiges Wegschneiden oder -schaben in der angegebenen 
Richtung abgetragen. Dabei muss man für konkave Stellen 
natürlich ein Instrument mit konvexer Schneide, in der Regel 
einen gewöhnlichen Löfifelexkavator zu Hilfe nehmen. Diese 
Arbeit lässt sich in dieser Weise schnell und so genau machen, 
dass das nachträgliche Polieren mit Bimsstein- und Kreidepulver 
nur mehr sehr wenig Mühe macht. 

Mit Hilfe meines Instrumentes lässt sich die Kaufläche 
wirklich recht rasch in scharf ausgeprägtem Relief modellieren. 
Das ist insofeme oft eine Erleichterung, als man so schon, 
ohne den Aufbiss zu prüfen, ziemlich leicht die richtige Höhe 
der Füllung annähernd herausbringt und dadurch die lang¬ 
weilige und bei schnellhärtendem Amalgam für die Füllung 


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392 


Dr. Hans Pichler, Wien. Zwei neue Instrumente etc. 


manchmal gefährliche Arbeit mit dem Artikulationspapier ab¬ 
kürzt. Im übrigen ist das oft eine blosse Spielerei. Aber es 
gibt Fälle genug, bei denen natürlich modellierte Kauflächen 
mit scharf ausgeprägten Höckern und Furchen für die Wieder¬ 
herstellung und die dauernde Erhaltung der Artikulation von 
sehr wesentlicher Bedeutung sind. Schliesslich ist auch die 
ästhetische Ueberlegenheit einer hübsch modellierten Krone 
gegenüber einem formlosen Klumpen nicht ganz ausser acht 
zu lassen, ob es sich jetzt um eine grosse Amalgam¬ 
füllung, eine Amalgamkrone, eine Gold- oder Porzellankrone 
handelt. 

So wie beim Modellieren des Amalgams, ist mir mein 
Instrument nämlich auch eine Erleichterung beim Modellieren 
der Kaufläche von Gold- und Porzellankronen. Ich pflege für 
Metallkronen die Kaufläche der Artikulation gemäss in Gips 
zu modellieren und danach den Deckel zu stanzen. Ebenso 
wird der Porzellanteig, wenigstens der schwer schmelzbaren 
Massen, weniger mit Spateln als mit dem Messer und mit 
diesem Amalgamfinierer geformt. 

Ein ähnliches, kleineres und zarteres Instrumentenpaar, 
wie das meine, hat zu ähnlichen Zwecken Herr Dr. Zeliska 
konstruiert und gelegentlich einer Demonstration im Zentral¬ 
verband der österreichischen Stomatologen vorgeführt. 


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Dr. Erich Baumgartner, Graz. Notizen ans der Praxis. 


893 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Nota ans der Frans. 

Von Dr. Erich Baumgartner, Zahnarzt in Graz. 

Orthodontie. 

Ueber Empfehlung meines sehr geehrten Lehrers, des 
Herrn Prof. S c h e ff, dem ich dadurch zu grossem Danke ver¬ 
pflichtet bin, kam am 3. November 1903 ein hochinteressanter 
Fall von pathologischer Prognathie, kompliziert durch Stellungs¬ 
anomalie einzelner Zähne, Fehlen der zweiten Schneidezähne 
im Oberkiefer und aller ersten Molaren, in meine Ordination. 
Die Abbildung Fig. 1, nach einem Gipsmodell von Prof. 
Sch eff, zeigt die Artikulation und Fig. 2 veranschaulicht die 
Stellung der Zähne des Oberkiefers. 

Die Patientin — ein Fräulein von ungefähr 14 Jahren — 
trug eine Richtmaschine von Prof. Scheff angebracht, zur 
Regulierung der abnormen Stellung der Eckzähne. Molaren und 
Prämolaren waren überkappt, der Biss durch den auf diese 
Kappen aufvulkanisierten Kautschuk erhöht Von diesen 
Schienen führten beiderseits Metallstäbchen mit Schrauben¬ 
gewinde zu einer die beiden Schneidezähne einhüllenden Kappe. 
Auf den Eckzähnen waren ebenfalls Kappen angebracht mit 
Ringen, welche die oben beschriebenen, ungefähr mesio-distal 
verlaufenden Schrauben umgriffen und durch Schraubenmuttern 
distal geschraubt werden konnten. Nachdem die Canini, soweit 
es die Ueberkappung gestattete, den Prämolaren genähert waren 
und eine Pause von 14 Tagen verstrichen war, nahm ich den 
Regulierungsapparat am 19. März 1904 ab. Nun bot sich mir 
das in den Fig. 3, 4 und 5 dargestellte Bild dar. Die grossen 
Schneidezähne sind stark vorragend, mit ihren mesialen Flächen 
nach vorne gedreht, die Achsen der Zähne nach abwärts stark 
divergent. Die Eckzähne sind mit ihren mesialen Kanten palatinal 
gedreht, die Längsachsen nach oben konvergent. Die ersten 

4 


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894 


Dr. Erich Baumgartner, Graz. 


Prämolaren sind mit ihren oralen Flächen mesial um nahezu 
45° rotiert. Die oberen Molaren artikulieren nur mit einer 
kleinen distal gelegenen Partie ihrer Kaufläche mit ihren 



Fig. 1. 


Antagonisten und sonst treffen nur noch die Eckzähne mit den 
zweiten Schneidezähnen des Unterkiefers zusammen. Der Gips¬ 
abdruck wurde 24 Stunden nach Entfernung des Regulierungs- 



Fig. 2. 


apparates genommen, er zeigt jedoch schon, dass diese kurze 
Frist genügte, die Canini mesial von den Prämolaren ab¬ 
zudrängen. Die Lippen konnten nicht geschlossen werden. So 
rasch als möglich wurden nun über den zweiten Prämolaren 


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Notizen aus der Praxis. 


395 


und Molaren aus einem Stücke Gold gestanzte Kappen be¬ 
festigt, an deren buccaler Seite sich kleine Röhrchen befanden 
zur Aufnahme des Bogens B nach Edward H. Angles 
Treatment of Malocclusion of the Teeth, Phila- 




Fig. 3. 


Pig. 4. 



Fig. 6. 


delphia 1900, pag. 236, Fig. 231. Dieser Bogen ruhte vorne in 
einer Rinne, die an den die grossen Schneidezähne einzeln um¬ 
fassenden Bändern angelötet war. Die Prämolar-Molarkappen 
erhöhten den Biss nahezu gar nicht. Auf den Kappen der Eck¬ 
zähne befanden sich Ringe ungefähr an deren mesialen Kanten 

i 4* 


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396 


Dr. Erich Baumgartner, Graz. 


(vgl. Fig. 5). Um die ersten Prämolaren waren ebenfalls Bänder 
gelegt, mit Ringen in der Mitte der oralen Flächen. Die Be* 
handlung bestand im Tragen des Angleschen Kopfhetzes und 



Fig. «. 


der Zugstange. Von den Ringen an den Eckzahnkappen zogen 
Ligaturen distal-labial zu den Röhrchen an den Prämolar*Molar* 
kappen, um eine Rotation der Eckzähne herbeizuführen. Die 



Fig. 7. 


Ringe der ersten Prämolaren wurden zunächst mit festen, häufig 
gewechselten Ligaturen nach rückwärts zu den Ringen der Prä- 
molar-Molarkappen gezogen. Diese Ringe waren so angebracht, 
dass die Verbindungslinie zwischen beiden Ringen >rechts und 


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Notizen aus der Praxis. 


397 


links senkrecht auf die Sutura palatina mediana zu stehen kam. 
Nach kurzer Zeit wurden elastische Ligaturen anstatt der festen 
verwendet, jedoch mit einer Abweichung in der Anbringung. 
Von den Ringen der ersten Prämolaren wurden sie nach rück- 



Fig. 8. 

wärts durch die der Prämolar-Molarkappen gezogen und von 
hier mittels Seidenligaturen nach vorne zwischen den Schneide¬ 
zähnen hindurch an dem Knopfe des Retraktionsbogens be¬ 
festigt (vgl. Fig. 5, schwarze Linie). Durch diese Vorrichtung 



Fig. 9. 

wurden die oralen Flächen der ersten Prämolaren in einer 
palatinal-distalen Richtung gedreht, ohne die Stellung dieser 
Zähne wesentlich zu verändern. Die Anheftung am Bogen unter¬ 
stützte erfolgreich die Wirkung, welche durch die Zugstange 
ausgeöbt wurde, gleichzeitig aber wirkte die Befestigung am 


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898 


Dr. Erich Baumgartner, Graz. 


zweiten Prämolaren, der, wenn auch durch Glühen geminderten, 
federnden Kraft des Bogens entgegen und verringerte gleich¬ 
zeitig die Gaumenbreite. Rechts wurden stärkere Schnüre ver¬ 
wendet wegen der bestehenden Asymmetrie. Infolge der 
grösseren Kraftentfaltung an dieser Stelle hätte hier der Ring 
weiter distal gesetzt werden sollen; so aber wurde (siehe Fig. 6) 
der Molar rechts oben etwas buccal disloziert. 

Am 14. Juli — also nach einer Einwirkung von 3 1 /* Mo¬ 
naten — wurde der Regulierungsapparat entfernt, da die 
Patientin in ihre Heimat reiste und sie dortselbst infolge be¬ 
sonderer Verhältnisse keine auffallende Maschine tragen konnte. 
Ich war also gezwungen, einen leicht abnehmbaren Kautschuk- 
Retentionsapparat herzustellen. Die Einbissstellen der Unter¬ 
kieferzähne waren an demselben abgeschrägt, um den Unter¬ 
kiefer in toto mesial zu bewegen. Die Behandlung war bis 
Mitte Oktober unterbrochen. 

Im Herbste wurden wieder Bogen und Kappen verwendet 
und zu Weihnachten eine Stellung, wie sie Fig. 7 zeigt, erreicht. 
Wegen abermaliger Heimreise der Patientin wurde diese Ma¬ 
schine abgenommen und musste neuerdings ein abnehmbarer 
Retentionsapparat aus Kautschuk konstruiert werden. Ein weiter 
Ausschnitt in demselben in der Gegend des rechten Molaren 
ermöglichte die Anbringung eines Keiles aus Hickoryholz, um 
diesen Zahn palatinal zu drängen. Konstruiert man das 
Diagramm, die richtige Stellung der Zähne betreffend, wie es 
C. A. Hawley in einem Vortrage am 4. April 1906 zu 
New-York beschrieb, so wird man sofort erkennen, dass die 
erreichte Zahnstellung unhaltbar war. Im Jahre 1904 aber war 
es mir natürlich nicht bekannt und war ich auch einigermassen 
enttäuscht, als sich die Stellung änderte. Mitte Jänner 1905 
wurde ein Apparat, ähnlich dem von Mc Bride, 1902, zur 
Verschiebung desBisses beschriebenen, zur Behandlung 
verwendet. Wangenseits war ein mittels Schrauben distal ver¬ 
engbarer Bogen angebracht, eine Einbissstelle für die unteren 
Frontzähne bestimmte die Stellung des Unterkiefers und er¬ 
möglichte gleichzeitig die Verlängerung der rückwärtigen Zähne. 
In der Molarengegend befand sich ein weiter Ausschnitt. 


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Notizen ans der Praxis. 


399 


Das erzielte Resultat zeigen die Fig. 8 und 9. Vergleicht 
man die Modelle zu den Fig. 7 und 9, so fällt die richtigere 
Stellung der Molaren und Prämolaren des letzteren auf. Durch 



Fig. 10. 


Anziehen des Bogens wurden die Frontzähne nach rückwärts 
geschoben. Die Artikulation war durch entsprechende Stellung 
der Molaren und Prämolaren gesichert. Der erste Prämolar 



Fig. 11. 

steht einem Eckzahne entsprechend. (Leider fehlt mir ein Ab¬ 
druck am Ende der Behandlung.) Durch das Vorziehen des 
Unterkiefers war der line of harmony (Angle) Rechnung ge¬ 
tragen. Die freudige Ueberraschung der Angehörigen war Ge- 


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400 


Dr. Erich Baumgartner, Graz. 


währ genug, dass die Regulierung zur Verschönerung des Ge¬ 
sichtes bedeutend beigetragen hatte. Eine Retentionsmaschine 
nach Sachs befestigte die Stellung der Zähne. 

Die Dauer der ganzen Behandlung, die Unterbrechungen 
abgerechnet, betrug zirka 1 Jahr. 

Ein zweiter Regulierungsfall sei hier wegen der Kürze der 
Zeit, die benötigt wurde, und dem verhältnismässig hohen 
Alter der behandelten Person, 28 Jahre, noch mitgeteilt. Die 
beiden grossen Schneidezähne (Fig. 10) standen in grösserer 
Distanz, als einer derselben breit war. Zweite Schneidezähne 
waren nicht vorhanden. Da Aufbiss vorhanden war, konnten 
die Zähne innerhalb zweier Monate durch einfache Ligaturen 
einander vollkommen genähert werden (Fig. 11). Ein Ersatz¬ 
stück war gleichzeitig der Retentionsapparat. 

Brücken und Kronen. 

Angeregt durch Kronfelds Referat über G. Robins 
Arbeit „Sollen gesunde Zähne, welche als Brücken¬ 
pfeiler dienen, devitalisiert werden?“ (in der vor¬ 
letzten Nummer dieser Zeitschrift), entschloss ich mich zur 
Veröffentlichung folgenden Falles, da mir der von Robin 
aufgestellten Satz: „Bei abnehmbaren Brücken müssen die 
Pfeiler devitalisiert werden etc.“ durchaus nicht so unbedingt 
giltig erscheint. 

Fig. 12 zeigt den Gipsabguss eines Oberkiefers. Die beiden 
rechten oberen Molaren haben keine Antagonisten. Links war 
die Wurzel des |8 vorhanden. Der nächste Zahn dieser Kiefer¬ 
hälfte und eigentlicher Stützpunkt der Artikulation war If. Im 
Unterkiefer waren vorhanden |8 7 . . 4. Der |7 hatte öfters 
periostale Reizungen verursacht. Rechts waren vor Jahren die 
Radices von 4f und 6| und die vordere Wurzel von 6| über¬ 
kappt worden (siehe Fig. 13), jedoch waren die Kappen so 
niedrig gehalten, dass zwischen ihnen und ihren Antagonisten 
bei geschlossenem Bisse ein Zwischenraum von nahezu 2 Mm. 
vorhanden war. 


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Notizen ans der Praxis. 


401 


Um besser kauen zu können, wünschte der Patient einen 
Zahnersatz, doch ohne einen Zahn opfern zu wollen. Nach 
Behandlung von |8 und |7 wurde für die Wurzel des j§ eine 
Vollkrone ausgeführt; desgleichen für den ersten Prämolaren, 



Fig. 12. 


dessen Pulpa lebte, nach entsprechender Präparierung 
des Zahnes. 

Da der Prämolar infolge Ueberbelastung stark mesial 
geneigt war, anderseits die Krone auf dem Weisheitszahne nur 



Fig. 13. 

distal, wenn auch in geringem Masse geneigt, aufgeschoben 
werden konnte, lag die einzige Möglichkeit zur Anfertigung 
einer Brücke in einem aufschraubbaren Brückenstücke. Die 
schematische Zeichnung (Fig. 14) veranschaulicht diese Ver¬ 
hältnisse. An die Kronen wurden Röhren aus starkem Gold- 


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402 


Dr. Erich Baumgartner, Graz. 


blech mit Schraubengewinde gelötet. Das Brückenstück, welches 
peinlich genau gearbeitet werden musste, besass an den ent¬ 
sprechenden Stellen Bohrlöcher, durch welche die Schrauben 
in die Schraubengewinde eingefügt werden konnten. Der Prä¬ 
molar wurde n i c h t devitalisiert. Die Möglichkeit, den Brücken¬ 
bogen abschrauben zu können, war in Anbetracht des Um¬ 
standes, dass der |7 sich bisher rebellisch gezeigt hatte, für den 
Wiederholungsfall von Bedeutung, da durch Entfernung des 
Brückenstückes der Zahn ausser Artikulation gesetzt werden 
konnte. In die Krone, die diesem Zahne aufgesetzt worden war, 
wurde eine Röhre mit Schraubengewinde versenkt. Das Röhrchen 
war mit einem dünnen Goldplättchen abgeschlossen. Vom 
lebenden ]i reichte ein Brückenbogen bis ungefähr in die 
Mitte der Krone des j7, in eine leichte Vertiefung derselben 



Fig. 14. 


passend. Für eine allenfalls notwendige Wiederbehandlung bot 
das Schraubengewinde den Zugang zu den Wurzelkanälen. 

Die beiden Brücken, die allein den ganzen Kaudruck aus- 
halten, haben sich bisher 1 */ 4 Jahre tadellos bewährt. 

Um der Unannehmlichkeit, eine Brücke nach Zerstörung 
der Stützkrone behufs Reparatur eines geborstenen Porzellan¬ 
zahnes auszuweichen, verwende ich mit Vorliebe abschraubbare 
Brücken. 

Fig. 15 zeigt den Gipsabdruck von einem Oberkiefer, 
dessen Frontzähne durch einen Hufschlag verloren gegangen 
waren. ]3 und wurden devitalisiert, auf die Wurzeistümpfe 
Kappen mit in die ausgebohrten Pulpakanäle hineinragenden 
Röhrchen mit Schraubengewinde aufzementiert und das Brücken¬ 
stück, aus 7 Zähnen bestehend, aufgeschraubt. Während der 
Patient früher mit seinem Kautschuk-Ersatzstück nie zufrieden 


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Notizen ans der Praxis. 


403 


war, weder gut beissen noch reden konnte — infolge der De¬ 
formierung des Oberkiefers und der dadurch bedingten Form 
des Ersatzstückes — wurden nach Anbringung der Brücke beide 



Fig. 15. 

Funktionen zur Zufriedenheit ausgeführt. Sogenannte Kaiser¬ 
semmeln und auch härteres Obst können gebissen werden. 

Nach einem Jahre musste ein Zahn erneuert werden. Seit¬ 
dem wird die Brücke schon das fünfte Jahr anstandslos ge- 



Fig. 16. 

tragen. Wie Patient mir mitteilt, hat er keinerlei Empfindung 
eines Fremdkörpers im Munde. Die Wurzeln sind fest. 

Eine andere, in gleicher Weise ausgeführte Brücke, vom 
l| bis J8 reichend, wird nun auch schon das fünfte Jahr ge¬ 
tragen. In der ganzen Zeit mussten zweimal die Schrauben in 


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404 Dr. Erich Baumgartner, Graz. Notizen aus der Praxis. 

l| und 8| angezogen werden, einmal wurde eine Schraube er¬ 
neuert. 

Statt Zähnen verwende ich, wie aus Fig. 16 ersichtlich, 
besonders bei Kronen für Prämolaren, die zugleich als Stütz¬ 
punkt für Brücken benützt werden, Porzellanfüllungen. Eis wird 
eine Vollkrone ausgeführt und mit Gips ausgegossen, dann 
schneidet man buccal ein zahnförmiges Stück aus der Krone 
aus und entfernt auch aus dem Gipsausgusse ein Stück von 
der Dicke eines Porzellanzahnes. Ein dem Grunde der so ent¬ 
standenen Höhle entsprechendes gestanztes Goldplättchen wird 
zur Erzielung eines allseits dichten Abschlusses in die Krone 
eingelötet. In diese „Goldkavität“ wird eine lege artis be¬ 
reitete Porzellanplombe einzementiert. Sollte durch unberechen¬ 
bares Missgeschick diese Füllung verloren gehen, ist die Re¬ 
paratur bei Belassung der Krone im Munde jederzeit leicht 
ausführbar. 


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Dr. J. Lartschneider, Linz. Bericht über eine Anzahl von Silikatfüllungen. 405 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Bericht Iber eine grössere Anzahl von Sililatföllipn. 

Von Dr. Josef Lartschneider , gewesener Assistent am k. k. ana¬ 
tomischen Institute in Wien und gewesener Operateur an der 
ersten chirurgischen Klinik in Wien, Zahnarzt in Linz a. d. Donau. 

Die dankenswerten Ausführungen des Prof. Sachs über 
„Silikatzement“ („Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde“, 
März 1907) haben mich veranlasst, mit meinen diesbezüglichen 
Erfahrungen nicht länger zurückzuhalten, obwohl ich deren 
Veröffentlichung für eine spätere Zeit bestimmt hatte. Die 
Tatsache, dass ich mich auf eine Beobachtungszeit von immer¬ 
hin nahezu 2 Jahren berufen kann und dass meine mit diesen 
Füllungen gemachten Erfahrungen mit denen Sachs’ sich 
nahezu decken, Hessen mir diesen Schritt weniger voreilig er¬ 
scheinen. Es ist zwar kein Mangel an Veröffentlichungen über 
Silikatzemente. Aufsatz über Aufsatz erscheint in den reichs- 
deutschen Fachblättern — in unserem heimischen Blätter¬ 
walde ist es auffallend ruhig geblieben. Ich brauche nicht 
näher auf alle die Berichte einzugehen. Prof. Sachs hat sich 
der Mühe unterzogen, über die ganze diesbezügliche Literatur 
im Auszuge zu berichten. Ich will nur bemerken, dass die 
betreffenden Publikationen mit wenigen Ausnahmen geradezu 
trostlos lauten. Es gibt kaum einen Nachteil, der den Silikaten 
nicht schon nachgesagt worden wäre. Die haarsträubendsten 
Dinge wurden da mitunter berichtet. Es gehört wirklich ein 
hohes Mass von Selbstvertrauen dazu, um in dieser Frage 
nicht irre zu werden. Es war die höchste Zeit, dass endlich 
von berufenster Seite in dieser Angelegenheit das Wort er¬ 
griffen wurde. Die Untersuchungen Morgensterns,* welche 
— wie auch Sachs betont — gewiss auf wissenschaftliche 
Bedeutung Anspruch machen können, beschränken sich ledig- 


i Oesterr. -Ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1905, Heft IV. 


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406 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


lieh auf Laboratoriumsversuche und mussten alle jene, welche 
im Sinne hatten, mit Silikatzementen Versuche zu machen, eher 
abschrecken als ermuntern. Seine Angaben, dass Aschers 
künstlicher Zahnschmelz II in 0-5 prozentiger Milchsäure nach 
40 tägiger Einwirkung 64*4 Prozent seines Gewichtes verliert, 
hat mich nicht wenig bestürzt. Ich konnte mich durch eigene 
Versuche bald von der Richtigkeit dieser Angabe überzeugen. 
Allein das sind Versuche, die für die Praxis wenig. Be¬ 
deutung haben, deren Ergebnisse auf die im Munde in Be¬ 
tracht kommenden Verhältnisse kaum übertragbar sind. Im 
Munde sind die Silikatplomben dem Mundspeichel ausgesetzt, 
einer schwach alkalischen, wässerigen Flüssigkeit, und da ist 
vor allem die Frage wichtig, wie verhalten sich die Silikat¬ 
plomben in alkalischen Lösungen? Ich habe vor 11 Monaten 
eine Ascher- und eine Silicinkugel, nachdem sie 7 S Stunde 
in gewöhnlicher Zimmertemperatur getrocknet waren, in ver¬ 
dünnte Kalilauge (*/» °/o) gelegt und verkorkt darin belassen. 
Die Kugeln zeigen heute keine Spur irgendeiner Veränderung 
ihrer Härte oder ihrer Oberfläche, noch zeigt sich irgendein 
Niederschlag in der klaren Flüssigkeit. Man kann wohl an¬ 
nehmen, dass Ascher und Silicin in verdünnten Alkalien, also 
auch im Speichel, absolut nicht angegriffen werden. Diese Tat¬ 
sache betont übrigens auch Morgenstern. 

Säuren, welche auf ihrem Wege in den Magen die Mund¬ 
höhle passieren, sind ja von Haus aus schon sehr verdünnt, so 
dass an der Mundschleimhaut, der Zunge und den Zähnen haften 
gebliebene Säuremengen vom Speichel sofort verdünnt und 
neutralisiert werden. Und je schärfer (konzentrierter) die in 
den Mund gelangte Säure ist, desto stürmischer ist die Speichel¬ 
sekretion, desto häufiger und heftiger sind die Reflexe, welche 
Schluckbewegungen etc. auslösen, so dass in jedem Falle in 
kürzester Zeit die physiologische Beschaffenheit des Mund¬ 
speichels wieder hergestellt sein wird. Ich verweise übrigens auf 
die Tatsache, dass unter normalen Verhältnissen im Munde eines 
Erwachsenen innerhalb 24 Stunden nach den Versuchen von 
Bidder, Schmidt und Tuczek 1500 Gr., i. e. 1 */* Liter 
Speichel abgesondert werden. 


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Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfftllungen. 407 

Die Säuren, welche sozusagen unter normalen Ver¬ 
hältnissen in den Mund gelangen und somit auf eventuell 
vorhandene Silikatplomben einwirken könnten, gehören haupt¬ 
sächlich zur Gruppe der organischen Säuren. Es sind: Die 
Essigsäure, die grosse Gruppe der Fruchtsäuren und die Milch¬ 
säure. 

Die Essigsäure kommt in 3- bis 6 prozentiger wässeriger 
Lösung als „Essig“ sehr häufig und in reichlicher Menge in 
den Mund, könnte daher für Plomben am ehesten gefährlich 
werden. Ich habe vor 11 Monaten eine Ascher- und eine 
Silicinkugel, nachdem sie 7. Stunde in gewöhnlicher Zimmer¬ 
temperatur trocknen konnten, in 6prozentige Essigsäure ge¬ 
legt und sie darin seither in verkorkter Eprouvette liegen ge¬ 
lassen. Ich konnte bis heute irgendeine chemische Einwirkung 
der 6 prozentigen Essigsäure auf die Kugeln nicht beobachten. 
Die Essigsäure in der hier in Betracht kommenden Konzentra¬ 
tion kann den Ascher- und Silicinfüllungen absolut nicht ge¬ 
fährlich sein. Und dies darf ohneweiters von allen Fruchtsäuren 
angenommen werden, die ja ohne Ausnahme chemisch viel 
schwächer sind als die Essigsäure und kaum jemals in so hoher 
Konzentration wie die Essigsäure in den Mund kommen. Ich 
betone dies deshalb, weil jemand angeblich beobachtet hat, 
dass die gegenwärtig so beliebten „Zitronenkuren“ eine Auf¬ 
lösung und Zerstörung der Silikatplomben zur Folge haben. 

Was die Milchsäure anbelangt, so ist dieselbe den 
Silikatzementen — wie Laboratoriumsversuche zeigen — aller¬ 
dings sehr gefährlich. Die Anwesenheit von Milchsäure im 
Munde in solcher Menge und Konzentration, dass von einer 
Gefahr überhaupt gesprochen werden kann, ist unter normalen 
Mundverhältnissen kaum anzunehmen. Meistens ist die im Munde 
auftretende Milchsäure ein Produkt bakterieller Einwirkung 
(Bacillus acidi lactici) auf Speisereste, die zwischen den Zähnen 
und in kariösen Zähnen angesammelt sind. Obwohl die An¬ 
wesenheit grösserer Mengen von Milchsäure gewiss eine vorüber¬ 
gehende neutrale oder sogar leicht saure Reaktion des Speichels 
bedingen kann, so handelt es sich doch jedenfalls in der Regel 
nur um geringe und sich allmählich abspaltende Mengen von 


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408 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


Milchsäure, die sofort sozusagen in statu nascendi vom Speichel 
verdünnt und neutralisiert werden, so dass es kaum zu einer 
ernstlichen Gefährdung eventuell vorhandener Silikatplomben 
kommen dürfte. Gerade an approximalen Silikatfüllungen 
müssten sich am ehesten solche von Milchsäureeinwirkungen 
herrührende Schäden bemerkbar machen, denn trotz aller 
Vorsicht sind gerade die Zwischenräume zwischen den appro¬ 
ximalen Füllungen häufig Prädilektionsstellen für die. An¬ 
sammlung von Speiseresten. Allein ich konnte an den von 
mir ausgeführten approximalen Silicinfüllungen niemals irgend¬ 
ein Zeichen einer Destruktion — bis heute wenigstens — ent¬ 
decken. 

Allerdings können sich bei Erkrankungen, welche mit 
länger andauernder Somnolenz und Bewusstseinsstörungen ver¬ 
bunden sind (Typhus, Apoplexie, Psychosen), grössere Mengen 
von Milchsäure im Munde bilden, so dass selbst grosse Speichel¬ 
mengen nicht mehr das Auftreten einer saueren Reaktion ver¬ 
hindern können. Solche Kranke schlucken in den Mund ein¬ 
geführte Speisen oft nur teilweise oder überhaupt nicht, so 
dass der Zungengrund, die Backentaschen etc. tagelang mit 
gärenden und faulenden Speisen belegt und erfüllt sind. Da 
ist es eben Sache der Umgebung des Kranken, eine entsprechende 
Mundpflege zu veranlassen. 

Bei Pseudohyperacidität des Mageninhaltes, wie sie bei 
Magenerweiterung, Pylorusstenosen etc. öfters vorkommt, können 
ebenfalls vorübergehend grössere Mengen von Milchsäure in den 
Mund kommen. 

Desgleichen ist bekannt, dass bei länger andauernden 
fieberhaften Zuständen und bei organischen Erkrankungen 
(Diabetes, Karzinom) der Speichel öfters eine neutrale oder 
schwach sauere Reaktion aufweist. Daher möchte ich die 
Beobachtung Zanders, dass eine Anzahl grösserer und 
kleinerer Ascherfüllungen nach 2 bis 3 Monaten „grösstenteils 
geschwunden wären“ bei einem Herrn, der „starkem Alkohol¬ 
genuss huldigt und besonders unheimlich viel Kognak trinkt“, 
nicht auf eine direkte Einwirkung des Kognaks auf die Plomben, 
sondern vielmehr auf eine infolge einer Alkoholkachexie ein- 


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Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllungen. 


409 


getretene Veränderung der chemischen Beschaffenheit des 
Speichels und vielleicht auch des Zahnbeins zurückführen. Ich 
habe übrigens vor 7 Monaten eine Silicin- und eine Ascher¬ 
kugel in Kognak gelegt und sie wohlverkorkt darin verwahrt 
— konnte aber bis heute nicht die geringste Veränderung an 
den Kugeln beobachten. 

Von anorganischen Säuren, die gelegentlich in den Mund 
kommen können, wäre hauptsächlich die Salzsäure zu erwähnen. 
Sie wird als Heilmittel bei verschiedenen Magenerkrankungen 
und manchmal bei Gicht verordnet in 10 prozentiger wässeriger 
Verdünnung („Acidum hydrochloricum dilutum“ offizinell). Da¬ 
von werden gewöhnlich mehrmals täglich 3 bis 6 Tropfen in 
einem halben Glas Wasser genommen, kommt also in kaum 
l %0 wässeriger Lösung in den Mund und kann für eventuell 
vorhandene Silikatplomben kaum gefährlich werden. 

Die Schwefelsäure kommt für uns nicht mehr in Betracht, 
seitdem die Essigsäure aus allen möglichen Substanzen auf 
die billigste Weise gewonnen werden kann und sich daher 
die Fälschung des „Essigs“ durch Schwefelsäure nicht mehr 
rentiert. Hie und da wird sie in minimalen Quantitäten bei 
der Herstellung von Mixturen verwendet, um eine vollständige 
Auflösung des betreffenden Mittels (z. B. Chininum sulfuricum) 
zu ermöglichen. 

Das gleiche gilt von der Phosphorsäure, welche als 
„Acidum phosphoricum dilutum“ hie und da als durststillendes 
Mittel bei Fieberzuständen den Getränken (z. B. Himbeer- 
aufguss) beigefügt wird. 

Absolut unlöslich sind nach meinen Versuchen Ascher und 
Silicin auch in 12 prozentigem Wasserstoffsuperoxyd (auch die 
Farbe wird nicht alteriert), ferner in 5 prozentigem Chlorkali. Wohl 
aber bildet sich im Levicowasser (starke Quelle) nach Einlage einer 
Silicin- oder Ascherkugel ein starker, weisser, flockiger Nieder¬ 
schlag, der nach einigen Wochen eine grüngelbe Farbe annimmt 
(Gehalt an Eisen). Der Niederschlag besteht aus Aluminium 
und kleinen Mengen von glashellen Kieselsäureblättchen. Nach 
vier Wochen ist die Oberfläche der eingelegten Kugel nicht 
mehr glatt, sondern rauh und lässt sich mit dem Fingernagel 

5 


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410 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


als sandige Schichte abkratzen. In geringerem Grade ist dies 
auch bei der Guberquelle und der Franzensbader Franzensquelle 
der Fall. Bei der Häufigkeit und der grossen Menge, in welcher 
solche Wässer genommen werden, sind jedenfalls gewisse 
Vorsichtsmassregeln während der Trinkkur (ausgiebige Mund¬ 
spülungen, Anwendung der Glasröhre etc) angezeigt. 

In Tinctura Fowleri (20 Tropfen in einem Löffel Wasser) 
eingelegte Silicinkugeln zeigen auch nach vielen Wuchen nicht 
die geringste Veränderung. 

Natürlich gehören jene Fälle, in denen entweder absichtlich 
oder durch einen unglücklichen Zufall stark konzentrierte Säuren 
in den Mund gelangen, nicht hieher. Daher sind auch alle 
diesbezüglichen Laboratoriumsversuche mit stark konzentrierten 
Säuren praktisch vollständig wertlos. Hat man doch versucht, 
aus der Tatsache, dass Ascherkugeln einem Auskochen in 
konzentrierter Salzsäure nicht standhalten, eine geringe Halt¬ 
barkeit der Ascherfüllungen abzuleiten. Mit Recht hat Ascher 
daraufhin erwidert, dass nicht nur die Plombe allein, sondern 
auch der Zahn selbst durch Auskochen in konzentrierter Salz¬ 
säure vollständig zerstört wird. 

Unter allen den Anklagen, die gegen die AscherfBUungen 
seither erhoben wurden, war eine ganz besonders geeignet, 
die Einführung dieser Plomben in die Zahnheilkunde vqn vome- 
herein in Frage zu stellen. Es kamen und kommen nämlich 
noch immer von vielen Seiten Klagen über Pulpareizungen und 
Pulpatod an Zähnen, welche mit „Ascher“ plombiert wurden. 
Wenn auch die Nachrichten vielfach unbestimmt lauten und 
den Stempel der Uebertreibung an sich tragen (berichtet doch 
z. B. ein Autor, dass in mehreren Fällen trotz Zement- und 
Guttapercha-Unterlagen die Pulpa unter Ascher abgestorben 
wäre) und wenn auch gewiss Sorglosigkeit oder sonst nicht 
ganz einwandfreies Vorgehen die Ursache mancher gemeldeter 
Misserfolge sein dürfte, so habe ich doch in meiner Praxis 
einige Fälle beobachtet, in denen eine Einwirkung auf die 
Pulpa nicht ohneweiters von der Hand gewiesen werden kann. 
Ich möchte erwähnen, dass ich von Anbeginn bei der Vor¬ 
bereitung der für die Aufnahme der Silikatplomben bestimmten 


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Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllungen 411 

Kavitäten vorsichtig, jedoch nicht überängstlich war. In zweifel¬ 
haften Fällen habe ich Fletcherunterlagen gemacht, anscheinend 
ungünstige Fälle wurden früher einer Nervbehandlung unter¬ 
zogen. Immerhin habe ich verhältnismässig selten Fletcher¬ 
unterlagen gemacht. 

Auf welche Momente sind diese unangenehmen Zwischen¬ 
fälle zurückzuführen? 

Dass Ascher II oder Silicin arsenhältig wären, wie viel¬ 
fach heute noch behauptet wird, kann kaum angenommen 
werden. Denn es ist einerseits kein Grund vorhanden, den 
ganz bestimmten Erklärungen der betreffenden Fabrikanten zu 
misstrauen und anderseits sind diese Präparate wiederholt von 
verschiedenen Chemikern untersucht worden und niemals konnte 
die Anwesenheit auch nur einer Spur von Arsen oder arseniger 
Säure konstatiert werden. 

Sachs führt diese unangenehmen Zwischenfälle auf die 
noch in der Mischung belassene freie Säure (es ist wohl die 
Zementflüssigkeit darunter zu verstehen) zurück. „Es sollte 
deshalb ganz besonders darauf geachtet werden, dass Pulver 
und Flüssigkeit innig miteinander vermengt werden, so dass 
keine freie Säure in der Mischung bleibt.“ Diese Ansicht hat 
manches für sich, denn es wäre wohl möglich, dass die in der 
Zementflüssigkeit vorhandenen Spuren von Ortophosphorsäure 
— die übrigens an und für sich schon sehr wenig ätzt und 
um so weniger jedenfalls in der starken Verdünnung, wie sie in 
der Silicinflüssigkeit vorkommt, als Aetzmittel angesehen werden 
kann — die Pulpa irgendwie reizen könnte. Um dieser Frage 
näher zu kommen, habe ich in mehreren Fällen, in denen ich 
sonst eine Arseneinlage gemacht hätte, in die Kavität ein 
kleines in Silicinflüssigkeit getauchtes W attebäuschchen gelegt 
und mit Fletcher verschlossen. In diesen Fällen traten hie und 
da Schmerzen auf, die aber nach einigen Stunden längstens 
aufhörten. In den meisten Fällen traten überhaupt keine 
Schmerzen auf und in keinem Falle konnte ich Pulpatod, 
eitrigen Zerfall der Pulpa oder periostitische Symptome beob¬ 
achten, obwohl ich z. B. in einem Fall diese „Säureeinlage“ 
9 Wochen unter Fletcherverschluss liegen liess. Dass es sich 

6 * 


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412 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


bei allen diesen unangenehmen Zwischenfällen um Reizungen 
und Mortifikation der Pulpa durch chemische Verätzung 
handelt, kann nach diesen Versuchen kaum mehr angenommen 
werden. Auch meine statistischen Notizen sprechen nicht für 
diese Annahme. 

Ich unterscheide zwischen Pulpareizung und Pulpatod. 
Unter Pulpareizung fasse ich alle jene Fälle zusammen, in 
welchen nach Anlegung einer Ascher- oder Silicinfullung am 
betreffenden plombierten Zahn Schmerzen auftreten, die 
meistens sehr bald vorübergehen, hie und da aber einige 
Stunden dauern. Kleine, kurze Zeit anhaltende Pulpareizungen 
konnte ich bei Ascher- und Silicinfüllungen öfters, meiner 
Schätzung nach in mindestens 6 bis 8 Prozent der Fälle, be¬ 
obachten. Solche Reizungen waren oft ganz unabhängig 
von der Tiefe der betreffenden Kavität; gerade in Fällen, in 
denen, ich sie nie erwartet hätte, wo das Ausbohren voll¬ 
ständig schmerzlos war und die Pulpa nichts weniger als nahe 
schien, traten manchmal solche Reizungen auf. Wohl aber 
konnte ich konstatieren, dass jugendliche, schwächliche und 
besonders anämische Patienten am öftesten unter diesen Fällen 
vertreten sind. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Angabe einer 
schwächlichen, sehr anämischen Lehrerin, der ich vor l 3 / 4 Jahren 
einige Ascherplomben gemacht habe. Während des Verlaufes 
der Behandlung antwortete sie mir eines Tages, als ich sie 
fragte, wie es ihr gehe: „Danke, gut. Habe zwar gestern bis 
abends (vormittags hatte ich ihr am 6| eine Ascherplombe 
ohne Unterlage gemacht) Zahnschmerzen gehabt. Das hat mich 
aber nicht beunruhigt, denn das weiss ich jetzt schon, diese 
Plomben sind schön, aber am ersten Tage tun sie immer weh“, 
Den schwersten, aber auch in seiner Art einzigen Fall von Pulpa* 
reizung nach Silikatfüllungen, den ich erlebt habe, möchte ich 
des Interesses halber erwähnen. Er betraf eine 38jährige, auf¬ 
fallend blasse, aber wohlgenährte, kinderlose Beamtens- 
gattin. Die Untersuchung ergab ein prachtvolles Gebiss, das 
Zahnfleisch war beinahe blutleer, wachsartig. Die 
Anamnese ergab, dass Patientin infolge Uterusmyomen an 
kolossalen Blutverlusten leide, sich aber nicht zur Operation 


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Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllnugen. 


413 


entschliessen könne. Ich konnte an den Zähnen nichts finden, 
habe aber die Patientin auf einen beginnenden, dreieckigen 
Defekt am Zahnhals des 6| und £ aufmerksam gemacht. Da 
Patientin von auswärts kam und im Sinne hatte, sich doch 
einmal operieren zu lassen, daher gar nicht wusste, ob sie in 
absehbarer Zeit wieder kommen könne, habe ich ihrem Er¬ 
suchen nachgegeben und beide Defekte sofort plombiert. 
Die kaum stecknadelkopfgrossen Kavitäten an den beiden 
Zahnhälsen wurden mit Silicin (weiss) gefüllt. Nach zwei 
Wochen kam Patientin wieder und klagte furchtbar darüber, 
dass sie fortwährend Zahnschmerzen habe, seitdem ich ihr die 
Zähne plombiert habe. Die Untersuchung ergab gar keine 
Anhaltspunkte für irgendeine Erkrankung des <jl und 4|, ich habe 
solatii causa mit Jod gepinselt und die Patientin entlassen. 
Bald darauf kam sie wieder, klagte furchtbar über schlaflose 
Nächte infolge Zahnschmerz, heiss und kalt verursache ihr an 
den letzthin plombierten Zähnen derartige Schmerzen, dass sie 
sich kaum noch zu essen oder zu trinken getraue. Obwohl 
die neuerdings vorgenommene Untersuchung absolut nichts 
ergab, habe ich ihr doch die beiden kleinen Silicinplomben 
entfernt und die Kavitäten mit Fletcher gefüllt. Patientin kam 
wieder und beklagte sich in eindringlichster Weise über ihre 
schmerzhaften Zähne und schliesslich musste ich mich, 8 Wochen 
nachdem ich ihr die beiden Füllungen gemacht habe, entschliessen, 
unter Aethylchlorid-Spray die beiden kleinen Zahnhalskavitäten 
genügend zu vertiefen, um Arseneinlagen zu machen und eine 
Nervbehandlung einzuleiten. Die Pulpen waren nicht eitrig 
zerfallen. Dieser Fall hat mir viele Mühen verursacht, oft habe 
ich dabei an Hysterie gedacht. Da aber nach der Mortifikation 
der Pulpen die Schmerzen aufliörten, muss wohl ein ursächlicher 
Zusammenhang zwischen den wenn auch nur hirsekorngrossen 
Plomben und den Schmerzen angenommen werden! 

Pulpatod nach Ascher- und Silicinfüllungen habe ich in 
den von mir beobachteten Fällen sechsmal beobachtet Zwei 
dieser Fälle sind allerdings nicht ganz einwandfrei. Es handelte 
sich dabei um vor Jahren plombierte Prämolaren, welche am 
Rande der Füllungen (in einem Falle war es eine mittelgrosse 


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414 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


mesiale Amalgamplombe, in dem andern eine ebensolche Gold¬ 
plombe) gegen den Zahnhals hin eine sekundäre Karies auf¬ 
wiesen. Ich habe den Defekt nach genauer Untersuchung und 
Präparation mit Silicin gefüllt, allerdings ohne dass ich die 
alte Plombe entfernt hätte. Ich gebe gern zu, das dies vielleicht 
hätte geschehen sollen. Immerhin bleiben noch vier Fälle (unter 
776 Ascherfüllungen einer und unter 3900 Silicinfüllungen 
drei), in denen nach einer Silikatplombe Pulpatod auftrat. 
Alle diese vier Fälle betrafen obere Schneidezähne. In zwei 
Fällen wurde 1 Woche, in einem Falle 4 Monate und in einem 
Falle 5 1 /* Monate nach Anfertigung der Füllung der betreffende 
Zahn plötzlich, nachdem er sich bisher in keiner Weise be¬ 
merkbar gemacht hatte, auf heiss sehr empfindlich. In ganz 
kurzer Zeit traten dann schon periostale Erscheinungen auf. In 
jedem Falle konnte nach vorgenommener Trepanation jauchiger 
Zerfall der Pulpa konstatiert werden. Diese vier Fälle betrafen 
wieder durchwegs jugendliche Patienten: einen schwächlichen, 
blutarmen Gymnasialschüler und drei Mädchen mit deutlichen 
Anzeichen von Chlorose. Auch in diesen Fällen war die Kavität 
gewiss nicht besonders tief oder nahe an den Nerv heran¬ 
reichend, sonst hätte ich jedenfalls eine Fletcherunterlage 
gemacht. 

Nicht unwichtig scheint mir die auffallende Tatsache, 
dass sämtliche von mir nach Silikatplomben beobachteten 
Fälle von Pulpareizung und Pulpatod jugendliche, anämische 
Individuen betrafen. Es liegt die Vermutung nahe, dass die 
bestehende Anämie in irgendeinem Zusammenhänge steht mit 
diesen Zwischenfällen, welche vielleicht auch z B. nach Amalgam¬ 
plomben aufgetreten wären. Vielleicht bedingt sie eine Verände¬ 
rung der Struktur der Zähne (Erweiterung der Dentinröhrchen 
auf Kosten des Dentins, grösserer Gehalt der Zähne an Gewebs- 
säften, Schwankungen im Blutdruck, Tänzers interdentärer 
Blutdruck) oder trophoneurotische Störungen etc.? Jedenfalls 
wären in dieser Hinsicht noch Untersuchungen anzustellen. 
Vorläufig mögen uns diese Beobachtungen eine Mahnung 
sein, bei anämischen Patienten an diese Eventualitäten zu 
denken! 


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Bericht Uber eine grössere Anzahl von Silikatfttllungen. 415 

Jedenfalls sind diese Zwischenfälle glücklicherweise äusserst 
selten, wenn auch deshalb nicht minder bedauerlich. Seit 
5 Monaten wische ich bei lebender Pulpa natürlich jede Ka¬ 
vität, welche für die Aufnahme einer Silikatplombe bestimmt 
ist, vorher mit einem in „Varnish“ getauchten Schwämmchen 
aus und warte mit dem Plombieren, bis der „Varnish“ ge¬ 
trocknet ist. Die Kavität ist jetzt mit einer dünnen Lackschichte 
ausgekleidet. Dieses Verfahren, das mir Dozent Dr. Weiser 
(Wien) mitgeteilt hat, scheint genügenden Schutz zu bieten 
gegen üble Folgen, denn ich habe — bis heute wenigstens 
— keinen derartigen Zwischenfall mehr erlebt, seitdem ich die 
Kavitäten „lackiere“. 

Weiser befreit nach dem Eintrocknen des Lackes die 
Kavitätenränder mit einem Finierer von der Lackschichte, damit 
an diesen für den Dauererfolg der Füllungen wichtigsten Partien 
das Silikatzement mit den Wandungen der Kavität direkt 
in Berührung kommt. 

Es wird natürlich die Frage interessieren: Welches von 
den vielen, oft in überschwänglicher Weise angepriesenen 
Silikaten ist das beste oder sind sie alle gleich gut? Der Markt 
wird jetzt auf einmal geradezu überschwemmt mit Silikaten! 
Ich kann nur raten, bei der Auswahl des Präparates mit 
grösster Vorsicht vorzugehen; ich habe in dieser Hinsicht die 
traurigsten Erfahrungen gemacht. Am Beginne meiner Versuche 
mit Silikaten liess ich mich, ängstlich gemacht durch die fort¬ 
währenden Nachrichten über Pulpatod etc. nach Ascherfüllungen, 
verleiten, ein anderes Präparat — Smaltid — zu verarbeiten, 
trotzdem ich eigentlich keine Ursache gehabt hätte. Dasselbe 
wurde damals von einer reichsdeutschen Firma auf den Markt 
gebracht und wärmstens empfohlen. Ich habe 270 Smaltid- 
plomben gemacht und die haben alle in ganz kurzer Zeit ein 
schauerliches Ende genommen! Ich habe viele Verdriesslichkeiten 
gehabt wegen dieser Smaltidplomben, musste mir manche wenig 
schmeichelhafte Beurteilung gefallen lassen und habe überdies 
verschiedene Patienten auf Nimmerwiedersehen verloren! So¬ 
fort war mir die äusserst trockene Konsistenz der angerührten 
Smaltidmasse aufgefallen. Bei der Verarbeitung hat sich dieser 


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Dr. Josef Lartechneider, Linz a. d. Donau. 


Umstand sehr unangenehm bemerkbar gemacht. Ich habe 
übrigens diese trockene Konsistenz bei mehreren anderen 
Silikaten (Nomina sunt odiosa), die ich zu Versuchszwecken 
zugeschickt bekommen habe, beobachtet! 

Zu jener Zeit war es auch, wo ich mit „Silicin* zu 
arbeiten begonnen habe. „Silicin“ lässt sich von Ascher II 
äusserlich absolut nicht unterscheiden; beide haben genau die 
gleiche Konsistenz, genau die gleichen Farben. Silicinfüllungen 
sehen auch genau so aus wie Ascherfüllungen. Ich habe mich 
bald so an Silicin gewöhnt, dass ich seit l'/ 4 Jahren überhaupt 
nur mehr Silicin verarbeite, wenn ich Silikatplomben mache 
— obwohl ich, wie schon erwähnt, eigentlich keine Ursache 
gehabt hätte, dem Ascher II untreu zu werden — ich bin mit 
beiden Präparaten in gleicher Weise ausserordentlich zufrieden. 

Was die Verarbeitung dieser beiden Präparate betrifft, 
so wird jedem bald auffallen, dass die Flüssigkeit viel mehr 
Pulver aufnimmt, als dies bei Phosphatzementen der Fall ist 
und trotzdem haben die Silikatzemente im allgemeinen ein viel 
geringeres spezifisches Gewicht als die Phosphatzemente. Das Ver¬ 
mengen des Pulvers mit der Flüssigkeit geschieht am besten mit 
dem Beinspatel, da vernickelte Eisenspatel schwarz abfärben, falls 
die Vernickelung nicht ganz tadellos ist. Ich lasse immer der Flüssig¬ 
keit so lange Pulver beimengen, bis die ganze Masse die Konsistenz 
von Kitt oder Schweizerkäse hat und sich gut schneiden lässt. 
Ascher und Silicin sind in dieser Konsistenz ungemein 
plastisch, fühlen sich leicht fettig an und picken am Glas¬ 
würfel, an den Instrumenten und den Wänden der Kavität, 
ohne zu schmieren. Am besten scheint mir das Mischungs¬ 
verhältnis getroffen, wenn während des Stopfens jedesmal 
beim Abheben des Instrumentes von der Füllungsmasse in¬ 
folge der Klebekraft derselben ein kleines, schnalzendes Ge¬ 
räusch entsteht. Trotzdem soll man sich bei der Präparation 
der betreffenden Kavität nicht auf die Adhäsionskraft ver¬ 
lassen, sondern dabei so Vorgehen, als ob es sich um eine 
Amalgamfüllung handeln würde. Nach Vollendung der Füllung 
muss durch mindestens 10 Minuten der Speichel von derselben 
abgehalten werden. In den Fällen, wo Kofferdam angelegt 


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Bericht Aber eine grössere Anzahl von SilikatfUllnngen. 417 

wurde, ist dies leicht zu erreichen. Es gibt aber viele Fälle, 
besonders im Oberkiefer, wo ich mir die Anlegung der Gummi¬ 
platte ersparen kann und da muss der Patient mit offenem 
Munde, Klammern, Watteeinlagen u. dgl. sitzen bleiben. Ich 
betupfe die Füllungen sofort nach ihrer Vollendung mit Mastix 
und halte dies für genügend. Ueberdies bietet ja das Vaselin, 
mit welchem man die Füllungsmasse am Schlüsse zusammen¬ 
drückt und formt, auch einen Schutz gegen Feuchtigkeit. 

Sehr wichtig ist bei der Verarbeitung des Ascher und 
des Silicin, dass der Zeitpunkt des „ Hartwerdens“ nicht ver¬ 
passt wird. Ascher und Silicin werden früher hart als Phosphat¬ 
zemente, und zwar geschieht dies ganz plötzlich. Die Füllung 
muss unbedingt fix und fertig sein, ehe noch die Erstarrung 
einsetzt. Sie bildet jetzt plötzlich einen zähen, halbstarren 
Klumpen, welcher sich von den Wänden der Kavität abhebt, 
wenn man jetzt noch an ihr herumdrückt und herummodelliert. 
Die vielfachen Klagen über schlechten Randschluss sind meiner 
Meinung nach grösstenteils auf solche Vorkommnisse zurück¬ 
zuführen. Kollegen, welche mit Assistenz arbeiten, werden 
sich leichter in die Verarbeitung von Silikatplomben hinein¬ 
finden. 

Mit dem Abschleifen und Polieren der Füllungen warte 
ich noch weitere 5 Minuten, also im ganzen 15 Minuten. Da 
die Füllungen in kurzer Zeit ungemein hart werden, ist es gut, 
sich schon vorher über die Artikulation zu orientieren, damit 
man mit dem Abschleifen nicht zu viel Zeit verliert. Die 
Artikulation ist genau zu beachten und muss in jedem Falle 
mit dem Blaupapier kontrolliert werden. Denn während bei 
Amalgamfüllungen sich der gegenüberstehende Zahn mit seinen 
Kauhöckern in das Amalgam einwühlen und sich so die 
Artikulation selbst regulieren kann, ist dies bei Silikatplomben 
ganz unmöglich. Sie sind schon bald nach ihrer Vollendung 
steinhart. Ein Aufbiss auf sie wird vom Patienten sehr un¬ 
angenehm empfunden und hat beinahe immer die Absprengung 
eines Plombenstückes zur Folge. Ich möchte die grösste Acht¬ 
samkeit beim Abschleifen und ein verständnisvolles Regulieren 
des Bisses zu den Hauptbedingungen für die Haltbarkeit dieser 


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418 


Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau. 


Plomben hinstellen. Die Klagen über Abbröckeln und Absplittem 
und über die geringe Widerstandsfähigkeit gegen den Kau¬ 
druck sind meiner Ueberzeugung nach wohl beinahe immer 
auf irgendwelche, bei der Anfertigung der Plomben unter¬ 
laufene Fehler oder auf eine mangelhafte Kontrolle des Bisses 
zurückzuführen. Jeder, der ein paar Dutzend solcher Plomben 
gemacht hat, wird allmählich zur Ueberzeugung gelangen, dass 
mancher Fehler, den man früher dem Füllungsmaterial zuge¬ 
schoben hat, ganz anderswo zu suchen ist. Die Anfertigung 
dieser Plomben muss eben auch gelernt und geübt werden. 
Wenn ich erwähne, dass ich in den letzten 2 Jahren 
772 Ascher- und 3900 Silicinfüllungen gemacht habe, so 
brauche ich wohl nicht besonders hervorzuheben, dass ich mit 
diesen beiden Präparaten zufrieden bin. Ich verwende die er¬ 
wähnten Präparate sowohl an Frontzähnen als auch an Prä¬ 
molaren und Molaren, an Kauflächen der Molaren, baue mit 
ihnen Ecken und Konturen, mache mit ihnen, ähnlich wie 
Witzei mit Amalgam, „Silicinkronen“ mit möglichst dicken, in 
die Wurzeln verankerten Stielen — aber Achtung auf die 
Artikulation! 

Ich möchte noch die Verwendung von Silikatplomben bei 
Brückenarbeiten erwähnen. Ich habe vor l 1 /* Jahren in einem 
Falle, wo an einer nicht abnehmbaren Brücke eine Porzellanfacette 
ausgesprungen war, eine Silicinfacette gemacht, die sich vor¬ 
züglich bewährt hat. Auch Garlsson, Bruck und Misch 
betonen die vorzügliche Verwendbarkeit der Silikate zu Fa¬ 
cetten bei Brückenarbeiten. Zweimal habe ich bei Brücken 
Zähne, die mir infolge des Bisses besonders gefährdet schienen, 
in der Weise ersetzt, dass ich ihnen entsprechend Goldkronen 
angefertigt habe. Die labiale Wand der Goldkrone wurde aus¬ 
geschnitten nach Art der gefensterten Kronen und dann habe 
ich das Innere der Krone mit Silicin ausgefüllt und eine ent¬ 
sprechende labiale Facette modelliert. Solche Zähne sehen 
vielleicht nicht so elegant aus wie Porzellanfacetten — aber ich 
kann den Patienten ruhig entlassen, ohne befürchten zu müssen, 
dass er mir bald mit ausgebissener Facette wiederkehrt. Müller- 
Wädensweil beschreibt übrigens in seinem schönen Atlas 


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Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllungen. 419 

sogar Stiftzähne mit Silikatzementfacetten. Ich glaube, es werden 
sich noch mancherlei Gelegenheiten und Situationen ergeben, 
in denen wir dieses neue Füllungsmaterial gut brauchen können. 

Ich möchte zu Versuchen ermuntern und bin überzeugt, 
die übergrosse Aengstlichkeit, die uns heute vielfach bannt, 
wird sich bald verlieren. 

Angesichts des Misstrauens, das heute noch der dankens¬ 
werten Erfindung Aschers entgegengebracht wird, ist mir 
der Enthusiasmus unverständlich, mit welchem seinerzeit die 
Porzellanplomben aufgenommen wurden. Die Ascher- und die 
Silicinplombe braucht vor der Jenkinsplombe nicht zurückzu¬ 
stehen. Wenn ich auf den Biss nicht achte, werden die Jenkins- 
plomben ebenso zugrunde gehen wie die Ascherplomben, und 
die Patienten, die in der Provinz leider nicht durchwegs den 
oberen Zehntausend angehören, werden uns nur danken, wenn 
wir möglichst wenige Porzellanplomben machen. Meiner Er¬ 
fahrung nach gefallen übrigens den Leuten die Ascherplomben 
viel besser als die Porzellanplomben. 

Was die Königin der Plomben, die Goldplombe, betrifft, 
so bin ich überzeugt, auch sie wird langsam ziemlich ver¬ 
drängt werden. Wir haben es übrigens im Interesse unserer 
Gesundheit nicht zu bedauern, wenn wir zukünftig nicht mehr 
so oft in die Lage kommen, Goldplomben machen zu müssen. 
Ich habe beobachtet, dass die Leute sich das Plombieren der 
Frontzähne mit Gold nicht mehr gefallen lassen wollen — ihr 
ästhetisches Empfinden ist seit der Einführung der Porzellan- 
plomben entschieden geschärft worden. 

Wir können und dürfen uns derartigen Regungen nicht 
verschliessen. Wer einmal die ästhetischen Vorzüge dieser 
neuen Plomben kennen gelernt hat, kann sich nicht mehr 
von ihnen lossagen und es wird ihm eines Tages der Gleich¬ 
mut unbegreiflich sein, mit welchem er früher so manchen 
Mund an allen Ecken und Enden, ohne Wahl und Qual, 
mit Amalgamplomben ausgestattet hat! Dass niemand mehr 
Frontzähne mit Amalgam plombiert, sollte eigentlich selbst¬ 
verständlich sein. Die Unmasse von schlechten Amalgam- 


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420 Dr. J. Lartscbneider, Linz. Bericht über eine Anzahl von Silikatfüllungen. 

plomben, die gewiss jedem Praktiker im Laufe der Jahre 
zu Gesichte kommen, soll übrigens eine dringende Mahnung 
sein für jeden, nur die besten und teuersten Amalgame zu 
verarbeiten. Nur dann wird man an seinen Amalgamplomben 
Freude erleben. 

Ganz unverständlich ist mir aber, dass man immer noch so- 
viele Phosphatzementplomben macht. Seit einem Menschenalter 
weiss man doch schon, dass Zementplomben meistens in ganz 
kurzer Zeit sich „auswaschen“. Patienten, die viele Zement¬ 
plomben im Munde haben, kommen vom Zahnarzte überhaupt 
nicht mehr los. Noch einen Uebelstand haben die Phosphat¬ 
zemente, mit dem man sich meines Erachtens viel zu leicht 
abfindet — nämlich sie gehen im Munde faulige Zersetzungen 
ein! Alle alten Zementplomben toter Zähne stinken faulig! 
Ebenso fault Zement unter Brücken und Kronen und häufig 
auch unter Porzellanplomben, und wären sie noch so sorg¬ 
fältig und kunstvoll gearbeitet. Daher möchte ich einen kleinen 
Zusatz von Trikresol-Formalin nochmals empfehlen, es schadet 
der Klebekraft und Dauerhaftigkeit des Zements absolut nicht. 
Es wäre an der Zeit, die Phosphatzemente als Füllungsmaterial 
möglichst ganz auszuschalten und sie nur mehr zum Auf- 
mauem bei Kronen und Brücken zu benützen. 

Meiner Ueberzeugung nach gehört die Zukunft den Sili¬ 
katen! Wir haben alle Ursache, Ascher für seine geniale Er¬ 
findung dankbar zu sein. 


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Dr. Gnido Fischer, Greifswald. Die Retention etc. 


421 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet 


Von Dr. Guido Fischer in Greifswald. 

Im Heft 1 der vorliegenden Zeitschrift, pag. 120—122, 
referierte Herr Kollege Frey über meine Arbeit: „Eine neue 
Verankerungsmethode für gebrannte Porzellan¬ 
füllungen“' und sah sich am Schlüsse des kurzen Referates 
gleichzeitig veranlasst, die neue Methode auf Grund eines miss¬ 
glückten Vorversuches für unbrauchbar zu erklären. An 
und für sich ist das Unternehmen, eine Neuerung auf Grund 
eines Vorversuches sowie nach theoretischen Erwägungen, 
die der tatsächlichen Begründung entbehren, abzulehnen und 
auf diese Weise Nachprüfungen von anderer Seite förmlich zu 
inhibieren, nicht Gepflogenheit eines gerechten Kritikers und 
ich muss meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, dass 
der Referent unter solchen Umständen die Verantwortung für 
seine verurteilende Kritik übernommen hat. Wenn zwar die 
Methode dem Geübten als „einfach zu handhaben“ erscheinen 
wird, so müssen doch eine Anzahl sorgfältiger und exakter 
Manipulationen zu einem geschlossenen Ganzen zusammen¬ 
treten, um einen Erfolg zu erzielen und es wäre darum doch 
besser gewesen, ich hätte in meiner Arbeit' die besondere 
Aufmerksamkeit etwas mehr auf die einzelnen technischen 
Schwierigkeiten gelenkt. Denn auch bei Ausführung dieser 
Methode soll in bezug auf Exaktheit und Gewissen¬ 
haftigkeit das gleiche geleistet werden, wie in 
den anderen Zweigen unserer feinen Präzisions¬ 
arbeiten. Die vom Referenten erhobenen Bedenken dürfen 
bei sachgemässer Ausübung der Methode nach meinen 
jetzt anderthalbjährigen Erfahrungen für dieselbe bedeutungslos 
sein. Es sei mir daher gestattet, auf die technischen Einzel¬ 
heiten des Verfahrens hier etwas näher einzugehen. 

1 Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1906, pag. 461—484. 


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422 


Dr. Gaido Fischer, Greifswald. 


Der Kernpunkt desselben gipfelt darin, „einen be¬ 
stimmten Bezirk auf der Füllungsrückseite, und 
zwar zentral auf dem Bo den derselben an zur auh en, 
während der Füllungsrand mindestens bis zur 
halben Tiefe der Kavität genau anschliessenmuss. 
Hier soll die Porzellanmasse unmittelbar auf der 
Folie angeschmolzen werden. In dem zentralen 
rauhen Bezirk wirkt die dickere Zementschicht 
polsterartig als Unterlage und als kräftiges Re¬ 
tentionsmittel, am fcG“>de dagegen füllt sie nur 
den Zwischenraum d*eF' von der Einlage abge¬ 
lösten Folie aus. Das Zementpolster, welches am 
getrockneten, gesunden Dentin gleich einer 
Zementfüllung fest zu haften vermag, nimmt 
dann die Porzellanfüllung mit ihren Kanälen, 
Ausbuchtungen und Stiften in sich auf“. 1 

Nachdem man die zur Porzellanfüllung bestimmte Höhle 
kunstgerecht vorbereitet hat, wird ein genügend grosses 
Plättchen Herbstscher Platingoldfolie Nr. 30 über die Kavität 
gelegt und vom cervicalen Rand aus mit einem weichen 
Stückchen Feuerschwamm vorsichtig in dieselbe gepresst. Ist 
diese schliesslich durch stückweises Nachstopfen vom Schwamm- 
pelets mit denselben angefüllt so drückt man die aus der Zahn¬ 
höhle hervorragende Folie wiederum mit Hilfe eines Stückchens 
Schwamm ringsum scharf über den Schmelzrand hinweg an 
diesen an. Darauf entfernt man vorsichtig, am besten 
einzeln, die eingelegten Schwammstückchen und kontrolliert 
zunächst, ob die Folie auch allseitig den Rand scharf überdeckt. 
Des weiteren wird eine weiche Kugel aus unvulkanisiertem Kaut¬ 
schuk (roter Pariser Kautschuck), die etwas grösser als die 
Höhlung sein muss, langsam und mit grossem Druck in die 
Folienkavität eingepresst, bis die gummiartige Kautschukmasse 
sich hart über den Rand umgelegt hat. Auch diese Abdruck¬ 
form wird wieder vorsichtig entfernt und schliesslich eine etwas 
erwärmte Kugel rosa Modellierwachs in die Folie so lange 

* Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1906, pag. 461—484. 


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Die Retention gebrannter Porzellanftlllungen. 


423 


gedrückt, bis auch das Wachs ringsum am Rande überquillt. 
Nach völligem Erhärten dieser Einlage kann man durch Ein¬ 
stich in das Wachs den Abdruck aus der Zahnhöhle entfernen, 
ohne befürchten zu müssen, dass irgend eine Verzerrung der 
Folie beim Herausnehmen eintritt. Diese wird nun in einem 
Gemisch von Gips*/» und Kieselgur (feinstes geschlämmtes 
Pulver') '/, Volumprozent eingebettet, indem man die Pulver- 
mischung mit Wasser zu einem sahneartigen Brei verrührt. 
Das Pulvergemisch muss aber (wie sich nachträglich heraus- 
gesteHt bat), um Verfärbungen 1 Porzellaneinlagen durch 
organische Bestandteile sowie diä^; Verunreinigungen im Pulver 
zu vermeiden, vor dem Gebrauch im Tontiegel intensiv durch¬ 
geglüht werden. Nach völliger Erhärtung der Einbettungsmasse 
(je nach Grösse des Gipsblockes 15 — 45 Minuten) geht man 
daran, auf dem Boden der Folienkavität einen Gipskieselgur¬ 
kern zur sicheren Retentionsfähigkeit der Porzellaneinlage an¬ 
zubringen und verwendet hiezu das gleiche geglühte Gips¬ 
kieselgurgemisch wie oben. 

Auf den Boden der Höhle bringt man mit einem feinen 
Pinsel soviel von dem sahneartig mit Aqua dest. angerührten 
Kieselgurgemisches, dass der innere Folienrand ringsum in einer 
Breite von zirka 1 Mm. unberührt erhalten bleibt (Fig. 1, 2, 3). 
Dass der Kieselgurkern auch nach oben hin nur eine geringe 
Ausdehnung annehmen darf, sei beiläufig erwähnt. D i e s e E i n- 
lage im Innern der Folie kann nunmehr jeder be¬ 
liebigen Modellierung unterworfen werden, am 
besten indem man mit einer Sonde Einstiche und Kanäle auf 
ihr ausführt, in welche die später darüber aufzutragende 
Porzellanmasse sich einlagern soll. Am zweckmässigsten erreiche 
ich diese Ausgestaltung des Kernes auf folgende Weise: Vom 
Bande ausgehend führt man radiär zum Zentrum 
gerichtete kurze Blindkanäle ringsum in den nahe 
vor dem Erhärten befindlichen Kern, dessen Ober¬ 
fläche ausserdem noch durch Einstiche in den ver- 


’ Nur allein erhältlich bei: Vereinigte deutsche Kieselgurwerke 
Hannover, 1 Prinzenstrasse la. 


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424 


Dr. Guido Fischer, Greifswald. 


schiedensten Richtungen siebartig durchlöchert 
wird (Fig. 1 Durchschnitt, Fig. 2 Aufsicht). 

Hat man grössere Kavitäten, wie in Fig. 3 beziehungs¬ 
weise Fig. 4, so ist es durchaus zweckmässig, in die Kieselgur¬ 
einlage ausserdem noch einen feinen Platinstift zu ver¬ 
senken, und zwar solange die Mischung noch die 
Konsistenz dicker Sahne besitzt. Man rührt die 
Mischung am besten in dieser Form an und bringt sofort 
nach Applikation des Gipskernes den Stift in demselben an Ort 
und Stelle. Ich benütze Platinstiftchen von 0*4 Mm. Stärke, 
die in drei Grössen 1*5, 2 Mm. mit einer kleinen Kuppe, 
2*5 Mm. mit Kuppen an beiden Enden zu verwenden sind. 
Die Stiftachse ist ausserdem durch Zusammendrücken gezackter 
Flachzangenbranchen angerauht. Die Stiftchen kann man sich 
sehr leicht selbst herstell en. 

Dieses Stiftchen oder bei ausgedehnten Defekten deren 
mehrere werden nun in der Folie so aufgestellt, dass sie zur 
Hälfte in der Einlage verankert sind, zur Hälfte frei in die 
Kavität hineinragen (Fig. 3). Den so vorbereiteten Gipskiesel¬ 
gurkern muss man nunmehr bei Zimmertemperatur 
gründlich trocknen lassen (zirka 1 Stunde), bevor die erste 
Schicht der Porzellanmischung aufgetragen wird. Diese mische 
ich jetzt mit reichlich Alcohol absolutus (98'/* Prozent) 
und trage eine äusserst dünne Mischung davon zur 
Formierung oder richtiger zur Einlagerung der ersten 
Brennschicht wiederholt auf, und zwar bei kleinen 
Kavitäten Ober die ganze Höhle gleichmässig verteilt, bei 
mittleren und grösseren dagegen zunächst immer erst 
ringsum am Rande auf der Folie. Bei kleinen Kavitäten nimmt 
diese erste zum Brennen fertige Schicht etwa drei Viertel des 
gesamten Höhlenraumes ein, bei grösseren dagegen erscheint nur 
die Folie ringsum dicht besät, während die Ober fläche des 
Kieselgurkernes unberührt geblieben sein muss. Von 
der Peripherie aus wird derselbe von der Pulverschicht 
wie mit einem Wall umgeben und nur die kleinen Radiär¬ 
kanäle (Fig. 2), die wie Gräben in eine Mauer vorgeschoben 
sind, werden von der Porzellanmasse ausgefüllt Auch diese 


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Die Retention gebrannter PorzellaufiUluugen. 


425 


erste Schicht muss ganz gründlich ausgetrocknet 
sein, ehe man den Brennakt selbst beginnen kann. 
Hierbei nun kommt es besonders auf peinliche Sorgfalt und 
Genauigkeit an, da eine zu schnelle Hitzewirkung bei 
Beginn des Brennprozesses Veranlassung zur Blasen¬ 
bildung der Porzellanmasse gibt, die noch durch Anwesenheit 
von ungenügend getrockneter Gipsmasse erhöht werden 
kann. Indes lässt sich dieser schädigende Einfluss verhüten, 
wenn man den Brennakt mit einer ganz langsamen Er¬ 
wärmung beginnt und ganz allmählich die Glut mit 
Hilfe einer feinen Stichflamme bis zum Scbmelzeffekt des 
Porzellanpulvers steigert. Diese ganz allmählich verstärkte Hitze¬ 
intensität kann man nach meinen Erfahrungen in ganz hervor¬ 
ragender Weise durch den Jenkinsschen Gasofen erreichen, 
während der elektrische Brennapparat trotz Regulierung der 
Stromstärke durch einen Rheostaten sich nicht so zuver¬ 
lässig zu erweisen pflegt. Es empfiehlt sich, wie schon gesagt, 
die e r s t e n Schmelzschichten nur mit Hilfe der feinenStich- 
flamme herzustellen, während man bei den 1 etzten Brenn¬ 
serien diegrosseBrauseflammein Anwendung zu bringen 
hat, die besonders bei Aufbau von Konturen notwendig 
ist, um möglichst schnell den höchsten Grad der 
Schmelzhitze zu erreichen. 

Die gebrannte Porzellanschicht hat sich nach dem ersten 
Schmelzakt gewöhnlich vom Rande nach der Mitte der Kavität 
zusammengezogen, so dass bei kleinen Kavitäten der Gipskern 
gleichmässig überdeckt wird, während die Goldfolie am Rande 
wieder völlig entblösst erscheint. Auch bei grösseren Kavitäten 
macht sich dieses Bestreben des geschmolzenen Porzellans, sich 
kugelig abzurunden, insoferne bemerkbar, als die erste Schmelz- 
raauer zwischen Folienrand und Gipskern eingelagert ist. Wir 
müssen also auch noch bei der zweiten Brennschicht die 
dünnste Pulvermischung auftragen, eventuell auch noch nach 
dem dritten Brennen so lange, bis die Schmelzmasse 
überall derGoldfolie anliegt. Erst dann kann die 
Verwendung eines dickenPorzellanbreies erfolgen 
und die Füllung beendet werden. 

6 


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Dr. Guido Fischer, Greifswald. 


Ist der Abdruck nach dem ersten Schmelzprozess völlig 
abgekühlt, so trägt man die zweite Schicht des Porzellan¬ 
pulvers auf, und zwar wieder in der gleichen, sehr dünnen 
Konsistenz wie beim erstenmal. Denn, „um der Porzellan¬ 
rückseite die erwünschte Beschaffenheit zu sichern, müssen 
wir in Anbetracht der vorliegenden zierlichen Ver¬ 
hältnisse mit grösster Exaktheit die (über demGips- 
kem) erste Schicht des Porzellanpulvers aufbauen. 
Eine besonders dünne Mischung (desPulvers in Ale. absol.) 
ist deshalb unumgänglich nötig, weil der an und für 
sich poröse Gipskern, an dessen Oberfläche eine Anzahl sieb¬ 
artig angelegter Kanäle zur Aufnahme von Porzellanmasse 
vorhanden sind, infolge seiner hygroskopischen Eigenschaft 
den Alkohol der Mischung als Flüssigkeit rapid aufsaugt, 
während dieser ausserdem noch einer schnellen Verdunstung 
unterliegt. Die im Alkohol suspendierten Porzeilan- 
körnchen sind aber darauf angewiesen, durch die 
Flüssigkeitsbewegung in die Tiefe zu gelangen. 
Von dort aus. basal also, muss die sedimentäre Tätig¬ 
keit der Alkoholflüssigkeit gleichmässig fort¬ 
schreiten, was nur dann möglich ist, wenn die Mischung 
stets genügend alkoholische Flüssigkeit enthält, 
um einen durch dauernde Verdunstung entstehenden Mangel 
derselben zu verhüten.“ 

Wird auf diese Erscheinungen keine Rücksicht genommen 
oder erfolgt der Schmelzprozess von Beginn an zu rasch, 
dann muss die Folge davon Blasenbildung und Poro¬ 
sität der Porzellaneinlage sein. Ich bin daher genötigt, den 
Misserfolg Freys der Nichtbeachtung eines der zahlreichen 
Faktoren zur Erzielung eines vollen Erfolges zuzuschreiben. 

Was das Abheben der gebrannten Porzellanmasse von 
der Gipsunterlage anlangt, so muss hierzu bemerkt werden, 
dass dieser Uebelstand nur auf u ngenügende Austrock¬ 
nung des Gipskernes oder auf zu schnelle Glut¬ 
entwicklung zurückzuführen ist und vermieden wird, wenn 
das Verfahren genau in der geschilderten Weise unter Be¬ 
obachtung sämtlicher Finessen verläuft. Bei einiger 


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Die Retention gebrannter Porzellanfüllungen. 


427 


Uebung wird dann die Methode mit ihren technischen Fein¬ 
heiten leicht ausgeführt, zumal wenn man aus einem Miss¬ 
erfolg ihre Schwierigkeiten überwinden gelernt hat. Die 
fertige Porzellaneinlage wird auf ihrer Rückseite das negative 
Bild der Präparation des Folienkernes aufweisen, indem die 
divergent geführten Einstiche und die Radiärkanäle sich markant 
als zierliche, nach verschiedenen Richtungen sich erstreckende 
Emporwölbungen charakterisieren. Bei genauer Lupenbetrach¬ 
tung kann man dementsprechend zahlreiche unter sich gehende 
und die Retention vermittelnde Hohlräume entdecken. Die 
Oberfläche der Porzellanmasse selbst ist warzenartig und wellig 
gestaltet und gewinnt dadurch den Habitus einer rauhen Fläche, 
wenn auch nicht geleugnet werden soll, dass in ihrer feinsten 
Ausdehnung die Wandungen doch eine gewisse Glätte, die 
allen glasartigen Schmelzmasseneigenist, besitzen. Diese 
ist aber für unsere Zwecke keineswegs von Bedeutung, sondern 
die Retention soll einzig und allein durch das unter 
sich gehende komplizierte Röhren- und Hohl¬ 
raumsystem auf der Füllungsrückseite bewirkt 
werden, und das können wir mit Hilfe meiner Methode zweifel¬ 
los erreichen. Das habe ich auch nur versprochen, wenn ich 
in meiner Arbeit, pag. 476, sagte: „Die Porzellanrück¬ 
seite zeigt jetzt die gewünschten Hervorragungen 
und Vertiefungen, welche den anfänglich im Gips¬ 
kern modellierten Einkerbungen und Erhaben¬ 
heiten entsprechen. AmRande dagegenweist die 
Porzellaneinlage überall eine scharfe undglatte 
Konturierung auf, weil sie ja unmittelbar auf 
der glatten Goldfolie aufgeschmolzen wurde.“ 
Es kommt nicht so sehr darauf an, ob die Rückfläche 
mehr oder weniger matt gerauht ist, sondern wie die Ka¬ 
näle geformt sind, um dem Zement möglichst viele 
wirksame Haft- und Verankerungspunkte zu 
schaffen. Darin stimmt auch De Terra 1 mit mir über- 


1 De Terra: Die Verwendung der Moldine bei Porzellaneinlagen. 
Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk., 1906, pag. 690. 


6 * 


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Google 



428 


Dr. Guido Fischer, Greifswald. 


ein. „Nach längerem Verweilen in Wasser kann die Füllung 
mit leichter Mühe aus dem Folienn aniel herausgeschält 
werden. Der darin formierte Gipskern ist durch die erlittene 
Hitzewirkung morsch und sandig geworden und lässt sich 
mit einer feinen Bürste und einem kräftigen Wasserstrahl bis 
auf das letzte Stäubchen entfernen. 

DieLäsion derFolie innerhalb desAbdruckes 
wurde übrigens bisher beim Aufträgen von Porzellanmasse im 
allgemeinen wenig od-r gar nicht in Berücksichtigung gezogen, 
als man oben in solchen Fällen die Pulvermischung keines¬ 
wegs besonders verdünnte, in der Absicht, die Porzellan¬ 
körnchen der rauhen Obei fläche des Gipses unmittelbar 
auflagern zu lassen, sondern man verfuhr ebenso, als ob man 
eine geschlossene Goldunterlage vor sich hatte und berück¬ 
sichtigte nicht die energische Beteiligung der po¬ 
rösen Gipsmasse bei der Flüssigkeitsentziehung 
aus dem alkoholischen Porzellanpulverbrei. Bevor 
derselbe überhaupt die Gipsoberfläche gleichmässig zu be¬ 
decken vermag, hat er eben durch den Flüssigkeitsverlust, von 
der ersten Berührung mit dem Gipsgemisch ab, an Beweglich¬ 
keit eingebüsst und verfestigt sich bereits mehr oder weniger 
weit über der tiefsten Gipsschicht, dazwischen lufthaltige Räume 
bildend. Dieser Zustand kann beim Schmelzprozess noch oben¬ 
drein durch das Bestreben der Porzellanmasse, sich beim 
Schmelzfluss kugelig zusammen zu ballen, erhöht 
werden und begünstigt somit eine ausgedehnte Blasenbildung. 
Deshalb habe ich auch in meiner Arbeit auf die Fälle be¬ 
sonders hingewiesen, in denen die Folie im Bereiche des 
Kavitäteninnern lädiert ist, und dadurch eine Kommunikation 
mit dem Gipsblock unter der Folie besteht. „Bringen wir eine 
Gipsmischung zur Formierung des Gipskernes in eine solche 
Kavität, so würde der hygroskopischen Wirkung des erhärteten 
porösen Einbettungsgemisches unter der Folie zufolge der weiche 
Gipsbrei ungemein rasch, fast momentan erhärten 
und besonders die eventuelle Verankerung eines Stiftes ver¬ 
eiteln. Ich lasse in solchen Fällen Wasser in den unter der 
Folie erhärt« ten Gipsblock bis zur Sättigung eindringen, worauf 


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Die Retention gebrannter Porzellanfüllungen. 


429 


die Präparation der Folienkavität in der beschriebenen Weise 
ohne Störung ausgeführt werden kann.“ 

Dass die von mir angeregte Idee, in der Porzellanrück¬ 
seite eine wirksame Retentionsschicht anzubringen, auch schon 
von anderer Seite aus unabhängig von mir in die Praxis 
Aufnahme gefunden hat, beweist vielmehr, dass durch die 
Methode doch eine Verbesserung erzielt werden kann. So er¬ 
gibt sich aus der Arbeit De Terras, dass sich auch bei 
ihm dieses Prinzip meines Verfahrens schon seit Jahren 
bestens bewährt hat. 

„Mein System unterscheidet sich“, sagt De Terra in 
seiner Arbeit, „im Grunde genommen von dem Fischers 
nur durch das zur Unterlage dienende Material, wozu ich 
nämlich Mold ine verwende. Es genügt eben nicht 
nur, dass eine grosse Fläche rauh sei, sondern 
zwischen Füllungsrück fläche und Kavität muss 
ein Hohlraum zur Aufnahme des Zementes exi¬ 
stieren. Darin wird jeder erfahrene Porzellan¬ 
füller Fischer beistimmen und seine darauf 
basierende Methode als willkommene Verbesserung 
begrüsssen. 

Man nimmt eine kleine Portion Moldine, die schon 
einige Tage der Zimmerluft ausgesetzt war, und trocknet sie, 
indem man sie zwischen Seidenpapier hin- und herrollt, bis 
das Papier nicht mehr fettig wird. Dann formt man sie in der 
jeweilen passenden Form und legt sie mit sanftem Druck auf 
den Boden der Abdruckfolie, die bereits abgekühlt sein muss. 
Alsdann wird die erste Lage Porzellanbrei aufgetragen, der 
sehr flüssig sein soll (ich verwende Alkohol) und wobei 
man darauf zu achten hat, dass der auftragende Pinsel den 
Ton nicht berührt, da dieser eventuell an ihm hängen bliebe. 
Man lässt den flüssigen Brei erst um die Moldine herum- 
fliessen und füllt so die Rinne zwischen ihr und dem Rand 
des Abdruckes, dann überschwemmt man die Moldine und 
trägt etwas dickere Masse auf. Jetzt folgt der schwierigste Teil 
der Arbeit, die, wenn man nicht mit Geduld und Vor¬ 
sicht ans Werk geht, misslingen kann. 


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480 


Dr. Gnido Fischer, Greifswald. 


Das Erwärmen der Muffel muss langsam ge¬ 
schehen. Ich benütze den Christensenschen Ofen und 
hüte mich, die Muffel gleich in den Ofen bei brausender 
Gasflamme zu bringen; in diesem Falle würde nämlich die 
noch Testierende Feuchtigkeit in der Moldine zur Blasenbildung 
führen und die Porzellanmasse abgeworfen werden. Das wäre 
an und für sich kein Unglück, aber dieselbe Moldine eignet 
sich dann nicht mehr zur Unterlage, da sie krümelig geworden 
ist. Ich lasse daher erst den Alkohol verbrennen und schiebe 
allmählich die Muffel in den Ofen und brenne die erste 
Lage bei offener Ofentüre. Das geschmolzene Porzellan bildet 
nun über der Moldine ein Deckelchen und das weitere Brennen 
kann ungestört vor sich gehen. Man hat also darauf zu achten, 
dass die Moldine trocken, die Folie abgekühlt sei und 
die Erhitzung allmählich geschehe. Ferner darf man 
auch nicht zuviel von dem Ton unterlegen. Wenn man diese 
Punkte beachtet und auch sonst rationell arbeitet, wird man 
nur Erfolge haben. Die Moldine kann aus der gebrannten 
Füllung mit einem spitzen Exkavator entfernt werden und es 
entstehen dadurch in der Porzellanmasse Höhlen mit Unter¬ 
schnitten, entsprechend der Bearbeitung der Moldine. 

Bei einer seichten Füllung hat man sich darauf zu 
beschränken, ihre Rückfläche rauh zu gestalten, was man 
folgen dermassen erreicht: Man dreht eine Anzahl winzig kleiner 
Moldinekügelchen und bringt soviel als möglich davon auf den 
Boden der Folie; soviel, dass immerhin nur noch ein genügend 
breiter Rand des Abdruckes frei bleibt. Hier muss das Auf¬ 
trägen des Porzellanbreies besonders vorsichtig ausgeführt 
werden, damit die Kügelchen am Platze liegen bleiben. Nach 
dem Brennen weist die Rückfläche der Füllung an den Stellen, 
wo die Kügelchen eingebettet sind, braune Flecken auf, die 
man mit einem Exkavator aufzukratzen hat, um so kleine 
Näpfchen frei zu legen. Nun sprengt man auch die zwischen 
den Löchern liegenden Porzellanbrücken ab, wodurch man 
ein Gewirr von Kanälchen erhält.“ 

Soweit die Darlegungen De Terras, die in allen 
Punkten bis ins genaueste das Prinzip der von 


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Die Ketention gebrannter Porzellanfüllungen. 


431 


mir oben geschilderten Methode erkennen lassen 
und selbst bei Angabe technischer Feinheiten 
eine auffällige Uebereinstimmung mit den von 
mir gestellten Postulaten erkennen lassen. Ich 
habe die De Terrasche Methode nachgeprüft und kann die 
vom Verfasser angegebenen Erfolge bestätigen, muss aber 
trotzdem konstatieren, dass die Verwendung von Moldine eine 
nicht geringere Sorgfalt undExaktheit der Arbeit 
erheischt als mein Gipskieselgurverfahren. Ich glaube sogar, 
dass die Verankerungsfläche bei der variablen Gipskernfläche 
dem jeweiligen Fall entsprechend geeigneter vorgenommen 
werden kann als bei Moldine. 

Zum Schluss verweise ich noch auf Nr. 38 1 der „Deutschen 
Zahnärztlichen Wochenschrift“, 1906, sowie Nr. 11 und 12 
der „Odontologischen Blätter“, 1906/07, wo meine oben 
geschilderte Retentionsmethode sich einer günstigeren Kritik 
erfreuen durfte, als in vorliegender Zeitschrift von seiten des 
Herrn Kollegen Frey. Auch Herr Kollege Mamlok (Berlin), 
der gewiss eine reiche Erfahrung auf dem Gebiet der Porzellan¬ 
füllung aufzuweisen hat, hat kürzlich in Hamburg (Zentral¬ 
verein deutscher Zahnärzte) an der Methode eine günstige 
Kritik geübt. 

Durch diese meine Darlegungen glaube ich die Bedenken, 
welche gegen das Verfahren geltend gemacht wurden, zer¬ 
streut zu haben und darf hoffen, dass dasselbe trotz 
einer abfälligen Kritik die bisher fraglos recht 
unsichere Haftkonstruktion bei gebrannten Por¬ 
zellaneinlagen zu verbessern geeignet ist! 

* * 

* 


1 Zahnärztlicher Verein für Niedersachsen. Diskussion nach dem Vortrag 
Dr. Guido Fischer: Eine neue Verankerungsmethode für gebrannte Porzellan- 
füllungen. 

*0. K referiert über Dr. Guido Fischer: Eine neue Verankerungs¬ 
methode für gebrannte Porzellanfüllungen, pag. 169—171. 


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Oe Fischer: Porzellanfiillungeii. Heft ID 1907 






Goldfolie - 
Einbcttungs- 

Gips Kieselgurb/ock 


aeitt. Ttadiäreinschmä. 


Haoitäle/irand Radiärkanäle. Einbettungsblock 

Einstiche auf « \ 

dem Kern. /! Goldfolie 


Tbrzellanfüllung 

4 


_ . Cementpolster 


di oergierende Einstiche 


Gipskieselgurkera • 


ffatin dtoerg. 

jUftrhm -Einsticht 


Goldfolie. 


- finbettungsblocl: \ 


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Dr. V. Frey, Wien. Erwiderung auf Dr. Fischers Artikel: Die Retention etc. 433 


Tafelerklärung. 

Fig. 1. Durchschnittsbild des in der Folie modellierten Gipskieselgur¬ 
kernes (kleine Kavität). 

Fig. 2. Aufsiohtsbild desselben. 

Fig. 3. Durchschnittsbild des für eine grössere Konturfüllung vor¬ 
bereiteten Gipskieselgurkernes mit Stiftchen. 

Fig. 4. Die Konturfüllung in der Zahnhöhle einzementiert. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Emtemii anf Dr. Guido Fischern Artel: Die Beteitioo 
gebrauter FoizellaDliligei . 1 

Von Dr. Viktor Frey , Zahnarzt in Wien. 

Um das Verhalten der Jenkinsmasse zum Gipskieselgur¬ 
gemisch deutlicher beurteilen zu können, habe ich folgende 
Versuchsreihe neuerdings angestellt. Das Ergebnis dieser Ver¬ 
suche war mir schon zur Zeit, als ich das Referat schrieb, be¬ 
kannt und darauf beziehen sich die von mir angeführten 
„theoretischen Erwägungen“. 

Man bringt die Einbettungsmasse in drei Einbettungs¬ 
schälchen, glättet die Oberfläche und lässt das Gemisch 
trocknen. 

Schälchen Nr. 1 bleibt einstweilen unberührt; bei Nr. 2 
wird, wenn der Gipskieselgurbrei im Erhärten begriffen ist, mit 
einem eingefetteten Instrument (Wurzelkanalstopfer oder Spatel) 
eine Sternfigur eingeritzt; bei Nr. 3 wird der Kopf eines ein¬ 
gefetteten Kugelstopfers in die Masse eingedrückt, so dass ein 
halbkugelförmiger Hohlraum entsteht. Die Instrumente wurden 
eingefettet, um glatte Wände zu erzielen. Ist dann die Masse 
vollkommen erhärtet, wird Jenkinsmasse dünn angerührt und 


i Vgl. die dazu gehörigen Artikel in der „Deutschen Monatsschrift 
für Zabnheilkunde“, September 1906, pag. 461—484, und in der „Oesterr.- 
ungar. Vierteljahrsschriffc für Zabnheilkunde“, Jänner 1907, pag. 120—122. 


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484 Dr. V. Frey, Wien. Erwiderung auf Dr. Fischers Artikel: Die Retention etc. 

direkt auf das Gemisch aufgetragen und nach Verflüchtigung 
des Alkohols gebrannt. (Elektrischer Ofen. Ueberhitzen der 
Masse wurde selbstverständlich vermieden.) 

Die Basalflächen (das sind die dem Gipskieselgurgemisch 
zugewendeten Flächen) des Porzellanscherbchens sind im Ver¬ 
gleich zur hochglänzenden Oberfläche von etwas matterem Aus¬ 
sehen (etwa samtartig), aber immerhin nicht glanzlos; sie 
sind der Form nach im ersten Falle so ziemlich eben; im 
zweiten tritt die Sternfigur hervor, deren Leisten aber nicht 
so hoch sind, als die in das Gemisch eingegrabenen Rinnen 
tief waren. Die Leisten sind teilweise unterbrochen und zeigen 
unter der Lupe glänzende Höckerchen. Nr. 3 liefert kein voll¬ 
ständig halbkugeliges, sondern ein annähernd ähnliches Ge¬ 
bilde, das, mit der Lupe betrachtet, mit einzelnen glänzenden 
Höckern versehen ist. Diese Versuche habe ich zu wiederholten 
Malen angestellt und stets dieselben Resultate erzielt. Ferner 
habe ich eine ganze Serie von Porzellanfullungen nach 
Dr. Fischers Methode hergestellt (Phantomarbeit) und stets 
das nämliche Resultat, wie ich es in meinem Referat („Oesterr.- 
ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde“, XXIII. Jahrg., 
I. Heft, pag. 120—122) mitgeteilt habe, erzielt. Ich habe damals 
geschrieben: „Daher ist auch ein genaues Negativ des 
modellierten Gipskieselgurkernes nicht zu erwarten“ — denn 
gerade das genaueNegativ ist für meinen Standpunkt das 
punctum saliens — und füge nun auf Grund meiner zahl¬ 
reichen Versuche hinzu, ein genaues Negativ erhielt 
ich auch.in keinem Falle. 


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Dr. Arp&d R. v. Dobrzyniecki, Wieu. Stomatika. 


435 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

* 

Stoiatita. 

Von Dr. Ärpdd Ritter v. Dobrzyniecki, k. u. k. Regimentsarzt 

in Wien. 

Die vielen Organe der Mundhöhle sind sowohl einer 
natürlichen Abnützung, als auch ständigen, äusserlich ein¬ 
wirkenden Schädigungen ausgesetzt. Diesen entgegenzukommen, 
ist die Aufgabe der Mundhygiene. Zahllos sind die Präparate, 
welche, diesem Zwecke dienend, im öffentlichen Handel er¬ 
hältlich sind, deren Zusammensetzung jedoch gewöhnlich gerade 
so unbekannt ist wie die Namen der Erzeuger, die diese kom¬ 
poniert haben. Die Zusammenstellung solcher Präparate gehört 
in das Kapitel der ärztlichen Rezepturwissenschaft, somit auch 
zur Stomatologie. 

„Stomatika* werden richtig zusammengestellt sein, 
wenn als Grundlage genommen wird: erstens die Kenntnis des 
gesunden und kranken Mundes, dann die entsprechende Aus¬ 
wahl von Arzneikörpern, welche zu diesem Zwecke angewendet 
werden sollen. Diese Arzneikörper bilden in ihrer Gesamtheit 
die Gruppe der „Stomatika*, gerade so wie in der Medizin 
Gruppen von Arzneikörpem vorhanden sind, wie: Stomachika, 
Kardiaka etc. Durch die Bezeichnung „Stomatikum“ wird 
der unrichtige Gebrauch eines „Totum pro parte“ vermieden. 

Die Erkenntnis der Wichtigkeit der Mundpflege hat es 
mit sich gebracht, dass heutzutage die meisten Menschen recht¬ 
zeitig dafür sorgen, um schädliche Einwirkungen von den Mund¬ 
organen fernzuhalten; man findet daher in jedem Hause irgend 
ein „Mundwasser“, das man sich nach eigenem Gutdünken 
im Handel verschafft hat. Der günstige Einfluss der Prophylaxis 
ist aus der Tatsache wahrnehmbar, dass selbst in den minderen 
Volksschichten schwerere Zahnerkrankungen, wie solche mit 
Phlegmone, Abszessen, fieberhaften Drüsenkomplikationen früher 
sehr häufig in Behandlung kamen, derzeit in geringerer Zahl 
Vorkommen. Man kann dies beobachten in Ambulatorien, 


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436 


Dr. Arp&d R. y. Dobrzyniecki, Wien. 


Spifälern, dann bei den Soldaten. Bei letzteren ist der Einfluss 
der Reinlichkeit auffallend, da bei solchen Abteilungen, wo den 
Leuten das Reinigen mittels Börste und Seife empfohlen wird, 
die oben erwähnten Zahnkrankheiten seltener auftreten. 

Stomatika richtig zusammenzustellen, bedingt die Be¬ 
rücksichtigung folgender Faktoren: 

1. Gewebe, Organe; 

2. Art der Infektion, Verunreinigung der¬ 
selben; 

3. Wirkungsweise der als Stomatika dienenden 
Arzneikörper. 

Ad 1. Die Gewebe und Organe sind: Gingiva, Schleimhaut 
der ganzen Mundhöhle, Zahnbein, Tonsillen, Glandulae mucosae, 
Zunge, Glandula submaxillaris, Glandula sublingualis, Parotis. 

Ad 2 . Die Art der Infektion, Verunreinigung kommt vom 
klinischen Standpunkte in Betracht und ist gerade so wie 

Ad 3 . Die Wirkungsweise der Arzneikörper, deren Kenntnis 
aus der Pharmakodynamie bekannt ist — einer weiteren Er¬ 
örterung entzogen. 

Bei den Arzneikörpern kommen vom praktischen Stand¬ 
punkte folgen«!e Gruppen in Betracht: resorbierbare, nicht 
resorbierbare, antiseptische, adstringierende, 
sekretionsbefördernde, desodorierende, schmerz¬ 
lindernde. 

Man kann beobachten, dass es Personen gibt, die sich 
fast nie den Mund reinigen und dennoch einen sehr reinen 
Mund haben, bei diesen ist die Schleimhaut von normaler, 
elastischer Konsistenz, rosafärbig; bei anderen hingegen finden 
wir, dass die Mundschleimhaut von Haus aus erschlafft und 
gelockert ist, zahllose Falten besitzt, in denen die Speisereste 
versteckt sind. Ist hiezu noch eine starke Desquamation der 
Mundepithelien vorhanden, so sind die Bedingungen zu einem 
Foetor ex ore geschaffen. Jugendliche Individuen haben ge¬ 
wöhnlich einen reineren Mund als erwachsene Personen. 
Es ist zu beobachten, dass bei Kindern der Mund nach 


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Stumatika. 


437 


einer Mahlzeit in kurzer Zeit ohne Gebrauch eines Mund¬ 
wassers rein wird, die Speisereste verschwinden, bei Er¬ 
wachsenen hingegen bleiben die Speisereste noch stunden¬ 
lang in den Schleimhautfalten und Zahnzwischenräumen zurück. 
Diese konträren Umstände beruhen auf physiologischer Grund¬ 
lage. Wir haben bereits oben unter den Mundgeweben und 
Organen die vielen Drüsen erwähnt, welche alle insgesamt 
eine grosse Menge Sekretionsflüssigkeit, den Speichel, erzeugen. 
Nun werden gerade diese vielen Drüsen sowohl durch den 
Geschmacksreiz der Nahrungsmittel, als auch durch die Muskel¬ 
bewegung beim Kauakte zu einer starken Sekretion gezwungen. 
Die in Strömung kommenden Speichelmassen schwemmen die 
zurückgebliebenen Speisereste alsbald hinweg; bei jugendlichen 
Personen ist die Speichelsekrelion eine bedeutend grössere, 
man könnte fast sagen überschüssige, daher die Chancen der 
Wegschwemmung von Speiseresten von Natur aus viel 
günstigere sind, als bei Erwachsenen, bei welchen der Speichel¬ 
fluss bedeutend geringer und viel kürzer nachwirkend ist, so dass 
nach Beendigung der Mahlzeit, richtiger gesagt mit dem Ver¬ 
schlucken des letzten Bissens, auch die Speichelsekretion auf¬ 
hört und die zurückbleibenden Speisereste leichter an den 
trockenen Mundorganen haften bleiben und zur Wegspülung 
infolge des Mangels an Speichel einer Nachhilfe durch Auf¬ 
nahme externer Flüssigkeit bedürfen. Beobachtet man den 
Mund nach einer Mahlzeit, so sieht man, dass nach dem 
üblichen Reinigen des Mundes mit Zahnstocher und Mund¬ 
wasser am Zahnfleischrand und Zahnhals herum ein faden¬ 
förmiger weisser Speisebrei zurückbleibt. Besonders sind es 
alleinstehende Zähne, die einen derartigen Belag aufweisen. 
Diese Speisereste können am besten entfernt werden, wenn 
man den Zahn mit einem weichen, auch nassen Tuch abwischt. 

Aber nicht nur die Speisen allein verunreinigen den 
Mund. Infolge des normalen physiologischen Stoffwechsels der 
Mundhöhle allein entsteht eine Verunreinigung des Mundes. 
Der eintrocknende Speichel, die sich ablösenden Mundepithelien 
haften besonders bei einem speichelärmeren Munde an den 
Geweben und geraten in sehr kurzer Zeit in Zersetzung. Es 


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438 


Dr. Arpäd R. v. Dobrzyareeki, Wien. 


ist auch zu beobachten, dass Personen, die infolge sehlechter 
Gewohnheit oder Nasenfehler den Mund offen halten, einen 
unangenehmen Mundgeruch haben, auch nur deshalb, weil 
die normalen Stoffwechselprodukte durch den Speichel, welcher 
bei solchen Personen spärlicher ist, nicht weggeschwemmt 
werden. Aus dem ganzen physiologischen Prozess ist ersichtlich, 
dass das Reinigen des Mundes nach der Mahlzeit allein den 
hygienischen Bedürfnissen nicht entspricht, sondern es not¬ 
wendig ist, die normalen Stoflfwechselprodukte während der 
übrigen Zeit stets nach Massgabe der individuellen Mund- 
beschaflfenheit zu entfernen. Es wird daher notwendig sein, 
den Mund ausser der mechanischen Reinigung während des 
Tages wiederholt auszuspülen. 

Sind schon bei normalem, gesunden Zustande derartige 
Bedürfnisse zur wiederholten Benützung von Stomaticis vor¬ 
handen, so werden sie es um so mehr sein, bei weniger ge¬ 
pflegten oder krankhaften Mundverhältnissen. 

Eine verbreitete Verwendung der Stomatika sehen wir 
bei Behandlung entzündlicher infektiöser Prozesse der Weich¬ 
teile der Mundhöhle. Es sind hier zu erwähnen die Stomatitis 
simplex, Stomatitis catarrhalis, Pharyngitis, Tonsillitis, ferner 
die Entzündungen der grossen Speicheldrüsen. 

Die Parotitis ist eine Krankheit, die besonders bei 
andauernden kalten Winden auftritt. Dieselbe hat zwei Haupt¬ 
formen; die schwerere ist als Mumps bekannt und dürfte 
hauptsächlich infolge von Infektion entstehen; ihre Behandlung 
gehört zur internen oder auch chirurgischen Medizin; die 
leichtere, welche wahrscheinlich auf die nachteilige Einwirkung 
der Kälte zurückzuführen ist, gibt oft Anlass zu einer stomato¬ 
logischen Behandlung. Diese ist mitunter mit einer 
Periodontitis acuta diffusa zu verwechsein. Es be¬ 
stehen Schmerzen in der betreffenden Gesichtshälfte, ebenso 
ist der Oberkiefer schmerzhaft, die Zähne zeigen auf Druck 
Empfindlichkeit, es besteht Schmerz in den Ohren und im 
Kiefergelenk, die Wangenschleimhaut zeigt einen kronenstück¬ 
grossen dunkelroten Fleck, in dessen Mitte die stark geschwollene 
Mündung des Ductus Stenonianus sichtbar ist. Diese ent- 


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Stomatika. 


439 


zündlicheRötung zieht sichüber dieUebergangs- 
falte gegen dieZahnwurzeinzu, reicht aber nicht 
bis zum Zahnhals. 

Bei Periodontitis erstreckt sich die Rötung 
überdas ganze Zahnfleisch. Nimmt man diese Wangen¬ 
partie zwischen zwei Finger, so wird man bei zartem Druck 
die Parotis als einen härteren Gegenstand fühlen. Drückt 
man etwas stärker, so entleert der Ductus Stenonianus eine 
trübe, milchige Flüssigkeit, es besteht ein starker Speichelfluss, 
welcher den Patienten sehr lästig ist. Aeusserlich ist am 
Gesichte eine kaum wahrnehmbare Schwellung sichtbar. Die 
bestehenden Schmerzen werden von den Patienten gewöhnlich 
als Zahnschmerz verkannt und es gelingt oft kaum, die Kranken 
von ihrem Irrtum zu überzeugen. Bei der Therapie dieser 
Parotitis ist nebst äusserlichen kalten Umschlägen 
derGebrauch eines speichelbefördernden Stoma- 
tikums notwendig. Die Anwendung eines Adstringens ist 
direkt kontraindiziert, da der Ductus Stenonianus dadurch 
verengert würde; es ist sogar die Abspülung der Mündung 
desselben mit einer leichten Alkohollösung notwendig, damit 
der Speichelabfluss nicht gestört ist. 

Bei den früher erwähnten Entzündungen der Weichteile 
wird die Anwendung eines Stomatikums um so notwendiger 
sein, als selbst einfache Rachenkatarrhe bei längerem Bestände 
den Patienten bis zur Unerträglichkeit belästigen. 

Bei Raucherkatarrhen wird der Rachen durch den an¬ 
haftenden zähen Schleim so stark irritiert, dass Erbrechen er¬ 
folgt. Wird ein entsprechendes Stomatikum angewendet, so 
sind diese Erscheinungen oft in ein paar Stunden beseitigt. 
Viele für Mundwässer geeignete Arzneikörper wirken heilend 
bei Beinhautentzündungen und gegen Gingivitis, dieselben 
wirken auch schmerzstillend. Bei Atrophia alveolaris werden 
durch den Gebrauch dieser Mittel die lockeren Zähne oft derart 
fest, dass dieselben noch lange Zeit hindurch die Kaufähigkeit 
erhalten; es scheint sogar, dass der atrophische Prozess durch 
das systematische Einpinseln und Einreiben mit geeigneten 
Arzneien verlangsamt wird. 


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440 


Dr. Arpad R. v. Dobrzyniecki, Wien. 


Als ein besonders konservierendes Mittel 
für das Zahnbein erweist sich Jod. Bestreicht man 
die /ahnreihe mit Jodtinktur und lässt nachher mit Wasser 
ausspülen, so wird das reine Zahnbein in der eigenen Farbe 
erscheinen, dort wo Belag ist oder erweichtes Dentin vor¬ 
handen ist, werden die jodverfärbten Flecke sichtbar sein. 

Es ist das Bepinseln der Zähne mit Jod also 
auch ein diagnostisches Hilfsmittel zur leichteren 
Auffindung der Zahnkaries. 

DieErfahrungzeigtferner, dassdasBepinseln 
des Zahnhalses mit Jodtinktur die Entstehung 
des Zahnsteines verhindert. 

Das Reinhalten des Mundes wird in erster 
Linie durch das fortwährende Wegschwemmen 
der Fremdkörper durch den Speichel besorgt; die 
Anzahl der speichelerzeugenden Organe ist auch eine recht 
grosse. Da dieser günstige Umstand schon von Natur aus 
vorhanden ist, so wird die Aufgabe bei der Mundreinigung 
den Zweck haben, diese Sekretionsfähigkeit durch entsprechende 
Stomatika zu erhöhen. Es soll daher ein Mundwasser, 
das die Eigenschaft besitzt, die Sp eichelsekreti on 
zu befördern, zum normalen Gebrauch angewendet 
werden. Wird eine kleine Menge von solch einem Mund¬ 
wasser zum Spülen genommen, so ist zu beobachten, dass 
zuerst ein glasiges, zähes Sekret sich entfernt, erst nach wieder¬ 
holtem Spülen wird wasserklarer, reiner Speichel abfliessen. 

Damit ein Mundwasser nach Möglichkeit sämtliche Flächen 
der Mundhöhle bespült, muss es einen angenehmen Geschmack 
besitzen. Mundwässer, die einen widerlichen Geschmack be¬ 
sitzen, werden erfolglos angewendet, da bei deren Gebrauch 
ganz unwillkürlich durch Verkleinerung der Mundhöhle, durch 
Anlegen der Zunge an den harten Gaumen und durch 
Muskelkontraktion die Berührung des Mundwassers mit der 
Mundhöhle auf ein Minimum beschränkt wird, es bleiben so¬ 
mit der ganze Rachen und ein grosser Teil der Wangen- und 
Lippenschleimhaut unbespült. Ein brauchbares Mundwasser 


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Stomatika. 


441 


muss daher angenehmen Geschmack und Geruch besitzen, so 
dass das Verbleiben im Munde ein Wohlgefühl hervorruft. 
Diesen Bedingungen kann nur ein aus gewissen Stomaticis 
zusammengesetztes Mundwasser entsprechen. Hiezu sind be¬ 
sonders geeignet die Stearopten-Präparate, welchen gleich¬ 
zeitig süsse und bittere Mittel beigegeben sind, da der süsslich- 
bittere Geschmack auf die Dauer am längsten vertragen wird. 
Den angenehmen Geruch bewirkt der Zusatz von ätherischen 
Oelen. Eine aus derartigen Mitteln zusammengesetzte Kom¬ 
position hat die Eigenschaft, mit Wasser verdünnt im Ver¬ 
hältnisse 1:100 als Mundwasser angewendet werden zu können. 
Einen Mund aseptisch machen zu wollen wird wohl niemand 
versuchen, da es ja bekannt ist, dass selbst nach Spülungen 
mit Sublimatlösung, nach Ablauf von 20 bis 30 Minuten der 
Mund wieder Bakterien enthält. 

Personen, die eine sitzende Lebensweise führen, leiden 
öfter an Mundgeruch als solche, die sich im Freien bewegen. 
Die Ursache dürfte darin zu suchen sein, dass die im ge¬ 
schlossenen Raum sich Aufhaltenden dem Bedürfnisse, den 
durch Staub und Rauch verdickten Speichel auszuspucken, nicht 
nachkommen können, der sich bald zersetzt, hingegen Personen, 
die sich im Freien bewegen, das Ausspucken ganz unbewusst 
besorgen. 

Es besteht auch bei vielen Leuten das Vorurteil gegen 
Mundwässer, dass sie das Zahnbein beschädigen. Am meisten 
wird die Furcht gegen Säuren ausgesprochen. Angenommen, 
dass selbst irgend ein Mundwasser existiert, welches säurehältig 
ist, müsste die Säure enorm verdünnt angewendet werden, um 
es als Mundspülmittel anwenden zu können, da ja schon der Ge¬ 
schmack selbst unangenehm ist; ausserdem würde dieser minimale 
Säuregehalt durch den alkalischen Speichel gleich paralysiert 
werden. Ein säurehältiges Mundwasser, welches das Zahnbein 
anzugreifen imstande ist, müsste ja schon die Schleimhaut be¬ 
schädigen, was sich mindestens in Hyperämie, Ekzem, Auf¬ 
lockerung usw. sichtbar machen würde. Die Karies der Zähne 
entsteht nicht durch Säureeinwirkung, diese Theorie ist durch 
einschlägige Untersuchungen auf bakteriologischer Basis wider- 

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442 


Dr. Arpäd R. v. Dobrzyniecki, Wien. 

legt; die Karies verursachenden Mikroorganismen sind alkalisch 
reagierend; dieser Umstand ist auch im vollen Einklang mit dem 
Wesen der Fäulnis, die ebenfalls ein alkalischer Prozess ist. 

Durch Benützung der Stomatika allein eine Karies auf¬ 
halten zu wollen, wird natürlich niemandem einfallen. Das 
einzige Mitte), welches als solches in Betracht kommt, ist das 
rechtzeitige Tuschieren mit Lapis; dies Mittel ist aber auch kein 
Heilmittel ^egen die Karies, sondern verzögert nur das raschere 
Fortschreiten derselben. Ein richtig komponiertes Mundwasser 
wird keine reizende, schädliche Wirkung auf die Mundhöhle 
entfalten. Nimmt man zum Vergleich die chemischen, an¬ 
haltenden Wirkungen, welche bei einer länger dauernden Mahl¬ 
zeit zur Geltung kommen, und zwar verschiedene sauere Speisen, 
sauere Getränke, Rauchen etc. und entsteht von diesen kein 
Ekzem der Mundhaut, so wird es klar sein, dass die Wirkung 
des Mundwassers, im Vergleich mit der Zeitdauer des Auf¬ 
enthaltes im Munde, gegen die oben geschilderten Umstände 
in gar kein Verhältnis gebracht werden kann und so wird von 
einer chemisch reizenden Wirkung wohl kaum die Rede sein 
können. Dass die Mundreinigung deshalb nicht wieder ins 
extremste übergreifen darf, ist selbstredend. 

Eine wohltuende Wirkung verschaffen kohlensäure- 
hältige Mineralwässer. Diese beseitigen die im Munde 
durch den oben geschilderten physiologischen Prozess ent¬ 
standenen Abfallsprodukte äusserst rasch. Zum gewöhnlichen 
Gebrauch bei der Mundpflege dürfte deren Verwendung wohl 
zu kostspielig sein, wo aber dieser Umstand keine Rolle spielt 
oder bei fiebernden Kranken dürften sie wohl das idealste 
Mundwasser sein. Das Gleichenberger Wasser scheint unter 
den Mineralwässern eines der wirksamsten zu sein; eine zahn¬ 
steinlösende Wirkung wird dem Preblauer und Karlsbader 
Wasser zugeschrieben. In der letzten Zeit werden als Antiseptika 
verschiedene oxydierendeSubstanzen zur Mundreinigung 
angewendet, speziell sind es Mercks Präparate. Diese wirken 
durch Abspalten ihres Oxygens, sobald er mit organischen 
Stoffen in Berührung kommt. Das Prinzip ist also im über¬ 
tragenen Sinne ein Verbrennungsprozess. 


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Stomatika. 


443 


Kaliumjodatum, innerlich genommen, wirkt sehr günstig 
bei Zähnen, welche wiederholt Periodontitis überstanden haben. 
Die vorhandene Empfindlichkeit, welche bei Berührung und 
beim Kauen solcher Zähne besteht, schwindet oft gänzlich. Es 
sei hier ausdrücklich betont, dass Jodkali nur auf die 
Beinhaut wirkt, da eine andere Wirkung, z. B. in dem 
Wurzelkanal ohne lebender Pulpa, ganz unmöglich ist, aus 
allgemein bekannten physiologischen Gründen. 

Bei solchen mit chronischer Periodontitis, Granulationen 
behafteten Zähnen ist der günstige Einfluss eines fortwährenden 
Stoffwechsels auch darin zu erkennen, dass sie in der heissen 
Sommerzeit unempfindlich sind; erfolgt ein rascher, kühler 
Temperaturwechsel, so sind selbe gewöhnlich sofort empfindlich. 
Die Erklärung ist sehr einfach, da durch die Kälte die Zirkulation 
erschwert wird, Abfallsprodukte länger Zurückbleiben und somit 
die Beinhaut bei solchen Zähnen mehr irritiert wird. 

Die in flüssiger Form angewendeten Stomatika allein 
genügen nicht zum Reinhalten des Mundes, speziell der Zähne, 
es müssen daher auch zweckmässige Präparate in harter Form 
als Zahnpulver benützt werden, um mechanische Reinigung 
zu bewirken. Bei diesen muss beachtet werden, dass sie das 
Zahnbein nicht lädieren. 

Nach dem Gesagten ist es ersichtlich, dass die Mund¬ 
pflege Mühe und materielle Opfer kostet, dafür aber viel 
Schmerzen und der Verlust von Organen erspart bleiben. 


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444 


Dr. Paul Preiswerk, Basel. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Beiträge zur Kasuistik ui Therapie der Kitticke. 

Von Dr. Paul Preiswerk in Basel. 

Es ist eine bekannte Tatsache, dass Kieferbrüche an be¬ 
stimmten Stellen keiner Therapie bedürfen, sondern bei der 
enormen Heilungstendenz der Kieferknochen möglichst rasch 
nach einer eingetretenen Fraktur in guter Stellung konsolidieren, 
welchen Umstand sich ja Part sch zunutze gemacht hat, um 
sich durch Lostrennen der Processus alveolares und palatini 
Zugang zu Geschwülsten im Innern der Nase zu verschaffen. 
Es betrifft dies namentlich Brüche in der Medianlinie des Unter¬ 
kiefers, sowie solche des oberen oder des unteren Processus 
alveolaris und die isolierten des Processus coronoideus. • 

Ist in diesen Fällen eine Fixation durch die Naht oder 
durch die Schiene nicht notwendig, so ist sie jedenfalls sehr 
angezeigt, um nicht später, nach erfolgter Kallusbildung, beim 
Prüfen der Artikulation die unangenehme Entdeckung zu machen, 
dass dieselbe gelitten hat und man nun gezwungen ist, durch 
komplizierte Apparate den normalen Zustand wieder zu er¬ 
reichen zu suchen, dessen Zustandekommen durch eine früh¬ 
zeitig und richtig angelegte Schiene garantiert gewesen wäre. 

Ich möchte nun im folgenden auf drei Fälle von Unter¬ 
kieferfrakturen, die in die chirurgische Abteilung des hiesigen 
Bürgerspitals eingeliefert und mir vom damaligen Vorsteher, 
Herrn Prof. E. En der len, zur Behandlung überwiesen worden 
waren, näher eingehen und ich erachte es für zweckmässig, 
einige allgemeine Gesichtspunkte über Unterkieferbrüche voraus¬ 
zuschicken. 

Der Unterkiefer, wie übrigens alle Knochen des Schädels, 
wird im Verhältnis zu den übrigen, das Skelett zusammen¬ 
setzenden, sehr selten frakturiert. Nach Röse sollen von 
hundert Knochenbrüchen zwei bis drei den Unterkiefer be¬ 
treffen. 


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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrüche. 445 

Der Lage nach lassen sie sich einteilen in solche, die 
das Mittelslück, den horizontalen oder den aufsteigenden Ast, 
den Alveolarfortsatz oder den Processus coronoideus und con- 
dyloideus betreffen. Der Häufigkeit des Vorkommens nach 
stehen die erstgenannten obenan, während sie, je mehr sich 
die Brüche rückwärts verschieben, seltener werden, so dass 
die am wenigsten häufig zu Gesicht kommende isolierte Fraktur 
diejenige des Processus coronoideus sein dürfte. Für das Zu¬ 
standekommen dieser Kontinuitätstrennungen gelten im 
allgemeinen die für die übrigen Knochenbrüche in Betracht 
kommenden Entstehungsursachen, also Stoss, Schlag, Sturz, 
Schuss etc., während wenigstens in früherer Zeit für die Fraktur 
des Processus alveolaris die rohe Anwendung des rohen Zahn¬ 
schlüssels von ursächlicher Bedeutung war. 

Während die meisten dieser Brüche direkte sind, so gilt 
das nicht immer für das Mittelstück des Unterkiefers, .das durch 
seine beträchtliche Dicke (Protuberantia mentalis und Spina 
mentalis interna) äusseren Gewalten doch einen kräftigen Wider¬ 
st and entgegenzusetzen imstande ist. In gleichem Sinne bieten 
die Verstärkungszüge der Linea obliqua und der Linea mjio- 
hyoidea dem horizontalen Ast eine kräftige Stütze. Eine das 
Mittelstück oder die Nähe des Kieferwinkels treffende Gewalt 
wird also oft nicht am Orte ihrer Einwirkung eine Fraktur 
hervorrufen, sondern dieselbe wird häufig da zu finden sein, 
wo von Natur ein Locus minoris resistentiae geboten ist, wie 
z. B. im Uebergang des Mittelstückes in den horizontalen Ast 
oder etwa im Collum des Processus condyloideus. 

Die Symptome der Unterkieferbrüche sind je nach 
ihrem Sitz verschieden. Vor allem sind es die Schmerzen, 
welche die Patienten quälen und die namentlich bei Quetschung 
oder Zerrung des Nervus mandibularis heftig sein können. 
Ausser diesen spontanen Schmerzen löst jeder Kau- oder Schluck¬ 
versuch oft einen Anfall aus, was besonders deshalb unangenehm 
empfunden wird, weil die Salivation eine stärkere geworden 
and mithin das Bedürfnis des Schluckens gesteigert worden 
ist. Die Patienten nehmen einen, man könnte sagen, typischen 
Gesichtsausdruck an; die mimische Gesichtsmuskulatur und die 


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Dr. Paul Preiswerk, Basel. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Beiträge znr Kasuistik eeä Therapie her Kieferhräehe. 

Von Dr. Paul Preiswerk in Basel. 

Es ist eine bekannte Tatsache, dass Kieferbrüche an be¬ 
stimmten Stellen keiner Therapie bedürfen, sondern bei der 
enormen Heilungstendenz der Kieferknochen möglichst rasch 
nach einer eingetretenen Fraktur in guter Stellung konsolidieren, 
welchen Umstand sich ja Part sch zunutze gemacht hat, um 
sich durch Lostrennen der Processus alveolares und palatini 
Zugang zu Geschwülsten im Innern der Nase zu verschaffen. 
Es betrifft dies namentlich Brüche in der Medianlinie des Unter¬ 
kiefers, sowie solche des oberen oder des unteren Processus 
alveolaris und die isolierten des Processus coronoideus. • 

Ist in diesen Fällen eine Fixation durch die Naht oder 
durch die Schiene nicht notwendig, so ist sie jedenfalls sehr 
angezeigt, um nicht später, nach erfolgter Kallusbildung, beim 
Prüfen der Artikulation die unangenehme Entdeckung zu machen, 
dass dieselbe gelitten hat und man nun gezwungen ist, durch 
komplizierte Apparate den normalen Zustand wieder zu er¬ 
reichen zu suchen, dessen Zustandekommen durch eine früh¬ 
zeitig und richtig angelegte Schiene garantiert gewesen wäre. 

Ich möchte nun im folgenden auf drei Fälle von Unter¬ 
kieferfrakturen, die in die chirurgische Abteilung des hiesigen 
Bürgerspitals eingeliefert und mir vom damaligen Vorsteher, 
Herrn Prof. E. En der len, zur Behandlung überwiesen worden 
waren, näher eingehen und ich erachte es für zweckmässig, 
einige allgemeine Gesichtspunkte über Unterkieferbrüche voraus¬ 
zuschicken. 

Der Unterkiefer, wie übrigens alle Knochen des Schädels, 
wird im Verhältnis zu den übrigen, das Skelett zusammen¬ 
setzenden, sehr selten frakturiert. Nach Röse sollen von 
hundert Knochenbrüchen zwei bis drei den Unterkiefer be¬ 
treffen. 


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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrttche. 


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Der Lage nach lassen sie sich einteilen in solche, die 
das Mittelstück, den horizontalen oder den aufsteigenden Ast, 
den Alveolarfortsatz oder den Processus coronoideus und con- 
dyloideus betreffen. Der Häufigkeit des Vorkommens nach 
stehen die erstgenannten obenan, während sie, je mehr sich 
die Brüche rückwärts verschieben, seltener werden, so dass 
die am wenigsten häufig zu Gesicht kommende isolierte Fraktur 
diejenige des Processus coronoideus sein dürfte. Für das Zu¬ 
standekommen dieser Kontinuitätstrennungen gelten im 
allgemeinen die für die übrigen Knochenbrüche in Betracht 
kommenden Entstehungsursachen, also Stoss, Schlag, Sturz, 
Schuss etc., während wenigstens in früherer Zeit für die Fraktur 
des Processus alveolaris die rohe Anwendung des rohen Zahn¬ 
schlüssels von ursächlicher Bedeutung war. 

Während die meisten dieser Brüche direkte sind, so gilt 
das nicht immer für das Mittelstück des Unterkiefers, das durch 
seine beträchtliche Dicke (Protuberantia mentalis und Spina 
mentalis interna) äusseren Gewalten doch einen kräftigen Wider¬ 
stand entgegenzusetzen imstande ist. ln gleichem Sinne bieten 
die Verstärkungszüge der Linea obliqua und der Linea mylo- 
hyoidea dem horizontalen Ast eine kräftige Stütze. Eine das 
Mittelstück oder die Nähe des Kieferwinkels treffende Gewalt 
wird also oft nicht am Orte ihrer Einwirkung eine Fraktur 
hervorrufen, sondern dieselbe wird häufig da zu finden sein, 
wo von Natur ein Locus minoris resistentiae geboten ist, wie 
z. B. im Uebergang des Mittelstückes in den horizontalen Ast 
oder etwa im Collum des Processus condyloideus. 

Die Symptome der Unterkieferbrüche sind je nach 
ihrem Sitz verschieden. Vor allem sind es die Schmerzen, 
welche die Patienten quälen und die namentlich bei Quetschung 
oder Zerrung des Nervus mandibularis heftig sein können. 
Ausser diesen spontanen Schmerzen löst jeder Kau- oder Schluck¬ 
versuch oft einen Anfall aus, was besonders deshalb unangenehm 
empfunden wird, weil die Salivation eine stärkere geworden 
und mithin das Bedürfnis des Schluckens gesteigert worden 
ist. Die Patienten nehmen einen, man könnte sagen, typischen 
Gesichtsausdruck an; die mimische Gesichtsmuskulatur und die 


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Dr. Paul Preiswerk, Basel. 


Kaumuskeln ruhen vollständig und aus den Winkeln des halb¬ 
geöffneten Mundes träufelt der Speichel. 

Zur Feststellung eines Unterkieferbruches bedarf es aber 
mehr als bloss dieser Symptome und da wäre vor allem an 
die Merkmale der Knochenbrüche allgemeiner Art zu denken, 
nämlich an die Schwellung, an die Krepitation, sowie an die 
abnorme Beweglichkeit, mit welcher gewöhnlich eine Dis¬ 
lokation der Bruchstücke verbunden ist, und an die Functio 
laesa. Bei den seltenen Brüchen in der Medianlinie ist eine 
Dislokation auszuschliessen, weil beiderseits der Zug nach oben 
Und nach unten ein gleicher ist, während sie bei den am 
häufigsten vorkommenden Frakturen zwischen Eckzahn und 
erstem Prämolaren, eventuell zwischen lateralem Schneidezahn 
und Eckzahn immer zu treffen ist, so zwar, dass das längere 
Bruchstück infolge seines grösseren Eigengewichtes und dem 
der daran hängenden Muskeln nach abwärts gezogen wird. 
Bei Frakturen im aufsteigenden Aste lässt sich in bezug auf 
die Dislokation keine bestimmte Regel aufstellen. Bei Frakturen 
des Processus condyloideus und coronoideus stösst man beim 
Untersuchen der abnormen Beweglichkeit oft auf nicht uner¬ 
hebliche Schwierigkeiten, was einesteils durch die aktive Im¬ 
mobilisierung durch die Kaumuskulatur, andemteils durch die 
anatomische Lage der Fortsätze bedingt ist. Der gegen die 
vordere Wand des äusseren Gehörganges der verdächtigen Seite 
eingeführte Finger wird indes beim Oeffnen und Schliessen 
des Mundes über den Zustand des Gelenkfortsatzes Aufschluss 
erhalten. 

Krankengeschichte I. 

E. M., 4jähriger Knabe. Eintritt: 5. April 1905. Krank¬ 
heit: Fractura mandibulae dextr. Behandlung: Schiene. Aus¬ 
tritt: 27. April 1905. Wiedereintritt: 4. Mai 1905. Wieder¬ 
austritt: 12. Mai 1905. 

Anamnese: Der Knabe wurde am Abend vor der Ein¬ 
lieferung in das Bürgerspital von einem Wagen überfahren. 

Status praesens: Allgemeinstatus: O. B. Kopf: Die 
ganze rechte Gesichtshälfte ist geschwollen. In der rechten 


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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrttche. 


447 


Ohrmuschel findet sich eingetrocknetes Blut. Im äusseren 
Gehörgang steckt ein blutdurchtränkter Wattebausch. Soweit 
man ohne Trichter sehen kann, ist der Gehörgang intakt. Vor 
dem rechten Ohr eine zirka 4 Cm. lange, 1'/* Cm. breite, ober¬ 
flächliche Schürfung. Der Mund wird beständig halb geöffnet 
gehalten; es fliesst von Zeit zu Zeit blutiger Speichel aus. Am 
Kieferrande ist wegen Schwellung und Schmerzhaftigkeit die 
Palpation des Knochens unsicher. Es zeigt hingegen die Zahn¬ 
reihe auf der rechten Seite eine deutliche Verschiebung; sie 
liegt zwischen Caninus und erstem Milchmolar; das hintere 
Bruchstück erscheint gegen die Zunge hin eingedrückt. An der 
Frakturstelle ist die Gingiva verletzt. Bei den Abwehrbewegungen 
fühlt man am Kiefer eine deutliche Krepitation und wird ge¬ 
wahr, wie sich die Bruchstücke gegeneinander verschieben. 

Eintritt: 5. April: Mundspülungen, schwierig auszu¬ 
führen. 

7. April: Abnahme von Gebissabdrücken in Chloroform¬ 
narkose. 

8. April: Einlegen der Fixationsschiene, die mit Draht¬ 
schlingen an den Zähnen befestigt wird. Die Manipulationen 
sind wegen der kleinen Mundverhältnisse schwierig und sehr 
mühsam. Es sitzt jedoch die Schiene tadellos und hält gut. 

10. April: Schiene unverändert. Aufstehen. Aus dem Ohr 
keine Blutung mehr. Temperatur normal. 

24. April: Deutliche Kallusbildung. Schiene hält gut. Gule 
Stellung. 

27. April: Austritt. Status: In Heilung. 

Wiedereintritt: 4. Mai 1905: Die rechte Wange und 
die Unterkiefergegend ist ziemlich stark geschwollen. Haut ge¬ 
spannt, glänzend, besonders unter dem Kieferrande. Die 
Schwellung ist derb, prall-elastisch. 

Mundhöhle: Schiene und Zähne mit stinkendem, 
schmierigen Belag. Rechts entleert sich in der Nähe des ersten 
Molaren' auf Druck stinkender Eiter. Der Kiefer ist fest. Dis¬ 
lokationsversuche nicht schmerzhaft. 


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Dr. Paul Preiswerk, Basel. 


8. Mai: Entfernen der Schiene. Inzision des Abszesses 
vom Munde aus. Entfernen eines kleinen Sequesters. Tam¬ 
ponade der Wunde. Es besteht noch etwas abnorme Beweg¬ 
lichkeit, keine Dislokation. 

10. Mai: An der Frakturstelle immer noch starke Ver¬ 
dickung; die übrige Schwellung hat abgenommen. 

12. Mai: Austritt. Status: Frakturstelle konsolidiert. 
Schwellung zurückgegangen. 

Was nun die Therapie im allgemeinen anbelangt, so soll 
an dieser Stelle von der Vereinigung der Bruchenden durch 
die Knochennaht und von der grossen Anzahl der unblutigen 



Fig. 1. 


Repositions- und Fixationsmethoden abgesehen werden. Es 
handelt sich hier lediglich darum, an Hand von konkreten' 
Fällen die jeweils angewandten Verbände zu besprechen, nicht 
als ob etwa andere Methoden nicht zu demselben Erfolg ge¬ 
führt hätten. 

In diesem ersten Fall war nun die Therapie folgende: In 
Narkose wurde dem Kinde ein Abdruck (Stentskomposition) 
des Oberkiefers und ein solcher des dislozierten Unter¬ 
kiefers genommen, eine Manipulation, die bei den kleinen 
und dazu stark geschwollenen Mundverhältnissen keineswegs 
leicht zu bewerkstelligen war. Das erhaltene Negativ wurde 
hierauf mit Gipsbrei ausgegossen, wodurch ein positives Modell 
der beiden Kiefer erhalten wurde (Fig. 1). Es handelte sich nun 


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Beiträge zur Kasuistik uud Therapie der Kieferbrüche. 


449 


darum, nach dem Bogen des Oberkiefers den Unterkiefer so um¬ 
zuformen, dass er seine ursprüngliche Gestalt wieder bekam. 
Und da boten ja die Zähne des Oberkiefers einen willkommenen 
Anhaltspunkt, nachdem man mit Hilfe der Artikulation mit 
denen des Unterkiefers weiter arbeiten konnte. Zu diesem 
Zwecke wurde das Modell des letzteren an der Stelle der 
Fraktur durchsägt und in diesem mobilisierten Zustande re- 
poniert, wobei die Oberkieferzähne zur Richtschnur dienten, 
und die Reposition wurde fixiert (Fig. 2). 

Um die Zähne des Unterkiefers wurde nun ein halbrunder 
Golddraht in der Weise gebogen, dass er denselben möglichst 
gut passend anlag; speziell wurde darauf Rücksicht genommen. 



Fig. 2. 


dass er gegen das interdentale Dreieck hineinragte, welche 
Massnahme bei der Befestigung der Schiene sehr zustatten 
kam. Nachdem der Draht auf der lingualen und buccalen Seite 
genau angepasst war, wurde an den Berührungsstellen der 
beiden Enden verlötet. Diese Schiene wurde nun dem Patienten 
in Narkose eingelegt, nachdem die Bruchstücke reponiert worden 
waren. Zur Befestigung derselben an den Zähnen wurde 
Aluminiumbronzedraht verwendet, da er zu seiner Zähigkeit 
noch den Vorzug der leichten Biegbarkeit besass, welche Eigen¬ 
schaften vielen Drahtsorten aus anderen Metallen abgehen. 
Bei dem Anbinden muss man sich, um ein späteres Abgleiten 
der Schiene zu verhüten, an eine bestimmte Regel halten, die 
darin besteht, dass zuerst, auf der buccalen Seite beginnend, 


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450 


Dr. Paul Preiswerk, Basel. 


der Draht unter der Schiene durch das interdentale Dreieck 
gestossen wird, auf der lingualen Seite über derselben hervor¬ 
gezogen und auf dem Rückweg genau entgegengesetzt geführt 
wird, also lingual unter, buccalüber der Schiene. An dieser 
letzteren Stelle werden dann die Drahtenden mit einer flachen 
Zange gefasst und mit vorsichtigen Drehbewegungen die Schiene 
an den Zahn fixiert. Das zusammengedrehte Ende wurde nun 
abgezwickt und, um eine Verletzung der Wangenschleimhaut 
zu vermeiden, zahnwärts umgebogen. In dieser Weise wurde 
Zahn für Zahn an die Schiene gebunden und nur diejenigen 
wurden nicht hiefür verwendet, welche bei der Fraktur wacklig 
geworden waren; für diese dagegen diente die Schiene nach 
gelungener Reposition zur Fixation in normaler Stellung. 

Die Mundreinigung gestaltete sich im Verlaufe der 
Krankheit ziemlich schwierig, weil das Kind derselben energischen 
Widerstand entgegensetzte; ebenso war mit Spülungen bei 
dem jugendlichen Alter auch nicht viel zu erreichen. Trotzdem 
hatte sich der Zustand so gebessert, dass der Patient am 27., 
also 19 Tage nach Einlegen der Schiene, konnte entlassen 
werden. Zu Hause scheint aber die Reinigung des Mundes 
überhaupt nicht versucht worden zu sein, denn schon nach 
Ablauf einer Woche wurde das Kind mit einer beträchtlichen 
Schwellung der rechten Wange wieder eingeliefert. Die Unter¬ 
suchung ergab einen subgingivalen Abszess, von der Fraktur¬ 
stelle ausgehend. Die Inzision förderte ausser einer reichlichen 
Menge übelriechenden Eiters noch einen kleinen Sequester 
zutage. Da erwartet werden konnte, dass sich schon eine ge¬ 
nügende Konsolidierung in der Zeit von vier Wochen ein¬ 
gestellt haben werde, wurde nun zugleich die Schiene ent¬ 
fernt und der Patient konnte 8 Tage später geheilt entlassen 
werden. 

War es im ersten Falle ein ziemlich vollständig bezahnter 
Ober- und Unterkiefer, so handelte es sich in dem zweiten zu 
beschreibenden um ein älteres Individuum, in dessen Ober¬ 
kiefer gar keine Zähne mehr vorhanden waren, während im 
Unterkiefer nur noch eine' beschränkte Anzahl steckte. 


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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrttche. 


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Krankengeschichte II. 

A. S., 48jähriger Mann. Eintritt: 23. April 19C6. Krank¬ 
heit : Fraktur des Unter- und Oberkiefers und des Gaumens. 
Behandlung: Spülung. Kappenprothese zur Fixation der Frag¬ 
mente. Austritt: 1. Mai 1906. 

Anamnese: Am 13. April fiel Patient durch eine Lücke 
der Tenne herunter, die Beine voran und schlug mit dem 
Kinn auf einen Jaucheständer auf. Er war eine Stunde lang 
bewusstlos. Starke Blutung aus Nase und Mund, die sich in 
den nächsten Tagen noch mehrmals wiederholte. Seither be¬ 
stand eine Deformation des Mundes; Unmöglichkeit zu beissen. 
da die linken Kiefer nicht mehr einander gegenüberstehen und 
der untere zudem nachgibt. Schmerzen in der Gegend des 
Hyoids. Schluckbeschwerden. Beim Geniessen von Flüssigkeit 
dringt ein Teil wieder durch die Nase aus. Sprache undeutlich, 
näselnd. 

Status praesens: Kräftig gebauter, magerer Mann; 
Allgemeinstatus: 0. B. Kopf: Die rechte Kinnhälfte springt 
stärker vor als die linke. Der linke Unterkiefer steht vorne 
etwas zurückgeschoben und tiefer als der rechte. Der Mund 
etwas links verzogen; kann gut geöffnet und geschlossen 
werden. Beim Oeffnen des Mundes finden sich unten vier 
schräge, schmale Schneidezähne, rechts der erste Molar. Die 
beiden linken Schneidezähne sind nach innen und unten ver¬ 
schoben. Die Krümmung des Unterkieferbogens erfährt in der 
Mitte eine Abknickung. Versucht man, die beiden Unterkiefer¬ 
hälften gegeneinander zu bewegen, so gelingt dies sehr leicht 
und nach jeder Richtung. Die Frakturstelle verläuft vertikal 
zwischen den mittleren Incisiven. Hier ist die Gingiva ein¬ 
gerissen ; es quillt etwas Eiter vor. Deutliche Krepitation nach¬ 
weisbar. Schmerzhaftigkeit. Mundboden intakt. Die normale 
Stellung ist gut zu reponieren. Oberkiefer: Vorderer Bogen 
intakt. Ueber den Gaumen verläuft ein Schleimhautriss, vorne 
median beginnend, nach hinten seitwärts absteigend. Im hintern 
Dritteil ein tiefes Loch, durch welches man mit der Sonde 
in die Nase gelangt. Schleimhaut des Processus alveolaris 


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Dr. Paul Preiswerk, Basel. 


intakt. Trotzdem der linke Oberkiefer nicht disloziert erscheint, 
lässt sich eine abnorme Beweglichkeit und Krepitation in 
geringem Masse nachweisen. 

24. April: Gingiva etwas gerötet, um die Zähne herum 
etwas belegt. Spülung. Patient kann Fleisch und Brot nur 
auf der rechten Seite kauen. Milch dringt durch die Nase aus. 

26. April: Abdruck ohne Narkose. 

1, Mai: Anlegen einer Kappenprothese mit zwei Schienen 
über die noch stehenden Incisiven. Unterkiefer gut fixiert. 
Fraktur nicht völlig reponiert. Der linke Kieferteil steht etwas tiefer. 

Unter Rücksichtnahme auf die Bezahnung musste bei 
der Therapie von einer Schiene, wie sie im ersten Falle be¬ 
schrieben wurde, Umgang genommen werden. 



Fig. 3. 


Zunächst wurde in genau derselben Weise der Abdruck 
der Kiefer gewonnen, diesmal aber nicht in Narkose, da bei 
einigermassen einsichtsvollen Patienten dieselbe in Wegfall 
kommen kann. Um einer allzustarken Dislokation beim Abdruck¬ 
nehmen vorzubeugen, wurde der Unterkiefer von aussen durch 
ein untergeschobenes Buch in horizontaler Lage fixiert. Die 
spärlich vorhandenen und zum Teil wackligen Zähne bedingten 
nun eine andere Fixationsmethode als die gebräuchlichen. 
Es wurden daher die vier die Bruchstelle umgebenden Zähne 
mit Kronen versehen und in reponiertem Zustand ein Abdruck 
genommen. Das ausgegossene Modell zeigte aber, dass die 
Reposition von aussen nicht genügend fixiert werden konnte; 
die Lage der Bruchstücke war nämlich nicht eine horizontale. 
Dieser Umstand war jedoch mit Rücksicht auf den zahnlosen 
Oberkiefer nicht von Belang, da es im Grunde ohne Bedeutung 
war, ob der Unterkiefer mit einer Dislokation von wenigen 


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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrüche. 453 

Millimetern konsolidierte, besonders da ja dem Patienten 
später eine Zahnprothese für den Oberkiefer sollte hergestellt 
werden, deren Zähne leichter nach denen des Unterkiefers zu 
artikulieren waren als umgekehrt. Vorläufig handelte es sich 
jedoch bloss um eine Immobilisierung des Unterkiefers (Fig. 3). 

An diese oben beschriebenen Kronen wurde nun aut 
der buccalen und auf der lingualen Seite ein dieselben ver¬ 
bindender Draht aufgelötet und dieser Fixationsapparat, nachdem 
die Zähne, die in Betracht kamen, sorgfältig getrocknet worden 
waren, mit Phosphatzement auf denselben befestigt. Sowie 
der Zement erstarrt war, war auch der Unterkiefer immobilisiert, 
wodurch — abgesehen von der Fixation — dem Patienten 
wesentliche Erleichterung verschafft wurde in bezug auf 
Schlucken, Kauen und Sprechen. 

Nach 4 Wochen durfte man annehmen, dass die Kon¬ 
solidierung soweit vorgeschritten sei, dass ohne Schaden die 
Kronen konnten abgenommen werden. Der Erfolg entsprach 
denn auch wirklich den Erwartungen; als der Patient aus 
meiner Behandlung entlassen werden konnte, war der Status 
folgender: Bruchstelle mit soliden Kallusmassen umgeben; 
Unterkiefer zeigt nirgends abnorme Beweglichkeit; Kauen, 
Sprechen und Schlucken kann unbehindert vor sich gehen; 
keine Schmerzen; keine Druckempfindlichkeit; leichte Dislo¬ 
kation in horizontalem Sinne vorhanden. 

Der dritte Fall unterscheidet sich in Verschiedenem 
wesentlich von den zwei vorhergehenden. Einmal handelte es 
sich um eine doppelseitige Fraktur; die linke Frakturstelle lag 
hinter dem noch stehenden ersten Prämolaren und die rechte 
weit hinten am horizontalen Ast, etwa zwei Querfinger vor dem 
Kieferwinkel. Das zwischen den Frakturstellen gelegene Mittel¬ 
stück stand tiefer als normal. Dann konnte die Fraktur erst 
nach 2*/* Wochen behandelt werden, weil sich die Bruchstelle 
infiziert hatte und der entstandene grosse Abszess Mani¬ 
pulationen in der Mundhöhle unmöglich machte. Der Unter¬ 
kiefer war aber nach Ablauf dieser Zeit in schlechter Stellung 
ziemlich konsolidiert, so dass von einem gewöhnlichen Fixations¬ 
verband musste Umgang genommen werden. 


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Dr. Paul Preiswerk, Basel. 


Krankengeschichte III. 

W. F., 44 Jahre alt. Eintritt: 14. Oktober 1906. Krankheit: 
Doppelseitige komplizierte Unterkieferfraktur ipit starker Dislo¬ 
kation. Behandlung: Primäre Weichteilnaht. Prothese mit 
schiefer Ebene. Austritt: 9. November. Wiedereintritt: 14. No¬ 
vember. Wiederaustritt: 20. November 1906. 

Anamnese: Patient soll in einem Schwindelanfall 
plötzlich vornüber mit dem Kinn aufs Trottoir gefallen sein. 

Lokalstatus: Patient hat über dem Kinn eine zirka 
3 Cm. lange, klaffende Quetschwunde, etwa in der Mitte quer¬ 
verlaufend, unregelmässige Wundränder. Der Unterkiefer steht 
schief, der linke Mundwinkel etwas heruntergezogen. Deutliche 
Diflformität; das Mittelstück des Unterkiefers steht tiefer. Bei 
der Palpation beobachtet man links eine Kontinuitätstrennung 
im Unterkiefer mit Schleimhautdurchtrennung hinter dem ersten 
Prämolaren. Hier in der Tiefe liegt die Fraktur. Rechts liegt 
dieselbe vor dem Kieferwinkel und ist vom Munde aus in der 
Höhe des zweiten Molaren zu fühlen. Hier keine Kontinuitäts¬ 
trennung der Schleimhaut. 

Diagnose: Quetschwunde am Kinn; doppelte Unter¬ 
kieferfraktur. 

Therapie und Verlauf: 14. Oktober: Reinigung, 
Exzision der Quetschwunde am Kinn und Naht derselben; 
Verband. 

15. Oktober: Patient kann wegen Schmerzen nicht gut 
schlucken. Unterkiefer und Unterlippe stark angeschwollen. 

16. Oktober: Spülungen. Leichte Temperatursteigerung. 

17. Oktober: Verbandwechsel. Wunde heilt gut. 

20. Oktober: Schwellung zurückgegangen. Breiig-flüssige 
Kost. Temperatur über 38°. 

21. Oktober: Abends Temperaturanstieg auf 39*4°. Die 
Gegend des rechten Kieferwinkels ist stärker geschwollen. 
Schmerzhaft. Feuchter Verband. 

22. Oktober: Schwellung hat noch zugenommen. Vom 
Munde aus Fluktuation fühlbar. 

23. Oktober: Verlegung in den septischen Saal. 


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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrüche. 


455 


24. Oktober: Faustgrosse fluktuierende Schwellung am 
rechten Kieferwinkel. Operation: Inzision, Drainage. 2 Cm. 
lange Inzision parallel dem unteren Kieferrand. Es entleeren 
sich 3 Esslöffel voll dicken, stinkenden Eiters. Drain; Verband. 
Im Eiter verschiedenartige Kokken; Stäbchen, lange Faden¬ 
bazillen. 

25. Oktober: Temperaturabfall. Schwellung stark zurück¬ 
gegangen. 

1. November: Schwellung ganz zurück. Aus der Fistel 
geringe Sekretion. Kieferschiene mit schiefer Ebene, da die 
Fraktur in schlechter Stellung ziemlich konsolidiert ist. 

9. November: Fistel geschlossen. Schiene sitzt gut. Austritt. 

14. November: Wiedereintritt. Sequesterabszess links am 
Kinn. Seit 3 Tagen Schwellung. Fistelöffnung an der Naht¬ 
stelle. Die Sonde dringt hier auf ein bewegliches Knochen¬ 
stückchen. 

15. November: Sequestrotomie. Aetherrausch. Spaltung 
der Fistel. Freilegen und Extraktion eines grossen zackigen 
Sequesters. Meche. Drei Drahtnähte. 

17. November: Meche entfernt. 

19. November: Drähte weg. Keine Sekretion mehr. 

20. November: Wiederaustritt. Status: Fistel geschlossen, 
Kiefer in guter Stellung; konsolidiert. Trägt den Apparat noch. 

Bei der Behandlung dieses Falles stiess man auf allerlei 
Schwierigkeiten. Der Unterkiefer war doppelt frakturiert, und 
zwar an zwei atypischen Stellen. Die mesialen Frakturenden 
hatten sich verschoben und eine Fixation in reponierter 
Stellung war, wie oben erwähnt, ausgeschlossen wegen der 
enormen Schwellung. Es konnte also erst nach Spaltung 
des Abszesses und nach Abschwellung der Weichteile an eine 
Behandlung der Frakturen herangegangen werden, die sich 
dadurch äusserst kompliziert gestaltete, dass sich die Bruch¬ 
enden nach Ablauf dieser Zeit schon ziemlich konsolidiert 
hatten. 

Ein in dieser Stellung angelegter Fixationsverband wäre 
aber direkt von Nachteil gewesen, weil hiedurch die Heilung 
in schlechter Stellung ruhig ihren Fortgang hätte nehmen 


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Dr. Paul Preis werk, Basel. 


können. Es musste im Gegenteil der Versuch gemacht werden, 
die dislozierten Stucke langsam wieder an ihren normalen 
Platz zu bringen und da gibt uns ja die bei gewissen Stellungs¬ 
anomalien der Zähne angewandte schiefe Ebene ein zuver¬ 
lässiges Mittel in die Hand, um zum Ziele zu gelangen. 

Da nun das mesiale Bruchende der rechten Unterkiefer¬ 
hälfte die Tendenz gezeigt hatte, nach innen zu dislozieren, 
das mesiale der linken Kieferhälfte aber sich wangenwärts 
verschoben hatte, das zusammenhängende Bruchstück also in 
einer Horizontalebene mit seiner Sagittalachse nach links aus- 



Fig. 4. 

gewichen war, so mussten die schiefen Ebenen so angebracht 
werden, dass beim Schliessen des Mundes ein Druck zustande 
kam, der auf den dislozierten Unterkiefer von links nach rechts 
einwirkte. 

Nun besass aber der Unterkiefer nur noch zwei Weisheits¬ 
zähne, die zu weit nach hinten standen, als dass sie für die 
schiefe Ebene in Betracht hätten kommen können. Daher 
wurde der ganze Oberkiefer mit einer Gaumenplatte versehen 
und die fehlenden Zähne durch einen Saum von hartem 
Kautschuk ersetzt. 

Im Unterkiefer gestalteten sich die Verhältnisse folgender- 
massen: Es standen ausser den sechs Frontzähnen rechts nur 


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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrüche. 467 

noch der Weisheitszahn, links der erste Prämolar. Die Front¬ 
zähne und der letztgenannte wurden nun mit einer Kautschuk¬ 
schiene versehen und überkappt mit Ausnahme des linken 
Prämolaren, der sich durch eine beträchtliche Länge aus¬ 
zeichnete und für den deshalb in der Schiene ein Loch aus¬ 
gefräst wurde (Fig. 4). Nach hinten reichte die Schiene beider¬ 
seits bis über die Frakturstellen; zungenwärts griff sie auf der 
rechten Seite dem Alveolarrande nach bis auf den Mundboden 



Fig. 5. 


und links buccal bis auf die Umschlagsfalte, damit, wenn die 
schiefen Ebenen in Aktion treten sollten, nicht bloss die Zähne 
in ihrer Stellung eine Aenderung erleiden mussten, sondern 
der Angriff auf die dislozierten Kiefer direkt stattfinden 
konnte. 

Die schiefen Ebenen wurden nun so angebracht, dass 
ein 2 Mm. dickes Metallstück von 2 Gm. Breite und 3 Cm. 
Länge in das rechte hintere Ende der Unterkieferschiene und 
ein ebensolches in den Alveolarsaum der Oberkieferplatte 
hinten links ein vulkanisiert wurde (Fig. 5). Dieselben wurden 
nun so eingefügt, dass das untere mit dem Unterkiefer einen 

s 


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468 Dr. Paul Preiswerk, Basel. Beiträge zur Kasuistik und Therapie etc. 


Winkel von 70° bildete, das obere den gleichen mit dem 
Alveolarsaum der Oberkieferplatte. 

Die so armierten Kautschukplatten wurden nun eingelegt 
und dreimal täglich vom Patienten zur Reinigung heraus¬ 
genommen. Nach vier Wochen war der Erfolg ein überraschender: 
Das Mittelstück des Unterkiefers mit den Bruchstücken des hori¬ 
zontalen Astes hatte sich um seine Sagittalachse in horizontalem 
Sinne gedreht und war an seiner ursprünglichen Stelle in guter 
Stellung konsolidiert. Der Apparat hatte also in vollem Umfange 
das geleistet, was von ihm erwartet wurde. 

Wenn ich nun diese drei Fälle aus der mir zur Verfügung 
stehenden Zahl herausgriff, so geschah dies wohl hauptsächlich 
wegen der Verschiedenartigkeit derselben. Im ersten Falle 
handelte es sich um einen sehr einfachen Bruch an typischer 
Stelle, der dadurch sich interessant gestaltete, dass er ein 
jugendliches Individuum mit Milchzahngebiss betraf. Das Ab¬ 
drucknehmen sowie die Applikation der Schiene stiessen auf 
enorme Schwierigkeiten, was im zweiten Falle gar nicht zutraf, 
indem es sich hier um einen indolenten Patienten mit nur vier 
Frontzähnen handelte. Der dritte Fall endlich unterscheidet 
sich dadurch von den zwei vorhergehenden, dass der doppel¬ 
seitige Bruch erst in Behandlung konnte genommen werden, 
nachdem die Bruchstücke in schlechter Stellung schon ziemlich 
konsolidiert waren. 

Zum Schlüsse möchte ich nicht ermangeln, Herrn Prof. 
Dr. E. Enderlen, sowie Herrn Dr. 6. Preiswerk-Maggi 
für die gütige Ueberlassung der Krankengeschichten und des 
übrigen Materials den gebührenden Dank auszusprechen. 


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Dr. F. Tänzer, Triest. Zur Behandlung der Wurzelhautentzündung. 459 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet 

Zur Behandln der WimlbaMiidii. 

Von Dr. Ferdinand Tanger, Zahnarzt in Triest. 

In der zahnärztlichen Praxis gibt es kaum etwas Un¬ 
angenehmeres und Peinlicheres als die Behandlung der Wurzel¬ 
hautentzündung. 

Patient kommt mit meist unerträglichen Schmerzen und 
wünscht sofortige Beseitigung derselben. Noch schlimmer für 
uns, wenn die Pericementitis als Zwischenfall nach Behand¬ 
lung einer Pulpitis — auch das kann ja Vorkommen — ein- 
tritt Den im Wurzelkanal angesammelten putriden Stoffen 
soll Abfluss geschaffen werden. Selbst bei grösster Erfahrung 
und Geschicklichkeit geht das leider nicht schmerzlos ab. Dem 
ungeduldigen Patienten, der sofortige Beseitigung des quälenden 
Schmerzes erhofft, wird von uns vielleicht noch neuer Schmerz 
bereitet. Wenn dann nur auch schnelle Besserung einträte! 
Leider wird die Geduld des Patienten oft noch längere Zeit 
auf eine harte Probe gestellt, trotz neuer und neuester Therapie. 

„Es handelt sich zunächst nicht nur um Bekämpfung des 
Krankheitsprozesses, sondern in erster Linie um Beseitigung 
der Schmerzen; die Erhaltung und Behandlung des Zahnes ist 
meist eine sekundäre Frage, für die der Patient vorläufig nicht 
viel Interesse hat, er will in erster Linie seine Schmerzen los 
sein.“ (W. D. Miller: Lehrbuch der konservierenden Zahn¬ 
heilkunde.) 

Vorläufig hat Patient, besonders wenn es sich nicht um 
einen vorderen Zahn handelt, meistens wenig Interesse an der 
Erhaltung des Zahnes und quält uns oft nicht wenig mit seinem 
Verlangen nach Extraktion, dem der gewissenhafte und moderne 
Zahnarzt nur in den seltensten Fällen nachgeben wird. 

Was verursacht denn dem Kranken die meisten Schmerzen? 
Nebst den bekannten primären, durch die Entzündung selbst 
ausgelösten Schmerzen ist es das Schliessen des Mundes, wo¬ 
bei Patient auf seinen meist „verlängerten“ schmerzhaften Zahn 

s* 


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460 


Dr. Ferdinand Tänzer, Triest. 


beisst. Wohl wird in allen Lehrbüchern angeraten, Guttapercha 
auf der Kaufläche eines Nachbarzahnes aufzubauen, damit der 
kranke Zahn beim Kieferschluss mit seinem Antagonisten nicht 
zusammentrifft. Doch habe ich gefunden, dass diese nach meiner 
Ansicht im Anfänge wichtigste Massnahme bei der Behandlung 
der Wurzelhautentzündung nur in den seltensten Fällen aus¬ 
geübt wird oder zu spät, nachdem Patient Tage und Nächte lang 
unerträgliche Schmerzen gelitten hat. Es ist doch selbstverständ¬ 
lich, dass jedes erkrankte Organ, wenn möglich, ausser Tätigkeit 
gesetzt werden muss, der periostal erkrankte Zahn wie eine 
luxierte oder frakturierte Extremität. 

Das Zusammentreffen des verlängerten Zahnes mit dem 
Antagonisten — vom einfachen Schliessen des Mundes bis zum 
kräftigen Kauakte — verursacht aber nicht nur Schmerzen, 
sondern verschlimmert in erheblichem Grade das Leiden selbst. 
Es wirkt wie ein Trauma, und man kann sich vorstellen, wie 
die geschwellte und entzündete Wurzelhaut in 24 Stunden 
nach einer langen Reihe solch kleinerer und grösserer trauma¬ 
tischer Insulte aussehen mag. Dann kommt ein zweiter, wich¬ 
tiger Umstand hinzu, „indem beim Essen ein Druck auf den 
Inhalt des Kanals ausgeübt wird, wovon dann sehr leicht 
etwas durch das Foramen hindurchgepresst werden kann 44 . Ich 
zitiere hier wieder unseren Meister 1 Miller. Also verursacht 
jeder normale Kieferschluss nicht nur erhebliche Schmerzen, 
sondern direkt eine bedeutende Verschlimmerung der Wurzel¬ 
hautentzündung. Die erste und wichtigste Massnahme 
bei Behandlung der Pericementitis ist also die 
Ausschaltung des erkrankten Zahnes aus der Ar¬ 
tikulation. 

Ich verwende hierzu nicht Guttapercha. Wenn auch der 
betreffende Nachbarzahn vorher gut getrocknet und mit etwas 
Kopaläther bestrichen wird, so hält sie doch nicht fest, kann 
auch vom Patienten selbst abgenommen werden. Ich nehme 
über den dazu ausgewählten Zahn einen Abdruck und ver¬ 
fertige eine Kappe aus Metall (gewöhnlich Viktoria-Metall), 
welche auf den Zahn aufzementiert wird. Diese Arbeit ist in 
kaum einer halben Stunde gemacht. Man kann auch einige 


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Zur Behandlung der Wurzelhautentzündung. 


461 


Kappen vorrätig halten, die durch Biegen und Feilen passend 
gemacht werden. Man suche sich einen Zahn aus, 1 der nicht 
zu lang oder zu kurz ist, so dass nach Anlegen der Kappe 
beim Kieferschluss die Kiefer sich ziemlich nähern, ohne sich 
zu. treffen. Dadurch wird der Kauakt nicht zu sehr erschwert. 
Ob der Zahn für die Kappe von derselben oder der andern 
Seite des erkrankten Zahnes oder auch vom andern Kiefer 
gewählt: wird, ist nach meiner Ansicht gleichgiltig. 

Ich ziehe einen Molar vor, in manchen Fällen muss man 
einen Bicuspis nehmen. Erleichtert wird die Arbeit, wenn man 
einen isolierten Zahn zur Verfügung hat. 

Man sagt dem Patienten vorher, dass es mit dem Kauen 
einige Zeit schwer gehen wird und dass er für eine passende 
Kost sorgen müsse. Die Patienten erfragen diese Unbequemlich¬ 
keit mit grosser Geduld, besonders diejenigen, die den durch 
das Kauen verursachten, manchmal rasenden Schmerz kennen 
gelernt haben. 

Den Patienten weist man selbstverständlich an, nur auf 
der gesunden Kieferseite zu kauen. 

Es war geradezu überraschend für mich, zu sehen, welch 
glatten Verlauf in den meisten Fällen nach Anlegen der Kappe 
und bei weiterer sachgemässer Behandlung die so gefürchtete 
Wurzelhautentzündung nimmt. 

Vor allem wird Patient geduldiger und ruhiger, da er 
nicht mehr bei jedem Kieferschluss aufgeschreckt wird. Ich fand 
es vorteilhaft, die Kappe nicht nur während der ganzen Be¬ 
handlung, sondern auch noch ein bis zwei Tage nach der 
Füllung des Zahnes tragen zu lassen; die Wurzelhaut hat sich 
„erholt“, man ist sicherer, dass der Prozess wirklich ganz ab¬ 
gelaufen ist. 

Das Abnebmen der Kappe gelingt meist sehr leicht durch 
Loshebeln der Ränder mittels eines passenden Instrumentes, 
eventuell mittels leichter Hammerschläge; selten ist die Kronen¬ 
schere erforderlich. 

Die weitere Behandlung führe ich in der Weise aus, 
dass ich nach Ausräumung der oberflächlichen gangränösen 
Massen Thymolkristalle einlege. Wir müssen Dr. Adolf Müller 


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462 


Dr. Leopold Mräcek, Kremsier. 


(Wien) dankbar sein, dass er uns auf diese früher geübte 
Thymolbehandlung wieder aufmerksam gemacht hat. 

Es ist ja allgemein bekannt, dass man mit der gründ¬ 
lichen Ausräumung der Wurzelkanäle im Anfänge recht vor¬ 
sichtig sein muss, um ja nicht kleine Mengen der zersetzten 
Pulpa durch das Foramen apicale durchzutreiben. 

Die weitere Behandlung und den Abschluss vollführe ich 
mit Trikresol-Formalin, das sich, wie es scheint, allgemein den 
ersten Platz erobert hat. 

Das Wesentliche in obiger Ausführung der Behandlung 
der Wurzelhautentzündung besteht also kurz wiederholt in: 

1. Sofortigem Anlegen einer auf einen ge¬ 
sunden Zahn aufzuzementierenden Metallkappe, 
um den erkrankten Zahn ausser Artikulation zu 
setzen. 

2. Liegenlassen der Kappe während der ganzen 
Behandlung, in den meisten Fällen sogar noch 
einige Tage nach Einlegen der Füllung. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Eil lener, sehr leicht ausfahrbarer iid Miliar Ersaß flr 
abiespripe Zälne aa festsitzeaiea Brücken. 

. Von Dr. Leopold MrdSek, Zahnarzt in Kremsier (Mähren). 

Jeder Kollege kennt die Schwierigkeiten, die aus dem 
Herabnehmen einer festsitzenden Brückenarbeit oder durch das. 
Bohren der Löcher in die Schutzplatten und nachträgliches Zu¬ 
schleifen und Anpassen des Ersatzes für die abgesprungenen 
Zahnfacetten erwachsen. 

Um diesem Uebelstande nach Möglichkeit abzuhelfen, 
empfehle ich eine neue, bedeutend leichtere und für den 
Patienten angenehmere Methode der Brückenreparaturen. Die 
Methode beruht auf zweierlei Vorgängen, die, je nachdem wie 
der Zahn gesprungen ist, zur Anwendung kommen. 


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Ein neuer Ersatz für abgesprungene Zähne etc. 


463 


Bricht der Zahn vollständig entzwei, derart, dass nur die 
Crampons in der Schutzpiatte stecken bleiben, was gewöhnlich 
der Fall ist, so lege ich die Stelle an der sich die Crampons 
befinden, trocken, bedecke dieselben mit einem Stückchen er¬ 
weichter Stentsmasse, mit Zement, das ich erhärten lasse, oder 
mit hartem Wachs, bilde diese Masse zu einer sphäroidalen 
Form und nehme einen Gips- oder Stentsabdruck. 

An dem Positive brenne ich hierauf in dem elektrischen 
Ofen aus Jenkins-Porzellanmasse die neue Zahnfacette. Der die 
Crampons bedeckenden Masse zufolge hat sich in dem neu¬ 
gebrannten Zahne ein Hohlraum gebildet, der mit Unter¬ 
schnitten versehen wird, worauf die Facette mittels Zement 
an die Crampons befestigt wird. 

Im anderen Falle, wo der Zahn derart gebrochen ist, dass 
seine Facette intakt geblieben ist, also der Längsachse nach 
in frontaler Ebene, und die Crampons in der Schutzplatte ge¬ 
blieben sind, gehe ich folgendermassen vor: 

An diejenigen Stellen, wo die Crampons sassen — diese 
sind durch ihre Glätte leicht erkennbar — lege ich Platin¬ 
röhrchen , etwas weiter als die ursprünglichen Crampons 
waren, die der Höhe der Crampons entsprechen und gebe 
ihnen durch Aufdrücken auf eine Ebene, eine breitere Basis 
oder befestige dieselben mit in Chloroform aufgelöstem Kaut¬ 
schuk, oder mit in Spiritus aufgelöstem Schellack. Wenn diese 
Röhrchen parallel stehen und der Lage der in der Schutzplatte 
stecken gebliebenen Crampons entsprechen, nehme ich Jenkins- 
Porzellanmasse, etwas dicker und mit Wasser befeuchtet (nicht 
mit Spiritus), und trage sie auf die gebrochene Zahnfläche und um 
die Platinröhrchen herum auf. Das erste Aufträgen der Jenkins- 
masse bezweckt die Befestigung der Platinröhrchen und wenn 
diese durch den ersten Brand befestigt sind, kann man Por¬ 
zellanmasse in der Stärke des ursprünglichen Zahnes auftragen. 
Ist diese Arbeit beendet, so habe ich einen Zahn vor mir, der 
zwei Löcher aufweist, vermöge welcher der Zahn auf die 
Crampons aufgesteckt und mit Zement befestigt wird. 

Die Herstellung der Platinröhrchen selbst ist so einfach 
und leicht wie das ganze Verfahren. Der Vorgang ist folgender: 


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464 


Associazione stomatologica Triestina. 


Man nimmt eine Platinfolie (Abfälle von Abdrücken für Porzellan¬ 
plomben), legt sie auf eine der Stärke der Crampons ent¬ 
sprechende, respektive stärkere Nadel oder Sonde, rollt sie 
einfach mit den Fingern auf dieser Sonde ein und das Röhrchen 
ist fertig. Dann kann man es derart zuschneiden, dass es die 
mit den Crampons korrespondierende Länge erhält. 


Berichte ans Instituten nnd Vereinen. 



Die Monatsversammlung vom 9. Mai gestaltete 
sich besonders erfreulich durch die Anwesenheit zweier Wiener 
Gäste: der Herren Dr. Trauner, Präsidenten des Zentral¬ 
verbandes österreichischer Stomatologen, und Universitäts¬ 
dozenten Dr. v. Wunschheim. 

Dr. Trauner sprach über die Chancen der im neuen 
Parlament einzubringenden Gesetze betreffs der Regelung der 
zahnärztlichen Praxis und andere die Kollegen interessierende 
Standesangelegenheiten. 

Ausserordentlich interessant war der Vortrag des Do¬ 
zenten Dr. v. Wunschheim über das moderne Thema 
„Zahnregulierung“, illustriert durch über 40 Modelle. 

Dr. Trauner sprach über die Paraffinbehandlung der 
Wurzelkanäle zur grossen Befriedigung der Anwesenden, die 
den liebwerten Gästen ihren wärmsten Dank ausdrückten. 
Ausser den Triester Kollegen waren auch die Görzer Mit¬ 
glieder erschienen. 

Das allgemeine Thema der Juni - Monatssitzung 
— der letzten vor den Sommerferien — war: Unsere 
Lieblingsinstrumente. Die Kollegen demonstrierten ihre 
mitgebrachten Instrumente, woran sich eine lebhafte Diskussion 
über fast alle Gebiete der Zahnheilkunde anschloss. —.— 


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79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 


465 


79. Vmamnliiii! äentscta Natorforscher and Aerzte. 

Dresden, 15. bis 21. September 1907. 

Von der Haupt- und Residenzstadt Dresden herzlich ein¬ 
geladen, wird die Gesellschaft deutscher Naturforscher und 
Aerzte ihre Tagung in diesem Jahre hier abhalten, Denen, 
die der letzten Naturforscherversammlung in Dresden vor 
39 Jahren beigewohnt haben, wird sie in schönster Erinnerung 
sein, da sich alles: Natur und Kunst, wissenschaftliches Leben, 
die Gastfreundschaft der Dresdner vereinigte, um jene Tagung 
anmutig und erfolgreich zu gestalten. 

Jetzt rüstet man sich — wie nachfolgender Plan zeigt — 
zahlreiche Teilnehmer gastfreundlich zu empfangen und ihnen 
wissenschaftliche Anregungen, sowie gesellige Annehmlichkeiten 
zu bieten. In der Zuversicht, dass sich der Aufenthalt in unserer 
schönen Stadt für die Gäste so wirksam und angenehm wie 
möglich gestalten wird, laden wir die Naturforscher und Aerzte 
von nah und fern zum Besuche der diesjährigen Versamm¬ 
lung ein. 

Dresden, Ende Juni 1907. 

Die Geschäftsführer: 

E. v. Meyer. G. Leopold. 

* 

Programm der 26. Abteilung: Zahnheilkunde. 

1. Brandt (Berlin): a) Ueber die Beziehungen zwischen 
Zahn, Oberkiefer und Nasenscheide; b ) In wie weit ent¬ 
spricht die Behandlung der Blutung nach Zahnextraktionen 
den Anforderungen der heutigen Chirurgie. 

2. Bruhn (Düsseldorf): a) Zur Frage der Devitalisation 
der Zähne vor ihrer Ueberkappung; b ) Eine Demonstration 
von Vorrichtungen zur Befestigung loser Zähne. 

3. Fenchel (Hamburg): o) Elektromotorische Kraft von 
Strömen im Munde; b) Kontrollmethoden für zahnärztliche 
Amalgame. 

4. Hasse (Coblenz): Ueber Kristallgestalt und Lösungs¬ 
druck als Ursachen der Formveränderungen unserer Amalgame. 


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466 


79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 


5. Herbst (Bremen): Zahnärztliche Orthopädie im 
Dienste der Chirurgie. 

6. Kronfeld (Wien): Schwere Folgezustände nach Er¬ 
krankung von Milchzähnen. 

7. Kühnast (Dresden): Die Rechtslage in der zahnärzt¬ 
lichen Behandlung für Krankenkassen. 

8. Kulka (Wien): Ueber die wichtigsten mechanischen 
und einige chemische Eigenschaften der Silikat- und Zink¬ 
phosphatzemente. 

9. Kunert (Breslau): Demonstration der Ollendoifschen 
Gussmethode. 

10. Kunstmann (Dresden): Wurzelspitzenresektionen 
mit Demonstrationen. 

11. Luniatschek (Breslau): a) Welchen Wert hat die 
interne Medikation für die Entwicklung der harten Zahnsubstanz; 
£>) Demonstration: Auf welche Weise kann man einzelstehende 
Eckzähne als Stützpunkte für Brückenarbeiten verwenden. 

12. Meyer ("Dresden): Ueber mehljährige Erfahrungen 
der Behandlung irregulärer Zahn- und Kieferregulierungen nach 
Pfaffscher Methode 

13. Metz (Meran in Tirol): Pflege des Kindergebisses. 

14. Pf aff (Dresden): a ) Zwölfjährige Erfahrungen über 
Kronen- und Brückenarbeiten mit Demonstrationen; b ) Regu¬ 
lierungsmethoden in ihrer geschichtlichen Entwicklung mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung ihrer Vor- und Nachteile. 

15. Polscher (Dresden): Einfluss des künstlichen Zahn¬ 
ersatzes auf Kauen und Kiefergelenk. 

16. Reich (Marburg): a) Einiges über irreguläres Dentin; 
b) Demonstration des irregulären Dentins an mikroskopischen 
Präparaten. 

17. Röse (Dresden): o) Ueber den Durchbruch der 
bleibenden Zähne des menschlichen Gebisses; b) Ueber Kupfer¬ 
amalgam mit Demonstrationen. 

18. Schachtel (Breslau): Der Zahnarzt und die Hygiene. 

19. St ehr (Roermond): a) Beiträge zur Ernährungsfrage; 
Demonstration von drei für die Zahn- Und Kieferregulierung 
ungeeigneten Fällen. 


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79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 


467 


20. Win dm ü 11 er (Hamburg): Ueber chirurgische In- 
strumente des Altertums mit Demonstrationen und Lichtbildern. 

21. Ziegel (Görlitz): o) Herstellung schwer fliessender 
Emailblöcke mit dem Trottnerschen Ofen; 6) Demonstration 
des Ollendorfschen Giessverfahrens zur Anfertigung von Brücken* 
und Plattenprothesen mit dem Trottnerschen Ofen. 

Einftthrende: 

Zahnarzt Falk, Hofrat Pfaff, Hofzahnarzt Dr. Röse. 

Schriftführer: 

Zahnarzt Dr. Kunstmann, Zahnarzt Polscher. 

Die Abteilung ladet ein: 

Die Abteilung 20 (Kinderheilkunde) zu den Vorträgen 
Kronfeld (6), Metz (13); die Abteilung 16 (Innere Medizin) 
zu den Vorträgen Luniatschek(lOa), Röse (17a); die Ab¬ 
teilung 18 (Chirurgie) zu den Vortfägen Brandt (1), Herbst (5) 
Windmüller (20). 

Die Abteilung ist eingeladen: 

Von der Abteilung 16 (Innere Medizin) zu dem Vortrage 
Röse (Dresden): Zur Pathologie und Therapie der Kalkarmut; 

von der Abteilung 18 (Innere Medizin) zu dem Vortrage 
Kuhn (Cassel): Operation des Wolfsrachens mittels peroraler 
Tubage; 

von der Abteilung 23 (Hals- und Nasenkrankheiten) zu 
dem Vortrage Gutzmann (Berlin): Zur Diagnose und Therapie 
der Stigmatismen; 

von der Abteilung 27 (Militärsanitätswesen) zu dem Vor- 
trage Sicking er (Brünn): Bisherige Erfolge der zahnärzt¬ 
lichen Behandlung in Armee und Schule mit weiteren Vor¬ 
schlägen. 

Sitzungsraum: Zentralstelle für Zahnhygiene, Waisenhausstr. 9, II. 

Verpflegungsstätte: Viktoriahaus. 


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468 


Referate und Journalschau. 


Referate und Journalsehau. 


Lehrbuch der zahnärztlichen Technik. Von Prof. Dr. med. 
Karl Jung , Berlin. (Franz Deuticke, Leipzig und Wien) 

Wenn der junge Praktiker es vermeiden will, zu viele 
Misserfolge auf dem Gebiete der Zahnersatzkunde zu erleben, 
so sei ihm das Studium des Jungschen Lehrbuches der zahn¬ 
ärztlichen Technik aufs wärmste in seinem Interesse, sowie in 
dem seiner Klientel empfohlen. Jung verstand es vorzüglich, 
den ganzen Werdegang der Prothetik, wie er auf Grund der 
langjährigen Erfahrung sein soll, dem Leser seines Werkes 
ab ovo und gradatim so vor Augen zu führen, dass manch 
junger Zahnarzt in vielen Fällen nach der Lektüre des genannten 
Werkes einsehen wird, warum er. in dem oder jenem Falle 
nicht das befriedigende Resultat erreicht hat, das ihm vor¬ 
geschwebt hat. 

Damit sind die Vorzüge des Jungschen Lehrbuches 
schon deutlich charakterisiert; doch kann auch der ältere 
Praktiker manches daraus gewinnen, um so mehr, als ja das 
Werk eine bedeutende Umarbeitung und Erweiterung dadurch 
erfahren hat, dass auch die modernen Methoden (die ganze 
Emailtechnik, das grosse Gebiet der Brückenarbeiten, die Her¬ 
stellung der gegossenen Stücke etc.) eingehende Würdigung 
erfahren. Recht interessant sind die Kapitel über Einrichtung 
des technischen Laboratoriums und die praktischen Winke, 
Dr. A. Neumann-Kneucker, Wien, IX. 


lieber postoperative Parotitis. Von Dr. G. A. Wagner. 
(Wiener klinische Wochenschrift, Nr. 52, 1906.) 

Die postoperative Parotitis tritt im Anschluss an Opera¬ 
tionen auf, ohne dass sonst irgendwie ein Eiterherd im Körper 
zu konstatieren ist. Das ist dabei das Auffallende. Sie beginnt 
meist am fünften bis siebenten Tage nach der Operation unter 
plötzlichem Fieberanstieg, wenn auch bisher völlig normale 
Temperaturen vorhanden waren. Die Mortalität beträgt bei den 


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Referate and JoumaUchan. 


469 


reinen postoperativen Fällen (ohne Eiterung an der Operations¬ 
wunde) 30 Prozent. An der Hand von fünf im Zeiträume 
von 2'/, Jahren in der v. Eiselsbergschen Klinik beob¬ 
achteten derartigen Fällen (2 Magen-, 2 Darmoperationen und 
1 Cholecystektomie, 3 mit tödlichem Ausgange) bespricht Autor 
eingehend die Aetiologie der Erkrankung. In allen fünf tödlich 
verlaufenen Fällen hatte sich zu der Parotitis eitrige Bronchitis 
mit Lobulärpneumonie, respektive verjauchender Pneumonie 
hinzugesellt, während das Bauchfell frei von Entzündungs¬ 
erscheinungen war. 

Es kommt die Parotitis postoperativa zweifellos durch 
Infektion vom Mund aus zustande. Wesentlich dabei ist die 
Sistierung der Speichelabsonderung während der Laparotomie, 
die Pawlow in seinen ausgezeichneten Versuchen nach¬ 
gewiesen hat Dieselbe hält auch nach Verschluss der Bauch¬ 
höhle an, selten kehrt sie dann schon zur Norm zurück. Hinzu 
kommt die Wirkung der Chloroformnarkose auf die Speichel¬ 
drüse (direkte Lähmung nach Berth) oder der Aethernarkose 
(Stillstand der Sekretion nach vorangegangener Hypersekretion 
R.ÜHermann). Zu diesen Momenten tritt dann nach Verfasser 
wohl auch in manchen Fällen eine traumatische Schädigung, 
bedingt durch das Verhallen der Kiefer an den Kieferwinkeln 
-während der Narkose durch den beständigen Druck der Finger 
des Narkotiseurs. 

Prophylaktisch ist es daher von Bedeutung, vor der Opera¬ 
tion den Mund gründlich antiseptisch zu behandeln. 

Dr. A. Neumann-Kneucker , Wien, IX. 


Ueber künstliche Gebisse in der Speiseröhre und ihre 
Entfernung. Von Dr. Blecher. (Deutsche militärärztliche Zeit¬ 
schrift, 1905, Heft 3.) 

Nach Besprechung der chirurgischen Behandlung ver¬ 
schluckter Gebisse schildert Autor einen von ihm operierten 
Fall. In diesem sass das mit scharfen spitzen Klammern an 
beiden Seiten versehene Gebiss 20 Cm. von der Zahnreihe 
unbeweglich in der Speiseröhre. Da Extraktionsversuche er¬ 
folglos waren und Patient bereits fieberte, wurde der Speise- 


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470 


Referate und Joumalschan. 


röhrenschnitt ausgeführt, durch denselben eine Zange ein¬ 
geführt und das Gebiss, da der Schnitt in der Speiseröhre zu 
klein war, durch die Zange in den Rachen geschoben. Sodann 
wurde es vom Munde aus mit dem Finger hervorgeholt. Ab¬ 
gesehen von einer vorübergehenden linksseitigen Rekurrens¬ 
lähmung verlief der Fall durchaus günstig. 

Patient wurde wieder vollständig hergestellt, so dass er 
wieder Militärdienst leisten konnte. 

Dr. A. Neumann -Kneucker, Wien, IX. 


Ein Fall von schwerer narbiger Kieferklemme. Von 

Dr. Schüler. (Inaug.-Diss., Kiel 1904.) 

Durch Noma nach Typhus wurde in dem Falle, den Autor 
beschreibt, hochgradigste narbige Kieferklemme hervorgerufen. 

Um diese zu beheben, wurde die Ablösung der Narben 
von beiden Seiten des Kiefers in der Kieler chirurgischen Klinik 
vorgenommen. Da die Kieferklemme zu rezidivieren drohte, 
trotz Dehnung der Narben durch aktive und passive Bewegungen, 
wurde ein trapezförmiges Stück nahe dem Unterkieferwinkel 
aus dem horizontalen Aste reseziert und in die entstandene 
Lücke Bindegewebe und der hintere Zipfel der Submaxillar- 
drüse eingelagert. Obgleich die Pseudartbrose später wieder 
fast unbeweglich wurde, besserte sich nunmehr die Kiefer¬ 
beweglichkeit dadurch, dass die Narben fortgesetzt gedehnt 
wurden. Dr. A. Neumann -Kneucker, Wien, IX. 


Kontinuitätsresektionen des Unterkiefers und deren prothe- 
tische Behandlung. Von Dr. Ham Pichler. (Demonstration in 
der Sitzung vom 11. Mai 1906 in der Gesellschaft der Aerzte 
in Wien. Bericht der Wiener klinischen Rundschau.) 

Fall I. Epitheliom des Mundhöhlenbodens, das auf die 
linke Unterkieferseite übergegriffen hat. Entfernung des Tumors 
nach Ausräumung der submazillaren Lymphdrüsen. Dabei 
gingen die Sägeschnitte rechts durch die Alveole des Eck- 
zabnes, links durch die des zweiten Mahlzahnes. 

Nach beendeter Blutstillung wurde die nach der Methode 
von Fritzsche vorbereitete Immediatprothese eingesetzt, die 


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Referat« und Jonraalschau 


471 


zur Operation vorbereitet war. Ein Stück Zinn, das nach dem 
Modell eines Leichenunterkiefers von passender Form und Grösse 
in der Ausdehnung des voraussichtlich zu resezierenden Kiefer¬ 
stückes gegossen worden war, ohne Alveolarfortsatz, trägt an 
beiden Enden durchlöcherte Blechschienen, die unter sorgfältiger 
Beachtung der Artikulation der verbleibenden Zähne mit denen 
des Oberkiefers an den Knochenstümpfen mit Draht festgenäht 
wurden. Diese Schienen sind nicht untrennbar mit dem Zinn¬ 
körper verbunden, sondern nur durch einen Falz und ein¬ 
gesteckte Stifte, so dass es nötigenfalls zur genaueren Inspektion 
der Wunde möglich gewesen wäre, die Zinnprothese temporär 
zu entfernen. Dazu bot aber der Verlauf der Heilung in diesen 
Fällen keine Veranlassung. Diese Immediatprothese hat den 
Vorteil, dass im Falle einer ausgedehnteren Resektion, als 
vorausgesehen wurde, die Schienen während der Operation 
gegen längere ausgetauscht werden können. 4 Wochen nach 
der Operation wurde die geschilderte Prothese entfernt und 
ein Ersatz aus Hartgummi mit fünf Vorderzähnen und zwei 
Goldklammern angesetzt, ein Ersatz, den der Patient anstands¬ 
los trägt. 

Kinn und Wange behielten ihre normale Form. Die Ent¬ 
stellung beschränkt sich auf die Hautnarben und eine leichte 
Facialislähmung. Auch die Funktionen des Sprechens, Kauens 
und Schluckens sind befriedigend. 

Fall II. Exulzeriertes Riesenzellensarkom der linken Unter¬ 
kieferseite, operiert von Eiseisberg. Bilaterale, submaxillare 
Drüsenmetastasen. Exartikulation der erkrankten Kieferhälfte 
bis zum linken Eckzahn. In’diesem Falle konnte die Immediat¬ 
prothese nur an einer Seite an den Stumpf angenäht werden. 
Das andere Ende, der künstliche Processus condyloideus wurde 
in die Gelenkspfanne eingelegt. 

Dr. A. Neumann-Kneucker, Wien, IX. 


Goldinlays. Von Olarence H. Wright, Chicago. (The Dental 
Digest, Februar 1907.) 

Autor hält Goldinlays für alle Kavitäten distal von der 
mesialen Fläche des Bicuspis in der grossen Mehrzahl der 


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472 


Referate und Journalschau. 


Fälle für die beste Füllungsmethode und führt dafür die be¬ 
kannten Argumente an, die ja zum grössten Teil zweifellos 
stichhältig sind. Er hat nach zehnjähriger Erfahrung keinen 
einzigen Fall von Kariesrezidive am Rande eines Goldinlays 
zu verzeichnen. 

Es gibt zahlreiche Methoden der Herstellung; seine ge¬ 
wöhnliche ist die folgende: Präparation der Höhle ohne Unter¬ 
schnitte, aber mit flacher Basis und ausgeprägten Flächen¬ 
winkeln; insbesondere soll die gingivale Wand approximaler 
Kavitäten horizontal oder sogar (im Bereich des Dentins) ein 
klein wenig nach innen geneigt sein. Die Kaufurchen werden 
bei solchen Höhlen breit ausgeschnitten und schwalbenschwanz¬ 
förmig gestaltet. 

Die Schmelzränder sollen stark abgeschrägt, aber nicht 
abgerundet werden. 

Die Matrix wird aus 24 gauge Feingold auf einem Metall¬ 
modell vorgeformt und derart beschnitten und befeilt, dass die 
Ränder möglichst genau nur die Kavität selbst decken. 

Diese unvollkommene Matrix wird in einer zweiten Sitzung 
im Mund genau anpoliert. Zeigt sich dabei, dass sie irgendwo 
den Rand nicht ganz deckt, so lässt sich das relativ dicke 
Gold leicht durch Druck mit dem Polierstahl an dieser Stelle 
soweit strecken, dass es nun bis zum Rand reicht. Schliesslich 
wird das Gold noch unter möglichst grossem Druck mit Hilfe 
von unvulkanisiertem Kautschuk der Höhle gut angepresst, vor¬ 
sichtig entfernt, eingebettet und mit Watts crystal gold and 
platinum bis zum gewünschten Kontur ausgestopft, ohne dass 
aber dieses dabei fest kondensiert wird. Wenn man dieses 
Kristall-Platingold mit einem flüssigen Lötmittel bestreicht und 
22 kar. Goldlot daraufschmilzt, so saugt es dieses vollkommen 
auf* ohne seine Form zu verändern. Die Höhe des Kontos, 
insbesondere auch des Kontaktpunktes, muss an einem kleinen 
Artikulationsmodell, das der Gipsabguss eines. Stents-„Bisses u 
ist, kontrolliert werden. Man kann das auch so machen, dass 
man das Kristall-Platingold direkt in der Kavität des Gips¬ 
modells in gewünschter Höhe aufbaut, aus dem Modell ent- 


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Referate and Joarnalschan. 


473 


femt, in die eingebettete Matrix legt, den Rändern derselben 
beiläufig adaptiert und dann mit Lot überschwemmt. 

Nun wird die Aussenseite des Inlays verfeilt und un¬ 
gefähr poliert und in die innere Oberfläche werden zum besseren 
Haften des Zements Rinnen geschliffen; dabei ist zu beachten, 
dass der beim Einschleifen entstehende Grat vor dem Einsetzen 
beseitigt werden muss. 

Das Elinsetzen geschieht mit Zement unter Anwendung 
eines kräftigen Drucks. Dabei braucht die Höhle nur eine so 
kurze Zeit vollkommen trocken zu sein, dass Wright in den 
meisten Fällen die Anwendung der Gummiplatte für über¬ 
flüssig hält. Dr. Hans Pichler. 


Die Behandlung der Bicuspidaten. Von W. M. Hirschfdd, 

Paris. (The Dental Review, 1907, III.) 

Eines der schwierigsten Kapitel unserer Kunst ist die Be¬ 
handlung der Bicuspidaten. Sie erfordert mehr Geschicklichkeit, 
richtigeres Urteil, grössere Gewissenhaftigkeit als die meisten 
anderen Arbeiten. Grosse Schwierigkeiten bietet die gedrängte 
Stellung dieser Zähne, ihre Neigung zu sekundärer Karies am 
Zahnhalse, ihre anatomische Form, welche eine ausgiebige 
Verankerung des Füllungsmateriales häufig unmöglich macht, 
schliesslich die Wahl dieses Materiales im einzelnen Falle. 
Blacks Prinzip der Extension for prevention sollte hier im 
weitesten Umfange angewendet werden. Leider geschieht dies 
gewöhnlich nicht. Die Geldfrage, die Schwierigkeit der Arbeit, 
die störende Sichtbarkeit einer grossen Goldfüllung, die Em¬ 
pfindlichkeit des Patienten sind nur zu häufig bei der Wahl 
des Füllungsmateriales die ausschlaggebenden Faktoren. Man 
sollte sich stets folgende Fragen vorlegen: Hat die Zerstörung 
den Zahnfleischrand erreicht? Sind beide Approximalflächen 
erkrankt? Ist die Kaufläche dazwischen gesund? Ist die Pulpa 
noch vorhanden? Erlaubt es unsere Geschicklichkeit, an eine 
grosse Konturfüllung mit Aussicht auf Erfolg zu gehen? Zu¬ 
nächst haben wir natürlich an Gold zu denken. Man sieht auch 
gewöhnlich an den Bicuspidaten Goldfüllungen, aber wie sehen 
diese aus! Die herrlichsten Konturfüllungen zeigen am cervicalen 

9 


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474 


Referate und Journalschau. 


Rande Fehler. Man vergesse nie nach dem Rate Abbotts, 
den Halsteil der Kavität mit Zinn oder Zinngold zu füllen und 
hüte sich, worauf zuerst Sachs hingewiesen hat, diese ohne¬ 
dies schwache Partie des Zahnes durch Haftpunkte oder Unter¬ 
schnitte noch mehr zu schwächen. Ebenso darf man niemals 
kohäsives Gold mit dem Zahnbein in direkte Berührung bringen, 
weil es an diesem nicht haftet, sondern muss zunächst alle 
Wände mit weichem Gold auskleiden und darf erst dann daran¬ 
gehen, aus kohäsivem Golde die Kontur aufzubauen. Jede 
grössere Goldfüllung stellt an die Ausdauer des Patienten hohe 
Anforderungen. Der amerikanische Zahnarzt hat mit einer in 
der Welt einzig dastehenden Klasse von Patienten zu tun. Sein 
Patient kommt zu ihm mit der entschiedenen Forderung, seine 
Zähne dauerhaft zu behandeln, ohne Rücksicht darauf, wie 
lange, wie schmerzhaft die Operation ist. Bei uns (Hirsch¬ 
feld spricht von Romanen, speziell Franzosen) ist es gerade 
umgekehrt: Die Patienten lassen ihre Zähne behandeln nicht 
in der Weise, wie es für sie am besten, sondern wie es am 
wenigsten schmerzhaft ist. Wir sind daher in Europa oft ge¬ 
zwungen, von der Goldfüllung abzusehen und zu Zement 
Amalgam oder Porzellan zu greifen. 

Zement besitzt, abgesehen von allen anderen, denselben 
Fehler wie Gold; es hält keine gute Freundschaft mit dem 
cervicalen Rande der Kavität. Deshalb muss dieser mit Gutta¬ 
percha oder Amalgam bedeckt werden. Eine solche Kombination 
eignet sich für weiche Zähne. Amalgam verwendet Hirsch¬ 
feld nur mit dünner Zementunterlage, um die Verfärbung und 
Schrumpfung zu verhindern. Dies ist dann ein Amalgaminlay 
mit Zement befestigt. Weit geeigneter für.Bicuspidaten ist Por¬ 
zellan,* das uns gerade bei diesen Zähnen die besten Dienste 
leistet. Aber das Porzellan ist ein gar strenger Herr, welcher 
nicht das kleinste Versehen seines Dieners verzeiht. Auch hier 
beginnt und endet aller Erfolg mit der richtigen Präparation 
der cervicalen Ränder. Trägt man alle schwachen Zahnränder 
ab und schützt das Porzellan um Haaresbreite vor dem Bisse, 
so ist Zahn und Inlay in Sicherheit. Hirschfeld schliesst 
seinen interessanten Artikel mit einem Ausspruche Bogues, 


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Referate und Journalschau. 


476 


■eines Veteranen der Goldfällung: „Der beste Zahnarzt ist nicht 
jener, welcher wundervolle Goldfüllungen legt, sondern der, 
dessen Patienten, wenn sie mit ihm alt werden, noch ihre 
Bicuspidaten im Munde haben.“ Dr. B. Krotifeld. 


Silikatzemente. Von W. Bruck, Breslau. (Deutsche Monats¬ 
schrift für Zahnheilkunde, 1907, 11.) 

Wenn auch die Einführung des „Porcelain Enamel“ von 
J e n k i n s für die Zahnheilkunde eine wertvolle Bereicherung 
bedeutete, so blieb doch der Wunsch der Zahnärzte unerfüllt, 
ein Material zu besitzen, welches in alle Kavitäten ohne grössere 
Separation und ohne Abtragung grösserer Mengen gesunder 
Zahnsubstanz eingeführt werden kann und dabei genügende 
Haltbarkeit und ein naturgetreues Aussehen besitzt. Es ist das 
grosse Verdienst Aschers, aus Berylliumnitrat und Natrium¬ 
silikat ein solches Präparat hergestellt zu haben. Bruck ver¬ 
wendet dieses Material seit 2'/* Jahren in zirka 1300 Fällen. 
Ueber seine Haltbarkeit lässt sich in dieser kurzen Zeit kein 
abschliessendes Urteil fällen. Anwendung fand es besonders an 
den Vorderzähnen, wofern nicht Ecken oder grössere Konturen 
aufzubauen waren. Sehr geeignet ist es ferner zur Reparatur 
von Richmondkronen und Brücken, bei denen eine Porzellan¬ 
fläche zerbrochen ist. Vorsicht erfordert bei lebenden Zähnen 
die Pulpa. Um eine Schädigung derselben durch die Phosphor¬ 
säure (vielleicht auch durch minimale Spuren von Arsen ?) zu 
verhüten, überzieht Bruck in jedem Falle den Boden der 
Kavität mittels einer mit Menthol oder Eugenol angerührten 
Unterlage von Zement und hat dank dieser Vorsichtsmassregel 
niemals ein Absterben der Pulpa konstatieren können. 

Dr. R. Kronfeld. 

Rhinolith infolge Retention des Caninus. ln der Sitzung 
■vom 12. April iy07 der k. k. Gesellschaft der Aerzte in 
Wien demonstrierte Glas (Klinik Chiari) folgenden inter¬ 
essanten Fall. Ein 19jähriger Patient leidet seit Juni 1906 
an übelriechendem Aufstossen und wiederholtem Brechen von 
fötiden Massen. Die interne Untersuchung ergab keinen positiven 

9 * 


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476 


Referate und Joumalsehau. 


Anhaltspunkt. Da die Vermutung geäussert wurde, dass es sich 
eventuell um verschlucktes Sputum handeln könne, wurde die- 
rhinoskopische Untersuchung vorgenommen, obwohl Patient 
niemals nasale Beschwerden gehabt hat. Hiebei fand man unter 
der unteren Nasenmuschel jauchig zersetzte, übelriechende,, 
bröcklige Massen. Nach deren Entfernung trat eine starke 
Blutung auf und die Sonde stiess in der Tiefe auf einen rauhe» 
festen Körper. Schliesslich wurde ein Rhinolith entfernt, 
welcher sich nach längerer Reinigung als Eck zahn erwies. 
Die Untersuchung des Gebisses ergab tatsächlich Fehlen des 
linken Eckzahnes, ohne dass eine Lücke in der Zahnreihe vor¬ 
handen war. Nach Entfernung des Nasenzahnes verschwand 
das monatelange stinkende Aufstossen und Erbrechen momentan. 

Dr. R. Kronfeld . 


Die Aufklappung der Schleimhautbedeckung der Kiefer. 

Von < 7 . Partsch , Breslau. (Deutsche Monatsschrift für Zahnheil¬ 
kunde, XXIII, 10.) 

Bei Fällen, welche trotz anscheinend klarer Diagnose eine* 
auffällig langwierige Behandlung erfordern, sowie bei gewissen 
Zuständen, deren Diagnose Schwierigkeiten macht, ist dio 
Aufklappung der Schleimhaut notwendig. Sie bezweckt 
die Freilegung des Knochens durch breite Umschneidung und 
Ablösung der Schleimhautdecke, vor allem bei jenen auf dem 
Boden der chronischen Periodontitis sich entwickelnden Fistel¬ 
gängen, ’die oftmals jeder Behandlung trotzen, da es sich hie¬ 
bei zumeist um granulierende Ostitis handelt. Hier ist die Frei¬ 
legung des Granulationsherdes das einzige sichere Mittel. Ob* 
damit die Wurzelresektion verbunden werden muss, entscheidet 
erst der Operationsbefund. Die breite Blosslegung des Knochens, 
erfordert eine ausgiebige Lappenbildung aus der Schleimhaut. 
Einfache gerade Schnitte, auch die von Weiser angegebene» 
Türflügelschnitte erscheinen Partsch nicht ausreichend. Der 
Bogenschnitt trennt einen grossen Lappen ab, dessen Basis 
im Vestibulum oris liegt und der das ganze Zahnfleisch bis 
nahe an den Zahnfleischrand in sich fasst. Die breite Basis 
sichert auf die Dauer eine gute Ernährung des Lappens.. 


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Referate und Journalschau. 


477 


1 bis 2 Ccm. einer '/»prozentigen Kokainlösung mit 3 Tropfen 
Davis’scher Adrenalinsolution reichen vollkommen aus, um das 
glanze Operationsfeld gefühllos und in vielen Fällen auch blutleer 
zu machen. Wie leicht sich das Periost vom Knochen ablösen 
lässt, richtet sich nach der Stelle der Ablösung und der Art 
der Erkrankung. Am schwersten gelingt die Ablösung am 
Mittelstück des Unterkiefers und bei alten narbigen Prozessen, 
ist aber stets mit grösster Sorgfalt vorzunehmen (langgriffiges, 
kurzschneidiges, schmales Messer und Elevatorium mit nicht zu 
stumpfer Spitze), weil bei einem zerfetzten Lappen die Aus¬ 
heilung erst nach Abstossung der zerrissenen Partien, also erst 
nach längerer Zeit erfolgen kann. Partsch tamponiert 
nicht und macht auch keine Mosetigplomben; der 
Lappen wird einfach direkt auf den Knochen gelegt und ein 
mässiger Druck, ausgeführt mit einem aussen aufgelegten Watte¬ 
tampon und dem Finger, genügt, um durch 2 bis 3 Stunden 
jede ßlutung hintanzuhalten und den Lappen so an seine Unter¬ 
lage festkleben zu lassen, dass er auch nach Entfernung des 
Tampons genügend festhaftet. Bei diesem Verfahren hat der 
Patient vom dritten Tage ab kaum mehr eine Empfindung von der 
überstandenen Operation; leichte Schmerzen und Schwellungen 
weichen rasch trockenen warmen Umschlägen. Zum Schlüsse 
•erwähnt Partsch noch die Wichtigkeit ausgiebiger Beleuchtung 
des Operationsfeldes (Stirnlampe) und geschulter Assistenz. 

Dr. R. Kronfeld. 


DnclfeliMericlilipii 

In dem im Aprilhefte d. J. enthaltenen Aufsatze: „Studien 
über die pathologische Anatomie und Therapie der Wurzel¬ 
erkrankungen . . . .“ von Dr. Lartschneider, Linz, hat sich 
ein sinnstörender Druckfehler eingeschlichen. Auf Seite 188, 
Zeile 23 soll es statt „Anhänger“ richtig Anfänger heissen. 
Der Sinn des betreffenden Satzes wäre demnach der, „dass 
Anfänger vom Koflferdam möglichst ausgiebigen Gebrauch 
machen sollen!“ 


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478 


Varia. 


Varia. 


BERLIN. Todesfall. Am 14. Juli d. J. ist Professor Hans 
Al brecht einem Herzschlage erlegen. Der Verstorbene war 
im Jahre 1868 zu Grevismühlen geboren, erlangte im Jahre 1889* 
in Berlin die zahnärztliche Approbation, war dann bei Sauer 
und Hahl Assistent und wurde im Jahre 1898 zur Leitung 
des zahnärztlichen Universitäts-Institutes nach Marburg^ be¬ 
rufen. Im Jahre 1903 kehrte er als Lehrer für Zahnersatzkunde 
an das Institut nach Berlin zurück und erhielt gleichzeitig den 
Professortitel. Diese Stellung hatte Albrecht bis vor wenige» 
Monaten inne. Er hat zahlreiche literarische Arbeiten ver¬ 
öffentlicht, die zum grössten Teile das Gebiet der Mund¬ 
chirurgie und Prothese betrafen. Die „Odontologischen Blätter“ 
hat Albrecht im Jahre 1897 begründet und bis zu seinem 

Ableben redigiert. —.— 

* 

PARIS. Ehrenmitgliedschaft. Die Societe odontologique de 
France hat in ihrer Asseinblee generale vom Februar d. J. 
Prof. Dr. Julius Sch eff in Wien in Anerkennung seiner, der 
zahnärztlichen Wissenschaft geleisteten hervorragenden Dienste 
zum Ehrenmitglied gewählt. —.— 

Deutsche Patente nnd Gebranchsmnster-Eintragongen. 

(Mitgeteilt von Ing. V. Monath, Patentanwalt, Wien* 
L. Jasomirgottstrasse 4.) 

Gefässverschluss zur Aufnahme und Abgabe dosierter 
Flüssigkeitsmengen. Joh. Fäll er, Pharmazeut in Krems a. d. D. 

Verfahren zur Herstellung einer anästhesierend und 
dauernd antiseptisch wirkenden Zahnwurzelfüll-, Zahnpulpadeck- 
und Unterkapselungsmasse. J. D. Riedel, A.-G., Berlin. 

Verfahren zur Herstellung eines aus Kalziumsuperoxyd 
und Kalziumkarbonat bestehenden Zahn- und MundpflegemitieJs. 
Ludwig Lensburg, München. 

Zahnpille. Ernst Hugo Schaefer, Hannover. 


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479 


Empfangene Bücher und Broschüren. 

(Mit Vorbehalt weiterer Besprechung.) 


„Deutsche Chirurgie“, herausgegeben von P. v. Bruns. 
Lieferung 33: Die Verletzungen und Krankheiten der Kiefer. 
Von Prof. Dr. G. Perthes, Direktor des chirurgisch-poli¬ 
klinischen Instituts der Universität Leipzig. Mit 10 Röntgen¬ 
bildern und 168 Abbildungen im Text. Verlag von Ferdi¬ 
nand Enke, Stuttgart 1907. 

Separator und Matrize. Von Prof. Sachs. Sonder-Abdruck 
aus der „Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde*, 
XXV. Jahrg., Juli 1907. 

Pfaff oder Angle? Eine kritische Studie von Alfred Körbitz, 
Berlin. Sonder-Abdruck ans der „Deutschen Monatsschrift 
für Zahnheilkunde“, XXV. Jahrg., Mai 1907. 

Ueber Zwillingszähne. Von Oberarzt Dr. F. G. Ri ha, gewesener 
Assistent an der zahnärztlichen Universitätsklinik in Inns¬ 
bruck. Sonder-Abdruck aus der „Deutschen Monatsschrift 
für Zahnheilkunde“, XXV. Jahrg., Mai 190 L 

Ueber Plecavol, ein neues Pulpaüberkappungs- und Zahnwurzel¬ 
füllmaterial. Von Dr. S. Knopf, Holleschau. Sonder-Ab¬ 
druck aus der „Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde“, 
XXV. Jahrg., Juni 1907. 

E. Mercks Bericht über Neuerungen auf den Gebieten der 
Pharmakotherapie und Pharmazie. XX. Jahrg. 1906. Darm¬ 
stadt. Jänner 1907. 

Föderation Dentaire Internationale. Proceedings of the meeting 
at Geneva Aug. * th and 9 th 1906. Published by Paul 
Guye, Assistant-Secretary, Geneva 1906. 


NB. Bei Zusendung von Rezensionsexemplaren, Tausch¬ 
exemplaren von Zeitungen etc. wolle man sich nur meiner 
Adresse bedienen. 

Julius Weiss 

Wien, I. Petersplatz Nr. 7. 


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Empfangene Zeitschriften. 

Amerika: 

Dental Era. Western Dental Journal. Items of Interest. 

Dental Cosmos. Dental Review. Dental Brief. 

Dental Digest. Dental Summary. Dental Hints. 

Dominion Dental Journal. Pacific Dent. Gazette. Dent. Office and Laborat 

Dentists Magazine. 

Australien: 

Australian Journal of Dentistry. 

Belgien: 

Bulletin de la Soci6t6 Beige de Stomatologie. 

Dänemark, Schweden nnd Norwegen: 

Odontologisk Tidskrift. I Tandlägebladet. 

Nordisk. Tandläk. Tidskrift. | 

Deutschland: 

Korrespondenzblatt für Zahnärzte. Zahntechnische Reform. 

Zahnärztliche Rundschau. Archiv für Zahnheilkunde. 

Deutsche zahnärztl. Wochenschrift. Deutsche zahnärztliche Zeitung. 
Odontologische Blätter. Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk. 

Zeitschrift für zahnärztl. Orthopädie. Di« Gesundheitswarte der Schule. 

Zahntechnische Wochenschrift. Zahnärztliches Zentralblatt. 

England: 

British Joum. of Dental Science. Quarterly Circular. 

Joum. of the Brit. Dent. Assoc. Elliots Quarterly. 

Dental Record. 

Frankreich: 

I/Odontologie. Le Monde dentaire. 

Le Progr&s dentaire. Le mois m6dico-chirurgial. 

La Revue de Stomatologie. Revue internat. de Prothese dentaire. 

Le Laboratoire. Revue de Chirurgie dentaire. 

Revue odontologique. Revue g6n6ral de l’Art dentaire. 

Holland: 

Tijdschrift voor Tandheelkunde. 

Italien: 

Giornale di Correspond, pei Dentisti. | La Rassegna dentistica. 

La Stomatologia. | 

Japan: 

Shikwa-gakuho. 

Oesterreich-Ungarn: 

Wiener klinische Wochenschrift. Mavryar Fogorvosok Lapja. 

Wiener medizinische Blätter. A Magyar Fogtechnikus. 

österr. ärztliche Vereins-Zeitung. Zubni 16karstvi. 

Osterr. Zeitschrift für Stomatologie. Rocznik lekarski. 

Zeitschrift für Zahntechnik. Zentralblatt für das Gesamtgebiet 

Ash’s Wiener Vierteljahrs-Fachblatt. der Medizin und ihrer Hilfs- 

Stomatologiai Közlöny. Wissenschaften. 

Russland: 

Zubowratschebni wjestnik. | Odontologitscheskoje Obosrenije. 

Kroniki dentisticni. | 

Schweiz: 

Schweizerische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde. 

Spanien: 

La Odontologia. 

, Wir bestätigen den Empfang von Tauschexemplaren der genannten Zeit¬ 
schriften und bitten um deren fernere Zusendung unter der Adresse: 

JULIUS WEISS, Wien, I. Peterspiatz 7. 


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481 


B ewerber um Assistenten- und Technikerstellen werden 
ersucht, ihren Offerten stets Zeugnisabschriften und 
Photographie beizulegen. Die Stellensuchenden werden 
dringend ersucht, uns sofort zu verständigen, wenn sie 
— gleichgiltig, ob durch oder ohne unsere Vermittlung — 
Stellung gefunden haben. 

Weiss & Schwarz. 


Folgende Stellen sind zu besetzen: 

Techniker: 

Zum Eintritt per 1. Oktober a. c.: 

Nr. 685. Erstklassige' Kraft in Metall und Kautschuk für Wien. 
. 686. Tüchtiger, selbständiger Arbeiter für Deutschböhmen. 
„ 687. Erfahrener Metall- und Kautschukarbeiter für Brünn. 

Zum Eintritt per 1. September a. c.: 

Nr. 688. Erstklassiger Metall- und Kautschukarbeiter für Brünn. 
„ 689. Tüchtige, selbständige Kraft für Pilsen. 

„ 690. „ „ „ „ Deutschböhmen. 

„ 691. Erfahrener Metall-und Kautschukarbeiter für Troppau. 


Zum sofortigen Eintritt: 

Nr. 692. Tüchtige, selbständige Kraft für Deutschböhmen. 

„ 693. Tüchtiger, erfahrener Kautschukarbeiter für Tirol. 

„ 694. Tüchtiger, selbständiger Arbeiter für Bosnien. 

» n » » Brünn. 

„ 696. Erstklassiger Metall-u. Kautschukarbeiter für Slawonien. 
„ 697. Tüchtige, selbständige Kraft für Tirol. 

„ 698. „ „ „ „ Sarajewo. 

„ 699. „ „ „ „ Deutschböhmen. 

„ 700. „ „ , Mähren. 

„ 701. „ „ n » Niederösterreich. 

„ 702. Erstklassiger Metall- u. Kautschukarbeiter für Budapest. 
» 703. „ n 7 t n » Fiume. 


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482 


.. Zahnarzt — 

36 Jahre alt, Christ, wünscht die Leitung eines Ateliers gegen 
Fixum zu übernehmen. 

Offerte unter „Dr. G. A. S.“ befördern die Herren Weiss 
& Schwarz, Wien, 1. Petersplatz 7. 


^ Zahnarzt 

in Grossstadt Oesterreichs wünscht seine erstklassige, stets 
steigende Praxis an tüchtigen Kollegen unter günstigen Be¬ 
dingungen abzugeben. Langjähriger, bewährter Techniker bleibt 
der Praxis erhalten. 

Offerte unter „I. 50.000 Diskretion" an Rudolf 
Mosse, Wien, I. Seilerstätte 2. 


Günstige Kauf gelegenbeit! 

In einer der Hauptstrassen Prags ist ein neues, palais¬ 
artiges Haus sehr günstig käuflich zu erwerben. In demselben 
wird seit mehreren Jahren eine ausgedehnte zahnärztliche 
Praxis (drei Hilfskräfte) betrieben, welche eventuell mit über¬ 
nommen werden kann. Einführung, eventuell gründliche Aus¬ 
bildung in allen zahnärztlichen und technischen Arbeiten ge¬ 
sichert. 

Nötiges Kapital zirka 40.000 bis 50.000 fl., die sich mit 
mehr als 6 Prozent verzinsen. 

Gefällige Anträge unter „Günstige Kaufgelegenheit 5" 
befördern die Herren Weiss & Schwarz, Wien, I. Peters¬ 
platz 7. 


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XXIII. Jahrgang. 


Oktober 1907. 


Heft IV. 


Oesterreichisch-ungarische 

Vierteyabrsschrift für ZaMeilkonde. 

Herausgegeben von 

JULIUS WEISS, Wien, L Petersplat* 7 

unter ständiger Mitwirkung der Herren: 

Prol Dr. J. v. Arkövy, Budapest -Dr.S. Bauer, Budapest — Prof Dr. H. Bönneeken, Prag — 
Dr. W. Bruck, Breslau — Dr. R. Bum, Wien — Do*. Dr. L. Hattyaay, Budapest — Prot Dr. 
C. Jung, Berlin — Dr. T. Kaas, Krems — Dr. M. Karolyi, Wien - Dr. R. Kronfeld, Wien — 
Dr. J. L&rtSchneider, Linz — Dos. Dr. R. Loos, Wien — Prof. Dr. B. Mayrhofer. Innsbruck 

— Dr. JL Oppenheim, Brünn — Dr. 6. Preiswerk, Basel — Prof. Dr. 6 Port, Heidelberg — 
Dos. Dr. G. Rösa, Dresden — Dos. Dr. ▲. Rothmann, Budapest — Prof. Dr. W. Sachs, Berlin 

— Prof. Dr. J. Schaff, Wien — Dr. P. Schrak, Wien — Dr. E. Smreker, Wien — Dr. B. Spitser, 
Wien — Dos. Dr. J. Ssabö, Budapest — Dr. F. Tänzer, Triest — Prof. Dr. F. Trauner, Graz 

— Dos. Dr. W. Vajna. Budapest — Prof. Dr. 0 . Walkhoff, München — Dr. W. Waliiseh, Wien 

— Dos. Dr. R. Weiser, Wien — Dos. Dr. G. v. Wunschheim, Wien. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 


Stomatitis synpathica. 



Von Professor Dr. C. Jung in Berlin. 


Einen ganz eigenartigen Fall von Veränderung der Mund¬ 
schleimhaut habe ich zurzeit unter meiner Kontrolle. Patient, 
Herr Regierungsassessor H., 32 Jahre alt, seit vielen Jahren 
bei mir in zahnärztlicher Behandlung, machte mich gelegentlich 
einer Revision der Zähne im Frühjahr d. J. auf eine wunde 
Stelle am Gaumendach aufmerksam, für die er keine Erklärung 
geben konnte. Sie hatte etwa das Aussehen einer Verbrühung durch 
zu heisse Suppe mit ihren Folgen^ Patient selbst dachte an eine 
luetische Infektion durch ein unreines Gefäss etc., eine Be¬ 
fürchtung, die sich aber als durchaus unbegründet erwies. 
Unter Gebrauch eines Spülwassers heilte die Stelle in einigen 
Tagen glatt ab. 

Nach Rückkehr von seiner Somroerreise sah ich den 
Patienten wieder. Er berichtete mir, dass die gleiche Affektion 
inzwischen periodisch in stärkerer Form wiedergekehrt sei, 
und zwar synchronisch mit hämorrhoidalen Be¬ 
schwerden, an welchen er seit Februar dieses Jahres etwa 

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Prof. Dr. C. Jung, Berlin. 


alle 4 bis 6 Wochen leide. Zur Ausbildung von Hämorrhoidal¬ 
knoten war es bisher nicht gekommen, auch nicht zu 
Blutungen aus dem Anup; der Hausarzt konnte lediglich eine 
Anlage zu dämorrhoiden konstatieren. 

Ich habe den Patienten dann gebeten, sieb bei Eintritt 
der nächsten Periode zu mir fcü bemühen, um ein objektives 
Bild von der Sachlage zu bekommen. Seine jetzigen Besuche 
ergeben folgenden Status und Verlauf. 

23. September. Patient berichtet, dass die analen 
Beschwerden (Jucken, Stuhldrang) am gestrigen Nachmittag 
eingesetzt hätten. Durch sofortige Applikation von Anesol- 
zäpfchen seien sie diesmal erträglich und er wolle diese Be¬ 
schwerden überhaupt gerne ertragen, während er jene im 
Munde sehr unangenehm empfinde. Es zeigt sich bei der In¬ 
spektion der Mundhöhle, dass der Ueberzug des harten Gaumens 
an einigen Stellen, so hauptsächlich über der Mitte des 
knöchernen Gaumendaches blasenartig vorgewölbt ist, 
ähnlich einer Brandblase, aber ohne entzündliche 
Rötung des abgehobenen Schleimhautabschnittes oder der 
Umgebung. Patient kann den Blaseninhalt mit der Zunge hin- 
und herbewegen und klagt über taubes Empfinden des ganzen 
Gaumens. Aus früherer Erfahrung ist er selbstverständlich be¬ 
züglich der Aufnahme konsistenter Nahrung vorsichtig ge¬ 
worden, nimmt aber an, dass es trotzdem auch diesmal zu 
Erosionen und damit zur Bildung äusserst schmerzhafter 
Stellen kommen werde. 

Gleichzeitig ist an den Lippen ein herpesartiger Aus¬ 
schlag in Form rundlicher JTlecken bis zur Pfenniggrösse 
bemerkbar. Dieser ist bei den früheren Anfällen in ähnlicher 
Form aufgetreten, jedoch ist es zu einem Aufbrechen der ge¬ 
blähten Partien dabei nicht gekommen; sie sind vielmehr nach 
2 bis 3 Tagen wieder eingetrocknet. 

Im übrigen ergibt die Anamnese keine Anhaltspunkte 
für die Klassifikation des Leidens, insbesondere ist Lues, auch 
in der hereditären Form, positiv ausgeschlossen. Patient war 
vor zwei Jahren stark überarbeitet, jedoch hat ihn eine halb¬ 
jährige Erholungsreise damals sichtlich gekräftigt und unter 


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Stomatitis sympatbica. 


4?1 

anderem auch zur wesentlichen Besserung einer an ^jnigei) 
Zähnen bestehenden Pyorrhoe ajveolaris beigetragen. Als, 
Kuriosum sei aber erwähnt, das$ er im Laufe der Jahre an,den ^ 
verschiedensten Körperstellen Lipome bekommen hat und noch 
bekommt; es entwickelten sich solche an der Vorderseite der 
Oberschenkel bis zur Gänseeigrösse, die operativ entfernt 
wurden, während zurzeit eine Geschwulst auf der rechten 
Hinterbacke in Bildung begriffen ist. Der verstorbene Vater 
hat ähnliche Geschwulstbildungen gehabt; die lebende Mutter 
ist durchaus gesund. 

26. September. Was der Patient befürchtet hat, ist 
eingetreten. Bei der heutigen Untersuchung zeigt sich am 
Gaumendach eine stark arrodierte Stelle von etwa Taler¬ 
grösse, die bei jeder Berührung mit der Zunge etc. ausser¬ 
ordentlich schmerzhaft ist. Die Schleimhaut sieht aus wie eine 
granulierende Wundfläche, die dick mit einem gelben, 
pappigen Belag bedeckt ist. Aehnliche kleinere Stellen finden 
sich am äusseren Alveolarteil des Ober- wie Unterkiefers, 
sowie auf dem Zungenrücken, der in toto „belegt“ ist, so 
wie wir dies bei Fiebernden etc. zu sehen gewohnt sind. Die 
nicht arrodierten Stellen der Gaumen- und Mundschleimhaut 
sind wie mit geronnener Milch überzogen. Der Herpes an der 
rechten Oberlippe ist aufgebrochen und geht in Krusten¬ 
bildung über. Weiterhin lassen sich serumunterlaufene Stellen 
an einigen Fingern, im Augenwinkel etc. nach weisen, die aber 
nach Aussage des Patienten seit gestern schon im Schwinden 
sind; ebenso bestehen leichte Reizungen im Rachenraum, die 
aber auch als konkomittierende Entzündung, verursacht 
durch die in der Mundhöhle angesammelten Infektionsstoffe, 
aufgefasst werden können. Die analen Beschwerden sind gering. 

Es liegt also jetzt eine ausgeprägte Stomatitis 
schweren Grades vor, mit etwa demselben Bilde, wie es 
Fälle von Mundfäule (Stomatitis epidemica) bieten. Rück¬ 
sichtlich der Ausdehnung der arrodierten Flächen muss von 
der Anwendung des Lapisstiftes a priori Abstand genommen 
werden; es beschränkt sich die angewendete Therapie auf die 
Verordnung von Spülungen mit warmem Kamillentee und 

1* 


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492 


Prof. Dr. C. Jung, Berlin. Stomatitis sympathica. 


vorsichtige Anwendung des Zungenschabers, um die ange¬ 
sammelten Beläge wegzubringen, soweit dies ohne grosse 
Schmerzen möglich ist. Als Desinfiziens Formaminttabletten. 

27. September. Der Kulminationspunkt der Affektion 
ist seit gestern überschritten und eine wenn auch nur 
schwache Besserung zu konstatieren. Nach seiner Aussage hat 
der Patient vorgestern und gestern noch sehr heftige Schmerzen 
gehabt und sich mit der Nahrungsaufnahme mittags auf 
Spinat, abends auf Rührei beschränken müssen Heute denkt 
er zu etwas konsistenterer Nahrung übergehen zu dürfen. 

Objektiv zeigen die wunden Stellen ein etwas dunkleres,- 
härteres Aussehen mit geringerem Belag; sie sehen etwa aus, 
wie roher Schinken, der anfängt einzutrocknen und dabei eine 
bräunliche Farbennuance annimmt. Nur zwei Partien der 
Wangenschleimhaut, über den Spitzen des linken oberen Eck¬ 
zahnes und linken oberen ersten Molaren sind noch frisch 
gerötet und mit einer dicken speckigen Auflagerung bedeckt; 
hier haben sich wohl die affizierten Partien der Schleimhaut 
wundgerieben. Die Lippen sind an mehreren Stellen mit 
rissigen Borken bedeckt (abheilender Herpes). 

Patient will morgen eine 14 tägige Erholungsreise nach 
der Schweiz antreten, was zur Aufbesserung des Allgemein¬ 
befindens nur angezeigt erscheinen dürfte. Seiner Schätzung 
nach wird der Prozess in 3 bis 4 Tagen zum Stillstand 
kommen. Verordnung für die Reise: H 2 0* als Spülwasser bei 
der Reinigung, Formamintpastillen tagsüber, Zinksalbe für die 
aufgesprungenen Lippen. 

Nach Lage der Dinge müssen wir die Erscheinungen 
wohl als örtliche Aeusserung einer allgemeinen (tropho-neu- 
rotischen) Dyskrasie ansprechen und aus dieser Annahme 
heraus mit dem im Titel benutzten Namen belegen. Aus der 
Literatur sind mir analoge Fälle nicht bekannt, obschon sie 
vielleicht nicht einmal zu den Seltenheiten gehören dürften. 


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Dr. Bertold Spitzer, Wien. Beiträge zur Beeektionsprothese. 498 


Nachdruck nur mit ganauar Quellenangabe gaatattat. 

Beiträie zur Bmltioisprota. 

(Aus dem k. k. zahnärztlichen Universitätsinstitut 
[Prof. Scheff] in Wien.) 

Von Dr. Bertold Spitzer , Assistenten daselbst. 

Im Anschluss an die in der k. k. Gesellschaft der Aerzte 
in Wien im März 1906 abgehaltene Demonstration will ich 
in extenso über die folgenden Fälle berichten. 

Frau O. W., 28 Jahre alt, wurde an der Abteilung Hof¬ 
rat ▼. Mosetigs wegen Carcinoma mandibulae operiert. 
Nach erfolgter Resektion, die sich vom ersten Prämolar links 
bis gegen den Unterkieferwinkel rechts erstreckte, legte ich 
einen Resektionsverband an, der für den Anfang in bezug 
auf die umliegenden Gebilde wie eine Immediatprothese wirken 
sollte. Derselbe bestand aus einem starken, an beiden Enden 
breitgeschlagenen Golddraht, der im unteren Drittel der 
Testierenden Stümpfe durch kleine Schrauben fixiert wurde 
und schon vorher der Krümmung des Unterkieferkörpers ent¬ 
sprechend gebogen war. 

Ausser diesem Golddraht, über dem die Schleimhaut 
vernäht wurde, legte ich zur besseren Fixierung der Knochen¬ 
enden in normaler Stellung und als Stütze der Lippe im 
oberen Drittel nach vorausgegangener Durchbohrung des 
Knochens eine Silberspange mittels Silberdraht an. Während 
so die Spange frei im Munde lag, war der Golddraht an 
Stelle des Knochens zwischen Schleimhaut und äusserer Haut 
versenkt. 

Krankengeschichte vom 21. September 1905: 

Vor zwei Jahren wurde Patientin 0. W. wegen einer 
Zahnzyste am rechten Unterkiefer operiert. 1'/* Jahre nach¬ 
her bemerkte sie an derselben Stelle eine nach aussen auf¬ 
liegende, zirka linsengrosse Auftreibung des Unterkiefers, 
welche sich langsam vergrössertc. Seit zwei Monaten ent- 


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494 Dr. Bertold Spitzer, Wien. 

wickelte sich auch am inneren Kieferrande, eine harte Vor¬ 
wölbung, die sich gleichfalls vergrösserte. Gleichzeitig magerte 
Patientin etwas ab. ' 

Die Untersuchung ergab am äusseren Rande des unteren 
rechten Kieferastes zwischen ersten und dritten Molar einen 
derben, zirka taubeneigrossen Tumor, der von seiner Unterlage 
unverschieblich und bei Druck nicht schmerzhaft war. Die Schleim¬ 
haut darüber ist normal gefärbt. Die Haut über dem Tumor 
weder verändert noch verdickt. Am inneren Knochenrande 
jedoch, und zwar vom ersten linken Schneidezahn bis zum 
ersten Molar lässt sich eine Verdickung konstatieren, die etwas 



Fig. 1. 


schmerzhaft ist und sich bis auf den Mundhöhlenboden er¬ 
streckt. 

Operation am 2. Oktober 1905: Bogenschnitt am unteren 
Rande der mandibula, Durchtrennung der Unterkieferweich¬ 
teile in der Medianebene und Zurückschieben des Periostes. 
Nach einem Versuch, die einzelnen mit Neoplasma gefüllten 
Knochenhöhlen zü evidieren, wird der Unterkiefer vom ersten 
Prämolar links bis hinter den zweiten Molar rechts reseziert, 
worauf die Befestigung der Immediatprothesen an den Kiefer¬ 
stümpfen erfolgt (Fig. 1). 

Die Knochenenden sehen bloss durch eine Lücke in der 
Uebergangsfalte hervor, durch welche die Silberspange tritt. 

Die histologische Untersuchung ergab den Befund : 
Gystocarcinoma adamantinum. 


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Beiträge zur Resektionsprdthese. 


496 


Der Wundverlauf war ganz reaktionslos. Die Silber¬ 
spange wurde kurz vot der Entlassung aus dem Spitale, die 
am 23. Oktober erfolgte, entfernt Die beiden Kieferreste 
wurden gleichmässig bewegt, die Kinnbildung war normal 
erhalten. 

Nach Ablauf von 3 Wochen trat eine Schwellung in der 
Gegend des rechten Kieferstumpfes auf und Patientin klagte 
über heftige Schmerzen. Unsere Vermutung, dass die Be¬ 
festigungsmittel des Golddrahtes einseitig die reaktiven Er¬ 
scheinungen veranlassten, wurde durch die Röntgenunter¬ 
suchung nicht bestätigt. Entsprechend der Fluktuation wurde 
inzidiert, es entleerte sich Eiter und in wenigen Tagen konnte 
Patientin aus der Behandlung entlassen werden. Sie erhielt 
nun eine aus Kautschuk verfertigte provisorische Prothese, 
welche der den Golddraht deckenden Schleimhaut leicht auf¬ 
lag. Dieselbe war mittels zweier breiter Ringklammem, die mit 
einer schiefen Ebene in Verbindung standen, an den im linken 
Kieferstumpfe vorhandenen, mit Vollkronen versehenen zwei 
Molaren befestigt. 

Nach 4 Monaten beobachtete ich an der seinerzeitigen 
Inzisionsstelle, dem unteren Rande des horizontalen Kiefer¬ 
restes entsprechend, eine Eiter sezernierende Fistel, die in der 
Folge trotz angewandter Therapie fortbestand. Auch diesmal 
ergab das Röntgenbild nichts Bestimmtes, doch es war ein¬ 
leuchtend, dass die oben erwähnten Schrauben als Ursache 
des ganzen Prozesses anzunehmen seien. Da die Kinngegend 
normale Konfiguration zeigte und die Palpation ergab, dass 
sich um die Spange ein festes Gewebe gebildet haben dürfte, 
beschlossen der Abteilungsassistent Dr. Silber mark und ich, 
die Spange in leichter Narkose zu entfernen, was auch ohne 
Mühe gelang. Patientin erhielt einen Verband und konnte das 
Spital verlassen. Der weitere Verlauf war ein normaler. 

Seit dieser Zeit — es sind bisher 16 Monate ohne jed¬ 
wede Rezidiverscheinung verstrichen — vermag die Patientin 
schmerzlos und ohne jede kosmetische Störung die beiden 
Kieferstümpfe funktionstüchtig zu gebrauchen, wozu auch die 
definitive Prothese beiträgt, die links an den mit Goldkappen 


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496 


Dr. Bertold Spitzer, Wien. 


versehenen letzten zwei Molaren befestigt ist, während das 
rechte Ende mit einer leicht federnden, einvulkanisierten Spange 
dem Kieferstumpf innen anliegt Die schiefe Ebene bewirkt die 
normale Artikulation der beiden unteren Molaren mit den 
Antagonisten und verhindert jedwede Verschiebung (Fig. 2). 

Eis war mir von vorneherein mit Rücksicht auf das 
jugendliche Alter der Patientin besonders darum zu tun, einer 



Fig. 2. 

Photographische Aufnahme 4 Monate nach erfolgter Operation. 

Entstellung, wie sie bei einer Resektion in diesem Umfang zu 
erwarten war, vorzubeugen. Ein Resektionsverband ausser¬ 
halb der Mundhöhle, wie er auch von uns in einigen Fällen 
verwendet wurde, hätte wohl eine Verlagerung der Stümpfe, 
aber kaum eine Schrumpfung der Weicbgebilde und die da¬ 
durch bedingte Entstellung des Gesichtes verhindern können. 
Eine Immediatprothese, das heisst der sofortige Ersatz des 
resezierten Knocbenstückes durch einen prothetischen Apparat 


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Beiträge tur Kesektionspruthese. 


497 


von gleichem Umfang erschien mir mit Berücksichtigung der 
vor der Operation gestellten Diagnose und der ungünstigen 
Befestigungsmöglichkeit als unzweckmässig. 1 

Der Erfolg war sehr günstig, insbesondere gegenüber 
anderen Fällen, die ich zu sehen Gelegenheit hatte, wie die 
Patientin Fig. 3, die vor 13 Jahren wegen Necrosis mandibulae 
post cariem dentis et periostitidem operiert wurde und bei der 



Fig. 3. 


eine auffallende Entstellung zurückblieb. Die Ursache der 
letzteren war höchst wahrscheinlich darin gelegen, dass nicht 
schon während der Operation entsprechende Massnahmen ge¬ 
troffen worden sind, wodurch sowohl einer Verlagerung der 
Testierenden Kieferstümpfe, als auch einer grösseren kos¬ 
metischen Störung vorgebeugt worden wäre. 

• Witiel-Hofmann wiesen seinerseit darauf hin, dass es 
möglich sei, Knochendefekte in entsprechender Weise mittels Draht an decken. 


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££98 BtfrBerteid Spitze*, Wien. 

i/ gölten'die Fälle, über die Leriche uhä 

TTö’ir'geiF berichteten, bei denen ohne prothetische Nach¬ 
behandlung keine oder nur eine unbedeutende Verschiebung 
def ‘(erhaltenen Kieferteile zu beobachten war. Nach Perthes 1 
ist die'Erklärung dafür mit Wahrscheinlichkeit darin zu suchen, 
dass hier eitie vollkommene Vereinigung der Schleimhaut- 
Wündränder im Munde möglich war und eine Heilung per 
primam erfolgte, während doch gewöhnlich die zurückbleibende 
Wundfläche unter Bildung starker Narben ausheilt. .: 

Fall 11. Der Patient A. Z., 48 Jahre alt, wurde an der 
chirurgischen Abteilung (Schnitzler) wegen Epithelioma 
mucosae oris operiert und 4 Wochen nach Enukleation der 
linken Kieferhälfte dem zahnärztlichen Institute überwiesen. Die 
Funktionsstörung des restlichen Kieferteiles war eine ganz be¬ 
deutende, der Narbenzug noch nachgiebig, so dass die Hoffnung 
vorhanden war, durch eine entsprechende Dehnung der Narbe 
den Kieferrest funktionstüchtig zu machen. 

Krankengeschichte. 26. Dezember 1905. Vor öJahren 
bemerkte Patient zum erstenmale an der linken Wangenschleim¬ 
haut eine etwa erbsengrosse Geschwulst, welcher er durch 
Saugen Blut entziehen konnte. Dieser kleine Tumor, welcher 
ihm keinerlei Beschwerden brachte, wurde immer grösser und 
härter. Seit etwa 5 Monaten bestehen auch Schmerzen in 
demselben, die sich langsam aber stetig steigern. 

Patient.von grosser Gestalt zeigt normalen Knochenbau 
und ist unterernährt. Schleimhaut blass. Die Gesichtsfarbe hat 
ein charakteristisches fahlgelbes Kolorit. Auf der Schleimhaut 
der linken, Wange ist eine graue Infiltration, welche von harter 
^o»n|i?tenz und durch einen scharfen Rand von der Umgebung 
abgegrenzt ist. Die Geschwulst greift auf die Schleimhaut des 
Unterkiefers über, reicht nach vorne bis zu cten Backenzähnen 
und schliesst mit der Zahnreihe nach hinten ab. Die Schleim- 

-v 'T. iÜ* t'i \ -j .' 1 „ ... 

haut ist an die Unterlage fixiert. Submaxillar tastet man ein 

s«;i) Perthes-Die Verletzungen and Krankheiten der'Kiefer. Deutsche 
Chirurgie j 1ÖW‘ ’’ - • • 


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Beiträge zur Resektionsprothese. 


499 


kleines hartes Knötchen, welches mit der Innenseite des Kiefers 
fest verwachsen erscheint oder von ihm ausgeht. 

12. Jänner. Exstirpation einiger vergrösserter Lymph- 
drüsen und Exzision der linken Kieferhälfte bis zum Caninus 
sin. samt einem grossen Stuck Wangenschleimhaut, besonders 
des Tumors, der im Gesunden Umschnitten wird. Nach einer 
Reihe von Schleimhautnähten wird die Wundhöhle vom Cavum 
getrennt, das Mundcavum durch sterile Gaze tamponiert. 

Die histologische Untersuchung ergibt: Papillar aus 
einem atrophischen Alveolus aus wachsender 
Plattenepithelkrebs mit oberfächlicher Arrosion 
des Knochens. 



Fig. 4. 

Der Patient besass im Oberkiefer mit Ausnahme der beiden 
Prämolaren und des ersten Molaren links sämtliche Zähne, im 
rechten Unterkieferteile waren sechs Zähne vorhanden und 
diese in einer ganz abnormen Stellung zu den Antagonisten 
(Fig. 4). Die restliche Hälfte war durch den Narben- und 
Muskelzug derart gegen die operierte Seite hin verzogen, dass 
der erste rechte untere Molar hinter den beiden rechten oberen 
Prämolaren und der Inc. I. inf. d. hinter dem Inc. II. sup. 
sin. zu liegen kamen. Die grösste Distanz der labialen Fläche 
der unteren Zähne von der palatinalen der Antagonisten be-: 
trug l 1 /. Cm. ,.’I - f . / 

Nicht nur, dass Patient äusserlich entstellt war, hat auch 
sein Sprachvermögen sichtlich gelitten. 


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600 


Dr. Bertold Spitier, Wien. 


Der Umstand, dass der von mir 1905 beschriebene Fall * 
nach den seinerzeit eingeleiteten Massnahmen den besten Erfolg’ 
brachte, veranlasste mich auch diesmal, in ähnlicher Weise vor¬ 
zugehen. Während ich damals- mittels -dünnen - S ilberdr a ht es 
die Narbendehnung vorgenommen habe, liess ich bei diesem 
Patienten die Schraube wirken (Fig. ö). 




Fig. 6. 


Der Patient litt während des ganzen Verfahrens, das 
14 Tage währte, keine Schmerzen und konnte leicht durch 
den durch die vorhergegangene Operation geschaffenen freien 
Raum flüssige und breiige Nahrung, an die er sich seit dem 
Tage des Eingriffes gewöhnen musste, zu sich nehmen. 


‘ Oesterr.-nngar. Vierte]} ahn schritt Ar Zahnheilkunde, 1906, Heft 9. 


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Beiträge stur Resektionsprothese. 


601 


Nachdem durch den allmählich kräftiger gewordenen Zug 
der Schrauben$pindel die Zähne einander gegenüberstanden, 
wurde der Apparat nach 14 Tagen abgenommen und der 
Patient war leicht imstande, den Unterkieferstumpf in richtiger 
Weise gegen den Oberkiefer zu führen (Fig. 6). 

Zur Verhinderung der sich in solchen Fällen stets er¬ 
gebenden geringen Abweichung bei der Schlussbewegung, liess 
ich ein partielles Ersatzstück herstellen, das entsprechend dem 
zahnlosen Alveolarteile künstliche Zähne und zwischen zweitem 
Prämolar und erstem Molar eine schiefe Ebene trug. Der Pa¬ 
tient konnte schon nach einigen Tagen ohne jedwede An- 



Fig. 6. 


strengung die unteren Zähne in Artikulation mit ihren Ant¬ 
agonisten bringen, wodurch die Funktionsstörung behoben war. 

Der nachfolgende Fall erscheint mir darum von beson¬ 
derem Interesse, da die von mir und Dr. Silbermark eingeleitete 
Therapie von der gewöhnlichen Korrektur einer Prognathie 
abweicht. 

Die moderne Orthopädie in der Zahnheilkunde erzielt 
bekanntermassen durch bestimmte, mit konstantem Druck und 
Zug wirkende Apparate sehr schöne Resultate, so dass ein 
operatives Verfahren nur ganz selten in Betracht zu kommen hat. 

Vallas und CI. Martin resezierten aus dem Oberkiefer 
ein keilförmiges Stück, um bei einer sekundär nach Schuss¬ 
fraktur entstandenen hochgradigen Prognathie das dem Zwischen¬ 
kiefer entsprechende, stark prominierende Stück zurückzubringen. 


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Dr. Bertold Spitzer, Wien. 


503 ‘ 


F r i t z s c h e 1 ist es gelungen, Fälle von hochgradiger 
Prognathie dadurch zu korrigieren, dass die einzelnen Zähne 
unter Erzeugung von leichten Infraktionen des Alveolarfort¬ 
satzes durch Zangendruck nacheinander verlagert wurden. 

Die Patientin, die unsere Klinik aufsuchte, hatte eine stark 
entwickelte alveolare Prognathie und wat durch diese, sowie 
durch die konsekutive Elephantiasis der Ober- und Unterlippe 
so entstellt, dass sie in ihrem Streben nach Erwerb behindert 
war. Da eine orthopädische Behandlung schon ob des Alters 
aussichtslos war, eine gründliche Korrektur in kosmetischer 



Fig. 7. 

Hinsicht notwendig erschien, versuchten wir auf operativem 
Wege einen Erfolg zu erzielen. 

Patientin J. T., 34 Jahre alt, ist im Alter von 5 Jahren 
gestürzt, wobei alle Frontzähne ausgebrochen wurden. Der 
Kiefer selbst war angeblich stark verletzt und verheilte in 
der Weise, in der er zur Zeit erscheint. Seit dem Sturze 
leidet Patientin an Kopfschmerzen, Atemnot und Schwäche - 
zuständen. Beim Beissen empfindet sie Schmerzen, 

25. Februar 1907. Die Oberlippe ist in Rüsselform durch 
den die Frontzähne tragenden Oberkieferteil vorgestülpt. Die 
Vorwölbung setzt ziemlich scharf vom Caninus sin. bis zum 
Ganinus dexter ein, so dass der Zwischenkiefer wie ein Vor- 


1 Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1907. 


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Beiträge sur Resektion 8prGthe*e. 


5«h 

dach aus der Fläche des sonst normal gewölbten Oberkiefers ; 
vorspringt. Dementsprechend finden sich die^Orucktaarfcea‘dejT> 
Schneideflächen der' Inc. inf. etwa 1 Cm. hinter dem Alveolar¬ 
rand des Zwischenkiefers deutlich ausgeprägt; der Unterkiefer 
nprmal gebaut, die vorhandenen Zähne etwas verlängert und • 
in normaler Stellung (Fig. 7). 1 

27. Februar 1907. Durchschneidung der Lingula. Extrak¬ 
tion der beiden Canini und der vier Incisivi, die an den 
Schneiden tief kariös sind. Medianschnitt bis auf den Knochen 
durch die Gingiva, desgleichen am Alveolarrand. Türflügel- 



Fig. 8. 

förmiges Zurückklappen der Gingiva samt Periost an der Vorder¬ 
seite des Oberkiefers. Bogenförmiges Abmeisseln des Zwischen¬ 
kiefers etwa l 1 /» Cm. vom Alveolarrand entfernt. Ablösen des 
mobilisierten Knochenstückes von der Schleimhaut des harten 
Gaumens, Herstellung eines scharfen Wundschnittrandes mittels 
Schere, Vereinigung der vorderen und hinteren Schleimhaut¬ 
platte durch Catgutnaht. 

Am 10. März wurde der Patientin, nachdem die Schleim¬ 
haut verheilt war und die Schwellung der Lippen, frei des 
früheren kontinuierlichen mechanischen Einflusses, geringer war, 
eine Prothese eingepasst, die alsdann nicht nur die Physio¬ 
gnomie der Patientin günstig beeinflusste, sondern auch den 
Kaueffekt erhöhte und zugleich die Schleimhaut des Ober¬ 
kiefers deckend vor Decubitalgeschwüren schützte. Die beiden 


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604 


Dr. V. Wiessner, Freiwaldau. 


ersten Prämolaren wurden mit Vollkronen überzogen und an 
diesen das Ersatzstück befestigt (Fig. 8). 

Nach Ablauf von 4 Wochen sah ich die Patientin wieder 
und konnte schon mit dem äusseren Erfolg zufrieden sein. 
Die früher vorhandene Elephantiasis labiorum war aüf ein 
Minimum reduziert, die Stellung der künstlichen Frontzähne zu 
ihren Antagonisten normal. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Die litleidncbafl der Hei- eed ZaMstaez tei 


Von Dr. V. Wiessner^ Zahnarzt in Freiwaldau. 

Eigentlich selbstverständlich müsste es genannt werden, 
dass man bei irgend einer Betrachtung der Entwicklungs- oder 
Ernährungsstörungen im Zahnsystem fortwährend dep sach¬ 
lich und ursächlich gegebenen Zusammenhang mit dem 
allgemeinen Knochensystem betont. Indes ist es nicht zu ver¬ 
wundern, dass es nicht geschah; der Gedanke, da»s es in 
dem Zahnbeine selb st auch Ernährungsstörungen 
und ihre Ausheilung geben könne, ist noch selten in 
präziser Form ausgesprochen worden. Aber wenn er ein¬ 
mal ausgesprochen ist, so wird er zu einer Fundgrube neuer 
Erkenntnis. Es ist mir auch nicht bekannt geworden, dass 
irgend jemand einen Einwand dagegen erhoben hätte. 

Jeder Einwand dagegen Hesse sich auch leicht widerlegen. 
Schon die blosse Erkenntnis, dass es einen Stoffwechsel in 
den Zähnen gibt und dass dieser Stoffwechsel von zwei Seiten 
her unterhalten wird, von der Pulpa und von der Beinhaut 
her, ergibt ohneweiters, dass von diesen beiden Seiten her 
Störungen in der Ernährung stattfinden können, wenn die 
entsprechenden Bedingungen gegeben sind. Und es ergibt sich 
ebenso als etwas Selbstverständliches, dass das klinische Bild 
je nach der grösseren Beteiügung der einen oder anderen 
Seite ein verschiedenes sein muss. 


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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstanz etc. 


505 


Ohne genaues Untersuchen der physiologischen Be¬ 
dingungen der Zahnernährung gibt es keine sichere Erkenntnis 
der Ursachen und des Mechanismus der Ernährungsstörungen. 
Hält man sich dabei immer genau vor Augen, dass die Zähne 
gar nichts anderes sind als ein detachierter Teil des Knochen¬ 
systems, dass diese Situation Aehnlichkeiten mit der Situation 
der Fingernägel, ja auch der Haare hat, so ist von vorne- 
herein eine grosse Fülle von Hinweisen gegeben, die man nur 
auf ihre grössere oder geringere Stichhältigkeit zu prüfen hat. 
Im folgenden sollen nun in schematischer Kürze einige jener 
bekannten Tatsachen angeführt werden, und zwar sollen sie 
in einer solchen Anordnung vorgeführt werden, dass man zu 
einiger Uebersicht, vielleicht auch zu einem zusammenfassenden 
Urteil gelangen kann. 

Es ist dabei von vomeherein eine Einteilung durch 
den Ablauf des menschlichen Lebens gegeben. Hier 
ist eine Periode des Aufbaues, eine Periode der Höhe und 
eine Periode des Niederganges in bezug auf die einzelnen 
Gewebe des Organismus als primitiv empirische Einteilung 
ganz zweckmässig zu unterscheiden. Die Störungen in der 
normalen Ernährung werden sicher andere Erscheinungen aus- 
lösen müssen, wenn sie den einen oder anderen Lebens¬ 
abschnitt betreffen. Wir werden also gut tun, zwischen 
Erkrankungen im Kindes- und Jünglingsalter auf der einen, 
Erkrankungen des Vollreifen Alters auf der anderen und end¬ 
lich Erkrankungen des (vor- oder rechtzeitigen) Greisenalters 
auf der dritten Seite zu unterscheiden. Wir werden aber auch 
jedenfalls zu berücksichtigen haben, dass Krankheilen akuter 
oder chronischer Natur, die, wie etwa die Infektionskrank¬ 
heiten, jedes Lebensalter befallen können, ohne Rückwirkung 
auf die Ernährung der Knochensubstanz und des dazu¬ 
gehörigen Zahnbeines nicht möglich sind. In zweiter Linie ist 
dann erst festzustellen, ob solche Ernährungsstörungen manifeste 
Erscheinungen machen oder nicht. 

Und da sagt wieder die einfache Ueberlegung: Der 
Ernährungsprozess der Knochensubstanz und des Zahnbeines 
ist ein sehr langsamer, so dass der Stoffwechsel durch kurz 

2 


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506 


Dr. V. VViessner, Freiwaldau. 


verlaufende Krankheiten nur wenig gestört wird. 
Beschwerden nach Art der Unlustempfindungen, Schmerzen, 
sind sehr möglich, werden bei diesen auch meist angegeben, 
wurden aber bisher nur als ein Symptom gedeutet, mit dem 
man nicht viel machen konnte. Es liegt aber sehr nahe, die 
Prodromalschmerzen in den Knochen bei manchen Infektions¬ 
krankheiten auf direkte Mitleidenschaft der Knochen zurück¬ 
zuführen. 

Dagegen ist es bei chronischen Krankheiten, die 
die Gesamternährung des Organismus herabsetzen, ganz und 
gar ausgeschlossen, dass die Ernährung der 
Knochen-und Zahnsubstanz unbeeinflusst bliebe. 
Wir hätten daher auch hier nicht zu untersuchen, ob eine 
Einwirkung, eine Schädigung stattfindet, sondern wir haben 
festzustellen, in welcher Weise sie erfolgt. So sehr ein¬ 
fach liegt die Sache. Darauf wollen wir indes zum Schlüsse 
zurückkommen, zunächst wollen wir die bei der Bildung des 
Knochen- und Zahnbeines möglichen Störungen betrachten. 

A. Das Wachstum des Menschen. 

Gewöhnlich wird in solchen Fällen von der Rachitis 
gesprochen. Dass es eine ganz parallele Affektion in dem 
Zeitalter der Entwicklung (Adolescenz) gibt, scheint noch gar 
nicht ganz zum Bewusstsein der ärztlichen Wissenschaft ge¬ 
kommen zu sein. Und doch gibt es eine ganze Menge auf¬ 
fallender Symptome, die darauf hinweisen. 

Gehen wir von der Rachitis aus, so ist für uns hier 
wichtig, festzustellen, dass diese Krankheit eine Störung im 
Ablaufe des Stoffwechsels bedeutet, die mit Störungen der 
Ernährung des Knochen- und Zahnbeines verknüpft ist. Wie 
der Zusammenhang ist, was man eigentlich als das Primäre 
auffassen soll, das weiss niemand ganz bestimmt. Und wenn 
der eine einen Kalkmangel, der andere einen Phosphormangel 
in der Nahrung, der Dritte unzweckmässige Nahrung über¬ 
haupt, der Vierte die Unfähigkeit der Rezeptionsorgane, der 
Fünfte das und jenes als Ursache hinstellt, so mag jeder in 


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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstanz etc. 


507 


etwas Recht haben. Aber wie bei allen Stoffwechselkrank¬ 
heiten wissen wir auch hier über das tatsächliche Nach¬ 
einander nichts. 

Die Empirie hat uns indes auf eine Reihe von Schäd¬ 
lichkeiten aufmerksam gemacht, die das Entstehen dieser 
Krankheit begünstigen und ihren Ablauf erschweren. Nach 
allen Berichten hat diese Entwicklungsstörung heutzutage eine 
ungeheure Verbreitung erlangt und man muss sich jenen an- 
schliessen, welche die Ursache dieser so ungemein bedauerns¬ 
werten Zunahme in einer Verschlechterung der hygienischen 
und zumal der Ernährungsverhältnisse sehen. Zweifellos hat 
es auch früher schon Rachitiker gegeben, bevor das Krank¬ 
heitsbild als solches erkannt und als besondere Krankheit be¬ 
schrieben wurde. Das geschah bekanntlich in der ersten 
Hälfte des XVII. Jahrhunderts in England durch Glisson. 
Daher stammt auch der Name „Englische Krankheit“. 
Aber sicher ist die Zunahme in den letzten Jahrzehnten, in 
der Zeit des Anwachsens der Grossstädte, in der Zeit der 
Industrialisierung der Kulturstaaten. Es ist auch sehr wahr¬ 
scheinlich, dass in den Gegenden des bäuerlichen Ackerbaues die 
Rachitis geringer ist als in den Grossstädten. Einerseits be¬ 
schuldigt man unhygienische VVohnungsverhältnisse, anderseits 
sprechen aber manche Anzeichen dafür, als ob man mit der 
Zeit dazu kommen sollte, ganz bestimmte Veränderungen in 
der allgemeinen Ernährungsweise als Ursache der zunehmenden 
Verbreitung zu beschuldigen. Schon im Jahre 1904 habe ich 
in einer Arbeit über die Zunahme der Zahnkaries im Frei¬ 
waldauer Bezirke („Oesterreichische Zeitschrift für Stoma¬ 
tologie“ 1904, 4. Heft) darauf hingewiesen, dass sich hier der 
gleichzeitige Uebergang von der einfachen ländlichen Kost 
(Milch und Milchprodukte, Korn- und Haferbrot im altbackenen 
Zustande, in welchem vielleicht die Vitalität der Gärungs¬ 
erreger geringer war, bei möglichst geringem Verbrauche von 
Zucker, Weissbrot, chemischen Gewürzen, Kaffee usw.) zu der 
recht unzweckmässigen sogenannten städtischen Kost eine Zu¬ 
nahme der Rachitis und eine Verschlechterung der Zahn¬ 
substanz feststellen lasse. 

2 * 


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Dr. V. Wiessner, Freiwaldau. 


In dieser Hinsicht ist auch auf die Arbeiten von Prof. 
C. Röse hinzuweisen. Zwar gehen die Ansichten in mancher 
Beziehung noch auseinander, aber es scheint sich schon jetzt 
herauszustellen, dass der Wechsel der Ernährungsweise viele 
Schädlichkeiten im Gefolge hatte. 

Ueber die genauen Vorgänge der Assimilation von 
Nahrungsstoffen, besonders über die Unterscheidung von 
günstigen und ungünstigen Verdauungsfermenten 1 sind wir, wie 

* Der Gedanke ist hierbei, dass sich im Verdauungstrakte ähnliche 
biochemische Vorgänge ab spielen dürften, wie sie die heutige Wissenschaft 
für die Nahrungsaufnahme der Pflanzen aus dem Boden ableitet. Wie hier 
die saprophilen Bakterien aus den hochzusammengesetzten organischen Ver¬ 
bindungen einfachere für die Aufnahme durch die höheren Pflanzen geeignete 
machen, so dürfte eine Mitwirkung ähnlicher Bakterien in einzelnen Teilen 
des menschlichen Verdauungstraktes anzunehmen sein. Damit aber das Wechsel¬ 
verhältnis zwischen den Bakterien und höheren Pflanzen ein gedeihliches sei, 
muss der Humus geeignet und die Entwicklung der geeigneten Bodenbakterien 
gesichert sein. Ist letzteres nicht der Fall, so entwickeln sich die Kladosporium- 
pilze und ihre Verwandten, die den Boden für die meisten Pflanzen weniger 
geeignet machen, indem sie ihnen die günstigen Stoffe zum Teil vorentbalten. 
Nimmt man an, dass sich bei der Zersetzung der Nahrungsstoffe im mensch¬ 
lichen Verdauungsapparate ähnliche Vorgänge abspieleu können, dass hier 
auch die günstigen Bakterien durch ungünstige abgelöst weiden können, so 
kann man sich leicht ableiten, dass in dem einen Falle die gleichen Nahrungs¬ 
werte zur reichlichen Ernährung ausreichen, im anderen Falle aber nicht. 
Man würde auch ganz leicht herausfinden, dass die gleichen chemischen 
Nahrungswerte in der einen Form die uns günstigen Verdauungsbakterien 
gedeihen liessen und so uns Zusagen würden, dass sie aber in der anderen 
Form ein besserer Nährboden für uns nicht günstige Fermente sind, so dass 
durch die Form der gleichen chemischen Werte unsere Ernährung beeinflusst 
werden kann. Die Vorgänge können nicht ganz einfach sein, weil sich das 
Zusammenspiel zwischen den chemischen Verbindungen der Nahrungsstoffe, 
ihrer Spaltung durch die guten oder bösen Bakterien und die Aufnahme der 
Zersetzungsprodukte durch die Darmzotten (den Pflanzenwurzeln vergleichbar) 
während der Bewegung des Verdauungstraktes und seines Inhaltes abspielt, 
also noch schwieriger zu erforschen und zu verstehen ist, als die Biochemie 
des Bodens und der Pflanzen. Aber man kann nicht wissen, ob nicht eine 
solche ansprechende Hypothese zum Verständnis des Ern ähr angs Vorganges 
und seiner Störungen etwas beitragen kann. Für die Erklärung der Rachitis 
nicht nur, sondern auch einer grossen Zahl anderer Stoffwechselstörungen 
würde sie vollständig ausreichen, wenn sie — ihre Bestätigung finden würde. 
Sie gäbe uns auch die genauere Wertung der Funktion des Magens als vor- 


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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstanz etc. 


509 


gesagt, ohne Kenntnis. Wir haben ja heute schon eine Reihe 
paradoxer Erscheinungen kennen gelernt, wie etwa die Be¬ 
kämpfung der Fettsucht durch reichliche Feltzufuhr und der¬ 
gleichen. Es scheint aber, dass jede Einseitigkeit der 
Ernährungsweise dem Menschen schadet. 

Anderseits dürfte es auch für den Verdauungsprozess 
nicht einmal gleichgiltig sein, welche Getreidesorten und in 
welchem Zustande man sie zu sich nimnu (Mais-Pellagra), ob 
als frisches oder altes Gebäck, ob gegoren oder nicht. Jeden¬ 
falls verdient diese Frage noch ein sorgfältiges Studium. 

Wichtig ist für unseren Zweck die Rachitis deswegen, weil 
sie jene Ernährungsstörung ist, bei welcher auch bisher schon 
die Mitleidenschaft des knöchernen Skelettes erkannt worden 
ist, bei der man auch die Mitbeteiligung der Zähne nicht 
übersehen konnte. Die Veränderungen sind hier allerdings so 
grob in die Augen fallend, dass sie bemerkt werden mussten. 
Wir wissen daher schon, dass die periostalen und epiphysären 
Teile der Knochen breite, gefässreiche Wucherungsschichten 
aufweisen, die gegen den schon fertigen knöchernen Teil un¬ 
verhältnismässig gross sind und dass die weitere Verkalkung 
unregelmässig und inselförmig auftritt. Da diese Störung in 
der Zeit stattfindet, in welcher sich die Milchzähne entwickeln 
sollen, so ist es selbstverständlich, dass auch die Ausbildung 
dieser leidet. In der weiteren Folge erstreckt sich die Schädigung 
auch auf die Anbildung der zweiten Zähne. 

Es ist bekannt, dass die Rachitis zugleich eine Dis¬ 
position zu Durchfällen und überhaupt zu Verdauungsstörungen 
schafft. So kommt es zu einer Gleichzeitigkeit mit dem 
erschwerten Zahndurchbruche. Der Volksmund hat auch von 
alters her eine Kausalität bestehen lassen. Bei rachitischen 
Kindern ist nun ein Zusammenhang in dem Sinne, dass beide 


bereitenden Organes, sie gäbe uns die Aufklärung über so viele Misserfolge 
der medikamentösen Therapie. Anderseits gäbe sie uns aber die Möglichkeit, 
die biochemischen Verhältnisse des Magen-Darmkanals in wirklich wirksamer 
Weise zu beeinflussen in derselben praktischen Weise, wie dies ein rationeller 
Landwirt mit seinem Grundstücke tut. 


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Dr. V. Wiessner, Freiwaldau. 


Störungen auf der gemeinsamen Basis der Allgemeinerkrankung* 
beruhen, nicht zu leugnen. Der praktische Arzt wird diesem 
Umstand des öfteren Rechnung tragen müssen. Bei nicht¬ 
rachitischen Kindern scheint dagegen ein Zusammenhang nicht 
zu bestehen. Aber wieder sagt der Praktiker, dass sich eine 
Disposition, ja ein leichter Anfall von Rachitis nicht immer 
mit nur einiger Sicherheit feststellen oder ausschliessen lasse. 
Daraus dürfte sich der scheinbare Widerspruch erklären lassen* 
dass die allgemeine Beobachtung von einem Zusammentreffen 
beider Störungen berichtet, während die Wissenschaft einen 
ursächlichen Zusammenhang gerne generaliter leugnet. (Siehe 
z. B. Dr. Parreidt in Leipzig: „Der Einfluss des Durch¬ 
bruches der Milchzähne auf den Organismus des Kindes“ in der 
„Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde“ 1906, September¬ 
heft.) Man kann hierbei auch noch weiteres anführen. Man 
weiss ja, dass der Druck auf die erkrankten Knochen bei 
rachitischen Kindern Schmerzgefühle auslöst. Das kann auch 
schon der Muskelzug bewirken. Nun können die Extremitäten 
allerdings ruhig gehalten werden, der Kiefer aber schon aus 
Gründen der Nahrungsaufnahme nicht; auch ist im Ruhe¬ 
zustände der Muskelzug auf den Kiefer ein aktiver. Denkt man 
sich nun in dem kranken Kiefer noch die Wachstumsreize der 
Zähne tätig, so dürfte es doch keine Simulation sein, wenn 
solche Kinder Zeichen von Mundirritation geben. Man muss 
sich wieder vor Augen halten, dass für uns die geringeren 
Grade der Rachitis nicht diagnostizierbar sind. 

Es ist selbstverständlich und bekannt, dass durch die 
rachitische Erkrankung der Kiefer Formveränderungen dieser 
Knochen bedingt werden, welche nicht nur für die Stellung 
der Milchzähne, sondern auch für die Wachstumsrichtung der 
bleibenden Zähne, für den zukünftigen Biss, massgebend sind. 
Es ist denkbar, dass solche Veränderungen unbeachtet auch 
dort eintreten können, wo sonstige manifeste Erscheinungen 
oder Ueberbleibsel der Rachitis fehlen. Fleischmann 
studierte zuerst eingehend diese Veränderungen und führte sie 
auf den Zug der Muskulatur, auf den krankhaft biegsamen 
Knochen zurück. 


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Die Mitleidenschaft der Kuochen- und Zahnsubstanz etc. 


511 


Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass die 
Rachitis die erste Dentition bis in das dritte Lebensjahr ver¬ 
schieben kann, dass die Zähne unregelmässig, verspätet, an 
falschen Stellen durchbrechen können und endlich, dass sie 
gerne frühzeitig kariös und wackelig werden. Es wird bei 
dieser Krankheit wohl kaum bestritten werden, dass es die 
abnorme Weichheit des Dentins bei schlechter Schmelzver¬ 
teilung ist, die das Fortschreiten der Karies begünstigt. 

Nach Eichhorst („Handbuch der spez. Pathologie und 
Therapie“, 4. Bd, S. 171) dürfte Kalkarmut der Nahrung für 
die meisten Fälle am wenigsten in Betracht kommen, denn 
Frauen- wie Tiermilch enthält genügend grosse Mengen von 
Kalksalzen zur Knochenbildung. Anderseits liegen Angaben 
über den experimentellen Beweis vor, dass man bei Tieren 
durch absichtliche Entziehung von Kalksalzen rachitische 
Knochenveränderungen erzeugt habe. Das ist aber nicht 
ohne Widerspruch geblieben. Indes liegt es nahe, einer zu 
geringen Kalkzufuhr den Wert einer sehr bedeutsamen Be¬ 
günstigung der Rachitis zuzuschreiben. 

Bis die ganze Angelegenheit geklärt ist, muss sich wohl 
der Praktiker damit begnügen, dass die Rachitis die Substanz 
der Knochen und Zähne schädigt und dass als hervorstechende 
Erscheinung die Ablagerung einer normalen Menge von Kalk¬ 
salzen nicht erreicht wird. Am wahrscheinlichsten erscheint es 
wohl, dass dies nicht das einzige für uns wichtige Merkmal 
ist, sondern dass im allgemeinen alle festen Bestandteile ver¬ 
mindert, die weichen und flüssigen vermehrt sind, so dass eine 
meist unregelmässige Lockerung des Gefüges das Ergebnis ist, 
dass also die Inseln das Normale, die dazwischen liegenden 
Teile das Abnormale sind. 

Nun bleibt der Skelettknochen als dauernder Teil des 
Organismus an der weiteren Besserung der Ernährung mit¬ 
beteiligt und er kann ganz gewiss eine Art Ausheilung in dem 
Sinne erfahren, dass sein Gewebe allmählich dichter wird und 
zur normalen Festigkeit gelangt. So einfach liegen die Ver¬ 
hältnisse bei den Zähnen nicht. Denn die Milchzähne sind 
zur Ausstossung bestimmt, die bleibenden Zähne treten an ihre 


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Dr. V. Wiessner, Freiwaldau. 


Stelle und sie haben einen Teil, den Schmelz, der nach dem 
Durchbruche der Zähne ein Weit er Wachstum nicht mehr 
erfährt. Damit soll aber die Frage, ob der vorhandene Schmelz 
später nicht auch noch an Festigkeit zunehmen kann, keines¬ 
wegs kurzerhand verneint werden. Es soll nur gesagt werden, 
dass das Fehlen des Schmelzes an einzelnen Stellen vom 
Organismus nicht mehr ausgebessert wird. Dagegen sind die 
Zahnwurzeln und das gesamte Dentin der bleibenden Zähne 
ganz wohl in der Lage, eine spätere Korrektur in bezug auf 
Festigkeit und Grösse zu erfahren. Darauf deutet es hin, dass 
wir sehr oft bei der Extraktion rachitischer Zähne mit 
elender Krone schöne, kräftige Wurzeln vorfinden. 

Indes kommen wir bei der Besprechung dieses Vor¬ 
kommnisses schon in jenen Abschnitt des Wachstums, den 
man als adoleszentes Lebensalter bezeichnen kann. 
Als spezifische Krankheit dieses Alters bei Mädchen wird die 
Chlorose bezeichnet. Es hat auch nicht an Stimmen gefehlt, 
die diese Krankheit keineswegs auf das weibliche Geschlecht 
beschränken wollen, die vielmehr auch männliche Individuen 
„von weiblichem Körperbau und oft auch mit weiblicher Be¬ 
schäftigung, z. B Schneider“ daran partizipieren lassen. 

Soweit es die Beteiligung des knöchernen Skelettes, 
wobei immer die Zähne mitzurechnen sind, betrifft, ist es 
wohl sicher, dass in diesen Lebensjahren eine Schädigung der 
Ernährung bei beiden Geschlechtern in gleicher Weise möglich 
ist, dass sie aber bei Knaben weniger in den Vordergrund 
tritt und dann einfach als Anämie registriert wird. Der 
Name tut auch hier wirklich nicht viel zur Sache. 

Ueber die Beteiligung der Knochen an den Ernährungs¬ 
störungen dieser Entwicklungsperiode wissen wir nicht viel. 
Natürlich müssen die Weich teile des menschlichen Körpers 
bei allgemeinen Ernährungsstörungen zuerst benachteiligt 
werden, weil ihr Stoffwechsel ein lebhafterer ist. Aber bei 
einiger Dauer einer solchen Störung muss auch die Ernährung 
der Knochen leiden und es ist nicht richtig, die Ermüdungs¬ 
erscheinungen, die rheumatoiden Erscheinungen in den Beinen, 
der Wirbelsäule usw. lediglich auf Schmerzen in den Muskeln 


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Die Mitleidenschaft der Kuochen- und ZahuSubstanz etc. 


51B 


zurückzufahren. Da das Periost eigene Empfindungsnerven 
führt, so ist die Möglichkeit gegeben, dass von hier aus 
Unlustempfindungen weitergeleitet werden. Man könnte sogar 
vermuten, dass die Muskeln weniger in der Lage sind, 
Schmerzempfindungen zu produzieren und weiterzugeben als 
das Periost. 

Anatomische Befunde darüber, wie weit das Knochen¬ 
system bei länger dauernden Ernährungsstörungen leidet, 
scheinen nicht sehr in den Vordergrund getreten zu sein und 
man muss sich mehr auf die klinischen Erscheinungen be¬ 
schränken. In Heft 3 der „Oesterreichischen Zeitschrift für 
Stomatologie“ 1907 habe ich auf den notwendigen Zusammen¬ 
hang hingewiesen. 1 Bei der Chlorose deuten insbesondere die 
Erscheinungen der raschen Ermüdung bei geringen An¬ 
strengungen, die Schmerzen in den Beinen und der Wirbel¬ 
säule darauf hin. Am Zahnbeine habe ich bis jetzt in einer 
ganzen Reihe von Fällen eine abnorme Weichheit und eine 
Neigung zu raschem Fortschreiten der Karies feststellen können, 
seit ich der Angelegenheit meine Aufmerksamkeit zugewendet 
habe. Eichhorst führt allerdings (ibid. S. 39) die Unlust 
zu körperlicher Arbeit und ähnliche Beschwerden auf die 
dürftige Ernährung der Muskeln allein zurück. Aber nur eine 
Mitbeteiligung ist anzunehmen. 

Wenn wir demnach vom klinischen Standpunkt aus eine 
Beteiligung oder Mitleidenschaft des Knochensystems an den 
subjektiven Beschwerden postulieren müssen, so ist das gewiss 
nicht ungerechtfertigt. Aber auch irreguläre Zahnstellungen 
können zum Teile dadurch bedingt sein. Sie können aller¬ 
dings auch auf einer früheren rachitischen Erkrankung des 
Kiefers und der in Anbildung begriffenen Zähne beruhen 
Aber auch dort, wo Zeichen der früheren Erkrankung fehlen, 
können im adoleszenten Alter Erscheinungen einer ungewöhn¬ 
lichen Weichheit des Knochens zu Unregelmässigkeiten der 
Zahnstellung führen. Wenn Fleischmann z. B. recht hat, 

1 Ueber Beziehungen zwischen allgemeiner Unterernährung und der 
Festigkeit des Dentins. 


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Dr. V. Wiessner, Freiwaldau. 


dass der Muskelzug am weichen Unterkiefer bei Rachitis 
eine unvollkommene Inversion des Alveolarfortsatzes nach 
innen bewirkt, so ist das gleiche in verringertem Massstabe 
auch für spätere Störungen am Unterkiefer anzunehmen, was 
genügen kann, um die bekannte Dreieckstellung der Prä¬ 
molaren mit dem Caninus zu erzeugen. Ueberhaupt wäre ein 
solches Durcheinander der Alveolenrichtungen, wie man es 
mitunter sieht, nicht recht denkbar, wenn man nicht die 
Möglichkeit einer Verschiebung und Verengerung des Raumes 
während des Wachstum es annimmt. Man kann den Kiefer 
hierbei nicht als etwas Gegebenes, Starres annehmen, in 
welchem die Zähne allein den beweglichen und nachgiebigen 
Teil vorstellen, 

In Wirklichkeit wächst der Kiefer, dehnt sich und gibt 
nach während der ganzen Zeit, während die Ausbildung der 
bleibenden Zähne geschieht. Ist von früher schon eine 
Deformation vorhanden, so ist eine weitere Störung natürlich 
um so leichter. 

Die Parallele dazu finden wir in demselben Alter an 
anderen Teilen des Skelettes. Man braucht sich nur an die 
Ausbildung der X-Beine, der Plattfüsse, der Wirbelsäulen¬ 
verkrümmungen, der schiefen Schultern und dergleichen mehr 
erinnern. 

Man wird sich auch nicht mehr verwundern dürfen, 
dass gerade im adoleszenten Alter die Zahnkaries oft so 
furchtbar schnelle Fortschritte macht. Aeussere Bedingungen 
können darauf hemmend oder fördernd einwirken, aber es ist 
wohl sicher, dass ein weiches, nicht genügend ernährtes, ein 
lockeres Zahnbein 1 allen Schädigungen leichter unterliegt 
als ein festes. 

1 Während des Druckes las ich in einer Abhandlung Dr. Lart- 
schneiders „Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllungen“ 
(Oesterr.-uugar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1907, III, S. 414) über 
die Anämie: „Vielleicht bedingt sie eine Veränderung der Struktur der Zähne 
(Erweiterung der Dentinröhrchen auf Kosten des Dentin«, grösserer Gehalt 
der Zähne an Gewebssäften, Schwankungen im Blutdruck, Tänzers iuterdentärer 
Blutdruck) oder trophoneurotische Störungen etc.?“ Das ist eine sehr weit- 
volle Bestätigung meiner Ansichten in dem oben zitierten Aufsatze. 


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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstauz etc. 


515 


Es ist nicht notwendig, dass man diese Ernährungs¬ 
störungen der Knochensubstanz und des Zahnbeines im Ent¬ 
wicklungsalter als eine Krankheit sui generis auffasst, aber es 
ist notwendig, dass sich die allgemeine Aufmerksamkeit diesen 
Erscheinungen zuwende. Hier kann eine fortgesetzte Auf¬ 
merksamkeit für die Zukunft des Gebisses entscheidend werden. 

B. Das mittlere Lebensalter (Vollreife). 

Von den länger dauernden Krankheiten, die uns hier 
interessieren, kommen zunächst zwei ganz besonders in Be¬ 
tracht, das ist die Osteomalacie und der Skorbut. Weiterhin 
sind noch Leukämie, Anämie, Fettsucht, Gicht und Diabetes zu 
berücksichtigen. Mit den akuten und chronischen Erkrankungen, 
welche sonst noch Stoffwechselstörungen im Knochensysteme 
hervoreurufen imstande sind, wollen wir uns erst zum Schlüsse 
beschäftigen. 

Der Skorbut und die Osteomalacie geben uns 
eine schöne Illustration für die Begrenzung unseres Wissens. 
Die erstere Krankheit ist uns in ihren Ursachen recht wohl 
bekannt, wir wissen aber nicht allzuviel von dem Zustande 
der Knochensubstanz, die letztere hat schon reichlich zu 
anatomischen und chemischen Untersuchungen des Skelettes 
geführt, über ihre eigentlichen Ursachen wissen wir fast nichts. 
Und bei beiden Krankheiten haben wir kaum eine Angabe 
darüber, ob das Zahnbein verändert wird oder nicht. Unsere 
Aufgabe ist demnach hier insoweit beschränkt, dass wir aus 
dem vorhandenen Wissen notdürftige Schlüsse ziehen können. 

Schlechte hygienische und Ernährungsverhältnisse sind 
hier ebenso die allgemeinen Ursachen, wie sie es bei den die 
Knochensubstanz affizierenden Krankheiten des Wachstums¬ 
alters waren. Die Osteomalacie ist zumeist auf Frauen 
zur Zeit der Schwangerschaft oder des Wochenbettes be¬ 
schränkt, seltener befällt sie Frauen zu anderen Zeiten, noch 
seltener Männer. Im Gegensätze zur Rachitis handelt es sich 
hier um ein Weich werden des schon fest ausgebildeten 
Knochens. Die puerperale Form beginnt bezeichnenderweise 
zuerst an den Knochen des Beckens. Ihre Häufigkeit ist im 


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Dr. V. WiessDer, Freiwaldau. 


allgemeinen wohl sehr unterschätzt worden. Ich habe im 
Laufe einer wenige Jahre dauernden Tätigkeit als praktischer 
Arzt in der hiesigen Gegend drei Fälle zu behandeln gehabt. 

Es ist schwer, aus den verschiedenen Angaben eine 
eigene Ansicht über die Veränderung der Knochenstruktur zu 
gewinnen. Die einen (Rindfleisch) schreiben der Kohlen¬ 
säure des Blutes, irgend vorhandener Milchsäure einen kalk- 
auflösenden Einfluss zu, andere (Langendorff und 
Mommsen) halten die osteomalacischen Prozesse für kom¬ 
plizierter, sie fanden in der Grundsubstanz des Knochens eine 
unvollständige Ausbildung von Lamellensystemen, Längs¬ 
streifung und fibrilläre Bildungen und an solchen Stellen oft 
Sharpeysche Fasern. Cohn he im basierte darauf die Ansicht, 
dass die kalklosen Stellen eine Apposition krankhaften Knochen¬ 
gewebes seien. (Eichhorst, Bd. IV, S. 175 u. f.) Lossen 
(Hueter-Lossen, „Chirurgie“, Bd. I, S. 203)hält aber Cohn¬ 
heims Meinung für falsch und den Vorgang für eine förm¬ 
liche Entkalkung des Knochengewebes. Fs ist aber merk¬ 
würdig, dass Angaben über histologische Untersuchungen der 
Zähne fehlen. Eich hör st führt wohl (ibid. S. 174) an: 
„Stets bleiben die Zähne frei, obschon sie kariös werden und 
ausfallen können.“ Das scheint aber in sich einen Widerspruch 
zu enthalten, denn jedenfalls soll es nicht besagen, dass die 
Osteomalacie keinen Schutz gegen Zahnkaries bietet, sondern 
eher, dass sie der Karies Vorschub leistet. Hier an den 
Zähnen wäre die Möglichkeit gegeben, nach zufälligen Ex¬ 
traktionen solcher Zähne, die bei lebender Pulpa einen guten 
Stoffwechsel wenigstens in den Wurzeln darbieten, in vita den 
Krankheitsprozess zu verfolgen. Denn dass sich hier wirklich 
nichts zeigen sollte, das ist nicht zu erwarten. 

Die rheumatoiden Schmelzen in den Knochen, sei es 
Becken oder Wirbelsäule, sind beweisend für das, was wir 
bei der Rachitis sagten. Denn wenn der abnorm weiche 
Knochen, beziehungsweise sein Periost den Erwachsenen 
schmerzt, warum soll es beim Kinde anders sein? 

Bezeichnend ist es, dass auch bei Osteomalacie Heilung 
möglich ist und dass man im Verlaufe des Leidens öfter 


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Die Mitleidenschaft der Kuochen- und Zahnsubstanz etc. 


517 


Remissionen und Exazerbationen gesehen hat. Das ist wieder 
zustimmend zu der Meinung, die Verfasser früher in dem 
Aufsatze „Ueber die Beziehungen zwischen allgemeiner Unter¬ 
ernährung und der Beschaffenheit des Dentins“ {l c.) nieder¬ 
legte. Dort wurde als wahrscheinlich hingestellt, dass im Zahn¬ 
beine solche Erweichungen und späteres Festerwerden möglich 
sei. Hier haben wir den Nachweis gegeben, dass im bereits 
ausgebildeten, festen Knochengewebe ebensolches möglich ist. 
Und von einem zum andern ist nicht einmal ein Schritt. 

Ueber das weitere, die Verletzungen, das schlechtere 
Heilen, die Deformation der Skeletteile ist hier nur soweit zu 
sprechen, als es unter Umständen als Hinweis für das Ver¬ 
halten der Zähne dienen kann. 

Bei dem Skorbut gehören die Veränderungen am 
Zahnfleisch zu den bekanntesten und meist auch ersten Er¬ 
scheinungen, sie können aber auch mitunter fehlen. Eich¬ 
horst gibt an (ibid. S. 69), dass die Erkrankung meist an 
der Vorderfläche der Schneidezähne beginnt und sich dann 
nach innen und auch seitlich gegen die Backenzähne aus¬ 
breitet. Fehlen Zähne, so bleiben an diesen Stellen Ver¬ 
änderungen aus, doch kriechen sie an Wurzelstümpfen weiter. 
Bei zahnlosen Greisen und Kindern vermisst man die Zahn¬ 
fleischentzündung. Wo sie vorhanden ist, werden die Ver¬ 
änderungen gegen die freie Schleimhaut zu immer geringer. 
Lippen- und Wangenschleimhaut bleiben frei. 

Die Steigerung der Zahnfleischerkrankung geht dahin, 
dass „die Zähne in ihren Alveolen locker werden und unver¬ 
sehrt oder kariös ausfallen“. Parallel dazu steht die Nekro¬ 
tisierung und der Zerfall einzelner Zahnfleischpartien. 

Die Unversehrtheit des zahnlosen Kiefers lässt vermuten, 
dass die Beteiligung des Zahnfleisches und Periostes doch 
nicht bloss auf traumatische Einflüsse zurückzuführen ist, wie 
man anzunehmen geneigt ist. Wenn man andere Organe in 
Betracht zieht, die beim Skorbut in ähnlicher Weise erkranken, 
so kommen andere Möglichkeiten in den Gesichtskreis. So sieht 
man, dass Hautblutungen sehr häufig ihren Ausgangspunkt um 
die Haarfollikel nehmen (Blutversorgung derselben), weiterhin, 


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Dr. V. Wiesaaer, Frei waldau. 


dass ähnliche Veränderungen wie am Kiefer an anderen End¬ 
organen eintreten, z. B. an und um die Nägel (Onychia et 
Paronychia scorbutica) und man kann sich dann schwer 
des Gedankens entschlagen, dass eben die Art der Vaskulari¬ 
sation einen wesentlichen Einfluss haben mag. Dazu kommen 
noch die allerdings selteneren Beobachtungen von sub¬ 
periostalen Blutungen an verschiedenen Knochen, am häufigsten 
an der vorderen Fläche der Tibia, aber auch an Scapula, 
Unterkiefer und hartem Gaumen. Häufig mögen aber solche 
Blutungen, zumal an den tiefer in den Weichteilen verborgenen 
Knochen, der Beobachtung entgangen sein. Eichhorst er¬ 
wähnt (ibid. S. 74), dass unter subperiostalen Blutungen die 
oberflächlichen Knochenschichten mitunter gerötet und selbst 
nekrotisch erscheinen. „In manchen Fällen will man Erweichung 
eines vorhandenen Kallus oder bei frischer Knochenfraktur das 
Ausbleiben einer soliden Kallusbildung gefunden haben. Am 
Knochenmark hat Usko w lymphoide Umwandlung beschrieben.“ 

Diese Angaben sind für den Stomatologen von ganz be¬ 
sonderer Wichtigkeit, weil sie direkt darauf hinweisen, dass 
einerseits das Periost unmittelbar mitleidet und dass auch Er¬ 
nährungsstörungen des Knochens eintreten können. Das lässt 
die Vermutung gerechtfertigt erscheinen, dass die Lockerung 
der Zähne und ihr Ausfällen ebenso auf einer direkten Be¬ 
teiligung des Periostes, auf einer Zirkulationsstörung in dem¬ 
selben beruhe. 

Demjenigen, der sich für die Aetiologie der Pyorrhoea 
alveolaris interessiert, mag insoferne eine Aehnlichkeit 
zwischen dieser und der skorbutischen Krankheit sichtliche 
scheinen, als ob die letztere eine mehr foudroyante, die Pyor¬ 
rhoea non traumatica eine mehr chronische Form vorstellen 
könnte. Wie dann der Skorbut auf Ernährungsstörungen be¬ 
ruhend akute Pyorrhoe erzeugt, so müssten andere, mehr 
chronische,, allgemeine Stoffwechselstörungen die chronische 
Pyorrhoe bewirken können. Es sei besonders hervorgehoben, 
dass wir bei den verschiedensten Stoffwechselstörungen, 
z. B. Gicht, Diabetes, die Fehlerquelle nicht kennen. Wir kennen 
nicht den Kausalnexus zwischen Gicht und Harnsäure- 


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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstanz etc. 


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ausscheidung, zwischen Diabetes und Zuckerausscheidung. Das 
Auftreten dieser Stoffe in vermehrler und freier Form kann 
das Symptom einer latenten, vielleicht noch schwereren Läsion 
des Stoffwechsels sein, es kann auch der Stoffwechsel bloss 
in bezug auf die Versorgung der diese Stoffe bildenden Ma¬ 
terialien versagen. Sicheres wissen wir nicht. Ein gewisser 
Nihilismus ist da wohl am Platze. 

Selbstverständlich soll auch beim Skorbut die Mitwirkung 
traumatischer Einflüsse nicht geleugnet werden. Aber es unter¬ 
liegt keinem Zweifel, dass die Endorgane, bei welchen die 
Blutversorgung, mit dieser der Stoffwechsel, am leichtesten 
gestört werden kann, auch am öftersten beteiligt sind. Und 
dazu gehört jedenfalls das Periost an Knochen und Zähnen. 
Uskow und später Swiderski beschrieben ja auch an den 
Kapillaren und kleinen Arterien des Zahnfleisches Quellung 
der Endothelien, so dass es zur Berührung gegenüberliegender 
Zellen, zu Verschluss der Gefässe und Hervorbuckelung nach 
aussen gekommen war. 

Auch die anderen Allgemeinerkrankungen, 
welche den Stoffwechsel auf längere Zeit beeinträchtigen, 
bleiben nicht ohne Einfluss auf die Ernährung des Knochen¬ 
gerüstes samt der Bezahnung. Jedoch ist bei der Erörterung 
immer vorweg zu betonen, dass der Stoffwechsel in den Zähnen 
wahrscheinlich ein langsamerer ist als in den anderen Knochen, 
so dass eine manifeste Beeinträchtigung der ersteren meist 
später eintreten dürfte. Immerhin sei auf die frühere Arbeit 
des Verfassers „Ueber die Beziehungen zwischen allgemeiner 
Unterernährung und der Festigkeit des Dentins“ (1. c.) ver¬ 
wiesen, wo einige Fälle darauf hinzuweisen scheinen* Seither 
sind wieder zwei Fälle zugewachsen, bei denen ein früher 
festeres Zahnbein unter dem Einflüsse der Unterernährung zu 
einem weicheren, weniger widerstandsfähigen geworden ist. 

Es ist wohl zu bedauern, dass über die Herabsetzung 
der Ernährung in den Knochen und im Zahnbeine keine 
anatomischen Befunde vorliegen. Man muss sich dann eben 
auf die klinischen Erscheinungen beschränken. 


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Dr. V. Wiessner, Freiwaldau. 


Das gilt aber nicht für solche Krankheiten, bei denen das 
Knochenmark Veränderungen aufvveist, wie bei der Leukämie 
(Virchow) oder Leukocythämie (Bennet). Hier sagt uns 
der anatomische Befund (Eichhörst, Bd. IV, S. 15), dass 
die Knochensubstanz rarefiziert erscheint. In einem Falle beob¬ 
achtete Heuck allerdings Osteosklerose. Bockedahl und 
Landwehr bestimmten in 20 Gramm Knochensubstanz^ 
0.131 Peptone. Untersuchungen der Zahnsubstanz aber fehlen. 
Man kann auch wohl die Funktionen der Zahnpulpa nur wenig 
mit jener des Knochenmarkes vergleichen. Aber ausgeschlossen 
sind destruktive Veränderungen des Zahnbeines deswegen 
nicht. (Dem Stomatologen ist diese Krankheit schon wegen des 
Umstandes interessant, dass die Neigung zu Blutungen bei 
Leukämischen schon zu Todesfällen nach Zahnextraktionen 
geführt hat [Ghapelle]. Spontane heftige Blutungen am 
Zahnfleische kennt man bei der Werlhofischen Blut¬ 
fleckenkrankheit.) 

Die progressive perniziöse Anämie scheint das 
Knochensystem direkt in Mitleidenschaft zu ziehen, obwohl die 
häufigen Veränderungen im Knochenmarke (Eichhorst, ibid. 
S. 33 u. f.) als sekundär und anämischer Natur gedeutet werden. 
Betrachtet man aber die klinischen Erscheinungen, so ist es 
doch auffallend, dass sich manchmal einzelne Knochen druck¬ 
empfindlich zeigen. Angaben über Sternalschmerzen (Müller) 
und Tibialschmerzen (Finny) liegen vor. Dass diese von der 
Fortleitung des Druckes auf das Knocheninnere herrühren 
sollten, klänge unwahrscheinlich. Von Untersuchungen der 
Knochensubstanz liegen keine Berichte vor. Dass das gleiche 
auch für das Zahnbein gilt, ist bei der Jugend der stomato¬ 
logischen Wissenschaft nicht verwunderlich. Die allgemeine 
Unterernährung infolge der Veränderungen des Blutes kann aber 
bei der Dauer der Krankheit gewiss nicht ohne nachteiligen Ein¬ 
fluss auf die Ernährung des Knochensystems samt der Be¬ 
zahnung bleiben. Für diese Annahme ist ja wohl die Tatsache 
des Stoffwechsels in diesem Systeme eine vollwertige Begründung. 

Wir sind überhaupt genötigt, aus den klinischen Bildern 
der Stoffwechselkrankheiten uns jene Züge herauszusuchen, 


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Die Mitleidenschaft der Knochen* nnd Zahnsubstanc etc. 6S1 

welche auf die Beteiligung oder Nichtbeteiligung des Knochen- 
systems hindeuten. Man findet da leicht die eine oder andere 
bisher kaum beachtete Beziehung. Direkte Untersuchungen zu 
stomatologischen Zwecken fehlen ganz und doch scheint das 
eine sehr notwendige und dankenswerte Aufgabe zu sein. 

Wenn man bei der Fettsucht (Polysarcia) an¬ 
gegeben findet, dass eine Neigung zu arteriosklerotischen Ver¬ 
änderungen bestehe, so ist es wohl möglich, dass Periost und 
Periodontium darunter leiden. Ist aber die Vaskularisation 
geschwächt, so ist es denkbar, dass schon die normale In¬ 
anspruchnahme der Zähne einen traumatischen Effekt auf das 
Periodontium bedeuten und so für die Alveolarpyorrhoe be¬ 
günstigend sein kann. 

In dem Abschnitte über Arthritis urica fällt uns von 
rorneherein auf, dass man die eine Form direkt als Knochen¬ 
gicht bezeichnet. Subperiostale Gichtknoten kommen nicht so 
selten vor, auch im Knochenmark sind gichtische Ablagerungen 
beschrieben worden. V i r c h o w beschrieb isolierte Uratein- 
tagerungen in der Spongiosa der Phalangen, wie sie auch schon 
früher beobachtet worden waren. Garrod erwähnt an den 
Knochen Verfettung, d. h. Neigung der Knochen zur Brüchigkeit 
infolge der Bildung von mit Fettmassen erfüllten Hohlräumen. 

Marchand und Lehmann untersuchten auch die 
chemische Beschaffenheit der Knochensubstanz. Sie fanden 
keine Harnsäure, aber Armut an erdigen Substanzen und Fett. 

Ueber die Beschaffenheit des Zahnbeines fehlen auch hier 
vollständig alle Angaben. Mir selbst ist aber mehrfach auf¬ 
gefallen und ich kann die betreffenden Patienten namentlich 
aufführen, dass bei solchen Leuten, die wegen Gicht in Pistyan, 
Trentschin, Baden, Römerbad waren oder sonst über gichtische 
Erscheinungen klagten, die Zahnhälse gerne blosslagen, be¬ 
sonders an den Molaren oft bis zur Gabelung der Wurzeln, 
dass die Zähne aber trotzdem in den Kiefern fast ankylotisch 
festsassen und dass sie infolge geringer Elastizität gerne firak- 
turierten. Solche Beobachtungen lassen einem die Möglichkeit 
ursächlicher Beziehungen nicht von der Hand weisen. Der 
Verdacht auf Begünstigung der Pyorrhoea alveolaris liegt nahe, 

s 


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622 Dr. V. Wiessner, Freiwaldau., ■ f, 

darüber aber Angaben halbwegs sicherer Art zu machen, ,bin 
ich noch nicht in der Lage. , i 

Gehen wir auf den Diabetes mellitus über, so finden 
wir hierbei eine vermehrte Ausfuhr von Kalk und Alkalien. 
Die in stomatologischer Hinsicht interessante saure Reaktion 
der Mundflüssigkeit wird bei dieser Krankheit auf die vermehrte 
Bildung von Milchsäure (Zuckerzersetzung) zurückgeführt. Da 
ist es auch nicht verwunderlich, dass solche Patienten über 
eine rapide Karies der Zähne zu klagen haben. Bezöge man 
den letzteren Umstand lediglich auf die Milchsäure im Speichel, 
so würde er nicht viel mehr zu bedeuten haben, als die rapide 
Karies bei Zuckerbäckern. Da finden wir aber noch die Klagen 
über eine spontane Lockerung, ja über das Ausfallen der Zähne. 
Das lässt sich wohl nicht bloss auf eine wie immer geartete 
Veränderung des Mundspejchels zurückführen, sondern es deutet 
zwingend auf eine Störung in der Ernährung der Zahnhaut, 
des Periodontiums. Damit steht im Einklänge, dass Diabetiker 
auch an anderen Organen Störungen in der Gewebsernährung 
aufweisen können, so an den Haarfollikeln (Furunkulose), den 
Endphalangen der Zehen und den ganzen Zehen (Spontan¬ 
gangrän), Abstossung der Nägel, Brand der Haut u. dgl. m. Auch 
das häufige Defluvium capillitii dürfte hierher zu rechnen sein. 

Ganz auffallend ist hier die Aehnlichkeit der Erscheinungen 
mit jenen beim Skorbut. Während diese aber in einer mehr 
akuten Weise verlaufen, gehen die diabetischen Prozesse lang¬ 
samer, man möchte fast sagen chronisch einher. Es lässt sich 
hier wie dort ganz wohl die Vermutung aussprechen, dass die 
Funktion der kleinsten Gefässe besonders an den disponierten 
Stellen durch die veränderte Beschaffenheit des Blutes leicht 
beeinträchtigt werden kann. 

Dass auch der Stoffwechsel im Zahnbeine (natürlich auch 
in der allgemeinen Knochensubstanz) leiden muss, ist wohl 
selbstverständlich. Indes liegt hier eine andere Möglichkeit vor, 
die angedeutet werden muss, das ist die Möglichkeit, dass es 
im Zahnbeine zu einer zeitweiligen oder dauernden Sistierung 
des ( Stoffwechsels einer Art von Devitalisation des Zahnes 
kommen könnte. In diesem Falle träte dann keine Minder- 


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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstanz etc. 


683 


ernährung des Zahnbeines ein, sondern ein Stille« teil en 
in dem jeweiligen Ernährungszustände. Ob in dem Einzfclfalle 
diese oder die andere Art der Störung statthat, müsste dann 
immer erst festgestellt werden. Das will aber nicht mehr sein 
als eine vage Vermutung, die sich aus dem Ueberblicke übei 1 
das klinische Gesamtbild ergibt. 

Nun wissen wir gerade über den Diabetes mellitus, dass 
die Zuckerausscheidung erst bei einer gewissen Grösse der 
Stoffwechselstörung einsetzt. Ein Marienbader Arzt .veröffent¬ 
lichte z. B. vor einigen Jahren eine sehr interessante, mir der¬ 
zeit nicht vorliegende Publikation, in welcher er nachwies, dass 
bei manchen Patienten der - Eintritt der Zuckerausscheidung 
von dem Erreichen eines gewissen Körpergewichtes abhängig ist 
und mit dem Herabgehen unter dieses Gewicht wieder aufhört. 

Wir wissen aber auch, dass es viele Stoffwechselstörungen 
gibt, die weder durch die manifeste Produktion von Zucker 
in den Kreis des Diabetes, noch etwa durch die Produktion 
von Harnsäure in den Kreis der Gicht notwendig einzureihen 
sind, die auch sonst keinen Anhaltspunkt geben, sie gerade 
in ein bestimmtes Krankheitsbild einzureihen. Vielleicht erreichen 
sie nicht die notwendige Höhe in der Stoffwechselstörung. Es 
liegt aber auf der Hand, dass auch bei ihnen eine Lockerung 
der Zähne, eine Schädigung des Periodonts, eine echte Pyorrhoe 
möglich ist. Und es ist gewiss nicht zu weit ausgegriffen, 
wenn man denkt, dass spätere Stomatologen jeden Pyorrhoiker 
dem Internisten zur Behebung der Krankheitsursachen zusenden 
würden, während sie selbst die symptomatische Behandlung 
im Munde durchführten. 

Wollte man auf jedes Krankheitsbild näher eingehen, so 
würde man eine ganze Menge interessanter Beziehungen und 
Ausblicke gewinnen. Wir wollen uns aber nicht zu sehr in 
die Details verlieren, daher auch von einem genauen Eingehen 
in die anatomischen Befunde absehen, obwohl sie, wie z. B. 
die hyaline Degeneration in den Henleschen Schleifen An¬ 
regungen geben können. Wir haben aber heute bloss die Auf¬ 
gabe, eine allgemeine Uebersicht über jene Störungen des ge 
samten Stoffwechsels zu bieten, bei denen eine Mitbeteiligung 

3 * 


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624 


Dr. V. Wiessner, Freiwaldau. 


des Knochensystems samt Zähnen zu erwarten ist Auf der 
einen Seite bezwecken wir damit, die Aufmerk* 
samkeit der Internisten und Pathologen auf die 
Frage dieser bi sh er viel zu gering angeschlagenen 
Hitbeteiligung zu lenken, auf der andern Seite 
wollen wir den innigen und vielseitigen Zu- 
saromenhang der Stomatologie mit der Gesamt¬ 
medizin plastisch und eindringlich vorzeigen. 
Denn noch immer gibt es eine Menge Leute, welche eingehende 
medizinische Kenntnisse bei der Zahnbehandlung ebenso für 
überflüssig halten, wie bei der sogenannten Naturheilkunde. 
Der Effekt i&t‘auch der gleiche. 'Wie letztere weder natürlich 
ist, noch mit der Heilkunde ernstlich etwas zu tun hat (damit 
sind selbstverständlich nicht die physikalischen Behandlungs¬ 
methoden, sondern die Kurpfuschereien gemeint), so sehen wir 
auch bei der Zahnbehandlung eine Menge ganz Unkundiger 
mit ganz verdrehten Anschauungen am Werke. Das ist aber 
nicht unsere Schuld. 

Wenn wir das Heer der Infektionskrankheiten 
übersehen, so ist für uns in erster Linie die Dauer der Krank¬ 
heit massgebend. Eine Läsion des Knochensystems findet ganz 
bestimmt auch bei heftig einsetzenden akuten Fieberkrankheiten 
statt; es geht nicht-an, die Schmerzen in den Gliedern, be¬ 
sonders den Beinen, nur auf die Weichteile zu beziehen. Denn 
das Nachlassen der Schmerzen im Zustande der Bettruhe ist 
oft ganz auffallend. Die Liegestellung aber entlastet in erster 
Linie die Träger des Körpers, das knöcherne Skelett. Aber 
zwischen einer kurzen Beeinträchtigung, die nur wegen ihrer 
Heftigkeit und Schmerzhaftigkeit zur Wahrnehmung gelangt, 
und zwischen einer anhaltenden, weiter keine Empfindung ver¬ 
ursachenden Ernährungsstörung, welche eine dauernde Schädi¬ 
gung des Gewebes in den Knochen hervorbringt, ist ein grosser 
Unterschied. Eines Beweises bedarf es wohl nicht, dass der 
Zeitfaktor hier die bedeutendste Rolle spielt 

Allerdings kann die stürmische akute Läsion eine nekro¬ 
tisierende Wirkung auf die Vaskularisierung eines disponierten 
Bezirkes in einem Knochen mit den Folgeerscheinungen einer 


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Die Mitleidenschaft der Knochen* und Zahnsnbstanz etc. 


625 


Osteomyelitis bewirken, also auch dauernden Schaden setzen, 
aber der das gesamte System schädigende Prozess braucht 
Zeit. Am meisten Zeit scheint notwendig zu sein, um das Zahn¬ 
bein in seiner Festigkeit herabzusetzen, was durch die grössere 
Langsamkeit des Stoffwechsels begründet ist. 

Wir finden daher bei fieberhaften akuten Prozessen, wie 
Scharlach, Rubeola, Flecktyphus (fuligo), Erysipel 
(Zahnrose), Varizellen, Variolen (nekrotische Vorgänge), 
Typhus (fuligo bis Abszessbildungen, hier auch anderwärts, 
meist an der Tibia, Periostitiden) eine verschieden intensive 
Beteiligung der Weichteile des Mundes, aber Verände¬ 
rungen in der Beschaffenheit des Zahnbeines sind wohl 
nur dann möglich, wenn lang dauernde Nachkrankheiten und 
Schwächezustände eine anhaltende Herabsetzung der gesamten 
Ernährung bedingen. Dasselbe gilt natürlich auch von der 
Anämie nach anderen Krankheiten, wie nach der Malaria. 
Hierher möchten wir auch die Schädigung des Zahnbeines 
durch die Schwangerschaft rechnen, die wir keineswegs 
als eine blosse Entkalkung auffassen können. 

Dass bei chronischer Tuberkulose, sofeme sie eine 
Minderernährung des Körpers herbeiiührt, ebenfalls Knochen- 
und Zahnsubstanz leiden müssen, ergibt sich nach dem Ge¬ 
sagten von selbst. Allerdings scheint man bisher angenommen 
zu haben, dass die Herabsetzung des Körpergewichtes 
bloss einseitig auf das Konto der Weichteile zu setzen sei. 
Aber bei genauerem Hinsehen fehlt die Begründung bis auf 
den Umstand, dass eine Umfangsabnahme hier nicht leicht 
ersichtlich ist, während sie bei den Weichteilen direkt in die 
Augen fällt. Man müsste hier doch erst einmal das spezifische 
Gewicht etwa desselben Knochens von gleichen Dimensionen 
bei einem an Entkräftung zugrunde gegangenen und bei einem 
in voller Kraft etwa durch einen Unglücksfall getöteten Menschen 
vergleichen. 

Die chronischen Krankheiten der Respira- 
tions- und Zirkulationsorgane, aller Teile des Ver- 
dauungs- und Harnapparates, derNerven und.des 
Gehirnes, soweit sie die Ernährung des Gesamtorganismus 


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526 


Dr. V. Wiessner, Freiwald&n. 


beeinflussen, beeinträchtigen gewiss auch die Ernährung des 
Knochensystems. Kn gleiches gilt von Störungen, die durch 
Parasiten oder Neubildungen hervorgerufen werden. 

Man kann von diesem Kapitel nicht einfach Abschied 
nehmen, ohne von der Myositis ossificans zu sprechen r 
bei welcher eine Knochenneubildung in den Muskeln statt¬ 
findet. Hier ist die Entstehung von Periost und von Ernährungs¬ 
kanälen für Blutgefässe nachgewiesen worden. Dass dies eine 
einfache Trophoneurose sei, wie Nikol ad oni meinte, wird 
von anderer Seile (Eichhorst, Bd. III, S. 553) bestritten. 
Ueber Veränderungen in der Knochensubstanz, die uns hier 
am meisten interessieren, fehlen positive und negative Angaben. 

Von den Osteomen wissen wir, dass sie in ihrer Struktur 
zwischen dem spongiösen Knochen und dem Elfenbein wechseln 
und dass sie von verkalktem Bindegewebe, welches sich fern 
von der Matrix das Periostes bildet, zu unterscheiden sind. 
Sie sind übrigens hier ohne weiteren Belang. 

C. Die Periode des Niederganges, das Alter. 

Senectus ipse est morbus. Wenn man die Beschaffenheit 
der Körpergewebe bei senilen Individuen und bei vollkräftigen 
Personen vergleicht, so scheint man geneigt, dem alten Spruche 
recht zu geben. Offenkundige und altbekannte Erscheinungen 
am Knochensysteme, wie auch — was ausdrücklich betont 
werden soll — an der Bezahnung besagen uns, dass sich der 
Zustand zu einem solchen gestaltet, welcher einiger Ruhe und 
Schonung bedarf. Da ist zumal die bekannte Sprödigkeit der 
Knochen, die leicht zu einem Bruche derselben führt. Es ist 
aber auch häufig eine Sprödigkeit der Zähne und des Kiefers, 
die der praktische Zahnarzt bei der Extraktion oft unliebsam 
bemerkt. Später schliessen sich die Erscheinungen des spon¬ 
tanen Ausfallens auch gesunder Zähne an. 

Bevor wir indes zu dieser Erscheinung kommen, müssen 
wir jener Veränderungen gedenken, die sich an der Knochen¬ 
substanz vollziehen und die als Tdil der gesamten Alters¬ 
veränderungen einen physiologischen Vorgang darstellen. Die 
Verlangsamung des gesamten* Blutkreislaufes und die Dis- 


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Die Mitleidenschaft der Knochen* und Zahnsubstanz etc. 


587 


Position zu Arteriosklerose bedingen eine minder gute Er¬ 
nährung aller Organe, eine leichte Hemmung in ihren Funk¬ 
tionen, die z. B. beim Gehirn leicht vorteilhaft sein kann, in¬ 
dem sie Ueberstörzungen verhindert. Im Muskel schwindet da¬ 
gegen langsam die Kontraktilität, der Knochen wird brüchiger. 
Das beruht auf einem Mangel an Elastizität und Festigkeit, 
b e dingt durch den al lmähli chen Schwund der Spongiosa- 
bälkchen und derjenigen Schichten der Corticalis, welche der 
Markhöhle zunächst liegen. Vergrösserung der kleinen und 
grossen Markräume und ihre Ausfüllung mit gelbem, fettreichen 
Marke kennzeichnen makroskopisch diese sogenannte rare- 
fizierende Ostitis, die Lipomasie des Knochens. Das ist der Alters¬ 
schwund des Knochens. Dass die Ernährung eine schlechtere ist, 
bezeugen mehrere klinische Erscheinungen: 

Lossen (Hueter-Lossen, „Chirurgie“, 1,183) sagt, dass 
selbst das hohe Greisenalter dem kindlichen nur in der Schnellig¬ 
keit der Kallusbildung nachsteht und dass sich alle Fälle 
absoluter Insuffizienz auf allgemeine Ernährungs¬ 
störungen beziehen. Davon wird für das Greisenalter die 
allgemeine Karzinose namhaft gemacht. Akute Infek- 
tionsfieber sind für alle Lebensalter ungünstige Vorkomm¬ 
nisse bei der Kallusbildung, besonders aber für das Greisen¬ 
alter. Es ist schon das eine wesentliche Beeinträchtigung des 
Heilungsvorganges, wenn er langsamer abläuft. Man kann dies 
als einen augenscheinlichen Beweis für die Verschlechterung 
des Verhältnisses gegenüber dem Mannesalter bezeichnen. 

Dafür sprechen noch eine Menge anderer Anzeichen. 
Greifen wir nur die Alterskyphose heraus. In Hueter-Lossen 
(„Chirurgie“, II, 158) findet man allerdings wieder den Einfluss 
der Muskelatrophie, wodurch das Mass aktiver Streckung der 
Wirbelsäule vermindert wird, als Ursache sehr betont. Nach 
dieser Auffassung würde die aktive Tendenz zur Streckung der 
die Wirbelsäule krümmenden Schwerkraft entgegen wirken und 
ihre Verringerung sofort zur Beugung führen. Indes wird dabei 
angegeben, dass die zusammensinkenden Wirbel, deren Spon¬ 
giosa geschwunden ist, weniger widerstehen, als in der Jugend 
und im Mannesalter. Das bedeutet aber wieder nicht mehr 


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598 


Pr. V. Wiessner, Freiwald««. 


und nicht weniger als eine geringere Leistungsfähigkeit der 
Knochen, die wir gerne als weit wichtiger und einflussreicher 
einschätzen, als es gewöhnlich geschieht. 

Man muss nun bedenken, dass es einen Marasmus praecox 
gibt, der die Altersbeschwerden und damit die Beeinträchtigung 
der Knochen und Zähne schon früher eintreten lässt. Etwas 
analoges ist wohl auch die Osteopsathyrosis tabica 
und paralytica, die bei den geringfügigsten Anlässen 
zu ziemlich schmerzlosen Brüchen der Knochen (z. B. Zu- 
sammenbeissen zum Bruche des Unterkiefers) führen kann. 

Nun kommt dazu, dass im höheren Lebensalter häufig 
die Funktionen der Verdauungs-, Zirkulations- usw. Organe ge¬ 
stört sein können, ohne dass man direkt von einer speziellen 
Erkrankung sprechen kann. Es ist wohl selbstverständlich, dass 
in diesen Fällen die Gesamtemährung und damit auch die 
Ernährung des Knochensystems bedeutend leiden muss. 

Zwischen den Störungen an den Zähnen muss man in- 
soferne eine Unterscheidung treffen, als dieselben sowohl das 
Periost als die Pulpa angehen können. Die Störungen der 
ersten Art sind die Ursache des Ausfallens der Zähne, sie ver¬ 
laufen in einer klinischen Form, die der eigentlichen Alveolar¬ 
pyorrhoe sehr ähnlich ist. Es ist auch gar nicht ausgeschlossen, 
dass die eigentliche Basis die gleiche, nämlich die Störung in 
der Vaskularisation ist. Die Veränderungen an der Pulpa gehen 
auf eine Atrophie derselben hinaus. Ein bemerkenswerter 
Unterschied der Pulpahöhlen gegenüber den Markhöhlen der 
Knochen besteht darin, dass die ersteren allmählich mehr und 
mehr verengt werden, während die Markhöhlen eine Erweite¬ 
rung erfahren. Daneben finden sich in den Pulpen häufig Ver¬ 
fettungen und Verkalkungen. Selbstverständlich muss mit der 
senilen Atrophia pulpae reticularis eine Beeinträchtigung des 
Stoffwechsels im Zahnbeine verbunden sein, die zusammen mit 
der senilen Alveolarerkrankung den Ausfall der Zähne be¬ 
günstigt. Doch ist häufig das Periodontium schon zerstört, der 
Alveolarfortsatz sehr geschwunden, der Zahn weit freiliegend 
und doch findet noch eine bescheidene Blutversorgung der 
Pulpa statt. 


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Die Mitleidenschaft der Knochen- nod Zahnsnbstans etc. 689 

Umgekehrt scheint es bei manchen Störungen in der Blut¬ 
versorgung der Pulpen frühzeitig zu einer latent verlaufenden 
Degeneration und Resorption der .Pulpa zu kommen, so dass 
die Pulpahöhlen ganz leer erscheinen. 

Jedenfalls hat das Nachlassen der Ernährung des Zahn¬ 
beines von beiden Seiten her den Effekt des Austrocknens 
des Zahnbeines, wodurch dasselbe spröder wird. Angaben über 
einen Vergleich des spezifischen Gewichtes solcher atrophischer 
Zähne und vollemährter Zähne stehen mir leider nicht zur 
Verfügung. Es ist auch ohne grosse Bedeutung, da dieser Auf¬ 
satz unmöglich den Ehrgeiz haben kann, einen vollständigen 
Nachweis für alle angeführten Einzelheiten zu bringen. Er hat 
nur den einen sehr bedeutsamen Zweck zu verfolgen, die 
Parallelstellung, wenn nicht Gleichstellung der 
Knochen und der Zähne in bezug auf die Mit¬ 
leidenschaft bei allen chronischen Ernährungs¬ 
störungen als wahrscheinlich hinzustellen und 
diese Möglichkeit als ein wertvolles heuristisches 
Prinzip in die Stomatologie einzuführen. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Die Bachitis ui Ur Eitliss auf das Hilchpbiu. 

(Aus dem k. k. pathologisch-anatomischen Uni¬ 
versitäts-Institut in Graz.) 

Von Dr. Eduard Urbantschüsch, Assistent am k. k. zahnärzt¬ 
lichen Universitäts-Institut. 

Bekanntermassen sind sowohl der Ober- als auch der 
Unterkiefer Belegknochen, das heisst sie sind nicht knorpelig 
vorgebildet, sondern Bindegewebsknochen. 

Sappey stellt für den Oberkiefer fünf, für den Unter¬ 
kiefer zwei Ossifikationspunkte auf. 

Die erste Spur der Zahnanlage zeigt sich nach Z uck erkan dl 
bei einem 14*5 Mm. langen Embryo. 

Aus dem ektodermalen Ueberzuge der Kieferränder bildet 
sich ein epitheliales Organ und dadurch ist der Anfang der 


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680 


Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz, 


Zahnanlage gegeben, und zwar in Form einer Verdickung des 
Zylinderepithels am Kieferrände, welche gegen das Mesoderm 
der Kieferschleimhaut ein wenig eingebogen ist. 

Die Zahnkeime erscheinen nicht alle gleichzeitig. Zuerst 
entwickeln sich die Papillen der Schneidezähne, dann die der 
übrigen. Meckel gibt folgende Reihenfolge an: mittlerer, unterer 
Schneidezahn, derselbe oben, seitlicher Schneidezahn; in derselben 
Reihenfolge erster Milchmolar, Eckzahn, zweiter Milchmahlzahn. 

Im 7. Embryonalmonat sind alle Milchzähne in Ossifikation 
begriffen und es gilt im allgemeinen der Ausspruch, dass der 
Zahnkeim, der zuerst auftriit, auch vor den anderen verknöchert 
und durchbricht. Die vorderen Zähne brechen aus diesem Grunde 
früher durch als die hinteren, ferner die unteren vor den oberen 
und die Wechselzähne vor den bleibenden. 

Die Säckchen der bleibenden Zähne beginnen gegen den 
5. Fötalmonat aufzutreten. 

Zuerst erscheint das Säckchen des ersten bleibenden 
Molaris, hierauf im 8. Monat die Säckchen der Schneidezähne 
und der Eckzähne, am Ende des 2. Lebensjahres die Säckchen 
der vorderen Backenzähne, einige Monate später die der 
zweiten Mahlzähne, bald darauf die der hinteren Backenzähne 
und endlich im 5. Jahre die Säckchen der Weisheitszähne. 

Die Ossifikation der Zahnkeime des bleibenden Gebisses 
setzt vor der Geburt mit der Verknöcherung des ersten Mahl¬ 
zahnes ein und geht im 1., 2. und 3. Jahr auf die Schneide-, 
Eck- und Backenzähne über. Die Ossifikation des zweiten und 
dritten Mahlzahnes beginnt erst im 3., respektive im 8. bis 
9. Lebensjahre. 

Der Durchbruch der Zähne erfolgt nicht immer zur selben 
Zeit und es kommen viele Abweichungen vor. 

Nach J. Tom es und R. Baume ist die Reihenfolge 
für den Durchbruch der Milchzähne folgendermassen: 
die zentralen Milchschneidezähne . . 6. bis 8. Lebensmonat, 

seitliche Schneidezähne . . ... 8. Ä 12. „ 

vordere Milchmolaren . . . . . V 12. J 16. a 

Milcheckzähne . ..... . . 15. ^ 20. „ 

hintere ; Milchmolareh V . , . . . 20. „ 30. „ 


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Die Rachitis und ihr Einfluss aut das Milchgebiss. 


58 ! 


Wenn wir die Ober- und Unterkiefer eines Neugeborenen 
oder die eines Kindes bis zum 6. oder 7. Lebensmonat betrachten, 
so finden wir statt der Zähne am Kiefer eine einige Millimeter hohe 
Schleimhautwulst, welche mit breiter Basis am Alveolarfortsatz 
aufsitzt, stellenweise gerifft ist und sich ziemlich hart anfühlt. 

Nach vorsichtiger Abpräparation derselben und Eröffnung 
der Alveole» sehen wir die Milchzähne, respektive die Zahn¬ 
säckchen in ihren Alveolen liegen. 

Im ganzen sind in jedem Kiefer fünf Zahnfächer vor¬ 
handen, deren Scheidewände bis an den freien Alveolarrand 
heranreichen. In jedem Fache liegt das betreffende Zahn¬ 
säckchen, nur in der Alveole des zweiten Milchmahlzahnes sehen 
wir ausserdem noch das Säckchen des ersten bleibenden Molaris. 

Die Zähne, respektive deren Säckchen nehmen keineswegs 
jene Stellung ein, welche die Milchzähne nach erfolgtem Durch¬ 
bruch behaupten, sondern bei den Frontzähnen kann man, 
wie das an den Präparaten aus den verschiedenen Lebens¬ 
monaten verfolgt werden kann, eine eigentümliche Drehung 
speziell der Incisiven um ihre Längsachse beobachten. 

Bezüglich der Drehung der Schneidezähne besteht ein 
grosser Unterschied zwischen jenen des Ober- und jenen des 
Unterkiefers. Während nämlich der untere Zentralschneidezahn 
sich um gut 45° drehen muss, um zu seiner endgiltigen Durch¬ 
bruchsstellung zu gelangen, verharrt der obere Zentralschneide¬ 
zahn fast genau in seiner Richtung, das heisst bis zu seinem 
vollendeten Durchbruch macht er fast keine Drehung durch. 

Die Präparate veranschaulichen diesen Vorgang. 

Im ganzen standen mir zwölf Schädel von Kindern, welche 
teils anDebilitas vitae, Pneumonie oder Enteritis, also an keiner 
Knochenerkrankung verschieden waren, zur Verfügung. 

Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Professors 
M. Holl, Vorstandes des k. k. anatomischen Universitäts- 
Institutes, dem ich hiemit meinen Dank erstatte, war ich in der 
Lage, die reichhaltige Sammlung von Kinderschädeln im ob¬ 
genannten Institute durchsehen zu können, und was mir für 
mein Studium an frischen 'Präparaten mangelte, konnte ich 
durch mazerierte Schädel aus dieser Sammlung ersetzen. 


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539 


Dr. Eduard Urbantschitsch, Oraz. 


Ich lasse hier nur kurz die Beschreibung der einzelnen 
Präparate folgen, von welchen ich sechs zur Abbildung bringe. 

I. 

Kiefer eines neugeborenen Mädchens (Oebilitas vitae). 

Körperlänge 42 Cm. 
a) Unterkiefer (Fig. 1). 

Die Schneidezähne sind zur Sagittallinie m einem Winkel 
von 45® gestellt, und zwar ist die Krone des Zentralschneide¬ 
zahnes in seiner Alveole quer gestellt, so dass sie von der 
linguo-mesialen zur disto-labialen Ecke reicht. Die Stellung des 
seitlichen Schneidezahnes bildet einen Gegensatz zu der des 



zentralen, indem die Krone nicht parallel mit der des zentralen 
Schneidezahnes steht, sondern mit ihr direkt einen rechten 
lingualwärts offenen Winkel bildet. Incisivus centralis und 
lateralis sind an den Kronen verkalkt. Am Eckzahn ist nur 
der Spitzenteil verknöchert. Am ersten Molaris ist beinahe die 
ganze Krone, am zweiten Molaris hingegen sind bloss die 
Kauflächen verkalkt. Beim bleibenden Molaris ist die Kau¬ 
fläche des Keimes mit einzelnen Scherbchen besetzt. 

b) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 2). 

Der grosse Schneidezahn steht fast frontal, während der 
kleine zirka 80° um seine Längsachse so gedreht ist, dass 


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Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 


583 


seine labiale Fläche lateralwärts gewendet ist. Beide Zähne 
schliessen einen stumpfen Winkel ein. Ihre Kronen sind total, 
die des Eckzahnes und des ersten Milchmolaren an den Spitzen 
beinahe ganz verkalkt. Der zweite Milchmolar zeigt an den 
Kauhöckern teilweise Verkalkung. 


P' itÄYi? 

hbti 


ii. 

Kiefer eines 16 Tage alten Knaben (Enteritis). 

Körperlänge 49 Cm. 
o) Unterkiefer (Fig. 3). 

Beide Schneidezähne sind mehr nach auswärts gedreht, 
so dass ihre Kronen zueinander nicht mehr einen rechten, 
sondern einen stumpfen Winkel einschliessen. Sonst ist sowohl 
in der Stellung als auch Verknöcherung der einzelnen Zähne 
ma ]r r ngir/\pis«»h kein Unterschied, von I. a) be m e rkb ar. 

6) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 4). 

Der grosse Schneidezahn hat seine Stellung beibehalten. 

Eine gewaltige Aenderung hat die Stellung des kleinen 
Schneidezahnes erfahren, denn derselbe hat sich um seine 
Längsachse so stark gedreht, dass er fast parallel mit dem 
grossen Schneidezahn steht. 


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«34 


Dr, Eduard Urbantschitsch, Graz. 



111 . 

Kiefer eines 26 Tage alten Knaben (Pneumonie). 

Körperlänge 51 Gm. 

Im Ober- und Unterkiefer ist in der Stellung der Zähne 
Jeein nennenswerter Unterschied gegenüber Präparat If. 


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Die Rachitis und ihr Emflosa auf das Milchgebiss. 


585 




IV. 

Kiefer eines 37* Monate alten Mädchens (Debilitas vitae). 

Körperlänge 51 Gm. 

ä) Unterkiefer (Fig. 5). 

Der mittlere Schneidezahn fast frontal gestellt. Der seit¬ 
liche Schneidezahn noch etwas nach aussen gedreht. 


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536 


Dr. Eduard Urb&ntechitscb, Graz. 


b) Oberkiefer (Fig. 6). 

Der kleine Schneidezahn erscheint mehr labial vorgerückt. 

An der Stellung des grossen Schneidezahnes keine 
Aenderung. 

V. 

Kiefer eines 4 Monate alten Knaben (Bronehitis). 

Die Drehung des seitlichen Schneidezahnes im Unterkiefer 
ist etwas stärker ausgeprägt als im vorigen Präparate ; sonst 
weder im Ober- noch im Unterkiefer in der Stellung der 
Zähne eine bemerkenswerte Differenz gegenüber den früheren 
Präparaten. 

* * 

Leider konnte ich nicht mehr frisches Material, das heisst 
von Kindern in höherem Alter erlangen, doch nach den 
mazerierten Schädeln am anatomischen Universitäts-Institut 
ersah ich genau, dass in den folgenden Lebensmonaten die 
Drehung der Zähne sukzessive fortschreitet, bis sie zu der 
Stellung gelangen, mit der sie durchbrechen. 

Allerdings brechen sie nicht immer in dieser Stellung 
durch, wie man es bei normalen Milchgebissen sieht und kommt 
es öfter auch zu einer — sit venia verbo — extragingivalen 
Drehung, sei es, dass der Zahn (ich spreche hier speziell von 
den Schneidezähnen) nicht ganz normal im Cavum oris ge¬ 
stellt ist, sich später dann normal stellt oder der Zahn ist 
normal gestellt und wird dann später erst abnormal durch 
irgendwelche abnormalen, höchst wahrscheinlich mechanischen 
Kräfte gestellt. Ich erinnere da nur zum Beispiel an das 
sogenannte „Daumenlutschen* der Kinder, und sowohl der 
Pädiater als auch der Odontologe wird den deletären Einfluss 
dieser Gewohnheit auf die Normalstellung der Zähne oft und 
oft zu beobachten Gelegenheit gehabt haben. 

Doch nicht nur Kräfte, welche gleichennassen von aussen 
wirken, haben Einfluss auf die Stellung der Zähne, sondern 
wir kennen auch manche Krankheiten, die sowohl auf die 
Stellung als auch auf die ganze Entwicklung und Ausgestaltung 
der Zähne, respektive der Kiefer einwirken. 


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Die Rachitis tmd ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 


537 


In erster Linie nun steht unstreitig die Rachitis. 

Im Jahre 1650 hat Glisson eine umfassende 11 onographie 
dieser seiner Ansicht nach erst im Anfänge des XVII. Jahr¬ 
hunderts in England aufgetretenen Krankheit verfasst und von 
ihm ist auch der Name Rachitis (von pö.% t>c = Wirbelsäule) 
eingefuhrt worden. Die eigentliche Entstehungsursache dieser 
Krankheit ist aber, trotzdem die klinischen und anatomischen 
Eigentümlichkeiten der Krankheit seit jener Zeit ausserordentlich 
häufig und genau untersucht sind, bis jetzt noch so viel wie 
unbekannt. 

Man weiss nur, dass alle ungünstigen äusseren Verhält¬ 
nisse, welche auf die Ernährung und das Gedeihen der Kinder 
schädlich einwirken, auch die Entwicklung der Rachitis be¬ 
günstigen können. 

Pathologisch-anatomisch besteht die Rachitis in einer eigen¬ 
artigen Störung der Vorgänge beim Knochenwachstum. Infolge 
einer gesteigerten Einschmelzung des bereits gebildeten Knochen¬ 
gewebes und vor allem infolge einer ungenügenden oder fast 
ganz mangelhaften Ablagerung der Kalksalze im neu an¬ 
zubildenden Knochen an den Wachstumsgrenzen werden, respek¬ 
tive bleiben iin floriden Verlaufe der Rachitis die Knochen 
dann biegsam und weich, so dass man sie mit dem Messer 
leicht schneiden kann. 

Das Knochenmark ist stark hyperämisch und .gerötet, 
ebenso das Periost. 

Die innerste Osteoblastenschichte des Periostes ist auch 
verdickt. Das neugebildete Gewebe verkalkt aber nicht oder 
nur unvollständig, es bleibt zum grossen Teil weich und 
schwammig (osteoide Gewebe). Endlich findet auch im Innern 
der Knochen eine gesteigerte Knochenresorption statt. Die 
Knochenblättchen schwinden und die Knochenrindenschichte 
wird oft bedeutend verschmälert. 

Aus allen diesen Verhältnissen erklären sich unmittelbar 
die grossen Formveränderungen, welche die rachitischen 
Knochen darbieten. 

Die krankhaften Vorgänge an den Wachstumsgrenzen be¬ 
dingen die starken Auftreibungen an den Epiphysen der Röhren- 

4 


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638 


Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz. 


knochen und die Verdickung der platten Schädelknochen. 
Die abnorme Weichheit der Knochen ist eine Folge der ge¬ 
steigerten Knocheneinschmelzung und ungenügenden Verkalkung 
des neu zu bildenden Knochens. 

Die pathologische Veränderung am Thorax und an den 
Röhrenknochen hat für unser Spezialfach selbstverständlich 
weniger Interesse, wie die durch Rachitis hervorgerufenen 
Veränderungen am Schädel und speziell an den Kiefer¬ 
knochen. 

Die hauptsächlichste Veränderung an den Kieferknochen 
besteht nach Wedl, Schmid und anderen darin, dass der 
Unterkiefer gegenüber dem normalen verkürzt und in seinen 
beiden seitlichen Aesten mehr minder erheblich verdickt ist, 
wodurch auch der vom Kiefer umschriebene Bogen eine ver¬ 
änderte Form erhält. 

Am Oberkiefer führt der Prozess gerade umgekehrt zu 
einer Verlängerung der medialen Achse und in den exzessiven 
Fällen zu einer dem Hinterrand des Os incessivum ent¬ 
sprechenden Einsattlung. Nebst dem weisen die Knochen- 
lamellen, welche die Alveolarräume umgrenzen, mehr minder 
erhebliche Verdickungen auf. 

Die an der Klinik Gussenbauer von Schmid an- 
gestellten Studien ergaben folgendes: 

„Aftr allem fällt auf, dass der infolge von Rachitis deformierte Unter¬ 
kiefer seine normale parabolische Gestalt verloren und eine polygonale an¬ 
genommen hat, welche ungefähr der Hälfte eines nicht ganz regelmässigen 
Hexagons entspricht. 

Diese Form Veränderung kommt durch die Abflachung der Krümmung 
des Kiefermittelstückes zustande. 

Hand in Hand geht die Verkleinerung der medialen Achse und der 
transversalen Entfernung aller korrespondierenden Punkte der Unterkiefer¬ 
seitenteile. 

Letzteres ist die Folge der bedeutenden Einwärtsneigung der die 
Backen- und Mahlzähne tragenden Alveolarfortsätze. 

Diese führt zu einer messbaren Annäherung der Seitenäste des Unter¬ 
kiefers, die in einem unserer Fälle so bedeutend ist, dass die Distanz 
zwischen der Spitze des vorderen äusseren Hügels des ersten Mahlzahnes 
rechts und am gleichen Punkte links anstatt 4*5 Cm. Mittel nur 3*6 Cm. beträgt. 

Betrachten wir nnn die Flächen und Ränder an den aufsteigenden 
Aesten eines verwachsenen rachitischen Unteikiefers, so fällt uns eine gewisse 


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Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 


639 


Massenzunabme der letzteren und eine stärkere Unebenheit der ersteren auf. 
Dies rtihit davon her, dass die den Muskelinsertionen entsprechenden Rauhig¬ 
keiten der äusseren und inneren Fläche des Unterkiefers weit stärker ent¬ 
wickelt sind als normal. 

Vorzüglich ist es die Spina mentalis interna, die Linea obliqua interna 
und die äussere Fläche des aufs teigenden Astes, die diese Verdickung und 
Auflagerung zeigt. 

Diese Verdickung bleibt aber in hochgradigen Fällen keineswegs auf 
diese Teile beschränkt, sie geht auch auf den unteren Rand des Unter¬ 
kiefers und auf dessen Gelenkfortsatz über. Letzterer erscheint auffallend 
gedrungea, kurz und plump. 

Dass diese Formveränderung des Kiefers von Einfluss auf die Zahn¬ 
stellung sein wird, ist schon von vorneherein einleuchtend, weil sie in be¬ 
sonders starkem Masse den Alveolarteil betrifft, der den zur Aufnahme der 
Zähne nötigen Teil darbieten soll. 

Indem die rachitische Erkrankung des Unterkiefers gerade zu einer 
Verkleinerung des Alveolarteiles führt, finden die nach wachsenden Zähne 
wegen der Raumbeschränkung so wenig Platz und es muss sich deshalb 
notwendig eine abnorme Zahnstellung herausbilden. 

Diese äussert sich gleich an den Schneidezähnen. In dem rachitischen 
Kiefer müssen die vier Schneidezähne Platz finden entlaug einer Linie, welche 
nnr die Sehne des normalen Bogens ist Um auf diesem Raum Platz zu 
finden, schieben sich die Schneidezähne mit ihren Seitenflächen vielfach vor- 
oder hintereinander und es entstehen dadurch Abnormitäten der Zahnstellung 
mannigfacher Alt, ja sie bilden oft einen nach vorne konkaven Bogen.“ 

Sch eff schreibt im „Handbuch der Zahnheilkunde“ über 
Rachitis folgendes: 

„Dass diese allgemeine Krankheit des wachsenden Skelettes auch Ein¬ 
fluss auf die Zähne übt, war bereits den alten medizinischen Schriftstellern 
bekannt Wir finden schon bei Ritter, Bohn, Woronichin und vielen 
anderen angegeben, dass sie den Zahnprozess verzögert und die Schmelz¬ 
bildung beeinträchtigt. Einige sind sogar der Ansicht, dass durch sie das 
Ausbleiben einzelner Zabngruppen veranlasst werde. 

Die Rachitis stellt bekanntlich eine Krankheit dar, die durch un¬ 
genügende und unzweckmässige Nahrung bedingt ist 

Nach Fleischmann handelt es sich bei ihr nicht um eineDyskrasie, 
sondern um eine Dystrophie. 

Es kommt nicht selten vor, dass gesunde Mütter rachitische Kinder zur 
Welt bringen, ja dass von Zwillingen der eine gesund, der andere rachitisch 
geboren wird. Die Ansichten über die besonderen Vorgänge dabei sind noch 
nicht vollständig geklärt; eines ist jedoch sicher, dass nicht das elterliche Blut 
beschuldigt werden kann, sondern zweifelsohne eine fehlerhafte Ernährung. 

Das Kind kann entweder vollkommen rachitisch zur Welt kommen 
oder kann nach der Geburt die rachitische Disposition zeigen. In dem einen 

4 * 


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540 


Dr. Eduard Urbautschitsch, Graz. 


Falle können wir von einer fötalen, in dem anderen von einer kongenitalen 
Rachitis sprechen. 

Diese beiden Formen werden an Häufigkeit von der sogenannten er¬ 
worbenen Rachitis übertroffen. 

Da, wie oben erwähnt, Ernährungsstörungen die Hauptsache zur Ent¬ 
wicklung der Rachitis beitragen, so wird dieselbe in verschiedenen Zeiträumen 
auch verschiedene Abarten zeigen und entweder schon auf die ersten Zähne oder 
auf die späteren Ersatzzähne hinsichtlich ihres Aufbaues und namentlich anf 
die Beschaffenheit des Schmelzes von nicht zu unterschätzendem Einflüsse sein." 

Die Rachitis übt also ihren Einfluss sowohl 

1. auf die Kiefer, als auch 

2. auf die Zähne aus. 

Ad 1: Der Oberkiefer ist in der Richtung von hinten 
nach vorne verlängert; der Unterkiefer verkürzt. 

Ad 2: Verspätetes Erscheinen der Zähne, Stellungs¬ 
anomalien, Schmelzdefekte. 

Meine Messungen an rachitischen Schädeln im patho¬ 
logisch - anatomischen Universitäts - Institute und Kontroll- 
messungen an normalen Schädeln im anatomischen Universitäts- 
Institute bestätigen vollkommen die Richtigkeit der oben an¬ 
geführten Punkte. 

Die Messungen des Oberkiefers bieten nicht beträchtliche 
Schwierigkeiten, denn das Palatum durum grenzt sich in den 
meisten Fällen ziemlich scharf von den Alveolarfortsätzen ab. 

Beim Unterkiefer bediente ich mich der Wed Ischen Me¬ 
thode, auf die ich später noch zurückkommen werde. Anfangs 
wollte ich das BonwilIsche Messungsergebnis zur Grundlage 
meiner Messungen machen, respektive modifiziert benützen, doch 
konnte ich dieses auf Kinderschädel nicht in Anwendung bringen. 

Dr. W. G. Bon will (Philadelphia) hat nämlich nach¬ 
gewiesen, dass die gegenseitige Entfernung der beiden Mittel¬ 
punkte der Gelenksköpfe des Unterkiefers in jedem einzelnen 
Falle gleich ist der Entfernung der Gelenksköpfe von diesem 
selben Mittelpunkte bis zur Mittellinie da, wo die Schneide¬ 
kanten der beiden unteren und mittleren Schneidezähne ein¬ 
ander berühren, und ebenso ist die Distanz der beiden Mittel¬ 
punkte der Gelenkspfannen an der Schädelbasis gleich der 
Distanz von diesem Gelenkspfannenmittelpunkte bis nach der 


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Die Rachitis und ibr Einfluss auf das Milchgebiss. 541 

Mittellinie da, wo die Schneidekanten der beiden oberen 
mittleren Schneidezäbne einander berühren; also kurz gesagt: 
Der Kiefergelenksmittelpunkt und der Berührungspunkt der 
Schneidekanten der mittleren Schneidezähne bildet normaler¬ 
weise ein gleichseitiges Dreieck. 

Der schweizerische Zahnarzt Alfred Gysi hat äusserst 
geistreich durch einen sehr komplizierten Beweis mit Zuhilfe¬ 
nahme der Regel vom goldenen Schnitt die Richtigkeit dieser 
Tatsache durch die geometrische Konstruktion eines normal 
bleibenden Gebisses des Oberkiefers bewiesen. Auf Kiefer in 
der Periode des Wachstums lässt sich dieser selbstverständlich 
nicht an wenden. 

Ich habe zirka 40 rachitische und 50 normale Schädel 
von Kindern bis gegen zwei Jahre gemessen und es sei mir 
gestattet, die gefundenen Durchschnittszahlen bekannt zu geben. 

Oberkiefer. 


u 

A 1 t 

Normale 

’S 

"0 

s 

3 

Rachitische Schädel ( 

i 

s 

e r sagittaler 

frontaler 

sagittaler 

frontaler 

0 


Durchmesser in Cm. 

Durchmesser in Cm. 

1 

37, Monate 2-5 

2*5 

2*5 

25 

2 

5 

• 2-5 

25 

2-7 

26 

3 

6 

» 2-5 

2-7 

28-3*2 

2*4-27 

4 

;7 

n 28 

3 

2*8 

27 

5 

8 

„ 26-28 

27-3 

26-3 

26-2-8 

6 

9 

„ 2-9 

3 

2-8 

26 

7 

10 

n 29 

3 

26 

25 

8 

11 

n 

— 

2*6 

25 

9 

12 

„ 2-8 

3 

2 2. 2 5, 3 

1-8, 2-3 2 7 

10 

13 

n 

— 

2*7, 2*8 

1*2, 2-5 

11 

14 

v 

— 

2*7 

2-2 

12 

15 

» 3-1 

3*2 

23 

2*3 

13 

18 

. 

3*1 

2*8 

2 

14 

19 

. 

— 

2-4 

2 

15 

20 

» ' 1! S'2 

3 

25 

2-2 


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642 


Dr. Eduard Urbautschitsch, Gras. 


Diese Messungen ergeben durchwegs ein Ueberwiegen des 
frontalen Durchmessers über den sagittalen bei normalen, um¬ 
gekehrt ein Ueberwiegen des sagittalen über den frontalen bei 
rachitischen Kinderschadein. 

Mithin ist ein neuer Beweis für die Richtigkeit des Satzes: 
„Der Oberkiefer ist in der Richtung von hinten nach vorne ver¬ 
längert“, erbracht. 

Für die Unterkiefer benützte ich die Messungsmethode 
Wedls, welcher eine Reihe von Messungen an 45 Kinder¬ 
schädeln in betreff des Längewachstums des Unterkiefers zum 
Teile auch in der Absicht angestellt hat, die individuellen Ver¬ 
schiebungen kennen zu lernen und hat er sich hiebei eines 
dünnen, genau anzulegenden, befeuchteten Papierstreifens be¬ 
dient und damit die periphere Begrenzung gemessen. 

Wedl schreibt: ..Messungen mittels eines Zirkels geben, 
an einem gekrümmten Gegenstände vorgenommen, selbst¬ 
verständlich den Sektor an und es kann letzterer bei variablen 
Krümmungen derselbe bleiben. Als fixer Punkt für Messungen 
am vorderen Abschnitt des Unterkiefers wird das Foramen 
mentale angenommen, wobei jedoch erinnert werden muss, 
dass die Stelle dieses Loches keine konstante ist. Der Vorder¬ 
rand des Loches fällt am Unterkiefer von Erwachsenen bald 
zwischen die beiden Backenzähne, bald gerade unter den 
ersten, bald unter den zweiten Backenzahn, ja selbst in eine 
Ebene mit der hinteren Kronenfläche des zweiten Backen¬ 
zahnes. ' 

Diese bei einer kleinen Reihe von Unterkiefern vor¬ 
kommenden Variationen geben schon eine Fehlerquelle von 
3 bis 4 Mm. 

Wir wollen von dieser absehen und die periphere Ent¬ 
fernung von der Vereinigungsstelle der beiden Unterkieferhälften, 
welche leicht mit Bleistift zu markieren ist, bis zum Vorder¬ 
rande des Foramen mentale im Auge behalten. 

Beim 5 monatlichen Embryo ergibt sich eine Distanz von 
10 Mm., beim neugeborenen Kinde eine solche von 12 bis 13 Mm n 
bei 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 10 monatlichen Kindern solche von 


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Die Rachitis and ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 543 

15 bis 18 Mm., bei 1, 2, 3, 4, 5 und 6 jährigen Kindern 
bleiben sich die Distanzen ziemlich gleich: 18 bis 19 Mm. Bei 
7, 8, 9, 10, 11 und 12jährigen Kindern schwankt sie zwischen 
22 und 24 Mm., bei vergleichenden Messungen von Unter¬ 
kiefern Erwachsener zwischen 23, 25 bis 29 Mm. 

• 

Sehen wir von extremen Fällen ab, so treffen wir aller¬ 
dings das bedeutendste Wachstum dieser Unterkieferpartie in 
den ersten Lebensmonaten und einen Stillstand nach dem 
Durchbruche der Milchzähne, hingegen während des Zahn¬ 
wechsels eine Zunahme, welche gering gerechnet 3 Mm. 
beträgt. 

Um dem Vorwurf zu begegnen, als wäre keine Rücksicht 
auf die Dicke der Facialwand genommen worden, wurden auch 
einzelne Messungen nach Wegnahme der Facialwand angestellt; 
es zeigten sich jedoch, wie vorauszusehen war, keine erheb¬ 
lichen Differenzen “ 

Meine Messungen an normalen Schädeln ergaben, mit 
denen Wedls verglichen, ein fast genau übereinstimmendes 
Resultat. 

Bei den rachitischen Schädeln waren die Masse dieser 
betreffenden Kieferpartie, nämlich der peripheren Entfernung 
der mittleren Verbindungslinie beider Unterkieferhälften zum 
vorderen Rande des Foramen mentale, vollständig schwankend 
und ergaben höchst divergierende Resultate. 

So betrug diese Distanz: 

1*5 Cm. bei einem 7 und einem 12 Monate alten Kinde; 

1*6 „ bei einem 3'/t und einem 9 Monate alten Kinde; 

1*7 „ bei einem 6 und zwei 12 Monate alten Kindern; 

1*8 „ bei einem 5 und drei 12, einem 14 und einem 18 Mo¬ 
nate alten Kinde; 

1*9 „ bei einem 8 Monate alten Kinde; 

2 „ bei einem 6, 8, 10, 15 und 30 Monate alten Kinde; 

21 „ bei einem 13 Monate alten Kinde; 

2*2 „ bei einem 13 Monate alten Kinde. 


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544 


Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz. 


Ferner betrug diese Distanz bei dem Schädel eines 
13 Monate alten Kindes sogar nur 1-3 Cm. Man sieht daraus, 
dass das Ausmass dieser Kieferpaitie bei Rachitis ausser¬ 
ordentlich variabel ist, worüber man sich nicht wundern kann, 
wenn man sich vor Augen hält, dass, um bindende Schlüsse 
aus vorliegenden Messungen zu ziehen, bekannt sein müsste, 
wann die Rachitis aufgetreten ist und den vorhandenen 
rachitischen Veränderungen abzulesen wäre, in welchem Stadium 
der Rachitis sich die betreffenden Kinder befanden, denen die 
untersuchten Schädel entstammten. 

Ferner wurden Messungen nach Wedl auf gleiche Weise ».mittels 
eines Papierstreifens an der Facialseite des Unterkiefers seiner ganzen Länge 
nach vorgenommen, und zwar von der markierten Vereinigungsstelle seiner 
Hälften bis an den am meisten promenierenden Teil des Gelenkköpfchens, 
was so lange angeht, als letzteres noch nicht erheblich über das Niveau 
des Alveolarrandes emporragt. 

Diese periphere Begrenzung einer Unterkieferhälfte beträgt bei einem 
5 monatlichen Embryo 40 Mm., bei einem 7 monatlichen 43 Mm., bei Neu¬ 
geborenen 45 bis 52 Mm.; sie steigt bis zum 4. Monat auf 62 Mm., bis zum 
1. Jahr auf 65 Mm., bis Ende des 2. Lebensjahres nach Durchbruch der ersten 
Mahlzähne auf 77 Mm., im 4., 5. und 6. Lebensjahre mit vollständigem Milch¬ 
gebisse auf 78 bis 85 Mm.; bei einem 7jährigen Kinde mit durchgebrocheneu 
ersten Mahlzähnen auf 100 Mm. Ueber dieses Alter lassen sich solche Messungen 
nicht mehr vornehmen. 

Nach Abzug der Vordermasse von der Mittellinie der beiden Unter- 
kieferbälften bis zum Vorderraude des Foramen mentale erhält man die 
Reihenfolge der Hintermasse vom letztgenannten Rande bis zum vor¬ 
springenden Teile des Gelenkkopfes und es ergibt sich aus dieser Reihe 
eine Steigerung von 30 auf 77 Mm., während wir für die Vordermasse eine 
Steigerung von 10 auf 23 Mm. verzeichnet haben. Die Quotienten verhalten 
sich daher wie 2 59: 2*3. Die Differenz derselben kommt auf Rechnung des 
erheblichen Wachttumes in dem hinteren Abschnitt des Kiefers. 

J. T o m e s hat auch die Tuberkel für die Anheftung der Musculi 
genioglcssi und geniohyoides an der Lingualfläche des Unterkiefers als Aus¬ 
gangspunkt für Messungen benützt. 

Es sind aber beim Fötus und selbst beim Neugeborenen die Tuberkel 
oft so wenig ausgeprägt, bei Kindern und vollends bei Erwachsenen so ver¬ 
schieden von Gestalt, Stärke und Höhe, dass der Wert solcher Messungen 
zweifelhaft erscheint, um so mehr, als es sich hier um kleine Masse 
handelt. “ 


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Die Rachitis und ihr Einfluss anf das Milchgebiss. 545 

Meine gleichgearteten, an normalen Unterkiefern vorge¬ 
nommenen Messungen stimmten mit den Angaben Wedls 
vollständig überein. 

Bei den rachitischen Schädeln der 3 5 und 6 Monate 

alten Kinder zeigten diese Distanzen vom Vorderrande des 
Foramen mentale bis zum vorspringenden Teile des Gelenks¬ 
köpfchens gegenüber denen an den normalen Schädeln in den 
gleichen Lebensmonaten keine merkliche Differenz. Nach dem 
7. Lebensmonate jedoch machte sich ein Zurückbleiben dieses 
Teiles des Unterkiefers gegenüber dem normalen bemerkbar. 
Vom 3. bis zum 7. Monat waren die Masse bei normalen und 
rachitischen Schädeln dieselben, nämlich von 4-3 Cm. bis 
4*7 Cm. Vom 8. bis 20. Monat stiegen bei normalen Schädeln 
diese Distanzen von 5 6 auf 6 3 Cm., bei rachitischen Schädeln 
überstiegen sie jedoch nie 5*6 Cm., und zwar betrug diese 
Distanz: 

4- 7 Cm. bei einem 12 und 14 Monate alten Kinde; 

4*8 „ bei einem 9 Monate alten Kinde; 

p „ bei drei 12 Monate alten Kindern; 

5*1 „ bei einem 8, 12 und 14 Monate alten Kinde; 

5- 2 „ bei einem 18 Monate alten Kinde; 

5*3 „ bei einem 8 und einem 10 Monate alten Kinde; 

5*4 „ bei einem 12 Monate alten Kinde; 

5*5 „ bei einem 13 Monate alten Kinde; 

5'6 „ bei einem 13 Monate alten Kinde. 

Aus diesen Massen ersehen wir ausserdem die Ver¬ 
schiedenheit der Einwirkung der Rachitis auf die Proportion 
des Wachstumes des Unterkiefers. 

Um mich von der Verkürzung, respektive Abflachung des 
Bogens des durch Rachitis veränderten Unterkiefers zu über¬ 
zeugen, mass ich mir den Abstand der Innenseite der Capitula 
und ferner den Abstand von diesen Punkten bis zum Zu¬ 
sammentreten der zwei Spinae mentales, dann konstruierte 
ich mir das Dreieck und die Höhe desselben gab das ge¬ 
wünschte Mass. 


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546 


Dr. Eduard Urbantschitscb, Graz. 


Diese waren wie folgt: 


>4 

© 

a 

a 


Alter 

Unterkiefer 

Durchschnitts¬ 
zahl bei 
Normalen 

& 



Zentimeter 

Zentimeter 

i 

3', 

Monate. 

3*7 

3*7 

2 

5 

n . 

3-7 

3-7 

8 

6 

n . 

3*7—4*2 

4*2 

4 

7 

» . 

41 

4*4 

5 

8 

n . 

4—4*2 

44 

6 

9 

» . 

3*8 

45 

7 

10 

ji . 

j 

42 

3*5, 3*8, 39, 

5 

8 

12 

• . I 

4*1, 4-4, 4-8 

1 5 

9 

13 

n . 

4-4*5 

—• 

10 

14 

» . 

1 

cb 

5*3 

11 

15 

» . 

4 

— 

12 

18 

n . 

3-8 

5*5 

13 

30 

n . 

5 

57 


Diese Endergebnisse bestätigen wohl zur Genüge, dass 
die Abflachung des rachitischen Unterkiefers beträchtlicher ist 
als die des normalen. 

Bis zum 7. Lebensmonate sind die Masse so ziemlich 
gleich, wahrscheinlich weil der Grad der Rachitis ein geringer 
ist oder die Rachitis im Beginne ist. Darüber hinaus, wo man 
annehmen kann, dass die Rachitis länger dauert oder höher- 
gradig ist, macht sich eine gewisse Differenz bemerkbar, welche 
in einem Falle sogar bis zu 17 Mm. steigt. 

Daher kommt es auch, dass bei den normalen Kiefern 
ein gleichmässiges Ansteigen mit zunehmendem Alter beobachtet 
werden kann, während bei dem rachitisch veränderten Unter¬ 
kiefer das Alter keine Rolle spielt, denn wir sehen zum Bei¬ 
spiel die gleichen Masse bei einem 9 und 18, bei einem 8 und 
15 Monate alten Kinde und andere mehr. Wie variabel diese 


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Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 


647 


Zahl ist, zeigen deutlich die Messungen bei den 12 monatlichen 
Kindern. Die Differenz der einzelnen Masse beträgt hier bis zu 
13 Mm. 

Dass die Rachitis ihren Einfluss auch auf den Schmelz der 
Zähne übt, ist eine längst bekannte Tatsache, so dass man bei 
erwachsenen Menschen oft und oft aus den Zähnen erkennen 
kann, dass der betreffende in seiner Jugend die englische 
Krankheit überstanden habe. 

W e d 1 schreibt: 

„Die Form der Schmelzmissbildung ist hiebei sehr charakteristisch. 

Die sonst glatte Oberfläche ist oft wie ein Fingerhat mit zahllosen 
warzigen Grübchen versehen, von denen einzelne bis in das Zahnbein ein- 
dringen, bald ist sie von quer durchlaufenden Forchen mit entsprechenden 
Wulstungen des Schmelzes dnrchzogen. 

Nahe der Schneidekante gelegene Grübchen können zn einer Perforation 
führen, so dass man eine Lücke sehen kann. In solchen Fällen ist die 
Schneidekante sehr brüchig. 

Wenn auch die äusseren Lagen des Schmelzes von zahlreichen Grübchen 
durchsetzt sind, werden die inneren, gegen das Zahnbein gekehrten stets 
glatt angetroffen. Die Verdickungen des Schmelzes betreffen die vorne ab¬ 
geschnürte Schneide der Schneidezähne, an welcher fensterförmige, bis zum 
Zahnbein reichende Oeffnungen im Schmelze sich vorftnden. Solche Zähne 
haben ein quer gerilltes Ansehen. Der siebförmiv: durchlöcherte Schmelz an 
den Kronen der mehrwurzeligen Zähne beschränkt sich gewöhnlich auf die 
Kaufläche. Eben daselbst sitze** auch die war zenförmigen Schmelzauflagerungen. 
In nicht seltenen Fällen entbehrt die Hälfte der Krone des Schmelzes ganz 
und nur die dem Zahnhalse zunächst gelegene Partie der Krone ist emailliert. M 

Schon Bourdet (de l'art du dentiste) macht diese 
„Erosionen*, wie er sie nennt, von „Rachitis, Skorbut, bös¬ 
artigem Fieber, Rötel, Blattern und jenen Krankheiten, wo die 
Qualität der Säfte fehlerhaft ist“, abhängig. 

Diese Art der Schmelzdefekte wurde mit den ver¬ 
schiedensten Namen belegt: Erosion, Atrophie des Schmelzes, 
Honeycombed Teeth, Welliger Schmelz, Hutchinson-Zahn 
(speziell für durch „Syphilis“ veränderte Zähne), Geriflfte Zähne 
und andere mehr. 

Alle diese Ausdrücke sind mehr oder weniger unzweck¬ 
mässig. 


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548 


Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz. 


Den einzigen richtigen Ausdruck für diese Schmelzdefekte 
hat Zsigmondy gebracht, den ich aus „Transactions of the 
Worlds“, Columbian Dental Congress, Chicago 1894, entnahm. 

Am Ende seines Vortrages sagte er: „Zum Schlüsse kann 
ich nicht umhin, noch einige Worte über die Bezeichnungen 
einzuschalten, welche dem besprochenen Schmelzdefekte bei¬ 
gelegt wurden. Benennungen, welche für eine grosse Anzahl 
derselben passen würden, wie ,Welliger Schmelz 4 , ,Geriflfte 
Zähne 4 und ähnliche, sind nicht in allen Fällen zutreffend. 
Dass der Name ,Atrophie 4 nicht korrekt ist, wurde schon oft 
hervorgehoben. Dieser würde eine Rückbildung normal an¬ 
gelegter und gut ausgebildeter Teile bedeuten, aber nicht eine 
ursprünglich mangelhafte Bildung, um die es sich hier handelt. 
Ebenso verwerflich ist der Name ,Erosion 4 , welcher sich einer 
so grossen Beliebtheit in der Literatur erfreut und dessen sich 
nach dem Vorgang der Franzosen die Majorität der neuen 
Autoren bedient. 

Erosion würde ,Ausnagung 4 bedeuten. Von einer solchen 
kann natürlich nicht die Rede sein 

Der Ausdruck ,Erosion 4 für die mangelhafte Bildung des 
Schmelzes ist ebensowenig am Platze, als wir korrekterweise 
die keilförmigen Usuren an den Zahnhälsen, welche durch den 
Gebrauch zu scharfen Zahnpulvers etc. entstehen, mit demselben 
Namen belegt finden. 

Ich möchte mir erlauben, in dieser Beziehung einen Vor¬ 
schlag zu machen: Die pathologische Anatomie bezeichnet den 
Zustand, wenn einzelne Organe oder Organleile aus äusserer 
oder innerer Ursache mangelhaft gebildet und infolgedessen 
klein und kümmerlich sind, als eine Hypoplasie. 

Wir werden demnach hier, wo diese Verhältnisse zutreffen, 
von einer Hypoplasie des Schmelzes zu reden haben.“ 

Durch diesen Namen „Hypoplasie“, den Zsigmondy 
in unsere Disziplin eingelührt hat, wurden unbedingt auf das 
beste derartige Schmelzdefekte bezeichnet. 

Hauptsächlich bei den Schneide- und Eckzähnen, wie 
auch im ersten bleibenden Molar zeigt sich infolge schlechter 
Entwicklung der Schmelzkappe eine Art verstümmelter Kontur 


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Die Racbitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 


649 


und unebener Oberfläche als Einfluss gewisser überstandener 
Krankheiten. 

Nach Busch sind 2 Prozent sämtlicher Menschen mit 
derartigen Schmelzdefekten behaftet 

Wenn wir einen derartigen Zahn betrachten, so fällt uns 
vor allem die ungleichförmige Teilung des Schmelzes an der 
Oberfläche der Krone auf. Entsprechend den Grübchen und 
Furchen an der Krone ist das Zahnbein entweder gar nicht 
oder nur mit einer dünnen Schmelzlage bedeckt. Im Gegen* 
satze dazu finden an den Spitzen der Zähne manche starke 
Schmelzablagerungen statt in Gestalt abgeschnürter Tropfen. 

Nun handelt es sich um die Frage: „Kommt diese durch 
Rachitis bedingte Hypoplasie des Schmelzes auch bei Milch¬ 
zähnen vor oder nicht?“ 

W e.d 1 drückt sich sehr vorsichtig aus, indem er in seinem 
Kapitel über Hypoplasie des Schmelzes schreibt: „Hauptsäch¬ 
lich sind die bleibenden, selten die Milchzähne ergriffen.“ 

Von den Krankheiten, welche diese Hypoplasie bei Milch¬ 
zähnen bewirken, kennt er nur die Syphilis, und sagt: 

„Auf die syphilitischen Zähne hat zuerst Hutchinson 
aufmerksam gemacht. Jedoch glaubte dieser Autor nur das 
bleibende Gebiss von der Syphilis ergriffen. 

P'arrot lieferte jedoch den Beweis, dass die Milchzähne 
ebenso, jedoch seltener wie die zweiten Zähne, von der 
Syphilis ergriffen werden können oder, besser gesagt, die 
Zeichen der hereditären Syphilis aufweisen. 

Auf einen Fall, in welchem die Zähne der ersten Zahnungs¬ 
periode ergriffen sind, kommen nach Fournier fünfzehn, in 
denen die Zähne der zweiten Zahnungsperiode betroffen sind, 
aber er meint, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass dieses 
Verhältnis wesentlich modifiziert werden würde, wenn man 
bei allen Autopsien von Kindern aus den frühesten Lebens¬ 
perioden die Alveolen öffnen würde, um die Zahnkeime zu 
untersuchen. 

Parrot hat, indem er in dieser Weise vorging, sehr 
häufig Läsionen der Milchzähne entdeckt.“ 


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550 


Dr. Eduard Urbantscbitsch, Graz. 


Die Syphilis ist demnach also die einzige Krankheit, die 
bewiesenermassen imstande ist, Schmelz-Hypoplasien an den 
Milchzähnen zu verursachen. In der ganzen Literatur, soweit 
ich sie wenigstens durcharbeitete, finde ich kein einzigesmal 
erwähnt, dass auch die Rachitis derartige Veränderungen an 
Milchzähnen hervorrufen könne. 

Ich bin jedoch in der Lage, beweisen zu können, dass 
die Rachitis auch imstande ist, Hypoplasie am Schmelz der 
Milchzähne zu erzeugen. 



Allerdings kommt dies nicht zu häufig vor und ist da¬ 
durch zu erklären, dass die Rachitis meistens in einem solchen 
Alter auttritt, wo die Milchzähne bereits im Keime entwickelt 
oder durchgebrochen sind. 

Aus der reichhaltigen Sammlung des pathologisch-ana¬ 
tomischen Institutes konnte ich nur bei vier rachitischen 
Schädeln Hypoplasie des Schmelzes nachweisen. 

Um vollkommen einwandfrei diese meine Wahrnehmung 
zu machen, liess ich zur Reproduktion derselben die Zähne 
nicht abzeichnen, sondern, um jeglichen Vorwurf der Beein- 


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Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 



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Dr. Eduard Urbantscbitscb, Graz. 


ing zu widerlegen, photographieren und wurden sie in 
ächer “Vergrößerung abgebildet. Eine Künstelei ist also 
ier Reproduktion derselben ausgeschlossen. 

Dass es sich tatsächlich um durch Rachitis hervorgerufene 
>plasie handelt, das heisst, dass jene Kinder mit Rachitis 
ftet gestorben sind, beweist der Museumkatalog und sei 
lir gestattet, Wort für Wort aus dem Katalog zu zitieren. 



1. Katalog-Nr. 3397 (Fig. 7). 

Cranium hydrocephalicum rachiticum von 
(i ü Monate alten, an Lungenatelektase verstorbenen 
hen: 

Der Schädel fast von der Grösse eines 3 jährigen Kindes, 
viereckiger Gestalt mit weit offenen Fontanellen, mit weit 
.»breiteten, aber nicht sehr ansehnlichen dicken, rachitischen 
gerungen an den Schädelknochen sowohl als auch an 
Gesichtsknochen. 


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Die Rachitis nnd ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 588 

2. Katalog-Nr. 1166 (Fig. 8 und 9). 

Der Schädel eines 1 Jahr alten, rachitischen, im Kinder- 
spitale verstorbenen Mädchens ist porös, mit Stirnnaht versehen. 
Die Gelenkstöcke des Hinterhauptes bereits knöchern verbunden. 

3. Katalog-Nr. 2448 (Fig. 10). 

Schädel eines 1 jährigen Mädchens. Rachitische Knochen¬ 
wucherungen an der äusseren Schädelfläche. Grosse vordere 
Fontanelle, zwei Schaltknochen in der hinteren Interökzipital- 
fuge aboliert. 



4. Katalog-Nr. 2363 (Fig. 11). 

Schädel eines 2*/ 4 jährigen Mädchens. Rachitische Neu¬ 
bildungen an dem Stirn- und Scheitelbein, dicke Unterkiefer, 
die rechte Warzennaht an einer sehr kleinen Stelle aboliert, 
'intere Schneidezähne noch nicht durchgebrochen. 

Ad 1. Nr. 3397 (Fig. 7). 

Am linken oberen grossen Schneidezahn Hypoplasie des 
Schmelzes am deutlichsten sichtbar, welche in Form einer Auf¬ 
lagerung quer über den Zahn zieht. 

6 


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664 


Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz. 


Ad 2. Nr. 1166 (Fig. 8 und 9). 

Bei Fig. 8 zeigt der Eckzahn, der grosse und kleine 
Schneidezahn in Gestalt zweier, respektive eines Grübchens 
diese rachitischen Veränderungen. Fig. 9 zeigt ] \ einen Schmelz- 
defekt, doch dürfte es sich hier nach meiner Meinung nicht 
um Hypoplasie des Schmelzes, sondern um eine Karies handeln. 

Ad 3. Nr. 2443 (Fig. 10). 

i Beide 8chneidezähne und Eckzähne des Oberkiefers be¬ 
merkenswert. Beide zeigen Grübchen am Schmelz. Was den 
rechten grossen Schneidezahn betrifft, so möchte ich diese Ver¬ 
änderung nicht sofort für rachitisch erklären, da bekannter- 
massen die Rachitis nicht an einem Zahn allein, sondern an 
allen Zähnen, welche gleichzeitig zur Entwicklung gelangen, ihr 
Stigma setzt. Da nun keineswegs der rechte grosse Schneide¬ 
zahn vor oder nach dem linken zur Entwicklung kommt, son¬ 
dern beide Keime gleichzeitig auftreten, so möchte ich die Ver¬ 
änderung des Schmelzes am grossen Schneidezahn rechts nicht 
brevi manu für rachitisch erklären. 

Ad 4. Nr. 2363 (Fig. 11). 

Am Eckzahn des Oberkiefers Schmelzhypoplasie in Gestalt 
von welligen Linien, welche unzweifelhaft durch Rachitis be¬ 
dingt sind. 

* * 

* 

Was nun den verspäteten Durchbruch und die Stellungs¬ 
anomalien der Zähne betrifft, so ist in den diversen Lehrbüchern 
der Zahnheilkunde viel darüber geschrieben worden, doch handelt 
es sich immer nur um bleibende Zähne. 

Von Stellungsanomalien der Milchzähne kann man erst 
dann sprechen, wenn das ganze Milchgebiss oder zum mindesten 
eine grössere Anzahl von Zähnen durchgebrochen ist. 

Aus der Stellung der Zähne subgingival nach Eröffnung 
der Alveolen lässt sich zwar bei rachitischen Kiefern mit Wahr¬ 
scheinlichkeit, aber nicht mit apodiktischer Gewissheit an¬ 
nehmen, dass die Zähne im Munde nach vollendetem Durch- 


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Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 


665 


bruch abnormal gestellt sein werden. Wie speziell diese ab¬ 
normale Stellung beschaffen sein wird, kann man natürlich nie 
Vorhersagen. W edl schreibt über Stellungsanomalien der Milch¬ 
zähne im allgemeinen: 

„Stellengen der Milcbzähne ausser der Reihe kommen äusserst selten 
vor und nur bei solchen Individuen, bei welchen alle Milchzähne sehr gross 
sind, wo daher wegen Mangel an .Raum die Schneidezähne übereinander ver¬ 
schoben erscheinen. 

Die oberen Schneidezähne sind manchmal mit ihren scharfen Rändern 
sehr stark lingualwärts geneigt, die Eckzähne ungemein lang und spitz, 
parallelwärts getrennt. 

Bei hochgradig rachitischen Individuen begegnet man abnormaler 
Stellung der Milchzähne öfters.“ 

Dieser letztere Satz gilt wohl nur bei Kindern über 3, 
respektive 4 Jahren, denn das ist ja die früheste Zeit, in welcher 
sie in unsere Behandlung kommen. 

Ob nun Stellungsanomalien auch bei Kindern in früherer 
Zeit Vorkommen, konnte ich nur aus der Sammlung mazerierter 
Schädel im pathologisch-anatomischen Museum entnehmen. 

Da bekanntermassen der Durchbruch der Zähne, worauf 
ich übrigens später noch zu sprechen komme, bei Rachitis ein 
verzögerter ist, so kann es nicht wundernehmen, dass ich, ab¬ 
gesehen von diversen Schiefstellungen und Drehungen der 
Zähne um ihre Längsachse, nur in einem einzigen Falle bei 
einem 18 Monate alten Kinde einen sogenannten Kreuzbiss 
beobachten konnte. Folgende Zähne waren durchgebrochen : 

IV II I | I II 
II I j I 

Der linke grosse Schneidezahn deckt normal „dachziegel¬ 
förmig“ den linken unteren Zentralschneidezahn. Der rechte 
grosse und kleine Schneidezahn im Oberkiefer berührte mit 
seiner labialen Fläche jedoch die linguale des zentralen, 
respektive des lateralen Incisiven des Unterkiefers. 

Wie das Verhältnis der übrigen Zähne, welche an diesem 
mazerierten Schädel in ihren Alveolen sichtbar waren, sich in 
Zukunft zueinander gestaltet hätte, kann ich selbstverständlich 
nicht angeben. 

5 * 


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556 Dr. Eduard Urban techitseh, Graz. 

Dass der Durchbruch der Milchzähne, wie oben erwähnt, 
durch Rachitis verzögert wird, ist bekannt und kann ich das, 
was vor mir andere sagten, nur bestätigen. 

Aus meinen präparierten und aus den mazerierten Schädeln 
entnahm ich bezüglich des Durchbruches folgendes. 

Zuerst möchte ich aber vorausschicken, dass man sich 
bei mazerierten Schädeln sehr leicht dem Irrtum hingeben 
kann, es sei ein Zahn durchgebrochen, respektive im Durch¬ 
bruche begriffen. 

An meinen Präparaten machte ich die Wahrnehmung, 
dass ein Zahn wohl teilweise aus seiner knöchernen Alveole 
herausragen kann, ohne jedoch durch die Gingiva durchgebrochen 
zu sein. Wenn man nicht gleich a priori dies berücksichtigt, 
könnte man des öfteren bei mazerierten Schädeln die Annahme 
des Durchbruches des betreffenden Zahnes machen, ohne dass 
dies in vivo tatsächlich der Fall gewesen wäre. 

Wie hoch nun in den einzelnen Fällen die Weichgebilde 
vor der Mazerierung gewesen sind, lässt sich nicht sagen. 
Man kann also beim mazerierten Schädel nur von durch¬ 
getretenen, nicht von in Durchbruch begriffenen 
Zähnen sprechen. 

Als typisches Beispiel, wie leicht man sich in dieser Be¬ 
ziehung irren könne, möchte ich den Schädel eines 12 Monate 
alten Knaben (Fig. 10, Nr. 2448) anführen, wo die unteren 
Schneidezähne zu 3 /o respektive >/, und Vs aus der ver¬ 
knöcherten Alveole hervorragten. Eine feine eingetrocknete 
Haut, zweifellos das Periost, bedeckte sämtliche vier Zähne. 
In vivo war sicherlich kein einziger Zahn über der Gingiva 
sichtbar, während es doch den Anschein hat, als ob die zwei 
Zentralschneidezähne fast vollkommen und die lateralen halb 
entwickelt, respektive im Durchtritte begriffen wären. Bekannter¬ 
massen brechen beim normalen Kinde im 6. bis 8. Lebensmonate 
die unteren mittleren Schneidezähne durch, dann folgen die 
seitlichen Eckzähne, dann Molar I, Molar II, so dass gewöhnlich 
mit Ende des zweiten Lebensjahres alle Milchzähne, wenn auch 
nicht ganz durchgebrochen, so doch wenigstens (speziell bei 
Molar II) im Durchtreten begriffen sind. Nach dem 30. Lebens- 


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Die Rachitis und ihr Einlass auf das Milchgebiss. 6S7 

monate, also nach 2'/, Jahren, ist normaliter das Milchgebiss 
komplett. 

Unter den rachitischen Kinderschädeln im pathologisch¬ 
anatomischen Museum waren erst bei einem 8 Monate alten 
Kinde die Kronen der unteren mittleren Schneidezähne zu */„ 
die Kronen der vier oberen Schneidezähne einige Millimeter 
über den Alveolarrand hervorragend. 

Bei einem anderen 8 Monate alten Kinde waren nur 
die zwei unteren Zentralschneidezähne einige Millimeter über 
ihren Alveolarrand erhaben. 

Bei einem 10 Monate alten Kinde war nur der erste 
untere Schneidezahn zu »/» durcbgebrochen. 

Bei einem 11 Monate alten Kinde war dagegen noch 
kein einziger Zahn über der Alveole sichtbar. 

Bei dem 12 Monate alten Kinde war bei drei Schädeln 
noch kein Zahn, 

bei einem Schädel 

II I | I II 
II I | I 

bei zwei Schädeln 

II I | I II 
II I | I II 

und in einem Falle 

1 I 1 

I 

vollständig, respektive teilweise entwickelt. 

Bei dem 13 Monate alten Kinde war in einem Falle 

_II I | I II 

IV II 11 I II 

und im anderen Falle 

I|l 
I I I 

durchgetreten. 

Bei dem 14 und 16 Monate alten Kinde waren 

I I I 

•. ■ I | I" • : i ■ • 

entwickelt. . .< . .... 


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666 


Dr. Eduard Urba&tsehitsch, Gras. 


Bei einem 18 Monate alten Kinde 


IV II I | I II I V 
IV I | I II IV 
Bei einem 19 Monate alten Kinde 
IV I 1 I IV 
II I | I II 

Bei einem 20 Monate alten Kinde ragten nur 

I I , 

111 

etwas über die Alveole. 

Bei einem 2 3 / 4 Jahre alten Kinde waren 


II I I I II III 


vollständig, 


V III I IV V 


und 


III III 


etwas über die Alveole hervorragend, 


TV 1 _ 

V IV II I I I II IV V 
lagen noch unterhalb der Kieferoberfläche. 

Bei dem frischen Materiale (Rachitis), welches ich zu 
untersuchen Gelegenheit hatte, kann ich natürlich mit vollster 
Bestimmtheit angeben, welche von den Zähnen durch¬ 
gebrochen sind. 

Der Einfachheit halber gebe ich die Beschreibung der 
einzelnen Präparate. 


' . nn». •• i . . j 

Kiefer eines neugeborenen Kindes. 

a) Unterkiefer (Fig. 12). 

Die Zahnstellung ist nicht genau dieselbe wie am Prä¬ 
parat I a (siehe Fig. 1). 

Der mittlere Schneidezahn ist nicht so schräg gestellt, 
sondern mehr frontal, während der seitliche mehr sagfttal ge* 
stellt ist. 

Der Schneidezahn zeigt Verkalkung, während der Eck¬ 
zahn und beide Milchmolaren sich ganz weich anfühlen. Beim 


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4 



Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 


669 


ersten Milchmolar finden wir an den Kronenhöckern einzelne 
harte Stellen. 




ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 13). 

Beide Schneidezähne fast frontal gestellt. Beide Schneide¬ 
zahnkronen nnd die des ersten Milchmolatffc zeigen Verknöche¬ 
rung, während der Eckzahn und der zweite Milchmolar kaum 


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wo, 


Br. Edn&rd Urbantecbitscb, Graz. 


am Spitzenteil, respektive am Eronenhöcker sich hart an- 
fühlen. 

Sowohl am Unter- als auch Oberkiefer liegen die Zahn¬ 
keime sehr tief unter der Gingiva. 




1 II. 

Kiefer eines 4 monatlichen Mädchens. 

Klinische Diagnose: Debilitas vitae; Rachitis. 
a) Unterkiefer,. (Fig. 14). 

. Die Schneidezähne stehen zueinander direkt in einem 
rechten Winkel. ■ Ihre Kronen, die Spitze des Eckzahnes und 


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Die Rachiti« und ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 


661 


die KauhAcker des ersten Molaris sind verknöchert. Der 
zweite Milchmolar und der Keim des ersten bleibenden 
Molaren liegen noch zusammen in einer Alveole und zeigen- 
fast keine Verknöcherung. 

ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 15). 

Der grosse Schneidezahn steht vollkommen frontal in 
seiner Alveole, der kleine Schneidezahn fast sagittal Die zwei 
Schneidezähne und die Krone des ersten Milchzahnes zeigen 
Verknöcherung, während der Eckzahn und zweite Milchmolar 
sich selbst an den Spitzen, respektive Kauhöckern ganz weich 
anfühlen. 


III. 

Kiefer eines 8 Monate alten Knaben. 

Klinische Diagnose: Pneumonie kalarihalis; Rachitis. 

Körperlänge 60 Cm. 

a) Unterkiefer (Fig. 16). 

Noch kein Zahn durchgebrochen oder im Durchtritte be¬ 
griffen. Der Zentralschneidezahn stebt frontal, der laterale 
Schneidezahn ist in einem Winkel von ungefähr 4ö° zu 
ihm gestellt und so nahe zugeschoben, dass seine linguale 
Seite den distalen Kronenanteil des mittleren Schneidezahnes 
vollständig deckt. Der Eckzahn steht ebenfalls um seine Längs¬ 
achse gedreht und wendet seine linguale Fläche der fast sagittal 
gestellten Fläche des seitlichen Schneidezahnes zu. 

Der Schneidezahn, der Eckzalm und der erste Milchmolar 
im Kronen teile fast ganz ossifiziert. 

Der zweite Milchmolar und der erste bleibende Molar 
liegen in gesonderten Alveolen und zeigen an den Kauhöckem 
keine, respektive sehr .geringe Verknöcherung. 

ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 17). 

Kein einziger Zahn im Durchtritte begriffen; die Zähne 
liegen sogar sehr tief unter der Gingiva. 


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669 Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz. 

Eigentümlich ist die Stellung der Schneidezähne: Der 
grosse Schneidezahn -steht nicht vollständig frontal, der kleine 
steht zu ihm in einem rechten Winkel, und zwar ist seine 
labiale Fläche der distalen des grossen Schneidezahnes zugekehrt. 


Die Alveole des Eckzahnes ist vorhanden, jedoch ist der 
Eickzahn selbst nicht zu finden. 

Auch eine Röntgenaufnahme gab darüher keinen Auf¬ 
schluss. Der Scbneidezahu und der erste Mahlzahn sind im 
Kronenantteil verknöchert, der zweite Mahlzahn nur an den 
Kauhöckern. * ' •••*" 1 ’’ 


, Google 






Die Rachitis und ihr Eiuflnss auf «las - Milchgebiss. 468 

IT. 

Kiefer eines 12 Monate alten Mädchens. 

Klinische Diagnose: Pneumonie katarrhalis; Rachitis 
florida; rachitische Frakturen; Pseudartbrosis. 

Körperlänge 58 Gm. 




o) Unterkiefer.^|gK,JL8). 

Noch kein Zahn durchgebrocheitfhDaiumittlere Sohneide¬ 
zahn vollständig frontal, der seitliche in einem Winkel von 


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664 


Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz. 


ungefähr 45° zu ihm gestellt. Die Schneidezähne und der 
Eckzahn stehen zueinander ziemlich gedrängt. An den Kronen 
zeigen die Schneidezähne, Eckzähne und ersten Molaren Ver¬ 
kalkung. 

ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 19). 

Noch kein Zahn durchgebrochen. Der grosse Schneide¬ 
zahn ist fast frontal, während der kleine mehr sagittal gestellt 
ist. Sie sind ziemlich dicht aneinandergestellt, so dass sie 
sich fast berühren, sämtliche Kronen zeigen Verknöcherung. 



V. 

Kiefer eines 13 7, Menate alten Mädchens. 

Klinische Diagnose: Meningitis cerebro spinalis; Rachitis. 

Körperlänge: 64 Cm. 

a) Unterkiefej^(Fig. 20). 

Zähne noch nicht durchgebrochen; der mittlere Schneide¬ 
zahn steht frontal, während der seitliche so gestellt ist, dass 
seine Krone mit der dee> zentralen .einen Winkel von . 120° 
bildet. „ ** •. 


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Die Rachitis und ibr Einfluss auf dag Milcligebisa. 565 

ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 21). 

Grosser Schneidezahn total, kleiner fast frontal gestellt. 
Sämtliche Kronen.zeigen .Verknöcherung. 

VI. 

Kiefer eines 2 »/< Jahre alten Knaben. 

Klinische Diagnose: Rachitis gravissima; Pneumonie. 
Körperlänge: 80 Gm. 

a) Unterkiefer (Fig. 22). 

Nur die mittleren Schneidezähne sind fast ganz durch¬ 
getreten, alle anderen liegen noch subgingival. Nach Er¬ 



öffnung der Alveolen sieht man den seitlichen Schneidezahn 
ungefähr in derselben frontalen Ebene stehen wie den mittleren. 
Die Kronen (zweiter Milchmolar nur an den Kronenhöckern) 
total verknöchert. 

ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 23). 

Die vier Schneidezähne noch nicht vollständig durch¬ 
gebrochen, alle übrigen noch subgingival. Die grossen Schneide¬ 
zähne mesial halbmondförmig ausgehöhlt, der Schmelz an 
dieser Stelle total zerstört, bieten das typische Bild einer 


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Der grosse Schneidezahn frontal, der kleine Schneidezahn 
45° um seine Achse gedreht. Alle Zähne verkalkt mit 
Ausnahme des ersten bleibenden Molaris, welcher nur an den 
Kauhöckern Verkalkung zeigt. 


5H6 f Dr. Eduard Urbautscliitsch, Gr««*> 


Karies. (Der Ausdruck „Karies“ ist selbstverständlich, als Fach¬ 
ausdruck vom odontologischen Standpunkt und nicht patho¬ 
logisch-anatomisch gemeint.) 


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Die fiachitis und ibr Einfluss auf das Milchgebiss. 667 

Wir sehen also, dass die Zähne bei rachitischen Kindern 
immer verspätet zum Durchbruche kommen und in einem 
Falle, wo normaliter 10 bis 12 Zähne sich im Munde des 
Kindes vorfinden sollten, überhaupt noch kein Zahn durch- 
gebröchen ist, wie dies mein Präparat V a, ß (siehe Fig. 20, 21) 
beweist; im anderen Falle nur zwei Zähne im Unterkiefer 
vollständig und vier im Oberkiefer im Durchschnitt begriffen 
sind, wo bei einem normalen Kinde das Milchgebiss voll¬ 
ständig ist. 

Die Behauptungen, welche die diversen Autoren für die 
durch Rachitis bedingten Veränderungen beim bleibenden Ge¬ 
bisse aufstellten, finden also auch beim Milchgebisse mit 
vollstem Rechte ihre Anwendung, denn sowohl den ver¬ 
späteten Durchbruch als auch Stellungsano¬ 
malien und Schmelzdefekte finden wir infolge 
dieser Krankheit an den Milchzähnen. 

ln vorliegender Mitteilung sind bloss die makroskopischen 
Verhältnisse der Milchzähne berücksichtigt und an der Hand 
eines grösseren Materials dargcstellt worden. Die ebenso inter¬ 
essanten und wichtigen mikroskopischen Details sollen in einer 
folgenden Arbeit verwertet werden. 

Literatur. 

B o n w i 11: Americaen Syst, of Deut. Surg. Vol. ii. *pag. 487. 

Gysi Alfred, D. D. S.: Geometrische Konstruktion eines menschlichen 
bleibenden Gebisses mittlerer Grösse. (Schweizerische Vierteljahrsschrift 
für Zahnheilkunde, Bd V, Nr. 1, Jahrgang 1895.) 

Zsigmondy: Beiträge zur Kenntnis der Entstehung der hjpoplastisehen 
Schmelzdefekte. (Aus „Transactiou of the Worlds“ 1 , Chicago 1894.) 

Sch eff: Handbuch der Zahnheilkunde, Bd. I, Bd. II. 

Wedl; Pathologie der Zähne. 1901, Bd I, Bd. II. 

Strümpei: Spezielle Pathologie und Therapie, Bd. II 
Schaffer: Die Verknöcherung des Unterkiefers und die Metaplasiefrage. 
J. Tomes: Ein System der Zahnheilkunde. A. d. engl. v. Adolf Nedden. 
Leipzig 1861. 

Ziegler: Spezielle pathologische Anatomie, Bd. II. 

Busch: Verhandlungen d. deutschen odontolog. Gesellschaft, Bd. I, Heft 1. 
Kollmann: Die Formen des Ober- und Unterkiefers bei den Europäern. 

(Schweiz. Vierteljabrsschrift für Zahnheilkunde, Bd. II, Nr. 2, Juni 1892.) 
Baume: Lehrbuch der Zahnheilkunde, 1885. 


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568 


Dr. Max Kulki, Teschen. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Deier die: wkliptM lechailscbei lod eiiiis MHe 
Eiieinfeaiten der Silltat- Md ZMptaptalraeite. 1 * 

Von Dr. Max Kulka, Zahnarzt in Teschen. 

äuf der 77. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte in Meran besprach Zahnarzt M. Morgenstern (Strass¬ 
burg) die Ergebnisse seiner Untersuchungen über die physi¬ 
kalischen und ehemischen Eigenschaften der Silikat- und Zink¬ 
phosphatzemente. * 

Die Resultate dieser überaus mühevollen und sorgfältigen 
Arbeit Morgensterns, die wohl, wie auch Prof Sachs 
in seinem bei der 10 jährigen Stiftungsfeier des Vereines 
schlesischer Zahnärzte gehaltenen Vortrag „Silikatzemente“ 3 
hervorhob, auf wissenschaftliche Bedeutung berechtigten An¬ 
spruch erheben darf, haben für uns Zahnärzte leider nur einen 
relativen Wert, da sich aus ihnen in bezug auf das Verhalten 
der Zemente in der Mundhöhle absolut keine sicheren Schlüsse 
ziehen lassen; ja viel mehr, sie widersprechen im hohen Grade 
den im Munde der Patienten gerade mit den von Morgen¬ 
stern untersuchten Zementen gemachten praktischen Er¬ 
fahrungen, aus welchem Grunde man auf eine dabei vor¬ 
liegende Ausserachtlassung eines für die Bewertung der Zemente 
unbedingt wichtigen Umstandes schliessen muss. 

Der Fehler ist darin zu suchen, dass die zahnärztlichen 
Zemente Stoffe sind, welche behufs Prüfung auf keinen Fall 
in trockener Umgebung - in welcher Morgenstern seine 
Proben beliess — sondern in Nachahmung des Zweckes, denen 
sie als Füllmaterialien dienen, eine Zeitlang unter ständiger 

1 Vortrag, gehalten auf der 79. Versammlung deutscher Naturforscher 
und Aerzte in Dresden und auf der Jahresversammlung des Landesverbandes 

ungarischer Stomatologen in Budapest (September 1907). 

3 Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1905, Heft IV. 

• Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1907, Heft HI. 



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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphatzemente. 569 

Einwirkung von Speichel, d. h. von Wasser und gewissen 
Lösungen bei Bluttemperatur sich befinden sollen, ehe sie 
einer Qualitätsprüfung unterzogen werden. 

. Von welchem Einfluss ein solches Belassen im flüssigen 
Medium auf die Entwicklung der physikalischen Eigenschaften 
und das chemische Verhalten der Zemente sein kann, erhellt 
aus folgendem: 

Fast jeder Stoff hat einen gewissen, oft allerdings un¬ 
messbaren Grad von Löslichkeit im Wasser, mithin selbst¬ 
redend auch im Speichel, als einer wässerigen Flüssigkeit. 

Diese, wenn auch mitunter sehr geringe Löslichkeit ver¬ 
mag sehr wohl — denkt man an die verschiedenen Grade 
partieller Löslichkeit der einzelnen Bestandteile in einem er¬ 
härteten Zement — durch Auflockerung des ganzen Gefüges 
einen beträchtlichen Einfluss auf die Struktur und damit auch 
auf die Festigkeitsverhältnisse auszuüben. 

Dazu kommt noch der Umstand, dass die Erhärtung 
eines Zementes naturgemäss mit dem Verlauf einer chemischen 
Reaktion verbunden ist, die aber nicht momentan beendigt ist. 

Die Reaktionsgeschwindigkeit, die anfangs allerdings eine 
stürmische sein kann, nimmt vielmehr, nachdem der grösste 
Teil der wirksamen Komponenten gebunden wurde, nach dem 
Massenwirkungsgesetze stetig und allmählich ab, weiterhin ver¬ 
zögert auch die durch das Uebergehen in den festen Zustand 
erfolgende Erhöhung der inneren Reibung den Reaktionsverlauf 
ganz erheblich, so dass erst lange nachher, nachdem wir 
eine Füllung bereits dem Speichel aussetzen, beziehungsweise 
bereits aussetzen müssen, das völlige Abbinden des Zementes 
zu erwarten ist. 

Das Eingreifen des Speichels aber vor diesem völligen 
Abbinden beeinflusst zweifelsohne die Entwicklung der mecha¬ 
nischen Eigenschaften der Zemente im hohen Grade, da er 
die Erhärtungsreaktion stören, eventuell sogar auf heben 
kann. 

Deshalb war es nötig, die Prüfung der physikalischen 
Eigenschaften der Zemente vorzunehmen, nachdem die Probe- 

6 


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Dr. Max Kulka, Taschen. 


stücke einige Zeit unter Speichel, respektive unter Wasser bei 
Bluttemperatur gelegen hatten und können die von Morgen¬ 
stern gefundenen Werte keinen sicheren Massstab für das 
physikalische Verhalten der Zemente im Munde abgeben, um 
so mehr, da er z. B. für einen Zement, der die Einwirkung 
von Speichel oder Wasser kaum einige Stunden, ich Will nicht 
sagen Minuten verträgt, ohne beinahe pulverig zu zerfallen und 
über den infolgedessen die Praxis schon seit langem das Todes¬ 
urteil gefällt hat, hohe und höchste Werte fand. 

Von diesen Erwägungen ausgehend, und weil ja an¬ 
genommen werden darf, dass die Fabrikanten seither nicht 
stehen blieben, sondern stetig an der Verbesserung ihrer Prä¬ 
parate arbeiten, demnach die von Morgenstern vor 2 Jahren 
gefundenen Zahlen heute schon an und für sich nicht mehr 
richtig sein können, überdies weil doch seither auch wieder 
neue Präparate auf den Markt gebracht wurden, schritt ich 
an die Anstellung erneuerter Untersuchungen. 

Selbstredend habe ich mich bemüht, die betreffenden 
Eigenschaften der Zemente erst dann zu bestimmen, nachdem 
sich die zu prüfenden Probestücke unter ähnlichen Verhältnissen 
befunden hatten, wie sie im Munde vorliegen. 

Zur Untersuchung wählte ich folgende Zemente: 

Silikatzemente: 

1. Aschers verbesserten künstlichen Zahnschmelz, 

2. Astral (Ravitzers), 

3. Harvardid Improved III, 1 

4. Harvardid Improved IV, 2 

5. Hoffmanns verbesserten Porzellanersatz, 

6. Schäfers Plastic-Porzellan, 

7. Dr. Schönbecks Silikatzement, 


1 Als Harvardid Improved III bezeichne ich das von der Harvard Dental 
Mfg. Co. im März 1S07 in den Handel gebrachte verbesserte und 

* als Harvardid Improved IV das von der Harvard Dental Mfg. Co. 
im Juli 1907 in den Handel gebrachte, neuerlich verbesserte und mir zur 
Untersuchung zugegangene Präparat. 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphataemeute. 571 


8. Silicin, 

9. Smaltid, 

10. Dr. Speiers neuen. Silikatzement, 

11. Dr. Wolfsons verbesserte plastische Porzellanfüllung. 

Zinkphosphatzemente: 

12. Harvardzement, 

13. Loves Achat, 

14. de Treys Impervious-Zement und 

15. Lynton. 

Ich nehme gleich hier Gelegenheit, allen jenen Fabrikanten 
von Zementen, welche mir in liebenswürdiger Weise einerseits 
ihre Präparate für meine Untersuchungen zur Verfügung gestellt 
haben, anderseits mir mit Winken und Ratschlägen an die Hand 
gingen, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 

Zu allererst übte ich eine Zeitlang die Verarbeitung der 
einzelnen Zemente, um mich mit den verschiedenen Eigen¬ 
schaften eines jeden Präparates vorher genau vertraut zu machen. 

Meine dabei gemachten Erfahrungen decken sich so ziemlich 
mit denen Morgensterns und erübrigt es nur, die von ihm an¬ 
gegebenen spezifischen Gewichte der inzwischen verbesserten 
Zemente richtigzustellen, beziehungsweise zu ergänzen. 

Tabelle I. 

Spezifische Gewichte im arithmetischen Mittel. 


Silikatzemente: 

Aschers künstlicher Zahnschmelz.2'16 

Ravitzers Astral.2-26 

Harvardid Improved III.2*24 

Harvardid Improved IV.2*39 

Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz .... 2-20 

Dr. Schönbecks Silikatzement.2-208 

Silicin.2-17 

Smaltid.2-208 

Dr. Speiers neuer Silikatzement.3-59 


Dr. Wolfsons verbesserte plastische Porzellanfüllung 2-406 

6 * 


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Dr. Max Kulka, Taschen. 


672 

Zinkphosphatzemente: 


Harvard-Zement.3-41 

Loves Achat . . . . . . 3*52 

de Tr^y.$ Impervious-Zement ..... . . . . . 3*31 
Lynton... 2*87 


Auch aus dieser Tabelle ist zu ersehen, dass die Silikat¬ 
zemente im allgemeinen ein geringeres spezifisches Gewicht auf¬ 
weisen, als die Zinkphosphatzemente und macht nur Dr. Speiers 
Silikatzement eine bemerkenswerte Ausnahme, da sein spezi¬ 
fisches Gewicht ein grösseres ist, als das bei den Zinkphosphat¬ 
zementen überhaupt ermittelte. 

Dadurch, dass ich über die Art des Verarbeitens (An¬ 
rührens) einer jeden Probe, aus welchem Zemente immer, genaue 
Notizen anlegte und mit dem Resultate der später angestellten 
Prüfung verglich, habe ich Gelegenheit gehabt, mich davon zu 
überzeugen, dass die jeder Packung beigeschlossene Gebrauchs¬ 
anweisung genauestens befolgt werden muss, um, soweit es 
natürlich bei einzelnen Zementen überhaupt möglich ist, gute 
Resultate zu erzielen, und habe ich durch lange Versuchs¬ 
reihen mich bemüht, die richtigen Mischungsverhältnisse von 
Pulver und Flüssigkeit zu ermitteln, die ich in arithmetischen 
Mittelwerten auf folgender Tabelle verzeichne. 


Tabelle II. 

Mischungsverhältnisse Pulver Flüssigkeit 

Aschers künstlicher Zahnschmelz . . . .100 59*49 

Astral (Ravitzers). 100 202*72 

Harvardid lmproved 111 . 100 50 32 

Harvardid lmproved IV . 100 53*84 

Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz . . 100 45*46 

Dr. Schönbecks Silikatzement. 100 73*32 

Silicin. 100 59*34 

Smaltid. 100 73*32 

Dr. Speiers neuer Silikatzement . . . .100 56*62 

Dr. Wolfsons verb. plast. Zahnfüllung . . . 100 74*84 

Harvard-Zement.J00 48*75 

de Treys Zement. 100 40 01 

Lynton. 100 81*05 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphatzemente. S7S 

Am schwierigsten verarbeiten sich meiner Erfahrung nach 
unter den Silikatzementen Ravitzers Astral, unter den Zink¬ 
phosphatzementen Lynton und de Treys Zement, da sie viel 
zu rasch erhärten. 

Ich gehe nun an die Erledigung meines 
eigentlichen Themas. 

Die unnütze Mühe, Stoffe zu prüfen, die als Füllmaterialien 
gar nicht in Betracht kommen können, vermied ich, indem 
ich erst untersuchte, ob alle zur Untersuchung gewählten Ze¬ 
mente unter Speichel oder Wasser überhaupt beständig sind. 

Zu diesem Zwecke rührte ich von jedem Zement je drei 
Proben sorgfältig an und füllte sie in konische polierte Durch¬ 



bohrungen einer Ebonitplatte, die auf einer zweiten völlig 
glatten mit Stiften festgesteckt war (Fig. A und B). 

Die Dimensionen der kegelförmigen Bohrungen waren: 
Oberer Durchmesser 4 Mm., unterer 3 Mm.,' Höhe 4 Mm. 

Diese Bohrungen wurden vor dem Füllen mit einem ganz 
schwächen Hauch reinster Vaseline versehen, um jede Adhäsion 
zu vermeiden. 

Nach dem Erhärten wurden die Proben herausgestossen 
und nach 30 Minuten unter als normal befundenen Speichel, 
dem Wasser zugesetzt war, und zwar im Verhältnis von 1:3, 
in kleiden Standgefässen im Thermostaten bei 36° C. Unter¬ 
gebrächt. 

In dieser Flüssigkeit, die täglich zweimal erneuert und 
abends' durch pures Wasser ersetzt wurde, verblieben die 


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574 


Dr. Max Ktüka, Teschen. 


Proben 7 Tage, wurden dann herausgenommen, abgetrocknet* 
eine Zeitlang an der Luft belassen und hierauf geprüft. 

Es ergab sich: 

Proben nach 30 Minuten unter Speichel gebracht: 

Völlig unverändert: Ascher, 

Silicin. 

Schwach angegriffen: Astral, Harvardid Improved IV, 
Harvard-Zement, 

Lynton, 

Loves Achat, 

Dr. Speiers neuer Silikatzement, 

Dr. Wolfsons verb. plast. Porzellanfüllung* 
de Treys Impervious-Zement. 

Stärker angegriffen: Harvardid Improved 111, 

Hoflfmanns verbesserter Porzellanersatz* 
Dr. Schönbecks Silikatzement, 

Smaltid, 

Zerstört: Schäfers Plastic-Porzellan. 

Als völlig unverändert erwiesen sich nur Aschers 
künstlicher Zahnschmelz und das Silicin. Die Ober¬ 
fläche beider Zemente repräsentierte sich, unter der Lupe be¬ 
trachtet, sowohl im feuchten, als auch im trockenen Zustande 
als völlig glatt und hochglänzend, wie poliert. 

Schwach angegriffen waren Astral, Harvardid 
Improved IV, Harvard-Zement, Lynton, Loves 
Achat, Speier, Wolfson und de Treys Zement. 

Die Astralproben zeigten im allgemeinen einen matten 
asbestartigen Glanz, bei einigen flel, unter der Lupe betrachtet* 
eine feinmaschige, netzförmige Zeichnung der Mantelfläche auf. 

Harvardid Improved IV war glanzlos, hie und da 
sah man mit der Lupe einen feinen Haarriss, ebenso war auch 
Speiers Silikatzement völlig glanzlos, sonst aber wenig 
verändert. Wolfsons plastische Porzellanfüllung 
war glanzlos und zeigte an seiner Oberfläche vereinzelte weisse 


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Deber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphatzemente. 575 


matte Flecke, als ob die Proben gesprenkelt wären. Die Zink- 
phosphatzemente Harvard-Zement, Lynton, de Treys 
Zement repräsentierten sich selbstredend als glanzlose, kreidig 
aussehende Stoffe, an deren Oberfläche mittels der Lupe ver¬ 
einzelt punktförmige Arrosionen sichtbar waren, bei Loves 
Achat war dasselbe zu konstatieren, daneben sah man hie 
und da auch einen feinen Haarriss. 

Als stärker angegriffen erwiesen sich bei der 
Untersuchung: Hoffmanns verbesserter Porzellan¬ 
ersatz, Dr. Schönbecks Silikatzement, Smaltid 
und Harvardid Improved III. 

Im feuchten Zustande wohl glänzend und transparent, 
verschwanden während des Trocknens diese Eigenschaften und 
man konnte bei allen diesen Zementen beobachten, dass eine 
feinmaschige netzförmige Zeichnung der trocknenden Ober¬ 
fläche immer deutlicher sichtbar wurde. 

Die trockenen Proben von Hoffmanns Porzellan¬ 
ersatz, Dr. Schönbecks Silikatzement und Smaltid 
sahen aus, als wären sie mit Mehltau oder einem feinen weissen 
Pulver bestreut worden und es Hess sich tatsächlich mit dem 
Fingernagel ein feiner weisser Staub leicht abkratzen. 

Die Oberflächen waren infolgedessen sehr matt und rauh. 
Liess man aus einer Pipette einen Tropfen Wasser, auf die 
Proben fallen, so verschwand dieser rasch wie im Zucker, bei 
stärkerem Befeuchten wurden die Proben wieder transparent. 

Als vollkommen zerstört erwies sich bereits nach 
kurzem Liegen im Speichel und Wasser Schäfers Plastic- 
Porzellan. Die Proben waren glanzlos und zeigten tiefe 
klaffende Risse und Sprünge. Die getrocknete Probe zerfiel 
bei der Untersuchung, den Rissen und Sprüngen entsprechend, 
wie trockener Mörtel. Wegen dieses Befundes.schloss ich dieses 
letzte Zement, das selbst nach dem Versuch 3- und 24 ständigen 
vorherigen Trocknens in kurzer Zeit unter Feuchtigkeit prompt 
wieder barst, als völlig wertlos von der weiteren Unter¬ 
suchung aus. 

Ich gehe nun zur Bestimmung der mechanischen 
Eigenschaften über. 


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576 • Dr. Max Kulka, Teschen. 

Um ein stets gleichmräsäiges Anrühren und sicheres Ver¬ 
arbeiten zu erzielen, nahm ich nach Möglichkeit die Menge 
für eine jede Probe niemals grösser, als sie zu jeder mittleren 
Füllung im allgemeinen erforderlich ist und rührte die Proben 
sehr sorgfältig und genau nach der Gebrauchsanweisung an. 

Die für unsere Zwecke in Betracht kommenden me¬ 
chanischen Eigenschaften bei Füllungen sind: 

1. Festigkeit, 

2. Härte, beziehungsweise Widerstand gegen 
Abnützung, 

3. Undurchlässigkeit, beziehungsweise Porosi¬ 
tät und 

4. Adhäsionsfähigkeit, beziehungsweise Wand¬ 
anschluss. 

Die Eigenschaften der Festigkeit: Zug-, Druck- und Bruch¬ 
festigkeit, stehen zueinander im mathematischen Verhältnisse, 
so dass die Bestimmung der Zugfestigkeit allein genügen könnte. 

Gleichwohl bestimmte ich, um meinen Resultaten grössere 
Sicherheit zu geben, die Zug-, Bruch- und Druckfestigkeit ge¬ 
sondert, zumal uns die beiden letzten Festigkeitsarten ganz 
besonders interessieren, da doch die Füllmaterialien auf diese 
hauptsächlich in Anspruch genommen werden. 

Die dazu nötigen Proben stellte ich — ich bemerke, dass 
ich hier, wie bei jedem folgenden Versuch, stets drei Proben 
eines jeden Zementes zur Prüfung nahm, die Prüfungen der 
Kontrolle halber öfters wiederholte und als erhaltenen Wert 
den Mittelwert ^ller gefundenen anführe — ähnlich wie vor¬ 
her mittels zweier Ebonitplatten her,, deren eine mit grösseren, 
7 Mm. langen Bohrungen versehen war (Fig. 2). 

In diese Bohrungen kamen haarscharf passende runde 
Einsätze (sogenannte Futter), ebenfalls aus Ebonit bestehend, 
und zwar Hess ich mir zweierlei derartiger Einsätze anfertigen $ 
eine Art zur Herstellung von Proben für Zug- und Bruch¬ 
festigkeit, die andere Art zur Herstellung von Proben für die 
Druckfestigkeit und andere Prüfungen. 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphospbatzemente. 677 

Beide Arten von Einsätzen zeigen im Zentrum eine 
Bohrung und bestehen aus zwei gleich grossen Hälften mit 
haarscharf aneinander passenden Berührungsflächen. 

Die Einsätze zur Herstellung der Druckfestigkeitsproben 
zeigen eine einfache zylindrische, 3 Mm. weite und 7 Mm. 
tiefe Bohrung (Fig. 7 und 7 a), die Bohrung der Einsätze zur 
Herstellung der Zug- und Bruchfestigkeitsproben ist ebenfalls 
7 Mm. tief, jedoch in den oberen 3 Mm. konisch und in den 
unteren 4 Mm. zylindrisch gestaltet Die Basis des kegelförmigen 
Teiles der Bohrung hat einen Durchmesser von 5 Mm., der 
zylindrische Teil einen solchen von 4 Mm. Die in diesen Ein¬ 
sätzen geformten fertigen Proben haben demnach die Form 
eines 4 Mm. dicken und-4 Mm. hohen Zylinders, dem oben 
ein abgestutzter Kegel mit seiner kleineren Basis aufsitzt 
(Fig. 2 a und 26). 

Auch hier wurden die Bohrungen vor dem Füllen mit 
einem schwachen Ueberzug reinster Vaseline versehen, nach 
dem Erhärten der Zemente die Einsätze herausgestossen, die 
beiden Hälften auseinandergenommen, die nun losen Proben 
mittels Alkohols von etwa anhaftender Vaseline befreit und 
nun mit Rücksicht auf die etwas angreifbaren Zemente erst 
nach' 3 Stunden, und zwar mit einem Varnish überzogen, 
der aber nach 24 Stunden wieder sorgfältig entfernt wurde, 
unter Speichel und Wasser in den Thermostaten gebracht, 
um dann in gleicher Weise wie die früheren Proben be¬ 
handelt, nach durchschnittlich drei bis vier Wochen der 
Prüfung zugeführt zu werden. 

Zu den nun folgenden Festigkeitsprüfungen liess ich mir 
eine Art „Materialprüfungsmaschine“ anfertigen, in 
welcher die Proben mittels verschiedener Einspann- und 
anderer Vorrichtungen auf ihre Zug-, Druck- und Bruch¬ 
festigkeit, Schleiffähigkeit usw. in Anspruch genommen werden, 
die also derart eingerichtet ist, dass man mit ihrer Hilfe 
durch Auswechslung einzelner Teile die verschiedenen Arten 
von Festigkeitsprüfungen der Zemente vornehmen kann. 

Es braucht wohl nicht betont zu werden, dass diese 
Materialprüfungsmaschine nicht in einem Guss entstanden 


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üeber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkpbospbatzemente. 679 


ist, sondern Hand in Hand mit dem im Anfänge oftmaligen 
Misslingen meiner Versuche und den infolgedessen sieb 
notwendig erweisenden Aenderungen meines Untersuchungs¬ 
planes ebenfalls geändert werden musste, bis sie eben .die 
jetzige Gestalt und Einrichtung erhalten hat. 



Der Apparat besteht, wie die Fig. C deutlich zeigt, aus 
einer massiven gusseisernen, rechteckigen Ständerplatte A , auf 
welcher sich an der einen Schmalseite ein runder, oben in 
Form eines Galgens recht winkelig abgebogener starker Stahl¬ 
arm B erhebt 

Das kurze Ende dieses Armes -trägt einen im Scharnier 
nach unten beweglichen und in der Horizontalen durch einen 


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580 Dr.-Max Külka, Tescheu. - 

Schlüssel S fixierbaren kurzen Ansatz Ci der an seinem Ende 
zylindrisch ausgehöhlt ist und an seiner äusseren Fläche ein 
Schraubengewinde samt Schraubenmutter D besitzt. 

In die Bohrung dieses kurzen Ansatzes kommen die zür 
Bestimmung der Zug- und Biegungsfestigkeit, weiters die zur 
Bestimmung des Adhäsionsgrades dienenden Einsätze und 
werden in ihr durch Anziehen der Schraubenmutter fixiert. 

An dem senkrechten Teile des Stahlarmes ist ein mittels 
eines Kugelgelenkes nach oben und unten verschiebbarer, in 
der Horizontalen drehbarer und mittels eines Schrauben¬ 
schlüssels in jeder Lage und Stellung fixierbarer 30 Cm. 
langer und 7 Mm. dicker Stahlhebel E angebracht (Fig. 8 und 9, 
S. 587). Dieser Hebel ist auf der einen Seite in 15 Teile, auf 
der anderen in 10 Teile vom Drehpunkt an geteilt und zeigt 
dieser Teilung entsprechende Teilstriche samt den diesbezüg¬ 
lichen Zahlen, weiters trägt er beiderseits je eine rinnenartige 
Vertiefung, in welcher eine Einspannvorrichtung nach Art eines 
Laufgewichtes verschoben und mittels einer Schraube in jedem 
beliebigen Teilstrich fixiert werden kann. 

Die weitere Einrichtung des Apparates und die dazu 
gehörigen Teile will ich, um nicht durch eine detaillierte Be¬ 
schreibung zu langweilen, erst bei den verschiedenen Festig¬ 
keitsprüfungen an der Hand der Skizzen in Kürze erläutern 
und übergehe sofort zu der ersten der von mir angestellten 
Prüfungen der 

Zugfestigkeitsprüfung. 

In dem kurzen Ansatz der Maschine wurde ein runder, 
kräfliger, stählerner Zapfen, der an seinem freien Ende eine 
Vertiefung (Hängelager) zeigt, durch Anziehen der Schrauben¬ 
mutter fixiert. In diesem Hängelager reitet ein unten haken¬ 
förmig nach vorn abgebogener Hängebügel (Fig* 1). 

Nun wurde die Zugfestigkeitsprobe düreh den mit je 
einem runden seitlichen Ansatz versehenen* 1 konisch gebohrten 
Ring (Fig. 3) derart diirchgesteckt, dass nur der zylindrisch^ 
Teil der Probe aussen sichtbar war. ? > 

Die Dimensionen der Bohrung des Ringes entsprechen 
nämlich denen des Kopfes der Probe, also oberer Durchmesser 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- u. Zinkphosphatzemente. 681 

5 Um., unterer 4 Mm., infolgedessen passt der Kopf genau 
hinein und war in den Ring gewissermassen versenkt. 

Das ausserhalb des Ringes sich befindliche 4 Mm. dicke 
und 4 Mm. lange Stück der Probe wurde an seinem Ende bis 
auf 2 Mm. in eine 4 Mm, weite federnde Zwinge, welche sich 
in dem hohlen Haken H befindet, hineingeschoben und durch 
Anziehen der Schraubenmutter, die in das in der Aussenfläche 
des Hakens eingeschnittene Schraubengewinde eingreift, ein¬ 
gespannt (Fig. 4). 

Die derart eingespannte Probe wurde nun vermittels der 
seitlichen Ansätze des zur Aufnahme des Kopfes der Probe 
dienenden Ringes in die hakenförmig abgebogenen Enden des 
Hängebügels eingehängt [gelagert] (Fig. 4). 

Nun wurde der Haken der Zwinge mit einem in der Fuss- 
platte fixierten Viererfiaschenzug F verbunden und an dem 
freien Ende des Seiles, das über Rollen läult, ein hohles Metall- 
gefäss E angehängt (Fig. C). 

Ich verwende den in der Fussplatte fixierten Flaschen¬ 
zug, um jede eventuelle seitliche Belastung und dadurch leicht 
eintretende Knickungen der Probe zu verhindern und wird im 
vorliegenden Falle die Probe durch den stets nach unten 
wirkenden Zug rein nur auf Zugfestigkeit in Anspruch genommen. 

Um überdies jederlei Erschütterung der Probe, wie sie 
durch Zulegen, beziehungsweise Austausch der Gewichte leicht 
zustande kommt und die Resultate trüben kann, möglichst zu ver¬ 
meiden, verwendete ich ein hohles Metallgefäss als Wägegefäss. 
In dieses wurde mittels eines trompetenförmigen Trichters so. 
lange Bleischrot einlaufen gelassen, bis die Probe riss. Ich erzielte 
dadurch eine stetig und gleichmässig fortschreitende Belastung. 

Das Endgewicht wurde dadurch ermittelt, dass man das 
Wägegefäss nach dem erfolgten Bruch der Probe auf einer 
gewöhnlichen Wage wog und das so gefundene Gewicht vier¬ 
fach nahm. 

Da alle meine Messungen unter gleichen Verhältnissen — 
gleiche Form, gleicher Querschnitt und gleiche Länge der 
Proben — vorgenommen wurden, stehen die letzten Belastungen, 
in dem Verhältnis der Zugfestigkeitswerte. 


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582 


Dr. Max Kulka, Teschen. 


Es ergaben sich die Werte, wie sie auf Tabelle III ver- 
zeichnet sind. 

Tabelle III. 

Zugfestigkeitswerte in arithmetischen Mittelwerten. 

Modell Fig. 2 b. Durchmesser 4 Mm. 


Aschers künstlicher Zahnschmelz.18*312 Kg. 

Silicin. 18*309 „ 

Dr. Speiers neuer Silikatzement. 17*385 „ 

Harvard-Zement.15*136 „ 

Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz . . 12*833 „ 

Dr. Schönbecks Silikatzement. 10*825 „ 

Smaltid. 10*820 „ 

Loves Achat . *. 10*460 „ 

Harvardid Improved IV.10*123 „ 

Dr.Wolfsons verbesserteplast. Porzellanfüllung 9*938* , 

Harvardid Improved III. 9*675 „ 

Ravitzers Astral. 7*625 „ 

de Treys Impervious-Zement. 7*557 „ 

Lynton. 6*200 „ 


Die Berechnung des Bruchkoeffizienten auf Zugfestigkeit 
zylindrischer Zementstäbchen von 1 Cm. Durchmesser ergibt 


folgende Werte: 

Tabelle lila. 

Aschers künstlicher Zahnschmelz .... 114*441 Kg. 

Silicin. 114*425 „ 

Speier. 108*656 „ 

Harvard-Zement. 94*600 „ 

Hoffmanns Porzellanoid. 80*206 „ 

Schönbeck. 67*656 „ 

Smaltid. 67*651 „ 

Lovös Achat. 65*375 n 

Harvardid Improved IV . 63*268 „ 

Wolfson. 62*115 „ 

Harvardid Improved III. 60*470 „ 

Astral. 47*658 „ 

de Treys Zement. 47*231 „ 

Lynton. 38*750 „ 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphatzemente. 683 

Die Berechnung des Bruchkoeffizienten auf Zugfestigkeit 
bei einem Querschnitt von 1 DCm. ergibt folgende Werte: 

Tabelle 1116. 

Aschers künstlicher Zahnschmelz .... 145*727 Kg. 


Silicin. 145*685 „ 

Speier. 138*350 „ 

Harvard-Zement. 120*454 „ 

Hoffmanns Porzellanoid. 102*125 „ 

Schönbeck. 86*145 „ 

Smaltid. 86*140 „ 

Lovös Achat. 83*331 „ 

Harvardid Improved IV. 80*559 „ 

Wolfson. 79*090 „ 

Harvardid Improved III. 76*995 „ 

Astral. 60*682 „ 

de Treys Zement. 60*138 „ 

Lynton. 49*340 „ 


Ich übergehe non zur Bestimmung der 

Bruchfestigkeit 

Zur Bestimmung der Bruch-, bzw. Biegungsfestigkeit ver¬ 
wendete ich gleichgeformte Probestücke wie für die Zugfestig¬ 
keit (Fig. 25). 

Die Proben wurden, wie Fig. 5, zeigt, diesmal horizontal 
eingespannt, und zwar derart, dass sie in eine am unteren 
Ende konisch gestaltete Muffe versenkt wurden. Die Muffe 
samt der darin befindlichen Probe kam in den kurzen An¬ 
satz C des Apparates und wurde durch Anziehen der 
Schraube D filiert. Eine auf dem Kopfe der Probe in der 
Muffe aufruhende Spiralfeder presst den zylindrischen Teil der 
Probe nach aussen. * 

Nun wurde am Ende des zylindrischen Teiles der Probe 
im ersten Millimeter eine mit einer 4 Mm. im Durchmesser be- 


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584 


Dr. ; Max Eulka, Teschen. 


tragenden Oeffnung versehene, 1 Mm, dicke Metallscheibe S 
(Fig. 5 und ha) aufgesetzt und der Haken der Scheibe genau 
wie vorher mit dem Viererflaschenzug verbunden. Durch kon¬ 
tinuierliches Zugiessen von Bleischrot in das Wägegefiiss wurden 
die Proben so lange auf Biegung beansprucht, bis die Zylinder 
abbrachen. 

Da auch hier überall die gleichen Bedingungen Vorlagen 
und der Hebelarm konstant 3 V* Mm. blieb, stehen die so er¬ 
mittelten Gewichte im Verhältnisse der Bruchfestigkeiten. 

In gleicher Weise wie vorher berechnet, fand ich: 


Tabelle IV. 

Bruchfestigkeitswerte im arithmetischen Mittel. 

Modell Fig. 2b. Durchmesser 4 Mm. 


Aschers künstlicher Zahnschmelz. 

Silicin.. 

Dr. Speiers neuer Silikatzement. 4 

Harvard-Zement .. 

Harvardid Improved IV . ... . . . . 

Dr. Wolfsons verbesserte plast. Porzellanfüllung 

Loves Achat .. 

Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz . . 

Dr. Schönbecks Silikatzement.. 

Smaltid. 

Harvardid Improved III . . . . . . . 

Astral (Ravitzer).. . 

de Treys Impervious-Zement. 

Lynton ..... . 


13*211 Kg. 
13*208 „ 
12*444 „ 
10*240 „ 
8*185 „ 
8*016 „ 
7-804 „ 
7-576 „ 
7-367 „ 
7-360 , 
6-893 „ 
5-444 „ 
4-389 „ 
4-207 „ 


Da die Biegungsfestigkeit sich experimentell am sichersten 
und sehr genau feststellen lässt, sind die für die Bruchfestigkeit 
gefundenen Werte als die entscheidenden anzusprechen und 
wurden demnach zur Berechnung des absoluten Festigkeits¬ 
koeffizienten der Zemente benützt. 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- u. Zinkphosphatzemente. 685 


Tabelle IVa. 

Absoluter Festigkeitskoeffizient der Zomonte 

7 

(ermittelt dnrch Ualtiplikation der gefundenen Werte mit ^). 


Aschers künstlicher Zahnschmelz. . 

Pro IQ Mm. 

13-211 — 7-359 Kg. 

Silicin. 

13-208 — 7-357 „ 

Speier. 

12-444 — 6-932 „ 

Harvard-Zement. 

10-240 — 5-704 „ 

Harvardid Improved IV .... 

8-185 — 4-561 „ 

Wolfson. 

8-016 — 4-465 , 

Lovös Achat. 

7-804 — 4-347 „ 

Hoffmanns Porzellanoid .... 

7-576 — 4-220 „ 

Schönbeck. 

7 367 — 4-103 „ 

Smaltid. 

7-360 — 4-099 „ 

Harvardid Improved III .... 

6-893 — 3-840 „ 

Astral. 

5-444 — 3-033 „ 

de Trey . 

4-389 — 2-445 „ 

Lynton. 

4-207 — 2-344 „ 


Druckfestigkeit. 

Zur Bestimmung der Druckfestigkeit benützte ich zylin¬ 
drische Proben von 3 Mm. Dicke und 7 Mm. Länge (Fig. 7 a). 

Diese kamen, wie Fig. 8 zeigt, unter einen 2 Cm. vom 
Drehpunkt entfernten, am unteren Rande des Hebels befindlichen 
Ausschnitt und ruhten auf einem kleinen Stahlamboss G , der in 
die entsprechende Vertiefung der Fussplatte eingesetzt erscheint. 

Auf dem freien hakenförmigen Ende des Hebels wurde 
das Wägegefäss aufgehängt und so lange kontinuierlich Blei¬ 
schrot zugeschüttet, bis mit dem stetig wachsenden Druck die 
Stäbchen in Stücke zerfielen, beziehungsweise zerquetscht 
wurden. 

Das Gewicht des Hebels beträgt, auf den Drehpunkt 
reduziert, 900 Gr. Dieses Gewicht plus der Endbelastung, die 
mit der Zahl 16 multipliziert wurde, ergab den Enddruck, bei 
welchem die Zerstörung erfolgt und gilt als Mass für die Druck¬ 
festigkeit des geprüften Materials. 

7 


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586 


Pr. Mas Kulka, Teschen. . 


Da nun auch hier überall dfe gleichen Bedingungen ge¬ 
wahrt blieben, stehen die ermittelten Endbelastungen im Ver¬ 
hältnisse der Druckfestigkeitskoeffizienten. 

Tabelle V. 

, . Druckfestigkeit 

Da eine Bestimmung des gepressten Querschnittes unmög¬ 
lich war (de facto wurde ja nur eine Linie gepresst), wurde der 
kleinste bei dieser Prüfung erhaltene Wert (Lynton = 42-8 Kg) 
als Einheit = 100 gesetzt und ich erhielt demnach durch 
Multiplikation der für die anderen Zemente ermittelten Werte 

mit folgendes Verhältnis der Druckfestigkeiten; 


f 

Aschers künstlicher Zahnschmelz . . . 158 6 Kg. = 371 

Silicin ... 1 ...... . 158-5 , —370 

Astral .... ... . . . . 132-9 „ = 311 

Wolfeon , ... ..... . . 128-6 „ = 301 

Harvard-Zement . . . ... . . 124-6 „ = 291 

Harvardid improved IV .... . 109-3 „ =255 

Schönbeck.103-3 „ = 241 

Smaltid . . . . . . . ... .103-3 „ = 241 

Speier . . 101-3 „ = 237 

Harvardid Improved III.90-1 „ =211 

de Treys Zement ........ 89-3 „ — 209 

Loves Achat.. ... 79-2 „ =185 

Hoffmanns Porzellanoid ..... 65-5 „ = 153 

Lynton.. . 42-8 „ = 100 


Härtebestimmung. 

Zur Bestimmung der Härte der Zemente verfuhr ich 
folgendermassen: 

ln den konischen Bohrungen der Ebonitplatte (Fig. 2 d und b) 
hergestellte abgestutzte Kegel wurden 3 Stunden an der Luft 
und hierauf zirka 3 bis 4 W ochen unter Speichel plus Wasser 
belassen, gesäubert, getrocknet und durch Ritzungsversuche in 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n, Zinkphosphatzemente. 587 


die Mohssche Skala eingerfeiht. Proben, die an gleicher' Stelle 
rangierten, wurden noch gegeneinander geprüft und es zeigte 
sich, dass Aschers künstlicher Zahnschmelz und das Siiicin eine 



Spur härter als Härtegrad 4 sind, die übrigen mit Ausnahme 
von Hoffmanns verbesserten Porzellanersatz und Achat, die 
weicher als Fluorit befunden wurden, haben den Härtegrad 4. 


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588 


Dr. Max Kulka, Teschfen. 


Es ergab sich folgende Reihenfolge der Härtegrade: 

{ 1. Aschers künstlicher Zahnschmelz, 

2. Silicin; 

3. Astral, 

4. Schönbeck, 

5. Smaltid, 

6. Wolfson, 

I 7. Speier, 

^ 8. Harvard, 

9. de Trey, 

10. Lynton, 

11. Harvardid rmproved IV, 

12. Harvardid Improved III; 

{ 13. Porzellanoid, 

14. Achat. 

Bestimmung des Widerstandes gegen Abnützung. 

Zur Bestimmung des Widerstandes gegen Abnützung ver¬ 
wendete ich wie zu den Druckprüfungen hergestellte Zement¬ 
stäbchen von 3 Mm. Dicke und 7 Mm. Länge (Fig. 7 a). Diese 
wurden, nachdem sie sich ebenfalls zirka 3 bis 4 Wochen 
unter Speichel plus Wasser befunden hatten, an dem zur 
Messung der Druckfestigkeit benützten Hebel mittels einer nach 
Art eines Laufgewichtes in den rinnenartigen Vertiefungen ver¬ 
schiebbaren Einspannvorrichtung 3 Cm. vom Drehpunkte ent¬ 
fernt fixiert und mit 1 Eg. belastet auf ein Schleifrad aus 
Karborundum aufgesetzt (Fig. 9). 

Die Antriebsscheibe der auf der Fussplatte der Material¬ 
prüfungsmaschine befindlichen Schleifvorrichtung (Fig. 9) wurde 
mittels der Bohrmaschinenschnur mit der Bohrmaschine ver¬ 
bunden und in Betrieb gesetzt. Nach zehnmaligem gleich- 
mässig ruhigen Treten der Bohrmaschine, wobei das Schleif¬ 
rad, das vor jedem Versuche mit einer Bürste gesäubert wurde, 
55 Umdrehungen machte, mithin einen Weg von 6*9 Meter 
zurückgelegt hatte, bestimmte ich mittels eines Nonius, beziehungs- 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat* n. Zinkpbospbatzemente. 689 


weise der Mikrometerschraube die erlittene Verkürzung der 
Stäbe. 

Der Volumverlust gilt als Mass für die Widerstands* 
fähigkeit gegen Abnützung. 

Ich fand folgende 

Tabelle VI der 

Abnützungsffthigkeil 


Aschers künstlicher Zahnschmelz.0*10 Mm. 

Silicin ..0-10 „ 

Speier.0’16 „ 

Harvard-Zement.. . 0'21 „ 

Loväs Achat.0'26 „ 

Astral.0*28 „ 

Harvardid lmproved IV.0*40 „ 

Wolfsons Porzellanfüllung.0-44 „ 

Schönbecks Silikatzement. 046 „ 

Smaltid.0'46 „ 

Lynton ...0-50 „ 

H offmanns Porzellanersatz.0*ö3 „ 

Harvardid III. 054 „ 

de Treys Zement.. . . . 0*56 „ 


Es muss auffallen, dass die Reihenfolge dieser Tabelle 
nicht mit der der Härtegrade korrespondiert. Die Erklärung 
dafür ist die, dass die meisten Zemente durch das längere 
Liegen im Speichel in mehr oder weniger tiefer Schicht er¬ 
weichen und nur ein härterer Kern zurückbleibt. Beim Versuch 
des Einreihens in die Härteskala ist es aber absolut unmöglich, 
sofort mit dem ersten Strich den Härtegrad richtig zu be¬ 
stimmen, so dass durch das oftmalige Herumprobieren und 
Prüfen die oberflächlich erweichten Schichten sukzessive ab-, 
beziehungweise durchgerieben wurden und nur die Härte des 
Kernes bestimmt werden konnte. 

Bei der Prüfung auf Abnützung hingegen erscheint auch 
die aussen erweichte Schicht der Zemente in die angegebenen 
Zahlen einbezogen. 


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690 Dr. Max Kulka, Teschen. 

Porosität. 

Die Porosität stellte ich folgendermassen fest: 

* i 

Kegelförmige, wie früher hergestellte, etwa 2 Tage an 
der Luft belassene Blöcke wurden mittels der analytischen 
Wage gewogen und hierauf in einem Rezipienten auf den Rand 
eines in der Wandung desselben befindlichen stufenförmigen 
Absatzes gelegt. Auf dem Boden des Rezipienten befand sich 
eine zirka 3 Cm. hohe Schicht destillierten Wassers. 

Nachdem die Luft aus dem Rezipienten vermittels einer 
Wasserluftpumpe evakuiert war — leider war es mir nur 
möglich, ein Vakuum von 65 Cm. zu erzielen, da der Wasser¬ 
leitungsdruck bei uns kein grösserer ist — wurden die Blöcke 
durch Schütteln ins Wasser geworfen. 

Nach zirka V* Stunde herausgenommen und abgetrocknet, 
wurden .sie nochmals gewogen; die Differenz dieser Gewichte 
und der vor dem Evakuieren ermittelten gibt den Unterschied 
des Gewichtes des in die Poren eingedrungenen Wassers und 
der früher darin befindlichen Luft. 

Ich erhielt nach der Reihenfolge der Gewichtszunahme 
folgende 

Tabelle der Porosität. 


Ascher.0*0014 Gr. 

jSilicin .. 0 0014 „ 

» de Treys Impervious-Zement ...... 0*0016 „ 

Harvardid Improved IV. 0 0018 „ 

Dr. Wolfsons plastische Porzellanfüllung . . 0*0019 „ 

Astral. .. 0*0024 „ 

Dr. Schönbecks Silikatzement. 0 0029 „ 

Smaltid .. 0*0029 „ 

. Harvard-Zement .. 0*0032 „ 

Harvardid Improved III. 0*0033 „ 

Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz . . 0*4)034 „ 

Lynton . 0*0038 „ 

Lovös Achat. 0*0040 „ 

Dr. Speiers neuer Silikatzement ..... 0 0046 „ 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n.' Zinkphosphatzemente. 591 

Sodann brachte ich diese Blöcke in eine 0 a 5prozentige 
wässerige Methylenblaulösung zur Bestimmung des Grades der; 

Durchlässigkeit, 

beziehungsweise wie tief eventuell Bakterien eindringen können. 

Nach 24 Stunden wurden die Proben inspiziert und da, 
fiel es mir vor allem auf, dass die verschiedenen Zemente,: 
trotzdem bei der Herstellung aller Proben die Farbe Nr. 1, 
also weiss, beziehungsweise gelblichweiss benutzt worden war, 
verschieden gefärbt waren. Die Abstufung sehen Sie auf der 
Tabelle links. Die, Intensität der Färbung ist natürlich in 
erster Linie abhängig , von der Tiefe, bis zu welcher der Farb¬ 
stoff bereits eingedrungen war. 

Dies trifft aber nicht bei allen Zementen zu und glaube 
ich, dass für die dünklere Verfärbung der Oberfläche mancher 
Zemente, trotzdem für alle ein und dasselbe Färbemittel ver¬ 
wendet wurde, der Grund darin zu suchen ist, dass durch 
das 24 ständige Liegen in der färbenden Flüssigkeit die Ober¬ 
fläche bereits erweicht, beziehungsweise "teilweise aufgelöst und 
arrodiert war, infolgedessen sie wie eine rauhe Wand oder ein 
rauhes Papier von dem Farbstoff intensiver tingiert wurde. 

Möglicherweise ‘ wurden die nach Grün spielenden 
Variationen mancher Zemente durch den gelben Grundton 
verursacht und ist es auch nicht ausgeschlossen, dass auf 
eventuelle Reaktionen noch vorhandener Phosphorsäure im 
freien Zustande die dunklen Farbtöne mancher Zemente zurück¬ 
zuführen sind, zumal es mir im Verlaufe meiner Versuche des 
öfteren gelang, bei einigen Zementen noch nach Tagen freie, 
also ungebundene Säure nachzuweisen, z. B. bei Hoffmanns 
verbessertem Porzellanersatz in einem Falle noch am 21. Tage. 

Am intensivsten gefärbt erwiesen sich Harvardid 
Improved III, Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz, Doktor 
Schönbecks Silikatzement und Smaltid, den schwächsten Farben¬ 
ton zeigten die Oberflächen der Proben aus Aschers künst¬ 
lichem Zahnschmelz und Silicin und hatte man bei diesen, 
den Eindruck, als ob der Farbstoff nicht so recht haften 
bleiben könne. 


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tm 


Dr. Max Kulka, Teschen. 



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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n Zinkphosphatzemente. 693 

Nach siebentägigem Liegen in der Methylenblaulösung 
wurden die Blöcke der Höhe nach gespalten, um zu sehen, 
wie tief der Farbstoff bei den einzelnen Zementen eingedrungen 
war. Wie Sie aus den Schnitten auf der Tabelle ersehen 
können, erwiesen sich auch bei dieser Untersuchung die 
Ascher* und Silicinproben als die besten, da der Farbstoff 
absolut nicht eingedrungen war. Am tiefsten war er in Speiers 
Zement, Lotös Achat und Lynton eingedrungen, einige Proben 
des letztgenannten Zementes waren durch und durch blau 
gefärbt. Harvard-Zement, Dr. Schönbecks Silikatzement, Smaltid, 
Harvardid Improved III und Hoffmanns verbesserter Porzellan- 
ersalz zeigten einen mehr oder weniger breit gefärbten Rand, 
die beiden letztgenannten Zemente in einigen Fällen bis 
1V* Mm., bei deTreys Impervious-Zement, Harvardid Improved IV, 
Dr. Wolfsons plastischer Porzellanfüllung und Astral konnte 
man deutlich Risse erkennen, die sich als blaue, mehr oder 
weniger breite, von der Oberfläche gegen den Kern zu ver¬ 
laufende Striche repräsentierten und in einigen Fällen eine 
Länge von 2 Mm. aufwiesen. Sonst konnte man unter diesen 
letztgenannten Zementen nur bei Wolfsons Porzellanfüllung 
einen deutlich gefärbten Rand erkennen. 

Bestimmung der Adhäsion. 

Als letzte der mechanischen Eigenschaften versuchte ich 
die Adhäsion der einzelnen Zemente zu bestimmen, und zwar 
folgendermassen: 

Kleine, an einem Ende mit einer Fussplatte, am anderen 
im ersten Drittel mit einem Schraubengewinde versehene, zur 
Sicherheit vergoldete Metallstifte stellte ich auf den Boden 
konischer, 5 Mm. tiefer und 4'/,, beziehungsweise 4 Mm. im 
Durchmesser betragender Einbohrungen von Elfenbeinklötzchen 
und kittete sie mit den betreffenden Zementen ein. 

Nachdem ich nach einer Stunde Trocknens die Klötzchen 
sechs Tage unter Speichelwasser gelassen hatte, wurde an die 
Schraube eine mit einer entsprechenden Schraubenmutter ver¬ 
sehene Oese angeschraubt. Die Elfenbeinklötzchen mit der 
Oese nach unten wurden in die entsprechende schaufei- 


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504 


Dr. Max Kulka, Teschen. 


förmige Einspannvorrichtung Fig. 6 a eingeschoben und das 
Ganze in dem kurzen Ansatz der Prüfungsmaschine befestigt 
(Fig. 6), um dann wie früher mit dem Flaschenzug verbunden 
und belastet zu werden. Zu meiner Ueberraschung wurden die 
eingekitteten Stifte samt dem sie umgebenden Zementblock bei 
fast allen Zementen durch eine ganz minimale und nicht 
nennenswerte Belastung herausgerissen. Bei den nächsten 
Kontrollprüfungen liess ich die Klötzchen vorerst zirka 
•/* bis 1 Stunde trocknen, ehe ich an die Wiederholung der 
Prüfung ging und siehe da, meine Gewichte reichten nicht 
aus, um die Stifte herauszureissen. 

Die Erklärung für diese Erscheinung dürfte folgende sein: 
Das Elfenbein ist, wie ich aus mehreren Versuchen feststellte, 
stark hygroskopisch. Durch die Wasseraufnahme quillt es auf 
und ändert sein Volumen. Infolgedessen reissen die Wände 
der Bohrungen sich von den eingefüllten Proben ab und 
konnte ich letztere, wenn die Blöcke noch feucht waren, leicht 
herausstossen. 

Dass die Proben aber, wenn die Klötzchen völlig trocken 
wurden, äusserst schwer herauszuziehen waren, ist ein Beweis, 
zwar nicht für die Adhäsion, die ja bereits gestört war, so 
doch für den ziemlich dichten Wandanschluss fast aller unter¬ 
suchten Zemente. 

Um für diesen Wandanschluss einigermassen Zahlen auf¬ 
zufinden, schied ich Proben, die auch im feuchten Zustande 
fester hafteten, also die Quellung des Elfenbeins mit- 
gemacht hatten, aus und liess die übrigen nicht völlig 
trocknen, sondern prüfte sie nach etwa 5 bis 10 Minuten, 
nachdem sie aus dem Wasser genommen waren. Ich erhielt 


folgende Werte: 

Tabelle. 

Speiers neuer Silikatzement ...... 27*333 Kg. 

Harvard-Zement. 27*239 „ 

Lynton. 17*940 „ 

Achat. 16*740 „ 

. de Treys Impervious-Zement. 11*800 „ 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphatzemente. 696 


Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz . . 11-100 Kg. 

Aschers künstlicher Zahnschmelz , . . . 10-487 „ 

Silicin.. . .. 10-380 „ 

Astral... 8-668 „ 

Schönbecks Silikatzement . 5-938 „ 

Smaltid ..; . , . 5 792 - 

ff 

Wolfsons plastische Porzellanfüllung . . . 3*800 „ 

Harvardid Improved IV . .... . . 3*680. „ 


Diese Zahlen, die allerdings nach den ausgeführten' Um¬ 
ständen nicht Anspruch auf zwingende Exaktheit machen 
dürfen, geben also ein ungefähres Mass für den mehr .oder 
weniger dichten Wandanschluss der einzelnen Zemente, 
womit auch etwas gewonnen ist. 

Ich halte überhaupt dafür, dass die Bestimmung des 
Wandanschlusses, respektive der Festigkeit der Verankerung 
der Zemente mit den Rauhigkeiten der Kavitätsflächen das 
Entscheidende ist. Eine eigentliche Adhäsion, ein richtiges 
Kleben der Zemente betrachte ich, in Hinsicht auf vielerlei 
anderweitige Versuche, als ziemlich ausgeschlossen. 

Adhäsions- oder klebfähig sind nur Kolloide oder Ge¬ 
menge, welche solche, wie Leim, Gelatine, Gummi arabicum, 
Stärke in Lösung, also Kleister etc. enthalten. Doch müssten 
wir jedes Zement, das etwa derartige fäulnisfähige Stoffe ent¬ 
hält, aus unserem Materialiensohatz kurzerhand entfernen. 

Mithin bleibt für die Zemente nur die Möglichkeit eines 
innigen Wandanschlusses und einer mechanischen oder stoff¬ 
lichen Verankerung mit dem Dentin übrig. Wie eine solche 
stoffliche Verankerung denkbar ist, zeigt folgendes Beispiel. 

Ein Nagel, in Holz oder in die Wand eingeschlagen, lässt 
sich nach Jahren vier sch wieriger entfernen, ebenso löst sich 
eine fest angezogene Schraube nach längerer Zeit viel schwerer: 
Man sagt, der Nagel, die Schraube ist eingerostet. 

Die miteinander durch längere Zeit verbundenen Körper 
gehen an der Berührungsstelle durch Neubildung einer Zwischen¬ 
schicht, die als Kitt wirkt, ineinander über, in dem angeführten 
Beispiele durch Bildung von. Rost. ■ ■ _ • 


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Dr. Max Ktüka, Tescben. 


m 


Es liegt nun die Annahme nahe, dass es auch bei den 
Zementfüllungen zur Neubildung einer Zwischenschicht, eines 
Kittes, zwischen Zement und Wandung der Zahnkavität kommt, 
durch Austausch chemischer Bestandteile oder auch dadurch, 
dass die Zemente von der noch nicht gebundenen Säure etwas 
an die umgebende Zahnwandung abgeben, wodurch diese 
entkalkt wird und sich infolgedessen ein neuer Zwischenkörper 
bildet, der als solcher natürlich schwer oder gar nicht kon¬ 
statierbar, nichtsdestoweniger aber vorhanden sein dürfte und 
als Kitt wirkt. 

Je inniger sich nun der Zement der Kavitätenwandung 
anschmiegt, d. h. einen je besseren Wandanschluss er nach 
vorliegender Tabelle zeigt, desto leichter dürfte es zur Bildung 
dieser supponierten Zwischenschicht kommen, desto besser 
haftet der Zement. 

Die Werte der Tabelle geben uns also ein ungefähres 
Mass für den möglichen Wandanschluss und damit indirekt 
für die Haftfähigkeit der einzelnen Zemente. Weitere, anders 
angeordnete Versuche, mit denen ich zurzeit beschäftigt bin 
und bei denen ich die Hygroskopizität des Elfenbeins — denn 
Elfenbein muss ich benutzen, um dem Dentin nahe zu kommen 
— unschädlich zu machen hoffe, werden mich in die Lage 
versetzen, nach einiger Zeit exakte Werte über die Haftfähig¬ 
keit und vielleicht vorhandene Adhäsionskraft der Zemente zu 
veröffentlichen. Ebenso gedenke ich dann, eine sorgfältige 
Darstellung der Strukturverhältnisse der geprüften Zemente der 
Fachwelt mitteilen zu können und desgleichen Prüfungen über 
die eventuellen Volumänderungen derselben beim und nach 
dem Erhärten. 

Chemischer Teil. 

Ich übergehe nun zum zweiten Teile meines Vortrages 
und will die^ Ergebnisse meiner Untersuchungen, die Löslichkeit 
der Zemente in Säuren betreffend, besprechen. 

Ueber die Wertung der Zemente durch Löslichkeitsversuche 
in Säuren ist viel geschrieben und auch viel gestritten worden. 

So wie bei diesen Versuchen wirken die Säuren im 
Munde unter keinen Umständen, da sonst nichts von den 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der 8ilikat- u. Zinkphosphatzemente. 697 


Z&hnen auch nur nach einem Jahre übrig bleiben könnte, wie 
ich nachzuweisen in der Lage bin. 

Man muss sich immer vor Augen halten, dass durch den 
Reiz einer jeden in den Mund eingeführten Speise, besonders 
aber der säurehältigen Speisen die Speichelsekretion mächtig 
angeregt wird, so dass die Säuren durch den reichlich zu- 
fliessenden alkalischen Speichel fast momentan neutralisiert 
und verdünnt, weiters durch die gleichzeitig reflektorisch sich 
einstellenden unwillkürlichen Schluckbewegungen aus der Mund¬ 
höhle rasch entfernt und infolgedessen unschädlich gemacht 
werden; dazu kommt noch der Umstand, dass nachgewiesener- 
massen im Munde eines Erwachsenen normaliter innerhalb 
24 Stunden zirka 1*/, Liter Speichel sezerniert werden. 

Nichtsdestoweniger bestimmte ich des Vergleiches halber 
und um ein Mass zu finden die Löslichkeit der von mir ge¬ 
wählten Zemente in Milch- und Essigsäure, als die am meisten 
in Betracht kommenden Säuren. 

Zu diesem Zwecke hängte ich Proben, die vorher 16 Tage 
unter Speichel und Wasser gelegen waren, nach genauer Be¬ 
stimmung ihres Gewichtes in Seidenbeutelchen suspendiert in 
O'öprozentige Lösungen von Milch- und Essigsäure ein. 

Ich wählte diese Form des Einhängens, um in der Nähe 
der Proben eine Sättigung an gelösten Substanzen zu vermeiden. 

Wird nämlich in der Nähe eines auf seinen Lösungsgrad 
zu untersuchenden Körpers die Lösungsflüssigkeit mit gelöster 
Substanz gesättigt, so kann die ungesättigte Flüssigkeit selbst¬ 
redend nicht früher angreifen, sie bleibt inaktiv, insolange nicht 
die gelösten Substanzen weggeschwemmt werden. 

Ersteres vermied ich, beziehungsweise letzteres erreichte 
ich automatisch durch dieses Einhängen der Proben. Die in 
der Umgebung der Proben gelösten Substanzen sinken, weil 
spezifisch schwerer als die Lösungsfähigkeit, zu Boden und die 
ungesättigte Flüssigkeit kann wieder weiter angreifen. Es ent¬ 
steht gewissermassen eine Flüssigkeitsströmung, ähnlich wie 
beim Lösen von Zucker oder Salz im Wasser, wo sie mitunter 
mit freiem Auge sichtbar ist. 


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508 Dr. Max Kulka, Tescheü. 

Nach 24 Stuüden nahm ich die Proben heraus — durch 
dieses gewissermasse Aufrühren entstand bei manchen Zement¬ 
proben, momentan eine wolkige Trübung der Flüssigkeit — 
bürstete sie mit einer reinen, mit Wasser angefeuchteten Zahn¬ 
bürste ab, Kess sie eine Zeitlang trocknen und bestimmte ihr 
Gewicht aufs neue. 

Nach den Gewichtsverlusten geordnet, ergab sich: 


Verluste in 0*5 prozentiger Milchsäurelösung. 



Absol. Gewichts¬ 
verlust in Mgr. 

Verlust in 
Prozenten 

Aschers künstlicher Zahnschmelz 

. . 7-7 

7*1 

Silicin . . ; . . . . . . 

. . 7-8 

7-2 

Astral ... . . . . . . 

. . 8-7 ' 

80 

Harvardid IV . . ... . . 

.. 8-8 

8-3 

Schönbeck . . . . . . . . 

. . 10-3 

28-6 

Smaltid . ... . . . . . 

. . 10-3 

28-5 

Achat. 

. . 211 

11-6 

Harvard-Zement . . ... . 

. . 21*1 

12-5 

de Trey ........ 

. . 21-7 

11*7 ; 

Speier.. 

. . 22*5 

12-3 

Hoff mann ... 

. . 23-7 

22-7 

Harvardid III ...... . 

. . 23-9 

21-3 

Lynton. 

. . 244 

16-3 

Wolfson. 

. . 34-8 

29-7 

Natürlicher Zahnschmelz zum Vergleich 21*0 

28-5 

Verluste in 0*5 prozentiger Essigsäurelösung. 

Absol. Gewichts¬ 
verlust in Mgr. 

Verlust in 
Prozenten 

Aschers künstlicher Zahnschmelz. 

. 0*1 

0-09 

Silicin.. . . 

. 01 

0*09 

Astral .......... 

. 0-2 

0-18 

Schönbeck. 

1-4 

1-22 

Smaltid . ... . . . . . 

P4 

1-22 

Wolfson . . ■.. 

. 3-1 

2-64 

Harvardid IV . . . . . . 

. 4-0 

4-31 

Speier .......... 

. 6-8 

3-57 

Harvardid HI. 

. 7-0 

6-17 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- u. Zinkphospliatzemente. 699 


Lynton ....... 

Absol. Gewichts* 
verlost in Mgr. 

• • 7 -1 

Verlust in 
Prozenten 

4-70 ,, 

Hoffmann.. . . 

... 7-2 

6*78 „ 

Harvard-Zement. 

... 8-6 

5-04 , 

Achat . 

. . . . 11-6 

6-38 

de Treys Zement . . . , 

. . . . 12-8 

719 

Natürlicher Zahnschmelz zum 

Vergleich 7-7 

12-38 


Es interessierte mich nun, vergleichsweise zu erfahren, 
wie sich wohl der natürliche Zahnschmelz in Säuren von 
diesem Konzentrationsgrade verhalten mag, ob und inwieweit 
er auch attakiert wird. 

Zu diesem Zweck verwendete ich vollkommen intakte 
Eckzähne, kniff die Kronen an der Wurzel hart an der 
Zementgrenze ab, spaltete sie frontal und bohrte mit einem 
Rosenbohrer alles Dentin sorgfältig aus, so dass nur die dünne 
Schmelzhülle übrigblieb. 

Einzelne Teile dieser Schmelzhülle wurden genau ge¬ 
wogen und wie früher in 0‘5 prozentige Milch-, beziehungs¬ 
weise Essigsäure eingehängt. 

Nach 24 Stunden herausgenommen und ebenso be¬ 
handelt wie die untersuchten Zemente, ergab sich das höchst 
interessante Resultat, dass der natürliche Zahnschmelz 
in der Milchsäure einen absoluten Gewichtsverlust 
von 21 Mgr., das ist in Prozenten ausgedrückt 28*5 Pro¬ 
zent und in Essigsäure einen absoluten Gewichts¬ 
verlust von 7-7, das ist 12*38 Prozent erlitten hatte. 
Der natürliche Zahnschmelz kommt also in beiden 
Fällen beinahe schlechter weg, als der schlech¬ 
teste Zement und ist wohl durch dieses Untersuchungs¬ 
ergebnis der sicherste Beweis erbracht, dass mit der bisher 
üblichen Wertung der Zemente durch Prüfung ihrer Säure¬ 
beständigkeit nicht der richtige Weg eingeschlagen wurde. 

Es lag also für mich die Beantwortung der Frage vor, wieso, 
es doch kommt, dass so viele, ja man kann nach den bisherigen 
praktischen Erfahrungen ruhig behaupten, die meisten Zemente 
nach mehr oder minder kurzer Zeit sich im Munde auflösen und 
schwinden, während der natürliche Zahnschmelz- intakt bleibt? 


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600 


Dr. Max Kulka, Teschen. 


Die Säuren können nach dem vorherigen Prüfungs¬ 
resultat nicht unbedingt verantwortlich gemacht werden und 
auch von den Alkalien wissen wir aus den bisherigen un¬ 
zähligen Versuchen, dass sie in schwacher Konzentration 
absolut gar keinen oder auf manche Zemente nur einen 
geringen lösenden Einfluss ausüben. 

Man sah eben bei den bisherigen Versuchen 
den Wald vor lauter Bäumen nicht! 

Wie bereits erwähnt, sezemieren die Speicheldrüsen im 
Munde eines gesunden erwachsenen Menschen ungefähr 
1*1 2 Liter Speichel. Das ist doch ein Faktor, mit dem ge¬ 
rechnet werden muss, der also nicht unbeachtet und ungeprüft 
gelassen werden durfte. 

Der Speichel aber ist der Hauptsache nach eine 
wässerige Flüssigkeit und vom Wasser wissen wir, dass es 
unter allen Lösungsmitteln mitunter weitaus das beste sein kann. 

Meine Aufgabe war es daher, zu untersuchen, welchen 
Einfluss wohl der Speichel als solcher, das heisst als flüssiges, 
wässeriges Medium auf die Zemente ausübt, um die mir 
gestellte Frage zu lösen. 

Zu diesem Zwecke holte ich mir vor allem ein früher 
erhaltenes und wohl notiertes Prüfungsresultat hervor, das mir 
bisher nicht ganz klar gewesen war. 

Ich hatte nämlich im Verlaufe meiner Versuche, auf¬ 
richtig gesagt nur aus Spielerei, mehrere Proben nach drei 
Stunden langem Trocknen genau gewogen und dann, ohne 
zu evakuieren, unter Speichel und Wasser gebracht, um zu 
kontrollieren, ob und wann die Zemente genau soviel Flüssig¬ 
keit aufnehmen werden, als die bei den Porositätsprüfungen 
für jeden Zement gefundenen Werte angaben. 

Nach ungefähr 16 Tagen nahm ich die Proben heraus und 
wog sie genau. Da nun aber die wenigsten eine Gewichtszunahme 
zeigten, die meisten vielmehr einen Gewichtsverlust aufwiesen, 
wusste ich mit diesem Ergebnis nichts Rechtes anzufangen. 

Jetzt aber verstand ich die Zahlensprache, zog von den 
notierten Werten bei jedem Zement den für das Porositäts¬ 
verhältnis gefundenen Wert ab und es ergab sich, dass bei- 


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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkpliosphatnemente. 601 

nahe alle Zemente im Speichel und Wasser Gewichtsverluste 
erlitten hatten. 

Um nun die durch diese Subtraktion empirisch gefundenen 
Werte durch das Experiment zu überprüfen, stellte ich mir 
wiederum von jedem Zement je drei gleich grosse Proben her. 
Diese wurden nach 3 Stunden langem Trocknen in dünnen 
Röhrchen mit einer Spur von Wasser bedeckt und so 48 Stunden 
belassen, um dem Erhärtungsprozess Zeit zur Vollendung zu 
geben, dann wurden sie nach 3 Stunden langem Trocknen genau 
gewogen, hierauf ähnlich wie bei den Säureprüfungen in Seiden¬ 
beutelchen suspendiert, diesmal aber in pures Wasser ein¬ 
gehängt und die Lösungsgefässe in den Thermostaten gestellt. 
Das Wasser wurde täglich zweimal erneuert und gleichzeitig 
die Proben bei dem jedesmaligen Wasserwechsel durch einen 
kräftigen Wasserstrahl von etwa bereits gelöster, aber noch 
anhaftender Substanz gesäubert. 

Nach zirka 4 Wochen wurden die Proben heraus¬ 
genommen, abgebürstet, eine Zeitlang an der Luft getrocknet 
und schliesslich wieder genau gewogen. 

Nach den sich dabei ergebenden Gewichtsverlusten ge¬ 
ordnet, erhielt ich folgende Tabelle: 

Gewichtsverluste der Zemente im Wasser: 


Absol. Gewichts- Verlust in 
verlast in Mgr. Prozenten 


Aschers künstlicher Zahnschmelz 

. . - 

— 

Astral. 

. . — 

— 

Silicin. 

. . — 

— 

de Treys Impervious-Zement . . 

. . 1-7 

1*1 

Harvard-Zement. 

. . 2-2 

1-4 

Schönbeck . 

. . 2-5 

2-4 

Smaltid. 

. . 2.5 

2-4 

Harvardid Improved IV . . . 

. . 2-6 

2-8 

Achat. 

. . 2-8 

1-8 

Speier. 

. . 4-0 

2-4 

Wolfson. 

. . 4-2 

4-1 

Lynton. 

. . 5-5 

4-9 

Harvardid III. 

. . 6-4 

6-7 

Porzellanoid. 

. . 101 

11-7 


8 


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602 Dr. Max Kulka, T es eben. Ueler die wichtigsten Eigenschaften etc* 

Diese letzte Prüfung und die dabei gefundenen, Zahlen, 
besagen meiner Ansicht nach viel mehr und sind viel [ sicherer 
für die Weitung der Zemente in bezug auf ihre Löslichkeit, 
als alle Säureprüfung. 

Indem ich mich darauf beschränke, die von mir aus¬ 
gestellten Tabellen für sich selbst reden zu lassen, will ich 
zum Schlüsse nur mit kurzen Worten das Gesamtergebnis 
streifen. . 

Ein Ueb erblick über das gefundene Zahnmaterial lehrt: 

Abgesehen von ihren vielfach gerühmten ästhetischen 
Eigenschaften sind die bekannten Silikatzemente in 
chemischer'Hinsicht, in ihrer Widerstandsfähigkeit gegen 
lösende Agentien, wie Wasser und Säuren, den Zinkphosphat- 
zementen entschieden und zuweilen beträchtlich 
überlegen; in ihren mechanischen Eigenschaften, von denen 
sich leider die Haftfähigkeit der exakten Prüfung entzog, er¬ 
gaben sie häufig, das bekannteste Silikatzement, Aschers 
künstlicher Zahnschmelz und das in Oesterreich und Ungarn 
seit jüngster Zeit sehr beliebte Silicin, durchwegs einen 
ganz erheblichen Fortschritt. 

Diese Resultate stimmen auch vollkommen mit den in 
der Praxis sowohl mit den Silikat- als auch mit den Zink¬ 
phosphatzementen gemachten Erfahiungen überein und habe 
ich demnach den vollständigen Beweis erbracht, dass es ganz 
wohl möglich ist, durch exakte Laboratoriumsprüfungen, wenn 
diese nur den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend ange¬ 
ordnet werden, sich von der Brauchbarkeit eines Zementes in 
kurzer Zeit zu überzeugen. 


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Zahnarzt G. Haase, Coblenz. Ueber $ie Beziehungen etc. 


603 


Nmcbdrock nur mit genauer Quellenangabe gestattet 

Heber die Btziekojp zwiscta der Kristalltestalt and dei 
Fomreräedrap der Z airo maipn' 

f Von G. Hasse , Zahnarzt in Coblenz. 

f 

Es mögen 70 Jahre vergangen sein, seitdem Charles 
Tomes sich bereits mit der Struktur unserer Amalgapne 
beschäftigte. Zu welchen Ergebnissen er bei der damaligen 
Unvollkommenheit der optischen Instrumente gelangte, ist nicht 
bekannt geworden, da Aufzeichnungen über die Art der Kristalle 
und über den Weg, sie dem Auge sichtbar zu machen, fehlen. 
Wenn ich nun heute an dieser Stelle auf denselben, lapge 
vergessenen Gegenstand zurückkomme, so geschieht es nicht 
allein, um eine Lücke auszufüllen, sondern weit mehr in der 
Absicht, Sie, geehrte Kollegen, anzuregen, den exakten Natur¬ 
wissenschaften eine grössere Aufmerksamkeit zu schenken, 
damit unser wichtiges Spezialfach, welches in seinem an¬ 
gewandten Teile fast ganz auf technische Hilfsmittel angewiesen 
ist, auf der Höhe der Zeit bleibe. Wir gebrauchten reichlich 
25 Jahre, um die Ursache der Formveränderungen in groben 
Zügen aufzudecken, ohne zu wissen, dass dieses Problem, 
soweit es auf physikalischem Gebiete liegt, von deutschen 
Kristallographen längst in aller Gründlichkeit gelöst war. 

Bei der Bereitung des plastischen Amalgams hatte die 
Erfahrung schon früh gelehrt, dass alte abgelagerte Späne 
wesentlich andere Eigenschaften als neue besitzen. Sie erfordern 
weniger Hg zur Auflösung, verlängern die Dauer der Plastizität 
und vermindern auch die Veränderlichkeit. Aber erst G. V. Black 
erkannte den molekularen Ursprung, nachdem es ihm zu Ende 
des vergangenen Jahrhunderts gelungen war, frische Späne 
-durch kürzeres oder längeres Erwärmen im Wasserbade bei 


» Voitrag, gehalten auf der 79. Versammlung deutscher Naturforscher 
du l Aerzte in Dresden (September 1907). 


8 * 


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604 


Zahnarzt G. Hasse, Coblenz. 


bestimmten Temperaturen in den alten Zustand überzuführen. 
Hieran anknöpfend stellte er die Schwankungen des Volumens 
an einer Reihe bekannter Amalgame durch exakte Messungen 
kleiner Zylinder, welche teils aus frischen, teils aus erwärmten 
Spänen hefgestellt waren, ziffernmässig fest und wies durch 
Vergleich der Resultate nach, dass das Mischungsverhältnis für 
unsere Amalgame kein beliebiges sei, sondern sich nach be¬ 
stimmten Proportionen regeln müsse. Seitdem hat dieses 
wichtige Füllungsmittel eine wesentliche Verbesserung erfahren, 
aber ein geringer Grad von Veränderlichkeit ist aller Be¬ 
rechnung zum Trotz bestehen geblieben. Black selbst gibt für 
die reine J^-Sto-Legierung, bestehend aus 65% Ag -f 35% Sw, 
eine Kontraktion von 25/* und für die modifizierten Legierungen, 
welche neben der Stammlegierung von 61*75% Ag + 33*25% Sn 
noch 5°/o eines anderen Metalles enthalten, eine solche von 
12*5 /* für Om, von 15/* für Bi , von 17*5 /* für Au und von 
25/* für Fb an. Cd und Zn bewirken eine Expansion von 
12*5 und 22*5/*. 

Neuere Versuche, die Ruhelage auf Grund der angeführten 
Werte durch zweckmässige Kombination der Zusätze zu ge- 
gewinnen, sind, wie nicht anders zu erwarten war, gleichfalls 
ergebnislos verlaufen. Denn die letzte Bewegung entfliesst aus¬ 
schliesslich der chemischen Verwandtschaft und bedingt wegen 
der gegenseitigen Beeinflussung während des Lösungsvorganges 
eine ungleiche Dissoziation mit der natürlichen Folge der Volum- 
schwänkungen. Dass sie jedoch vermieden werden können, 
geht aus den Messungen Blacks an den reinen Ag-Sn-Le - 
gierungen hervor. Sie liefern den unanfechtbaren Beweis, dass 
vollständige Unveränderlichkeit aus physikalischen Gründen bei 
gewöhnlicher Temperatur allerdings nur in einem einzigen 
Falle möglich ist. 

Folgende Legierungen 

40 Ag -f- 60 Sn haben 22*5/* Kontraktion und 7*5/* Expansion 

45 Ag 55 Sn „ 27-5/z „ „ 2-5 p „ 

50 -Ag + 50 Sn „ 42-5/z „ „ 2‘5/z „ 

55 Ag + 45 Sw „ 45 jx „ „ — „ 


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Ueber die Beziehungen zwitcben der Kristallgestalt etc. 605 

60 Ag + 40 Sn haben 42'5 p Kontraktion und — Expansion 
65^ + 355» „25 p „ „ - • „ 

70^ + 30Sn „ 17-5/1 „ „ - 

75 4, +25 ä. „ - „ „ 15/. 

Bei einem Vergleiche dieser Ziffern findet man, dass die 
Zu- und Abnahme des Volumens mit der gleichmässig fort¬ 
schreitenden Aendei;ung der Zusammensetzung nicht gleichen 
Schritt hält, sondern kürzere oder längere Sprünge macht, die zu 
den Atomgewichten in einem bestimmten Verhältnis stehen. In 
den leicht ableitbaren Formeln für die Grösse der Schwankungen 
sind die Divisoren umgekehrt den Quotienten proportional, 
aber es lassen sich die innern Beziehungen zwischen Divisoren 
und Atomgewicht nicht genau erkennen, weil die Abstufungen 
in den Gewichtsverhältnissen leider nicht wissenschaftlich ge¬ 
wählt sind. Mit der Zunahme das Ag findet gleichzeitig eine 
ebenso grosse Abnahme des Sn statt, so dass der Einfluss 
des einen Metalles auf das andere nie genau eingeschätzt 
werden kann. Immerhin genügen für unsere Zwecke die vor¬ 
handenen Angaben. Bringt man den Sachverhalt graphisch 
zur Darstellung, indem man das Mischungsverhältnis auf die 
Abszisse eines Koordinatennetzes einträgt und danach den Ver¬ 
lauf der Ag- und &»-Linie bestimmt, so erhält man durch 
Lotung für eine jede Legierung den höchsten Punkt der Kon¬ 
traktion und Expansion von der Ordinate als Gleichgewichts¬ 
linie gedacht. Verbunden geben die Punkte den Gang der 
Schwankungen als Kurven an. In den drei ersten Legierungen 
mit einem Gehalt von 40 bis 50*/ o Ag tritt über der Kon¬ 
traktionskurve noch eine kleinere für die Expansion auf, welche 
sich mit der ersteren durch Zeichnung nicht in Verbindung 
bringen lässt, weil sie die entgegengesetzt wirkende Kraft an¬ 
zeigt. Aber gerade durch das Fehlen eines Verbandes und durch 
die Grösse ihrer Abstände weisen sie auf hohe Spannungen und 
auf die stärkere Zuneigung des Sn zum Ag als zum Hg hin, 
was besonders auffallend bei der Gleichheit der Mengen zur 
Geltung kommt. Das Ag muss von einer Hülle Zinnatome um¬ 
geben und so gegen die erste Einwirkung des Hg geschützt 
sein. Unmittelbar nach der Beendigung der Kontraktion setzt 


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Ueber die Beziehungen zwischen der Kristallgestalt etc. 


607 


in ihren Höhenpunkten entgegengesetzt wirkend die Expansion 
ein und bezeichnet damit den Durchbruch der Hölle, sowie 
den neuen Einfluss des Ag. Bei einem Gehalt von 55 bis 75%, Ag 
verschwindet die zweite Kurve ganz und die Bewegung schreitet 
in bestimmten Abständen nur in e i n e r Richtung zur Ordinate 
ansteigend und darüber hinaus fort. Daraus geht hervor, dass 
mit der Zunahme des Ag der hemmende Einfluss des Sn auf 
die Dissoziation schwindet. Die Hölle ist lückenhaft geworden 
und lässt das Hg von vornherein gleichzeitig auf beide Metalle 
einwirken. Nach weiterer Verminderung des Sn wird endlich 
im Schnittpunkt der Ordinate bei 7jJ*75 °/„ Ag nicht nur das 
molekulare, sondern auch das räumliche Gleichgewicht erreicht, 
womit selbstverständlich jede Bewegung aufhört. Alle anderen 
Legierungen. müssen, man darf die Sache drehen und wenden 
wie man will, immer Kontraktion oder Expansion besitzen. 

Der Uebertritt der Kurve ins Expansionsgebiet selbst 
führt zu einer sehr charakteristischen Erscheinung. Aus mathe¬ 
matischen und physikalischen Gründen erfolgt an dieser Stelle 
eine , horizontale und vertikale Achsendrehung der Moleküle 
um 180° und so beobachten wir an unseren Amalgamen, 
welöhe etwas über der Ordinate liegen, eine Reihe paralleler 
Verwachsungen der Kristalle. 

: Wie verhält sich nun die Wirklichkeit zu dieser theoretischen 
Betrachtung? Es gibt zwei Wege, welche einen Einblick in den 
verwickelten Zusammenhang der Dinge gestatten. Der erste liegt 
auf dem Gebiete der Lösungen und wurde zuerst von Adolf 
Witzei in den Tauchversuchen flüchtig betreten. Die Chemie 
bedient sich heute der Lösungen in verdünnter Form mit Er¬ 
folg und ist durch sie bereits zu wertvollen Entdeckungen des 
selbständigen .Auftretens und der Verkettung der Atome in 
den Legierungen, sowie einiger chemischer Verbindungen in 
ihnen gelangt. Hier wird uns in Zukunft nur die Arbeit des 
Sichtens für 1 unsere Zwecke übrig bleiben. Der zweite Weg, 
gangbar gemacht durch das Mikroskop und die photographische 
Platte, liegtauf dem Gebiete der Kristalle. Sie zu finden schien 
mir wichtig, um zu ermitteln, in welcher Weise sie an den 
Formveränderuhgen Anteil nehmen. 


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608 


Zahnarzt G. Hasse, Coblenz. 


Unsere Amalgame sind bekanntlich Lösungen kristal¬ 
linischer Legierungen in Eg und unterstehen, gleichviel ob 
plastisch oder fest, nach den Untersuchungen van’t Hoffs 
der Wirkung des osmotischen Druckes. Die Löslichkeit der 
Legierungen ist ungleich und hängt ihrer Zusammensetzung nach 
von den chemischen und physikalischen Eigenschaften, sowie 
von der Temperatur ab. Da sich jedoch die Eigenschaften der 
Körper in den Kristallen widerspiegeln, so muss bei der Auf¬ 
lösung auch die Gestalt in Gewicht fallen, und zwar nicht bloss 
bei vorhandener Ungleichartigkeit, sondern auch wenn De¬ 
formationen in grösserem Umfange vorliegen. Darum ist die 
Kenntnis der morphologischen Verhältnisse der Füllungs¬ 
legierungen und der Wirkung des Zerkleinerungsaktes für die 
Beurteilung des Lösungsvorgangs und der sich daran knüpfenden 
Folgeerscheinungen unbedingt erforderlich. 

Die Untersuchung kann wegen der Undurchsichtigkeit der 
Materie nur auf die Oberfläche der Gussblöcke und auf plane, 
fast strichfreie Schliffe ausgedehnt werden. Dünnschliffe von 
0*01 Mm. Dicke hellen sich bei durchfallendem Lichte zwar auf, 
lassen die Grenzlinien der Kristalle aber nicht mit der Klarheit 
erscheinen, wie es bei auffallendem Licht der Fall ist. Auch 
Röntgenstrahlen, von Heycock und Neville für Au-Na- 
Legierungen mit Erfolg angewandt, eignen sich für unsere 
Legierungen wegen der gleichmässig schwarzen Färbung des 
Bildes nicht. Das gleiche gilt für Radiumemanation. 

Als Objekte dienten die reinen und modifizier I enLegierungen 
Blacks, sowie ähnliche, denen Cr in minimaler Menge bei¬ 
gefügt war, um die schnelle Erstarrung aufzuhalten. Die Guss¬ 
blöcke zeigen teils dem blossen Auge, teils bei zehnfacher 
Lupenvergrösserung die Ansätze zur KristallisatiQn, aber selten 
so rein, dass man daraus die einzelnen Formen ohne weiteres 
erkennen könnte. Prismatische Anlagen verursachen Bi, Cd und 
JZn, deutliche Würfel das Cr. Wie nirgend sonst tritt in der 
-4$r-0-Legierung ein Netzwerk erhabener, 1 bis l 1 /» Mm. langer 
paarig gefiederter Linien hervor, welche zu mehreren von einem 
Scheitelpunkte auslaufen und deren Nebenlinien stets in einem 
Winkel von 45 • auf sie stossen. Sie setzen sich alle aus perl- 


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Ueber die Beziehung« zwischen der Kristallgestalt etc. 609 

schnurartig, diagonal aneinander gereihten kleinsten Würfeln 
zusammen und zeigen so den an vielen Punkten beginnenden 
Gang der Kristallisation an. Die Bildung erinnert ganz an echte 
Bronzen. Leider ist der Legierung eine Zähigkeit eigen, welche 
der Zerkleinerung den grössten Widerstand entgegensetzt 

Die Kristalle sind an ihren Umrissen bei hundertfacher 
Vergrösserung unter der Okularlupe an schräg gestellten Schliffen 
oder noch besser in der horizontalen Ebene mittels Vertikal¬ 
illuminators erkennbar. Sie ruhen einzeln oder als Aggregate 
ein- bis zweifachen Grades regellos verteilt in einer homogenen 
Grundmasse. Letztere kann in grösserer Menge, aber auch 
äusserst spärlich vorhanden sein, so dass sie den Anschein 
gröberer oder feinerer Gewebsmaschen erweckt. Ueber ihre 
Zusammensetzung ist nichts bekannt, wahrscheinlich besteht 
auch sie aus allerkleinsten engverbundenen Kriställchen. Die 
Aggregation führt zu unregelmässig gestalteten Gebilden, die 
hie und da der Kristallform der eigenen Individuen sehr nahe 
kommen. Die Deutung der Kristalle erfordert grosse Uebung 
und zuweilen starke Vergrösserungen, wobei kunstgerecht polierte 
und geätzte Schliffe als Grundlage dienen. 

Die reinen -d^-Sn-Legierungen enthalten Rhomboeder, 
hexagonale Prismen und Würfel, von denen die eine oder 
die andere Form nach der jeweiligen Zusammensetzung das 
Uebergewicht oder die Alleinherrschaft hat. In der Legierung 
von 40 Ag -(- 60 Sn finden wir in reichlicher Grundsubstanz 
sowohl das hexagonale als auch das reguläre System vertreten. 
Unverkennbar ist die Beeinflussung der Stammlegierung durch 
Z usätze. 

Bi, hexagonal kristallisierend, verdrängt den Würfel ganz. 
Es erzeugt in allen Schichten des Gusses grosse, doppelt ge¬ 
gliederte Aggregate bis zu 90 //, welche gepresst aneinander 
liegen und nur wenig Platz für isolierte Rhomboeder und 
Grundsubstanz lassen. Au in Verbindung mit Cr ruft Oktaeder- 
und vielleicht auch Rhombendodekaederbildung hervor. In den 
unteren Schichten sind die Kristalle zum grössten Teile isoliert, 
in den oberen und mittleren lagern Aggregate ein- bis zwei- 


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610 


Zahnarzt G. Hasse, Cobletoz 


fachen Grades mit einem Durchmesser bis 80 //. Die Grund¬ 
substanz fällt etwas reichlicher als bei Bi aus. 

Cd erzeugt Rhomboeder von- etwa - 30 g Durchmesser. 
Einzelheiten sind wegen hohen Glaüzes und gleichmässiger 
Färbung unsichtbar. 

Das hexagonale Zn ruft äusserst kleine Prismen gleichen 
Gharakters bis zu 18 // Lange in ein* bis zweigliedrigen Aggre¬ 
gaten hervor. Die einzelnen Haufen sind stark verzogen und 
von mässiger Grundsubstanz eingehüllt. 

Cu und Cr bewirken reguläre Würfelbildung mit geringer 
Grundsubstanz. Die Aggregate sind einfach gegliedert und bei 
Cr sehr gross. Die Kristalle haben hier etwa 7 g und bei Cu 
10 bis 12// Durchmesser. 

Nächst der Grösse ist die chemische Konstitution von 
Bedeutung. Ag und Sn sind in allen Verhältnissen mischbar, 
aber sie sind es nicht in dem Sinne wie Ag und Au , jeder¬ 
zeit isomorphe Mischungen bildend. Freilich, unter gewissen 
Bedingungen der Zusammensetzung werden auch sie als solche 
angesprochen werden müssen, wenn sich nämlich die Ver¬ 
mutung Behrens, dass Ag< Sn und Ag B Sn chemische Ver¬ 
bindungen sind, bestätigen sollte. Ich erwähne diesen Fall hier 
nur, um auf die Verwandtschaft beider Metalle hinzuweisen. 
Gewöhnlich sind ihre Beziehungen lockerer Natur, indem sie 
entweder als reguläre Würfel oder hexagonale Rhomboeder 
auftreten. Dass aber auch hier bereits eine Umstellung der 
Moleküle untereinander stattgefunden haben muss, unterliegt 
keinem Zweifel und ist aus der. eigepartigen Natur des Sn 
leicht zu erklären. Obschon im Prinzip rhombisch veranlagt, 
zeigt es in seiner ganzen Entwicklung eine so starke Anlehnung 
an den regulären Würfel und das hexagonale Prisma,< dass die 
direkte Ueberleitung zu dieser Form viel mehr Berechtigung 
als zum eigenen tetragonalen Prisma hat, zu dem jede Brücke 
fehlt. Von welcher Art der Zusammensetzung die Legierungen 
auch sein mögen, alle sind inhomogen und besitzen eine jede 
für sich einen bestimmten konstant bleibenden Erstarrungspunkt. 
Es sind nach chemischem Sprachgebrauch eutektische Gemische. 
Vollkommen unentschieden ist gegenwärtig noch die Ein- 


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Uebtr die Beziehungen zwischen der Eristallgestalt etc. 611 

Wirkung der Zusätze auf die Stammlegierung. Ob sie als dritte 
oder vierte Komponente in die vereinigten -4</-iS»-Moleküle 
cinrücken oder ob sie neue getrennte Molekülgattungen mit 
Ag und Sn bilden, wird die nächste Zeit lehren. Stark kann 
üie Verkettung jedenfalls nicht sein, da sie bereits durch die 
A malgamierung geschieden werden. 

Von den Kristallen, welche an der Bildung unserer 
Füllungslegierungen wesentlichen Anteil nehmen, sind die 
chemischen Formeln für das hexagonale Rhomboeder von 
Ag t Sn und für den regulären Würfel von Ag , Sn durch 
Behrens bekannt geworden, nachdem er diese Legierungen 
rein dargestellt hatte. Abgestufte Messungen von entsprechenden 
Amalgamen sind nur für Ag + Sn vorhanden. Um nun zu 
ermitteln, in welchem Verhältnis das Atomgewicht, hier ver¬ 
körpert durch den Würfel, zum Mischungsgewicht steht, rechnete 
ich die chemischen Formeln auf letzteres um. Dabei ergab sich, 
dass Ag t Sn auf 323*79 Ag 119 Sn enthält, während das Amalgam 
für die Ruhelage 121*027 Sn beansprucht. Demzufolge ist das 
Atomgewicht um 2*027 kleiner als das Mischungsgewicht. Der 
Ursprung dieser Differenz wird sich unfehlbar ermitteln lassen, 
sowie erst systematische Messungen für die .A<jr-Sn-Legierungen 
vorliegen, dafür bürgt die Bewegungskurve. Der tiefste Punkt 
der Kontraktion liegt nicht senkrecht unter dem Schnittpunkt 
der Ag- und Sn-Linie, wie man erwarten sollte, sondern ist 
etwas seitwärts zur Zinnlinie, gerückt und in dieser Verschiebung 
liegt einstweilen noch das Geheimnis. 

Die Deformationen, welche die Füllungslegierungen : durch 
die Zerkleinerung erleiden, sind dreierlei Art. Nach dem Grade 
der Fertigkeit und der Art der geschichteten Anordnung der 
Moleküle, müssen Bruch (*= Schnitt), Spaltung und Gleitung 
nebeneinander mannigfaltig abwechseln. Gerade die letzte Eigen¬ 
schaft erscheint mir für die Erklärung der ersten- Formver-; 
änderungen, welche B1 ack als molekulare bezeichnet, besonders 
wertvoll. Die Gleitung kommt durch mechanischen Druck in der 
Weise zustande* dass zwischen einer grossen Zahl paralleler 
Ebenen die Verschiebung der Moleküle in bestimmter Richtung 
sich leicht vollzieht,: wodurch der Kristall in zwei und mehr 


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612 


Zahnarzt G. Hasse, Coblenz. 


Lagen auseinander gezogen werden kann. Aber sie gestattet 
auch andererseits in vielen Fällen eine Drehung um die senk¬ 
recht zur Gleitfläche stehende Achse und führt, da diese häufig 
mit der Zwillingsebene zusammenfällt, direkt zur Zwillings¬ 
bildung. Reu sch beobachtete die Gleitung zuerst an dünnen 
Lamellen des Kalkspats durch Pressung. Er fand, dass eine 
kleine künstlich hervorgerufene Verschiebung bis zu einer 
gewissen Grenze allmählich von selbst, schneller noch durch 
Erwärmen rückläufig gemacht werden kann. Der Kristall zeigt 
nun alle seine früheren Eigenschaften wieder. War die Grenze 
indessen überschritten, so folgte ganz ohne Antrieb eine weitere 
Verschiebung, bis die Zwillingsstellung erreicht war. Bei der 
Fortsetzung der Schiebung wiederholten sich die einzelnen Vor¬ 
gänge in derselben Reihenfolge, so dass hier eine elastische 
Nachwirkung stattfinden muss. 

Baumhauer setzte die Versuche am Kalkspat weiter 
fort und brachte von irgend einem Punkte der stumpfen Kante 
ausgehend, durch den senkrechten Druck einer Messerklinge auf 
die lange Diagonale direkte Zwillingsstellung an beliebig grossen 
Stücken des Rhomboeders hervor. Bald darauf ermittelte Vogt 
im Wege der Rechnung unter Zugrundelegung der Elastizitäts¬ 
konstanten, dass die Moleküle bei der Gleitung ausser der 
Vorwärtsbewegung noch eine Achsendrehung machen und stellte 
die Grösse durch Zahlen fest. Hiermit war die Ursache der 
elastischen Nachwirkung gefunden. Mügge wies dann feine 
Zwillingslamellen an Sb und Bi nach und erzeugte sie an dem 
letzten Metall durch einfachen Schlag auf die Polkanten. 
Neueren Untersuchungen zufolge führt ein grosser Teil der 
Metalle — und dazu gehören Au, Ag und Sn — bei der 
mechanischen Bearbeitung durch Walzendruck, Feilen, Fraisen, 
Ziehen gleitende Bewegungen aus, die in bezug auf die gerade 
Richtung zuweilen bedeutende Dimensionen annebmen. Die 
Kristalle des Fe können z. B. zu langen Fäden ausgereckt 
werden, welche den ursprünglichen Durchmesser um das Hundert- 
bis Zweihundertfache übertreffen. Eine derartige Deformation 
ist natürlich nicht wieder rückgängig zu machen. Dagegen ver¬ 
tauschen die Oktaeder der Ober- und Unterschicht der Gold- 


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Ueber die Beziehoogen zwischen der Kriataligestalt etc. 61 S 

bleche ihre erworbene Zwillingsstellung in der Rotglut gegen 
die regul&re Form wieder. Es ist ganz selbstverständlich, dass 
auch unsere F&llungslegierungen, deren Zerkleinerung aus¬ 
schliesslich auf der Wirkung des Keiles beruht, in dieser 
'Beziehung den anderen Metallen gleichstehen. Die rohe Ver¬ 
schiebung der Kristalle gegeneinander gibt sich an den Spänen 
bereits dem blossen Auge an der Rauhigkeit der Konkavseite, 
welche vor der Abtrennung noch spiegelglatt war, zu erkennen, 
die Gleitung hingegen mikroskopisch an der Strichelung der 
feinsten Splitter des frischen Amalgamstaubes, welche nicht 
amalgamiert wurden. Im ganzen ist ihre Wirkung, soweit sie in 
gerader Richtung geschieht, infolge der vorgeschrittenen feinen 
mechanischen Aufteilung mit einer Spandicke von fast OOl Mm. 
(true dentalloy) abgeschwächt. Von Bedeutung bleiben aber 
noch immer diejenigen zahlreichen kleinsten Kriställchen, welche 
ganz oder teilweise in Zwillingsstellung geraten und der Zer¬ 
störung entgangen waren. 

Es ist bekannt, dass die Auflösung in einem Auflösungs¬ 
mittel der symmetrischen Anlage der Kristalle folgt, welche 
die Kohäsion in der Richtung anzeigt. Sie ist deshalb nicht 
bloss für die verschiedenen Körper, sondern auch für ein und 
denselben ungleich, indem sie in der Kohäsionsrichtung schneller 
als nach anderen fortschreiten muss. In dieser Beziehung ist 
der Versuch Lavizarris lehrreich, welcher eine Kalkspat¬ 
kugel in konzentrierte Salpetersäure zur Lösung tauchte. Die 
Kugel nahm nicht gleichmässig an Umfang ab, sondern brachte 
schwindend eine Doppelpyramide zur Erscheinung, woraus 
hervorgeht, dass hier die Auflösung in der optischen Achse 
am stärksten ist. Unsere Metalle besitzen als richtige Leiter 
des Lichtes keine optische Achse und können nur der Kohäsion 
folgen. Mithin wird die Auflösung bei ihnen auf Widerstand 
stossen müssen, sowie die ursprüngliche Richtung durch Gleitung 
verlegt wurde. Der Widerstand ist proportional der aufgewandten 
Kraft zur Erzeugung der Zwilligsstellung. Diese Kraft bleibt in 
ihnen latent und ist die Ursache, weswegen frische Späne 
mehr Hg als alte oder erwärmte bedürfen und erklärt ferner 
die plötzlichen, unregelmässigen kleinen Ausschläge des Mikro- 


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614 


Zahnarzt G. Hasse, Coblenz. 


meters nadh der + und Seite während der Expansion oder 
Kontraktion des frischen Amalgams. Der erste Teil der Form- 
verändemng ist daher ein rein physikalischer, welcher seine 
Ursache in der Kohäsionsrichtung der Kristalle hat. 

Die Annahme, dass die vollständige Auflösung der ab* 
gelagerten Späne bereits während des Anreibens eintrete, ist 
durchaus irrig. Auch die besten Füllungslegierungen gehen nur 
zum geringen Teil in Lösung über, der grösste bleibt un¬ 
gelöst zurück. « 

Bringt man ein kleines Stückchen plastischen, gebrauchst 
fertiget Amalgams vorsichtig auf eine etwas grössere Queckr 
silberkugel, so bleibt es auf der Oberfläche schwimmen. (Für 
diesen Versuch eignet sich das True dentalloy sehr gut.) Etwa 
40 Minuten später steigen aus. der Tiefe in Intervallen die 
Gerippe der zukünftigen Kristalle in Quadratform empor und 
gliedern sich allmählich an Zahl zunehmend der oberflächlichen 
Schlacke an. Hierin offenbart sich in sichtbarer Weise die 
Inhomogenität, während die Homogenität ein völlig abweichendes 
Bild gewährt. Das Amalgam wird mit grösster Begierde V(r- 
schluckt, 25 Minuten später teilt sich die Quecksilberkugel 
plötzlich in einer sehr charakteristischen Form maulbeerartig 
und nach weiteren 20 Minuten wird sie blitzaitig von einem 
Netz geradliniger Linien durchschossen. Aber der erste Versuch 
lehrt auch, dass das Wachstum der Kristalle an den Kanten 
beginnt und langsam nach innen fortschreitet. Das Mikroskop 
vervollständigt das Bild insoweit, als es uns die einzelnen 
Kristalle mehrere Tage hindurch im Innern flüssig und das 
ganze Amalgam noch fünf volle Wochen durch Interferenzfarben 
feucht erscheinen lässt. Aber die Bewegung war, wie ich an 
vielen Objekten gesehen habe, auch damit noch nicht ab¬ 
geschlossen. Ich bin daher geneigt, zu glauben, dass dem ganzen 
Auflösungsprozess drei Phasen zugrunde liegen. In der. ersten 
wird nur ein sehr geringer Teil der Metalle gelöst. Die Lösung 
setzt infolge der Tendenz, bei gewöhnlicher Temperatur schnell 
auszukristallisieren, die Kristallkanten ab. Das Amalgam ist 
nach unseren Begriffen erstarrt. In der zweiten Phase. findet 
die weitere und umfangreichste Auflösung und Verteilung der 


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Ueber die Beziehungen zwischen der Kristallgestalt etc. 615 

Atome der ungelösten Metalle in einem weichen Amalgame 
dadurch leicht statt, dass das Innere und die Flächen der 
Neukristalle nicht völlig erstarrt sind. Als Beweis gelten die 
Interferenzfarben. In der dritten Phase vollzieht sich die 
Diffusion in völliger Starre und ist unsichtbar. Sie erstreckt 
sich gewiss nur auf geringe Mengen, währt aber am längsten. 
Eine. Abkürzung erfährt sie stets bei stark saurer Speichel¬ 
reaktion. 

Als ich die mikroskopische Untersuchung unserer Amalgame 
begann, versuchte ich zuerst die Kristalle aus Durchschnitten 
zu deuten. Die Herstellung der Schliffe erfordert aber ausser¬ 
ordentlich viel Zeit und gelingt bei einigen Amalgamen ihrer 
Weichheit wegen höchst unvollkommen, so dass das Gesamt¬ 
bild nur unvollständig werden konnte. Dazu kam die Ver¬ 
wachsung der Kristalle und die Bildung von Kombinationen, 
welche die Deutung der Form geradezu zur Unmöglichkeit 
machen. Ich habe deshalb diesen Weg ganz aufgegeben und 
bringe die Kristalle heute in ihrer natürlichen Lage leicht zur 
Anschauung, indem ich eine planparallele, durchlochle Glas¬ 
platte von etwa 2 Mm. Dicke auf der einen Seite mit einem 
Deckglas verkitte und von der anderen Seite das Amalgam 
einführe. Die Kristalle liegen dann teils in der Bildebene, teils 
etwas schräg dazu und geben ein wirkungsvolles perspektivisches 
Bild. Bei dieser Art der Darstellung, welche sich übrigens vor¬ 
züglich zum Studium der Kristallbildung eignet, springt zunächst 
die langsame Entwicklung der Kristalle in die Augen und 
widerlegt die Ansicht Adolf Witz eis, dass die Gestalten in¬ 
folge des Stopfens stark verkümmert sein müssten. Weit 
wichtiger aber ist der Gegensatz zwischen dem Schmelzfluss 
und der Auflösung in Hg , welche hier zutage tritt. Wenn der 
erstere die Vereinigung inhomogener Atome und Moleküle be¬ 
günstigte, so räumt die letztere gründlichsl damit auf. Die 
Aggregate werden bis auf die Atome aufgelöst und das Hg 
vereinigt sich mit ihnen nach den Elementen getrennt zu 
besonderen Amalgamen. Mit Fug und Recht bezeichnen wir 
sie deshalb als zusammengesetzte, treffender vielleicht noch als 
gemischte. Aber die Metalle sind Egoisten. Sie reissen soviel 


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616 Zahnarzt G. Hasse, Coblenz. Ueber die Beziehungen etc. 

Hg an sich, als sie zu ihrer zweckmässigen Entwicklung nach 
dem Stande der Temperatur bedürfen und überlassen es dem $», 
welches von ihnen nicht als gleichberechtigt angesehen wird, sich 
mit dem Reste abzufinden. So kommt es, dass die Metalle sämtlich 
nur in ihrer Hauptform oder in einer Modifikation davon Vor¬ 
kommen, das Sn dagegen einer grossen Wandlung unterworfen 
ist. Es tritt als tetragonales Prisma und tetragonale ungleiche 
Doppelpyramide, als hexagonales und rhombisches Prisma voll¬ 
flächig und in Hemiedrien auf, aber es erscheint auch aggregiert, 
den Würfel und das rhombische Prisma mit den drei Pinakoiden 
nachahmend auf, indem sich vier oder neun, oder auch vier bis 
acht hexagonale Prismen balkenartig neben- und auf- 
einanderlegen, wobei ein bis drei Balken nach einer freien Seite 
ausgelassen werden können, so dass treppenartige Ausschnitte 
entstehen. Besonders schön sind derartige Bildungen an den 
Goldamalgamen zu beobachten, wenn man sie vorher gründlich 
in absolutem Alkohol auswäscht, um den störenden Amalgam¬ 
staub zu entfernen. — Bei allen Kristallen gesellen sich zu 
den typischen Formen noch parallele Verwachsungen, sowie 
die Gleichgewichtslinie passiert war. Die Zusätze haben auf die 
Kristallform keine Einwirkung. Als Beweis dient aber nur das 
Amalgam Witzeis, bei dem es mir gelungen ist, die Kupfer¬ 
kristalle blauschwarz zu färben, so dass sie sich scharf von ihrer 
Umgebung abheben. Sie kristallisieren in Pentagondodekandern. 

Die reinen ^t#-S»-Amalgame verkleinern ihre Formen mit 
der Zunahme des Ag. Sie bilden dann Aggregate ohne Gliederung 
und lassen in der Gleichgewichtslinie überhaupt keine andere 
Form als den Würfel erkennen. Aber der Würfel des Sn ist 
hier keineswegs als regulärer aufzufassen, sondern als Rhombo¬ 
eder mit 90° Polkantenwinkel. 

Kurz zusammen gefasst, ist das Resultat meiner Beob¬ 
achtungen : 

1. dass die Form Veränderungen unserer Amalgame eine 
doppelte Ursache haben, 

a) eine rein physikalische, hervorgerufen durch die Ko¬ 
häsion und ausgedrückt durch die Gleitung der Kristalle, 


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Prof. Matti Äyrftpää Helsingfors. Ueber prothetische Behandlung etc. 617 

6) eine chemisch-physikalische, welche sich in der Kristall¬ 
form ausspricht; 

2. dass die Füllungslegierungen durch die Lösung in Hg 
in die Amalgame ihrer Komponenten zerlegt werden, und 

3. dass die Veränderungen des Volumens sich ausschliess¬ 
lich an der Gestalt des Sn abspielen. 


Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. 

Duhr pnthetiKke BMIniig ta tadefgrsilaten. 

Von Professor Matti Äyräpää in Helsingfors (Finnland). 

Einleitung. 

Durch die Lehre von den Prothesen hat sich die Odon¬ 
tologie zu einem praktischen Zweige der Chirurgie entwickelt, 
zu einem Nothelfer in solchen Fällen, in denen die chirurgische 
Plastik auf unüberwindliche Hindernisse stösst. Auf gewissen 
Grenzgebieten, welche eigentlich nicht zu der Odontologie 
gehören, sondern eher der reinen Chirurgie zuzuzählen sind, 
kann der Odontologe mit denselben Hilfsmitteln, die er bei 
seinen zahntechnischen Arbeiten benützt, dem Chirurgen zu 
Hilfe kommen, wenn Hautlappen- und Knochenplastik diesen, 
wie geschickt er auch sein mag, im Stiche lassen. 

Solche Grenzgebiete, wo der Chirurg und der Odontologe 
sich begegnen, wo sie Hand in Hand gehen und sich gegen¬ 
seitig unterstützen müssen, finden wir vor allem in der bucco- 
facialen Region. Nur durch gemeinsame Arbeit können wir 
gewisse Defekte ersetzen und gewisse Deformitäten am Ober¬ 
und Unterkiefer, am Pharynx und Larynx, an der Nase, dem 
Ohr usw. stützen oder richten. 

Der Zahnarzt Dr. Claude Martin, welcher durch mehr 
als drei Jahrzehnte an den Krankenhäusern der Stadt Lyon 
als Zahnarzt tätig war, hatte den seltenen Vorzug, während 
seines langen Lebens gemeinsam mit den ersten Chirurgen 
Frankreichs, wie Olli er u. a., arbeiten zu können. Daher ist 
es kein Wunder, dass er, so intelligent und scharfblickend 

9 


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618 


Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnlaud). 


wie er ist, die Lehre von den Prothesen in Frankreich gehoben 
und neue Anwendungen und neue Gebiete für die Prothese 
gefunden hat. Ich werde daher in der nachfolgenden Ab¬ 
handlung des öfteren Gelegenheit haben, seine Arbeiten und 
Schriften hervorzuheben. 

Ueber die Fähigkeit der Gewebe, Prothesen zu tragen. 

Wenn von Prothesen die Rede ist, so bietet sich uns 
die wichtigste aller Fragen, um welche sich die ganze Prothesen¬ 
lehre* dreht, dar, nämlich die Frage, wie die Gewebe einen 
Fremdkörper ertragen können. 

Um diese Frage zu beleuchten, müssen wir die Prothesen 
in vier verschiedene Gruppen einteilen. Wir unterscheiden: 

а) Apparate, welche nur Haut und Schleimhäute in ge¬ 
sundem oder narbigem Zustande berühren; äussere Pro¬ 
thesen; 

б) Apparate, welche gesunde, durch Trauma oder Operation 
entstandene Wundflächen berühren, aber an ihrer äusseren 
Seite wenigstens zum Teil frei sind: unmittelbare Pro¬ 
thesen; 

c) Apparate, welche die Innenwände der Nase berühren 
und den Zweck haben, Form und Konturen der Nase all¬ 
mählich zu heben oder zu verändern: orthopädische 
Prothesen; 

d) Apparate, welche in den Geweben ganz und gar ein¬ 
gebettet sind, ohne irgend welche Gemeinschaft mit der 
Aussenluft zu haben: innere Prothesen. 

Was die Epidermis- und Epithelschichten der Haut und 
Schleimhaut anbetriffi, so ertragen sie den Druck der Apparate 
verhältnismässig gut. Erst dann entstehen Schwierigkeiten, 
wenn die Gewebe narbig verwandelt worden sind. Das Narben¬ 
gewebe ist, wie bekannt, empfindlicher, schlechter genährt und 
daher weniger lebenskräftig als das physiologische Gewebe; 
es entstehen hier leichter Wunden durch den Druck der Pro¬ 
thesen. Was speziell die Schleimhäute anbelangt, welche 


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Ueber protbetigche Behandlung der Nasendeformitäten. 610 

Feuchtigkeiten absondern, so können die Prothesen die Ab¬ 
sonderung vermehren, die Entfernung der Feuchtigkeiten ver¬ 
hindern und dadurch einen Zustand herbeiführen, welcher zu 
einer Sekretstauung mit allen Gefahren der Infektion Anlass 
geben kann. Die Gefahren werden um so grösser sein, wenn 
die Schleimhaut schon vorher nicht normal, sondern entzündet, 
ulzerös oder vernarbt gewesen ist. Anderseits können die 
abgesonderten Sekrete schädlich auf die Prothese selbst ein¬ 
wirken, indem sie dieselbe chemisch angreifen, sie rauh und 
uneben machen oder die Lötungsstellen lösen und so die 
Prothese unbrauchbar machen. Deshalb ist auch die Wahl des 
Materials von grosser Bedeutung. 

Was die zweite Kategorie, die unmittelbaren Prothesen, 
anbetrifft, bei welcher der Apparat zum Teil auf einer gesunden 
Wundfläche ruht und zum Teil mit der Luft in Berührung 
steht, so sind die Gewebe hier, wenigstens anfangs, vollkommen 
schutzlos. Die mechanische Reizung, welche die Apparate und 
die an der Oberfläche des Apparates sich ansammelnden Sekrete 
ausüben, ist eine ebenso grosse Gefahr wie die Infektion selbst 
und diese droht nicht nur im Beginne, sondern so lange, bis 
alle Wunden geheilt sind; denn das Exsudat, welches diese 
absondern, ist für von aussen kommende Bakterien der ge¬ 
eigneteste Kulturboden. Deshalb muss man genau darauf 
achten, dass Apparat und Wunden rein gehalten werden und 
das kann auch verhältnismässig leicht geschehen, da der Apparat 
wenigstens teilweise frei zugänglich ist. 

Die orthopädischen Apparate ruhen fast ausschliesslich 
der Schleimhaut im Inneren der Nase auf und nur ausnahms¬ 
weise und nur zu einem unbedeutenden Teile an einer Wund¬ 
fläche. Man muss hier besonders darauf achten, dass sich der 
Druck auf viele Punkte gleichmässig verteilt, damit Decubitus- 
wunden vermieden werden. 

Was endlich die vierte Art oder die inneren Prothesen, 
welche ganz und gar in den Geweben eingeschlossen sind, an¬ 
betrifft, so wird durch sie die Fähigkeit der Gewebe, einen 
Fremdkörper (Corpus alienum) zu vertragen, so viel wie irgend 
möglich in Anspruch genommen, während zugleich die Ein- 

9* 


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620 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

führung eines solchen Apparates die vollständigste Asepsis er¬ 
fordert Ist es aber einmal gelungen, diese Prothesen vollkommen 
aseptisch auf ihren Platz zu bringen und sie dort sicher zu 
deponieren, so können die Gewebe, wie die Erfahrung gezeigt 
hat, dieselben ziemlich gut vertragen, gleichgiltig, ob sie aus 
Paraffin bestehen oder aus Platin, welches Martin mit gutem 
Erfolg bei seinem Versuch an Hunden angewendet hat. 

Ueber die verschiedenen Arten der Behandlung von 
Nasendeformitäten. 

Wir brauchen bei dieser Gelegenheit nicht hervorzuheben, 
eine wie grosse Entstellung in ästhetischer Hinsicht der Verlust 
der Nase für den Menschen ausmacht, eine Entstellung, die 
von einigen Patienten als ein so schweres Unglück betrachtet 
worden ist, dass sie durch Selbstmord ihrem Leben ein Ende 
gemacht haben. 

Der Verlust der Nase ist keineswegs ein so ganz seltenes 
Ereignis. Die Ursache davon ist häufig in Kriegsverletzungen 
oder schweren traumatischen Unfällen oder in zehrenden Krank¬ 
heiten, wie Lupus, Lues u. a., zu suchen. In früheren Zeiten 
war das Abschneiden der Nase als Strafe für entehrende Ver¬ 
brechen gebräuchlich und es ist daher kein Wunder, dass man 
es schon in den ältesten Zeiten versucht hat, diesen Verlust zu 
ersetzen. Die rhinoplastischen Operationsmethoden gehören 
darum zu den ältesten, die in der Geschichte der Medizin be¬ 
schrieben worden sind. 

Ist die Nase einmal verloren gegangen oder verunstaltet 
worden, so gibt es folgende Verfahren, den Schaden zu heilen: 

a) Autoplastische Operation (Rhinoplastik); 

b) autoplastische Operation auf Stützen von Metall oder 
anderem Material; 

c) orthopädische Behandlung mit Prothesen aus Metall 
oder Kautschuk; 

d) innere Prothesen (Paraffininjektionen); 

e) äussere Prothesen. 


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Ueber prothetische Behandlung der Nasendeformit&ten. 631 

I. lieber Rhinoplastik und autoplastische Operationen auf Stotzen 
von Metall oder anderem Material. 

Die Klippe, an welcher alle Operateure, wenn von der 
Wiederherstellung einer Nase die Rede gewesen, gestrandet 
sind, ist die Schwierigkeit, eine feste und sichere Stütze für 
den Nasenrücken zu erhalten. Um diese Frage hauptsächlich 
bewegen sich alle rhinoplastischen Operationsmethoden und 
hier kommt die Lehre von den Prothesen der Chirurgie durch 
die Verwendung der von Martin vorgeschlagenen Nasenstütze 
zur Hilfe, welche, unbeweglich und fest, den Giebel der rhino- 



Fig. l. 


plastisch gebauten Nase bildet und aus einem */• Cm. breiten, 
gewölbten Platindraht besteht, der in einem Bogen von den 
Ossa nasalia bis zur Spina nasalis verläuft. Schon vor Martin 
haben viele versucht, sich zu diesem Zwecke einer Stütze von 
Metall oder einem anderen Material (Dieffenbach, Gale- 
zorsky, Leisink und Mikulicz) zu bedienen, doch haben 
alle" diese Prothesen denselben Fehler gehabt, sie waren nicht 
unbeweglich. 

Schon 1877 machte Martin zum erstenmal aus Platin 
ein Gerüst für die autoplastisch gebildete Nase und noch heutigen 
Tages ist dieses Metallgerüst beinahe unverändert im Gebrauche. 
Es besteht, wie gesagt, aus zwei 5 Mm. breiten, etwas gewölbten 


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Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 


Platindrähten (Fig. 1), die kreuzweise aneinander gelötet sind 
und beide in scharfe Spitzen enden. Der eine Draht hat 
den Nasenrücken zu tragen und erhält die Biegung, welche 
man der neuen Nase zu geben wünscht, der zweite hat die 
Seiten wände zu stützen und wird in passender Weise gebogen. 
Die etwa 1 Cm. langen Spitzen werden in der Umgebung der 
Apertura pyriformis, wo man ihnen mit einem feinenj Bohrer 



Fig. 2. 


passende Löcher macht, eingesenkt. Die obere Spitze des in 
der Mittellinie verlaufenden Drahts wird an der Grenze zwischen 
Stirn- und Nasenknochen, die untere an der Spina nasalis 
versenkt; die Spitzen des :qu#r.gehenden Drahtes werden an 
den Seitenrändern der Apertur befestigt. 

Ueber diesem Gerüst wird die autoplastische Operation 
gemacht Die Hauptsache ist nur, dass der Lappen gross genng 
ist, damit er, wenn er schrumpft und vernarbt, nicht allzu 
stramm über dem Metallgerüst liegt. ’ 


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Ueber prothetUche Behandlung der Nasendeformitäten. 628 

Man muss ferner immer darauf achten, dass die Grund¬ 
krankheit, nehmen wir z. B. Lues als solche an, welche die 
Deformation der Nase verursacht hat, schon geheilt ist, so dass 
der pathologische Prozess nicht fortschreiten und das Operations¬ 
resultat zerstören kann. Endlich hat man darauf zu sehen, dass 
das Septum cutaneum gross genug ist, da beim Schwunde des- 



Fig. 3. 

selben die neue Nase längs des Metallgerüstes, welches dann 
sichtbar würde, nach oben gleiten könnte. 

Wenn man auch im allgemeinen sich jeder beliebigen 
Operationsmethode bedienen kann, falls es gilt, eine neue Nase 
über einem künstlichen Gerüst autoplastisch aufzubauen, so hat 
Martin dennoch, besonders in Hinblick auf die gelungene 
Form der Nasenlöcher und Nasenflügel, eine von Olli er vor¬ 
geschlagene und von C h a p u t modifizierte Operationsmethode 


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624 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

empfohlen, wobei die ganze Umgebung der Apertura pyriformis 
zu einem Lappen benützt wird, wie dies aus Fig. 2 hervorgeht. 
Dieser Lappen wird nach unten gezogen, seine oberste Spitze 
umgeschlagen und am Platze des Septum cutaneum festgenäht 
(Fig. 3). 

Dann wird über diesen Lappen ein auf gewöhnliche Art 
der Stirn entnommener, genügend grosser Lappen gelegt, wie 
aus Fig. 4 zu ersehen ist. 



M ar tin 1 hat vor wenigen Jahren eine andere rhinoplastische 
Operationsmethode vorgeschlagen, die von Dr. Gongolphe in 
Lyon mit gutem Erfolg angewandt worden ist und die ich, weil 
sie in den gewöhnlichen Handbüchern nicht aufgenommen ist, 
hier beschreiben will: 


1 Claude Martin: Rhinoplastie k lambeau frontal modifi6 et k 
support osteocartilagineaux empruntä k la cloison. Soei6t6 de Chirurgie de 
Lyon 19 mai 1904. 


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Ueber prothetische Behandlung der Nasendeformi täten. 626 

1. Martin benutzt, ebenso wie Ollier und später 
N ela ton, die Ränder der Apertura pyriformis zur Bildung und 
Stützung der Nasenlöcher. 

2. Zur Stütze des Nasenrückens verwendet er einen Teil 
der Nasenscheidewand, der er mit dem Messer die Form ver¬ 
leiht, welche der Nasenrücken erhalten soll. Diesen umgeformten 


Fig. 6. 

Teil der Scheidewand zieht oder rückt er bis zur Höhe des 
künftigen Nasenrückens vorwärts. Bardenheuer hat schon 
seit 1895 die Nasenscheidewand zu demselben Zwecke gebraucht. 

3. Den Nasenlappen selbst nimmt er aus der Mitte der 
Stirn und aus der Gegend oberhalb der Augenbrauen, löst ihn 
bis zu den Rändern der Apertura pyriformis ab und zieht ihn 
nach unten. 


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626 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

Die Operationsmethode an und für sich ist folgende: 
a) Der Lappen bildet auf der Stirn ein grosses Dreieck, 
an dem drei kleinere Dreiecke unterschieden werden können, 
zwei oberhalb der Augenbrauen mit der Spitze nach aussen 
gerichtet und das dritte mit der Spitze nach oben. An den 



Fig. tfc 


inneren Augenwinkeln vorüber und möglichst knapp an diese 
heranreichend setzt sich der Schnitt zu beiden Seiten der 
Nasenwurzel fort, damit der Lappen nach unteii und aussen 
eine genügende Breite erhält; er endigt schliesslich dort, wo 
eine vom Mundwinkel beiderseits vertikal nach 1 oben gezogene 
Linie eine in der Höhe des Septuih cutaneufn horizontal'-ver^ 
laufende Linie trifft (Fig. 5). 


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Ueber prothetische Behandlung der Naeendefortnit&ten. 627 

b) Der Stirnlappen wird bis zur Nasenwurzel abgelöst, 
aber so, dass er im unteren Teile noch an den Nasenbeinen 
fixiert bleibt; dann wird er von oben nach unten umgeschlagen 
(Fig. 6). 

c) Der untere Teil der Nasenbeine wird mit einer Säge 
quer durchtrennt, so dass er mit dem Lappen in Zusammen- 



Fig. 7. 


hang bleibt; in gleicher Weise trennt man auch die Knochen¬ 
ränder der Apertura pyriformis mit Hilfe einer Schere los. Beim 
Absägen muss das Septum sorgfältig geschont werden, damit 
es seinen Zusammenhang mit den Nasenbeinen nicht verliere, 

d) Das Septum wird auf folgende Weise gelöst: 

. Mit einer kleinen, aber scharfen Knochenschere wird: es 
in wagrechter Richtung von der Stelle aus, wo die Nasenbeine 


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628 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

abgesägt wurden, so weit wie möglich gespalten; dann durch¬ 
trennt man es, zirka 1 Cm. hinter dem Septum cutaneum be¬ 
ginnend, mit einer gebogenen Schere in schiefer Richtung 
nach aufwärts und rückwärts längs dem Vorderrande des Vomer, 
bis man das hintere Ende des wagrechten Schnittes erreicht. 

So erhalten wir vom Septum einen Lappen, der sowohl 
Knochen als Knorpel enthält und in der Gegend des Septum 
cutaneum seine Verbindung beibehält. 



Fig. 8. 

e) Diesen Lappen ergreift man nun mit einer breiten 
Zange und zieht ihn vorwärts, so dass sein früher wagrechter 
oberer Rand nach vorne gekehrt wird und die Stütze des neuen 
Nasenrückens bildet, während sein hinterer Rand an den zu¬ 
rückgebliebenen Stümpfen der Nasenbeine befestigt wird. Dieser 
Zug führt dazu, dass am Befestigungspunkte des Lappens hinter 
dem Septum cutaneum oder der Spina nasalis eine kleinere 
Fraktur entsteht. Wenn der Scheidewandlappen nach vorne 


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Ueber protbetische Behandlung der NasendeformitSten. 


689 


gezogen wird, so wird natürlich der ganze Nasenlappen, der 
durch die abgesägten Nasenbeinspitzen mit dem Scheidewand¬ 
lappen in Verbindung steht, so weit nach unten verlegt, dass 
die an den Knochenresten befindliche Haut in der Nähe der 
Spina nasalis angenäht werden kann, so dass die Nasenlöcher 





Fig. 9. 


von den Rändern der Apertura pyriformis gebildet werden 
(Fig. 7). 

. f) Der Scheidewandlappen wird in seiner neuen Lage 
dadurch festgehalten, dass man in die Stümpfe der Nasenknochen 
eine Vertiefung macht, in welche die Scheidewand einsinken 
kann, oder man fixiert sie an diese Stelle mit einem Metall¬ 
stifte. 


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630 


Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 


g) Die Nähte werden so angelegt, dass die Lappen aus 
der Region über den Augenbrauen die Nasenflügel zu bilden 
haben, während der mittlere Lappen zum Aufbau des Nasen¬ 
rückens (Fig. 8) dient. 

Da nun die Stirnhaut sehr nachgiebig ist, wird sie so 
zusammengenäht, dass nur zwei Reihen Nähte entstehen, wo¬ 
von die eine sich wagrecht über den Augenbrauen an der ganzen 
Stirn entlang hinzieht, während die andere in der Mittellinie 
von oben nach unten verläuft. Auf diese Weise können alle 



Fig. 10. 


Wunden vernäht werden und alle Stellen per primam intentionem 
verheilen. 

Diese von Martin vorgeschlagene Operationsmethode 
hat zwei grosse Vorteile: 

a) Man erhält dadurch eine feste Rückenstütze für die 
neue Nase und 

b) man kann alle Wundränder miteinander vernähen und 
daher eine Heilung per primam erhoffen. 

Hat der pathologische Prozess, durch den die Nase de¬ 
formiert worden ist, auch die Nasenscheidewand zerstört, so 


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Ueber prothetische Behandlung der Nasendefonnit&ten. 


681 


kann ein 5 Mm. breites Platinband, dessen obere Spitze an 
der Nasenwurzel und dessen untere Spitze in der Gegend der 
Spina nasalis befestigt wird, dem Nasenrücken als Stütze 
dienen (Fig. 9). 

Dieser Stütze bediente sich Martin kürzlich bei einem 
von Dr. Gongolphe in Lyon operierten Patienten mit 
gutem Erfolge. 

Was den der Scheidewand entnommenen Lappen an¬ 
betrifft, so kann er auch auf eine andere Art, als die oben 



Fig. 11. 


beschriebene, geschnitten werden. Statt dessen, dass der Lappen 
in seinem unteren Teile mit gesunden Partien in Zusammen¬ 
hang steht, kann diese Verbindung oder Brücke auch in der 
Region der Nasenwurzel gewonnen werden, wie Fig. 10 und 11 
dieses darstellt. 

In diesem Falle würde also die Vorderseite der Scheide¬ 
wand die neue Stütze des Nasenrückens bilden. 

Wie gesagt, hat Dr. Gongolphe sich mit Erfolg dieser 
Martinschen Operationsmethode in einem Falle, wo das 
Septum fehlte, bedient. Deshalb musste der Nasenrücken eine 
besondere Metallstütze (Fig. 1) erhalten. 


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632 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

In Fällen, in denen die eigene Nasenhaut des Patienten 
hinreichte und es also nur galt, den äuf chirurgischem Wege 
gehobenen Nasenrücken in seiner neuen Lage zu erhalten, hat 
Martin die Metallstütze ein wenig modifiziert. An den oberen 
Enden der Stütze sind zwei gebogene Stifte (Fig. 12 und 13) 
festgelötet, welche die Pars perpendicularis ossis 
aethmoidei umfassen. 

Der obere Teil des Apparates endigt nicht in einer 
scharfen Spitze, sondern soll längs der oberen Fläche der 
Ossa nasalia gleiten, ebenso wie die beiden Stifte längs 


Fig. 12. 




Fig. 18. 


der unteren Fläche desselben Knochens zu beiden Seiten der 
Pars perpendicularis. Der untere Teil (Fig. 13), welcher 
durch ein Gelenk mit dem oberen in Verbindung steht, endigt 
in einer Gabel, welche die Spina nasalis umfasst und sich 
mit einem besonderen Fortsatz auf den Boden der Nasen* 
höhle stützt Durch die Gabel wird der Apparat daran ver¬ 
hindert, sich seitlich zu verschieben und sein hinterer Fortsatz 
hindert ihn daran, in die Nasenhöhle hinabzugleiten (Fig. 13). 
Durch das Gelenk kann der Apparat zusammengefaltet und 
leicht durch das eine Nasenloch in die Nasenhöhle hinein- 
gebracht oder aus ihr entfernt werden. 


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Ueber protbetische Behandlung der Nasendeformltäten. 

Fall 1. Fig. 14 zeigt einen Fall, bei welchem der Appa 
von Martin (Fig. 12) nach vorausgegangener Plastik aus i 
Haut der Oberlippe und Nase zur Anwendung kam. Info 
eines Trauma wurde die Stütze beweglich und musste e 
fernt werden. Da die Patientin sich keiner neuen Operati 
unterziehen wollte, modifizierte Martin seinen Apparat 
zu der Form, welche Fig. 13 darstellt. Dieser Apparat wui 
nun durch das eine Nasenloch auf seinen Platz gebrac 



Fig. 15 zeigt uns, wie die Patientin drei Jahre nach < 
Operation aussah. 

Fall 2. Ich selbst habe kürzlich auf dieselbe Art eir 
Fall behandelt, der aber bedeutend grössere Veränderung 
als der obige aufwies. Er betraf ein Mädchen von 18 Jahr 
welches vor ungefähr 8 Jahren, wahrscheinlich auf Grund eil 
hereditär-luetischen Belastung, eine Rhinitis bekam, die ) 
einer totalen Zerstörung des ganzen Nasenskelettes endete, 
dass alle Hautteile der Nase in die Nasenhöhle hineinsanli 
und die nasale Atmung gänzlich aufhoben. Das entstel 
Aussehen des jungen Mädchens ist aus Fig. 16 und 17 zu erseh 

io 


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4 Prof. Matti Äyräpäft, Helsingfors (Finnland). 

Die Patientin wurde in die chirurgische Klinik aufgenommen 
ld am 22. Oktober 1905 von Dr. Faltin operiert. 

Von der Schleimhautfalte zwischen Oberlippe und Kiefer- 
lochen ausgehend, löste Faltin mit einem stumpfen In- 
rument die weichen Nasenteile von den Rändern der Aper- 
ira pyriforrais los und tamponierte den eingesunkenen 
id verkümmerten Nasenrücken mit Jodoformgaze aus. Sobald 
)er die Jodoformtampons entfernt wurden, sank die dünne 


Fig. 16. Fig 17. 

rophische Nasenhaut sofort wieder in die Nasenhöhle 
nein. Darum wurde ich zu Rate gezogen, um, wenn möglich, 
it prothetischen Mitteln auszuhelfen. 

Zuerst wurde der Gaumen perforiert, so dass ein dünner 
iift^vom Munde aus in die Nasenhöhle geführt werden konnte 
id darauf eine Gaumenplatte hergestellt, an welche der Stift 
stvulkanisiert wurde. Ich nahm dann mit Stents und Gutta- 
jrcha durch beide Nasenlöcher Abdrücke vom Inneren der 
ase. Nachdem diese Abdrücke mehreremal probiert und 
irrigiert worden waren, wurden aus Kautschuk zwei Apparate 


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Ueber prothetische Behandlung: der Nasendeformit&ten. 685 

(Fig. 18 und: 19) verfertigt und durch die, Nasenlöcher in die 
Nasenhöhle hineingebracht. 

Der Apparat für das rechte Nasenloch (Fig. 18) ist der 
grössere und hat an seiner unteren Fläche eine trichterförmige 



Fig. 20. 


ertiefung a, in welche der Stift der Gaumenplatte eindringt, 
dieser Stift trägt den Apparat, verhindert ihn daran, vor- oder 
,-ückwärts zu gleiten und verteilt den Druck auf Partien, die 
ihn besser vertragen können als das Naseninnere, nämlich auf 

io* 


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636 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

den Gaumen und die Zähne. Ausserdem befindet sieh auf der 
der Mittellinie zugekehrten Fläche ein viereckiges Loch 6, in 
welches ein Vorsprung vom anderen linken Apparate (Fig. 19, c) 
eindringt. Dieser (Fig. 19) ist viel kleiner und hat ausser dem 
eben genannten Vorsprung einen Arm d, der den rechten 
Apparat von der Oberseite umfängt, wie auf Fig. 20, die uns 
den ganzen Apparat zeigt, zu sehen ist 

Aus den Abbildungen geht hervor, dass die Apparate 
hohl sind und der Luft freien Durchtritt durch die Nase geben, 



Fig. 21. Fig. 22. 


deren Funktion also in bezug auf die nasale Atmung wieder¬ 
hergestellt worden ist. 

Das kosmetische Resultat zeigen die Fig. 21 und 22. 

Der Fall war von Anfang an als ein äusserst undankbarer 
zu betrachten, einen glänzenden Erfolg konnte man nicht er¬ 
warten. Die Gewebe waren narbig verwandelt, die gesunden 
Teile dünn und atrophisch. Wenn man die Fig. 16, 17 und 
21, 22 miteinander vergleicht, so muss man zugeben, dass 
die Verbesserung eine doch relativ bedeutende ist. 


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Ueber proihetiscbe Behandlung der Nasendeformitäten. 


637 


II. Ueber orthopädische Behandlung der Nase. 

Wenn die Nase platt wird oder einsinkt, so hat man die 
Ursache davon in einer Missgestaltung des Nasenskelettes oder 
in einer Zerstörung desselben zu suchen, die entweder total 
oder partiell sein kann und auf eine äussere Gewalt oder Krank¬ 
heit, wie Syphilis oder Lupus, zurückzufahren ist. 

Die Nase kann auf zweierlei Art gehoben werden, ent¬ 
weder auf einmal oder allmählich. Erstere Art ist natürlich eine 
ausschliesslich chirurgische Operation und die Prothese hat 
hierbei nur den Zweck, das gewonnene Resultat zu erhalten. 
Die allmähliche Hebung des Nasenrückens ist dagegen eine aus¬ 
schliesslich prothetische Behandlungsmethode, welche darin be¬ 
steht, dass man durch einen während einer längeren Zeit und 



Fig. 2?. 


allmählich wirkenden Druck die eingesunkenen Teile hebt oder 
ihnen eine bessere Form gibt und sie späterhin in der ver¬ 
besserten Lage erhält. 

Wenn traumatische Ursachen, wie Unfälle auf der Schlitt¬ 
schubbahn, beim Ballspiel oder bei einer Rauferei, die Nasen¬ 
deformationen veranlasst haben, so muss man sofort die 
frakturierten Knochen und Knorpeln, so gut es sich machen 
lässt, reponieren. Hiebei bedient man sich des kleinen Fingers, 
einer festen Sonde oder eines anderen stumpfen Instruments. 
Die reponierten Teile sucht man dadurch an ihrem Platze fest¬ 
zuhalten, dass man die Nasenkavität mit Guttapercha, Jodoform¬ 
gaze oder Watte tamponiert; man hat zu diesem Zwecke auch 
Laminaria-Stifte vorgeschlagen, welche dadurch, dass sie in 
der Nase anschwellen, die Nasenlöcher und die Nasenhöhle aus¬ 
füllen. Martin hat behufsReponierung der gebrochenen Nasen¬ 
scheidewand eine besondere Zange konstruiert (Fig. 23), die er 


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638 Prof. Matti Äyräpää, Helsiogfors (Finnland). 

als geeignetes Mittel sowohl in akuten Fällen, als auch dann, 
wenn bereits eine narbige Zusammenwachsung entstanden ist, 
besonders warm empfiehlt. 

Die allmähliche Hebung des Nasenrückens ist, wie schon 
gesagt, eine ausschliesslich prothetische Methode, wenn auch 
Martin sie als kombinierte Methode aufgefasst wissen will, 
weil ich vor ihrer Anwendung gelegentlich einige Adhäsionen 
löse, die die Behandlung unnötigerweise verlängern und in 
hohem Grade erschweren würden. Hierher gehören die meisten 
in meiner Arbeit „Satulanenän orthopedisesta parantamisesta“ 
(Orthopädische Behandlung der Sattelnase, 1891/92) veröffent¬ 
lichten Fälle. 



Fig. 24. 


Ich will hier nicht auf eine Auseinandersetzung aller meiner 
Fälle und Apparate eingehen, da sie schon in obenerwähnter 
Arbeit beschrieben worden sind; des Vergleiches halber werde 
ich aber später doch einige typische Beobachtungen beschreiben. 

Dagegen will ich mich mit den Apparaten, die Martin 
mit Vorliebe zu benützen pflegt und mit denen er nach eigener 
Aussage günstige Resultate erreicht, ausführlich beschäftigen. 
Doch sei gleich erwähnt, dass meine Erfahrungen mit den 
Martin sehen Apparaten nicht besonders ermutigend ge¬ 
wesen sind. 

Martin gebraucht bei der Hebung des Nasenrückens mit 
Vorliebe einen Apparat, der aus zwei Paar dünnen Kautschuk¬ 
platten, die durch eine U-förmige Feder gegeneinander ge¬ 
drückt werden, besteht (Fig. 24). 


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Ueber prothetische Behandlung der Nasendeformitäten. 


639 


In beide Nasenlöcher kommt je ein Paar von diesen 
Platten und die Feder druckt sie gegen die Scheidewand. Die 
im selben Nasenloch befindlichen Platten bewegen sich mit 
Hilfe einer anderen Feder wie die Schenkel einer Schere auf- 
und abwärts und heben dabei den Nasenrücken. Der Apparat 
hat also zwei Funktionen : er biegt die Nasenscheidewand, wenn 
sie missgestaltet ist, wieder gerade und hebt zugleich das 
Nasenprofil. 

In Fig. 25 sehen wir einen anderen Apparat Martins. 
Hier haben wir eine besondere Platte, welche den Nasenboden 



Fig. 25. Fig. 26. 


bedeckt und gegen diese Platte stützt sich der erhöhende 
Apparat. Wenn man an der nach vorn gerichteten Schraube 
schraubt, so hebt sich der obere Teil des Apparates allmählich 
empor und mit ihm auch der Nasenrücken. Die Grösse des 
Druckes kann man auf diese Weise regulieren. In dieser Pro¬ 
these ist der Hebeapparat durch ein Gelenk, ähnlich wie das 
eines gewöhnlichen Zirkels, an der stützenden Bodenplatte be¬ 
festigt. 

In Fig. 26 sehen wir einen anderen Apparat, bei dem 
Martin dieses Gelenk entfernt hat, so dass der hebende Teil 
jetzt gleichmässiger gegen den Nasenrücken drückt oder mit 


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640 


Prof. Matti Äyräpää, Helsingforg (Finnland). 


anderen Worten: die drückende Kraft verteilt ihre Wirkung 
gleichförmiger auf den oberen und unteren Teil des Nasen¬ 
rückens. 

Damit der Apparat nicht zu tief in die Nasenhöhle hinein¬ 
sinke, hat Martin eine Vorrichtung von der Form einer Leier 
konstruiert, die um die Nase herum liegen soll und an welcher 
der stützende Apparat befestigt wird (Fig. 27). An den runden 
Löchern, die sich am oberen Teil der Leier befinden, werden 
zwei Bänder befestigt und ein paarmal um den Kopf gelegt, 



Fig. 27. 


wodurch der Apparat an seinem Platze festgehalten wird 
(Fig. 27). Er muss natürlich für jeden Patienten nach einem 
Gipsabdrucke, der von dem betreffenden Gesicht genommen 
ist, verfertigt werden. 

Ausser den obengenannten Apparaten bedient sich Martin 
noch einiger anderer, die ich der Vollständigkeit halber gleich¬ 
falls abbilden will (Fig. 28 bis 32). 

Drei Fehler oder Nachteile haften diesen orthopädischen 
Nasenapparaten von Martin an: 

1. Der dem Nasenrücken zugekehrte Teil drückt nicht 
gleichförmig gegen die Innenfläche des Nasenrückens, weil der 


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Ueber prothetische Behandlung der Näsendeformitaten. 


641 


Apparat sozusagen aufs Geratewohl verfertigt worden ist. Die 
innere Fläche des Nasenrückens ist selten eben, am wenigsten 
diejenige einer deformierten Nase. Man findet hier oft Ver¬ 
dickungen und Verwachsungen und ein glatter Apparat, der 
einen solchen Nasenrücken heben soll, drückt natürlich haupt¬ 
sächlich auf die vorstehenden narbigen und empfindlichen 
Gewebspartien und am wenigsten auf die zwischen diesen 
Narbenzügen liegenden gesünderen und stärkeren Gewebe. 



Fig. 28. Fig. 29. Fig. 30. • 



Fig. 31. 



Fig. 32. 


Meiner Ansicht nach muss die Einwirkung des Druckes um¬ 
gekehrt angeordnet werden. Die hervorragenden Narben müssen 
geschont und der Hauptdruck muss zwischen dieselben .verlegt 
werden. Dann kann man gleich mit einer verhältnismässig 
grösseren Kraft beginnen. 

Deshalb nehme ich vom Inneren der Nase, und insbesondere 
von der Innenfläche des Nasenrückens, einen genauen Abdruck 
mit Guttapercha und verfertige danach den Teil des hebenden 
Apparates, der'gegen die innere Wand des Nasenrückens drückt. 
Um den Druck gegen die dort vorhandenen empfindlichen 
Narbenzüge zu vermindern und zugleich den Druck auf die 


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642 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

gesünderen Partien zu vermehren, radiere ich die Impressions¬ 
stellen für diese empfindlichen Teile etwas tiefer. 

2. Der Apparat ist sichtbar und' daher in der Praxis, aus¬ 
genommen während der Nachtzeiii, schwer zu verwenden, und 
doch sollte die hebende Prothese nur behufs Reinigung her¬ 
ausgenommen werden. 

3. Die orthopädischen Apparate Martins stützen sich 
gegen den Boden der Nasenhöhle, dessen Schleimhaut nur 
einen schwachen und ziemlich begrenzten Druck verträgt. 
Deshalb muss der Apparat während einer sehr langen Zeit ge¬ 
tragen werden, ehe die Wirkung effektiv wird; forciert man aber, 
so entstehen Decubituswunden und die Behandlung muss für 
längere Zeit unterbrochen werden. Das einzige Organ, welches 
während einer längeren Zeit einen stärkeren Druck verträgt, 
sind die Zähne. Deshalb lasse ich meine orthopädischen Apparate 
auf einer Platte ruhen, welche den Gaumen bedeckt and die 
Zähne umschliesst. Ich perforiere den harten Gaumen 1 mit 
einem Bohrer von einigen Millimeter Dicke und führe durch 
die Perforationsöfifhung einen Stift, dessen unteres Ende an 
der Gaumenplatte befestigt ist und dessen oberes festes Ende, 
ohne sichtbar zu sein, den Apparat trägt, in die Nasenhöhle ein. 

Die Methode, welcher ich mich bediene, wenn ich das 
Nasenprofil allmählich heben will*, gestaltet sich je nach der 
Beschaffenheit der Fälle verschieden. 

Darnach unterscheide ich Fälle, in denen 

1. eine pathologische Kommunikation zwischen der Nasen- 
und Mundhöhle vorhanden ist; 

2. eine Perforation nicht existiert, aber auf chirurgischem 
Wege • hervorgebracht wird; 

3. eine Perforation nicht vorhanden ist und auch nicht 
gemacht wird. Ferner 

4. Prothesen zu einem prophylaktischen Zweck; 

5. Prothesen bei Nasenfrakturen und 

6. Prothesen bei einer Verengerung der Nasenlöcher. 


* Falls eine pathologische Perforation nicht schon vorhanden ist. 


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üeber prothetische Behandlung der Nasendeformitäten. 


643 


1. Es besteht eine pathologische Kommunikation zwischen Hund» 

und Nasenhöhle. 

Die Behandlungsmethoden werden durch die Beschreibung 
einiger Fälle am klarsten hervorgehen. 

Fall 1. Ein Mann von etwa 25 Jahren hat durch Lues 
die Knochen- und Knorpelteile des Nasenskelettes sowie einen 
Teil des harten Gaumens verloren, so dass eine 2 1 /* Cm. 
grosse längliche Oeffnung zwischen der Mund- und Nasenhöhle 
existiert (Fig. 33). Es wird eine Kautschukplatte verfertigt. 



Fig. 33. 


welche den Gaumen bedeckt und durch die Oeffnung ungefähr 
1 Cm. weit in die Nasenhöhle eindringt (Fig. 34). In den Teil, 
der in die Oeffnung eindringt, wird eine fast 1 Cm. breite und 
etwas längere viereckige Vertiefung (Fig. 34) gemacht, in welche 
eine Platte aus Wachs oder Stents so eingepresst wird, dass 
sie fest auf der Kautschukplatte steht und so hoch ist, dass 
sie den Nasenrücken erreicht, wenn man die Gaumenplatte in 
den Mund eingepasst hat Man kontrolliert durch die Nasen¬ 
löcher, dass die Wachsplatte in der Mittellinie liegt und wirklich 
den Nasenrücken erreicht, um so ein Septum nasi zu bilden. 
Nach diesem aus Wachs oder Stents gemachten Septum wird 
später ein ähnliches aus Kautschuk vulkanisiert und auf die 


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«44 Prof. Matti ÄyräpäS, Helsingfors (Finnland). 

Gaumenplatte montiert. Nun ist der Apparat, mit dem die 
Nase gehoben werden soll, fertig (Fig. 35). 

Die Hebung geht auf folgende Weise vor sich: Auf der 
oberen Fläche der künstlichen Scheidewand wird eine Schicht 
erweichter Guttapercha aufgetragen und der Apparat eingeführt. 
Am folgenden Tage wird er wieder entfernt; dann schneidet 
man jene Partien der Guttapercha, die gegen die Seiten ge¬ 
presst worden sind, mit einem heissen Messer weg und trägt 
eine neue Guttaperchaschichte über den oberen Rand, welcher 
natürlich zuvor gereinigt und getrocknet werden muss, auf. 



Fig. 34. 


wonach der Apparat für einige Tage wieder auf seinen Platz 
gelegt wird. Auf diese Art hebt sich die Scheidewand täglich 
um einige Millimeter, während zugleich auch das Nasenprofil 
in demselben Masse emporsteigt. Will sich die Guttapercha 
nicht mehr auf ihrem Platze halten, so wird das Septum von 
der Gaumenplatte entfernt, eingegipst und ein neues Septum 
aus Kautschuk angefertigt, das nun um so viel höher sein wird, 
als der Nasenrücken während der Behandlung emporgestiegen 
ist. Während die neue Scheidewand vulkanisiert wird, muss 
der Patient die alte tragen, damit der Nasenrücken nicht unter¬ 
dessen wieder einsinke. Mit der neuen, zweiten Scheidewand 
verfährt man ebenso wie mit der ersten, man erhöht sie Tag 


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Ueber protlietische Behandlung der Nasendeformitftten. 045 

für Tag mit erweichter Guttapercha, bis das Nasenprofil die 
gewünschte Form angenommen hat Sollte eine harte Narben* 
Schwiele oder Verwachsung einen allzu grossen Widerstand 
verursachen, so soll man sie mit einem stumpfen Instrument 
lösen und neue Guttapercha über die entsprechende Stelle des 
Septum auftragen. 

Auf Fig. 35 zeigt der Teil o, 6, e, um wie viel das 
Septum allmählich erhöht worden ist, bis das Nasenprofil die 



gewünschte Höhe erhielt. Während der ganzen Behandlung 
muss man natürlich genau darauf achten, dass an der Innen¬ 
seite des Nasenrückens keine Wunden entstehen. Sollte das 
eintrefifen, so muss die entsprechende Stelle am Septum ein 
wenig gesenkt werden, indem man die Guttapercha hier er¬ 
weicht, so dass sie bei einer erneuten Einführung in die Nasen¬ 
höhle etwas zur Seite gedrückt wird. 

Ist nun die Nase genug gehoben worden und merkt man, 
dass der Patient seinen Apparat gut verträgt, so wird das 


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■646 Prof. Uatti Äyräpää, Eelsingfors (Finnland). 

endgiltige, aus hartem Kautschuk verfertigte Septum an die 
Gaumenplatte montiert und der definitive ■ Apparat ist fertig. 
Der Patient muss ihn Tag und Nacht tragen und ihn selbst¬ 
verständlich reinigen, genau so wie man falsche Zähne reinigt. 
Fig. 36 und 37 zeigen uns den Patienten vor und nach der 
Behandlung. 



Fall 2 ist dem vorhergehenden ziemlich ähnlich. Die 
Perforation im Gaumen ist jedoch kleiner (Fig. 38), so dass 
das Septum schmäler gemacht werden muss. 

Fig. 39 zeigt uns die Gaumenplatte, Fig. 40 die Gaumen¬ 
platte nebst Septum, d. h. den ganzen Apparat, und Fig. 41 
und 42 den Patienten vor und nach der Behandlung. 

Ich will noch einen dritten Fall erwähnen :: 

Fair 3. Ein 12jähriges Mädchen. Während der anti- 
tue tischen B e h a n d l ung nekrotisieren das Septum narium und 


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Ueber prothetische Behandlung der Naaendeformitäten. 


647 


ein Teil des barten Gaumens und die Nase des Kindes fängt 
an, einzusinken. Es wird ein gleicher Apparat wie in den 



Fig. 41. Fig. 42. 



Fig. 43. 


Fig. 44. Fig. 45. 


vorhergehenden Fällen hergestellt und der Nasenrücken hebt 
sich allmählich und sicher bis zu dem gewünschten Grade. 

Fig. 43 zeigt uns die künstliche Scheidewand in, vier 
verschiedenen Perioden. Wir sehen daraus, dass die Innenseite 


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648 Prof. Uatti Äyritpää, Helsingfors (Finnland). 

des Nasenr&ckens keineswegs eine glatte, sondern im Gegen¬ 
teil eine aus Vertiefungen und Querbalken bestehende, un- 
gleichmässige Oberfläche besitzt. Hätten wir hier den Martin- 
schen Apparat benützt, so würde sein aufs Geratewohl ge¬ 
machter Oberteil durch den hauptsächlichen Druck auf die 
empfindlichen Querbalken gewiss Wunden verursacht haben. 

Fig. 44 und 45 zeigen uns die Patientin vor und nach 
der Behandlung. 



Fig. 46. 

2. Eine Perforation ist nieht vorhanden, wird aber auf 
chirurgischem Wege hervorgebraeht. 

Fall 1. Eine 30jährige Frau. Das Septum narium ist 
zerstört. Vom Septum cutaneum ist nur mehr ein Strang, der 
die Nasenspitze mit der Oberlippe verbindet, vorhanden. Die 
Nasenflügel sind nach der Mittellinie hin eingesunken, die 
Nasenspitze hängt herunter und berührt fast die Oberlippe 
(Fig. 46). 

Die Patientin kann nicht durch die Nase atmen. Der 
obere linke zentrale Schneidezahn fehlt und der Knochen ist 
an dieser Stelle durch Resorption verdünnt. Der Gaumen wird 
ohne Bohrer, nur mit dem Troicart perforiert. Durch die Oeffnung 
wird ein Platinstift in die Nasenhöhle hineingesteckt, so dass 
er die Nasenspitze berührt, dann wird der Stift so abgeschnitten, 


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Ueber prothetisehe Behandlung der Nasendeformitäten. 


64» 


dass er ungefähr •/* Gm. in die Mundhöhle hinausreicht. Nun 
wird ein Abdruck vom Gaumen genommen, in welchem der 
Stift in seiner Lage fixiert ist. Der Abdruck wird eingegipst 
und eine Kautschukplatte verfertigt, in welcher das untere Ende 
des Platinstiftes festvulkanisiert ist (Fig. 47). 

Das Heben selbst geschieht folgendermassen: 

Durch das eine Nasenloch wird in die Nasenspitze ein 
Stück erweichter Guttapercha oder Stentsmasse eingeführt, das 
mit Hilfe einer Pinzette an seinem Platz festgehalten wird; nun 



Fig. 47. 


wird die Gaumenplatte mit dem Nasenstift an Ort und Stelle 
gebracht, wobei der Stift in die Nase dringt und zum Teil in 
die Guttapercha einsinkt. Nachdem die Guttapercha vollkommen 
hart geworden ist, wird zuerst die Gaumenplatte mit dem Stift 
durch die Mundöffnung und darauf die Guttaperchamasse durch 
das Nasenloch entfernt; die obere Fläche des Guttapercha¬ 
klümpchens hat sich nach dem Inneren der Nasenspitze ge¬ 
formt, während die untere Fläche eine Vertiefung vom Stift 
aufweist. In diese Vertiefung wird nun ein kurzer Metalldraht 
von der Dicke des Nasenstiftes gesteckt, worauf das kleine 
Ding eingegipst und ein ebensolches aus hartem oder weichem 
Kautschuk verfertigt wird. Anfangs ist es vielleicht besser, 

li 


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650 


Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 


weichen Kautschuk zu gebrauchen, aber nach einigen Jahren, 
wenn der Patient sich an den Apparat gewöhnt und es sich 
gezeigt hat, dass die Gewebe den Druck gut vertragen, macht 
man die Prothese lieber aus hartem Kautschuk, der keinen 
Veränderungen unterworfen ist. 

Indem man allmählich etwas Guttapercha auf die obere 
Fläche dieses kleinen Klotzes *aufträgt und im selben Ver¬ 
hältnisse seinen Umfang an der Unterseite vermindert, um 
ihn immer wieder durch das Nasenloch entfernen zu können, 
wird die Nasenspitze nach und nach bis zu der gewünschten 
Höhe gehoben. 



Fig. 48. 

Fig. 47 zeigt uns den ganzen Apparat und Fig. 48 die 
Patientin nach der Behandlung. Durch etwa 18 Jahre hat sie 
den Apparat ohne Beschwerden getragen, der ihr Aussehen 
in hohem Grade verbessert, die Funktion der Nase wieder 
hergestellt und es der Patientin möglich gemacht hat, ihre 
gesellschaftliche Stellung zu behalten. 

Fall 2. Ein Mann von etwa 20 Jahren. Die Nase ist ab¬ 
geplattet und das ganze Septum, sogar das Septum cutaneum 
zerstört (Fig. 49). 

Der Gaumen wird perforiert und es wird wie im vorher¬ 
gehenden Falle eine Gaumenplatte verfertigt welche den in die 


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Ueber prothetische Behandlung der N&sendeformitäten. 


661 


Nase hineinragenden Stift zu tragen hat. Da auch das Haut- 
septum fehlt, wird ein solches durch eine einfache autoplastische 
Operation hergestellt. 

Aus der Mitte der Oberlippe wird, ihre ganze Dicke 
umfassend, ein 1 Cm. breiter Lappen geschnitten, nach oben 
gebogen und an der Nasenspitze so festgenäht, dass die Haut 
nach innen und die Schleimhaut nach aussen gerichtet ist. 
Die Seitenteile der Lippe werden durch zwei wagrechte Schnitte 
so weit gelöst, dass sie in der Mitte zusammengenfiht werden 



Fig. 49. 

können. Alles heilt per primam. Nach den Literaturangaben 
soll die Schleimhaut mit der Zeit ihr Aussehen verändern und 
der äusseren Haut ähnlich werden. Das ist aber hier nicht 
der Fall; denn noch ein halbes Jahr später ist die Schleim¬ 
haut rot, wie eine Beere vorgewölbt und entstellt das Aus¬ 
sehen in hohem Grade; darum wird ein grösserer Teil der¬ 
selben abgeschnitten, wonach das Septum eine natürliche Farbe 
und Form annimmt. 

Nachdem diese Vorarbeiten besorgt sind, gilt es, den 
Nasenrücken zu heben. Es wird nun in zwei Teilen durch 
die Nasenlöcher ein Abdruck von dem Inneren der Nase ge¬ 
il* 


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652 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

nommen und nach diesem Abdruck ein inneres Gerüst (Fig. 51) 
verfertigt, dessen mittlerer Teil und vor allem trichterförmige 
Vertiefung, in welche der Stift einsinkt, aus hartem Kautschuk 
ausgeführt werden. Die Nasenflügel bestehen aus weichem 
Kautschuk, damit der Apparat zusammengedrückt und durch 
das eine Nasenloch in die Nase hineingesteckt werden kann. 

Die Hebung des Nasenrückens kann nun auf zweierlei 
Art geschehen: entweder durch Verlängerung des Stiftes oder 
durch Erhöhung des Gerüstes mit erweichter Guttapercha. Der 
Stift wird dadurch verlängert, dass man die Spitze desselben 



Fig. 50. 

mit Schraubengängen versieht und mit einer dünnen, ebenfalls 
mit Schraubengängen versehenen Hülse umgibt, die auf die 
Spitze geschraubt und längs derselben gehoben und gesenkt 
werden kann. Gewöhnlich bediene ich mich indessen nach¬ 
folgender Methode, obwohl sie ein wenig mühsamer ist: Ueber 
die Oberfläche des Gerüstes wird mit einem heissen Messer 
etwas erweichte Guttapercha gebreitet, worauf das zusammen¬ 
gerollte Gerüst wieder durch das eine Nasenloch in die Nase 
gesteckt wird. Dann wird die Gaumenplatte nebst Stift auf 
ihren Platz gelegt und gleichzeitig hebt sich der Nasenrücken 
ein wenig. Am folgenden Tage schneidet man mit einem 


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Ueber protbetUche Behandlung der Naseudeformi täten. 


653 


heissen Messer denjenigen Teil der Guttapeicha, der auf die 
Seite geschoben worden ist, ab und trägt auf die Mitte eine 
neue Schicht auf. So tut man Tag für Tag, bis der Nasen¬ 
rücken die gewünschte Höhe erreicht hat. 

Anfangs kann man etwas mehr Guttapercha auftragen 
und sie sogar etwas hart werden lassen. Wird das Gerüst so 
gross, dass es schwer an seinen Platz zu bringen ist, so muss 
ein neues hergestellt werden, an welchem alle überflüssigen Teile 
entfernt werden. Fig. 49 und 50 zeigen uns den Patienten vor und 
nach der Behandlung. Fig. 51 stellt den ganzen Apparat dar. 



Fig. 51. Fig. 52. 


Fall 3. 24jähriger Arbeiter. Die Nase eingesunken, das 
Septum verschwunden, die Nasenflügel gegen die Mittellinie 
zusammengeschnürt, so dass die Nase von vorne wie ein Klee¬ 
blatt aussieht (Fig. 58). Durch die Nase zu atmen ist un¬ 
möglich. Der mittlere Teil der Oberlippe ist zerstört. 

Zuerst löse ich mit der Spitze des kleinen Fingers unter 
geringer Gewaltanwendung einige zarte Adhäsionen und nehme 
dann einen Abdruck des Naseninneren, indem ich zwei mit 
Glyzerin oder Vaselin beschickte Rollen erweichter Gutta¬ 
percha, jede durch ein Nasenloch, in die Nasenhöhle hinein¬ 
presse und durch Fingerdruck gegen die Mittellinie drücke. 


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654 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

Nach dem Hartwerden der Guttapercha werden beide Rollen 
herausgenommen, wieder zusammengefugt und mit einem heissen 
Messer von den überflüssigen Teilen befreit. Nach diesem Ab¬ 
druck wird aus weichem Gummi ein dünnes Gerüst an¬ 
gefertigt und zusammengerollt durch das eine Nasenloch an 
seinen Platz gebracht. 

Der Gaumen wird perforiert; dann wird ein Stift in die 
Nasenhöhle und in das Nasengerüst eingeführt, der die Aufgabe 



Fig. 53. 

hat, das Gerüst an der Stelle, wo der Nasenrücken einer Stütze 
am meisten bedürftig ist, zu stützen. Der untere Teil des Stiftes 
wird an eine Gaumenplatte festvulkanisiert, die also das Ganze 
zu tragen hat (Fig. 52). 

Durch die Bekleidung des Gummiskelettes mit erweichter 
Guttapercha, vor allem an jenen Stellen, die man zu heben 
wünscht, wird schliesslich eine Nasenform erhalten, die den 
ästhetischen Forderungen entspricht. Zugleich wird die nasale 
Atmung völlig wieder hergestellt. 

Ein endgiltiges Resultat wird jedoch nie mit einem einzigen 
Gerüst gewonnen, es müssen vielmehr die Gerüste erneuert 


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Ueber prothetische Behandlung der Nasendeformitäten. 656 

werden, je nachdem sich die Nase während der Behandlung 
verändert. 

In dem endgiitigen Gerüst muss die Stelle, gegen welche 
der Stift sich stützt, aus hartem Kautschuk und etwas trichter¬ 
förmig angefertigt werden. So gelangt der Stift leicht an seinen 
Platz und kann das Gerüst nicht perforieren. 

Fig. 53 und 54 zeigen uns den Patienten vor und nach 
der Behandlung. 



Fig. 64. 

Fall 4. 22jährige Frau. Hier handelte es sich darum, 
das Resultat einer partiellen rhinoplastischen Operation zu 
verbessern. Einige Zeit nach der Operation wurde der Nasen¬ 
rücken wieder platt und die Folge davon war, dass die 
Patientin nun schlechter daran war als vor der Operation, 
besonders wegen der vollständigen Behinderung der Nasen¬ 
atmung. 

Auch hier wird der Gaumen perforiert und eine Gaumen¬ 
platte mit Nasenstift verfertigt. Am Ende dieses Stiftes wird eine 
mit Schraubengängen versehene Röhre aufgesetzt, welche durch 
Schrauben gehoben und gesenkt werden kann. Diese Röhre 


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656 


Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 


endet oben in einen etwa 1 Cm. langen Ansatz, welcher sich 
gegen den Stift winkelig abbiegen lässt (Fig. 55). Wenn man an 
dem mit einem Knoten versehenen Faden zieht, stellt sich das 
Glied parallel zum Stift und kann dann in die Nase hinein¬ 
geführt und wieder von dort herausgenommen werden. Zieht 
man am anderen Faden, so wird das Glied in rechtwinkeliger 
Stellung abgebogen und dient dann zur Stütze des. Nasen¬ 
rückens. Durch die Schraube lässt sich dieses Glied heben und 
dient so als orthopädischer Apparat Die Schraubengänge sind 
so eng, dass das Glied sich mit einer Umdrehung nur um 



Fig. 55. 


V, Mm. hebt, mit drei Drehungen um 1 Mm., das heisst der 
Druck lässt sich auf das genaueste modifizieren. 

Um das Einsinken der Nasenlöcher zu verhindern, wurde 
nach demselben Prinzip wie im vorhergehenden Falle ein 
Apparat aus Weichgummi verfertigt, der zwei Gummiröhren 
ähnlich sah (Fig. 55). 

Auch in diesem Falle wurde das Resultat ein be¬ 
friedigendes Doch erkrankte die Patientin an einer Psychose, 
weshalb der Apparat entfernt werden musste. 

3. Eine Perforation ist nicht vorhanden und wird nicht gemacht. 

Bei diesen Fällen, die gewöhnlich die erfolglosesten sind, 
kann man sich der von Martin vorgeschlagenen Apparate 
(Fig. 24 bis 32) bedienen. 


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Ueber prothetische Behandlung der Naaendeformi täten. 657 

Seitdem ich im Jahre 1890 mit Martins preisgekrönter, 
ausgezeichneter Arbeit „De la Prothese immediate etc.“, 
Paris 1889, Bekanntschaft machte, habe ich mich zwar oft seiner 
Apparate bedient, muss aber gleich hervorheben, dass man 
nach meiner Erfahrung mit Apparaten, die sich nur auf die 
Schleimhaut der Nase stützen, keine guten Resultate gewinnt. 
Wohl kann die Atmung durch die Nase wiederhergestellt und 
der Nasenrücken etwas erhöht werden, doch pflegt die Nase 
fast in derselben Proportion auch an Breite zuzunehmen, so 
dass der ästhetische Eindruck ein wenig befriedigender wird. 



Fig. 67. Fig. 68. 


Fall 1. 31 jähriger Mann. Hier waren die Knorpel- und 
Knochenteile der Scheidewand zerstört und resorbiert. Die 
Scheidewand bestand nur aus einer strammen Bindegewebs- 
wand, die seitwärts gebogen und gegen den Boden der Nasen¬ 
kavität hinabgedrückt werden konnte. Die Nase eingesunken, 
die Atmung behindert, besonders dann, wenn der Patient den 
geringsten Katarrh hatte, dann war die Nase immer gänzlich 
verstopft. 

Von jedem Nasenloch wird einzeln ein Abdruck auf 
folgende Art genommen: Ein zirka 3 Cm. langes Stück eines 
Nelaton-Katheters aus Weichgummi, so dünn, dass es die 
Nasenflügel nicht ausbuchtet, wird, mit erweichter Guttapercha 


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658 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

umgeben, durch die Nasenlöcher eingeführt. Während die 
Guttapercha hart wird, zwingt man die durch die Guttapercha 
vorgewölbten Flügel durch Fingerdruck eine möglichst natür¬ 
liche Form anzunehmen. Nachdem die Abdrücke hart geworden, 
werden sie entfernt und nach ihnen aus Weichgummi hohle 
Prothesen vulkanisiert, die, gleich den Guttaperchaklötzen, die 
Nasenflügel etwas erweitern, den Nasenrücken erhöhen und 
die Luft frei durch die Nase passieren lassen. 

Fig. 56 zeigt uns die Apparate; Fig. 57 und 58 den Pa¬ 
tienten vor und nach der Behandlung. Doch will ich hinzu¬ 
fügen, dass die Nase von vorne gesehen nicht so schön ist, 



Fig. 59. Fig. 60. 


wie sie auf dem Profilbilde (Fig. 58) aussieht. Die Nase ist 
platt und hässlicher als man nach dieser Zeichnung annehmen 
sollte. 

Fall 2. 24jähriger Mann. Die Knorpelteile des Septum 
zerstört, die Nasenspitze eingesunken, die Nasenflügel nach 
der Mitte hin eingeschnürt (Fig. 59 und 60). Nur mit Mühe 
kann etwas Luft durch die Nase gepresst werden. Der Patient 
ist blass, fast cyanotisch, schläft schlecht, erwacht häufig in¬ 
folge von Erstickungsanfällen, hat immer „schweren Kopf“, ist 
trüb gestimmt und zur Arbeit unfähig. 

Der Apparat ist derselbe wie im vorigen Falle, nur be¬ 
deutend kürzer. Das Resultat in ästhetischer Hinsicht nicht be¬ 
sonders glänzend (Fig. 61 und 62), doch in physiologischer und 
therapeutischer Beziehung staunenswert. Patient kann un- 


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Ueber prothetische Behandlung der Naeendeformitftten. 


«69 


behindert atmen, hat keine cyanotische Farbe, schläft gut, ist 
arbeitsfähig und lebenslustig. 

Diese beiden Fälle hätten, mit Paraffinprothesen be¬ 
handelt, in kosmetischer Beziehung sicher bessere Resultate er¬ 
geben, besonders wenn beide Methoden kombiniert worden 
wären. Leider kannte man aber zu jener Zeit (1886) die An¬ 
wendung des Paraffins zu solchen Zwecken noch nicht. 


4. Orthopädische Apparate zu prophylaktischen Zwecken. 


Es kommt zuweilen vor, dass sich Patienten zur Be¬ 
handlung einfinden, bevor eine Einsenkung des Nasenrückens 
eingetreten ist, bei denen man aber voraussehen kann, dass 



Fig. 61. 



Fig. 62. 


dieselbe im Laufe einiger Wochen mit aller Gewissheit statt¬ 
finden muss. In solchen Fällen ist es am besten, so früh 
wie möglich einzuschreiten, bevor Narbenkontrakturen, Ad¬ 
häsionen, Schrumpfung und Atrophie der Gewebe die Be¬ 
handlung erschweren. 

In diesen Fällen kann man sich je nach deren Be¬ 
schaffenheit einer der oben erwähnten Methoden bedienen. Bei 
der prophylaktischen Behandlung gibt es also keine neue 
Methode und ich habe diese Rubrik nur deshalb aufgenommen, 
um die Notwendigkeit einer solchen Behandlung besser betonen 
zu können. 

Fall 1. Ein 12jähriger Knabe hatte von einem Kapell¬ 
meister in einer Provinzstadt mit dem Taktstock einen Schlag 
gegen die Nase bekommen. Die Nasenscheidewand wurde zer- 


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660 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 

stört und es entstand im harten Gaumen eine Perforation, die 
sich jedoch nach Abstossung des Knochens wieder schloss. 
Noch war der Nasenrücken nicht eingesunken, da aber sowohl 
Knorpel- als Knochenteile der Scheidewand verschwunden 
waren, konnte die Nasenspitze in die Nasenhöhle hineingedrückt 
werden, so dass sie fast ganz in der Tiefe verschwand. Man 
konnte daher mit voller Gewissheit voraussehen, dass die Nase 
mit der Zeit deformiert werden und vielleicht ebenso tief ein- 



Fig. 63. 

sinken würde, wie wir es in früheren Fällen, z. B. Fig. 16 und 17, 
gesehen haben. 

Durch Eröffnung einer Perforationsstelle im Gaumen 
wurde ein Gang geschaffen, durch den ein stützender Stift ein- 
geführt und mit seinem unteren Ende an einer Gaumenplatte 
festvulkanisiert wurde. Am oberen Ende des Stiftes wurde ein 
ganz kleines Kissen aus weichem Gummi befestigt, das durch 
die etwas erweiterte Perforationsöffnung im Gaumen in die 
Nasenhöhle hineingesteckt werden konnte, um den Nasenrücken 
zu stützen. 

Nun musste aber der Patient nach einigen Tagen die 
Stadt verlassen, um nach einem entlegenen Ort zu reisen und 


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Ueber prothetiache Behandlung der Nasendeformitäten. 661 

hatte nicht Gelegenheit, wieder zurückzukehren. Deshalb ent¬ 
schloss ich mich dazu, den Apparat in solcher Weise zu modi¬ 
fizieren, dass der Patient selbst, wenn er älter und grösser 
würde, die Prothese erhöhen und dadurch den Nasenrücken 
zwingen könnte, sich in Uebereinstimmung mit der sonstigen 
Entwicklung des Gesichtes zu heben. Daher versah ich den Hebe¬ 
apparat mit einer Mechanik, welche es dem Patienten selbst 
ermöglichte, mit einem kleinen Schraubenschlüssel vom Munde 
aus die Nasenstütze nach Bedarf zu erhöhen (Fig. 63). Ich 



fürchtete allerdings, dass der Patient, der noch sehr un¬ 
entwickelt und kindisch war, nicht verstehen oder nicht dazu 
kommen würde, seinen Apparat handzuhaben, besonders da 
ich ihn nicht melir überwachen konnte. 

Ein halbes Jahr darauf begegnete mir zufällig der Knabe, 
der-jetzt eine Anstellung in Helsingfors erhalten hatte und 
während dieser Zeit bedeutend gewachsen war. Ich nahm ihn 
mit mir nach Hause, nahm einen Abdruck von seinem Gesicht 
und sah zu meiner Freude, dass seine Nase ihre Form voll¬ 
kommen beibehalten hatte, wie das auch aus Fig. 64 und 65 
hervorgeht. Erstere Abbildung zeigt uns nämlich den Patienten 
bei seinem ersten Besuche, letztere wie er aussah, nachdem 


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662 


Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland). 


er die Prothese 6 Monate getragen hatte. Patient erzählte, er 
habe den Apparat Tag .und Nacht getragen und ihn nur 
behufs Reinigung entfernt; einige Male habe er die Stutze un¬ 
bedeutend erhöht. 

Hieraus sehen wir, dass die orthopädischen Apparate auch 
zu prophylaktischem Zwecke benützt werden können. 

5. Orthopädische Behandlung bei Nasenfrakturen. 

Zu dem schon auf Seite 637 Gesagten will ich noch 
einige Worte hinzufügen. 



Fig. 66. 


Martin verwendet bei Frakturen, ob sie nun frische 
oder älteren Datums und in unrichtiger Stellung geheilt sind, 
dieselben Apparate, die schon erwähnt worden sind (Fig. 24 
bis 28), nachdem er mit der Zange (Fig. 23) die Knochen zur 
normalen Stellung gezwungen hat. 

Nach Reponierung der frakturierten Teile wird die Nase 
mit Guttapercha tamponiert, deren Wirkung noch durch einen 
Stahldraht vermehrt wird, den man mit einer gestärkten Binde 
um den Kopf befestigt und so biegt, dass seine Enden gegen 
die Seiten der Nase drücken (Fig. 66). Damit die Drahtenden die 
Haut nicht reiben, biege ich sie um und überziehe sie mit einem 
Stück Gummiröhre, wie auf derselben Abbildung zu sehen ist. 


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Ueber protbetische Behandlung* der N&sendeforarit&ten. 


663 


Damit der Patient, auch während er die Tampons trägt, 
durch die Nase atmen kann, verfahre ich in folgender Weise: 
Von einem Nelaton-Katheter von passender Dicke schneide 
ich zwei 2 Cm. lange Stücke ab, umgebe sie mit erweichter 
Guttapercha und stecke sie in die Nasenlöcher. 

6. Orthopädische Apparate bei Verengerung der Nasenlöcher. 

Sind Nasengänge und Nasenlöcher aus der einen oder 
anderen Ursache — angeboren oder erworben — eng und 
erschweren sie in höherem oder geringerem Grade die nasale 



Fig. 67. 

Atmung, so können kleine erweiternde Prothesen von ziemlich 
grossem Nutzen sein. Zu diesem Zwecke nimmt man, wie in 
den vorhergehenden Fällen, mit Stents oder Guttapercha einen 
Abdruck vom Inneren der Nase. Will man einen etwas 
grösseren Druck auf einen bestimmten Teil des Naseninneren 
hervorbringen, so braucht man nur etwas mehr erweichte 
Guttapercha auf die entsprechende Stelle des Abdruckes zu 
breiten und diesen, mit ein wenig Vaselin oder Glyzerin be¬ 
strichen, wieder in die Nase einzulegen. Nach diesen Ab¬ 
drücken werden später aus hartem Kautschuk äusserst dünne 
röhrenförmige Prothesen gemacht, welche, in die Nasenlöcher 


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664 Prof. M. Äyräpää, Helsingfors. Ueber prothetische Behandlung etc. 

eingebracht, das Lumen derselben erweitern und die Atmung 
erleichtern. 

In Fig. 67 sind einige solche Prothesen zu sehen. 

ich habe in vielen Fällen einen sehr grossen Nutzen von 
diesen einfachen Apparaten gehabt, z. B. bei chronischem 
Schnupfen, bei Deviationen der Nasenscheidewand und bei 
aus verschiedenen Gründen erschwerter Nasenatmung. Ich 
erinnere mich besonders eines Predigers, an dessen Nase 
nichts Abnormes zu finden war, der sich aber darüber be¬ 
klagte, dass seine Nase, wenn er in der kalten Kirche predige, 
immer verstopft sei, was ihn sehr belästige. Jetzt kann er bei 
Ausübung seines Amtes ohne Apparate gar nicht zurecht¬ 
kommen, trägt sie bisweilen auch in der Nacht und schläft 
dann ruhiger. 

Von diesen kleinen Apparaten, die natürlich für die 
rechte und linke Seite verschieden sind, pflege ich stets einige 
Paare von verschiedener Grösse auf Lager zu haben. Dadurch, 
dass man ein Paar von ungefähr passender Weite, mit etwas 
erweichter Guttapercha bekleidet, in die Nase einführt, kann 
man oft sehr rasch einen guten Abdruck zur Verfertigung ge¬ 
eigneter Prothesen gewinnen, ja es kommt sogar vor, dass 
die Apparate so wie sie sind passen. 1 


i Trotzdem ich schon 1886 diese kleinen Nasenprothesen gemacht 
und sie 1890 in meinem Vortrage am Internationalen Kongresse in Berlin 
erwähnt und sie in verschiedenen Publikationen sogar abgebildet habe, ist 
später auf die Verfertigung solcher Prothesen ein deutsches Patent ge¬ 
nommen worden. 


(Schluss folgt.) 


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K. k. sahnärmtl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 665 


Berichte ans Instituten and Vereinen. 


Baicht d» LLzahiintlickei Mutes 1er DnlTeratät ii fiel 
(Prel Dr. J. Scheff). 

Erstattet von Dr. Bruno Klein, I. Demonstrator daselbst. 
(Fortsetiong and Schloss.) 

In den Jahren 1905 und 1906 kamen Anomalien ganzer 
Zahnreihen, wie auch einzelner Zähne zur Beobachtung. Von 
sämtlichen Abnormitäten wurden Abdrücke genommen und 
der Modellsammlung des Institutes einverleibt. Unter diesen 
sind besonders hervorzuheben: Stellungsanomalien' ganzer Zahn¬ 
reihen sowie einzelner Zähne, Ueber- und Unterzahl, Ab¬ 
weichungen von der normalen Form und abnormale Artiku¬ 
lationsverhältnisse. 

Nur in wenigen Fällen konnten wir genaue anamnestische 
Angaben über die Zeit und Reihenfolge des Zahndurchbruchs, 
über das Milchgebiss, über eine eventuelle erbliche Veran¬ 
lagung und über abgelaufene Krankheiten von den betreffenden 
Patienten erlangen. Die Aetiologie hat zweifellos eine nicht zu 
unterschätzende Bedeutung, denn sie lehrt uns, wie schon 
Sternfeld bei den „Anomalien der Zähne“ (Schelfs Hand¬ 
buch der Zahnheilkunde, I. Bd.) bemerkt, auf welche Weise 
letztere zustande kommen und wie bei schon fertigem Gebiss 
noch eine Besserung erzielt werden kann. Von diesem Stand¬ 
punkte aus ist die Sammlung im hiesigen zahnärztlichen Institute 
angelegt, und da die Angaben mancher Patienten recht mangel¬ 
haft sind, so kann nur der Vergleich mit ätiologisch bekannten 
ähnlichen Fällen zu einer teilweise verlässlichen Diagnose hin¬ 
sichtlich des Zustandekommens gewisser Anomalien führen. 

Auch bei den nun zur Beschreibung gelangenden Fällen 
entspricht die Anamnese trotz eingehendster Erkundigung 
nicht allen Anforderungen. Erschwerend wirkte der Umstand 

12 


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666 K. k. zahnärztl* Institut (Prof. Schefl) der Universität in Wien. 

dass es meistens Patienten betraf, die auf einer niedrigen 
Bildungsstufe standen und die erst dann das Institut auf- 
suchten, wenn sich bereits Beschwerden von seiten ihres 



Hg. l. 


Gebisses bemerkbar machten oder in denen durch ihre Um¬ 
gebung das ästhetische Moment geweckt wurde. 

Der 24jährige Alois K. suchte das Institut wegen hef¬ 
tiger 'Schmerzen im Oberkiefer auf. Patient zeigte ausge- 



Fig. 2. 


sprochene Zeichen einer überstandenen Rachitis, doch widmete 
er seinem Gebisse und den bei demselben vorgekommenen 
Veränderungen weder in der Jugend noch im späteren Alter- 
jene Aufmerksamkeit, die ihn befähigt hätte, Aufschluss über 
Veränderungen im Durchbruch der Zähne, über frühzeitigen 


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& k. zabnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 667 

Verlust seiner Mhbaähne und über die Zahnverhältnisse seiner 
Verwandten geben re können. Mit Bestimmtheit konnte er 
bloss angeben, dass an ihm niemals eine Extraktion vor¬ 
genommen worden sei. 

Bei der Inspektion seiner Mundhöhle ergibt sich folgender 
interessanter Befund (siehe Fig. 1 und 2): lm Oberkiefer 
befinden sich zwei tief zerstörte Wurzeln, die, den grossen 
Schneidezähnen angehörend, unausgesetzt periostitische 
Schmerzen verursachen und sich mit den Eckzähnen zu einem 
äusseren Zahnbogen ergänzten, während die palatinal durch¬ 
gebrochenen kleinen Schneidezähne mit dem ersten Prämolar 
linkerseits einen inneren Zahnbogen darstellen. Der erste 
Molar rechts oben ist bis auf die noch im Kiefer steckenden 
Wurzeln durch Karies zerstört. Der Oberkiefer, dessen Gaumen 
hoch und dessen Alveolarteil verdickt erscheint, fällt gegen¬ 
über dem grossen Unterkiefer durch seine Kleinheit auf. Im 
letzteren ist links nur ein Schneidezahn vorhanden. Die 
Lücke bis zum Eckzahn rechterseits soll nach Angabe des 
Patienten seit jeher bestanden haben. Der zweite Prämolar 
links, sowie der erste Molar auf beiden Seiten sind bis auf 
die Wurzeln geschwunden. Die Zahnformel lautet demnach: 


7 6r 5 4 8 | 2 3 4 Br 6r 7 

Die vorgenommene radiologische Untersuchung ergab 
das Fehlen jeder Anlage der mangelnden Zähne, so dass im 
Unterkiefer eine wirkliche Unterzahl derselben angenommen 
werden musste. Die Artikulation erfolgt in der Weise, dass 
jederseits die zweiten Molaren sich nur in einem einzigen 
Punkte berühren, weshalb die Kaubewegungen, je nach der 
Zerkleinerung der Speisen linker- oder rechterseits, mit der 
entsprechenden Neigung des Kopfes nach diesen beiden 
Richtungen verbunden sind. * Im vorliegenden Falle hat jeden- 


i Ein ähnlicher Fall wurde von Spitzer veröffentlicht. (Bericht 
des k. k. zahnärztlichen Institutes. Oesterr.-ungar. Vierteljabrsschrift für 
Zahnheilkunde, XXL Jabrg. 1905, Heft 2 und 3.) 

12 * 


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668 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Schelf) der Universität iu Wien. 


falls bei der Entstehung der Stellungsanomalie im Oberkiefer 
sowie bei der Retention der drei Zähne im Unterkiefer die 
Rachitis als veranlassendes Moment die Hauptrolle gespielt, 
wiewohl an den Zähnen selbst die als typisch bekannten 
Merkmale rachitischer Erkrankung nicht vorhanden waren. 
Folgende von Sch eff in seinem „Handbuch der Zahnheil¬ 
kunde“, II. Bd., 2. Aufl., S. 528, über die Rachitis geäusserte 
Ansicht, die ich im Wortlaute anführe, deckt sich mit dem 
vorliegenden Falle in geradezu auffallender Aehnlichkeit: 
„ Gleichwie der Durchbruch der Zähne zurückgehalten werden 
kann, findet in der Reihenfolge des Durchbruches der ein- 



F«g. 3. 


zelnen Zahnsorten durch rachitische Veranlagung oder durch 
eine sich erst später entwickelnde Rachitis eine Abweichung 
statt, so dass auf die grossen Schneidezähne nicht die kleinen, 
sondern eventuell als nächste Gruppe die Backenzähne und 
schliesslich die kleinen Schneidezähne zum Durchbruch ge¬ 
langen, die dann nicht im Zahnbogen, sondern innerhalb oder 
ausserhalb desselben erscheinen.“ Dass der erste Prämolar 
links oben palatinal durchgebrochen ist, dürfte damit zu er¬ 
klären sein, dass er nach dem Caninus zum Vorscheine ge¬ 
kommen und daher wegen Platzmangel nicht in die Reihe 
eintreten konnte oder dass er beim Durchbruch des Eck¬ 
zahnes verdrängt wurde. Rechts schliesst der erste Prämolar 


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K. k. xahn&rztl. Institut (Prof. Sebeff) der Universität in Wien. 669 

an den Eckzahn an, doch fehlt auch auf derselben Seite der 
erste Mahlzahn. 

Einen anderen Fall von TTnterzahl der Zähne stellt 
Fig. 3 und 4 dar. Die Reproduktionen wurden nach dem Gebiss* 
abdrucke eines 16jährigen Knaben hergestellt, der, kränklich 
und anämisch aussehend, nach Angabe der Mutter Masern und 
Scharlach durchgemacht hat und auch jetzt häufig an Augen¬ 
entzündungen und Drüsenanschwellungen leidet. Aeusserlich 
bestehen Lidrandkatarrh und chronisches Nasenekzem, Be¬ 
hinderung der freien Nasenatmung, sowie derbe Drüsenpakete 
in der Regio submaxillaris. Die Milchzähne sind frühzeitig 


i 


Fig. 4 . 

schlecht geworden und ausgefallen. Der Durchbruch der jetzt 
vorhandenen Zähne habe sich sehr langsam und erst in den 
letzten vier Jahren vollzogen. Die Mutter des Patienten trägt 
einen totalen oberen Ersatz, die Geschwister des Patienten 
sollen gesund sein und normal geformte Zähne besitzen 

Das Gebiss setzt sich folgendennassen zusammen: Im 
Oberkiefer sind nur die beiden mittleren Schneidezähne, links 
der kleine Schneide- und Eckzahn sowie der erste Molar, 
rechts der erste und zweite Mahlzahn zum Durchbruch ge¬ 
langt Im Unterkiefer stehen nur fünf Zähne, und zwar rechts 
der mittlere Schneidezahn, der Eck- und der erste Mahlzahn, 


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670 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Schelf) der Universität in Wien. 


links der mittlere Schneide- und Eckzahn. Die Zahnformel 
lautet demnach: 

7 6 1 | 1 2 3 6 
6 3 1 j L 3 

Es artikulieren nur die Schneidezähne miteinander. Der 
radiologische Befund ergibt, dass die fehlenden Zähne im 
Keime nicht vorhanden sind, und zwar fehlen die Prämolaren 
vollständig; sonst sind im Oberkiefer rechts der Eck- und kleine 
Schneidezahn, links der zweite Molar, im Unterkiefer rechts 
der zweite Schneide- und Mahlzahn, links die beiden Mahl- 



Fig. 5. 


zähne nicht zur Entwicklung gelangt. Der Gaumen ist flach, 
an Stelle der fehlenden Zähne sind dünne Knochenleisten zu 
fühlen. 

Auch in diesem Falle wäre die Ursache der Reduktion 
in einer konstitutionellen Krankheit, und zwar der Skrophulose 
zu suchen. Dem Patienten wurde der Rat erteilt, sich eine 
Prothese anfertigen zu lassen, die bei seinem krankhaften Zu¬ 
stande zu einer besseren Ernährung beitragen würde. 

Fig. 5 stellt den Oberkiefer eines 25 jährigen Mannes dar, 
welcher angibt, stets gesund gewesen zu sein und von ge¬ 
sunden Eltern zu stammen. Sein Milchgebiss sei vollständig 
gewesen, eine Extraktion von Zähnen sei niemals bei ihm vor¬ 
genommen worden. Im Oberkiefer, dessen Alveolarteil verdickt 


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K. k. s&hnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 671 

erscheint, fehlen rechts der grosse und kleine Schneidezahn, 
links der grosse Schneide- und Eckzahn, während der kleine 
Schneidezahn sich im Zustande der Halbretention befindet und 
an diesen anschliessend ein zapfenförmiger Zahn. Das Gebiss 
im Unterkiefer ist vollständig. Die radiologische Unter¬ 
suchung liefert in diesem Fall den sicheren Nachweis der Re¬ 
tention der fehlenden Zähne. Bei Kieferschluss treten nur die 
letzten Molarenpaare miteinander in Artikulation, vorne besteht 
ein offener Biss. 

Der Vater des jungen Mannes zeigt an seinem Gebiss 
folgenden Befund: Im Oberkiefer sind nur die vier Front¬ 
zähne erhalten. Rechterseits haben grosser und kleiner Schneide¬ 
zahn miteinander den Platz gewechselt, links fehlt der grosse 
Schneidezahn, der niemals vorhanden gewesen sein soll, dann 
folgen der kleine Schneide- und der Eckzahn. 

Der Mann weiss sich genau zu erinnern, dass er zur Zeit 
seines vollständigen Gebisses die Zähne vorne niemals schliessen 
konnte. 

Sind also bei den beiden erstbeschriebenen Fällen kon¬ 
stitutionelle Erkrankungen als Hauptursache für das Fehlen 
einer Anzahl von Zähnen anzusehen, so ist in dem letzten 
Falle die Annahme einer erblichen Veranlagung nicht voll¬ 
ständig von der Hand zu weisen. 

Dependorf in Jena hält den angeborenen Mangel von 
Zähnen, und zwar die Nichtentwicklung aller oder einzelner 
Zahnanlagen für selten und führt folgende Ursachen für die 
Entstehungsformen der Zahnreduktion an: 1 

1. Ursachen in Form lokaler Wirkungen im direkten Be¬ 
reich der Kiefer: 

a) Zerstörung des Zahnkeimes durch äussere mechanische 
Eingriffe, Operationen, Extraktionen, durch Trauma, Verletzungen 
aller Art; 

b) Dystrophien infolge chronischer Entzündungen der 
Kiefer. 


t Oesterr. -Ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Jänner 1907, 

Heft I. 


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672 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Schelf) der Universität in Wien, 

2. Ursachen in Form konstitutioneller Erkrankungen: 

a) Allgemeine Störungen in der Entwicklung und Er¬ 
nährung des gesamten Organismus; 

b) spezielle Störungen in der Knochen- und Zahnent- 
wicklung. 

3. Ursachen in Form trophoneurotischer Erkrankungen. 
Fig. 6 stellt einen Fall von Ueberzahl der Zähne dar. 

Das Modell stammt von einem 19jährigen Manne, der angibt 
dass der Zahn (Fig. 6 und 6a) in seinem 17. Lebensjahre zum 
Vorschein gekommen sei. Obwohl er ihm keinerlei Beschwerde 
verursachte, Hess er ihn wegen seiner eigentümlichen und auf¬ 
fallenden Form extrahieren. Nach 1'/* Jahren sei ein ebenso 


Fig. 6«. 

gestalteter Zahn an derselben Stelle, und zwar zwischen grossem 
Schneidezahn links und kleinem Schneidezahn rechts erschienen, 
der ebenfalls entfernt wurde. Seit einem halben Jahre kommt 
nun noch ein dritter Zahn zum Durchbruch. Bei der Unter¬ 
suchung des sonst sehr gut entwickelten Gebisses bemerkt 
man, dass in dieselbe Stelle, wo früher die beiden extrahierten 
Zähne erschienen waren, ein dritter Zahn hereinragt, der hoch 
oben durch den Alveolarfortsatz getreten, um 90° gedreht ist 
und mit Ausnahme einer abnormen Einsenkung, die dem 
kleinen Schneidezahn rechts zugewendet ist, die Gestalt des 
im Gebisse nicht vorhandenen grossen rechten Schneidezahnes 
besitzt. Die extrahierten Zähne besitzen eine höckerige Krone 
mit dütenförmiger Einsenkung und eine konische drehrunde 
Wurzel. 



Fig. 6. 


m ä 


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E. k. eahnärztl. Institut (Prot Scheff) der Universität in Wien. 673 

In der Sammlung des Institutes finden sich überzählige 
Zähne von genau derselben Form, doch waren sie entweder 
zwischen den beiden grossen Schneidezähnen oder aber 
palatinal, dicht hinter den letzteren durchgebrochen. Der vor¬ 
liegende Fall dagegen ist deswegen von besonderem Interesse, 
weil der Durchbruch des grossen Schneidezahnes durch die 
beiden überzähligen Zähne gehindert war und erst deren 
Extraktion den Beweis lieferte, dass es sich tatsächlich um 
eine Ueberproduktion und nicht um einen abnorm gestalteten 
normalen Zahn handelte. Der grosse Schneidezahn erscheint 



Kg. 7. 


gegenwärtig oberhalb der normalen Durchbruchsstelle und dieser 
Umstand dürfte seinen Grund in der dichten Narbe haben, 
die dort zur Bildung kam, wo seinerzett die extrahierten, 
abnorm gebildeten Zähne gestanden waren. 

Zwei in bezug auf die Krone ähnlich gestaltete überzählige 
Zähne gehören dem in Fig. 7 und 7 a dargestellten Oberkiefer 
an. Beide Zähne waren bei einem 17 jährigen Mädchen durch¬ 
gebrochen, nachdem schon lange Zeit vorher dicht hinter den 
grossen Schneidezähnen eine deutliche Vorwölbung bestanden 
hatte. Die Wurzel des einen dütenförmigen Zahnes ist ziemlich 
scharf abgeknickt, wodurch der ganze Zahn ein mehr schuh¬ 
förmiges Aussehen erhält, während die Wurzel des anderen 


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674 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 

seitlich zusammen gedruckt ist. Die Ursache dieser Knickung 
und Abplattung ist wohl auch bei diesen überzähligen Zähnen 
auf mangelhafte Raumverhältnisse und die bedeutenden Wider¬ 
stände beim Durchbruch zurückzuführen. 

Zum Schluss sei noch einer Zwillingsbildung Erwähnung 
getan, die in Fig. 8 dargestellt ist. Es handelt sich in diesem 
Falle um die Vereinigung des grossen rechten Schneidezahnes 
mit einem gleichgeformten überzähligen Nachbarzahn. Die 
Kronen beider Zähne sind partiell in ihrer oberen Hälfte 
durch einen Schmelztropfen vereinigt, die untere Hälfte ist 
frei, ebenso sind, wie die radiologische Untersuchung ergibt, 
zwei vollständig separierte Wurzeln vorhanden. 
Dieser Fall ist wohl zweifellos den Zwillingsbildungen zuzu- 



Fig. 8. 


rechnen, da er sich mit den meisten Definitionen über diese 
Anomalie in Einklang bringen lässt. 

Scheff äussert sich in seiner Arbeit „Fälle aus der 
Praxis“ über Zwillingsbildung folgendermassen: 1 

„Jedenfalls handelt es sich bei der Bildung von 
Zwillingszähnen, sowohl im vorderen wie im rückwärtigen 
Abschnitt, um eine Vermehrung von Zahnkeimen, von welchen 
zwei dicht nebeneinander liegende vor ihrer Ossifikation derart 
in Berührung kamen, dass sie miteinander verwachsen 
mussten. Bei der Zwillingsbildung handelt es sich immer nur 
um die Kronen, welche an ihrer Verbindungsstelle eine entweder 
oberflächliche oder tiefer eindringende Linie zeigen als jene 
Stelle, wo die beiden Kronen miteinander verwachsen sind.“ 

1 Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, IX. Jahrg. 
1893, 4. Heft. 


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Zentralverb&nd der Österreichischen Stomatalagen. 


676 


Sternfeld, Wedl und Baume pflichten derselben 
Ansicht bei. 

Ersterer stellt folgenden Satz auf: 1 

„Zwillingsbildungen setzen eine Ueberzähl von Zähnen, 
respektive Zabnkeimen voraus; anstatt eines Zahnkeimes 
haben sich innerhalb eines Zahnsäckchens zwei Zahnkeime 
gebildet, die dann miteinander partiell oder total ver¬ 
schmolzen sind. 11 

Riha macht in seiner ausführlichen Arbeit „Ueber 
Zwillingszähne“ * den Vorschlag der Einteilung in äquale und 
inäquale Zwfllingszähne. Unter den ersteren sind jene 
Zwillingsbildungen verstanden, die durch die Vereinigung eines 
normalen Zahnes mit einem überzähligen Zahn von gleichem 
Typus zustande kommen, unter den letzteren die, welche aus 
der Verwachsung eines normalen Zahnes mit einem über¬ 
zähligen Nachbarzahn vom Typus „Zapfen- oder Höckerzahn“ 
hervorgegangen sind. 

Mit Rücksicht auf diese Einteilung wäre der oben be¬ 
schriebene Fall als ein äqualer Zwillingszahn anzusehen. 


ZeotralTortaid der öMckukei Stonatelopi io Viel 

Die vierte ausserordentliche wissenschaftliche Versammlung 

des Zentralverbandes der österreichischen Stomatologen findet 
Samstag den 9. November, 7*6 Uhr, in der zahnärztlichen 
Abteilung der allgemeinen Poliklinik, IX. Höfergasse 1, mit 
folgendem Programm statt: 

Herr Zahnarzt Alfred Körbitz, Leiter der Berliner zahn¬ 
ärztlichen Poliklinik: Die Hilfsmittel der modernen Ortho- 
dontie, und 

Herr Dr. Rudolf Sa fron, Wien, vorläufige Mitteilung: 

1. Ueber die Behandlung von Wurzelkanälen bei putrider Pulpa; 

2. Eine Adjuvans zur Nervextraktion. 

* Handbuch der Zahnheilknnde von Dr. Schelf, I. Bd., S. 644.) 

* Deutsche Monatsschrift fttr Zahnheilkunde, XXV. Jahrg., 6. Heft, 1907. 


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676 


Zentralverband der österreichischen Stomatologen. 


Fünfte Jahresversammlung (ordentliche Verbandsversammlung) 
Samstag den 7. und Sonntag den 8. Dezember 1907. 

Die Geschäftssitzung wird am Samstag den 7. De¬ 
zember, um V*6 Uhr nachmittags, im Sitzungssaale der Wiener 
Aerztekammer, I. Börsegasse 1, abgehalten werden. 

Tagesordnung: 

1. Begrüssung durch den Präsidenten. 

2. Jahresbericht durch den ersten Schriftführer. 

3. Kassabericht durch den Säckelwart. 

4. Mitteilungen des Schriftleiters der „Oesterreichischen 
Zeitschrift für Stomatologie“. 

5. Neuwahlen. 

6. Bestimmung des Jahresbeitrages. 

7. Bestimmung des Ortes und der Zeit der nächsten 
Jahresversammlung. 

8. Allfällige Anträge. 

Anträge sind schriftlich bis längstens 1. Dezember an das 
Präsidium, IX. Ferstelgasse 5, zu richten. 

Samstag und Sonntag vormittags finden 

wissenschaftliche Sitzungen 
in den Räumen des k. k. zahnärztlichen Universitäts-Institutes 
des Herrn Regierungsrates Professor Dr. J. Sch eff, IX. Türken¬ 
strasse 9, und in der zahnärztlichen Abteilung der Allgemeinen 
Poliklinik des Herrn Doz. Dr. v. Wunsch heim statt. Das 
ausführliche Programm der Vorträge und Demonstrationen 
wird demnächst bekannt gegeben werden. 

Für den Ausschuss des Zentralverbandes 
der österreichischen Stomatologen: 

Dr. Bum, Schriftführer Prof. Dr. Trauner, Präsident 

I. Goldschmidgasse 10. IX. Ferstelgasse 5. 


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Bericht Aber Dr. S&ndbloms Kurs in Berlin. 


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finkt iktr Dr. Saiiblois Kurs ii Berlin. 

Mitte August d. J. hielt Dr. Sandbiom, Leiter des nor¬ 
wegischen zahnärztlichen Universitäts-Institutes in Christiania, 
in der Berliner zahnärztlichen Poliklinik des Herrn Körbitz 
einen 14 tägigen Fortbildungskurs. 

Dr. Sandblom arbeitete 20 Jahre in den Vereinigten 
Staaten und war Lehrer an der Northwestern University unter 
Professor Black in Chicago. 

Sandblom überrascht durch ein ganz eminentes Lehr¬ 
talent. In wenigen Worten weiss er die kompliziertesten Arbeiten 
einfach und klar zu erläutern und durch seine ausserordent¬ 
liche Technik glänzend zu unterstützen. Er hielt seine Vor¬ 
träge in englischer Sprache, die vom Kollegen Rümpler ver¬ 
dolmetscht wurden; doch ist er in der Lage, sich auch in 
deutscher Sprache ganz verständlich auszudrücken. 

Moderne Kavitätpräparationen nach Professor Black 
für Gold-, Porzellan- und Amalgamfüllungen umfassten den 
ersten und schwierigsten Teil seiner Demonstrationen. Es 
wird hauptsächlich nur „Handarbeit" geleistet, mit Chisels, 
Hoes, Hatchets (Meissei, Hacke, Beil) und Trimmers gearbeitet. 
Der Gebrauch dieser uns teilweise schon bekannten Instrumente 
wird genau begrenzt, ihre Grössenverhältnisse genau angegeben. 

Professor Black bedient sich 104 dieser Instrumente, 
Sandblom begnügt sich mit einem Satze von BO Stück. Erst 
zum Schlüsse arbeitet er mit der Bohrmaschine, und zwar 
meist mit den kleinsten, umgekehrt kegelförmigen Bohrern. Das 
Wesen dieser Kavitätenbildung besteht in Herstellung von 
Gegendruck (Resistenz) und Retentionsform mit Stufen und 
schwalbenschwanzförmigem Abschluss. 

Es ist einleuchtend, dass diese Formation der Kavität 
für die Füllung die grösstdenkbarste Sicherheit gibt, ebenso, 
dass die „Handarbeit" nur mit stets messerscharf gehaltenen 
Instrumenten für den Patienten die schonendste ist. Natürlich 
darf der Arkansasstein vom Bracket nicht verschwinden. 


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Bericht Aber Dr. Sandbloms Kurs in Berlin. 


Diese Präparation scheint auf den ersten Blick recht 
kompliziert zu sein, doch wurde sie, dank den präzisen Aus¬ 
führungen des Vortragenden, in wenigen Tagen von allen 
Kursteilnehmern verstanden. 

Dr. Sandblom behauptet, mit seiner „Handarbeit“ in 
mindestens derselben Zeit fertig zu werden, wie ein geübter 
Operateur mit der Maschine. 

Die Kursteilnehmer übten die Präparation an selbst aus 
Gips geschnitzten Zähnen. Die Notwendigkeit dieser Vorarbeit 
— Zahnschnitzereien aus Gips nach Sandbloms einfachen 
Anweisungen — sah man nach den Demonstrationen der 
Kavitätenbildung, der Extension for prevention und des Kon- 
taktpunktprinzipes recht gut ein. Dann kamen Demonstrationen 
über Kronen- und Brückenarbeiten mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des Kontaktpunktes an die Reihe: Gold* und Por¬ 
zellankronen, Goldeinlagen, Einlagekronen, endlich Richmond- 
kronen und solche mit abnehmbaren Porzellanfacetten. Die 
Continuous-Gum-Arbeit konnte aus Mangel an Zeit nur noch 
gestreift werden. 

Es war in der Tat ein Vergnügen, Dr. Sandblom bei 
der Arbeit zu sehen. Es gab da lauter kleine Ueberraschungen 
bei seinen oft höchst originellen Handgriffen — speziell wurde 
die elegante und unfehlbar sichere Art seines Lötens all¬ 
gemein bewundert. 

Sicherlich war den Kursteilnehmern, Kollegen aus Russland, 
Schweiz, Deutschland, Dänemark und Oesterreich (Dr. Bastyf 
aus Prag und Referent), die meist schon in längerer Praxis 
stehen, nicht alles ganz neu. Aber Dr. Sandblom brachte 
für jeden eine Unzahl grösserer und kleinerer Neuheiten und 
Details, was wohl alle Kursteilnehmer dieses und eines vor¬ 
hergegangenen Kurses dankbarst anerkennen. 

Dr. Ferd. Tanger , Triest. 


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I. französischer Stomatologenkongress. 


679 


liiiricte vci 1 frauixisckei Stwatsltpbaira nit be- 
»ltar BerlcbicbtiiEiiiE 4er zabnärztUchea Agsstellnu. 

L bis 5. August 1907. 

Von Dr. Julius Haas , Zahnarzt in Bielitz. 

Von einem ungeteilten Gesamteindruck über den I. franzö¬ 
sischen Stomatologenkongress zu Paris kann keinesfalls die 
Rede sein, weil Theorie und Praxis einander nicht ergänzten, 
vielmehr getrennt marschierten. Wir meinen damit: Es war 
unmöglich, diesen beiden gleichzeitig zu folgen, da Sektionen 
verschiedener Themen, sei es manueller, sei es gedanklicher 
Art, an verschiedenen Orten zu derselben Stunde tagten, 
ein Hergang, der zum Nachteile der Betroffenen an den meisten 
Wissenschaftsversammlungen zu beobachten ist. Die Franzosen 
bewährten sich als gewandte Sprecher, so dass diese be¬ 
neidenswerte Kunst einen grossen Raum der Kongresszeit in 
Anspruch nahm. Ueber die subtilsten Thesen wurde mit lobens¬ 
werter Gründlichkeit verhandelt, wobei recht waghalsige Be¬ 
hauptungen verteidigt wurden, wie z. B. der Zusammenhang 
der Alopecia mit der Zahnkaries. 

Man beschäftigte sich viel mit den „incrustations d’or et 
de porcelain“, den gegossenen Gold- und Porzellaneinlagen, 
deren Herstellung mit mehr oder minder gutem Erfolge demon¬ 
striert wurde. Das unbegrenzte Gebiet der Alveolarpyorrhoe 
fand seine Interpreten, das azurblaue Licht als Anästhetikum, 
die Hutchinsonschen Zähne, losgelöst von jeder Einwirkung 
hereditärer Syphilis, und organisatorische wie terminologische 
Fragen wurden zur Diskussion gestellt. 

Fern jeder Hast, vermochte man mit desto intensiverer 
Aufmerksamkeit die „Exposition“ zu betrachten. Diese hatte 
sich in den Wandelgängen der Facultö de mödecin nieder¬ 
gelassen. Sie repräsentierte die Zahnheilkunde in den alten und 
den neuen Tagen und konnte von drei Gesichtspunkten aus 
das Interesse des Besuchers fesseln. Vom rein artistischen, 
vom kommerziellen und vom eigentlich zahnärztlichen. 


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680 


L französischer Stomatologenkongress. 


Die erstgenannte Abteilung wies Kupferstiche, Aquarelle 
mehr oder minder bekannter .Darstellung alter Meister auf — 
einige Reproduktionen waren seinerzeit in diesen Blättern 
bereits erschienen — die die Stomatologie im Bilde mit Humor 
beleuchteten. Sie bot dieserart eine Retrospektive der noch 
nicht ganz erloschenen Auffassung des zahnärztlichen Berufes 
früherer Zeit, in welcher Kurpfuschertum und Charlatanerie im 
harmlosen und üblen Sinne lustige Blüten trieben. Als Spezial¬ 
galerie bildete sie stilvoll die Introduktion für alles Sehens¬ 
werte. Obzwar weniger gewürdigt und gewiss mehr eingeschätzt 
vom Auge des pinselkundigen Fachmannes, zeugte sie doch 
deutlich von dem löblichen Eifer des Kongresskomitees und 
seines emsigen Generalsekretärs, Herrn Dr. Chompret, die 
bemüht waren, ein volles Ganzes vor den Blicken der Be¬ 
schauer zu entfalten, was auch vollständig gelungen. 

Das Hauptaugenmerk zog natürlich die eigentliche Fach¬ 
ausstellung auf sich. Diese, präsentierte sich in solchem Aus¬ 
masse, dass die fünf Versammlungstage nifftt im entferntesten 
ausreichten, um das ganze Material mit richtiger Müsse stu¬ 
dieren zu können. Immerhin drängte sich dem Auge so viel 
Sehenswertes auf, dass der Eindruck stets ein reichhaltiger 
bleiben wird. Neben Zeichnungen mikroskopischer Längs- und 
Querschnitte von normalen und pathologischen Zähnen, stellten 
Tableaux und Photographien die Erkrankungen der harten 
und weichen Mund-, beziehungsweise Gesichtsgebilde dar. 
Profi Fqurnier und Dr. Gas ton, der Chef des Labora¬ 
toriums am Hospital St. Louis, zeigten auf lehrreichen Tafeln 
die verschiedenen Stadien der Leukoplakie, des Lichen, des 
Zungen- und Lippenepithelioms; ferner Erscheinungen der 
Lues, Lepra, Aktinomykose, Tuberkulose usw. in den genannten 
Bezirken. Doch am anschaulichsten wirkten die plastischen 
Objekte, die in grossen Glaskasten — zehn an der Zahl — 
in der langen Seitenhalle der Facultä de mädecin ein Obdach 
gefunden hatten. Ein mächtiges Stück Arbeit war da kon¬ 
zentriert, nicht nur von französischen, sondern auch von aus¬ 
ländischen Kollegen. Ehrwürdige Erbstücke pathologischer und 
kulturhistorischer Kuriositäten charakterisierten den Sammel- 


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I. französischer Stom&tologenkongress. 


681 


fleiss ihrer Besitzer. Glänzende Namen, deren Träger längst 
nicht mehr unter den Lebenden weilen, wie Dupytren, Päan, 
stellten sich anregend neben den noch wirkenden Epigonen. 

Die Grösse Dupytrens imponierte in erster Reihe 
durch seinen Nachlass, der in dem Schrank „Musäe Dupytren“ 
zur Besichtigung einlud: Eine stattliche Zahl Wachsnachbildungen 
von Lippen-, Zungen- und Wangenneoplasmen mannigfachster 
Sorte, Spiritus- und Trockenpräparate, von denen eines wohl 
am groteskesten die Verheerungen der Syphilis aufzeigte. Es 
war ein Trockenpräparat eines Schädels, das der alte Meister 
wegen seiner überaus instruktiven Beiehrsamkeit auch in die 
lebendigeren Formen einer Wachsmoulage hatte giessen lassen. 
Die rechte Gesichtshälfte war der gänzlichen Zerstörung an¬ 
heimgefallen, die Skeletteile mit inbegriffen. Es fehlten die be¬ 
treffende Ober- und Unterkieferhälfte, das Auge samt Orbital¬ 
gerüst, der Sinus frontalis gähnte weit offen und das Cerebrum 
lag frei zutage; Erscheinungen luetischer Tertiärformen, wie sie 
heute wohl nicht m beobachtet werden. Ein anderes augen¬ 
fälliges Andenken hinterliess derselbe Chirurg in einem Schädel¬ 
skelett, dessen beide Gesichtshälften von ausgedehnten Exo¬ 
stosen kugelig deformiert waren. Ein Porträt in Gestalt eines 
altmodischen Farbendruckes demonstrierte ein Sarkom, das 
die Mundhöhle allseits verengte, während die tiefen Zer¬ 
störungen an dem daneben liegenden Trockenpräparat zu 
sehen waren. Diesem hochinteressanten Sammelschrank gegen¬ 
über hatte das „Musee de Tficole Veterinaire d'Alfort“ seine 
Raritäten angeordnet. Da nahm man die Schädel- und Ge¬ 
bissformationen der Haustiere gewahr, die des Löwen, Bären 
und Nilpferdes. Aber auch der Anomalien war gedacht. Die 
Karies in den Pferdezähnen, der Zahnausfall beim alternden 
Tiere im Anschlüsse an die Abrasio dentium, die Prognathie; 
Zahnirrigularitäten, Unterkieferfrakturen, Exostosen, Aktino- 
mykose, Ostitis, Doppelzunge beim Rinde usw. Nur zu sehr 
fühlte man die Lücke im fachmännischen Wissensschatze ver¬ 
gleichender Stomatologie vor diesen Objekten, die desto mehr 
anzogen. Es wäre gewiss wünschenswert, wenn 
der Zahnarzt in seinem Bildungsgänge auch in 

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I. französischer Stomatologenkongress. 


diesem Zweige der Erkenntnis eine tiefereWeihe 
und dadurch verständnisvolleren Einblick in die 
Werkstätte der Entwicklungsgeschichte erhielte. 

Das „Musäe de THospital St. Louis“ wies unter An¬ 
führung der Namen Pean, Leiller, Du Castel, Vidal und 
Fournier zahlreiche Lippen- und Zungenmoulagen auf, die 
an Variationen nur mit den unzähligen Gipsmodellen von 
Gaumenmissbildungen und Zahnunregelmässigkeiten wett - 
eiferten, welche als Gegenstück einen geräumigen Kasten be¬ 
zogen hatten. Unfern davon war die Vitrine für Zahn¬ 
kuriositäten — wir glauben den Namen Dr. Michaels ge¬ 
lesen zu haben — postiert. Hier gab es Zähne mit unglaub¬ 
lichem Zahnsteinansatz, eine Antrumkanüle, die von Kon¬ 
krementen vollständig eingehüllt war, Schmelzperlen an Kronen 
und Wurzeln, die seltsamsten Verkrümmungen und Ver¬ 
hakungen der Wurzeln, Verwachsungen dieser untereinander 
oder mit deren Nachbarn, Konkremente der Pulpa oder gänz¬ 
liche Versteinerung derselben. 

Eine Unzahl bizarrer Kariesformen. Von besonderer An¬ 
ziehungskraft zeigten sich die Tierzähne als Schmuckgegenstand, 
darunter wertvolle Stücke, wie Halsbänder der Neger etc. 

Claude Martin bot mit seinem Sohne Francois sein 
Bestes in Gesichtsprothetik: Künstliche Nasen aus Porzellan- 
masse von täuschender Imitation, Zungen- und Kehlkopfersatz. 
Bruchschienen, Obturatoren, wie Ersatzteile des Oberkiefer¬ 
gerüstes. Seine bereits in der „Zeitschrift für zahnärztliche 
Orthopädie“ beschriebene Methode zur „Verlängerung“ der 
Zähne dargestellten Apparate standen auch hier zur Ansicht 
hinter Glas und Riegel. Sie mögen als Frucht eines findigen 
Kopfes erwähnt sein, wenn auch ihr praktischer Wert von 
untergeordneter Bedeutung ist. 

Oesterreich-Ungarn war durch Zsigmondy und v. Arkövy 
vertreten: Schulschemen von grossen Zahnmodellen, welche 
die Pathologie der Pulpa in allen Graden aufzeigten, und Prä¬ 
parate einzig in ihrer Art: Die Entwicklung der Kieferknochen 
samt Zähnen beiläufig vom zweiten oder dritten Embryonal¬ 
monat an. Vornehmlich diese letzteren Objekte verdienten 


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I. französischer Stomatologenkongress. 


683 


eingehendes Studium und zur deutlicheren Hervorhebung ein 
gesondertes Placement. 

Auch die Instrumentarien alter und ältester Perioden 
waren in der Masse des Ausstellungsmateriales gleichsam ver¬ 
borgen und hatten oftmals solche abenteuerliche Formen an¬ 
genommen, dass deren Anwendbarkeit unseren jetzigen Begriffen 
völlig fremd geworden ist. 

Die erste Herstellung der künstlichen Zähne, allem Anscheine 
nach aus Tonerde gewöhnlichster Sorte, liess den gewaltigen 
Fortschritt unserer Zeit auf diesem Gebiet augenfällig hervor¬ 
treten und das erste Werkchen technischen Inhaltes 
von Dubois Duchemant erläuterte deren Fabrikation. 
Dieser ursprünglichen Herstellung trat die lebendige wetteifernde 
Gegenwart in der letzten Abteilung kontrastlich gegenüber, 
die unter dem Schutze Merkurs ihre Zelte gleich in der Eingangs¬ 
halle aufgeschlagen hatte: Mikroskope und Mikrotome, elek¬ 
trische Bohrmaschinen differenter Ausstattung, elektrische Oefen 
zum Brennen von Porzellaninlays, Stühle mit aufzuklappenden 
Rückenlehnen als Sitz für Kinder, Instrumentenschränke nach 
den Anforderungen der Hygiene, künstliche Zähne (Daviskronen) 
und reichhaltige Instrumentarien begrüssten den Eintretenden. 
Mit wenigen Abweichungen z. B. eines Narkoseapparates nach 
Decolland, von dem es in der beigegebenen Broschüre 
hiess, er sei einwandfrei gefahrlos — Anaesthesie absolument 
«ans danger — boten die Depots nichts sonderlich Unbekanntes. 

So wurde fast jedem Gebiete auf dem I. französischen 
Stomatologenkongress in unserer weitausgreifenden Disziplin 
Rechnung getragen; nur schien es, dass die Technik, sei es 
vom Standpunkte der Prothetik, sei es in Hinsicht auf die 
Orthodontie, zu geringe Betonung gefunden. Der Engländer 
Hose stillte einigermassen durch seine glänzenden Demonstra¬ 
tionen diese Sehnsucht, indem er Porzellan-Kautschukarbeiten 
und die Herstellung von Goldeinlagen in wohlgelungener Weise ge¬ 
läufig aufzeigte. Es entwickelte sich daher die Auffassung, dass 
die Stomatologen Frankreichs in erster Linie Medici und weniger 
Mechaniker sein wollten. — In unserem Berufe aber besteht 
•eine unausschaltbare Wechselbeziehung zwischen beiden Fächern. 

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Referate und Journalschau. 


Referate und Journalsehau. 


lieber Druckanästhesie des Zahnbeines. Von W. I). MiUer, 
Berlin. (Archiv für Zahnheilkunde, November 1906.) 

So vorzüglich auch das Verfahren der Injektion in vielen 
Fällen ist, so besitzen wir darin doch kein Mittel, welches sich 
für allgemeine Anwendung bei Behandlung des empfindlichen 
Zahnbeins eignet. Unter allen Umständen würde man einem 
Verfahren den Vorzug geben, bei welchem die Injektion von 
differenten Stoffen in die Weichteile nicht erforderlich ist. Alle 
sind darin einig, dass man durch gründliche Austrocknung und 
Verwendung scharfer Instrumente die Empfindlichkeit bedeutend 
herabsetzen kann. Auf verschiedene andere physikalische Mittel t 
wie Kälte, Wärme, Elektrizität, sowie auch auf die grosse Zahl 
chemischer Mittel, die versucht und empfohlen worden sind* 
geht Autor nicht näher ein. Er hebt nur hervor, dass er mit 
einem Gemisch von Chloroform und Zinkchlorid mit Zusatz 
von Kokain, für einige Zeit in die Zahnhöhle mit Fletcher ver¬ 
schlossen, gute Resultate erzielt habe. 

Autor betont sodann, dass die Wirkung unserer chemischen 
Mittel in hohem Grade auf der Schnelligkeit und Tiefe des 
Eindringens beruhe und seine Versuche richteten sich vorerst 
darauf, festzustellen, unter welchen Umständen die tiefste 
Penetration erzielt wurde. Auffallenderweise fand er, dass das 
Austrocknen durch absoluten Alkohol sehr wenig Einfluss auf 
die Penetration hatte und dass Farbstoflflösungen ebenso rasch 
in feuchtes, wie in vorher ausgetrocknetes Zahnbein eindrangen. 
In der Praxis jedoch, meint er, würde das Austrocknen wesent¬ 
liche Vorteile bringen, weil dadurch allein die Leitungsfähigkeit 
der Zahnfibrillen und somit auch die Empfindlichkeit auf¬ 
gehoben wird. 

In einer zweiten Versuchsreihe verglich Miller die 
Penetration verschiedener Lösungen, z. B. in Wasser, Alkohol, 
Glyzerin, Wasserstoffsuperoxyd, Formalin usw., und kam nach 
vielen Versuchen zu dem Schluss, dass es wenig Unterschied 
macht, in welchen Mitteln wir unsere Anästhetika auflösen. Sie 


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Referate und Journalschau. 


685 


dringen alle mit fast der gleichen Schnelligkeit in die Tiefe. 
Zwischen Glyzerin, welches vielfach als Lösungsmittel für unsere 
Anästhetika empfohlen wird, und Wasser fand er eine geringe 
Differenz zugunsten des Wassers. 

Es wurde ferner die Wirkung der Massage auf die Pene¬ 
tration untersucht; es wurde eine kariöse Höhle mit einer Farb¬ 
stofflösung gefüllt und auf die eine Hälfte wiederholt mit einem 
Polierer gedrückt, wie beim Kondensieren von Amalgam. Man 
erhielt auf dieser Hälfte eine tiefere Penetration als auf der 
anderen. 

Eine Behandlungsmethode des empfindlichen Zahnbeines 
besteht in der Injektion oder, besser gesagt, in dem Durch¬ 
drücken von anästhetischen Lösungen durch das Zahnbein 
mittels einer Hochdruckspritze. Unter diesen erwähnt Miller 
vor allem die Jewett-Wilcox-Spritze, durch welche man im¬ 
stande sein soll, einen Druck von 3000 Pfund pro Quadratzoll 
auszuüben. Die Anwendung geschieht in der Weise, dass man 
ein kleines Loch am Halse herstellt und die Spitze der Spritzen¬ 
kanüle fest hineindrückt. Es wird dann ein starker Druck durch 
Anziehen der Hebel ausgeübt und die Lösung in das Zahnbein 
hinein gedrückt. Innerhalb 1 Minute wird durch Anwendung 
einer öprozentigen Kokainlösung vollkommene Anästhesie er¬ 
zielt. Ob die Pulpa durch diese Prozedur jedoch nicht Schaden 
nimmt, kann man bis jetzt noch nicht entscheiden. Miller 
fand aber, dass ein so hoher Druck durchaus nicht notwendig 
ist, um eine Anästhesie zu erzielen. Er konnte vielmehr fest¬ 
stellen, dass ein Druck von 5 Atmosphären vollkommen aus¬ 
reicht, um Farbstofflösungen durch dicke Zahnbeinschichten 
hindurchzutreiben, und erreichte schliesslich dasselbe Resultat 
mit einem Drucke von 1, ja sogar */< Atmosphäre. Schliesslich 
konnte er diese Penetration bewirken, wenn er ein Stück 
Gummiröhre über die Krone des Zahnes zog, dasselbe am 
Zahnhals unterband, einige Tropfen einer Farbstofflösung in 
die Röhre einführte und nach Zukneifen des offenen Endes 
einen leichten Druck mit den Fingern ausübte. Es ist daher 
klar, dass ein ganz gelinder Druck genügt, um Lösungen von 
Anästhetizis in oder durch das Zahnbein zu pressen. 


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686 


Referate und Journalschau. 


Wir stossen jedoch bei Anwendung dieses Druckes in der 
Praxis auf grosse Schwierigkeiten. 

Bei den wiederholt gemachten und empfohlenen Versuchen,, 
ein mit Kokain getränktes Wattebäuschchen in die Kavität zu 
bringen und durch einen mit Kautschuk darauf ausgeübten Druck 
Anästhesie zu erzielen, macht man die eben unvermeidliche 
schlechte Erfahrung, durch den Druck das Anästhetikum aus 
der Kavität herauszupressen und damit gleichzeitig das eigentlich 
wirksame Prinzip auszuschalten. Man erzielt damit manchmal 
weniger Penetration, als wenn man gar keinen Druck angewendet 
hätte, was Miller auch an Präparaten demonstriert. 

Miller macht schliesslich den Vorschlag, in folgender 
Art, die ihm gute Erfolge brachte, vorzugehen: Die Höhle wird 
oberflächlich exkaviert und davon ein Abdruck mit Stentsmasse 
genommen. In die Höhle wird ein Wattebäuschchen mit 5- bis 
10prozentiger Kokainlösung gebracht, ein Stück Kofferdam auf 
dieselbe gelegt und der inzwischen hart gewordene Stents¬ 
abdruck daraufgedrückt. Wir erzielen hiedurch einen Abschluss 
der Höhlenränder, so dass die Flüssigkeit nicht so leicht ent¬ 
weichen kann. 

Autor wollte nur das Eine feststellen, dass wir durch sehr 
gelinden Druck imstande sind, Flüssigkeiten in das Zahnbein 
hineinzudrücken. Sekundäres Zahnbein, transparentes Zahnbein 
und ausgeheiltes Zahnbein sind für Flüssigkeiten sehr undurch¬ 
lässig, ebenso dicke Lagen von knorpelig erweichtem Zahnbein, 
ganz besonders wenn die obersten Schichten schmierig und 
fettig sind. In solchen Fällen erzielt man eine tiefere Pene¬ 
tration durch vorherige Behandlung mit Alkohol oder Chloro¬ 
form, wodurch das Fett entfernt wird. Dr. Opph. 


Konstruktive Erkrankung der Zahnpulpa. (Constructive 
Diseases of Dental Pulp.) Von Charles Kniese, Cambridge. 
(Dental Summary, January 1906.) 

Als konstruktive Erkrankungen der Pulpa werden die mit 
Bildung und Ablagerung von Kalksalzen einhergehenden be¬ 
zeichnet. Diese letzteren sind das Produkt langandauernder 
Reize auf die peripheren Pulpazellen, wie sich solche durch 


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Referate und Joumalscbau. 


687. 


Karies, grosse Metallfüllungen, Goldkronen auf lebenden Zähnen, 
mechanische Abrasion oder durch alle Ursachen ergeben, welche 
das Dentin seiner natürlichen schützenden Hülle berauben. 

Wir finden dann entweder Kalzifikation der Tubuli, 
sekundäre Dentinbildung, Pulpnoduli oder kalkige Degeneration. 
Alle diese sekundären Gebilde unterscheiden sich vom normalen 
Dentin durch ihre Transparenz und Farbe, welche mehr 
bräunlich ist. 

Bekannt sind ja die durch diese Ablagerungen hervor¬ 
gerufenen Neuralgien und der schliessliche Pulpentod. Ebenso 
bekannt ist die durch die Affektion eines Zahnes oft hervor¬ 
gerufene Hyperästhesie aller anderen. Letztere Erscheinungen 
finden sich häufiger bei der „Noduli“-Bildung, als bei den 
anderen Formen der Kalkablagerung. 

Die Noduli kommen selten einzeln, sondern meist in 
Massen vor und ist ihr vornehmlicher Sitz im Kronenteil der 
Pulpa, obwohl sie auch oft tiefer in der Wurzel sitzen, dann 
aber meist eingebettet in sekundäres Dentin; bei letzterer Lage 
sind sie die Ursache der heftigsten Schmerzen infolge des 
Druckes auf die Nerven und Blutgefässe. Doch kann man 
anderseits oft Zähne finden, die trotz einer Menge Noduli nie 
Beschwerden verursachten. 

Oft enthalten anscheinend ganz gesunde Zähne diese 
Noduli und sind dann äusserst empfindlich gegen sonst gering¬ 
fügige Reize, namentlich Kälte. Ist kein direkter Reiz vor¬ 
handen, so bestehen oft gar keine direkten Symptome einer 
Zahnaffektion, doch eine dauernde Neuralgie kann an einem 
entfernteren Punkte, teils permanent, teils in Anfällen wieder¬ 
kehrend, sich etablieren, so dass man z. B. bei dauernden oder 
anfallsweise auftretenden Ohrenschmerzen auf Noduli schliessen 
kann. Ebenso lässt sich die Diagnose auf Pulpensteine nur 
per exclusionem stellen und ist die Bestätigung für dieselbe 
erst durch den wirklichen Nachweis der Steinchen gegeben. 
Die Devitalisation der mit Noduli behafteten Zähne ist sowohl 
bei Arsen als durch die Druckanästhesie sehr schwierig, da 
das affizierte Pulpengewebe sowohl das Arsen wie das Kokain 
sehr schwer aufnimmt. 


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. 688 


Referate and Journalschau. 


Eine weitere Form der Kalkablagerung ist die Kalk¬ 
degeneration. Kalziumkarbonate und -phosphate sind gewöhn¬ 
lich die infiltrierenden Salze, bei harnsaurer Diathese zuweilen 
die Harnsäure. 

Sekundäre Dentinbildung, Noduli, überhaupt alle Zu¬ 
stände, die eine chronische venöse Hyperämie verursachen, 
geben eine Ursache für die Kalkdegeneration ab. Im Gegensätze 
zu den durch Noduli affizierten Pulpen ist hier die Entfernung 
derselben als Ganzes sehr leicht, infolge des Fehlens der innigen 
Verbindung zwischen Odontoblasten und Dentin. 

Bei der Diagnosenstellung kann die Röntgenuntersuchung 
oft sehr wertvolle Dienste leisten. Dr. Opph. 


Existiert eine Stomatitis, hervorgerufen durch Kautschuk¬ 
prothesen? (Existe-t-il une stomatite provoquöe 
par les dentiers en caoutchouc.) Von G. MaM. (Revue 
Internationale de Prothese Dentaire, März-April 1906.) 

Die von Eilertsen und anderen Autoren durch Labora¬ 
toriumsversuche festgestellte Tatsache, dass Zinnober durch 
Einwirkung des Saccharomyus Cerevisiae zersetzt wird und 
Quecksilberalbuminat ausscheidet, trifft bei vielen Leuten, die 
Kautschukstücke tragen und bei denen man Rötung, Schwellung 
und Aufgedunsensein der Schleimhäute unter der Piece findet, 
zu. Viel trägt natürlich dazu der hygienische Zustand des 
Mundes bei, ob unter der Piece Wurzeln liegen oder nicht. 
Doch auch sonst findet eine dauernde, wenn auch minimale 
Ausscheidung von Quecksilberalbuminat aus dem Zinnober des 
Kautschuks statt. Die einzige Möglichkeit, dieser Zersetzung 
und der dadurch entstehenden Reizung der Schleimhäute ent¬ 
gegenzuwirken, bestände in der Anfertigung von Kautschuk¬ 
platten, die aus zwei Lagen von Kautschuk bestehen; eine 
Lage natürlichen, schwarzen Kautschuk an der Gaumenseite 
und darüber der gefärbte, rote. Dr. Opph . 


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Referate und Journalschau. 


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Zur Frage nach Wirkung und Nebenwirkung des Stromes 
bei Elektrosterilisation putrider Wurzeln. Von F. E. Zierler. 
(Odontologische Blätter, März 1906.) 

Nach eingehender theoretischer Erläuterung der Wirkungs¬ 
weise des konstanten Stromes auf Nähragar, Salze, Säuren, 
Basen und einfache homogene elektrolytische Flüssigkeiten 
(Kochsalz) überträgt Autor seine durch Laboratoriumsversuche 
gewonnenen Erfahrungen auf die Mund Verhältnisse und kommt 
zu dem Schlüsse, dass man durch die Elektrosterilisation einen 
direkten bakteriziden Effekt nur in der unmittelbaren Elektroden¬ 
nähe, nicht aber in der interpolaren Strombahn erzielen kann. 
Wenn man bei der Elektrosterilisation putrider Wurzeln von 
einer gewissen Tiefenwirkung spricht, so ist selbe auf die 
Diffusion des an der Anode ausgeschiedenen Chlor (respek¬ 
tive Salzsäure) zurückzuführem oder vielleicht auch nur durch 
die günstige Beeinflussung des lebenden Gewebes an der 
Wurzelspitze durch den konstanten Strom. 

Viel beachtenswerter erscheint Autor bei dem Vorgang 
der Elektrosterilisation der mechanische Transport auch elek¬ 
trisch inaktiver Substanzen durch den Strom, die sogenannte 
Kataphorese. Dr. Opph 

Sieben Eigentümlichkeiten der linken Mundhälfte. Von 

L. P. Haskell, Chicago. (Dental Review, XIX, 6.) 

Vor 25 Jahren machte Haskell darauf aufmerksam, dass 
die linke Mundseite gewisse Eigenheiten zeigt und sucht bis 
heute vergebens nach einer Erklärung der letzteren. 

1. In 95 Prozent zahnloser Oberkiefer besteht, dem linken 
Eckzahn entsprechend, eine Depression des Kiefers, so dass an 
dieser Stelle der Kautschuk dicker wird als rechterseits. 

2. Sehr häufig ist der Alveolarfortsatz links niedriger 
als rechts. 

3. In 98 Prozent ist der Tuber, max. links bedeutend 
höher als rechts. 

4. Sehr oft wird die Lippe beim Sprechen und Lachen 
links stärker gehoben als rechts, so dass die Zähne auf der 
linken Seite anscheinend zu lang sind. 


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Referate und Joumalschau. 


5. Im linken Unterkiefer sind die Zähne häufig höher und 
stärker vorspringend als rechts. 

6. Gleichfalls im Unterkiefer ist die Entfernung des 
Alveolarfortsatzes von der Mittellinie links grösser als rechts. 

7. Oft atrophiert die linke Kieferhälfte mehr als die rechte. 
Haskell weiss auch heute noch keine Erklärung für 

diese merkwürdigen Differenzen und trägt, ob ihm jemand 
dieses Rätsel lösen könne. Dr. R. Kronfeld. 


Neuralgie. Von J. H. Carter. (British Dent. Journ., 
XXVI, 10.) 

Ein 50 jähriger, kräftiger, anscheinend gesunder Mann 
wünschte Entfernung des Zahnsteines und Reinigung seiner 
Zähne, da ihn die Rauhigkeiten an der Zunge irritierten. 
Kurze Zeit nach Vornahme dieser Operation kam er wieder 
und klagte über „etwas Rauhes hinter den unteren Schneide¬ 
zähnen“. Obgleich nichts derartiges zu sehen war, reinigte und 
polierte Carter die Zähne nochmals. Zu seiner Ueberraschung 
kam der Mann schon nach einer Woche mit derselben Klage 
wieder. Carter suchte den Mund mit grösster Sorgfalt ab 
konnte nichts Rauhes finden, reinigte aber gleichwohl auf aus¬ 
drücklichen Wunsch des Patienten die Zähne in der denkbar 
gründlichsten Weise, wonach dieser eine entschiedene Besserung 
zu spüren angab. Nach einem Monat wiederholte sich die Sache, 
Patient fühlte sich durch die angeblich vorhandene Rauhigkeit 
derart gequält, dass er die Extraktion der beiden mittleren 
unteren Schneidezähne verlangte. Diese wurde nicht vor¬ 
genommen, doch versuchte Carter, die Zahninterstitien durch 
schmale Bandstreifen, sowie durch Guttapercha auszufüllen — 
die Klagen hörten nicht auf. Ein anderer Zahnarzt ging die 
Sache nunmehr radikaler an, er feilte die Zähne derartig zu, 
dass sie alle Kanten verloren und drehrunde Säulen aus ihnen 
wurden. Da auch das nichts nützte, wurden die lingualen 
Flächen der sechs unteren Frontzähne mit einer Goldplatte 
bedeckt, was dem Patienten für kurze Zeit Ruhe schaffte. Bald 
aber trat wieder das quälende Rauhigkeitsgefühl auf. Jetzt 
wurden die zwei mittleren Schneidezähne mit festsitzenden 


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Referate und Journalschaa. 


69t 


glatten Goldkappen versehen, abermals ohne Erfolg Trotz 
dieser und anderer Prozeduren schwand das peinigende Gefühl 
nicht und brachte Patienten und Arzt immer mehr zur Ver¬ 
zweiflung. Endlich erfuhr letzterer von dem Hausarzte des 
Patienten, dass er seit 2 bis 3 Jahren infolge von hochgradiger 
beruflicher Ueberanstrengung an Neurasthenie leide, wiederholt 
Neuralgien gehabt habe, unter anderem auch eine Zungen¬ 
neuralgie. So zeigte sich, dass dieser anfangs ganz harmlos 
erscheinende Fall von vorneherein dem Neurologen hätte zu¬ 
gewiesen werden sollen. Dr. R. Kronfeld. 

Schwierige PorzellanfQllungen. Von T. H. Miller, Black¬ 
pool. (British Dent. Journ., XXVI, 8.) 

An einem oberen mittleren Schneidezahn fehlte ein Drittel 
der Schneidekante und die ganze distale Wand, ausserdem 
hatte der Zahn eine grosse Halskavität. Der Patient bestand 
gleichwohl auf Füllung des Zahnrestes. Miller füllte die Hals¬ 
kavität zunächst mit Zement und setzte dann ein Inlay ein, 
welches mit Hilfe eines Mell ershs Kernes die distale Partie, 
die Ecke und Schneidekante des Zahnes ersetzte. In der 
nächsten Sitzung wurde das Zement aus der oberen Kavität 
entfernt und auch für diese ein Inlay hergestellt. 

In einem Falle, wo ein Schneidezahn eine von der labialen 
bis auf die linguale Seite reichende grosse Höhle hatte und 
keine Zeit war, die Zähne zur Erlangung eines tadellosen Ab¬ 
druckes genügend zu separieren, füllte Miller die ganze Ka¬ 
vität mit einem rasch härtenden Zement, setzte in diesem 
facial ein Inlay ein, entfernte am Nachmittag desselben Tages 
das Zement von der lingualen Seite und füllte diese mit 
doubliertem Amalgam. 

Ein Platincrampon mit knopfförmigem Ende ist ein guter 
Stift zur Verankerung grosser Inlays. Man macht den Abdruck 
wie gewöhnlich mit Folie, bohrt durch diese ein Loch in den 
Zahn, steckt den Crampon hinein, füllt die Folie mit Hart¬ 
wachs und entfernt Folie, Wachs und Stift zugleich. 

Dr. R. Kronfeld. 


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«92 


Referate und Journalschau. 


Beiträge zur Injektionsanästhesie. Von L. Rosenberg , Berlin. 
(Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, XX11I, 10.) 

Im Laufe des letzten Jahres wurden wiedeiholt die Fragen 
aufgeworfen: Wie wirkt die Injektion auf den Gesamtorganismus ? 
Wie wirkt sie auf die Vitalität der Zahnpulpen? Bei Verwendung 
von •/♦ prozentigern Kokain mit Zusatz von minimalen Adrenalin¬ 
mengen konnte Rosenberg niemals unangenehme Neben¬ 
wirkungen von seiten des Gesamtorganismus konstatieren. Auch 
fand er bei über 2500 Injektionen niemals einen Fall von 
Pulpentod. Das Absterben der Pulpa nach der Injektion kommt 
zustande durch eine allzulange wirkende Zirkulationsstörung. 
Dies lässt sich durch einige Vorsicht bei der Injektion ver¬ 
meiden. Rosenberg geht mit der Spritze noch über den 
Bereich des Foramen apicale hinaus, hiedurch werden Gefäss- 
anastomosen in der Spongiosa des Alveolarfortsatzes erhalten, 
die Ernährung der Pulpa also nicht unterbrochen. Rosenberg 
verlangt zur Erzielung tadelloser Erfolge: das beste Injektions¬ 
material, die dünnste Spritzenkanüle, die schwächste Adrenalin- 
Kokainmenge und von dieser unter genauester Anpassung an 
die jeweiligen Verhältnisse das geringste Quantum. 

Dr. R. Kronjdd . 


Quecksilbervergiftung nach einer Zahnfüllung. Von A. Mar - 

tinet (Ref. nach British Dent. Journ., XXVI, 21.) 

Verfasser wurde des Nachts zu einer Dame gerufen, 
welche plötzlich an einer schweren Mundaffektion erkrankt war 
und über heftige Atembeschwerden klagte. Er fand eine inten¬ 
sive Glossostomatitis. Lippen und Zahnfleisch waren geschwollen, 
die Zunge gleichfalls in solchem Grade, dass der Mund nicht 
geschlossen werden konnte, es bestand starke Salivation und 
fötider Geruch aus dem Munde. Die erschwerte Respiration 
sprach für Glottisödem. Die Diagnose auf Quecksilberstomatitis 
war um so leichter zu stellen, als die Patientin über dem 
Hypogastrium ein skarlatiniformes Erythem hatte und aus der 
Anamnese ein vor 5 Monaten nach Kalomeldarreichung (0 a 3 Gr.) 
aufgetretener ähnlicher Anfall konstatiert werden konnte. 2 Tage 
vor dem jetzigen Anfall wurde der Patientin ein Zahn mit 


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Referate and Jonrnalschaa. 


69» 


einer grossen Amalgamfüllung versehen, sie hatte schon am 
nächsten Tage leichte Beschwerden, welche sich nach 30 Stunden 
zu der beschriebenen Heftigkeit steigerten. Der weitere Verlauf 
war typisch, die Erscheinungen im Munde gingen rasch zurück, 
das Erythem schwand langsamer, die Desquamation der affi- 
zierten Hautstellen dauerte 14 Tage. Am 10. Krankheitstage traten 
Diarrhöen und Koliken auf, welche 3 Tage anhielten. Tem¬ 
peratur und Puls waren annähernd normal, Urin reichlich mit 
leichter, bald vorübergehender Eiweissabsonderung. 

Dr. R. Kronfdd. 


Betrachtungen aber die Fortschritte der Porzellanarbeit. 

1 Von N. S. Jenkins , Dresden. (Dental Review, XIX, 5) 

ln den letzten Jahren hat die Porzellanarbeit in über¬ 
raschender Weise an Ausdehnung zugenommen. Die ältesten 
Goldfüller können sich dieser neuen Methode nicht ganz ver- 
schliessen. Die Hauptsache beim Füllen mit Porzellan ist 
die Präparation der Kavität. Hiefür gibt es nur eine einzige 
Regel: die Kavität muss so geformt sein, dass der Abdruck 
anstandslos entfernt werden kann. Zum Abdruck verwendet 
Jenkins Goldfolie Nr. 30 und Polierer zum Andrücken der 
Goldfolie und bettet diese sodann in Asbest ein. Amerika 
scheint keinen guten Asbest für diesen Zweck zu liefern. 
Im Ofen werden viele Füllungen durch Ueberhitzen porös. 
Grobe Fehler werden auch beim Einzementieren begangen. 
Der eine schneidet mit dem Diamantrad so tiefe und so viele 
Furchen in das Inlay, dass fast nichts zurückbleibt, der 
andere nimmt das Zement so dünn, dass es gar keine Binde¬ 
kraft besitzt, oder so dick, dass der Ueberschuss sich nicht 
durch Druck entfernen lässt. Jenkins meint, dass man mit 
Unrecht die Zemente tadelt, die Schuld an dem Herausfallen 
vieler Inlays liege nicht an der Unvollkommenheit des Zements, 
sondern an der unrichtigen Manipulation. 

Dr. R. Kronfdd. 


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Referate und Journalschau.. 


Gold-Inlays. „The Dental Review“ bringt im dritten Hefte 
seines XXI. Jahrganges einige Artikel über dieses Thema. 
Knowies (Chicago) hebt als Vorteile der Goldeinlagearbeit 
folgende hervor: 

1. Absolut sicherer Randschluss, wie er mit keiner anderen 
Metallfüllung, welche stets nach einiger Zeit Kontraktion oder 
Expansion zeigt, erzielt werden kann. 

2. Das Zement stützt schwache Zahnwände, welche unter 
oiner gehämmerten Goldfüllung sicherlich einbrechen würden. 

3. Konturen und Kontaktpunkte können exakter her¬ 
gestellt werden, da der Aufbau und das Polieren der Füllung 
ausserhalb des Mundes und ohne Rücksicht auf die Ungeduld 
und Nervosität des Patienten bewerkstelligt wird. 

4. Aus dem gleichen Grunde kann die Kaufläche mit 
ihren Höckern und Fissuren, mithin auch die Artikulation 
naturgetreuer nachgebildet werden. 

5. Die Operation ist für den Zahn schonender, da einer¬ 
seits Unterschnitte im sensiblen Dentin unnötig sind, anderseits 
das Hämmern ganz wegfällt. 

6. Die Zementschichte dient als schlechter Wärmeleiter 
und schützt die Pulpa vor thermischen Einflüssen. 

7. Der Patient wird in Bezug auf Zeit und Unannehm¬ 
lichkeit wesentlich geschont, da gerade die langwierigsten und 
peinlichsten Prozeduren — das Anbringen von Haftpunkten 
und Unterschnitten, das lange Hämmern, das mühsame Schleifen 
und Polieren — wegfallen. 

8. Die Methode lässt sich noch in Fällen anwenden, wo 
jede andere Füllungsmethode versagt und man zur Kronen¬ 
arbeit zu greifen gezwungen ist. — 

Die Cavität muss derart geformt werden, dass man leicht 
einen Abdruck von ihr nehmen kann. Sie muss also möglichst 
breit eröffnet werden, was wieder einen Vorteil in sich birgt, 
da man um so sicherer alles Kranke entdecken und entfernen 
»kann, je breiter der Zugang zur Höhle ist. — Knowies 
arbeitet am liebsten mit kleinen runden Karborundsteinen. 
Abdruck und Biss nimmt er mit Perfektion-A hdruckmasse, 
stellt sich danach ein Modell aus Zement her, nimmt auf 


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Referate and JonrnaUchau. 


695 


diesem mit Platinfolie neuerdings Abdruck und schmilzt in 
diesem das Gold. 

Moore (Chicago) sieht im Gold-Inlay das beste Mittel 
zur Konservierung der Zähne. Pulpa und Periodontium werden 
bei dieser Methode in keiner Weise geschädigt. Der wichtigste 
Punkt ist die Präparation der Kavität. Diese muss so geformt 
werden, dass das Gold durch den Kaudruck in sie hinein¬ 
gedrängt, nicht aber aus ihr herausgesprengt wird. Die Theorie 
des Extension for prevention findet hier weitestgehende An¬ 
wendung. Unterschnitte und senkrechte Wände sind zu vermeiden, 
die Höhlenränder sorgfältig mit Arkansasstein und feinen 
Scheiben zu glätten. Moore nimmt den Abdruck direkt mit 
Goldfolie, empfiehlt aber jedem Operateur, bei jener Methode 
zu bleiben, welche in seinen Händen die besten Resultate gibt. 
Den Einwand, dass das Zement ausgewaschen wird, hält er 
nicht für stichhältig. Das Auswaschen einer Zementfüllung 
erfolgt um so rascher, je breiter ihre freiliegende Fläche ist. 
Bei der Einlagearbeit kann man die Zementlinie durch exakte 
Arbeit auf ein Minimum reduzieren, ja man kann sie bei der Gold¬ 
einlagearbeit dadurch, dass die Goldränder an die Emailränder 
energisch anpoliert werden, ganz eliminieren. — 

Dr. R. Kronfeld. 


Frommes österr. Medizinal-Kalender mit Rezepttaschenbuoh 
für das Jahr 1908, 63. Jahrg. Herausgegeben von Dr. Richard 
Eder. (Verlag von Karl Fromme, Wien.) 

Dieses Taschenbuch bietet in kompendiöser Form ausser 
dem Kalendarium, Notizblättern und anderen gebräuchlichen 
Behelfen, klinische Heilformeln, Indikationen, Verzeichnis der 
wichtigeren Arzneimittel, Dosierung und Anwendung, Angabe 
der Inkubationsdauer der Infektionskrankheiten, Gifte und 
Antidota, Namensregister der in Wien wohnhaften Aerzte und 
Apotheker etc. 

Das Taschenbuch enthält ausserdem einen lesenswerten 
Aufsatz über „Schwimmende Sanatorien“ von Dr. Karl Diem. 


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696 


Willoughby Dayton Miller f. 


Willonghtiy Dayton Miller f.’ 

Am 27. Juli 1907 ist Geheimrat Professor med. et phil. 
Dr. W. D. Miller trotz einer — wahrscheinlich zu spät erfolgten 
— Operation in seinem Geburtsorte Alexandria, wo er auf 
seiner von Verwandten bewirtschafteten Farm weilte, den 
Folgen einer akuten Appendicitis erlegen. 

Für die Wissenschaft ein vielleicht unersetzlicher Verlust, 
für den zahnärztlichen Stand eine Katastrophe. 

W enige Sterbliche wird es geben, von welchen man buch¬ 
stäblich sagen könnte, von Helsingfors bis Manila, von Tokio 
bis Havanna, von den Metropolen der Kulturländer bis in das 
letzte Kolonialstädtchen rings auf dem weiten Erdenrunde gibt 
es wohl keinen Fachgenossen, der nicht aufblickend von seiner 
schweren, aber schönen Berufsarbeit Tag für Tag sich erbaut 
hätte bei dem Gedanken an unseren Leitstern Miller, wohl 
keinen Fachgelehrten, der Millers fundamentalen Entdeckungen 
seine Anerkennung versagen könnte. 

Glaubt man an Vorausbestimmungen durch das Schicksal, 
müsste man sagen, Miller sei, — so paradox es für den 
ersten Anschein klingt — prädestiniert gewesen zu einem der 
gewaltigsten Förderer der Zahnheilkunde. 

Seine ausgesprochene Vorliebe für Naturwissenschaften 
überhaupt, die Uebung manueller Fertigkeiten in frühester 
Jugend, die Vertiefung in chemisch-physikalische und mechanische 
Probleme späterhin, sein auf medizinischem Gebiete betätigter 
Feuereifer und die hohe Befriedigung, welche er in der An¬ 
wendung ärztlichen Wissens und Könnens empfand, der Umstand, 
dass er in dem einen der beiden Länder, welche in den letzten 
Dezennien in der Ausbildung der Zahnheilkunde besonders 
wetteiferten, geboren war, in dem anderen seine höheren 
akademischen Weihen empfangen hat, präformierten in seiner 


1 Der Verein österreichischer Zahnärzte in Wien veranstaltete am 
8. Oktober d. J. für sein verstorbenes Ehrenmitglied eine Gedenkfeier, bei 
welcher Doz. Dr. Rudolf Weiser vorstehenden Nekrolog zur Verlesung 
brachte. 


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Willoughby Dayton Miller f. 


697 


Gestalt förmlich einen Bahnbrecher für die wissenschaftliche, 
einen Messias für die soziale Seite dieses durch seine vielfachen 
einschneidenden Beziehungen zu mechanischen Fertigkeiten 
charakterisierte Spezialfach der Medizin. 

In den folgenden Ausführungen soll hierauf noch zurück¬ 
gekommen werden. 

Wenn wir den Angaben eines seiner bestinformierten 
Schüler, Professor Jungs 1 , folgen, erfahren wir, dass Miller 
am 1. August 1853 auf einer Farm nahe Alexandria in der 
Grafschaft Licking im Staate Ohio geboren wurde, im 
12. Lebensjahre (1865) mit seinen Eltern von dort nach Newark 
(Ohio) übersiedelte und daselbst die Mittelschule (nach der 
amerikanischen Bezeichnung High-School) 1871 absolvierte. 
Hierauf studierte er an der Universität Ann-Arbor (Michigan) 
Philosophie und wurde 1875 an derselben zum Baccalaureus 
artium promoviert. Als 22jähriger Mann begab sich Miller, 
um sich weiter zum Minen-Ingenieur auszubilden, an die 
Universitäten zu Edinburgh und Berlin. 

Im Frühjahre 1877 zwangen ihn die Folgen geistiger 
Ueberarbeitung zu einer Unterbrechung der Studien. Ueber den 
weiteren „Werdegang“ Millers entnehmen wir der oben 
zitierten überaus anziehend geschriebenen biographischen Studie 
Jungs und dem würdevoll gehaltenen Nekrologe* seines 
Nachfolgers im Lehramte, Professor Diecks, dass der Dahin¬ 
geschiedene während seiner Rekonvaleszenz viel im Hause 
seines nachmaligen Schwiegervaters, Dr. F. P. Abbot, eines 
hervorragenden und zu jener Zeit das Haupt der amerikanischen 
Kolonie in Berlin repräsentierenden Zahnarztes, verkehrte und 
mutmasslich angeregt durch Untersuchungen über die Ein¬ 
wirkung von Gold und Zinn aufeinander, zu welchen Abbot 
seinen zu wissenschaftlichen Arbeiten so sehr geneigten Schützling 
veranlasste, sich bald darauf auf das Studium der Zahnheilkunde 
verlegte. In raschem Zuge, der für Millers Wissensdrang, 

• Prof. Dr. Jang: W. D. Miller f. Deutsche zahnärztliche Zeitung, 
Manchen, 10. August 1907. 

* Deutsche zahnärztliche Wochenschrift, 3. Oktober 1907. 

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Willonghby Dayton Miller f. 


seinen Fleiss, seine Energie und seine fachliche Begabung das 
glänzendste Zeugnis erbringt, sehen wir ihn 1879 am „Penn¬ 
sylvania Dental College“ zu Philadelphia den Grad eines 
„Doctor of Dental Surgery“ erwerben. Während er gleich 
darauf an der Seite seines Schwiegervaters zahnärztliche Praxis 
ausübte, oblag er unter Kochs Leitung mit glühendem Eifer 
bakteriologischen Studien. Hiemit war der Grund gelegt für 
seine späteren epochemachenden Publikationen über die chemisch¬ 
parasitäre Natur der Zahnkaries, über die Bakterien der Mund¬ 
höhle, die Mundbeläge usw. 

Fünf Jahre später wird er als Lehrer an das neugegründete 
zahnärztliche Institut der königlichen Universität in Berlin be¬ 
rufen, worauf ihm alsbald das Prädikat Professor verliehen 
wurde. Damit gab sich Miller noch nicht zufrieden, sondern 
studierte nebenher noch Medizin, um im Jahre 1887 sich durch 
seine Dissertation über „Pathogene Mundpilze“ den Doktorgrad 
der medizinischen Fakultät in Berlin zu erringen. 1894 erfolgte 
seine Ernennung zum ausserordentlichen Professor der medi¬ 
zinischen Fakultät und bei der Niederlegung seines Lehramtes 
am zahnärztlichen Institute wurde Miller durch die Ernennung 
zum Geheimen Medizinalrat ausgezeichnet. 

Dies in wenig Strichen die äussere akademische Karriere 
des grossen Gelehrten. Wieviel mehr des Bewunderungs¬ 
würdigen bietet uns erst die Betrachtung des unermüdlichen 
Forschers, des hingebungsvollen Lehrers bei seiner Arbeit im 
Laboratorium und in der Füllabteilung des Universitätsinstitutes! 

Miller besass eine titanenhafte Arbeitskraft. Die frühen 
Morgenstunden waren schon wissenschaftlichen Experimenten 
geweiht, — die späteren Vormittagsstunden — entsprechend 
einem exquisit vornehmen Patientenkreise — der Privat¬ 
ordination gewidmet, der Nachmittag aber gehörte ganz dem 
Institute. Als wär’s gestern gewesen, so deutlich erinnere ich 
mich noch der leider nur allzu kurzen Zeit meiner Frequentation 
des Berliner zahnärztlichen Institutes im dritten Jahre seines 
Bestandes. Immer die gleiche göttliche Ruhe, den herz¬ 
gewinnenden, wohlwollenden, freundlichen Ausdruck in den 
von einer ernsten Gelehrtenstime überragten edlen Gesichts- 


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Willoughby Dayton Miller f. 


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zögen — durchschritt Miller gewissenhaft die bis auf den 
letzten Winkel mit Operationsstühlen, Bohrmaschinen, Patienten 
und Studenten angefüllten niederen Füllsäle mit elender 
Ventilation — hier einen ängstlichen Zweifel lösend, dort eine 
misslungene Füllung noch rettend, in einem dritten Falle durch 
Lob ermunternd, stets äusserste Rücksichtnahme und Humanität 
gegenüber den Patienten predigend. Und wenn längst schon 
den einen Hörer die Privatsiunden, von deren kargem Ertrag 
er seinen Unterhalt bestreiten musste, den anderen Pflichten 
der Couleur gegenüber oder andere Gründe veranlassten, aus 
dem Füllsaal zu verschwinden, da stand der pflichttreue, un¬ 
ermüdliche Lehrer noch im Kreise besonders eifriger Schüler, 
häufig Aerzte aus aller Herren Länder, manch interessanten 
Fall erörternd, bis in einer entfernten Ecke des Saales eine 
oder die andere nicht mehr verwendete Lampe verlöschte 
und der Uebereifrige dadurch veranlasst wurde, auf seine Uhr 
zu sehen; und nun ging es spät abends nicht etwa schon 
nach Hause, sondern noch in dieses oder jenes medizinische 
Privatissimum oder ins bakteriologische Institut! Die Sorge 
um einen mühsam gezüchteten Stamm einer Reinkultur trieb 
ihn wohl fort. Den auf der Farm verlebten Jahren der Kindheit 
schreiben manche es zu, dass Millers Konstitution solch 
enormer Anspannung seiner Kräfte gewachsen war. 

In den letzten 10 von den 22 Jahren seiner Lehrtätigkeit 
am Berliner zahnärztlichen Institute freilich wurde manches 
anders. Miller, der durch sein hervorragendes pädagogisches 
Talent, sein leuchtendes Beispiel in ganz besonderem Masse 
befähigt war, Schule zu machen, hatte im Laufe der Jahre 
sich stets mit ausserordentlich tüchtigen Hilfskräften zu um¬ 
geben vermocht, so dass er sich selbst mehr die Direktive 
des Unterrichtes und die persönliche Unterweisung eines 
ongeren Kreises von Vorgerückten wahren und so seine Zeit 
mehr und mehr für rein wissenschaftliche Forschung verwerten 
konnte. Insbesondere nachdem die kolossale Inanspruchnahme 
seiner Kräfte seinem Organismus endlich doch arg zugesetzt 
und die Natur neuerlich ihre Rechte gefordert hatte, war der 
orkrankte Gelehrte auch ein gelehriger folgsamer Patient geworden. 

14 * 


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Willoughby Dayton Miller +. 


Nach wunderbarer Wiederherstellung seiner Gesundheit zog er 
sich nach und nach vollständig aus der Privatpraxis zurück, 
trieb, soweit es zur rationellen Körperpflege notwendig war, 
Golf, — alles nur, um seiner Berufsarbeit desto erfolgreicher 
nachkommen zu können. 

Aber selbst bis zum Schlüsse seiner Tätigkeit am Berliner 
Institute konnte man sich nicht genug verwundern, dass man 
über den kleinen Hof eines alten, niedrigen Gebäudes über 
eine Hintertreppe hinauf in einem selbst für eine Person 
sehr kleinen einfenstrigen Raume, von dem noch für einen 
Diener ein kleiner Verschlag abgespart worden war, Professor 
Miller, den Gelehrten von Weltruf, umgeben von hunderten 
Fläschchen mit Reagentien, Farbstoffen, Medikamenten, mitten 
unter Retorten, Brutöfen, Mikroskopen, Eprouvetten und Prä¬ 
paraten suchen musste. 

Und aus solchem Milieu heraus erstanden — entfacht 
durch seinen Forschergeist — Millers die ganze Fachwelt 
in Atem haltenden Schöpfungen: Seine Arbeiten über das 
Wesen der Zahnkaries, „Die Mikroorganismen der Mundhöhle“, 
sein klassisches „Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde“, 
seine Studie über die Mundbeläge, seine Mitteilungen „Ueber 
die Ursachen der Erosion und chemischen Abrasion der 
Zähne“ — nach seiner eigenen Aeusserung für sich allein das 
Ergebnis von 1000 Arbeitsstunden — und eine überaus statt¬ 
liche Reihe in den Fachblättern der ganzen Welt zerstreuter 
Publikationen, welche nach beiläufiger Schätzung die Zahl 100 
überschreiten dürften. 

Allen Werken Millers gemeinsam ist die klare, knappe 
Diktion, die Macht der Ueberzeugung, die ihnen entströmt; 
die Wissenschaft tritt von allem Mystizismus entkleidet in er¬ 
habener Reinheit an uns heran; als nackte Grundwahrheiten 
werden positive Tatsachen Stein auf Stein aufeinandergetragen 
und nun streng logisch die Konsequenzen gezogen. Da gibt 
es keine Gedankensprünge, keine gewagten Hypothesen. 

Und so wie als Autor, so war Miller auch als 
Lehrer eigenartig. Seine Methode war ein liebevolles zu sich 
Heraufheben, nicht ein kaltes Instaunenversetzen; eine ihm 


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Willonghby Dayton Hitler f. 


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nur mit wenigen Grossen des Geistes gemeinsame Gabe. Er 
war ein Grosser des Geistes nicht nur, auch Seelengrösse war 
ihm eigen. 

Sichtlich unangenehm war es dem persönlich überaus 
anspruchslosen Gelehrten, wenn ihm jemand wegen seiner 
Aufopferung für den wissenschaftlichen Beruf Elogen machte; 
in seiner Bescheidenheit, Offenheit und fast an puritanische 
Strenge gemahnenden Selbstkritik pflegte er mit den Worten 
abzuwinken: „Da ist weiter kein Verdienst dabei; ich tu das, 
weil es mir Vergnügen macht; so wie ein anderer Musik oder 
Sport treibt“. 

In weitesten Kreisen bekannt war Millers Selbstlosigkeit, 
seine Opferfreudigkeit für Freunde, für Hilfsbedürftige oder 
gar Notleidende. Der Vorstand der Unterstützungskasse für 
deutsche Zahnärzte zitiert die erhebenden Worte, mit welchen 
Miller in der Abschiedssitzung für seine Ernennung zum 
Ehrenmitgliede dieses Institutes dankte: „Nicht die Kollegen 
haben mir zu danken, sondern ich den Kollegen; denn es 
ist das höchste Glück, das einem Menschen zuteil werden 
kann, wenn ihm Gelegenheit geboten wird, anderen Wohltaten 
zu erweisen“. 

Millers edler Charakter dokumentiert sich auch durch 
seine strenge Sachlichkeit, seinen vornehmen, würdevollen 
Ton in der Polemik. 

War Miller schon stets mit Freuden bereit, die Er¬ 
gebnisse seiner rastlosen Forschung in den Dienst der Kollegen¬ 
schaft und der leidenden Menschheit zu stellen, so war er 
mit seinen organisatorischen Talenten zur Führerrolle dem 
zahnärztlichen Stande und den Regierungen der Kulturstaaten 
gegenüber nicht minder freigebig. Wahrlich ein hochherziger 
Zug, der ihm ein nicht minder ruhmvolles Blatt in der Ge¬ 
schichte der Zahnheilkunde sichert. 

Zum Glück für seine wissenschaftliche Tätigkeit relativ 
spät erst, für die Regelung der schwierigen Standesangelegen¬ 
heiten beklagenswert kurze Zeit nur war Miller durch seine 
Wahl zum Präsidenten des Zentralvereines deutscher Zahn¬ 
ärzte 1900, zum Präsidenten der Föderation Dentaire Inter- 


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Willoughby Dayton Miller +. 

nationale 1904, in die Lage gekommen, auf dem Gebiete der 
Standesangelegenheiten eine grosszügige Aktion zu inaugurieren. 

Millers anerkannter Weltruf als Gelehrter, die Be¬ 
geisterung für seine Lehren, das rückhaltslose Vertrauen in 
seinen tadellosen hochherzigen Charakter, die dankbare Liebe, 
welche Scharen von über den Erdball zerstreuten Schülern 
und mit ihnen fortgerissen wohl die überwiegende Majorität 
der deutschen, französischen, englischen Zahnärzte an dieses 
leuchtende Vorbild fesselte, der Stolz, mit dem die amerika¬ 
nischen Fachgenossen zu ihm herüberblickten, all diese Momente 
boten an sich ein mächtiges Unterpfand für ein erfolgreiches 
Wirken auf dem Gebiete der Standesorganisation. 

Dazu kamen noch sein liebenswürdiges, schon durch 
seine Bescheidenheit alle Herzen gewinnendes Entgegenkommen, 
seine vornehme Erscheinung, seine mondänen Umgangsformen, 
sein feines Taktgefühl und die Redegewandtheit des Amerikaners, 
welche sich noch dazu bei ihm auf die englische, deutsche 
und die französische Sprache erstreckte. 

In musterhafter, fast ängstlicher Pflichttreue hat Miller 
während seiner 22jährigen Amtstätigkeit in erster Linie die 
Interessen der deutschen Zahnärzte vertreten, ohne dabei die 
natürlichen Bande und freundschaftlichen Beziehungen zu seinen 
Landsleuten im mindesten zu verletzen; seine Hochachtung 
und Verehrung für die Medizin waren bei seinen unablässigen 
Bemühungen um die Hebung der beruflichen Leistungsfähigkeit 
und der sozialen Stellung der deutschen Zahnärzte, seinem 
Eintreten für Forderung der Maturitas und Verlängerung der 
Studienzeit sicherlich das Leitmotiv, sie boten die sicherste 
Gewähr, dass die aufrichtig freundschaftlichen Beziehungen 
zwischen den deutschen und österreichischen Zahnärzten sich 
in Zukunft nur noch festigen würden, wenn es ihm auch seine 
persönliche feste Ueberzeugung aus rein praktischen Gründen 
verbot, die in Oesterreich und in Ungarn bestehende, von den 
französischen Stomatologen neuerlich angestrebte Studien¬ 
ordnung voll und ganz zu befürworten. 

Ausgestattet mit solchen, wohl kaum wieder in einer 
Person vereinigten Vorzügen war Miller der Berufenste, um 


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Willoughby Dayton Miller f. 


703 


bei solch schwierigen und verantwortungsvollen Verhandlungen, 
wie sie in grossen Vereinsversammlungen, auf internationalen 
zahnärztlichen Kongressen mitunter, in den Meetings der 
Federation Dentaire Internationale in der Regel stattfanden, 
präsidieren und sie zu einem gedeihlichen Ergebnisse führen 
zu können. Wenn auch Miller in seiner Bescheidenheit 
niemals das treffende Dichterwort: „. . . ich bin gewohnt, 
dass das Meer aufhorcht, wenn ich rede“, für sich in Anspruch 
genommen, ja nicht einmal sich selbst eingestanden hätte, wie 
gross sein Einfluss auf Gang und Ausfall der Verhandlungen 
war, wir andern, die wir im Plenum, beziehungsweise im 
Ausschüsse sassen, wussten und beobachteten es, wie kleinliches 
Gezänke und hadernde Gehässigkeit in dem Momente verstummen 
mussten, wenn Miller in seiner strengen Sachlichkeit und bis 
zur Leidenschaftslosigkeit gediehenen Selbstzucht seine Stimme 
erhob und sein Gewicht für oder gegen eine strittige Sache in 
die Wagschale legte. 

Unter dem niederschmetternden Eindrücke, ihren glänzen¬ 
den Präsidenten verloren zu haben, tagte eine Woche nach 
Millers so ganz unerwartetem Tode die Föderation Dentaire 
Internationale heuer in Amsterdam. Verwaist, ihres glückver- 
heissenden Leitsternes, des Ehrenpräsidenten Miller beraubt, 
musste das vorbereitende Komitee des Internationalen zahnärzt¬ 
lichen Kongresses in Berlin 1909 seine zuerst unter den 
günstigsten Auspizien begonnenen Vorbereitungen fortsetzen. 

Eine imposante Reihe von wissenschaftlichen, Standes- 
und humanitären Vereinen des In- und Auslandes, so auch 
der Verein österreichischer Zahnärzte beklagt den Verlust 
eines illustren Ehrenmitgliedes. In rüstigem Mannesalter noch, 
zu einem Zeitpunkte, da er den Zenith seines Ruhmes vielleicht 
noch nicht einmal erreicht hatte, sicherlich aber noch inmitten 
vollster Schaffensfreude, zu einem Zeitpunkte, da er unter den 
glänzendsten äusseren Bedingungen in der Heimat, im „Lande 
der unbegrenzten Möglichkeiten“, als Direktor des zahnärztlichen 
Institutes der Universität Ann Arbor seine erfolgreiche wissen¬ 
schaftliche Tätigkeit fortsetzen, seinen grosszügigen Ideen auf 
dem Gebiete der Organisation zum Durchbruch zu verhelfen 


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704 


V a r i a. 


hoffen durfte, hat das unerbittliche Schicksal den grossen 
Fachgelehrten hinweggerafft. 

Das Haupt schüttelnd ob der Unfassbarkeit des tragischen 
Ereignisses mit seinen noch unabsehbaren Folgen, richten 
Tausende tieferschüttert den geistigen Blick hinüber nach einem 
kaum erst ergrünenden Grabeshügel. Vor ihnen aber, ganz 
nah am Rande der Stätte des ewigen Friedens, steht die edle 
Gestalt einer schmerzgebeugten Frau, der Witwe Geheimrat 
Dr. Millers, ihr zur Seite Dr. med. John Miller, ihr Sohn, 
und die in Amerika verheiratete Tochter. 

Was der Edle seinen Lieben, das Ideal eines Mannes, ge¬ 
wesen, wir können es nur ahnen, ermessen können wir es 
nicht. An Worten des Trostes für sie gebricht es uns. 

Und doch gibt es einen Trost für die erhabene Frau, 
die am schwersten Getroffene. Einem Briefe ihres Bruders, 
Dr. Charles H. Abbotts, entnehme ich die erbauliche Stelle: 
„Meine Schwester trägt ihr Leid mit wunderbarer Charakter¬ 
stärke und im festen Glauben, dass er jetzt glücklicher ist als 
auf Erden und dass sie ihn Wiedersehen wird.“ 

Uns bleibt ein versöhnlicher Gedanke, dass Millers 
Schöpfungen unsterbliche sind! Lassen Sie uns das von ihm 
übernommene Erbe heilig halten und dafür sorgen, dass reich¬ 
lich Früchte trage, was er gesäet. 


V a r i a. 


WIEN. K. k. zahnärztliches Universitäts-Institut (Prof. Scheff). 
Nachricht. Der seit einigen Jahren daselbst als Demonstrator 
wirkende Dr. Bruno Klein wurde zum zweiten Instituts-Assi- 
stenten ernannt. —.— 

— Zahnärztliche Abteilung der allgemeinen Poliklinik (Doz. 
Dr. G. v. Wunschheim). Nachricht. Dozent Dr. Rudolf Weiser 
hat die Semestralvorlesungen über Zahnersatzkunde ständig 


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Varia. 


705 


übernommen. Die rege Beteiligung, deren sich seine Vor¬ 
lesungen schon jetzt erfreuen, lassen hoffen, dass diese Neue¬ 
rung zu einem weiteren Aufblühen der zahnärztlichen Abteilung 
führen wird. 

Infolge der stetig zunehmenden Frequenz der Abteilung 
und Vergrösserung derselben wurde auch die Stelle eines 
zweiten Assistenten geschaffen und dieselbe an Dr. Nikolaus 
Schwarz verliehen. —.— 

GRAZ. Professur. Ueber Vorschlag des medizinischen Pro- 
fessoren-Kollegiums wurde Dr. Franz Trauner, Zahnarzt in 
Wien, vom Kaiser zum ausserordentlichen Professor der Zahn¬ 
heilkunde ernannt und übernimmt an Stelle des verstorbenen 
Professors Bleichsteiner die Leitung des zahnärztlichen 
Universitäts-Institutes in Graz. 

Prof. Trauner ist im Jahre 1867 in Linz a. d. D. ge¬ 
boren, wo er das Gymnasium absolvierte, studierte in Graz 
Medizin und wurde ebenda 1892 zum M. U. Doktor promoviert. 
Von 1893 bis 1896 betätigte er sich an der unter Leitung des 
Primarius Dr. Brenner stehenden chirurgischen Abteilung 
des Allgemeinen Krankenhauses in Linz und war dann als 
Bahnarzt, praktischer Arzt und Hausarzt des Isabellen-Kinder- 
spitals in Linz und nach erfolgreicher Ablegung der Physikats- 
prüfung, als Armenarzt und Obduzent für sanitätspolizeiliche 
Obduktionen tätig. 

Im Jahre 1898 wendete er sich ausschliesslich der Zahn¬ 
heilkunde zu, wobei ihm seine gründliche chirurgische Vor¬ 
bildung während der Studien in Breslau bei Prof. Part sch 
und Prof. Sachs besonders zustatten kam. Von 1900 bis 1904 
war er als Assistent bei seinem Schwiegervater Dr. Johann 
Pichler in Wien tätig. 

Seit November 1906 steht Prof. Trauner als Präsident 
des Zentral-Verbandes an der Spitze der österreichischen Zahn- 
Ärzteschaft und widmet einen grossen Teil seiner Zeit und 
Kraft der Lösung von wichtigen Standesfragen, sowie der 
Redaktion der „Oesterreichischen Zeitschrift für Stomato - 
logie“. 


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706 


Varia. 


Eine erhebliche Anzahl grösserer und kleinerer Publika¬ 
tionen dokumentiert seine Betätigung auf wissenschaftlichem 
Gebiete. 1 

In Prof. Trauner gewinnt die Grazer Universität eine 
spezialärztlich und chirurgisch ausgezeichnete, noch unver¬ 
brauchte Kraft, von der für den Unterricht und die wissen¬ 
schaftliche Forschung auf dem Gebiete der Zahnheilkunde er- 
spriessliche Leistungen zu erwarten sind. —w— 

BERLIN. Auszeichnung. Prof. Dr. Ludwig Brandt ist 
der Roie Adler-Orden verliehen worden. 

JENA. Dozentur. Dr. med. Hesse hat sich als Privat¬ 
dozent für Zahnheilkunde habilitiert. 

ROSTOCK. Dozentur. Zahnarzt Dr. med. Reinmöller 
ist zum Lektor für Zahnheilkunde ernannt worden. 

HEIDELBERG. Dozentur. Dr. Hermann Euler hat sich 
als Privatdozent für Zahnheilkunde habilitiert. 

DRESDEN. Uebersiedlung. Hofrat N. S. Jenkins, der 
seine Praxis schon vor längerer Zeit an seinen Mitarbeiter 
Hofrat M c B r i d e übergeben hat, ist nach Paris übersiedelt. 

LEIPZIG. Auszeichnung. Dem Assistenten am zahnärztlichen 
Institute Dr. Paul Schwarze ist der Verdienst-Orden II. Hasse 
verliehen worden. 

1 Beitrag zur Vervollkommnung unserer Zahnregulierungsmethoden. 
Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilhunde, Jänner 1901. 

Wurzelfüllung von Zähnen, deren Wurzel Wachstum nicht abgeschlossen 
ist. Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, April 1902. 

Elektrische, schmerzhafte Phänomene beim Füllen der Zähne mit 
kohäsivem Golde und deren Vermeidung. Wiener zahnärztliche Monats¬ 
schrift, 1903. 

Ueber Dermoide des Ovariums mit besonderer Berücksichtigung der 
Zähne in denselben. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, November 1903. 

Resorption an Zähnen von Ovarialdermoiden. Oesterr.-ungar. Vierteljahrs¬ 
schrift für Zahnheilkunde, Oktober. 1904. 

Verhinderung der 'Bildung von Zahnstein an den Zähnen. Oester- 
Teichische Zeitschrift für Stomatologie, 1904, 4. Heft. 

Wurzelspitzenresektion an unteren Mahlzähnen. Oesterr.-ungar. Viertel¬ 
jahrsschrift für Zahnheilkunde, Jänner 19Q6. 

Die Elektrizität in der Zahnheilkunde. Oesterreichische Zeitschrift 
für Stomatologie, 1907, 1. Heft. 


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707 


Patente nnd Gebranchsfflnster-Emtragnngen. 

(Mitgeteilt von Ing. lf. Monath, Patentanwalt, Wien, 
I. Jasomirgottstrasse 4.) 


Vorrichtung zum Ziehen von Zähnen. Dr. Ottokar 
Cholinsky, Prag. 

Behälter zur Abnahme der septischen Watte von der 
Pinzette mit einer Anzahl nacheinander zugänglicher Abstreich¬ 
öffnungen. Theodor Bernhard Freih. v. B e u s t, Dresden. 

Aseptische Drehbärste zum Reinigen der zahnärztlichen 
Bohrer, welche vermittels ihres Verschlusszapfens in einer auf 
der Bohrmaschinenwelle sitzenden Hülse eine gepolsterte 
Lagerung erhält. Dr. J. Ei eff er, Strassburg. 

Schaftstück für zahnärztliche Instrumente u. dgl. mit ballig 
verlaufender Versenkung der Einsatzstelle. J. Beutelrock 
& Sohn, München. 

Nervkanalbohrer mit gebauchter teilweise schneidiger 
Spitze. J. Beutelrock & Sohn, München. 

Auswechselbare Greifbackenbefestigung an den Hand¬ 
schenkeln von Zangen zum Ziehen von Zähnen. Karl Kocher, 
Remscheid. 

Vorrichtung zur Herstellung nahtloser Zahnkappen aus 
einem von einem Gehäuse getragenen Stempelpaar. Otto 
Sch wahn, Rixdorf. 

Presse zur Herstellung nahtloser Zahnkappen mit zentrisch 
einspannbaren, auswechselbaren Stempeln. Otto Sch wahn, 
Rixdorf. 

Vorderzähne aus Porzellan ohne Crampons. Otto Nicolai, 
Boppard. 

Ein Vorderzahn ans Porzellan, ohne. Crampons^- welcher 
mittels eines Blechstreifens mit der Gebissplatte verankert ist. 
Otto Nicolai, Boppard. 


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708 


Empfangene Bücher und Broschüren. 

(Mit Vorbehalt weiterer Besprechung.) 


Deutsche Zahnheilkunde in Vorträgen. Von Prof. Dr. med. Julius 
Witzei. Heft 1: lieber die pathologischen Erscheinungen 
beim Durchbruch der unteren Weisheitszähne. Verlag von 
Georg Thieme, Leipzig 1907. 

Treatment of Malocclusion of the Teeth. By Edward H. Angle, 
M.D., D.D.S. 7 th Edition, Philadelphia 1907. S. S. White 
Dental Mfg. Co. 

Ueber die artifizielle Deformierung des Unterkiefers. Von Dr. Ber- 
thold Spitzer und Dr. Robert Werndorff. Sonder¬ 
abdruck aus der „Zeitschrift für orthopädische Chirurgie 8 , 
XIX. Bd. 

Zahn- und Mundpflege. Von Dr. med. C. Röse, Leiter der 
Zentralstelle für Zahnhygiene in Dresden. Herausgegeben 
vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose. Berlin 1907. 

Der Zahnarzt Ein Vademekum. Aus den hinterlassenen Papieren 
eines alten Praktikers zusammengestellt und ergänzt. Verlag 
von Hermann Meusser, Berlin 1907. 

Beleuchtung der Frage des Aerztetums der Zahnärzte, rekte 
Stomatologen. Referat, vorgelegt der Association Stoma- 
tologique Internationale von Prof. Dr. Josef: v. Arkövy. 
Sonderabdruck a. d. „Stomatologiai Közlöny“, Nr. 5, 1907. 

Bericht über die 46. Jahresversammlung. des Zentralvereines 
deutscher Zahnärzte vom 9. bis 12. Mai 1907 in Hamburg. 

Von F. J. Robert Hoever, Zahnarzt in Stolberg. Sonder¬ 
abdruck aus der „Oesterr. Zeitschrift für Stomatologie 8 , 
5, 6, 1907. 

Weitere Mitteilungen über J. P. Buckleys Trikresol-Formalin- 
behandlung der Gangraena pulpae. Von Dr. Arthur Sch eu er 
in Teplitz. Sonderabdruck aus der „Oesterr. Zeitschrift für 
Stomatologie 8 , 6, 1907. 


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709 


Oie Benützung schwerfliessender Porzellanmassen, speziell für 
Jacket-Crowns (Dr. Capon, Or. Land) als auch für frei 
modellierte Porzellanvollkronen, Porzellanbrflcken und Con- 
tinuous-gum-Arbeit, Von Hofzahnarzt Eugen Wünsche, 
D.D. S., Berlin. Sonderabdruck aus der „Berliner zahn¬ 
ärztlichen Halbmonatsschrift“, 1907, Nr. 14. 

Erwiderung auf die Antwort des Herrn Dr. E. Herbst auf meine 

„Kritischen Bemerkungen“. Von Hofrat W. P fa ff, Dresden. 
Sonderabdruck aus der „Deutschen zahnärztlichen Wochen¬ 
schrift“, X. Jahrg., Nr. 19 und 20. 

Kontra Körbitz, Berlin. Von Hpfrat W. Pfaff, Dresden. Sonder¬ 
abdruck aus der „Deutschen Monatsschrift für Zahnheil¬ 
kunde“, XXV. Jahrg., August 1907. 

Kritische Bemerkungen zu den Arbeiten E. Herbsts auf dem 
Gebiete der Orthodontie. Von Hofrat W. Pfaff, Dresden. 
Sonderabdruck aus der „Deutschen zahnärztlichen Wochen¬ 
schrift“, X. Jahrg., Nr. 10. 

Ueber Trikresol-Formalinbehandlung. Von Zahnarzt Müller- 
Stade, Berlin. Sonderabdruck aus „Odontologische Blätter“, 
XD. Jahrg., Nr. 9—10. 

Frommes Oesterreichischer Medizinal-Kalender und Rezept- 
taschenbuch för 1908. Wien. Verlag von Karl Fromme. 


NB. Bei Zusendung von Rezensionsexemplaren, Tausch¬ 
exemplaren von Zeitungen etc. wolle man sich nur meiner 
Adresse bedienen. . 

Julius Weiss 

Wien, I. Petersplatz Nr. 7. 


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Empfangene Zeitschriften. 


Dental Era. 

Dental Oosmos. 

Dental Digest. 

Dominion Dental Journal. 
Dentists Magazine. 


Amerika: 

Western Dental Journal. 
Dental Review. 

Dental Summary. 

Pacific Dent. Gazette. 


Items of Interest. 

Dental Brief. 

Dental Hints. 

Dent. Office and Laborat. 


Australien: 

Australian Journal of Dentistry. 
Belgien: 

Bulletin de la Societ6 Beige de Stomatologie. 

Dänemark, Schweden und Norwegen: 
Odontologisk Tidskrift. | Tandlägebladet. 

Nordisk. Tandläk. Tidskrift. 


Berliner zahnärztl. Halbmonatsscbr. 
Deutsche zahnärztl. Wochenschrift. 
Deutsche zahnärztliche Zeitung. 
Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk. 
Korrespondenzblatt für Zahnärzte. 
Odontologische Blätter. 


Deutschland: 


British Joum. of Dental Science 
Joum. of the Brit. Dent. Assoc. 
Dental Record. 


England: 


Zahnärztliche Rundschau. 

Archiv für Zahnheilkunde. 
Zeitschrift für zahnärztl. Orthopädie. 
Zahntechnische Wochenschrift. 
Zahntechnische Reform. 

Die Gesundheitswarte der Schule. 


Quarterly Circular. 
Elliots Quarterly. 


L’Odontologie. 

Le Progres dentaire. 

La Revue de Stomatologie. 
Le Laboratoire. 

Revue odontologique. 


Frankreich: 

Le Monde dentaire. 

Le mois m&lico-chirurgial. 

Revue internat. de Prothese dentaire. 
Revue de Chirurgie dentaire. 

Revue g6n6ral de l’Art dentaire. 
Holland: 

Tjjdschrift voor Tandheelkunde. 

Italien: 

Giornale di Correspond, pei Dentisti. | La Rassegna dentistica. 

La Stomatologia. j 

Japan: 

Shikwa-gakuho. 

Oesterreich-Ungarn 


A Magyar Fogtechnikns. 

Zubni iekafstvi 
Rocznik lekarski. 

Zentralblatt für dae Gesamtgebiet 
der Medizin und ihrer Hilfs¬ 
wissenschaften. 


Wiener klinische Wochenschrift 
Wiener medizinische Blätter. 

Osterr. ärztliche Vereins-Zeitung. 

Osterr. Zeitschrift für Stomatologie. 

Zeitschrift für Zahntechnik. 

Ash’s WienerVierteljahrs-Fachblatt. 

Stomatologiai Közlöny. 

Russland: 

Zubowratschebni wjestnik. | Odontologitscheskoje Obosrenije. 

Kromki dentistiöni. j 

Schweiz: 

Schweizerische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde. 

Spanien: 

La Odontologia. 

heatätlgen den Empfang von Tatuohexemplaren der genannten Zeit- 
eonrmen und bitten um deren fernere Zusendung unter der Adresse: 

JULIUS WEISS, Vien, I. Patarsfilatz 7. 


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711 


B ewerber um Assistenten- und Technikerstellen werden 
ersucht, ihren Offerten stets Zeugnisabschriften und 
Photographie beizulegen. Die Stellensuchenden werden 
dringend ersucht, uns sofort zu verständigen, wenn sie 
— gleichgiltig, ob durch oder ohne unsere Vermittlung — 
Stellung gefunden haben. 

Weiss & Schwarz. 

Folgende Stellen sind zu besetzen: 

Nr. 704. 


» 705 . 


„ 706. 


„ 707. Erstklassige, in Kautschuk- u. Goldarbeiten vollkommen 
versierte Kraft für eine grosse südösterreichische Stadt. 

„ 708. Tüchtiger Gold- und Kautschuktechniker für ober¬ 
ungarische Stadt. 

„ 709. Tüchtiger Gold- und Kautschuktechniker für west¬ 
ungarische Stadt. 

„ 710. Tüchtiger Arbeiter für eine Stadt in Südtirol. 

„ 711. Tüchtiger Techniker für eine Stadt in Schlesien. 

n 712. Tüchtiger Techniker für eine Stadt in Südböhmen. 


Erstklassige, selbständige Kraft in jeder Art von 
Kautschuk- und Goldarbeit, Regulierungsarbeiten, 
Brennen von Emailfflllungen erfahren, für Budapest. 
FQr die einfacheren Arbeiten ist ein zweiter Tech¬ 
niker im Atelier angestellt. 


Erstklassige, selbständige Kraft in Kautschuk, Gold, 
Email etc. vollkommen versiert, ffir Lemberg. 


Erstklassige, selbständige Kraft in Kautschuk, Gold, 
Email etc. vollkommen versiert, für Brünn. 


Der ganzen Auflage des vorliegenden 
Heftes liegt ein Prospekt der Firma 
J. D. Riedel, Aktiengesellschaft in 
Berlin, über das neue Wurzelfüllungs- und Pulpaüber- 
kappungsmittel „Plecavol“ bei. 



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712 


Zahnärztlicher Unterricht 

an den 

Universitäten in Oesterreich u. Ungarn. 

-- 

a) Oesterreiclx. 

Wien. K, k. zahnärztl. Universitäts-Institut, ix. TMenstmse 9. 

Vorstand: Reg.-Rat Prof. Dr. Julius Sc he ff. 

Assistenten: I. Dr. Berth. Spitzer, II. Dr. Bruno Klein. 
Demonstratoren: I. Cand. med. Leop. Sofer, II. Cand. med. Paul 
Goldberger. 

I. Semestralvorlesungen aber operative und konservierende Zahnheilkunde 

fünfmal wöchentlich von 4 bis 6 Uhr abends. Dieselben umfassen die gesamte 
Theorie in Verbindung mit Uebungen am Phantom und dauern als solche bis 
zu den Weihnachtsferien. Nach letzteren beginnen die praktischen Uebungen 
an Patienten bis zum Semesterschluss. 

II. Semestralvorlesungen für Mediziner zweimal wöchentlich. 

III. Semestralvorlesungen über Zahnersatzkunde; Herstellung von Ersatz¬ 
stücken an Patienten, fünfmal wöchentlich von 8 bis 10 Uhr vormittags. Von 
10 bis 12 Uhr praktische Uebungen in den Arbeitsräumen für Zahnersatzkunde. 

IV. Doz. Dr. Rudolf Loos liest ein zweistündiges Kolleg „über aus¬ 
gewählte Kapitel der Zahnheilkunde“. Samstag von 7 bis 10 Uhr früh. 

V. Ferialkurs: 

Instituts - Assistent Dr. B. Spitzer hält einen theoretischen und 
praktischen Ferialkurs über operative und konservierende Zahnheilkunde und 
Zahnersatzkunde mit Uebungen am Patienten ab. 

Beginn: Ende November. 

Dauer: 6 bis 7 Wochen. 

Zeit: Täglich von 8 bis 11 Uhr vormittags: Zahnersatzkunde. 

„ „ 4 „ 7 „ nachmittags: Zahnheilkunde. 

Honorar: Zahnheilkunde 100 K , Zahnersatzkunde 100 K. 

Anfragen: IX. Türkenstrasse 9, Universitäts-Institut. 


Vien. Zahnärztl. Abteilung d. allg. Poliklinik, ix. Höfergasse 1. 

Vorstand: Doz. Dr. v. Wunschheim. 

Assistenten: Dr. 0. v. An der Lan und Dr. Nik. Schwarz. 

I. Semestralvorlesungen Uber Zahnhellkunde für Mediziner, zweistündig, 
Dienstag, Donnerstag von 8 bis 7 Uhr abends, K 4 20. 

Ö. Praktische Uebungen in konservierender Zahnheilkunde an Patienten 
fürVorgesohritteue. zehnstündig, fünfmal wöchentlich von 5 bis 7 Uhr abends, 502T. 

III. Doz. Dr. Rudolf Weiser. Semesftralvorlesung über Zahnersatz¬ 
kunde, Dienstag, Dounerstag, Samstag von 7 bis 8 Uhr früh in Verbindung 
mit praktischen Uebungen am Patienten, fünfmal wöchentlich von 8 bis 10 Uhr 
vormittags. Beginn 1. November. Honorar 100 K. (Anmeldungen und An¬ 
fragen — nur schriftlich — sind zu richten an Dr. R. W e i s e r, IX. Frankgasse 2). 

IV. Ferialkurse: 

DieAbteilung^-Assistenten Dr.0. v. An der Lan und Dr.Nik. Schwarz 
halten in den Weihnachtsferien, zu Ostern und im September praktische 
Kurse über konservierende Zahnheilkunde und Zahnersatzkunde mit Uebungen 
am Patienten ab. 


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713 


Graz. K. I. zahnärztl. UniYersitäts-Institat 

Vorstand: Prof. Dr. Franz Trauner. 

Assistent: Dr. Ed. Urbantschitsch. 

Sechswöchentlicher obligater Kure über Zabnhelikunde : Montag von 
5 bis 6 Uhr abends, Mittwoch nnd Freitag von 5 bis 7 Uhr abends als 
3stündiges Kollegium. 

Praktische Uebungen an Patienten für Vorgeschrittene: Dienstag, 
Donnerstag und Samstag von 5 bis 7 Uhr abends als 10 stündiges Kollegium. 

Zahnersatzkunde: Dienstag. Donnerstag und Samstag von 8 bis 10 Uhr, 
verbunden mit Arbeiten im Laboratorium für Ersatzkunde von 10 bis 12 Uhr 
als 20stündige8 Kollegium. 

Der Assistent Dr. Urbantschitsch liest Ferialkurse. 


Innsbruck. K. I. zahnärztl. Universitäts-Institut, innichstr. 24 . 

Vorstand: Prof. Dr. B. Mayrhofer. 

Assistenten: Dr. 0. Jeschke und Dr. Leonhard. 

I. Zahnärztlicher Kurs für Mediziner mit Demonstrationen und prak¬ 
tischen Uebungen im Extrahieren, secbswöchentlich, fünfstündig; Stunde 
wird später bekannt gegeben. 

II. Zahnärztliche Pathologie, Therapie und Klinik, einschliesslich Zahn¬ 
ersatzkunde, fünfstündig; Montag bis Freitag von 5 bis 6 Uhr abends. 

UI. Praktische Uebungen am Patienten, einschliesslich Zahnersatzkunde, 
für Anfänger und Vorgeschrittene. Montag bis Freitag von 2 bis 5 Uhr abends. 

IV. Zahnchirurgi8che Operationslehre (theoretisch-praktisch) und 
chirurgische Prothetik, zweistündig; Samstag von 10 bis 12 Uhr vormittags. 


Prag. K. I. deutsche Universitäts-Poliklinik. 

Vorstand: Prof. Dr. H. Bönnecken. 

Assistent: Dr. A. Kerber. 

Theoretische und praktische Zahnheilkunde mit Demonstrationen und 
Uebungen au Zahnkranken, Montag, Mittwoch und Freitag von 6 bis 7 Uhr abends. 

Zahnärztliche Operationen mit besonderer Berücksichtigung der Er¬ 
haltung erkrankter Zähne durch die Füllung, täglich von 5 bis 6 Uhr abends. 


Prag. K. L böhmisches Universitäts-Ambnlatorinm. 

Vorstand: Prof. Dr. E. Nessel. 

Assistent: Dr. Tereba. Zwei Demonstratoren. 

Zahnhwllkuwd«. Theoretische Vorträge mit Uebungen am Phantom, 
Demonstrationen im Plombieren der Zähne für Anfänger. 

Klinik der Zahnkrankheiten mit Uebungen im Extrahieren und Plom¬ 
bieren der Zähne für Vorgeschrittene. 

Privatkurse für ausserordentliche Hörer und MU.-Doktoren nach vor¬ 
heriger Anmeldung und Verabredung mit dem Vorstand des Institutes. 

Ferialkurse (Weihnachten, Ostern, Ferien) liest Dr. Tereba. 

Das Ambulatorium wird vom Oktober 1906 an im eigenen Gebäude, 
Prag, II. Vinicnä ulice (das Gebäude des früheren böhmischen Kinderspitals) 
untergebracht werden. — Tägliche Ordination, mit Ausnahme der Sonn- und 
Feiertage, von 4 bis 6 Uhr abends. 


15 


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714 


Krakau. K. k. zahnärztl. üniversitäts-Ämbalatorium. 

Vorstand: Prof. Dr. W. Lepkowski. 

Assistent: Dr. Raczka. 

Sechswöchentlicher Kurs, von 8 bis 9 Uhr früh, fünfmal wöchentlich. 
Uebungen im Plombieren und Extraktion der Zähne, 3 Stunden 
wöchentlich von 9 bis 10 Uhr früh. 

Zahnersatzkunde, 3 Stunden wöchentlich von 8 bis 9 Uhr früh (Privat). 


Lemberg. K. k. Universität 

Doz. Dr. Theodor Bohosiewicz. 

Kurse: Die Krankheiten der Zähne und ihre operative Behandlung, 
2 Stunden wöchentlich. 

Praktische Uebungen in der Zahntechnik, 2 Stunden wöchentlich (Privat). 
Doz. Dr. A. Gonka. 


-- 

To) "CTngarn. 

Budapest. Stomatolog.Klinik d. kgl. Universität, v111.0110erstr.26. 

Vorstand: Prof. Dr. J. v. Arkövy. 

Assistenten: Dr. H. Salamon und Dr. J. Sturm. 

Demonstrator: Dr. G. Massanek. 

I. Semestralvorlesungen, zweimal wöchentlich von 5 bis >/,7 Uhr abends, 
über spezielle Pathologie und Therapie der Zahnkrankheiten und einmal 
wöchentlich Operationslehre. 

II. Zahnersatzkunde unter Leitung des Doz. Dr. L. Hattyasy, dreimal 
wöchentlich. 

III. Zahnärztliche Operationslehre, einmal wöchentlich von 5 bis 7 Uhr 
abends, Samstag, Doz. Dr. J. Szabö. 

Die Klinik ist von 8 bis 12 Uhr geöffnet. Vormittags arbeiten die Vor¬ 
geschrittenen, abends die Anfänger. 

Privatkurse werden von den Assistenten abgehalten. 

IV. Dozent Dr. A. Rothmann, Leiter der zahnärztlichen Ordination 
an der Allgemeinen Poliklinik. 

V. Dozent Dr. J. A n t a 1, Leiter der zahnärztlichen Ordination im Spital 
der PP. Barmherzigen Brüder. 


Klausenbnrg. Königl. Universität 

Kurse: Doz. Dr. K. Hoencz: Mund- und Zahnkrankheiten verbunden 
mit Extraktions- und Füllungs-Exerzitien. 

Doz. Dr. G. Rudas: Histologie und Pathologie der Zähne. 


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latatätitt. TolMmk 

Beile Alllancestr. 88. Berlin SW Belle Alllancestr. 88. 

Institut ffir Fortbildungskurse in der operativen Zahn¬ 
heilkunde und in der zahnfirztlichen Technik. 

CnUVial U«i*#a ln Kronen- und BrQckenarbeiten und Be- 
vv handlung unregelmässiger Gebisse.- 


I 


Q Die Kurse sind nicht für Anfänger, setzen q 
III vielmehr die elementare Kenntnis des Gebietes 111 


voraus. Kursisten ohne spezialistische Vor¬ 


bildung müssten beim Assistenten der Ab¬ 


teilung ein Privatissimum nachsuchen. 


Das Institut ist fast das ganze Jahr geöffnet. 

Vorherige Anmeldung liegt im Interesse der Kursisten. 

—- — Prospekte und alle Auskünfte bereitwilligst. 

Alfred Körbitz. 


Laboratorium für Zahnprothese 


G. m. b. H. 


Technische Leitung: Prof. Dr. JUNG 
Berlin W. 50, TauenzienstraSse 17. 


Technische Spezialkurse. 


Anfertigung aller technischen Arbeiten 


in Kautschuk, Metall und Email. 


Kostenfreie und unverbindliche Beratung über Regulierungsfälle, 
□ Brückenarbeiten etc. an Hand eingesandter Modelle. □ 

- Prospekte auf Anfrage. —— —. 


IX 










Zabnär3tUcbe8 XTecbnihum Zürich 

□ □ Fortbiidungsinstitut für Studierende und Zahnärzte □ □ 

□ □ speziell in moderner zahnärztlicher Aetaiitechnik- □ □ 

Das „Zahnärztliche Technikum Zürich“ ist ein Institut, an 
welchem Praktikanten der Zahnheilkunde sich in kurzen Ferienkursen 
mit der modernen zahnärztlichen Metalltechnik vertraut machen können. 


Die Kurse sind eingeteilt in: 

A. Praktische Kurse: | B. Demonstrationskurse: 

Dauer: 3 Wochen. 

Datum: Vom 1. bis 20. jedes 
Monats. 

Kurstaxe: 300 Frks. pro Teil¬ 
nehmer. I nehmer. 


Dauer: 8 Tage. 

Datum: Jeweilen die letzte 
Woche jedes Monats. 
Kurstaxe: 125 Frks. pro Teil- 


Ueber Monats-, Quartals-, Semester- und Jahreskurse siehe Institutsprospekt. 


Bei den praktischen Kursen arbeitet jeder Teilnehmer selbst, während 
bei den Demonstrationskursen nur der Demonstrierende praktisch tätig ist und 
die Kursisten nnr Hörer und Zuschauer sind. 

Der Eintritt kann für beide Knrsarten monatlich erfolgen. Die Anmeldungen 
erfolgen vorteilhaft recht frühzeitig, weil dieselben ihrer Reihenfolge nach be¬ 
rücksichtigt werden. Als definitiv angemeldet werden nnr solche betrachtet, welche 
mit der Anmeldung die Hälfte der Kurstaxe einsenden. Die zweite Hälfte ist bei 
Beginn des Kurses zu entrichten. 

Institutsprospekt bei den Herren Weiss & Schwarz in Wien, I. Fetersplatz 7 t 
erhältlich. 


Weitere Auskünfte erteilt 


Dr. Eug. Müller-Wädensweil 

Direktor des Zahnärztlichen Technikums 


Zürich, Alfred Escher-Platz 2. 


Die gefertigten Fabrikanten der von Dr. Eugen Müller- 
Wädensweil in Zürich angegebenen 

Apparate und Instrumente für moderne 
zahnärztliche Cechnilt 

haben deren ausschliesslichen Verkauf für Oesterreich-Ungarn 
den Herren 


Wien, I. Bezirk, Petersplatz Nr. 7 


übertragen, von denen auf Wunsch Spezial-Preisliste zuge¬ 
sendet wird. 


P. A. Koelllker & Co., Zürich. 


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Zentralblatt für das Gesamtgebiet der Medizin 
-- und Ihrer Hilfswissenschaften 

Medice -Technologisches Jeurnal 

bringt Berichte aus dem Gebiete der medizinischen und chirurgischen 
Instrumenten- und Apparatenkunde, Mikroskopie, Bakteriologie, Photo¬ 
graphie, Radioloie, Hygiene, Krankenpflege, physikalischen Heil¬ 
methoden, Pharmazie und Pharmakotherapie. 

:zi^izz3 Wirkungsvollstes Insertionsorgan. • — 

Probenummern auf Wunsch gratis und franko. 

Redaktionu. Administration: Wien, IX Mariannengasse 10. 


Wiener chemisch-mikroslopiscbes Laboratorium 

Dr> P. Urban O J. Hellmann 

Laboratorium für medizinisch-klinische Diagnostik 

T»i»ph«n »r. 13 . 288 . Wien, IX/» Mariannengasse I. Telephon «r 13.28«. 

Vollständige Untersuchung der menschlichen Sekrete und Exkrete, 
sowie Ausführung aller Untersuchungen zu diagnostisch-medizinischen 
Zwecken: Harn, Sputum, Magensaft, Faeces, Milch, Blut, Eiter, 
Punktionsflüssigkeiten, Gewebe, Serumreaktionen, Kryoskopie, Mem¬ 
branen des Nasen- und Rachenraumes etc. 








Iftermarin /Ißeuseer 

Berlin W. 35/106, Steglitzerstrasse 58 

Jg' Einzige Spezialbachhandlnug Für TgT 

mp ist bestrebt, durch solide, kulante und 
schnelle Bedienung ihren Kundenkreis 
zu erweitern. Zur Erleichterung der 
Anschaffung werden monatliche Teil- Hj 

v Zahlungen in der Höhe des zehnten 

Teiles des Kaufpreises eingeräumt. 

Bei grösseren Aufträgen Ermässigung der Monatsrate auf 
den zwanzigsten Teil. 

Vollständiges Lager, — Allerneueste Auflagen. 

Fachkatalog gratis. Portofreie Sendung. 


XI 


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Soll die foa.lt, welche Sie beslUeu und 
xo.lt dex Sie lüx wextoolle Jlcbett haus- 
kalte« solle«, au dexa Seih clucx fuss- 
^ohxmaschlue uexschweudet wexdeut 

Wird es nicht vorteilhaft sein, diese ermüdende 
Arbeit an eine Kraft abzugeben, die weder eine 
Wirbelsäule noch Nerven hat, die verbraucht werden 
können ? Für ein paar Heller (weniger als 25 Heller) 
täglich leistet die 

= _ Elektrische 

Columbia-Bohrmaschine 

alle Ihre Bohrarbeit ohne Mühe, Lärm oder Miss¬ 
lingen und wird mehr zuwege bringen als Sie 
könnten oder wollten. 

Nützen Sie sich doch nicht vor der Zeit ab! 

Wenn Sie Gleichstrom oder Wechselstrom haben, 
oder keinen von beiden, wir wollen Ihnen erklären, 
wie Sie Ihre Arbeit durch eine elektrische Columbia- 
Bohrmaschine bei sehr geringer Ausgabe treulich 
besorgt bekommen können. 

Schreiben Sie uns. Wir wollen Ihren Fall 
persönlich behandeln. 


L The Ritter Dental Manufacturing Co. 

: Rochester, N.-Y- — ■ 1 

__S 

— XII — 


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Grosse Preisernrässigung 

in 

„RwelatioiT-Bobrern. 

oz==o 

Es ist von jeher unser Prinzip gewesen, den Preis eines jeden 
Artikels sofort zu ermässigen, sobald sich die Fabrikation durch 
vereinfachte und vervollkommnete Methoden, durch Herstellung im 
grossen Massstabe und Einarbeitung des technischen Personals billiger 
gestaltete. 

Dies ist jetzt infolge des gewaltig gestiegenen Verbrauchs mit 
unseren Revelation-Bohrern der Fall und wir sind daher in der 
angenehmen Lage, unseren werten Geschäftsfreunden eine ganz 
bedeutende Preisermftssignng dieses unentbehrlichen Verbrauchs¬ 
artikels anzeigen zu können. Die Revelation-Bohrer kosten von jetzt 
ab bis Stangenslärke nur 

K 5.— per Dutzend, was einem Preis von 
K 41.— per 100 entspricht. 

Es bedarf keiner Versicherung, dass diese bedeutende Preis¬ 
reduktion in keiner Weise irgend einen Einfluss auf die ausgezeichnete 
Qualität unserer Bohrer ausübt. Sie sind in der ganzen Welt bekannt 
als die besten, welche es gibt und es existiert kein Fabrikat, welches 
sich mit dem unsrigen messen kann. 

Der bisherige etwas höhere Preis war vielleicht der Grund, 
der manchen abhielt, sich unserer Bohrer zu bedienen. Dieser Grund 
ist jetzt fortgefallen. Quälen Sie sich daher nicht mit schlechten 
Bohrern ab, die nach ein- oder zweimaligem Gebrauch stumpf sind 
und Ihren Patienten Qualen bereiten. Unsere Bohrer sind scharf 
und bleiben scharf. Verlangen Sie einen Probebohrer gratis und 
überzeugen Sie sich davon, dass unsere Bohrer in der Qualität die 
besten und — die längere Dauer in Betracht gezogen — die 
billigsten sind, die es gibt. 

THE S. S. WHITE DENTAL MFG. CO., G. m. b. H. 

Berlin SW., Lindenstrasse 37. 


XIII 


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Ermässigie Preise ~~ 

für 

■Revelation“ - Kavitätenbohrer. 


Rosenbohrer. 


Radform. 




19 20 21 22 

Per Dtz. .K 5.- Dtz. K 7.50 Per Dtz. . • • K n.- Dtz l 7.5 

Einzelnpr. St. „ —.50 Stück „ -.75 Einzeln per stuck „ -.50 Stuck „ -.7; 

Verkehrt-kegelförmig. Knospenform. 



88 V» 34 35 86 87 38 39 40 41 42 48 44 

Per Dtz. IC 5.— Dtz. IC 7.50 

Einzeln per Stück „ —.50 Stück „ —.75 

Fissurenform, stumpf. 


44 V» 45 46 47 48 49 50 51 

Per Dtz. K 5 — 

Einzeln per Stück „ —.50 

Fissurenform, spitz. 


|JI Nr. 557,-62 u. Nr. 667,-73 

if % P re ' s P er Dt z • -ST 6.25 
11 » * Stück „ —.60 


55V» 56 57 68 59 60 61 62 


6 V, 67 68 


70 71 72 73 


Die vorstehend abgebildeten Formen und angegebenen Preise gelten so wohl für dil 
geraden Handstücke Nr. 4, 7 und 8 als auch für unser Winkeihandstück Nr. 2. o 

THE S. S. WHITE DENTAL MFG. CO., G. m. b. H. 

Berlin SW., Lindenstrasse 37. 


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„Revelation“-Kavitätenbohpep 

Birnenform. Fortsetzung. Ovale Form. 



Pw Drz. . . . K n— Dtz. K 7.50 Per Dtz. . . K 5— 

Einzeln per Stück „ —.50 Stück „ —.75 Einzeln per Stück „ — 50 


<^> „Revelation“-Schmelzbohpep mit Ouephieb. 

Diese Bohrer sind bestimmt, den harten Schmelz der natürlichen Zähne zu schneiden, 
wohingegen die auf der vorhergehenden Seite abgebildeten Bohrer nur bestimmt sind, die 
Zahnbeinmasse selbst zu bearbeiten. 



Bund 



508 504 50 6 506 507 

Dtz. K 6.25 
Einzeln pr. St 
K —.60 


Fissurenbohrer, stumpf Fissurenbohrer, spitz Birnenform 



657 558 559 560 561 562 568 569 570 571 572 573 


Per Dtz. K 7.50 
Einzeln pr. St. 
K —.76 


Per Dtz. K 7.50 
Einzeln pr. St. 
K —.75 


579 580 581 582 583 584 


Per Dtz. K 6 25 
Einzeln pr. St. 
K —.60 






W* Dia vorstehend abgebildeten Formen und angegebenen Preise gelten sowohl für die 
jeraden Handstücke Nr. 4,7 u. 8, als auch für unser Wlnkelhandstüek Nr. 2. 


Preise der <^>„Revelation“-Bohrer H«jÄk 


s>. 

V, 

bis inkl. 

Nr. 

7 1 


„ 

11% 

n 



18 


II 

83 V* 


n 


401 Einzeln pr. St. 

h —.60 

n 

44 V. 

71 

71 


51 ( Per Dtz. . . 

n 6.25 

„ 

77 V. 

71 

71 

n 

84 


„ 

88V, 

fl 

71 

71 

96J 


n 

56 V, 

71 

71 


62l Einzeln pr. St. 

A' —.75 

n 

86V, 

ff 

n 

71 

73/ Per Dtz. . . 

n 7.50 


Nr. 8 bis inkl. Nr. 11\ 


19 



n 

221 

Einzeln pr. St. K 

-.80 

41 




44/ 

Per Dtz. . . „ 

8.75 

85 




881 



502 




5071 

Einzeln pr. St. K 

-.76 

579 




584» 

Per Dtz. . . „ 

7.50 

557 


v 


5621 

Einzeln pr. St. K 

-.80 

568 

T) 

rt 

n 

573/ 

Per Dtz. . . „ 

8.75 


THE S. S. WHITE DENTAL MFG. C0. 9 G m. b. H. 

Berlin SW., Lindenstrasse 37 . 


xv 


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= Preisermässigung = 
für S. S. Whites Zähne 

vom 2. September 1907 an. 

-- 

Zähne mit oder ohne Zahnfleisch 

(mit Platinstift oder Platin-Knopfcrampons). 

Einzeln unter 100 bei 100 bei 500 bei 1000 Stück 

per Stuck K 1.10 K 98.— K 96.- K 94.- 

per 100 Stück 

Logan-Kronen mit einem Platinstift. 

Einzeln _ bei 50 _bei 200 Stück 

K 3.25 K 3.— KlLTb 

per Stück 

Diatorische Zähne (ohne Platinstift). 

(Preise unverändert.) 

Einzeln _ bei 100 _ bei 500 _ bei 1000 Stück _ 

X —.30 K 20.60 K 17.65 K 16.50 

per 100 Stück 

Kombinationsgebisse 

in Sätzen ä 28 (obere und untere) oder ä 14 (obere) 

bestehend ans 12 Platin-Knopf- oder Platin-Stiftcrampon-Zähnen 
(6 obere und 6 untere) und aus 16 diatorischen Zähnen (8 obere und 
8 untere Bicuspidaten und Alolaren). 

Dieselben werden zu den entsprechenden Preisen der Platinstift- und dia¬ 
torischen Zähne berechnet; bei Quantitäten jede Sorte für sich. 

Neu! Abnehmbare Kronen. Neu! 

_ Einzeln _ bei 100 bei 200 Stück_ 

Ohne Stift K 1.— K —.94 K —.88i per Stück 

Stifte hierfür „ —.60 „ 57.70 „ 55.60 

per 100 Stück 

WG* Per Kasse gewähren wir folgenden Skonto: 

Bei Beträgen von K 23.50 an 5°/ 0 
» - . »470.- „ 10«/o 

Die Qiiantitätspreise haben auch dann Giltigkeit, wenn “in grösserer Posten 
Zähne (diatorische ausgeschlossen) in verschiedenen Sorten genommen wird. 

Berlin, 2. September 1907. 

Lindenstr&sse 37. 

S. S. White Dental Mfg. Co. ß. m. n. b. 

— xvi — 


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===== Aschers = 

verbesserter künstlicher 

« Zahnschmelz. 


(Improved Artificial Enamel.) 

Patentiert in den meisten Kulturstaaten. =■ - - ■ 

-><- 

Aschers künstlicher Zahnschmelz ■■ 

in seiner Terbesserten Form ist das vollendetste aller plastischen 
Füllmittel; 

das zahnähnlichste aller Füllmaterialien. 

Aschers künstlicher Zahnschmelz — 

verarbeitet sich spielend leicht: 

besitzt eine ausserordentliche Klebfähigkeit, so dass es sich innig 
mit den Zahnwandungen und Rändern verbindet; 

erhärtet hinreichend langsam; 

ist das bruchfesteste aller Füllmittel; 

besitzt uu vergleich liehe Transparenz; 

hat eine dichte, gleich massige, durch keine Risse und Sprünge zer¬ 
störte Struktur: 

kontrahiert sich nicht, ist nicht spröde und im Munde absolut 
unlöslich; 

steht ästhetisch und in der Gesamtheit seiner Eigenschaften an 
der Spitze aller Füllmaterialien; es ist in allen Fällen, also 
auch bei grossen Konturen und Kauflächen mit sicherem Er¬ 
folg verwendbar. 

- — Preise: — 

Halbe Portion . . . K 7.20 Doppelportion . ... K 26.40 

Ganze „ . . . „ 13.20 ,, Pulver allein „ 21.60 

Pulver allein . . „ 10.80 „ Säure r 5.40 

Säure „ . . . „ 3.— 


Sortimente: 

A, enthaltend 4 Farben in halben Portionen. K 27.60 

B, ., 6 „ „ ganzen „ „ 75.60 

C, „ 6 „ „ Doppelportionen.„ 151.60 

D, „ 10 „ „ halben Portionen.„ 68.40 

E, * 10 „ „ ganzen „ „ 126.- 


Zu beziehen durch die meisten grossen Dental-Depots; wo nicht er¬ 
hältlich, auch direkt gegen Nachnahme durch die Unterzeichnete. 

General Dental Mannfaeturing Company m.b.H. 

Berlin W. 8. 


XVII 


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Wir Qbernehmen jede Garantie, dass Aschers künstlicher Zahnschmelz frei von allen schädlichen Beimengungen ist. 






- Verbesserte == 
T ransparentf ullung 


HARVARDID 


(Patentiert in den meisten Kulturstaaten D. R. P.) 



übertrifft in Transparenz 
und schmelzartigem Aus¬ 
sehen alle transparenten 
Füllmassen. 

Spielend leichte 
Verarbeitung. 

Ueberraschende Härte. 


Unlöslichkeit 
Natürlicher Glanz, 
kein Nachpolieren nötig. 

10 Farben: 


Weisslich 

1. 

Weissblau 

la. 

Weissgelb 

2 . 

Hellgelb 

3. 
Gell 

4. 


HellpeHgrau 

5. 

Perlgras 

6 . 

Gras 

7. 

Brass 

8 . 

Rosa 

fürZahnfleisck- 

Imitaiion 

9 . 


Kleine Portion K 5.10. 
Grosse Portion K 12.—. 
Sortiment vierfärbig K 14.40. 


Freiwillige Urteile aus verschiedenen Weltteilen: 


Herr Prof. Dr. med. Brandt: 

Ich bin mit Ihrem Harvardid 
sehr zufrieden und kann daher 
dieses Präparat allen Kollegen 

angelegentlichst empfehlen. 

Berlin. _ 

Herr Zahnarzt Döring: 

Seit längerer Zeit ge¬ 
brauche ich Ihren Harvardid* 
Zahnschmelz und teile Ihnen 
hierdurch mit, dass ich da¬ 
durch nur gute Resultate erzielt 
habe, auch meinen Patientenkreis 
vergrösserte. Ihr Harvardid-Zahn- 
schmelz macht das Brennen von 
Porzellanplomben überflüssig. Habe 
deshalb das Brennen von Porzellan¬ 
plomben vollständig aufgegeben und 
verarbeite nur noch Ihr Harvardid* 
Zahnschmelz. 

Lodz (Russ.-Polen). 


Herr Zahnarzt Weissensee, Leib¬ 
zahnarzt der Frau Prinzess. 
Reuss: 

Betreffs meiner Versuche 
kann ich Ihnen mitteilen, dass 

Harvardid von a'.len transluzen en 
Zementen der transluzenteste ist. 
Die Verarbeitung ist gut. 

ZUIlichau. 


Herr Zahnarzt Meinke: 

Tatsache ist, dass das Har¬ 
vardid genau wie Ihr Harvard- 
Zement einfach grossartig ist. 
Diesen Moment erst hat mir 
mein Assistent zwei Harvard- 
Zement - Füllungen heraus¬ 
bohren müssen und dafür Har¬ 
vardid - Füllungen eingelegt. 

Charlottenburg. 


Herr Dr. H. Spaulding: 

Ich habe häufig Gelegenheit 
gehabt, Ihr Harvardid zu ver¬ 
arbeiten und muss ich sagen, 
dass es mir mehr und mehr ge¬ 
fällt. Es sieht sicher besser aus in 
dem Munde als sogar eine Porzellan- 
Einlage. - PaHs- 

Herr Dr Miguel A. Prado: 

Ich habe die Anzeige von 
Ihrem Harvardid gelesen und 
wäre es mir angenehm, es in 
meiner Praxis zu gebrauchen, 
da ich von anderen Seiten sehr 
Gutes darüber gehört habe. 

Caracas (Venezuela). 

Herr Dr. Albadeira Bastos: 

Die Erfahrung, welche ich 
mit Ihrem Harvardid gemacht 
habe, war ausgezeichnet. 

Rio de Janeiro (Brasilien). 


Herr L. Mueck, Ehrenvorsitzender des Vereines der Zahnkünstler im Deutschen Reiche, schreibt uns: 

Vor etwa einem Jahre habe ich zum erstenmal Ihre Harvardid-Piombe verwendet und, 
wie natürlich, diesem Fabrikat ein grosses Misstrauen entgegengebracht, denn zementartige 
Füllungen, welche wirklich zahnfarben und transparent sein und dabei auch speichelbeständig sein 
sollten, hatten wir lange ersehnt aber nie besessen. Seit einem halben Jahre habe ich so¬ 
wohl wie mein Schwiegersohn und Mitarbeiter Ihre Harvardid-Piombe recht oft angewandt 
und haben damit Erfolge erzielt, die wir vorher nicht zu hoffen gewagt hätten. Wer würde heute 
die Behauptung aufzustellen wagen, etwas Vorhandenes könne nicht verbessert werden? 
Zur Zeit aber erscheint mir Ihre Harvardid Füllung als vollkommen und jedem Wunsche ge¬ 
recht werdend, wenn man sich nur die Mühe nimmt, die Farben jedem Fall entsprechend 
zu mischen. Die Farben 2 und 3 gemischt, geben mit geringem Zusatz einer anderen Farbe 
oft geradezu glänzende Resu l tate. __ 

Zu beziehen durch alle grösseren Dental-Depots. 

— XVIII — 


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Utrsuebtit Sit dit Präparate aus 

Zabttar3t Scbmibts * * 
♦ Xaboratorium (©ibestoe). 


Nickel-Kupfer, 


©in vorzügliches Amalgam, seit acht Jahren 
bewährt, wissenschaftlich zusammengesetzt 
und geprüft auf Kontraktion, Expansion und Farbe. Nickel- 
Kupfer hält sich sehr gut im Munde, bleibt hell, verfärbt den 
Zahn nicht, ist kantenfest und schrumpft nicht. Portion K 4.40, 
grosse Portion K 14.40. 


Nickel - Platin - Goldamalgam 

wegen seiner hellen Farbe speziell für Frontzähne eignet. 

1 Unze K 18.—. 


Pulpanalgen. 


Dient zum Ueberkappen des Nerven, als 
Wurzelfüllung, als Füllung der Pulpakammer 
nach Amputation, als Dentin-Anästhetikum. Pulpanalgen enthält 
keine Gifte oder Aetzstoffe, wird angerührt wie Zement, ist also 
jedesmal frisch bereitet zu verwenden, ein grosser Vorteil vor 
fertigen Pasten, die leicht durch längeres Lagern wertlos werden. 
Portion K 8.-. 


Frnnpnlpniprnnn ein g rossart >g er Ersatz für Goid zur 

Hl Uliuliluyiui Uliy, Herstellung von Stiftzähnen, Kronen 
und Brücken, ist leicht zu verarbeiten wie Zinn, hält sich aus¬ 
gezeichnet im Munde und ist sehr hart und widerstandsfähig. 


Künstliches Dentin, 

Grosse Portion K 3.60. 


eine gute provisorische Füllung 
zum Fixieren von Einlagen etc. 


Separier- und Schleifscheiben 

schneiden beim Entkronen. Unentbehrlich bei Approximalfüllungen 
der Frontzähne. Keine Separierfeilen mehr. 1 Schachtel (1 Dtz.) 
K 2.20, hierzu Karborundpaste, Tube K 1.—. 

Winlrpkflirlr D * B * G * M 256806 Oesterreich 88607 Ungarn 20081 
■WUIäuIoIUuA Frankreich 22060 England 469782 Amerika pr. P. 271660 

mit Bohrerbefestigung durch Stift und Hebel, keine Schrauben 
und Federn. Preis für Handstflck Nr. 4 und 7 K 24—, für 
SUpjoint Nr. 2 K 38.40. 


Zu beziehen durch: 

Weiss A Schwarz, Wien, I. Petersplatz 7. 


— XIX — 


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Neuheiten der Harvard Dental Mfg. Co. 

BERLIN W., Victoria-Strasse 23. 


Harvard-Warmluftbläser mit nicht warme leitender Schutzhülle. 

Kein Verbrennen der Schleimhäute des Patienten! 

Kein Yerbrenuen der Finger des Operateurs!- 

_ z Desinfektor der Kavitfit. ‘ ~ 

Inlallen Teilen zerlegbar. Prospekte durch die Depots. Leicht zu sterilisieren. 



Man halte die Platinspitze *des Warmluftbläsers in eine Holzfreist- oder Metbyl- 
alkoholflamme und sauge durch allmähliches Aufgeben des Druckes die Flamme in den Gummi¬ 
ball hinein. Durch langsamen Druck auf den Ball entströmt diesem nun Formaldeh d-Warmuft, 
womit die Kavitäten und Wnrzolkanäle nicht nur schnell ausgetrocknet, sondern auch zugleich 
desinfiziert werden können. Die nicht leitende Schutzhülle verhindert das Verbrennen der 
Schleimhäute des Mnndes und der Finger des Operateurs. Die Schutzhülle und das Blase¬ 
rohr lassen sich durch Aufschrauben der Mutter abnehmen und sterilisieren. — K 9.—. 


Unübertroffen sind die Harvard- Guttapercha -Präparate. 

Für permanenten Verschluss (hell, grau, gelb, dunkelgelb), würfelförmig . . Schachtel K 3.60 
Für provisorischen Verschluss (rosa, weiss, grau, gelb), Stangenform .... „ „ 1.80 

Harvard-Dentin, das Beste zum Ueberkappen der Pulpa.„ 2.40 


Gesetzl. geschützt. Harvard ~ Löt ~ Schmelzlampe. Gesetzl. geschützt. 

Für leichtschmelzbares Porzellan. — Für Lötzwecke bei Kronen- und Brückenarbeiten. 


I \ 



Diese kleine, handliche Lampe ermöglicht infolge ihrer praktischen Konstruktion 
einen doppelten Gebrauch. Durch Aufsetzen des Gebläses auf das obere Luftzufuhrrohr 
und leichtes Treten auf den Ball erhält man eine vorzügliche Stichflamme für kleinere 
Lötarbeiten, durch Auswechseln des Gebläses nach dem unteren Röhrchen eine intensive 
Flamme zum Schmelzen für Porzellanfüllungen. 

Lampe mit Tretgeblöse K 9 60. Lampe ohne Gebläse K 4.20. Gebläse für Hand- und Fussbetrieb K 5.40. 


Zu beziehen durch die grösseren Dental-Depots. 

— xx — 


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Der Umstand, dass Sie an einen 
Operationsstuhi gewöhnt sind, 
ist noch nicht der Beweis, dass 
er das ist, was Sie benötigen. 

Er kann durch seine Unvollkommenheit Ihre Kräfte 
die Ihnen so nötig sind, erschöpfen. 

Er mag Ihren Augen eine unangenehme Anstrengung 
aufbürden, durch den Mangel an geeigneten Einstellungs¬ 
möglichkeiten. 

Er kann für die Patienten unbequem sein. 

Durch ihn kann Ihr Operationszimmer den Eindruck 
bekommen, dass es rückständig ist, bei Leuten, die ge¬ 
wöhnt sind, überall moderne Stühle zu sehen. 

Verkaufen Sie Ihren alten Stuhl und beschaffen Sie 
sich einen 

Imperial Columbia Chair. 

Er wird Ihnen gestatten, alle Ihre Kräfte zu schonen; 
er wird durch seine Adaptionsfähigkeit Ihre Augen unter¬ 
stützen; er wird den Patienten bequem sein und wird 
Ihrem Operationszimmer den Eindruck geben, dass es 
„up to date a ist und dass Sie fortschrittlich sind. 

Verlangen Sie den illustrierten Katalog, der den 
Stuhl im Detail beschreibt. 

The Ritter Dental Manufacturing Co. 

~ Roch oster, N.-Y. r 

k.-/ 


XXI 


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WEISS & SCHWARZ, Wien, I. Petersplatz 7. 


Spezialitäten 

der Firma 

Gebrüder Lozze vorm. Grass & Worff 


chemisch-technisches Laboratorium 

Berlin SW. 68, Markgrafenstrasse 16. 
Alleinige Fabrikanten der Prof. Dr. 0. Walkhoffschen Präparate. 
Lieferanten des königlichen zahnärztlichen Instituts München. 

Engros. — Export. 


Prof. Dr. Walkhoffs Chlorphenol und 

* * ♦ Jodofonn-Chlorphenol-Pasta 

sind seit Jahrzehnten durch ihre enorme Desinfektionskraft die 

schätzenswertesten Präparate aller zurzeit angepriesenen Mittel 

für die Behandlung pulpakranker Zähne. % 

Ausführliche Literatur gratis. 

In Portionen zu K 1.80, 3.— und 6.— erhältlich. 

Herr Prof. Pr. Walkhoff schreibt: 

Infolge der vielseitigen Anwendbarkeit des Chlorphenols ist 
mein zahnärztlicher Medikamenten - Schatz sehr zusammen- 
geschrumpft und ich sehne mich nicht mehr nach den vielen 
neu auftauchenden Mitteln, welche nur zu oft wie die Ein¬ 
tagsfliegen kommen und verschwinden. Die Einfachheit wie 
die Erfolge des Chlorphenols von Gebr. Lozze werden jeden 
Kollegen befriedigen and ich kann Ihnen dasselbe anf Grnnd 
meiner langjährigen Erfahrungen auf das wärmste empfehlen. 

Causticum mit phenolsaurem Kali, Marke G. u. W., 
Portion K 3.60. 

Diese Nervpasta wirkt ungemein schnell und schmerzlos und 
hat vor allen anderen Causticis den Vorzug, dass sie Periostitis 
nicht verursacht. Gebrauchsanweisung liegt jeder Portion bei. 

Schwarze Chlorzink - Lösung (Prof. W i t z e 1). Portion 
IT 1.20 und 1.80. 

Chlorzink-Phenol-Lösung, Portion K 1.20 und 1.80. 

Chlorphenol-Kreosot. Portion -KT 1.80 und 3.—. 

Chlorphenol-Thymol-Pasta mit Novocain. Portion 2T 3.—. 

Zement - Lacke : Antiseptischer Pulpa- Lack, Kopal-Aether, 
Kopal-Varnish, Mastix-Lösung konzentr., Sandarac Varnish 
konzentr., ä K 1.20. 

Thymol-Chlorphenol, konzentr., Portion K 1.80 und 3.— 
99 99 -Pasta, „ „ 3.—. 

— XXII — 


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WEISS & SCHWARZ, Wien, I. Petersplatz 7. 


Universal ■ Ulinkelstflck 
* * „rtfoottarcb" * * 



Fig. 1. 


Dieses patentierte Winkel¬ 
stück hat eine ingeniöse Vor¬ 
richtung, die es ermöglicht, 
den das Bohrinstrument hal¬ 
tenden Winkelkopf im Kreis um 
seine Achse zu drehen und in acht 
Stellungen fixieren zu können. Der 
Ring a wird mit Zeigefinger und 
Daumen nach abwärts, d. h. gegen 
den Hartgummikörper gezogen und 
festgehalten, worauf der Winkelkopf 
gedreht werden kann; durch Aus¬ 
lassen und Zurückschnellen des Ringes 
stellt sich .der Winkelkopf fest ein. 
Fig. 1 zeigt. das Instrument in .der 
Normalsteilung (wie bei dem Contra¬ 
angle), Fig. 2 den Kopf um 180 ° 
gedreht. Diese..Stellung ist beispiels¬ 
weise zu Arbeiten an den lingualen 
Flächen der unteren Frontzähne be¬ 
sonders geeignet. 

Die für das Winkelstück Nr. 2 
bestimmten Bohrer (Fig. 3) sind 
auch für das Universal-Winkelstück 
„Monarch“ passend. 

PREISE: 



Fig. 2. 


Fig. 8. 


Für das Handstück Nr. 7. K 45.— 

„ die Gleitgelenksverbindung (Slip-joint) Nr. 2 „ 54.— 

— xxiii — 

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WEISS 4k SCHWARZ, Wien, I. Petersplatz 7. 


S tern - flmalqam. 

Kleiene figmehaften mm ein 
gut« Jjmajflam besitze» ? - » ■ 

l. Es soll mit Quecksilber vermengt, eine zarte plastische 
Masse bilden, sich leicht verarbeiten lassen and bald 
fest werden (erstarren). - - -. 

Die Herstellung eines plastischen Amalgams erfordert die 
Verwendung absolut chemisch reiner Metalle, deren sorg¬ 
fältigste Mischung während des Schmelzens (Legierens) und 
die Einhaltung bestimmterTemperatnren bei diesem Vorgange. 



Fig. X» i 


. Die feinste Verteilung der Legierung ist eine der wichtig¬ 
sten Bedingungen, um eine innige Vermischung mit Queck¬ 
silber zu erlangen. (Siehe G. V. Black’s „Untersuchungen“.) 

1 Das Starn-Amalgam wird nicht mit Feilen oder Fraisen 
zerkleinert, da diese nur ein Korn liefern können, welches 
den hpch§ten Ansprüchen an. Feinheit nicht genügt und die 
Feilung mit Eisenteilchen verunreinigen, die nicht mehr 
vollständig entfernt werden können.. . • .* 

— xxiv — 


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WEISS & SCHWARZ, Wien, L Petersplatz 7. 


wird nach einem neuen Verfahren 
in dfinne Späne gehobelt, wie sie die Abbildung Fig. 1 in 
natürlicher Grösse zeigt. Diese Späne sind so zart, dass sie 
von einem Hauch weggeblasen werden können; schon durch 
Schütteln mit Quecksilber in einer Eprouvette gehen sie 
eine innige Amalgamierung ein. 

Fig, 2 zeigt ein Quantum Stern-Amalgam, welches als 
Feilung nur den Boden des Schüsselchens bedecken würde. 



Fig. 2. 


2. Es soll seht Volumen weder vermehren (Expansion) 
noch verringern (Kontraktion). --------- 

Einige Metalle expandieren, andere kontrahieren sich, wenn 
sie mit Quecksilber vermengt, zur Erhärtung gelangen. Es 
muss also bei Herstellung eines, sein Volumen nicht ver¬ 
ändernden Amalgams, die Quantität der Metalle in ein 
y solches Verhältnis gebracht werden, dass Expansion und 
Kontraktion einander auf heben. 


3. Es* soll seine Farbe nicht verlndern^ndidenZabn 


nicht verfärben. 


Das Stora-Amalgam ist vollkommen frei von Kupfer 

welches vielen Amalgamen beigemischt wird, weil diese Bei¬ 
gabe ein bequemes Härtungsmittel ist; schon der geringste 
Beisatz von Kupfer bedingt aber 
die Verfärbung (Schwärzung) der 
Füllung und des Zahnes. 


Preis 

per Unze (« Gramm) K io.*o. 

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Amalgam 


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per Satz von 24 Zähnen (ein Etuis mit 4 Sätzen 
& 6 Zähnen) K 9.—. 


Zu beziehen durch die meisten Deutel-Depots. 

— XXVI — 


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1301 und 1303 Arch Street 96 State Street 


Der auf der Nebenseite abgebildete Zahn¬ 
farbenhalter besteht aus vier Teilen, jeder Zahn 
kann einzeln herausgenommen und in jeder 
gewünschten Stellung gebraucht werden, ein Vor¬ 
teil, den keine andere Musterkarte bietet. 

Die Originalität unserer Mineralzähne, so 
weit Form, Stärke und natürliche Mischung der 

Farben in Betracht kommen, ist durch die ganze 
Welt zu wohl bekannt, um weiterer Erwähnung 
zu bedürfen. 

Die Mannigfaltigkeit unserer Farben ist 
endlos, von der hellsten bis zur dunkelsten in 
allen Schattierungen. Die vierundzwanzig in dem 
Halter befindlichen Farben werden, unserer Er¬ 
fahrung gemäss, für die meisten Fälle genügen, 
doch sind wir in der Lage, weitere Farben auf 
Verlangen zu liefern. 

-- 

H. D. Justi & Son 

PHILADELPHIA CHICAGO 

1301 und 1303 Arch Street. 96 State Street. 



XXVII 


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zur Injektionsanästhesie hervorragend geeignet. 

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per Dose K 6.—. 

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lrupdbutdin nyaruuni., extraktionen ganz vorzüglich geeignet. 

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sowie alle übrigen in der Zahnarzneikunde zur Verwendung gelangenden 

Chemikalien. 

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genommen, resp. gegen NeufUllung umge¬ 
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XXIX 


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(von Silicium = Kiesel). 


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Worfn»rks 

_Slli(ätt“L 


* Üranspartnte PorzeHanTtillunfl. * 


Dieses Silicat-Zement ist dem Zahnschmelz an Transparenz 
vollkommen gleichwertig und besitzt alle Eigenschaften, 
== welche man an eine Dauerfüllung stellen kann. = 

o Silirin“ ist * n den Mundsekreten voll- o o 
“ v _ kommen unlöslich- " 

Silicin“ frei von allen schädlichen 
1 .. Agentien ------------ 


„Silicin“ ist brach- und kantenlest - - 
„Silicill 6 adhäriert am Zahnbein - - - - 
-Silicin“ kontrahiert sich nicht- - - - - 


,Silicin“ expandiert sich nicht 


o o 


-Silicin“ " at eine unerreichte Trans- 
” parenz.. 

„Silicin“ verarbeitet sich plastisch - - ■ 


o o 


„SILICIN" wird in zehn sorgfältig gewählten Farben- 
- — nuancen hergestellt. *.===±= = 

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Für Oesterreich-Ungarn und den Orient: 


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Für die Schweiz: 

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dentalres 

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— 

xxx — 


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WEISS & SCHWARZ, Wien, 1. Petersplatz 7. 



ILiICI]NL *** 

(von Silicium = Kiesel). 


Gesetzlich 

geschützte 

Wortmarke 

„Silicin“. 


* transparente Porzellanfülluna.«. 


^SILIGIN^ ist seit mehr als zwei Jahren im 
r — ■ , . chemischen Laboratorium und im 

menschlichen Munde allen erforderlichen Versuchen unter¬ 
worfen worden und die dabei gewonnenen Erfahrungen 
wurden benützt, um dieses Präparat mit allen jenen Eigen¬ 
schaften auszustatten, welche es zu dem 

Fttlluxigsmaterial der Zukunft 

machen. 


— - Gebrauchs-Anweisung. 

Um einen vollen Erfolg mit dem „Sillcin“-Porzellan-Zement 
zu erzielen, müssen bei dessen Verarbeitung die folgenden Vorschriften 
genau befolgt werden: 

1. Man verwende zum Anrühren des „Silicin w -Pulvers mit der 
beigegebenen Säure nur Knochen- oder Acbatspateln, niemals aber 
Metallinstrumente. 

2. Man verreibe die Mischung gründlich unter sukzessivem 
Pulverzusatz zu einer konsistenten Paste und führe diese mit r ei nen 
glatten Stahl- oder noch besser Achatinstrumenten unter kräftigem 
Druck in die Kavität ein, welche mit unter sich gehenden Wänden 
oder Haftrinnen versehen sein muss. 

3. Man lasse die Füllung ein wenig aus der Kavität heraus¬ 
ragen und benütze mit Vaselin eingefettete Stahl- oder Achat¬ 
instrumente zur Formung der Kontur. 

4. Nachdem die Füllung — in 15 bis 20 Minuten — erhärtet 
ist, behandle man sie mit feinen Papierscheiben oder Strips, die mit 
Vaseline eingefettet sein müssen, wodurch die dem Material eigen¬ 
tümliche Transparenz zum Vorschein kommt. 

—: Preis pro Portion K 12.—. 

Ein Pulver allein K 9.30. 

Eine Säure allein K 2.70. 
Bei Abnahme von 10 Portionen 10% Nachlass. 

Muster und Farbenkarten werden auf Verlangen franko und gratis 
'. — zugesendet. - 


XXXI 


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Consolidated- 

Porzellanzahne. 

2624° I. 

wurde als Schmelzpunkt der Consolidated-Zähne fest¬ 
gestellt bei Prüfungen mittels Pyrometer, welchen die 
Porzellanprodukte einer Anzahl von Fabrikanten unter¬ 
zogen wurden. 

Die hochschmelzbare Qualität ist die wichtige Grund¬ 
lage, auf welche sich der Erfolg der Consolidated-Zähne 
und-unserer anderen PorzeUanpradukte auf baut. 

Der Porzellanarbeiter weiss, was es bedeutet, Stunden 
intensiver Arbeit auf Zähne zu verwenden, die schliesslich 
aus dem Ofen formlos und ohne Farbe herauskommen 
— ein herzbrechendes Missgeschick! 

Man unterwerfe die Consolidated-Zähne einer be¬ 
liebigen Feuerprobe und beobachte das glückliche Resultat, 
ihre vollkommene Kontur ist erhalten worden, ohne Grüb¬ 
chen, Blasen oder Porosität und ihre Farben — so fein 
abgetönt — sind nicht verändert. 

Das Leben ist kurz. Wozu die Zeit mit Experimenten 
verschwenden ? Consolidated-Zähne haben einen dauernden 
Rekord von Erfolg bereits hinter sich. 

Zu beziehen von allen besseren Dental-Depots. 
Verlangen Sie Katalog von Porzellanzähnen und 
Davis-Crowns. 

CP Consolidated Dental Mfg. Co. CP 

— ■ Regent Honse, Regent Street, London W. ' 


— XXXII — 


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WEISS & SCHWARZ, Wien, I. Petersplatz 7. 



XXXIII 


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Dp. Ii. Hopfners 

zu Sammetgold — 

(la ngfaserig) 

wird in jedem beliebigen Grade der Weichheit 

geliefert. 

Besondere Wünsche hinsichtlich Weichheit uncHiahAsion-werden 
direkt an Unterzeichneten oder durch Vermittlung eines Dental- 
Depots erbeten. 

Zu beziehen durch: 

WEISS & SCHWANZ, Wien, I. Petersplatz 7. 

PREISE: 

I« ganzen Stacken: In Streiten: 

Ganze Schachtel ä 3*5 Gr. Feingold K 25.20 K 20.40 

Halbe „ äl-75,. . * 12.00 „ 1320 

Probe- „ a 1 „ ' , „ 7.20 „ 7.55 

Literatur: 

Herr Prof. Dr. W. Sachs in Nr. 12 der „Deutschen zahnärzt¬ 
lichen Wochenschrift“, 1904. 

Herr Zahnarzt E. A. Glogau, Frankfurt a. M., im Oktober- 
Heft der „Deutschen Monatsschrift für Zahn heilkunde“, 1904. 

Herr Dr. med. Hugo Trebitseh, Wien, „Oesterreichische Zeit¬ 
schrift für Stomatologie“, Jänner 1905, I. Heft. 

Herr Dr. M. Ch. J. Fleisehmann, Chirurgien-Dentiste, Lyon, 
„L’obturation des dents“, 1905. (Verlag A. Rey, Lyon.) 

Herr Prof. Dr. med. B. v. Dzierzawski in der Zeitschrift 
„Przegl^d Dentystyczny“, 1905, Nr. 5, Warschau. 

Das Sammetgold Ist neuerdings auch zum Lötan für Platin und 
■ ■ ,, i Gold empfohlen worden. : 

Anmerkung. Zur Vermeidung von Verwechslungen sei bemerkt, dass 
ausser obigem Sammetgold ein kurzfaseriges Präparat unter dem 
Namen „Dr. L. Höpfners Kristallgold“ zu denselben Preisen im 
Handel ist. 

Chemisches Lahoratorimn Br. L. Hopfner 

Berlin W. 30, Neue Winterfeld-Strasse 22. 

Telegramm-Adresse : Fernsprecher: 

Plombierpold Berlin. Amt VI, Nr. 10258. 

— XXXIV — 


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Achtung! 


EUTE LROCK 


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Unsere Original-Nervkanalbohrer tragen sämtlich genau 
obengenannten Stempel am Schaft und wird vor Nachahmungen 
; dringend gewarnt. 

Wir fabrizieren als Spezialität ausser unseren auf der 
ganzen Welt verbreiteten und beliebten Nervkanalbohrern 
Erweiterer, Sonden, Nervnadeln in verschiedenen Formen, Heraus¬ 
holinstrumente, Wurzelschrauben, Spezial-WinkelstOcke fOr Bohr¬ 
maschinen; HandstOck, Winkeleinspanngriff, automatischer Hammer. 
Uebersetzungsrad für langsamen Lauf der Bohrmaschinen. 

Zu beziehen durch alle Depots. 

Aul Wunsch verabfolgen die Herren Weiss & Schwarz in Wien 
- : unsere illustrierte Preisliste gratis und franko. ..- 

3 . Bemeliodt $ Solm, 6 <xm«tra»t 
üorwärmc- and Cötapparat „Cyftlop“. 


PatiRte in alltn KultursUateit aagem. — Begutachtet und empfohlen von ersten Autoritäten. 



Der ,.Cyk op * hat den Zweck, ohne Verwendung von Hoiznoüie die 
Arbeit des Vorwftrmens und des Lötens der Zahnersatzstücke in ein und dem¬ 
selben Apparate zu bewerkstelligen. Der Apparat besteht aus dem stabilen Fusa- 
gestell mit abnehmbarem Spezialbrenner, der Unterlagsplatte für die Arbeits¬ 
schale, der Arbeitsschale nebst Deokkappe und dem Kugelgelenk. 

Das vortvarmen der Arbeitsstücke geschieht in demselben Apparate 
dnroh den Spezialbrenner unter dem Schutze der Deckkappe, die das Stück vor 
äusseren Ei flüssen bewahrt und die Hitze gleichmäßig auf dasselbe konzentriert. 
Während des Lötproze ses selbst kann die Kappe entfernt werden, sie wird aber 
nach Beendigung desselben wieder aufgesetzt, um vom Vorwärmen nooh durch¬ 
glüht, e ne lang ame Abkühlung des gelöteten Stückes zu ermöglichen. Diese 
gleiobmässige Erwärmung und langsame Abkühlung «ragen wesentlich dazu bei, 
die Zähne vor dem Zerspringen zu schützen. 

Arbei'osohale und Deckkipp« bestehen aus Oolomi*. einer unverbrenn- 
liohen, leicht erhitzbaren, hitzebest&ndigen, kohlehaltigen Masse, die Asbest oder 
Holzkohle vollkommen ersetzt und die dieselben Eigenschaften besitzt wie letztere. 

Duoio des Apparates in bester Ausführung mit Deckkappe, 


rrCIo Z wei Culomit-Arbeitsschalen und Spezialbrenner . . K 30.— 

Colomitscliale extra . . r . . 4.— 

Colomitdeckkohle extra.„ 3.50 


NB. Separate Ausführung ohne Bunsenbrenner für Arbeiten nur mit 
Spiritusflamme K 20.— komplett. 


— XXXV 


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Jilil 


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Wilsons 

Lokal-Anästhetikum. 


Zu beziehen durch: 


WEISS & SCHWARZ, Dental-Depot, Wien, I. Petersplatz 7. 


— XXXVI — 


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Dr. J. 0. Wilsons 

Lokal - Anästhetikum 


zur schmerzlosen Zahnextraktion und Vornahme 
kleinerer Operationen wirkt 

absolut sicher - -- 

sofort nach der Injektion - 
ohne üble Nachwirkung - - 

ist also ein ideales, unübertreffliches Lokal-An¬ 
ästhetikum, was auch der jährlich zunehmende 
Konsum in beiden Hemisphären beweist. 

PREIS: 

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2 Unzen. . . „ 7 90 12 „ . . „ 39.20 

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Filiale: Dr. P. H. Chevallier, Paris, 3, Passage Violet. 













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Dr. H. H. Gantz’ 

zerlegbarer AbdrncklOffel 

== für Kronen- und Brückenarbeiten. zzzz 



Ohne Rücksicht auf die Stellung der Zähne und aller unter sich 
gehenden Stellen, kann man mit diesem Löffel (ftnen korrekten Abdruck 
mit Gips oder einem anderen Material nehmen, nach dessen Erhärtung 
der Abdruck bequem aus dem Munde entfernt werden kann. 

Der Löffel besteht aus zwei Teilen, die durch eine Handhabe 
zus&mmengehalten werden. Wenn das Abdruckmaterial hart geworden 
ist, entfernt man den Griff und spaltet die beiden Löffelteile mit der 
Abdruckmasse auseinander, so dass die beiden Abdruckhälften von 
den vorderen und rückwärtigen Flächen der Zähne mit Leichtigkeit 
abgenommen werden können. Man fügt beide Teile wieder zusammen, 
fixiert sie mit der Handhabe und kann das Modell ausgiessen. 

Dieser Löffel kann für den Ober- oder Unterkiefer frontal oder 
bttccal verwendet werden. 

Preis per Stück K 3.90. , 


XXXVII 


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Rönas 


„TRILBI“ 


Von den hervorragendsten Fach-Autori¬ 
täten Europas und Amerikas als beste 
und verlässlichste» Abdruckmasse der 
Welt anerkannt. 



Uebevtriffi Grips. 


Abgesehen von dem naturgetreuen Abdruck, den man erhält, kann 
mit „Trilbi M -Abdruckmasse fast kalt Abdruck genommen werden, was 
jeder Fachmann gewiss mit Freuden begrüssen wird. 
„Trilbi u -jAbdruckmasse kann nach vorheriger Desinfektion zu wieder¬ 
holten Malen gebraucht werden, ohne an Vorzüglichkeit Einbusse 

zu erleiden., 

Zn haben bei sämtlichen, Dental - Depots der Welt. 

Stets am Lager bei 

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Zur Vermeidung von Irrtflmern 
und Täuschungen 

trägt jedes Paket meiner Eingetr Schntzmarke 
Plombe, ausserdem von 
der Kupferamalgam- 
Plombe jedes einzelne / 
Stückchen, die neben- 
stehende 

Sch utzmar ke. Lippolds Plombe. 

Hof-Zahnarzt 

HBQO LIPPOLB 

Rostock. 








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sprecliando Fabrikate. 

A Goldfolien, Goldcylinder, 
Goldpellets. 

B. Universal-Goldcy linder, 

„ Goldrollen, 

„ Goldpellets. 


A. Vulkanitfolien (Folien 
zum Belegen von Kaut¬ 
schukplatten). 

B. Goldfolien, Platinfolien, 
Platingoldfolie zum Ab¬ 
drucknehmen. 

C. Platingoldfol. f. Kronen- 
und Brückenarbeiten. 

D. Goldbleche u. Goldlote. 

Piatingoldblaeli 1 und 2. 


C. Zinngoldrollen. II Piatingoldblaeli 1 und 2. 

ferner Amalgame, Silber- und Zinnfolien, Kilfsinstrumente 
für Soldfüllungen, Kronen- und Brückenarbeiten etc. etc. 

Methoden und Neuerungen auf dem Gebiete der Zahn- 
---- heilkunde von Wilhelm Herbst. - — 


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Naturgetreues Aussehen und Mannig 


faltigkeit in Farbe || 



sind Eigenschaften, die unsere Lochzähne in hervor¬ 
ragendem Masse besitzen. Natürlichen Zähnen 
nachgebildet, ergeben damit hergestellte Gebisse 
die glücklichsten Resultate, zumal die Farben von 
ungewöhnlicher Zartheit sind. Die Transparenz 
der Zähne ist perfekt, ihre Stärke von keinem 
anderen Fabrikat übertroffen, ihre Vollendung in 
jeder Weise künstlerisch. 

Die Art und Weise ihrer Befestigung macht 
es unmöglich, dass sich die Zähne vom Kautschuk 
loslösen. Die Sicherung wird dadurch erreicht, 
dass jeder Zahn mit einem vertikal und einem 
horizontal laufenden Loche versehen ist; der in 
beide eindringende Kautschuk bildet eine kreuz¬ 
förmige Verankerung, die ein Ausbrechen des 
Zahnes ausschliesst. 

In Bezug auf Qualität etc. sind die Loch¬ 
zähne unseren wohlbekannten Stiftzähnen voll¬ 
kommen ebenbürtig. 

Erhältlich in jedem Dental-Depot. 


The Dental Manufacturing Co., Ltd. 

London W., 6—10 Lexington Street. 

= Manchester, Glasgow, Dublin. = 


XLIII 


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Zahnärztliches Kontobuch. 


Dieses Kontobuch ist ausserordentlich praktisch ein¬ 
gerichtet. Jede Seite zeigt die beiden Zahnreihen zweimal 
(frontal, buccal und lingual, resp. palatinal). Die Füllungen 
werden durch fortlaufende Zahlen bezeichnet, welche genau 
an jene Stelle gesetzt werden, wo sie am Zahne gelegt wurden 
(frontal, distal, mesial, cervical etc.); derselben Zahl im Konto 
wird nur das verwendete Material (Gold, Amalgam etc.) bei¬ 
gefugt. Ebenso verfährt man bei Kronen und Kunstzähnen etc. 
Die untenstehende Reproduktion gilt als Beispiel und zeigt die 
halbe natürliche Grösse. 


cName: 







Monat 

Tag I Nr. 

Behandlung 

$oll 



/'! 

1? z, 

♦ 

**Wf 

V 


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/0 

3/p 

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/06 


Preis eines Kontobuches mit Indei, in Leinwand gebunden, anf starken 
Papier, rot und blau lindert,, mit schwarzem Eindruck, enthaltend 
300 Seiten K 0.—, 500 Seiten K 15.—. 

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abgebildete Etui 
enthält in grosser 
Zahl, ausreichend 
für zirka 20 und 
mehr Regulier Appa¬ 
rate, alle diejenigen 
Bedarfsartikel, 
welche zur Anferti¬ 
gung von Rieht- 
maschinen erforder¬ 
lich sind. 


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II. Auflage 
mit 215 Illustrationen 

zeigt Ihnen den 
Weg, wie Sie regu¬ 
lieren müssen, um 
mit Hilfe der Be¬ 
darfsartikel schnell 
zum Ziele zu ge¬ 
langen und den er¬ 
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renin etc., sowie alle erprobten, lür die zahnärzt¬ 
liche Praxis bezughabenden Präparate und Speziali¬ 
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Wurzelffillungen, alle Arten Anästhetika etc. 


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ärztlicher Seite zu stellenden Anforderungen in voll¬ 
kommenster Weise. 

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ist vSllig ungiftig und unschädlich, 
greift die Zähne nicht an, n . 
wirkt stark desinfizierend, □ □ □ 
sowie in hohem Grade desodorierend. 

Die durch Sauerstoffabspaltung erzeugte starke Schaum- 
enUvickelung ermöglicht eine durch keine andere Mass¬ 
nahme zu erreichende gründliche mechanische Reinigung 
der Mundhöhle. 

In Orlginalflaschen mit Aluminium-Messgefäss 
Literatur zu Diensten. — 

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F*0( IKIQ 

JUL28 193 ] 


UNiv. Of 

UBRARY 







F*Ol IMD 

JÜL28 19 31 

UNIV. Ot oiiCH. 

UBRARY 





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