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Dental Library
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XXIII. Jahrgang.
1907.
Heit IV.
Oesterreichisch-ungarische
7iert elj ahr s sehr ift
für i
Zahnheilkunde.
- --
Herausgegeben unter ständiger Mitwirkung der Herren:
Prof. Dr. J. v. Arkövy, Budapest — Dr. S. Bauer, Budapest — Prof. Dr.
H. Bönnecken, Prag — Dr. W. Bruck, Breslau — Dr. R. Bum, Wien
— Doz. Dr. L. Hattyasy, Budapest — Prof. Dr. C. Jung, Berlin —
Dr. T. Kaas, Krems — Dr. M. Karolyi, Wien — Dr. R. Kronfeld,
Wien — Dr. J. Lartsckneider, Linz — Doz. Dr. R. Loos, Wien —
Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck — Dr. A. Oppenheim, Biünn —
Dr. G. Pr ei s werk, Basel — Prof. Dr. G. Port, Heidelberg — Doz. Dr.
C. Rose, Dresden — Doz. Dr. A. Rotkmann, Budapest — Prof Dr.
W. Sachs, Berlin — Prof. Dr. J. Scheff, Wien — Dr. F. Schenk, Wien
— Dr. E. Smreker, Wien — Dr. B. Spitzer, Wien — Doz. Dr. J. Szabö,
Budapest — Dr. F. Tänzer, Triest — Prof. Dr. F. Trauner, Graz — Doz.
Dr. W. Vajna, Budapest — Prof. Dr. 0. Walkhoff, München — Dr.
W. Wallisch, Wien — Doz. Dr. R Weiser, Wien — Doz. Dr.
G. v. Wunschheim, Wien
von
JULIUS WEISS
Wien, I. Bez., Petersplatz Nr 7.
Abonnement per Jahr:
Für Oesterreich-Ungarn K 6.-, für Deutschland; Mk. 6.—
inklusive portofreier Zusendung.
Im Buchhandel zu beziehen durch die
W a.l3.i»3^.a.-a.sser’ec3a.e 3s. -u. 3s. Hoftonc3a.3a.a.xicUia.rig-
Adolph W. Künast
Wien, I. Hoher Markt Nr. l.
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Inhalts - Verzeichnis,
A. Original-Arbeiten.
Seite
An der Lan , Othmar v., Dr., Assistent an der zahnärztlichen Ab¬
teilung der allgemeinen Poliklinik in Wien. Die Anwendung
des elektrischen Stromes zur Diagnose verschiedener Pulpa¬
erkrankungen .194
Äyräpää Matti, Professor in Helsingfors. Ueber prothetische Be¬
handlung der Nasendeformitäten.617
Baumgartner Erich, Dr., Zahnarzt in Graz. Notizen aus der Praxis 893
Mc Bride R . JD,, D. D. S., Zahnarzt in Dresden. Die Orthodontie
in ihrer praktischen Verwertung .......... 219
Beyendorf Th., Dr., Privatdozent in Jena. Die Unterzahl der Zähne
im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung.68
Bobrzyniecki Arpdd R. v., Dr., k. u. k. Regimentsarzt in Wien.
Stomatika.435
Fischer Guido, Dr., Privatdozent in Greifswald. Die Retention
gebrannter Porzellanfüllungen.421
Fleischmann Leo , Dr., Zahnarzt in Wien. Das transparente Dentin.
Ein Beitrag zur pathologischen Histologie des Dentins 30
Frey Viktor, Dr., Zahnarzt in Wien. Erwiderung auf Dr. Guido
Fischers Artikel: Die Retention gebrannter Porzellan¬
füllungen .483
Hasse G., Zahnarzt in Coblenz. Ueher die Beziehungen zwischen
der Kristallgestalt und den Formveränderungen der Zahn¬
amalgame .603
Uawley C. A., D. D. S., Professor in Columhus (Ohio). Eine genaue
Methode in der Orthodontie.278
Jung , Dr., Professor in Berlin. Stomatitis sympathica .... 489
KüOca Max, Dr., Zahnarzt in Teschen. Ueber die wichtigsten
mechanischen und einige chemische Eigenschaften der
Silikat- und Zinkphosphatzemente.568
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IV
Seite
Lartschneider Josef, Dr., Zahnarzt in Linz a. D. Studien über
die pathologische Anatomie und Therapie der Wurzel¬
erkrankungen mit Berücksichtigung der Trikresol-For¬
malinbehandlung .146
— Beiträge zur Anatomie und Chirurgie der von den oberen
Frontzähnen ausgehenden Kiefererkrankungen.345
— Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllungen . . 405
Mayrhofer Bernhard, Dr., Professor in Innsbruck. I. Die dentale
Augenwinkelfistel. II. Heilung einer dentalen Augenwinkel¬
fistel ohne Extraktion durch Wurzelresektion mit Jodoform-
Knochenplombe . 6
Mrdcek Leopold, Dr., Zahnarzt in Kremsier (Mähren). Ein neuer,
sehr leicht ausführbarer und billiger Ersatz für ab¬
gesprungene Zähne an festsitzenden Brücken.462
Müller Adolf, Dr., Zahnarzt in Wien. Beitrag zur antiseptischen
Wurzelbehandlung.218
Pichler Hans , Dr., Zahnarzt in Wien. Zwei neue Instrumente zum
Finieren von Füllungen.. . . 379
Preiswerk Paul, Dr. in Basel. Beiträge zur Kasuistik und Therapie
der Kieferbrüche.444
Scheff Julius, Dr., Professor in Wien. Beseitigung der Schwierig¬
keiten beim Aufsuchen der Molar Wurzelkanäle. 1
Schneider Albrecht , Chemiker in Hamburg. Das Poröswerden des
Zahnkautschuks.89
Schreier Philipp, Dr., Zahnarzt in Brünn. Zur Behandlung der
Pulpagangrän mit Trikresol-Formalin. 56
Spitzer Bertold, Dr., Assistent am k. k. zahnärztlichen Universitäts-
Institut. Ueber eine höchst seltene, eigentümliche Affektion
des Zahnfleisches.20
— Beiträge zur Resektionsprothese.493
Tänzer Ferdinand, Dr., Zahnarzt in Triest. Zur Behandlung der
Wurzelhautentzündung.459
Urhantschitsch Eduard, Dr., Assistent am k. k. zahnärztlichen
Universitäts-Institut in Graz. Die Rachitis und ihr Ein¬
fluss auf das Milchgebiss.529
Wallisch Wühelm, Dr., Zahnarzt in Wien. Ein naturgetreuer
Artikulator.369
Wiessner V., Dr. in Freiwaldau. Die Mitleidenschaft der Knochen-
und Zahnsubstanz bei allgemeinen Ernährungsstörungen 604
Wu/nschheim G. v., Dr., Privatdozent, Vorstand der zahnärztlichen
Abteilung det Allgemeinen Poliklinik in Wien. Zi*r Frage
der Gaumenobturatoren.. . . . 141
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V
B. Berichte aus Instituten und Vereinen.
Seite
K. k. zahnärztliches Universitäts-Institut (Prof. SchefF) in Wien.
Bericht, erstattet von Dr. Bruno Klein, I. Demonstrator
daselbst.. 94, 665
Zentral verband der österreichischen Stomatologen .... 102, 675
Verein Wiener Zahnärzte ..101
Associazione stomatologica Triestina.103, 304, 464
Zahnärztliche Klinik der königl. Universität (Prof. v. Arkövy) in
Budapest. Jahresbericht, erstattet von Dr. Josef Sturm,
Assistent daselbst. 104
Stomatologischer Lehrstuhl — Stomatologische Klinik (Budapest) 106
XVI. Internationaler medizinischer Kongress 1909 in Budapest. 805
79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Dresden,
1907. 806, 465
Dr. Sandbloms Kurs in Berlin. Bericht, erstattet von Dr. Ferdinand
Tänzer in Triest.677
Schweizerische Odontologische Gesellschaft. XXII. Jahresver¬
sammlung, Luzern, 1907 (Programm).308
I. französischer Kongress für Stomatologie. 1. bis 5. August 1907 310
— Eindrücke mit besonderer Berücksichtigung der zahnärzt¬
lichen Ausstellung. Von Dr. Julius Haas in Bielitz . . 679
C. Referate und Journalschau.
Aethylchloridnarkose, Todesfall..322
Anästhesie durch destilliertes Wafeser . .321
Aspirationstechnik, ihre Verwendung in der Zahnheilkunde . . 110
Aufklappung der Schleimhautbedeckung der Kiefer ..... 476
Augen der Zahnärzte.313
Bicuspidaten, deren Behandlung.473
Brückenpfeiler, sollen als solche dienende gesunde Zähne devi-
talisiert werden?.314
Degenerationszeichen, Beiträge zur Lehre derselben.112
Druckanästhesie des Zahnbeines .684
Elektrosterilisation putrider Wurzeln, Wirkung und Nebenwirkung
des Stromes.689
Empfindliches Zahnbein, mit besonderer Berücksichtigung des
Druckverfahrens.319
Frommes österr. Medizinal-Kalender.695
Goldeinlagen. 115, 126, 471, 694
Goldfüllungen in unmittelbarer Nähe lebender Pulpa und die
Einlage eines neuen Nichtleiters, der gleichzeitig als Hafk¬
mittel dient.126
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VI
Seite
Goldfüllungen in Kinderzähnen.B16
Injektionsanästliesie.692
Karzinome der Mundschleimhaut.123
Kieferklemme, ein Fall von schwerer, narbiger.470
Kiefer nekrosen.116
Kontinuitätsresektionen des Unterkiefers und deren protbetische
Behandlung.470
Künstliche Gebisse in der Speiseröhre und ihre Entfernung . . 469
Ligaturen in der Orthodontie.317
Maxillotomie und Wurzelresektion.122
Mundhälfte, linke, Eigentümlichkeiten derselben.689
Neuralgie ........ .690
Parotitis, postoperative.468
Porzellanarbeit, Betrachtungen über die Fortschritte.693
Porzellanfüllungen, eine neue Verankerungsmethode.120
Porzellanfüllungen, schwierige.691
Quecksilbervergiftung nach einer Zahnfüllung. 692
Rhinoüth infolge Retention des Caninus ..475
Silikatzemente.475
Soldaten, ihre Zähne.322
Speichel, dessen Verhalten gegenüber Bakterien.320
Stellungs- und Bildungsanomalien durch Röntgenaufnahmen
sichergestellt.111
Stomatitis, existiert eine solche durch Kautschukprothesen hervor¬
gerufen? .688
Technik, Lehrbuch (Prof. J u n g) .468
Zahnerkrankungen bei Milchdiät.113
Zahnformel der platyrrhinen und katarrhinen Primaten . . . 324
Zahnpulpa, deren konstruktive Erkrankung.686
Zahnpulver und Lippenekzem. 113
Zweite Dentition vom Standpunkte der Medizin.127
D. Varia.
Berlin: Auszeichnung .. 330, 706
Ernennung.830
Todesfall.478
Breslau: Auszeichnung.330
Brüssel: Ehrenmitgliedschaft.130
Dresden: Uebersiedlung.706
Graz: Professur.705
Greifswald: Berufung. 330
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Seite
Heidelberg: Auszeichnung.880
Dozentur.706
Jena: Dozentur.706
Leipzig: Auszeichnung.706
München: Auszeichnung.330
Münster: Berufung. 380
Paris: Ehrenmitgliedschaft.380
Ehrenmitgliedschaft.478
Rostock: Dozentur . ;.706
Wien: K. k. zahnärztl. Universitäts-Institut. Nachricht .... 704
Zahnärztl. Abteilung der allgemeinen Poliklinik. Nachricht 704
Preisausschreiben.812
Nekrologe: Prof. Anton Bleichsteiner.828
Geo Forssmann.129
Willoughby Dayton Miller f.696
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Mechitharisten-Buchdruckerei, Wien, VII.
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XXIII. Jahrgang.
Jänner 1907.
Heft I.
J M Ö
i-M-3 /
,jf
Oesterreichisch-ungarische
Yierteljahrsschrift flir Z
abDbeilkande.
Herausgegeben von
JULIUS WEISS, Wien, I. Petersplatz 7
unter ständiger Mitwirkung der Herren:
? of ; S r ‘ i ^ rköy y* Budapest - Dr. S. Bauer, Budapest - Prof. Dr. A. Bieichsteiner, Graz -
Prof Dr. H. Bönnecken, Prag —Dr.W. Bruck, Breslau — Dr.R. Bum,Wien — Doz. Dr.L. Hattyasv
Budapest — Prof. Dr. C. Jung, Berlin — Dr. T. Kaas, Krems — Dr. M. Karolyi, Wien - Dr. R.
ponfeld, Wien — Doz. Dr. R. Loos, Wien — Dr. J. Mädzsar, Budapest — Prof. Dr. B. Mayr¬
hofer, Innsbruck — Prof. Dr. W. D. Miller, Berlin — Dr. G. Preiswerk, Basel — Prof. Dr. G. Port
H e idelberg — Doz. Dr. C. Rose, Dresden — Doz. Dr. A. Roth mann, Budapest — Prof Dr*
W. Sachs, Berlin — Prof. Dr. J. Scheff, Wien — Dr. F. Schenk, Wien - Dr. E. Smreker, Wien
— 5 r ‘ B * S P itzer * Wien - Doz. Dr. J. Szabö, Budapest - Dr. F. Tänzer, Triest —
Dr \f* I rauner ! Wien ~ Doz - Dr * w - Vajna, Budapest — Prof. Dr. 0. Walkhoff, München
Dr. W. Wallisch, Wien — Doz. Dr. R. Weiser, Wien — Doz. Dr. G. v. Wunschheim, Wien.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Beseitipi 1er ScMerigteiten beim Anfencbeo 1er
Molarmelkanäle.
(Aus dem k. k. zahnärztlichen Universitäts-
Institute in Wien.)
Von Prof. Dr. Julius Scheff ', Vorstand desselben.
Darüber dürften wohl alle Zahnärzte einig sein, dass das
Aufsuchen der buccalen Wurzelkanäle oberer und des mesialen
Kanals unterer Molaren manchmal nicht nur umständlich und
zeitraubend, in vielen Fällen mitunter unmöglich wird, einerseits
weil der Zugang zumeist beschwerlich, besonders aber weil die
Lichtverhältnisse des Operationsfeldes in der Regel ungenügende
sind. Von jenen Fällen, bei welchen die Eingangsöffnung der
Kanäle verengt ist, sei hier abgesehen, weil deren Behandlung
unter gewöhnlichen Verhältnissen einen sicheren Erfolg kaum
erwarten lässt.
oj Jeder Zahnarzt, der eine Wurzelbehandlung zu einem
befriedigenden Abschluss zu bringen beabsichtigt, ob er damit
bloss für eine gewisse Zeit oder in den vorwiegendsten Fällen
einen Dauererfolg erzielen will, muss zugeben, dass derselbe
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2
Prof. Dr. Julius Schelf, Wien.
bei den Molaren ab und zu scheitern kann, wenn nämlich,
wie das mitunter vorkommt, deren Wurzelkanäle weder
operativ noch medikamentös einer entsprechenden Behandlung
zugänglich sind. Wir wollen hiebei auch jener Fälle gedenken,
bei welchen infolge der Lage und Stellung der Wurzeln der
Eingang ihrer Kanäle kaum auffindbar ist, wodurch sie in
bezug auf ihre Entleerung sowohl wie auch hinsichtlich ihrer
aseptischen und antiseptischen Behandlung unüberwindliche
Schwierigkeiten setzen. Diese Schwierigkeiten zu überwinden
liegt nicht immer im Bereiche der Möglichkeit, denn bei den
vielfachen Knickungen — winkelige Abbiegung der Wurzel¬
spitze — ist die vollständige Entleerung des Wurzelinhaltes
kaum auszuführen. Wenn auch in den letzten Jahren die
verschiedenartigsten Medikamente zur Sterilisierung zurück¬
gebliebener zerfallener Pulpenreste empfohlen wurden, wodurch
mitunter vorzügliche Erfolge erzielt werden, so bleibt doch die
einzig richtige und beinahe niemals versagende Methode die,
den Wurzelkanal vollständig entleert zu haben.
Nur in einem solchen Falle ist vollkommene Gewähr für
den sicheren Erfolg einer Wurzelbehandlung gegeben, gleich¬
viel ob es sich um die Entfernung einer lebenden vorher ab¬
getöteten oder um eine gangränöse Pulpa handelt. Es ist
wenigstens nach meiner Erfahrung kaum zweifellos, dass sich
eine lebende Pulpa nach ihrer Abfötung für die weitere Be¬
handlung besser eignet als eine partielle oder totale Gangrän.
Wie immer die Verhältnisse liegen mögen, von welcher
Art die einzuleitende Behandlung ist, stets wird ein voll¬
kommener Zugang zu den Wurzelkanälen als die erste und
wichtigste Bedingung anzusehen sein. Einen solchen aber in
geeigneter Weise herzustellen, ist mit der bis jetzt geübten
Art nicht leicht möglich.
Es wäre nicht ausgeschlossen, dass manche Kollegen die
gleiche Methode anwenden. Die Wege sind eben verschieden,
die zum Ziele führen, der meinige höchst einfach, vielleicht von
vielen, durch die Not gezwungen, benützt worden. Das ändert
nicht, dass ich damit vor die Oeffentlichkeit trete. Dies wird
dadurch in erster Linie gerechtfertigt, dass auf meiner Klinik
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Beseitigung der Schwierigkeiten beim Aufsuchen der Molarwurzelkanäle. 3
eine sehr grosse Zahl von Wurzelbehandlungen, unter welchen
sich viele Molaren des Ober- und Unterkiefers befinden, zur
Ausführung kommen, wobei ich die Bemerkung machen konnte,
dass sich namentlich dem Anfänger beim Aufsuchen der Molar¬
wurzelkanäle grosse Schwierigkeiten entgegenstellen. Ich liess
die Freilegung der Wurzelkanäle in der verschiedenartigsten
Weise vornehmen und kam schliesslich zu der Ueberzeugung,
dass mein Verfahren infolge seiner Einfachheit die Möglichkeit
bietet, leichter und besser als bisher arbeiten zu können. Ohne
mich weiter auf eine Prüfung der verschiedenen Hindernisse
einzulassen, denen die Unzulänglichkeit der bisherigen Be¬
handlungsart zugeschrieben werden muss, will ich, um die
Sache zu vereinfachen, direkt aufs Ziel losgehen, wobei ich vor¬
ausschicke, dass wir die oberen Molaren von den gleich¬
namigen Antagonisten getrennt vornehmen werden.
Eine für alle Fälle einheitliche Behandlung lässt sich
schon deshalb nicht angeben, weil kein Fall dem anderen
gleicht und es ja bekannt ist, dass die Nützlichkeit für den
einen Fall häufig die Unzulänglichkeit für den anderen ergibt.
Eines jedoch lässt sich nicht in Abrede stellen, dass nämlich
die Innenfläche der buccalen Wand oberer Molaren im Ver¬
hältnis zur gegenüberstehenden palatinalen nicht ganz senk¬
recht aufsteigt. Innerhalb der ersteren liegen aber die Eingangs¬
öffnungen der buccalen Wurzelkanäle, die infolge ihrer ver¬
steckten Lage auch noch in die denkbar ungünstigste Be¬
leuchtung gerückt sind. Die buccale Wand ist es hauptsächlich,
die demnach die Auffindung der Kanäle erschwert, ja ab und
zu unmöglich macht.
Es liegt somit auf der Hand, dass durch den Wegfall
der buccalen Wand die Verhältnisse nach jeder Richtung ge¬
änderte und verbesserte werden müssen. Sind wir dergestalt
imstande, die Eingänge zu den Wurzelkanälen sicher zu stellen,
so ist auch für uns die Richtung gegeben, in welcher wir uns
im weiteren Verlaufe der Behandlung zu bewegen haben. Da¬
bei besteht nicht die Absicht, Vorschläge über Wurzelbehandlung
oder neue Methoden anzugeben, wie dieselbe am besten aus¬
zuführen wäre, da jeder der Meinung ist, dass nur die von
l*
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4
Prof. Dr. Julias Scheff, Wien.
ihm geübte die richtige sei und auch am sichersten den Erfolg
verbürge.
Ich erinnere mich dabei unwillkürlich eines Gespräches
mit einem auswärtigen Kollegen anlässlich seines Besuches
meiner Klinik. Er äusserte nämlich sein Erstaunen über die
Genauigkeit, mit der die Wurzelbehandlung von meinen
Schülern vorgenommen werde und bemerkte, dass er viel ein¬
facher vorgehe. Er hätte niemals einen Misserfolg gehabt*
trotzdem er viele Tausende (!!) in dieser Weise schon behandelt
habe. Seine Behandlung war in der Tat die denkbar einfachste.
Vorher Arsen, am nächsten Tag Aufbohrung des Kanals, Am¬
putation eines Teiles der Pulpa mit einem geeigneten Bohrer
und sofortige Füllung mit dem hiefür entsprechenden Material.
Also Witzei in zweiter aber schlechterer Auflage ohne dessen
Geist und Verstand. Ultra posse nemo obligatur.
Fig. 1.
In Fig. 1 ist ein Molar des Oberkiefers aufgenommen. Es
ist ganz irrelevant, ob derselbe der rechten oder linken Seite
angehört. Die 'Kavität erstreckt sich von der mesialen
Seite auf die Kaufläche, die Pulpa blosslegend. Nach Auf¬
bohrung des Pulpakavums — vorausgegangene Arseneinlage
oder Adrenalin-Injektion — erweist sich der palatinale Wurzel¬
kanal leicht zugänglich, dessen Entleerung bekanntlich kaum je
Schwierigkeiten verursacht. Um nun auch die buccalen Kanäle
ausfindig zu machen, müsste in erster Linie von deren innerer
Zahnwand ziemlich viel weggebohrt werden, was aber nicht immer
den erstrebten Erfolg bringt, schon deshalb nicht, weil dadurch
die Licht Verhältnisse der Kavität womöglich schlechtere werden.
Gelingt dies trotzdem, so können wir nur bei richtiger Hand¬
habung des Mundspiegels und unter fortwährender Benützung des-
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Beseitigung der Schwierigkeiten beim Aufsueben der Molarwurzelkanäle. 5
selben — ein immerhin nicht angenehmes Hindernis zur freien Be¬
tätigung — die beiden Eingang* Öffnungen eruieren. In den meisten
Fällen werden wir aber trotz dieser Beihilfe nur schwer zum
Ziele kommen und deshalb halte ich es für richtiger, schon vor
Beginn der Wurzelbehandlung die Beseitigung der buc-
calen Wand teilweise oder, wenn no t wendig, voll¬
ständig vorzunehmen (Fig. 2). Eine eingehendere Beschreibung
Fig. 2.
p palatinaler, bm buccal-mesialer, bd buccal-distaler Wurzelkanal.
bis zum Abschluss der Behandlung erachte ich für überflüssig,
denn jeder weiss, wie er vorzugehen hat, wenn die Wurzel¬
kanäle in ihrem Eingang freigelegt sind. In jedem Falle kann
man bei der Abtragung der buccalen Wand in ihrer Höhe
zumeist soviel zurücklassen, dass die Retention der am Schluss
vorzunehmenden Füllung gesichert bleibt.
Der Vorgang ändert sich nicht, wenn die kariöse Zerstörung
von einer anderen als der vorhin angeführten Fläche ausgeht.
Fig. 3.
Bei unteren Molaren (Fig. 3) ist das Verfahren meines
Erachtens einfacher, da wir beim Aufsuchen der Kanäle bloss
jenen Teil der buccalen Wand zu entfernen haben, der das
Operationsfeld nach der mesialen Seite beschattet. Manchmal
ist, obgleich selten, die Abtragung überflüssig, namentlich wenn
der mesiale Wurzelkanal von vorne aus leicht zugänglich, respek¬
tive entsprechend beleuchtet ist. Aber auch unter günstiger Be¬
leuchtung ist es leichter, nach Wegnahme der vorderen äusseren
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6 Prof. Dr. J. Scheff, Wieu. Beseitigung der Schwierigkeiten etc.
buccalen Wand den mesialen Kanal zu erreichen, insbesondere
wenn er zweiEingangsöönungen aufweist (Fig. 4). Der Ersatz der
verloren gegangenen Aussenfläche mit dem entsprechenden
Füllmaterial macht gewiss keine Schwierigkeiten, denn sowohl
m
Fig 4.
m medialer, d distaler Wurzelkanal.
die palatinale wie auch die distale Wand können in ihrer ur¬
sprünglichen Stärke erhalten bleiben und bieten in Verbindung
mit den Wurzelkanälen hinreichend Retention.
Es ist selbstverständlich, dass die ganze Manipulation
unter Rotterdam ausgeführt werden soll.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
L Die Male AapmMIM.
II. Heilen euer dentalen Aueniitelltiel ohne Eitrattion
M Warzelresektion mit Jodifori-Kiochenplaih e.
Von Prof. Dr. B. Mayrhofer in Innsbruck.
I.
Gleich den dentalen Kinnfisteln nehmen auch die von
den Zähnen ausgehenden, in der Nähe des inneren Augen¬
winkels mündenden Fisteln, die dentalen Augenwinkel¬
fisteln, wie wir sie kurz nennen wollen, eine besondere
Stellung unter den Zahnfisteln ein. Sie verdanken dieselbe der
Möglichkeit, sie manchmal mit Tränensackfisteln zu verwechseln.
Sind schon Zahnfisteln im Oberkiefer im allgemeinen minder
häufig als im Unterkiefer, so stellen begreiflicherweise die
Augenwinkelfisteln ein um so selteneres Vorkommnis dar. Dem-
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Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck. Die dentale Augenwinkelfistel.
7
entsprechend ist die Zahl der in der Literatur niedergelegten
einschlägigen Fälle keine grosse. *
1. bis 5. Fall. Parinaud berichtet über zwei Fisteln
am unteren Orbitalrand bei Kindern von 5 bis 6 Jahren und
zwei Fisteln in der Tränensackgegend bei Erwachsenen (1), ferner
über einen 5. Fall bei einem 7jährigen Knaben, wo die
Fistel vom linken Caninus ausging (2).
6. Fall. Sewill beobachtete bei einem 10jährigen
Knaben am rechten inneren Canthus eine Fistel, die vom
entsprechenden Eckzahn ihren Ausgang genommen hatte (3).
7. bis 9. Fall. Sch eff teilt einen ähnlichen Fall mit (4)
und erwähnt zwei weitere eigene Fälle in seinem Lehrbuche,
deren einer vom ersten Molaris ausging (5).
10. und 11. Fall. Schmidt sah zwei Fälle, einen bei
einem 12jährigen Mädchen, der von einem zweiten (!) Molaris
ausging, einen anderen vom Eckzahn verursachten bei einem
50 jährigen Manne, der später am gleichseitigen Auge er¬
blindete (6).
12. Fall. Sauer konnte den Zusammenhang einer
Augenwinkelfistel mit dem linken ersten Molaris nachweisen (7).
13. und 14. Fall. Gasper publizierte zwei hieher ge¬
hörende Fälle; der eine betraf einen Erwachsenen mit Ausgang
der Fistel vom ersten oberen Molaris, der andere ein 16 Monate
altes Kind, Ausgang vom oberen grossen Schneidezahne (8).
15. Fall. Ziem beschreibt ausführlich einen Fall von
dentalem Antrumempyem, welches im Bereiche des unteren
Augenlides in dessen medianer Hälfte nahe dem inneren Augen¬
winkel durchgebrochen war (9).
16. Fall. Sch eff hatte Gelegenheit, eine unterhalb des
linken inneren Augenwinkels etablierte Fistel zu heilen, indem
er die nach Extraktionsfraktur zurückgebliebene Wurzelspitze
des Eckzahnes entfernte (10).
17. und 18. Fall. Im Jahresberichte des Wiener zahn¬
ärztlichen Institutes 1902/03 und 1903,04, erstattet von
* Da eine Vervollständigung der Kasuistik wünschenswert wäre, er¬
laube ich mir, die Herren Kollegen um publizistische oder private Mitteilung
etwa beobachteter Fälle zu bitten.
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8
Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck.
B. Spitzer, sind zwei ganz gleichartige Fälle, frakturierten
Eckzahn rechts, beziehungsweise links betreffend, enthalten (11).
Zu diesen in der Literatur verzeichneten Fällen bin ich
in der Lage, sechs Fälle aus dem Allgemeinen Krankenhause
in Linz (Prim. Dr. A. Brenner) und drei eigene Beobach¬
tungen hinzuzufugen.
19. Fall. Franziska R., 19 Jahre. Seit zirka 1'/* Jahren
Fistel unter dem rechten Orbitalrande. Mit der Sonde gelangt
man, nach abwärts und hinten vordringend, in der Tiefe von
3 Cm. auf eine Rauhigkeit. An Stelle des 6| nur Reste der
Wurzeln vorhanden, deren vordere durch kurze Stösse der
von oben durch die Fistel eingeführten Sonde bewegt werden
kann. Extraktion der Wurzeln, Auskratzung der Alveole. Heilung.
20. Fall. Johann R., 30 Jahre. In der Gregend des linken
inneren Augenwinkels ein walnussgrosser, fluktuierender
Tumor, der nach Zahnschmerzen vor 14 Tagen entstanden
ist. Vor 8 Tagen bildete sich im Vestibulum oris über dem
linken Eckzahn eine stinkenden Eiter entleerende Fistel. Die
Sonde dringt durch diese Fistel nach aufwärts in den
fluktuierenden Tumor vor, der am Tage nach der Aufnahme
spontan im Augenwinkel auf brach, wobei sich massenhaft
Eiter entleerte. Unter feuchtem Verbände gingen die akuten
Erscheinungen rasch zurück. Operativer Eingriff verweigert.
21. Fall. Johann K., 32 Jahre. Fistel 1 Cm. unter dem
linken inneren Augenwinkel, seit V* Jahre bestehend, wobei
sie sich wiederholt — im ganzen sechsmal — spontan schloss
und wieder aufbrach. Von den beiden linksseitigen oberen
Schneidezähnen sind nur mehr die kariösen Wurzeln vorhanden.
Extraktion derselben, Auskratzung der Fistel, Heilung.
22. Fall. Anna M., 20 Jahre. Nachdem sich Patientin in
einer rechten oberen Schneidezahnwurzel mit einer beinernen
Nadel herumgestochert hatte, bekam sie tags darauf eine
Schwellung der rechten Wange, welche bald zurückging, später
wieder auftrat, nach einer Inzision am Alveolarfortsatze sich
wieder mehr verlor, dann sich aber unter Schmerzen neuer¬
dings einstellte, so dass von aussen nahe dem rechten Augen¬
winkel eine Inzision gemacht werden musste, wobei sich viel
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Die dentale Augenwinkelfistel.
9
Eiter entleerte Die Inzisionswunde schloss sich nicht, auch die
Schwellung blieb bestehen. Extraktion, Exkochleation, Heilung.
23. Fall. Franz R., 19 Jahre. Seit 3 Wochen Schwellung
der linken oberen Wangengegend, nach vorausgehenden Zahn¬
schmerzen entstanden. Haut des unteren Lides stark verdünnt.
Daselbst deutliche Fluktuation, kariöse Molaren auf derselben
Seite. Bei Inzision an der Durchbruch drohenden Stelle unter
dem Augenhöhlenrande entleert„ sich massenhaft Eiter. Nach
Extraktion der Molaren ergiesst sich aus den Alveolen der¬
selben ebenfalls Eiter. Drainage, später Tamponade, Heilung.
24. Fall. Maiie 6., 16 Jahre. 5 Wochen vor der Auf¬
nahme Zahnschmerzen, hierauf Schwellung der linken Wange.
Vor zwei Wochen Extraktion des |^, worauf die Geschwulst
in der Hauptsache abfiel, aber eine bis gegen den inneren
Augenwinkel hinauf reichende Schwellung an der linken Nasen¬
seite zurückblieb. Die Sonde gelangt durch die leere Alveole
in einen Fistelgang, der bis V« Cm. unterhalb des linken Augen¬
winkels reicht. Spaltung der Alveole, Auskratzung des Fistel¬
ganges, Heilung.
In den beiden letzten Fällen kam es, dank der ein¬
geschlagenen Therapie, nicht mehr zur vollständigen Ausbildung
der bis zum Durchbruch vorbereiteten Fistel.
Meine eigenen Fälle waren folgende:
25. Fall. Rosina Sch., 25 Jahre. Fistel nahe dem rechten,
inneren Augenwinkel mit bedeutendem Wangeninfiltrat, aus¬
gehend vom _2j. Spaltung, Auskratzung, Wurzelresektion am
rechten kleinen Schneidezahn mit Erhaltung desselben; Heilung
•(Juni 1904).
26. Fall. Lisbeth E., 20 Jahre. Superficiale Kiefernekrose,
ausgehend von \$J_ mit Fistelbildung knapp unter dem linken
Canthus internus. Extraktion der beiden Molaren, Nekrosen¬
operation, Exkochleation der Fistel, Heilung (12).
27. Fall. Anna Th., 17 Jahre. Fistel nahe dem linken
inneren Augenwinkel, ausgehend vom linken, kleinen Schneide¬
zahn. Der Fall ist weiter unten ausführlich beschrieben.
Ueber die A e t i o 1 o g i e des in Rede stehenden Krankheits¬
prozesses ist nicht viel zu sagen; die veranlassende Ursache
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Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck.
ist Pulpagangrän. In allen bekannt gewordenen Fällen war
dieselbe die Folge einer penetrierenden Karies. Es wäre aber
selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass auch von einem
äusserlich intakten Zahne mit infiziertem Zahnmarke (Trauma, Ab¬
kauung, Alveolarpyorrhoe) eine Augenwinkelfistel ausginge ; ein
deraitiges Vorkommnis ist jedoch bis jetzt nicht mitgeteilt worden.
Die pathologische Anatomie hat bezüglich der
Verhältnisse, wie sie bei zirka 6jährigen Kindern vorliegen,
schon Parinaud geschildert (13). In diesem Alter reicht
nämlich der noch ganz im Knochen verborgene bleibende
Caninus bis nahe an den Infraorbitalrand, während seine
Alveole mit der des Milcheckzahnes kommuniziert, so dass am
letzteren etablierte Eiterungsprozesse einen natürlichen Weg
bis zum unteren Augenhöhlenrande vorfinden. Aehnlich ver¬
hält es sich mit den Alveolen der übrigen Zähne, insbesondere-
der Backenzähne.
Für das Zustandekommen des einen seiner beiden bei
Erwachsenen beobachteten Fälle macht der Autor ein
Gefässkanälchen verantwortlich, das vom Alveolarfortsatze in
der Substanz des Kiefers zum Sinus lacrymalis emporsteigt*
nach oben sowie nach unten Aeste absendend, die oberen
zum Orbitalrande und zur Nasenhöhle, die unteren zu ver¬
schiedenen Alveolen. Im anderen Falle Parinauds (bei einem
Erwachsenen) nahm der Eiter seinen Weg durch den Sinus
maxillaris, mit anderen Worten: ein dentales Antrumempyem
war nahe dem Orbitalrande durchgebrochen. Im übrigen liegen
über den Weg, auf welchem die Infektion vom Zahne weiter-
geschrilten ist, meist keine Angaben vor. In meinen drei Fällen,
die ich gelegentlich der Operation daraufhin untersuchte, fand ich
die vordere Gorticalis von der Sequesterhöhle, bzw. der apicalen
Knochenusur her durchbrochen und den Fistelgang von da auf
der Oberfläche des Knochens dem Periost entlang
und unter der Haut nach aufwärts steigend. Es ist daher die
Annahme naheliegend, dass neben jenem, nach anatomischen
Studien theoretisch zugrunde gelegten Knochenkanälchen, jeden¬
falls auch die bekanntlich höchst variablen Gefäss- und Lymph-
bahnen der Weich teile, in welch letzteren ich bisher aus-
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Die dentale Augenwinkelfistel.
11
schliesslich den Fistelgang eingebettet fand, zur,Erklärung des
Zustandekommens unserer Fisteln herangezogen werden müssen.
Als veranlassende Zähne kommen Schneide-, Eck-,
Backen- und Mahlzähne in Betracht. Die geringe Anzahl der
zur Verfügung stehenden Fälle gestattet nicht eine prozentuelle
Berechnung, doch fällt bei Erwachsenen die relativ häufige
Beteiligung des kleinen Schneidezahnes auf, während bei
Kindern der Eckzahn prävaliert, was Parinaud hinreichend
erklärte und nebenbei ein Streiflicht auf die vulgäre Be¬
zeichnung dieses Zahnes als „Augenzahn“ wirft.
Die Mündung der Fistel ist bald näher, bald etwas weiter
vom Augenwinkel gelegen, gegen den unteren Alveolarrand
oder gegen die Nase zu, und es ist einleuchtend, dass man
manchmal im Zweifel sein wird, ob man eine Fistel als Augen¬
winkel- oder als Wangenfistel ansprechen soll, sowie es ja
auch zwischen Kinn-, Unterkieferrand- und Halsfistel keine
strengen Grenzen gibt. Die die Fistel umgebende Haut ist ent¬
weder narbig eingezogen, am Knochen fixiert, im übrigen von
normalem, blassen Aussehen oder bläulich livid verfärbt; oder
die Fistel sitzt auf einem Granulationspfropf oder aber auf
einer kleineren oder grösseren, umschriebenen, geröteten An¬
schwellung. Auch die Umgebung kann mehr oder minder ge¬
schwollen sein. Am benachbarten Auge sind nur selten be¬
sondere Erscheinungen, wie Oedem der Lider, Tränenträufeln,
leichte Conjunctivitis zu bemerken. Schwerere Störungen des
Auges können sich nur bei komplizierendem Uebergreifen der
Entzündung auf das Gewebe der Orbita ereignen (Fall 11 [?] r
sowie ein Fall von Zahnfistel am äusseren Canthus, den Williams
beobachtete [14]). Wiederholt wird angegeben, dass gleich¬
zeitig mit der äusseren auch eine Zahnfleischfistel bestand.
Ausser einem einfachen Fistelgange infolge Pulpagangrän
kann auch ein Antrumempyem (Parinaud, Ziem) oder
eine Kiefernekrose (Fall 26) nahe dem Augenwinkel per¬
forieren und eine Fistel unterhalten, sowie das gleiche bei jeder
Art von Zahnzyste denkbar wäre.
Was Symptome und Verlauf anlangt, so können
sich Augenwinkelfisteln, sowohl rasch unter heftigen Schmerzen,.
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Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck.
Schwellung, eventuell Fieber (Fall 20 und 23), als auch lang-;
sanier, unter mehrfachen akuten Attacken entwickeln (Fall 22
und 24). Die Fisteln können entweder fortwährend sezemieren
oder wiederholt oberflächlich verkleben und wieder aufbrechen
{Fall 21). Im chronischen Stadium verursachen sie keine
Schmerzen, veranlassen aber dennoch die geängstigten Patienten
in der Regel bald, ärztliche Hilfe aufzusuchen. Nur selten ist
die Indolenz so gross, derartige Dinge länger, anstehen zu
lassen (Fall 19).
Die Diagnose der Fistel an sich ergibt sich von selbst..
Eine um so genauere Untersuchung erfordert die Feststellung
ihrer Herkunft. Hier kommt vor allen Dingen die Aehnlichkeit
mit der Tränensackfistel in Betracht. Die Differentialdiagnose
gegenüber diesem Leiden hat Sehe ff (15) zuerst genauer
präzisiert. Sie stützt sich in erster Linie auf die Lokalisation.
Tränensackfisteln münden fast immer in unmittelbarster Nähe
des Canthus internus. Nur selten findet eine kurze Eitersenkung
nach dem unteren Orbitalrande zu statt und dann ist fast
immer ein derber, meist geröteter Gewebsstrang nach dem
Canthus hin zu verfolgen. Die Zahnfisteln hingegen sind fast
ausnahmslos 1 Cm. und mehr vom Canthus entfernt nach ab¬
wärts in der Nasenwangenfurche oder mehr gegen die Nasen¬
abdachung oder gegen den Orbitalrand zu gelegen. Nur in
meinem Falle von Kiefernekrose fand sich die Fistel knapp
unter dem Canthus.
Das zweite von Sch eff erwähnte Unterscheidungsmerk¬
mal bezieht sich auf das Sekret, das er bei Träriensackfisteln
als glasig, rohem Eiweiss ähnlich bezeichnet. Dem wäre hinzu¬
zufügen, dass diese Beschaffenheit natürlich nur dem Sekrete
chronisch gewordener Tränensackfisteln zukommt; beim eben
erfolgten Durchbruch der Dakryocystitis,. oder wenn eine Tränen¬
beinkaries vorliegt, ist das Sekret eitrig, wie bei der Zahnfistel.
Entscheidend ist der dritte von Sch eff, hervorgehobene
Untersuchungsbehelf: die Sondierung. Bei Tränensackfisteln
kann die eingeführte Sonde nur mehr oder minder schräg
nach aufwärts, gewöhnlich bis in den Tränensack, bei Zahn¬
fisteln nur nach abwärts vorgeschoben werden, eventuell bis
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Die dentale Augenwinkelfistel.
ia
in die Alveole des schuldigen Zahnes. Ein Fall von Suk, wo
die Sonde auch bei der Tränensackfistel nach abwärts glitt, weil
die Fistel oberhalb des Canthus mundete, kann als vereinzelt
gelten (16).
Verwechslung mit entzündlichen Prozessen in der
Orbita ist kaum möglich. Letztere gehen mit auffallenden
Augenerscheinungen einher, welche sowohl anamnestisch als
objektiv (Protrusion und Beweglichkeitseinbusse des Bulbus r
Sehstörungen) nachweisbar sind; auch gelangt hiebei die hori¬
zontal eingeführte Sonde, die bei allen anderen, hier in Frage
kommenden Prozessen in dieser Richtung sofort an den
Knochen anstösst, unbehindert in die Orbita. Sitzt die Fistel
näher dem Infraorbitalrande, insbesondere nach aussen zu, so
rückt auch eine tuberkulöse Karies des Orbital-
ran d es in den Bereich der Erwägung und ist auch der ziemlich
seltene Durchbruch eines Antrumabszesses zu berück¬
sichtigen. Uebrigens kann auch durch Trauma eine Nekrose
am Oberkieferknochen entstehen und eine Fistel am
unteren Orbitalrande unterhalten, wie ein im Allgemeinen
Krankenhause in Linz beobachteter Fall bewies. Manchmal
sieht die Fistel einem Furun k el täuschend ähnlich (vgl. die
beigegebene Abbildung), doch kommen Furunkel in dieser
Gegend äusserst selten vor und dürfte auch die Anamnese
sofort Aufschluss geben.
Ist der dentaleürsprung des Leidens per exclusionem
festgestellt, so bereitet die Auffindung des schuldigen Zahnes
nach den bisherigen Erfahrungen gewöhnlich keine Schwierig¬
keiten, höchstens könnten sich solche ergeben, wenn die vor¬
handenen Zähne der betreffenden Seite kariesfrei wären, wo
dann durch faradische Vitalitätsuntersuchung ein toter Zahn
oder durch Röntgenaufnahme eine Apexusur nachgewiesen
werden müsste. Das erstere Verfahren halte ich für das zu¬
verlässigere. In scheinbar zahnlosem Kiefer könnte eventuell
eine Wurzel vom Zahnfleisch überwachsen sein, die durch
Röntgenphotographie leicht aufzufinden wäre, während bei
Vorhandensein mehrerer kariöser Zähne eine Durchspritzung
Aufschluss geben würde.
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14
Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck.
Die Prognose ist durchaus günstig, falls die Therapie
gründlich gemacht wird, sonst wäre an die Möglichkeit einer
Fortsetzung der Entzündung in die Orbita (Phlegmone, Opticus
atrophie oder Phthisis bulbi, vielleicht gehört Fall 11 hieher)
zu denken.
Prophylaktisch käme in Betracht, bei Kindern im
Alter von ungefähr 6 Jahren gegen eine Karies der oberen
Milcheckzähne, aber auch der Backenzähne nicht gleiehgiltig
zu sein. Auch bei Erwachsenen sind Augenwinkelfisteln ein relativ
seltenes Vorkommnis. Immerhin ist beachtenswert, dass sich
trotz vorhandener Zahnfleischfistel, dem gerne sogenannten
„Sicherheits“-Ventil, nachträglich äussere, darunter speziell
auch Augenwinkelfisteln, entwickeln können, ein Umstand, der
neuerdings ermahnt, endlich einmal damit aufzuhören, die Zahn¬
fleischfistel als ein gar so lächerlich geringfügiges Leiden hin¬
zustellen.
Die Therapie bestand bisher einzig in Exkochleation
und Aufopferung des Zahnes durch Extraktion desselben. Dass
auch eine andere Therapie möglich ist, soll im folgenden
gezeigt werden.
II.
Der rationelle, auf pathologisch-anatomische Studien ge¬
stützte Gedankengang, auf Grund dessen Part sch die Wurzel¬
resektion zur Behandlung gewisser Zahnfleischfisteln empfahl (17),
hat im Laufe der letzten Jahre durch zahlreiche klinische Beob¬
achtungen die erfahrungsgemässe Bestätigung seiner einwand¬
freien Richtigkeit erhalten. Er musste ebenso auch für äussere
Fisteln die gleiche Geltung haben, es musste durch Entfernung
des apicalen Infektionsherdes bei gleichzeitiger Schonung des
bezüglichen Zahnes ebenso Heilung einer äusseren Fistel erzielt
werden können, wie dies bei Zahnfleischfisteln schon oft ge¬
lungen ist. Die praktischen Erfahrungen hierin sind allerdings
noch gering; in der Literatur ist kein Fall verzeichnet, auch
privat ist mir keiner bekannt geworden.
Ich selbst verfüge bis jetzt über 4 Fälle von äusserer
Fistel, die auf die angegebene Weise operiert und geheilt
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Heilung einer dentalen Augenwiukelfistel etc.
15
wurden, wobei sich aus der Anwendung der Jodoform-Knochen¬
plombe noch besondere Vorteile hinsichtlich Heilungsdauer und
kosmetischem Erfolge ergaben (18).
1. Fall (1904). Rosina Sch., 25 Jahre. Rechtsseitige
Augenwinkelfistel mit ausgedehntem entzündlichen
Infiltrat der Wange, ausgehend vom 2|. Wurzelresektion am
letzteren vom Vestibulum oris aus, Exkochleation, Tamponade.
Heilung in 17 Tagen.
2. Fall (1906). Marie R., 30Jahre. Rechtsseitige Wangen¬
fistel etwas oberhalb des Unterkieferrandes in der Gegend
der Backenzähne, ausgehend von 5 |, etwa 3 Monate bestehend.
Wurzelresektion von aussen mit Umgehung der Mundhöhle,
Exkochleation, Exzision der Fistel, Jodoform-Knochenplombe,
Naht. Heilung in 5 Tagen (19).
3. Fall (1906). Othmar B., 14 Jahre. Kinnfistel, im
Kinngrübchen sitzend, seit ungefähr 2'/* Jahren bestehend,
ausgehend vom kariesfreien i, von dessen Schneidekante eine
kleine Ecke abgesprengt ist. Patient erinnert sich nicht, wann
dies geschehen sein mag, auch ein spezielles Trauma (Stoss,
Fall, Schlag), das den Zahn getroffen hätte, wird bestimmt in
Abrede gestellt. Dagegen hat Patient die Gewohnheit, Nüsse
mit den Zähnen aufzuknacken. Trepanation und Desinfektion
des mit jauchig stinkendem Detritus angefüllten Wurzelkanals.
Wurzelresektion von aussen mit Vermeidung einer Eröffnung
der Mundhöhle. Exkochleation, Exzision der Fistel, Jodoform-
Knochenplombe, Naht. Heilung in 5 Tagen.
4. Fall (1906). Frl. Anna Th., 17 Jahre. Linksseitige
Augenwinkelfistel. Anamnese: Patientin, die sich bis dahin
eines vollständigen Gebisses von 28 Zähnen (Weisheitszähne
noch nicht durchgebrochen) erfreute und wenig an Zahn¬
schmerzen gelitten hatte, begab sich vor 5 Monaten wegen
schadhafter oberer Schneidezähne in die Behandlung eines Zahn¬
technikers. Derselbe zwickte ihr die Kronen aller vier Schneide¬
zähne ab und verfertigte eine Plattenprothese. Nach einem
Monat schwoll die rechte Wange unter Schmerzen stark an.
Die Geschwulst verging einige Zeit darauf wieder. Später schwolt
die linke Wange an, die Geschwulst verging aber nicht, vielmehr
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16
Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck.
bildete sich allmählich in der Nähe des linken inneren Augen¬
winkels ein Knötchen, welches schliesslich vor 2 Wochen
von einem Arzte aufgeschnitten wurde, wobei sich Eiter ent¬
leerte. Der Arzt empfahl der Patientin, sich zur weiteren Be¬
handlung nach Innsbruck in die Klinik zu begeben, welchem
Rate sie nach einigem Zu warten, als die Wunde sich nicht
schloss, sondern als Fistel bestehen blieb, Folge leistete.
Status praesens: Kräftiges, gesund aussehendes
Mädchen. Mundverhältnisse sehr unhygienisch. Zwar sind die
Zahnkronen, trotz mehrfacher Karies, mit Ausnahme der gänzlich
fehlenden oberen Schneidezahnkronen, nirgends erheblich kon¬
sumiert, doch ragen sie verhältnismässig wenig aus dem auf¬
gelockerten, gewucherten, leicht blutenden Zahnfleische hervor
und sind reichlich mit Zahnstein und einem schmierigen Belage
bedeckt. Die Wurzeln der Schneidezähne sind infolge Ueber-
deckung durch das kranke Zahnfleisch gänzlich unsichtbar. Aus
den Taschen dringt eitriges Sekret hervor. Üeber der Wurzel
des B|,- ferner links neben dem oberen Lippenbändchen und
zwischen |28 öffnet sich je eine Zahnfleischfistel. Entsprechend
l| |12 fühlt man im Vestibulum oris eine derbe, auf Druck etwas
schmerzhafte Auftreibung. Auf der linken Nasenabdachung nahe
dem inneren Augenwinkel befindet sich auf einer über heller¬
stückgrossen, erhöhten, geröteten Hautpartie eine gelbliche
Borke, nach deren Entfernung eine Fistelöffnung zutage tritt.
Auch die Umgebung ist etwas geschwollen. (Vgl. die Abbildung.)
Bei Druck auf die Umgebung der Augenwinkelfistel entleert
sich aus der Zähnfleischfistel neben dem Lippenbändchen reichlich
Eiter; umgekehrt kommt bei Druck auf den derben Tumor im
Vestibulum oris ein eitrig seröses Sekret aus der äusseren Fistel.
Therapie: Zunächst wurde getrachtet, hygienische Ver¬
hältnisse im Munde herzustellen; es wurden alle kariösen Höhlen
provisorisch gefüllt, der Zahnstein entfernt und das gewucherte
Zahnfleisch ausgiebig kauterisiert, dadurch insbesondere die
Schneidezahnwurzeln freigelegt urid hierauf desinfiziert. Durch
das jugendliche Alter der Patientin und die lückenlose Zahn¬
reihe war von vorneherein angezeigt, diese Wurzeln für eine
Brücke zu konservieren. Es wurde angenommen, dass die
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Dentale Augenwinkelfistel.
18
Prof. Dr. B. Mayrhofer, Innsbruck.
Fistel über dem Bj ? welche mittels Durchspritzung als von
der 2|-Wurzel ausgehend nachgewiesen wurde, ein Prozess für
sich sei und auf Grund früher gemachter Erfahrungen unter
Verzicht auf medikamentöse Experimente die Wurzelresektion
ausgeführt. Der gelegentlich derselben erhobene Befund —
bedeutende Usur mit Ausbuchtung, sowie corticaler Sequester —
rechtfertigte das chirurgische Vorgehen. Auch stand diese Fistel
mit dem übrigen Krankheitsherde tatsächlich in keiner Ver¬
bindung. Schwieriger war angesichts der von M bis J2 reichenden
lntumeszenz die Entscheidung bezüglich der drei anderen Wurzeln
oder, richtiger gesagt, es war unmöglich, ohne Augenschein zu
entscheiden, wie hier die Verhältnisse liegen mögen. Es wurde
daher beschlossen, die drei Wurzeln in einem Operationsakte
anzugehen, bei dem ausgedehnten Operationsfelde, da die
äussere Fistel ja auch gleich einbezogen werden sollte, selbst¬
verständlich in Narkose (Billroth-Mischung).
Ein bogenförmiger, nach unten konvexer, zirka 3 Gm.
langer Schnitt in der beweglichen Mucosa über die Mitte der
drei Zahnwurzeln legte üppig vorquellende Granulationen
bloss; nach der Wegkratzung zeigte sich, dass die vordere
Corticalis entsprechend allen drei Wurzeln lochförmig usuriert
war. Jede Wurzel hatte ihre eigene selbständige Knochen-
usur. Bei den beiden mittleren Schneidezähnen war sie hasel¬
nussgross. Der Apex des |2 lag in grösserer Ausdehnung bloss,
und nach Resektion desselben gewann man Zugang zu einer
nussgrossen, von Granulationen ausgefüllten Höhle, welche
jedoch mit dem Antrum nicht kommunizierte. Dagegen führte
von ihr, auf der Vorderfläche des Oberkieferknochens und unter
der Haut liegend, ein Granulationsgang nach aufwärts bis
zur äusseren Fistel, so dass eine von oben nach unten ein¬
geführte Sonde in der Knochenhöhle zum Vorschein kam.
Der obere Rand der Knochenusur war entsprechend dem Be¬
ginne des Fistelganges erweicht, so dass er sich leicht mit dem
scharfen Löffel wegkratzen liess. Nach Auskratzung des Fistel¬
ganges von unten, sowie der Fistel von aussen wurde die
äussere Wunde mit einem schmalen Vioformstreifen, der behufs
Drainage nach oben ein Stück weit nach abwärts in den
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HeiluDg einer dentalen Augenwinkelfistel etc. 19
Wundkanal eingeführt wurde, locker tamponiert. Hierauf
wurden die drei Knochenhöhlen mit Jodoformplombe ausgefüllt
und die Schleimhaut durch sieben Nähte verschlossen. Die
Naht heilte bis auf eine kleine sich bald schliessende Stelle per
primam. Die äussere Wunde vernarbte unter stetiger Ver¬
kürzung des Tampons binnen 2 Wochen. Eine Naht der
äusseren Wunde dürfte an dieser Stelle in solchen Fällen
kaum je wohl angebracht sein, wenigstens habe ich in meinen
Fällen das Gewebe hier entweder zunderartig aufgelockert
oder so stark entzündlich infiltriert angetroffen, dass ein
Nähen ausgeschlossen war. Auch konnte ich bei Fall 4 auf
die Drainage der Wundsekrete nach aussen nicht verzichten,
um nicht die weiter unten befindlichen Knochenplomben zu
gefährden.
Nach dem günstigen Ausgange der mitgeteilten Fälle
kann fernerhin, wie schon früher bei Wangen- und Kinnfistel
bewiesen, auch bei dentaler Augenwinkelfistel die
Extraktion des schuldigen Zahnes nicht mehr
al£ unbedingte Voraussetzung der Heilung
gelten.
Literatur:
1. Parinaud: Arch. g$n. de med., Juni 1880.
2 . Derselbe: Eine Zahnfistel, die eine Tränensackfistel vorläuscht.
Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. 1884, S. 137 (Ref.).
3. Sewill: Odontolog. Gesellschaft von Grossbritannien, 1868.
4. J. Sch eff: Pester medizinisch-chirurgische Presse, 1882.
5. Derselbe: Lehrbuch der Zahnheilkunde, II. Aufl. 1884, S. 317.
6. Schmidt: Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1887, S. 383.
7. Sauer: Ibidem, S. 384.
8. Casper: Lidabszess in Verbindung mit Zahnwurzelabszess. Zentralblatt
für Augenheilkunde, 1882, S. 106.
9. Ziem: Allgemeine medizinische Zentralzeitung, 1887, Nr. 37 und 38.
10. Sch eff: Haudbuch der Zahnheilkunde, II. Aufl. 1903, II, 2, S. 241.
11. B. Spitzer: Bericht des zahnärztlichen Institutes der Wiener Universität.
Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1905, S. 433.
12 Mayrhofer: Ein Fall von partieller dentaler Oberkiefemekrose mit
Durchbruch nahe dem Augenlide und in die Nasenhöhle. Oesterr.-ungar.
Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1906, S. 491.
2 *
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20 Prof. Dr. B. Mayrhofer. Heilung einer dentalen Augenwinkelfistel etc.
13. N. Feuer: Die Beziehungen zwischen Zahn- und Augenaffektionen.
Schelfs Handbuch, II. Aufl. 1903, H, 2, S. 482 ff.
14. C. Williams: Dental Cosmos. 1867 (vgl. N. Feuer 1. c.).
15. J. Scheff: Zur Differentialdiagnose der Zahn fleisch-Wangenfistel unter¬
halb des inneren Augenwinkels und der Trfinensackfistel. Deutsche
Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1887, S. 363.
16. J. äuk: Zwei Fälle selten vorkommender Durchbruchsstellen bei Dakryo-
cystitis. Wiener klinische Wochenschrift, 1898, S. ö09.
17. C. Part sch: Ueber Wurzelresektion. Deutsche Monatsschrift für Zahn -
heilkunde, 1899, S. 348.
18. Mayrhofer: Erfahrungen mit der Jodoform-Knochenplombe hinsichtlich
Vereinfachung der Nachbehandlung nach Wurzelresektion und Zahn¬
zystenoperation. Oesterr. Zeitschrift für Stomatologie. 1906, S. 209.
19. Mayrhofer: Wangenfistel; Heilung mit Erhaltung des schuldigen
Zahnes durch Wurzelresektion von aussen und Jodoform-Knochenplombe.
Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1900, S. 323.
20. C. Wedl: Pathologie der Zähne, S. 167.
21. 0. Eversbusch, Graefe-Saemisch: Handbuch der gesamten Augen¬
heilkunde, II. Aufl., 1903, S. 66ff.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Aus dem k. k. zahnärztl. Uni versitäts - Insti tu t
(Prof. Scheff) in Wien.
Von Dr. Bertold Spitzer, Assistenten daselbst.
Abgesehen von den einzelnen Arten der Stomatitis, bei
denen das Zahnfleisch fast stets in verschiedener Weise in
Mitleidenschaft gezogen ist, kommen Erkrankungen der Gingivai.
vor, deren Hauptsymptom eine entzündliche Schwellung ist.
Eine sehr häufige Ursache derselben sind mechanische Reize r
die bei längerer Einwirkung nicht nur eine Hypertrophie des
benachbarten Gewebes, sondern auch in Kontinuität eine solche
der entfernteren Partien hervorrufen können. So lehrt die Er¬
fahrung, dass selbst durch kariöse Zähne eine allgemeine Hyper¬
trophie des Zahnfleisches an dem betreffenden Kieferteile bedingt
werden kann. Diese Erscheinungen, sowie jene, welche man des>
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Dr. Bertold Spitzer, Wiea. Ueber eme Affektion des Zahnfleisches. 21
öfteren bei Menstruationsstörungen oder Schwangerschaft zu
beobachten Gelegenheit hat, werden vielfach der Stomatitis
katarrhalis zugerechnet.
Bei der Gingivitis expulsiva, die von Pons und Teissier
beschrieben wurde, ist das Zahnfleisch in der ersten Periode
der Erkrankung deutlich aufgewulstet und von violetter Farbe.
Bei der von Arkövy beschriebenen Gingivitis nudata tritt die
Schwellung der Gingiva im Verhältnis zu den Hauptsymptomen
— Denudation der Papillarschichte der Schleimhaut, deren
Klebrigkeit und das Gefühl des Brennens — zurück. All die
in Kürze erwähnten Erkrankungen können bei rechtzeitiger
Entfernung der Causa movens einer vollständigen Heilung zu-
geführt werden, ohne dass die Nachbargebilde Schaden leiden,
während alle länger dauernden Erkrankungen des Zahnfleisches
schliesslich zu einer Entzündung des Alveolarperiostes führen,
welche zunächst lokal beschränkt bleibt, allmählich aber zum
Schwund der Alveolen und zur Lockerung der Zähne führen kann.
Ganz anders sind jene Fälle von Gingivitis, die schlecht¬
weg als Hypertrophia (Elephantiasis) gingivae bezeichnet werden,
keine günstige Prognose gestatten und trotz vielfach ange¬
wendeter Therapie nicht geheilt werden können. Meist tritt
dieselbe ohne jedes Prodromalsymptom auf, um an Intensität
immer mehr zuzunehmen, und nur die radikalste Kur kann
sie bezwingen. Derartige Erkrankungen sollen nach Angabe
einiger Autoren hauptsächlich bei geistig Minderwertigen, welche
auch in körperlicher Beziehung mangelhaft entwickelt sind, Vor¬
kommen.
Salt er beschreibt eine sehr seltene Affektion, die er als
harte Hypertrophie des Zahnfleisches bezeichnet. Sie besteht
in allmählicher Schwellung des Zahnfleisches. Der von der Er¬
krankung betroffene Teil fühlt sich hart an und ist fast un¬
empfindlich. Mit dem Fortschreiten der Verdickung verändern
auch die Zähne ihre Stellung und werden locker. Das Zahn¬
fleisch aber heilt erst nach dem Ausfall oder nach der Ex¬
traktion der Zähnp. Heath berichtet über zwei Fälle von
enormer Hypertrophie der Gingiva. In dem einen Fall handelt
es sich um ein 4 1 /* Jahre altes, sonst gesundes Kind, bei dem
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Dr. Bertold Spitzer, Wien.
das Zahnfleisch im Ober- und Unterkiefer so mächtig ent¬
wickelt war, dass die Zähne mit Ausnahme der Kronenspitzen
vollständig bedeckt waren. Der Zustand entwickelte sich inner¬
halb 2 Jahre. Im zweiten Fall erstreckte sich die Hypertrophie
nur auf die rechte Seite des Unterkiefers. Die Entfernung des
hypertrophischen Zahnfleisches und des Alveolarteiles in einem
Stücke führte zur Heilung. Hisey (Ohio) beschreibt einen
Fall, der einen 15jährigen Knaben betrat. Die Schwellung war
von derartigen Dimensionen, dass die Form des Mundes ent¬
stellt war und die Sprache, sowie die Mastikation wesentlich
gestört wurden. Auch Whiteley sah einen ähnlichen Fall. Die
Entfernung der Zähne und die Abtragung der hypertrophischen
Zahnfleischpartien brachten schliesslich Heilung des Zustandes.
Metnitz und Kraus hatten Gelegenheit, je einen Fall mit den
besprochenen Erscheinungen am Zahnfleisch zu beobachten.
Parreidt sah eine solche Hypertrophie bei einem 4jährigen
Mädchen, das zugleich an Hypertrychosis universalis litt.
Mir selbst bot sich an der Klinik die Möglichkeit, eine
derartige Erkrankung zu sehen und eingehend zu beobachten.
Es würde zu weit führen, die ganze Krankengeschichte an¬
zuführen, deshalb mögen nur die wichtigsten Punkte derselben
hier Raum finden. Lina Sch., 19 Jahre alt, aus Jerusalem,
bemerkt seit 2 Jahren eine Schwellung des Zahnfleisches, die
langsam zunahm, bis der gegenwärtige Zustand erreicht war.
Das Leiden ist seit Beginn von Schmerzen begleitet. Der be¬
handelnde Arzt bestätigte schriftlich die erwähnten Angaben
mit dem Zusatz, dass man dortselbst vergeblich versuchte, da¬
gegen anzukämpfen. Patientin stand 11 Wochen im dortigen
Hospital in ambulatorischer Behandlung, wo ihr die hyper¬
trophischen Papillen zweimal abgetragen wurden, doch stets
kehrte der frühere Zustand wieder. In ätiologischer Hinsicht kein
bestimmendes Moment. Bei meiner Untersuchung ergab sich
folgender Befund: Die Gingiva des Ober- und Unterkiefers stark
gewulstet, die Prämolaren und Molaren von ihr so weit gedeckt,
dass nur die Kauflächen sichtbar sind, über die übrigen Zähne
zieht sie schürzenartig hinweg und deckt zwei Drittel ihrer
Fläche. Die mächtigen Interdentalpapillen drängen sich zwischen
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Ueber eine höchst seltene, eigentümliche Affektiou des Zahnfleisches. 23
den approximalen Flächen der Zähne hindurch. An der Aussen-
seite zeigen die Papillen epitheliale Trübungen, während sie
an der Vorderfläche der unteren Schneidezähne etwas ab¬
gehoben sind. Die Zähne insgesamt gelockert, der zweite untere,
rechte Backenzahn fehlt. Die hier den Alveolarteil deckende
Gingiva normal. Starke Salivation, keine Fistelbildung, Foetor
ex ore. Das Zahnfleisch fühlt sich schwammig an, ist viel dunkler
Fig. 1.
gefärbt als die übrige Schleimhaut und blutet nicht leicht. Aut
Druck entleert sich aus den Zahnfleischtaschen ein gelblich-
weisses, geruchloses Sekret (Befund: Mundhöhlenparasiten der
verschiedensten Formen). Die submaxillaren Drüsen links etwas
geschwollen, Zahnstein ist in geringer Menge vorhanden. Die
Zähne selbst mit Ausnahme der drei unteren Molaren, die tief
kariös sind und sogleich extrahiert werden, äusserlich intakt
(Fig. 1).
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24
Dr. Bertold Spitzer, Wien.
Zugleich mit der Extraktion der genannten Zähne werden
die hypertrophischen Partien des Zahnfleisches am Unterkiefer
abgetragen und die stark blutenden Wundflächen kauterisiert.
Das Zahnfleisch des Oberkiefers wird einer energischen
Friktionskur unterzogen. Nach einigen Tagen beobachteten
wir, dass die Extraktionswunden normalerweise fast vernarbt
waren, dagegen zeigten sich bereits an jenen Stellen, wo die Pa¬
pillen gänzlich abgetragen, wurden, kleine rote Wärzchen, die
den Beginn zur rezidiven Wucherung bildeten (Tuschieren mit
Lapis). Am Oberkiefer war gleichfalls kein Erfolg zu bemerken.
Der in geringer Menge vorhandene Zahnstein war gleich zu
Beginn der Behandlung entfernt worden. Die stark gelockerten,
linken, unteren Prämolaren wurden extrahiert und das an¬
haftende Zahnfleischgewebe sowie das Periost dieser Zähne
der histologischen Untersuchung unterzogen. Da sich der Zustand
der Gingiva im Oberkiefer trotz der Friktionskur nicht besserte,
versuchten wir auch an der linken Kieferhälfte die Exzision
des hypertrophischen Zahnfleischgewebes, während rechts die
Massage mit 3 prozentiger Borlösung, die wir mit dem besten
Resultate in Anwendung bringen, fortgesetzt wurde. Blut- und
Harnbefund normal. Die radiologische Untersuchung des Kiefer¬
skelettes ergab keine pathologischen Veränderungen.
Sch eff bekam vor einigen Jahren einen ähnlichen Fall
zur Behandlung. Derselbe betraf eine junge, blühend aussehende
Frau von 22 Jahren. Das Zahnfleisch konnte in der Wucherung,
Lockerung und starken Blutung nicht beschränkt werden. Die
Zähne wurden nach und nach locker und das schliessliche
Ende war ihre Entfernung.
Sch eff untersuchte das Periost der extrahierten Zähne
und fand in demselben Tub erkelbazi 11 en, eine auffallende
Erscheinung, die meines Wissens bisnun nicht zur Wieder¬
holung kam.
Die Patientin ging nach Ablauf eines Jahres an florider
Tuberkulose zugrunde.
Diese höchst interessante Mitteilung veranlasste mich, bei
meiner Patientin gleichfalls auf Tuberkelbazillen zu untersuchen,
wobei jedoch das Resultat vollkommen negativ blieb.
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Ueber eine höchst seltene, eigentümliche Affektion des Zahnfleisches. 25
Die Bestrahlung mit Radium zeigte keinen Erfolg. Die
Patientin klagte seit dieser Zeit über grössere Schmerzen in
den Zähnen des Unterkiefers und so entschlossen wir uns zur
Extraktion der noch vorhandenen Zähne.
Im Bereich der linken Oberkieferhälfte waren die rest¬
lichen Teile des Zahnfleisches unterdessen wieder ein wenig
gewuchert, rechts war die Friktionskur nicht vom geringsten
Erfolg begleitet.
Nachdem alle Behandlungsversuche erfolglos waren, blieb
uns schliesslich nichts übrig, als der Patientin die Extraktion
auch dieser Zähne mit gleichzeitiger Exzision der stark ge¬
wucherten Zahnfleischränder und -papillen zu empfehlen; dieser
Eingriff wurde auch mit ihrem Einverständnis vorgenommen.
Die Pulpa der extrahierten Zähne zeigte makroskopisch nur die
Zeichen einer Hyperämie.
In der kürzesten Zeit waren die Extraktionswunden ver¬
heilt und ein normales Gewebe deckte die Alveolarteile der
beiden Kiefer. Patientin, die vorher über besonders heftige
Schmerzen klagte, die sich besonders nachts steigerten, war
von jetzt ab viel munterer und fühlte sich wohler.
Sechs Wochen nach Entfernung der Zähne erhielt Patientin
ein oberes und unteres Ersatzstück, die sie ohne jedwede Re¬
aktion von seiten der Schleimhaut tragen konnte.
Wir wissen aus Erfahrung, dass häufig bei sonst normaler
Beschaffenheit des Zahnfleisches eine Entzündung der Interdental¬
papille, die, örtlich begrenzt, einen oder mehrere Zahnzwischen¬
räume befällt, sich meist nur durch intensive Schmerzen be¬
merkbar macht; die das besprochene Leiden begleitenden
Schmerzen dürften ihre Ursache nicht nur in der erkrankten
Gingiva, sondern auch in dem im Stadium einer chronischen
Entzündung befindlichen Periost gehabt haben.
Was die Aetiologie dieser eigenartigen Erkrankung betrifft,
so kann dieselbe wohl nur durch eine systematische Unter¬
suchung ähnlicher Fälle ergründet werden. Im oben beschriebenen
Fall fand ich das erste Glied zu dieser mir gestellten Aufgabe,
weshalb auch die Aufnahme des histologischen Befundes (Pro-
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v I
26
Dr. Bertold Spitzer, Wien.
fessor Dr. Pal tauf), der eingehend behandelt wird, gerecht¬
fertigt erscheinen dürfte.
Die mikroskopische Untersuchung der von den Zähnen
abgelösten Gewebsstücke(FärbungmitHämatoxylin-Eosin, Unna’s
Methylenblau, Pyronin-Metbylgrün) zeigt ein ausserordentlich
gefässreiches, entzündliches Granulationsgewebe; die Gefässe
Fig. 2.
sind sehr weit, stellen geradezu lakunäre Räume vor, deren
Zwischengewebe stellenweise nicht mehr ausmacht als die Blut¬
räume; dabei besitzen die Gefässe trotz ihrer Weite sehr häufig
eine einfache Endothellage als Wand, der manchmal noch eine
Lage spärlicher Zellen aufliegt. Die Endothelien sind gross,
zeigen grosse helle Kerne; dabei bilden die Zellen manchmal
syncytienähnliche Bänder, in denen die Abgrenzung einzelner
Zellen unmöglich ist, oder es bilden sich durch Aneinanderlagerung
mehrerer Zellen umschriebene, knopfartige Protuberanzen, in
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Ueber eine höchst seltene, eigentümliche Affektion des Zahnfleisches. 27
denen die einzelnen Elemente sich auch nicht abheben, so dass
dieselben Riesenzellen ähnlich erscheinen; sie bilden aber
die Wand von Bluträumen. Selten ist es der Fall, dass die
grossen Endothelien auf längere Strecken hin doppelt gelagert
sind; durch Protoplasma-Ausläufer entstehen Anastomosen mit
benachbarten Gefässen, von denen es dahingestellt bleiben mag,
ob es neue Gefässanlagen sind; allerdings wurde dafür sprechen,
dass man ausser den ungleich weiten, buchtigen Hohlräumen
stellenweise schmale, mehr gestreckt verlaufende Gefässver-
bindungen findet, an welchen die Endothelien einen Zug parallel
gelagerter, scheinbar spindeliger, aneinandergereihter Zellen
bilden; dieselben fallen dadurch auf und würden zunächst
auch Spindelzellen entsprechen; ihre Anastomose mit den
Endothelien, die Einmündung der schmalen Lumina in die grossen
Bluträume lassen aber ihre Natur als junge Gefässbildungen
erkennen.
Das Zwischengewebe besteht fast überall aus einer
zarten, durchsichtigen, nur wenig streifigen Grundsubstanz, in
welcher spärlich rundliche und kurzspindelige oder verzweigte
Zellen liegen mit hellen Kernen und bei Pyronin-Methylgrün
kaum sichtbarem Protoplasma und zahlreiche bei derselben
Färbung leuchtend rot gefärbte Zellen, die durch den dunklen,
häufig exzentrisch gelagerten Kern sich als Plasmazellen erweisen.
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•28
Dr. Bertold Spitzer, Wien.
Namentlich erscheint der dem exzentrisch gelagerten Kerne
gegenüberliegende Zellrand leuchtend rot. Auch das Unna'sche
Methylenblau lässt die Zellen deutlich als Plasmazellen hervor¬
treten; dieselben finden sich sehr zahlreich, stellenweise in dem
Grade, dass das ganze Gewebe zwischen den weiten Bluträumen
fast nur aus ihnen besteht. Ausser Plasmazellen finden sich
noch kleine mononukleare Zellen vom Charakter der Lympho¬
zyten, endlich polynukleare Leukozyten, die aber erst in den
oberen und obersten Schichten, sowohl in den Gefässen als im
♦Gewebe reichlicher erscheinen (Fig. 2 und 3).
An einem der untersuchten Gewebstücke grenzt sich ein
etwa klein erbsengrosser Knoten dadurch ab, dass er beider¬
seits durch tief in das Granulationsgewebe vorgeschobene
Epithelzapfen und -stränge von der Umgebung geschieden ist
und ferner aus einem insofern etwas anders gearteten Gewebe
besteht, als die Blutgefässe zwar äusserst zahlreich, aber nicht
so weit sind und eine zellreichere Wand besitzen; hier enthält
das Zwischengewebe sehr wenig Plasmazellen, stellenweise fehlen
solche ganz und es finden sich neben spärlichen Spindelzellen
in der zarten Grundsubstanz fast nur mono- und polynukleare
Leukozyten. Dadurch, dass fast nur Gefässe das Gewebe zu¬
sammensetzen, ist dasselbe nicht unähnlich jungen und
wuchernden Anteilen entzündlich affizierter angiomatöser
Warzen.
Die Oberfläche der Wucherungen des Zahnfleisches zeigt
vielfach noch das geschichtete Plattenepithel, stellenweise bilden
dasselbe ziemlich dicke Lagen mit reichlichen unter sich auch
anastmosierenden Zapfen und netzartigen Fortsätzen, die sich
verschieden tief ins Granulationsgewebe einsenken; stellenweise
ist das Epithel sehr dünn oder fehlt vollständig, so über aus
dem übrigen Gewebe vordringenden und sich vorwölbenden
Höckern und Protuberanzen, wie einer oben als fast nur aus
Gefässen bestehend beschrieben ist. An solchen des Epithels
entblössten Stellen lagern grosse Mengen von Bakterien, nament¬
lich ein Filz von meist senkrecht zur Oberfläche gelagerten,
leicht gebogenen Leptothryxfäden. Nirgends zeigt das Ge¬
webe Ansätze zu einer Narbenbildung; an einigen Schnitten
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Heber eine höchst seltene, eigentümliche Affektion des Zahnfleisches. 29
findet sich zentral ein fibröses Gewebe und einige Zuge
fibrösen Gewebes. Dasselbe ist aber als Rest des ursprüng¬
lichen fibrösen Gewebes zu betrachten, das auch durch das
Einwachsen neugebildeter Gefässe und das Auftreten von
Plasmazellen in ihrer Umgebung in das beschriebene Gewebe
umgewandelt wird; dafür spricht, dass das noch vorhandene
fibröse Gewebe sehr zellarm ist und als solches an das gefäss-
reiche, fast ausschliesslich von Plasmazellen gebildete ent¬
zündliche Gewebe anschliesst, so dass jeglicher Uebergang aus
einem an jungen Bindegewebszellen reichen Gewebe fehlt, wie
es sich bei beginnender Narbenbildung (Organisation) findet.
Auch in den tiefen Anteilen der im gehärteten Präparate noch
0*6 bis 1 Cm. dicken Wucherungen, fehlt jegliche Andeutung einer
Narbenbildung, resp. Bindegewebsbildung.
Die Untersuchung von Zahnfleischpräparaten (Hypertrophia
gingivae infolge Zahnsteins und infolge Durchbruchs eines
permanenten Zahnes) ergab eine weit geringere GefässWucherung
und das Vorhandensein eines an jungen Bindegewebszellen
reichen Gewebes.
Ich sehe mich veranlasst, Herrn Prof. Dr. Pal tauf für
seine ganz besonders liebenswürdige Unterstützung an dieser
Stelle noch ergebenst zu danken.
Literatur:
Metnitz: Ueber Zahnfleischwucherung. Wiener zahnärztl. Monatsschrift, 1901.
Arkövy: Gingivitis nudata. Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift, 1893.
Salter: Tamoren und andere Erkrankungen des Zahnfleisches Uebersetzung
aus „Salters Pathology and Surgery“, Deutsche Vierteljahrsschrift für
Zahnheilkunde, 1877/78.
Treuenfels: Die Entzündung der interdentalen Zahnfleischpapille. Deutsche
Monatsschrift für*Zahnheilkunde, 1902.
Pons: Ueher die Gingivitis expulsiva und ihre Behandlung.
Teissier: Die Gingivitis expulsiva in ihrer Beziehung zu Diathesen be¬
trachtet Zahnarzt, 1861.
Parreidt: Lehrbuch der Zahnheilkunde, Leipzig 1907.
Hisey: Ein Fall von enormer Hypertrophie des Zahnfleisches. Korrespondenz-
blatt für Zahnärzte, 1893.
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30
Dr. Leo Fleischmann Wien.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Das traisparmte Dentin.
Aus dem Wiener histologischen Universitäts-
Institut (Vorstand: Hofrat Prof. v. Ebner).
•Ein Beitrag zur pathologischen Histologie des Dentins von
Dr. Leo Fleischmann , Zahnarzt in Wien.
(Mit zwei Tafeln.)
Normales Dentin zeigt an der Oberfläche sowohl an
•Quer- als auch an Längsschliffen in auffallendem Lichte
schillernden Seidenglanz und ist auch in dünnen Schliffen
undurchsichtig. Der Seidenglanz hängt nach v. Ebner 1
mit der Verlaufsrichtung der Zahnkanälchen und der fibrillären
Struktur der Grundsubstanz zusammen. Unter gewissen Um¬
ständen geht der Seidenglanz verloren, das Dentin nimmt ein
gelbliches hornartiges Aussehen an, wird durchscheinend
und in dünnen Schliffen durchsichtig. Dieser Eigenschaft ent¬
sprechend nennt man es transparentes oder diaphanes
D en tin.
Der Zustand der Transparenz ist regelmässig zu be¬
obachten in den Wurzeln der Zähne alter Individuen; manch¬
mal auch in den Kronen solcher Zähne; weiter bei Karies
der Zähne als eine den kariösen Herd in einem gewissen Ab¬
stand umgebende Zone; dann in den Kronen stark abgekauter
Zähne; endlich (Miller 2 ) auch bei Frakturen, Rissen im Zahn¬
schmelz und bei Resorptionen im Dentin.
Das Phänomen der Transparenz gewapn erhöhtes und
besonderes Interesse, als J. T o m e s diese Erscheinung als
Beweis von Lebensvorgängen im fertigen Zahnbein hinstellte,
während bis dahin das fertig ausgebildete Dentin als „totes
1 v. E b n e r: Histologie der Zähne in Scheffs Handbuch der Zahn¬
heilkunde. Bd. 1.
2 Miller: Transparenz des Zahnbeins und die Wirkung von Säuren
auf den Schmelz. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1903.
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Das transparente Dentin.
31
Gevvebe u angesehen worden war. Seit diesen ersten Unter¬
suchungen J. T o m e s* 1 war es das Ziel der Forschung seitens
aller jener, die der Pathologie und pathologischen Histologie
der Zähne nähertraten, Natur und Ursache der Transparenz
zu ergründen, ohne dass eine UebereinStimmung — sei es in
den Befunden, sei es in deren Deutung — erzielt worden
wäre. So kam es, dass im Laufe der letzten Jahrzehnte die
verschiedensten Theorien über die Ursache der Transparenz
aufgestellt wurden. Jede fand Anhänger; keiner blieben Gegner
erspart.
Erst Walkhoff schien durch seine eingehenden Unter¬
suchungen die Frage zur definitiven Lösung gebracht zu haben.
Mindestens wurde seine Ansicht über die Transparenz nach
dem Zeugnisse Millers in Deutschland allgemein akzeptiert.
Miller selbst, zurzeit auf dem Gebiete der Zahnpathologie der
angesehenste Forscher, erkennt sie so rückhaltslos an, dass er
in seiner letzten Abhandlung 2 zu dieser Frage eine neuerliche
Untersuchung nach der histologischen Seite als überflüssige
Mühe unterlässt.
Alle Untersucher — auch Walkhoff — haben ihr Augen¬
merk bei der Erforschung der Transparenz lediglich dem Zu¬
stand der Zahnkanälchen und deren Inhalte zugewendet,
während die Grundsubstanz nur insoweit Untersuchungsobjekt
ward, als einzelne Forscher versucht haben, eine Vermehrung
oder Verminderung des Kalkgehaltes derselben festzustellen.
Der Zustand der leimgebenden Ebnerschen Fibrillen der
Zahnbeingrundsubstanz im transparenten Dentin wurde bisher
nicht beachtet. Diese auffallende Lücke auszufüllen und eine
eventuelle Zustandsänderung der Fibrillen bei der Transparenz
festzustellen, war ursprünglich der Plan dieser Arbeit. Im
Verlauf meiner zu diesem Zweck vorgenommenen Untersuchungen
gelangte ich jedoch zur Kenntnis einiger Tatsachen, die sich
mit der Walkhoffschen Ansicht nicht in Einklang bringen
1 J. T o m e s : Ein System der Zahnteilktmde. (Deutsch von Znr
Nedden.) Leipzig 1861.
2 1. c.
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32
Dr. Leo Fleischmann, Wien.
liessen, und die so die unmittelbare Veranlassung wurden,
dass ich die Gesamtveränderungen bei der Transparenz in den
Bereich meiner Untersuchungen zog. Betrachtet man einen
Schliff durch trockenes normales Dentin im Mikroskop, so
sieht man, dass die Zahnkanälchen bis in die feinsten Fieder-
chen hinein mit Luft gefüllt sind und sich dadurch von der
Grundsubstanz aufs deutlichste abheben. In einem Schliff durch
transparentes Dentin sieht man, dass die Kanälchen nicht
mit Luft gefüllt sind und dass sie sich von der Grundsubstanz
nur undeutlich abheben. Das Bestreben aller Autoren .war
daher darauf gerichtet, den Umstand zu eruieren, der im
transparenten Dentin den Lufteintritt in die Kanälchen ver¬
hindert, bzw., der den Unterschied der Brechungsexponenten
zwischen Grundsubstanz und Inhalt der Kanälchen so ver¬
ändert, dass diese beiden Gebilde sich um so vieles undeutlicher
voneinander abheben, als im normalen Dentin.
Normalerweise bricht der Inhalt der Zahnbeinkanälchen
das Licht viel schwächer als das die Kanälchen umgebende
Medium, die Grundsubstanz. Die Annäherung der beiden
Brechungsexponenten, bzw. die Verminderung ihrer Differenz
kann erfolgen: durch eine Verstärkung des BrechungsVermögens
des Kanalinhaltes oder durch eine Schwächung des Brechungs¬
vermögens der Grundsubstanz. Beide dieser Möglichkeiten
fanden Anhänger. Die Verteidiger der zweiten, dass die Grund¬
substanz schwächer lichtbrechend geworden sei, sehen die Ur¬
sache davon in einer teilweisen Entziehung der Kalksalze.
Die anderen, die Verteidiger der ersten Möglichkeit, nehmen
an, dass der Inhalt der Kanälchen stärker lichtbrechend wurde,
indem die weiche Zahnfaser innerhalb der Kanälchen eine
Aenderung ihres Zustandes erfährt. Während die Kalkentziehung
der Grundsubstanz ein einfacher chemischer Prozess ist, der
auch durch von aussen kommende Umstände bewirkt werden
kann, setzt die Umwandlung des protoplasmatischen Zell¬
ausläufers, der Zahnfaser, Lebensvorgänge in dieser selbst
voraus.
Dementsprechend sehen die einen in der Transparenz
lediglich die Folgen einer chemischen Reaktion, die anderen
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Das transparente Dentin.
33
die Folgen eines Lebensvorganges, eine „vitale Erscheinung“.
Der Begründer der „vitalen“ Theorie der Transparenz ist, wie
bereits erwähnt, J. Tomes.
Tom es* sieht die Ursache der Transparenz in einer
„Konsolidation der Zahnbeinfibrillen (Tomessche Fasern) inner¬
halb der Röhren. Dadurch obliterieren diese und machen ihren
Umriss dunkel.“ Die Konsolidation der Fasern führt Tomes
auf ihre Verkalkung zurück. Am besten seien die konsolidierten
Fasern zu sehen, wenn man einen Zahn nimmt, in welchem
die Karies nur langsame Fortschritte macht. „Schneidet man
mit einem scharfen Messer von der missfärbigen Partie eines
solchen Zahnes in gleicher Richtung mit dem Verlauf der
Zahnbeinröhrchen, so kann man die verkalkten Fibrillen im
Innern der Röhre in Stücke gebrochen sehen, andere auf der
Oberfläche oder an einem Ende des Schnittes herausragend.“
An Schliffen durch senile transparente Wurzeln sah Tomes
nur, dass die Kanälchen keine Luft enthielten. Ohne weitere
Untersuchungen und ohne weitere Beweisführung dehnt er
seine Ansicht von der Verkalkung der Fasern, die er an
Schliffen durch kariöses Material gewonnen hat, auch auf die
senile Transparenz aus.
So bestechend auch die Tomessche Theorie erscheint,
so wurde sie von ihrem Begründer doch nicht genügend durch
tatsächliche Befunde gestützt, um in der Folge nicht teils an-
gefochten, teils abgelehnt zu werden. Denn tatsächlich ist
Tomes den Beweis für seine Behauptung, dass die Fasern
im transparenten Dentin verkalkt sind, schuldig geblieben. Er
gründet seine Ansicht — abgesehen von der Tatsache, dass
die Kanälchen im transparenten Dentin luftleer sind — auf
die Ergebnisse des vorhin zitierten Versuches und bildet ein
auf diese Weise gewonnenes Präparat in Fig. 130 seines
zitierten Buches ab. Dieses Präparat entstammt aber nicht
transparentem, sondern kariösem Dentin. Tomes sagt
das ja selbst, indem er darauf hinweist, dass man den Schnitt
durch die „missfärbige Partie“ eines kariösen Zahnes führen
i 1. c.
3
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84
Dr. Leo Fleischmann, Wien.
soll. Schon der Umstand, dass es sich um schneidbares
Material (ohne vorhergegangene künstliche Entkalkung) handelte,
ist beweisend, dass das Dentin kariös war. Die transparente
Zone, die immer in einiger Entfernung von dem durch Karies
erweichten Herd gelegen ist, ist nie missfärbig, nie erweicht,
also auch nicht scbneidbar. T o m e s hätte also bestenfalls nur
den Nachweis erbracht, dass im erweichten kariösen Dentin
die Fasern verkalkt sind — aber auch das ist nicht richtig,
denn die in Fig. 130 abgebildeten, über den Rand heraus¬
ragenden Gebilde sind nicht verkalkte ehemals weiche Fasern,
als die Tom es sie deutet, sondern die mit ihrer Scheide
isolierten Kanälchen. 1
Magitöt 2 schliesst sich im Prinzipe der Tomesschen
Ansicht an, ohne aber neue Beweisgründe für deren Richtig¬
keit beizubringen. Er stellt die Hypothese auf, dass die Pulpa
bei kariösen Prozessen ein verkalkendes Exsudat liefere, welches
die Kanälchen erfüllt und sich unter Umständen auch an der
Innenfläche der Pulpahöhle niederschlägt. Hier liegt augen¬
scheinlich eine Verwechslung mit Sekundärdentin vor. Trans¬
parenz, die nicht als Begleiterscheinung der Karies, sondern
aus anderen Ursachen auftritt, erwähnt er überhaupt nicht.
Desgleichen tun dies Neu mann 3 und Hertz 4 nicht.
Die transparente Zone beim kariösen Herd sehen sie als eine
vitale Erscheinung an, ohne jedoch weiter auszuführen, wie
sie sich diesen vitalen Prozess, beziehungsweise dessen Folgen
vorstellen. Neu mann gibt übrigens an, dass er den diaphanen
Hof nur in einem einzigen Falle, Hertz, dass er ihn in jedem
vierten bis fünften Falle von Karies gefunden habe. Tatsächlich
findet man ihn immer, wenn die Pulpa noch vorhanden und
nicht geschädigt ist und eine genügend dicke Zone intakten
Dentins zwischen Pulpahöhle und kariösem Herd vorhanden ist.
1 Mau vergleiche Römer: Zahnhistologische Studie, Freiburg 1899,
und Fleischmann: Ueber Bau und Inhalt der Dentinkanälchen. Archiv
für mikroskopische Anatomie, Bd. 66. 1905.
2 Magitöt: Traitö de la Carie dentaire, 1867.
3 Neumann: Archiv für klinische Chirurgie, Bd. VI.
4 Hertz: Ueber Zahnkaries. Virchows Archiv, Bd. XLI.
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Das transparente Dentin.
85
Th. Leber und J. B. Rottenstein* bestreiten, dass
die Transparenz die Folge eines vitalen Prozesses sei — das
Phänomen käme lediglich durch Entkalkung der Grundsubstanz
zustande. Die beiden Autoren untersuchten nur kariöses Ma¬
terial. Eine wesentliche Stütze für ihre Ansicht fanden sie in
dem Umstande, dass Transparenz sich auch bei Karies von
natürlichen Zähnen vorfindet, die, an Platten befestigt, im
Munde getragen wurden, bei denen also jede Lebenserscheinung
ausgeschlossen ist. Verkalkung der Fasern haben sie wohl ge¬
sehen, doch halten sie die Erklärung der Transparenz, die
Tom es und Magitöt dadurch gegeben, für nicht zutreffend.
Nach ihren Befunden wären nämlich die verkalkten Fasern
nicht überall in der durchscheinenden Substanz zu sehen; doch
erhellt aus der Beschreibung ohne weiteres, dass die beiden
Autoren nicht den transparenten Hof um den kariösen Herd,
sondern diesen selbst im Auge hatten. Bezüglich der Trans¬
parenz bei Karies natürlicher Zähne, die, an Platten befestigt,
im Munde getragen wurden, verweise ich auf die Arbeit
Millers 1 2 3 * * , da ich über eigene Untersuchungen mangels eines
geeigneten Materials nicht verfüge. Miller hat gezeigt, dass
Transparenz in solchen Fällen nur dann zu beobachten ist,
wenn die ersten Anzeichen der Karies zu einer Zeit aufgetreten
waren, in der der Zahn sich noch an seinem natürlichen Platze
im Munde befand. Desgleichen betonte M ill er den tiefgreifenden
Unterschied zwischen transparentem und entkalktem Dentin in
deren Verhalten gegenüber Farbstoffen. Transparentes Dentin
färbt sich nie; entkalktes sehr leicht und mit verschiedenen Farb¬
stoffen. Miller fand, dass nach ganz kurzer Einwirkung einer
verdünnten Säure auf Dentin sich diese Stelle später sofort
kenntlich machen lasse durch ihre leichte Färbbarkeit mit Eosin.
Wedl 8 kam auf Grund seiner Untersuchungen zu ganz
andern Resultaten als alle vorgenannten Forscher. Ehe ich
1 Th. Leber und J. B. Rottenstein: Untersuchungen über die
Karies der Zähne. Berlin 1867.
* 1. c.
3 C. W e d 1: Pathologie der Zähne. Leipzig 1870. II. Auflage, heraus¬
gegeben von v. Metnitz und v. Wunschheim. Leipzig 1901.
3 *
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36
Dr. Leo Fleischmann, Wien.
diese Resultate hier wiedergebe, möchte ich auf den funda¬
mentalen Unterschied hin weisen, der zwischen Wedls Auf¬
fassung des normalen Baues der Dentinkanälchen und jener
Tomes’ besteht. Nach der Tomesschen, von Neumann 1 2 * * *
weiter ausgebildeten Lehre gibt es innerhalb der Scheiden
solide protoplasmatische Gebilde, die Tomesschen Fasern oder
Zahnfasern 8 . Wedl dagegen steht auf dem Standpunkt, dass
die Zahnbeinfasern oder Dentinzellenfortsätze, die innerhalb-
der Zahnröhrchen verlaufen, aus einer resistenten peripheren
Zone und einer zentralen zähflüssigen beständen. Er identifiziert
also die Tomessche solide Faser mit seinen hohlen Dentin-
zellenfortsätzen. Auf Grund der von ihm beobachteten Tat¬
sache, dass in trockenen Schliffen durch transparentes Dentin
die Kanälchen keine Luft enthalten, stellt er sich im Sinne
seiner anatomischen Anschauungen zwei Fragen: sind die
Dentinzellenfortsätze im transparenten Dentin überhaupt vor¬
handen, und wenn, sind dieselben imbibitionsfähig? Er bejaht
die Fragen. Die erste, weil er nach Behandlung mit verdünnter
Salzsäure die Dentinzellenfortsätze im transparenten Dentin
deutlich hervortreten sah; die zweite, weil es ihm gelang,
diese Fortsätze mit karminsaurem Ammoniak und Essig¬
säurebehandlung zur Darstellung zu bringen. Aus diesen beiden
Gründen weist er die von T o m e s aufgestellte Theorie von
der Verkalkung der Fibrillen zurück. Tatsächlich ist Wed 1
aber zu dieser Zurückweisung nicht berechtigt; denn der Um¬
stand, dass die Fortsätze nach Säurebehandlung sichtbar
und imbibitionsfähig sind, spricht weit eher für die Richtigkeit
der T o m e s sehen Ansicht, dass es sich um Verkalkungen
handle, als gegen sie. Wedl erklärt die Transparenz auf
folgende Weise: „Man kann annehmen, dass die seneszierenden
Fortsätze ebenso wie andere alternde Gewebe ihr Quellungs-
1 Nenmanü: Beitrag zur Kenntnis des normalen Zahnbein- unct
Knochengewebes. Leipzig 1863.
2 Bezüglich der historischen Entwicklung dieser Lehre verweise ich^
um hier nicht vom Gegenstände abzuschweifen, auf Römer: Zahnhisto¬
logische Studie; Walkhoff: Lehrbuch der Histologie der Zähne, uuct
Fleischmann; Ueber Bau und Inhalt der Dentinkanälchen.
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Das transparente Dentin.
37
vermögen mehr oder weniger eingebusst haben, ihre zentrale
zähflüssige Substanz verschwunden sei und sie überhaupt mit
der sie einschliessenden Wand des Zahnröhrchens derartig
fest verbunden seien, dass der Eintritt der atmosphärischen
Luft überhaupt nicht mehr möglich sei“. Die W edIsche Theorie
steht und fällt vor allem mit der Richtigkeit der histologischen
Grundanschauungen ihres Autors. Nachdem diese als un¬
richtig erwiesen wurden, entbehrt die Theorie ihrer Grundlage.
Nach Baume 1 ist primär jedenfalls eine Verminderung
des Kalkgehaltes die Ursache der Transparenz. Die Wirkung
dieser Verminderung auf die Zahnkanälchen schildert Baume
in folgender Weise: „Durch die Entziehung der Kalksalze
kommt es zu einer Quellung der Grundsubstanz, die ihrerseits
Verquellungen der Kanälchen und eine Schrumpfung der Fasern
herbeiführt.“ Die Verquellung der Kanälchen und die Schrumpfung
der Fasern wären also die unmittelbare Ursache, die das
Phänomen der Transparenz hervorruft. Ursache der Kalk¬
entziehung sollen bei Karies Säuren, bei der senilen Trans¬
parenz ein auf das Dentin einwirkendes Sekret der Pulpa
sein. Die Annahme dieses Pulpasekretes ist eine ganz will¬
kürliche, durch keine einzige Tatsache begründet. Doch ab¬
gesehen davon; eine teilweise oder auch gänzliche Entkalkung
von Dentin führt nie zu einer Verengerung der Zahnbeinkanälchen
— davon kann man sich hundertfältig überzeugen bei der künst¬
lichen Entkalkung des Dentins, wie sie vorgenommen wird
um Dentin schneidbar zu machen.
Walkhoff* kommt auf Grund seiner Untersuchungen
unter Zurückweisung aller bisher aufgestellten Theorien zu
folgendem Schlüsse:
„Das transparente Dentin ist der Ausdruck einer vitalen,
physiologischen Tätigkeit der Zahnfasern, welche normales
i R Baume: Lehrbuch der Zahnheilkunde. II. Auflage. Leipzig 1885.
* Walkhoff: Mikroskopische Untersuchungen über pathologische
Veränderungen des Dentins. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1885.
— Neue Untersuchungen über die Pathohistologie des Dentins. Deutsche
Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1892. — Die normale Histologie mensch¬
licher Zähne. Leipzig 1901.
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Dr. Leo Fleiscbmann, Wien.
Zahnbein in normaler Weise auf Kosten ihrer eigenen Grösse
produzieren“.
Walkhoff ist also der Ansicht, dass nicht eine Ver¬
kalkung der Fibrillen, sondern eine fortschreitende Neubildung
von Zahnbeingrundsubstanz seitens der Faser innerhalb der
Kanälchen die Transparenz herbeiführe.
Die Untersuchungen Walkhoffs waren sehr eingehend.
Ich werde auf dieselben nach der Erörterung meiner eigenen
Ergebnisse noch ausführlich zurückkommen und unterlasse es
deshalb, um Wiederholungen zu vermeiden, an diesem Orte
dazu Stellung zu nehmen.
Wellauer 1 hat im Gegensätze zu Walkhoff nur
kariöses Material untersucht; er sieht als Ursache der dabei
auftretenden Transparenz eine Konkurrenz mehrerer Umstände
an: 1. teilweise Entziehung des Kalkgehaltes der Grund¬
substanz, 2. zeitweise Infiltration der Zahnbeinfasern mit Kalk¬
salzen in Lösung und 3. teilweise oder gänzliche Verkalkung
der Fasern. Für die unter Punkt 1 und 2 genannten Um¬
stände erbringt er keine beweisenden Gründe. Punkt 3 erläutert
er in einer Fussnote, aus der sich ergibt, dass er Walkhoffs
Ansicht einfach akzeptiert hat. Wellauer sagt nämlich, dass
unter teilweiser oder gänzlicher Verkalkung, die „Ablagerung
neuer Grundsubstanz an die Wände mit Einlagerung von Kalk¬
salzen und infolge dieses Vorganges Verkleinerung der Fibrillen
selbst“ zu verstehen seien.
Miller* schliesst sich Walkhoff vollständig an.
Biro 8 gibt seiner Ansicht, ohne sich auf irgend welche
Befunde zu berufen, dahin Ausdruck, dass die transparente
Zone im kariösen Dentin eine Säurewirkung sei. Die Trans¬
parenz des senilen Zahnbeines führt er auf eine Verkalkung
der Fasern zurück, welche die Folge einer Ernährungsstörung
sein soll.
1 Wellauer: Handbuch der Zahnheilkunde von Scheff, I. Auf¬
lage, 1892.
* Miller: Die Mikroorganismen der Mundhöhle. II. Auflage, 1892.
* Biro: Ueber die prädisponierenden Ursachen der Karies. Oesterr.-
ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1898.
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Das transparente Dentin.
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Miller* wendet sich in seiner letzten Arbeit neuerdings
gegen alle Autoren, insbesondere gegen Ben nett*, die in der
letzten Zeit gegen die vitale Theorie der Transparenz auf¬
getreten sind. Ich habe schon gelegentlich der Erwähnung der
Arbeit von Leber und Rottenstein auf diese Abhandlung
Millers hingewiesen. Miller erörtert und widerlegt hier in
der eingehendsten Weise alle von den Gegnern der vitalen
Theorie vorgebrachten Ein wände auf Grund sorgfältiger Ver¬
suche. Nach ihm gibt es in toten, pulpalosen Zähnen keine
Transparenz mehr. Er hat damit wohl endlich die rein
chemische Theorie der Transparenz definitiv erledigt und den
Sieg der vitalen besiegelt.
Damit ist aber für die Lösung der ganzen Frage noch
nicht alles getan. Denn wie sich aus der vorstehenden Literatur¬
übersicht ergibt, ist auch unter den Anhängern der vitalen
Theorie alles eher als Uebereinstimmung vorhanden. Ein
Umstand, der daran gewiss mit Schuld trägt, ist das oft nicht
einwandfreie Untersuchungsmaterial. Zumeist (ich habe darauf
immer speziell aufmerksam gemacht) wurde die Transparenz
in Untersuchung gezogen, soweit sie als Begleiterscheinung
der Karies auftritt. Und zwar wurde die Untersuchung nicht
auf den diaphanen Hof, der in einer gewissen Entfernung vom
kariösen Herd gelegen ist, beschränkt, vielmehr verwendeten
einzelne Forscher auch ein Gutteil des Herdes selbst. Im
Verlauf des kariösen Prozesses kommt es, ehe der vollständige
Gewebszerfall eintritt, durch Säureeinwirkung zur Entkalkung
des Gewebes. Solches teilweise oder vollständig entkalktes
Dentin hat ein mattes, durchscheinendes Aussehen und könnte
daher auch als transparent bezeichnet werden. Tatsächlich
unterscheidet es sich aber von dem gelblichweissen, hornartigen
Aussehen der eigentlich transparenten Zone schon makro¬
skopisch sehr deutlich. Auch das histologische Bild ist ein
1 Miller: Ueber die Transparenz des Zahnbeines. Deutsche Monats¬
schrift für Zahnheilkunde, 1903.
* Bennett: Zitiert nach Miller. (Transact. der Odout. Soc. of
Great-Britaiu. Vol. 28, pag. 40.)
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Dr. Leo Fleischmann, Wien.
ganz anderes. Trotz des Durchscheinens sind dort die
Kanälchen vorhanden und deutlich sichtbar. Es ist eher das
Bild, wie es normales, künstlich entkalktes Dentin bietet.
Jedenfalls ist dieses „durchscheinende“ Dentin sorgfältig von
der eigentlichen transparenten Zone zu unterscheiden. Natürlich
müssen diese Partien bei der Untersuchung, wenn es die
Transparenz gilt, vollständig ausser Spiel bleiben.
Wiewohl an der Identität der Transparenz im Gefolge
des Seniums und jener im Gefolge der Karies wenigstens in
histologischer Beziehung Zweifel nicht gehegt wurden (mit Aus¬
nahme von Biro, 1 der übrigens die ganze Frage nur streift
und keine tatsächlichen Gründe anführt), halte ich es doch für
empfehlenswert, beide Arten getrennt zu untersuchen, schon
aus dem Grunde, um Identität oder Verschiedenheit sicher und
endgiltig feststellen zu können.
Die Untersuchungen, über die ich im folgenden berichte,
erstrecken sich lediglich auf transparentes Dentin in senilen
Zähnen. Alle Schlussfolgerungen gelten demgemäss, wie ich
schon hier vorweg bemerke, zunächst nur für dieses Zahn¬
bein Es wird erst Sache weiterer Untersuchungen sein, fest¬
zustellen, wie weit sich die Schlussfolgerungen auch auf die
Transparenz aus anderen Ursachen ausdehnen lassen.
Ich untersuchte möglichst dünne, verschieden orientierte
Schliffe durch frische, ferner durch in Formalin fixierte und
konservierte und endlich durch trockene Zähne, sowie Schnitte
durch entkalktes Material.
I. Verhalten der Zahnbeingrundsubstanz bei der
Transparenz.
Seit den Untersuchungen v. Ebners 2 wissen wir, dass
die Elementarteile der Zahnbeingrundsubstanz leimgebende
Fibrillen sind, die, zu Bündeln vereinigt, durch eine Kittsubstanz
zusammengehalten werden; ferner, dass die Ablagerung der
1 Biro: 1. c.
2 v. Ebner: Ueber den feineren Ban der Knochen. Sitzungsbericht
der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, Wien, Bd. 72, III. Abteilung.
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Das transparente Dentin.
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Kalksalze bei der Verkalkung des Dentins in diese Kittsubstanz
hinein erfolgt, während die Fibrillen frei von Kalk bleiben;
und endlich, dass die Fibrillen im allgemeinen senkrecht auf
die Kanälchen und parallel zu den Wänden des Zahnes ver¬
laufen.
Eine Veränderung der Grundsubstanz bei der Transparenz
wäre nun in dem Sinne denkbar, dass es zu einer Vermehrung
der Kalksalze kommt, indem die Ablagerung derselben nicht
nur in die Kittsubstanz zwischen die Fibrillen, sondern in die
Fibrillen selbst stattfindet, dass es sich also um eine Ver¬
kalkung der leimgebenden Fibrillen selbst handelt. Versuche,
die Miller unternommen hat und die der quantitativen Be¬
stimmung des Kalkgehaltes im transparenten Dentin galten,
haben ergeben, dass eine wenn auch geringe Vermehrung des
Kalkgehaltes vorhanden ist. Dieses Untersuchungsergebnis, das
ja von vorneherein für die geäusserte Vermutung sprechen
wurde, erlaubt aber keine weiteren Schlüsse, weil ja die Ver¬
mehrung der Kalksalze auch eine Folge der vermehrten Kalk¬
ablagerung in die Kanälchen sein könnte.
Eine sichere Entscheidung dieser Frage lässt sich mittels
derselben Methode treffen, mittels der v. Ebner seine Ent¬
deckungen machen, bzw. beweisen konnte. Verascht man einen
Schliff durch Dentin auf einem Platinblech oder hält man ihn
bei 130° durch mehrere Stunden in Wasser, so gehen die
leimgebenden Fibrillen zugrunde und an ihre Stelle treten am
trockenen Schliffe feine luftführende Röhrchen. Fände nun im
transparenten Dentin tatsächlich eine Verkalkung der leim¬
gebenden Fibrillen statt, so dürften nach der Veraschung eines
Schliffes durch solches Dentin keine luftfübrenden Röhrchen
mehr auftreten. Macht man diesen Versuch, so überzeugt man
sich leicht, dass die feinen Röhrchen genau so zu beobachten
sind wie im normalen Dentin.
Die leimgebenden Fibrillen der Grund¬
substanz erleiden also bei der Transparenz keine
nachweisbare Veränderung.
Bestätigt wird dieser Befund durch die Ergebnisse der
Untersuchung eines Schliffes durch transparentes Dentin im
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Dr. Leo Fleischmann, Wien.
polarisierten Lichte, insoferne das Verhalten der Fibrillen das¬
selbe ist, wie im normalen Dentin. Aach in transparentem
Dentin sind die Fibrillen positiv, einachsig doppeltbrechend
mit der Längsrichtung entsprechender optischer Achse, und
es zeigt sich bei gleicher Dicke vergleichbarer Schliffe kein merk¬
licher Unterschied in der Interferenzfarbe.
n. Verhalten der Zahnkanälchen hei der Transparenz.
An Schliffen durch senile Wurzeln bemerkt man, dass
im allgemeinen die der Pulpahöhle benachbart gelegenen Teile
des Dentins noch normale Beschaffenheit zeigen, während die
peripheriewärts gelegenen Teile transparent sind. Der Ueber-
gang des normalen Dentins in das transparente ist in den
verschiedenen Horizontalebenen der Wurzel kein gleichmässiger
und regelmässiger, wiewohl im grossen und ganzen eine zu¬
nehmende Verbreiterung der transparenten Zone gegen die
Spitze der Wurzel hin statt hat, so dass die Spitze selbst häufig
nur aus transparentem Dentin besteht. An radialen Längs¬
schliffen durch eine solche Wurzel sieht man infolge des un-
gleichmässigen Fortschreitens der Transparenz in den ver¬
schiedenen Horizontalebenen die Grenze zwischen normalem
und transparentem Dentin nicht geradlinig, sondern zickzack¬
förmig verlaufen (Fig. 1). Die Zacken des normalen und trans¬
parenten Dentins greifen wie die Zähne zweier Zahnräder in¬
einander.
Betrachtet man einen solchen radialen Längsschliff durch
eine trockene Wurzel im Mikroskop in durchfallendem Lichte,
so erscheinen die Kanälchen mit ihren Aesten und Fiederchen
im Bereich des normalen Dentins dunkel; der Raum zwischen,
den Kanälchen (die Grundsubstanz), sowie das gesamte trans¬
parente Dentin (Kanälchen und Grundsubstanz) hell. In auf¬
fallendem Lichte ändert sich das Bild total. Die Kanälchen
des normalen Dentins erscheinen hell, silberglänzend; alles
andere dunkel.
Während also im normalen Dentin die weiche Inhalts¬
faser des Kanälchens beim Trocknen zugrunde geht und an
ihre Stelle Luft tritt, besitzen im transparenten Dentin,
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Das transparente Dentin.
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die Kanälchen einen Inhalt, der durch das
Trocknen nicht alteriert wird und der die Lich¬
tung der Kanälchen so ausfüllt, dass die atmo¬
sphärische Luft keinen Zutritt hat.
Ebenso wie mit der Luft, verhält es sich auch mit Farb¬
stoffen. Bringt man einen Schliff durch normales Dentin z. B.
in Safranin, so dringt der Farbstoff in die Kanälchen ein und
färbt sie tiefrot. Transparentes Dentin bleibt völlig ungefärbt.
Dabei ist hier zu betonen, dass es für den Erfolg der Färbung
ganz gleichgiltig ist, ob man Schliffe durch ganz frische, durch
konservierte oder trockene Zähne nimmt.
Die die Kanälchen im transparenten Dentin erfüllende
Inhaltsmasse bedingt, dass jene sich nicht so deutlich und in
die Augen fallend von der Grundsubstanz abheben, wie im
normalen. Immerhin kann man den Verlauf der Kanälchen
aber auch im transparenten Dentin genau verfolgen. Nur an
einzelnen Stellen, insbesondere in der Peripherie nahe der
Körnerschicht kann man von den Kanälchen nichts mehr wahr¬
nehmen; das Dentin sieht hier vollständig homogen aus.
In den übrigen Partien erscheinen die Kanälchen als
die Grundsubstanz durchziehende Bänder; bei hoher Einstellung
dunkel mit hellen Säumen; bei tiefer Einstellung hell mit
dunkeln Säumen, doch heben sich die Bänder beiweitem nicht
so deutlich ab, wie etwa die normalen Kanälchen (Fig. 2).
Daraus ergibt sich unmittelbar, dass die
Füllmasse der Kanälchen schwächer lichtbrechend
ist als das die Kanälchen umgebende Medium,
die verkalkte Grundsubstanz, dass sie aber immer¬
hin stärker lichtbrechend ist, als der normale
Inhalt der Kanälchen. Die Bänder haben einen schein¬
bar gestreckteren, geradlinigeren Verlauf als die Kanälchen des
normalen Dentins. Dass man bei der Betrachtung diesen Ein¬
druck gewinnt, ist eine Folge einerseits des Umstandes, dass
sich die Bänder nicht so deutlich von der Grundsubstanz ab¬
heben, wie die normalen Kanälchen; anderseits auch des
Umstandes, dass die Seitenäste und Seitenfiederchen im trans¬
parenten Dentin vollständig verschwinden.
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Dr. Leo Fltischmaun, Wien.
Aus der Tatsache, dass in trockenen Längsschliffen durch
die Kanälchen nirgends Luft wahrgenommen werden kann
{Fig. 1 und 2), ergibt sich, dass hier kein Hohlraum vor¬
handen sein kann, dass die Kanälchen kein Lumen mehr be¬
sitzen, also im frischen Zustande auch keine Fasern besitzen
können. Der eventuelle Einwand, dass die Lumina der Kanälchen
so minimale wären, dass aus diesem Grunde beim Eintrocknen
der Fasern Luft nicht einträte, ist hinfällig, wenn man in Be¬
tracht zieht, dass in normalem Dentin in trockenen Zähnen
die Luft auch in die allerfeinsten Endverzweigungen und Seiten-
fiederchen eindringt und dort wahrzunehmen ist.
Die Transparenz des Dentins setzt also eine vollständige
Aufhebung des Lumens der Kanälchen voraus. Damit soll
aber nicht gesagt sein, dass im transparenten Dentin nicht
ein oder das andere Kanälchen ein Lumen besitzen und luft-
hältig sein kann Es kommt nicht gar so selten vor, dass ein
einzelnes normales oder mehr minder verengtes luftführendes
Kanälchen innerhalb ganz luftleerer Umgebung verläuft (Fig. 2).
Solange solche Kanälchen vereinzelt oder nur in verschwinden¬
der Minderheit vorhanden sind, gewährt das Dentin noch immer
den Eindruck der vollständigen Transparenz.
In Präparaten, in denen die Kanälchen im Querschnitt
getroffen sind, findet man selten nur transparentes Dentin.
Solche Querschnitte erhält man, wenn man tangentiale Längs¬
schliffe durch die Wurzel anfertigt, also Schliffe in Ebenen,
die senkrecht stehen auf der Ebene, in der z. B. das in Fig. 1
abgebildete Präparat liegt.
Geht dieser Schliff durch eine Ebene, die jene, in der
Fig. 1 liegt, in der Linie AB schneidet, so wechseln trans¬
parente und normale Zonen, und man findet die quer ge¬
troffenen Kanälchen zum Teil mit noch erhaltenem, zum Teil
ohne Lumen. Da, wie sich später noch ergeben wird, die Ver¬
engerung der Kanälchen eine allmähliche ist und in den ein¬
zelnen Kanälchen in verschiedener Entfernung von der Pulpa¬
höhle beginnt, so werden an Querschnitten die erhaltenen
Lumina auch nicht gleich weit sein, d. h. die Durchmesser
derselben verschieden gross sein. Geht der Schliff durch eine
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Das transparente Dentin.
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Ebene, welche jene in Fig. 1 in der Linie CD schneidet, so
werden die kronenwärts gelegenen Teile des Schliffes trans¬
parentes, die wurzelwärts gelegenen normales Dentin enthalten.
Aus dieser Betrachtung ergibt sich, dass man bei der Be¬
urteilung von Querschliffen durch die Kanälchen grosse Vor¬
sicht walten lassen muss.
Färbt man solche Querschliflfe mittels Safranin, so er¬
hält man insoferne instruktive Bilder, als überall, wo noch
ein Lumen in den Kanälchen vorhanden ist, Farbstoff eindringt.
Betrachtet man einen trockenen ungefärbten Querschliflf (durch
die Kanälchen) trocken im Mikroskop, so sieht man, dass sich
Kanälchen, welche kein Lumen mehr enthalten, nur äusserst
undeutlich von der Grundsubstanz abheben; ja, wir sind, wenn
der Schliff nicht ausgezeichnet poliert ist, oft nicht in der Lage,
sie überhaupt zu erkennen. Bettet man einen solchen Schliff
nach der Methode von Kruckenberg* in hartem Kanada¬
balsam ein, so wird der Unterschied zwischen den ausgefüllten
Kanälchen und der Grundsubstanz schon deutlicher.
Der Uebergang von der Norm bis zum Verschluss des
Lumens, also bis zur vollständigen Obliteration, vollzieht sich
im einzelnen Kanälchen allmählich, wenn auch nicht immer
auf dieselbe Weise. Man sieht die verschiedenen Uebergangs-
formen am häufigsten natürlich an der Grenze zwischen nor¬
malem und transparentem Dentin; hin und wieder aber auch
an einzelnen Kanälchen mitten im transparenten Dentin. Ich
habe gerade solche Stellen für die photographische Repro¬
duktion gewählt, weil sich hier das einzelne Kanälchen von
der veränderten Umgebung besonders deutlich abhebt. Die
verschiedenen histologischen Bilder sind in Fig. 2 bis 6 wieder¬
gegeben. Man sieht das einemal, wie das mit Luft gefüllte
Kanälchen sich allmählich und gleichmässig verengt. Die sonst
annähernd parallel verlaufenden Begrenzungslinien der Kanälchen
werden konvergent, bis an Stelle des dunkeln Kanälchens das
früher geschilderte Band tritt (Fig. 2).
i Vgl. J. Schaffer in Enzyklopädie der histologischen Technik
„Knochen und Zähne“.
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Dr. Leo Fleiscbmanu, Wien,
An einer andern Stelle sieht man das mit Luft gefüllte
Kanälchen sich nicht gleichmässig und allmählich verengern,
sondern engere und weitere Stellen in unregelmässiger Auf¬
einanderfolge abwechseln. Die Kanalwandung ist dann wie
mit Erhabenheiten und Vertiefungen versehen (Fig. 3).
Sind diese Erhabenheiten an einander gegenüberliegenden
Stellen der Wandungen, und stossen sie zusammen, so kommt
es stellenweise zu vollständigem Verschluss des Kanälchens.
Es sieht dann aus, als wäre dieses durch quergestellte Septen
mehrfach abgeteilt (Fig. 4, 5 und 6). Die zwischen zwei solchen
Septen ausgesparten Räume sind zylindrisch, oder mehr der
Kugelgestalt sich nähernd, oder auch ganz unregelmässig. Sie
sind an trockenen Schliffen mit Luft gefüllt. Manchmal liegen
kugelförmige, mit Luft gefüllte Hohlräume rosenkranzförmig
innerhalb eines Kanälchens angeordnet. Die Kugeln werden
dabei oft gegen die Peripherie des Dentins zu immer kleiner,
bis das Lumen des Kanälchens vollständig geschwunden ist.
Das sind dann die schon lange bekannten „Körnerreihen“.
Aus der Deutung dieser Bilder ergibt sich, dass es sich
in allen Fällen um eine Verengerung oder Verlegung des
Lumens der Kanälchen handelt, die hervorgerufen wird durch
eine unter verschiedenen Formen erfolgende Ablagerung einer
festen Substanz, bis im extremen Fall das ganze Kanälchen,
davon erfüllt und das Lumen total aufgehoben ist.
Doch muss es bis zu diesem Extrem nicht immer kommen.
■Das ergibt sich einerseits aus dem bereits erwähnten Um¬
stande, dass man vereinzelte Kanälchen mit gut erhaltenem
oder auch verengtem Lumen innerhalb ganz transparenter
Umgebung findet; anderseits daraus, dass es Kanälchen ebenfalls
innerhalb transparenter Umgebung gibt, die nur stellenweise
noch mit der Substanz erfüllt sind, stellenweise noch ein
Lumen besitzen. Einzelne Kanälchen bleiben also dauernd in
dem Uebergangsstadium.
Die nächste Frage, die sich ergibt, ist die nach der
Natur der die Kanälchen erfüllenden Substanz. Bisher haben
wir nur erfahren, dass ihr Lichtbrechungsvermögen etwas
schwächer ist als das der verkalkten Zahnbeingrundsubstanz
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Das transparente Dentin.
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und dass sie sich gegen Farbstoffe refraktär verhält. Weitere
Untersuchungen lehren, dass die Substanz gegen Säuren sehr
empfindlich ist. Behandelt man einen Schliff durch trans¬
parentes Dentin mit verdünnten Säuren, so kommen die
Lumina der Kanälchen wieder deutlich zum Vorschein, das
Dentin gleicht wieder völlig normalem, und der Inhalt der
Kanälchen, gleichviel, ob er dieselben ganz oder nur teilweise,
wie in den Uebergangsformen, erfüllt hat, schwindet (Fig. 7).
Die Füllungsmasse der Kanälchen ist also
in Säuren leicht löslich. Durch Alkalien wird die
Substanz nicht angegriffen.
— Um die Substanz im Inneren der Kanälchen Farbstoffen
zugänglich zu machen und sie so zur Darstellung bringen zu
können, empfahl mir Herr Prof. Schaffer, einen Schliff
mittels eines sauren Salzes, etwa mit einer 5 prozentigen Alaun¬
lösung zu beizen und darnach mittels Delafields Hämatoxylin
zu färben. Ich habe diese Methode angewendet. Ein Schliff
durch transparentes Dentin wurde in eine 5 prozentige Alaun-
Jösung gebracht; nach 2 Stunden wurde er herausgenommen,
in destilliertem Wasser gut gewaschen und für 24 Stunden in
stark verdünnte Delafieldsche Hämatoxylinlösung eingelegt. Ein
grosser Teil der Schliffoberfläche blieb ungefärbt. Es war da
nichts zu sehen als ein diffuser Farbniederschlag, wie man
ihn immer erhält, wenn man einen Schliff in Hämatoxylin zu
färben versucht. An einzelnen Stellen war der Kanalinhalt
vollständig gelöst und nur die Neumannschen Scheiden gefärbt.
An manchen Stellen des Präparates endlich fanden sich die
Neumannschen Scheiden gefärbt und innerhalb derselben war
streckenweise ein tiefblau gefärbter Inhalt warzunehmen. Dass
diese blau gefärbte Inhaltsmasse tatsächlich den Ablagerungen
entspricht, ergab sich aus ihrer Form und ihrer Lage innerhalb
der Kanälchen (Fig. 8). Die Zeit von 2 Stunden erwies sich in
anderen Fällen als zu lang; vielfache Versuche zeigten mir,
dass sich eine bestimmte Zeit schwer angeben lässt, dass man
bei jedem Schliff die Länge der Zeit, in der nur Beizung und
nicht Lösung der Inhaltsmasse stattfinden soll, ausprobieren
muss. Lässt man nämlich die Alaunlösung zu lange einwirken,
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Dr. Leo Fleischmann, Wien.
so wird der Schliff vollständig entkalkt, die Inhaltsmasse der
Kanälchen vollständig gelöst, und der Schliff gleicht dann, wie
ich schon vorher betonte, einem entkalkten Schliff durch
normales Dentin.
Erwägt man, dass die Substanz, die die Kanälchen
erfüllt, in Säuren leicht löslich ist; dass ihr Lichtbrechungs¬
vermögen nur um ein geringes von der verkalkten Grund¬
substanz sich unterscheidet; dass sie nach Beizung durch ein
saueres Salz mit Hämatoxylin färbbar ist; endlich, dass der
einzige anorganische Bestandteil auch im normalen Dentin Kalk¬
salze sind, so ergibt sich aus der Gesamtheit dieser Umstände
mit höchster Wahrscheinlichkeit, dass die Substanz aus Kalk¬
salzen besteht, wenn auch zugegeben werden muss, dass den
einzelnen Argumenten keine beweisende Kratt innewohnt. Be¬
kräftigt wird die Ansicht durch den schon früher zitierten
Versuch Millers, der bei der Transparenz eine Vermehrung
der Kalksalze konstatieren konnte. Da die Grundsubstanz un¬
verändert bleibt, so kann die Vermehrung nur auf eine Ab¬
lagerung in den Kanälchen bezogen werden.
In vollständig transparentem Dentin ist keine Spur der
Zahnfaser mehr vorhanden. Das ergibt sich unmittelbar aus
der Beobachtung, dass die Kanälchen kein Lumen mehr
besitzen, sowie aus der Tatsache, dass nach der Entkalkung
frischer Schliffe sich die Faser in den Kanälchen nicht nach-
weisen lässt (Fig. 7). Wäre sie im frischen transparenten
Dentin vorhanden, so müsste sie nach der Entkalkung als or¬
ganische Substanz innerhalb der Kanälchen wahrzunehmen
sein. Tatsächlich kann man sie nur in jenen Partien des
Dentins wahrnehmen, die noch nicht vollkommen transparent
geworden sind und in denen die Kanälchen noch ein Lumen
besitzen (Fig. 8).
Jedenfalls müssen wir den Zahnfasern während des
Prozesses des Transparentwerdens eine wichtige Rolle zu¬
schreiben, da die Ablagerung der Kalksalze innerhalb des
Kanälchens entschieden unter Vermittlung der Faser erfolgen
muss. Denn dass die verkalkte Zahnbeingrundsubstanz der
Leiter der jedenfalls aus dem Blute stammenden Ablagerungen
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Das transparente Dentin
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sein könnte, ist wohl ohne weiteres zurückzuweisen; ein
anderer Weg aber kommt nicht in Betracht.
Die Rolle, die die Zahnfaser dabei spielt, kann eine
doppelte sein: es könnte zu einer Ablagerung der Kalksalze
in die Faser hinein kommen, derart, dass die peripheren Teile 1 * * 4
derselben zunächst verkalken, hierauf fortschreitend die zentralen
bis kein weicher Teil mehr vorhanden ist. Es könnte aber auch
sein, dass es durch die Faser zu einer Ausscheidung von Kalk¬
salzen in die Kanälchen hinein kommt, und die Faser im selben
Masse, wie Kalksalze ausgeschieden werden, einem atrophischen
Prozesse anheimfällt. Wahrscheinlich handelt es sich um den
letzteren Modus, möglicherweise aber auch um beide. Sicher
lässt sich die Frage zurzeit wohl nicht entscheiden.
Die Wandungen der Kanälchen, die Neumannschen
Scheiden, bleiben beim Transparentwerden des Dentins er¬
halten. An Schliffen lässt sich das Vorhandensein der Scheiden
auch in normalem Dentin nur schwer konstatieren; ohne
Färbungen überhaupt nicht, weil sie sich von der Grundsubstanz
in ihrem optischen Verhalten nicht oder zu wenig unterscheiden.
Was in Schliffen als Scheide gedeutet wurde, ist immer nur
das bekannte optische Trugbild.
Nach der Entkalkung transparenten Dentins sieht man,
wenn man mit Hämatoxylin färbt, die Scheiden deutlich hervor¬
treten, und man kann konstatieren, dass auch die Stärke-,
bzw. Dickenverhältnisse der Scheiden gegenüber der Norm
unverändert sind (Fig. 7). Das Bild gleicht überhaupt voll¬
ständig einem Bilde von normalem Dentin. Desgleichen lassen
sich aus entkalktem transparenten Dentin in gleicher Art wie
aus normalem die Scheiden durch Einwirken erwärmter Kali¬
lauge isolieren.
^ Irgend eine Ursache, etwa einen Reiz — sei er chemischer,
sei er mechanischer Natur — der die Kalkablagerung in den
Kanälchen veranlassen würde, kennen wir für das senile Dentin
1 „Peripher“ auf den Querschnitt der Faser bezogen; denn dass der
Prozess in den peripheren Teilen der Kanälchen (wobei sich peripher auf
den Querschnitt der ganzen Wurzel bezieht) beginnt, kann man schon makro¬
skopisch konstatieren.
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Dr. Leo Fleiscbmann, Wien.
nicht, und es wäre auch gar nicht einzusehen, wie der Reiz,
den wir uns ja auf die Pulpa einwirkend, denken müssten,
gerade in den peripheren Teilen des Dentins, wo die Trans¬
parenz zuerst und am stärksten auftritt, seine Wirksamkeit ent¬
falten könnte.
Es ist wohl kaum ein Zweifel, dass es sich bei der Trans¬
parenz in senilen Zähnen um eine regressive Metamorphose
handelt, wie sie im Alter in den verschiedensten Organen auf¬
tritt. Das war auch schon die Auffassung Wedls. Und des¬
halb reiht er auch die senile Transparenz in seinem patho¬
logischen System unter die Atrophien ein.
Tatsächlich ist die senile Transparenz des Dentins ge¬
wöhnlich mit atrophischen, bzw. regressiven Vorgängen in der
Pulpa vergesellschaftet. Ob die Transparenz des Dentins sekundär
auf die Atrophie der Pulpa folgt, oder ob beide Prozesse neben¬
einander und unabhängig voneinander entstehen, vermag ich
nicht zu sagen.
Sache frischer Untersuchungen wird es sein festzustellen,
ob auch, bei aus irgend welchen anderen Gründen auf¬
tretenden atrophischen Vorgängen der Pulpa in den Zähnen
junger Individuen, Transparenz im Dentin auftritt. Sollte dies
der Fall sein, so wäre damit allerdings der Beweis erbracht,
dass die Transparenz des Dentins eine Folge der Pulpa¬
atrophie sei.
Resümiere ich die Ergebnisse meiner Untersuchungen
kurz, so ergibt sich:
1. Das Transparentwerden des Dentins ist
eine Folge der vollständigen Obliteration der
Kanälchen.
2. Diese Obliteration wird herbeigeführt
durch Ablagerung einer Substanz, die, wie wir
mit höchster Wahrscheinlichkeit sagen können
aus Kalksalzen besteht.
3. Ob es sich um eine Einlagerung der Kalk¬
salze in die Tomessche Faser oder um eine Aus¬
scheidung der Kalksalze in die Kanälchen durch
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Das transparente Dentin,
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die Tomessche Faser handelt, lässt sich nicht
entscheiden. .
4. Die Neumannschen Scheiden und die
Zahnbeingrundsubstanz erleiden beim Trans¬
parentwerden keine Veränderung.
Es bleibt mir noch übrig festzustellen, wie weit sich die
eben geäusserten Schlusssätze mit den Ansichten früherer
Autoren decken, bzw. in welchen Punkten sie von ihnen
differieren.
Ich habe schon in der an die Spitze meiner Arbeit
gestellten Literaturübersicht jeweils darauf hingewiesen, dass
die meisten bisher aufgestellten Theorien unhaltbar waren,
weil sie entweder auf falschen Voraussetzungen aufgebaut
waren oder durch Tatsachen widerlegt wurden. Nur zwei
blieben übrig: die eine von Tom es, die sich mit meiner
Ansicht im Prinzipe deckt; und die andere von Walkhoff,
der die folgenden Auseinandersetzungen gewidmet sind.
Während ich das Phänomen der Transparenz, im Sinne
einer regressiven Metamorphose, als eine Folge von Kalk¬
ablagerungen in die Kanälchen deute, deutet es Walkhoff,
im Sinne eines physiologischen Vorganges, als eine Folge von
Neubildung von Zahnbeingrundsubstanz in den Kanälchen.
Dass es im verkalkten Dentin noch zur Neubildung von
Grundsubstanz seitens der Faser und demzufolge zu einer Ver¬
engerung der Kanälchen kommt, ist seit langem bekannt. Als
klassischer Beleg dafür erscheint die von J. Tomes 1 ent¬
deckte Tatsache, dass in den immerwachsenden Zähnen, zum
Beispiel den Nagezähnen von Eichhörnchen, die Dentinkanälchen,
die der Spitze des Zahnes näher liegen, enger sind als die,
die dem offenen Ende näher liegen. Nach Walkhoff 2 führt
ein einfaches Fortschreiten dieses physiologischen Vorganges
zur Transparenz des Dentins.
W a 1 k h o f f wäre mit dieser Erklärung im Rechte, wenn
die die Kanälchen ausfüllende Masse wirklich verkalkte Grund-
* J. T o m e 8: Philosoph. Transact., 1850, Part. II.
2 Walkhoff: 1. c.
4 *
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Dr, Leo Fleischmaim, Wien.
Substanz wäre. Das ist aber keineswegs der Fall. Denn
wenn es sich tatsächlich um neugebildete Grundsubstanz
handelte, so müsste diese auch nach dem .Entkalken als so¬
genannter Zahnknorpel Zurückbleiben, d. h. das Lumen des
Kanälchens dürfte durch die Entkalkung nicht verändert werden.
Statt dessen sehen wir die auffallende Tatsache, dass durch
die Entkalkung Kanälchen, die gar kein oder ein minimales
Lumen hatten, so weit werden, dass sie von normalen nicht
unterschieden werden können. Das kann nur die eine Ursache
haben, dass die Kanälchen nicht durch Grundsubstanz, sondern
durch eine Substanz ausgefüllt wurden, die durch die Ent-
kalkungsflüssigkeit vollständig zum Schwinden gebracht worden
ist. Die Tatsache, dass nach Einwirkung von Säuren die
Kanälchen wie normale hervortreten, konnte natürlich Walkhof f
nicht unbekannt bleiben, zumal schon Wedl auf sie hin¬
gewiesen hat. Wiewohl Walkhoff zwar nicht direkt darauf
hinweist, dass diese Tatsache gegen seine Ansicht sprechen
würde, sucht er sie dennoch zu entkräften, indem er die Er¬
weiterung der Kanälchen nach der Entkalkung darauf zurück¬
führt, dass durch die Kalkentziehung eine Entspannung der
Grundsubstanz eintritt, die die Erweiterung der Kanälchen zur
unmittelbaren Folge hat. W'ürde durch die Entziehung der
Kalksalze der Grundsubstanz tatsächlich eine so enorme Er¬
weiterung der Kanälchen im transparenten Dentin eintreten
können, so müsste doch naturgemäss etwas Aehnliches bei
der Entkalkung normalen Dentins zu beobachten sein.
Eigens ausgeführte Versuche zeigten mir,
dass ein wahrnehmbarer oder gar messbarer
Unterschied zwischen dem Lumen der Kanälchen
vor und nach der Entkalkung im normalen Dentin
nicht besteht.
Eine Ausfüllung, bzw. eine Verengerung der Kanälchen
durch Neubildung von Grundsubstanz, wie sie Walkhoff
annimmt, kann also für die Entstehung der Transparenz nicht
verantwortlich gemacht werden.
Angesichts dieser Feststellung erscheint es mir nur von
untergeordneter Bedeutung, wenn ich noch auf einen Punkt
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Das transparente Dentin. 53
hinweise, in welchem meine Ansicht von der Walkhoffs
abweicht.
Walkhoff hält die Kanälchen nicht für vollständig
obliteriert, sondern nur für bedeutend verengt und dem¬
entsprechend die Zahnfaser nicht für geschwunden, sondern
nur für verschmälert. Er führt an, dass er die Faser bei ent¬
sprechender Vergrösserung innerhalb der Kanälchen immer
verfolgen konnte, und gibt eine von ihm selbst „schematisch“
genannte Skizze dieser Verhältnisse.
Dem widerspreche ich. Man sieht im transparenten
Dentin nur die bereits geschilderten Bänder. Was Walkhoff
in seiner Skizze als Faser wiedergibt, scheint mir nichts
anderes als ein solches Band bei hoher Einstellung zu sein.
Aus diesem Grunde, der Nichtexistenz der Fasern, gelang
ihm auch an Längsschliffen (durch die Kanälchen) niemals
deren Färbung.
An Querschliffen (durch die Kanälchen) erzielte Walkhoff
Färbungen. Ich muss hier betonen, dass eine solche Färbung
von Kanälchen-Querschnitten durchaus nicht das Vorhanden¬
sein von Fasern beweist, da man gefärbte Querschnitte, wie
ich im Laufe dieser Arbeit schon ausgeführt habe, auch an
Schliffen durch mazerierte, trockene Zähne, wo sicher keine
Faser vorhanden ist, erhält. Man erzielt eine Färbung nur
da, wo noch ein Lumen vorhanden ist, gleichgiltig, ob dies
von einer Faser ausgefüllt ist oder nicht. Ein gefärbter Quer¬
schnitt beweist daher auch nur, dass ein Lumen vorhanden
ist, und wenn man viele solcher gefärbter Lumina in einem
Präparat findet, so folgt daraus, dass es sich nicht um trans¬
parentes Dentin handelt. Im exquisit transparenten Dentin
gibt es auch an Querschnitten durch die Kanälchen keine
Färbung. Ich habe bereits im Verlaufe meiner Arbeit darauf
hingewiesen, wie vorsichtig man in der Deutung von Quer¬
schnittsbildern sein muss, und die Gründe dafür an derselben
Stelle erörtert.
Walkhoff führt als Stütze seiner Ansicht, dass Fasern
vorhanden sind, auch ein klinisches Räsonnement ins
Treffen, nämlich die Empfindlichkeit des kariösen Dentins. Ich
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54
Dr. Leo Fleiscbmann, Wien.
habe keinen Grund, darauf hier einzugehen, weil eine Em¬
pfindlichkeit der transparenten Partien des senilen Dentins
nicht bekannt ist.
Zum Schlüsse meiner Arbeit sei es mir gestattet, noch
auf einen Punkt zurückzukommen, der meiner Ansicht nach
einer Aufklärung bedarf. Er betrifft die „ Körnerreihen ü . Es
ist erinnerlich, dass ich diese Gebilde als bei der Ablagerung
der Kalksalze in den Kanälchen ausgesparte Räume gedeutet
habe. Wedl 1 hielt diese Gebilde für Fetttröpfchen, eine Deutung,
die seither von allen Autoren zurückgewiesen wurde und die
auch unhaltbar ist. Doch bildet Wedl 2 als Stütze seiner
Ansicht einen histologischen Befund ab, der, wenn er richtig
wäre, meine Auffassung der gesamten Frage unhaltbar machen
würde.
Wedl bildet ein Präparat ab, das einer senilen Wurzel
entstammt, in welchem die Kanälchen mittels erwärmter Salz¬
säure isoliert wurden. In einem so isolierten Kanälchen sind
nun Körnerreihen zu sehen. Wäre dies richtig, dann könnte
schlechterdings nicht die Rede davon sein, dass sie Kalk¬
ablagerungen ihr Entstehen verdanken.
Ich habe nun in zahlreichen Versuchen immer bestätigt
gefunden, dass die Körnerreihen bei Einwirkung von Säuren
sehr bald verschwinden. — Die Körnerreihen des Ueberganges
vom normalen zum transparenten Dentin können daher un¬
möglich mit den von Wedl abgebildeten identisch sein. —
Es ist kein Zweifel, dass die von Wedl abgebildeten Körner
oder Tröpfchen mit den Körnerreihen des transparenten
Dentins nichts zu tun haben, sondern jenen Gebilden ent¬
sprechen, die man bei dem Isolieren der Kanälchen mittels
Säuren oder Alkalien als Zerfallsprodukte der Zahnfasern
erhält. 3
* C. Wedl: Pathologie der Zähne, I. Auflage.
2 C. Wedl: Atlas zur Pathologie der Zähne, Tafel X, Fig. 95.
3 Vgl. Fleischmann: Ueber Bau und Inhalt der Dentinkanälchen.
Arch. f. mikr. Anat. und Entwicklungsgeschichte, Bd. 66, Tafel 85, Fig. 15.
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Osterr. wig. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1907. Heft I.
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Taf. II
Dr. L. Fleischmann : Das transparente Dentin.
Dr. L. Fleischmann : Das transparente Dentin.
& Fig. 6
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Das transparente Dentin.
55
Zu besonderem Danke bin ich Herrn Hof rat v. Ebner
und Herrn Prof. £}chaffer verpflichtet, die auch diesmal
meine Arbeit, obwohl sie einem pathologischen Thema galt,
auf die wohlwollendste Weise unterstützt und gefördert haben.
*
Erklärung der Abbildungen (Mikrophotographien).
Fig. 1.
Radialer Längsschliff durch eine trockene Wurzel, n normales Dentin;
t transparentes Dentin. 1:100.
Fig. 2.
Derselbe Schliff 1:1000. a sich allmählich verengerndes Kanälchen; h obli-
teriertes Kanälchen bei hoher Einstellung; t bei tiefer Einstellung.
Fig. 3.
Aus einem Horizontalschliff durch eine trockene Wurzel 1:1000. a Kanälchen
mit unregelmässig geformten Ablagerungen an den Wänden.
Fig. 4, 5 und 6.
Uebergangspartien aus Fig. 1. Vergr. 1:1000. Fig. 4 und 5 sind dasselbe
Kanälchen; Fig. 4 bei hoher, Fig. 5 bei tiefer Einstellung.
Fig. 7.
Schliff durch transparentes Dentin, in 5 prozentiger Alaunlösung entkalkt, mit
Delafield gefärbt; a Neumannsche Scheiden; b Seitenästchen.
Fig. 8.
Schliff durch transparentes Dentin, gebeizt in 5 prozentiger Alaunlösung, mit
Delafield gefärbt; bei a Füllungsmasse der Kanälchen blau gefärbt.
Fig. 9.
Schliff aus der Uebergangszone des normalen zum transparenten Zahnbein,
entkalkt mittels 5prozentiger Alauulösung, mit Delafield gefärbt; a Zahn-
fa8em; b Scheiden.
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56
Dr. Philipp Sehreier, Brünn.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Zur BehanllüBtL 4er Pnlpappn mit Mresol-Formalin.
Von Dr. Thilipp Schreier , Zahnarzt in Brünn.
Unsere Disziplin hat dank der wissenschaftlichen Be¬
arbeitung der letzten Jahrzehnte solche Fortschritte gemacht,
dass die zahnärztliche Kunst trotz ihrer Jugend mit Stolz auf
ihre praktischen Erfolge blicken kann und mit Bezug auf ihre
Leistungsfähigkeit für die leidende Menschheit neben vielen
anderen ärztlichen Spezialgebieten einen hervorragenden Platz
einzunehmen verdient. Neuerlich scheint wieder ein unermess¬
liches Feld, das bisher der allgemeinen Bearbeitung grosse
Schwierigkeiten entgegensetzte und den eifrigsten Pionier
nicht selten entmutigte, dem Gebiete des „non possumus“ ent¬
rissen zu sein und wenn die wenigen überschwenglichen Be¬
richte, die bis jetzt über die Trikresol-Formalinbehandlung der
Pulpagangrän bekannt sind, auch weiterhin ihre Bestätigung
finden, so wird wieder ein bisher beinahe unlösliches und doch
so oft an uns gestelltes Rätsel der Zahnheilkunde seiner glück¬
lichen Lösung näher gebracht.
Dr. Bukley, Zahnarzt in Chicago, hielt auf dem Inter¬
nationalen zahnärztlichen Kongress in St. Louis anfangs Sep¬
tember 1904 einen Vortrag, betitelt: „The chemistry of Pulp-
Decomposition with a rational treatment for this condition and
ts sequaele“, in dem er auf Grund der chemischen Bestand¬
teile, in welche das in Gangrän übergegangene Pulpagewebe
zerfällt, eine Behandlung mit Trikresol-Formalin empfiehlt, die
nicht nur auf wissenschaftlicher Basis aufgebaut ist, sondern
auch wunderbare Resultate ergeben soll Der Vortrag hat
meines Wissens keine aussergewöhnliche Beachtung erhalten,
da die zahnärztliche Welt sich schon gewöhnt hat, mit jedem
Saison- und Modewechsel eine neue Pulpagangränbehandlung
als non plus ultra angepriesen zu erhalten, und es ist ein be¬
sonderes Verdienst Dr. Lartschneiders in Linz und Hof¬
zahnarzt Eschers in Rudolstadt, dass sie diese empfohlene
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Zur Behandlung der Pulpagangrän mit Trikresol-Formalin.
57
Methode geprüft und die Zahnärzte des Kontinents darauf
aufmerksam gemacht haben. Beide Praktiker sprechen sich
derart enthusiastisch aus, dass diese Behandlung, namentlich
bei dem Umstande ihrer leichten Durchführbarkeit, ohne Zweifel
rasch populär werden und ihren Siegeslauf durch die Welt
nehmen wird. Ich halte es daher für eine Pflicht erfahrener
Kollegen, sich vielfach über diesen Gegenstand auszusprechen
und ihre Beobachtungen im guten oder schlechten Sinne be¬
kannt zu geben, damit man durch Sichtung eines grossen
Materials ein klares Urteil gewinnt, das sonst durch Vorein¬
genommenheit oder wahllose Verwendung leicht getrübt wird
und auch zu Enttäuschungen führen kann, welche wieder die
wahre Erkenntnis verhindern.
Da ich in den Publikationen Dr. Lartschneiders
und Esch ers die ausführliche Behandlung des Vortrages
Dr. Bukleys vermisse, dieser aber zum vollen Verständnis und
zur Beurteilung seiner auf chemische Grundsätze basierenden
Behandlung unbedingt erforderlich ist, fühle ich mich ver¬
pflichtet, bevor ich auf weitere Besprechungen mich einlasse,
diesen Vortrag in extenso zu behandeln; ich habe ihn dem
Februarhefte des „Dental Cosmos“ 1905 entnommen und will
ihn in den ersten Teilen nur skizzieren, während ich den Ab¬
schnitt über die Behandlung in wörtlicher Uebersetzung bringen
. werde.
Dr. Bukley sagt in der Einleitung seines Vortrages,
dass insolange wir nicht genau die Natur der chemischen
Prozesse verstehen, welche sich beim Zerfall der gangränösen
Pulpagewebe abspielen, und die resultierenden Endprodukte
nicht kennen, muss eine jede Behandlung empirisch sein, wie
es in der Vergangenheit bis jetzt der Fall war; das entspricht
aber nicht der Tendenz unseres Zeitalters, nicht in der Medizin,
nicht in der Zahnheilkunde. Wir müssen daher die genaue
Kenntnis der chemischen Prozesse zu erlangen suchen, die sich
während der Gangräneszenz der Pulpa ergeben. Die chemische
Untersuchung der Pulpagewebe hat dieselben Grundelemente
ihrer Zusammensetzung gezeigt, wie sie den übrigen orga-
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58
Dr. Philipp Sehreier, Brünn.
nischen Geweben eigen sind. Es sind dies Kohlenstoff (7, Wasser¬
stoff ff, Sauerstoff 0, Stickstoff ff, Schwefel S und Eisen Fe.
Die aus diesen Elementen sich auf bauenden Verbindungen
werden, je nachdem ob sie Stickstoff enthalten oder nicht,
in Stickstoffverbindungen und in nichtstickstoflhältige Ver¬
bindungen unterschieden. Die ersteren sind die Eiweiss-
Verbindungen oder Proteidsubstanzen mit komplizierten mole¬
kularen Anordnungen ihrer Elemente, die letzteren sind die
Kohlehydrate und Fette. Beim Zerfall der Pulpa entstehen aus
höher zusammengesetzten organischen Molekülen einfachere Ver¬
bindungen, und zwar zerfallen die Kohlenhydrate durch Gärung
(Fermentation), die Eiweisskörper durch Fäulnis (Putrefaktion).
Auf Grund eingehender Versuche behauptet Dr. Bukley, dass
durch die Einwirkung von Mikroorganismen vorerst die Kohlen¬
hydrate neben anderen Verbindungen Kohlensäure (ff 2 0 + (70*)
und Essigsäure (ff (7* ff» 0*) produzieren, in diesem nunmehr
saueren Medium vermögen fäulniserregende Organismen, die
stets auch vorhanden sind, die komplizierten Eiweissmoleküle
zu zersetzen und die dadurch entstandenen ersten Produkte
sind Schwefelwasserstoff ( H 2 S ), ferner Putrescin ((7 4 ff, 8 ff v ) und
zwei isomere Substanzen: Kadaverin und Neuridin ((7 6 ff, 4 ff 2 ).
Im fortlaufenden Prozesse zerfallen die letzteren Substanzen
weiter und Ammoniak (ffff 3 ) oder dessen Derivate werden
gebildet. Da hingegen während des ganzen Herganges keine
alkalische Reaktion eintritt, bleiben die Fette unver¬
ändert.
Die hauptsächlichen Endprodukte, die sich während der
Gangräneszenz der Pulpa entwickeln, sind demnach: Wasser*
Kohlensäure, Essigsäure, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und
Fette; da auch die Zahnfibrillen in den Zersetzungsprozess
einbezogen sind, so sind neben der Pulpakammer und den
Wurzelkanälen auch die Zahnbeinröhrchen von denselben End¬
produkten des Zerfalles erfüllt. Diese chemischen Prozesse,
die auf Grund seiner Untersuchung von dem Vortragenden al&
feststehend angenommen werden, bilden für Dr. Bukley die
Grundlage seiner rationellen Behandlung, die ich der
Wichtigkeit halber nunmehr in freier Uebersetzung folgen lasse :
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Zur Behandlui g der Pulpagangrän mit Trikresol-Formalin. o&
„Bei der Auswahl der Medikamente, die demnach bei
der rationellen Behandlung zu verwenden sind, werde ich
Mittel wählen, welche die Fähigkeit besitzen, sich chemisch
mit den aus der Zersetzung der Pulpa resultierenden End¬
produkten zu verbinden. In dieser Erwägung müssen wir uns
erinnern, dass der Zustand der Fäulnis durch Einwirkung von
Mikroorganismen eingeleitet wird, der einen fortschreitenden
analytischen Prozess darstellt, und dass unter den ersten Zer¬
fallsprodukten, Schwefelwasserstoff, Putrescin, Kadaverin und
Neuridin zu zählen sind.
Die letztgenannte Verbindung gilt an und für sich für
nicht infektiös, kann aber verunreinigt mit anderen giftigen
Fäulnisprodukten toxische Bedeutung annehmen, jedenfalls ent¬
steht aber bei ihrem weiteren Zerfalle Ammoniak. Schwefel¬
wasserstoff ist wichtig, weil er ein saures Gas ist, das einen un¬
angenehmen Geruch und lokal reizende Eigenschaften hat und
ihm ein Anteil bei der Entfärbung der Zahnstruktur zukommt;
aber ich muss es hier aussprechen, dass seine Rolle bei der
Verfärbung der Zähne weit überschätzt wird.
Putrescin und Kadaverin sowie Neuridin sind vielleicht
die wichtigsten Verbindungen, die durch den Zerfall der Eiweiss¬
moleküle entstehen, sie sind basische Stickstoflfverbindungen,
die nach den Untersuchungen von Scheurlen und Grawitz
an und für sich fähig sind, Entzündung und Nekrose zu er¬
zeugen und die in ihrem weiteren Zerfalle Ammoniak ent¬
wickeln.
Die bei der Pulpazersetzung erzeugten Gase sind dem¬
nach: Kohlensäure, Ammoniak und Schwefelwasserstoff. Ent¬
wickeln sich diese Gase in solchen Fällen, wenn kein freier
Abzug durch eine offene Kavität besteht, wird ein Druck er¬
zeugt, der die Wurzelspitzen durchdringen kann, wodurch sie
in die umgebenden Gewebe gelangen und auch giftige Ptomaine
mit sich reissen; dadurch wird eine Entzündung erzeugt, die
einen Alveolarabszess etablieren kann.
In solchen Fällen, wenn wir die Pulpakammer eröffnen,
eine gangränöse Pulpa finden und die Ptomaine und End¬
produkte noch nicht durch die Wurzelspitze sich ihren Weg
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60
Dr. Philipp Schreier, Brünn.
gebahnt haben, sollte unsere Behandlung darin bestehen, dass
wir sofort in die Pulpakammer ein Agens hermetisch ein-
Schliessen, welches flüchtig, demnach durchdringend ist und
welches in Kontakt mit den Endprodukten sich mit ihnen
chemisch verbindet und sie in geruchlose, nicht infektiöse Ver¬
bindungen verwandelt. Solch ein Agens haben wir im Formal-
dehyd CH\ 0, ein Gas, das im Handel in 40 prozentiger
Lösung als Formalin bekannt ist.
Es ist seit langem bekannt, dass Ammoniak eines der
wichtigsten Endprodukte bei Zerfall der Proteidmoleküle ist.
Es ist ebenso bekannt, dass Formaldehyd sich mit Ammoniak
zu einer festen Verbindung vereinigt, die geruch- und farblos
und von süsslichem Geschmacke ist, im Handel als Urotropin
bekannt, als chemische Formel (C, H) 6 N A Hexamethylen-Tetramin
heisst; es ist auch durch gute Autoritäten gestützt, dass Formal-
debyd sich mit Schwefelwasserstoff und mit basischen Ptomainen
chemisch vereinigt und geruchlose Verbindungen bildet. Da
Formalin unverdünnt eine zu starke Lösung für unseren all¬
gemeinen Gebrauch ist, verwende ich in der oberwähnten An¬
nahme, dass die Fette im Zerfallsprozesse un¬
verändert bleiben, als Verdünnungsmittel Kresole, welche
wieder chemisch auf die fetten Bestandteile einwirken. Die
Kresole sind Homologe der Karbolsäure, es gibt ihrer drei:
Metakresol, Orthokresol, Parakresol. Das Produkt, das am
besten für unseren Gebrauch geeignet ist, ist Trikresol, eine
geläuterte Mischung dieser drei. Es ist eine beinahe farblose
Flüssigkeit, von kreosotähnlichem Geruch, löslich im Wasser bis
zu 2*5 Prozent. Trikresol wurde als Vehikel für das Formalin
aus drei Ursachen gewählt: 1. Es lässt sich mit Formalin in
allen Verhältnissen mischen und erzeugt so ein gutes pharma¬
zeutisches Präparat; 2. es ist ein gutes Desinfiziens und bei¬
nahe dreimal so wirksam wie Karbolsäure; 3. es wirkt chemisch
auf die fetten Bestandteile und beeinflusst in geeigneter Weise
diese Substanzen.
Die Formel, welche ich mit günstigen Erfolgen bei der
Behandlung der Pulpagangrän verwende, ist folgende:
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Zur Behandlung der Pulpagangrän mit Trikresol-Formalin.
61
Trikresol ) _
Formalin I aa P artes ae( I ua ^ es -
S.: Auf einem kleinen Stückchen Baumwolle in der Pulpa¬
kammer 24 bis 48 Stunden hermetisch abgeschlossen. Eine
Behandlung ist im allgemeinen genügend.
In der Behandlung von Abszessen ohne eine Fistelöffnung
ist es gut, die Formel zu modifizieren. In diesen Fällen ist der
Zerfall der Pulpagewebe bereits vollkommen. Die Zwischen¬
produkte (Ptomaine) sind ausgiebig zerfallen, Eiter hat sich
von dem die Wurzelspitzen umgebenden Gewebe gebildet und
der erste Schritt bei der Behandlung solch eines Abszesses ist
die mechanische Entleerung des Eiters. Wir haben es nicht nötig,
Formaldehyd in solch konzentrierter Mischung zu gebrauchen,
wie in solchen Fällen, wo die Pulpakammer, die Wurzelkanäle
und Zahnbeinröhrchen mit dem gangränösen Material gefüllt
sind. Die Konzentration der Formaldehydlösung muss der Zahn¬
struktur entsprechend verdünnt sein, da es eines der reizbarsten
Mittel ist, die dem Therapeuten bekannt sind. Eine sichere
Formel für Abszesse ohne Fistel ist:
Trikresol 3*0
Formalin 1*0
S.: Mechanische Entleerung des Eiters und auf Baum¬
wolle im Kanal für 24 bis 48 Stunden, hermetisch abgeschlossen,
zwei- bis dreimal anzuwenden. Oft ist eine Behandlung ge¬
nügend. a
Nach weiterer Anführung von Experimenten, welche die be-
zeichnete Einwirkung des Formalins auf Ammoniak und Schwefel¬
wasserstoff illustrieren, schliesst der Vortrag Dr. Bukleys.
Auf den Vortrag folgte eine Diskussion, in welcher der
erste Sprecher Dr. A W. Harlan aus New-York betonte, dass
der Vorschlag, dem gangränösen Inhalt der Wurzelkanäle auf
chemischem Wege beizukommen, von Dr. Emil Schreier in
Wien ausging, der im Jahre 1890 in geistreicher, einwendungs¬
loser Weise darlegte, dass durch Kalium eine Verseifung des
ganzen putriden Inhaltes herbeigeführt werden kann.
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32
Dr. Philipp Schreier, Brönn.
Auch Dr. Hodgen spricht über die Behandlung mit
Natrium-Dioxyd, welches eine Saponifikation (Verseifung) der
gangränösen Massen bewerkstelligt, ohne aber den Autor dieses
Behandlungsvorganges, Dr. Schreier (Wien), zu zitieren, denn
trotz der Modifikation der reinen Kaliumbehandlung ist der
chemische Vorgang derselbe und der Begriff „Verseifung des
gangränösen Inhaltes“ ist von Dr. Schreier (Wien) geprägt
worden.
Um auf den Vortrag Dr. Bukleys zurückzukommen,
will ich hervorheben, dass zwei Punkte eine nähere Erläuterung
verdienen. Erstens führt Dr. Bukley in seinem Vortrage
deutlich aus, dass in den Fällen, wo sich schon ein apicaler
Abszess gebildet hat, keine chemischen Zersetzungsprodukte
mehr vorhanden sind, welche das Substrat für die Trikresol-
Formalineinwirkung abgeben und in welchen Fällen die
mechanische Entleerung des Eiters verlangt wird, dann aber
doch die bezeichnete Lösung in verdünnter Zusammensetzung
ihre Wunder wirkt. Wenn Dr. Bukley seine Methode auf
logischen Konsequenzen aufbaut, so wird die wissenschaftliche
Folgerung hier durchbrochen und es können nur praktische
Ergebnisse zu dieser Anempfehlung führen. Zweitens ist die
Einwirkung des Trikresols auf die Fette mit einer einfachen
Behauptung, dass nämlich ersteres die letzteren in geeigneter
Weise chemisch beeinflusse, abgetan, während diese chemische
Wechselwirkung einer eingehenden Erklärung bedurft hätte.
Verschiedene Chemiker von Beruf konnten, befragt, mir über
die Beziehung von Trikresol zu Fetten gar nichts sagen, andere
haben eine solche überhaupt in Abrede gestellt.
Ferner ist nicht deutlich zu ersehen, ob Dr. Bukley den
Wurzelinhalt mechanisch entfernt und erst den entleerten Kanal
mit Trikresol-Formalinwatte stopft; man muss nach seiner
■Gebrauchsanweisung annehmen, dass er nur die Pulpakammer
ausräumt, dagegen die Wurzelkanäle unberührt lässt, es wäre
denn, dass er einen apicalen Abszess zu eröffnen hätte. Die
veröffentlichten kasuistischen Fälle des Dr. Lartschneider
lassen ersehen, dass dieser in der Mehrzahl der Fälle die
Wurzelkanäle gereinigt hat, in einigen Fällen nicht. Seine
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Zur Behandlung der Pulpagangrän mit Trikresol-Formalin. 63
zweite, in der Julinummer vorigen Jahres angeführte Serie lässt
diesen Punkt auch unklar, doch lässt die Angabe, dass die
Kanäle mit heisser Luft möglichst ausgetrocknet werden,
die Annahme einer mechanischen Reinigung zu. Deutlicher
spricht sich Dr. Es eher aus, der in der ersten Sitzung
in die Pulpakammer das mit Trikresol-Formalin getränkte
Bäuschchen einlegt und in der zweiten Sitzung die Nerv¬
kanäle weit eröffnet, aber auch nicht genauer angibt,
ob er mit Nervnadeln manipuliert oder nicht, wenngleich die
Deutung der Textfassung berechtigt erscheint, dass dies nicht
geschieht. Sollte sich die Tatsache ergeben, dass der putride
Wurzelkanalinhalt durch das Trikresol-Formalin derart sterilisiert
und auch für alle Folgen unschädlich gemacht wird, dass er
förmlich die Wurzelfüllung im Kanäle bildet und die medika¬
mentöse Paste bloss für die Pulpakammer bestimmt ist, dann
wären wir geradezu aus einem Wirrsal komplizierter, die
höchsten Anforderungen auf die Geschicklichkeit des Operateurs
stellender und dabei erst unsicherer Verhältnisse in eine
geradezu ideale Situation versetzt. Es wäre Sache der Lehr¬
anstalten und Institute, dass sie dieTrikresol-Formalinbehandlung,
welche ganz sicher bald einen breiten Rahmen in der zahn¬
ärztlichen Praxis einnehmen wird, einer genauen wissen¬
schaftlichen Untersuchung unterziehen, die Indikationen und
die Grenzen ihrer Wirksamkeit bestimmen und auf eventuelle
Rezidiven prüft, da ihnen allein die nötigen Arbeitskräfte und
Zeit zur Verfügung stehen.
Ich will nun meine eigenen Erfahrungen, die sich auf
viele hundert Fälle bereits erstrecken, an die schon erwähnten
Publikationen anschliessen und im vorhinein bemerken, dass
auch meine Resultate derart überraschend gute sind, dass ich
mich dem Lobe der Trikresolbehandlung bedingungslos an¬
schliessen kann. Ich verfahre sowohl bei schmerzhaften
als auch unempfindlichen Zähnen mit gangränöser Pulpa
folgendermassen: Dem zu behandelnden Zahn lege ich als
Conditio sine qua non Kofferdam an, eröffne weit die Pulpa¬
kammer, reinige nun diese langsam und vorsichtig, lege ein
mit Trikresol-Formalin getränktes Wattebäuschchen ein und
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64
Dr. Philipp Schreier, Brünn.
verschliesse mit Fletcher. Nach 24 bis 48 Stunden
wird der Okklusivverband eröffnet und es zeigt sich die Tat¬
sache, die bisher niemals in so kurzer Zeit und in
so vollkommener Weise erzielt werden konnte,
dass der faulige Geruch ganz geschwunden ist
und die Watte nur den Geruch des Medikamentes verrät.
Nun suche ich mit Nervnadeln, die in die medikamentöse
Lösung getaucht waren, die einzelnen Kanäle auf und reinige
sie langsam und vorsichtig. Es ist möglich, dass diese Prozedur
überflüssig ist, halte sie aber aus den verschiedensten Gründen
für opportun, denn schädlich kann sie in keinem Falle sein ;
dagegen befinden sich in den Wurzelkanälen oft Fremdkörper
aller Art, die gewiss im Interesse des Dauererfolges besser
entfernt sind, ferner können auch kleine Abszesse in apice,
die sich leicht der Konstatierung entziehen, zur Eröffnung
gelangen und endlich reiht sie sich unserem bisherigen Gedanken¬
gange ein. Nach erfolgter Reinigung führe ich mit Trikresol-
Formalin getränkte Fäden möglichst tief in die Kanäle ein,
schliesse mit Fletcher und nach weiteren 48 Stunden
mache ich die definitive Füllung. Ohne durch Anführung langer
Behandlungsreihen ermüden zu wollen, will ich nur kurz er¬
wähnen, dass ich in dem halben Jahre der Trikresol-Formalin-
behandlung mehr gangränöse Zähne aller Art mit Erfolg ge¬
schlossen habe, als vielleicht in meiner vieljährigen intensiven
Praxis bis dahin. Ganz vereinzelte Misserfolge können höchstens
nach der Richtung ins Gewicht fallen, dass es immer Fälle
geben wird mit bedeutenden anatomischen Veränderungen der
Wurzel und des sie einschliessenden Alveolarfortsatzes, welche
nur einem operativen Eingriff durch die Alveolarwand weichen
werden, es unterliegt aber keinem Zweifel, dass die bekannte
Wurzelspitzenresektion nur als ultimum refugium durch die
neue Methode eine grosse Einschränkung erfahren wird.
Man kann von einer rationellen Pulpagangränbehandlung
nicht sprechen oder schreiben, ohne auf die 8 ehr ei ersehe
Kaliumbehandlung einzugehen. Es ist eine unläugbare und
trotz vielem Widerstreben nunmehr auch anerkannte Tatsache,
dass mit dieser Methode das erstemal der tastende Weg im
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Zur Behandlung der Pulpagangräu mit Trikresol-Formalin.
65
Dunkeln verlassen und eine klare wissenschaftliche Behandlung
inauguriert wurde, welche dem mit dem Mittel hantierenden
Operateur viel Erfolg und viel Freude sicherte. Und doch ist
anderseits mit Bedauern zu konstatieren, dass sich das Mittel
nicht einer allgemeinen Verbreitung erfreute, sondern nur von
einigen, wenn ich mich so ausdrücken darf, Gourmands
goutiert wurde. Ich kann dafür keine andere Erklärung finden,
als dass das Mittel infolge seiner unheimlichen Eigenschaft, im
Wasser zu explodieren, bei den Kollegen eine Scheu erweckte.
Man hat ein ängstliches Gefühl, mit einem Körper zu hantieren,
der schon in kleinsten Partikelchen, wie sie an der Nadel
haften, eine sichtbare Flamme gibt und knisterndes Explosions¬
geräusch verursacht; es hat auch den Nachteil dass trotz
des Paraffinverschlusses sich zwischen diesem und dem Kalium,
infolge seiner grossen Verwandtschaft zu Wasser eine Schichte
Kaliumhydrat als weisser etwas steifer Körper bildet,
welcher wieder den Zugang zum Kalium für die Nadel er¬
schwert. Auch lässt es doch nicht selten im Stiche, wahr¬
scheinlich weil es, wie Es eher treffend bemerkt, nur lokal
wirkt und, wo man mit dem Kalium nicht hingelangt, auch
keine Zersetzung stattfindet. Das Formalin hingegen hat neben
seiner chemischen Einwirkung die wunderbare Eigenschaft,
dass es auch über seinen Sitz hinaus wirkt, also auch durch
impermeable und unzugängliche Wurzelkanäle bis jenseits der¬
selben seine Einwirkung trägt. Dabei ist es ein leicht erhältliches
Präparat, dessen Verwendung so handlich ist und dessen Ge¬
brauch sich so einfach darstellt, dass die Pulpagangrän-
behandlung, die bisher nur für wenige auserwählte, mit be¬
sonderer Erfahrung und Geschicklichkeit begabte Fachmänner
reserviert blieb, nunmehr Gemeingut aller Kollegen werden
kann, was ja bei der ungeheuren Verbreitung dieses Krankheits¬
prozesses im Interesse der leidenden Menschheit zu begrüssen ist.
Das Formalin hat nunmehr einen allerersten Rang im
zahnärztlichen Arzneischatz erobert, den es aber auch schon
seit Jahren bei Behandlung der Pulpitis einzunehmen verdient.
Wir besitzen im Handel ein Formalinpräparat unter dem
Namen Abrahams Formagen, dessen genaue Zusammensetzung
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66
Dr. Puilipp Schreier, .Bittun
mir nicht bekannt ist, das die glänzende Eigenschaft besitzt,
dass es, auf eine entzündete noch so schmerzhafte Pulpa auf¬
gelegt, die intensivsten Schmerzen sofort mit einem Schlage
behebt und auch sofort eine Plombo auf die nicht abgetötete
Pulpa applizieren lässt.
Die Kollegen, welche dieses Präparat kennen, werden
meiner Aussage beipflichten; ich verwende es nicht aus Gründen,
die auszuführen mich zu weit von meinem Thema ablenken
würden und erwähne das Formagen nur der Vollständigkeit
halber. Hingegen kann ich nicht eindringlich genug die Formalin¬
behandlung der Pulpitis nach abgetöteter Pulpa empfehlen,
wie sie von Prof. Boennecken in Prag schon vor zirka
10 Jahren in dieser Vierteljahrsschrift beschrieben und vor¬
geschlagen wurde. Prof. Boennecken hat in diesem
Aufsatze die Pulpa-Dekapitation vorgeschlagen ohne nach-
herige Extraktion der Nervfäden, statt dessen wird die
entleerte Pulpakammer mit Formalin auf 3 Minuten über¬
schwemmt, hierauf mit Formalinpaste gefüllt und dann sofort
die definitive Plombe* fix und fertig gemacht. Trotzdem
die Pulpa-Dekapitation nichts neues war und von Julius
Witzei schon vor mehr als 20 Jahren angegeben wurde, hat
doch diese Behandlung keine allgemeine Verbreitung erlangt.
Prof. Boennecken hat im Gegenteil so viel Opposition
gefunden, dass er selbst irre geworden ist und später eine
nachträgliche Entfernung der Nervfäden konzediert hat. Und
doch ist diese Pulpabehandlung trotz ihrer Einfachheit absolut
sicher, und es ist zu staunen, dass in diesem Falle sich das
Leichte und Gute gegenüber dem Schweren und Unverlässlichen
nicht spielend das Feld erobert hat. Witzei hat neuerlich
die Dekapitation mit nachheriger halber Sondierung der Wurzel¬
kanäle mit schwarzer Chlorzinklösung wärmstens angeraten;
ich könnte selbst nur Gutes aus eigener und fremder Erfahrung
über diese Methode berichten, es ist aber schon eine viel
schwierigere Manipulation und deshalb gegenüber der einfacheren,
leichteren Boennecken sehen sehr im Nachteil. Wenn man be¬
denkt, dass man jeden Zahn, an beliebiger Seite erkrankt, nach
vorheriger Abtötung der Pulpa in 20 bis 25 Minuten leicht und
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Zur Behandlung der Pulpagangrän mit Tiikresol-Formalin. 67
definitiv mit Amalgam plombieren kann, so hat man damit
eine Stufe erlangt, die kaum günstiger zu erhoffen ist. Man
gelit einer Devitalisation eines Zahnes nicht scheu aus dem
Wege, sondern wendet sie schon in zweifelhaften Fällen an,
was, ich wage es zu sagen, in der Mehrzahl der von Karies
an den Seitenflächen befallenen Bicuspidaten und Molaren der
Fall ist, erspart sich viele Reklamationen und Unannehm¬
lichkeiten und geht vielen nervenzerrüttenden Situationen aus
dem Wege. Nach vielen Tausenden zählen schon so von mir
geübte Pulpabehandlungen und die Misserfolge sind so ausser¬
ordentlich selten, dass die Ausnahmen hier wirklich die Bestätigung
der Regel beweisen. Ich gebe gerne zu, dass jeder Praktiker
mit seiner Pulpabehandlungsmethode ebenso zufrieden sein
wild, doch wenn ich auch den Erfolg nicht in Abrede stellen
will, leichter und einfacher auszuführen kann keine andere als
die von Boennecken hier bezeichnete sein. Ich stehe nicht
an, zu behaupten, dass ich die Pulpabehandlung mit Formalin
nach Angabe Boenneckens und die doublierten Amalgam¬
füllungen nach Robitschek zu den grössten Errungen¬
schaften der Zahnheilkunde in unserer Epoche rechne, denn
diese zwei Momente haben es erst ermöglicht, eine erfolgreiche
konservative Behandlung der Zähne in die weiten Schichten
der Menschheit zu übertragen und ich wollte heute kein Zahn¬
arzt sein, wenn ich auf diese beiden Faktoren verzichten müsste.
Es wäre zu wünschen und, um mich auch etwas optimistich
auszusprechen, es scheint sogar die berechtigte Hoffnung zu
bestehen, dass durch die Formalinbehandlung der Pulpagangrän
wieder eine neue Aera für die Zahnheilkunde ersteht.
Ich kann meinen Aufsatz nicht schliessen, ohne noch auf
die grossen Aufgaben hinzuweisen, die voraussichtlich durch
die Einbeziehung der Pulpagangrän in unseren Behandlungs¬
kreis unserer Disziplin erwachsen werden. Jedem in weiten
Kreisen wirkenden Praktiker ist bekannt, dass der arme, also
grösste Teil der Bevölkerung mit einem pulpakranken Zahne
nur behufs Extraktion zum Zahnarzt kommt. Dieser kann es
aber schon jetzt nicht mit seinem ärztlichen Gewissen und
Ehrgefühl vereinbaren, einen pulpitischen Zahn zu extrahieren.
5 *
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68 Dr. Philipp Schreier, Brünn. Zur Behandlung der Pulpagangrän etc.
Wenn nunmehr auch ein gangränöser Zahn eine leichte, rasche
und erfolgreiche Behandlung zulässt, darf der Zahnarzt auch
hier nicht mehr zur Zange greifen, um die radikale erwünschte
Hilfe zu bringen; es kann aber der praktizierende Zahnarzt
bei aller seiner Humanität nicht verhalten werden, eine immer¬
hin kunstreiche, kostspielige und zeitraubende Behandlung
umsonst zu bieten.
Es erwächst nunmehr für uns die Aufgabe, mit allem-
Nachdruck auf Kommune, Land und Staat einzuwirken, dass
sie Zahnärzte für nichtsolvente Bevölkerungsschichten bestellen;
namentlich sind die Mitglieder der verschiedenen Krankenkassen
zu belehren, dass sie mit vollem Rechte von ihren Versicherungs-
Instituten auch eine rationelle zahnärztliche Behandlung be¬
anspruchen können, da mit der Leistungsfähigkeit der Zahn¬
heilkunde auch ihre Notwendigkeit resultiert, die sie auf gleicher
Stufe mit anderen ärztlichen Gebieten rangieren muss.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Die Ontrahl der Zaine in neischlichei Misse ml ihm
Von Dr. Th. Dependorf , Privatdozent in Jena.
Im Verlaufe des letzten Sommersemesters wurde mir aus»
der chirurgischen Poliklinik folgender merkwürdige Fall von
Unterzahl der Zähne im Ober- wie Unterkiefer zugeschickt r
Fritz B., 13 Jahre alter Knabe, macht den Eindruck
eines weit jüpgeren Kindes. Sein Knochenbau ist zart, ohne
auffällige Merkmale von überstandener Rachitis, seine Mus¬
kulatur sehr schwach entwickelt. Der Junge zeigt ein scheues*
unfreundliches Wesen. In seinem ganzen Gesichtsausdruck
macht sich durch Einklemmen der Lippen ein fremder, fast ab-
stossender Zug bemerkbar, die Nase ist eingedrückt und verbreitert*
angeblich durch einen Sturz auf einen Treppenabsatz vor voll¬
endetem dritten Lebensjahr. B. ist mehrfach an der Nase und
im Rachen operiert worden. Auf das tote, glanzlose Aussehen
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Dr. Th. Depeudorf, Jena. Die Unterzahl der Zähne etc.
69
der Haare und den spärlichen, ^struppigen Haarwuchs, sowie
die trockene Oberfläche seiner Haut weiss schon die Mutter
hinzudeuten. Augenbrauen und Wimpern fehlen fast vollständig.
Auch die Entwicklung der Fingernägel ist nicht normal, das
Nagelbett erscheint kurz und schmal, der Nagel selbst ver¬
kümmert. Ebenso ist die Speichelung gering.
Die Mutter kommt mit ihrem Sohn wegen angeblicher
Zahnlosigkeit ihres Kindes, die Ursache seiner schlechten Ver¬
dauung sein soll.
Der Zahnwechsel des Kindes ist in ganz anormaler Weise
vor sich gegangen. Nach dem Berichte der Mutter ist der erste
Zahn mit drei Jahren gekommen, und zwar der zweite Milch¬
molar rechts oben, ihm folgte der zweite der linken Seite;
bald darauf brachen die beiden ersten Milchmolaren der rechten
und linken Seite durch. Mit ihnen zugleich erschien der merk¬
würdig geformte Eckzahn jederseits im Oberkiefer. Nach einem
weiteren halben Jahr kamen die unteren Canini, nach abermals
der gleichen Zeit die unteren Milchmolaren rechts und links
zum Vorschein. Schliesslich vervollständigten dieses eigenartige
Gebiss der laterale obere Incisivus rechts und links. Das fertige
Gebiss sehen wir in Fig. 1 und 2.
Darnach lassen sich im ganzen 14 Zähne feststellen.
Der zweite obere Incisivus und die Eckzähne haben die Form
von Reptilienzähnen, zumal die unteren Canini; sie erinnern
an kräftige, überzählige Zapfenzähne. Der erste Milch-
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70
Dr. Tu. Depeudort, Jena.
molar besteht oben wie unten. Die ihm folgenden Backen¬
zähne besitzen mehr die Form der ersten bleibenden Molaren
als der zweiten Milchmolaren.
Auch die Milchzahnnatur der übrigen Zähne ist aus ihren
Formen nicht ohne weiters festzustellen. Als durchgebrochene
Glieder der ersten Zahnreihe müssen wir diese Zähne trotz¬
dem alle dem Milchgebiss zuzählen. Das ganze Gebiss setzt
sich schliesslich aus folgenden Komponenten zusammen:
5432|2345
5 4 3 | 3 4 5
Der Gaumen ist flach und schmal, in der Mitte von
einem Torus durchzogen, die Gaumenfalten sind gut ausgeprägt.
Fig. 2.
Die Kiefer geben sich an Kleinheit gegenseitig nichts
nach; besonders fällt der ausserordentlich niedrige Alveolarfort¬
satz am Unterkiefer auf.
Wie die Röntgenaufnahme beweist, fehlen bislang sämt¬
liche Anlagen der übrigen nicht vorhandenen Zähne.
Der Junge hat niemals einen Zahnwechsel durchgemacht
und wird auch voraussichtlich keine andere Zusammenstellung
seines Gebisses erfahren.
Seine Geschwister, seine Eltern sollen alle normal ent¬
wickelte Gebisse besitzen.
Anamnestisch ergibt sich die Tatsache, dass der Knabe
als Kind ausserordentlich schwächlich gewesen ist, vielfach
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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 71
an Krämpfen gelitten hat, sich sehr langsam entwickelte und
bis auf den heutigen Tag als das Sorgenkind seiner Eltern
gilt. Seine zwei älteren Geschwister (Schwestern) sind gesund.
Nach diesem Jungen hatte die Mutter eine Fehlgeburt.
Luetische Einflüsse liegen dem Vernehmen nach nicht
zugrunde, auch fehlen derartige Merkmale bei dem Kinde.
Ebenso sind rachitische und skrofulöse Veränderungen nicht
zu konstatieren, die den rachitischen Kiefern eigene Figuration
ist nicht ausgesprochen vorhanden.
Zuerst war ich geneigt, in diesem Falle an Kretinismus
zu denken, und zwar an Myxödem. Für diese Diagnose fehlen
jedoch einige wichtige Anzeichen, wie gestörte psychische
Funktionen, in der Jugend verdickter Leib, Verzögerung des
Fontanellenschlusses, das Ausbleiben der Stütz- und lokomo-
torischen Funktion. Kretinismus kommt demnach kaum in
Betracht. Wir haben es sehr wahrscheinlich nur mit besonderen
nervösen Erscheinungen in der Ernährung zu tun, mit tropho-
neurotischen Störungen der Hautanhänge, neben allgemeiner
körperlicher Schwäche.
Drei Jahre vor dieser Beobachtung war ein zweiter Fall
von Unterzahl bei einem 23jährigen Dienstmädchen in meiner
Klinik zur Behandlung gekommen.
0. F. ist eine gesund aussehende, mittelkräftige Person
mit kleinem Gesicht, doch groben, gewöhnlichen Zügen. Als
Kind hat sie schwer an Skrofulöse und Rachitis gelitten. Alte
Narben an beiden Seiten des Halses deuten auf Drüsen¬
operationen hin. Daneben bestehen Verdickungen der Hand-
und Fussgelenkknochen, leichte Krümmung der Unterarme und
Unterschenkel, wohl als sichere Zeichen überstandener Rachitis.
Ihre Mutter ist klein und zart gebaut, sie besitzt ein schlechtes
Gebiss, in dem fast alle Zähne fehlen; ihr Vater soll gesund
sein. Tuberkulose ist in der Familie der Mutter vorhanden.
Die Patientin kommt, um sich für ihre fehlenden Frontzähne
einen Ersatz anfertigen, zu lassen. Bei der Untersuchung der
Zahnreihen ergeben sich ganz eigenartige Gebissverhältnisse,
die, wie Patientin angibt, seit mehreren Jahren so bestehen.
(Fig. 3 und 4.)
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72
Dr. Th Dependorf, Jena.
Zwischen teilweise verkümmerten bleibenden Zähnen und
persistierenden Milchzähnen stehen Reste von Wurzeln
bleibender und Milchzähne. Die Wurzeln sind klein und kurz,
sie liegen teilweise lose im Zahnfleisch. Es fehlen gänzlich die
Fig.
zwei unteren mittleren und die vier oberen Schneidezähne,
der linke obere erste Prämolar, die vier zweiten Prämolaren,
an ihrer Stelle stehen rechts die zweiten Milchmolaren, links
sind sie kurz zuvor entfernt worden. Der rechte Eckzahn ist
Mir. 4.
nach vorne bis in die Gegend des ersten Incisivus gewandert, sein
Vorgänger steht an dem ihm zukommenden Platze fest im Kiefer.
Sämtliche bleibenden Zähne sind klein und zierlich ent¬
wickelt, die unteren ersten Prämolaren besitzen eckzahn¬
ähnliche Formen. Der gewölbte Gaumen zeigt seitlich
verbreiterte Alveolarfortsätze. Der Oberkiefer ist etwas kleiner
als der Unterkiefer, hier ist der Alveolarfortsatz verschmälert.
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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutnng. 73
Die verkümmerten Wurzeln der ersten Molaren sind
überall entfernt worden, der zweite Molar links unten ist im
Durchbruch. Es fehlen also im Gebi?s
Fig. o.
Der vor Jahren festgestelite Zustand hat sich bis heute nicht
verändert.
Ausser diesen beiden charakteristischen Fällen echter
Unterzahl sind im Verlaufe der gleichen Zeit einzelne anormale
Fig. 6.
Zustände im Bereiche der voi deren Zähne, zumal der Incisivi,
Persistieren einzelner Gruppen von Milchzähnen (Fig. 7,
Persistieren von 111 11 - i -j —-——) Unterdrückung von Ersatz¬
zähnen zur Beobachtung gekommen. Von diesen, die sonst
eine nähere Beschreibung nicht erheischen, will ich noch einen
Fall anführen. (Fig. 5 und 6.)
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74
Dr. Th. Dependorf, Jena.
Das Gebiss der Patientin von 24 Jahren zeigt steile
Stellung der Zähne und keine schönen Formen. Die Schneide-
zähne sind oben wie unten verkümmert. Die Eckzähne besitzen
Kegelform. Im Oberkiefer stehen an Stelle der zweiten Incisivi
kleine verkümmerte Kegelzähne, im Unterkiefer fehlen die
Ersatzzähne der mittleren Incisivi. Die Patientin war in ihrer
Jugend ein skrofulöses und schwächliches Kind.
Interessant ist hier die Anomalie im Ober- und Unter¬
kiefer im Bereiche der Incisivi. Die fehlenden Ersatzzähne im
Unterkiefer sind, wie eine Röntgenaufnahme feststellen konnte*
nicht angelegt.
Fiir. 7.
Im Gegensatz zur Ueberzahl hat die Unterzahl der Zähne
im menschlichen Gebiss weit weniger Interesse beansprucht.
Die Fälle des Mangels einer grösseren Anzahl von
Zähnen haben wegen ihres rein zufälligen Charakters fast noch
weniger die Aufmerksamkeit der Zahnärzte und Naturforscher
erregt als das Fehlen einzelner Glieder. Vielleicht erheischen
sie auch in der Tat keine besondere Aufmerksamkeit. Sie
streifen das Gebiet der pathologischen Veränderungen sehr
scharf, sind sie doch nicht ausschliesslich, aber meistens Re¬
sultate allgemeiner pathologischer Veränderungen des Körpers.
Von der echten Unterzahl im Gebiss, der Reduktion,
ist die scheinbare Unterzahl, die Retention, zu trennen.
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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 7 j>
Vor der Radiographie hatte die Diagnose für die Festlegung
dieses Unterschiedes mit Schwierigkeiten zu kämpfen, heute
ist es leicht, mit Hilfe einer Röntgenaufnahme die verborgenen
Zähne und Zahnanlagen zu bestimmen.
Die Unterzahl einzelner Zähne in einer geschlossenen
Zahnreihe wird auf solche Weise in den meisten Fällen als
eine Retention, nicht als eine Reduktion von Zähnen be¬
wiesen werden können, ein eigentlich selbstverständliches Er¬
gebnis. So ist der vollständige Ausfall der dritten Molaren
eine viel seltenere Erscheinung als früher angenommen wurde
und die Abwesenheit des Caninus in dem Zahnbogen weist
keineswegs auf sein vollständiges Fehlen hin. Die Radiographie
beweist, dass in einer sonst geschlossenen Zahnreihe ein
fehlender Eckzahn oder Prämolar stets retiniert ist und nur
in wenigen Fällen darf der Weisheitszahn trotz seiner sonstigen
Reduktionserscheinungen als nicht angelegt betrachtet werden.
In der Beurteilung ähnlicher Zustände im Bereich der Prä¬
molaren wie der noch übrigen Zähne ist gleichfalls Vorsicht
geboten und die Radiographie zu Rate zu ziehen. Frühzeitige
Extraktionen einzelner Zähne oder Entfernung des Zahnkeimes
bei Extraktion der Milchzähne, wie das bei Prämolaren sehr
leicht statt hat, können zu Täuschungen in der Diagnose
Anlass geben.
Anders hingegen steht es mit dem seitlichen Schneide¬
zahn des Oberkiefers; im Falle seines Nichterscheinens ist er
auch tatsächlich nicht zur Entwicklung gekommen, bisweilen
fehlt er in beiden Dentitionen. Seinem Durchbruch stehen
nicht die häufig unüberwindlichen Schwierigkeiten entgegen wie
z. B. dem Eckzahn.
Bei dem Fehlen des zweiten Incisivus spielt die Heredität
nicht selten eine Rolle, zumal dort, wo die normale Ent¬
wicklung sämtlicher übrigen Zähne für eine Entwicklungs¬
störung des Zahnkeimes nicht spricht. Die Eltern oder Gross¬
eltern der in Frage kommenden Person zeigen dann vielfach
den gleichen Fehler im Gebiss.
Das gänzliche Fehlen einzelner Milchzähne ist
ebenso selten wie ihre Retention. Man hat über derartige
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76
Dr. Th. Dependorf, Jena.
Fälle kaum berichtet. Das Fehlen ganzer Gruppen von
Zähnen darf dagegen im Milchgebiss als mehrfach beobachtetes
Vorkommnis gelten, ja selbst der vollständige Ausfall sämtlicher
Milchzähne und Zahnanlagen ist vorgekommen.
Das Ersatzgebiss zeigt alsdann die gleichen Erscheinungen,
vielleicht nicht ganz so ausgesprochen.
Dabei ist die Persistenz von Milchzähnen, zumal von
oberen Milcheckzähnen, unteren Milchincisivi und Milchmolaren
eine ziemlich häufige Erscheinung. Aus dem Beharren dieser
Zähne in der Zahnreihe zweiter Dentition ist aber keineswegs
auf eine Unterzahl im Ersatzgebiss zu schliessen. In vielen
Fällen kommen die Zähne als sogenannte dritte Dentition im
späteren, bisweilen im hohen Alter zum Durchbruch. Die
sicherste Diagnose stellt auch hier die Röntgenaufnahme.
Das Fehlen von Zahn gruppen finden wir im Bereiche
der ersten, wie zweiten Dentition, entweder beides zusammen,
bei vollständiger Unterdrückung der Zahnkeime und Ersatz¬
keime oder das eine ohne das andere. In seltenen Fällen ist
trotz Fehlens der Milchzähne ein verspäteter Durchbruch der
bleibenden Zähne beobachtet, bzw. angegeben worden. Aus¬
geschlossen erscheint es nicht, dass trotz Verkümmerung, von
Milchzahnanlagen die Keime der Ersatzzahnreihe zur voll¬
ständigen Entwicklung gelangen, besonders in Fällen schwerer
Rachitis, Skrofulöse oder Kretinismus.
Der Mangel einer Zahngruppe wird vielfach mit der Ent¬
wicklungsperiode der einzelnen Glieder im Zusammenhang
stehen, es werden vornehmlich die Zähne nicht zur Ent¬
wicklung gelangen, welche zur Zeit der Erkrankung lokaler
oder allgemeiner Natur zur gleichzeitigen Anlage sich rüsten.
Das wird nicht immer, aber meistens der Fall sein. So sehen
wir die Unterdrückung oder Verkümmerung der Keime gruppen¬
weise im Bereiche der Incisivi, bei der zweiten Dentition ge¬
paart mit dem Fehlen der ersten Molaren oder das Auftreten
nur dieser Zähne und den Verlust sämtlicher übrigen. Oder
wir finden die Prämolaren und die zwei letzten Molaren nicht
in der Zahnreihe, die übrigen aber vorhanden, oder schliesslich
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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 77
nur den ersten Incisivus und ersten Molaren und den Mangel
sämtlicher anderen Zähne.
Im Milchgebiss fehlen am häufigsten die oberen Schneide¬
zähne, dann die unteren und schliesslich die oberen ersten
Milchbackenzähne. Im Vergleich zum Ersatzgebiss ist dieser
Ausfall aber seltener. Es treffen folgende Gruppen fehlender
Zähne zusammen:
Milchgebiss:
III|III | II111II (IV)I(IV) (V)IV|IV(V)
| II111II 111 IV | IV V IV | IV V
Ersatzgebiss:
I 2|2 21112 21 12 54[45 8 7 5 4 3 2[2 3 4 5 7 8
21112 (2) 111 (2) 1|1 21)12 5 414 5 8 7 5 4 3 2|2 3 4 5 7 8
Die Gruppen sind nicht immer in dieser übereinstimmenden
Form vorhanden. Durch den vorzeitigen oder zu spät ein¬
tretenden Schwund mancher Anlagen und die offenbar be¬
stehende Alterierung des ganzen Systems, tritt hier und dort
eine Verzögerung in der zeitlichen Entfaltung oder selbst früh¬
zeitiger Verlust einzelner Keime ein, so dass bisweilen Zähne
aus einer Gruppe später erscheinen, deren grösster Teil der
Mitglieder bereits zugrunde gegangen ist. Die am meisten be¬
obachteten Gruppen sind
Vielfach treten auch noch im späteren Alter Milch-
und Ersatzzähne durcheinander zutage. In einem reduzierten
Gebiss sind die zur Welt gekommenen Teile fast immer rudi¬
mentäre Organe. Die Backenzähne besitzen kleine Wurzeln,
unregelmässig geformte Kronen, die Eckzähne den Typus echter
derber Kegelzähne und die Incisivi Zapfenform oder irgend
eine verkümmerte normale Form.
Der Durchbruch erfolgt absolut unregelmässig, setzt erst
im 3. 4., selbst 9. oder 10. Jahre, vielleicht noch später ein
und vollzieht sich träge und unsicher, indem bald hier, bald
dort ein Zahn geboren wird. Es sind Kinder beobachtet, die
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78
Dr. Th. Dependorf, Jena.
bis zum 12. Lebensjahr keinen Zahn im Munde hatten und
bei denen im Laufe der nächsten Jahre eine spärliche Anzahl
nicht näher zu bestimmender Zähne durchbrach. Das können
Fälle echter Unterzahl sein, aber ebenso gut auch diesen Zu¬
stand infolge der trägen Entwicklung Vortäuschen.
Trotzdem treten nach fehlendem Milchgebiss Ersatz¬
zähne auf. Tomes beschreibt einen Fall, wo nach dem
Fehlen fast sämtlicher Milchzähne ein vollkommen normales
Ersatzgebiss, was Stellung und Form der Zähne anbetrifft, zur
richtigen Zeit zum Durchbruch gekommen war.
Das Fehlen ganzer Zahnreihea ist mit Sicherheit fest-
gestellt worden.
In der Literatur werden verschiedene derartige Fälle
beschrieben und verbürgt. (Tomes, Linderer.) Ganz offen¬
bar liegt bei solchen Befunden eine Agenesie oder eine voll¬
ständige Atrophierung der Zahnleiste zugrunde. Wahrscheinlich
ist diese Leiste überhaupt nicht zur Anlage gekommen.
Der Mangel einer ganzen Ersalzzahnreihe erscheint selbst
nach dem Bestehen einer normalen Milchzahnreihe nicht un¬
möglich. Klag es weiss über einen derartigen Zustand bei
einem 32jährigen Manne, Weichardt bei einem 21 Jahre
alten Patienten zu berichten. Fox beobachtete den Schwund
-der ganzen zweiten Zahnreihe mit Ausnahme des linken oberen
Incisivus'.
Die von Metnitz angegebenen Berichte über Unterzahl
-der Zähne scheinen zum grössten Teil Verzögerungen im Durch¬
bruch infolge Rachitis zu sein.
Nur eine charakteristische Unterzahl ist aus den Dar¬
stellungen als echte Reduktion zu erkennen. Es handelt sich
um ein 18jähriges Mädchen, welches mit Keratitis parenchy-
matosa infolge von Lues hereditaria behaftet, im ganzen nur
sechs Zähne im Munde halte, drei erste Molaren, den linken
oberen lateralen Incisivus und zwei Milcheckzähne, deren Zahn-
1 Eine typische Unterzahl im bleibenden Gebiss beobachtete Tomes.
Ein älterer Mann besass nach einem normal entwickelten Milchgebiss nur
vier Molaren und vier Schueidezähne, in jeder Kieferhälfte je einen Zahn.
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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse nnd ihre Bedeutung. 79
61 2 III 6
formet also —6TTl|—- n * c ht übersehritt, ein seit dem
achten Lebensjahre bestehender Zustand. Ein weiterer Durch¬
bruch erschien den ganzen Befunden nach ausgeschlossen.
Das Mädchen, vollkommen kindlich in seiner Entwick¬
lung, menstruiert erst seit zwei Monaten und macht den Ein¬
druck einer Vierzehnjährigen. Hier handelt es sich, wie v. M etnitz
sagt, um einen Fall von Unterzahl der Zähne bei einem in
der Entwicklung zurückgebliebenen Individuum. Die Erklärung
gibt aber erst meiner Meinung nach die Lues.
Wenn wir hier nicht den örtlich direkt wirkenden Ein¬
fluss der hereditären Lues als Ursache der Aplasie im Ge
biss in Betracht ziehen wollen, so müssen wir jedenfalls an
mangelnde histogenetische Energie denken infolge vererbter
Veranlagung und da kommen wir, meiner Ansicht nach als
das naheliegendste, immer wieder auf die Lues als die Ur¬
heberin zurück.
Mögen die Fälle dieser Art des gruppenweisen Ausfalles
und des totalen Mangels von Zähnen für viele nur eia
kasuistisches Interesse besitzen, die Wissenschaft verlangt doch
eine Aufklärung über diese merkwürdigen Defekte. Um so
mehr muss dieser Gegenstand zum Nachforschen reizen, als
bei der Reduktion der Zahnzahl die sonst unermüdlich
treibende Kraft der epithelialen Zahnleiste zu vermissen ist.
Aus den kurzen vorher gegebenen Angaben ergibt sich
die Tatsache, dass eine Verminderung der Zahl der per¬
manenten Zähne nicht ohne weiteres aus dem Zustand des
Milchgebisses zu erklären ist. Es spielen besondere Umstände
dabei mit. Peimanenten Zähnen brauchen nicht unbedingt
Milchzähne vorauszugehen und Milchzähnen brauchen nicht
notwendig bleibende Zähne zu folgen. Eine ursächliche Er¬
klärung fehlt den Mitteilungen. Ueberhaupt ist in dieser Hin¬
sicht den Berichten schwer nachzukommen, denn die meisten
Fälle aus der Literatur sind leider ganz ungenügend be¬
schrieben.
Es ist kaum zu entscheiden, ob es sich in den Fällen
echter Unterzahl um wirkliche Agenesie handelt oder nur um
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80
Dr. Th. Dependorf, Jena.
eine bestimmte Form der Aplasie. Wo weder Milch- noch
Ersatzzähne zum Vorschein kommen, nachweislich mittels
Röntgenaufnahme ihre Entwicklung fehlt, müssen wir wohl an
eine tatsächliche Nichtentstehung denken. Bleiben die Nach¬
folger der ersten oder die Vorgänger der zweiten Dentition aus,
so liegt ein vollständiger Mangel an Anbildung der Zahn¬
leisten, eine Unterdrückung der Zahnkeime der betreffenden
Zahnserie vor.
Die Ursachen der Unterdrückung einzelner Zähne und
Zahngruppen bestehen demnach in der Verkümmerung oder
dem Ausfall der Zahnanlagen. Die Keime kommen entweder
gar nicht zur Entwicklung, gehen als Epithelzapfen schon zu¬
grunde oder die Anlage erreicht eine gewisse Entwicklungs¬
stufe, reduziert dann und bleibt unvollendet.
Treten in den Fällen anfänglicher unvollkommener
Bildung allgemeine gesunde Verhältnisse im Körper auf, so
ist die Vollendung des Zahnes nicht ausgeschlossen. Solche
Ergebnisse sind offenbar da anzunehmen, wo nach länger
bestehender Unterzahl oder gar gänzlichem Mangel von Zähnen
ein spärlicher Durchbruch allmählich zustande kommt.
Als eine Veranlassung zur Unterdrückung einzelner Zahn¬
keime ist vielfach Rachitis und Skrofulöse angegeben worden.
Wohl nicht immer mit Recht! Unregelmässigkeiten und
Störungen im Durchbruch des Zahnes, hypoplastische Zahn¬
formen sind sicherlich häufig eine Folge von Rachitis. Während
im Milchgebiss das vorzeitige Erscheinen der Zähne für
Rachitis spricht, ist es im Ersatzgebiss vielfach umgekehrt der
Fall. Hier bleiben die Zähne über die Zeit hinaus retiniert;
ihr Durchbruch verzögert sich, da sie für ihre Entwicklung
längere Zeit gebrauchen, schlecht assimilieren, besonders auch
das Wurzelwachstum träge vor sich geht und der Kiefer sich
über den Anlagen vorzeitig schliesst. Solche Prozesse
dürfen wir aber nicht mit einer echten Unterzahl, einer
Reduktion verwechseln, wenn nicht hier und dort doch Keime
zugrunde gehen. Es besteht keine Schrumpfung, keine Atrophie
der Gewebe, sondern nur eine Hemmung und Verlangsamung,
vielleicht auch zeitweiser Stillstand der Assimilation, veranlasst
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Die Unterzabl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 81
durch konstitutionelle Erkrankungen, zu denen wir ausser
Rachitis und Skrofulöse noch manche andere, auch rein in¬
fektiöse Erkrankung rechnen können.
Die Wirkung auf den Zahnbau äussert sich zeitlebens
durch Furchen, Rinnen, Gruben, Vertiefungen auf den Kronen,
ja selbst auf den Wurzeln der Zähne. Ob durch wiederholte
Zufuhr von Phosphor oder durch stark kalkhaltige Nahrungs¬
mittel eine bessere Verkalkung tatsächlich erzielt wird, ist
äusserst zweifelhaft. Notwendiger erscheint es, den Gesamt¬
organismus zu kräftigen, um die Fähigkeit der assimilierenden
Zellen zu erhöhen.
Kassowitz, v. Geuser beschreiben günstige Erfolge,
die sie nach Verabreichung von Phosphor bei völliger und
nahezu vollständiger Zahnlosigkeit zu verzeichnen hatten. Es
handelte sich in zwei Fällen (ein elfjähriges Mädchen und ein
zwölfjähriger Knabe) um schwere Formen von Rachitis mit
auffallenden Diflformitäten am Knochengerüst. Der erzielte
Erfolg ist wohl zum grössten Teil mit auf den gebesserten
Zusland des Gesamtorganismus zurückzuführen, der die
Assimilationskraft der bildungsfähigen Zellen erhöhte und zur
Aufnahme phosphorsauren Kalks mehr befähigte.
Für die echte Unterzahl möchte ich Rachitis nur in
seltenen Fällen verantwortlich machen, Skrofulöse schon eher,
wegen ihrer hemmenden Einwirkung auf die Entwicklung ein¬
zelner Organe. Daher beeinträchtigt die Rachitis in erster
Linie den Entwicklungsprozess der Zähne und die Schmelz¬
bildung, erst in zweiter Linie kommt das Ausbleiben oder
richtiger die Retention einzelner Zahngruppen durch
sie in Betracht.
Sehe ff gibt der Rachitis tarda die Schuld, die ge¬
wöhnlich im vorgeschrittenen Alter zur Entwicklung gelangt.
Hiebei ist nach Sch eff ein unvollständiger Durchbruch oder
das Ausbleiben einzelner Zahngruppen, ja mitunter das voll¬
ständige Fehlen sämtlicher Zähne zu beobachten. Einen Fall
letzterer Art hatte Scheff zu verfolgen Gelegenheit. Bei einem
Mädchen im Alter von zwölf Jahren war — mit Ausnahme
von je zwei Molaren im Ober- und Unterkiefer — kein
6
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82
Dr. Th. Dependorf, Jena.'
weiterer Zahn zum Durchbruch gekommen. Die Kieferränder
waren scharfkantig, woraus geschlossen werden konnte, dass
kein retinierter Zahnkeim vorhanden sei.
Bei solchen Beobachtungen im Kindesalter, wo Röntgen¬
aufnahmen fehlen, muss man meines Erachtens nach stets
damit rechnen, dass die Zahnkeim^im Kiefer angelegt sind
und erst später, vielleicht innerhalb der nächsten zehn Jahre,
nach einander zum Durchbruch gelangen. Es sind Fälle genug
bekannt geworden, wo bei vorhandener Rachitis auf Phosphor¬
behandlung die Dentition in Anregung gebracht wurde und
einzelne Zähne verspätet zum Durchbruch gelangten.
Von grösserem Einfluss erscheint mir die Lues heredi-
taria, vor allem, da sie bereits intrauterin im Bereiche der
Zahnanlagen in pathologischer Weise den Zahnkeim beeinflussen
kann. Ich denke hierbei ausser der allgemeinen Form der
Dystrophie an dieleichten chronischen Entzündungserscheinungen
im Bereiche des Knochenbaues, an die Ostiten und Periostitiden
infolge hereditärer Lues, die auch im Kiefer zum Austrag
kommen, durch starke Wucherung der Periostzellen und des
Markes die Keimesentwicklung der Zähne hemmen und zur
Resorption bringen.
Eine Auflösung sämtlicher Keime ist hierbei natürlich
nicht erforderlich, hier und dort wird sich eine Anlage zumal
der Milchzähne entwickeln, während durch die syphilitischen
Reize die Ersatzzahnkeime am meisten zu leiden haben. Ausser
luetischen Reizen können chronische Entzündungszustände im
Kiefer infolge jeder anderen Erkrankung Zerstörung der Keime
hervorrufen. Die grösste Bedeutung aber in der Beurteilung
ätiologischer Momente bei der Unterzahl, zumal im Schwund
von Zahngruppen und ganzen Serien fällt eigenartigen nervösen
Erscheinungen zu.
Es gibt eine Gruppe von Krankheiten, bei denen die
Analogien mit der Rachitis so zahlreich und so verführerisch
sind, dass sie vor nicht gar so langer Zeit fast von allen
Aerzten mit der Rachitis identifiziert worden sind; diese Gruppe
umfasst die verschiedenen Formen des Kretinismus, unter denen
für uns speziell das Myxödem und der Mongolismus in Be-
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Die Unterzabl der Zähne im menschlichen Gebisse nnd ihre Bedeutung. 88
tracht kommen. Eine stark verspätete Dentition, das Fehlen
ganzer Zahngruppen, der Ausfall einzelner Zähne ist bei diesen
Arten der Idiotie ebenso häufig beschrieben wie bei der aus¬
gesprochenen Rachitis. Darin, wie in manchen anderen
Symptomen gleichen sich diese im Grunde ganz verschiedenen
Krankheiten, ohne aber die gleichen Ursachen aufzuweisen.
Zumal die myxödematösen Idioten zeigen die grösste Ab¬
weichung vom normalen Verhalten des gesamten Gebissystems,
seiner Entwicklung nach wie in der Form seiner einzelnen Glieder.
Etwas weniger unregelmässig sehen wir dagegen die Zustände
bei den mongolischen Kindern, aber immerhin auffällig genug,
um die bestehenden Gebissverhältnisse als wirkliche Mängel
zu bezeichnen. In therapeutischer Hinsicht bewirken besonders
bei den Mongoloiden die Schilddrüsenpräparate einen über¬
raschenden Erfolg. Der Durchbruch der fehlenden Zähne er¬
folgt mit dieser Therapie im schnelleren Tempo, so dass
schliesslich die normale Zahl von Zähnen im Munde vor¬
handen ist.
Die Zähne besitzen mitunter, aber durchaus nicht immer,
einen hypoplastischen Typus, eine Erscheinung, die ihr Ver¬
halten von dem der rachitischen Difformitäten klarstellt.
Zugleich aber erkennen wir aus dem tatsächlich er¬
folgenden Durchbruch der Zähne keine Entwicklungshemmung
in der Anlage der Zähne selbst, keine echte Agenesie, sondern
nur den Mangel einer fehlenden Kraft, die den Durchbruch
sonst zu besorgen hat, einen Fehler in der physiologischen
Beschaffenheit der aufbauenden und zerstörenden embryonalen
Bindegewebszellen. Hiermit will ich keineswegs das Auftreten
echter Unterzahl im Gebiss der Idioten verneinen In Fällen
schwerer angeborener Idiotie sind solche Defekte wohl einwandfrei.
Eine weitere Form nervöser Erscheinungen, für mich die
wichtigste, betrifft die trophoneurotischen Störungen der Haut¬
anhänge.
Bei ganz schwächlichen, in der Entwicklung arg zurück¬
gebliebenen Kindern, mögen sie von Haus aus erblich belastet
sein oder nicht, kommen derartige Momente meiner Meinung
nach am häufigsten in Frage, (vgl. Fall I.)
6 *
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84
Dr. Th. Dependorf, Jena.
Die interessante Tatsache, dass echte Unterzahl im Ge¬
biss nicht selten mit eigenartigen Veränderungen der Haare,
der Nägel oder der Hautdrüsen, Hypertrichosis, Onychauxis*
Anidrosis gleichzeitig vorhanden ist, besteht. Diese Erkrankungen
der Hautanhänge werden jetzt allgemein auf trophoneurotische
Erkrankungen zurückgeführt und als neurotische oder neuritische
Atrophien und Hypertrophien bezeichnet.
Als Ursache hierfür nimmt man irgend welche Erkrankungen
in den Zentren oder peripheren Nerven an, ja selbst ausser«
gewöhnliche Reizzustände genügen, um den normalen Einfluss
auf die Ernährung abzuschwächen oder ganz zu hemmen. Von
allen Organen ist besonders die äussere Haut zu nervösen
Ernährungsstörungen ausersehen, die vereint mit oder nach
Nervenaffektionen Vorkommen. In der Literatur finden wir
Fälle von Hypertrichosis beschrieben, bei denen seidenweiches
Haar mit echter Unterzahl der Zähne und mangelhaften anderen
Hautgebilden zusammenfällt.
Darwin hat eine Anzahl merkwürdiger Fälle dieser Art
aus dem Tierreich gesammelt. Im allgemeinen weiss man, dass
gewisse Anomalien der Haare sich gleichzeitig mit Anomalien der
Zähne finden. Ich erinnere an den haarlosen Hund in der Türkei,
der nur vier Molaren und einige unvollkommene Incisivi besitzt.
Auch bei Menschen hat man mit erblicher Haarlosigkeit vererbten
Zahnmangel gefunden. Ebenso wie Mangel von Haaren sich
mit Mangel von Zähnen vereint findet, kommt anderseits über¬
mässiger Haarwuchs oder schlechte Entwicklung der Nägel oder
unvollkommene Ausbildung der Hautdrüsen mit Mangel an
Zähnen vor. Dieses Zusammentreffen ist nicht stets am Platze.
Zumal die von Hypertrichose befallenen Menschen, welche
starkes schwarzes Haar tragen, zeigen mitunter ganz normale
Gebisse, aber eine enorme Hypertrophie des Alveolarfortsatzes
und des Zahnfleisches.
Das letztere gilt von der bekannten Julia Pastrana r
einem behaarten Frauenzimmer. Diese Person, deren Mund,
wie ein Schweinsrüssel gebildet, sehr weit Vorstand, besas&
keine übermässige Zahl von Zähnen, wie behauptet wurde,
sondern nach den Abdrücken, dieHepburn von den Kiefern
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Die Uuterzabl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 8>
genommen hatte, eine so hochgradige allgemeine Hypertrophie
des Zahnfleisches und der Alveolaren, dass man eigentlich nur
sehr wenig Zähne sehen konnte. Ueber die sonstigen Haut¬
anhänge ist leider nichts berichtet worden. Das Gebiss des
13jährigen Haarmenschen Fedor Jeftichejew hat Parreidt
1863 näher untersucht und fand im Oberkiefer nur zwei, im
Unterkiefer drei schlecht entwickelte Zähne. Das Haar war
seidenweich, lanugoähnlich, wie auch sonst häufig bei Hyper-
trichosis mit Defekten der übrigen Dermoidgebilde, die Nägel
und Schweissdrüsen schwach entwickelt.
Bei diesen Zuständen greift auch die Vererbung ein.
So war bei der Haarfamilie aus Barma das eigentüm¬
liche seidenartige Haar, welches das ganze Gesicht bedeckte
von der dritten Familie her ererbt. In jedem einzelnen Falle
fand sich bei der Untersuchung auch die Zahl der Zähne
reduziert. (Tomes.)
Solche Erscheinungen sind offenbar zugleich ein Beweis
für Vererbung erworbener Eigenschaften, denn es ist unwahr¬
scheinlich, dass jedes Kind und Enkelkind ganz unabhängig
wieder genau die gleichen pathologischen Zustände erwirbt, wie
die Eltern; dabei ist anzunehmen, dass die Veranlagung zur
krankhaften Veränderung der Hautanhänge jedesmal wieder
vererbt wurde und nicht die abgeschlossene Veränderung selbst.
Eine erbliche Kiefermissbildung und ZahnungsVerspätung,
die die Mitglieder einer Familie in auf- und absteigender
Linie betraf, hat Hilzensauer ausführlicher beschrieben.
Die Deformität war von der Mutter ererbt. In zweimaliger
Ehe zeugte diese Frau je ein Geschwisterpaar, einen Knaben
und ein Mädchen. Alle vier Kinder besassen ein unvoll¬
ständiges Milchgebiss, verspäteten Durchbruch der bleibenden
Zähne im 22., 20. und 17. Lebensjahr, sowie eine massige
Entwicklung und wulstige Verdickung der Alveolarfortsätze
und des Zahnfleisches. Die Milchzähne sollen dem älteren
Paar im Oberkiefer vollständig gefehlt haben, im Unterkiefer
zum grössten Teil. Das beste Gebiss zeigt der jüngste Sohn,
aber immer noch arg entstellt. Diese Eigenart haben sämtliche
Kinder von ihrer Mutter geerbt, welche die gleichen unförm-
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86 Dr. Th Dependorf, Jena.
liehen Kiefer hatte, wie sie namentlich an den Kindern aus
erster Ehe auffallen.
Dabei zeigen die Leute, wie Hilzensauer hervorhebt,
keinerlei Merkmale überstandener konstitutioneller Krankheiten,
sie sind vielmehr durchwegs gut entwickelt.
Nähere Angaben über Beschaffenheit der Haare und
Nägel, besonders bei der Mutter, über die geistigen Fähig¬
keiten der Mutter wie der Kinder werden nicht gemacht.
Wir müssen uns hier mit der eigentümlichen Tatsache
begnügen, dass sich eine erworbene Eigenschaft der Mutter
konstant selbst in zweifacher Ehe auf ihre sämtlichen Kinder
übertragen hat. Eine Abschwächung hat nur das jüngste Kind
erfahren.
Eine Vererbung missgestalteter Kiefer in ähnlicher Form
betrifft die Familie eines Rittergutsbesitzers in Sachsen. In
dieser Familie hatten, wie mir bekannt geworden ist, von
sechs Kindern zwei eine eigentümliche Deformität der Kiefer
und Zähne von ihrer Mutter geerbt. Diese Entstellung bestand
in einer wulstigen Auftreibung und Verdickung der Alveolar¬
fortsätze und dem Mangel der meisten Zähne. Das Milchgebiss
bestand bei beiden Kindern aus einigen unteren Zähnen, das
Ersatzgebiss aus wenigen Backenzähnen im Ober- wie Unter¬
kiefer. Die Kiefer waren gleichmässig, aber unnatürlich ver¬
dickt, ohne entzündliche Erscheinungen. Genauere Angaben
konnte ich nicht erhalten
Wir kennen den Zahn, ebenso wie den Nagel oder die
Hautdrüsen als einen Abkömmling der Haut, als ein reines epi-
dermoidales Gebilde. Er untersteht demnach den gleichen
nervösen Ernährungsbedingungen wie die anderen Hautanhänge
vor allen Dingen während seiner Entwicklung und folglich
auch den gleichen krankhaften Prozessen, die im trophischen
Zentrum für die äussere Haut oder auf den peripheren Bahnen
sich geltend machen.
Ich nehme eine trophoneurotische Ursache für die Ent¬
stehung der Reduktion um so mehr in Anspruch, als das
symmetrische Auftreten der Aflfektion dafür spricht, sonstige
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Die Unterzahl der Zähne im menschlichen Gebisse und ihre Bedeutung. 87
Verletzungen des peripheren oder zentralen Nervensystems
nicht auf ein ätiologisches Moment hindeuten und auch sonst¬
wie nervöse Nebenerscheinungen fehlen.
Die Wirkung dieser Störungen verlege ich bei gänzlichem
Mangel aller Zähne und dem Fehlen der meisten Milchzähne
in eine frühe Zeit; schon im Mutterleibe hat der schädigende
Einfluss begonnen. Ob die krankhaften Prozesse oder Reiz¬
zustände zentral oder peripher tätig gewesen sind, lässt sich
nicht immer sicher entscheiden, ebensowenig, ob der mütter¬
liche Organismus in irgend welchem Zusammenhang mit den
Störungen steht.
Voraussichtlich sind ähnlich wie bei der Hypertrichosis
und Onychauxis vasomotorische Einflüsse neben den Nerven¬
erkrankungen nicht auszuschliessen.
Ebenso wird es sich meistens um periphere Reizzustände
oder Erkrankungen handeln, da bei den beobachteten Fällen
sonst keine weiteren neuropathischen Erscheinungen vorhanden
sind oder erwähnt werden, die doch bei zentralen Erkrankungen
des trophischen Systems vorliegen müssten. Hierbei kommen
hauptsächlich die extrauterinen Fälle in Betracht; die Erklärung
des intrauterinen Vorganges stösst auf noch grössere Schwierig¬
keiten.
Im Kindesalter kann die Trophoneurose zur Unterdrückung
der Ersatzzähne und der echten Molaren führen, derjenigen
Zähne, die sich während der ersten Lebensjahre entwickeln.
Unwahrscheinlich ist es hingegen, dass bei der Retention von
Zähnen, deren Ausbildung vollendet ist, die nervösen Er¬
nährungszentren und Leitungen der äusseren Haut wirksam sind.
Bei den eingangs von mir mitgeteilten Beobachtungen
ist die echte Unterzahl im Gebiss des Knaben, welche durch
eine Röntgenaufnahme bestätigt wurde, auf trophoneurotischer
Basis entstanden. Die mangelhafte Entwicklung sämtlicher
.epidermoidaler Anhänge unterstützt diese Anschauung.
Im zweiten Falle hingegen scheinen die Lücken in der
permanenten Zahnreihe durch den Einfluss der Skrofulöse und
Rachitis bedingt zu sein.
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88
Dr. Thodor Dependorf. Die Uuterzahl der Zähne etc.
Den angeborenen Mangel von Zähnen, also die Nicht¬
entfaltung jeglicher oder einzelner Zahnanlagen halte ich für
selten. In den meisten Fällen findet eine langdauernde Re¬
tention der Zähne statt oder eine ungenügende Wurzelbildung
und das in erster Linie bei Rachitis, Skrofulöse und einzelnen
Formen des Kretinismus.
Eine wirkliche frühzeitige Auflösung der Zahnkeime muss
mit besonderen Umständen Zusammenhängen, deren Ursache
entweder ernste konstitutionelle Krankheiten zumal im fötalen
und Säuglingsleben oder direkte lokale, schwerwiegende Ein¬
flüsse oder auch irophoneurotische Störungen darstellen.
Wir erhalten demnach schliesslich folgende Anordnung
der einzelnen Ursachen der Entstehungsformen der Reduktion
der Zahnzahl :
1. Ursachen in Form lokaler Wirkungen im direkten
Bereich der Kiefer:
a) Zerstörung des Zahnkeimes durch äussere mechanische
Eingriffe, Operationen, Extraktionen, durch Trauma, Ver¬
letzungen aller Art;
b) Dystrophien infolge chronischer Entzündungen der
Kiefer.
2. Ursachen in Form konstitutioneller Erkrankungen:
a) Allgemeine Störungen in der Entwicklung und Er¬
nährung des gesamten Organismus;
l) spezielle Störungen in der Knochen- und Zahn¬
entwicklung.
3. Ursachen in Form trophoneurotischer Erkrankungen.
Literatur:
1. Rudolf A p e 1: Ueber Trophoneurosen. Dissertation, Jena 1903.
2. Busch: Die Ueberzahl und Unterzahl in den Zähnen des menschlichen
Gebisses etc. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1887.
3. Leo Hilzensauer: Erbliche Eiefermissbildung und Zahnnngsver- .
spätung. Oesterreichisch-ungarische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde,
Jänner 1904.
4. Prof. Kassowitz: Infantiles Myxödem, Mongolismus und Mikromelie.
Wien 1902. Verlag von Perl es.
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Albrecht Schneider, Hamburg. Das Poröswerden des Zahnkautschuks. 89
5. Dr. K i e 1 h a u s e r: Die Unterzahl der Zähne. Oesterreichiscb-uugarische
Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Oktober 1895.
6. — Ueber das angeborene Fehlen und Unterzahl der Zähne. Deutsche
Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1894, S. 375.
7. Julius P a r r e i d t: Compendium der Zahnbeilkuude. Leipzig 1900.
8. Seheffs Handbuch der Zahnheilkunde. Wien 1903.
9. Tomes-Holländer: Die Anatomie der Zähne.
10. Karl Wedls Pathologie der Zähne. Leipzig 1904.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Das Foröswien des ZaMaotsiMs.
Von Albrecht Schneider , Chemiker in Hamburg.
Es sind in letzter Zeit vielfach Abhandlungen über das
„Poröswerden“ des Zahnkautschuks während der Vulkanisation,
namentlich in zahnärztlichen Fachblättern, erschienen. Auf
Grund unserer mehr als 50jährigen Erfahrungen auf diesem
Gebiete sollen im folgenden die Gründe dieser Erscheinung
dargelegt und praktische Winke für deren Vermeidung gegeben
werden.
Zunächst möchte ich den Gang der Methode bei der
Herstellung einer Zahnkautschukplatte kurz skizzieren. Die erste
Form des zu behandelnden Gebisses wird mit Hilfe einer so¬
genannten Abdruckmasse gewonnen. Der Abdruck wird mit
Gips ausgegossen und nach dessen Erhärlen die Abdruckmasse
mit heissem Wasser entfernt. Auf diese Weise erhält man ein
genaues Modell, auf dem dann die Gestalt der zukünftigen
Kautschukplatte vorläufig in Wachs modelliert wird. An
dieser Wachsplatte werden alsdann die künstlichen Zähne
befestigt und nun beginnt die Herstellung der eigentlichen
zur Vulkanisation notwendigen Gipsform. Zu dem Zwecke
bringt man in die untere Hälfte der Küvette Gipsbrei und
drückt das Wachsmodell mitsamt den Zähnen vorsichtig
hinein, lässt erstarren und bestreicht den fest gewordenen
Gips mit Vaseline. Darauf füllt man die andere Hälfte der
Küvette ebenfalls mit Gipsbrei, drückt die andere bereits feste
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90
Albrecht Schneider, Hamburg.
obere Form hinein und lässt erhärten. Hierauf hebt man die
beiden Formhälften voneinander ab und entfernt durch Auf¬
giessen von kochendem Wasser sämtliches Wachs und sämtliche
Vaseline. Dann schliesst man die Form wieder, die nun nur
noch im Gips die künstlichen Zähne enthält, legt den Bügel
über und bringt sie in siedendes Wasser. Durch diese Be¬
handlung wird der Gips gut vorgewärmt, so dass er später
den Kautschuk nicht abkühlt und ihn gut plastisch erhält.
Während des Erwärmens schneidet man den Kautschuk
zurecht und breitet ihn auf einer 20 bis 30 Mm. dicken, gut
an gefeuchteten Gipsplatte aus, die zum Durchwärmen auf ein
Gefäss mit siedendem Wasser gelegt ist. Auf diese W r eise
erhält man eine Wärmeplatte, die bewirkt, dass der Kautschuk
plastisch wird und doch ein Ueberhitzen ausgeschlossen ist.
Nach dieser Vorbereitung „stopft“ man die inzwischen gut durch¬
gewärmte Form mit dem gleichfalls gut angewärmten Kautschuk
völlig aus, presst die beiden Formhälften zusammen, nachdem man
noch einen feuchten Leinwandlappen (Pausleinen) dazwischen
gelegt hat. Dann öffnet man, entfernt die Leinwand und den
überschüssigen Kautschuk, erwärmt die wiedergeschlossene Form
nochmals im siedenden Wasserbade und presst sie schliesslich
unter der Presse fest zusammen, damit der so gut durch¬
gewärmte und infolgedessen äusserst plastische Kautschuk
auch in die feinsten Winkelchen eindringt. Die so vorbereitete
Küvette wird nun mit einem eisernen Bügel fest zusammen¬
geschraubt, im Vulkanisierkessel mit Wasser bis zum Bedecken
der Form übergossen und dann bei offenem Hahne die
Temperatur allmählich gesteigert, bis Dampf aus dem Hahne
austritt. Dann schliesst man das Ventil, steigert langsam inner¬
halb einer halben Stunde den Druck bis auf 6 bis 7 Atm.
und hält ihn eine Stunde lang in dieser Höhe. Schliesslich
lässt man bis unter 100° G. erkalten, öffnet den Vulkanisier¬
kessel, kühlt die Form in kaltem Wasser ab und nimmt das
vulkanisierte Gebiss heraus. Dickere Platten vulkanisiert man,
indem man den Druck langsamer ansteigen lässt, und zwar
sollte die Steigerung etwa 1 Atm. in einer Viertelstunde
betragen. Man erreicht hiedurch eine gute, gleichmässige
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Das Poröswerden des Zahnkautschuks.
91
Durchwärmung und infolgedessen auch gute Vulkanisation.
Der höchste Druck hiebei braucht auch nur eine Stunde zu
währen. Zur Erreichung einer doppelten Kontrolle empfiehlt es
sich, ausser einem Manometer noch ein Thermometer an dem
Vulkanisierapparat anzubringen. Letzteres stellt man in eine
unten geschlossene Röhre, die durch den Deckel des Vulkanisier¬
kessels geht und die der besseren Wärmeleitung wegen eine
genügende Menge Quecksilber enthält.
Bei den zahllosen Proben, die wir im Laufe der Zeit mit
den verschiedensten Zahnkautschuksorten auf vorstehende Art
anstellten, ist uns ein poröses Produkt noch nicht vor¬
gekommen.
Wie steht es nun aber mit der wissenschaftlich-theo¬
retischen Grundlage des Poröswerdens? Welches ist das Gas,
das die Blasenbildung verursacht, welches seine Entstehungs¬
ursache ?
In Nr. 5 — 6 der „Odontologischen Blätter“, Berlin,
Juni 1906, meint Herr G. H. Pawelz, in diesem Zusammen¬
hänge erneut die Frage aufwerfen zu müssen, ob das Eintreten
des Schwefels in den Kautschuk durch Addition oder durch
Substitution erfolge, mit anderen Worten, ob der dem Kautschuk
zugrunde liegende Kohlenwasserstoff eine doppelte Kohlenstoff¬
bindung enthalte, die das glatte Eintreten von Schwefelatomen
unter Wandlung der Doppelbindung in eine einfache zulässt,
oder ob eine Verdrängung von Wasserstoffatomen und die
damit gegebene Bildung von Schwefelwasserstoff den Eintritt
des Schwefels bedinge. Eine solche Frage besteht für die
wissenschaftliche Welt nicht mehr, sie ist durch die Arbeiten
von Weber, Harries, Marckwaldt, Frank u. a.
längst im Sinne der Addition entschieden. Das Polypren,
welches den Hauptbestandteil des Rohkautschuks bildet, zeigt
in all seinen Eigenschaften die Merkmale einer ungesättigten
Verbindung. Bei der eigentlichen Vulkanisation darf
demnach keine Gasentwicklung auftreten; eine solche,
d. i. Poröswerden des Kautschuks, ist immer ein Beweis für
das Vorhandensein eines sekundären Vorganges.
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92
Albrecht Schneider, Hamburg.
Dieser kann herrühren von der Form anhaftenden Fremd¬
körpern, Vaseline, Wachs u. dg]., welche beim Erhitzen mit
Schwefel reichliche Mengen von Schwefelwasserstoff entwickeln.
Die Porosität wird sich alsdann nur an der Oberfläche des
vulkanisierten Gegenstandes bemerkbar machen.
In den weitaus meisten Fällen jedoch wird die Blasen¬
bildung im Innern der Masse zu beobachten sein, alsdann
ist sie die Folge einer fälsch geleiteten Vulkanisation, die
Folge zu raschen oder zu starken Erhitzens. Der Vorgang,
welcher sich dabei abspielt, ist leicht zu erklären: Die Reaktion
der Schwefeladdition ist eine exothermische, d. h. sie erzeugt
Wärme. Wird sie daher zu plötzlich eingeleitet, so erwärmt
sich der Kautschuk weit über die Temperatur des ihn um¬
gebenden Dampfes hinaus, bis zu einem Punkte, wo die zuvor
bereits gebildete Schwefel Verbindung ihrerseits Schwefelwasser¬
stoff abspaltet. Der Versuch lässt sich mit fertigem Hart¬
kautschuk ausführen, die Temperatur, bei der die Abspaltung
bemerkbar wird, liegt zwischen 180 und 200° G. Das entwickelte
<Jas ist am Geruch unschwer als Schwefelwasserstoff zu er¬
kennen. Auch stimmen mit dieser Erklärung alle sonstigen
Erscheinungen beim Poröswerden der Platten aufs beste überein.
Wird die Reaktion behutsam eingeleitet, so hat die ent¬
stehende Wärme Zeit, sich gegen die Oberfläche hin aus¬
zugleichen; erhitzt man hingegen zu plötzlich, so wird die ge¬
samte Reaktionswärme auf einmal frei und führt die gefähr¬
liche Ueberhitzung herbei. Das umgebende 150 bis 165° heisse
Wasser muss also gegenüber der höheren Reaktionswärme
kühlend wirken, ähnlich so wie sich geschmolzenes Blei zur
Kühlung von glühendem Eisen benützen lässt. Es leuchtet nun
ein, dass diese Kühlung in dünnen Platten leichter vor sieh
geht, als in dicken. Kautschuk ist ein äusserst schlechter Wärme¬
leiter, der Wärmeausgleich kann sich daher in dickeren Gegen¬
ständen nicht rasch genug vollziehen, so dass im Innern des
Körpers leichter jene Grenze überschritten wird, jenseits
derer, wie oben gezeigt, die Schwefelwasserstoflfabspaltung
ein tritt. Es ist demzufolge eine häufig beobachtete Erscheinung,
dass in derselben Vulkanisation dünne Platten vortrefflich
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Das Poröswerden des Zahnkautschuks.
9£
geraten, während dicke Platten derselben Mischung verbrennen,
d. h. porös werden.
Ferner erklärt sich zwanglos, warum farbige Platten
weniger zum Poröswerden neigen, als schwarze. Die zum
Färben von Kautschuk benuizbaren Metallsulfide und Oxyde
sind sämtlich gute Wärmeleiter; befördern und beschleunigen
also den Wärmeausgleich und verringern die Gefahr zu grosser
Erhitzung im Innern des Körpers.
In Uebereinstimmung mit dieser Theorie müssen zur Er¬
zielung einer guten Vulkanisation in der Praxis die folgenden
Grundsätze beobachtet werden:
1. Grösste Sauberkeit in bezug auf Entfernung aller
Vaseline- und Wachsteilchen.
2. Erhitzen nur durch siedendes Wasser. Jedes direkte
Erwärmen ist zu vermeiden.
3. Allmähliches, vorsichtiges Erhitzen des Vulkanisier¬
kessels auf 165° C., was einem Dampfdrücke von 6 Alm. ent¬
spricht. Bei dünnen Platten kann diese Temperatur innerhalb
30 Minuten erreicht werden, bei dickeren aber soll man den
Druck um nicht mehr als I Atm. in je 15 Minuten steigern.
4. Bei schwarzen Platten besondere Sorgfalt.
Ein Zahnarzt, der sich nach diesen Regeln richtet und
seinen Zahnkautschuk von einer einwandfreien Firma bezieht*
wird nicht mehr über poröse Platten zu klagen haben.
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94
K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien.
Berichte aas Instituten and Vereinen.
Gericht des k. k. saknärctMtn Institutes der Universität in Vien
(Prof. Dr. J. Scheff).
Erstattet von Dr. Bruno Klein , I. Demonstrator daselbst.
Der vorliegende Bericht umfasst die Studienjahre 1904/05
und 1905/06.
Im Studienjahr 1904/05 wurde das Institut von 13.354 Pa*
tienten aufgesucht, von denen 7995 konservativ, 3546 operativ
behandelt wurden; bei 751 Patienten wurde ein teilweiser oder
ganzer Zahnersatz ausgeführt.
Die Hörerzahl betrug 92 Aerzte, 15 Mediziner und 2 Hospi¬
tanten.
Altersfrequenz:
Alter der Patienten
Männlich
Weiblich
1 — 10 Jahre. . .
. . 198
230
11—20
7i
. . 1907
2296
21-30
» • • •
. . 2203
2264
31-40
7)
. . 1374
1211
41—50
»
. . 197
261
51-60
n
. . 88
97
über 60 Jahre . . .
. . 28
28
5995 . 6387
12.382
Konsultationen: 972
13.354
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K. k. zahnärztl. Institut (Prof. ScheflP) der Universität in Wien.
95
Zahnfüllungen:
96 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien.
Abgesehen von den Extraktionen, welche hauptsächlich
Wurzeln, pulpitisch oder periostitisch erkrankte oder total
zerstörte Molaren betrafen, wurden noch 85 anderweitige
operative Eingriffe vorgenommen. In 18 Fällen musste die
Wurzelspitzenresektion ausgeführt werden, da es unmöglich war,
auf rein konservativem Wege den chronischen Eiterungsprozess,
der in der Umgebung der Wurzelspitze des Zahnes sich ab¬
spielte, zur Heilung zu bringen. Bei 14 Patienten wurden
stark prominierende Alveolarteile, welche Schmerzhaftigkeit
und nebenbei geringe Tendenz zur Resorption zeigten oder
voraussichtlich beim Tragen eines Ersatzstückes Schmerzen
ausgelöst hätten, entfernt. Bei 18 Fällen von Fistelbildung infolge
abgestossener Alveolarsequester trat nach Entfernung der letz¬
teren in kurzer Zeit Heilung ein. Bei 25 Patienten gelang es nur
mit Hilfe des Meisseis tief frakturierte Wurzeln zu entfernen;
meistens handelte es sich um Patienten, die von auswärls an
die Klinik gesandt wurden und denen der zurückgebliebene
Wurzelrest starke Schmerzen bereitete. Nach Abpräparieren
des Zahnfleisches und Abtragen der vorderen Alveolenwand
gelang es immer leicht den Zahnrest zu entfernen. Ferner
wurden 4 Fälle von Epulis, 2 Fälle von Stomatitis aphtosa,
5 Fälle von Impressionsfraktur des Alveolarfortsatzes infolge
Sturzes und 4 Empyemata antri Highmori behandelt Zur
Deckung von Defekten infolge Lues, Oberkieferresektion und
Wolfsrachen wurden 26 Obturatoren, zur Narbendehnung nach
Unterkieferresektionen 3 Dehnapparate verfertigt.
Die meisten Extraktionen und sämtliche operativen Ein¬
griffe wurden unter Lokalanästhesie ausgeführt. Zur Anwendung
kam in 253 Fällen mittlere Schleichlösung mit oder ohne
Zusatz von Suprarenin, in 864 Fällen Benesol, in 56 Fällen
Tonocain-Suprarenale, in 110 Fällen Süprarenin-Kokaintabletten
und in 82 Fällen Chloräthyl, letzteres hauptsächlich bei In¬
zisionen von Alveolarabszessen.
Im Studienjahr 1905/06 wurde das Institut von 14.842 Pa¬
tienten frequentiert. 9365 wurden konservativ, 3705 operativ
behandelt, ausserdem erhielten 855 Patienten zum Teil totalen,
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»7
K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien.
zum Teil partiellen Zahnersatz. Die Hörerzahl betrug 93 Aerzte,
15 Mediziner und 4 Hospitantinnen. 72 Hörer der Medizin
belegten den durch die neue Rigorosenordnung obligat vor¬
geschriebenen Kursus, der speziell für sie gehalten wird.
Altersfrequenz:
Alter der Patienten
Männlich Weiblich
1 —10 Jahre .
.... 268
361
11-20 „ .
.... 1948
3385
21-30 „ .
.... 1597
2252
31-40 „ .
.... 1531
1906
41-50 „ .
.... 152
294
51-60 „ .
.... 84
157
über 60 Jahre .
.... 47
36
5627
8391
14.018
Konsultationen: 824
14.842
—
Z
ahn fü Hungen:
Füllungsmaterial
Incisivi
Canini
Prä-
molares
Molares
Summa
Gold.
428
256
189
558
1421
Amalgam.
4
12
907
1245
2168
Porzellan und Jenkins . .
265
62
88
9
374
Zement und Ascher . . .
1228
666
271
187
2847
Wurzelfüllung nach Arsen-
einlage.
611
412
856
212
2091
Wurzelfüllung n. Gangrän¬
behandlung .
112
106
156
28
397
Guttapercha.
182
111
215
290
748
Odontolithiasis.
—
—
—
- 1
167
7
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98 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in VVien.
Extraktions -Tabelle:
Diagnose
I
Incisivi j
Ganini
Prä¬
molares
Molares
Summa
Pulpaerkrankung ....
—
—
113
359
472
Periost. et absc. alveol. .
107
54
162
749
1072
Necros. tot. dent. et radicis
468
165
722
1627
2982
Stellungsanomalie ....
12
9
—
—
21
4B47
Zahnersatz-
Tabelle:
Vollständige und partielle Ersatzstücke
. 359
Umarbeitungen .
. 153
Reparaturen . .
. 115
Stiftzähne . . .
. 51
Richmondkronen
. 46
Vollgoldkronen .
.
• •
. 65
Goldstücke und Brücken .
• •
. 25
Richtmaschinen .
• •
.
17
Obturatoren . .
• .
. 24
93 anderweitige operative Eingriffe, die sich in nach¬
folgender Weise gruppieren, wurden mit bestem Erfolge aus¬
geführt, und zwar hatten wir in 4 Fällen Gelegenheit, das
Redressement force an oberen grossen Schneidezähnen, die
um 99° gedreht waren, erfolgreich zu versuchen. 3 Fälle von
Kinnfisteln, die der Assistent des Institutes in ausführlicher
Weise beschrieben (Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahn¬
heilkunde, XXII. Jahrgang, Heft IV, pag. 497), 2 Fälle von
Gingivalerkrankungen infolge akuter Leukämie, deren eingehende
Bearbeitung einem der nächsten Hefte dieser Zeitschrift Vor¬
behalten ist, 2 Fälle von Phosphornekrose, 1 Fall von Follikular-
zyste, 24 Regulierungen, 18 Zahnzysten, 19 Wurzelspitzen¬
resektionen, 11 Kieferresektionsprothesen, die teils während der
Operation, teils nach derselben zur Verwendung kamen, ferner
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K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien.
99
1 Oberkiefer- und 2 Unterkieferfrakturen, womit die Reihe der
interessanten Fälle des vergangenen Jahres abgeschlossen wird.
Die Extraktionen wurden zum grössten Teil sowie sämt¬
liche operative Eingriffe unter Lokalanästhesie ausgeführt. Zur
Verwendung kamen Schleich und Benesol, während in weiteren
302 Fällen die von verschiedenen chemischen Fabriken zu
Versuchszwecken dem Institute zur Verfügung gestellten
Anästhetika benützt wurden.
Von diesen sei zunächst des S t o v a i n s Erwähnung getan,
das im Jahre 1904 von.Fourneau synthetisch dargestellt und
von der Firma J. D. R i e d 1 in den Handel.gebracht wurde. Stovain,
das in kleinen glänzenden Schüppchen kristallisiert, ist im
Wasser sehr leicht löslich, zeigt schwach saure Reaktion, ist
in der Hitze sehr gut sterilisierbar, doch darf dieselbe 120°
nicht übersteigen, da sonst Zersetzung eintritt. Zur Verwendung
kamen 1- und 2prozentige Lösungen. Die jedesmalige Dosis
betrug 1 bis l 1 /« Ccm. der lprozentigen oder V* bis 1 Ccm.
der 2 prozentigen Lösung. In 38 Fällen war die Analgesie nach
drei Minuten eine vollständige, id est 60 Prozent Erfolg, in
20 Fällen wurde geringe, in 5 Fällen starke Schmerzhaftigkeit
angegeben. Unangenehme Erscheinungen, Reizungen oder
Schädigungen, die auf die wenn auch schwach saure Reaktion
zurückzuführen wären, wurden nicht beobachtet.
Von den Farbenfabriken Bayer & Co., Elberfeld, wurde
dem Institut das Alypin zur Verfügung gestellt. Die Lösungen
des Alypins reagieren neutral, sind sehr gut sterilisierbar, ohne
dabei an anästhesierender Wirkung zu verlieren.
Zur Verwendung kamen 2prozentige Lösungen. Injiziert
wurde die Menge von '/* bis 1 Ccm. mit Zusatz von 1 bis
2 Tropfen einer Lösung von Suprareninum boricum 1: 1000.
125 Extraktionen verliefen schmerzlos und nur in 14 Fällen
wurde geringe Schmerzhaftigkeit angegeben. Bei 8 Patienten
konnte man post extractionem schmerzhafte Infiltrationen der
Gingiva und leichte Schwellungen der Umgebung beobachten,
Erscheinungen, welche möglicherweise mit der leichten Zer¬
setzung des Suprarenins in Beziehung zu bringen wären. In
4 Fällen wurden an der Schleimhaut des harten Gaumens
7*
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100 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien.
linsen- bis hellergrosse Substanzverluste beobachtet, deren
Ursache wahrscheinlich in der ischämischen Wirkung des Su-
prarenins und in dem starken Injektionsdrucke gelegen sein
durfte, wodurch oberflächliche Nekrose der Epithelialschichte
bedingt wird. Nähere Angaben hierüber erfolgen in einem der
nächsten Hefte dieser Zeitschrilt.
Unangenehme Erscheinungen, die direkt auf das Alypin»
zurückzuführen wären, wurden nicht beobachtet.
Das Novocain, das von den HöchsterFarbwerken
sowohl in fertiger Lösung als auch in Pulverform und Tabletten
in den Handel gebracht wird, wurde in 162 Fällen verwendet,
wobei nur 13 Patienten angaben, geringe Schmerzen empfunden
zu haben, womit aber bei genauerer Fragestellung in der Regel
der Einstich- und Injektionsschmerz gemeint war. Die jedesmal
injizierte Menge betrug V* bis 1 Ccm. einer 2 prozeniigen
Novocainlösung mit Zusatz von 1 bis 2 Tropfen Suprareninum
boricum oder es wurden Novocain-Suprarenin-Tabletten E in
1 Ccm. destillierten warmen Wasser aufgelöst, wodurch wir
eine 2prozentige Novocain - Suprareninlösung erzielten. Bei
grösseren operativen Eingriffen konstatierten wir eine beträcht¬
liche Tiefenwirkung, auch machten sich bei grösseren Dosen
niemals unangenehme Erscheinungen bemerkbar. Bei der grossen
Anzahl von Injektionen mit Novocain sind wir zu dem Resultat
gelangt, dass dasselbe allen Anforderungen, die an ein gutes
Anästhetikum gestellt werden, vollkommen entspricht und können
wir den besonders ausführlichen Berichten von Braun und
Cieszynski beistimmen.
Die von der Firma Bauer & Co. zur Erprobung der
Klinik zugesandten Formaminttabletten kamen bei
Stomatitiden, starkem Foetor ex ore infolge vernachlässigter
Mundpflege, und bei Ankylostoma sowohl bei Kindern als auch
bei Erwachsenen in Anwendung. Schon nach verhältnismässig
kurzer Zeit konnten wir eine bedeutende Besserung des Zu¬
standes der Mundschleimhaut konstatieren, die darin bestand,,
dass der üble Geruch aus der Mundhöhle vollständig beseitigt
war, dass die vorher aufgetretenen starken Blutungen geringer
wurden und der Patient ein behaglicheres Gefühl im Munde hatte.
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Verein Wiener Zahnärzte.
101
Jothion, ein neues Jodpräparat, das von den Farben¬
fabriken Friedrich Bayer & Co. hergestellt wird, fand bei
uns ausgiebige Verwendung. Es enthält 70 Prozent Jod in
organischer Bindung und zeichnet sich dadurch vor der ge¬
wöhnlichen Jodtinktur aus, dass es die Schleimhaut auch bei
wiederholter Anwendung nicht schädigt und infolge seiner Farb¬
losigkeit keine Spuren an der Haut zurücklässt. Das Jothion
kam zum Zwecke der Anregung von Granulationen, in operativ
gesetzten Defekten, bei Periostitis, Gingivitis und Stomatitis zur
Anwendung und hat sich in allen Fällen gut bewährt.
(Fortsetzung folgt.)
Verein Wiener Zahnärzte.
Anlässlich der Feier des 25 jährigen Stiftungsfestes wurde
über Antrag des Vorstandes in der am 17. November 1906 ab¬
gehaltenen Vollversammlung Reg.-Ra' Prof. Dr. Julius Scheff
in Wien einstimmig zum Ehrenmitglied gewählt.
Der Antrag wurde eingehend begründet und die Ver¬
dienste Prof. Scheffs um die Entwicklung und Verbreitung
der Zahnheilkunde in Oesterreich durch zahlreiche wissen¬
schaftliche Arbeiten theoretischen und praktischen Inhalts,
sowie durch die überaus fruchtbare Lehrtätigkeit hervorgehoben.
Ein grosser Teil der Vereinsmitglieder hat seine Aus¬
bildung an dem Wiener zahnärztlichen Universitäts- Institute
genossen, welches vor fast zwei Dezennien von Prof. Scheff
mit den ihm damals zu Gebote stehenden bescheidenen Mitteln
eingerichtet wurde und das dank seiner unermüdlichen Tätig¬
keit sich zu seiner gegenwärtigen anerkannten Höhe empor¬
gearbeitet hat. Dr. H. F.
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102
Zentralverband der österreichischen Stomatologen.
ZeotralvcrM Her isterrelcbiscben Stoiatilop.
Einem allgemeinen Wunsche entsprechend, wird der
Zentralverband der österreichischen Stomatologen nicht nur
zur Zeit der Jahresversammlung, sondern auch während des
Jahres wissenschaftliche Versammlungen abhalten r
um den Mitgliedern Gelegenheit zu geben, sich über die Neue¬
rungen auf dem Gebiete der Zahnheilkunde im Laufenden
zu halten.
Das Unterzeichnete Präsidium gestattet sich nun, die
Kollegen zur Teilnahme an diesen Versammlungen, sei es als
Vortragende und Demonstratoren oder als Zuhörer, höflichst
einzuladen und bittet, ihm eventuelle Vorschläge bezüglich eines
abzuhaltenden Vortrages mitzuteilen, sowie jene Themata, über
welche Orientierung gewünscht wird, freundlichst anzugeben.
Die erste dieser nur wissenschaftlichen Zwecken ge¬
widmeten Versammlungen findet Samstag den 16. März, um
7*6 Uhr nachmittags, in der Abteilung für Zahnheilkunde der
Wiener Allgemeinen Poliklinik, IX. Höfergasse 1, statt Doz. Dr-
Loos wird über die „Topographie der .Pulpahöhle
und Präparation der Kavität“ sprechen und Doz. Dr.
Weiser einen mit Demonstrationen verbundenen Vortrag über
„Atypische Zahnextraktionen“ halten. Weitere Ver¬
sammlungen sind für Mitte April und Mai in Aussicht genommen.
Die Kollegen Doz. Loos, Müller, Pichler, Doz. Weiser,
Doz. v. Wunschheim und andere haben ihre Mitarbeiter¬
schaft bereits zugesagt.
Gäste sind sehr willkommen ; doch wird das einen Gast
einführende Mitglied gebeten, denselben vorher beim Präsidium,
des Verbandes anzumelden. Nach dem Besuche von drei Ver¬
sammlungen erwächst für den Gast die Verpflichtung, dem
Zentralverbande beizutreten. 1
1 Der Jahresbeitrag für den Zentralverband der österr. Stomatologen
beträgt 10 Kronen; der Bezug der „Oesterr. Zeitschrift für Stomatologie“
steht dem Einzeluen frei (für Mitglieder 8 Kronen) und wird als das einzige
offizielle Organ für Standesinteressen der Zahnärzte Oesterreichs dringend
empfohlen (Bezugsanmeldungen: Wien, VII/i Mariahilferstrasse 92).
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Associazione stomatologica Triestina.
103
Das Verbandspräsidium bittet, der Einladung um so ge¬
wisser Folge zu leisten, als es die Absicht hat, diese vorerst
probeweise veranstalteten Versammlungen zu regelmässigen Fort¬
bildungskursen auszugestalten, falls eine zahlreiche Beteiligung
ihre Existenzberechtigung bekräftigen sollte.
Für das Präsidium des Zentralverbandes der österreichischen
Stomatologen:
Dr. Rud. Bum Dr. F. Trauner
Schriftführer. Präsident.
Associazione slonalolopa Tritslioa.
In der Monatssitzung vom November wurde von Herrn
Dr. D. Dalma aus Fiume als Gast ein mit grossem Interesse
aufgenommener Vortrag über „Geschichte, Indikation und An¬
wendungsreife des Nervocidins“ gehalten. Es wurden ferner
zwei Zuschriften der Herren Prof. Dr. Cav. Chiavero aus
Rom und Prof. Dr. Sachs aus Berlin zur freudigen Kenntnis
genommen. Die Herren versprechen, der Einladung der Asso¬
ciazione folgend, in absehbarer Zeit Vorträge in der Gesell¬
schaft zu halten.
In der am 21. Jänner abgehaltenen Monatssitzung
teilt der Präsident der Versammlung das Ableben des Herrn
Dr. Geo. Forssman aus Stockholm, der die konstituierende
Sitzung im vorigen Jahre mit seinem Besuche beehrte, mit.
Die Versammlung nahm diese Mitteilung mit dem Ausdrucke
der innigsten Teilnahme entgegen.
Es fand eine allgemeine Diskussion über das Thema:
„Plastische Füllungen“ statt, an der sich alle Mitglieder lebhaft
beteiligten. Es wurde über die Blacksche Amalgamfüllungs¬
methode „Extension for prevention“ eingehend gesprochen,
die Vorteile der verschiedenen Silikate erörtert, der tadellose
Randschluss der immer mehr in Vergessenheit geratenen
Kupferfüllungen hervorgehoben, die Vorzüglichkeit der roten
Guttapercha als Füllungsmaterial gelobt, wobei nach Flaggs
Prinzipien (siehe Plastic and Plastic filling by Foster Flagg,
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104 Zabnärztl. Klinik (Prof. Arkövy) der kgl. Universität in Budapest.
D.D.S., Philadelphia), Erwärmung der Guttapercha im Wasser¬
bade und Arbeiten mit erwärmten Instrumenten, vorgegangen
werden soll.
Dem Präsidenten des Zentralverbandes der österreichischen
Stomatologen, Herrn Dr. Franz Trauner, wird der Dank
votiert für die freundliche Zusage, bald den Verein zu besuchen.
Endlich wird ein Schreiben des Herrn Dr. J. Ghompret
von der Stomatologischen Gesellschaft in Paris verlesen, in
welchem die Associazione ersucht wird, für den zahlreichen
Besuch des am 5. August stattfindenden Kongresses in Paris
aus Anlass der 20jährigen Gründung der Gesellschaft zu wirken.
Es wird beschlossen, in diesem Sinne zu wirken und die Ge¬
sellschaft zu ihrer Gründungsfeier wärmstens zu beglück¬
wünschen.
Jakrestericlt der zahfiäntlielien Klinik (Prof. Dr. t. Arkövy)
Iler KöBiglicheg Uiiversität ii Budapest
Erstattet von Dr. Josef Sturm.
Im ersten Semester des Studienjahres 1905/06 be¬
suchten 2448 Kranke die Klinik, und zwar:
Knaben unter 14 Jahren . . . 238
Mädchen „ 14 „ ... 194
Erwachsene Frauen.1030
„ Männer .... 986
Extraktionen wurden bei 2129 Kranken ausgeführt, und
zwar
in
298
Fällen
an Milchzähnen und bei Zahnwechsel,
618
n
wegen Gangraena pulpae, Periodontitis und Ne-
crosis radicis,
215
n
an schon frakturierten Zähnen,
98
7i
bei Irregularitäten,
82
»
bei Caries alv. specifica,
761
n
wegen Pulpitis,
57
n
wegen Dentitio diff. mol. III.
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Zahnärztl. Klinik (Prof. Arkövy) der kgl. Universität in Budapest 105
Konservativ wurden 319 Kranke behandelt, und zwar
wurden in 208 Fällen von Caries dentium einfache Füllungen,
in 69 Fällen von Pulpitis Wurzel- und Kronenfullungen und
in 42 Fällen von Gangraena pulpae ebenfalls Wurzel- und
Kronenfüllungen ausgeführt.
Ausserdem wurden behandelt:
5 Kranke wegen Empyema Antrum Highmori,
8 „ „ Blutung nach Extraktion,
3 „ „ von Zähnen ausgehenden Zysten.
Die Zahl der Hörer betrug 49, von denen 9 auf die
konservative Operationslehre und 40 auf das Poliklinikum ent¬
fielen.
Zu Spezialisten wurden in diesem Semester 6 Aerzte
ausgebildet.
Im zweiten Semester wurden 3704 Kranke be¬
handelt :
Knaben unter 14 Jahren . . . 457
Mädchen „ 14 „ ... 279
Männer .1395
Frauen.1573
Extraktionen wurden in 3218 Fällen ausgeführt, und
zwar in:
181
Fällen
an Milchzähnen und bei Zahnwechsel,
1718
r>
wegen Pulpitis,
1082
y)
wegen Gangraena pulpae, Periodontitis und Ne-
crosis radicis,
148
V)
bei Caries alv. specifica,
51
n
bei Irregularitäten,
38
wegen Dentitio diff. mol. III.
Konservativ wurden 486 Kranke behandelt, und zwar
wurden in 238 Fällen einfache Füllungen, in 201 Fällen Wurzel¬
behandlung samt Füllungen und in 47 Fällen Gangränbehand¬
lung und Füllung vorgenommen.
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106 Stomatologischer Lehrstuhl. — Stomatologische Klinik.
Ausserdem wurden behandelt:
2 Kranke wegen Antrumempyem,
13 „ „ Nachblutung,
3 „ „ Epulis.
Für das Poliklinikum waren 35, für die konservative
Operationslehre 6 Hörer, insgesamt 41, inskribiert.
Zu Spezialisten wurden 5 Aerzte ausgebildet.
Die Klinik war 11 Monate des Studienjahres den Patienten
zugänglich; während dieser Zeit standen 6152 Kranke in Be¬
handlung.
Seitens des odonto technischen Laboratoriums
wurden folgende Arbeiten an Patienten ausgeführt:
41 Kautschukpiecen mit 319 Zähnen,
27 Stiftzähne,
22 Vollkronen,
7 fixe Brücken aus Gold,
7 Obturatoren (nach Antrumoperation),
3 Regulierungsapparate.
Sowohl die pathologische, als auch die odonlotechnische
Sammlung wurde in diesem Jahre vielfach bereichert.
Slonatoliipcta Lehrstuhl. — Stonatologische Klinik.
Einer soeben erschienenen ausserordentlichen Ausgabe
des „Stomatologiai Közlöny“ entnehmen wir, dass der königl.
ungarischen Minister für Kultus und Unterricht verordnet hat, dass
die an der Budapester Universität kürzlich systemisierte Lehr¬
kanzel unseres Faches und die für ihre Zwecke zu erbauende
Klinik anstatt der bisher gebräuchlichen Benennung „Zahn¬
ärztliche etc.“ von nun an ausschliesslich die Bezeichnung
„Stomatologische Lehrkanzel“ und „Stomato¬
logische Klinik“ tragen sollen.
Wir lassen den Wortlaut der am 12. November 1906
von dem Landesvereine der ungarischen Stomatologen an
den Unterrichtsminister gerichteten Eingabe folgen.
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Stomatologischer Lehrstahl. — Stomatologische Klinik.
107
An Se. Exzellenz, den königl. ungarischen Minister für Kultus
und Unterricht.
Der Landesverein c(er Stomatologen Ungarns beschloss
in seiner Sitzung vom September 1904 auf Antrag Dr. Emil
Nagys einstimmig, Ew. Exzellenz zu gelegener Zeit die Bitte
vorzulegen, dass selbst in amtlichen Beziehungen anstatt der Be¬
nennung „Zahnheilkunde“ das Wort „Stomatologie“ gebraucht
werden soll. Nunmehr, da einerseits die Zahnheilkunde (recte
Stomatologie) eine Universitätslehrkanzel sich erwarb, anderseits
eine moderne, den berechtigten Forderungen entsprechende
zahnärztliche (recte stomatologische) Klinik erbaut werden soll»
hält der Verband es für zeitgemäss, Ew. Exzellenz jene Bitte
zu unterbreiten.
Die Ausübung der Zahnheilkunde geriet im letzten Jahr¬
hundert in die Hände dazu berufener und medizinisch aus¬
gebildeter Aerzte, ebenso wie auch jene Zeit längst entschwand*
als noch die Aerzte die Wundbehandlung für anstössig er¬
achtet haben. Diese wurde auch von Laien ausgeübt; heute
ist die Chirurgie eines der glänzendsten Spezialfächer. Ebensn
steht es mit der sogenannten „Zahnheilkunde“. Heutzutage
ist die „Zahnheilkunde“ eine auf wissenschaftlicher Basis
stehende ärztliche Disziplin, gerade so wie die Geburtshilfe, die
Rhino-Laryngologie, Augenheilkunde usw. Heute werden die
Zahnerkrankungen als wissenschaftlich erkannte, erforschte,
spezielle pathologische Gewebsalterationen aufgefasst, welche
mit Rücksicht auf ihre Beziehungen zu den umliegenden Ge¬
weben (weiche und harte Gewebe des Mundes) von Aerzten
behandelt werden. Kurz gesagt, in den letzten Jahrzehnten hat
sich die „Zahnheilkunde“ in den Händen der Aerzte zur
«Stomatologie“ emporgeschwungen. Es ist ganz und gar un¬
möglich, ein Organ aus dem Gesamtorganismus herauszugreifen,
dasselbe isoliert vom übrigen Körper zu betrachten und dessen
Krankheiten zu behandeln, ohne deren Folgen und Beziehungen
zum ganzen Körper in Betracht zu ziehen. Der die Zahn¬
erkrankungen heilende Arzt hat auch Tag für Tag mit Ge¬
weben zu tun, wie Zahnfleisch, Kiefer, Knochen, und häufig
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108 Stomatologischer Lehrstuhl. — Stomatologische Klinik.
ist er gezwungen, durch Zahnerkrankungen verursachte Kiefer¬
erkrankungen zu operieren, d. h. eine stomatologische Praxis
auszuüben. In diesem Sinne musste auch seit ihrem Bestehen
die „Zahnärztliche Klinik“ verfahren; und somit ist jener Arzt
kein „Zahnarzt“, sondern Stomatolog und jene Anstalt (Klinik)
ist keine „zahnärztliche“, sondern eine stomatologische Klinik.
Dafür, dass dem so ist, können noch jene Institutionen, Ver¬
eine, Fachblätter des gebildeten Westens angeführt werden,
welche sich unter dem Epitheton „Stomatolog“ gruppierten,
geschaffen wurden und existieren; so z. B. der „Stomatologen-
Verband österr. Zahnärzte“, die „Stomatologische Sektion der
internationalen ärztlichen Kongresse“; auch unser Verband führt
den Titel seit seinem 10 jährigen Bestände; ferner „Oesterr. Zeit¬
schrift für Stomatologie“; „Stomatologiai Közlöny“ etc. Mit
einem Worte, in jedem Lande, wo ausschliesslich Aerzte mit
der Behandlung erkrankter Zähne beschäftigt sind, wurde von
jener irrigen und heute schon anachronistischen Benennung
Abstand genommen und zur Benennung des Faches, der
Körperschaften, der Fachblätter amtlich und gesellschaftlich
das Wort „Stomatologie“ in Gebrauch genommen.
Wir glauben daher, dass unser Vaterland, welches in
den epochalen Evolutionskämpfen des Faches in den letzten
Jahrzehnten bahnbrechend war, heute in den Aeusserlich-
keiten auch nicht Zurückbleiben darf, zumal da seine Fach¬
kreise als erste in Europa sich zu einem stomatologischen Ver¬
bände vereinigten und an so manchen Orten (Oesterreich) die
ungarischen Institutionen als Muster galten.
Auf dem im Jahre 1909 in Budapest stattfindenden inter¬
nationalen Aerztekongresse wird auch eine internationale
Assoziation der Fachgenossen gebildet, welche auf Antrag
Belgiens und Frankreichs den Namen „Stomatologisch“ führen
wird. Dasselbe wurde auch von verschiedenen Universitäten
anerkannt, als sie für „Stomatologie“ die venia legendi er¬
teilten (Bohosiewicz, Lemberg).
Wir ersuchen auf Grund dieser Motive, Ew. Exzellenz
möge dahin wirken, dass die Benennung des Faches auch in
amtlichen Beziehungen „Stomatologie“ lauten soll, hauptsächlich
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Stomatologischer Lehrstuhl. — Stomatologische Klinik.
10»
aber, dass das neuerdings dem Fache zu errichtende Heim, die
Zahnärztliche Klinik, „Stomatologische Klinik“ getauft werde.
Ew. Exzellenz etc.
Der derzeitige Leiter des ungarischen Unterrichtswesens,
Graf Albert App ony i, hat nach dem Referate des Ministerial¬
rates Ludwig von Töth diese Angelegenheit in kurzer Zeit
günstig erledigt und hievon den Landesverein der Stomato-
logen und den Senat der Universität verständigt. Die an den
letzteren herabgelangte Verordnung lautet wie folgt:
Vom königl. ungarischen Unterrichtsminister.
101.152. Nr. 906.
An den löbl. Senat der königl. Universität Budapest.
Der Landesverein der Stomatologen Ungarns wandte sich
laut seinem in der Sitzung vom September 1904 gefassten
Beschlüsse am 12. November 1906 mit der Bitte an mich, dass
in Betracht der immer mehr zunehmenden Bedeutung der Zahn¬
heilkunde unter den übrigen Spezialfächern der medizinischen
Wissenschaft und jenes Umstandes, dass das Wirken der die
moderne zahnärztliche Praxis ausübenden Aerzte nicht mehr
nur einzig allein auf das lokale Heilverfahren der Zähne be¬
schränkt ist, sondern sich auch auf die kurative Behandlung
der übrigen Gebiete des Mundes im Zusammenhang mit der
Erkrankung der Zähne erstreckt, ihrem Wunsche Folge geleistet
werde, dass die Benennungen „Zahnarzt“ und „Zahnheilkunde“
durch die im Westen Europas überall üblichen und richtigeren
Benennungen „Stomatolog“ und r Stomatologie“ ersetzt werden.
Da die seitens genannten Vereines vorgebrachten Argu¬
mente als recht und billig erachtet wurden, verordne ich somit,
dass die für den Unterricht der Zahnheilkunde erst kürzlich
systemisierte Lehrkanzel, wie auch die zu deren Zwecken zu
errichtende neue Klinik unter Weglassung der bisherigen Be¬
nennung „zahnärztliche“, nunmehr „stomatologische Lehrkanzel“
und „stomatologische Klinik“ genannt und künftighin dieses
Fach in allen Beziehungen mit diesem neuen Namen erwähnt
werden soll. Von diesem Beschlüsse etc.
Budapest, 22. Dezember 1906. Apponyi m. p. \'.’
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110
Referate und Joumalschau.
Referate und Journalsehau.
Die Verwendung der Aspirationstechnik in der Zahnheilkunde.
Von H. Schröder , Greifswald. (Deutsche Monatsschrift für Zahn¬
heilkunde, XXIV, 7.)
Die Aspirationstechnik wurde bereits von Dill für di<>
Behandlung pulpaloser und wurzelkranker Zähne vorgeschlagen;
doch ist, wie Verfasser vielfach nachweisen konnte, der Wurzel¬
kanal auf diese Weise nicht zu säubern. Dagegen ist es mög¬
lich, von der lingualen oder buccalen Fläche des Alveolar¬
fortsatzes aus im Bi er sehen Sinne Hyperämie im Bereiche der
Wurzelhaut zu erzeugen. Mit Hilfe einer kräftigen Aspirations¬
spritze und Ansatzstücken aus Weichgummi und Glas (Schröpf¬
köpfen) gelingt es leicht, durch eine Fistelöffnung den jauchigen
Inhalt aus dem Fistel- und Wurzelkanal herauszusaugen. Das
periapicale Gewebe wird durch die Schröpfung und die sich
daran schliessende Stauungshyperämie auf das günstigste be¬
einflusst. Besteht keine Fistel, so legt Schröder eine solche
an, indem er mit einem feinen Handbohrer nach Hart mann
Zahnfleisch und Knochen durchbohrt, was unter Lokalanästhesie
ganz schmerzlos durchführbar ist. Auch bei Alveolai pyorrhoe
empfiehlt Verfasser die Schröpfung. Der Schröpfkopf wird
nach einem Gipsmodell in der Weise hergestellt, dass er aus
einer inneren weichen und äusseren harten Kautschuklage
besteht und die erkrankte Kieferpartie nach aussen absolut
luftdicht abschliesst. Ueber der erkrankten Partie des Alveolar¬
fortsatzes, resp. über den an Pyorrhoe erkrankten Zähnen
besteht ein grösserer Hohlraum, welcher durch eine Kautschuk¬
röhre mit der Aspirationsspritze in Verbindung steht. Beim
Ansaugen tritt zunächst das eitrige Sekret heraus, dann folgt
eine kräftige Blutung aus dem hyperämischen Gewebe. Die
jedesmalige Herstellung der Schröpf kappe ist etwas umständ¬
lich, doch sind die Kosten gering und die Zeit, die mit der
Anfertigung des Apparates vergeht, steht in keinem Verhältnis
zu der Mühe, die die sonstige Behandlung einer Alveolar-
,jpyorrhoe erfordert. _ Dr. R Kronfdd.
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Beferate und Journal schau.
111
Stellungs- und Bildungsanomalien durch Röntgenaufnahmen
sichergestellt. Von K. Evler und G. Wobersin. (Medizinische
Klinik, II. Jahrg., Nr. 27.)
Das Röntgenbild ist bei abnormem Zahnwechsel unent¬
behrlich: man erhält Aufschluss über das Vorhandensein eines
bleibenden Zahnes unter einem Milchzahn und über seine
Lagerung; erst hiernach ist oft zu entscheiden, ob dieser
Milchzahn extrahiert werden darf oder konservierend zu be¬
handeln ist. Die Untersuchungen der Verfasser erstreckten sich
auf 449 Soldaten. Bei 18 von diesen waren bleibende Zähne
— im ganzen 39 — nicht erschienen. Es waren dies zumeist
der zweite Prämolaris, der obere Ganinus und der obere
laterale Incisivus, seltener andere Zähne. Statt dessen waren
bei 12 von diesen 18 Soldaten noch Milchzähne vorhanden. Das
Röntgenbild zeigte, dass der obere Caninus in allen Fällen
vorhanden, resp. retiniert war.
Dagegen war in den Fällen, wo der obere laterale
Incisivus fehlte, auch am Bilde in der Tiefe des Kiefers von ihm
nichts zu sehen. Die Röntgenaufnahmen bei fehlenden Backen¬
zähnen ergaben verschiedene Befunde. Die Verfasser schliessen
nach ihren Fällen, dass bei fehlendem, oberen, seitlichen
Schneidezahn auch ohne Röntgenaufnahme ein völliges Fehlen
dieser Zähne angenommen werden kann. Werden sie durch
persistierende Milchzäbne angedeutet, so sind diese stets zu
konservieren. Fehlen die Milchzähne, so ist bei vorhandener
Lücke für entsprechenden Ersatz zu sorgen. In den meisten
Fällen wird ein Eingreifen aber nicht notwendig sein, da die
Ganini in der Regel dicht an die mittleren Schneidezähne heran
gerückt sind. In neuerer Zeit sucht man auch diese Unregel¬
mässigkeiten in geeigneten Fällen zu beseitigen, indem man
mit Hilfe von Richtmaschinen für die seitlichen Incisivi Platz
schafft, um sie dann künstlich zu ersetzen und der Zahnreihe
ein gefälliges Aussehen zu verleihen. Hinsichtlich der Canini
werden wir stets durch die Röntgenaufnahme Klarheit über
ihre Lagerung schaffen und darnach unsere Massnahmen richten
müssen. Bei den zweiten Bicuspidaten ist den Röntgen¬
strahlen kein grosser praktischer Wert beizumessen, es sei
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112
Referate und Journalschau.
denn, dass es sich um die Erhaltung persistierender zweiter
Milchmolaren handelt, denn gerade unter diesen scheinen die
Ersatzzähne nicht angelegt zu sein. Auf keinen Fall wird man
sie zur Klarstellung der Unregelmässigkeiten dieser Zahngruppe
entbehren können. Dr. R. Kronfeld.
Beiträge zur Lehre von den Degenerationszeichen. Von
Dohrn-Schede-Schroeder, Kassel. (Vierteljahrsschrift für gericht¬
liche Medizin, Jänner 1906.)
Die Verfasser versuchen durch umfangreiche Unter¬
suchungen an Verbrechern und Normalen (Soldaten) den Be¬
weis zu erbringen, wie wenig die ganze Lehre von den De¬
generationszeichen einer sachgemässen Nachprüfung standhält;
so fanden sie z. B., um nur zwei der bekanntesten „Stigmata“
zu erwähnen, angewachsene Ohrläppchen bei Normalen in
23*65 Prozent, bei Verbrechern in 31*3 Prozent der Fälle, ab¬
stehende Ohren bei 13*5 Prozent der Normalen und bei
8*5 Prozent der Verbrecher. Aehnliche, ganz geringe Diffe¬
renzen ergab die Untersuchung der Mundorgane. Schroeder
stellte folgende Tabelle auf: Nonmde Verbrecher
Prognathie.643 66
Aufbiss.3*0 1*4
Kreuzbiss.1*2 1*2
Voluminöser Unterkiefer . . 0 5 0*6
Progenie.0*7 50
Unentwickeltes Kinn . . . 0*16 0*12
Vorstehendes Kinn.... 7*0 6-7
Eckiger Zahnbogen ... 4*8 6*5
Unregelmässige Zahnstellung. 5*0 7*5
Offener Biss.0-7 1-7
Diastema.10*0 8*3
Meisseiform der Zähne . . 5*3 5*5
Zapfenform.1*8 0'7
Unterzahl.2*0 3*0
Erosionen.2*7 3*3
Hoher Gaumen.6*2 3*9
V-Fonm des Gaumens. . . 0-3 1*3
Breiter Oberkiefer .... 0*16 1*3
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Referate und Jourualschau.
113
Insgesamt fand Schroeder Anomalien der Mundorgane
bei Verbrechern in 80-82 Prozent, bei den Normalen in
72-34 Prozent. Eine überwiegende Häufigkeit dieser Anomalien
ist demnach bei Verbrechern nicht zu konstatieren, und es ist
keineswegs gerechtfertigt, solche Degenerationszeichen immer
wieder ins Treffen zu führen. Dr. R. Kronfeld.
Zahnpulver und Lippenekzem. Von R. Saboumud, Paris.
(Revue Odontologique, VIII, 1906.)
Verfasser fand bei drei Frauen hartnäckige Ekzeme
der Lippen, welche jeder medizinischen Behandlung trotzten.
Das Zahnpulver enthielt in allen drei Fällen Salol, jedesmal
trat nach Weglassen des Pulvers in kurzer Zeit vollständige
Heilung ein. Eine dieser Patientinnen war von ihrem Arzte
wegen „Hyperacidität des Speichels“ nach Vichy geschickt
worden, woselbst alsbald eine auffallende Besserung ihres Zu¬
standes eintrat, welche auf Kurgebrauch und güte Luft zurück¬
geführt wurde, in Wirklichkeit aber daher rührte, dass die
Dame ihr gewohntes Zahnpulver nicht mitgenommen hatte
Dr. R. Kronfeld.
Zahnerkrankungen bei Milchdiät. Von Pietkiewfcz. (Tribüne
med., 1906, p. 310.)
Bei länger fortgesetzter Milchdiät kommt es wohl infolge
längeren Verweilens der Milch im Munde zu mannigfachen
Erkrankungen der Zähne und des Zahnfleisches, welche zwar
nicht zum Bewusstsein des Kranken kommen, aber zum Aus¬
fall der Zähne führen können. Es ist daher eine strenge
Hygiene des Mundes notwendig: häufiges Ausspülen mit anti¬
septischem, alkalischen Mundwasser, mindestens dreimal im
Tage Bürsten der Zähne mit einer harten Bürste unter Ver¬
wendung eines Zahnpulvers. Als zweckmässig erscheint folgende
Zusammensetzung: Natr. borac. 30-0, Kali chlor., Calc. carbon.,
Magn. carb. äa 10 0, Menthol 10. Dr. R. Kronfeld.
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114
Referate und Journalschau.
Gesichtsschutzmaske nach Angabe des Zahnarztes 0. Eichen¬
topf. (Münchener medizinische Wochenschrift, 1906, Nr. 40.)
Das Zelluloid, welches von Eichentopf bereits früher
für Herstellung von Separierstreifen und Matrizen für plastische
Füllungen verwendet wurde, dient ihm zur Herstellung einer
durchsichtigen, dünnen und sehr leichten Maske, welche Mund
und Nase bedeckt und weder das Sprechen noch das Atmen
stört. Die Luftzufuhr erfolgt durch zwei seitwärts verlaufende
Ausbuchtungen, die nach Anlegen einen weiten Kanal bilden.
Befestigt wird die Halbmaske durch zwei Gummischnüre,
welche man um die Ohrmuscheln legt. Etwa vorhandene
Druckstellen werden beseitigt, indem man die betreffenden
Partien in heisses Wasser taucht und dann dem Gesicht an¬
passt. Vor den Gazemasken, welche von Aerzten bisher ge¬
braucht wurden, hat die Eichentopfsche den Vorzug, öfter
benützt und leicht aseptisch gehalten werden zu können.
Letzteres geschieht durch Abwaschen mit kaltem, leicht des¬
infizierendem Wasser. Der Zweck der Maske ist ohne weiteres
einleuchtend; sie soll dazu dienen, Aerzten, Zahnärzten etc.
einen Schutz vor Infektion zu gewähren, sie soll den Arzt sowie
den Patienten vor gegenseitiger Belästigung durch den Atem
schützen. Die Maske dürfte deshalb speziell von Nasen- und
Halsärzten mit Erfolg angewandt werden. In zweiter Linie ist
die Maske in Anwendung zu bringen bei allen Operationen,
bei denen strengste Asepsis des Operationsfeldes erforderlich
ist und eine Infektion desselben durch den Atem aus Mund und
Nase des operierenden Arztes vermieden werden muss.
Eichentopf empfiehlt die Maske besonders auch für
Zahnärzte. Bei allen Behandlungen, wo eine dichte An¬
näherung an den Patienten und infolgedessen auch ein gegen¬
seitiges Anhauchen unvermeidlich ist, wird die Anwendung
der Maske vom Patienten angenehm empfunden. Zu erwähnen
wäre noch, dass die Maske bei Ausübung anderer Berufe,
welche ein Verweilen in Gesichtsnähe verlangen (Friseure) oder
bei Arbeiten mit schädlichen, giftigen Stoffen (Chemiker, Schrift¬
setzer), ihren Nutzen bringen würde. Die Maske ist vor Feuer
zu schützen! Dr. R. Krmfeld.
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Referate und Joumalschau.
115
Warum wir Molaren und Prämolaren mit Goldeinlagen
füllen. Von W . Thierschi Genf. (Schweiz. Vierteljahrsschrift für
Zahnheilkunde, 1906, III.)
Nach Besprechung der Indikationen und Kontraindikationen
für Zement, Amalgam, Porzellan und Gold setzt Verfasser die
Vorzüge der Goldeinlagearbeit auseinander und demonstriert
dieselben an Modellen, sowie an mit Eosin durchtränkten
Präparaten. Die Farbe der Goldeinlage ist gleich derjenigen
der Goldfüllung, besser als die des Amalgams, schlechter als
die des Porzellans. Bei den rückwärts gelegenen Kavitäten bildet
sie jedenfalls keine Gegenindikation. Die chemische Wider¬
standsfähigkeit im Munde ist eine absolute Der Rand¬
schluss der Geldeinlage wird zumeist getadelt, da man eine
Auswaschung des Zementes fürchtet. Dieser Einwand ist ganz
unrichtig. Wir haben hier nicht eine Zementlinie wie sie beim
Porzellan unvermeidlich ist, da dort die Platinmatrize von der
Einlage abgeschält werden muss und so einer dünnen Schicht
Zement Platz macht, sondern bei der Goldeinlage wird die
Matrize der Einlage selbst einverleibt. Ausserdem werden die
Ränder der Kavität etwas nach aussen hin abgeschrägt und
diese Kante durch die Einlage selbst sowohl, als auch zum
Uebeifluss noch durch die etwas überhängenden Ränder der
Matiize überdeckt. Somit können wir, solange der Zement noch
weich ist, mit Mattpolierern für Hand und Maschine das Gold
zu absolutem Kontakt mit der Zahnsubstanz anpolieren, ein
Kontakt, der demjenigen der besten Goldfüllung in nichts nach¬
gibt. Die ganze Auswaschungsfrage fällt also für die Goldeinlage
vollständig weg, denn wenn diese passt wie sie soll und die
Ränder vorschriftsgemäss anpoliert sind, so ist die Zementlinie
gleich null und Auswaschung und somit Kariesrezidiv an den
Rändern vollständig ausgeschlossen.
Die UnveränderlichkeitvonForm und Volumen
ist eine absolute, die Adaptabilität an die Zahnwand
eine hochgradige, denn die zur Herstellung unserer Einlage
verwendete Gold- oder Platinmatrize lässt sich mit allergrösster
Genauigkeit an die Wand der Kavität anpressen und polieren.
Die Adhäsion ist eine vollkommene, denn wir kombinieren
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116
Referate und Journalschau.
ja gerade die einzige Eigenschaft, die den Zement — wäre
er nicht sonst unbrauchbar — so wertvoll machen würde und
die der Goldfüllung fehlt, nämlich seine Klebfähigkeit mit den
vorzüglichen Eigenschaften des Goldes. Der Goldfüllung gegen¬
über hat die Goldeinlage folgende Vorzüge. Das Schädigen der
Zahnsubstanz durch den Goldhammer fällt bei der Einlage weg.
Schwacher Schmelz wird weggeschnitten, gesundes Zahnbein
dagegen nicht unterminiert. Die Grösse der Kavität hat keinen
Einfluss auf Dauer und Schwierigkeit der Behandlung, während
beim Goldfüllen „5 Minuten mehr Bohrmaschine sofort
3 / 4 Stunden mehr Goldhammer bedeuten“. Die Rekonstruktion
des Zahnes erfolgt nicht im Munde, sondern im Atelier, auf
Modellen und Artikulatoren; dadurch wird die ganze Behand¬
lung für Patienten und Operateur weniger anstrengend, weniger
zeitraubend. Während die Möglichkeit, eine überaus grosse
Goldfüllung zu legen, oft an der geringen Ausdauer des
Patienten scheitert, ist die Goldeinlage um so wertvoller, je
grösser der Defekt ist. Gerade da, wo sie schon eher eine
partielle Krone als eine Füllung genannt werden kann, kommen
wir zum Kernpunkt der ganzen Frage, zu der mächtigen Rolle,
die das Goldinlay in der konservativen Zahnheilkunde zu spielen
berufen ist. Viele hundert Zähne, die Tag für Tag rücksichtslos
abgeschnitten werden, um einer Krone Platz zu machen, können
durch die Goldeinlage zu lebenslänglicher Gebrauchsfähigkeit
zurückgeführt werden, ohne dass das Zahnfleisch und die Wurzel¬
haut dem Insult und der drohenden Gefahr eines Halsbandes
ausgesetzt werden. Dr. R . Kronfeld.
Ueber Kiefernekrosen. (Aus der königl. Poliklinik für Zahn-
und Mundkrankheiten zu Breslau [Direktor Prof. Dr. Partsch}).
Inaugural-Dissertation von Georg Goldschmidt.
Kiefernekrosen kommen häufiger vor als in den meisten
Lehrbüchern angeführt wird. Die Nekrosen sind meistens eine
Folgeerscheinung der Osteomyelitis. Letztere Bezeichnung ist als
Sammelname für Periostitis und Ostitis zu gebrauchen, weil
es auch manchmal klinisch unmöglich ist, die Entzündung des
Knochenmarks von der des Knochens und der Knochenhaut
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Referate und Journalschau.
117
zu trennen. Reine Periostitis kann auch corticale Sequester
verursachen, meist jedoch wird sich aber die Entzündung auf
die Corticalis und das Knochenmark fortpflanzen. Als Erreger
and die pyogenen Mikroorganismen anzusehen. Immer finden
sich Mischinfektionen von Staphylo- und Streptokokken mit
Mund- und Fäulnisbakterien. Das Krankheiisgift ist also kein
spezifisches.
Osteomyelitis der Kiefer entsteht:
1. Traumatisch: Fall, Schlag, Stoss, Schuss.
Kieferfrakturen geben im Gegensatz zu anderen komplizierten
Frakturen eine ungemein günstige Prognose. Ferner geben
gelegentlich auch Zahnextraktionen zu Nekrosen Veranlassung,
wobei es nicht immer notwendig ist, dass der Kieferknochen
frakturiert ist; das verletzte Periost ist der Einwanderung
pathogener Mikroorganismen sehr leicht zugänglich;
2. durch Uebergreifen einer eiterigen Entzündung aus
der Umgebung auf das Periost und von da auf das Knochen¬
mark (spontane Periodontitis nach Pulpagangrän oder artifizielle
nach unvorsichtiger Gangränbehandlung);
3. hämatogen: Die Infektion scheint auf venösem
Wege zustande zu kommen, indem kleine mit Eitererregern
beladene Thromben durch das am Kiefer besonders verbreitete
Venennetz in benachbarte Venen gelangen und nun neue
Entzündungsherde bilden. Die Eingangspforte ist meist schwer
zu finden, da die kleinen Läsionen der Schleimhaut längst
verheilt sein können (locus minoris resistentiae). Arterielle
Infektion scheint nach Verfasser nur bei Endocarditis und
Pyämie vorzukommen, dann finden sich aber auch Metastasen
in anderen Organen. Kiefernekrosen nach Zahnextraktionen,
bei Durchbruch von Mileh- und bleibenden Zähnen, besonders
des Weisheitszahnes können durch Infektionen auf hämatogenem
Wege erklärt werden. Knochenei terunge'n im Gefolge von In¬
fektionskrankheiten aller Art werden als sekundäre Osteo¬
myelitiden bezeichnet.
Da bei allen Infektionskrankheiten Schwellungen der
Mundschleimhaut, des Periosts, kleine Geschwüre und Ex-
koriationen ziemlich häufig sind, können diese Stellen ge-
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118
Referate und Jonmalschau.
legentlich als primäre Herde für eine Entzündung auf häma¬
togenem Wege in Betracht kommen.
Nekrosen kommen ferner vor nach Einwirkung von
Phosphor, Arsen, Quecksilber (im letzteren Falle indirekt auf
dem Wege einer Stomatitis), ferner im Gefolge von Syphilis
(besonders am Oberkiefer) Tuberkulose (selten), Tabes, auch
bei malignen Geschwülsten; hingegen verursacht Aktinomykose
wohl Periostitiden, jedoch so gut wie nie Nekrosen. — Zu be¬
merken sind folgende Charakteristika für tabische Nekrosen:
das Betroffen werden gesunder Zähne, die Analgesie des an¬
grenzenden Zahnfleisches und der ziemlich schmerzlose Ver¬
lauf. Bei der Autopsie wurde stets eine Atrophie und Degene¬
ration des Trigeminusstammes besonders der aufsteigenden
Wurzel und der Kerne gefunden.
Klinische Formen der Osteomyelitis:
1. Diffus: Der Knochen ist in seiner ganzen Ausdehnung
ergriffen. Sehr gefährlich und fast ausnahmslos tödlich;
2. zirkumskript: Es besteht zwar Fieber, jedoch
bleibt das Allgemeinbefinden ein gutes, zum Unterschied von
der septikämischen Form. Ein umschriebener Bezirk des Kiefers
wird schmerzhaft, Lockerung von Zähnen, die Schmerzen nehmen
bei Berührung und Druck an Intensität zu; Schwellung der
umgebenden Weichteile (Unterkiefer — gegen den Winkel;
Oberkiefer — Wange und Augenlider); vermehrter Speichel-,
fluss, starker Mundbelag, Foetor ex ore, Ankylostoma, Drüsen¬
schwellungen, Kopf- und Nackenschmerzen. Nach wenigen
Tagen Abszessbildung, aus den Alveolen quillt bei starkem
Druck übelriechender Eiter. In der F olge werden teils grössere,
teils kleinere Sequester abgestossen. Vollständige Heilung tritt
erst ein, wenn alle nekrotischen Knochenstücke abgestossen
sind. (Dauer meist 4 bis 6 Wochen, unter Umständen aber
auch erst nach Monaten oder Jahren.)
Als Komplikation bei Nekrosen des Oberkiefers kann*
Meningitis (Lymphbahnen!) entstehen, bei Nekrosen des Unter¬
kiefers sind akutes Glottisödem und Mediastinitis beobachtet
worden. Durch die Aspiration putrider Stoffe kann es zu
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Referate und Journalschau.
119
multiplen Lungenabszessen, Lungengangrän, septischen Pneu¬
monien, eitriger Pleuritis und Perikarditis kommen.
Erwähnt wird ferner die sklerosierende Osteomyelitis
(Garrä), die akut oder subakut beginnt und bei der es einzig
zu einer Auftreibung des Knochens ohne Eiterung und Fistel¬
bildung kommt. (Sequester- und Fistelbildung oft erst nach
Jahren.) Bei isoliertem Vorkommen ist die Unterscheidung
von syphilitischen Exostosen schwer, auch geben diese Formen
zur Verwechslung mit myelogenen und periostalen Sarkomen
Anlass.
Therapie: Bezüglich der Lockerung der Zähne ist es
nur dringend geboten, den schuldigen Zahn zu entfernen, die
übrigen gelockerten, aber nicht schuldtragenden Zähne sind zu
erhalten. Um dem Eiter freien Abzug zu gestatten, muss eine
ausgiebige Inzision, womöglich von der Mundhöhle aus, bis
auf den Knochen gemacht werden. Die Beschwerden des
Patienten gehen rasch zurück, die Eiterung hält aber an. Mit
der Sonde spürt man rauhen beweglichen Knochen. Erst wenn
der Sequester vollständig losgelöst ist, wird er entfernt, sonst
muss man seine Demarkation abwarten. (4 bis 6 Wochen bei
kleineren, bei grösseren Monate und Jahre.) Nach Möglichkeit
muss man versuchen, auch den Sequester vom Munde aus zu
extrahieren. Bei Entfernung eines grossen Sequesters aus dem
Oberkiefer ist an eine eventuell eintretende Kommunikation der
Mundhöhle mit einer Nebenhöhle, beziehungsweise der Nase
zu denken.
Bei Nekrosen auf syphilitischer und tuberkulöser Basis
ist entsprechende Allgemeinbehandlung einzuleiten.
Prophylaxe: Asepsis bei Zahnextraktionen (ausgekochte
Instrumente und sauber gereinigte Hände), reichliche Spülungen
nach der Extraktion, Vermeidung von Quetschungen des Zahn¬
fleisches, sachgemässe Zahnpflege. Peinlichste Reinigung des
Mundes bei Traumen des Kiefers und bei Infektionskrank¬
heiten.
Dann folgt eine Kasuistik von 12 Fällen. Die Aetiologie
betreffend, traten die Nekrosen auf:
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120
Referate und Jouraalschau.
Nach Zahnextraktionen.3 mal
Pulpagangrän (die Pulpa war unter einer
Zementfüllung abgestorben) 1 .... 1 „
Caries periodontitis.2 „
Idiopatisch.3 „
Nach Typhus, Influenza und Masern je . 1 „
Dr. Viktor Frey .
Eine neue Verankerungsmethode für gebrannte Porzellan¬
füllungen. Von Dr. phil. Guido Fischer , Hannover. (Deutsche
Monatsschrift für Zahnheilkunde, September 1906.)
Verfasser glaubt, die Befestigung gebrannter Porzellan¬
einlagen in der Kavität durch das Prinzip der Aussparung im
Porzellan sicherer als bisher üblich zu erreichen.
1. Flache kleinere Füllungen bis zirka 3 Mm. Dicke durch
Anrauhen eines bestimmten Bezirkes der Füllungsrückseite mit
Hilfe eines Gipskieselgurkernes im Folienabdruck;
2. grössere Füllungen in der gleichen Weise und ausser¬
dem mit einer zweckmässigen Verankerung von feinen Platin¬
stiften.
An den Misserfolgen (herausgefallene Füllungen) trägt
nach Verfasser die ungenügende Rauhigkeit der Porzellanrück¬
seite schuld. Es soll der zentrale Bezirk der Füllungsrückseite
angerauht werden. Der Abdruck wird in ein Gemisch von
2 Teilen Gips und 1 Teil Kieselgur eingebettet und die Ein¬
bettungsmasse trocknen gelassen (zirka 15 bis 20 Minuten),
Dann trägt man mit einem feinen Pinsel eine kleine Menge
des weich angerührten Gipskieselgurgemisches auf den Boden
des Abdruckes auf, doch darf die Gipsmasse nirgends an den
Folienrand reichen, sondern nur den basalen Teil der Folie
gleichmässig überdecken. Ist dieser Gipskieselgurkern im Er¬
härten, soll man ihn mit einer stumpfen Nadel und mit einem
Pinsel modellieren, indem man die Nadel etwas schräg nach
innen geneigt zwischen Folie und Gipswand verstreichen lässt,
wodurch die spätere Füllung einen unter sich gehenden Rand
erhält. Die Oberfläche des Kernes wird von einer Anzahl von
Nadelstichen grob durchlöchert und angerauht. Ist der Kern
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Referate und Journal schau.
121
vollständig erhärtet, so wird dünner Porzellanbrei aufgetragen
und die Einlage gebrannt. Die Rückseite derselben soll das
genaue Negativ des Gipskernes sein, Vertiefungen, Zapfen,
Spitzen und Kanten aufweisen. Da der Gipskern durch die
Hitze morsch und sandig geworden ist, lässt er sich mit einer
feinen Bürste unter einem kräftigen Wasserstrahl entfernen.
— Besondere Unterschnitte im Dentin sind nicht notwendig,
man bringt nur mit einem kegelförmigen Bohrer an geeigneten
Punkten zarte Rauhigkeiten im Dentin an und zementiert die
Füllung ein.
Verwendung von Stiften: Dieselben sind aus Platin, 0*4 Mm.
stark und werden in 3 Grössen angewendet, 1*5 Mm. und
2 Mm. lang mit je einer Kuppe (Knopf) und 2-5 Mm. lang mit
Kuppen an beiden Enden. Ein derartiger Stift wird in das
weiche Gipskieselgurgemisch (im Abdruck) versenkt, und zwar
so, dass das knopfartig abgestumpfte Ende desselben bis zur
halben Länge in der Gipsmasse verborgen ist, während die
andere Hälfte frei herausragt. Die Spitze des Stiftchens muss
mindestens 1 Mm. unter dem Kavitätenrand endigen. Dann
wird der Gipskem in oben angeführter Weise modelliert und
Porzellanmasse aufgetragen und gebrannt. Nach Beendigung
des Schmelzprozesses und Entfernung der Gipsmasse ragt die
mit dem knopfartigen Ende versehene Hälfte des Stiftchens frei
in den nach Ausspülung des Gipskernes geschaffenen Hohlraum
am Boden der Einlage. Auch mehr als ein Stiftchen können
zur Anwendung kommen.
Hiezu möchte ich mir folgende Bemerkungen erlauben:
Es ist Erfahrungstatsache, dass sich die Porzellanmasse von
der Gipsunterlage (Loch im Abdruck) beim Schmelzen zurück¬
zieht. Am besten kann man dies ersehen, wenn der Riss bis
zum Kavitätenrand geht. Wird ein solcher Abdruck — ohne
ihn beim Transport von der Kavität in die Einbettungsmasse
zu zerren — zum Brennen verwendet, so wird der Rand der
Einlage gerade dort, wo die Jenkiiis-Masse auf der Gipsunter¬
lage fliessen soll, einen äusserst mangelhaften Rand¬
schluss aufweisen. Dies ist auch einer der Gründe, weswegen
ein bis zum Rande eingerissener Abdruck unbrauchbar ist.
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Referate und Journalscbau.
Daher ist auch ein genaues Negativ des modellierten Gipskiesel¬
gurkernes nicht zu erwarten. Eine genau nach Fischers An¬
gabe hergestellte Füllung hat diese Vermutung bestätigt. Sie
zeigte einen allerdings scheinbar rauhen zentralen Bezirk, der
aber unter Lupenvergrösserung sich in einzelne glasig glän¬
zende, halbkugelförmige Gebilde (also glatte, nicht rauhe
Unebenheiten) auflösen Hess, die ich als Effekt der Unmöglich¬
keit der Jenkins - Masse, auf einem Gipskieselgurgemisch zu
fliessen, ansprechen muss, weshalb ich auf Grund dieses Vor¬
versuches und der theoretischen Erwägungen Fischern
Methode — meinerseits wenigstens — nicht empfehlenswert finde.
Dr. Viktor Frey .
Die „chirurgische Wurzelbehandlung“: Maxillotomie und
Wurzelresektion. Von Dr. phil. Guido Fischer , Hannover. (Deutsche
Monatsschrift für Zahnheilkunde, August 1906.)
Die Ausführungen des Verfassers gipfeln in folgendem:
Jeder wurzelkranke Zahn soll zuerst medikamentös be¬
handelt werden; gelingt diese Behandlung nicht oder sind be¬
sondere Gründe (Zeitmangel, seltene Behandlungsgelegenheit}
vorhanden, dann tritt die chirurgische Wurzelbehandlung in
ihre Rechte. Dieselbe teilt Verfasser ein in die
a) Maxillotomie == Eröffnung der knöchernen Alveole im
Bereich der erkrankten Wurzel, und in die
b) Wurzelresektion = Abtragung der Wurzelspitze, ent¬
weder
a) auf direktem Wege = Abschneiden der Wurzelspitze
mittels einer vom Verfasser angegebenen Kreissäge, oder
ß) auf indirektem Wege, d. h. die Wurzelspitze kann erst,
nach Exstirpation eines Teiles des Wurzelkörpers erreicht
werden und kann dann ohne Gefahr von Nebenverletzungen
wichtiger Gewebskomplexe beseitigt werden (z. B. bei Resektion
am unteren zweiten Prämolaren die aus dem Foramen mentale
austretenden Nerven und Gefässe).
In allen Fällen müssen pathologische Bildungen an der
Wurzelspitze (periostale Wucherungen, Granulationen, In¬
krustationen usw.) gründlich entfernt werden. Die Abtragung
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Referate nml Journalschau.
123.
der Wurzelspitze ist nur dann notwendig, wenn sie vom Periost
entblösst (Nekrose), stärker gekrümmt oder der Kanal un¬
passierbar ist; wenn die Wurzel abnorm lang ist und durch
die Maxillotomie nicht freigelegt wird, sondern von der Knochen¬
lamelle bedeckt und von Granulationen umgeben ist. Die
Wurzelfüllung geschieht erst nach dem chirurgischen Eingriff
und nach gründlicher Desinfektion. Tamponade der Wunde
nach erfolgter Operation ist nicht immer erforderlich. (?)
Die vom Verfasser angegebenen Kreissägen sind nach Art
der Trepanbohrer gearbeitet (Rauhe, Düsseldorf); doch bieten
die Konstruktion und die Verwendung dieser Instrumente keinen
Vorteil gegenüber der Verwendung des gebräuchlichen chirur¬
gischen Meisseis, welch letzterer leichter sterilisierbar ist und
auch ein reinlicheres und übersichtlicheres Arbeiten gestattet.
Merkwürdig klingt es, wenn der Verfasser nach vollendeter
Operation den Zahnfleischlappen über die Knochen wunde legt
(ohne Tamponade!) und das Ganze dem normalen Heilungs¬
prozess überlässt.
Im übrigen sei auf Prof. Dr. Mayrhofers Artikel im
August- und Septemberheft (1906) der „Oesterr. Zeitschrift für
Stomatologie“ verwiesen. Dr. Viktor Frey .
lieber die Karzinome der Mundschleimhaut. (Aus dem
Konvent-Hospital der Barmherzigen Brüder zu Breslau [Prof.
Dr. C. Part sch]). Inaugural-Dissertation von Franz Thomas ,
praktischer Arzt.
Aetiologisches: Die Leukoplakia oris, welche durch
Alkohol- und Tabakmissbrauch, kariöse und schlecht in der
Alveole sitzende Zähne, ferner durch Gicht, Magenkrankheiten
und Lues entstehen kann, gibt ein prädisponierendes Moment
zur Bildung eines Mundhöhlenkarzinomes ab. Verfasser bringt
eine Statistik von 14 Fällen (7 Mundbodenkarzinome und
7 Wangenschleimhautkarzinome). In 50 Prozent der Fälle
werden wjöisse Plaques neben dem Karzinom gefunden und
konnte in 3 Fällen direkt die Entstehung des Karzinoms auf
Grundlage dieser Plaques beobachtet werden. Andere chroni-
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124
Referate und Journalscbau.
sehe Reizzustände: in 2 Fällen konnte je 1 kariöser Backen¬
zahn beschuldigt werden. Klinisch ist zwischen beiden Arten
kein Unterschied.
Symptome und Verlauf: Zuerst bildet sich ein
kleines, derbes Knötchen, welches bald oberflächlich exulzeriert
und meist vom Patienten als etwas Harmloses angesehen wird,
so dass leider oft sehr spät ein Arzt zu Rate gezogen wird.
Die Ulzeration schreitet rasch weiter. Es treten übelriechender
Ausfluss aus dem Munde, ziehende Schmerzen vom Geschwür
zum Ohr der erkrankten Seite und Kieferklemme auf.
Beim Uebergreifen auf den Alveolarfortsatz kommt es
zur Lockerung der Zähne, ln vorgeschrittenen Stadien werden
die Patienten durch kolossale Speichelabsonderung und übel¬
riechenden jauchigen Ausfluss gequält. Die nicht operierten
Patienten gehen entweder an Inanition oder Schluckpneu-
rnonie zugrunde.
Das Alter betreffend kamen zur Beobachtung Patienten
zwischen 40 und 50 Jahren 1 mal
50 „ 60 „ 5 „
» 60 „ 70 „ 7 „
* 70 „ 80 n ln
Männer : Frauen = 5:1.
% Metastasen setzen diese Karzinome in entfernteren Organen
in der Regel nicht, sondern es werden nur die regionären
Lymphdrüsen ergriffen (submaxillare, submentale und jugulare
Lymphdrüsen). Als signum mali ominis ist die frühzeitige,
doppelseitige Drüsenschwellung zu betrachten.
Differentialdiagnose: Karzinom ergibt sich aus
den obgenannten Symptomen. Zu beachten ist die harte Kon¬
sistenz, der stete Ausgang von der Schleimhaut und die rasche
Exulzeration.
Lues: Der Knoten entwickelt sich in der Muskulatur,
■durch Perforation entsteht ein trichterförmiges Geschwür mit
speckigem Belag und unterminierten Rändern- Der Verlauf ist
schmerzlos. Die Diagnose kann ex juvantibus (Jodkali) ge¬
stützt werden.
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Referate und Journalschau.
125
Tuberkulose: Sehr schmerzhafte und flache Geschwüre.
Die mikroskopische Untersuchung eines zur Probe ex-
zidierten Stückchens entscheidet. Unter Umständen könnte
Aktinomykose Anlass zur Verwechslung geben.
Therapie: Alles Aetzen und Abkratzen ist zu vermeiden,
da mechanisch irritierte Krebse Neigung zu rapidem Wachs¬
tum zeigen. Möglichst rasche Operation ist dringend geboten.
Dieselbe muss weit im gesunden Gewebe vorgenommen und
alle regionären Lymphdrüsen und in der Regio submaxillares
die Glandula submaxillaris salivalis müssen entfernt werden.
Bei Resektionen eines Teiles des Unterkiefers wird der Defekt
durch eine Immediatprothese aus Aluminiumbronze (sogenannte
Hausmannsche Schiene') ersetzt. Schlägt dieser Versuch fehl,
so muss man nach abgelaufenem Heilungsprozess der Deviation
der infolge Muskel- und Narbenzuges verlagerten Kieferstümpfe
durch die Sauer sehe schiefe Ebene zu begegnen trachten.
Post operationem ist zu befürchten: Tod an Schluckpneumonie,
Nachblutung und Zungenretraktion. (Letztere wird dadurch
vermieden, dass man den Zungenrest an die Schleimhaut des
Unterkiefers, der Wange oder der Lippe annäht.)
Ernährung durch die Schlundsonde, welche durch die
Nase eingeführt wird, ist nötig.
Prognostisches: Von den 14 beobachteten Fällen
kommen 2 nicht in Betracht, weil über deren weiteren Ver¬
lauf nichts mehr in Erfahrung gebracht werden konnte. Von
den übrigen 12 Fällen sind 7 Patienten an Rezidiven gestorben
und 5 (mehrere nach einigen Rezidivoperationen) dauernd ge¬
heilt worden (41-66 Prozent Dauerheilungen). Die Prognose ist
also im allgemeinen ungünstig.
i Im Lehrbuche der zahnärztlichen Technik von Jung, II. Auflage,
p. 285 und 286, heisst es aber ausdrücklich: „Wir verdanken die Idee der
Immediatschiene in dieser Form Part sch und nicht, wie vielfach an¬
genommen wird, Hausmann. Letzterer verwendete durcblochte Alumininm-
bronzeschienen für die Verbindung bei komplizierten Brüchen der Extremi¬
tätenknochen; der Gedanke jedoch, sie zweckmässig znm Ersatz von rese¬
zierten Teilen zu benützen, ist das geistige Eigentum von Part sch“.
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126
Referate und Jounialsclian.
Als prophylaktische Massregel käme in Betracht die Ver¬
meidung jener chronischen Reizzustände, welche erfahrungs-
gemäss zur Karzinomentwicklung Anlass geben können, wie
übermässiges Rauchen, Schnapstrinken und schlechte Zahn¬
pflege. Dr. Viktor Frey.
Methoden, um Zähne mit Goldinlays zu füllen. (Methods
of filling Teeth with Gold Inlays.) Von P. Hinman,
Atlanta. (Items of Interest, Jänner 1906.)
Nach Aufzählung der mannigfachen Vorteile, welche die
Inlays vor den Goldfüllungen haben, wie der Ausfall der langen
Sitzungen, die Unmöglichkeit des Abblätterns der Füllung, die
leichtere Herstellung der Kontur, die Möglichkeit des Wieder¬
einsetzens bei eventuellem Misserfolg, betont Autor die Selten¬
heit einer sekundären Karies bei Inlays und glaubt die Ursache
darin zu erblicken, weil man gezwungen ist, die Ränder der
Kavität nach buccal und lingual auszudehnen.
Es folgt nun eine ausführliche Beschreibung des Vorganges,
der Kavitätpräparation, des Abdrucknehmens und Schmelzen
des Inlays. Hauptgewicht legt Autor auf die breite Verankerung
in der Kaufläche. Dr. Opph.
Das Legen von Goldfflllungen in unmittelbarer Nähe lebender
Pulpa und die Einlage eines neuen Nichtleiters, der gleichzeitig
als Haftmittel dient. (ConcerningthePlacementofGold
inCloseProximityoftheLivingPulp, and theNew
Gold Anchor Intermediary.) Von Larnhe , Trenton.
(Items of Interest, November 1905.)
Das Mittel, das Autor seit einigen Jahren mit angeblich
bestem Erfolg verwendet, stellt einen Ersatz für Zement dar
und sollen seine Vorzüge vor dem Zement hauptsächlich darauf
beruhen, dass es ein besserer Nichtleiter ist, dass es antiseptische
Wirkung ausübt, dass es keine Säure enthält und somit jeder
Reiz auf die Pulpa ausgeschlossen ist; das Mittel, dem Autor
den Namen „Gold Anchor Intermediary“ beilegt, besteht aus
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Referate und Journalschau.
127
Thymol, Damarlack, Bariumsulfat und Nelkenöl und reteniert
infolge seiner starken Klebekraft sehr gut die ersten in die
Kavität gebrachten Zylinder. Dr. Opph.
Die zweite Dentition vom Standpunkte der Medizin. (The
secondDentition; i ts medical aspects.) Von Armstrong,
(Dental Record, August 1905.)
Die zweite Dentition ist nicht nur für den Zahnarzt von
Interesse, sondern steht mit fast allen Spezialgebieten der
Medizin in näherem oder fernerem Zusammenhang. Unter den
Allgemeinerkrankungen, welche die Ursache für eine fehlerhafte
Dentition abgeben, ist vor allem die Rhachitis zu nennen; der
verspätete Durchbruch der Milch- wie der bleibenden Zähne
ist eine allgemein bekannte Tatsache. Die Zähne selbst zeigen
fehlerhafte Entwicklung des Schmelzes und werden sehr rasch
kariös. Das zuweilen vorkommende übermässige Wachstum
der Kiefer, sowie das Fehlen einzelner Zahnkategorien über¬
haupt und die dadurch bedingten Irregularitäten der Zahnstellung
sind in den meisten Fällen Folgeerscheinungen der Rhachitis.
Beim Kretinismus macht sich dieser verspätete Durchbruch
noch auffallender bemerkbar und zitiert Autor den Fall eines
9 jährigen Mädchens, das vor der Behandlung noch keinen Zahn
des bleibenden Gebisses hatte.
Hereditäre Syphilis soll den Durchbruch der Milchzähne
beschleunigen; die bleibenden Zähne zeigen charakteristische
Veränderungen, die als Hu tch in so n sehe Zähne wohl bekannt
sind. Während jedoch eine Anzahl Autoren diese charakteristi¬
schen Veränderungen als Folgeerscheinung einer syphilischen
Alveolarperiostitis auffasst, andere wieder sie dem Gebrauche
von Quecksilber zuschreiben, will Henoch, der bedeutendste
deutsche Pädiater, dieselben als durch Rhachitis bedingt auf¬
gefasst wissen.
Akute Erkrankungen, wie Exantheme, Pneumonie und noch
mehr chronische Störungen des Magendarmtraktes während der
ersten zwei Jahre, in denen der Verkalkungsprozess an den
Schneide- und Eckzähnen sowie an den ersten Molaren vor
sich geht, lassen dauernde Schädigungen in dem Schmelz dieser
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128
Referate und Joumalschau.
Zähne zurück. Der Keim dieser Zähne kann sogar derartige
trophische Störungen erlitten haben, dass er ganz zugrunde geht.
Unter den lokalen Ursachen für eine fehlerhafte Dentition
sind in erster Reihe die adenoiden Wucherungen zu nennen;
das durch dieselben bedingte Mundatmen ruft die charakteristi¬
schen Veränderungen des Gaumens und die dadurch bedingten
Stellungsanomalien der Zähne hervor; doch sind diese Ver¬
änderungen auch zuweilen ohne adenoide Wucherungen anzu-
treflfen. Autor möchte diese Veränderungen nicht so sehr der
lokalen Beeinflussung durch die Adenoide, sondern einer all¬
gemeinen lymphatischen Diathese zuschreiben, welche für beide
Veränderungen verantwortlich zu machen ist.
Sichere, aber leicht zu verhütende lokale Ursachen sind
das Daumen- und Lippensaugen, welche beide üblen Gewohn¬
heiten charakteristische Veränderungen verursachen.
Alveolarabszesse der Milchzähne und vorzeitige Extraktion
derselben fuhren zu Unregelmässigkeiten, indem im ersteren
Falle der Follikel des bleibenden Zahnes alteriert wird und
häufig hypoplastische Entwicklung des Schmelzes aufweist, in
letzterem eine Vorschiebung des 6jährigen Molaren und Raum-
behinderung für den zweiten Bicuspis statthat. Fehlerhafte
Dentition kann zuweilen die Ursache für lokale und Allgemein¬
erkrankungen abgeben. Die leicht gestörte Nachtruhe und ein
wenig gesteigerte Temperatur sowie vermehrte Salivation und
lokale Schmerzhaftigkeit können leicht übersehen und vernach¬
lässigt werden. Zurückgebliebene Reste der Milchzähne können
durch Verletzung der Weichteile Geschwüre, weiter sich aus¬
breitende Infektionen sowie Schwellung und Vereiterung der
benachbarten Lymphdrüsen verursachen.
Deletären Einfluss kann die Dentition bei bestehenden Neu¬
rosen ausüben. Durch den Durchbruch der Zähne kann eine
bis dahin latent gebliebene Epilepsie zum Ausbruche kommen,
eine bestehende eine schwere Verschlimmerung erfahren.
Hysterische Affektionen sowie Chorea können ebenfalls eine
Aggravation erleiden, und zufällig bestehende fieberhafte Er¬
krankungen können einen in allen Symptomen schwereren
Verlauf nehmen. Dr. Opph.
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Dr. Geo. Forssman *J*.
129
Dr. Geo. Fomman f.
In Stockholm starb am 16. Jänner d. J. einer der hervor¬
ragendsten und tüchtigsten Zahnärzte Schwedens. Im Jahre 1858
inVeljö geboren, legte er 1882 sein Examen als Zahnarzt ab.
In demselben Jahre reiste er nach Amerika und studierte in
Philadelphia, wo, er zum Doctor of Dental Surgery promoviert
wurde.
Im Philadelphia Dental College halte ich das Glück, seine,
Freundschaft zu erwerben, die er mir bis in die letzten Tage
bewahrte. Er war in Philadelphia einer der best Vorbereiteten
und es war vorauszusehen, dass er bei seinem Talent, seinem,
Fleiss und seinen edlen Charaktereigenschaften sich in seiner
Heimat rasch eine bedeutende Stellung erwerben würde. In,
der Tat erfreute sich Forssman in Stockholm einer, um¬
fassenden und erstklassigen Praxis — noch im letzten Herbst
wurde er zum König berufen.
Als Mitglied der schwedischen zahnärztlichen Gesellschaft
(1884) widmete er sich mit grossem Eifer der Förderung ihrer
Ziele. Seiner Initiative verdankt die Gesellschaft ihr eigenes*
Haus. Als ich im September 1897, vom Internationalen Kon¬
gress in Moskau zurückkehrend, die Jahresversammlung der
Gesellschaft schwedischer Zahnärzte in Stockholm besuchte,
konnte ich über sie in der „Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift
fär Zahnheilkunde tf folgendes berichten: „Die Gesellschaft be¬
steht aus über 100 Mitgliedern, hat ein reizendes Heim mit
reicher Bibliothek, einer wahren Schatzkammer von Präparaten,
Zahnanomalien, historischen Instrumenten etc. Das Vereins¬
lokal ist so gross, dass kameradschaftliche Festlichkeiten zeit¬
weise darin abgehalten werden. Ich Tand den kollegialen Geist,
der unter den schwedischen Kollegen herrscht, wirklich be¬
neidenswert.
Meines Wissen^ dürfte die Gesellschaft schwedischer Zahn T
ärzte wohl die einzige sein, die, alle Kollegen des Landes zu-,
sammenfassend, in gleicher Weise wissenschaftliches Streben
und kameradschaftliches Wesen zu fördern in der Lage ist.“
9
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180
Varia.
Forssman ist mehrere Jahre Vorstand dtr Gesellschaft
gewesen; unter anderen Vertrauensstellungen, die er einnahm,
war er 1901 bis 1903 Mitglied der Examenkommission an dem
zahnärztlichen Institut in Stockholm.
Gelegentlich einer Erholungsreise in Italien besuchte
Forssman am 21. März 1906 die konstituierende Versammlung
der Associazione stomatologica Triestina, wo er im Fluge die
Sympathien der Mitglieder gewann. Er war schon damals in¬
folge eines in Venedig zugezogenen Diätfehlers unwohl und auf
der Rückreise in Wien zeigte es sich, dass er einen Typhus er¬
worben hatte. Freund Weiser betreute ihn auf das freund¬
schaftlichste. Aus Sehnsucht zur Familie und Heimat trat
Forssman trotzdem die Rückreise an, wo er langsam genas.
Um so erschütternder traf die Todesanzeige seine Freunde
und Kollegen. Er scheint an einer Typhusrezidive gestorben
zu sein, die ihn in wenigen Tagen dahinraffte.
Seine Bestattung gestaltete sich zu einer grossartigen
Kundgebung der ihm gezollten Wertschätzung. Vier Blumen¬
wagen folgten seinem Sarge. Telegramme trafen von Freunden
und Kollegen der ganzen Welt ein. Um ihn trauern die Braut,
mit der er sich erst kürzlich verlobte, zwei Schwestern und
eine Pflegetochter. Die Associazione stomatologica Triestina
drückte in der Jännersitzung ihre tiefste Teilnahme aus.
Dr. Ferdinand Tänzer , Triest.
Varia.
BRÜSSEL Ehrenmitgliedschaft Die „Societe beige de
Stomatologie“ hat auf Antrag der DDr. H. Allayes und
Oswald Rubbrecht in ihrer Sitzung vom 20. Jänner d. J.
Prof. Dr. Josef v. Arkövy in Budapest in „Anerkennung des
hohen Wertes seiner wissenschaftlichen Arbeiten“ einstimmig
zum Ehrenmitglied gewählt. —.—
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XXIII. Jahrgang.
April 1907.
Heft II.
Oesterreiohisoh-ungarische
Yierteljahrssclirift für ZabDheilkande.
Herausgegeben von
JULIUS WEISS, Wien, I. Petersplatz 7
unter ständiger Mitwirkung der Herren:
Prof. Dr. J. Arkövy, Budapest — Dr. S. Bauer, Budapest — Prof. Dr. A. Bieichsteiner, Graz —
Prot Dr. H. Bönnecken, Prag — Dr.W. Bruck, Breslau — Dr.R. Bum, Wien — Doz. Dr.L.Hattyasy,
Budapest — Prof. Dr. C. Jung, Berlin - Dr. T. Kaas, Krems — Dr. M. Karolyi, Wien - Dr. R.
Kronfeld, Wien — Doz. Dr. R. Loos« Wien — Dr. J. Mädzsar, Budapest — Prof. Dr. B. Mayr¬
hofer, Innebruck — Prof. Dr. W. D. Miller, Berlin — Dr. G. Preis werk, Basel — Prof. Dr. G. Port,
Heidelberg — Doz. Dr. C. Röse, Dresden — Doz. Dr. A. Rothmann, Budapest — Prof. Dr.
W. Sachs, Berlin — Prof. Dr. J. Schelf, Wien — Dr. F. Schenk, Wien — Dr. E. Smreker, Wien
— Dr. B. Spitzer, Wien — Doz. Dr. J. Szabö, Budapest — Dr. F. Tänzer, Triest —
Dr. F. Trauner, Wien — Doz. Dr. W. Vajna, Budapest — Prof. Dr. 0. Walkhoff, München
— Dr. W. Wallisch, Wien — Doz. Dr. R. Weiser, Wien — Doz. Dr. G. v. Wunschheim, Wien.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Zur Frais der Grannenobtaratoren . 1
Von Privatdozenten Dr. G. v. Wunschheim , Vorstand der zahn¬
ärztlichen Abteilung der Allgemeinen Poliklinik in Wien.
Am 16. November 1906 suchte der 21 Jahre alte Hoch¬
schüler v. H. unsere Abteilung auf, um sich einen Obturator
anfertigen zu lassen. Patient zeigte eine angeborene Urano-
schisis, die das Velum und etwa 1 Cm. des harten Gaumens
umfasste (siehe Fig. 1), nie operiert worden war und die Sprache
sehr ungünstig beeinflusste. Die an und für sich leise Sprache
des einen apathischen Eindruck machenden Patienten war nur
schwer verständlich und stark nasal. Beim Phonieren wölbte
sich der durch den sehr breiten Spalt des Velums, der von
letzterem nur einen schmalen Saum zu beiden Seiten übrig
liess, gut sichtbare Passavantsche Wulst an der hinteren
Pharynxwand sehr kräftig hervor.
Die Zahnreihe des Patienten war mit Ausnahme der noch
nicht erschienenen Weisheitszähne und der verloren gegangenen
1 Vorgetragen in der Sitzung des Vereines österreichischer Zahnärzte
vom 10. April 1907.
1
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142
Doz. Dr. G. v. Wunschheim, Wien.
61 56 komplett und streng geschlossen. Sie zeigte sehr ungünstige
Artikulationsverhältnisse, insofern nur ß mit J7 7 ] und 7| und ]§
mit |4 in Berührung kamen, während alle anderen Zähne ausser
Artikulation standen.
Um für die Klammern der Platte des Obturators Platz
zu schaffen, wurden die ihre Gegenzähne ohnedies nicht be¬
rührenden zweiten oberen Prämolaren entfernt und hierauf
der mit einer sehr grossen Amalgamfüllung versehene lebende,
linke obere erste Mahlzahn mit einer Vollkrone versehen (Fig. 2).
Daran schloss sich die Anfertigung einer Gaumenplatte aus
Fig. i.
schwarzem Kautschuk mit vier breiten Goldklammern, die den
harten Gaumen nicht ganz bis zur vorderen Grenze des Defektes
bedeckte und an ihrem hinteren Rande ein kleines Kästchen
aus Gold einvulkanisiert hatte, in welchem der Schieber der
Spiralfeder des anzufertigenden Schiltskyschen Obturators durch
eine Schraube fixiert werden konnte.
Nun wurde zur Herstellung des Klosses, der in üblicher
Weise zunächst aus weicher Guttapercha hergestellt wurde, ge¬
schritten. Dabei ging Herr Dr. v. An der Lan, Assistent der
Abteilung, so vor, dass er an der Platte hintereinander zwei
Ringe provisorisch befestigte, die einem Drahte als Führung
dienten. Letzterer trug an seinem rückwärtigen Ende eine un-
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Zur Frage der Gaumenobturatoren.
143
gefähr der Breite der hinteren Rachenwand entsprechend
grosse Platte aus Guttapercha. Der Draht wurde nun bis zur
Berührung der hinteren Rachenwand eingeführt und so gebogen,
dass der untere Rand der Guttaperchaplatte auf den Passa-
vantschen Wulst zu stehen kam. Hierauf musste Patient
phonieren, wodurch der sich kontrahierende M. constrictor
pharyngis superior die Platte nach vorne schob, was am
stärksten beim Aussprechen des Vokales a geschah. Diese
Stelle wurde am Drahte markiert und auf gleiche Weise auch
die anderen Dimensionen des Klosses bestimmt.
Am 14. Dezember vorigen Jahres wurde der provisorische
Obturator, dessen Kloss infolge der Ausdehnung des Velum-
Fig. 2.
defektes eine ganz ungewöhnliche Grösse hatte, eingesetzt und
zur Freude des Patienten sofort eine ganz auffallende Besserung
der Sprache erzielt. Der nasale Klang war fast völlig ver¬
schwunden und die Lautbildung bis auf einzelne Konsonanten,
die noch etwas mühsam herausgebracht wurden, tadellos.
Ebenso ging Schlucken und Trinken ganz normal und machte
der Obturator dem Patienten überhaupt keinerlei Beschwerden.
Letzterer wurde nun Herrn Dr. Rauch, Assistenten an der
otriatischen Abteilung des Herrn Prof. Urbantschitsch,
behufs methodischer Sprachübungen überwiesen. Ende Februar
erschien der Patient, der sich unterdessen auch zu Hause auf¬
gehalten hatte, wieder. Er machte einen viel frischeren, leb-
i*
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144
Doz. Dr. G. y. Wunschheim, Wieu.
hafteren Eindruck als vorher, sein früher apathisches Benehmen
war verschwunden. Seine Sprache hatte sich noch mehr ge-
Fig. 3.
bessert, so dass ein nicht sehr aufmerksamer Beobachter nichts
Abnormes mehr hätte bemerken können.
Es wurde daher nun zum Ersätze des Guttaperchaklosses
durch einen definitiven geschritten. Zunächst bekam Patient
Fig. 4.
einen solchen aus weichbleibendem Kautschuk, der drei Wochen
später durch einen solchen aus Silber ersetzt wurde (Fig. 3
und 4).
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Zur Frage der Gaumeuobturatoren.
145
Der definitive Kloss ist aus dünnem Feinsilberblech ge¬
arbeitet, hohl und nicht schwerer als der Guttaperchakloss.
Die denselben tragende Spiralfeder durchsetzt den Hohlkörper
von vorne # nach rückwärts, woselbst sie mit einer Schraube
abnehmbar fixiert ist. Um bei einem eventuellen Bruche der
Spiralfeder ein Hinabgleiten des Klosses in den Oesophagus
zu verhindern, ist im Innern der Spiralfeder nach dem Vor¬
gänge Schiltskys ein goldenes Kettchen durchgezogen und
an seinen Enden verlötet.
Zur Ausführung des Klosses in Silber hatte ich mich
deswegen entschlossen, weil der sonst allgemein übliche, weich¬
bleibende Kautschuk sich unter dem Einflüsse der Schleimhaut¬
sekrete bald zersetzt, übelriechend wird und die Schleimhäute
reizt. Dementgegen bleiben die Flächen des Feinsilberklosses
immer blank, es setzt sich kein Schleim an ihnen fest und
wohl vermöge der antiseptischen Eigenschaften des Silbers
wird die Mucosa in keiner Weise irritiert.
Noch hätte ich zu erwähnen, dass die ungewöhnliche
Grösse des Klosses durch den bedeutenden Umfang des Gaumen¬
defektes bedingt war. Mehrfache Versuche, den Guttaperchakloss
während der Probezeit zu verkleinern, schlugen fehl, insofern
die Sprache sofort wieder undeutlich wurde.
Zum Schlüsse danke ich den Herren Dr. v. An der Lan,
Dr. Rauch und Doz. Dr. Weiser, in dessen Atelier die
schwierige Anfertigung des Metallklosses in künstlerischer Weise
durchgeführt wurde, bestens für ihre freundliche Unterstützung.
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146
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Stadien übsr die pattoltisclit Aialonie ul Therapie 1er
Von Dr. Josef Lartschneider, gewesener Assistent am k. k. ana¬
tomischen Institute in Wien und gewesener Operateur an der
ersten chirurgischen Klinik in Wien, Zahnarzt in Linz a. d. Donau.
Ein Jahr ist verflossen, seitdem ich meinen ersten Auf¬
satz' über die Bukleysche Behandlung der Pulpagangrän
(Trikresol-Formalinbehandlung) veröffentlicht habe, nicht ohne
dass ich dabei ganz frei von Besorgnissen gewesen wäre, so
unerhört schienen mir und scheinen mir auch heute noch
manchmal die Erfolge dieser Behandlungsmethode. Allein bald
nachher, drei Monate später, konnte ich in den dankens*-
werten Ausführungen 0. Eschers,* deren Studium ich jedem
Kollegen empfehlen möchte, eine Bestätigung meiner Angaben
finden. Zahlreich sind die zustimmenden Aeusserungen, die
mir seither zugekommen sind und in neuester Zeit ist eine
ganze Literatur über die Trikresol-Formalinbehandlung ent¬
standen.
Trotz allem konnte mir nicht entgehen, dass ein beträcht¬
liches Heer von Zweiflern von vornherein, sozusagen prinzipiell
abseits stand, ja, als ich im November 1906 über Einladung
im Verein der Wiener Zahnärzte einige Worte über dieses
Thema gesprochen habe, klang sogar etwas wie ein Vorwurf
aus den Entgegnungen einiger Herren Kollegen, als hätte ich
' Dr. J. Lartschneider, Linz: Behandlung der Pulpagangrän mit
Trikresol-Formalin. Oesterr. -Ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde,
1906, Heft II.
’ 0. Escher, Hofzahnarzt, Rudolstadt: Behandlung der Pulpagangrän.
Deutsche zahnärztliche Wochenschrift, 30. Juni 1906.
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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 147
-da ein Allheilmittel empfohlen oder als hätte ich jemals be¬
hauptet, durch die Anwendung dieses Medikamentes sei man
jeglicher' Rücksichtnahme auf Sauberkeit und Aseptik ent¬
bunden ! „Dieses Verfahren“, sagte ein Wiener Kollege, „erinnert
mich an einen Chirurgen, der darauf ausgeht, ein Mittel zu
erfinden, das, auf die Hände gebracht, ihn der Mühe des
Händewaschens enthebt“. Alle Einwendungen, die bezeichnender¬
weise durchwegs ohne eigene persönliche Erfahrung, lediglich
auf theoretische Erwägungen hin gemacht wurden, haben mich
nicht im geringsten überrascht, sind wir ja gerade bezüglich
Wurzelbehandlungsmethoden so und so oft schon schmerzlich
enttäuscht worden.
Die Erfolge der Trikresol - Formalinbehandlung können
kaum mehr angezweifelt werden. Allein über die Technik ihrer
Ausführung und über ihre Indikationen ist man auch heute noch
im unklaren. Das Empfinden Sehreiers (Brünn), 1 dass auch
meine bisherigen Ausführungen noch manche wichtige Frage
offen lassen, kann ich nur gerechtfertigt finden. Lediglich aus
taktischen Gründen habe ich mich bisher in dieser Frage eines
doktrinären Auftretens enthalten und mich auf vielleicht er¬
müdende kasuistische Mitteilungen beschränkt, welche einfach
und schlicht meine Erfahrungen vorführen und zu Versuchen
aufmuntem sollten. Wer aber in den Arbeiten Dr. Bukleys
Näheres über diese Behandlungsmethode zu erfahren sucht, der
wird erst recht enttäuscht sein. Dr. Bukley fertigt in seinem
ersten Aufsatz 2 nach den Ausführungen über die Chemie der Pulpa¬
gangrän die Behandlung der Pulpagangrän mit folgenden
Worten ab: „Ein kleines, in die (Trikresol-Formalin-)
Lösung getauchtes Wattebäuschchen wird in die
Zahnhöhle eingeführt und diese dann durch 24 bis
48 Stunden verschlossen. Zwei- oder dreimalige,
manchmal auch einmalige Behandlung genügt“.
1 Dr. Philipp Schreier, Brünn: Zar Behandlung der Pnlpagangrän
mit Trikresol-Formalin. Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde,
1907, Heft I.
2 A rational treatement for putrescent Pulps. Dental Review,
Dezember 1904.
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148
Dr. Josef Lartschueider, Linz a. d. Donau.
Dies ist das Ganze, was uns Bukley über seine „Be¬
handlungsmethode“ angegeben hat. So und nicht anders
stand die Sache, als ich im November 1905 mit meinen Ver¬
suchen begann.
Die vielfach verbreitete Ansicht, dass die Angaben
Dr. Bukleys von seinen Landsleuten nicht beachtet worden
sind, ist ganz irrig und wäre bei dem Interesse, welches die
amerikanischen Kollegen allen Neuerungen in unserem Fache
entgegenbringen, ganz unverständlich. Schon im November-
Cosmos 1905' ergreift Bukley wieder das Wort. Diesmal
behandelt er den Vorgang bei der Verfärbung toter Zähne,
sucht die Chemie dieses Prozesses zu ergründen und kommt
zu dem Schlüsse, dass durch eine Behandlung mit .No-Super¬
oxyd und Schwefelsäure diesem Uebelstand am besten vorgebeugt,
respektive abgeholfen werden kann. Im Mai-Cosmos 1906*
bespricht Bukley wieder die rationelle Behandlung der
Pulpagangrän. Er stellt jetzt die Forderung auf, in jedem
Falle Kofferdam anzulegen, den betreffenden Zahn zuerst mit
10 Prozent Formalinlösung oder mit Sublimatlösung 1:500
zu waschen, mit Alkohol auszuschwemmen und dann Trikresol-
Formalin ää partes unter Fletcherverschluss in die Pulpa¬
kammer einzulegen. In der zweiten Sitzung soll das Trikresol-
Formalin mit in Wasserstoffsuperoxyd, im Verhältnis von
1:500, gelöstem Sublimat sauber ausgewaschen werden, um
dann das Trikresol-Formalin, jetzt im Verhältnisse von 2: 1,
in die Wurzelkanäle einzuführen. Diese Einlage soll drei bis
vier Tage verbleiben und erst nach Ablauf dieser Zeit wäre
anzunehmen, dass wir Asepsis erzielt hätten. Üeber den weiteren
Verlauf der Behandlung bis zur definitiven Füllung des Zahnes
spricht sich Bukley wieder nicht näher aus. Wenn lebende
Pulpareste im Wurzelkanal vorhanden sind, wäre es absolut
1 The Chemistry of Pulp-Decomposition with deference to the dis-
coloration Problem; and a rational Method of treating these conditions.
Cosmos, November 1905, Seite 1302.
2 The rational treatement of putrescent pulpes and theyr sequelae.
Cosmos, Mai 1906, Seite 587.
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Stadien Über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 149
unstatthaft, Trikresol-Formalin zu verwenden. Einen Grund
für diese auffallende Einschränkung gibt Bukley nicht an.
Einen eigenen Absatz widmet er später den Alveolar¬
abszessen, bei welchen nach Bukley die Anwendung von
Trikresol-Formalin ebenfalls kontraindiziert ist.
Nach Entleerung des Eiters soll in solchen Fällen Sublimat¬
lösung, Eukalyptusöl, Thymol in Verwendung kommen. Bukley
restringiert und modifiziert seine Behandlungsmethode im Ver¬
laufe seiner weiteren Publikationen derart, dass man sich kaum
mehr zurechtfinden kann.
Im Mai-Cosmos 1906, Seite 574 bis 587, werden die
Gangränbehandlung Bukleys und seine chemischen Deduk¬
tionen einer lebhaften Diskussion unterzogen. Bei aller An¬
erkennung, die Bukley für seine diesbezüglichen Anregungen
zuteil werden, ist man vielfach über seine Ausführungen un¬
befriedigt. Die Worte A. W. Harlans, Boston: „That is,
what I call a polypharmacy“ geben dem Unbehagen der
amerikanischen Kollegen beredten Ausdruck. Dasselbe ist aller¬
dings angesichts des grossen Apparates, den Bukley zur
Behandlung der Pulpagangrän mittlerweile aufgeboten hat, nur
allzu begreiflich. Die allerneuesten Nachrichten aus Amerika
zeigen uns zur Evidenz, dass dort die Trikresol* Formalin¬
behandlung auch heute noch nicht über das Stadium der
Diskussion hinausgelangen konnte.
Das Sekretariat der Dental Society of the state of New-
York hat im Oktober 1905 an alle Mitglieder ein Zirkular
versendet, in welchem zu Versuchen mit dem Trikresol-For¬
malin bei Gangrän der Pulpa aufgefordert wurde. Dabei wurde
folgende Direktive ausgegeben (wörtliche Uebersetzung):
„Bei der Behandlung gangränöser Pulpen sind folgende
drei Faktoren in Betracht zu ziehen:
1. muss Aseptik erzielt werden;
2. muss der Wiederkehr der Sepsis vorgebeugt werden;
3. muss die Farbe des Zahnes erhalten oder, sollte der
Zahn bereits verfärbt sein, seine natürliche Farbe wieder er¬
zielt werden.
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150
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
Zur Erzielung der Aseptik sollen wir Mittel auswählen
und gebrauchen, welche die Endprodukte (infektiösen Stoffe)
mit den geringsten Mühen, für die Patienten sowohl als für
uns selber, auf chemischem Wege unschädlich matfhen können.
Dies kann erreicht werden, indem man den Zahn nach An¬
legung des Rubberdam sterilisiert und dann mit einem grossen
Rundbohrer die Detritusmassen aus der Pulpakammer mecha¬
nisch entfernt, ohne jedoch einen Versuch zu machen, den
Inhalt der Wurzelkanäle zu entfernen. Und nun verschliesst
man die Pulpakammer, nachdem man ein Wattebäuschchen,
getränkt mit Trikresol-Formalin ää partes, in dieselbe gelegt
hat. Ich ziehe vor, mit einem schnellhärtenden Zement zu
verschliessen, indem ich dann sicher bin, dass das Medikament
luftdicht eingeschlossen ist und nicht ausgewaschen werden
kann. Dies kann so bleiben, je nachdem man den Patienten
für eine nächste Sitzung bestellen kann. Die Einlage kann
ausgewechselt werden, entweder am nächsten Tage oder sie
kann eine Woche und noch länger liegen bleiben. In der
zweiten Sitzung kann die Einlage nach Anlegung von Koflferdam
wieder entfernt werden, die Wurzelkanäle werden auf das
peinlichste gereinigt und mit Alkohol gewaschen und nachher
kann das Medikament auf Baumwolle in jeden Wurzelkanal
ein geführt werden. Die Kavität wird dann wieder hermetisch
verschlossen. Es empfiehlt sich, die Einlage wieder drei oder
vier Tage liegen zu lassen. Nach dieser Zeit werden die Dentin¬
röhrchen sterilisiert sein und es ist so Asepsis erreicht worden.
Alles dies ist notwendig, um eine Wiederkehr der Sepsis in
den definitiv gefüllten Wurzelkanälen zu verhindern.“
Ein Jahr nachher, 1906, anlässlich der Jahresversammlung
der Dental Society of the state of New-York, sollte das Re¬
sultat dieses Rundschreibens bekanntgegeben und diskutiert
werden. Im November - Gosmos 1906, Seite 1130 bis 1138,
ist der Bericht dieser Versammlung enthalten. Aus demselben
ist ersichtlich, dass elf amerikanische Kollegen auf Grand dieses
Rundschreibens mit dem Trikresol-Formalin Versuche gemacht
haben. Ein einziger beruft sich auf Hunderte von Fällen, die
er mit gutem Erfolge behandelt hat, die meisten begnügten sich
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Studien über die pathologische Anatomie nnd Therapie etc. 151
unbegreiflicherweise mit der Behandlung eines einzigen Falles,
obwohl sie durchwegs mit dem Erfolge angeblich zufrieden
waren. Die anknüpfende diesbezügliche Debatte ist lang, für
und wider wogt der Strom der Beredsamkeit, das Ergebnis
aber ist zum mindesten unbefriedigend und schliesst endlich
mit den Worten Dr. Rheins, die ich des Interesses halber
in wörtlicher Uebersetzung folgen lasse: „Zwischen Dr. Bukley
und mir herrscht keine Meinungsverschiedenheit in dieser Frage
der Wurzelbehandlung, aber Dr. Bukley s Behandlungsmethode
ist falsch verstanden und falsch ausgelegt worden. Das ist zur
Evidenz ersichtlich aus der soeben stattgefundenen Diskussion.
Er ist absolut dagegen, dass man dieses Mittel anwendet bei
Zähnen, in welchen lebendes Gewebe zurückgeblieben ist;
ebenso ist es nicht gut, es bei Vorhandensein eines periapicalen
Abszesses zu gebrauchen. Es ist vielmehr so aufzufassen, dass
man das Mittel in eine Zahnkrone legt, in welcher eine' putres-
zente Pulpa vorhanden ist. Das Medikament darf nicht in das
Innere einer Zahnwurzel eingeführt werden, sondern es soll
in die Krone eingelegt werden* bevor der Zahn vollständig
behandelt worden ist. Unter solchen Umständen kann der
Zahn hermetisch verschlossen werden und es werden auch
keine unangenehmen Zwischenfälle auf treten. Eine grosse An¬
zahl der erwähnten Misserfolge verraten offenbar die Tatsache,
dass es unter ganz anderen Bedingungen angewendet wurde,
als sie von Bukley angegeben wurden. Jedenfalls soll hervor¬
gehoben werden, dass Bukley niemals der Ansicht war, dass
dies eine spezifische Behandlungsmethode wäre für jeden
krankhaften Vorgang in den Wurzelkanälen. Dies ist eine Tat¬
sache, die gut verstanden sein sollte!“
Ich will nun versuchen, auf Grund der an mehr als
900 Fällen gesammelten Erfahrungen die Technik und die
Indikationen der Trikresol-Formalinbehandlung zu schildern.
Die Wichtigkeit der Sache möge als Entschuldigung dienen
dafür, wenn ich oft weit ausgreife und vielleicht manches er¬
wähne, was eigentlich selbstverständlich ist. Es scheint heute
manches so einfach und sieht einem Ei des Columbus täuschend
ähnlich! Dies kann aber an der Tatsache nichts ändern, dass
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162
Dr. Josef Lartschneider, Lins a. d. Donan.
ich seit dem Beginn meiner Versuche trotz Bukley haupt¬
sächlich auf mich selbst angewiesen war und mancherlei Um¬
wege und Irrwege wandeln musste, bis ich schliesslich so weit
gekommen bin, dass ich seit mehr als einem Jahre in keinem
Falle von medikamentöser Wurzelbehandlung jemals das Be¬
dürfnis gehabt habe, zu einem anderen Mittel als zum Trikresol-
Formalin zu greifen. Ich weiss, dass ich mich mit diesen
Worten Dr. Bukley diametral gegenüberstelle.
Es fällt mir gar nicht ein, diese Art der Wurzelbehand¬
lung als die einzig richtige zu bezeichnen. Ich habe schon
bei einer früheren Gelegenheit ausdrücklich betont, dass sich
die meisten der Herren Kollegen irgend eine Behandlungs¬
methode zurecht gelegt haben, mit der sie ihr gutes Auskommen
finden. Aber bei der Wichtigkeit dieser Frage halte ich es für
wünschenswert, die Trikresol-Formalinbehandlung einer öffent¬
lichen Diskussion zu unterwerfen. Sollten durch diese Aus¬
führungen recht viele Kollegen zur Veröffentlichung ihrer
bezüglichen Erfahrungen und Ansichten angeregt werden, so
würde ich dies als die beste Anerkennung für meine Be¬
mühungen auf das freudigste begrüssen.
Technik der Trikresol-Formalinbehandlung.
Die Krone eines Zahnes sei durch Karies defekt geworden.
Die durch Karies entstandene und mit Speiseresten gefüllte
„Kronenhöhle“ (i. e. der durch Karies entstandene Defekt der
Zahnkrone) hat an ihrem Grunde eine kleine Oefihung, durch
welche man mit der Sonde in die Pulpakammer gelangt.
Pulpakammer und Wurzelkanal sind mit jauchig zerfallenen
Detritusmassen erfüllt. Die Diagnose auf Karies mit gangränösem
Zerfall der Pulpa ist somit festgestellt. Vor Beginn der Be¬
handlung wird von Bukley Anlegung von Kofferdam als un¬
erlässlich gefordert. Was soll dann in Fällen geschehen, in
denen die Anlegung von Kofferdam nicht möglich ist? Sollen
diese Fälle, die gar nicht so selten Vorkommen, von der
Trikresol-Formalinbehandlung ausgeschlossen sein? Ich be¬
handle beinahe durchwegs ohne Kofferdam, was bei einiger
Uebung gar keine Schwierigkeiten bietet. Die Anlegung des
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Stadien über die pathologische Anatomie and Therapie etc. 158
Kofferdam gehört für Arzt und Patienten nicht zu den An¬
nehmlichkeiten, abgesehen von der Ersparnis an Auslagen und
Zeit, was z. B. bei 900 Fällen ganz gewaltig in Betracht
kommt! Gegen den Speichel kann ich mich durch Watterollen,
schnelles Arbeiten und geschickte Assistenz genügend schützen
und mehr kann man meines Erachtens nach Anlegung des
Kofferdam auch nicht erreichen.
Die in der Kronenhöhle enthaltenen Massen werden teils
durch energisches Auspusten mit dem Ballon, teils durch
Auswaschen mit in Karbolwasser oder Alkohol getauchten
Schwämmchen, die pathologisch veränderten Dentinschichten
mit einem Rundbohrer gründlich entfernt, bis die Kronenhöhle
sich allenthalben von sauberen Wänden begrenzt darstellt. Nun
erweitert man ausgiebig den Zugang der Pulpakammer, bis ihre
Wände in die Wände der Kronenhöhle unmittelbar als ebene
Flächen übergehen. Ausgiebiges und schonungsloses Freilegen des
Operationsfeldes ist unerlässlich. Nur so kann es verhindert
werden, dass einzelne Ausbuchtungen der Pulpakammer der Be¬
handlung entgehen. Die Ausmündungen aller Wurzelkanäle wird
man auf diese Weise mühelos zur Ansicht bekommen. Das
ganze Operationsfeld repräsentiert sich jetzt als eine grosse,
von sauberen Wänden begrenzte Höhle, an derem Grunde die
Ausmündungen der Wurzelkanäle als schwarze Punkte sichtbar
sind. Durch ausgiebiges Einpusten Von heisser Luft werden
jetzt die in den Wurzelkanälen befindlichen gangränösen
Detritusmassen möglichst getrocknet. Aus weiten Kanälen kann
man mit einer Nervennadel diese Massen nach Möglichkeit
entfernen. Dabei soll man nicht energisch vorgehen und nicht
zu tief mit der Nadel Vordringen, es soll ja ein Durchpressen
und Durchpumpen des jauchigen Inhaltes durch das Foramen
apicale vermieden werden. Und jetzt tritt das Trikresol-Formalin
in seine Rechte. Ich verwende seit Monaten in allen Fällen
Trikresol-Formalin im Verhältnis 2:1. Das Rezept mit Glyzerin¬
zusatz ist aus Versehen in meinen letzten Aufsatz gelangt. In
geräumige Nervkanäle wird ein in diese Flüssigkeit getauchter
Wattefaden mit einer glatten Nadel ohne Gewaltanwendung
vorgeschoben. Bei oberen Molaren gelingt es jedesmal leicht,
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
in den palatinalen Kanal einen Wattefaden einzuführen. Des¬
gleichen bieten sich dieser Prozedur bei unteren Molaren keine
Schwierigkeiten, insofern es sich um distale Wurzelkanäle
handelt. Schwerer ist es schon, die mit Watte umwickelte
Nadel in buccale Kanäle oberer oder in mesiale Kanäle unterer
Mahlzähne einzuführen. Desgleichen bieten oft Weisheitszähne
ähnliche Schwierigkeiten. Ich bin schon längst davon ab¬
gekommen, mich mit zeitraubenden und mühevollen Er-
weiterungs- und Einführungsversuchen abzugeben, ja, ich möchte
manche bisherige Misserfolge auf solche zu energische Be¬
handlungsversuche zurückführen, denn man kann dabei nur
zu leicht putreszente Partikelchen durch das Foramen apicale
durchdrängen. Es genügt vollständig, wenn die betreffenden
Ausmündungen der Wurzelkanäle ausgiebig freigelegt und gut
für Instrumente zugänglich sind, was durch schonungsloses
Aufbohren der Pulpakammer und eventuelles Abtragen der im
Wege stehenden Pulpakammerwandungen jedesmal leicht zu
erreichen ist. Wenn mir die Einführung eines Wattefadens
nicht ohneweiters gelingt, presse ich ein in Trikresol-Formalin-
lösung getauchtes Wattebäuschchen auf den Eingang des be¬
treffenden Wurzelkanals und lasse es dabei bewenden. Man
muss aber darauf achten, dass diese Einlage bei dem nach¬
folgenden Verschlüsse des Zahnes nicht verschoben wird. Ich
habe übrigens versuchsweise einigemale es unterlassen, ge¬
räumige Wurzelkanäle mechanisch irgendwie zu reinigen und
habe mich gerade so, wie bei engen Wurzelkanälen, darauf
beschränkt, auf ihren Eingang das getränkte Wattebäuschchen
zu pressen, um an seine Stelle dann in der nächsten Sitzung
Trikresol-Formalinpaste zu pressen. Ich habe auch in diesen
Fällen, in denen also die mit Trikresol-Formalin imprägnierten
Detritusmassen als Wurzelfüllungsmaterial dauernd verblieben,
durchwegs gute Resultate erzielt. Trotzdem entferne ich den
Inhalt geräumiger Wurzelkanäle, und zwar lediglich aus Sauber¬
keitsrücksichten, jedoch, wie schon erwähnt, nur in dem Masse,
als es leicht und ohne besondere Umstände möglich ist. Ich
habe schon oben erwähnt: man kann meiner Meinung nach
durch energische mechanische Reinigung nur schaden!
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Studien über die pathologische Anatomie nnd Therapie etc. 155
Ich verschliesse immer mit Fletchers Artificial-Dentin. Nach
einigen Tagen, je nach den gegebenen Verhältnissen, werden
die Wattefäden, respektive Wattebäuschchen entfernt. Die
Watte hat jetzt — äusserst wenige Fälle ausgenommen — den
typischen Trikresol-Formalingeruch. Ich habe mehreremal ver¬
suchsweise schon 4 Stunden nach der ersten Sitzung die Ein¬
lagen gewechselt und dabei, konstatiert, dass der fötide Geruch
nach dieser kurzen Zeit schon vollständig geschwunden war.
Die entfernten Wattefäden sind gewöhnlich leicht livid verfärbt,
es hängen an ihnen gewöhnlich graue, krümelige Partikelchen.
Die Frage, was mit dem gangränösen Inhalte der Wurzel¬
kanäle geschieht, die in letzter Zeit so oft an mich gerichtet
wurde, entfallt wohl nach diesen Ausführungen, denn ich finde
nach diesen vorbereitenden Eingriffen die Wurzelkanäle, so¬
weit sie mir zugänglich sind, in der Regel leer. Es kann
höchstens noch der im obersten, meistens unzugänglichen und
oft umgebogenen Anteile der Wurzelkanäle befindliche Inhalt in
Betracht kommen. Allein, wo das Instrument nicht hinkommt,
da kommt uns die penetrierende Wirkung des Trikresol-
Formalin zustatten, welches die Desinfektion der dort ange¬
sammelten, restlichen jauchigen Detritusmassen besorgt. Man
kann sich auf diese erprobten Eigenschaften des Trikresol-
Formalin ruhig verlassen. Gibt es übrigens irgend eine chemi¬
sche oder mechanische Reinigungsmethode, welche uns be¬
stimmte und objektiv wahrnehmbare Sicherheit bietet dafür,
dass der gesamte Inhalt der Wurzelkanäle, auch der in den
erwähnten äussersten und engsten Anteilen befindliche, ent¬
fernt worden ist? Ich kenne keine! Zum mindesten ist mir
keine einfachere, mühelosere und bei genügender Assistenz
durchwegs ohne Anlegung des Kofferdam durchführbare Be¬
handlungsmethode bekannt
Den weiteren Verlauf der Behandlung habe ich mir so ein¬
gerichtet, dass ich in die Wurzelkanäle eine Trikresol-Formalin-
paste einpresse. Ich bin dabei von der Erwägung ausgegangen,
dass es nur von Vorteil sein kann, ein Mittel, welches so prompt
und in so kurzer Zeit eine Sterilisierung des putreszenten
Kanalinhaltes bewirkt hat, dauernd in den Wurzelkanal zu ver-
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156
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
senken, schon in Anbetracht der Tatsache, dass ein Zurück¬
bleiben solcher Detritusteilchen trotz peinlichster mechanischer
Reinigung des Wurzelkanals in jedem Falle möglich ist. Ich
sehe auch die Notwendigkeit nicht ein, das Trikresol-Formalin,
welches so gute Dienste geleistet hat, nachträglich mit Subli¬
mat 1: 500 oder Wasserstoffsuperoxyd u. dgl. mühselig zu ent¬
fernen, um dann den Wurzelkanal mit Points oder irgend einem
anderen Mittel auszustopfen.
Es ist hier nicht der Ört, um den alten Streit: hie Paste,
hie Points, auszukämpfen. Tatsache ist, dass beide Methoden
viele Anhänger haben, der beste Beweis, dass beide gut sind.
Bukley selbst verwendet, wie ich aus privaten Mitteilungen
ersehe, Points, ich verwende ausschliesslich Paste. Ein Ver¬
mittlungsvorschlag wäre, zuerst Paste einzupressen und dann
Points nachzuschieben. Mir^^s eine Beruhigung, in einem
Wurzelkanal ein so vorzüglici-^^ntiseptikum, wie das Trikresol-
Formalin, dauernd deponiert zu wissen. Man braucht nur eine
Reihe extrahierter Zähne, besonders mehrwurzeliger, zu be¬
sichtigen, um sich davon zu überzeugen, wie hypothetisch
vielfach die Bemühungen genannt werden müssen, Wurzel¬
kanäle mechanisch einwandfrei zu reinigen. Meiner Ansicht
nach gelingt das Füllen der Wurzeln in vielen Fällen am
ehesten durch energisches Einpressen einer Paste. Deshalb
habe ich seinerzeit Herrn chem. Dr. Rudolf Tscherne, Apo¬
theker „zum schwarzen Adler“ in Linz, angeregt, eine Trikresol-
Formalinpaste zur Dauerfüllung von Wurzelkanälen herzustellen.
Mit derselben habe ich durchwegs gute Erfolge gehabt In der
für den Gebrauch so bequemen Verpackung in Zinntuben
haben die Trikresol-Formalinpasten leider den Nachteil, sich
zu versteifen. Ich halte ihre Expedition in Gläsern mit ein¬
geriebenem Glasstöpsel für entsprechender.
ln neuester Zeit werden von mehreren Seiten Trikresol-
Formalinpasten auf den Markt gebracht. Es ist gewiss nichts
dagegen einzuwenden, aber alle diese Fabrikate segeln unter
Bukleys Flagge und Dr. Bukleys Autorität wird zu Reklame¬
zwecken — ganz gegen seinen Willen, wie ich erfahren habe
— gehörig ausgebeutet. Ich erlaube mir ganz nebenbei zu be-
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Stadien über die pathologische Anatomie nnd Therapie etc. 157
merken, dass die Herstellung einer Trikresol-Formalinpaste
zu Wurzelfüllungen lediglich meine Idee war. Dr. Bukley
selbst füllt, wie ich schon erwähnt habe, mit Points, nachdem
er das Trikresol-Formalin mit Wasserstoffsuperoxyd und Subli¬
mat sorgfältig aus den Wurzelkanälen ausgewaschen hat.
Wissenschaftliche Tatsachen sollen nicht verschleiert werden!
Es kann sich übrigens jedermann leicht selbst eine Trikresol-
Formalinpaste herstellen, indem er sich jedesmal etwas Fl et eher
anrührt, dem er dann eine kleine Menge Trikresol-Formalin
beimengt, um dann damit den betreffenden Wurzelkanal aus-
zufullen.
Die Grösse des herausgezogenen Wattefadens gibt mir
einen Anhaltspunkt für den Rauminhalt der betreffenden
Wurzelkanäle, dementsprechend muss auch die Menge der
eingepressten Paste sein. Der £ Fassungsraum der Wurzelkanäle
ist oft überraschend gross! Ic>nsomit ein hanfkomgrosses
Stück der Paste auf die Mündung des Nervkanals und presse
mit einem Schwämmchen dasselbe fest in den Kanal. Man
beachte dabei, dass nicht zu viel Paste an den Rändern des
Schwämmchens zurückquelle. Ich erleichtere mir die Sache
dadurch, dass ich den Eingang der Nervkanäle mit einem
Rosenbohrer muldenförmig erweitere, welche Mulde zur Auf¬
nahme des Pastestückchens bestimmt ist. Indem ich dann über
diese mit Paste gefüllte Mulde ein Stück unvulkanisierten
Kautschuk oder Pressschwamm lege und dasselbe mit einem
runden Stopfinstrumente fest an die Kanalmündung presse,
habe ich eine ziemliche Gewähr für das Vordringen des Medi¬
kamentes in den Wurzelkanal. Zur Sicherheit sondiere ich
noch mit einer möglichst dicken Sonde, lege wieder ein Stück
Paste in die Mulde usw., bis ich endlich annehmen kann,
dass eine der Grösse des entfernten Wattefadens ungefähr ent¬
sprechende Menge von Paste in den Wurzelkanal eingepresst
ist. Die Mündung ganz enger, unzugänglicher Kanäle erweitere
ich ebenfalls muldenförmig und fülle die Mulde mit Paste. Aus
Pulpakammer und Kronenkavität wasche ich dann mit Alkohol
sorgfältig jede Spur von Paste heraus und fülle dann, auch
die Pulpakammer, mit dem für den betreffenden Fall aus-
2
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Dr. Josef Lartschueiddr, Linz a. d. Donau.
*58
gewählten Füllungsmaterial. Nur bei Metallplomben gebrauche
ich die Vorsicht, dass ich die Pulpakammer mit Fletcher so¬
weit ausfülle, bis alle Mündungen der Wurzelkanäle über¬
deckt sind.
Ich habe mich in den bisherigen Ausführungen bemüht,
der von der Dental Society of the state of New-York (Seite 149)
in ihrem Rundschreiben aufgestellten Forderungen:
1. es muss Aseptik erzielt werden,
2. es muss der Wiederkehr der Sepsis vorgebeugt
werden,
gerecht zu werden. Ich gehe nun zur Besprechung des dritten
Faktors über, welcher nach dem erwähnten Rundschreiben
bei der Behandlung gangränöser Pulpen in Betracht zu
ziehen wäre:
3. es muss die Farbe des Zahnes erhalten oder, sollte
der Zahn verfärbt sein, seine natürliche Farbe wieder
hergestellt werden.
Hat die Farbe eines toten Zahnes noch nicht gelitten,
so kommen zur Erhaltung derselben lediglich mechanische
Mittel und eine entsprechende Auswahl des Plombenmaterials in
Betracht. Zu den mechanischen Mitteln gehört vor allem eine sorg¬
fältige Präparation der zur Aufnahme der Füllung bestimmten
Kavität. In diese Kavität muss unbedingt auch die Pulpakammer
einbezogen werden. Ob in engen Wurzelkanälen Gangrän¬
massen zurückblieben oder nicht, ist meines Erachtens für die
Farbe der Zahnkrone belanglos. Anders aber liegen die
Verhältnisse in Betreff der Pulpakammer. Es kann nicht genug
die Notwendigkeit einer ausgiebigen Eröffnung der Pulpakammer
betont werden. Ihre Wände sollen, wie schon früher erwähnt
wurde, flächenhaft in die Wände der Kronenkavität übergehen.
Diese Forderung wird leider nur zu oft ausser acht gelassen. Ge¬
rade bei den oberen Schneide- und Eckzähnen, deren livide Ver¬
färbung die Patienten ganz besonders beklagen, wird so häufig
der Wurzelkanal von der Seitenfläche der Zahnkrone oder vom
Foramen coecum aus eröffnet und von der Trepanations-
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Stadien Über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 159
Öffnung aus behandelt, ohne dass man sich um den distal ge¬
legenen, meistens ziemlich geräumigen Anteil der Pulpakammer
samt Inhalt kümmert. Derart mangelhaft behandelte Zähne
bieten dann schon nach kurzer Zeit einen geradezu kläglichen
Anblick. In solchen Fällen muss vor Anlegung der Füllung
von der Trepanationsöffnung abwärts die seitliche, respektive
rückwärtige Wand der Pulpakammer möglichst ausgiebig ab¬
getragen und die in der Pulpakammer befindlichen Massen
sorgfältig entfernt werden. Aus der gleichen Ursache muss bei
approximalen Kavitäten ein Teil der Kaufläche des Zahnes
geopfert werden, damit von oben die ganze Pulpakammer
überblickt werden kann. (Extension for prevention.) Auch die
Ränder der Kavität sollen genau untersucht und gereinigt
werden, damit nicht in kurzer Zeit die Füllung den gewissen
dunklen Hof aufweist, den man so oft beobachten kann. Hat
man endlich die für die Aufnahme der Plombe bestimmte
Kavität sorgfältig hergerichtet, so kommt erst noch das Plomben¬
material gar sehr in Betracht. Legt man nämlich in eine solche
Kavität eine Gold- oder gar eine Amalgamfüllung, so bringt
man sich selbst um die Früchte der bisherigen Bemühungen,
denn die Farbe eines toten Zahnes wird durch solche Plomben
immer schlecht beeinflusst. Ebenso ist es unstatthaft, dass
Guttaperchaspitzen in die Pulpakatnmer hereinragen oder dass
die Pulpakammer mit grauer Guttapercha angefüllt wird.
Phosphat-Zementplomben sind auch nicht geeignet, indem sie
in toten Zähnen unter dem Einfluss des Speichels Zer¬
setzungen eingehen, dunkel werden und direkt faulen. Oft
konnte ich beim Anbohren solcher Plomben einen fauligen
Geruch konstatieren. Ich lege in derartigen Fällen aus¬
schliesslich weisse Silikatplomben (Ascher oder Silicin) oder
ich fülle die Pulpakammer mit weissem Silikatzement und
darüber gebe ich eine (gleichzeitig präparierte) Lage von rötlich¬
gelbem oder bräunlichgelbem oder grauem Silikatzement, je
nach der Farbe des betreffenden Zahnes. Ich halte bei toten
Zähnen solche Silikatplomben „mit weissem Kern“ am zweck¬
dienlichsten und habe damit quoad Farbe sehr schöne Resul¬
tate erzielt.
2 *
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160
Dr. Josef Laitschneider, Linz a. d. Donau.
Haben tote Zähne zur Zeit, als sie in Behandlung ge¬
nommen werden, schon ihre natürliche Farbe verloren, so
kommen bei unseren Bestrebungen, dieselbe wieder herzustellen,
ausser den mechanischen Hilfsmitteln und der Auswahl eines
entsprechenden Füllungsmateriales auch noch chemische Agentien
in Betracht, mit denen wir den Zahn zu bleichen („bleaching“)
trachten. Ich habe beim „Bleichen“ der Zähne nie besondere
Erfolge erzielt und fürchte sehr, dass die diesbezüglichen Er¬
wartungen vielfach wenn nicht illusorisch, so doch übertrieben
sind. Ich achte auch in solchen Fällen hauptsächlich auf eine
sorgfältige Präparation der Kavität mit möglichst ausgiebiger
Abtragung der kranken Dentinschichten und Anlegung einer
Silikatplombe „mit weissem Kern“. Mit den damit erzielten
Erfolgen bin ich noch stets zufrieden gewesen.
Ich möchte noch erwähnen, dass mir ein Auswaschen der
Kavität mit Sublimatlösung 1:500, wie es Bukley vorschreibt,
für die Erhaltung der Zahnfarbe nicht vorteilhaft scheint
Indikationen für die Trikresol-Formalinbehandlung.
In jedem Falle von Pulpagangrän, der in Behandlung
genommen wird, muss natürlich vor allem konstatiert werden,
ob eine einfache Gangrän vorliegt oder ob es schdh zu patho¬
logischen Veränderungen an und um die Wurzelspitze ge¬
kommen ist. Die Differentialdiagnose ist in der Regel leicht.
Wenn der betreffende Zahn auf Druck unempfindlich ist, keine
Fistel oder sonstige Anhaltspunkte eines apicalen Prozesses auf¬
weist und auch anamnestisch diesbezüglich nichts erhoben werden
konnte, so kann man annehmen, dass Apex und periapicales
Gewebe noch nicht besonders gelitten haben. In solchen Fällen
handelt es sich einfach darum, ja nichts von dem jauchigen
Inhalt durch das Foramen apicale durchzupressen und in
den Wurzelkanal ein Medikament einzuführen, welches infolge
seiner chemischen, antifei mentativen und antibakteriellen Eigen¬
schaften eine Sterilisierung der gangränösen Detritusmassen
bewirkt. Sobald wir die Diagnose auf unkomplizierte Pulpa¬
gangrän gestellt haben, sei es an einem intakten Zahne oder an
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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 161
einem plombierten Zahne (Verfärbung, mangelhafter Zustand
einer Füllung) oder sei es bei einem bisher unbehandelten,
tief kariösen Zahn, so ist eine kunstgerechte Trikresoleinlage
und sofortiger Verschluss mit Fletcher unbedingt indiziert. In
solchen Fällen werden wir äusserst selten einen Misserfolg
haben, am ehesten bei einem oder dem anderen unteren,
seltener oberen Molaren. In Fällen, wo der Patient nach
der ersten Einlage mit Schmerzen wiederkommt, entferne ich
die Einlage sofort und lasse den Zahn offen, bis er sich wieder
vollständig beruhigt hat. Ich lasse während dieser Zeit den
Patienten ein Wattebäuschchen mit Kölnerwasser in die Kavität
legen. Dasselbe muss er täglich zweimal wechseln. Nach Ab¬
lauf dieser Zeit wiederhole ich die ganz gleiche Prozedur: Ein¬
lage eines Trikresol-Formalinfadens und Verschluss mit Fletcher,
und zwar diesmal gewöhnlich mit Erfolg. So z. B. habe ich einer
Patientin aus einem toten j6 eine defekte Zementplombe entfernt
und in die gereinigte Pulpakammer ein in Trikresol-Formalin ge¬
tauchtes Wattebäuschchen eingelegt und den Zahn verschlossen.
Am nächsten Tage kommt Patientin mit starker periostaler
Reizung ohne Schwellung. Ich entferne die Einlage, lasse
den Zahn offen und nach Ablauf von 10 Tagen hatte die
neuerliche Einlage eines Trikresol-Formalinwattebäuschchens
mit darauffolgendem Fletcherverschluss den gewünschten Erfolg.
Ich habe auf diese merkwürdige Tatsache schon vor
längerer Zeit aufmerksam gemacht. In den neuesten amerika¬
nischen Berichten (im November-Cosmos 1906, Seite 1133)
finde ich einen analogen Fall erwähnt, den ich als Bestätigung
dieser anscheinend nicht unwichtigen Beobachtung anführen
möchte. Dr. Illison Hillyer berichtet, dass er wegen
Schmerzen einen linken, oberen, zweiten Molaren durch eine
Füllung trepaniert und eine Trikresol-Formalineinlage gemacht
hat. Diese Einlage musste wegen starker Schmerzen in der
nächsten Nacht entfernt werden. Patient musste dann ver¬
reisen, wodurch die Fortsetzung der Behandlung verzögert
wurde. Mittlerweile hatte er sich täglich Watte mit Nelkenöl
in den Zahn gelegt. Nach seiner Rückkehr wurde der Zahn
neuerdings mit Trikresol-Formalin behandelt. Diesmal war die
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162
Di** Josef Lartschneider, Lüiz a. d. Donau.
Behandlung erfolgreich, so dass der Zahn schon nach weiteren
3 Tagen plombiert werden konnte. Dr. Hillyer schliesst
seinen Bericht mit folgenden Worten: „Bei der ersten Be¬
handlung war etwas nicht entsprechend. Bei der zweiten
war es entsprechend. Wenn dies durch die Erfahrung aus¬
probiert ist, kann ohne weiteres zugegeben werden, dass
diese Behandlungsmethode eine eminent befriedigende ist, mit
einigen auf individuelle Einzelnheiten zurückführenden Ein^
Schränkungen.“
Natürlich ist bei stärkeren periostalen Schmerzen die Ver¬
ordnung von schmerzstillenden Mitteln, Pyramidon, Aspirin etc.
indiziert.
Die Erfolge, welche ich bei der Behandlung unkomplizierter
Gangränfälle (d. h. bei Gangrän ohne apicale und periapicale
Entzündüngsprozesse) erzielt habe, sind wirklich in jeder Be¬
ziehung zufriedenstellend. Selten ergeben sich in solchen Fällen
Schwierigkeiten im Verlaufe der Behandlung. Ich erwähne als
Beispiel einen 46 jährigen Patienten (Priester), bei dem ich an
fünf Zähnen (zwei einwurzeligen, einem zweiwurzeligen mit
Zahnfleischfistel und zwei drei wurzeligen Zähnen) tiefgreifende
Karies mit gangränösem Zerfalle der Pulpa konstatiert habe.
Ich habe alle diese fünf Zähne gleich in der ersten Sitzung
nach Einlage von Trikresol-Formalin-Wattefäden mit Fletcher
verschlossen. Nach 3 Wochen kam der Patient wieder mit der
Versicherung, dass er nicht einen Moment Schmerzen an irgend
einem der behandelten Zähne verspürt habe. Ich hatte ihn auf
die Eventualität vorbereitet. Die Fistel war spurlos verschwunden,
die entfernten Wattefäden ganz ohne jauchigen Geruch. Nach
Einpressen von Trikresol-Formalinpaste habe ich alle fünf
Zähne der Reihe nach plombiert. Bis heute ist die Heilung
in jeder Hinsicht anhaltend. Von vielen Seiten sind in jüngster
Zeit die glänzenden Erfolge der Trikresol-Formalinbehandlung
bestätigt worden. Mehrere Autoren äussern sich geradezu be¬
geistert über diese Behandlungsmethode. Auch am Grazer zahn¬
ärztlichen Universitäts-Institute sind die Versuche mit Trikresol-
Formalin aufgenommen worden. Dem betreffenden Berichte
(erstattet von Herrn Assistenten Dr. Urb a nt sc hi t sch) ent-
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Stadien über die pathologische Anatomie nnd Therapie etc. 163
nehme ich folgendes: „Mit der von J. P. Bukley empfohlenen,
von Dr. Lartschneider in die Praxis eingeführten Trikresol-
Formalinmischung erzielten wir bei Pulpagangrän überraschende
Erfolge“.
Pathologische Anatomie der Wurzelentzfindungen.
Ich bin wiederholt gefragt worden, ob man auch bei
akuten Entzündungsprozessen Trikresol - Formalin anwenden
könne. Die üblichen Bezeichnungen akut und chronisch mit
allen ihren Zwischenstufen von subakut bis subchronisch können
einer konkreten Abgrenzung nicht standhalten und sollten ganz
fallen gelassen werden. Auch in der Zahnheilkunde sollte das
betreffende Stadium eines periapicalen Prozesses nach dem
jeweiligen Stande der Krankheitssymptome, subjektiven sowohl
als objektiven, bezeichnet werden, und zwar:
1. Als Stadium der Hyperämie mit Druckempfindlichkeit
und anderen gewöhnlich nicht bedeutend störenden Sensationen?
objektiv ist höchstens eine Rötung der betreffenden Zahnfleisch¬
partien vorhanden.
2. Als Stadium der je nach der Virulenz der Entzündungs¬
erreger mehr oder weniger starken Anschwellung, Exsudation
und Transsudation. Die Schmerzen können jetzt schon sehr
intensiv sein.
3. Als Stadium der Abszedierung, häufig verbunden mit
schwereren Allgemeinsymptomen: Prostration, Schüttelfröste,
Fieber, grosse Schmerzen; Anschwellung ist meistens vor¬
handen, später eventuell Fluktuation, Fistelbildung etc.
Meistens ist zur Zeit der Behandlung das erste Stadium
der Entzündung (Hyperämie) bereits überschritten, denn gar
selten entschliessen sich die Patienten, gleich beim Auftreten
der Initialsymptome sofort ärztliche Hilfe in Anspruch zu
nehmen. Anderseits kann es aber bei Alveolarprozessen nicht
zu ausgedehnteren, nicht eitrigen Exsudaten kommen (zweites
Stadium), wie dies anderswo, insbesondere in der Pleurahöhle,
im Herzbeutel etc., der Fall ist. Es darf nicht übersehen werden.
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
dass sogar schwere Alveolarprozesse vorhanden sein können,
ohne dass objektive Symptome (Rötung, Schwellung, Fluktuation,
Fistelbildung etc.) nachweisbar sind. Diese Tatsache muss
besonders betont werden, sie ist es, die uns bei der Stellung
der Diagnose, von der schliesslich die ganze Behandlung
abhängt, oft die grössten Schwierigkeiten macht Die periapicalen
Entzündungsprozesse müssen sich eben, wie uns ein Blick auf
die bezüglichen anatomischen Verhältnisse lehrt, mit ganz
besonders ungünstigen Raumverhältnissen abfinden. Hyperämie,
Exsudation, Eiterbildung, alles muss sich im Beginne der Er¬
krankung in einem von knöchernen Wänden eng umschlossenen
Raum, dem obersten, die Wurzelspitze umfassenden Teil des
Alveolarfaches, abspielen. Während unter solchen Umständen
das frühzeitige Auftreten heftiger subjektiver Symptome nur
allzu begreiflich ist, sind die objektiven Symptome (Schwellung,
Fluktuation, Fistelbildung) ganz von den im betreffenden Falle
vorliegenden anatomischen Verhältnissen abhängig, denn sie
bilden die Hindernisse, welche sich den Ausbreitungs- und
Durchbruchsversuchen der Entzündungsprodukte (Infiltration,
Exsudation, Eiter) entgegenstellen. Der im Foramen apicale
und im Wurzelkanal gebotene Abzugskanal ist beinahe immer
ungenügend, abgesehen davon, dass er meistens an einer
Plombe oder, bei nicht kariösen Zähnen, in der Pulpakammer
blind endigt.
Bei einer ganzen Reihe von Patienten können wir ge¬
legentlich „Fisteln“ konstatieren, über deren Entstehungszeit
nichts zu eruieren ist. Der Eiter hat offenbar seinerzeit so
günstige Durchbruchsverhältnisse vorgefunden (dünne oder gar
poröse Wand des Alveolarfaches etc.), dass es ohne weiters
zur Fistelbildung kommen konnte und für den Patienten war
der Prozess ohne Beschwerden erledigt. In anderen Fällen ist
der Zeitpunkt der Entstehung einer Fistel dem Patienten un¬
vergesslich geworden: tagelang hatte er die grössten Schmerzen,
Fieber und Schüttelfröste zu erdulden, bis endlich die Lamina
corticalis des Kieferknochens absorbiert und der Eiter unter die
Beinhaut vorgedrungen war. Dieselbe wurde von ihrer Unterlage
abgehoben und endlich wurde auch die Beinhaut an einer oder
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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc.
166
mehreren Stellen eitrig eingeschmolzen und der Eiter Konnte
sich in den Weichteilen mächtig ausbreiten, bis es endlich
zur Fistelbildung oder zur Inzision kam. In solchen Fällen
kommt es zur Bildung grosser, entzündlicher, durch reaktive
Randprozesse noch vergrösserter fluktuierender Tumoren,
deren Diagnose gewiss keine Schwierigkeiten bietet. Auch bei
einem Durchbruche des Alveolarabszesses in die Highmors¬
höhle oder, was sehr selten ist, in die Nasenhöhle ist die Dia¬
gnose leicht. Aber es gibt, wie schon erwähnt, Alveolarabszesse,
welche überhaupt keine objektiven Symptome zur Folge haben,
sozusagen „latent“ im Bereiche der Spongiosa des Kiefer¬
knochens verlaufen, von den schwersten subjektiven Symptomen
begleitet sind und, wenn sie nicht erkannt werden, lange
Zeit hindurch bestehen können. Ich vermute, dass manche
Gesichtsneuralgie auf solche Affekte zurückzuführen ist. Grosse
„latente“ Alveolarabszesse gehen meiner Beobachtung nach
beinahe immer von den oberen seitlichen Schneidezähnen aus.
Ich werde die pathologische Anatomie und Symptomatologie
dieser interessanten Krankheit, die gar nicht so selten vorkommt
und auf die meines Wissens noch niemand aufmerksam
gemacht hat, bei einer anderen Gelegenheit näher schildern.
Einen derartigen Fall habe ich übrigens schon veröffent¬
licht. *
Sobald eine Hyperämie, entzündliche Infiltration und Ex¬
sudation der periapicalen Gewebe vorliegt, haben wir unsere
Bestrebungen nicht mehr, wie bei unkomplizierten Gangrän¬
fällen, lediglich auf eine Desinfektion des Wurzelkanals zu
richten, wir müssen vielmehr auch trachten, die erkrankten
Gewebe heilend zu beeinflussen und sie vor eitrigem Zerfall zu
bewahren. Nach allem, was ich in dieser Hinsicht erfahren
habe, muss ich dem Trikresol-Formalin unbedingt solche
therapeutische: resorbierende, auftrocknende, antibakterielle
und schmerzstillende Eigenschaften zuschreiben, denn man
1 Dr. Josef Lartschneider: Die Behandlung von Fistelzähnen mit
Trikresol-Formalin. Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde,
1906, Heft III, Seite 344.
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166
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donao.
kann mit diesem Medikament auch in solchen Fällen geradezu
Hervorragendes leisten.
Es kommt z. B. ein Zahn in Behandlung, der vor längerer
Zeit nach durchgeführter Wurzelbehandlung gefüllt wurde und
der sich seit einiger Zeit durch Druckempfindlichkeit und
pulsierende Schmerzen beim Stiegensteigen und bei heissen
Speisen und Getränken unangenehm bemerkbar macht. Mit
Jodpinselungen Zeit zu verlieren, ist ganz zwecklos. Man trepa¬
niere sofort durch die Plombe und eröffne den Wurzelkanal.
Wir werden es auf das freudigste begrüssen, wenn die Wurzel
seinerzeit mit Paste und nicht mit Points gefüllt wurde. Die
in den Wurzelkanal eingeführte Nadel wird immer einen
mehr oder minder ausgesprochenen Gangrängeruch zeigen.
Nach Einlage eines Trikresol-Formalinfadens wird der Zahn mit
Fletcher verschlossen. Dabei ist es nicht notwendig, den Nerv¬
kanal mit Alkohol oder Sublimat etc. vorher auszuwaschen. Die
Beschwerden schwinden in kurzer Zeit und nach einigen Tagen
schon kann der Zahn gewöhnlich dauernd plombiert werden.
Der Erfolg ist durchwegs ein idealer.
Oder es kommt ein Patient und klagt über Druck¬
empfindlichkeit, Längerwerden, zeitweise heftigere Schmerzen
an einem anscheinend tadellosen Zahn. Die Beschwerden
wären erst seit kurzer Zeit aufgetreten. Eine leichte Ver¬
färbung des betreffenden Zahnes und seine elektrische Unter¬
suchung geben uns genügende Anhaltspunkte für die Diagnose:
Pulpagangrän mit periapicaler Entzündung. Für das Vorhanden¬
sein von Eiter ist infolge der nicht besonderen Heftigkeit der
bestehenden subjektiven Symptome und infolge Mangels jeg¬
licher objektiven Symptome kein Anhaltspunkt vorhanden. Der
Zahn muss sofort trepaniert werden. Der Inhalt der Pulpa¬
kammer wird entfernt, ebenso der Inhalt der Wurzelkanäle,
soweit es leicht tunlich ist. Nach einer Trikresol-Formalin-
einlage wird der Zahn sofort verschlossen. Der Erfolg ist
durchwegs zufriedenstellend. Hie und da können nach dieser
Sitzung durch einige Stunden Schmerzen auftreten, die aber
ohne jegliches Zutun wieder vergehen. Ich mache die Patienten
immer darauf aufmerksam. Sollten die Schmerzen länger an-
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Stadien über die pathologische Anatomie and Therapie etc. 167
halten, so öffne ich den Zahn, lasse ihn einige Zeit offen und
wiederhole dann die Behandlung, wie ich schon früher er¬
wähnt habe.
In anderen Fällen verursachen wieder unbehandelte
Zähne, die von tief greifender, chronischer Karies mit Pulpa¬
gangrän befallen sind, oft plötzlich, ohne dass Anschwellungen
auftreten, die heftigsten Schmerzen. Ergibt die Untersuchung,
dass die Pulpakammer noch nicht offen ist, so wird sie mit
einem Rundbohrer eröffnet und die Schmerzen sind meistens
momentan behoben. Ist aber die Pulpakammer schon offen,
so handelt es sich gewöhnlich um einen zufälligen hermetischen
Verschluss irgend eines Wurzelkanals durch fester geformte
Speiseteilchen u. dgl. Ausräumen der Pulpakammer und vor¬
sichtiges Sondieren der Wurzelkanäle behebt meistens alle Be¬
schwerden. Entweder verschliesse ich solche Zähne nach einer
Trikresol-Formalineinlage noch in derselben Sitzung oder erst
nach einigen Tagen, nachdem sich die Patienten selbst während
dieser Zeit den Zahn mit in Kölnerwasser, Karbolwasser,
Nelkenöl o. dgl. getauchten Watteeinlagen behandeln. Solche
Zähne werden einer Trikresol - Formalinbehandlung selten
Schwierigkeiten bieten.
Hieher gehören auch die „angebohrten“ Zähne. Diese
„Behandlungsmethode“ ist noch immer vielfach üblich! Ich
habe noch jeden angebohrten Zahn, der mir seit meinen Ver¬
suchen mit Trikresol-Formalin in die Hände gekommen ist, in
zwei Sitzungen fertig behandelt und plombiert. Ueberhaupt
ist es eine Freude, Pulpagangrän mit oder ohne periapicalen
Entzündungsprozessen vor Eintritt der Eiterung mit Trikresol-
Formalin zu behandeln. Gar oft hat eine Trepanation mit
gleich nachfolgender Trikresol-Formalineinlage einen ähnlich
glänzenden und schmerzstillenden Erfolg, wie man ihn nach
Arseneinlagen bei Pulpitis so häufig mit Genugtuung kon¬
statieren kann.
Hat es sich bei den bisher erwähnten Fällen um präven¬
tive und therapeutische Bestrebungen gehandelt, welche die
Sterilisierung gangränöser Detritusmassen und die Wieder¬
herstellung gesunder Verhältnisse im Bereiche der entzündeten
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168
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donan.
periapicalen Gewebe bewirken sollen, so kommt nach der
Etablierung eines Eiterherdes (Alveolarabszess) noch ein drittes
Moment in Betracht, nämlich die Entleerung des Eiters und
die Heilung der im Bereiche der Spongiosa gelegenen Abszess¬
höhle. Während das Trikresol - Formalin den ersten beiden
Forderungen, wie ich gezeigt habe, vollkommen gerecht wird,
so kommt für die dritte Forderung: Entleerung und Heilung
des Alveolarabszesses, nur ein einziger Weg in Betracht:
den eingeschlossenen Eitermassen muss der Abfluss aus
der betreffenden, in unseren Fällen häufig sogar allseits von
knöchernen Wänden umschlossenen Abszesshöhle ermöglicht
werden.
Sobald sich ein Alveolarabszess etabliert hat, ist der
Wurzelkanal und sein jauchiger Inhalt vollständig nebensächlich
geworden. Jetzt ist der Abszess in den Vordergrund getreten.
Er nimmt seinen Verlauf beinahe durchwegs ganz ohne Rück¬
sicht auf den Wurzelkanal und seinen jauchigen Inhalt. Ist
es doch nur deshalb zur Abszessbildung gekommen, weil der
Wurzelkanal wegen seiner mangelhaften Raumverhältnisse
weder eine medikamentöse Beeinflussung der periapicalen
Krankheitsherde noch einen hinreichenden Eiterabfluss er¬
möglicht hat. Wir können diese Tatsache täglich beobachten:
Sobald sich ein grösserer Alveolarabszess gebildet hat, nimmt
derselbe allen Kanalsondierungen und Gangränbehandlungen
zum Trotz seinen mehr oder minder heftigen Verlauf und
kommt endlich nach Durchbruch des Eiters zur Ausheilung.
Daher müssen alle Wurzelbehandlungen zur Zeit des Be¬
standes eines Abszesses als sinnlos bezeichnet werden, insofern
sie etwa als dem Abszesse geltende Heilversuche aufgefasst
werden, abgesehen von Fällen geringfügiger purulenter, peri-
apicaler Infiltration, in denen der eröffnete und mechanisch
erweiterte Wurzelkanal als genügender Abflussweg in Betracht
gezogen werden kann. Etwas anderes ist es, wenn wir dabei
darauf bedacht sind, die im Wurzelkanal befindlichen Detritus¬
massen zu sterilisieren, um nach Ablauf dieses Alveolar¬
abszesses eine Rezidive zu verhindern. Sehen wir ja so oft,
dass von einem einzigen unbehandelten gangränösen Zahn
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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 169
eine ganze Reihe von nacheinander ablaufenden Alveolar¬
abszessen verursacht werden kann.
Warum sollten wir zur Sterilisierung einer gangränösen
Pulpa, weil zufällig gerade ein Alveolarabszess vorhanden ist,
uns nicht des Trikresol - Formalin bedienen, das sich ja in
dieser Hinsicht vor der Abszessbildung so glänzend bewährt
hat? Ich finde es deshalb unbegreiflich, warum Dr. Bukley
und seine Landsleute nicht oft genug vor der Anwendung des
Trikresol-Formalin während des Bestandes eines Alveolar¬
abszesses warnen können und warum Bukley für solche
Fälle wieder eine eigene Mischungsformel und eine ganze
Reihe anderer Medikamente (Sublimat 1:500, Eukalyptusöl,
Thymol) zur Einführung in den Wurzelkanal empfiehlt.
Ganz neu und mir vollständig fremd ist die Auffassung
Dr. Bukleys, dass es möglich wäre, in gewissen Entzündungs¬
stadien durch interne Medikationen die Bildung von Alveolar¬
abszessen zu verhindern. Ich erlaube mir, die betreffenden Aus¬
führungen des genannten Autors (siehe Mai-Cosmos 1906) in
in wörtlicher Uebersetzung anzuführen:
„Bei der Behandlung von Fällen, in denen der Patient
Anzeichen hiefür bietet, dass die eingeschlossenen Gase noch
nicht durch das Ende der Wurzel hinausgetrieben worden
sind, um dann die giftigen Ptomaine in die umgebenden Ge¬
webe zu verstreuen, ist es unsere Pflicht, zu versuchen, eine
Abszessbildung zu verhindern (aborting an abscess) und der
Natur bei diesen Bestrebungen zu Hilfe zu kommen. Gerade
bei der Behandlung solcher Fälle wird uns eine praktische
Kenntnis der Pathologie und Pharmakologie zustatten kommen.
Häufig verschieben die Patienten das Aufsuchen eines Dentisten
bis die Infektion in ein Stadium vorgeschritten ist, in welchem
alle Mittel zur Abwendung eines Abszesses versagen; aber in
vielen Fällen kann dieser Eventualität durch den Gebrauch ge¬
eigneter Heilmittel vorgebeugt werden. Nachdem unser Medi¬
kament hermetisch in den die putreszente Pulpa enthaltenden
Zahn eingeschlossen ist, sollte sich unsere Aufmerksamkeit über¬
dies der infizierten Auskleidung des Alveolarfaches zuwenden
(infected alveolo — cemental membrane). Um die Infektion zu
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170 Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
kontrollieren und gleichzeitig die Bestrebungen der Natur, die
abnormen Verhältnisse wieder in Ordnung zu bringen, zu unter¬
stützen, ist es nicht nur unser Recht, sondern auch unsere
Pflicht, in solch schweren Fällen interne Medikamente anzu¬
ordnen. Hier sind ,alterative‘ (d. h. die Säfte allmählich ver¬
bessernde) Medikamente indiziert. Der hauptsächlichste Re¬
präsentant der ,a)terativen Klasse 1 ist das Jodkalium.“
Dass in Fällen, welche mit schwereren Allgemeinsymptomen
(Streptokokken-Invasion), Fieber, Schüttelfrösten, Prostration
eine interne Medikation indiziert ist, brauche ich wohl nicht
weiter auszufübren. Es sollen hier hauptsächlich Tonica und
Roborantia in Betracht kommen, Antipyretica müssen aber stets
mit Berücksichtigung des betreffenden Gesamt Organismus aus¬
gewählt werden (z. B. Cave Antipyrin und ganz besonders Anti-
febrin bei Herzfehlern und Arteriosklerose). Ferner ist die Be¬
merkung Dr. Bukleys, dass in Malariagegenden Chinin gute
Dienste leisten kann, gewiss zutreffend, denn ohne Zweifel tritt in
solchen Gegenden mancher larvierte Malariafall in Form einer
von Zähnen ausgehenden Neuralgie auf. Ferners verlangen
heftige und manuellen und lokalen Bemühungen trotzende
Schmerzen die Anwendung von Antineuralgicis. Morphium
versagt häußg. Seine Verordnung erheischt auch wegen der
relativ häufig vorkommenden Idiosynkrasie einige Vorsicht.
Aspirin, Pyramidon und Trigemin leisten diesbezüglich aus¬
gezeichnete Dienste und können durchwegs, ohne eine schlechte
Beeinflussung des Gesamtorgänismus befürchten zu müssen*
verordnet werden. Dass aber die Suppuration eines lokalen
Entzündungsprozesses, der noch dazu von einer jauchigen
Pulpa verursacht und unterhalten wird, durch Jodkali ver¬
hindert werden kann, müsste erst erwiesen werden und
widerspricht zum mindesten dem, was ich seinerzeit an der
Wiener medizinischen Schule über „Entzündung“ gelernt habe.
Niemandem wird es z. B. einfallen, bei einer Schussverletzung
Jodkalium zu verabfolgen, um eine Abszessbildung im zer¬
fetzten und infizierten Schusskanal zu verhindern. Ueber-
haupt muss Dr. Bukley gegenüber festgestellt werden, dass
nach unseren Auffassungen eine Entzündung niemals auf
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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 171
chemische Agentien zurückzuführen ist. Chemikalien können
ätzen, aber nicht entzünden, wenigstens haben wir es so
gelernt. Es scheint diesbezüglich eine verschiedene Auffassung
vorzuliegen.
Der Uebergang in das Stadium der Suppuration erfolgt
oft plötzlich: ein „toter“ Zahn, der sich seit längerer Zeit
in irgend einer Weise störend bemerkbar gemacht hat,
verursacht plötzlich rasende Schmerzen, Fieber, Schüttel¬
fröste etc. Schon am nächsten Tage kann ein grosser Alveolar¬
abszess mit ausgedehnten, oft die ganze Wange und beide
Augenlider oder am Unterkiefer den Mündboden der be¬
treffenden Seite umfassenden Oedemen vorhanden sein (akut
auftretende Abszesse).
Die Behandlung solcher Fälle ist sehr einfach, wenn zur
Zeit, als wir sie in Behandlung nehmen, an irgend einer
Stelle des entzündlichen Tumörs der Eiter sich ganz nahe an
die Oberfläche gedrängt hat oder gar schon durchgebrochen
ist (reife Abszesse). Nach ausgiebiger Inzision und Entleerung
des Eiters soll man in jedem Falle auch den Eingang in die
im Bereiche der Spongiosa gelegene Abszesshöhle („Knochen¬
lade“) aufsuchen und sich überzeugen, ob derselbe weit genug
ist für einen genügenden Eiterabfluss. Ich führe zu diesem Zwecke
ein gerades, sondenförmiges Instrument, in die Inzisionswunde,
taste damit den knöchernen Grund der Wundhöhle ab und
finde meistens ohne weiters das Loch im Knochen, durch
welches das Instrument in die „Knochenlade“ eindringen kann.
Ich kann jetzt mit dem Instrumente dieses Loch, wenn es
für einen genügenden Eiterabfluss zu klein scheint, erweitern
und mir überdies eine Vorstellung von der Grösse der Knochen¬
lade, von hineinragenden Wurzelspitzen, Kommunikationen mit
der Nachbarschaft (Antrum) etc. machen.
Da im Bereiche des Zahnfleisches gesetzte Inzisions¬
wunden sehr rasch verkleben, empfiehlt es sich, entweder
durch leichte Tamponade oder dadurch, dass man mit der
Schere aus einem Wundrande einen Zahnfleischlappen ex-
zidiert, ein vorzeitiges Verkleben derselben zu verhindern.
Die Patienten lassen sich diese Eingriffe ruhig gefallen, wenn
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172
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
wir vorher eine lokale Injektion (ich verwende Novocain)
machen. Natürlich darf die Injektionsnadel nicht in die Abszess¬
höhle . Vordringen, denn da würde die Injektionsflüssigkeit
sich einfach ohne jeden weiteren Erfolg mit dem Eiter mischen.
Auch soll die Injektionsspritze nach dem Einstich in das
Gewebe ganz langsam entleert werden. Bei Beobachtung
dieser Vorschrift kann man in noch so entzündete Gewebe
Novocain injizieren, ohne dem Patienten grössere Schmerzen
zu bereiten. Auch soll man nach der Injektion mindestens
10 Minuten zuwarten. Die Ausserachtlassung dieser zwei
Forderungen: langsam injizieren und nachher mindestens
10 Minuten warten, kann das beste Anästhetikum in Miss¬
kredit bringen.
Es ist eine Freude, zu beobachten, wie schnell „reife“
Alveolarabszesse unter der angedeuteten Behandlung: Inzision
und Sondierung, respektive Erweiterung des Zuganges zur
Knochenlade unter Lokalanästhesie und Offenhalten der In¬
zisionswunde ausheilen.
Oft kommen grosse, von ausgedehnten Oedemen und
schweren Allgemeinsymptomen begleitete Alveolarabszesse in
Behandlung, welche trotz längeren Bestehens noch keine Spur
einer Fluktuation zeigen, noch „unreif“ sind. Natürlich ist es
auch in solchen Fällen schon zur Abszedierung gekommen,
nur ist es dem Eiter noch nicht gelungen, durch die Lamina
corticalis durchzubrechen. Ergibt eine eingehende lokale Unter¬
suchung, dass eine fluktuierende Erweichung des entzündlichen
Tumors nicht sobald zu erwarten ist und sind anderseits, ab¬
gesehen von den quälenden Schmerzen, schon schwerere All¬
gemeinsymptome vorhanden oder ist gar die Möglichkeit einer
Streptokokken-Invasion nicht abzuweisen, so haben wir die
Pflicht, sofort chirurgisch einzugreifen, vorausgesetzt natürlich
die Einwilligung der Patienten. Denn vielfach werden unsere
gutgemeinten Vorschläge an dem alten Vorurteil der Leute:
„Solange man geschwollen ist, kann man nichts tun!“ scheitern.
Ich trachte zunächst den schuldigen Zahn zu eruieren,
injiziere langsam in der Gegend seines Apex Novocain in das
Zahnfleisch, trenne dann die Weichteile durch einen bis auf
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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 173
den Knochen reichenden Querschnitt, schiebe die Wundränder
nach oben und unten zurück, so dass die von Weichteilen
entblösste Alveolarwand in genügender Ausdehnung besichtigt
werden kann. Die dabei auftretende Blutung ist nicht zu
fürchten und steht nach kurzer Kompression mit dem Gaze¬
tupfer. Meistens findet man an der Farbe, dem Blutgehalt und
an Rauhigkeiten des Knochens einen Anhaltspunkt für das
weitere Vorgehen. Nach Abtragung des betreffenden Stückchens
der Corticalis (gewöhnlich gelingt dies mit einem kleinen
scharfen Löffel oder mit einem Rundbohrer) ist das Alveolar¬
fach eröffnet. Meistens kommt jetzt schon Eiter zum Vor¬
schein. Seine Ausflussöflnung wird noch erweitert und die
Sache ist erledigt. Die Inzisionswunde wird wieder durch leichte
Tamponade oder Exzision offen gehalten.
Auch sehr schwere Fälle von Alveolarabszessen werden
durch zielbewusstes operatives Eingreifen in kurzer Zeit zur
Heilung gebracht.
Ich weiss, dass man sich gerade in diesem „virulenten“
Stadium meistens auf die Verordnung von Dunstumschlägen,
lauwarmen Mundspülungen etc. beschränkt und ruhig die
Fluktuation, eventuell sogar den spontanen Durchbruch des
Eiters abwartet. Man braucht dann nur solche Patienten anzu¬
sehen, um sich eine Vorstellung von den ausgestandenen
Qualen machen zu können. Ich möchte sehr dafür eintreten,
alle diese Fälle sofort operativ zu behandeln. Der Eingriff ist
unter Novocain-Injektion leicht durchführbar; schon nach der
Injektion fühlen sich die Patienten infolge des Nachlassens der
spannenden Schmerzen erleichtert und getröstet und lassen
sich die weiteren Eingriffe ruhig gefallen.
Ich habe früher manche Fälle — ich gestehe es offen —
durch „Wurzelresektionen kuriert“, die heute durch eine einzige
Trikresol-Formalineinlage mit Erfolg behandelt werden können.
Anderseits beschränken wir uns in „virulenten“ Fällen,
die nach einem chirurgischen Eingriff geradezu schreien, wo
es gilt, schwer leidenden Patienten die ersehnte Erleichterung
zu verschaffen, darauf, Umschläge zu verordnen oder im besten
3
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174
Dr. Josef Lartschneider, Liuz a. d. Donau.
Falle raffen wir uns zu einer Inzision ins Zahnfleisch auf. Und
wie dankbar sind gerade solche Fälle für eine zielbewusste und
energische operative Behandlung. Dabei kommt es auf die
Resektion der Wurzelspitze gar nicht an. Die Wurzelspitze
kommt erst in Betracht, wenn sie unseren Bestrebungen, zum
Krankheitsherde vorzudringen, im Wege steht — und da kann
mit einem Rundbohrer leicht abgeholfen werden. Die Einlage
einer Jodoform-Knochenplombe mit folgender Naht der Wunde
bietet in einzelnen Fällen gewiss Vorteile, wäre aber bei Vor¬
handensein von Eiter oder gar bei Fieber als grober Fehler
zu betrachten, geradeso wie andere Abszesse niemals, auch
nach noch so gründlicher Eiterentleerung und Exkochleation
durch Naht verschlossen werden dürfen.
Die meisten dieser Abszesse, im Oberkiefer sowohl als
im Unterkiefer, kommen schliesslich an der labialen, respektive
buccalen Kieferseite als entzündliche Tumoren zum Vorschein.
Von den Gaumenwurzeln oberer mehrwurzeliger Zähne
ausgehende Alveolarabszesse brechen in der Richtung gegen
den harten Gaumen durch und zeigen sich daselbst als runde,
fluktuierende Geschwülste oder Fisteln. Die poröse Beschaffenheit
des Processus palatinus bietet den Durchbruchsbestrebungen
solcher Abszesse selten grössere Schwierigkeiten, sie erreichen
daher auch meistens nur Bohnengrösse und verursachen
beinahe nie schwerere Symptome. Eine Inzision in den
fluktuierenden Tumor und Trepanation des betreffenden
Zahnes mit darauffolgender Trikresol-Formalineinlage bringt
Gaumenabszesse und Gaumenfisteln überraschend schnell zur
Heilung. Gaumenabszesse, die den grössten Teil des harten
Gaumens als grosse, kugelige, weiche Tumoren bedecken und
grosse Beschwerden verursachen, gehen beinahe immer von
einem seitlichen oberen Schneidezahn aus. Dabei bietet die
apicale Gegend dieses kranken Zahnes, von der labialen Seite
besichtigt, häufig nicht die geringsten Anhaltspunkte für die
Annahme des Bestehens eines solchen Gaumenabszesses. Oefters
jedoch konnte ich daselbst unter der geröteten Schleimhaut
gelegene Stränge — infiltrierte Lymphgefässe — tasten, was
in diagnostischer Hinsicht zu bemerken wäre.
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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 176
v. Metnitz erwähnt in seinem Lehrbuche (Seite 192):
„Der seitliche Schneidezahn verursacht gar nicht selten Ab¬
szesse, welche hinter demselben auf der Gaumenseite des
Alveolarprozesses sich hefinden und wohl den halben harten
Gaumen einnehmen können.“
Schon früher (Seite 165) habe ich erwähnt, dass ander¬
seits auch grosse, von seitlichen oberen Schneidezähnen aus¬
gehende Alveolärabszesse längere Zeit hindurch bestehen können,
ohne dass diesbezüglich objektive Symptome, also auch keine
Gaumenabszesse, auftreten. .Nirgends in der mir zugänglichen
Literatur finde ich nähere Ausführungen über diese inter¬
essanten Krankheitsherde. Ein näheres Eingehen in diese Details
würde mich zu weit von meinem Thema abführen. Ich werde
bei anderer. Gelegenheit über ihre pathologische Anatomie und
Aetiologie berichten.
In manchen Fällen, besonders im Oberkiefer, kommt es
bei kleineren periapicalen Eiterungen nicht zur Fistelbildung,
sondern der Eiter breitet sich längs der Zahnwurzel nach
abwärts aus und kommt schliesslich unter dem Zahnfleischrand
rings um den Zahnhals zum Vorschein. Solche Fälle bieten
durchwegs eine günstige Prognose für das Trikresol-Formalin.
Es erübrigt mir noch, auf kleine, entzündliche Tumoren hin¬
zuweisen, die gewöhnlich in der apicalen Gegend der oberen
Prämolaren und Molaren, manchmal auch der Eckzähne Vor¬
kommen. Sie entstehen gewöhnlich ganz allmählich, nachdem
sich der betreffende „tote“ Zahn einige Zeit bemerkbar gemacht
hat, sind rund, bis erbsengross, unter der unveränderten
Schleimhaut liegend und mehr oder weniger leicht verschieblich.
Gegen Druck sind sie gewöhnlich empfindlich und können
schon beim Lachen oder Mundverziehen bis ins Auge aus¬
strahlende Schmerzen auslösen. Es sind kleine Granulom¬
geschwülste, die gestielt durch einen Knochendefekt hindurch
mit der periapicalen Abszesshöhle Zusammenhängen. Vielleicht
ist eine geringe Virulenz der Entzündungserreger die Ursache
für die Entstehung solcher Tumoren.
Auffallenderweise bietet die Behandlung dieser Fälle
meiner Erfahrung nach manche Schwierigkeiten. Es empfiehlt
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176
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
sich, solche Zähne nach der Trepanation, ausgiebigen Er¬
öffnung der Pulpakammer und Untersuchung der Wurzel¬
kanäle längere Zeit offen zu lassen. Während dieser Zeit soll
sich der Patient selbst den Zahn täglich mit Watteeinlagen
behandeln. Sobald der erwähnte Tumor kleiner und gegen
Druck unempfindlicher ist (dies braucht oft mehrere Wochen),
Vorm derselbe durch Trikresol-Formalin und eventueller gleich¬
zeitiger Inzision in den noch nicht vollkommen zurück¬
gegangenen Tumor durchwegs zur Heilung gebracht werden.
Alveolare Abszesse des Unterkiefers erzeugen analoge
Symptome. Zu erwähnen wäre, dass von den Schneidezähnen
des Unterkiefers ausgehende Alveolarabszesse im Bereiche der
Spongiosa des Kieferknochens als eingeschlossene Abszesse
sich ausbreiten und längere Zeit hindurch die grössten Be¬
schwerden: Schmerzen, brettharte Infiltration des Kinnes etc.,
verursachen können und, wenn sie nicht durch Trepanation
vom Vestibulum oris aus eröffnet werden, schliesslich nach
aussen durch die Haut durchbrechen und unterhalb des Kinnes
jahrelang am Knochen festsitzende Kinnfisteln zur Folge haben.
Bei Alveolarabszessen der unteren Molaren muss natürlich
gmf gjeventuell eintretende Mundsperre gedacht werden. Auf
die oft abenteuerlichen Ausartungen der von unteren Weis¬
heitszähnen ausgegangenen Alveolarabszesse ist schon von
anderen Autoren hingewiesen worden.
Die Residuen abgelaufener Alveolarabszesse: Fisteln
und harte, meistens periostale Auftreibungen in der apicalen
Gegend des betreffenden Zahnes, bieten ein weites und dank¬
bares Feld für die Trikresol-Formalinbehandlung.
Schon in einem früheren Aufsätze' habe ich auf die
überraschend günstige Beeinflussung der Zahnfleischfisteln durch
das Trikresol-Formalin hingewiesen. Fisteln, deren Beginn
viele Jahre zurückreicht, heilen nach einmaliger Trikresol-
Formalineinlage, so dass bald nachher nur mehr ein graues,
narbiges, am Knochen anhaftendes Pünktchen die Stelle be¬
zeichnet, an welcher früher die Fistelmündung war. Jedes
1 Siehe Seite 165, Anm. 1.
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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 177
Durchspritzen des Fistelganges vom Wurzelkanal aus ist über¬
flüssig, ebenso Sondieren etc. Es genügt einfaches Auspusten
des eröffneten Wurzelkanals mit heisser Luft und Einführung
eines Trikresol-Formalinfadens in den Wurzelkanal, wenn es
leicht möglich ist, sonst Aufpressen eines in das Medikament
getauchten Wattebäuschchens. In die Gegend der Fistelmündung
injiziere ich einige Tropfen Novocainlösung, spalte dann mit
dem Messer bis auf den Knochen und exkochleire, wenn not¬
wendig, auch den knöchernen Anteil der Fistel mit einem
geraden, löffelförmigen Exkavator. Die Inzisionswunde muss
einige Zeit offen gehalten werden. Das prompte Heilen auch
jahrelanger Zahnfisteln nach sq einfacher Behandlung ist auf
den ersten Blick überraschend, aber im Hinblick auf analoge
Vorkommnisse in der Chirurgie vollständig verständlich. Ein
eingewachsener Nagel oder irgend ein von aussen einge¬
drungener Fremdkörper kann monatelang sein Unwesen treiben
und monströse Granulationswucherungen, exzessive Eiterung,
Anschwellungen etc. verursachen. Nach Exzision des betreffenden
Nagelteiles oder nach Entfernung des Fremdkörpers sind in ganz
kurzer Zeit alle diese Symptome verschwunden. Schliesslich ist
ja eine gangränöse Pulpa auch als Fremdkörper zu betrachten,
der durch das Foramen apicale in das umgebende Gewebe
hineinragt und wegen seines Gehaltes an Infektionsstoffen
allerlei Gefahren birgt und entzündliche Reaktionen unterhält.
Auch die früher erwähnten, nach periapicalen Abszessen
zurückbleibenden periostalen Verdickungen und Auftreibungen
an der apicalen Gegend, die nach meiner Beobachtung meistens
an mittleren oberen Schneidezähnen und an Molaren (oben und
unten), seltener an Prämolaren, Vorkommen und häufig die
Keime für Rezidiven enthalten, schwinden meistens nach Frei¬
legung und Behandlung der betreffenden Wurzelkanäle mit
Trikresol-Formalin. Sollten nach der ersten Einlage Schmerzen
auftreten, empfiehlt es sich, den Zahn einige Zeit offen zu lassen,
ln hartnäckigen Fällen können diese Auftreibungen durch In¬
zision oder Trepanation eröffnet und unter leichter Tamponade
und gleichzeitiger Trikresol-Formalineinlage in den Wurzelkanal
zur Heilung gebracht werden.
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178
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
Knochensequester habe ich bei Alveolarabszessen
öfters getroffen. Meistens handelte es sich um kleine, dünne
Knochenlamellen, welche alle Kennzeichen eines Sequesters:
Verfärbung, glatte, absorbierte Ränder etc., aufwiesen.
Grössere Sequester können oft Fistelgänge mit weitab¬
liegenden Fistelmündungen (Nasenbein, unterer Orbitalrand etc.)
verursachen.
Selten bieten solche Fälle Schwierigkeiten in bezug auf
die Diagnose und Therapie.
Das chirurgische Gesetz: Ubi pus, ibi evacuatio, das
heisst, sobald ein Eiterherd mit Grund vermutet werden kann,
soll er aufgesucht, ausgiebig eröffnet und einige Zeit hindurch
offen gehalten werden, gilt auch für die Zahnheilkunde!
Wurzelbehandlung bei lebender Pulpa.
Den Anregungen Dr. Schreiers 1 in Brünn zufolge
habe ich, ausser in Fällen, wo die Nervextraktion als vor¬
bereitende Operation für die Anfertigung von Stiftzähnen und
Brücken unerlässlich war, seit Monaten keinen Nerv mehr
extrahiert, sondern mich lediglich auf die Amputation der
Kronenpulpa beschränkt. Ich weiss, dass diese Methode viel¬
fach perhorresziert wird. Ja, ich kann mir denken, dass
vielleicht mit abfälligem Nasenrümpfen diese meine Aus¬
führungen beiseite gelegt oder gar als Ausfluss eines geringen
Verständnisses für exaktes Arbeiten aufgefasst werden. Dem
gegenüber erlaube ich mir die Frage: Was dann, wenn die
Pulpa trotz aller Bemühungen überhaupt nicht oder nur teil¬
weise extrahiert werden kann? In solchen Fällen muss sich
jeder mit der Abtragung der Kronenpulpa begnügen, ja, ich
glaube kaum, dass dabei das Herumstochern mit der Donaldson¬
nadel für einen glatten Verlauf der Behandlung von Vorteil
war. Was aber in dem einen Fall billig war, soll dies nicht
1 Dr. Philipp Schreier, Brtknn: Zur Behandlung der Pnlpagangrän
mit Trikresol-Formalin. Oesterr.-nngar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilknnde,
1907, Heft 1, Seite ö6.
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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 179
auch in anderen Fällen recht sein? Ich kann nur versichern,
dass der Verlauf und die Erfolge nach Nervamputation voll¬
ständig zufriedenstellend sind!
Ich bin Dr. Schreier dankbar, dass ich der für Arzt
und Patienten gleich aufregenden Prozedur der Nervextraktion
und der ewigen Nervennadelmisere enthoben bin. Trotz aller
Versicherungen unsererseits, „dass es nicht wehe tun wird“, ist
das Nervextrahieren gewöhnlich doch scheusslich schmerzhaft.
Ich bin herzlich froh, aus allen diesen Bedrängnissen
einen glücklichen Ausweg gefunden zu haben. Unser Beruf
wird viel von seinen Aufregungen und Schrecken ver¬
lieren, wenn wir von den Nervextraktionen absehen und
uns auf die Pulpaamputation beschränken. Diese Methode in
Verbindung mit der Trikresol-Formalinbehandlung bietet eine
sichere Gewähr für ganz vorzügliche Erfolge. Der Vorgang,
den ich dabei beobachte, ist folgender: Ich amputiere mit
einem Rundbohrer die Kronenpulpa, säubere die Pulpakammer
möglichst gründlich von den Pulparesten und Bohrspänen und
lege auf die Nervenstümpfe ein in Trikresol-Formalin getauchtes
Wattebäuschchen und verschliesse mit Mastix oder mit Fletcher.
Nach 5 Minuten, wenn möglich nach einigen Tagen, entferne
ich diese Einlage, presse Trikresol-Formalinpaste in die Pulpa¬
kammer, so dass alle Nervenstümpfe bedeckt sind und
plombiere dann den Zahn nach entsprechender Präparation der
Kavität. Trikresol - Formalin auf einen blutenden Nerven¬
stumpf gebracht, erzeugt nie Schmerzen, im Gegenteil, wirkt
schmerzstillend, ln der nächsten Sitzung kann man konstatieren,
dass die Nervenstümpfe braun, trocken und bei oberflächlicher
Untersuchung unempfindlich sind. Bei tieferem Eindringen mit
der Nadel kommt man noch auf lebende Pulpa. Jedenfalls
wird nach einiger Zeit die ganze Pulpa infolge der pene¬
trierenden Eigenschaften des Trikresol - Formalin in einen
braunen, geschrumpften, sterilen Faden verwandelt sein (Mumi¬
fikation). Ich zweifle nicht, dass das Trikresol-Formalin auch
die Kronenpulpa anstandslos durchsetzen und mumifizieren
wurde, halte jedoch die Abtragung derselben zur Erhaltung
der Farbe des Zahnes für notwendig.
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180
Dr. Josef Lartschneider, Lins a. d. Donau.
Die besten Erfolge, d. h. einen meistens ganz reaktions¬
losen Verlauf, habe ich in den Fällen beobachten können, bei
denen die Pulpa nicht durch Verätzung, sondern durch eine
„apicale“ Novocaininjektion unempfindlich gemacht wurde.
Daher soll man eine Arseneinlage, besonders in Fällen, wo
es sich doch nur um die Anästhesierung der Kronenpulpa
handelt, nicht zu lange liegen lassen. 5 bis 6 Stunden nach
der Arseneinlage kann, besonders wenn das Medikament bei
blossliegender Pulpa appliziert wurde, gewöhnlich die Amputa¬
tion der Pulpa vollständig schmerzlos ausgeführt werden. Die
nach der Amputation auftretenden reaktiven Erscheinungen
sind in der Regel nach 3 bis 4 Tagen vollständig verschwunden.
Pulpa- und Dentinanästhesie.
Man kann eine Pulpa auf zweierlei Art unempfindlich
machen: entweder durch Verätzung (Mortifikation) oder durch
Anwendung irgend eines Anästhetikums (Impression, Injektion).
Im letzteren Falle ist die Unempfindlichkeit der Pulpa eine
temporäre, d. h. nach Ablauf der Wirkungsdauer des be¬
treffenden Mittels wird die Pulpa wieder empfindlich und blut-
hältig, sie „lebt“ weiter. Ich habe nie beobachten können,
dass eine Impression oder Injektion Pulpatod zur Folge ge¬
habt hätte.
Was die Impression (Kokain) betrifft, so kann man bei
Zähnen mit gesunder Pulpa geradezu Triumphe feiern, kommt
uns daher bei Voroperationen für Kronen- und Brückenarbeiten
sehr zustatten. Bei den Nervbehandlungen kommen jedoch bei¬
nahe ausschliesslich entzündete Pulpen in Betracht und da lässt
die Impression meistens vollkommen im Stich. Man erspare
sich in solchen Fällen alle weiteren Bemühungen und greife
zum Arsen (Kobalt verwende ich nicht gerne wegen seiner
blauschwarzen Farbe) oder zur Injektion.
Zu Injektionen behufs Pulpaanästhesie verwende ich aus¬
schliesslich eine 2prozentjge Novocainlösung mit dem Zusatze
von Suprarenin. Dabei kann ich Dr. Julius Misch (Berlin) nur
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Stadien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 181
beistimmen, der den bisher üblichen Zusatz von 0'00009 Gr.
Suprarenin grösser als notwendig erachtet. Abgesehen von
den toxischen Eigenschaften stört das Suprarenin häufig infolge
der im Bereiche der injizierten Gewebe auftretenden Zirkulations¬
störungen nach Zahnextraktionen den glatten Wundverlauf. Da¬
her sind die Anregungen Misch’, den Suprareningehalt der In¬
jektionsflüssigkeit herabzusetzen, freudigst zu begrüssen. Allein
gleich auf 0 - 000l)15 Gr. Suprarenin herabzugehen, finde ich
nicht für angezeigt. Nach meinen Erfahrungen erfüllt eine 2pro-
zentige Novocainlösung mit dem Zusatze von nur 0*000015 Gr.
Suprarenin zwar bei Zahnextraktionen meistens vollständig
ihren Zweck, allein bei Pulpaanästhesie lässt sie häufig trotz
langem Zuwarten im Stich, was sich schon äusserlich durch
die geringe Anämisierung des Injektionsfeldes manifestiert. Ich
bin mit dem Suprareninzusatz langsam in die Höhe gegangen
und habe gefunden, dass erst bei einem Zusatz von 0*00005 Gr.
Suprarenin die Erfolge bei Pulpaanästhesie zufriedenstellend
sind. Dabei beträgt der Suprareninzusatz erst die Hälfte
der üblichen Beimengung von 0*00009 Gr. Die toxischen Er¬
scheinungen nach solchen Injektionen sind wirklich minimal.
Meistens konnte ich nur rasch vorübergehendes Herzklopfen
und leichtes Depressionsgefühl beobachten. Kinder unter
9 Jahren bekommen •/» bis */ 4 Spritze. Auch alte Leute ver¬
tragen diese Injektion sehr gut. Ich habe die „Marktplatz-
Apotheke“ in Linz, deren Spezialität schon seit vielen Jahren
die Fabrikation und der Versand von „Injektions-Phiolen“
ist, veranlasst, Novocainlösung mit 0*00005 Gr. Suprarenin¬
zusatz in Phiolen anzufertigen. Die „Marktplatz - Apotheke“
in Linz ist vollständig verlässlich. Ich kann sie den Herren
Kollegen bei eventuellem Bedarfe schon deshalb empfehlen,
weil dort die Novocain-Injektionen genau um die Hälfte des
Preises erhältlich sind, zu welchem die Höchster Farbwerke
ihre Injektionen verkaufen.
üeber die Technik der zum Zwecke der Dentin- und
Pulpaanästhesie auszuführenden Injektionen möchte ich, trotz¬
dem diese Frage schon von mehreren Seiten erörtert wurde,
folgendes berichten.
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Dr. Josef L&rtschneider, Linz a. d. Donau.
Da es sich in solchen Fällen um die Anästhesierung des
ins Foramen apicale eintretenden Nervenfadens handelt, muss
man mit der Injektionsnadel entweder in die Nähe der Wurzel¬
spitze des betreffenden Zahnes zu gelangen suchen oder, wenn
dies nicht möglich ist, weiter zentralwärts den Nervenstamm,
von dem sich der betreffende Pulpafaden im weiteren Verlaufe
abzweigt, aufsuchen, um auf dem Wege der Leitungsanästhesie
auf die zu behandelnde Pulpa einzuwirken.
Im Oberkiefer sind die anatomischen Verhältnisse derart,
dass man durchwegs leicht den betreffenden Nervenfaden an
seinem Eintritt in das Foramen apicale anästhesieren kann.
Der vom Ganglion semilunare (Gasseri) abzweigende
Nervus maxillaris entsendet bekanntermassen die Rami alveo¬
lares superiores, welche durch mehrere im Bereiche der oberen
und lateralen Knochenwand der Oberkieferhöhle befindlichen
Nervenlöcher durch dieselbe durchtreten und nun an der
lateralen Anthrumwand, bedeckt von der serösen Auskleidung
der Höhle, nach abwärts zum Alveolarfortsatz gelangen.
In ihrem weiteren Verlaufe entsteht durch reichverzweigte
Anastomosenbildung zwischen den einzelnen Rami alveolares
(anterior, posterior, superior) der im Bereiche der Spon¬
giosa des Alveolarfortsatzes gelegene Plexus dentalis superior,
aus dem die am Grunde der einzelnen Alveolarfächer in die
Foramina apicalia eintretenden Pulpafäden abgehen. Ausser¬
dem entspringen eine Unzahl feiner Nervenfäden aus diesem
Plexus, die an zahlreichen Poren die dünne Cortical-
lamelle des Alveolarfortsatzes durchbrechen und das Zahn¬
fleisch des Oberkiefers als Rami gingivales superiores durch¬
setzen.
Nachdem man sich an der labialen Fläche des Pro¬
cessus alveolaris über die Lage der Wurzelspitze des be¬
treffenden Zahnes orientiert hat, sticht man daselbst die In¬
jektionsnadel tief unter das Zahnfleisch und schiebt sie dann
unter langsamer Entleerung der Injektionsspritze dem Knochen
entlang nach aufwärts. Da der Plexus dentalis superior nur
durch eine dünne und infolge zahlreicher Nervendurchtritte
noch dazu poröse Knochenlamelle vom Zahnfleisch getrennt
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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 183
ist, gelingt es meistens leicht, den in Betracht kommenden
Pulpafaden direkt zu anästhesieren. Oberflächliche Injektionen,
die sich als grosse ödematöse Quaddeln manifestieren, sind für
Zahnextraktionen genügend, scheinen infolge der geringen
Tiefenwirkung aber für die Pulpaanästhesie weniger wirksam
zu sein, es wäre denn, dass man den Suprareninzusatz be¬
deutend erhöht.
Viel ungünstiger für die Pulpaanästhesie durch Injektion
liegen die anatomischen Verhältnisse des Unterkiefers.
Der Nervus alveolaris inferior betritt als stattlicher
Nervenstamm an der Lingula mandibulae das Foramen man¬
dibulare und ist während seines ganzen Verlaufes im Canalis
mandibularis der Aussenwelt entrückt und kommt erst am
Foramen mentale, etwas unterhalb der Wurzelspitzen der Prä¬
molaren gelegen, als Nervus mentalis wieder zum Vorschein.
Er verzweigt sich jetzt als Nervus mentalis unter der Schleim¬
haut der Unterlippe und enthält die für sie bestimmten sen¬
sorischen Nervenfasern. Aber nicht der ganze Nervus alveolaris
inferior tritt als Nervus mentalis durch das Foramen mentale
aus dem Innern des Unterkieferknochens heraus, sondern ein
ziemlich beträchtliches Nervenstämmchen zieht im Bereiche
der Spongiosa des Unterkiefers weiter, gleichsam als Fortsetzung
des Nervus alveolaris inferior bis zur Medianlinie, wo die
beiderseitigen Unterkieferäste zusammenstossen und endigt in
den als Rami dentales et gingivales inferiores bezeichneten
Nervenfäden, welche, vielfach untereinander anastomosierend,
ein im Bereiche der Spongiosa gelegenes feines Netz bilden,
von dem die für die unteren Schneide- und Eckzähne be¬
stimmten Pulpafäden abgehen.
Die für die unteren Prämolaren und Molaren bestimmten
Pulpafäden entspringen aus einem im Bereiche der Spongiosa
des Unterkieferknochens sich ausbreitenden Nervenplexus, in
welchen die vom Nervus alveolaris inferior während seines
Verlaufes durch den Canalis mandibularis abgehenden Nerven¬
fäden einmünden.
Wenn es gelänge, wie schon vorgeschlagen wurde, mit
der Injektionsnadel den Nervus alveolaris inferior vor seinem
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
Eintritte ins Foramen mandibulare zu treffen, so könnten wir die
Anästhesierung sämtlicher Zähne der betreffenden Unterkieferhälfte
vornehmen — gewiss in vielen Fällen ein wünschenswertes Ziel.
Allein, ich kann mich der Vermutung nicht verschliessen, dass
dieser Eingriff sich kaum jemals in der Praxis einbürgern
wird. Ich habe die „Injectio mandibularis“ wiederholt aus¬
geführt, habe auch einigemal gute Resultate damit erzielt,
allein ich bin wieder davon abgekommen. Die Orientierung
ist nämlich furchtbar schwer, die leiseste Veränderung der
Kopfhaltung bedingt eine Verschiebung der topographischen
Verhältnisse. Alle meine Versuche, irgend eine Art „Rosa-
Nelatonsche“ Linie zur sicheren Orientierung zu konstruieren,
sind erfolglos gewesen. Zudem darf nicht vergessen werden,
dass die Möglichkeit einer Verletzung der Arteria alveolaris
inferior oder gar einer der beiden Arteriae maxillares absolut
nicht von der Hand zu weisen ist. Zudem verweise ich auf
die vielen üblen Zufälle, die schon nach der Injektion der
unteren Weisheitszähne (Schlingbeschwerden, Glottisödeme,
Atembeschwerden) gar nicht so selten auftreten und bei noch
weiter rückwärts am Halse ausgeführten Injektionen erst recht
in das Bereich der Möglichkeit gezogen werden müssen.
Konstant haben die Patienten nach derartigen Injektionen
über längere Zeit andauernde, Schmerzen im Kiefergelenk und
über Schlingbeschwerden geklagt.
Ich habe übrigens in Fällen, wo es sich um die An¬
ästhesierung unterer Molaren und Prämolaren gehandelt hat,
durch buccal und lingual vom betreffenden Zahne unter
das Zahnfleisch ausgeführte tiefe Injektionen wiederholt Er¬
folge erzielt.
Injektionen, welche in die unter den Schneide- und Eck¬
zähnen labial und lingual gelegenen Zahnfleischpartien quoad
Dentin- und Pulpaanästhesie ausgeführt werden, sind ganz
erfolglos.
Auch in Fällen, in denen ich den Pulpafaden mit der
Dönaldsonnadel extrahiert habe, lege ich mit vorzüglichem
Erfolge nach der Nervextraktion einen in Trikresol-Formalin
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Stadien über die pathologische Anatomie and Therapie etc. 185
getauchten Wattefaden und verschliesse mit Fletcher. In der
gleichen Sitzung schon Paste einzupressen und den Zahn
dauernd zu plombieren, möchte ich nicht empfehlen. Ich habe
einigemal in solchen Fällen mehrere Monate nachher wegen
plötzlich auftretender Schmerlen behufs neuerlicher Trikresol-
Formalinbehandlung trepanieren müssen und dabei im Nerv¬
kanal ausgesprochenen Gangrängeruch konstatieren können.
Es scheint, dass das im Nervkanal angesammelte Blut ein
Hindernis für das Vordringen der Paste war.
Sehr gute Dienste hat mir oft die Kombination von
Arsen und Inj ektion, in die Pulpa selbst, geleistet. Wenn
es uns rasch und ohne langes Herumsuchen gelingt, mit der
Injektionsnadel in den Nervkanal zu gelangen und gleichzeitig
schon einige Tropfen zu injizieren, so kann die Pulpa
schmerzlos extrahiert werden.
Pulpaanästhesie hat natürlich auch Dentinanästhesie zur
Folge. Man muss sich davor hüten, in Fällen, wo es sich nur
um eine temporäre Anästhesierung des Dentins handelt, Arsen
(bei naheliegender Pulpa auch Karbolsäure) anzuwenden, da
dies eine Mortifikation der Pulpa bedingen würde.
Die vielen Bemühungen, irgend ein verlässliches Mittel zur
Dentinanästhesie ausfindig zu machen, sind nur allzu gerecht¬
fertigt. Injektionen leisten, besonders im Oberkiefer, oft gute
Dienste — und doch finde ich es begreiflich, dass man sich
vielfach dagegen sträubt, behufs schmerzloser Exkavation In¬
jektionen zu machen. Zur „Impression“ entschliesst man sich
schon leichter, aber sie erfordert meistens-viel Zeit und Geduld
und lässt uns trotzdem gar nicht selten vollkommen im Stich.
Von manchen Seiten wurde Aethylchlorid empfohlen und sehr
gerühmt. Ich verwende es oft — aus Verlegenheit — wenn
ich mir gar nicht zu helfen weiss. Das Ausbohren ist ja nach
ausgiebiger Anwendung von Aethylchlorid immer schmerzlos,
allein bis zum Eintritt des Frierens verursacht der kalte Spray
oft starke Schmerzen und nachher werden die Patienten,
wie ich wiederholt gesehen habe, noch stundenlang von über¬
aus heftigem und schmerzhaftem Reissen und Stechen im be-
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186
Dr. Josef Lartschneider, Liuz a. d. Donau.
treffenden Zahne geplagt, so dass mir auch dieses anscheinend
so einfache Mittel ziemlich verleidet wurde. Ich helfe mir
durch Austrocknen der Kavität mit heisser Luft und durch
Anwendung von möglichst scharfen - Bohrern. Das Bohren
selbst soll so ausgeführt werden, dass man den Bohrer
immer nur ganz kurz ansetzt und wieder abhebt. Oft und
rasch hintereinander hintupten mit dem Bohrer wird leichter
vertragen, als wenn man den Bohrer ansetzt und in con-
tinuo weiterbohrt. Ein Heisslaufen des Bohrers darf nicht
Vorkommen.
Es ist selbstverständlich, dass bei blutender Pulpa
peinlichste Anti- und wenn möglich Asepsis für den weiteren
Verlauf der Behandlung ausschlaggebend ist. Das Uebergreifen
infektiöser Stoffe auf die periapicalen Gewebe ist hier besonders
leicht möglich, denn man darf nicht übersehen, dass man
durch die Nervextraktion Lymphgefässe eröffnet und dass bei
lebender Pulpa der Fundus des Alveolarfaches mit gesundem,
zarten Gewebe ausgebettet ist, während im Verlaufe des gan¬
gränösen Zerfalles der Pulpa, vom Initialstadium bis zu ihrer
vollständigen Nekrosierung, sich in jedem Falle um den Apex
herum entzündliche Prozesse mit allen ihren Folgen (Exsudation,
Bindegewebsbildung etc.) abgespielt haben. Die daraus resul¬
tierenden Schwarten und Verdickungen sind als Ausdruck
der Abwehrversuche des Organismus gegen eine Invasion der
Fäulniskeime durch das Foramen apicale zu betrachten. Wit
treffen daher nicht selten intakte Zähne mit verjauchter Pulpa,
die jahrelang im Alveolarfache stecken können, ohne jemals
periapicale Entzündungen zu veranlassen.
Alle bei Nervbehandlungen in Betracht kommenden
Instrumente müssen selbstverständlich auch im aseptischen
Sinne rein sein, was nur durch ausgiebiges Auskochen erzielt
werden kann. Speziell die Donaldsonnadeln erheischen eine
besondere Beachtung, denn sie sind infolge ihrer Beschaffenheit
geradezu prädestiniert zum Uebertragen von Infektionsstoffen.
Ihre mechanische Reinigung nach dem Gebrauche ist sehr
schwer, ja es ist beinahe unmöglich, alle Gewebsfetzen aus
den Haken der Nadel zu entfernen, ohne ihrer Brauchbarkeit
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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 187
Abbruch zu tun. Leider ist der Preis der Donaldsonnadeln ein
so hoher (1 Krone pro Stück), dass es nicht jedermann gegönnt
ist, die Nadel nach einmaligem Gebrauche weggeben zu
können. Ich lege schon gebrauchte, aber noch verwendbare
Nadeln nach möglichst gründlicher mechanischer Reinigung in
löprozentiges Karbolglyzerin und koche sie vor jedem weiteren
Gebrauch aus. Es ist selbstverständlich auch darauf zu sehen, dass
Nervennadeln, Sonden u. dgl., die bei eitriger oder gangränös
zerfallener Pulpa in Benützung standen, trotz Auskochen nicht
bei Behandlung anscheinend nicht infizierter Pulpen verwendet
werden. Wie auf jeder chirurgischen Klinik, trotz aller Des¬
infektion und Sterilisation, ein eigener aseptischer Operationssaal
vorhanden ist, in welchen prinzipiell keine „eiterigen Fälle 0
hineinkommen, so sollten wir trotz aller antiseptischen Kautelen
darnach trachten, Patienten mit lebender, nicht infizierter Pulpa
auf einem für solche Fälle reservierten Operationsstuhl mit
eigens hiefür bestimmten Instrumenten vorzunehmen. Alle
diese Vorsichtsmassregeln sind aber ungenügend, wenn nicht
auch bei der Arbeit zielbewusst vorgegangen wird. So soll
man z. B. direkt auf die Pulpakammer losgehen, dieselbe mit
einem desinfizierten Rundbohrer ausräumen und die Nerven-
stümpfe sofort mit einem in Trikresol - Formalinlösung ge¬
tauchten Wattebäuschchen tuschieren oder mit Trikresol-For-
malinpaste decken und dann erst die kranken Dentinschichten
abtragen, um die Kavität für die Aufnahme der Plombe zu
präparieren. Denn im kranken und schmierigen Dentin herum¬
arbeiten und dann wieder abwechselnd mit dem verschmierten
Rundbohrer in der Pulpa herum wühlen — wer dächte da nicht
an einen Chirurgen, der im Verlaufe einer Laparotomie, durch
die vorliegenden Verhältnisse veranlasst, eine digitale Unter¬
suchung des Rectums vornimmt und dann wieder, ohne sich
zu waschen, am Peritoneum herumhantiert ? Ueberhaupt
werden wir uns bei einiger Aufmerksamkeit bei ganz un¬
glaublichen aseptischen Inkonsequenzen ertappen! Trotz aller
gegenteiligen Versicherungen ist die Zahnheilkunde diesbezüglich
noch lange nicht auf der Höhe. Es gibt da noch viel zu re¬
formieren und zu lernen. Es schadet gar nicht, wenn hie und
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188
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
da auch auf Uebelstände offen hingewiesen wird, wir brauchen
uns deren nicht zu schämen. Auch die Chirurgie, mit der wir seit
neuester Zeit so gerne liebäugeln, hat lange Zeit, mindestens
ein Menschenalter, gebraucht, bis ihr die Li st er sehen Ideen
in camem et succum übergegangen sind.
Zum Schlüsse dieses Absatzes muss ich noch die Be¬
handlung der Pulpitis purulenta besprechen. Sobald die Diagnose
auf eiteriger Pulpitis feststeht, tupfe ich den Eiter mit Watte-
bäuschchen weg, lege auf den blutenden Pulpastumpf ein in
Trikresol-Formalin getauchtes Wattebäuschchen und schliesse
sofort mit Fletcher. In jedem solchen Falle schwinden die
Schmerzen sofort nach der Trikresol-Formalineinlage. Nach
8 Tagen entferne ich die Einlage, presse nach Amputation
der Kronenpulpa auf den Stumpf Trikresol-Formalinpaste und
plombiere den Zahn nach entsprechender Präparation der
Kavität. Durchwegs sind in solchen Fällen nach der angedeuteten
Behandlungsmethode die Erfolge zufriedenstellend. Ich kann
nicht begreifen, warum Dr. Bukley nicht oft genug, wie schon
erwähnt, allerdings ohne nähere Angabe von Gründen, davor
warnen kann, in Fällen von nur partiellem Zerfalle der Pulpa
Trikresol-Formalin anzuwenden.
Was den Gebrauch von Koflferdam bei Nervbehandlungen
betrifft, so bin ich natürlich dafür, dass Anhänger vom Koflfer-
dam möglichst ausgiebigen Gebrauch machen sollen. Anderseits
habe ich schon früher ausgeführt, auf welche Momente es bei
unseren Bestrebungen, eine Infektion der blossliegenden Pulpa
durch Instrumente etc. zu verhindern, ankommt. Ich finde
daher absolut keine Notwendigkeit dafür vorhanden, bei den
Nervbehandlungen ohne Wahl und Qual Koflferdam anzulegen,
wenn der Speichel auf eine für Arzt und Patienten bequemere,
weniger zeitraubende und minder kostspielige Weise vom
Operationsfelde abgehalten werden kann. Zudem nehmen bei
einiger Uebung und guter Assistenz die meisten Nervbehand¬
lungen so wenig Zeit in Anspruch, dass man kaum jemals
wegen des Speichelflusses ins Gedränge kommt. Sollte übrigens
diese unangenehme Eventualität einmal die Notwendigkeit er¬
geben, die Behandlung zu unterbrechen, so stopfe ich ein in
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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 189
Trikresol-Formalinlösung getauchtes Wattebäuschchen fest in
die Kavität, wodurch ich die Pulpa für einige Minuten genügend
geschützt erachte.
Bemerkungen zu Dr. Bukleys Theorie.
Dr. Bukley kommt durch seine eingehenden Unter¬
suchungen über die Chemie des Pulpazerfalles zu dem Schlüsse,
dass bei der Behandlung der Pulpagangrän ein Mittel hermetisch
in die Pulpakammer eingeschlossen werden muss, welches flüchtig
ist, penetrierend wirkt und imstande ist, die giftigen Endprodukte
der Fäulnis chemisch in ungiftige und geruchlose Verbindungen
zu verwandeln. Er hat das Formaldehyd als jenes Mittel erklärt,
welches diesen Forderungen gerecht werden könne. Denn das
Formaldehyd verbindet sich mit Ammoniak, einem der Haupt¬
endprodukte beim Gewebezerfall, zu Urotropin, einem geruch-
und farblosen Körper von süsslichem Geschmack. Ausserdem
ist es erwiesen, dass sich das Formalin chemisch mit Schwefel¬
wasserstoff und mit basischen Ptomainen zu geruchlosen Pro¬
dukten verbindet. Allein die gewöhnliche (40 prozentige wässe¬
rige) Formalinlösung ist zu stark. Daher hat sich Bukley um
ein geeignetes Verdünnungsmittel umgesehen und seine Wahl
ist auf das Trikresol gefallen, weil es sich 1. mit Formalin in
jedem Verhältnis gut mischen lässt, 2. ein gutes Desinfiziens
ist und 3. auf die Fettbestandteile der Detritusmassen wirkt.
Denn die Fette bleiben, da während des ganzen Fäulnis¬
prozesses keine alkalische Reaktion eintritt, unverändert. Das
Trikresol löst die Fettröpfchen auf und wenn dann die Nerv¬
kanäle nachher mit Alkohol ausgewischt werden, was Bukley
voraussetzt, bilde sich Lysol, was wieder ein gutes Desinfiziens sei.
Die Gründe, warum Bukley dem Formalin Trikresol
beimengt, scheinen mir nicht besonders gewichtige zu sein,
denn verdünnen kann man das Formalin mit Wasser auch,
und dem Formalin, das ja eines unserer besten Desinfektions¬
mittel ist — jedenfalls ist es stärker als Trikresol — aus anti¬
bakteriellen Rücksichten noch Trikresol, respektive Lysol bei¬
mengen, ist wahrlich nicht nötig. Und das Vorhandensein von
Fetten, respektive Fettsäuren allein ist kein genügender An-
4
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
lass, um Trikresol in den Wurzelkanal einzuführen, da ihre
Anwesenheit wahrscheinlich belanglos ist. Es ist daher die Ver¬
mutung naheliegend, dass man mit Formalin allein die gleichen
Erfolge bei Pulpagangrän erzielen könnte.
Ich habe deshalb eine Reihe gangränöser Zähne mit
wässeriger Formalinlösung ohne Trikresolzusatz behandelt. Ich
habe mit 10 prozentiger wässeriger Formalinlösung begonnen,
habe dann eine Reihe von Patienten mit löprozentiger Formalin¬
lösung behandelt und bin schliesslich zur 20 prozentigen Lösung
übergegangen. Enthält doch eine Trikresol-Formalinmischung
ää partes auch 20 Prozent Formalin.
In allen diesen Fällen wurde der betreffende gangränöse
Zahn gleich in der ersten Sitzung nach der Formalineinlage
mit Fletcher verschlossen, ohne dass nachher irgendwelche
periostale Reizungen, Schmerzen oder Anschwellungen auf¬
traten. Allein ich musste in allen Fällen schliesslich zur Trikresol-
Formalinmischung greifen, da die Wattefäden stets den jauchigen
Geruch aufwiesen, solange ich nur Formalin allein appliziert
habe. In einem Falle habe ich den ersten in 20prozentige
wässerige Formalinlösung getauchten Wattefaden unter herme¬
tischem Verschlüsse eine Woche liegen gelassen — ohne Erfolg.
Ein zweiter derartiger Faden blieb wieder eine Woche liegen,
wieder ohne Erfolg, und eine dritte 20prozentige Formalinein¬
lage blieb wieder erfolglos eine Woche liegen — also nach drei¬
wöchentlicher Behandlung mit 20 prozentigern Formalin war
der Gangrängeruch noch vorhanden. Ich habe dann einen
Trikresol-Formalinfaden eingelegt und nach 3 Tagen war der
gangränöse Geruch verschwunden und der Zahn wurde jetzt nach
Einpressung von Trikresol-Formalinpaste gefüllt. Daher kann
Formalin ohne Trikresolbeimengung zu Wurzelfüllungen, z. B. als
Formalinpaste nicht besonders empfohlen werden. Ich bin im
Laufe weniger Monate viermal in die Lage gekommen, Wurzel¬
kanäle wegen plötzlicher periostaler Reizungen trepanieren
zu müssen, die 4 bis 7 Monate früher mit Formalinpaste gefüllt
wurden und habe in sämtlichen vier Fällen ausgesprochenen
Gangrängeruch konstatieren können, was nach den vorherigen
Ausführungen allerdings erklärlich ist.
Digitized by
Google
Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 191
Nach dem überraschenden Ergebnis dieser Untersuchungen
habe ich eine Reihe von gangränösen Zähnen mit konzen¬
triertem Trikresol (ohne Formalinzusatz) behandelt. Der
Gangrängeruch war in den meisten Fällen (8 von 11 Fällen)
tiach einigen Tagen verschwunden, so dass die Zähne schon
in der zweiten Sitzung nach Einpressen von Trikresol-Formalin-
paste plombiert werden konnten. Schmerzen oder Anschwellungen
traten niemals auf.
Ich war über die Resultate dieser Versuche nicht wenig
überrascht und habe jetzt unter denselben Vorsichtsmassregeln,
wie ich sie bei Trikresol-Formalineinlagen beobachte, auch
andere Medikamente, konzentrierte Karbolsäure, Kreosot,
l°/oo Sublimatalkohol und 1 prozentigen Chinosolspiritus in
gangränöse Zähne eingeführt und die Kavität sofort mit Fletcher
hermetisch verschlossen. Und siehe da, auch unter Anwendung
dieser Mittel traten niemals Schwellungen oder Schmerzen
auf. Allein ich musste schliesslich immer wieder zur Trikresol-
Formalinmischung greifen, da nur sie imstande war, den
Gangrängeruch der Watteeinlagen zu beheben.
Diese Tatsachen bedeuten den Zusammenbruch der
Bukleysehen Voraussetzungen. Gewiss sind seine chemischen
Untersuchungen richtig, aber sie sind für die Gangränbehandlung
belanglos.
Ist es da nicht wahrscheinlich, dass die vielen Miss¬
erfolge bei Gangränbehandlung lediglich auf die bisher geübte
Technik der Behandlung zurückzuführen sind? Sind wir doch
jede gangränöse Pulpa sofort mit Sonden, Nervennadeln und
Injektionsspritzen angegangen und nun begann ein Sondieren,
Scheuern und Ausspritzen des Wurzelkanals, bis wir — warum,
wussten wir meistens selbst nicht — die Ueberzeugung hatten,
dass der ganze Unrat einschliesslich sämtlicher Bakterien und
Kokken aus dem Wurzelkanal herausbefördert worden ist.
Wer hätte sich bisher getraut, auf eine gangränöse Pulpa
nach Auspusten mit heisser Luft ruhig z. B. ein Karbol-
bäuschchen zu legen und dann mit Fletcher zu verschliessen?
Und doch stellt sich jetzt heraus, dass dies das einzig richtige ist
und dass wahrscheinlich alle unliebsamen Ereignisse, die wir früher
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
im Verlaufe der Gangränbehandlungen erlebt haben, artifizieller
Natur gewesen sind ? Jedem von uns sind gewiss schon Zähne
untergekommen, die seit Jahren eine gangränöse Pulpa ohne
jegliche Zwischenfälle in sich bargen, die aber dann, wenn
sie trepaniert und „behandelt“ wurden, nicht mehr zur Ruhe
kamen. Dies wäre ein Fingerzeig für uns gewesen, wenn unser
Blick nicht durch jahrzehntelange, sozusagen von Generation
zu Generation übernommene Vorurteile getrübt gewesen wäre.
Es dürfte die Annahme gerechtfertigt sein, dass es sich
bei der Behandlung von Pulpagangrän nicht so sehr um
chemische Prozesse als um die Behebung mikrobiotischer Vor¬
gänge handelt. Ein Beweis hiefür sind mir die Erfolge, welche
die Gynäkologen seit neuester Zeit bei Behandlung von
inoperablen Uterus Karzinomen mit Trikresol-Formalin erzielen.
Denn es ist wohl sicher, dass es bei der medikamentösen Be¬
handlung von Karzinomen nicht auf chemische, sondern auf
biologische und anliparasitäre Momente ankommt. Ich entnehme
diesbezüglich der letzten Nummer der „Gynäkologischen Rund¬
schau“ (redigiert von Dr. Oskar Fränkl, Wien) folgendes:
Prof. Dr. Franz Torggler, Vorstand der Frauenklinik
in Klagenfurt, referiert über seine Erfolge bei der Behandlung
inoperabler Uteruskarzinome mit Trikresol-Formalin: „Wenn
Leopold schon 189G reine Karbolsäure mit Erfolg an¬
wendete, so lag es nahe, das Trikresol, das dreimal so wirksam
und dabei nur etwa ein Drittel so toxisch wie Karbolsäure
ist, zu verwenden, um so mehr als Zahnärzte seit kurzer Zeit
Trikresol-Formalin ää partes zur Behandlung der Pulpagangrän
verwenden und besonders auf die stark desodorisierende
Wirkung hinweisen. Schon die ersten Versuche boten ein
überraschendes Ergebnis. Gazetupfer, getränkt in obiger Tri-
kresol-Formalinlösung, wurden in die Wundhöhle eingeführt,
durch Tamponade der Scheide mit Gaze fixiert und 48 Stunden
liegen gelassen. Meist schon nach dem ersten, sicher nach
dem zweiten Wechsel zeigte sich die Wundhöhle ganz trocken,
mit einem derben, lederartigen Schorf überzogen. Der Schorf
fällt erst nach 8 bis 10 Tagen ab, die Trockenheit hält an,
der penetrante Geruch bleibt weg. Schmerzen oder andere
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Studien über die pathologische Anatomie und Therapie etc. 193
Unannehmlichkeiten zeigte bisher diese Behandlung nicht und
werde ich nun auf die Anwendung von reinem Trikresol über¬
gehen* Uebrigens soll die Trikresolbehandlung eingehender
geprüft werden.“
Jedenfalls haben wir alle Ursache, Dr. Bukley für seine
Anregungen dankbar zu sein! Seinem gründlichen Wissen,
dem ehrlichen und selbstlosen Streben, das aus allen seinen
Publikationen spricht, wird es voraussichtlich gelingen, diese
rein theoretischen Schwierigkeiten zu lösen.
Jodoform als WurzelfOllungsmateriaL
Meine gelegentlichen ungünstigen Aeusserungen über die
Verwendbarkeit des Jodoforms als Wurzelfüllungsmaterial boten
einem reichsdeutschen Herrn Kollegen Veranlassung zu mass-
losen Angriffen gegen meine Persönlichkeit. 1 Zu meinem Be¬
dauern muss ich den Ton, den der betreffende Herr Kollege
änzuschlagen für notwendig gefunden hat, zurückweisen, ohne
dass ich in der Lage wäre, irgend eine der damals gemachten
Einwendungen zurücknehmen zu können. Schon seit Billro ths
Zeiten wird das Jodoform — das Pulver sowohl wie die
Jodoformgaze — auf allen Kliniken vor dem Gebrauche steri¬
lisier!, der beste Beweis, dass sich, ganz entgegen der Ansicht
des betreffenden Kollegen, kaum jemand finden dürfte, der
nicht weiss, dass das Jodoform keine bakteriziden Eigenschaften
besitzt. Wohl aber spalten sich vom Jodoform, wenn es mit
Wundsekreten oder bakteriellen Stoffwechselprodukten zu¬
sammenkommt, antiseptisch wirkende Jodverbindungen ab,
lediglich diesem Umstande, nicht dem Jodoform als
solchem, ist auch seine hemmende Wirkung auf Reinkulturen
zuzuschreiben. Wie soll aber das Jodoform in einem Wurzel¬
kanale, der im Sinne des betreffenden Herrn Kollegen „steril
und lege artis vorbereitet ist“, bakterizide Eigenschaften ent¬
wickeln? Allerdings ist der Beweis, dass es möglich wäre, die
Wurzelkanäle, einige wenige etwa ausgenommen, trotz aller
i Deutsche zahnärztliche Zeitung, München, V. Jahrg., Nr. 138, 10. De¬
zember 1906.
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Dr.’Othmar v. An der Lan, Wien.
Bemühungen rein (d. h. steril) zu machen, noch zu erbringen.
Ich habe mich schon früher diesbezüglich geäussert. Ist es
unter solchen Verhältnissen nicht auf das freudigste zu be-
grüssen, dass wir in der Lage sind, Medikamente von an¬
erkannt hervorragenden antibakteriellen Eigenschaften in den
betreffenden Wurzelkanal als Füllungsmaterial zu deponieren?
Dies alles soll mich nicht hindern, anzuerkennen, dass ich
selbst das Jodoform lange Zeit hindurch als Wurzelfüllungs¬
material mit gutem Erfolge verwendet habe. Dass ich heute
zu Wurzelfüllungen lieber Trikresol-Formalin verwende, brauche
ich nach allem wohl nicht näher zu begründen.
N Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Die AivniiK its cMtriscta Strom« nr Diapose rar-
scliefaer FalpaerMupi . 1
Aus der zahnärztl. Abteilung der Allgemeinen Poli¬
klinik in Wien (Vorstand: Doz. Dr. G. v. Wunschheim).
Von Dr. Othmar v. An der Lan , Assistent daselbst.
Wenn ich mir heute erlaube, auf eine diagnostische
Methode — die Untersuchung mit dem elektrischen Strome —
aufmerksam zu machen, so will ich auch gleich nicht un¬
erwähnt lassen, dass es sich nicht um eine neue Art der
Untersuchung handelt. Die ersten Versuche und Anwendungen
des elektrischen Stromes als Diagnostikum datieren schon
einige Jahre zurück.
So hat Fuyt (Utrecht) gefunden, dass ganz schwache
Induktionsströme, welche von gesunden Zähnen sehr un¬
angenehm empfunden werden, von solchen mit gangränöser
oder mumifizierter Pulpa absolut nicht mehr wahrgenommen
werden. An einem mit Füllung zu versehenden Zahn, dessen
Pulpa anscheinend entfernt war, konnte er durch Schmerz-
1 Vortrag, gehalten in der Sitzung des Vereiues österreichischer Zahn-
ärzte vom 6. März 1907.
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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 195
empfindung nachweisen, dass noch lebendes Gewebe vorhanden
war. Zähne, die ihres Schmelzes verlustig sind, reagieren
schneller, sensibles Zahnbein ist empfindlicher wie normales.
Fuyt, der die Verlässlichkeit seiner Methode sehr betont, be¬
nützte einen kleinen Induktionsapparat. Zur Untersuchung ver¬
wendete er den primären Strom.
Hafner-Schurter (Zürich) sagt in seiner Veröffent¬
lichung: „Bei Gebrauch des Bonwill-Hammers — Hafner ar¬
beitete mit Wechselstrommotor von 110 Volt, an die Licht¬
leitung angeschlossen; ebenso ist das Bohrmaschinenkabel mit
dem Anker direkt gekuppelt — beobachtete ich nun vor zirka
einem Jahre, dass gewisse Patienten im Momente des Auf¬
setzens des Stopfers wegen eines zuckenden Schmerzes, der
den ganzen Zahn durchlief, in die Höhe fuhren. Dieses Phä¬
nomen war bei demselben Patienten an einem Zahne mit
extrahierter Pulpa nicht mehr nachzuweisen, womit die elek¬
trische Reaktion gefunden war.“ Hafner hat diese Erscheinung,
die er auf den Erdstrom zurückführte, weiter verfolgt und lür
die Diagnose auf lebende oder tote Pulpa verwertet. Für die
Untersuchung benützte Hafner natürlich nicht diesen un¬
kontrollierbaren Erdstrom, sondern die durch Anschluss an die
Lichtleitung gewonnene Stromquelle, welche er durch Ein¬
schalten von Glühlampen auf unter 5 Volt Spannung reduzieren
konnte. Ein Voltmeter von 0 bis 10 erlaubte die genaue Be¬
stimmung der Stromstärke. Hafner stellte seine Untersuchungen
mit dem Gleichstrom an. Dazu benützte er zwei Elektroden, von
denen eine, mit metallenem Handgriffe versehen, dem Patienten
in die korrespondierende Hand gegeben, die andere, eine von
Hartkautschuk umschlossene Metallspitze, als Untersuchungs¬
spitze durch Berührung des Zahnes zur Stromschliessung ver¬
wendet wurde. Im Momente der Berührung, natürlich bei ent¬
sprechender Stromstärke, fühlt der Patient einen die ganze
Pulpa durchzuckenden Schmerz. Die Pulpa ist lebend. Bleibt
der Zahn selbst nach Erhöhung der Voltzahl auf 5 bis 7 reak¬
tionslos, so ist er als tot zu bezeichnen. Als ein unerlässliches
Erfordernis betrachtet Hafner weiters die vollständige Isolierung
des zu untersuchenden als auch des zum Vergleiche dienenden
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196
Dr. Otbrnar y. An der Lan, Wien.
Zahnes. Geringste Mengen Speichel sind als gute Leiter ge¬
eignet, den Strom abzulenken und falsche Bilder vorzu¬
täuschen.
Fast gleichzeitig mit Fuyt und Hafner beschäftigte
sich Schröder (Greifswald) mit dieser Untersuchungsmethode.
Während Fuyt mit primärem Induktionsstrora, Hafner mit
Gleichstrom arbeiteten, verwendete Schröder sekundären
Induktionsstrom. Die Untersuchungen Schröders erstreckten
sich .auch auf den Zustand der Pulpa nach lokaler Anästhesie.
Er berichtet, dass dabei die Sensibilität bedeutend vermindert
wird. In einigen Fällen starb sogar die Pulpa ab.
Seit Mitte September v. J. habe ich mich, auf Anregung
meines Chefs Doz. v. Wunschheim, mit der Untersuchung
durch den elektrischen Strom beschäftigt und in dieser verhältnis¬
mässig kurzen Zeit den ausserordentlichen Wert derselben
schätzen gelernt. Ich bin der Ueberzeugung, dass diese Methode
als eine äusserst bequeme, rasch durchführbare und in für uns
gerade sehr schwer zu erkennenden Fällen als absolut sicher,
allseits baldige Anerkennung finden wird.
Das Wesen dieser Methode beruht auf der Durchleitung
eines Induktionsstromes durch das Pulpagewebe. Ist dieses
lebend, so wird es durch den Strom gereizt, es kommt zu
Empfindungen, Schmerzäusserungen. Ist die Pulpa abgestorben,
so fehlen diese, der Zahn bleibt reaktionslos. Um sich jedoch
ein Urteil über den auszulösenden Effekt bilden zu können,
müssen verschiedene Einflüsse berücksichtigt werden Die Pulpa
ist von einem Gehäuse aus verschieden festen Substanzen ein¬
geschlossen. Dieses setzt dem Eindringen des Stromes einen
Widerstand entgegen, der erst überwunden werden muss. Je
dicker und fester nun das Gehäuse ist, desto grösser der
Widerstand. Wir finden demnach die Pulpa der starken,
massiven Mahlzähne gegen den elektrischen Strom besser ge¬
schützt als die zarteren Vorderzähne, d. h. es ist zur Auslösung
einer Reaktion eine grössere Stromintensität notwendig. Aber
nicht nur die Dicke der Hülle ist als Widerstand massgebend,
sondern auch die Stärke ihrer einzelnen Schichten. Schmelz
leistet grösseren Widerstand als Dentin und Zement und es
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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 197
wird naturgemäss ein Zahn mit stärkerer Schmelzkappe eine
grössere Stromstärke benötigen und umgekehrt, ein seines
Schmelzes, sei es angeboren oder erworben, beraubter Zahn
geringere Intensität. Ich habe versucht, den Widerstand der
Zahnsubstanzen zu bestimmen, bin jedoch vorläufig zu keinem
abschliessenden Resultat gekommen, um hier Zahlen anführen
za können. Nur soviel sei hier erwähnt, dass Dentin und
Zement ungefähr denselben Widerstand bieten, beide aber
vom Schmelz darin bedeutend übertroffen werden. Feuchte
Gewebe leiten besser als trockene. Ein stärkerer organischer
Feuchtigkeitsgehalt der Zahngewebe wird daher auch von
Einfluss sein. Jugendliche Personen haben verhältnismässig
grosse Pulpakammern, weite Wurzelkanäle und weite Dentin¬
kanälchen. Im Laufe der Jahre werden die Wurzelkanäle durch
Apposition von sekundärem Deniin verengert, damit der Quer¬
schnitt der Hülle vergrössert. Ebenso wird das Dentin durch
fortwährende Ablagerung von Kalksalzen dichter, widerstands¬
fähiger, im höheren Alter durch teilweise Verödung der Zahn¬
beinkanälchen an organischer Substanz ärmer.
Sehr in Betracht kommt auch die allgemeine Sensibilität,
welche die variabelsten Resultate bedingt. So bekommt man
an verschiedenen Personen, gleichen Geschlechtes und Alters,
mit annähernd gleich grossen und normal gebauten Zähnen,
an denselben Zähnen verschiedene Reaktionen Einer empfindet
den Strom bereits bei 1 Cm. Rollenabstand als Schmerz, der
andere erst bei 4 bis 5 Cm. Rollenabstand als unangenehme
Empfindung. Bemerkenswert wäre auch noch folgendes. Unter¬
sucht man einen Zahn, so findet man hie und da eine Reaktion
erst bei einer ziemlich hohen Stromintensität. Wiederholt man
die Applikation des Stromes, so tritt die Reaktion bedeutend
früher ein. Es scheint, dass in diesen Fällen das Empfinden
für die Elektrizität erst geweckt werden muss.
Infolge aller dieser das Untersuchungsergebnis beein¬
flussenden Momente müssen wir darauf verzichten, die ganze
Untersuchungsmethode in feste Regeln, das wäre eine graduierte
Abstufung der notwendigen Stromintensität, einkleiden zu
wollen. Dies gilt sowohl für die gesunde als erst recht für
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198
Dr. Othiuar v. Au der Lau, Wien.
die erkrankte Pulpa Nur ganz allgemein lässt sich bei physio¬
logischem Zustand der Pulpa sagen: Die Mahlzähne und in
gleicher Linie die Eckzähne benötigen zur Auslösung einer
Empfindung den stärksten Strom, ungefähr 6 bis 10 Cm. Rollen¬
abstand; die mittleren oberen Schneidezähne etwas weniger als
die Backenzähne, 3 bis 5; die seitlichen Schneidezähne 2 bis 4;
die Zähne des Unterkiefers sind um ein geringes sensibler
als die des Oberkiefers. Wie schon betont, sind diese Angaben
nur als Durchschnittszahlen aufzufassen. Ausnahmen bilden
beinahe die Regel. Ein Ausbleiben der Reaktion bei dieser
Fig. 1.
Intensität als Tod, respektive pathologische Veränderung der
Pulpa zu deuten, ist entschieden zu verwerfen.
Zur Untersuchung benütze ich einen kleinen, in Fig. 1 abge¬
bildeten Induktionsapparat. Den primären Strom von 110 Volt
Spannung liefert der Anschluss an die Lichtleitung. Als Wider¬
stand ist eine Glühlampe von 16 Kerzen eingeschaltet. Die Zahn¬
stange, auf welcher die Sekundärspule verschieblich ist, trägt
eine rein empirische Einteilung von 0 bis 10. Das ist der Rollen¬
abstand in Zentimeter ausgedrückt. Während jedoch auf allen
Induktionsapparaten diese Einteilung von links nach rechts
lauft, ist sie hier umgekehrt von rechts nach links, also gleich¬
laufend mit der Sekundärspule, so dass der Rollenabstand 0 den
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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 199
schwächsten, jener von 10 den stärksten Strom anzeigt, was
den Vorteil der bequemeren Ablesung schafft.
Als eine wesentliche Verbesserung der bisherigen Elek¬
troden, und damit der ganzen Untersuchungsmethode, müssen
die Elektroden nach Wunschheim (Fig. 2a) betrachtet werden;
Bei den von Hafner verwendeten Elektroden durchläuft der
Strom die Längsachse des Zahnes. Ich halte diese Methode
nicht für so gut, da es z. B. bei feuchter Gangrän, wo der
ganze Wurzelkanal mit flüssigen Massen, also vorzüglichem
Leiter, erfüllt ist, leicht zu Reizungen am Apex kommen kann
und damit auch Täuschungen unterlaufen können. Eine
weitere, äusserst lästige Unbequemlichkeit ist die dabei unbe-
Fig. 2 a. Fig. 2 b.
dingt notwendige Isolierung durch Kofferdam. Beides entfällt
bei den Wunschheimschen Elektroden. Es sind dies zwei
gleichartig geformte, vorne halbkreisförmig abgebogene, von
Hartkautschuk bis auf die ungefähr stecknadelkopfgrossen Spitzen
umschlossene Metalldrähte (Fig. 2 a). Beide Elektroden werden
auf den Zahn gesetzt. Der Strom ist am Zahne lokali¬
siert und durchfliesst denselben in querer Rich¬
tung. Eine Ablenkung, wenn nicht gerade das Zahnfleisch
mit den Metallspitzen berührt wird oder grössere Speichel¬
mengen die Verbindung damit herstellen, ist ausgeschlossen.
Die zeitraubende Isolierung durch Kofferdam kann ganz ruhig
beiseite gelassen werden. Wenn ich früher erwähnte, dass ein
Längsstrom sehr leicht Reizungen am Apex und dadurch
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200
Dr. Otbmftr v. Au der Lan, Wien.
falsche Diagnose veranlassen kann, so kann bei dem quer
durchgeleiteten Strom der Einwand erhoben werden, dass
leicht lebendes Gewebe an der Wurzelspitze zu übersehen ist.
Ich leugne nicht diese Möglichkeit, im Gegenteil, bin selbst
davon überzeugt. Dieser Umstand hat aber nicht die geringste
praktische Bedeutung. Kommt wirklich in der Tiefe lebendes
Pulpagewebe nicht zur Diagnose, so wird dies alsbald bei der
ohnehin notwendigen Wurzelbehandlung einem kund. Jeden¬
falls ist dabei eine Infektion über das Foramen apicale hinaus
noch nicht eingetreten. In den vielen untersuchten Fällen hat
sich übrigens bei vollständige^ Reaktionslosigkeit stets eine
total abgestorbene Pulpa ergeben.
Die Wunschheimschen Elektroden, die sich so aus¬
gezeichnet bewährten, hatten einen kleinen Fehler. Ich konnte
leider oft genug die Erfahrung machen, dass ich, sowohl durch
eigene Unachtsamkeit, wie hauptsächlich durch die Unruhe
der Patienten, die eine oder andere Elektrode mit dem Zahn¬
fleisch in Berührung brachte, was sofortige Ablenkung des
Stromes und ziemliche Schmerzauslösung bewirkte, so zwar,
dass es öfters Mühe kostete, die Patienten wieder soweit zu
beruhigen, bis eine richtige Angabe erwartet werden konnte.
Aus demselben Grunde war ich stets gehindert, höhere Partien
— Collum — eventuell oberen Teil der Wurzeln zu unter¬
suchen. Die Berührung mit der Gingiva war unvermeidlich.
Um dies zu ermöglichen, Hess ich an einer der Wunschheim¬
schen Elektroden das Ende des umhüllenden Hartkautschuks
breiter und mit einem seitlichen Ansatz, ähnlich einem Fuss-
stopfer, anfertigen (Fig. 26). Die Metallkuppe ragt an der Fuss-
fläche nur um ein geringes vor und ist allseitig vom isolierenden
Kautschuk umgeben. Der seitliche Ansatz dient hauptsächlich
dazu, bei Untersuchungen am Zahnhalse sich zwischen Wurzel
und Gingiva einzuschieben und letztere womöglich abzudrängen.
Dadurch sind zwei wichtige Vorteile gegeben: Erstens ist das
Zahnfleisch tadellos geschützt, zweitens ist man in der Lage,
höhere Partien zur Untersuchung zu bringen.
Der Vorgang bei der Untersuchung selbst gestaltet sich
höchst einfach. Es genügt vollkommen, den zu untersuchenden
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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 201
Zahn von allzu starken Speichelmengen zu befreien. Die An¬
legung des Kofferdam ist vollständig überflüssig. Ich wische
den Zahn nur mit trockener Watte ab. Hierauf gebe ich eine
Elektrode, und zwar die mit dem seitlichen Ansatz, möglichst
nahe dem Zahnhalse, die zweite ungefähr vis-ä-vis und lasse
nun den Strom von der geringsten Intensität durchströmen. Er¬
halte ich keine Reaktion, so laste ich bei ruhiger Lage der ersten
Elektrode' mit der anderen den Zahn nach allen Richtungen
ab. Ich mache dies deshalb, weil der Querschnitt, speziell der
des Schmelzes, nicht überall der nämliche ist. So erhält man
z. ß bei einem oberen mittleren Schneidezahn, die erste Elek¬
trode labial am oberen Drittel der Kronenhöhe, die zweite
lingual am Tuberculum aufgesetzt, keine Reaktion. Führt man
nun letztere allmählich gegen die Schneidekante, wohin sich
das Dentin tiefer hinein erstreckt, respektive die Schmelz¬
schichte verjüngt, so erhält man bei gleicher Stromstärke
Empfindung. Habe ich nach dieser Abtastung noch keine Re¬
aktion hervorgerufen, so lasse ich bei steter Wiederholung
desselben Manövers den Strom langsam anschwellen, bis ich
eben eine solche auslöse. Zur Beurteilung und Verwertung des
gewonnenen Resultates ist neben dieser Untersuchung noch
die des Vergleichszahnes notwendig. Da, wie schon betont,
gar viele Momente den Widerstand gegen den elektrischen
Strom vermehren, respektive vermindern und dabei der ge¬
nauen Bestimmung entrückt sind, so sind wir eben darauf
angewiesen, den ausgelösten Effekt an einem, voraussichtlich
mit denselben Widerständen etc. ausgestatteten Zahn zu prüfen.
Erst bei einer sich dabei ergebenden Differenz sind wir er¬
mächtigt, auf eine abnorme Veränderung des untersuchten
Zahnes zu schliessen. Selbstverständlich müssen für beide
Zähne die gleichen Untersuchungsbedingungen geschaffen
werden. Als Vergleichszahn dient am besten der korrespon¬
dierende, bei Mangel desselben der Antagonist. Zur Dia¬
gnostizierung einer toten Pulpa lasse ich stets den Strom auf
seine grösste Intensität steigern. Bei Mahl- und Eckzähnen,
besonders älterer Leute, befeuchte ich überdies die Elektroden
mit physiologischer Kochsalzlösung, um einen recht guten
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‘202
Dr. Othmar v. Au der Lau, Wien.
Kontakt zwischen Zahn und Elektrode herzustellen. Ferner
trachte ich, die eine Elektrode so hoch als möglich anzusetzen.
Bleibt trotz alledem der Zahn empfindungslos, so kann ich
mit absoluter Sicherheit die Diagnose stellen. Sehr oft haben
wir es mit gefüllten Zähnen zu tun. Ist der Zahn Träger einer
Metallfüllung, so muss vor allem nachgesehen werden, ob diese
Füllung mit dem Zahnfleisch in Berührung steht. Ist dieses der
Fall, muss es vermieden werden, eine Elektrode auf die Metall¬
füllung aufzusetzen, da eine Ablenkung des Stromes sofort
einzutreten pflegt. Ist die Metallfüllung gegen die Gingiva durch
Zahnsubstanz getrennt, gleichsam isoliert, so hängt die Be¬
nützung derselben von der zu erwartenden Diagnose ab. Ist
Verdacht auf abgestorbene Pulpa, so ist die Füllung ja nur
ein Erleichterungsmittel, indem das Metall als ausgezeichneter
Leiter eine eventuelle Reaktion nur rascher auslösen würde.
Für alle anderen Diagnosen, zu denen ein Vergleich mit dem
Kontrollzahn absolut erforderlich, ist die Benützung einer Füllung
— auch Zement oder Porzellan — nicht zulässig, da die Wider¬
stände nicht dieselben sind, wie die der Zahnsubstanzen. Auf
die pathologischen Verhältnisse übergehend, möchte ich die
einzelnen Erkrankungen der Pulpa, für welche die Untersuchung
mit dem elektrischen Strome Vorteile bietet, der Reihe nach
durchbesprechen.
Von den fünf Kardinalsymptomen der Entzündung ist
zur Diagnose „Pulpitis“ einzig und allein der Dolor verwertbar.
Schmerz, oder sagen wir besser die Grösse des Schmerzes, ist
für uns ein rein subjektiver Begriff, abhängig von der all¬
gemeinen Sensibilität, der moralischen Ueberwindungskraft und
Selbsterziehung. Insoferne wir nun nach den Angaben der
Patienten unser Urteil fällen müssen, sind wir stets in eine
etwas prekäre Lage versetzt. Der praktisch erfahrene Zahnarzt
wird zu diesen Schmerzangaben wohl stets Nebenumstände, wie
Ausbreitung des kariösen Prozesses, Aussehen der Kavität etc.,
in Erwägung ziehen. Vollständig behoben wird die Unverläss¬
lichkeit jedoch nicht. Da wir uns einmal mit den uns bis jetzt zu
Gebote stehenden Mitteln auf kein anderes Symptom stützen
können, müssen wir eben mit diesem Dolor vorlieb nehmen.
Digitized by v^ooQte
Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 203
Aber wir dürfen diesen Schmerz nicht als einen starren Begriff
deuten, nicht von der Anschauung ausgehen, dass ein halb¬
stündiger Schmerz eine Pulpitis partialis, der ausgelöste Schmerz
bei Sondierung womöglich eine totale Entzündung anzeigt,
sondern wir müssen den Schmerz als das nehmen, was er ist:
eine individuelle Empfindungsäusserung, d. h. wir müssen eben
auch individualisieren. Und das ist möglich
1. durch genau abzustufende, leicht applizier bare Reize;
2. durch genau kontrollierbare Reize;
3. durch Vergleich mit analogen, aber gesunden Ver¬
hältnissen.
Walkhoff ist den ersten Bedingungen durch seine
Applikätion von verschieden temperiertem Wasser ziemlich nahe
gekommen. Die Unbequemlichkeit in der Anwendung und das
Fehlen des dritten Momentes dürfte wohl das Hindernis einer
weiteren Verbreitung seiner Methode sein. Mit dem elektrischen
Strome haben wir ein ideales Mittel in die Hand bekommen,
sämtliche Bedingungen leicht erfüllen zu können.
Wir können den Strom von der geringsten, nicht mehr
wahrnehmbaren bis zur grössten Schmerz auslösenden Intensität
langsam anschwellen lassen. Die Anwendungsweise ist eine
höchst einfache, die Kontrolle durch einen Blick auf die Skala
stets gegeben. Täuschungen durch falsche Angaben der Pa¬
tienten lassen sich umgehen, indem bei eingeschaltetem Strome
derselbe einfach nicht geschlossen wird; der Zahn wird nur
mit den isolierenden Kautschukpartien berührt.
Untersuchen wir einen pulpitischen Zahn, so finden
wir infolge der erhöhten Reizbarkeit des entzündeten Gewebes
eine leichter auslösbare Reaktion. Die erhaltene Reaktion muss
mit jener eines oder mehrerer gesunder Zähne, am besten des
korrespondierenden, in Vergleich gezogen werden. Da wir es nun
bei Pulpitis fast immer mit nicht mehr vollkommen intakten
Zähnen, d. h. allseits mit Schmelz- und normal dicken Dentin¬
schichten umschlossenen Pulpen zu tun haben, da ferner in¬
folge des Zersetzungsprozesses die physiologische Zusammen¬
setzung der Zahnsubstanzen und damit auch die Leitungs¬
fähigkeit für den elektrischen Strom eine veränderte ist,
Die • by v^ooQle
204
Dr. Othmar v. An der Lan, Wieu.*
anderseits die Diagnose nur durch Vergleich mit dem Kontroll-
zahn möglich ist, ist es wohl auch leicht einzusehen, dass als
erste Grundbedingung die Schaffung analoger Untersuchungs¬
verhältnisse notwendig ist. Es ist nicht zulässig, einfach beide
Elektroden irgendwo am Zahne aufzusetzen — womöglich eine
Elektrode gar in die Kavität — und das so gewonnene Resultat
mit dem Kontrollzahn in Vergleich zu ziehen. Selbstverständlich
wird man auf diese Weise infolge des geringeren Widerstandes
eine rascher auftretende Irritabilität vorfinden, auch bei ge¬
sunden Pulpen. Man muss daher einen Durchmesser zur Unter¬
suchung bringen, der jenem des Kontrollzahnes identisch ist,
der, kurz gesagt, dieselben Widerstände bietet. Haben wir
nun einen oder mehrere gleiche Querschnitte untersucht und
verglichen, hat sich dabei für den Untersuchungszahn eine er¬
höhte Reizbarkeit ergeben, so können wir mit grosser Bestimmt^
heit eine Pulpitis diagnostizieren.
Wahrend bei einer gesunden Pulpa der ausgelöste Effekt
sich meistens zuerst in einer unangenehm kribbelnden Em¬
pfindung kundgibt, die erst bei weiterer Steigerung der In¬
tensität in Schmerz übergeht, um nach Abstellen des Stromes
auch wieder sofort zu verschwinden, tritt bei entzündeter Pulpa
sofortiger und anhaltender Schmelz auf. Dieser anhaltende
Schmerz muss bei einer etwaigen Wiederholung der Applika¬
tion natürlich wieder verklungen sein. Je rascher nun die Re¬
aktion eintritt, je intensiver und anhaltender die Schmerz¬
empfindung ist, desto vorgeschrittener die Entzündung. Wir
haben zur Diagnosenstellung eine Schmerzäusserung vor uns,
die einer gewissen Beurteilung unterliegt, insoferne wir einerseits
die Grösse der ursächlichen Quelle, d. i. die Stromintensität,
genau kennen, anderseits durch den Kontrollzahn die indivi¬
duelle Veranlagung berücksichtigen. Die Differenz in der
Stromintensität, der anhaltende Schmerz und in letzter
Linie die Intensität desselben sind für die Diagnose mass¬
gebend. Eine Spezialisierung der mannigfachen Entzündungs¬
formen, wie sie die meisten Lehrbücher aufweisen, ist natür¬
lich nicht möglich und praktisch auch so ziemlich belanglos.
Ergibt sich eine leichtere Irritabilität der Pulpa bis zu l l /. 4 Gm.
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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 805
geringeren Rollenabstand und ist dabei der Schmerz nicht
lange andauernd» höchstens .eine halbe Minute, so können wir
die konservative Behandlung einschlagen. Grössere Differenzen
und länger anhaltender Schmerz schliesst selbe aus. Selbst-*
verständlich werden wir auf die bisherigen Anhaltspunkte nicht
verzichten, sondern diese stets in Einklang mit dem erhaltenen
Resultat zu bringen suchen. Unfehlbar ist ja diese Untersuchung
auch nicht und doppelt hält besser.
Die Pulpitis ulcerosa partialis gibt sich durch .ver¬
minderte Reizbarkeit zu erkennen. Es ist, entsprechend der Aus¬
dehnung des Prozesses, eine grössere Stromintensität not¬
wendig. So finden wir bei zerfallener Kronenpulpa und Dprch-
leitung des Stromes in Kronenhöhe den Zahn empfindungslos.
Erst bei Aufsetzen einer Elektrode am Hals, respektive, oberen
Wurzelpartien, erregen wir Empfindung.
Den ausgezeichneten Dienst, den uns diese Methode ge¬
währt, lernen wir wohl am besten an Zähnen mit abge¬
storbener P u lp.a. kennen. Wenn wir bedenken, wie vielfach
die Folgeerkrankungen abgestorbener Pulpen sind, und wie be¬
deutungsvoll eine richtige Diagnose ist, so können wir die ab¬
solut sichere und rasch durchführbare Erkenntnis derselben nicht
hoch genug einschätzen.. Von jeher wurde auf alle möglichen
Kennzeichen der toten Pulpa das grösste Gewicht gelegt .und
diese im Laufe der Jahre zu einem schönen Symptomenkomplex
vereinigt, Es ist nicht Aufgabe dieser Zeilen, näher darauf ein¬
zugehen. Jeder Praktiker wird aber wissen, dass es sehr oft,
auch bei Anwesenheit gut ausgeprägter Kennzeichen, grosse
Schwierigkeit bietet, eine absolut verlässliche Diagnose zu
stellen. Und wie viele Pericementiden und Fistelbildungen gibt
es, wo die Anhaltspunkte sich auf ein Minimum reduzieren, ja
selbst gapz fehlen können. Nur eine Untersuchungsart möchte
ich hier kurz erwähnen, weil sie im Prinzipe auf der gleichen
Basis bei uht, wie .die mit dem elektrischen Strome, und viel¬
fach das schliessliche Um und Auf der Diagnose auf Tod der
Pulpa bildet: nämlich die Probe auf kalt oder warm. Gewiss
wird man damit oft zum Ziele kommen, aber beinahe ebenso
oft im Stiche gelassen. Ich habe in letzterer Zeit öfters solche
5
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906
Dr. Othm&r y. An der Lan, Wien.
Proben gemacht und gefunden, dass sie sehr unzuverlässlich sind.
So konnte ich öfters konstatieren, dass ganz bestimmt lebende
Zähne keine Temperatur-Reaktion gaben. Eine Erscheinung,
die teilweise, wie schon Miller in seinem Lehrbuche angibt,
fortwährend im Leben gemacht werden kann. Viele können
z. B. Gefrorenes mit aller Gemütsruhe beissen. Anderseits erhält
man wieder bei bestimmt abgestorbenen Pulpen auf Wärme
eine Reaktion. Wärme wird bei toten Zähnen mit periöstaler
Erkrankung, die sonst latent sein kann, als Schmerz empfunden.
Jeder Irrtum ist. ausgeschlossen bei der Untersuchung
mit dem elektrischen Strome. Ist lebendes Gewebe Vorhanden,
so gibt sich das bei entsprechender Stromanwendung un¬
vermeidlich zu erkennen. Die blosse, von weniger sensibel Ver¬
anlagten vielleicht nicht angegebene Empfindlichkeit kann ja
durch Stromsteigerung zum Schmerz erhöht werden. Natürlich
muss für die Diagnose „abgestorbene Pulpa“ auch hier der
physiologische Bau des Zahnes und alle bereits oben erwähnten
Momente in Betracht gezogen werden. So können wir einen
Mahlzahn erst bei Reaktionslosigkeit gegen die Stromintensität
von 9 bis 10 Cm. Rollenabstand, untere Schneidezähne schon
bei 6 bis 7 Cm. Abstand als abgestorben ansehen. Ich lasse
übrigens, wie ebenfalls schon erwähnt, den Strom ad maximum
steigern. Von den vielen untersuchten Fällen möchte ich hier
einige besonders typische erwähnen.
Erster Fall: Fräulein H. L., 20 Jahre alt, wurde im Juni 1906
,in Behandlung genommen. Patientin gab an, schon seit längerer
Zeit an nicht besonders intensiven dumpfen Schmerzen an den
beiden oberen mittleren Schneidezähnen zu leiden. Die Inspektion
ergab: An den approximalen Flächen kleine, etwa 2 Jahre
alte Zementfüllungen, Füllungen noch tadellos; die beiden ijt
ansonsten von vollkommen normaler Farbe und Transparenz,
Klopf- und Druckversuche vollständig unempfindlich. Gingiva
gesund, Wurzelspitze nicht druckempfindlich, Gewebe dortselbst
nicht entzündet, Zahnstein nicht vorhanden, Trauma aus¬
geschlossen. Ich muss sagen, dass ich damals der Sache ganz
ratlos gegenüberstand und nur, ut aliquid fiat, Jodpinselung
machte. Da Patientin mehrere kleinere kariöse Stellen hatte,
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Die Anwendung, des elektrischen .Stromes Atu*.-Diagnose etc. 207
wurde • sie zur weiteren;Behandlung. zugSwtefeeh. In* Laufe des
Novembers kam der behan'delndfe; Arzt, i ein äusserst 1 füchtigfer
und gewissenhafter,schön viele.; Jahre” auf unserer Klinik' 1
arbeitender Heit, zu mirund bät mich,'üch möbhte doch die
Patientin :ansehen, . er . wisse , sich keinen Rat. Die Patientin'
klage; über fortwährende. :Schmerzen, für die er- keine Ursache
finden könne. . Aus Verlegenheit habe er schon; Öfters Jod-»
pinseJuhgen gemacht.; .Bei der Probe auf! kalt und warm gab»
Patientin, auf warm: Empfindung an.Ich fand dieselbe Patientin'
vor. Trotz der verflossenen 4 Monate nicht die geringste Ver-»»
Änderung, Nur die' Schmerzen gab Pätientin-als etwas inten-;
siyer an.. Ich untersuchte die Patientin mit dem faradischen
Strome. Die beiden ergaben abgestorbene Pulpa. Die
Trepanation bestätigte die Diagnose. Die Pulpa war in eine’
nicht besonders riechende Detritusmasse umgewandelt. Wurzel 1 - 1
behandlung, nach zweimaligen Einlagen Füllung. Schmerzen'
seitdem vollständig geschwunden. .
Einen zweiten Fall möchte ich erwähnen, weil er zeigt/
wie unsicher manchmal die Diagnose ist und wie selbst Er¬
fahrene sich täuschen können. •
v. H. R. suchte behufs Anfertigung eines Obturators-
(Uranoschisis) unsere Ambulanz auf. Untersuchung ergab: Zahn-)
reihe vollständig uhd sehr streng geschlossen. An eine Unter- 1
bringüng von Klammem nicht zu denken. Die Artikulation'
eine höchst ungünstige. 15 trägt eine grosse Amalgamfüllung 1
an der Kaufläche. Das Aussehen dieses Molaris ist typisch das 1
eines toten Zahnes, dunkelgrau verfärbt, ohne jegliche Trans- 1
parenz. Er steht in Artikulation. Der elektrische Strom war:
infolge Kurzschlusses gebrauchsunfähig. Auf- eine eventuelle 1
Wurzelbehandlung kann sich Patient nicht erinnern. Mein Chef,-
dem ich den Fall vorstellte, erklärte, hier müsse zur Platz¬
gewinnung extrahiert werden, und zwar rechterseits der ausser
Artikulation stehende 51, links ]6, der tot sei. Auf meine Mit- 1
teilung der Apparat wäre momentan, gebrauchsunfähig, meinte
der Herr Dozent: Nun, der Zahn ist sicher tot. Eine Vorherige :
Untersuchung mit der Probe auf kalt und warm war negativ.
Ich machte sofort, und nur aus Zufall die Extraktion- des 51 ;
6 *
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08
Di. Othrn&i v. An der Lan, Wien.
J6 wollte ich nächsten Tag: entfernen. Da unterdessen der Kurz¬
schluss behoben war« untersuchte ich interessehalber den |6 und
fand ihn zu meiner Ueberraschung. lebend; J6 blieb erhalten.
Dritter Fall: T. t R., 24 Jahre, wegen Fistelbildung in
unsere Behandlung getreten. Die Untersuchung ergab: ]§ schon
seit mehreren Jahren extrahiert. Kiefer daselbst glatt verheilt.
Patient gibt auf das bestimmteste an, dass der entfernte Zahn
vollständig war. Jf trägt eine grosse, die mesiale und einen
Teil der Kaufläche einnehmende Zementfüllung. Füllung stark
ausgewaschen, sekundäre Karies. Die Krone stark verfärbt,
ohne Transparenz, j? ebenfalls grosse distale Zementfüllung,
stark verfärbt, keine Transparenz. 1^ und |f sehen sich in
Farbenton und Transparenz vollkommen gleich. Perkussionsschall
des [2 vielleicht etwas heller. Gingiva über ]2 bis ]f etwas ge¬
rötet und ödematös; genau in der Mitte von J2 und Jf, ungefähr
'/« Cm. vom Bande entfernt, eine mit etwa linsengrossen
Wucherungen überdeckte Fistelöffnung. Auf Druck über den
Wurzelspitzen obgenannter Zähne keine Eiterentleerung. Bei
Sondierung der Fistelöffnung konnte ich nur 6 bis 7 Mm. Vor¬
dringen, die Richtung mehr gegen jf; Schmerzen, Wurzel-
fremitus oder sonstige Symptome, die einen Anhaltspunkt ge¬
geben, nicht vorhanden. Probe auf kalt und warm bei beiden
negativ. Wer .war der Schuldige? Zwei Umstände sprachen
wohl für den Backenzahn. Nämlich die allerdings fast kaum
unterscheidbare Verdunkelung des Perkussionsschalles und die
Richtung des Fistelganges. Aber beide Symptome waren so
unausgesprochen, dass zumindest die Sicherheit der Diagnose
geschwächt wurde. Der elektrische Strom stellte in 10 Sekunden
die Diagnose klar. J2 zeigte sich lebend, |f tot. Extraktion,
Fistel glatt vernarbt.
Von grossem Werte dürfte die Untersuchung mit dem
faradischen Strome bei Dentikelbildung werden. Wir stehen
heute dieser Krankheit fast vollständig ohnmächtig gegenüber,
insoweit es uns nur selten gelingt, eine genaue Diagnose zu
stellen und wir daher öfters in die Lage kommen, ganz un¬
schuldige Zähne zu mortifizieren. Ich habe gesagt: „dürfte
werden“, weil ich darüber zu wenig Erfahrung gewonnen. Aber
Digitized by v^ooQie
Die Auwendung dea elektrischst! Stromes znr Diagnose etc. 209
cs ist leicht begreiflich, dass .'der - Widerstand gegen den elek-
irischen Strom durch die Dentikelbildxmgen, soweit sie wenigstens
wandständig sind, wesentlich erhöht wird und dadurch schon
Sin pathologische Veränderung angezeigt wird. Ein weiteres
und viel Wichtigeres Moment ist ferner der* Umstand, ; dass
beim Durchsenden des Stromes von verschiedenen Richtungen
ebenfalls' Differenzen zustande kommen, da ja die Dentikel
doch; meistens die Pulpakammer nicht gleichmässig verkleinern,
sondern in verschieden gestaltigsten; Formen den Querschnitt,
id est die» Widerstandsfähigkeit des,Zahnes' vetgrössern, respek¬
tive horrtialbelassen. Ich : habe nur einen Fall 'zur Unter¬
suchungbekommen.'^ ^
Frl. M. L., 22 . Jahre, wurde wegen mehrerer kariöser
Zähne anfangs September vorigen Jahres::in Behandlung ge¬
nommen. . Nachdem bereits mehrere Füllungen gelegt worden,
kam: der betreffende Arzt zu mir, mit. dem Ersuchen, die Patientin
äAzuseheni: Patientin gab an, seit längerer Zeit im linken Ober¬
kiefer Schmerzen zu empfinden. Diese Schmerzen sind nieht
besonders stark, treten gewöhnlich am Morgen auf und sind bis
gegen Mittag anhaltend. ■ Weniger durch die Intensität, sind sie
.durch ihre Regelmässigkeit lästig. Die Inspektion ergab: Vor¬
handene Zähne am linken Oberkiefer |t 234 67 ; davon IJj* mit
frischen Ascherfüllungen versehen; |367 vollkommen intakt.
M. zeigt abgeslockte Karies, ohne jedwede Erweichungsstelle.
Krone etwas missgebildet; der Zahn steht ausserhalb der
Artikulation. Sollten die Schmerzen von den Zähnen ausgehen,
konnte nur 14 in Betracht kommen, dieser selbst gibt keine ab¬
norme Reaktion. Die Probe auf kalt und warm ergibt lebende
Pulpa. Ein. leiser Verdacht auf Verkalkungen verschwand
bei der Mitteilung, dass Patientin sich alsP eine äuSserst sen¬
sible, nervöse Person gezeigt hätte und ich schloss mich der
sehr bequemen und nichtssagenden Diagnose auf Hysterie an;
Patientin wurde mit Jod gepinselt. Ende November wurde ich
neuerdings zur selben Patientin gerufen. Schmerzen sind immer
gleich vorhanden. Im. Besitze des elektrischen Stromes nahm
ich nun eine genaue Untersuchung vor’; sämtliche Zähne er¬
gaben lebende Pulpa. Der |4 reagierte schon bei Aufseizen
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«210 Mi/ ";Dn:Othm«r v. An der Lan, Wietti-
dinier Elektrode auf dieKafufläche verhältnismässig sehr früh,
Rollenabstahd 2, was durch den: Schmelzdefekt natürlich war.
«Nur an einer . Stelle zeigte sich eine. Abnormität. Setzte - ich
■nämlich eine Elektrode aufdieWangenfläche und fuhr mit
der anderen Elektrode über idie Kaufläche, so konnte ich ganz
deutlich, dem buccalen, Horn. entsprechend, einen Bezirk ■; fest-
Stellen def unempfindlich blieb Und, bei. dem. ich die Intensität
^astnbfn .3 Cm. steigert! musste, um eine Reaktion auszulösen.
Liess ich den. Strom; bOfcoaWingual durchlaufen,, benötigte ich
die Stromstärke .von 7. Cm.,... während'.eine Elektrode an der
ImgUglen^Wähd fixiert,•; die ahdfere-)Von:. der: buccalen.Fläche
zur distalen geführt, eine Herabsetzung der Intensität auf
4 Cm. erlaubte« Mein ehemaliger Yerdächtauf.Deaüifcelbildung
tauchte wiederum; auf 1 und nahm festeire Formen anv. Ich be-
,$chloss< denjZahn zO Vdevitalisieren. Nach, einer, Arseneinlage
•eröffnete ich die Pulpakammer, Leider bin ich dabei zu rasch
vorgeganger) und habe mir dadurch das . genaue iBild zerstört.
Tatsächlich fand ich ein ungefähr stecknadelkopfgrosses, oblonges
Dentikel, das frei in der. Pulpäkammer lag. Jedenfalls wurde
-es beider Aufbohrung der Kammer.,aus seiner natürlichen
Lage : gebracht* Dpr Fall erforderte eine zweite. Arseneinlage.
Wurzelbehandlung/ Füllung: Die Schmerzen .seitdem. wie weg¬
geblasen, Da ich es hier mit einem missbildeten Zahne zu tun
hatte, sah-ich-iVon derb Vergleiche mit dem KontTollzahn ab.
^Betrachtet jUian das Resultat; der Untersuchung, -so kann
man, ohne besonderer Phantasie sieh schuldig, zu machen, das
Dentikel ganz gut im buccalen Horn gelegen sich, vorstellen.
Die distale Wand, ist, anatomisch gewiss schwächer, als die
buccale oder linguale. Diese Verkleinerung des Querschnittes,
die hauptsächlich auf dasKonto des Dentins geht, ist jeden¬
falls nicht so bedeutend,, dass die grosse. Differenz .in der In¬
tensität — fast 3 Cm. — dadurch erklärlich; wird. Es muss
das ja tatsächlich vorhanden gewesene Dentikel entschieden
derartig, gelagert gewesen sein, dass der buccal-linguale Quer¬
schnitt vergrössert wurde. Vergleichen, wie noch die Ergebnisse
der Untersuchungen von der KaufläChe aus, die — soweit
äusserlich zu beobachten war —r so ziemlich gleichmässig
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Die Anwendung des elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 211
defekt war, so können wjr als höchst wahrscheinlich annehmen,
dass das Dentikel der buccalen Wand, respektive dem buccalen
Horn angehört hat.
Zwei Momente sind aus diesem Falle fQr die Diagnose
auf Dentikel zu entnehmen. Erstens wird durch Dentikelbildung
der Widerstand erhöht; zweitens, die Erhöhung des Wider¬
standes erstreckt sich, sofeme wir es nicht mit vollständiger
Verkalkung der Pulpa zu tun haben,' nur auf bestimmte Quer¬
schnitte, welche ihrerseits wieder anatomisch diese Erhöhung
nicht rechtfertigen.. Da wir den physiologischen Bau der Zähne,
d. h.: Schmelz-, Dentindicke, Feuchtigkeitsgehalt etc., genau, zu
bestimmen nicht in der Lage sind, ist die Kontrolle am Ver¬
gleichszahn unbedingt notwendig.
Wenn auch die Diagnose auf Dentikel. mit; dieser Me¬
thode noch auf recht grosse Schwierigkeiten stossen dürfte, so
habe ich doch die feste Ueberzeugung, dass der elektrische
Strom einen guten diagnostischen Behelf bilden, wird. Die Er¬
fahrung wird wohl Aufklärung bringen.
Zum Schlüsse möchte ich noch kurz erwähnen, dass
Kollegen, die in ihrer Praxis öfters den Versuch der Pulpa-
uberkappung machen, stets Gelegenheit haben, den Zustand
der Pulpa zu kontrollieren. Hafner berichtet, dass es ihm
besondere Freude bereitet hat, nach solchen Versuchen den
Erfolg zu beobachten.
Anschliessend an meinen Vortrag demonstrierte Dr. Müller
(Wien) einen kleinen, sehr handlichen, transportablen Induk¬
tionsapparat. Den primären Strom liefert ein Chromsäure-
Element. Müller lässt gleichfalls den Strom quer durch den
Zahn laufen und benützt als Elektroden zwei Metalldrähte, die
in Form einer Pinzette gefasst sind. Zur Isolation werden diese
mit GjummischläUchen überzogen..
Die Verwendung des elektrischen Stromes für die Diagnose
verschiedener Pulpaerkrankungen bietet für den in der Praxis
stehenden Zahnarzt so viele Vorteile, dass wohl keiner vor dem
Versuche damit zurückschrecken sollte. Aeltere und erfahrene
Praktiker- dürften ja eine seltenere Verwendung dafür haben.
Aber in den wenigen Fällen. wird der Induktionsapparat voll
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218
Dr. üthmar v. An der Lan, tVie». - 5 -
zu Ehren kommen und viel Zeit und Aerger ersparen, Ich selbst
möchte meinen Apparat unter keinen Umständen-mehr ent¬
behren. • • -• - '
Für die Anregung und gütige Unterstützung erlaube ich
mir hier meinem hochverehrten Chef, Doz: v. Wünschheim,
meinen besten Dank auszusprechen: • ' - :
Nachtrag.. r; •.
Unmittelbar vor Drucklegung dieser ' Zeilen erschienen in
der „Deütschen Monatsschrift für Zahnheilku-n’de # ,
Heft 3, zwei Artikel, die.;.sich ebenfalls mit - der-Untersuchung
durchr den elektrischen Strom befassen. ’ ’ .
Ueber den Nachweis dfes LehensZustarides
der Pulpa unversehrte aussehender Zähne’ durch
den elektrischen Strom von Hesse, Breslau.
Moderne diagnostische Methoden für die Er¬
krankungen der Pulpa und ihrer Ausgänge von
Frohmann. . -
Die Untersuchungen He ss es erstrecken sich hauptsäch¬
lich auf abgestorbene Pulpen bei äusseriich intakten Zähnen.
Nach Hesse, gibt es kein glänzenderes und einwandfreieres,
schnelleres und sicherer zum Ziele führendes Mittel, um bei
einem unversehrt aussehenden Gebiss, Zähne mit abgestorbenem
Zahnmark ausfindig zu machen, als die Untersuchung mittels
des elektrischen Stromes. Hesse benützt einen Schlitten-
Induklionsäpparat mit einem Chromsäure-Element von zirka
2 Volt. Zur Untersuchung wird der primäre Strom verwendet
der gleich wie bei Fuyt, Hafner, Schröder die Längs¬
achse des Zahnes durchläuft. Als Untersuchungselektrode: ge¬
braucht Hesse eine aus Ton geformte Spitze, die behufs
Isolierung auf ein von Holz umschlossenes Metallstück auf¬
gesetzt ist.
Frohmann tritt sehr energisch für den sekundären
Strom ein, der eine feinere Differenzierung zulasse, als die zu
grosse Abstände umfassende Einteilung des Eisenkernes beim
primären Strom. Die Stromschliessnng ist gleich wie bei Hesse
in der Längsachse des Zahnes. Frohmann bezeichnet, «nt-
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Die Anwendung des" elektrischen Stromes zur Diagnose etc. 213
sprechend dem Sprachgebrauch der Physiologie, den Punkt
(Stromstärke), bei welchem die Reaktion ausgelöst wird, äls
Reizschwelle des Zahnes, eine glücklich gewählte Bezeich¬
nung, die verdiente, allgemein eihgefuhrt zu werden, ln dem
elektrischen Strom ersieht Frohmänn ein ausserordentlich
sicheres: diagnostisches-Untersuchungsmittel. Ganz speziell dürfte
die bisher praktisch unmögliche Differenzierung der ver¬
schiedenen Pulpifisformen um ein wesentliches gebessert und
dadurch auch der masslosen Abätzung jeder irritierten und
entzündeten Pulpa ein Riegel vorgeschoben werden.
Literaturverzeichnis.
Fuyt: Ueber die Anwendung schwächerer Induktion «ströme zum Aufsuchen
gewisser Krankheiten der Pulpa. Deutsche Monatsschrift für Zahnheil¬
kunde, 1903, Heft 7.
Hafner-Schürt er: Diagnose von Pulpakrankheiten mittels Elektrizität,
Schweiz. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1902.
Schröder: Der Induktionsstrom als Diaguostikum in der zahnärztlichen
* Praxis. Korrespondenzhlätt für Zahnärzte* 1905, Heftig
He äse: Ueber den Nachweis des Lehenszustandes der Pulpa unversehrt
aussehender Zähne durch den elektrischen Strom. Deutsche Monatsschrift
für Zahnheilkunde, 1907, Heft 3.
Frohmänn:. Moderne diagnostische Methoden für die Erkrankungen der
Pulpa und ihrer Ausgänge. Ibidem.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Von Dr. Adolf Müller , Zahnarzt in Wien (früher Agram).
Als Fortsetzung meiner Arbeit über die Antiseptik und
Aseptik in der Stomatologie schildere ich nachfolgend einige
von mir geübte Modifikationen der Wurzelbehandlung. Ich
bespreche zuerst die Fälle,' wo man Wurzeln mit abgestorbener,
bereits gangränöser Pulpa zu behandeln hat. Solche Wurzel-
• Vortrag, gehalten im Verein österreichischer Zahnärzte am 7. No¬
vember 1906.
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Dr. AdolfMttUeiy Wien.
214
kanäle pflege ich hauptsächlich., mit.Thymol zu behandeln, um
eine vollkommene Sterilisation derselben zu 'bewerkstelligen.
Bevor ich die Details schildere,, will ich kurz die Entstehung
dieser Thymolbehandlung skizzieren:'
Als ich vpr zwölf Jahren an Rom an dem internationalen
Aerztekongress teilnahm, zeigte uns ein : Zahnarzt aus der
Schweiz, dessen Name, mir' entfallen ist, wie. er beL.bereits
sterilisierten Wurzeln die Dauerfüllung mit Thymol macht. Er
schmolz, das Thymol auf der.Bunsenflamme und Hess es in
die Wurzelkanäle hineinfliessen, so dass diese naich dem Starr*
werden des Thymols damit ganz ausgefüllt waren, worauf die
definitive Füllung der Krone-folgte. - -
Bekanntlich 1 schniilzt das Thymol schon bei -j- 50° und
die ganz hervorragenden ahtiseptischen Eigenschaften bei
relativer Ungiftigkeit in den für unsere Zwecke erforderlichen
Dosen, dann der Umstand, dass es die Schleimhaut nicht
verätzt und einen angenehmen Geruch hat, machen es ganz
besonders für die zahnärztliche Praxis geeignet. Diese Um¬
stände haben mich dazu »bewogen, dass ich sowohl nach
Devitalisatianen und Exstirpationen der Pülpa, als auch nach
vollendeter Vorbehandlung bei Pulpagangrän, die Wurzelkanäle
in der erwähnten Weifee : mit Thymol dauernd füllte.
Bald sah ich die Resultate, da Patienten nach der
Devitalisation und Exstirpation der Pulpa, welche bekanntlich
in manchen Fällen nur amputiert werden kann, wiederholt
nachträglich Schmerzen bekamen, die 'durch den Reiz, welchen
das Thymol auf die *m Wurzelkanal zurückgebliebenen Reste
der Pulpa ausübte, entstanden sind. Solche Reste der Pulpa
konnten bei Wurzelfüllungen mit anderen antiseptischen Mitteln
ohne Anstand in den Wurzelkanälen bleiben.
Ich musste nun die Füllung öffnen und noch eine Arsen¬
einlage machen, um die Schmerzen zu beheben.
Anders verhielten sich solche Zähne, welche eine gangränöse
Pulpa hatten und nach der damals allgemein geübten Vor¬
behandlung zuletzt mit Thymol aüsgefüllte Wurzeln erhielten.
Da waren die Resultate in der ersten Zeit sehr befriedigend,
aber nach Monaten oder Jahren kamen die Patienten mit
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Beitrag zuii antiseptiaclien Wurzelbehandlung.
215
periostitiseben Erscheinungen, welche mich veranlassten, die
Füllungen zu öfiEben und ich fand die Wurielkanäle leer, trotz¬
dem ich dieaeihenimitThymolgeföllt hatte; Ich sah^also, dass
das Thymol vprschwuüden rund .seine, antiseptische:Wirkung
darum nicht' mehr vorhanden i war. Der. niedere Schmelzpunkt
des Thymols' mgreht. den .Prozesä leicht erklärlich, da durch
den. Genuss ; warmer Speisen die Auflösung und Verdampfung
und auch, die Resorption und 1 Imbibition stattgefunden hat. Diese
Resultate brachten mich zur Ueberzeugung,: dass das Thymol
allein als Danerantiseptikum für Wurzelfüllungen nicht zu ver-
wenden ridtf' dass es. aber wohl, anderen: i-WurzelfÜllungs-
materialidm beigemengt!, deren, antiseptikche Kraft erhöhen kann,
ivas besondeihsbei Wurzelfüllungen nach der; Behandlung der
Pulpagangrän.von bedeutendem Wert: ist. Dieses Thema habe
ich bereits rar vier Jahren bei der Versammlung'deutscher
Naturforscher uhd Aerzte in Karlsbäd besprochen.
i .Nqni haben mich gerade diese Eigenschaften, des Thymols
veranlasst, i.dasselbe .zur Desinfektion der Wurzelkanüle mit
Pulpagangrärl !zu verwenden.' Besonders die Eigenschaft, dass
es keinen Aetzschorf erzeugt und darum die Gewebe durch¬
setzen,, fcanifci verleiht dejn Thymol den besonderen Wert für
unsere Zwecke,, Indern ich es dafür empfehle, will ich keines¬
wegs ; den Wort anderer unentbehrlicher Desinfektionsmittel,
die wir zu dem Zweck verwenden, herabsetzen, wie wir ja die
besten Resultate mit alle» Riesen Mitteln erzielen können. Ich
will.nur zu allen diesen Methoden noch einen Beitrag liefern.
[Ich beginne die Thymolbehandlimg in ^er Weise,, das$
ich : das Thymol in Substanz in die Wdrzetyanäle einführe,
und zwar .erst dann, wenn ich dieselben am Eingänge trichter¬
förmig mit Rosenbohrern erweitert und mit Schwefelsäure oder
Aqua regia, sowie mechanisch möglichst rein gemacht habe.
In den Wurzeleingang führe ich. das Thymol in der
Weise ein, dass icli mit der Pinzette, auf deren Spitzen ich
etwas von der Jodoformwurzelfüllung, von welcher ich später
sprechen werde, genommen habö, ein bis Reiskorngrosses Stück
Thymol fasse (es klebt nämlich auf det Pasta) und dieses in
die Wurzeleingänge hineinstopfe, indem ich ein Baumwoll-
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216
Dr. ÄÄttlfi lBllter, Wien. ; : ■ •
bäuschcben dazu nehme, welches zugleich den Verschluss der
Kavität bildet. Mit einem zweiten' BaumwoIIbüuschchen ver-
schliesse ich die Kavität noch besser und belasse das Thymol
ein bis zwei Tage, darin. Die nächste Einlage, welche am
SWeiteft oder dritten Tage gemacht wird, mache ich wieder,
indem ich vodier. mit Schwefelsäure, Aqua regia oder: Schreiers
Kalium-Natfium.vorhehandle, und zwar wird - jetzt das Thymol
mit einem: fedtondeii: Amalgamträger in die .■ Wurzelkanäle
hiö.'öjjfepresstäiddeSnauf der/Spiritusflämme flüssig gemacht,
in untere ^ähne hioöißfeetropft oder in Stücken: eingeführt .und
mit:: än^r.Wtoiiett-öfi|opf^ gemacht oder in . die
Kanäle: yneingestopflii Um den federnden: Amalgamträger mit
Thymol fcu füllen,- benütze ich einen Thytnolbehälter aus Metall,
welcher acht kleine Näpfe von zirka 8 Mm. Durchmesser ühd
1$ Mm. Tiefe enthält und mit einen! Deckel versehen ist
Jedem Patienten wird das Thymdl aus' einem bestimmten Napf
mit einem vorher ausgekochten Amalgämträger eingetragen.
Natürlich;.wird auch der Thymolbebälter, nachdem alle Näpfe
benützt wurden, ausgekocht. Der Träger wird mit Thymolpulver
gefüllt, indem man ihn einigemal in den vollen Napf hineinstösst.
• Nun verschliesse ich die Kavität mit einem Baumwoll-
bäuschchen und mit Wachs, welches ich mit einem löffel-
förmigen Spatel eingiesse oder bei oberen' Zähnen mit dem
gewöhnlichen Spatel eindrüeke.
■ Die Einlagen wiederhole ich nach Bedarf, bis die Wurzel¬
sonde keinen putriden Geruch mehr aufweist, was bei gewöhn¬
lichen, dicht komplizierten Fällen- nach wenigen Einlagen
der PaH ist. Besonders rasch und bequem ist die Desinfektion
der Wurzeln, die man zur Aufnahme von Stiftzähnen oder
Brücken vorbereitet.
Wenn die Wurzelkanäle zur Aufnahme , der definitiven
Wurzelfüllung vorbereitet sind, pflege ich diese mit einer Pasta
äüszufullen, welche folgendermassen zusammengesetzt ist:
- : Mp^ Jbdpfqrmii 25*0
; Zinci oxydat. 100-0
- ' . I Gfyceririi puri quant sat ut flat pasfa.
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Beitragsor antiseptischen WartelbehandlnDg. - • 2if
Statt des Jodoforms kann man Xeroform nehmen, tim
eine geruchlose Pasta zu erhalten.
Die wasserentziehende Kräft des Glyzerins, die adstrin¬
gierende Eigenschaft des Zinköxyds und die antiseptische Eigen¬
schaft des Jodoforms und Xeroforms entfaltet in dep Wurzel¬
kanälen eine sehr günstige Wirkung.
Diese Pasta wird in eine Schraubenspritze (Tropfspritze
nach Guyon), die zirka 6 Cm. lang ist und den Durchmesser
von zirka 1 Cm. hat, mit einem Spatel eingetragen. Ich ver¬
wende auch die Scheuerschen Wurzelfüllungspasten in Tuben,'
aus welchen man sehr gut die Pasta in die Schraubenspritze
direkt einpressen kann. In der Schraubenspritze, welche an
ihrer Mündung verschlossen werden kann, wird die Pasta auf¬
bewahrt und unmittelbar vor dem Gebrauche nach Bedarf in
eine kleine Injektionsspritze gepresst. Bei der einmaligen Um¬
drehung der Schraube wird immer die gleiche Dosis der Pasta
in die kleine Spritze eingetrieben, somit ist die genaue
Dosierung ermöglicht. Die kleine Injektionsspritze ist eine
modifizierte sogenannte Zahnpistole von Böhm (Noffke). Diese
habe ich mit einem festen Knopf für den Daumen und einer
breiten Platte für den Zeige- und Mittelfinger versehen lassen,
damit man einen kräftigen Druck ausüben kann und damit
die Kanüle, aus welcher die Pasta heraustritt, den Instrumenten¬
tisch nicht berühren kann. Mit dieser kleinen Spritze wird die
Pasta in die Wurzelkanäle gepresst, die vollkommen ausgefüllt
werden, dann kommt eine Asbestkapsel als Abschluss des
Kronenpulparaumes, darüber eine Zementschichte und über
diese die definitive Füllung. Um die antiseptische Kraft der
Wurzelfüllung zu erhöhen, drücke ich beim Wurzeleingang in
die Pasta einen kleinen Thymolkristall, bevor die Asbestkapse)
aufgelegt wird. Die Asbestkapseln werden in einem Formalin-
Desinfektor, den ich zur Desinfektion der Papierpolierscheiben
konstruiert habe, desinfiziert, bevor sie gebraucht werden.
Um Fisteln zu heilen, verschliesse ich die Wurzel, nach¬
dem sie mit Thymol ausgefüllt wurde, mit Zement und dieser
Verschluss bleibt einige Tage unberührt, in welcher Zeit sich
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218 Dr. Adolf Müller, Wied. Beitrag zir aqtisaptisebtn Waudbehandluug.
gewöhnlich die Fistelmündungen vdrscbliessen und bsdä darauf
verheilen. . >
Bei Patienten, welche nicht in meiner, Nähp ymhnen und
darum nicht zur regelmässigen Behandlung kommen können,
reinige ich die Wurzelhöhle mechanisch und mit Schwefelsäure,
lege das Thymol, wie geschildert, in den Zahn, gebe dem
Patienten einige Thymolkristalle mit der Weisung, er möge
sich täglich morgens nach der' Peinigung seiner Zähne .ein
Thymolstückchen in die Zahnhöhle einführen und dieselbe
dann mit Baumwolle verschliessen, dann nach aeht oder zehn
Tagen zur definitiven Füllung zu mir kommen, was gewöhn¬
lich ohne Anstand möglich ist, nachdem die Wurzelkanäle ge¬
nügend desinfiziert erscheinen. 1
Ich möchte noch kurz solche Fälle erwähnen, wo die
Pulpa devitalisiert und entfernt wurde.
Angeregt durch die Demonstration von Dr. Trauner,
welcher die Wurzeln mit ParafflnstäbChen füllt, benütze ich
in vielen Fällen dieses Material, um die Wurzeln damit zu
füllen, ich füge dem Paraffin 30 Prozent Jodoform bei und
lasse davon Stäbchen anfertigen, die in die erwähnte modi¬
fizierte Böhmsche Spritze hineinpassen. Nachdem ich die
Spritze auf der Bunsenflamme leicht erwärmt habe, injiziere
ich die halb flüssige Jodoformparaffinmasse in die Wurzel¬
kanäle, wodurch dieselben vollkommen ausgefüllt werden, so
dass Nachblutungen oder Gasansammlungen in den Wurzel¬
kanälen sicher verhindert werden. Das Injektionsverfahren ist
in denjenigen Fällen kontraindiziert, wo die Wurzeln offen
in das Antrum Hyghmori hineinragen, weil jede Masse, die in
dasselbe eindringen würde, daselbst imangenehme "Wirkungen
hervorrufen könnte.
Ausser mit Paraffin pflege ich auch nach der Divitalisation
der Pulpa die Wurzeln mit der erwähnten Jodoform- oder
Xeroformpasta zu füllen, arbeite aber immer mit der Injektions¬
spritze, indem ich es vermeide, das Wurzelfüllnngsmaterial mit
den Fingern zu berühren, um das aseptische Verfahren möglichst
vollkommen durchzuführen.
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R D. Mc Bride, D.D. S., Dresden. Die Örthodontie etc.
219
* , Nachdruck nur mit Zustimmung des Verfassers gestattet. '
Die Orthotoie in ihrer praktischen Terwertann.
Von Hofrat B. D. Mc Bride, D. D. S. in Dresden.
Indem ich gerne der Aufforderung nachkomme, für die
i, Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde“ einen Artikel über
praktisch angewandte Örthodontie zu schreiben, liegt es mir
ferne, eine lange Abhandlung über dieses Thema zu publi¬
zieren, ich will vielmehr nur jene Kollegen, die mit diesem
Spezialfache unserer Wissenschaft, namentlich was dessen
grundlegende Prinzipien anlangt, weniger vertraut sind, mit
demselben näher bekannt machen. Da ich schon zwei Ab¬
handlungen über dieses Thema geschrieben habe, so komme
ich, wenn ich mit demselben, von anderer Seite beleuchtet,
jetzt wieder vor die Oeffentlichkeit trete, nur meinem lebhaften
Interesse für die Sache nach. Doch will ich heute, dem Ver¬
langen nach der Schilderung einer praktisch anwendbaren und
erzieherischen Methode nachgebend, diese Abhandlung mit der
Absicht schreiben, ein höheres Ideal in der Korrektion von
Stellungsanomalien zu erwecken.
Für die, welche an der Örthodontie ein Interesse haben,
ist es erfreulich, den gewaltigen Fortschritt, den diese Wissen¬
schaft in den letzten Jahren gemacht hat, zu konstatieren. In
dieser Beziehung hat sie mit den anderen Zweigen der Zahn¬
heilkunde gleichen Schritt gehalten. Bisher hatte sie nicht das
Anrecht auf den Namen Wissenschaft, da sie keine fixen
Normen hatte. Das einzige Augenmerk war auf die Ver¬
besserung der äusseren, sichtbaren Veränderungen der Zähne
gerichtet und war hierbei der normale Kontakt der korrespon¬
dierenden Kauflächen ganz ausser acht gelassen. So kam es
häufig vor, dass bei den Bemühungen, die eine Deformität zu
beseitigen, eine andere geschaffen wurde, nicht minder ent¬
stellend als die ursprüngliche. Jetzt aber ist unsere Disziplin
auf eine derart wissenschaftliche Basis gestellt, dass die Kor-
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220 R. D. Mc Bride, D. D. 8., Dresden.
rektion jeden Falles, der nicht durch Extraktion verstümmelt
wurde, so einfach und die Erfolge so sicher sind, wie ein
mathematisches Problem.
Die scheinbar schwersten und- kompliziertesten Fälle
können in überraschend kurzer Zeit durch plan- und fall-
gemässe Anwendung der die moderne Orthodontie charakteri¬
sierenden Methoden korrigiert werden. Für alle diese Methoden
ist die Grundbedingung: normale Okklusion aller Zähne und
normal geformte Zahnbogen. Alle bisher und selbst einige in
letzter Zeit erschienenen Werke über Orthodontie dienen eher
dazu, den Jünger in der Orthodontie zu verwirren, als ihn in
die richtige Bahn zu lenken, die Korrektion schlecht stehender
Zähne und die Umformung anormaler Zahnbögen durchzu¬
führen.
Die Literatur über Orthodontie 1 ist so zahlreich und so
leicht zugänglich, dass es nicht nötig ist, in diesem kurzen
Artikel von der mir gestellten Aufgabe abzuweichen. In einer
Abhandlung: „Moderne Entwicklung in der Orthodontie“, die
ich im Jahre 1905 der American Dental Society of Europe
vorlegte, erläuterte ich die Prinzipien der neuesten Errungen¬
schaften unserer Wissenschaft bis zu jenem Zeitpunkte. In
dieser Abhandlung besprach ich die Beziehungen der Orthodontie
zur Kunst, die Notwendigkeit der Forderung nach dem Vor¬
handensein aller Zähne, die normale Okklusion, die Diagnose
der Stellungsanomalien, die Wichtigkeit des ersten Molaren
und die mesio-distale Verschiebung der Zahnbogen. Für die¬
jenigen, denen die amerikanische Literatur über diesen Gegen¬
stand nicht zur Verfügung steht, will ich einige dieser wichtigsten
Prinzipien nochmals in Kürze besprechen. Ich - will später in
diesem Artikel nicht nur die praktische Anwendung dieser
Prinzipien vor Augen führen, sondern auch an der Hand einer
detaillierten Beschreibung die Behandlung einzelner Fälle die
neuesten Errungenschaften unserer Wissenschaft demonstrieren.
1 „Items of Interest“ publiziert die Abhandlungen der American Society
of Orthodontists.
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
221
Jedenfalls wird die strikte Forderung nach Erhaltung aller
Zähne zur Erzielung der bestmöglichen Harmonie der Okklusion
und des Gesichtsausdruckes bei jenen auf Widerstand stossen,
die die Extraktion fordern, um so, durch Platzgewinnung für
die anormal stehenden Zähne, regelmässigere Stellungen zu
erreichen. Ich fordere alle meine Kollegen, welche diesen Ideen
in der Behandlung von Stellungsanoipalien huldigen, auf, diesem
Artikel ihre volle Aufmerksamkeit und ihr ernstes Studium zu
widmen und ich gebe der sicheren Hoffnung Ausdruck, dass sich
dieselben veranlasst sehen werden, ihre Patienten in idealerer
Weise ihrer Kunst teilhaftig werden zu lassen. Ich finde kein Be¬
denken, es laut auszusprechen, dass eine derartige Verstümmelung
des Zahnapparates nicht streng genug verurteilt werden kann.
In unserem erleuchteten Zeitalter ist es kein geringerer Missgriff,
einen anormal stehenden Zahn zu extrahieren, wie aus einem
schön geformten Bogen einen Zahn zu entfernen.
Den grössten Schwierigkeiten in der Korrektion von
Stellungsanomalien begegnete ich in den Fällen, in denen zur
Erzielung eines schönen Resultates ein oder mehrere Zähne
gezogen wurden. Es verschafft mir gar keine Genugtuung,
wenn ich mir die Behandlung von Fällen in Erinnerung bringe,
bei denen ich zur Vornahme der Korrektion einzelne Zähne
opferte, alles jedoch zu einer Zeit vorgenommen, in der die
intermaxillaren Ligaturen noch unbekannt waren, welche uns
jetzt in den Stand setzen, die mesio-distale Disharmonie der
Zahnbögen ohne Beeinträchtigung der Schönheit derselben
auszugleichen, ohne Störung ihrer Symmetrie, ohne Herab¬
setzung der Gebrauchsfähigkeit und des richtigen Zusammen¬
schlusses der beiden Zahnbögen, ohne Beeinträchtigung des
Gleichgewichtes in der Harmonie des Gesichtes.
In dem eng begrenzten Gebiete des Mundes und seiner
nächsten Umgebung liegt die ganze Macht für ein ausdrucks¬
volles und schönes Gesicht. Die ästhetische Zeichnung dieses
ausdrucksfähigen Gebietes ist nicht zuletzt von den Zähnen
abhängig, und wird sich schliesslich jede Stellungsanomalie der
Zähne in mehr oder weniger hohem Grade in einer Beein¬
trächtigung des ganzen Gesichtsausdruckes kundtun. Für den
6
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222
ß. D. Mc Bride, D. D. 8., Dresden.
Orthodontisten sind die ästhetischen Beziehungen dieses aus¬
drucksvollen Gebietes ein wichtiger Faktor; bei sachgemässer
Anwendung der richtigen Prinzipien der Orthodontie kann er
durch seine Erfahrung und Geschicklichkeit gewisse Zuge der
Unvollkommenheit in einem Gesichte abschwächen und mildern,
ja dieselben zu harmonischer Schönheit bringen. Um den
höchsten künstlerischen Erfolg zu erreichen, muss er ein klares
Verständnis für die richtigen harmonischen Verhältnisse eines
Gesichtes in jedem gegebenen Typus mitbringen. Früher war
von den Orthodontisten als allgemein giltig angenommen,
dass das Vorbild für ein ideales Gesicht auf geometrisch genau
festgesetzten Linien beruhe; viele von ihnen nahmen sich den
Apollo Belvedere, das Meisterstück griechischer Kunst, zum
Vorbild. Doch die Erfahrung hat uns gelehrt, dass volle Har¬
monie des ausdrucksfähigen Gebietes des Gesichtes in jedem
gegebenen Falle nur dann erreicht werden kann, wenn alle
Zähne und jeder einzelne in seiner normalen Stellung vor¬
handen ist. Wenn wir dieses harmonische Verhältnis der
Zähne erreicht haben, so haben wir die Genugtuung, den
gestörten Ausdruck um den Mund in weiter unveränderlicher
Form in das richtige Verhältnis zu dem ganzen Gesicht ge¬
bracht zu haben.
Zuweilen fehlt scheinbar noch einige Zeit nach vollendeter
Korrektion das harmonische Gleichgewicht des ganzen Ge¬
sichtes. Dies muss man aber der zurückgebliebenen oder erst
allmählich erfolgenden Entwicklung des Alveolarfortsatzes zu¬
gute rechnen, welche durch die früher bestandene Stellungs¬
anomalie bedingt war; sind jedoch die normalen Verhältnisse
der Zähne einmal hergestellt, so vollendet die Natur bald die
Entwicklung des Alveolarfortsatzes und gibt so im Laufe der
Zeit dem Ausdrucke des Gesichtes das für diese Type charak¬
teristische richtige Gleichgewicht und die richtige Proportion.
Kenntnis der vollkommenen Harmonie des Gesichtes ist
ebenso wichtig, wie die genaue Kenntnis unseres Vorbildes
für eine tadellose Okklusion. Ohne den Versuch zu machen,
eine anatomische Beschreibung der Okklusion der Zähne zu
geben, will ich bloss bemerken, dass, wenn die Zähne in rich-
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
liger Okklusion sind, die zur Berührung kommenden Flächen
die grösstmögliche Kaufläche und den Zähnen eine gegenseitige
Stütze bieten. Jeder Zahnarzt sollte mit den Verhältnissen der
normalen Okklusion wohl vertraut sein. In keinem Falle sollte
ein Zahnarzt je denVersuch einer Korrektion unternehmen, ohne
sich vorher gründlich mit den Verhältnissen der normalen
Okklusion vertraut gemacht zu haben. Bevor er eine Unvoll¬
kommenheit richtig diagnostizieren kann, muss er lernen, was
Vollkommenheit ist. Nur der Mangel für die richtige Erkenntnis
der einer normalen Okklusion zugrunde liegenden Prinzipien
war in früheren Zeiten die Ursache für eine Konfusion der
Ideen, welche zur Erfindung und Konstruktion vielfacher und
komplizierter Apparate führte, welche nach Ansicht der Er¬
finder in jedem besonderen Falle den speziellen Erfordernissen
entsprechen sollten.
Diese falschen Ideen wurden kräftigst von den meisten
Zahnärzten propagiert und unterstützt, bis Angle seine Ein¬
teilung der Stellungsanomalien der Zähne gab. 1
Diese Einteilung brachte nicht nur eine gründlichere
Kenntnis der grundlegenden Prinzipien der Orthodontie mit
> Die Einteilung der Stellungsanomalien ist bier aus Rücksicht für
eiu leichteres Studium und raschereüebersicht nur in Kürze wiedergegeben.
Klasse I: Die Bogen sind in mesio-distaler Beziehung normal.
Klasse II: Der untere Bogen ist in seinem Verhältnis zum oberen distalwärts
vom Normalen verschoben.
Abteilung 1: Beideiseits distal; Vortreibung der oberen Schneide-
zähne; gewöhnlich Mundatmer.
Unterabteilung: Einseitig distal; Vortreibung der oberen Schneidezähne;
gewöhnlich Mundatmer.
Abteilung 2: Beiderseits distal; zurückgedrängte obere Schneide¬
zähne; Naseuatmer.
Unterabteilung: Einseitig distal; zurückgedrängte obere Schneidezähne;
N&senatmer.
Klasse III: Der untere Bogen ist in seinem Verhältnis zum oberen wesial-
wärts vom Normalen verschoben.
Abteilung: Beiderseits mesial.
Unterabteilung: Einseitig mesial.
(Angles „Malocclusion of the teeth“, pag. 44.)
6 *
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R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
sich, sondern vereinfachte auch die für die Vornahme von
Korrektionen notwendigen Apparate, da die Behandlung aller
zu den drei Klassen gehörigen Fälle in ihrer Ausübung die
gleiche ist.
Auf zwei Artikel möchte ich die Aufmerksamkeit meiner
Leser lenken, obzwar dieselben nicht in direktem Zusammen¬
hänge mit dem zu behandelnden Thema stehen, nämlich auf
den von Dr. J. B. Davenport (Paris), betitelt „Die mensch¬
lichen Zahnbogen“ im „Dental Cosmos“, 1887, und auf den
im „International Dental Journal“, 1892, erschienenen Artikel
„Die Artikulation der Zähne“.
In dieser Abhandlung fordert Dr. Davenport als Grund¬
prinzip für die Orthodontie richtige Okklusion und demon¬
striert die Linie derselben. Er schreibt: „Ich glaube, dass
richtige und vollkommene Artikulation der Zähne die einzig
wahre, physiologische Basis ist, die zu erreichen das Ziel aller
unserer Bestrebungen sein soll. Die am häufigsten vor¬
kommende Irregularität der Zähne bezieht sich auf deren
Kauflächen und trotzdem ist darauf in den über Stellungs¬
anomalien erschienenen Werken nur wenig Gewicht gelegt.
Je näher dem Vorbild der Vollkommenheit wir die Zähne
unserer Patienten bringen, desto grösser ist unser Verdienst
um sie, doch kann dies nicht blindlings geschehen, ohne die
Kenntnis dessen, was eigentlich richtige Artikulation ist.“ Er
bemerkt dann noch: „Schliesslich ist richtige Artikulation
der einzig verlässliche Retentionsapparat.“
Dies ist in der Tat die Hauptdoktrin der heute zu Recht
bestehenden Orthodontie. Das Hauptverdienst für die praktische
Anwendung und Verwertung derselben gebührt Dr. Angle,
der durch die 1900 erfolgte Publikation seines Buches: „Die
Behandlung der Stellungsanomalien der Zähne“, die Basis für
moderne Orthodontie gab. Dr. Angle hat sich die Ergründung
der Orthodontie zur Lebensaufgabe gestellt und wir alle, die
wir seinen Lehren jetzt folgen, sind ihm zu dauerndem Dank
verpflichtet.
Bei der Diagnose der Stellungsanomalien müssen wir
vor allem dem mesio-distalen Verhalten der Kiefer und der
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
226
Zahnbögen unsere Aufmerksamkeit schenken; es kommen ferner
die Linie der Okklusion, die Okklusionsflächen, der Gesichts¬
ausdruck und schliesslich die normale Form der Zahnbögen
in Betracht
Bei der Stellung der Diagnose müssen wir einen ver¬
lässlichen Anhaltspunkt haben und es wurden zu diesem Zwecke
die ersten Molaren gewählt, da sie als die zuerst durch¬
brechenden Backenzähne in der Folge den Grundstock der
Okklusion bilden. Das richtige gegenseitige Verhältnis bei ge¬
nauer Okklusion ist durch das Eingreifen des mesio-buccalen
Höckers des oberen ersten in die buccale Grube des unteren
ersten Molaren gegeben; nach dem gegenseitigen Verhältnis
dieser beiden Kardinalpunkte wird bei der Diagnose das nor¬
male, beziehungsweise das mesio-distale Verhalten der beiden
Zahnbögen zueinander bestimmt. Wenn die Molaren normal
schliessen, dann ist auch für alle anderen vor und hinter den¬
selben durchbrechenden Zähne die Möglichkeit eines normalen
Durchbruchs gegeben. Wenn die ersten Molaren nicht normal,
sei es nun mesial- oder distalwärts, zur Okklusion kommen,
dann sind alle anderen Zähne, sowohl vor wie hinter denselben,
gezwungen, in anormaler Weise, mesial- oder distalwärts, je
nach dem Verhalten der ersten Molaren, durchzubrechen und
zu okkludieren. Da die Gestaltung beider Bögen von dem Vor¬
handensein dieser Zähne abhängig ist, so sollten wir denselben
unsere sorgsamste Aufmerksamkeit zuwenden und durch deren
Erhaltung die von der Natur beabsichtigten Zwecke zu er¬
füllen helfen.
Einige Orthodontisten haben in jüngster Zeit die Ansicht
ausgesprochen, dass die oberen Molaren immer in ihrem rich¬
tigen mesio-distalen Verhältnis durchbrechen und infolge dieser
sicheren und immer bestimmten Stellung als Ausgangspunkt
für die Diagnose anzusehen sind. Trotz grösster Achtung vor
den diese Theorie zu erhärten suchenden Deduktionen, konnten
meine Erfahrungen und Beobachtungen sich bis jetzt nicht
mit derselben einverstanden erklären. Trotzdem fordert dieser
hervorragende Orthodontist nicht — einige seiner Jünger tun
es — dass in allen Fällen, in denen der untere Bogen in
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226
R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
distaler Okklasion (Klasse II) steht, die indizierte Behandlung
einfach darin bestehe, den oberen Bogen für den speziellen
Fall ideal zu formen und den unteren derart zu gestalten, dass
die Zähne richtig zur Okklusion kommen, wenn der Unter¬
kiefer im ganzen nach vorne gebracht wird; die oberen ersten
Molaren sind nach Ansicht 1 dieses Autors imm er in ihrem
richtigen mesio-distalen Verhältnis. Wird der Unterkiefer im
ganzen nach vorne gebracht, so müssen, wenn die Zähne
dann richtig artikulieren, die Kondylen notgedrungen auf die
Eminentia articularis zu stehen kommen. Diese Verschiebung
der Stellung der Zähne von distaler zu normaler Okklusion
durch Vorschieben des ganzen Unterkiefers ist eine Behand¬
lungsweise, die Dr. Norman W. Kingsley vor 25 Jahren in
speziellen Fällen angab und der er den Namen „jumping
the bite' gab. In Fällen, in denen der Unterkiefer in seiner
Entwicklung zurückgeblieben ist, wird eine derartige Behand¬
lung die besten ästhetischen Erfolge liefern — wenn dieser
Erfolg auch dauernd zu erhalten ist — und ist vollkommen
indiziert. Doch scheint es mir nicht ganz rationell, alle zur
Klasse II gehörigen Fälle von diesem Standpunkte aus zu
behandeln. Ich glaube, dass die schönste Harmonie bei der
Behandlung der einfachen, zur Klasse II gehörigen Fälle, bei
denen keine ausgesprochene Unterentwicklung des Unterkiefers
vorhanden ist, wenngleich die ersten Molaren ihre richtige
mesio-distale Stellung einnähmen, durch Rückwärtsbringung
der oberen und Vorwärtsbringung der unteren Molaren, wie
ich es später beschreiben will, erzielt werden kann. Im allge¬
meinen sind zwar die ersten Molaren der markanteste und am
besten zu kontrollierende Pfeiler des ganzen Gebisses, doch dass
die Natur in der Stellung dieser Zähne niemals irren sollte,
ist eine Anschauung, die ich mit meinen Erfahrungen und
Ansichten nicht in Einklang bringen kann. Ich ziehe es nicht in
Zweifel, dass erfahrene Orthodontisten bei der Behandlung von
Fällen der Klasse II günstige Resultate erzielen können, ohne die
oberen Molaren durch irgendwelche mechanische Kraft distal-
wärts zu bewegen und sich auf die Natur verlassen, dass die¬
selbe derartige Veränderungen in der Struktur des Knochens
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
227
erzeugt, welche gegebenen Falles diese Bedingungen als natürliche
erscheinen lassen, doch glaube ich, dass die Anwendung dieses
Prinzip es in der Hand des weniger Erfahrenen zu Misserfolgen
führen muss. Ich komme auf dieses Thema noch bei der Be¬
sprechung der Behandlung einzelner Fälle zurück.
Wenn die oberen ersten Molaren in ihrem richtigen mesio-
distalen Verhältnis durchbrechen und auch richtig artikulieren,
so können die folgenden Zähne bei ihrem Durchbruch ihre
normale Stellung in den Zahnbögen einnehmen, müssen dies
aber nicht. Nicht selten kommen auch die folgenden Zähne in
schlechter Stellung zum Durchbruch. In diesen Fällen (Klasse I)
besteht die Behandlung in der Einstellung der schlecht stehenden
Zähne in die Linie der Okklusion. Das Endresultat muss eine
volle Harmonie der Zahnbögen und eine tadellose Artikulation
aller Zähne sein, denn das Verhalten der ersten Molaren, der
Grundpfeiler der richtigen Artikulaton, zueinander ist richtig.
Der einfachste, angenehmste und wirksamste Apparat für
die Korrektion derartiger Stellungsanomalien ist der Expansions¬
bogen, welcher, wenn richtig, in Verbindung mit Draht und
„Cordonnet ligature“ 1 gehandhabt, bei der Schaffung eines voll¬
kommen normalen Zahnbogens von grösster Wirksamkeit ist.
Wenn jedoch der untere Molar bei seinem Durchbruch mit
seinem Antagonisten distalwärts (Klasse II) oder mesialwärts
(Klasse DI) zur Artikulation kommt, dann wird jeder nach¬
folgende Zahn ebenfalls gezwungen, eine dementsprechende
falsche Stellung einzunehmen und das Endresultat wird eine
auf beide oder nur auf eine Seite sich beschränkende falsche
Artikulation aller Zähne sein, entweder Klasse II oder III.
Die Behandlung dieser sich auf das mesio-distale Ver¬
hältnis der Zähne beziehenden Stellungsanomalien zeigt deut¬
lich, dass wir nicht einen oder gar mehrere Zähne extrahieren,
sondern die Ursache für diese Stellungsanomalie dadurch zu be-
1 „Cordonnet ligatnre tf kann von der Firma Au Ver ä Soie, Mr. L. Boucher,
23, Rne Turbigo, Paris, beschafft werden. Die Firma sendet Musterkarten mit
den verschiedenen zur Anwendung gelangenden Grössen. Grössen 1—5 werden
empfohlen.
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R. D. Uc Bride, D. D. S., Dresden.
seitigen trachten sollten, dass wir die ersten Molaren, die natür¬
lichen Ankerpunkte für eine richtige Artikulation, an ihre normale
Stelle bringen. In den Fällen, in denen der untere Zahnbogen
distal im Vergleich zu normalen Verhältnissen steht (Klasse II),
erreichen wir dies durch Distalwärtsschiebung aller oberen und
Mesialwärtsschiebung aller unteren Zähne, oder in besonderen
Fällen, in denen das Profil es verlangt, durch Vorwärtsbringung
des Unterkiefers en masse, soweit, bis die ersten Molaren richtig
artikulieren, bis alle Kontaktflächen der Zähne in ihren normalen
Beziehungen zueinander stehen und ein harmonisches Verhältnis
in der Grösse beider Bögen erreicht ist
Fig. A.
Um diese mesio-distale Verschiebung der Zähne zu er¬
reichen, werden an den oberen und unteren Zahnbogen
Expansionsbögen angelegt, welche in den an die Klammer¬
bänder der ersten Molaren angelöteten Tuben ruhen. Die für
diese Bewegung nötige Kraft liefern die zwischen beide Kiefer
gespannten elastischen Ligaturen, welche einerseits ein an der
Unterfläche des oberen Bogens in der Gegend der Eckzähne
angebrachtes Häkchen, anderseits das distale Ende der an die
unteren Molarenbänder angelöteten Tuben umfassen (Fig. A)'.
Die Kraft wirkt wechselseitig, indem sie die oberen Zähne
distalwärts, die unteren mesialwärts bewegt. Die richtige und
1 Alle Teile dieseB Apparates sind von der S. S. White Dental Manu¬
facturing Co. geliefert.
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 229
intelligente Anwendung dieser Kraft hat einen so weiten,
neuen Wirkungskreis eröffnet, dass dadurch geradezu eine Um¬
wälzung der Orthodontie hervorgerufen wurde. Durch die
Kombination der Expansionsbögen, welche für alle gleichzeitig
bestehenden Stellungsanomalien einzelner Zähne vollkommen
verwendbar sind, mit dieser intermaxillaren Verankerung für
die Korrektion jeder sich auf das mesio-distale Verhältnis der
Bögen beziehenden Anomalien haben wir einen Apparat zur
Verfügung, hervorragend durch seine einfache Konstruktion,
Anpassungsfähigkeit und leichte Handhabung, einen Apparat,
der, richtig gehandhabt, die kompliziertesten Fälle in über¬
raschend kurzer Zeit und nahezu ohne die geringsten Unan¬
nehmlichkeiten für den Patienten zu korrigieren vermag.
Sowohl oberer wie unterer Expansionsbogen müssen
Schraubenmuttern haben, die an dem vorderen Ende der an
die Molarenbänder gelöteten Tuben wirken. Diese Schrauben¬
muttern geben dem behandelnden Arzte die grösstmögliche
Kontrolle über die Bewegungen der Kiefer in die Hand, da er
durch Anziehen der Muttern an dem oberen Bogen die ganze
elastische Kraft der Ligaturen auf den eisten Molar wirken
und denselben distalwärts schieben kann, während er durch
Nachlassen der Muttern die ganze Kraft wieder auf den vorderen
Teil des Bogens wirken lassen kann. Die unteren Frontzähne
sollen an den Expansionsbogen angebunden sein, damit die an
den ersten Molaren mesialwärts wirkende Kraft in allmählicher
Bewegung des ganzen unteren Bogens zu wirksamer Ausübung
kommt. Werden die Muttem an dem unteren Expansiönsbogen
angezogen, so wird die ganze, mesialwärts wirkende elastische
Kraft nur auf die unteren Frontzähne wirken, während durch
Nachlassen der Muttem, wenn die Frontzähne nicht an den
Expansionsbogen angebunden sind, die ganze Kraft jetzt nur
auf die Molaren und Bicuspidaten wirkt.
In jenen Fällen, in denen die distale Okklusion des Unter¬
kiefers nur auf eine Seite beschränkt ist, ist die Behandlung
dieselbe wie die eben beschriebene, nur mit dem Unterschiede,
dass eben nur ein Häkchen und nur eine Ligatur zur Ver¬
wendung kommen.
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230 B. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
Gewöhnlich sind in den zu Klasse II gehörigen Fällen
die Okklusionsflächen nicht normal, indem die Scbneidekanten
der unteren Frontzähne auf die linguale, gingivalwärts bereits
abgeschrägte, schiefe Fläche der oberen Frontzähne oder auf
den harten Gaumen selbst zu ruhen kommen. Doch auch
dieser scheinbar schwerste Teil der Behandlung wird durch
die Wirkung der intramaxillaren Ligatur korrigiert, da dieselbe
bei ihrer Neigung, die unteren Molaren zu verlängern, auch
die Bicuspidaten, wenn dieselben an den Expansionsbogen an¬
gebunden sind, mitnimmt. Zuweilen ist es bei der Korrektion
der Okklusionsflächen, welche die soeben beschriebenen
Fig. B.
charakteristischen Eigenschaften zeigen, zur Verstärkung der
Wirkung der intramaxillaren Ligatur notwendig, in der Gegend
der ersten Molaren kurze Gummibänder am oberen und unteren
Bogen anzubringen. Dasselbe Resultat erreicht man, wenn man
eine der intramaxillaren Ligaturen über das Ende der an das
obere Molarenband gelöteten Tube legt.
In den zur Klasse III gehörigen Fällen, in denen der
untere Bogen im Vergleich zu normalen Verhältnissen mesial-
wärts steht, ist die oben beschriebene Behandlung umgekehrt.
Die Häkchen befinden sich am oberen Rand des unteren
Expansionsbogens, soweit als möglich vorne, und die elastischen
Ligaturen sind zwischen diesen und den an den oberen Molaren-
bändem angelöteten Tuben gespannt, wie aus Fig. B ersichtlich.
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 231
Seitdem nun der erste Molar als der Schlüssel für das
Zustandekommen einer richtigen Artikulation angesehen wird,
können wir schon in frühzeitigem Alter jede an diesen sich
zeigende falsche Artikulation korrigieren und es so den noch
folgenden Zähnen ermöglichen, bei ihrem Durchbruch an die
richtige Stelle im Bogen zu stehen zu kommen. Wenn wir nun
aus der Möglichkeit einer so frühzeitigen Behandlung unsere
Vorteile ziehen wollen, so können wir diese einfachen Fälle,
die sich schliesslich zu mehr komplizierten entwickeln würden,
mit Leichtigkeit und rasch korrigieren.
Mit diesem Apparat kann man unter anderem auch die
relative Distanz zwischen vorderem und rückwärtigem Teil der
Zabnbögen vergrössem oder verkleinern. So war z. B. in Fall II t
Klasse II, nicht Raum genug, dass die oberen Eckzähne an
ihrer richtigen Stelle durchbrechen. Intermaxillare Verankerung
auf beiden Seiten wirkte distalwärts zuerst auf die Molaren und
hierauf auf die Bicuspidaten, welche an diese mit Ligatur be¬
festigt wurden. Die oberen Frontzähne wurden an den Ex¬
pansionsbogen angebunden und durch Anziehen der Muttem
vor den an den Molarenbändern angelöteten Tuben nach vor¬
wärts bewegt. So wurde durch die Rückwärtsbewegung der
Bicuspidaten und Molaren und die Vorwärtsbewegung der
Frontzähne genügend Raum für den normalen Durchbrach der
Eckzähne und zu gleicher Zeit richtige Artikulation für alle
Zähne geschaffen.
Die oberen und unteren Expansionsbögen werden nach
der später zu beschreibenden Methode von Hawley in einer
dem speziellen Fall entsprechenden Form des Zahnbogens ge¬
staltet; während wir nun einfach alle Zähne mit diesem Bogen
in Berührung zu bringen trachten und so den normalen Zahn¬
bogen hersteilen, bewerkstelligen inzwischen die elastischen
Ligaturen die Korrektur der anderen Unregelmässigkeiten in
der Artikulation.
Hat sich nun jemand die grundlegenden Prinzipien der
modernen Orthodontie, die ich in Kürze und nur in all¬
gemeinen Zügen beschrieben habe, zu eigen gemacht, so ist es
«ine seltene Ausnahme, dass man bei der Korrektion von
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832
R. D. Mc Bride, D. D. S , Dresden.
Stellungsanomalien zu anderen Apparaten greifen muss, als
zum Expansionsbogen mit den dazu gehörigen Behelfen.
Pall I, Fig. 1.
Um nun diese Methoden zu demonstrieren, habe ich mir
zuerst einen Fall gewählt, der nach An gl es Klassifikation zu
Fall I, Fig. 2.
Klasse II, Abteilung 1, Unterabteilung, gehört. Derselbe ist in
den Fig. 1, 3, 5, 7 und 9 illustriert.
Fall I. Die Illustrationen zeigen die Modelle der Zähne
eines 14 jährigen Knaben. Die Korrektion dieses Falles war
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
233
in 15 Wochen durchgeführt. Die Fig. 2, 4, 6, 8 und 10 zeigen
die Artikulation 3 Jahre nach Vollendung der Behandlung. Die
Fall I, Fig. 3.
dabei verwendeten Apparate bestanden in den an den Klammer-
bändem der ersten Molaren angebrachten Expansionsbögen, in
Fall I, Fig. 4.
„Cordonnet ligature“ und Drahtligaturen. Diagnostizieren wir
nun diesen Fall vom Standpunkte normaler Okklusion. Wir
sehen, dass das mesio-distale Verhalten der Bögen auf der
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234
R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
linken Seite (Fig. 1) nach dem Verhalten der ersten Molaren,
wie dies durch die horizontalen Striche angezeigt ist, normal
ist. Auf der rechten Seite (Fig. 3) ist das mesio- distale Ver¬
hältnis nicht normal. Der untere erste Molar ist in distaler
Okklusion. Die Linie der Okklusion 1 ist nicht normal (Fig. 7
und 9).
Die Fläche der Okklusion ist ebenfalls nicht normal, da,
wie aus Fig. 1, 3 und 5 ersichtlich, die Schneidekanten der
unteren Schneidezähne auf die Schleimhaut des Mundhöhlen¬
daches zu ruhen kommen. Mit den uns zu Gebote stehenden
Kenntnissen können wir nun alle in diesem Falle notwendigen
Aenderungen präzise durchführen, um eine normale Okklusion
aller Zähne und normal geformte Zahnbögen zu erreichen.
Die erste Frage, die man sich aufwerfen muss, ist natürlich
nach der diesen Zähnen entsprechenden Form des Bogens.
Sind dieselben normal und gleichmässig geformt, so muss,
sollen sie nach richtig eingestellter Okklusion den Bogen genau
ausfüllen, für diesen eine besondere Form gewählt werden,
welche auch mit den symmetrischen Gesetzen )ler Natur in Ein¬
klang stehen muss. Bis nun war nur das eigene Urteil, geübt
und geschärft durch Beobachtung, der einzige Führer bei der
Entscheidung, wiewohl die Natur selbst in diesen speziellen
Fällen das Vollkommenste geleistet hatte. Doch diese Art der
Beurteilung führ^ leicht zu Irrtümern. Es ist das Verdienst meines
hochgeschätzten Freundes und Kollegen, Prof C. A. Hawley,
Normen aufgestellt zu haben, n^ch welchen wir die Zähne in
ihre natürliche Stellung bringen und schon vor der Behand-
1 Linie der Okklusion: Stehen die Zähne in normaler Okklusion, so
wird man die grösste Anzahl ihrer Berührungspunkte längs einer imaginären
Linie finden, welche über die Spitzen der buccalen Höcker der Molaren und
Bicuspidaten und über die Schneidekante der Eck- und Schneidezähne des
Unterkiefers, entlang den Furchen zwischen buccalen und lingualen Höckern
der oberen Molaren und Bicuspidaten nach vorwärts geht und, ein Drittel
der Kronenlänge von der Schneidekante entfernt, den lingualen Höcker der
oberen Eckzähne und Schneidezähne traversiert. Dies wollen wir als Linie
der Okklusion bezeichnen, längs der bei normalen Verhältnissen der aus¬
gedehnteste Kontakt aller Zähne stattfindet.
(Angles „Malocclusion of the teeth“, pag. 13.)
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
235
lung mit mathematischer Präzision die genaue Form des Zahn¬
bogens für jeden Fall von Stellungsanomalien bestimmen können.
i
Fall I, Fig. 5.
Die erste diesbezügliche Mitteilung Prof. H a w I e y wurde
in St. Louis auf dem „Fourth International Dental Gongress“,
Fall I, Fig. 6.
diezweite vor dem „New-York Institute of Stomatologie“, 1906,
und vor der .American Dental Society of Europe“, 1906, ge¬
macht. Die Einführung der normalen Okklusion als Basis für
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236
R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
die Orthodontie legte den Grundstein zu unserer Wissenschaft;
der nächste wichtige Schritt war die Einführung der intra-
Fall I, Fig. 7.
maxillaren Ligatur, der uns die Möglichkeit bot, die Zahnbögen
in mesio-distaler Richtung zu verschieben; die letzte Errungen-
Fall I, Fig. 8.
schaft der Orthodontie ist Prof. Hawleys Methode zur exakten
Bestimmung der Grösse und Form der Zahnbögen. Prof. Ha wley s
erste Veröffentlichung erregte in Amerika grosses Aufsehen
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
287
und Dr. Ottolengui, der Herausgeber der „Items of Interest“,
äusserte sich bei der Besprechung derselben dahin, dass diese
Fall I, Fig. 9.
eine der wertvollsten Arbeiten war, die je über Orthodontie ge¬
schrieben wurden.
Fall I, Fig. 10.
Diese Veröffentlichung, die mit der peinlichsten Sorgfalt
ausgearbeitet wurde, ist von so hervorragender Wichtig¬
keit, dass ich den Herausgeber dieser Zeitschrift veranlasste,
Digitized by
Google
238
ß. D. Mc Bride, D. D. S-, Dresden.
u Prof. Hawleys zweite Publikation im Anschluss an meinen
vorliegenden Artikel vollinhaltlich zu reproduzieren, was er
Fall I, Fig. 12.
Methode zur Bestimmung der natürlichen Form eines anormalen
Bogens nicht vertraut sind, auf, seinem Aufsatze das aufmerk¬
samste Studium zu widmen.
Fall I, Fig. 11.
auch bereitwilligst getan hat. Ich fordere nun alle jene, die
für Orthodontie ein Interesse haben und mit Prof. Hawleys
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
239
Es sei nur bemerkt, dass Prof. Hawley der Bestimmung
der Form jeglichen Zahnbogens im lebenden Kiefer die Prin-
Fall I, Fig. 13.
zipien des Bonwillschen gleichschenkeligen Dreieckes zugrunde
legt und indem er fand, dass diese Prinzipien, entsprechend
der Breite 4er mittleren und seitlichen Schneidezähne, sowie
der Eckzähne, durch Umkehrung des Vorganges bei Bon will
und richtige Anwendung der von ihm entdeckten diesbezüg-
7*
Fall I, Fig. 14.
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240
ß. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
liehen Beziehungen sich auch für die Korrektur der Stellungs¬
anomalien verwenden lassen, konstruiert er die gewünschte
Form des Bogens auf durchsichtigem Zelluloid, das er auf das
Modell legt, wodurch er, da jede gewünschte Bewegung der
Zähne genau sichtbar ist und er auch weiss, bis zu welchem
Grade die Stellung der Zähne geändert werden soll, den
günstigen Einfluss unserer Behandlung auf die Konturierung
des Gesichtes genau bestimmen kann. Die allgemeine An¬
wendbarkeit dieser Methode als Basis für unsere Diagnose
leistet uns durch dauernden Vergleich und Studium in den
verschiedenen Stadien der Vollendung unserer Arbeit bei der
Lösung mancher komplizierter Probleme grosse Dienste. Nach
Dr. Hawleys Beobachtungen kann man die Form des Zahn¬
bogens nach der Breite der oberen mittleren Schneidezähne
genau bestimmen und können wir daher das Diagramm auch
in jenen Fällen zur Anwendung bringen, in denen alle anderen
bleibenden Zähne noch nicht durchgebrochen sind.
Der Wert der Erkenntnis, der jedem, selbst dem Fort¬
geschrittensten, durch das Diagramm vor der Behandlung
eines Falles von Stellungsanomalie erwächst, kann nicht hoch
genug eingeschätzt werden. Das Diagramm ist für den Ortho-
dontisten dasselbe, was der Kompass dem Seemann ist. Die
Diagramme, die Prof. Ha wie y auf durchsichtiges Zelluloid hat
drucken lassen, sind sehr bequem, da sie die Arbeit erleichtern,
doch erfordert es nur einige Minuten Zeit, sich für jeden
Fall ein Diagramm anzufertigen. 1 Das Instrument, die Messung
der Zähne vorzunehmen, ist in Fig. C abgebildet.
Wir wollen nun in der Diagnose unseres Falles I fort¬
fahren und ein Hawley-Diagramm nehmen, dessen Radius der
kombinierten Breite des oberen mittleren, seitlichen Schneide¬
zahnes und Eckzahnes entspricht, der in diesem Falle 23*8 Mm.
beträgt, und wollen dasselbe an das obere Modell genau an-
legen (Fall I, Fig. 11). Wenn die ersten Molaren richtig arti¬
kulieren, wie auf der linken Seite (Fall I, Fig. 1), so wird das
Diagramm derart angelegt, dass der erste Molar die auf dem-
1 Diese Diagramme, auf durchsichtigem Zelluloid gedruckt, sind noch
nicht auf dem Markt, werden jedoch wahrscheinlich bald zu haben sein.
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
241
selben eingezeicbnete mesio-distale Stellung einnimmt (Fall I,
Fig. 11, linke Seite). Wenn jedoch die Molaren nicht richtig
artikulieren, wie auf der rechten Seite (Fall I, Fig. 3), so wird
das Diagramm so eingestellt, dass es das richtige mesio-distale
Verhalten des ersten Molars nach behobener Anomalie dar¬
stellt. In unserem Falle muss der obere rechte Molar ungefähr
2 Mm. distalwärts, der untere um ebensoviel mesialwärts be¬
wegt werden, um richtige Okklusion herzustellen. Es muss
daher die mesio-distale Stellung des oberen ersten Molars auf
dem Diagramm um ungefähr 2 Mm. mehr distal sein als die
auf dem Modell (Fall I Fig. 11, rechte Seite).
Fig. C.
Prof. H a w 1 e y empfiehlt zur Bestimmung des Radius
des unteren Bogens, anstatt zur Zeichnung derselben das Mass
der unteren Zähne zu nehmen, vom Radius des oberen Bogens
die Distanz von der Linie der Okklusion bis zur Kante der
buccalen Höcker abzuziehen; doch da er seine Diagramme
paarweise für den oberen und unteren Bogen konstruiert hat,
so wählen wir das dem oberen entsprechende untere Diagramm
und, indem wir bei seiner Anlegung dieselben Ratschläge be¬
folgen, wie sie für den oberen Bogen gegeben wurden, zeige
ich in Fall I, Fig. 12, dessen richtige Lage. Man sieht, dass die
mesio-distale Lage des linken unteren Molars dieselbe ist
wie am Modell, da er ja mit dem oberen richtig artikuliert
(Fall I, Fig. 1), dass dagegen die Stellung des rechten unteren
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242
R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
Molars aut dem Diagramm die Stellung desselben anzeigt, die
er nach Aufhebung der Stellungsanomalie der Molaren der
rechten Seite einnehmen wird. Der untere Molar muss un¬
gefähr 2 Mm. mesialwärts bewegt werden (Fall I, Fig. 3).
Ist die Anlegung der Diagramme genau durchgeführt, so
ist die Stellung, die jeder Zahn behufs Erzielung normaler
Okklusion und richtig geformter Zahnbögen einnehmen muss,
genau durch den für jeden Zahn auf dem Diagramm ein¬
gezeichneten Raum angegeben und sind wir hierdurch in die
Lage versetzt, jedes die Behandlung und die Retention des
Falles betreffende Detail sorgfältig und bedächtig zu studieren.
Wir haben das Bild des Normalen und Anormalen vor uns.
Dies vervollständigt unsere Diagnose, die ohne jeden Zweifel
korrekt ist
Die Behandlung ist jetzt klar vorgezeichnet. Ein Apparat,
ähnlich dem in Fig. A dargestellten, wird angelegt. Die Ex¬
pansionsbögen werden so geformt, dass, wenn die Zähne mit
denselben zur Berührung gebracht worden sind, die Form
der Zahnbögen mit der Form der Hawley-Diagramme überein¬
stimmen muss Da der Expansionsbogen mit der buccalen und
labialen Fläche der Zähne in Berührung kommt, das Hawley-
Diagramm jedoch eine Linie repräsentiert, die über die buccalen
Höcker der Molaren und Bicuspidaten und über die Schneide¬
kanten der Eck- und Schneidezähne zieht, so kann man leicht
abschätzen, welche Abweichung in der Form des Expansions¬
bogens im Vergleich mit der Form des Hawley-Diagrammes
stattfinden muss. Die intermaxillare Ligatur an der rechten
Seite wird, indem sie den oberen Bogen distalwärts und den
unteren mesialwärts bewegt, normale Verhältnisse hersteilen.
Bevor die Expansionsbögen in die an den Mblarenbändern
angelöteten Tuben eingelegt werden, werden sie nach aus¬
wärts gebogen, so dass ihre elastische Kraft die Bogen in der
Gegend der Molaren dehnt. Im Beginne der Behandlung wirken
die intermaxillaren Ligaturen auf beiden Seiten, doch sind die
Muttern am oberen Expansionsbogen locker, damit die durch
die elastischen Ligaturen ausgeübte Kraft die oberen mittleren
Schneidezähne zurück in die Reihe bringen soll. Während diese
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
848
Kraft an den oberen mittleren Schneidezähnen wirkt, sind in¬
zwischen die seitlichen genügend weit nach aussen gebracht,
um zu verhindern, dass dieselben nicht hinter die mittleren
Fig. D.
zu stehen kommen. Die mittleren und seitlichen Schneidezähne
werden gleichzeitig durch „Cordonnet ligature“ gedreht oder
dadurch, dass man diese Zähne nach der in Fig. D gezeigten
Fig. E.
Art bindet. Ist für die Eckzähne genügend Raum geschaffen
worden und beginnt der Bogen schon eine normale Form
anzunehmen, so werden die Eckzähne nach unten an ihren
Platz gebracht, indem man „Cordonnet ligature“ fest um ihren
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R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
Hals bindet — das Zahnfleisch wird vorher anästhesiert —
und an den Expansionsbogen anbindet, der, da er ja bei dem
Anbinden etwas nach oben gebogen wird, durch seine elastische
Fig.
Kraft die Verlängerung dieser Zähne erleichtern wird. Es wird
notwendig sein, dies drei- oder: viermal zu wiederholen, um
diese Zähne an ihre richtige Stelle herunterzubringen. Fig. D,
E, F und 6 sind An gl es Buch entnommen, um praktisch zu
Fig. G.
demonstrieren, wie die Zähne mit den Expansionsbögen in
Kontakt gebracht werden. Selten ist es notwendig, den lingualen
Verstärkungsbogen (Fig. D) zu gebrauchen, obzwar es zuweilen
notwendig ist, die Erweiterung der Zahnbögen zu beschleunigen.
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 245
Selten gebrauche ich Metallbänder für Anbringung der Ligaturen,
bei Drehungen der Zähne, ich gebe der „Cordonnet ligature“
in der in Fig. H gezeigten Form der Anwendung den Vorzug.
Man wird bemerken, dass in Fig. D zwischen dem mesio-buccalen
Rand des linken oberen mittleren Schneidezahnes und dem
Expansionsbogen ein Keil liegt, ebenso in Fig. F zwischen
rechtem Eckzahn und Expansionsbogen. Zu diesem Zweck be¬
nütze ich Hickoryholz, das in, den Dentaldepots in Form von
kleinen runden Stäbchen zu haben ist, und welches früher zur
Befestigung von Stiftkronen^.uV enützt wurde. Diese Stäbchen
werden bis zur gewünschte^ jtärke abgeflacht und auf der
einen Seite eine kleine Kerbt ur Aufnahme des Expansions¬
bogens eingeschnitten, um so ine Verschiebung des Keiles zu
verhindern. Ich habe damit., bei Rotation von Zähnen in
Verbindung mit „Cordonnet ligature“ oder Drahtligaturen aus¬
gezeichnete Erfolge; ebenso wenn ich Zähne, wie in Fig. F
gezeigt ist, in ihre richtige Lage zurückdrängen will. Starke
Gummikeile, die in den Dentaldepots zu haben sind, sind für
diesen Zweck auch gut brauchbar.
Für den Unterkiefer gelten im allgemeinen dieselben
Regeln wie die für den Oberkiefer gegebenen. Die zweiten
Milchmolaren werden extrahiert und ein nach dem Hawley-
Diagramm geformter Expansionsbogen angelegt. Den seitlichen
Schneidezähnen, die in ihrer jetzigen Stellung eingekeilt sind,
müssen wir vor allem unsere Aufmerksamkeit zuwenden und
sie annähernd in eine Reihe mit den mittleren zu bringen
trachten. Die an der rechten Seite wirkende intermaxillare
Ligatur wird den unteren rechten Molar mesialwärts und den
oberen distalwärts bis zu ihrer normalen Stellung bewegen.
Dieselbe intermaxillare Ligatur wird auch die rechten unteren
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R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
rückwärtigen Zähne verlängern und so die Fläche der Okklu¬
sion zu korrigieren trachten. Um auch an der linken Seite
die rückwärtigen Zähne beider Bögen zu verlängern, werden
an den Expansionsbögen in der Gegend der Molaren kurze
Gummibänder angebracht. Die jetzt auf beiden Seiten wirkenden
kombinierten Kräfte der elastischen Ligaturen werden die rück¬
wärtigen Zähne genügend verlängern, um die Fläche der Okklu¬
sion zu korrigieren. Der linke untere erste Bicuspis wird durch
Anbinden an den ersten Molar und hierauf der Eckzahn auf
dieselbe Weise nach rückwärts bewegt Der rechte untere Eck¬
zahn und erste Bicuspis nehmen ihre richtige mesio-distale
Stellung ein.
Dieser Fall war vor ungefähr 3 Jahren vollendet und das
Resultat wurde allgemein als glänzend bezeichnet. Die Okklu¬
sion war vollkommen richtig und auch ich war mit dem Er¬
folge der Behandlung ganz zufrieden, bis ich die Form der
Zahnbögen mit den Hawley-Diagrammen verglich; die hierzu
gehörigen Illustrationen siehe Fall I, Fig. 13 und 14. Die An¬
wendung der Hawleyschen Methode zur Bestimmung der nor¬
malen Form der Zahnbögen brachte mich erst darauf, wo
der Fehler in meinem Urteil steckte. Es wäre nicht schwieriger
gewesen, die Zähne in richtige Stellung, den Gesetzen der
Natur entsprechend, gemäss dem Diagramm, zu bringen, als
in die unrichtige Stellung, in die ich sie gebracht hatte. In der
Tat würden die Diagramme die Behandlung vereinfacht haben,
da man bezüglich der Richtigkeit des Verfahrens niemals im
Zweifel ist.
Die Behandlung dieses Falles, sowie aller anderen soll
nicht geteilt werden. Hat man einmal eine richtige Diagnose
gestellt, so soll man wissen, welche Veränderungen in der
Stellung der Zähne notwendig sind, um normale Okklusion
und normal geformte Zahnbögen herzustellen, soll man die
Kräfte kennen, die nötig sind, den gewünschten Erfolg voll
und ganz zu erreichen, soll alle gleichzeitig wirken lassen und,
wenn richtig bemessen, sollen dieselben nicht mehr Unbehagen
verursachen, als wenn man jede einzeln wirken Hesse.
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
247
Die Schnelligkeit, mit der Zähne bewegt werden können,
ist bei verschiedenen Patienten verschieden, doch in keinem
Falle sollte die Bewegung dauernden oder selbst nur längere
Zeit anhaltenden Schmerz verursachen. Das knöcherne Ge¬
webe, in das die Zähne eingebettet sind, kann dazu gebracht
werden, sich durch einen mässigen Grad von auf den Zahn
wirkender Kraft dem Prozess der Absorption in physiplogischer
Weise zu unterziehen. Die Schmerzen hängen lediglich von
der ausgeübten Kraft ab, die — wenn kontinuierlich wirkend —
leicht, jedoch stärker sein kann, wenn sie in Intervallen ein¬
wirkt, da in diesem Falle das alterierte Gewebe Zeit zur Er¬
holung hat. Ein einmal richtig ausgeübter Druck sollte nie,
ausser durch die Gewebsveränderungen selbst, reduziert werden.
Die angewandte Kraft sollte so bemessen sein, dass sie ein
leichtes Gefühl von Spannung oder Druck, niemals aber
Schmerz verursacht. Das nach dem in Intervallen ausgeübten
Druck zurückbleibende Gefühl der Spannung soll im Verlaufe
einer Stunde geschwunden sein und kein unangenehmes Gefühl,
welcher Art immer, Zurückbleiben. Das äusserste Mass, bis zu
dem ein Zahn innerhalb physiologischer Grenzen durch Ab¬
sorption bewegt werden kann, beträgt 2 Mm. täglich.
Fall II gehört zur Klasse II, Abteilung2, und ist ein für
diese Klasse typischer Fall. Die unteren ersten Molaren sind
in distaler Okklusion, auf der linken mehr als auf der rechten
(Fall II, Fig. 1 und 2). Die Linie der Okklusion ist nicht normal
(Fall II, Fig. 5 und 6). Die Fläche der Okklusion ist ebenfalls
nicht normal, da die unteren Schneidezähne mit der Schleim¬
haut des Mundhöhlendaches in Berührung kommen. Die Hawley-
Diagramme sind entsprechend den in Fall I gegebenen In¬
struktionen ausgewählt und genau angelegt (Fall II, Fig. 5 und 6).
Die Tatsache, dass der linke untere Molar in stärkerer distaler
Okklusion steht als der rechte, ist bei der Anlegung der Dia¬
gramme genau berücksichtigt. Da die ersten Molaren der
Grundstock für eine richtige Okklusion sind, so zeigt uns die
mesio-distale Stellung dieser Zähne, wie an dem Diagramm
(Fall II, Fig. 5 und 6) ersichtlich, jene Stellung, die sie ein¬
nehmen müssen, um normale Okklusion und normal geformte
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R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
Bögen herzustellen. Beobachtet man diese Tatsache in allen
Fällen, so wird niemand je Schwierigkeiten haben, diese
Diagramme anzulegen.
Fall II, Fig. 1.
In diesem Falle ist das linguo-distale Verhalten der oberen
und unteren Molaren ungefähr richtig. Die Zurückdrängung der
oberen Schneidezähne hat auch eine solche der unteren und
Fall II, Fig. 2.
eine Verkürzung sowohl des oberen wie des unteren Bogens
verursacht. Die oberen Eckzähne, die zu wenig Raum hatten,
sind verspätet durchgebrochen und sind in labialer Okklusion.
Der rechte untere zweite Bicuspis, der auch keinen Raum zum
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
249
Durchbruch hatte, ist in lingualer Okklusion. Ein Studium
des Falles II, Fig. 1, 2, 5 und 6, zeigt deutlich den sicheren
Weg für die Behandlung, der zur Erzielung eines vollen Er¬
folges eingeschlagen werden muss.
Fall II, Fig. 3.
Ein Apparat, wie in Fig. A (Seite 228) illustriert, wird an¬
gelegt und die Expansionsbögen entsprechend der Form der Dia¬
gramme zurechtgebogen. Die intermaxillaren Ligaturen werden
Fall II, Fig. 4.
das Missverhältnis in mesio-distaler Richtung und in der Ebene
der Okklusion beheben und werden gleich von Beginn an in Ver¬
wendung genommen. Sogleich wenden wir unsere Aufmerksam¬
keit den zurückgedrängten oberen und unteren Schneidezähnen
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R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
zu und bringen sie durch Anbinden an den Expansionsbogen
so rasch als möglich in die richtige Stellung. Die Muttem an
den Expansionsbögen, am vorderen Ende der Tuben, werden
Fall II, Fig. 5.
zur Beschleunigung der Bewegung dieser Zähne von Zeit zu
Zeit angezogen. Ist für die Eckzähne genügend Raum ge¬
schaffen , so werden sie nach der im Falle I beschriebenen
Fall II, Fig. 6.
Methode nach unten in ihre richtige Stellung gebracht. Fall 11,
Fig. 3 und 4, zeigt die Okklusion nach der Behandlung und
Fig. 7 und 8 zeigen die genaue Uebereinstimmung der Zahn¬
bögen mit den Diagrammen, sowie dass jeder Zahn den für
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
251
ihn bestimmten Platz einnimmt. Das einzige, das an diesem
Fall kritisiert werden kann, ist eine leichte Drehung des rechten
unteren zweiten Bicuspis. Ich mache meine Leser nur auf-
Fall II, Fig. 7.
merksam, dass alle Illustrationen von genauen Photographien
genauer Modelle stammen und nicht blosse Skizzen sind. Die
Illustrationen sind praktische Orthodontie. In diesem Falle
Fall II, Fig. 8.
wäre die natürliche leichte Neigung der vorderen Zähne
(Fig. 3 und 4) zu beachten. Ich mache aufmerksam, dass wir in
diesen zwei Abbildungen den Zustand der Okklusion unmittelbar
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R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
nach Abnahme des Regulierungsapparates vor uns sehen und
dass die Zähne, trotzdem sie ihre richtige Stellung einnehmen,
doch noch nicht in ihrer richtigen Okklusion fest geworden sind.
Fall III, Fig. 1.
Von Zeit zu Zeit sollten von den Kauflächen der Zähne
mit dem Apparat in situ Abdrücke genommen und von den¬
selben Studienmodelle gemacht werden, an der Hand welcher,
Fall III, Fig. 2.
mit Zuhilfenahme der Diagramme, der Fortschritt des Falles
genau verfolgt und verstanden werden kann.
Fall III gehört zu Klasse II, Abteilung 1. Die unteren
Molaren sind in distaler Okklusion und wie in Fall II auf der
linken Seite mehr wie auf der rechten (Fall III, Fig. 1 und 2).
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 253
Die Linie und die Fläche der Okklusion sind ebenfalls nicht
normal. Fall III, Fig. 5 und 6, zeigt die Hawley-Diagramme
in richtiger Lage. Nicht zu übersehen ist, dass infolge der
Fall III, Fig. 3.
grösseren Disharmonie im mesio-distalen Verhalten auf der
linken Seite, der obere erste Molar dieser Seite etwas mehr nach
rückwärts bewegt werden muss, als der entsprechende Zahn
Fall III, Fig. 4.
der entgegengesetzten Seite. Die Behandlung in diesem Falle ist
so klar vorgeschrieben wie in den zwei früher beschriebenen.
Ein Apparat, wie in Fig. A (Seite 228) abgebildet, wird an-
8
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R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
Fall III, Fig. 5.
Dies geschieht, wie in Fall I, dadurch, dass die Expansions¬
bögen, bevor dieselben in die Tuben an den Molaren gebracht
werden, nach aussen abgebogen werden. Die intermaxillaren
gelegt und die Expansionsbögen entsprechend den Diagrammen
geformt. Sowohl oberer wie unterer Bogen müssen entsprechend
den Diagrammen in der Gegend der Molaren erweitert werden.
Ligaturen werden sofort nach Anlegung des Apparates an¬
gebracht. Sie sollen die mesio-distale Verschiebung der Zahn¬
bögen und die Fläche der Okklusion korrigieren. Die Muttem
Fall III, Fig. 6.
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
255
am oberen Expansionsbogen sind nicht angezogen, um die
Kraft der intermaxillaren Ligatur vorerst auf die oberen Schneide-
Fall III, Fig. 8.
ihre normale Stellung gebracht werden, hinter diese zu stehen
kommen. Fall I1J, Fig. 3 und 4, zeigen den Zustand der Okklu¬
sion unmittelbar nach Entfernung des Regulierungsapparates
8 *
Fall III, Fig. 7.
zähne wirken zu lassen. Die seitlichen oberen Schneidezähne
werden etwas über ihre normale Stellung hinaus vorgeschoben,
um zu verhindern, dass sie nicht, während die mittleren in
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266 R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
und Fall III, Fig. 7 und 8, zeigt die Form der Bögen nach
Vollendung der Behandlung. ;
Fall IV gehört zur Klasse II, Abteilung 1, und repräsen¬
tiert den Typus, der den höchsten Prozentsatz aller in meine
Beobachtung kommenden Fälle von Stellungsanomalien liefert
(Fall IV, Fig. 1). Die Diagnose und Behandlungsart unter¬
scheiden sich nicht wesentlich von den zwei zuletzt besprochenen
Fällen.
Die Diagramme zeigen, dass in der Gegend der Molaren
keine Expansion nötig ist (Fall IV, Fig. 3 und 4). Das Re¬
sultat der Behandlung ist aus Fall IV, Fig. 2, 5 und 6, er¬
sichtlich.
Meine Beobachtungen bestärken meine Ansicht, dass
Stellungsanomalien der Klasse II auf dem Kontinent und noch
mehr in England viel häutiger sind, als in Amerika. Ortho-
dontisten in Amerika haben die Beobachtung gemacht, dass
gewisse Klassen von Stellungsanomalien in manchen Gegenden
häufiger Vorkommen als in anderen. Wenn meine Beobachtung
richtig ist, dass die Stellungsanomalien, bei denen der untere
Bogen im Vergleich zu normalen Verhältnissen zu weit distal
steht, in den europäischen Ländern häufiger Vorkommen als
andere, wo doch keine ausgeprägte Vermischung von Rassen
besteht, so kann die Ursache für die Abnormität in der
Entwicklung der Kiefer eher verstanden werden, als das Vor¬
kommen einer bestimmten Klasse von Stellungsanomalie in
bestimmten Gebieten in Amerika, wo die Nationalität keinen
greifbaren Einfluss hat in der Bestimmung der Ursache irgend
einer besonderen Abnormität in der Entwicklung der Knochen.
Fall V gehört zur Klasse I und ist, trotzdem seine Be¬
handlung noch nicht beendet ist, doch mit vorgestellt wegen des
auf beiden Seiten in der Gegend der Bicuspidaten und Molaren
vorhandenen offenen Bisses (Fall V, Fig. 1, 2 und 3). Drei
Familienmitglieder weisen dieselbe Stellungsanomalie auf, die
sie von der Mutter ererbt haben. Der rechte untere zweite
Milchmolar ist zwischen dem ersten Bicuspis und ersten Molar
tief eingezwängt. Bei Vergleich der Illustrationen Fall V, Fig. 1
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Die Ortbodontie in ihrer praktischen Verwertung. 2fi7
und 4, wird man bemerken, dass der Milchmolar extrahiert
wurde; Das Röntgenogramm 1 zeigt, dass der rechte untere
Zweite Bicuspis nicht vorhanden ist. Das in Fall V, Fig. 7, dar-
Fall IV, Fig. 1.
gestellte Diagramm zeigt den Weg für die Behandlung. Aber¬
mals mache ich auf die Anlegung des Diagramms aufmerksam.
Der Fall gehört zur Klasse I, bei der die ersten Molaren im
richtigen mesio-distalen Verhältnis stehen; es bleibt daher die
Fall IV, Fig. 2.
mesio-distale Stellung dieser Zähne, wie aus dem Diagramm
ersichtlich, unverändert Ein Apparat, ähnlich dem in Fig. A
abgebildeten, wird angelegt. Die Klammerbänder an den ersten
unteren Molaren sind so angebracht, dass die Tuben im all-
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268
E. D. Mc Bride, D. D. 8., Dresden.
gemeinen dieselbe Neigung nach vorne und unten haben, wie !
die Molaren, so dass der Expansionsbogen unter den Hals der i
vorderen Zähne zu, liegen kommt. Ist der Expansionsbogen ;
Fall IV, Fig. 4.
richten und nach rückwärts bewegen, wie aus Fall V, Fig. 4
und 5, ersichtlich. Dies sind bloss Studienmodelle und ver¬
anschaulichen nicht das Endresultat meiner Behandlung. Später
werden die unteren Bicuspidaten an den Expansionsbögen an-
Fall IV, Fig. 8.
angelegt, so wird er nach oben gefedert und so hoch als
möglich an allen unteren Vorderzähnen angebunden. Die so
erzeugte elastische Spannung wird die ersten Molaren auf-
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Die Orthodoutie iu ihrer praktischen Verwertung.
269
gebunden und genügend gehoben, um mit den oberen normal
zu artikulieren. Oft ist es bei der Korrektion eines solchen
offenen Bisses notwendig, Bänder mit kleinen Häkchen an die
Fall IV, Fig. 5.
oberen und unteren Zähne anzuzementieren und dieselben
dann mit Hilfe kleiner intermaxillar gespannter Gummibänder,
die zwischen den gegenüberliegenden Zähnen liegen, zu ver-
Fall IV, Fig. 6.
längern. Fall V, Fig. 3, zeigt, dass der obere Bogen sich schon
seiner normalen Form nähert. Ist der Fall vollendet, so wird
der fehlende rechte untere zweite Bicuspis durch eine kleine
Brücke ersetzt.
Digitized by
Google
260
R. D. Mc Bride, D.D. S., Dresden.
Fall VI gehört zur Klasse I und ist ebenfalls noch nicht
ganz beendet. Patient ist ein junges Mädchen von 13 Jahren.
Dieser Fall ist nicht wegen besonderer Schwierigkeiten in
der Behandlung in diesen Artikel aufgenommen worden, sondern
Fall V, Fig. 1.
Fall V, Fig. 2.
Fall V, Fig. 8.
nur, um den von einem vermeintlichen Spezialisten der Ortho-
dontie den ängstlichen Eltern des Kindes gegebenen falschen Rat
zu widerlegen. Ich hörte zufällig, dass dieser Spezialist als
Einleitung für seine Behandlung den oberen linken Eckzahn
extrahieren und unter Chloroformnarkose ein Segment des
Alveolai fortsatzes zwischen den oberen mittleren Schneide-
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
Y
261
zähnen entfernen wollte. Für die Notwendigkeit der Extraktion
des Eckzahnes, sowie für die Notwendigkeit, Patienten durch
den Vorschlag der Entfernung eines Knochensegmentes in
Fall V, Fig. 4. Fall V, Fig. 5.
Fall V, Fig. 6.
Narkose so zu ängstigen, bin ich ausserstande, eine plausible
Erklärung abzugeben, geschweige denn, dass ich mich ernstlich
über die Beweggründe zu einer so irrationellen Behandlungs¬
weise auslassen würde.
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B. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
Ich will dieses Thema verlassen und meine Leser nur
bitten, zu berücksichtigen, was für Behelfe uns für die Korrektion
Fall V, Fig. 7.
von Stellungsanomalien zur Verfügung stehen und dann zu
beurteilen, ob es ein geringeres Verbrechen wäre, einen schön
Fall V, Fig. 8.
geformten Zahnbogen (Fall VI r Fig. 4,6 und 9) durch Extraktion
des linken oberen Eckzahnes zu verstümmeln, als wenn der¬
selbe Zahn aus dem Zahnbogen (Fall VI, Fig. 1, 3 und 7)
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Die Orthodoutie in ihrer praktischen Verwertung. 263
extrahiert worden wäre. Zu bedenken ist ferner, dass der Fall
zur Klasse ] gehört, bei der das mesio-distale Verhalten der
Zahnbögen normal ist und dass, wenn ein Zahn aus einem
der Bögen entfernt wird, eine nicht wieder zu korrigierende
Inharmonie verursacht wird. Ferner ist zu bedenken, dass, da
das mesio-distale Verhältnis der Zahnbögen normal ist, derselbe
schöne Erfolg, der in diesem Falle bald erreicht sein wird,
auch ohne die letzten Errungenschaften der modernen Ortho-
dontie hätte erreicht werden können. Ich will auch auf die
Tatsache aufmerksam machen, dass, entsprechend dem
Diagramm (Fall VI, Fig. 7), der linke obere Eckzahn, wenn
genügend verlängert, seine richtige Stellung im Zahnbogen
einnimmt«
Der Vorgang bei der Behandlung dieses Falles ist nicht
unähnlich dem in Fall I beschriebenen, nur dass die inter¬
maxillaren Ligaturen zur Zurückbringung der oberen mittleren
Schneidezähne in die Reihe und nicht zur Verschiebung der
Bögen in mesio-distaler Richtung Verwendung finden.
Für die Leser, welche diesem Aufsatze aufmerksame Be¬
achtung geschenkt haben, ist es klar, dass, wenn die Grund¬
prinzipien der modernen Orthodontie richtig angewandt werden,
die Korrektur eines scheinbar komplizierten Falles von Stellungs¬
anomalie nicht schwieriger ist, als die eines einfachen. Die
Hauptfrage ist jetzt nur nach der Zeit, die zur Erzielung
voller Harmonie in der Okklusion und in der Form der Zahn¬
bögen erforderlich ist.
Fall VII ist ein anderer typischer Fall und gehört zur
Klasse II, Abteilung 1. Er wurde vor ungefähr 6 Jahren beendet.
Die Disharmonie in der Okklusion dieses Falles wurde durch
Vorwärtsschieben der unteren Zähne von distalen zu normalen
I Verhältnissen, und zwar durch Vorwärtsbringen des Unter-
, kiefers korrigiert und ich bringe diesen Fall jetzt vor, um zu
zeigen, wo ich mich in meinem Urteil bei der Formation der
Zahnbögen irrte, wie dies durch die Anlegung des Diagrammes
| (Fall VII, Fig. 4) ersichtlich ist. Da dieser Fall durch Vorwärts-
1 bringung des Unterkiefers korrigiert wurde, so wurden die
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264
ft. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
oberen Molaren nicht distalwärts bewegt und zeigt daher das
Diagramm (Fall VII, Fig. 3) ungefähr die Stellung der ersten
Molaren, die sie einnehmen würden, wenn der Bogen in der
Gegend der Molaren zu normalen Verhältnissen gedehnt
worden wäre.
Fall VI, Fig. 1. Fall VI, Fig. 2.
Fall VI, Fig. 3.
Die Korrektur der mesio-distalen Disharmonie der Kiefer
und Zahnbögen durch Vorbringen des Unterkiefers en masse,
um hierdurch eine Verschönerung in den ästhetischen Linien
des Gesichtes herbeizuführen, bildete schon oft den Gegenstand
heftiger Kontroversen und trotzdem sind einzelne Fragen, die
sich auf die physiologischen Veränderungen an den anatomischen,
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
265
hierbei in Betracht kommenden Teilen beziehen und die diese
Behandlungsart begleiten müssen, noch immer ungelöst.
Werden auch die Prinzipien als zu Recht bestehend an¬
erkannt, so glaube ich doch, dass die Methode, die ich vor
einigen Jahren verteidigte, insoferne richtig ist, dass es höchst-
Pall VI, Fig. 4. Fall VI, Fig. 6.
imm
Fall VI, Fig. 6.
wahrscheinlich ist, dass meine zu jener Zeit gezogenen Schluss¬
folgerungen bezüglich der Veränderungen im temperomaxillaren
Gelenk, die notwendigerweise auftreten müssen, soll der Unter¬
kiefer dauernd in der vorgeschobenen Stellung bleiben und
diese normal und natürlich erscheinen lassen, im allgemeinen
richtig waren. Doch erforderte diese Methode eine so lang-
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Google
266
R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
wierige Behandlung, dass sie jetzt tatsächlich veraltet ist. Aus
den Beobachtungen, die seit der Zeit, da die Möglichkeit ge¬
geben wurde, alle Zähne zu normaler Okklusion zu bringen,
Fall VI, Fig. 7.
gemacht wurden, ist ganz entschieden zu ersehen, dass, möge
auch die ausdrucksfähige Partie des Gesichtes eine kleine Un¬
vollkommenheit der Gleichmässigkeit, sei es nun in der Stellung
Fall VI, Fig. 8.
des Kinnes oder anderswo, zeigen, dass die Herbeiführung
richtiger Okklusion in jugendlichem Alter der Natur günstige Ge¬
legenheit gibt, jede früher daselbst bestandene Ungleichmässig-
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
267
keit so auszugleichen und zu verändern, dass dieselbe sich im
Laufe der Zeit, ohne Ausnahme, zu der für diesen Typus charakte¬
ristischen Gleichmässigkeit und Proportion entwickeln wird.
Fall VI, Fig. 9.
Diese Beobachtungen dienen eher dazu, die Ansicht zu bestätigen,
dass die moderne Orthodontie zur Korrektion einfacher Fälle
der Klasse II nicht, wie es kürzlich gefordert wurde, eine Vor-
Fall VI, Fig. 10.
Schiebung des Unterkiefers verlangt; es ist nun meine Absicht,
zu zeigen, dass es, trotz aller Wahrscheinlichkeit, in bestimmten,
in Uebereinstimmung mit den Prinzipien moderner Orthodontie
Digitized by v^ooQle
R. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
behandelten Fällen fraglich ist, so hergestellte Beziehungen
dauernd zu erhalten. Indem ich dies erkläre, wünsche ich nicht
der Ansicht Raum zu geben, als ob es inkorrekt oder unmöglich
Fall VII, Fig. 1.
wäre, in speziellen Fällen durch Vorschieben des Unterkiefers
die ästhetischen Proportionen wieder herzustellen, in jenen
speziellen Fällen, in denen die zurückgebliebene Entwicklung
Fall VII, Fig. 2.
des Unterkiefers eine derartige Disharmonie in den Linien des
Gesichtes verursacht, dass dadurch die Gleichmässigkeit der
Gesichtszüge dieser speziellen Type, zu welcher der Fall ge¬
hört, eine schwere Beeinträchtigung erleidet.
Digitized by v^ooQle
Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 269
Früher musste der Patient bei der Korrektion solcher
Fälle, wie in Fall VII, nachdem die Zähne in ihre richtige
Fall VII, Fig. 8.
Stellung gebracht waren, eine Platte tragen, die den Gaumen
deckte und mit der nur die vorderen unteren Zähne in Be¬
rührung kamen. Diese Platte musste so lange getragen werden,
Fall VII, Fig. 4.
bis sich die Backenzähne durch ihr natürliches Wachstum so¬
weit verlängert hatten und die Fläche der Okklusion derart
war, dass der untere Zahnbogen, wenn der Kiefer nach vorne
9
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270
E. D. Mc Bride, D. D. S. f Dresden.
gebracht wurde, normal oder so normal als möglich mit dem
oberen artikulieren konnte. War einmal diese neue Okklusion
erreicht, so musste der Kiefer dauernd in dieser vorgeschobenen
Stellung erhalten werden; denn wenn die Kondylen die Mög¬
lichkeit hätten, vor und rückwärts zu gleiten, so würde an der
Eminentia articularis nie die Veränderung Platz greifen, die
eine bleibende ästhetische Verschönerung des Gesichtes zur
Folge hätte. Wenn die Zähne in Okklusion blieben, so wäre
der Gesichtsausdruck vom künstlerischen Standpunkt verbessert.
Doch beim Lachen oder selbst beim geringsten Nachlassen
der Spannung der Muskeln würden die Kondylen in ihre
natürliche Stellung in die Fossa glenoidalis zurücktreten und
die einzige Veränderung, die Platz greifen würde, wäre eine
kompensierende, an dem bei vorgeschobenem Kiefer vor¬
handenen Berührungspunkte zwischen Kondylen und Eminentia
articularis. Der Teil des Kondylenkopfes, der bei stattfindender
Okklusion der Zähne auf die Eminentia articularis zu ruhen
kommt, wird abgefiacht. Meine, an Schädeln, an denen ein
solcher Zustand durch natürliche Ursachen bedingt war, ge¬
machten Beobachtungen, erhärten diese Ansicht ausser allem
Zweifel. Beinahe alle, die die eben besprochene Behandlungs¬
methode übten, verwendeten ein Retentionsprinzip, das die Vor-
und Rückwärtsbewegung der Kondylen gestattete. Um nun eine
ständige und unveränderliche Verbesserung des Gesichtes zu
erzielen, muss der Unterkiefer dauernd in seiner vorgeschobenen
Stellung festgehalten werden, welcher Zustand in der Fossa
glenoidalis wahrscheinlich solche Veränderungen hervorrufen
würde, dass diese vorgeschobene Stellung der Kondylen im
Laufe der Zeit vollkommen natürlich und normal erscheinen
würde. Die Veränderungen, die in der Fossa glenoidalis statt¬
finden würden, wären wahrscheinlich dieselben, wie sie in
jeder leeren Gelenkpfanne nach nicht wieder eingerichteter
Verrenkung auftreten, indem die Tiefe der Gelenkpfanne durch
Anlagerung neuen Knochengewebes in zentraler Richtung ver¬
mindert wird. Manche Orthodontisten behaupten, dass die mit
einer solchen Behandlung einhergehenden physiologischen Ver¬
änderungen in einer leichten Knickung des Kiefers am Kiefer-
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
271
winkel oder am Halse der Kondylenknöpfchen zum Ausdruck
kommen. Doch bei genauem Studium einer Anzahl von Schädeln
wird es ersichtlich, dass derartige Veränderungen unwahr¬
scheinlich sind.
Unmittelbar nach Einführung der intermaxillaren Ligatur
zur Verschiebung der Zahnbögen in mesio-distaler Richtung
und zur Korrektion der Fläche der Okklusion durch rasches
Verlängern der rückwärtigen Zähne, machte ich mir die aus
dieser elastischen Kraft erwachsenden Vorteile zu eigen und
korrigierte eine Anzahl von Fällen, bei denen scheinbar eine
zurückgebliebene Entwicklung des Unterkiefers vorhanden war
und derselbe distal zu normalen Verhältnissen stand, durch
rasche Verlängerung der rückwärtigen Zähne und Herstellung
normaler Okklusion durch Vorschiebung des Unterkiefers, ohne
die Zahnbögen zu verschieben. Doch war ich im Laufe der
Zeit erstaunt, zu finden, dass bei einigen Fällen, trotzdem die
Okklusion vollkommen richtig geblieben war, die Gesichts¬
konturen schliesslich erkennen liessen, dass der Unterkiefer
wieder in seine frühere zurückgeschobene Stellung getreten war,
und dass die eventuell erreichten Erfolge meiner Behandlung
auch durch Distalschiebung des oberen und Mesialschiebung
des unteren Zahnbogens, ohne Vorschiebung des Unterkiefers
en masse hätten erreicht werden können. Ob mm der Unter¬
kiefer dauernd in seiner vorgeschobenen Stellung erhalten
wird oder die Kondylen genügend Spielraum haben, auf der
Eminentia articularis vor- und rückwärts zu gleiten, jedenfalls
muss man sich fragen, wieso bei der früheren, protrahierten
Behandlungsmethode die Okklusion imstande war, die neu
hergestellten Verhältnisse zu erhalten und wieso sie dies bei
den jetzt angewandten, modernen Methoden nicht imstande
ist Eine sachgemässe Erklärung für diese Fragen findet man
in dem Studium der für die Korrektion der Fläche der Okklusion
angewandten Methoden.
Durch Anwendung der Bissplatte verlängerten sich die
rückwärtigen Zähne durch eigenes Wachstum so weit dass
sie bei vorgeschobenem Unterkiefer richtig zur Okklusion kamen.
Die so verlängerten Zähne waren in solidem Knochengewebe
9 *
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272
B. D. Mc Bride, D. D. S., Dresden.
des Alveolarfortsatzes eingebettet und so in den Stand gesetzt,
der natürlichen Neigung der Muskeln, den Unterkiefer zurück
in seine frühere Stellung zu bringen, erfolgreich Widerstand
zu leisten. Wenn jedoch die rückwärtigen Zähne durch die
intermaxillaren Ligaturen oder auf andere Weise rasch ver¬
längert werden und alle zur Herstellung einer richtigen For¬
mation beider Kiefer nötigen Kräfte gleichzeitig wirken, so
sind die Zähne nach vollendeter Behandlung nicht in solides
Knochengewebe eingebettet. Die Natur hatte noch nicht ge¬
nügend Zeit gehabt, den Alveolarprozess zu genügend starker
Entwicklung zu bringen und so es den Zähnen zu ermöglichen,
den natürlichen Einflüssen, die Kondylen in ihre natürliche
anatomische Stellung, in die Fossae glenoidales zurückzubringen,
erfolgreich Widerstand zu leisten. Anstatt dass nun das Kiefer¬
gelenk sich in der Folge derart verändert, dass es mit der
neugeschafifenen Stellung des Unterkiefers harmoniert, rückt
derselbe allmählich in seine frühere Stellung zurück, während
sich die Zähne des Oberkiefers ein wenig distalwärts, die des
Unterkiefers ein wenig mesialwärts neigen.
Meine ersten diesbezüglichen Beobachtungen, dass die
Zähne in bestimmten Fällen nicht imstande sind, den Unter¬
kiefer, wie oben beschrieben, in seiner vorgeschobenen Stellung
zu erhalten, datieren aus dem Jahre 1903. Andere Orthodontisten
haben dieselben Beobachtungen gemacht. Trotz dieser Beob¬
achtungen bezüglich der Unverlässlichkeit der Zähne, unter be¬
stimmten unbeständigen Umständen neu hergestellte Verhältnisse
zu erhalten, wünsche ich nicht, und ich wiederhole es noch
einmal, der Ansicht Raum zu geben, dass es in bestimmten
Fällen nicht ratsam ist, den Unterkiefer vorzuschieben, oder
dass man bei diesen keine guten Resultate erzielen kann. Ich
glaube nur annehmen zu dürfen, dass der Erfolg der Behandlung
in diesen Fällen hauptsächlich von dar Ausschaltung aller
jener Bedingungen abhängt, die darauf abzielen, die Zähne zur
Erhaltung der gewünschten ästhetischen Verhältnisse unbeständig
zu machen.
Soeben habe ich drei extreme Fälle der Klasse II in
meiner Behandlung, bei denen der Unterkiefer zur Verbesserung
Digitized by v^ooQle
Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
278
der Harmonie des Gesiebtes vorgeschoben wurde und ich bin
sicher, dass die Resultate fraglos zufriedenstellende sein werden.
Einer dieser Fälle betrifft eine junge Dame, die sich schon ge¬
raume Zeit vor Beginn der Behandlung zur Verbesserung dieser
ihrer Entstellung angewöhnt hatte, den Unterkiefer so weit
nach vorne gerückt zu halten, dass die unteren vorderen
Zähne tatsächlich mit den oberen in Kontakt kamen, welche
Stellung die Bildung eines offenen Bisses in den rückwärtigen
Partien der Zahnbögen zur Folge hatte. Der Unterkiefer nahm
scheinbar nur während des Kauaktes eine distale Stellung ein
und, so weit ich feststellen konnte, schien es nur freier Wille
Fig. I.
der Patientin zu sein, den Unterkiefer distal zu bewegen, so
dass die Kondylen ihre normale anatomische Stellung in den
Fossae glenoidales einnahmen. Dies ist der einzige Fall, bei
dem ich einen solchen Zustand beobachten konnte und habe
ich auch Ursache anzunehmen, dass solche Fälle eine seltene
Ausnahme sind.
Es ist höchst wahrscheinlich, dass in nächster Zukunft
einige jetzt noch offene Fragen bezüglich der physiologischen
Veränderungen, die durch die Vorschiebung des Unterkiefers
zur Verbesserung der ästhetischen Harmonie des Gesichtes
hervorgerufen werden, durch die Resultate der jetzt unaus¬
gesetzt durchgeführten diesbezüglichen Arbeiten eine zufrieden¬
stellende und entscheidende Antwort erhalten werden.
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274
B, D. Me Bride, D. D. 8., Dresden.
Der erfahrene Orthodontist findet bei der Korrektur der
Stellungsanomalien der Zähne keine Schwierigkeiten, doch die
Frage der Retention ist ein Problem, das die Geschicklichkeit
und die Geduld, selbst des Erfahrensten, oft auf harte Proben
Fig. K.
stellt Der Retentionsapparat, den ich jetzt immer gebrauche,
ist das aus meiner vieljährigen Erfahrung in der Orthodontie
gewonnene Resultat, und auch in jenen zahlreichen Fällen, wo
die Patienten ferne von Dresden wohnen und ich nach be-
Fig. L.
endeter Behandlung und Anlegung des Retentionsapparates in
vielen Fällen oft monatelang nicht Gelegenheit habe, mich per¬
sönlich von dem jeweiligen Zustand zu überzeugen. Einzelne
Fälle kommen überhaupt nicht wieder. Wegen dieser Umstände
habe ich es nicht für praktisch gefunden, die Zähne mit irgend
einer Form von fixem Retainer festzuhalten, schon wegen der
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung. 276
Möglichkeit irgend eines unvorhergesehenen und unangenehmen
Zwischenfalles, der bei dieser Art von Retention Vorkommen
kann. Ein Retentionsapparat soll einfach in seiner Konstruktion,
allgemein anwendbar in seiner Anpassungsfähigkeit sein und
soll drei wichtige Eigenschaften besitzen. Vor allem muss er
jede Veränderung der Stellung eines einzelnen Zahnes, wie der
Zähne im ganzen verhindern, ferner muss er das mesio-distale
Verhältnis der Bögen zueinander aufrecht erhalten und drittens
darf keine Veränderung in der Fläche der Okklusion stattfinden.
Fig. I, K und L zeigen die Form eines Retentions¬
apparates, der diese Eigenschaften besitzt. Man ersieht aus
Fig. K und L, dass dieser Apparat die Zähne einzeln und
im ganzen in ihrer richtigen Stellung hält und dass die an
der buccalen Seite sich befindenden Ausläufer (Fig. I) dazu
dienen, das mesio-distale Verhalten der Zahnbögen zu erhalten.
Die Fläche der Okklusion ist hergestellt und wird richtig da¬
durch erhalten, dass die unteren vorderen Zähne auf die
obere Kautschukplatte unmittelbar hinter die oberen Front¬
zähne zu beissen kommen. Der Kautschuk ist nur mit den
sechs oberen und unteren Frontzähnen in Kontakt und ist
von den Bicuspidaten und Molaren weggeschnitten (Fig. K
und L), um diesen Zähnen die Möglichkeit zu geben, in voll¬
kommen richtige Okklusion zu treten. Der distale Teil der
unteren Platte ist durch kleine Häkchen, die in der lingualen
Grube des unteren ersten Molars ruhen (Fig. L), verhindert,
sich zu senken. Ich benütze diesen Apparat seit einer Reihe
von Jahren und hat mich derselbe so vollkommen zufrieden
gestellt, dass ich der Frage der Retention keine weiteren Be¬
trachtungen mehr widme. Fig. M, N, 0 und P zeigen meine
letzten Aenderungen an diesem Apparat. Der Retainer, wie er
in Fig I, K und L abgebildet ist, wurde gleich nach Ent¬
fernung des Regulierungsapparates angelegt und, nachdem die
Zähne sich etwas gefestigt hatten, durch den Metallretainer
ersetzt
Ich gebrauchte diesen Metallretainer durch 6 Monate und
er besitzt vor dem in Fig. I, K und L abgebildeten mannig¬
fache Vorteile. In Fällen, in denen die bleibenden Zähne noch
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276
R. D. Mc Bride, D. D. 8., Dresden.
Fig. M.
Fig. N.
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Die Orthodontie in ihrer praktischen Verwertung.
277
nicht durchgebrochen sind, ist der Retentionsapparat (Fig. I,
E und L) zu empfehlen. Nachdem ich dieses System durch
Jahre erprobt habe, bin ich überzeugt, dass es durch alle
Fig. O.
seine mit demselben verbundenen Vorteile das lang empfundene
Bedürfnis nach einem allgemein anwendbaren System der Re¬
tention in weit höherem Masse erfüllt, als jedes andere in der
Fig. P.
Orthofiontie bekannte System. Dieser einfache Apparat kann
umgeändert werden, um allen speziellen Erfordernissen zu ent¬
sprechen.
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278
Prof. C. A. Hawley, D.D. S., Columba« (Ohio).
Patienten, die ich nicht kontrollieren kann, bekommen
ein Duplikat des Retentionsapparates mit. Von Zeit zu Zeit
senden sie mir den in Stents genommenen Biss, nach dessen
Modellen ich den jeweiligen Zustand der Okklusion entnehme.
Der Retentionsapparat wird noch einige Zeit nach Herstellung
vollkommener Okklusion getragen und dann entfernt. Ist ein¬
mal vollkommen normale Okklusion hergestellt, so ist jede
weitere Veränderung in der Stellung der Zähne unmöglich, da die
normale Okklusion, der natürliche Retainer, unveränderlich ist.
Ich habe versucht, in diesem kurzen Aufsatze alles, was
sein umfassender Titel andeutet, in gedrängter Form zu bringen
und vom praktischen Standpunkte meinen Lesern eine detail¬
lierte Beschreibung der höchstentwickelten Methoden der Ortho-
dontie zu liefern.
Nachdruck nur mit Zustimmung des Autors gestattet.
Eine paiie Methode in Her Ortbodsntie . 1
Von Prof. C. A. Hawley , D. D. S., Columbus, Ohio.
Auf dem vierten internationalen zahnärztlichen Kongress
in St. Louis, Mo., hatte ich die Ehre, vor der Abteilung für
Orthodontie einen Vortrag zu halten, betitelt: „Die Festsetzung
des normalen Bogens und seine Verwendung für die Ortho¬
dontie“. Hierbei wurde eine Methode gezeigt, um vor der
Aenderung des Zahnbogens denselben genau zu bestimmen
oder im vorhinein die neue Linie der Okklusion festzu¬
stellen. Die Linie der Okklusion wurde von Dr. Angle
definiert als „die Linie des grössten normalen, geschlossenen
Kontaktes“. Dieselbe geht im unteren Bogen über die Höhen
der buccalen Höcker der Mahl- und Backenzähne und die
Schneiden der Eck- und Schneidezähne; im oberen Bogen
wird dieselbe gefunden längs des Einschnittes zwischen buccalen
und lingualen Höckern der Mahl- und Backenzähne und über
den lingualen Oberflächen der Eck- und Schneidezähne, un-
1 Vortrag, gehalten in dem New-Tork Institute of Stomatology am
4. April 1906. Veröffentlicht in dem „Journal of the allied Societies“,
Jnly 1906. Mit Zustimmung des Autors übersetzt.
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Eine genaue Methode in der Orthodontie.
279
gefähr eia Drittel dieser Oberflächen entfernt von den Schneiden.
Die erwähnte Methode, welche den Gegenstand meines Vor¬
trages bildete, verlegt diese Linie der Okklusion direkt in
den unteren Bogen. Im oberen Bogen wird eine Linie be¬
stimmt, gehend durch die Höhen der buccalen Höcker der
Mahl- und Backenzähne und die Schneidekanten der Schneide-
und Eckzähne, und von dieser Linie ist die Linie der richtigen
Okklusion leicht zu finden. In jedem Falle bestimmt die Linie
die Form, die Tiefe und die Länge des Bogens.
Gelegentlich meines früheren Vortrages und seit dieser
Zeit wurden Befürchtungen laut, dass, wenn man in die Ortho¬
dontie einen mathematisch und geometrisch ausgedachten Plan
bringe, man die künstlerische Beurteilung beschränke oder aus-
scheide und dass die Methode keinen Platz lasse für die Be¬
urteilung der Veränderung der Form des Bogens, um den An¬
forderungen der verschiedenen Typen zu entsprechen.
Diese Befürchtungen und Einwände haben zu einem Miss¬
verständnisse geführt in bezug auf die Dehnbarkeit der Me¬
thode in ihrer Anwendung. In diesem Vortrage wünsche ich
einiges zur Klärung bei der Demonstration der Methode bei¬
zufügen und in Erwiderung der oben gemachten Einwürfe will
ich die Behauptung aufstellen, dass diese Methode, weit ent¬
fernt, die Beurteilung der künstlerischen Erfordernisse in der
Orthodontie irgendwie zu hindern, die wertvollsten Grundsätze
festlegt und die wichtigste Basis gibt, auf welcher künstle¬
rische Resultate in der Orthodontie erreicht werden müssen,
und statt die Verschiedenheiten des Bogens, die den ver¬
schiedenen Typen entsprechen, zu beschränken, bildet sie den
einzigen sicheren Führer für diese Abweichungen.
Der mathematische Ausdruck des Gebisses ist im Zahn¬
schluss und in der Form des Bogens, in der Linie der
Okklusion, enthalten. Der normale Zahnschluss wurde von
Dr. Bonwill beobachtet und von Dr. Angle zur Basis der
modernen Orthodontie gemacht. Da bleibt keine Frage offen
bezüglich der normalen und wünschenswertesten Okklusion
oder des Wunsches auf möglichste Herstellung und Bewahrung
derselben.
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980
Prof. C. A. Hawley, D. D. S., Colombos (Ohio).
Die ideale Form des Bogens ist mit einiger Schwierigkeit
festgesetzt worden und wir geben zu, dass nicht für alle Fälle
ein idealer Bogen vorhanden ist.
Dr. A. H. Thompson hat ausgedehnte Beobachtungen
der Bogenform bei den verschiedenen Rassen gemacht und
Fig. 1.
gibt uns die folgenden typischen Formen: „Die eckige Form“
(Fig. la), sagt er, „wird gewöhnlich gefunden bei Personen von
stark knochiger Konstitution und schottischer oder irischer Ab¬
stammung, d. i. gallischer Herkunft. Der Bogen mit „abge-
Fig. 2.
rundeten Ecken“ (Fig. 16) wird gefunden bei wohl entwickelten
Amerikanern. Der „runde Bogen“ (Fig. 1 c) ist ganz charakte¬
ristisch für gewisse Rassen, und zwar für die kurzköpfigen Süd¬
deutschen. Der „abgerundete V-förmige Bogen“ (Fig. Id) gehört
der Schönheit und wird am meisten beobachtet bei den Frauen
der lateinischen Rassen.“
Digitized by v^ooQle
Eine genaue Methode in der Orthodontie.
981
Dr. Bon will untersuchte, wie er in seinem Werke „Ueber
die Artikulation der Zähne“ angibt, 4000 Gebisse an lebenden
Personen und 6000 Schädel und stellte auf Grund dieser Be¬
obachtung einen Bogen fest, der auf dem gleichseitigen Drei¬
ecke basiert und den gut entwickelten Zahnbögen konform
befunden wurde. Dieser Bogen (Fig. 2) ist nicht genau die
Form einer der von Dr. Thompson gezeigten Typen, er
scheint aber eine Kombination des Bogens mit abgerundeten
Fig. 8.
Ecken und des abgerundeten V-förmigen Bogens zu sein, was
ganz natürlich ist, wenn wir bedenken, dass Dr. Thompson
verschiedene Rassentypen vorführt und Dr. Bon will ein
Ideal von den best entwickelten Gebissen aus wählt. Dieser
BonwillscheBogen ist ganz ähnlich dem in Dr. Blacks „Dental
Anatomy“ gezeichneten typischen Zahnbogen (Fig. 3) und dem
„Text Book of Prosthetic Dentistry“ von Essig entnommen.
Während Dr. Bonwills Bemühungen hauptsächlich
darauf gerichtet waren, sein Prinzip für die Aufstellung künst¬
licher Zähne zu verwerten, schien er doch deren Wichtigkeit
Digitized by v^ooQle
Prof. C. A. Hawley, D. D. 8., Columbus (Ohio).
für die Orthodontie zu würdigen, denn er sagt: „Das Studium
dieser Gesetze wird Sie belehren über die wahre Wissenschaft
in der Regulierung von unregelmässiger Zahnstellung.“ Und
wenn sein Werk tatsächlich die richtigen Prinzipien der natür¬
lichen Bewegung der Kiefer zeigt, und dies scheint ohne Frage,
so muss eine Wissenschaft der Orthodontie, welche nach einem
grossen und umfassenden Werke zielt, diese Prinzipien aufhehmen
A'- - ß‘
und muss an den lebenden Kiefern die Bedingungen erzeugen,
welche die normalen Bewegungen möglich machen, durch Er¬
zeugung einer normalen Okklusion und dadurch, dass die
Grösse und Form des Bogens mit der Grösse der Zähne und
der wahrscheinlichen Weite zwischen den Kondylen in Ueber-
einstimmung gebracht wird.
In Fig. 4 haben wir Dr. Bonwills geometrische Figur, ein
gleichseitiges Dreieck AFG (eingezeichnet in einen Kreis),
Digitized by v^ooQle
Bülte genaue Methode in der Orthodontie.
dessen Basis F G die Entfernung zwischen den Kondylen dar¬
stellt, welche von 3 bis 5 Zoll variiert. Demgemäss sind im
künstlichen Gebiss die Eck- und Schneidezähne in dem Bogen
des Kreises AJCH angeordnet, dessen Grösse verschieden ist
nach der Grösse der Zähne, welche für den Fall nach dem
Urteil des Operateurs ausgewählt sind.
Wenden wir dieses Prinzip auf die Orthodontie an, wo
uns die Grösse der Zähne und mit deren Breite der Durch¬
messer des Kreises AJCH gegeben ist, so müssen wir das
Verfahren umdrehen und eine Beziehung zwischen diesem
Kreise und dem gleichseitigen Dreiecke AFG oder dem Kreise,
Fig. 5.
in welchem dieses eingezeichnet ist, finden. Eine solche Be¬
ziehung konnte ich in Dr. Bonwills Schriften nicht finden. Man
findet sie aber in dem Dreiecke EDC, dessen Spitze beim
Punkte C auf dem Durchmesser des Kreises AJCH liegt,
dessen Basis eine Tangente desselben Kreises bei A darstellt;
die Seiten sind durch die Punkte J und H gezogen, welche
mit dem Radius von A aus auf dem Kreise bestimmt sind.
Um das Diagramm zu konstruieren, nimmt man den Radius
des Kreises AJCH , der gegeben ist durch die kombinierte Breite
des grossen und kleinen Schneidezahnes und des Eckzahnes in der
Linie A‘ B‘. Mit dem Radius A B beschreibt man auf der Linie A C,
welche.der Durchmesser des Kreises wird, den Kreis AJCH
Digitized by v^ooQle
284
Prof. C. A. Hawley, D. D. 8., Colambos (Ohio).
und markiert vom Punkt A aus mit dem Radius H und J. Wir
haben so den Kreisbogen, auf dem die sechs Frontz&hne auf-
gestellt werden, wissen aber nichts von der Grösse des Drei¬
eckes AFG. Von C aus zieht man die Linien GL und C D
über H und J hinaus; eine Tangente des Kreises durch A
Fig. 6.
schneidet die Linie in E und D, so entsteht ein gleichseitiges
Dreieck ECB. Man nimmt eine Seite dieses Dreieckes als Radius,
bestimmt von A aus auf der Linie A J den Mittelpunkt und
zeichnet den grossen Kreis AFG. Trägt man den Radius
sechsmal auf dem Umfang auf und verbindet die ungeraden
Digitized by L^ooQle
Eine genaue Methode in der Orthodontie.
285
Fig. 7.
Punkte, so bekommt man das Dreieck AFG. Zieht man dann
die Linien FJ und GH, so bekommt man die gewünschte
Figur, auf der man die Breite der Zähne, wie man sie im
Munde findet, aufträgt.
Die Zähne können alle gezeichnet werden, wie Fig. 5
zeigt und wie ich es zuerst auslührte oder es wird nur ein
Bogen benützt. Die frühere Methode war für mich von grossem
Vorteil, weil sie einen besseren Ueberblick über die vollendete
Arbeit gab.
Meine gegenwärtige Methode zeigen folgende Fälle:
Klasse II, Div. I, Alter 10, wovon Fig. 6 die Vorder- und Seiten¬
ansicht zeigt. Die Milchmahlzähne und Eckzähne sind vorhanden.
Die Methode, diesen Bogen zu bestimmen, werden wir später
besprechen. Fig. 7 zeigt die Kauflächen der oberen und unteren
Zahnreihe. Der Bogen ist übertragen auf ein Stück durch¬
scheinendes Zelluloid und setzt man dies in richtiger Position
Digitized by v^ooQle
Prof. C. A. Hawley, D. D. S M Oolumbus (Ohio).
auf das Modell, so kann man jede Bewegung, die notwendig
ist, den Fall zu korrigieren, ganz genau zu Gesicht bringen.
Auch die Verkürzung des Bogens zeigt sich und dies ist sehr
wichtig bei der Berechnung des Effektes, den die proponierte
Bewegung im Gesichtsausdrucke hervorbringt. Ich möchte Sie
Fig. 9.
hier aufmerksam machen auf die geringe Ausdehnung, die im
Unterkiefer angezeigt ist, im Vergleich mit dem Oberkiefer. In
dieser Art der Fälle zeigt es sich, dass die Enge des Ober¬
kiefers den Unterkiefer nach rückwärts gedrückt hat und dass die
Ursachen, welche die Enge bewirken, diesen Effekt im Unter¬
kiefer nicht erreichen; derselbe nimmt daher eine distale Position
Digitized by v^ooQle
Eine genaue Methode in der Orthodontie.
287
ein, um eine bequeme Okklusion zu erreichen. So sind die
Eondylen in eine abnorme Position in die Fossa glenoidalis
zurückgedrängt. Dafür spricht auch die Tatsache, dass, wenn
der obere Bogen erweitert ist, der untere sehr leicht vorwärts
kommt und niemals mehr mesio-distale Retention braucht, als
durch die Höcker der Mahlzähne geboten wird. Diese Tatsache
drängte sich mir auf beim Studium von Fällen dieser Art mit
dem Diagramm. Das Diagramm wird gebraucht bei einem
behandelten Fall als eine konstante Marke für die Bewegung,
Fig. 10.
indem man im Munde von Zeit zu Zeit misst und mit dem
Diagramm vergleicht oder man kann auch das Zelluloid jeder¬
zeit in den Mupd geben und da direkt die Position der Zähne
notieren. Fig. 8 zeigt die Kauflächen dieses Falles, nachdem
die Regulierung beendet, Fig. 9 zeigt die Vorderansicht und
die Seiten.
Im nächsten Falle Fig. 10 sind die oberen Mahlzähne
in lingualer Okklusion; es entsteht nun die Frage, ob die
unteren Molaren Fig. 11 auswärts gedrückt werden sollen. Die
io*
Digitized by v^ooQle
288 Prof. C. A. Hawley, D. D. 3., Columbus (Ohio).
Verkürzung des Bogens und das Fehlen der zweiten Molajen
erweckt diesen Eindruck. Aber das Diagramm Fig. 12 zeigt,
dass dies unrichtig wäre und fordert die Verschiebung beider
Bögen. Fig. 13 zeigt die Bögen und Fig. 14 die Okklusion
des vollendeten Falles. Diese zwei Fälle zeigen nach meiner
Meinung genügend die Methode des Arbeitens. Ich wünsche
weder jetzt, noch wünschte ich früher, dass man glaube, ich
bestehe auf dieser Bogenform bis ins einzelne für jeden Fall.
Wenn man einen schematischen Bogen annehmen würde, so
Fig. 11.
wäre der von Dr. Bon will zweifellos der beste für eine all¬
gemeine Anwendung. Derselbe kann nach geometrischen und
mathematischen Regeln genau hergestellt werden und jeder
Grösse der Zähne angepasst werden. Bevor ich die Frage er¬
örtere, wie nahe wir unsere Arbeit diesem Bogen in allen Fällen
anpassen sollen, will ich Ihnen die Meinung von Dr. William
J. Brady Vorbringen, die er in einem Vortrage »Einige Punkte,
betreffend Okklusion“ in der „American Society of Ortho-
dontists“ in St. Louis, 12. Juni 1901, ausgesprochen hat. In
bezug auf den Bonwill-Bogen sagt er: „Es ist Tatsache, dass
jeder Zahnbogen diesen vollendeten Linien entsprechen würde,
wenn die Natur in ihrer Absicht nicht gehindert würde. Die
Digitized by v^ooQle
Eine genaue Methode in der Orthodontie.
289
Fig. 13.
Fig. 12.
mechanischen Verhältnisse des Falles erfordern behufs grösster
Zweckmässigkeit einen Bogen von dieser Form, und die mecha¬
nischen Kräfte des Kauaktes erzeugen einen Bogen, der dem
erwähnten so nahe als möglich kommt. Selbst bei schlechter
Okklusion folgen die Zähne dieser vollendeten Form, soweit
es die mechanischen Verhältnisse des Falles gestatten. Diese
verlangen einen Bogen von einer ganz bestimmten Form, infolge
bestimmter unabänderlicher Gesetze und nicht, weil jemand
denkt, es sollte so sein oder weil dies ein schönes Diagramm
auf dem Papier geben würde. Solange der Kiefer ein gleich¬
seitiges Dreieck enthält und bei Seitenbewegung auf dem einen
Kondyl sich dreht, solange wird diese Bogenform das unver¬
änderliche Ziel sein, das die Natur auf ihrem Wege zu erlangen
sucht, ebenso wie es für uns das Schlussresultat sein sollte, das
wir in unserer Arbeit suchen. Solange der Unterkiefer seine Form
oder seine Bewegung nicht ändert, wird jedermann oder sollte
Digitized by v^ooQle
290
Prot C. A. Hawley, D. D. S., Columbus (Ohio).
jedermann die Bögen von der gegenwärtigen Form haben und
weder Rasse noch Farbe, weder seelische noch körperliche
Eigentümlichkeiten werden diese Tatsachen ändern“.
Ich für meinen Teil gebrauche es als ein Mass, als eine
Basis für die Diagnose und das Studium, um akkurat und
systematisch vorzugehen, um im vorhinein abzuschätzen,
was wir auszuführen wünschen und um rasch und genau
zum Ziel zu gelangen. Wir sollten nicht eine Bogenform zu
■r J
\rMN ww* * -
m'i! II Ml -
JP
Fig. 14.
ändern versuchen, ohne ein bestimmtes Ziel im Auge zu
haben. In meiner eigenen Praxis, beim Studium von Fällen
und als Mass für deren Fortschritte war diese Methode un¬
schätzbar. Um einen Plan zu zeigen für Abweichungen des
schematischen Bogens verweisen wir auf Fig. 15, wo wir den
Bonwill-Bogen finden und daneben einen punktierten Bogen.
Der Bonwill-Bogen ist gezeichnet für die Grösse der Zähne in
diesem Falle. Wünschen wir den punktierteb Bogen '/* Zoll
näher, so zeichnen wir die Linien für die Mahlzähne und
Backenzähne '/« Zoll nach innen vom schematischen Bogen
Digitized by v^ooQle
Eine genane Methode in der Orthodontie.
291
an jeder Seite. Der engere Bogen wird notwendigerweise
länger sein als der Bonwill-Bogen und hier haben wir die
Wahl, die Mahlzähne rückwärts zu bringen und die Lippen
unverändert zu lassen oder die Mahlzähne auf ihrem Platz zu
lassen und die Lippen auswärts zu drücken. Aehnliche Ueber-
legungen können angestellt werden für einen weiteren Bogen.
Wir können so für jeden Typus und für jedes Temperament
Berechnungen anstellen, die eine gesunde Grundlage für die
künstlerischen Resultate in der Orthodontie sein werden. Diese
Berechnung eröffnet einen Weg für eine wissenschaftliche Be¬
handlung der Frage des Typus und des Temperaments in Be¬
ziehung auf die Zähne.
Dadurch, dass normale Okklusion hergestellt und
dass die Bogenform in Harmonie mit der Grösse der Zähne
gebracht wird, bekommen die Kiefer ihre natürliche Be¬
wegung und das Gebiss erlangt die natürliche Entwicklung,
Digitized by v^ooQie
Prof. C. A. Hawley, D. D. 8., Colnmbns (Ohio).
soweit die mechanischen Verhältnisse es gestatten. In bezug
auf die Retention werden wir uns gegen irgend eine schliess-
liche retrogressive Veränderung, welche eintreten könnte, am
wirksamsten dadurch schützen, dass wir den Bogen den natür¬
lichen mechanischen Kräften der Kiefer anpassen. Betrachten
wir die Frage von der künstlerischen Seite, so ist, während
die Natur in Wirklichkeit vielleicht nicht in allen Fällen die
Zähne in genauer Weise dem Individuum angepasst hat, bei
der gegenwärtigen Entwicklung der Orthodontie die Hypothese,
dass die Natur dies doch getan hat, eine sichere Basis für die
Arbeit. Denn wenn wir alle Uebelstände der Extraktion be¬
trachten, wie sie von vielen, und insbesondere von Dr. E. A.
B o g u e hervorgehoben wurden, müssen wir in der Tat zögern,
einer Auffassung von Verbesserung durch Verstümmelung
zu vertrauen, verglichen mit der Nützlichkeit des Gebisses,
wenn die Zähne sich an der Stelle befänden, wo die Natur
sie hinzustellen beabsichtigte.
Bis jetzt haben wir angenommen, dass die zentralen,
die lateralen Schneidezähne und die Eckzähne durchgebrochen
oder dass das Gebiss tatsächlich voll entwickelt war. Um aber
in unserer Wissenschaft fortzuschreiten, müssen wir Entwicklungs¬
störungen schon in früher Jugend beobachten. Wir müssen zwerg¬
hafte und abnorme Bedingungen erkennen, sobald dieselben
sich zeigen. Bei Anwendung dieser Methode fand ich sehr bald,
dass in einer grossen Zahl von Fällen, die in meine Hände
kamen, die notwendigen Daten nicht erbracht werden konnten.
Sehr oft waren die Eckzähne nicht durchgebrochen und in
vielen Fällen auch die lateralen Schneidezähne. Ich half mir
durch das Abmessen des zentralen Schneidezahnes, um mich
dann auf einen früher behandelten Fall zu beziehen, der einen
zentralen Schneidezahn von derselben Breite hatte und in der
Voraussetzung, dass die Zähne immer in Proportion stehen,
gebrauchte ich denselben Bogen. Diese Methode wurde an¬
gewandt in dem Falle Fig. 6, 7, 8 und 9. Die Variationen,
welche sogleich zutage traten, führten mich, indem sie gleich¬
zeitig eine ziemlich genaue Anleitung boten, dazu, in eine
Erforschung der proportionellen Breiten der Zähne, wie sie in
Digitized by v^ooQle
Eine genaue Methode in der Orthodontie.
293
einem und demselben Munde Vorkommen, einzugehen, zum
Zwecke der Anlegung von Serien entsprechender Bögen zum
Gebrauche bei jungen Patienten. Zu diesem Zwecke habe ich
von über 100 Gebissen Maasse gesammelt und in folgendes
Schema gebracht:
Sammlung.
Modell Nr..
Geschlecht.
Alter.
Oben
Bechts Links
Zentraler.
Lateraler.
Eckzahn.
1. Backenz.
2. ßackenz.
1. Mahlz.
2. Mahlz.
3. Mahlz.
Unten
Bechts
Zentraler.
Lateraler.
Eckzahn.
1. Backenz..
2. Backenz.
1. Mahlz.
2. Mahlz.
3. Mahlz.
Weite des ursprünglichen Bogens
Weite des erweiterten Bogens ...
Links
Dr. Black hat in seiner „Dental Anatomy“ eine Tafel
von Maassen der Zähne veröffentlicht, welche eine Reihe von
Variationen in bezug auf ihre mesio-distale Breite enthält, aber
ohne Beziehung auf ihre Verschiedenheit in demselben Munde.
Eine Auswahl dieser Maasse ist folgende:
Zentrale Schneidezähne. . . . 7'9 bis 9-9
Laterale „ . ... 4*9 „ 6-9
Eckzähne.6-9 „ 8-9
Erste Backenzähne.6-9 „ 7-9
Zweite „ .5-9 „ 7-9
Erste Mahlzähne.8 9 , 11-9
Diese Maasse repräsentieren nicht die grössten Extreme;
grössere als die hier dargestellten sind jedoch selten. Wären die
1 Hier und in allen folgenden Tabellen sind die Maasse in Millimetern
angegeben.
Digitized by LjOoq le
294
Prof. C. A. Hawley, D.D. S., Columbus (Ohio).
Zähne im Munde in bezug auf die grösste und kleinste Breite in dem*
selben Verhältnis, so würden wir bei einem 7-9 grossen Schneide¬
zahn einen 4-9 kleinen Schneidezahn, 6*9 Eckzahn, 6*9 ersten,
5*9 zweiten Backenzahn und einen 8*9 Mahlzahn usw. finden.
Entsprechend jeder Grösse des zentralen Schneidezahnes könnte
man darnach den Radius bestimmen und so die Diagramme
zeichnen. Aber dies ist keineswegs der Fall. Bei einem 7*9 zen¬
tralen Schneidezahn finden wir oft einen 6*6 oder 6*9 kleinen
Schneidezahn und der Eckzahn kann ganz klein sein, oder
entsprechend gut entwickelt, oder wir haben einen wohl pro¬
portionierten grossen und kleinen Schneidezahn und der Eck¬
zahn ist viel grösser. Um nun die Natur dieser Verschieden¬
heiten klarzulegen, wählte ich von den 100 Maassen alle Fälle
von jeder Breite des grossen Schneidezahnes und machte von
jeder derselben eine Tabelle. Die Zahl der Fälle von jeder
Grösse des zentralen Schneidezahnes war bei 7*9— 15, 8*1 — 7,
8*4-16, 8*6-16, 8*9-9, 8*1-14, 9*4-13, 9*7-5, 9*9 — 2.
Einen Teil der 100 Fälle konnte ich nicht benützen, und zwar
denjenigen, wo die Zähne fehlten oder die Verschiedenheit so
gross war, dass eine exakte Messung in Frage gestellt schien.
Auf Grund der Zusammenstellung dieser Reihen fertigte
ich meine Tafeln an, von welchen hier nur eine, den 8*9 zen¬
tralen Schneidezahn betreffend, als Beispiel angeführt ist:
Zentraler Lateraler
Schneidezahn
Eckzahn
Erster Zweiter
Backenzahn
Erster
Mahlzahn
8*9
6*1
7*9
6*9
6-9
10*4
8*9
71
7*9
7*4
7*6
10*4
8*9
6*4
7*6
6*4
6*4
10*7
8*9
71
7*9
71
6*9
10*7
8*9
6*9
8*4
7*4
7*4
11*2
8*9
6*1
7*6
7*6
7*1
10*4
8*9
7*1
8*4
7*4
6*6
10*2
8*9
6*6
7*6
6*9
6*9
10*9
6*4
6*9
8*1
6*9
6*9
10*4
Durchschnitt:
8*9
6*9
7*9
7*1
6*9
10*7
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Eine genaue Methode in der Orthodontie. 295
Nehme ich die durchschnittliche Breite der anderen Zähne,
so habe ich die durchschnittliche Breite der Zähne, welche jeder
Breite des Schneidezahnes entspricht und damit den durch¬
schnittlichen Radius, der uns den wahrscheinlichen Bogen für
jede Grösse des zentralen Schneidezahnes gibt.
Zentraler Lateraler _ , ,
Sehneidezahn Eckzahn
Erster Zweiter
Backenzahn
Erster
Mahlzahn
Radius
Korrigierter
Radius
7-9
6-6
7-4
6-6
6-6
9-9
21-9
21-8
8-1
6-6
7-6
6-9
6-6
10-2
22-3
22-3
8-4
6-9
7-6
7*1
6-9
10-4
22-9
22-8
8-8
71
7-6
7-1
71
10-7
23-3
23-3
8-9
6-9
7-9
7-1
6-9
10-7
23-7
23-8
9-1
7*1
8*1
71
71
10-7
24-3
24-3
9-4
7-1
8-1
7-6
7-4
10-7
24-6
24-8
9*7
7*1
8-6
7-6
7-4
11*2
25-4
25-4
9-9
7-9
8-6
7-9
7-4
11-2
26-4
25-8
In
die
letzte Reihe habe ich
die, wie
ich sie
>
nennen
will, richtig gestellten Radien gesetzt, bei welchen wir eine an¬
steigende Ordnung erhalten. Ich wünsche an dieser Stelle die
beinahe gleichmässige Steigerung des ersten Mahlzahnes her¬
vorzuheben und komme später auf deren Bedeutung zurück.
Nehmen wir diese richtig gestellten Radien, so haben wir einen
Bogen für jede Breite des zentralen Schneidezahnes, was ich
als Basis für die Diagnose, für das Studium und für die Be¬
handlung von Fällen vorschlage, wo nur ein Teil der Zähne
durchgebrochen oder wo ein Alter von 12 Jahren noch nicht
erreicht ist. Sie können gebraucht werden als ein Führer für
alle Fälle, denn wo wir alle Zähne messen können, brauchen
wir nur das Diagramm mit dem richtigen Radius auszusuchen
und in den Zähnen selbst zu messen. Bedenkt man, dass diese
Bogen nur die durchschnittliche Grösse darstellen und dass
kleinere oder grössere Zähne in Verbindung mit demselben
grossen Schneidezahn stets Vorkommen werden, so wirft sich
die Frage auf, ob irgend ein Anzeichen besteht, aus welchem
wir beurteilen können, in welcher Richtung diese Variation
eintreten wird, d. h. ob gegen kleinere oder grössere Zähne.
Ich glaube, wir haben dieses Anzeichen in dem ersten Molar
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29«
Prof. C. A. Hawley, D. D. S., Colnmbns (Ohio).
und dieser Zahn ist immer zur Zeit des Durchbruches des
grossen Schneidezahnes vorhanden. So wie der erste Molar
von der durchschnittlichen Breite hinauf oder hinunter variiert,
so werden, wie ich glaube, auch die öbrigen Zähne variieren;
nehmen wir z. B. an, wir haben einen Fall, in welchem der
grosse Schneidezahn 8*6 und der erste Molar 10*7 ist. Hätte
ich nun einen zweiten Fall mit einem gleich grossen Schneide¬
zahn, aber mit einem ersten Molar 11-2, so würde ich an¬
nehmen, dass der kleine Schneidezahn und der Eckzahn und
alle übrigen Zähne wahrscheinlich gross werden und würde
Fig. 16 a.
den nächstgrösseren Bogen wählen. In dieser Methode haben
wir, wie ich glaube, den Schlüssel zu einer ziemlich genauen
Beurteilung des zukünftigen Gebisses. Beim Aufstellen dieser
Durchschnitte habe ich versucht, wenn schon ein Fehler sein
sollte, diesen nach der Seite des grösseren Bogens zu machen.
Ich glaube nämlich, dass, wenn wir den Bogen auch etwas breiter
bekommen als die Zähne ihn auszufüllen vermögen, wenn
derselbe passend geformt und die Zähne zu normaler Okklusion
gebracht sind und der Irrtum im ungünstigsten Falle einige
Hundertel eines Zolles beträgt, der Druck der Wangen und
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. ®’ ne genaue Methode in der Orthodontie. 297
Lippen und der Einfluss der Kauflächen, sowie der Druck des
durchbrechenden zweiten Molars nach vorne die Zwischenräume
schliessen wird. Die Natur hat uns ein Beispiel ihrer Voraussicht
Fig. 16 b.
dadurch gegeben, dass sie die gesamte Breite der Milchmahlr
zähne bedeutend grösser machte als die der Backenzähne,
welche an deren Stelle treten.
Fig. 16 c.
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298 Prof. C. A. Hawley, D. D. 8., Colombos (Ohio).
Aehnliche Tabellen wurden für die unteren Zähne her¬
gestellt und das Ergebnis machte es offenbar, dass man sich auf
Pig. 17.
Fig. 18.
die Gleichförmigkeit am unteren Bogen, gezeichnet nach den
Maassen der unteren Schneidezähne und Eckzähne, nicht ver¬
lassen kann. Während die unteren Backenzähne und Mahl-
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Eine genaue Methode in der Orthodontie.
299
zähne ziemlich gleichförmig sind in ihrer Beziehung zu den
oberen, sind es im selben Munde die Schneidezähne und Eck-
Fig. 18.
zähne nicht. Dieser Mangel an Gleichförmigkeit ist wahrscheinlich
kompensiert durch die Neigung der Zähne und den Ueberbiss.
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300
Prof. C. A. Hawley, D.D. S., Colombos (Ohio).
Ohne diese Verschiedenbeiten ausführlich besprechen zu wollen,
will ich nur raten, dass, statt den unteren Bogen nach
Messungen der unteren Zähne zu zeichnen, wie dies in meinem
früheren Vortrag beschrieben wurde, der Radius für den unteren
Bogen um 3*3 bis 5*8 Millimeter kürzer genommen werde, als der
obere, und zwar innerhalb dieses Zwischenraumes je nach der
Grösse der Zähne oder der Entfernung zwischen der Linie
der Okklusion und der Spitze der buccalen Höcker.
Zur Illustration der Art, wie ich diese Bogen gebrauche,
wollen wir den Fall eines 8 Jahre alten Kindes nehmen (Fig. 16a, b,c).
Fig. 19.
Wir haben hier von den bleibenden oberen Zähnen nur die
mittleren Schneidezähne und die ersten Molaren und von den
unteren die mittleren und seitlichen Schneidezähne und die
ersten Molaren durchgebrochen. Alle Milchmolaren unten, so¬
wie die ersten Milchmolaren oben sind extrahiert worden.
Die Bögen sind konsequenterweise kontrahiert, besonders
die oberen, in welchen die mittleren Schneidezähne sich in
lingualer Okklusion befinden. Die mittleren Schneidezähne sind
8*4 und die Molaren 9*4, während der Durchschnittsmolar für
dieses Diagramm 10 4 ist. Da der Molar klein ist, dürften wir
voraussichtlich kleine seitliche Schneidezähne finden und mög¬
licherweise auch kleine Backenzähne. Diese Zähne sind es,
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Eine genaue Methode in der Orthodontie.
301
welche am meisten variieren; ich würde daher keinen grösseren
Bogen wählen, als jenen für 8*4. Ich halte es für zweckmässig,
diesen Bogen soweit auszudehnen, als dies in sicherer Weise
geschehen kann, weil das Kind eine Operation zur Entfernung
der adenoiden Wucherungen hinter sich hatte und die ganze mög¬
liche Ausdehnung der nasalen Passagen braucht. Fig. 17 zeigt
die Ausdehnung des Bogens, welche notwendig sein wird.
In Fig. 18 haben wir einen anderen Fall, auch ein Kind
von 8 Jahren, bei welchem die Okklusion sich in distaler
Fig. 20.
Richtung einstellt. Fig. 19 zeigt die Kauflächen der oberen
Zähne. Bei diesem Fall haben wir einen 9 7 mittleren Schneide¬
zahn und einen 10*7 Molaren, während die Skala uns einen
Molaren 11*2 gibt. Wir werden daher den 9*7 Bogen verwenden
und voll entwickelte Zähne erwarten.
Es mag behauptet werden, dass es unnötig sei, diesen
Bogen mit den Milchzähnen zu dieser Zeit zu erweitern und
dass das natürliche Wachstum des Kiefers genügen wird, um
für die Zähne Raum zu schaffen. Aber man kann die Schneide¬
zähne nicht in richtige gerade Stellung bringen, ohne entweder
den Bogen zu erweitern, oder aber sie bedeutend vor die ihnen
li
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302 Prof. C. A. Hawley, D. D. S., Colombos (Ohio).
eigene, für sie richtige Lage zu stellen. Wenn der ganze Bogen
erweitert ist, werden die Kronen der sich entwickelnden Backen¬
zähne mit den Milchmolaren mitgenommen und die Aussicht,
dass sie in schlechter Okklusion durchbrechen, ist sehr ver¬
ringert.
Was die Frage anlangt, die sich ergeben mag, ob
die ersten Molaren bei ihrem Durchbruche normalerweise
in den ihnen zukommenden bucco-lingualen Stellungen sich
befinden sollten, führt das Studium der Fälle auf dem Wege
dieser Methode mich dahin, anzunehmen, dass sie es allerdings
Fig. 21.
sollten. Ungeachtet der Tatsache, dass wenige Kinder unter
Bedingungen aufgezogen worden sind, bei denen die Zähne
in der ihnen zukommenden und normalen Weise gebraucht
wurden, habe ich dennoch genug Fälle gefunden, in welchen
sie in ihrer vollen bucco-lingualen Breite durchgebrochen sind.
Dies scheint, wie ich glaube, meine obige Schlussfolgerung
zu rechtfeitigen. Eines von diesen Kindern, ein 7 Jahre
alter Knabe, ist in Fig. 20 gezeigt. Fig. 21 zeigt die Kau-
flächenseite. Die Schneidezähne sind 8 - 6 breit, die Molaren
11*2, was um 0-5 breiter ist als der Durchschnitt und befinden
sich in ihrer korrekten bucco-lingualen Lage, wie aus dem Dia¬
gramm ersichtlich ist.
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Eine genaue Methode in der Orthodontie.
303
Es wurde nun genug gezeigt, um diese Methode zu
illustrieren und zu ermöglichen, ihren Wert zu beurteilen.
Es gibt viele andere interessante Punkte im Zusammenhang
mit diesen Messungen, welche sich als wertvoll darstellen
dürften, aber ihre Besprechung liegt nicht innerhalb des Rahmens
dieses Vortrages.
Ich will, was die Typen anbelangt, allerdings die Frage
nicht aufwerfen, wieviel Variationen bei den verschiedenen
Rassen und Temperamenten erforderlich sind, oder ob solche
Variationen überhaupt wünschenswert sind, oder ob wir nicht
bei unseren gegenwärtigen Kenntnissen des Gegenstandes
sicherer daran sind, wenn wir eine mögliche Verbesserung
in künstlerischer Beziehung, einer grösseren Nützlichkeit durch
Anwendung des Bonwill-Bogens zum Opfer bringen. Ohne,
wie gesagt, diese Frage zu besprechen, möchte ich nur sagen,
dass die einzige sichere Grundlage, auf welcher solche Varia¬
tionen gemacht werden können, ein sorgfältig berechneter
Bogen aus diesen Messungen ist. Was schliesslich die Variationen
zu künstlerischem Zwecke, welcher Art immer betrifft, glaube
ich, da Mathematik die Grundlage von Architektur, Musik,
Malerei und allen Künsten und Wissenschaften ist, dass diese
Grundsätze, welche wir im Verlaufe dieser Arbeit nieder¬
gelegt haben, jeder Ausübung der Orthodontie zugrunde liegen
müssen.
11*
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304
Associazione stomatologica Triestina.
Berichte ans Institnten and Vereinen.
Issocianoie stuatologica Triestina
Die Jahresversammlung fand am 11. März 1907
statt. In derselben wurden zu Funktionären gewählt:
Dr. Ferdinand Tänzer zum Präsidenten,
Dr. Hermann B o d o zum Präsidenten-Stellvertreter,
Dr. Julius Gr an di zum Schriftführer,
Dr. Rudolf Fuchs zum Kassier.
In der Monatsversammlung vom 15. April fand
eine allgemeine Diskussion über Kiefer- und Zahn¬
regulierung statt. Dr. Tänzer skizziert kurz die Methoden
von Angle, Gase, Baker, Pfaff, Herbst, Heidenhaus,
Pr eis werk, Birgfelds Kiefergelenksregulierung, das Wesen
der reziproken Apparate, der passiven Regulierung etc. und zeigt
ein ungemein interessantes Buch von F. Maury, Dentisten an
der königl. polytechnischen Schule zu Paris, vom Jahre 1830, in
welchem Maury von den Mitteln spricht, die Zähne, welche eine
falsche Richtung genommen haben, wieder in ihre natürliche
Lage zu bringen, ja Maury spricht von Meister Fouchart,
der bereits 1728 eine Abhandlung herausgab über die Mittel,
die Zähne zu ersetzen und den Fehlern in der Bildung der
Gaumenwölbung abzuhelfen.
Von den DDr. Bodo, Springer und Tänzer wurden
eine Reihe Modelle demonstriert, an denen die Behandlung
der Kieferanomalien gezeigt wurde. Besonders lehrreich und
interessant war der folgende von Dr. Springer demon¬
strierte Fall:
14 jähriger Knabe. Physiognomie wenig verändert. Nur
in der Lippenregion etwas abgeflacht, in der Gegend der Eck¬
zähne etwas vorgebaucht. Inspektion der Zähne ergibt:
Unterkiefer in distaler Okklusion von £ Molaren. In
der Gegend der Prämolaren eingezogen. Eckzähne etwas vor¬
stehend. Schneidezähne dicht gedrängt innerhalb des normalen
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XVI. internationaler medizinischer Kongress 1909 in Budapest. 306
Bogens. Oberkiefer in der Gegend der Prämolaren einge¬
zogen. Eckzähne nach labial durchgebrochen. Schneidezähne
palatinal gedrängt, teilweise um die Längsachse rotiert. Zwei
laterale Schneidezähne und ein Prämolar einander fast be¬
rührend.
Ursache: Wahrscheinlich frühzeitige Extraktion der
Milcheckzähne.
Aufgabe: Regulierung ohne Extraktion.
1. Erweiterung der Kiefer in der Gegend der Prämolaren.
2. Vordrängen und Geraderichten der Schneidezähne,
Platz schaffen für die Eckzähne.
,3. Vordrängen des ganzen Unterkiefers und gleichzeitiges
Zurückdrängen des ganzen Oberkiefers.
Therapie: Alle drei Aufgaben zugleich gelöst durch
die Angleschen elastischen Bögen, Drahtligaturen und Gummi¬
keile. Oberkiefer Retraktionsbogen (Schweizer Regulierungs¬
apparate). Unterkiefer einfachen Expansionsbogen. Aufgabe 3
gelöst durch Gummischnüre, die schief von der Gegend des
ersten Molaren des Unterkiefers gegen die Eckzähne des Ober¬
kiefers aufsteigen (Bakers Intermaxillary anchorage). Innerhalb
vier Monaten so weit, dass eine Fixierung des erhaltenen Zu¬
standes vorgenommen werden kann.
I?L intsmationaler leteitiscte Koopis 1909 ln Budapest.
Der XV. internationale medizinische Kongress in Lissabon
hat Budapest, die Haupt- und Residenzstadt von Ungarn, zum
Orte der nächsten Zusammenkunft gewählt
Die Vorarbeiten des Kongresses sind im Gange. Seine
kais. und königl. apost Majestät der König hat das Protektorat
des Kongresses übernommen. Der Staat und die Hauptstadt
haben zur Deckung der Auslagen je 100.000 K bewilligt. Die
Komitees für Organisation, Exekution, Finanzierung und Em¬
pfang, sowie die Sektionen haben sich bereits konstituiert und
haben die Statuten bestimmt. Die Zahl der Sektionen ist 21,
da jedes Spezialfach eine eigene Sektion erhalten hat.
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306
79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aefzte.
Der Tag der Eröffnung ist auf den 29. August 1909
festgesetzt und die Sitzungen werden bis 4. September dauern.
Voraussichtlich dürfte der Kongress sehr besucht sein; die
bisherigen Kongresse wiesen eine Frequenz von 3000 bis
8000 Teilnehmern auf. In Anbetracht der geographischen Lage
von Budapest ist mindestens auf 4000 bis 5000 Teilnehmer
zu rechnen.
Die Leitung legt selbstverständlich auf die wissenschaft¬
liche Tätigkeit des Kongresses das grösste Gewicht und ist
bestrebt, als Referenten die hervorragendsten Vertreter der
medizinischen Wissenschaft zu gewinnen.
Das erste Zirkular, das alles Wissenswerte, sowie die
Statuten 'des Kongresses enthält, wird bereits im Laufe des
Jahres 1907 versendet werden. Bis dahin gibt der Generalsekretär
des Kongresses: XVI. internationaler medizinischer
Kongress,Budapest(Ungarn), VIII. Esterhäzygasse7,
den Interessenten bereitwilligst Auskunft.
79. Ymaiilrai totaler Naturforscher int iente.
Dresden, 15. bis 21. September 1907.
Die allgemeinen Sitzungen der diesjährigen Tagung
sollen Montag den 16. und Freitag den 20. September vor¬
mittags stattfinden; es sind dafür Vorträge von den Herren
Professoren Dr. Hempel (Dresden), Dr. Hergesell (Strass¬
burg), Dr. Ho che (Freiburg i. B.), Dr. zur Strassen (Leipzig)
in Aussicht genommen. Für Donnerstag den 19. September
vormittags ist eine Gesamtsi tzung der beiden wissen¬
schaftlichen Hauptgruppen, für den Nachmittag des¬
selben Tages sind gemeinsame Sitzungen je der
beiden Hauptgruppen geplant.
Die Abteilungssitzungen sollen am 16. nachmittags
und am 17. und 18. vormittags und nachmittags abgehalten
werden.
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79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.
307
Die Abteilung für Zahnheilkunde ersucht, da den späteren
Mitteilungen über die Versammlung, die im Juni zur Versendung
gelangen, bereits ein vorläufiges Programm der Verhandlungen
beigefugt werden soll, Vorträge und Demonstrationen
— namentlich solche, die grössere Vorbereitungen erfordern
— bis zum 25. Mai bei dem mitunterzeichneten ersten Ein¬
führenden, Hofzahnarzt Dr. med. C. Rös e, Dresden-A., Waisen¬
hausstrasse 9, anmelden zu wollen. Vorträge, die erst später,
insbesondere erst kurz vor oder während der Versammlung
angemeldet werden, können nur dann noch auf die Tages¬
ordnung kommen, wenn hiefür nach Erledigung der früheren
Anmeldungen Zeit bleibt; eine Gewähr hiefür kann daher nicht
übernommen werden.
Die allgemeine Gruppierung der Verhandlungen soll so
stattfinden, dass Zusammengehöriges tunlichst in derselben
Sitzung zur Besprechung gelangt; im übrigen ist für die Reihen¬
folge der Vorträge die Zeit ihrer Anmeldung massgebend.
Ganz besonders erwünscht wären Vorträge über Gegen¬
stände, welche sich zur Besprechung in kombinierten Sitzungen
zweier oder mehrerer verwandter Abteilungen eignen, da es
dem universellen Charakter der Gesellschaft Deutscher Natur¬
forscher und Aerzte, in welcher im Gegensatz zu den zahl¬
reichen alljährlich stattfindenden Spezialkongressen sämtliche
Zweige der Naturwissenschaften und Medizin vertreten sind,
entspricht, dass gerade solche, mehrere Abteilungen inter¬
essierende Fragen zur Verhandlung gelangen.
Die Einführenden: Die Schriftführer:
Zahnarzt Hans Falck.
Hofzahnarzt Hofrat Wiih. Pfaff.
Hofzahnarzt Dr. med. C. R5se.
Zahnarzt Dr. E. Kunstmann.
Zahnarzt Walther Polscher.
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308
Schweizerische Odontologische Gesellschaft.
XXII. Jilnumanlni der Scimmiscta OdoitolepickD
Gesellscbafl.
Luzern, 25., 26. und 27. Mai 1907.
Programm:
Samstag den 25. Mai. 4 Uhr nachmittags: Geschäft¬
liche Sitzung. — 8'/, Uhr abends: Im Restaurant Flora
beim Bahnhof: Gesellige Vereinigung.
Sonntag den 26. Mai, 8'/* Uhr morgens: Im Kursaal:
Vorträge und Demonstrationen. — 1 Uhr: Bankett im Palace
Hotel. — 4 Uhr: Dampferpartie. — Abends von 7 Uhr an:
Rendezvous zum Abendessen im Stadthofgarten. — 9 1 /* Uhr:
Im Kursaal: Variete-Vorstellung.
Montag den 27. Mai, 8'/, Uhr morgens: Im Kursaal:
Vorträge und Demonstrationen. — 1 Uhr mittags: Abschieds¬
bankett im Hotel Victoria beim Bahnhof.
Angemeldete Vorträge und Demonstrationen
(uacb der Reihenfolge ihrer Anmeldung):
1. Prof. Dr. Redard (Genf): a) Hutchinsonsche Zähne;
b) Thema Vorbehalten.
2. Wilh. Thier sch, D.D.S. (Genf): a) Wie wir Molaren
und Prämolaren mit Goldeinlagen füllen (Vortrag); b) Technik
für Goldeinlagen in Molaren und Prämolaren (Demonstration).
3. Prof. Machwuerth, D.D.S. (Zürich): Behandlung
der Pulpagangrän a) vermittels Elektrosterilisation, b) vermittels
Trikresol-Formalin.
4. Prof. Dr. Stoppany (Zürich): Zur Odontologie der
lateralen Lippen-Kieferspalte.
5. Prof. Dr. Römer (Strassburg): Die pathalogisch-ana-
tomischen Befunde bei den verschiedenen Formen der Pulpitis
(Projektionsvortrag).
6. P. Guye, D.D.S. (Genf): Thema Vorbehalten.
7. Dr. A. Senn (Zürich): Die Grundlage der konser¬
vierenden zahnärztlichen Behandlung.
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Schweizerische Odontologische Gesellschaft.
809
Diskussions -Themata:
1. Weitere Erfahrungen mit Silikatzementen (Referent:
Prof. Gysi, D.D. S.).
2. Behandlung der akuten Periodontitis.
3. Die Verwendung von Zähnen mit lebender Pulpa
zu Kronenträgern.
4. Erfahrungen mit Formamint.
5. „ „ Sahirpräparaten.
6. Die Wurzelspitzenresektion.
7. Die Biersche Methode.
Zeitdauer für Vorträge 30 Minuten, für Diskussions¬
bemerkungen 10 Minuten.
Die Manuskripte sind dem Protokollführer zur Veröffent¬
lichung im Vereinsorgan zu übergeben, desgleichen die Dis¬
kussionsbemerkungen.
Preis der Festkarte: Fr. 15.—.
Die Festkarte wird nur an Zahnärzte und Aerzte abgegeben
und mit ihr zugleich ein Festzeichen, dessen Tragen obli¬
gatorisch ist.
Im Namen des Vorstandes:
Die Aktuare: Der Präsident:
Bug. Müller. A. Senn,
E. Grosheintz. Zttrich ’ Bahnhofstr - 12 -
Als Hotels sind empfohlen: I. Ranges: Palace, Du Lac,
Victoria, Waldstätterhof, Bristol. — II. Ranges: Engel, Rössli,
Rütli.
g 00
es
•II
ii
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310
I. französischer Kongress fttr Stomatologie.
I. Mute KsitreR fär Stonatolep.
Paris, 1. bis 5. August 1907.
Das Organisation - Komitee hat uns das nachfolgende
Zirkular zur Veröffentlichung eingeschickt:
P. T.
Die „Sociöte de Stomatologie“, die den 20. Jahrestag
ihrer Begründung festlich begehen will, hat die Einberufung
eines Kongresses für Stomatölogie beschlossen, der vom 1. bis
5. August 1907 in Paris tagen soll.
Dieser Kongress wird die längst gewünschte Weihe der
beruflichen Ideen und wissenschaftlichen Grundsätze sein, für
welche unsere Gesellschaft seit ihrer Entstehung eingetreten
ist. Er wird streben darzutun, dass die Stomatologie ein Zweig
der Heilkunde, d. h. ein medizinisches und chirurgisches Spezial¬
fach ist unter den anderen (Ophthalmologie, Laryngologie etc.\
welches von den Ausübenden umfassende medizinische Kennt¬
nisse und die Gesamtheit wissenschaftlicher Studien verlangt,
die in allen Ländern in dem Titel eines Doktors der
Medizin beschlossen und bestätigt erscheint
Die Krankheiten der Zähne, des Zahnsystems, die Krank¬
heiten des Mundes stehen in engem Zusammenhang mit allen
übrigen Krankheiten und mit dem Allgemeinzustande des
Organismus und eine genaue Kenntnis dieser Zusammenhänge
ist unerlässlich für die, welche in der zahnärztlichen Kunst
oder vielmehr in der Stomatologie und all dem, was sie begreift,
sich betätigen sollen.
Die technische Unterweisung im eigentlichen Sinne, die
auf allen Spezialgebieten und ganz besonders auf dem unsrigen
den Meister in der Praxis macht muss im vollen Umfange
durch rationellen Unterricht gesichert sein. Die Stomatologie
ist die Summe aller jener technischen und wissenschaftlichen
Kenntnisse und der Stomatologe wendet sie in der Behandlung
der Zähne und des Mundes an.
Digitized by v^ooQle
I. französischer Kongress für Stomatologie.
311
Diese gleichzeitig wissenschaftliche und praktische Auf¬
fassung unserer Kunst, die so offenkundig auf das allgemeine
Wohl abzielt, ist nicht den französischen Stomatologen allein
zu eigen. Sie ist gleichermassen die Auffassung einer grossen
Anzahl von Stomatologen des Auslandes, deren Arbeiten, deren
Veröffentlichungen und wissenschaftliche Vereinigungen uns
längst schon mit ihrem hohen Grad medizinischer Ausbildung
und ihren für den Beruf gestellten Forderungen bekannt ge¬
macht haben.
Unser I. französischer Kongress für Stomatologie rechnet
es sich zur Ehre, Sie zu seinen Sitzungen einzuladen. Denn
nur durch Ihre Mitwirkung und die aller unserer Mitbrüder in
den anderen Ländern wird er seine wahre Bedeutung und
seinen Vollwert erlangen. Ihre Anwesenheit wird unseren Be¬
strebungen einen allgemeinen Charakter verleihen; das Band
des ärztlichen Berufes, der uns alle vereint in einer gemein¬
samen Sympathie, wird Einigkeit und den Erfolg unseres Werkes
sichern, welches wissenschaftlich, sittlich und sozial zugleich ist.
Das Organisations-Komitee:
Ehrenpräsidenten: Gallppe and Redler.
Präsident: Cruet. Vize-Präsidenten : Claude-Martin and J. Ferrler.
Generalsekretär: Chompret. Sekretäre: Böliard and Bozo.
Schatzmeister: Gires.
Mitglieder: Amoödo, Bachelier, Baeque, Böal, Beltrami, Besson, Bouvet,
Bouyer, Bugnot, Capdepont, Caumartin, Chemln, Courehet, I. Daven-
port, Dunogler, Farä, Fleury, Frey, Gaillard, Grapjon, Hügensehmldt»
Maing uy, Marals, Maurel, Montäs, Noguö, Nux, Nuyts, Pietklewlez,
Pitseh, Queudot, P. Robin, Rodler, Rosenthal, Siffre, J. Tellier,
Thäsöe, Thomas, Tourtelot.
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312
Preisausschreiben.
PräsamMta.
Die „Rotterdamsche Tandheelkundige Vereeniging“ setzt
einen Preis von Dreihundert Gulden (Fünfhundert Mark)
aus, für die Erfindung eines
Gnatho-Dynamometers (Biss-Kraftmessers)
welcher sich für den Gebrauch in der zahnärztlichen Praxis eignet.
Das Instrument soll einen Druck bis zu 200 Kg. anzeigen,
die Messungen sollen bei den ersten 20 Kg. bis auf 1 Kg. genau
sein, darüber hinaus soll die eventuelle Abweichung möglichst
nicht mehr als 2 Kg. betragen. Die Kaukontaktstellen sollen
zwischen einen Abstand von 1 Cm. eingeführt werden können.
Obwohl das Instrument nur den Druck in einer Richtung
zu messen hat, soll es auch bei einer mässigen seitlichen Ver¬
schiebung funktionieren. Bei den Frontzähnen soll nur der
Druck bei Zusammenschluss der Schneidekanten, nicht beim
Ueberbiss gemessen werden können. Das Instrument soll mög¬
lichst einfach, stark und, soweit es mit dem Mund in Berührung
kommt, sterilisierbar sein. Die Kauplatten dürfen die Zähne
nicht beschädigen. Bei einer Nachprüfung muss der Messer read-
justiert werden können.
Das Resultat wird allen Bewerbern mitgeteilt. Alle In¬
strumente werden den Eigentümern zurückgesandt.
Die Preiszuerkennung findet im Jänner 1909 in der jähr¬
lichen Hauptversammlung der „RotterdamscheTandheelkundige
Vereeniging“ statt.
Die Preisbewerber werden ersucht, ein Exemplar unter
Motto bis zum 1. Oktober 1908 franko an die „Rotterdamsche
Tandheelkundige Vereeniging“, 115 Aert van Nesstraat, Rotter¬
dam, einzusenden, begleitet von einer kurzen Beschreibung des
Apparates. Ausserdem ein versiegeltes Kuvert mit demselben
Motto, worin sich Name und Wohnort des Erfinders an¬
gegeben findet.
Die Jury besteht aus den Zahnärzten C. H. Witthaus,
D. D. S., Rotterdam, B. Frank, A. A. H. Ham er, D. D. S.,
Digitized by
Google
Referate and Jonrnalschau.
313
I. J. E. de Vries, Amsterdam, und einem technischen Sach¬
verständigen.
Die Entscheidung findet im Laufe des Monats Dezember
1908 statt.
Zahnärztliche und technische Zeitschriften werden ersucht,
diese Mitteilung zu übernehmen.
M. Soebree-Moens
Sekretär.
Referate und Journalsehau.
Die Augen der Zahnärzte. Von C. A. Wood, Professor der
Augenheilkunde an der Northwestern University. (Dental Review,
1906, 12.)
Die Beschäftigung des Zahnarztes bringt es mit sich, dass
er bereits in seiner frühesten Studienzeit gezwungen ist, Nah¬
arbeit zu verrichten, also fortwährend stark zu akkomodieren.
Junge Leute, welche von Kindheit an hypermetrope oder
astigmatische Augen haben, sollten den zahnärztlichen Beruf
nicht wählen, da sie infolge der übermässigen Anstrengung
beim Akkomodieren bald an Kopfschmerzen, Augenschmerzen
und Entzündungserscheinungen leiden würden. Eine wichtige
Rolle spielt die Beleuchtung des Operationsfeldes. Das diffuse
Tageslicht (nicht direktes Sonnenlicht) eignet sich für unsere
Zwecke am besten. Muss man künstliches Licht anwenden, so
wähle man, wenn möglich, gedämpftes Gaslicht; in zweiter
Linie genügt auch elektrisches Licht. Die Lichtquelle ist derart
anzubringen, dass das Auge des Operateurs weder direkt noch
durch Reflexion von den Strahlen getroffen wird. Verfasser
hatte oft Gelegenheit, zu beobachten, dass ein zu starkes
Licht gleichzeitig den Mund des Patienten und die Augen des
Zahnarztes beleuchtete und konnte in einem Falle bei einem
vierzigjährigen Arzte eine Erkrankung der Regenbogen- und
Netzhaut lediglich auf diese Ursache zurückführen. Von grosser
Bedeutung ist ferner die richtige und rechtzeitige Wahl
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314
Referate and Jouraalschau.
des Korrektionsglases. Gewöhnlich wird der Fehler begangen,
dass der Zahnarzt erst dann zur Brille greift, wenn sich bereits
Störungen seines Sehapparates zeigen. Je früher das Glas für
die Naharbeit verwendet wird, desto mehr wird der Akkomo¬
dationsapparat und damit das ganze Auge geschont. Dies gilt
besonders von schwach hypermetropen und astigmatischen
Augen. Wenn jemand findet, dass er auf 10 Zoll Distanz nicht
imstande ist, mit jedem Auge gesondert Diamantdruck zu lesen,
sollte er sofort zur Brille greifen. Bei der angestrengten Arbeit,
welche das Auge des Zahnarztes den grössten Teil des Jahres
zu leisten hat, muss es auch Zeit und Gelegenheit zur Erholung
finden. Man vermeide es, in der Bahn oder im Wagen, sowie
im Bette liegend zu lesen, man mache häufig Ausflüge ins
Freie, um dem Auge die Möglichkeit zu bieten, in die Feme
zu blicken und den Akkomodationsapparat zu entlasten.
Dr. R. Kronfeld.
Sollen gesunde Zähne, welche als Brückenpfeiler dienen,
devitalisiert werden? Von G. Robin, Paris. (L’Odontologie,
XXXV, 7.)
Hat der Zahnarzt das Hecht, gesunde Zähne zu devitali-
sieren? Diese Frage ist bei Brückenarbeiten oft von grösster
Bedeutung. Die Gegner der Devitalisierung führen folgende
Gründe ins Feld: Die Abtötung der Pulpa ist unnötig und
verursacht überflüssige Arbeit; die lebende Pulpa sichert die
Stärke und die Lebensfähigkeit des Zahnes; die Devitali¬
sierung bietet oft unvorhergesehene Komplikationen, teils durch
die Schwierigkeit, die devitalisierten Wurzelpulpen vollständig
zu entfernen, teils durch die Unmöglichkeit, die Wurzelkanäle
vollständig auszufüllen. Dem gegenüber behaupten die Anhänger
des Devitalisierungsverfahrens folgendes: Ohne Devitalisierung
ist es nahezu unmöglich, die natürliche Zahnkrone exakt und
soweit abzuschleifen, wie es für die Brückenarbeit erforderlich
erscheint; die Devitalisierung schützt ferner den Zahn vor
späteren Erkrankungen, wie Temperaturempfindlicbkeit, Den-
tikelbildung, Pulpitis, Pulpagangrän und Wurzelabszessen.
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Referate und Jonmalschau.
315
Robin hebt als besonders wichtig für die Beantwortung dieser
Frage vier Gesichtspunkte hervor.
1. Jeder Zahn, der als Brückenpfeiler dienen soll, muss
auf das sorgfältigste und genaueste zugeschliffen werden. Der
Emailüberzug muss überall, auch unter dem Zahnfleischrande,
entfernt werden, von der Höhe der Zahnkrone muss soviel
abgetragen werden, dass für eine, respektive bei abnehmbaren
Brücken für zwei übereinandergestülpte Goldkappen genügend
Platz frei wird. Dieses Abschleifen ist immer äusserst schmerz¬
haft, so dass der Operateur, durch die Klagen des Patienten
irritiert, um möglichst schonend vorzugehen, manches Detail
übersieht und sich mit einem Ungefähr begnügt, welches für
die Dauerhaftigkeit der Brücke gewöhnlich zum Verhängnis
wird. Ist dagegen der Zahn devitalisiert, so wird das Ab¬
schleifen zu einer schmerzlosen Operation.
2. In welchem Zustande befindet sich ein lebender, ent¬
sprechend zugeschliffener Zahn unter einer Brücke? Nachdem
er durch das Abschleifen bereits in hohem Grade irritiert
wurde, ist er nunmehr der bekannten schädlichen Wirkung
des Zementes ausgesetzt. Er lebt wohl, aber unter welchen
Verhältnissen! Die Pulpa erträgt diese um so schwerer, je
mehr von der Zahnkrone abgeschliffen wurde, respektive je
dünner der sie umgebende Dentinmantel ist.
3. Jede Nerv- und Wurzelbehandlung birgt gewisse Ge¬
fahren in sich. Doch sind dieselben mit unseren heutigen
Hilfsmitteln keineswegs zu fürchten. Wir können unter strengen
Kautelen der Asepsis die Pulpa eröffnen und entfernen, ohne
irgendwelche Infektion befürchten zu müssen. Da wir bei durch
Karies eröffneten und bereits infizierten Pulpen heutzutage dank
der Antisepsis mit 95 Prozent Erfolg arbeiten, so können wir
wohl mit Recht auf ein noch günstigeres Resultat hoffen, wenn
wir von vomeherein aseptisch operieren. Man darf ferner nicht
übersehen, dass die Pulpa mit zunehmendem Alter ihre wichtige
Funktion als Ernährungsorgan des Zahnes immer mehr verliert.
In gleichem Masse verengern sich die Wurzelkanäle, so dass
wir bei älteren Personen nicht selten Pulpakammer und Wurzel¬
kanäle vollständig verkalkt finden. Es ist also auch aus diesem
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316
Referate and Jonraalsehau.
Grunde wenigstens bei Steren Personen gegen die Devitali¬
sierung nichts einzuwenden.
4, Der devitalisierte Zahn besitzt aus anatomischen
Gründen keineswegs die Lebensfähigkeit wie der lebende.
Anderseits weiss man aber, dass mitunter (bei gewissen Fällen
von Alveolarpyorrhoe) gerade durch die Entfernung der Pulpa
die Erhaltung des Zahnes möglich wird. Man sieht, dass
theoretische Erwägungen nicht am Platze sind, wo wir uns
alltäglich überzeugen, dass tote Zähne dieselben Dienste leisten
wie lebende.
Robin stellt schliesslich folgende Sätze auf:
1. Bei abnehmbaren Brücken müssen die Pfeiler de-
vitalisiert werden. Hier ist kein Zweifel möglich, wenn man
an die hochgradige Verstümmelung denkt, welcher jene unter¬
zogen werden müssen.
2. Bei fixen Brücken haben wir uns zu fragen, ob der
Patient die schmerzhafte Prozedur des minutiösen Abschleifens
ertragen kann oder nicht; danach richtet sich die Entscheidung,
ob die Pulpa erhalten oder entfernt wird. Diese Frage lässt sich
nur von Fall zu Fall entscheiden. Verfasser hat sich wieder¬
holt überzeugt, dass die Amerikaner im Ertragen von Schmerzen
weit standhafter sind als die romanische Rasse — für letztere
also wieder ein Argument zugunsten der Devitalisation.
Dr. R. Krmfeld.
GoldfQllungen m Kinderzähnen. Von R. Ottdengui, New-
York. (The Dental Review, XX, 5.)
„Die Zähne der Kinder müssen mit Gold gefüllt werden.
Diesen Satz sollte sich jeder Zahnarzt, welcher seinen Beruf,
seine Arbeit und die Kinder liebt, mit goldenen Lettern in
sein Herz eingraben, dieses Gesetz sollte er als Leitmotiv an
seinem Operationsstuhl anbringen, damit er es stets vor Augen
habe.“ Mit diesen Worten leitet Ottolengui seinen Vortrag
ein und begründet seine immerhin nicht gewöhnliche An¬
schauung in eingehenderWeise. Das wichtigste Gegenargument,
dass die Eltern die grossen Auslagen scheuen, fällt weg, wenn
man ihnen begreiflich macht, dass eine Goldfüllung, welche
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Referate and Journ&lschan.
317
für Lebenszeit hält, billiger ist, als das oftmalige Füllen des¬
selben Zahnes mit plastischem Material. Freilich muss man
seiner Goldfüllung sicher sein, und Ottolenguis 25jährige
Erfahrung auf diesem Gebiete spricht dafür, dass er mit seiner
Methode tatsächlich Dauerresultate erzielt. Erkrankung oder
Verlust der Pulpa nach sekundärer Karies kommt bei den
von ihm mit Gold gefüllten Kinderzähnen fast niemals vor
und wenn es einmal vorkommt, so rührt dieser Misserfolg von
fehlerhafter Arbeit her und beweist nichts gegen die Methode
als solche. Auch ist das Goldfüllen bei Kinderzähnen durchaus
nicht besonders schmerzhaft, wenn man den Zahn sofort beim
ersten Auftreten von Karies füllt. Sollte in diesem Stadium die
Zahnkrone noch so wenig durchgebrochen sein, dass das
Kofferdamanlegen unmöglich oder zu schmerzhaft wäre, so
wird der Zahn zunächst provisorisch mit Guttapercha gefüllt.
Die Fissuren werden möglichst weit im Gesunden ausgeschnitten,
die kariösen Stellen erst zum Schlüsse mit einem grösseren
Rundbohrer entfernt. So lange man im Gesunden arbeitet,
spürt das Kind gar nichts und das schliessliche Entfernen der
kariösen Partien ist zwar etwas schmerzhaft, aber so rasch
vorüber, dass die Kinder darüber erstaunt und gleichzeitig
erfreut sind, die gefürchtete Maschine los zu werden. Verfasser
baut das Gold über die Kavitätenränder hinaus auf, so weit
es der Biss gestattet, um die spröden Emaiiränder vor Ab-
splittem und den Zahn vor sekundärer Karies zu schützen.
Zum Schlüsse gibt Verfasser noch der Ueberzeugung Ausdruck,
dass nur ein Kinderfreund imstande ist, Kinderzähne richtig
zu behandeln; ein solcher wird gewiss der Goldfüllung den
Vorzug geben, da gerade die Kinderzähne eine Füllung er¬
fordern, welche sie für eine möglichst lange Periode konser¬
viert, eine längere, als dies bei den Zähnen Erwachsener
nötig ist. Dr. R. Kronfeld.
Ligaturen in der Orthodontie. Von W. J. Brady. (West.
Dent. Journ., XX, 5.)
Wie viele andere Dinge in der Zahnheilkunde, leisten
Ligaturen, wenn richtig angewendet, wertvolle Dienste, während
12
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BIS
Referate un4 Joumalschatt.
sie bei falscher Anwendung Schaden und Schmerzen ver¬
ursachen. Das beste Material ist der von Angle empfohlene
ausgeglühte (weiche) Messingdraht. Silber, Gold und Platin sind
zu weich, Kupfer verfärbt die Zähne in hässlicher Weise, Eisen
und Stahl ebenfalls. Neusilber und andere Nickellegierungen
sind nicht genug geschmeidig. Der Draht soll, mit dem Mikro¬
meter gemessen, immer die gleiche Stärke haben uüd in Stücken
von 12 Zoll Länge vorrätig gehalten werden. Nach Befestigung
des Expansionsbogens wird der Draht zwischen den Zähnen
durchgeführt, wobei zu beachten ist, dass er ätets an der
distalen Seite des zu bewegenden Zahnes am Zahnhalse liegen
soll, weil die distale Seite des Zahnes die stärkere Wölbung
besitzt und diese den Draht am Abrutschen verhindert. Die
beiden langen Enden werden mit den Fingern gehalten, fest
angezogen. Erst wenn der Zähn möglichst stark gegen den
Expansionsbogen gepresst wurde, dürfen die Drahtenden um¬
einander gedreht werden. Es gelingt dies leichter mit den
blossen Händen als mit der Zange, weil diese den Draht oft
durchreisst oder bricht. Der zusammengedrehte Draht wird
in zirka '/„ Zoll Länge abgeschnitten und entlang dem Ex¬
pansionsbogen niedergebogen, wozu man sich am besten eines
breiten Fussstopfers bedient So lässt sich jede Verletzung der
Wangen- und Lippenschleimhaut vermeiden. Beim Durchführen
des Drahtes zwischen den Zähnen achte man darauf, die Inter¬
dentalpapille nicht zu verletzen und schiebe das etwas um¬
gebogene Drahtende knapp am Zahnhalse zwischen diesem
und der Papille durch. Zeigt die Ligatur Neigung abzurutschen,
so muss der Zahn umbändert werden. An das Band wird eine
kurze Röhre horizontal angelötet. Diese zieht Brady allen
Oesen, Knöpfen, Haken, Sporen und Kerben vor. ln einer
Reihe von Abbildungen zeigt er die Anwendungsmöglichkeiten
der Drahtligatur zum Vorziehen, Drehen und Fixieren schief¬
stehender Zähne. Es ist unnötig, in jeder Sitzung die Ligaturen
zu entfernen. Hat der Zahn nachgegeben, so wird er mit
Danmen und Zeigefinger neuerdings an den Expansionsbogen
gepresst, die Drahtenden werden mit der Zange fest zugedreht
und in dem Masse, wie der Zahn vorrückte, kürzer abgeschnitten.
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Referate und Journakchau.
819
. In Fällen, welche besonders starke Zugkräfte erfordert,
kehrt Brady zu der .früher allgemein üblichen Gummiligatur
zurück, welche er, wegen Gefahr des Abrutschens, nie ohne
Metallband an dem Zahne befestigt. Auch ;hiefür bieten einige
Bild» beachtenswerte praktische Winke.
Dr. B. Krorifeld. .
Die Behandlung des empfindlichen Zahnbeins mit besonderer
Berücksichtigung des Druckverfahrens. Von W. D, Müler.
(Deutsche Monatsschrift tür Zahnheilkunde,. 1906, 12.) , >
Wir haben Zwar in der Injektion von Kokain öder Novo¬
kain. in Verbindung mit einem der Nebennieren-Präparate ein
Mittel, um jede Zahnbehandlung Schmerzlos auszuführen. Doch
ist die Injektion selbst nicht schmerzlos, das weitere Verhalten
der Zahnpulpa nach der Injektion noch nicht sicbergeslellt und
die zu injizierende Substanz für den Organismus gewiss nicht
indifferent. Es ist daher gerechtfertigt, wenn man neuerdings
nach Methoden sücht, um die Empfindlichkeit des Zahnbeines
herabzusetzen. Ausser der Anwendung schärfster Instrumente
und gründlicher Austrocknung des Zahnbeines hatte Miller
die besten Erfolge mit einem Gemische von gleichen Teilen
Chloroform und Zinkchlorid in Substanz, welchem noch Kokain
zugesetzt wird. Gegen die Empfindlichkeit am Zahnhalse ver¬
wendet er. Argentum nitricum in Substanz und überzieht die
behandelte Partie mit einer Schichte Fletchers Arlificial-Dentin,
welche einige Stunden liegen bleibt und ein möglichst weites
Eindringen des Mittels in das Zahnbein gestattet. Die Wirkung
jeder chemischen Substanz auf das Zahnbein hängt von der
Tiefe ab, bis zu welcher die Substanz vordringt. Darauf beruht
das seit etwa drei Jahren bekannte Druckverfahren. Mit einer
Hochdruckspritze wird eine anästhesierende Lösung durch das
Zahnbein gepresst. Miller konnte an frisch gezogenen Zähnen
experimentell feststellen, dass es in der Tat möglich ist, mit
der Jewett-Wilcox-Spritze Farbstofflösungen durch die ganze
Dicke des Zahnbeines durchzupressen und die Pulpa dadurch
zu färben. Es genügt dazu schon ein Druck von weniger als
5Atm. Er konnte mit Weglassung der Spritze dasselbe erreichen,
12 *
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820
Referate and Joumalschaa.
indem er ein Stück Gummiröhre über die Krone des Zahnes
zog, dasselbe am Zahnhalse unterband, einige Tropfen einer
Farbstofflösung in die Röhre einführte und, das offene Ende
zuhaltend, einen leichten Druck mit den Fingern ausübte. Es
ist daher unnötig, diese Hochdruckspritze zu verwenden, welche
bei einem Druck von 3000 (!) Pfund pro Quadratzoll gewiss
die Pulpa schädigen muss. In vielen Fällen erreicht Miller
die Anästhesierung des Zahnbeines in folgender einfacher und
unschädlicher Weise: Nachdem wir die Höhle, soweit es
ohne Schmerzen möglich ist, exkaviert haben, nehmen wir
einen Abdruck derselben mit Stentsmasse, führen ein mit 5 bis
10 prozentiger Kokainlösung getränktes Wattebäuschchen in die
Höhle, dann legen wir ein Stückchen Kofferdam auf die Höhle
und drücken den inzwischen hart gewordenen Stentsabdruck
wieder fest darauf. Wir erzielen dadurch einen Verschluss der
Höhlenränder, so dass die Flüssigkeit nicht leicht entweichen
kann; mit dem Finger können wir genügend Druck an¬
wenden, um die Lösung in das Zahnbein hineinzutreiben. Das
Einpressen von Lösungen wird wesentlich erschwert in allen
Fällen, wo sich sekundäres Dentin gebildet hat, desgleichen
bei dicken Lagen von knorpelartig erweichtem, schmierigem
oder fettigem Zahnbein. In solchen Fällen muss man durch
vorherige Behandlung mit absolutem Alkohol oder Chloroform
zunächst das Fett entfernen. Dr. R. Kronfdd.
lieber das Verhalten des Speichels gegenüber Bakterien.
Von Dr. P. Clairmont , Wien, Klinik Eiseisberg. (Wiener klinische
Wochenschrift, XIX, 47.)
Den Chirurgen ist es bekannt, dass Wunden in der
Mundhöhle eine gute Heilungsfähigkeit besitzen. Sie heilen in
der Regel per primam und selbst bei den offenen Unterkiefer¬
frakturen kommt es selten zu Infektionen. Dies ist um so auf¬
fallender, als gerade die Mundhöhle sich durch Bakterien¬
reichtum auszeichnet. Man erklärt sich die Erscheinung ver¬
suchsweise damit, dass die Mikroorganismen der Mundhöhle
in Schach gehalten werden durch Momente, welche ihrer Ver¬
mehrung und Virulenz entgegenwirken, wie man ja auch in
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Referate und Journalschau..
321
anderen Organen natürliche Schutzkräfte vermutet. Ueber die
Einwirkung des Speichels auf Bakterien bestehen bisher keine
einheitlichen Anschauungen. Nur zwei Tatsachen können als
erwiesen abgesehen werden: .die Abschwächung der Pneumonie¬
kokken im Speichel. und die Zerstörung von Toxinen durch
Verdauungsfermente. Verfasser untersucht zur Klärung, dieser
Fragen den Speichel von Hunden, Katzen, Kaninchen, Ziegen,
Affen und Menschen und findet, dass der Gesamtspeichel von
Tieren und Menschen für gewisse Bakterien, besonders für
Staphylokokken ein schlechter Nährboden ist, in welchem
spärliche Keime nicht fortkommen und reichliche Mengen sich
in ihrem Wachstum frühzeitig erschöpfen. Zu diesen schlechten
Existenzbedingungen, welche die Bakterien in der Mund¬
höhle finden, kommt noch ihre mechanische : Weg¬
schwemm ung durch den Speichel. Von einer direkt
bakteriziden Wirkung des Speichels kann dagegen nicht ge¬
sprochen werden. Am stärksten erweist sich der Einfluss des
ParotissekrCtes, am schwächsten jener des Gl. submaxillaris.
Wird dem Speichel Bouillon zugesetzt, so werden die Existenz¬
bedingungen für Bakterien gute, so dass sie in ihrem Wachs¬
tum nicht-mehr durch den Speiehel gehemmt werden können;
Abwesenheit derartiger guter Nährböden und künstliche Speichel¬
vermehrung hingegen 1 vermögen die Mundhöhle nahezu steril
zu machen. Daraus ergibt sich für die Praxis, dass man durch
Anregung der Speichelsekretion (Injektion von Pilokarpin oder
Reizung der sekretorischen Nervenfasern) und Fernhaltung guter
Nährmedien den Selbstschutz in der Mundhöhle steigern kann.
Dr. B. Krönfeld.
Anästhesie durch destilliertes Wasser. (Revue Odontolo-
gique, 1906, II.)
Das destillierte Wasser vermag, wenn es nach Art von
Kokainlösungen injiziert wird, lokale Anästhesie zu erzeugen.
Die Vorzüge dieser Methode liegen in ihrer Einfachheit, in der
Vermeidung aller Intoxikationserscheinungen, in der Unschäd¬
lichkeit in bezug auf Herz, Lungen und Nieren und im Aus¬
fälle des postoperativen Schmerzes. Stevens berichtet über
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Referate und Joornalachatu
51 Fälle, und zwar eine Probelaparotomie, 39 Operationen
voti Hämorrhoiden, 5 Analfisteln, 3 Atherome und 3 Varicen.
Bei der Laparotomie war das Zerren am Mesenterium schmerz¬
haft, so dass er gezwungen war, die Operation in Aether-
narkose zui beenden. Offenbar wirkte das injizierte Wasser
-durch Druck mechanisch auf die Nervenendigungen. >
, . " ' Dri B. Srbnfeld.
Ein Todesfall in Aethylohloridnarkose. {Lancet, Nr. 4305,
ref. nach „Korrespondenz-Blatt für Schweizer Aerzte“; XXXV J,9.)
: Das bisher nur als Lokalanästhetikum verwendete, leicht
verdampfende Präparat.wird in.Amerika und England bei zahn¬
ärztlichen Operationen häufig sur allgemeinen Anästhesie ver¬
wendet, ja es' wurde auch bei Amputationen, Herniotomien
u. dgl zur Narkose benülzL Es existiert bereit? eine umfangreiche
englische Literatur über die Vorteile und Gefahren dieses Mittete.
Vor kurzem ereignete sich wieder ein Todesfall bei einem Zahn¬
arzt, der als Emfübper und Lehrer der Aetbylchloridnarkose
über die grösste Erfahrung darüber verfügte. Ein 67jähriger
Geistlicher, dem vier Zähne extrahiert werden sollten, erhielt
die übliche Dosis von 5 Ccm. Bei der Extraktion des vierten
Zahnes wurde er plötzlich blass und starb sofort darauf. Alle
Wiederbelebungsmassregeln blieben erfolglos. Dies ist der neunte
Fall von tödlicher Aetbylchloridnarkose, über den in der
Literatur berichtet wird. , Dr. R. Kronjdd.
Uober die Zähne der Soldateil. Von A. W. Grigori.
(Russische medizinische Rundschau, IV, 2.)
Verfasser untersuchte die Zähne bei 1500 Soldaten eines
Regimentes und verglich seine Ergebnisse mit denen anderer
Autoren. Fast in der Hälfte aller Fälle von Karies waren die
ersten Molaren erkrankt. Die Molarzähne werden von der
Karies fast fünfmal häufiger affiziert, als alle übrigen Zähne.
Dabei erkranken die unteren Molaren 1*6 mal häufiger, als die
oberen. Ebenso erkrankt der erste Molar zweimal häufiger, als
der zweite, letzterer zweimal häufiger, als der dritte Molar. Die
Tabelle wies ebenfalls nach, dass die Schneide- und Eckzähhe
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Referate und Journalschau,
323
und die ersten Bicüspidaten des Oberkiefers viermal häufiger
an Karies erkranken, als die des Unterkiefers. Die zweiten
Bicüspidaten des Ober« und Unterkiefers erkranken an Karies
gleich häufig. Im allgemeinen fand Autor unter den 1500 Sol¬
daten, die er untersucht hatte, bei 1065 kariöse Zähne. Diese
Zahl Ist ziemlich hoch und übersteigt weit die von den anderen
russischen Aerzten angegebenen Ziffern.
Die besten Zähne hatten die Mordwinen und Grossrussen,
die schlechtesten die Juden, Polen und Deutschen. Auch
die anderen Autoren, die J -*ich mit dieser Frage beschäftigt
hatten, gelangten zu fast ähnlichen Resultaten. Wenn man auf
die Frage eingeht, warum die einen Nationalitäten, z. B. die
Juden, so häufig von der Karies befallen werden, während die
anderen, z. B. die Gxossrussen, viel weniger unter der Karies zu
leiden pflegen, so kommen hier eine Reihe von Momenten
ih Betracht, die uns die Sache sehr leicht erklären können.
Bei den Juden spielen in dieser Beziehung die Konstitution^
anomfelien eine sehr wichtige Rolle: die körperliche Entwickelung
der Juden bleibt hinter der der Grossrussen weit zurück, die
Widerstandsfähigkeit ihres Nervensystems ist eine sehr geringe.
Auch die Lebensart der Juden ist eine ganz andere, als die
der Grossrussen. Während die Mehrzahl der letzteren auf
dem Lande ihr Leben zubringen, wohnen die ersteren fast
ausschliesslich in den Städten. Der Bauer auf dem Lande
geniesst sehr wenig Süssigkeiten, die das Zahngewebe in er¬
heblichem Masse schädigen. Er gebraucht auch nicht das
weiche klebrige Brot, welches aus dem feinen Weizenmehl
gebacken wird. Das Gegenteil gilt von den Einwohnern der
Städte, folglich auch von den Juden. Nach der Haarfarbe
eingeteilt, zeigten die Mannschaften in bezug auf die Karies¬
erkrankung folgende Verhältnisse: Bei je 100 Soldaten mit
hellblonden Haaren fand man 187 kariöse Zähne, bei je 100
mit dunkelblonden Haaren 217 kariöse Zähne, bei je 100 mit
schwarzen Haaren 290 kariöse Zähne. Diese Zahlen wider¬
sprechen dem von den anderen Autoren erhobenen Befunde,
nach dem die Zahnkaries viel häufiger die Hellblonden befällt.
Warum die Resultate des Autors gerade so ausgefallen sind,
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324
Referate and Joumalschau.
lässt sieb aus dem Umstande erklären, dass die meisten Soldaten
mit schwarzen Haaren Israeliten waren, bei denen die häufige
Zahnkaries auch von anderen Ursachen abhängig war.
Dr. B. Kronfdd.
Oie Beziehungen zwischen der Zahnformel der platyrrhinen
und katarrhinen Primaten. (De betrekking tusschen de
tandformulen der platyrrhine en katarrhine Pri¬
maten.) Von L. BnVt. Tijdschrift voor Tandheelkunde,
XIII 6 - jaargang, Afl. ?. (Abgedruckt aus: Verslag van de
Gewone Vergadering der Wis- en Natuurkundige Afdeeling
van de koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amster¬
dam van Bl Maart 1906.)
Zu den Kennzeichen, die fiie katarrhinen -von den pla¬
tyrrhinen Affen unterscheiden, gehört in erster Linie das: Gebiss,
indem bei ersteren, den Affen der alten Welt und dem
Menschen, zwei Prämolären und drei Molaren, bei letzteren
dagegen drei Prämolaren und drei, resp. zwei Molaren vor¬
handen sind. Zur Uebersicht seien die beiden Gruppen einander
gegenübergestellt:
Katarrhine Affen und Mensch:
._ | Cebidae:
Platjrrh,ne Affen j Hapa|idoe;
2 P,
3 P,
3 P,
3 M
3 M
2 M
Zweifellos muss das Gebiss der katarrhinen von dem
der platyrrhinen Affen abgeleitet werden; das der ersteren
und des Menschen ist im Vergleich mit letzterem als reduziert
zu betrachten, da ein Prämolar fehlt. In der Beantwortung
der Frage, welcher P verloren gegangen sei, geht nun Bolk
seinen eigenen Weg und gelangt dadurch zu höchst interessanten
und überraschenden Ergebnissen. Bekanntlich nehmen die
Anthropologen an, P s sei verschwunden und unter ihnen ist
es hauptsächlich Duckworth, der in dem von ihm häufig
beobachteten Auftreten von Zahnrudimenten zwischen P, und
Mt im Oberkiefer eine Reminiszenz an den früheren Zustand
erblickt. Die Anatomen dagegen sehen den P, für den ver¬
lorenen Prämolaren an, indem sie von der Tatsache ausgehen,
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Referate und Journalschau.
326
dass die Anzahl der Bicuspidaten bei den primitiven Primaten
vier war. Nach Leche sind die vier Prämolaren auf drei
heruntergegangen durch Verlust des auf den Caninus folgenden P.
Bei Mikrochoerus findet man im Oberkiefer drei, im Unter*
kiefer vier Prämolaren, von welchen der erste nur noch ein
Rudiment ist. Nun könnte man mit Recht den Uebergang von
drei auf zwei P auf dieselbe Weise erklären, also dass wieder
der auf den Ganinus folgende P gefallen sei.
Bolk wendet sich nun gegen die Annahme, dass P,
verloren gegangen sei, indem'er darauf hinweist, dass dieser
Zahn, statt der Reduktion anheimzufallen, im Gegenteil der
stärkere ist von den Prämolaren bei Cebus, Chrysothrix,
Mycetes und Hapale.. Dass der hinterste Prämolar beim Menschen
verloren gegangen sei, glaubt Bolk ebensowenig, da jeder
Zahn, je näher er der Gegend des grössten Kaudrückes kommt,
also der zweite und dritte Prämolar, an Volumen zunimmt.
Demnach ist ein strikter Beweis für das Ausfallen eines P,
oder P» nicht erbracht.
Die Meinung des Verfassers ist nun folgende: Das Gebiss
der katarrhinen Primaten ist entstanden aus dem der plätyrrhihen
dadurch, dass - bei letzteren der letzte oder dritte Molar und
ebenso der letzte oder dritte Prämolar geschwunden ist,
während der dritte Milchmolar seinen Charakter
als Milchzahn verloren hat und zu einem per¬
manenten Zahn geworden ist. Verfasser nennt seine
Hypothese. die der terminalen Reduktion.
Dass Milchzähne zu bleibenden umgewandelt werden, ist
übrigens aus anderen Tiergruppen bekannt, z. B. den Marsu-
pialiem, bei denen mit wenigen Ausnahmen das gesamte Milch -
gebiss bis auf einen Zahn bleibend geworden ist. Dann bei
Erinacaeus, bei dem das persistierende Gebiss zum Teil aus
bleibenden, zum Teil aus Milchzähnen besteht.
Auch was die M orphologie der Milchmolaren bei den
Platyrrhinen betrifft, so führt Bolk an, dass »tj derselben
sowohl in der Konfiguration seiner Krone, als in der Anzahl
seiner Wurzeln sehr verschieden ist von m, oder m„ dagegen
sehr übereinstimmt mit M, dieser Affen. Ebenso ist m s funktionell
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Referate and Joarnaleehan ;
38*
höher entwickelt als sein Ersatzzahn P,; d. h. das Gebiss wird
durch Ersatz des m, durch P, funktionell minderwertig. Wenn
also m t persistent wird, so bedeutet dies einen Gewinst für
den Mechanismus des Gebisses.
Was den Menschen betrifft, so erinnert ffas frühe Er¬
scheinen von Mi, der gleichzeitig mit dem Milchgebiss funktioniert,
an den Zustand der jungen Platyrrhinen. . -
In bezug auf die histologische Anlage des M, ist keine Ver¬
schiedenheit mit der der Milchzähne zu beobachten, da bei
letzteren sich die Papille in der -9, bis 12„ bei ersterem in der
17, Woche einstülpt. Zwischen der Anlage des M t und M t
besteht dagegen eine Pause von einem Jahr. Man kann daraus
den Schluss ziehen, dass m, der Platyrrhinen analog
ist dem Mi der Katarrhinen, dass ferner M, der
Platyrrhinen homolog ist dem M t der Katarrhinen
und M t der ersteren homolog M t der letzteren.
Für M a der Platyrrhinen fehlt jedoch das Homologon
M, bei den Katarrhinen. Nun ist es aber eine bekannte Tat¬
sache, dass bei Katarrhinen, beim Menschen und unter den An¬
thropoiden bei Gorilla und Orang Utang ein M, gesehen wird.
Ausserdem hat Zuckerkandl nachgewiesen, dass beim
Menschen meist das epitheliale Rudiment eines M t angelegt
wird. Diesen resp. seine Anlage, konnte man bis jetzt nicht
genügend interpretieren, während man ihn nun als Atavismus
zu betrachten hat: Af, des Menschen, G orilla und Orang
Utang ist das Homologon des Af, der platyrrhinen
Affen.
Als Zwischenglied zwischen dem ursprünglichen platyr¬
rhinen und dem definitiven katarrhinen Gebiss ist das der
Hapalideo anzusehen, indem bei ihnen bereits M, konstant
fehlt, während die zweite Phase der Progression von m» zu M,
noch nicht durchlaufen ist.
Was nun die manchmal zwischen P, und M, beim
Menschen anzutreffenden Rudimente anbelangt, so sind sie
nach Verfasser Spuren von dem verloren gegangenen P», mit
welcher Ansicht übrigens den Anthropologen Recht gegeben
wird, die diesen als den ausgefallenen Prämolar bezeichnen.
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Referate «Dil JouraftUetHuj. - ;
327
Zum Schlüsse zeigt Bolk, dass das bleibende Gebiss
beim Menschen- im Vergleiche zu seinem Milchgebiss eine
Regression bedeutet, indem für ♦»* mit vier Höckern und drei
Wurzeln nur ein zweihöckeriger und meist, ein wurzeliger P*
folgt, ein Verhältnis, wie. es zwischen w* und P* bei Platyr-
rhinen. besteht. 1 r .. _
. Das menschliche Gebiss zeichnet sich aus durch Reduktion
des letzten Molaren, der P* ist auf dem Wege der Reduktion
und m» ist sehr progressiv entwickelt: drei Erscheinungen, die
vollkommen übereinstimroen mit denen, die sich bei der Ent¬
wicklung des katarrhinen aus dem platyrrhinen Geb^s .zeigen.
Es fehlt also nur noch, dass m t persistent wird und f** nicht
mehr durchbricht ... .
Für letzteres Symptom bringt Magitot eine grosse An¬
zahl Beispiele, (Wie jedenfalls inancher Kollege, so habe auch
ich mich oft gefragt, warum m t so häutig persistiert. Ich habe
eine grosse .Anzahl Fälle der Art beobachtet und besonders
sehöne der Gipsmodehsanuntung der Anatomie Zürich einver¬
leibt, darunter einen Fall, in welchem im Unterkiefer trotz
Persistenz beider m t und:Fehlen des P* beide Weisheitszähne
tadellos in der Reihe stehen- Der Reif,).
Im Zukunftsgebiss des Menschen wird also
P, nicht mehr durchbrechen, w, wird persistent
und zu Mi\ dadurch wird M, zu M% und M, zu M a
und da Mt verschwindet, bleibt die Anzahl der
Molaren gleichwohl drei.
( Dr. phil, U- de Terra, Zürich.
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Prof. Dr. Anton Bleichsteiner f.
Prof. Dr. Alton Bleictotmr f.
Anton Bleichsteiner wurde im Jahre 1841 in Wien
geboren, vollendete seine Studien in Graz und promovierte
daselbst im Jahre 1872. Anfangs Assistent an der anatomischen
Lehrkanzel, wandte er sich später dem Spezialfache der Zahn¬
heilkunde zu und genoss in Wien unter Steinbergers Leitung
seine Ausbildung. Im Jahre 1876 liess er sich in Graz als
praktischer Zahnarzt nieder und habilitierte sich im Jahre 1884
als Dozent. Im Jahre 1895 bekam Bleichsteiner den Titel
eines ausserordentlichen Professors und wurde im September
1905 zum öffentlichen ausserordentlichen Professor für Zahn¬
heilkunde ernannt. .
BI eichst ein er war ein ausgezeichneter Praktiker und
auch literarisch mehrfach tätig. Im Scheffsehen Handbuch
bearbeitete er das Kapitel: „Lokale Anästhesie“. — In dieser Zeit¬
schrift sind zahlreiche Beiträge von ihm erschienen, von denen
insbesondere seine Habilitationsschrift über Unterkieferbrüche
erwähnt sein mag, in welcher er einen neuen Verband nach
dem Rüthenickschen Prinzip empfahl.
Sein grösstes Verdienst bestand unstreitig in der Pro¬
pagierung der Kokaininjektion und in der von ihm angegebenen
Injektionstechnik. Die nach seinen Angaben verfertigte In¬
jektionsspritze fand allgemeine Verbreitung. Als Vizepräsident
der österreichischen Abteilung für Zahnheilkunde besuchte er
im Jahre 1893 den Weltausstellungskongress in Chicago, wo
er, wie auch bei den Kongressen in Paris und Wien, Vorträge
über seine Injektionsmethode hielt.
Das zahnärztliche Universitätsinstitut in Graz wurde nach
Bleichsteiners Angaben errichtet und ihm die Leitung des¬
selben übertragen. Bei der Eröffnungsfeier am 8. Februar 1904
hielt er einen gross angelegten Vortrag „Ueber die Entwickelung
der Zahnheilkunde und ihre Stellung zur übrigen Medizin“.
Wer Bleichsteiner persönlich gekannt hat, wird ihn wohl
nie vergessen können und stets wird ihm das Bild dieses leb-
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Prof. Dr. Anton Bleichsteiner f.
haften frohsinnigen Mannes mit dem schönen charakteristischen
Gelehrtenkopf in Erinnerung bleiben. „Offen und ehrlich“ —
das war der Grundzug seines Charakters. Wenn diese seine
Offenheit auch manchmal eine gewisse Barschheit in seinem
Wesen vortäuschte, wir, die unter ihm lernten und dienten
und ihn durch den täglichen Verkehr näher kennen lernten,
wir alle wussten, welch goldenes Herz er hatte und sein Wort
galt uns als Evangelium.
Ende Mai vorigen Jahres wurde Bleichsteiner während
seiner Ordination von einer Hämatemesis befallen; Zwar erholte
er sich scheinbar wieder und eine Zeitlang fühlte er sich
relativ ganz wohl. Sein eisernes Pflichtbewusstsein und seine
Liebe zur Arbeit zwangen ihn, die quälenden Schmerzen zu
unterdrücken, doch bald siegte die furchtbare Krankheit und
fesselte ihn ans Bett. Durch eine Operation hoffte er wenigstens
von den Schmerzen befreit zu werden und am 16. April 1907
unterzog er sich derselben. Da zeigte es sich nun leider, dass die
Krankheit derartig verheerende Fortschritte gemacht hatte, so
dass eine Radikaloperation vollkommen unmöglich war und in
der Nacht vom 16. auf den 17. April hatte er ausgelitten.
ist Bleichsteiner auch von der Erde geschieden, in
unserer Erinnerung wird er immer fortleben und unwillkürlich
fallen mir die Worte des griechischen Dichters ein: „ Mrj Äeys
tivrjoxstv Tobt dyaboöc.“
Dr. Eduard ürbantsehitsch.
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330
-Varia..
V a r i a.
PARIS. EhrenmRgliedschaft Prof. Dr. Josef v. Arkövy
wurde in der am 18. März d. J. stattgehabten Sitzung der
Sociätö de Stomatologie einstimmig zum Ehrenmitglied ge¬
wählt.
BERLIN. Ernennung. Zu ausserordentlichen Üniversitäts-
professoren wurden ernannt: Oberstabsarzt Dr. Williger,
Leiter der Abteilung für operative Zahnheilkünde; Dr. Dieck,
Leiter der Abteilung für konservative Zähnheilkunde, und
Dr. Schröder, Leiter der Abteilung für Zahnersatzkunde am
königlichen zahnärztlichen Universitätsinstitut.
>— Auszeichnung. Die von ihrem Lehramt zurücktretenden
Prof. Dr. Busch und Prof. Dr. Warnekros in Berlin wurden
zu Geheimen Medizinalräten ernannt.
BRESLAU. Auszeichnung. Prof Dr. Part sch wurde zum
Geheimen Medizinallat ernannt.
MÜNCHEN. Auszeichnung. Prof. Dr. Walkhoff wurde der
Titel eines königlichen Hofrates verliehen.
HEIDELBERG. Auszeichnung. Dem Direktor des zahnärzt¬
lichen Universitätsinstitutes, Prof. Dr. G. Port, wurde das
Ritterkreuz I. Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen ver¬
liehen.
GREIFSWALD. Berufung. Dr. Guido Fischer, Zahnarzt
in Hannover, - wurde an Stelle des nach Berlin berufenen
Prof. Dr. Schröder zum Leiter des zahnärztlichen Universitäts¬
instituts berufen.
MÜNSTER. Berufung. An das neu errichtete zahnärztliche
Institut wurde Zahnarzt Apffelstädt als Leiter berufen.
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XXIII. Jahrgang.
Heft UI.
Juli 1907.
Oesterreichisch-ungarische
Vierteljahrsschrift für Zahoheilkande.
Herausgegeben von
JULIUS WEISS, Wien, I. Petersplatz 7
unter ständiger Mitwirkung der Herren:
^ 0f w r, Rinrt kÖ R?’ , Budape n ö o r, S * ®^ uer ’ Budapest - Prot Dr. H. Bönnecken, Prag -
P Breala “ “ Dr - B- Bum » Wien - Doz. Dr. L. Hattyasy, Budapest — Proff Dr.
C. Jang» Berlin — Dr. T. Ka&s, Krems — Dr. M Karolyi, Wien - Dr. R. Kronfeld, Wien —
Pro/b^W^n^niAr Rl“rn"~ D n?‘f n R * L u°- W i en “ Prof Dr - B * Mayrhofer. Innsbruck -
pp‘?• SoP'iv^’ B “£ n - r P r * Oppenheim, Brünn - Dr. G. Preiswerk, Basel - Prof. Dr.
iv’w c el u erg i>Tr- Doz ' Br ; £’ Röse » Dresden - Doz. Dr. A. Rothmann, Budapest -
W?/; 1 *’ Sa «f h ^ ®? riin Dr * J - Sch eff, Wien - Dr. F. Schenk, Wien - Dr. E. Smreker,
IW T B * w ?ltMr ’ Jf ien r Boz - J * 8zabö « Budapest - Dr. F. Tänzer, Triest —
D /* w w e » ? J"Sr“ Dos A Dr *^ W, o Va i? a : Buda P eat Prof * Dr - 0. Walkhofif, München
— Dr. W. Wallisch, Wien — Doz. Dr. R. Weiser, Wien — Doz. Dr. G. v. Wunschheim, Wien.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
ßeiträp nr Anatomie ml Chirarjie der von den oberen
Main aispteidei Eleferertraakinpn.
Von Dr. Josef Lartschneider, gewesener Assistent am k. k. ana¬
tomischen Institut in Wien und gewesener Operateur an der
ersten chirurgischen Klinik in Wien, Zahnarzt in Linz a. d. Donau.
Auffallend war mir von jeher der verschiedene, in be¬
stimmten Fällen typisch wiederkehrende Verlauf der von den
oberen Frontzähnen ausgehenden Alveolarprozesse. Dass diese
Vorkommnisse nicht auf Zufälligkeiten, sondern auf ganz be¬
stimmte anatomische Tatsachen zurückzuführen wären, war
naheliegend. Die Sache schien mir wichtig genug, um dies¬
bezügliche anatomische Untersuchungen anzustellen. Das Er¬
gebnis derselben hat mir bald diese anscheinenden Rätsel und
Schwierigkeiten gelöst. Ich war überrascht, wie prompt die
Anatomie alle die am Patienten gemachten Erfahrungen er¬
läutert und bestätigt hat.
Ich habe eine grosse Reihe von Oberkieferknochen be¬
trachtet und bald ist mir aufgefallen, dass sich trotz aller
individuellen Eigenheiten zwei grosse Gruppen unterscheiden
l
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Dr. Josef LartSchneider, Linz a. d. Donau.
lassen, je nach dem Verhalten respektive dem mehr oder
minder stärkeren Prominieren der den Zahnwurzeln ent¬
sprechenden Wülste (Juga).
Bei der einen Gruppe sind die „Juga“ als weit vor¬
springende Knochenwülste (Fig. 1) deutlich markiert. Ohne-
weiters kann man sich in solchen Fällen über die Lage der
einzelnen Wurzeln und Wurzelspitzen orientieren. Vielfach ist
Fig. 1.
Stark entwickelte Juga.
die labiale Wand der Alveolarfächer durchscheinend dünn, ja
nicht selten schaut die nackte Wurzelspitze (besonders häufig
bei Eckzahnwurzeln) durch einen fensterartigen Defekt dieser
zarten Wand. Die zu dieser Gruppe gehörigen Fälle sind durch¬
wegs Individuen mit gracilem Knochengerüste zugehörig.
Die zweite Gruppe umfasst die Fälle, bei welchen die
Juga nicht so kräftig ausgebildet sind. Besonders das dem
seitlichen Schneidezahn zugehörige Jugum bietet besondere
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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc.
Eigenheiten. Es fehlt häufig gänzlich, während das dem grossen
' Schneidezahn und dem Eckzahn entsprechende Jugum noch
deutlich vorspringt. An seiner Stelle ist ein Grübchen („Fossa
incisiva“) vorhanden, das um so tiefer ist, je deutlicher an seinen
beiden Seiten das Jugum des grossen Schneidezahnes respektive
des Eckzahnes vorspringt (Fig. 2). Die Orientierung über die Lage
der Wurzelspitze des seitlichen Schneidezahnes durch blosse Be-
Fig. 2.
Das der Wurzel des seitlichen Schneidezahnes entsprechende Jugnm fehlt,
sichtigung der labialen Fläche des Oberkieferfortsatzes ist infolge¬
dessen unmöglich. Ein Einblick in die Alveolarfächer ergibt,
dass die labiale Wand des dem grossen Schneidezahn und dem
Eckzahn zugehörigen Faches dünn und durchscheinend ist,
während sie beim Fach des seitlichen Schneidezahnes massiver
und daher nicht mehr durchscheinend ist. Bei einem solchen
Oberkiefer, dessen Zahnfächer durch Abtragung der labialen
Corticalschichte eröffnet sind (Fig. 3), treten diese Verhältnisse
i*
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
und ihre Ursachen besonders deutlich zutage. Während die
Wurzel des grossen Schneidezahnes und des Eckzahnes vertikal
stehen, verläuft die Wurzel des seitlichen Schneidezahnes schiet
nach oben und rückwärts, sie bettet sich sozusagen nach auf¬
wärts zu immer tiefer in die Spongiosa des Alveölarfortsatzes.
Dies ist in besonders starkem Masse der Fall, wenn diese
Fig. 3.
Die Wurzeln sämtlicher Zähne sind durch Abtragung der labialen Corticalis
des Processus alveolaris freigelegt.
Wurzel, wie dies häufig vorkommt, noch dazu in ihrem obersten
Anteile nach rückwärts gekrümmt ist (Fig 4).
Sagittalschnitte durch die einzelnen Alveolarfächer (eigent¬
lich sind es sagittale Radialschnitte) bieten lehrreiche Ab¬
bildungen.
Solche durch das Alveolarfach des grossen Schneide¬
zahnes und des Eckzahnes geführte Schnitte zeigen, wie ober¬
flächlich die Wurzeln dieser Zähne in ihrem ganzen Verlaufe
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Beiträge zur Anatomie nud Chirurgie etc.
349
Fig. 4.
Die Wurzel des seitlichen Schneidezahnes ist in ihrem obersten Anteil nach
rückwärts gekrümmt.
Fig. 5. Fig. 6.
Sagittaler Radialschnitt durch das Alveolarfach des grossen Schneidezahnes
(Fig. 5) und des Eckzahnes (Fig. 6). Die Spongiosa wurde teilweise abgetragen.
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
liegen (Fig. 5 und 6) und wie dünn die labiale Wand der be¬
treffenden Alveolarfächer durchwegs ist.
Ganz anders liegen die topographischen Verhältnisse beim
kleinen Schneidezahn. Fig. 7 enthebt mich wohl jeder näheren
Erörterung. Ohneweiters ist ersichtlich, wie tief die Wurzel
dieses Zahnes in die Spongiosa eingebettet ist. Das gleiche ist
aus der Fig. 8 ersichtlich.
Es ist selbstverständlich, dass die den Abbildungen 5, 6,
7 und 8 zugrunde liegenden Präparate dem gleichen Ober¬
kiefer angehören.
Fig. 7.
Sagittaler Kadialschnitt durch das Alveolarfach des kleinen Schneidezahnes.
In jenen seltenen Fällen, wo es sich um Individuen mit
besonders kräftigem Knochenbau handelt, sind auch beim
grossen Schneidezahn und beim Eckzahn ähnliche anatomische
Verhältnisse zu beobachten wie beim kleinen Schneidezahn.
Indem ich nun auf die pathologische Anatomie der von
oberen Frontzähnen ausgehenden Kiefererkrankungen über¬
gehe, kann ich mich auf meine bei einer anderen Gelegenheit
über dieses Thema veröffentlichten Ausführungen 1 berufen.
1 Dr. Lartschneider, Linz: Studien über die pathologische Ana¬
tomie und Therapie der Wurzelerkranknngen, Oesterr.-nngar. Vierteljahrs-
schrift für Zahnheilkunde, 1907, Heft II.
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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc.
361
Ich muss nochmals betonen, dass für die Symptome und den
Verlauf des betreffenden Alveolarprozesses, abgesehen von
der Virulenz der Entzündungserreger, die Widerstände mass¬
gebend sind, die sich den Entzündungsprodukten bei ihren
Ausbreitungs- und Durchbruchsbestrebungen entgegen stellen-
Tritt z. B. in einem Alveolarfache eines der zur ersten Gruppe
(graciler Knochenbau) gehörigen Oberkiefers irgend eine peri-
apicale Infektion und Abszessbildung auf, so wird der Eiter
gar bald durch die dünne und noch dazu von vielen Gefäss-
und Nervenlöchem siebartig durchbrochene labiale Wand des
Alveolarfaches durchbrechen und unter dem Perioste, resp. dem
Zahnfleische erscheinen. Dies ist aber gleichbedeutend mit der
3 2 i
Fig. 8.
Horizontaler Querschnitt durch den Alveolarfortsatz eines Oberkiefers
(1 grosser Schneidezahn, 2 kleiner Schneidezahn, 3 Eckzahn).
wichtigen Tatsache, dass sich rasch und ohne dass der Patient
viel zu leiden hatte, ein fluktuierender Zahnfleischabszess
oder eine Zahnfleischfistel gebildet hat. Die Gefahr einer folgen¬
schweren Sekretstauung oder eines Durchbruches in die Spon¬
giosa hinein ist hiemit abgewendet. Solche Fälle können durch¬
wegs ohne operativen Eingriff zur Heilung gebracht werden
(z. B. mit Trikresol-Formalineinlagen).
Im Hinblicke auf diese Verhältnisse finden wir es er¬
klärlich, wieso es oft in ganz unglaublich kurzer Zeit am Ober¬
kiefer zur Bildung grosser, fluktuierender (reifer), von ausge¬
dehnten Oedemen umgebener Abszesse kommen kann.
Unglücklicher sind in dieser Beziehung Individuen mit
kräftigem Knochenbau veranlagt. Bei ihnen sind die den Zahn-
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352
Dr. Josef Lartsdmeider, Linz a. d. Donau.
wurzeln entsprechenden Juga wenig oder (wie beim seitlichen
Schneidezahn) gar nicht entwickelt, die Wurzeln liegen tiefer
im Kieferknochen eingebettet, die labialen Wände der Alveolar¬
fächer sind massiver. Demnach werden solchen Patienten schon
periapicale Entzündungen, welche vom grossen Schneidezahn
oder vom Eckzahn ausgehen, viele Beschwerden verursachen.
Besonders schwer aber müssen solche Prozesse verlaufen,
wenn sie vom seitlichen Schneidezahn ausgehen! Und in der
Tat, immer und immer wieder ist es der seitliche Schneide¬
zahn, der allen unseren Bemühungen trotzt, er ist es,
der uns meistens veranlasst, zur Operation zu schreiten.
Ein Blick auf die Fig. 7 und 8 zeigt uns, dass bei peri-
apicalen Abszessen dieses Zahnes der Durchbruch des Eiters
nach vorne (labialwärts) beinahe unmöglich ist. Denkbar wäre
dies, wenn der Eiter sich nach abwärts in den Bereich des
untersten Drittels des Alveolarfaches, also in die Nähe des
Zahnhalses drängen könnte. Dort erst würde er günstige Be¬
dingungen für einen Durchbruch durch die vordere (labiale)
Wand des Alveolarfaches finden, denn sie ist erst in ihren
tiefer (distal) gelegenem Anteile dünn und porös. Und tat¬
sächlich finde ich, dass in den verhältnismässig wenigen
Fällen, in denen es bei periapicalen Entzündungen seitlicher
Schneidezähne zur Bildung von Zahnfleischfisteln kommt, die¬
selben meistens tief unten, nahe dem Zahnhälse, und zwar
lateral von ihm, also zwischen seitlichem Schneidezahn und
Eckzahn gelegen sind, so dass man manchmal zweifeln könnte,
ob diese „Fisteln“ nicht vom Eckzahn ausgehen. Häufig
kann man am Skelett an dieser Stelle einige grössere „Gefäss-
löcher“ (Poren) konstatieren (siehe Seite 347, Fig. 2). Der¬
artig situierte Zahnfieischfisteln können meiner Erfahrung nach
ohneweiters als zum s e i 11 i c h e n Schneidezahn gehörig dia¬
gnostiziert werden. Vom Eck zahn ausgehende Fisteln habe
ich immer weiter oben, in der Nähe seines Apex getroffen.
Desgleichen ist es erklärlich, dass die Etablierung solcher tief
gelegener, vom seitlichen Schneidezahn ausgehender Fisteln
meistens längere Zeit beansprucht. In einem Falle, der erst
11 Monate nach dem Beginn der Erkrankung in meine .Be*
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Beiträge znr Anatomie and Chirurgie etc.
353
handlung kam, sah ich eben eine solche Fistel entstehen.
Gerade dieser Umstand hat den Patienten, der früher die
ganze Zeit hindurch wegen Rheumatismus behandelt wurde,
bewogen, einen Zahnarzt aufzusuchen.
Während in solchen vom seitlichen Schneidezahn aus¬
gehenden Fällen dem Eiterherde labial beinahe unüberwind¬
liche Schranken gesetzt sind, kann man aus der Fig. 7 ersehen,
dass diesbezüglich die Bedingungen nasalwärts viel günstiger
liegen. Frei ragt die Kuppe des Alveolarfaches, von einer
dünnen, porösen Knochenlamelle (Cribrum) umschlossen, in
das zarte Gebälk der Spongiosa (Markhöhle des Oberkiefer¬
körpers) hinein. Und tatsächlich kommt es häufig vor, dass
vom seitlichen Schneidezahn ausgehende Alveolarabszesse
nach oben durch das Cribrum in die Spongiosa durchbrechen
und durch eitrige Einschmelzung der zarten Knochenbalken die
Bildung grosser Knochenabszesse zur Folge haben. Bei der
weiten Ausdehnung der Spongiosa ist es erklärlich, dass der
Eiter in Gegenden Vordringen kann, die weit von dem Aus¬
gangspunkte des Krankheitsherdes entfernt sind.
Jahrelang können solche Abszesse im Innern des
Oberkieferknochens, im Bereiche seiner Spongiosa ihr Un¬
wesen treiben, bis der Eiter endlich spontan oder infolge eines
operativen Eingriffes an irgend einer Stelle durch die Lamina
corticalis des Oberkieferknochens hindurch nach aussen ge¬
langt. Solche Fälle sind gar nicht so selten, sie kommen dem
Zahnarzt gewiss öfter in die Hände als die vielbeschriebenen
und in jedem Lehrbuche für Zahnheilkunde ausführlich be¬
handelten Empyeme der Highmorshöhle. Ich vermute, dass
manche «Gesichtsneuralgie“ auf solche Abszesse zurückzu-
führen ist und dass öfters, wenn uns die Angaben der Patienten
immer und immer wieder veranlassen, an ein Empyem des
Antrums zu denken, ohne dass wir trotz eingehender und
wiederholter Untersuchung Anhaltspunkte für diese Annahme
finden, solche im Mark des Oberkieferknochens ge¬
legene Eiterherde vorhanden sind. Ihre Diagnose ist
freilich nicht immer leicht, denn sie verlaufen häufig, ohne ob¬
jektive Symptome (Schwellung, Fluktuation) zu bieten; der
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354
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Don&n.
Eiter kann eben nirgends durch die Lamina corticalis des
Oberkieferknochens durchbrechen — der Verlauf ist quasi
„latent“. Mehr Anhaltspunkte bieten die subjektiven Symptome,
die Anamnese und das Fehlen eines Antrumempyems. Die
Patienten klagen über dumpfe halbseitige Gesichtsschmerzen,
die, vom Oberkiefer oder von den Zähnen des Oberkiefers aus¬
gehend, sich zeitweise zu rasender Heftigkeit steigern und gegen
das Auge und die Schläfe ausstrahlen.
Wichtig für die Diagnose scheint mir das Vorkommen
geschwollener Lymphstränge, die ich wiederholt in solchen
Fällen an der apicalen Gegend des betreffenden seitlichen
Schneidezahnes unter der Schleimhaut, an der Kuppe des
Vestibulum oris, nahe der Umschlagsfalte, nachweisen konnte.
Hüten muss man sich vor Verwechslungen mit submukös ge¬
legenen Schleimdrüsenknötchen.
Ich erlaube mir, einige diesbezügliche Fälle aus meiner
Praxis bekannt zu geben.
I. Grosser, hagerer, 48jähriger Patient. Seit 7 Jahren leidet er un¬
gemein häufig an dumpfen, halbseitigen Gesichts- und Kopfschmerzen. Sie
strahlen vom linken Oberkiefer gegen das Auge, die Stirne und die Schläfe
aus, sind nicht intensiv, aber lästig und nehmen ihm jede Arbeitslust.
Gemttt8affekte, Bücken, rasches Stiegensteigen, Wind und Kälte lösen sofort
diese Schmerzempfindungen aus, die dann tagelang anhalten. Die ver¬
schiedensten therapeutischen Massnahmen erwiesen sich erfolglos. Vor
2 Jahren wurde dem Patienten geraten, die linke Gesichtshälfte bei Wind
und schlechtem Wetter mit Vaselin einzufetten. Dies hat ihm angeblich
noch am meisten genützt. Seither ging Patient bei schlechtem Wetter und
im Winter überhaupt nur mehr mit eingefettetem Gesichte herum. Zeitweise
kommt es ihm vor, als ob diese Schmerzen doch von den Zähnen ausgingen.
Dies hatte ihn heute, wie schon früher öfters, veranlasst, zahnärztliche Hilfe
in Anspruch zu nehmen. Patient hat wohlgepflegten Mund. Die Untersuchung
zeigt, dass die intakten, oberen, linken, beiden Schneidezähne eine tote Pulpa
haben und druckempfindlich sind. Nach der Trepanation durch die Foramina
coeca entleert sich sofort rötliches, stinkendes Serum, und zwar unter an¬
scheinend grossem Druck, denn die ersten Tropfen wurden geradezu heraus¬
gespritzt Patient hat hierauf in die Operation eingewilligt. Querschnitt in
der apicalen Gegend über beide Wurzeln (l£ und ]2), Trepanation durch die
Wurzelspitze des seitlichen Schneidezahnes in die Spongiosa hinein (Fig. 10).
Sofort entleert sich Eiter. Ein starker Fissurenbohrer wird in die Trepanations-
Öffnung eingeführt und dieselbe medialwärts erweitert, bis auch die Wurzel¬
spitze des mittleren Schneidezahnes in die jetzt querovale TrepanationsÖffhung
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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc.
355
einbezogen war. Ich konnte jetzt eine beinahe walnussgrosse Knochenhöhle
überblicken! Tamponade der Höhle mit Vioformgaze. Nach mehrmaligem
Tampon Wechsel ging die Heilung in 8 Wochen anstandslos vonstatten. Patient
ist seither (U/ 2 Jahre) von seiner „Gesichtsneuralgie“ vollständig geheilt.
II. 17 jähriges, kräftiges Mädchen. Es kam am 29. Dezember 1905
zu mir. Die letzten 6 Tage und Nächte waren äusserst qualvoll und schlaflos.
Schon seit Februar 1905 leidet sie häufig an rechtseitigen Gesichtsschmerzen,
die vom Oberkiefer ausgehen. Alle therapeutischen Bemühungen waren er¬
folglos. Im September 1905 wurde sie deshalb nach Wien zu einem nam¬
haften Spezialisten gebracht, der sie an einen Zahnarzt wies. Derselbe hat
ihr mehrere Zähne plombiert. Im gleichen Zustand kam sie wieder nach
Hause. Die letzte Zeit hat sie wieder unsäglich gelitten. Sie wurde von
ihrem Hausarzt an mich gewiesen.
Status praesens: Kräftig gebautes, etwas blasses Mädchen, wohl-
gepflegter Mund. 38*6 ® Fieber. Am rechten Oberkiefer objektiv gar nichts
nachzuweisen. Die ganze Zahnreihe auf Beklopfen empfindlich. Der seitliche
Schneidezahn hat eine kleine Plombe, nicht verfärbt. Die elektrische Unter¬
suchung ergibt Pulpatod! Trepanation durch die Plombe, sofort entleert
sich dicker, gelber, stinkender Eiter. Da kein Nachlassen der Schmerzen
eintrat, willigte Patientin am nächsten Tage in die Operation. Trepanation
durch die Wurzelspitze des seitlichen Schneidezahnes hindurch in die
Spongiosa. Sofort entleert sich dicker, gelber Eiter und GewebsfetZen. Die
Abszesshöhle ist sehr gross und reicht medialwärts hinter den grossen
Schneidezahn bis zur Mittellinie und zieht sich lateral hinter den Eckzahn
hin. Leichte Tamponade der Wunde (nicht Irrigieren!). Am Abend desselben
Tages 40’2 # ! Die Heilung ging prompt vonstatten. In 6 Wochen war alles
verheilt. Patientin ist seither gesund.
HI. Einen ähnlichen Fall (kräftige, junge Frau, Turnerin) habe ich
4 Monate nach dem Beginne der angeblichen „Gesichtsneuralgie“ operiert.
IV. Ich verweise noch auf den Fall, den ich bei einer anderen
Gelegenheit veröffentlicht habe 1 und bei dem auffallenderweise die eröffnete
grosse Knochenhöhle leer und an ihren Wänden von einer anscheinend glatten,
von Gefässen durchzogenen Membran ausgekleidet war. Doz. Dr. v. Wunsch¬
heim hält diesen Fall für eine vereiterte Zahnzyste.
V. Einen jungen, kräftigen Mann mit starkem Gebiss habe ich vor
einigen Monaten operiert, der einen sehr interessanten Befund darbot. Alle
drei rechten oberen Frontzähne (Eckzäbne und beide Schneidezähne) waren
verfärbt (tot) und trugen je eine Zementplombe. Ueber den grossen Schneide¬
zahn, ungefähr seiner Wurzelspitze entsprechend, war eine „Zahnfleisch¬
fistel“, welche auf Druck seröse Flüssigkeit entleerte. Eine zweite solche*
1 Dr. Lartschneider: Behandlung von Fistelzähnen mit Tri-
kresol-Formalin. Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1906,
Heft HI, Seite 353.
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356
Dr. Josef Lartsclmeider, Linz a. d. Donau.
Fistel sass lateral vom seitlichen Scbneidezahn, zwischen ihm and dem Eck-
zahn, tief unten nahe dem Zahnfleischrande. Der Patient gab an, dass er
vor vielen Jahren oft an seinen Vorderzähnen zu leiden hatte und wieder¬
holt eine geschwollene Oberlippe hatte. Seit mindestens 11 Jahren war der
Zustand angeblich stationär, es traten seither niemals grössere Beschwerden
auf, allein Patient batte immer das Gefühl, dass an seinem Oberkiefer irgend
etwas nicht in Ordnung wäre.
Die durch die Zementplomben hindurch ausgefübrte Trepanation ergab,
dass die Wurzelkanäle der drei erwähuten und vor vielen Jahren wurzel¬
behandelten Zähne jauchige Detritusmassen enthielten. Es wäre in diesem
Falle wohl zwecklos gewesen, sich auf irgend welche medikamentöse Wurzel¬
behandlungen einzulas8eu. Patient hat in die vorgeschlagene Operation sofort
eingewilligt. Die lateral vom seitlichen Schneidezahn gelegene Zabnfistel
wird durch einen nach oben konvexen, die Weichteile bis auf den Knochen
durchtrenn enden Schnitt mit der am Apex des grossen Schneidezahnes ge-
Fig. 9.
legenen Zahnfleischfistel verbunden und die Weichteile stumpf nach oben
und unten zurückgeschoben. Da zeigte sich, dass entsprechend den Zahn¬
fleischfisteln die Corticalis des Oberkieferknochens je ein banfkomgrosses
Locb hatte. Die knöcherne Umrandung desselben war morsch und porös und
wurde mit dei£ scharfen Löffel und Kundbohrer abgetragen. Durch diese
Löcher gelangte ich mit der Soude in eine grosse, hinter den Wurzeln der
Schneidezähne und des Eckzahnes gelegene Knochenhöhle. Jetzt wurde ein
Fissurenbohrer in den lateral vom kleinen Schneidezahn befindlichen Knochen*
defekt (Fistel) eingesetzt und in nach oben konvexem Bogen die labiale
Wand der erwähnten Knochenhöhle samt den Zahnwurzeln der beiden
Schneidezähne abgetragen, bis ich mit dem Bohrer in der am Apex des grossen
Schneidez ahne« gelegenen Fistelmündung angelangt war (Fig. 9). Die Abszess-
* höhle, welche jetzt ausgiebig eröffnet und zugänglich war, konnte nun genau
überblickt werden und stellte sich jetzt als eine über haselnussgrosse, hinter
den Wurzeln der beiden Schneidezähne und des Eckzahnes im Bereiche der
Spongiosa gelegene Höhle dar. Auch von der Eckzahnwurzel wurde das
oberste Ende abgetragen. Die Abszesshöhle wurde mit Tupfern und dem
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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc.
357
scharfen Löffel gereinigt. Leichte Tamponade mit Vioformgaze. Die ganze
Operation dauerte 20 Minuten. Die Heilung erfolgte prompt nach mehr¬
maligem Tamponwechsel in 8 Wochen.
Es ist selbstverständlich, dass in jedem Falle nach der Operation die
betreffenden Zähne und Zahnwurzeln entsprechend behandelt wurden.
VI. 26 jähriges, gesundes, kräftiges Fräulein mit sehr schönen breiten
Zähnen. Der ]_? war seinerzeit gaumenwärts disloziert und gedreht- Vor
17 Jahren (die Patientin war damals 9 Jahre alt) wurde sie deswegen in
Behandlung genommen. Sie bekam eine „Maschine“ und hat dieselbe ein
Jahr lang getragen, jedoch ohne Erfolg. Im zehnten Lebensjahre kam Patientin
nach Wien. Dort wurde sie von einem Zahnarzt diesbezüglich behandelt.
Nach einem halben Jahre war der [2 an die ihm gebührende Stelle gerückt,
allein bald darauf bekam sie an diesem Zahne, ganz nahe am Zahnfleischrand.
(Patientin macht diese bezeichnende Angabe spontan) eine Fistel, aus der
immer Eiter abfloss, ohne dass es jemals zu Schwellungen oder Schmerzen
gekommen wäre. Nach einigen Monaten wurde dieser Zahn durch das Foramen
coecum trepaniert und eine langwierige Wurzelbehandlung eingeleitet. Die
Fistel kam zwar schliesslich zur Heilung und der Zahn wurde mit einer
Zementplombe verschlossen, die nach einigen Jahren durch eine Amalgam¬
plombe ersetzt wurde. Durch die nächsten 15 Jahre hindurch geschah weiter
nichts an dem Zahn, obwohl Patientin einigemale im Jahr von ihm be¬
unruhigt wurde. Die Zahnfleischflstel hat sich zwar nicht mehr gezeigt, allein
es traten jedes Jahr wiederholt leichte Gaumenschwellungen auf, die stets
wieder zurückgingen. Der ]2 war zu solchen Zeiten „locker“ und länger.
So oft Patientin nach Wien kam, hat sie den betreffenden Zahnarzt auf¬
gesucht, denn sie hatte immer das Gefühl, der Zahn werde nächstens ver¬
loren gehen. Sie wurde immer wieder vertröstet, es wurde ihr stets bedeutet,
es wäre das beste, solche Zähne nicht anzurühren. 1906 im Frülyahr, also
nach 17 Jahren, kam Patientin zu mir. Die Beschwerden waren damals be¬
sonders heftig.
Status praesens: Sehr schöne, breite, kräftig entwickelte, intakte
Frontzähne. Nur der ]2 war dunkelbräunlich verfärbt. Entsprechend seinem
Foramen coecum sass eine hanfkomgrosse, schwarze Amalgamplombe, die
natürlich auch au der Verfärbung des Zahnes mit schuld war. Die labiale
Fläche des Alveolarfortsatzes, entsprechend dem [?, bot ein vollständig
normales Aussehen, keine Fistel oder Narbe sichtbar, die ganze Gegend auf
Druck unempfindlich, jedoch an der apicalen Gegend unter der Schleimhaut
verschiebliche harte Stränge zu tasten (Lymphgefässe). Der Gaumen dem
|2 entsprechend geschwollen, die Gaumenfälten etwas ödematös geschwellt
und stärker vortretend.
Der Zahn wurde durch die Plombe hindurch trepaniert Sofort entleert
sich übelriechender, dünnflüssiger Eiter. Die Spannung hat sofort nach¬
gelassen. Der Zahn wurde offen gelassen. Nach einigen Tagen kam Patientin
wieder, es ging ihr viel besser. Die Sekretion hat anscheinend ganz auf-
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368
Dr. Josef Lärtsehneider, Linz a. d. Donau.
gehört. Daher entschloss ich mich, in den Wurzelkanal des I? eineu Trikresol-
Formalinfaden einznführen und mit Fleteher zu verschliessen. Einige Stunden
nachher kam Patientin wieder wegen heftiger Schmerzen, die seit dem Ver¬
schlüsse des Zahnes wieder aufgetreten wären. Der Zahn wurde sofort
eröffnet und der Wattefaden entfernt, worauf sich einige Tropfeu dicken
Eiters entleerten und die Schmerzen waren wieder behoben. Der Zahn wurde
jetzt 2 Wochen offen gelassen und dann neuerdings nach einer Trikresol-
Formalineinlage in den Wurzelkanal geschlossen. Jetzt traten keine Schmerzen
mehr auf und nach weiterem Verlauf von einigen Wochen wurde der Watte¬
faden entfernt, Trikresol-Formalinpaste in die Wurzel gepresst und nach
gründlicher Eröffnung und Reinigung des Kronenanteiles der Pulpakammer
die ganze Kavität (einschliesslich Pulpakammer) mit weissem „Silicin“ gefüllt.
Die weisse Plombe hat die Farbe des Zahnes sofort günstig beeinflusst. Es
traten zwar seither nie mehr grössere Beschwerden auf, aber ganz „ruhig“
war der Zahn doch nicht. Die Patientin hat mich wiederholt wegen dieses
Zahnes aufgesucht, so dass ich mich endlich doch entschloss (April 1907),
den Krankheitsherd von der vorderen labialen Fläche des Oberkiefers aus
zu eröffnen. Trepanation der Markhöhle des Oberkieferkörpers durch Corticalis
und die Wurzelspitze des kranken Zahnes hindurch. Die Operation verlief
anstandslos, in 10 Minuten war der Eingriff vorüber. Hinter der Wurzel¬
spitze des i 2 , nach ihrer Abtragung, gelangte ich mit dem Rosenbohrer in
eine grössere, ganz im Bereiche der Spongiosa gelegene Abszesshöhle (Knochen¬
lade). Ohne zu sondieren oder zu reinigen, habe ich diese mit einem Vioform-
gazestreifen leicht trainiert und nach mehrmaligem Tamponwechsel war nach
4 Wochen alles vollständig geheilt, die Beschwerden haben seit der Operation
vollständig aufgehört, nachdem sie früher durch 17 Jahre hindurch der
Patientin zu schaffen gemacht haben.
Instinktiv werden solche Patienten häufig veranlasst, neben
ihrem Hausarzt auch den Zahnarzt aufzusuchen. Da aber, ab¬
gesehen etwa von einer entzündlichen Rötung des Zahnfleisches
und einer mehr oder minder ausgesprochenen Druckempfindlich¬
keit aller Zähne des Oberkiefers der betreffenden Seite nichts
nachweisbar ist, werden solche Patienten wieder ihrem Haus¬
arzte zugewiesen und so geht die Sache weiter, bis endlich doch
eine Zahnfleischfistel oder ein Gaumenabszess oder andere
objektive Symptome die Diagnose ermöglichen. Man muss in
solchen Fällen immer die oberen Frontzähne genau unter¬
suchen und elektrisch prüfen. Sind einer oder mehrere von
ihnen tot oder wurzelbehandelt, so müssen sie unbedingt
trepaniert und die Wurzelkanäle energisch sondiert und auf
eine etwa vorhandene Pulpagangrän untersucht werden. Ent-
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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc. 359
leert sich aus der Trepanationsöffnung Eiter, so ist die Dia¬
gnose freilich sicher. Lassen jetzt nach der Trepanation die
Schmerzen nicht bald nach, so ist es widersinnig, mit Wurzel¬
behandlungen Zeit zu verlieren. Das einzig Richtige ist nun
die Trepanation der in der Spongiosa gelegenen Abszesshöhle
durch die Gorticalis und eventuell durch die Wurzelspitze des
betreffenden Zahnes hindurch (Fig. 10). Die Abtragung der
Wurzelspitze ist nicht das Hauptmoment, sondern die aus¬
giebige Eröffnung der Abszesshöhle! Um die Wurzelspitze
kümmere ich mich nur dann, wenn sie mir bei meinem Vor¬
dringen zum Eiterherd im Wege steht.
Fig. 10.
Die Spongiosa wurde abgetragen, um eine Abszesshöhle zu veranschaulichen.
T = Trepanationsöffnung.
Die Operation ist einfach und unter Lokalanästhesie leicht
mit dem Rundbohrer und scharfen Löffel auszuführen. Auch
die grössten Knochenhöhlen heilen nach öfterem Tampon¬
wechsel in längstens 8 Wochen. Der Heilungstrieb im Munde
ist enorm. Sehen wir doch die furchtbaren Verletzungen, welche
bei der Exstirpation des ganzen Oberkiefers gesetzt werden,
in ganz kurzer Zeit vollständig verheilen.
, Wiederholt bin ich bei derartigen Operationen in Knochen¬
höhlen geraten, deren Ausdehnung geradezu imponierend war,
ja einigemale konnte ich es kaum glauben, dass ich nicht in
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360 Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
die Highmorshöhle geraten wäre. Man darf nicht vergessen,
dass das zarte Gebälke der Spongiosa einem Vordringen der
Entzündung, respektive einer eiterigen Einschmelzung sehr
wenig Widerstand bietet. Sobald ein Alveolarabszess nach
rückwärts in die Spongiosa des Oberkiefers durchgebrochen
ist — und bei oberen seitlichen Schneidezähnen sind die Be¬
dingungen für solche Komplikationen besonders günstig —
F.«. A.
Fig. 11.
Rechts ein Gefassloch (F. n.) am Gaumen, links die Residuen eines abgelaufenen,
vom seitlichen Schneidezahn ausgegangenen und gaumenwärts durchgebrochenen
Alveolarabszesses (A.).
kann sich der Eiter im Bereiche der Spongiosa nach allen
Richtungen ausbreiten, besonders nach rückwärts, im Inneren
des geräumigen Gaumenfortsatzes (siehe Fig. 13).
Bei den Durchbruchsbestrebungen solcher Abszesse nach
aussen (aus dem Bereiche der Spongiosa heraus) kommen dem
Eiter meines Erachtens jene in der Corticalis des Oberkiefer-
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361
Beitritt zur Anatomie und Chirurgie etc.
. befin «"»> “*« «hr zu statten, welche den
Durchtritt der Gefässe und Nerven vermitteln.
, . Die * e ^ nna i ime ist S ewiss nicht unberechtigt. Sehen wir
doch z. B. bei Entzundungsprozessen der Kopfschwarte die
Entzundungserreger den Blutgefässen entlang in das Innere
der knöchernen Schädelkapsel Vordringen, um daselbst auf die
Hirnhäute und das Hirn überzugreifen.
Nicht unwichtig scheint mir ein häufig vorhandenes be¬
sonders grosses Loch zu sein, welches am harten Gaumen 2 Mm
bis 1 Cm. rückwärts vom Zahnhalse des kleinen Schneide¬
zahnes, seiner Wurzel entsprechend, gelegen ist (Fig. 11 F. «.).
• D Kibderschädel ist dieses Loch besonders gross, liegt
im Bereiche des Gaumenanteiles des Os incisivum und scheint
ur die ernährenden Gefässe dieses Knochens wichtig zu sein
(Foramen nutrilium).
Aus dem Vorkommen eines so grossen, hinter dem
kleinen Schneidezahn gelegenen Foramen nutritium wäre die
Tatsache wohl erklärlich, dass von diesem Zahne ausgehende
Alveolarabszesse oft in auffallend kurzer Zeit unter die Schleim¬
aut des harten Gaumens durchbrechen und dort grosse
fluktuierende Tumoren und später „Gaumenfisteln“ bilden.
.. VIL Qanm enfistel. Patientin (Fräulein) leidet schon seit mindestens
10 Jahren an einer „Gaumenfistel“. Patientin ist selbst zur Vermutung gelangt,
dass dieselbe mit dem seitlichen, oberen linken Schneidezahn im Zusammen-
ange steht. Aus der Fistel ergiesst sich schon seit vielen Jahren Eiter, und
swar in besonders reichlicher Menge, während sie mit dem Finger in der
Gegend der Nasenwurzel (links) drückt. Der linke, seitliche Schneidezahn
mirde im Verlaufe der Jahre öfters behandelt und plombiert. Wegen der
Fistel wurde sie stets vertröstet, „sie sei etwas ganz Nebensächliches und
werde schon abheilen, wenn alles abgeflossen ist“. In letzter Zeit hat Patientin
jedoch am linken Auge, und zwar an seinem unteren Rande häufig spannende
und ziehende Schmerzen verspürt, welche gegen die Nasenwurzel hin aus¬
strahlten. Ich betone, dass diese Angaben ganz spontan gemacht wurden.
Vor einigen Tagen hatte sie sich den betreffenden Zahn ausgebissen, was
die Veranlassung war, zahnärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Status praesens: Gesunde, kräftig gebaute Patientin. Die oberen
Frontzähne mit Ausnahme des linken, seitlichen Schneidezahnes vorhanden,
mit Zementplomben versehen, jedoch lebend. Die Krone des linken, seitlichen
Schneidezahnes im Niveau des Zahnfleisches abgebrochen, der Wurzelkanal
2
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362 Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
offen, mit gangränösen Detritusmassen gefüllt. Am harten Gaumengewölbe,
l 1 /. Cm. über dem linken, seitlichen Schneidezahn, eine Fistelmtindung, aus
der sich dünner, rötlichgelber Eiter tropfenweise entleert, sobald Patientin
mit dem Finger in der Gegend der linken Nasenwurzel drückt Der linke
Eckzahn intakt feststehend, der linke, erste Backenzahn in der Höhe des
Zahnfleischrandes abgebrochen, seine Wurzel offen, Gangrän der Pulpa, Die
sichelförmig gebogene Sonde gelangt durch die erwähnte FUtelmündung in
eine grosse Höhle. Die Sonde gleitet leicht nach vorne und oben. Die Wurzel-
spitze des ]2 als frei hereinragende Zacke deutlich mit der Sonde zu tasten.
Es war also ohneweiters zu konstatieren, dass ein von der Wurzel des liuken,
seitlichen Schneidezahnes ausgegangener, periapicaler Abszess seinerzeit in
die Spongiosa des Oberkieferkörpers und des Gaumenfortsatzes eingebrochen
ist, daselbst ziemliche Verheerungen zur Folge hatte und schliesslich gaumen-
wärts durch die orale Rindenschicht des Gaumenfortsatzes wahrscheinlich
auf dem Wege eines Gefässloches unter das Zahnfleisch gelangt ist, dasselbe
weithin von seiner knöchernen Unterlage als fluktuierenden Tumor abgehoben
hat, bis eudlich der Eiter nach Eiuschmelzung des Zahnfleisches nach aussen
gelangte. Der Abszess konnte die langen Jahre hindurch infolge der Un¬
zulänglichkeit des Abzugskanales nicht ausheilen, ja eine Heilung wäre in
diesem Falle bei den bestehenden Verhältnissen wohl kaum jemals erfolgt.
Ueber die Therapie konnte in diesem Falle kein Zweifel obwalten.
Novocaininjektion in die Umgebung der Gaumenfistel, Erweiterung der Fistel¬
mündung mit dem Messer und dem Rnndbohrer bis auf Erbsengrösse und
vorsichtiges Auskratzen der Abszesshöhle („Knochenlade“) mit dem scharfen
Löffel. Da die Abszesshöhle weit nach vorne und oben reichte, war es
wünschenswert, auch vom Vestibulum oris ans einen Zugang zu derselben
zu schaffen. In diesem Falle habe ich von der typischen Trepanation durch
die Lamina corticalis und Wurzel spitze des i? hindurch abgesehen, da ja das
vorhin erwähnte Wurzelfragment des ü einen bequemen Zugang in Aussicht
stellte. Nach der Extraktion dieses Fragmentes konnte ich mit dem kleinen
scharfen Löffel leicht den Grund seines Alveolarfaches einstossen und nun war
die Abszesshöhle auch von vorne offen. Mit der in das Alveolarfach des ü ein-
geführten weichen Sonde konnte ich jetzt durch die Mündung der Gaumen*
fistel in die Mundhöhle gelangen. Die genaue Untersuchung zeigte, dass die
Abszesshöhle trotz ihrer imponierenden Grösse lediglich im Bereiche der
Spongiosa des Oberkiefers gelegen war und nicht in die Highmorshöhle
dorcbgebrochen war. Der Patientin konnte demnach baldigste Heilung ihres
langjährigen Leidens vorausgesagt werden. Die Abszesshöhle wurde nun
durch den Gaumendefekt und das Alveolarfach des I* leicht mit Vioform-
gaze tamponiert Nach 3 Tagen Tamponwechsel. Die Gaumenfistel war nach
1 Woche bis auf eine rote Einkerbung des Zahnfleisches geheilt Nach 3 Wochen
war auch der am Alveolarfache des Ji befindliche Zugang zur Höhle durch
feste Granulationsmassen geschlossen. Die Wurzel des L? wurde gleichzeitig
mit Trikresol-Formalineinlagen behandelt. Nach einmaligem Tamponwechsel
war der gangränöse Geruch vollständig geschwunden. 12 Tage nach der
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Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc.
363
Operation konnte in die Wurzel des Ijj schon ein Stiftzahn eingemauert
werden. Vier Woeben nach der Operation war Patientin vollständig geheilt.
Die Schmerzen am linken Auge waren sofort nach der Operation verschwunden.
Manchmal, allerdings in seltenen Fällen, dringt der Eiter,
nachdem er in die Spongiosa durchgebrochen ist, nach auf¬
wärts (naso-frontal). Die Spongiosa erstreckt sich ja auch in
das Innere des Processus nasalis maxillae (Fig. 12 und 13).
Die verschiedenen, in der Nähe des inneren Augenwinkels
konstant vorkommehden Gefäss- und Nervenlöcher (siehe
Stifur* itu'ixivu
Fig. 12.
Sagittaler Badialschnitt durch das Alveolarfach des rechten seitlichen Schneide¬
zahnes. Die innerhalb des Processus palatinus gelegene Spongiosa hat an
einer Stelle eiu festeres Gefüge (Sutura incisiva). Die Spongiosa dringt nach
aufwärts in den Bereich des Processus frontalis maxillae. Eines der dort be¬
findlichen Gefässlöcher ist durch den Schnitt eröffnet.
Fig. 1, 2, 3, 4) bilden geradezu präformieite Durchbruchsstellen
für solche Eiterherde.
Diese Tatsachen erklären uns ohneweiters das auf den
ersten Blick überraschende Vorkommnis, dass von oberen Front¬
zähnen ausgehende Kieferabszesse in der Nähe des inneren
2 *
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364 Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
Augenwinkels unter die Haut durchbrechen und daselbst kleine
fluktuierende Tumoren und Augenwinkelfisteln bilden
Ebenso ist es erklärlich nach den vorhergegärigerien Aus¬
führungen, dass solche dentale Augenwinkelfisteln meistens
vom oberen seitlichen Schneidezahn ausgehen, t i
Auf eine Tatsache möchte ich noch aufmerksam machen,
welche wahrscheinlich die Bildung von „Gaumenfisteln“ und
wohl auch von dentalen Augenfisteln begünstigt. Die Stelle,
Fig. 13.
„Durch Abtragung der vorderen (labialen) Lamina corticalis wurde die Mark¬
höhle des Oberkieferkörpers eröffnet. Die Wurzeln der Zähne und die
Substantia spongiosa wurden exstirpiert, um die Geräumigkeit der Markhöhle
.*darzutun. Desgleichen ist das Anthrum durch Abtragung seiner fäcialen
Wand eröffuet.
an welcher einstens die Verschmelzung des Incisivum mit dem
Os palatinum stattgefunden hatte, ist häufig auch später noch
durch ein festeres, beinahe corticales Gefüge der Spongiosa
markiert und als Sutura incisiva ohne weiters erkennbar (Fig. 12,
Sutura incisiva). Bei seinem Vordringen nach rückwärts sind
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Beiträge zur Anatomie uud Chirurgie etc.
365
jetzt dem Eiter an dieser Stelle Schranken gesetzt, er wird
deshalb um so energischer nach unten (palatinal) oder nach
aufwärts (nasal) Vordringen. In dem einen Falle wird es zur
Bildung einer „Gaumenfistel“ in dem anderen zur Bildung
einer dentalen Augenwinkelfistel kommen.
Die von den Frontzähnen ausgehenden periapicalen
Entzündungsprozesse greifen demnach sehr häufig auf die
Spongiosa des Oberkiefers über; sie treten zur Markhöhle
(Fig. 13) des Oberkiefer k ö r p e r s ähnlich in Beziehungen, wie
dies bei solchen von den prämolaren und molaren
Zähnen ausgehenden Prozessen bezüglich der Oberkiefer¬
höhle (Anthrum) der Fall ist. Die Aetiologie und die patho¬
logische Anatomie der Anthrumempyeme ist schon seit
langem bekannt, während die in der Markhöhle des Ober¬
kiefers vorkommenden und oft durch viele Jahre persistierenden
Abszesse, die meines Erachtens nicht minder interessant, oft
nicht minder folgenschwer und auch nicht weniger häufig sind
als die Anthrumprozesse, bisher völlig unbeachtet geblieben sind.
Diese beiden Erkrankungen des Oberkiefers, die Abszesse
der Kieferhöhle (Anthrum) und die Abszesse der Mark¬
höhle treten sogar nicht selten zueinander in Beziehungen,
indem Markhöhlenabszesse in die Kieferhöhle durchbrechen und
Kieferhöhleneiterungen zur Folge haben. In solchen Fällen
kommt es dann zur Bildung einer riesig grossen Abszesshöhle,
welche aus der Verschmelzung der Kieferhöhle (Anthrum) mit
der im Bereiche der Substantia spongiosa des Oberkiefer¬
körpers gelegenen Abszesshöhle entstanden sind. Das Röntgen¬
bild eines solchen von mir operierten Falles (Fig. 14) im Zu¬
sammenhalt mit Fig. IS ist die beste und einfachste Erklärung
dieser interessanten Erkrankung. Natürlich ist es für den Ver¬
lauf und die Behandlung nicht gleichgiltig, ob ein einfaches
oder ein mit Markhöhlenabszess kombiniertes Anthrum-
empyem vorliegt.
Ich erlaube mir des Interesses halber einen solchen von
mir operierten Fall, welcher, auch das nachstehende Röntgen¬
bild geliefert hat, eingehend zu erörtern.
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366
Dr. Josef Lartschueider, Linz a. d. Donau.
Linker -
Ecktnhn
Fig. 14.
Das schöne Röntgenbild verdanke ich dem Herrn Dr.Riedl. Assistenten
an der chirurgischen Abteilung des allgemeinen Krankenhauses in Linz.
Vor der Röntgenaufnahme habe ich die Höhle mit in Wismut getauchtem
Gazestöft (10 0 Gr. Bismutum subnitricum, 6 Gr. Mucilagogummi arab.)
von der zwischen 12 und I? gelegenen Fistel aus fest austamponiert.
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Beiträge zar Anatomie und Chirurgie ete.
367
VIII. Kombiniertes Anthrumempyem. 28jähriger, ziemlich
indolenter Bindergehilfe. Anamnestisch konnte folgendes erhoben werden.
Vor 6 Jahren hat sich Patient den linken oberen Schneidezahu „ausgebissen“.
Bald nachher traten grosse Schmerzen auf, Patient hatte wiederholt die
linke Oberlippe und Wange geschwollen. Nach längerer Zeit war endlich
das „Geschwür“ durchgebrochen (zwischen 15 und l_5» nahe dem Zahnhalse
des 15, wo die „Fistel“ auch zur Zeit der Operation noch bestand) und
nun begann der „Zahnfluss“. Schwellungen waren seither keine mehr auf¬
getreten. Vor 3 Jahren hat ein Arzt die Wurzel des 15 gezogen. Der „Zahn-
flnss“ war dann ein halbes Jahr hindurch angeblich besser, dann hat er
aber wieder begonnen und seit 1 Jahr ungefähr ist er besonders heftig. Patient
ist über sein Leiden sehr bekümmert, um so mehr, als er in letzter Zeit häufig
von Kopfschmerzen geplagt wird. Er hat schon verschiedene Aerzte konsultiert.
Status praesens: Kräftig gebauter Patient von etwas blasser
Gesichtsfarbe. Die Frontzähne des Oberkiefers intakt, bis auf den fehlenden ]_?.
Nahe dem Zahnhalse des [5 eine „Zahnfleischfistel“, aus der sich auf Druck
massenhafter, dünnflüssiger, gelber, nicht jauchiger Eiter ergiesst. Sonst am
Oberkiefer nichts Abnormes zu konstatieren. Nasensymptome waren niemals
vorhanden, offenbar infolge des genügenden Eiterabflusses durch die Fistel.
Operation: Nach ausgeführter Lokalanästhesie Schnitt durch die Weichteile
von der Fistel aufwärts gegen die Spitze des JJ. Die Weichteile werden nach
links und rechts zurückgeschoben, hierauf der Knochen (labiale Wand des
Alveolarfaches des j_5) von der Fistel aufwärts mit dem scharfen Löffel ab¬
getragen , so dass man schliesslich durch ein grosses Loch in die riesig
grosse Abszesshöhle gelangte. Dabei entleerte sich massenhaft Eiter. Mit der
Sonde konnte ich 41/2 Om. nach aufwärts und lateral Vordringen, desgleichen
konnte ich mit dem Instrument mesial hinter die Wurzel des ji gelangen.
Es war demnach klar, dass in diesem Falle der von der Wurzel des L5 aus¬
gegangene „Markhöhlenabszess“ in das Anthrum durchgebrochen ist, so
dass es schliesslich nach eitriger Einschmelzung der seidenpapierdünnen
Scheidewand zwischen beiden Höhlen (Fig. 15) zur Bildung einer grossen,
bimförmigen Höhle gekommen ist. Der stumpfe Pol der Birne entspricht dem
Anthrnm Highmori, während der spitze, zapfenförmige Pol der Birne im
Bereiche der mittlerweile eitrig eingescbmolzenen Substantia Spongiosa des
Oberkieferkörpers gelegen ist.
Bezüglich des Heilungsverlaufes solcher „kombinierter“
Anthrumempyeme wäre zu bemerken, dass der der Mark¬
höhle entsprechende Anteil der Abszesshöhle nach öfterem
Tampon Wechsel durch Granulation und Bindegewebsbildung
zur Ausheilung gebracht werden muss. Der restliche, dem
Anthrum entsprechende Anteil der Abszesshöhle muss weiter
rückwärts durch den Alveolarfortsatz hindurch trepaniert und
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368 Dr. J. Lartschneider, Linz. Beiträge zur Anatomie und Chirurgie etc.
dann mittels eines Zapfens aus Gold öder Kautschuk ge¬
schlossen und behandelt werden, wie dies bei gewöhnlichen
Anthrumempyemen üblich ist.
Das Ergebnis dieser Ausführungen möchte ich in folgende
S&tze kurz zusammenfassen:
Von den Wurzeln der Frontzähne des
Oberkiefers ausgehende periapicale Ent¬
zündungsprozesse können auf dasMark (Sub-
stantia spongiosa) des Oberkieferkörpers
übergreifen und Markhöhlenabszesse (Mye¬
litis) verursachen.
Diese Markhöhlenabszesse verlaufen entweder
1. „latent“, d. h. siebleiben oft durch viele Jahre
hindurch auf den Bereich der Substantia spongiosa be¬
schränkt und werden endlich auf operativem Wege
(Trepanation der Markhöhle durch die Corticalis und
eventuell durch die betreffende Wurzelspitze hindurch)
eröffnet oder
2. sie brechen schliesslich spontan irgendwo durch
die Corticalis hindurch nach aussen, und zwar:
a) labialwärts: gewöhnliche Zahnfleischfistel;
b) palatinalwärts: Gaumenfistel;
c) naso-frontalwärts: dentale Augenwinkelfistel;
d) in das Anthrum Highmori hinein: kombi¬
niertes Anthrumempyem;
e) Die Entzündungsprodukte benützen bei ihren
Durchbruchsbestrebungen jene im Cribrum alveo¬
lare (Wände des Alveolarfaches) und in der
Lamina corticalis des Oberkiefers befindlichen
Löcher (Foramina nutritia, Poren), welche den
Durchtritt der Gefässe und Nerven vermitteln.
Am Schlüsse meiner Ausführungen fühle ich mich ver¬
pflichtet, meinem ehemaligen Chef, dem Herrn Hofrat Professor
Dr. Karl Toldt, Vorstand der I. anatomischen Lehrkanzel in
Wien, für die Bereitwilligkeit zu danken, mit welcher er mir
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Dr. Wilhelm Wallisch, Wien. Ein naturgetreuer Artikulator. 369
die reichhaltigen Sammlungen seines Institutes zur Verfügung
gestellt hat.
Desgleichen danke ich seinem Assistenten, dem Herrn
Dozenten v. Schuhmacher, für vielfach erwiesene Freundlich¬
keiten.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Ein natnrptreier Artikulator . 1
l
Von Dr. Wilhelm Wallisch , Zahnarzt in Wien.
Der neue Artikulator wurde von mir entsprechend den
natürlichen Verhältnissen des Kiefergelenkes kon¬
struiert. Derselbe ist ein einfacher Schamierartikulator, der
durch eine Schraubendrehung in einen Artikulator mit einer
„im Raume fortschreitenden Achse“ verwenden werden kann.
Die Achse gleitet auf einer Gelenkbahn, die der Form des
Tuberculum articulare nachgebildet ist. Fig. 1 zeigt die Gelenk¬
fläche des Tuberculum articulare und das Unterkieferköpfchen
in der Ruhestellung des Unterkiefers. Diese Figur wurde da¬
durch gewonnen, dass eine Schädelgelenkfläche mit Gipsbrei
ausgegossen und der Unterkiefer bei genauem Zahnschluss dem
Schädel angepresst wurde. Der Gipsabdruck wurde mit Wachs
ausgegossen, in der Bewegungsrichtung des Unterkieferköpfchens
durchgeschnitten und gezeichnet.
< . Das Köpfchen lehnt sich an den absteigenden
Teil des Tuberculum und wird in seiner Lage
durch die aufein ander treffenden Zähn e gehalten.
Fehlen die Zähne, so rückt das Köpfchen gegen die Cavitas
glenoidalis, ohne jedoch deren Boden jemals zu berühren, da
in der tiefsten Stellung der äussere Teil beider Kondylen den
äusseren Pfannenrand triflt.
’ Um im zahnlosen Munde Zähne einzusetzen, muss erst
die in Fig. 1 gezeigte Ruhestellung des Unterkiefers festgestellt
1:1 * Vortrag, gehalten im Verein Wiener Zahnärzte.
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870
Dr. Wilhelm Wallisch, Wien.
werden. Dies geschieht durch das Einsetzen und Probieren der
sogenannten Bissschablonen. Ich habe bereits in einer früheren
Arbeit „Das Kiefergelenk und der zahnärztliche Artikulator“
(„Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde“, Heft II,
1903) die Lehren Parreidts und Bonwills zitiert, um diesen
wichtigen Punkt durch die Ansichten erfahrener Praktiker zu
beleuchten.
Durch den „naturgetreuen Artikulator* soll die Möglichkeit
gegeben werden, mit dem Modelle die Bewegungen des Unter¬
kiefers nachzuahmen, um die richtige Stellung der aufgestellten
Zähne zu kontrollieren. Bleiben die Prothesen bei den ver¬
schiedensten Bewegungen des Kiefers fest sitzen, so ist die
Fig. 1.
Stellung der Zähne richtig, im entgegengesetzten Falle falsch. Dies
hängt wieder von dem Druck ab, den die Zähne aufeinander
ausüben. Trifft dieser Druck den Kiefer senkrecht oder von
aussen nach innen, so bleiben die Prothesen auf ihrem Platze,
wirkt der Druck jedoch von innen nach aussen, so werden die
Prothesen auf der entgegengesetzten Seite von ihrer Unterlage
abgehoben. Ein einfaches Beispiel hiefür ist der häufige Fall,
bei dem die Zähne im Oberkiefer fehlen, derselbe ausserdem
geschwunden ist, während im Unterkiefer nur die Vorderzähne
stehen, die etwas nach vorne geneigt sind. Ersetzen wir dem
Patienten die oberen Zähne und lassen die Vorderzähne hinter
die unteren beissen, so wird das Stück bei allen Bewegungen
fest sitzen. Der Patient wünscht jedoch, dass seine oberen
Vorderzähne über die unteren beissen, wie es seine natürlichen
Zähne getan hatten; in diesem Falle werden die unteren Zähne
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Ein naturgetreuer Artikulator.
371
die oberen immer abheben. Um dies zu verhindern, müssen wir
dem Patienten auch die oberen und unteren Backen- und Mahl¬
zähne ersetzen, und zwar in der richtigen Artikulationsebene.
Schiebt der Patient dann den Unterkiefer vor, so rücken die
höher gestellten unteren Backen- oder Mahlzähne auf die tiefer
gestellten oberen Backen- oder Mahlzähne soweit, als die Vorder¬
zähne Übereinandergreifen; die unteren rückwärtigen Zähne
drücken die obere Prothese direkt an den Gaumen an. Diese
für das Aufstellen künstlicher Zähne richtige Artikulationsebene
zeigt uns die Natur am schönsten beim offenen Biss oder bei
Prognathie. Der erste Mahlzahn steht am tiefsten, von dem¬
selben steigen nach vorne die Backenzähne, nach rückwärts
die Mahlzähne aufwärts. Beim normalen Biss, bei dem die
oberen Vorderzähne die unteren überragen, findet sich diese
Anordnung selten so gut ausgeprägt. Stehen die Vorderzähne
mit ihren Schneiden aufeinander, so berühren die rückwärtigen
Zähne sich meist gar nicht — wenn auch der Zwischenraum
zwischen den Zähnen nach rückwärts immer geringer wird.
Bei geringem Uebergreifen der Vorderzähne treffen beim Vor¬
schieben des Unterkiefers die Weisheitszähne meist die zweiten
oberen Molaren.
Wird der Unterkiefer bei einem vollständigen und
gesunden Gebisse so vorgeschoben, dass der Unterkiefer
dem Schädel angedrückt wird, bis die Schneidezähne mit ihren
Schneiden aufeinanderstehen, so steht der Unterkiefer so viel
tiefer als der Weg beträgt, den das Unterkieferköpfchen auf
dem absteigenden Teile des Tuberculum articulare bis zum
horizontalen Teile desselben zurückgelegt hat. Der Unter¬
kiefer hat sich bei dieserBewegung nicht gedreht,
sondern er hat sich parallel zu seiner Ruhelage
verschoben. Die Ursache hiefür liegt in der Entwicklung der
Gelenkflächen. Beim Neugeborenen ist die Gelenkfläche des
Schädels eine ebene Fläche, das Köpfchen des Unterkiefers ist
trommelschlägelartig. Mit dem Durchbruch der Zähne wurde der
Unterkiefer gleichsam von der Schädelgelenkfläche entfernt, diese
folgt aber nach und bildet, das Tuberculum, das sich im Wachs¬
tum den durch die Zähne und durch deren Formen gegebenen
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372
Dr. Wilhelm Wallisch, Wien.
Bewegungen anpasst, wobei auch die jetzt überflüssige kugelige
Form des Unterkieferköpfchens in die für die Bewegungen
zweckmässige querovale umgewandelt wird.
Auf Basis dieser wissenschaftlichen Grundlage wurde
mein Artikulator konstruiert und das besondere Augenmerk
darauf gerichtet, die für das Aufstellen der Zähne unbedingt
notwendige Stabilität zu erzielen, weshalb auch von der An-
t
Fig. 2.
bringung von Federn abgesehen werden musste Der Artikulator
(Fig. 2) besteht aus einem Körper und den zwei eingeschobenen
Trägem für die Aufnahme der Modelle. Die Träger werden
mittels Schrauben fixiert. Die Seitenwände des Körpers ent¬
halten die der Form des Tuberculum articulare nachgebildeten
Gelenkflächen c, auf welchen die Achse des Oberteiles sich
bewegt. Um eine parallele Verschiebung des Oberteiles zu
ermöglichen, wurden ausserdem zwei offene Gelenkflächen a
angebracht, welche den ersten Gelenkflächen parallel und genau
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j
Ein naturgetreuer Artikulator.
373
gleichgeformt sind. Auf diesen offenen Gelenkflächen bewegt sich
eine der Achse parallel gestellte Stange b. Durch diese Vor¬
richtung entfällt auch die Stellschraube, welche bei den anderen
Artikulatoren den freien Anblick der lingualen Artikulation
benimmt. Um den Artikulator in einen gewöhnlichen Scharnier-
artikulator zu verwandeln, werden die Blenden i gegen c ge¬
drückt und durch die Schraube k festgestellt. Die Schraube
ist links geschnitten, weshalb durch die Schraubendrehung die
Blenden noch fester gegen die Achse angedrückt werden.
Fig. 2 zeigt die Modelle beider Kiefer mit den künstlichen
Zähnen im Artikulator eingestellt, und zwar in dem Momente,
in welchem die Kanten der Vorderzähne sich berühren. Gleich¬
zeitig berühren sich die Höcker der oberen ersten Backenzähne
mit den Höckern der zweiten unteren Backenzähne dd und die
distalen Höcker der ersten oberen Molaren haben sich auf die
mesialen Höcker der zweiten unteren Molaren e« geschoben.
Durch diese Art der Zahnaufstellung ist ein Abheben der oberen
Prothese beim Vorschieben des Unterkiefers ausgeschlossen.
Die als Schatten gezeichnete obere Zahnreihe zeigt die Zahn¬
stellung in der Ruhestellung des Unterkiefers. Die Abbildung
zeigt auch deutlich, wie die Zähne zugeschliffen werden müssen,
um den beabsichtigten Effekt zu erreichen.
Der Artikulator gestattet aber auch die Ausführung der
seitlichen Bewegungen. Während auf der einen Seite der
obere Eckzahn sich über den unteren Eckzahn schiebt —
welche Bewegung die obere Platte auf der anderen Seite von
ihrer Unterlage abhebeln würde — schieben sich bei dieser
Zahnstellung auf der anderen Seite die schiefen Zahnflächen
übereinander und halten die Platte am Gaumen fest.
Es drängt sich nun gewiss die Frage auf, ob diese
schematische Gleitbahn für alle Fälle genügt und ob es nicht
möglich ist, die jedem Falle entsprechende Gleitbahn heraus¬
zufinden.
Zur ersten Frage bemerke ich, dass ein ziemlich hohes
Tuberculum gewählt wurde, das bei zahnlosem Munde eigent¬
lich nie höher gefunden wird.
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374
Dr. Wilhelm Wallisch, Wien.
Was geschieht, wenn das Tuberculum niederer ist? Schiebt
ein solcher Patient den Unterkiefer vor, so muss sich der
Unterkiefer drehen, die Zähne werden vorne klaffen, was bei
künstlichen Zähnen kein Nachteil ist. Das Klaffen der Vorder-
zäbne kann aber auch anzeigen, dass die Entfernung der Kiefer
voneinander zu gross genommen wurde, indem durch die zu
hohen Bissschablonen das Unterkieferköpfchen dem horizontalen
Teile des Tuberculum zu nahe gerückt wurde.
Was die zweite Frage betrifft, so muss ich hier wieder¬
holen, dass bei Patienten, die ein vollständiges Gebiss haben,
der Weg, den der Kondylus beim Vorschieben des Unterkiefers
zurücklegt, genau bestimmt werden kann durch den Weg, den
z. B. ein Zahn des Unterkiefers zurücklegt, da bei paralleler
Verschiebung eines Systemes jeder Punkt dieses Systemes den
gleichen Weg macht. Da für uns aber gerade beim zahnlosen
Munde die Form des Tuberculum wichtig ist, so können wir
dieses Hilfsmittel nicht anwenden, da wir nie wissen, ob der
Unterkiefer nicht doch eine Drehung gemacht hat oder die
Untersuchung wäre so kompliziert, dass wir sie für die Praxis
nicht brauchen können.
Wenn Christensen glaubt, durch die verstellbare Gleit¬
bahn seines Artikulators die Form des jeweiligen Tuberculums
zu finden, so zeigt schon der einfache Blick auf das Tuberculum,
dass dies ein Irrtum ist: er findet die gerade Verbindungslinie
der ersten und der letzten Stellung des Kondylus, wobei der
Unterkiefer sich ausserdem noch gedreht hat. Wenn die letzten
Worte seines Aufsatzes: „ ... so wird sich beim Einprobieren
zeigen, dass die Zähne genau so im Munde artikulieren, wie
im Artikulator“, richtig sind, so hat er gerade das Gegenteil
von dem erreicht, was er wollte. Da bei seiner zweiten Biss-
nahme die Bissschablonen sich vorne berühren und rückwärts
klaffen, so müssten also auch die Zähne sich so berühren und
die obere Platte würde vom Oberkiefer abgehebelt.
Dass der Bonwillsche Artikulator mit seiner horizontalen
Gleitstange unrichtig ist, haben schon viele Autoren hervor¬
gehoben, doch sind Bonwills Studien über die geometrischen
und mechanischen Gesetze der Artikulation der menschlichen
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Ein naturgetreuer Artiknl&tor.
375
Zähne sehr wertvoll. Ich habe auch bei der Konstruktion meines
Artikulators Bonwills gleichseitiges Dreieck verwendet, in¬
dem die Gelenkflächen des Artikulators 10 Gm. voneinander
entfernt gehalten wurden. Um mit Hilfe des Dreieckes die
Modelle richtig in den Artikulator einzustellen, wurde ein
Rahmen (Fig. 3) gewählt, der an den Häkchen f des Artikulators
fixiert wird und der an seiner vorderen Wand durch ein vor-
Fig. 3.
springendes Zäpfchen h die vordere Spitze des Dreieckes be¬
zeichnet, die Stelle, wo die beiden unteren mittleren Schneide¬
zähne sich berühren. Der Rahmen trägt ausserdem an beiden
Seiten verschiebbare Nadeln g, welche im Verein mit der vor¬
springenden Ecke die Bissschablone mit dem Modell fixieren
sollen. Man braucht dann bloss unter das Unterkiefermodell
und über das Oberkiefermodell Gipsbrei zu geben, um die
Modelle richtig in den Artikulator einzusetzen.
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376
Dr. Wilhelm Wallisch, Wjem
Besonders wichtig ist ein genaues Einstellen der Modelle,
wenn man auf Grund des Dreieckes die künstlichen Zähne auf¬
stellen will. Bon will hat mit Hilfe des Dreieckes den Zahn¬
bogen für den Oberkiefer konstruiert. Fig. 4 zeigt das gleich¬
seitige Dreieck A A F mit der Senkrechten F T auf A A.
Um den Bogen für die künstlichen Zähne zu finden,
nimmt man die Breite des ausgesuchten grossen und kleinen
Schneidezahnes sowie des Eckzahnes in die Zirkelöffnung, setzt
in F ein und beschreibt einen Kreis, der in J die Senkrechte
schneidet. Dies ist der Mittelpunkt für einen zweiten Kreis mit
demselben Radius. DFD gibt den Bogen für die oberen
Vorderzähne. Verbindet man D mit -4, so gibt dies die buccale
Wand der Backen- und Mahlzähne. Bon will bestimmt weiters
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Ein naturgetreuer Artikulator,
377
konstruktiv die Grösse und Stellung dieser Zähne, was mir
sehr gekünstelt und ausserdem nicht richtig vorkommt. Ich
habe nur gefunden, dass die Linie EYE. die Parallele zu AA
durch F, ungefähr die Grenze des zweiten Mahlzahnes gegen
den dritten angibt. Da beim künstlichen Gebisse der dritte
Mahlzahn fehlt, so ist damit die Grösse desselben gegeben.
Zu den Rahmen passend, die zur Einstellung der Modelle
Fig. 5.
dienen, habe ich Bögen nach verschieden grossen Vorderzähnen
hersteilen lassen, die in die Häkchen des Artikulators ein¬
gehängt werden. Der Grösse der Vorderzähne entsprechend,
sind Ausschnitte am Bogen angebracht. Hängt man den
Bogen (Fig. 5) in den Artikulator ein, so kann man den Um¬
fang des Bogens auf der Bissschablone des Ober- oder Unter¬
kiefers abzeichnen und so die Zähne des Unter-, respektive
Oberkiefers aufstellen.
3
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878 Dr. Wilhelm Wallisch, Wien. Ein naturgetreuer Artikulator.
Natürlich darf man nicht vergessen, dass dieser Bogen
eine Schablone ist, die individualisiert werden muss. Ins¬
besondere wird man die Mahlzähne etwas mehr nach innen
rücken müssen, damit nicht ihr Druck nach aussen von der
Alveolarleiste wirkt.
Um auch für die Bissschablone schon ein sicheres und
bequemes Arbeiten zu haben, verwende ich auch da den
Fig. 6.
Bogen (Fig. 6), der aus einer Metallplatte ausgeschnitten ist und
bis zum zweiten Mahlzahn inklusive reicht. Die Bissschablonen
bekommen dadurch eine gleichmässige Form, was das Ein¬
probieren im Munde sehr erleichtert.
Bei der Konstruktion des Artikulators habe ich es ver¬
sucht, die Ideen Bon wi 11s auf die richtige anatomische Grund¬
lage zu stellen und sie in eine für den Praktiker passende
Form zu bringen, so dass ich den Artikulator auch einen natur¬
getreuen Bonwill-Artikulator nennen könnte.
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Dr. Hans Pichler, Wien. Zwei neue Instrumente zum Finieren etc. 379
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Zwei neue Miwote zu Finieren non FInnien.
Von Dr. Hans Pichler, Zahnarzt in Wien.
Wenn ich mit dieser kleinen Publikation den Kollegen
zwei neue Instrumente vorlege und zur eigenen Erprobung
empfehle, bin ich mir wohl bewusst, dass es sich dabei um
keine sehr bedeutende Sache handelt und dass sich mit ihnen
gewiss nichts wesentlich Besseres erzielen lässt, als mit
manchen anderen gebräuchlichen Instrumenten. Ich weiss auch,
dass es bedenklich ist, unser Instrumentarium noch vergrössern
und komplizieren zu wollen. Ich bin jedoch nach mehrjährigem
Gebrauch zur Ansicht gelangt, dass die beiden Instrumente
mir ermöglichen, gewisse Details beim Finieren von Füllungen
etwas leichter und bequemer und vielleicht sogar ein ganz
klein wenig exakter auszuführen, als ich es ohne sie könnte.
Wenn auch nur einige wenige Kollegen diese Hilfsmittel ver¬
suchen und zu demselben Schlüsse gelangen, ist die Sache der
Mitteilung wohl wert gewesen. Der nächste Anlass dazu war
der, dass die Firma Weiss & Schwarz in Wien es jetzt
übernommen hat, die Instrumente herzustellen und in den
Handel zu bringen.
Bevor ich auf die Beschreibung der Instrumente selbst
eingehe, sei es mir gestattet, etwas weiter auszuholen und
einige allgemeine Bemerkungen über das Finieren von Füllungen
vorauszuschicken. Mit dem Ausdrucke Finieren meine ich das
Wegnehmen des Füllungsüberschusses, unter Polieren verstehe
ich das Glätten der Füllungsoberfläche.
Es kommt beim Finieren erstens darauf an, dass dort,
wo Füllung und Zahn aneinanderstossen, die Oberfläche der
Füllung ganz glatt in die Zahnoberfläche übergeht, ohne dass
die eine über die andere hervorragt, ohne dass eine Stufe
oder eine Spalte besteht. Auch das geringste Uebergreifen der
Füllung über die benachbarte Zahnoberfläche mit einem dünnen,
3*
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880
Dr. Hans Pichler, Wien.
allmählich sich verjüngenden Rand ist verwerflich, weil solche
dünne Füllungsteile bekanntlich bald abbröckeln, wodurch eine
Stufe entsteht.
Es kann die Mahnung nicht oft genug wiederholt werden,
jede fertige Füllung mit einer sehr spitzen Sonde in der Weise
zu prüfen, dass man überall in beiden Richtungen über die
Ränder geht. Nur wenn der Uebergang ein vollkommen
glatter ist, soll man mit dem Resulta r zufrieden sein. Für
die Prüfung des gingivalen Randes approximaler Füllungen
empfiehlt Dr. Black eine gerade oder fast gerade Sonde zu
verwenden, die in einem sehr spitzen Winkel zur Zahnober¬
fläche geführt wird. Man ist damit viel weniger einer Täuschung
Fig. 1.
Entstehen eines dünnrandigen Amalgamüberschusses beim Abstreichen mit
einem Spatel in der Richtung von der Füllung gegen den Kavitätenrand.
ausgesetzt, als bei Benutzung einer Sonde mit einem kurzen
Haken am Ende.
Das zweite Erfordernis beim Finieren ist das, dass die
Füllung dieselbe Wölbung habe wie jener Teil der ursprüng¬
lichen Zahnoberfläche, den sie ersetzt.
Bei plastischen Materialien — ich denke dabei vornehm¬
lich an Amalgam, da die Zemente doch in den meisten Fällen
für einen dauerhaften Konturersatz nicht forinbeständig genug
sind — geschieht das erste Finieren gewöhnlich durch Konden¬
sieren und Glattstreichen mit Spateln oder ähnlichen stumpfen
Werkzeugen. Eine genauere Beobachtung zeigt aber, dass auf
diese Weise die eben angeführten Forderungen meist nur un¬
vollkommen erreicht werden: Streicht man mit dem Spatel
von der Füllung gegen den Zahn (Fig. 1)* so zieht man etwas
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Zwei nene Instrumente znm Finieren von Füllungen. 381
Füllungsmaterial über die Schmelzoberfläche und lässt schliesslich
fast stets eine Spur des oben beschriebenen dünnrandigen Über¬
schusses zurück; streicht man dagegen von der Zahnoberfläche
gegen die Füllung, so geschieht es erstens, dass dadurch das
Füllungsmaterial von der Höhlenwand abgezogen wird, so dass
der Randschluss leidet und zweitens, dass das Instrument im
Moment, wo es von der harten Zahnoberfläche auf die nach¬
giebigere Füllung kommt, diese etwas eindrückt und so eine
leichte Depression der Füllungsoberfläche gegenüber der Zahn¬
oberfläche hervorruft. (Fig. 2.)
Führt man das Instrument mehr oder weniger parallel
dem Eavitätenrand, so kommt man eigentlich am besten aus,
->
Entstehen einer Depression, wenn man mit dem Spatel von der Zahnober¬
fläche gegen die Füllung streicht
erreicht aber ein exaktes Resultat auch nur dann, wenn der
Spatel die Zahnoberfläche genau längs des Kavitätenrandes
tangential berührend geführt wird (Fig. 3a; die Richtung, in
der der Spatel bewegt wird, steht senkrecht auf der Papier¬
ebene).
Man kann also ein weiches Material mit dem Spatel nur
ausnahmsweise wirklich genau finieren. Das Uebergreifen des
Füllungsmaterials lässt sich dabei höchstens dort mit Sicher¬
heit vermeiden, wo es nicht darauf ankommt, dass die Füllung
ebenso stark gewölbt sei, wie die benachbarte Zahnoberfläche
(z. B. an der Approximalfläche eins Zahnes, der auf dieser Seite
keinen Nachbar hat). In diesem Falle dient der Rand der
Kavität als Führung für das Instrument, etwa so, wie wenn
man den Inhalt einer übervollen Küvette mit dem Gipsspatel
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Google
382
Dr. Hans Pichler, Wien.
am Rande glatt abstreicht. Es bleibt also bei allen weichen
plastischen Füllungen ziemlich viel Finierarbeit übrig, die erst
nach beendigtem Erhärten mit Sandpapierscheiben, Steinen,
Polierstreifen etc. gemacht werden kann. Daran liegt nicht viel,
soweit die Füllungsoberfläche für rotierende Instrumente gut
zugänglich ist, mit denen man rasch und ausgiebig arbeiten
kann; es Hesse sich höchstens einwenden, dass dabei auch
Fig. 3.
Führung des Spatels parallel zum Baude der Kavität; dabei exaktes Ab¬
streichen des Ueberschnsses, wenn der Spatel genau am Rande der Kavität
tangiert (a), Entstehen eines Ueberscbusses oder einer Depression, wenn dies
nicht genau zutrifft (b und c).
ein ziemlich ausgiebiges Abschleifen des Schmelzes nicht ganz
vermieden werden kann. In früherer Zeit ist. man auch mit
diesen Finiermitteln ganz gut ausgekommen. Seit man aber
gelernt hat, auf den vollen Ersatz des approximalen Konturs
Gewicht zu legen, seit man einsieht, dass eine approximale
Füllung nur dann ihren Zweck ganz erfüllt, wenn sie einen
wohlgeformten und geglätteten Berührungspunkt mit den*
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Zwei neue Instrumente zum Finieren von Füllungen.
383
Nachbarzahn hat, ist das Modellieren und Abschleifen appro-
ximaler Füllungsoberflächen schwieriger geworden. Wenn man
nicht eigens zu diesem Zweck exzessiv separiert, ist es aus¬
geschlossen, den gingivalen Rand oder den Eontaktpunkt etwa
mit rotierenden Scheiben zu glätten.
Hier kommt daher eine andere Methode des Finieres zu
Ehren, welche viel genauer ist als die früher beschriebene des
Abstreichens von überschüssigem FüUungsmaterial, nämlich
die Methode des Wegschneid ens,
Wir verwenden sie bei hartem Material, z. B. bei Gold
oder voll erhärtetem Silikatzement; am allerbesten aber eignet
sich dazu ein Material von solcher Konsistenz, dass es sich
i
leicht schneiden lässt, ohne dabei plastisch zu sein. Es ist das
z. B. die Konsistenz des halb erhärteten Amalgams, so wie
sie ein schnell härtendes Amalgam gleich nach Beendigung
des Stopfens hat. Ich habe schon oft hervorgehoben, wie
vorteilhaft es ist, diese glückliche Konsistenz beim Finieren
auszunützen.
Ich will hier zunächst nur das Finieren an den axialen
Flächen der Zähne behandeln. Ueber das Finieren an den
Kauflächen folgen einige Bemerkungen später.
Beim Wegschneiden führt man immer das Messer in der
Riehtung vom Zahn gegen die Füllung mehr oder weniger
senkrecht auf den Kavitätenrand. Dabei muss es stets tangential
zur Krümmung der Zahnoberfläche gehalten werden.
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B84
Dr. Hans Pichler, Wien.
Man wird natürlich nicht den ganzen Ueberschuss mit
einem Schnitt wegnehmen wollen, sondern wird in dünnen
Spänen immer mehr davon wegnehmen, indem man anfangs
das Messer an einem vom Kavitätenrand entfernt gelegenen
Punkt (Fig. 4 a) tangieren lässt und die Neigung allmählich
ändert, so dass man erst nach mehreren Schnitten den
Tangierungspunkt wirklich an den Rand der Kavität selbst
verlegt (Fig. 4 c). Beim Finieren von Gold ist das selbstverständ¬
lich, da man dieses nur in dünnen Spänen schneiden kann,
bei Amalgam ist es ein Gebot der Vorsicht: es könnte sonst
gelegentlich ein Teil der Füllung herausbrechen.
Solange es sich um konvexe Teile der Zahnoberflächen
handelt, ist es klar, dass sich am besten eine Ebene als
Fig. 5.
Tangente eignet. Das ist der Grund, warum die Finiermesser
am besten eine flache Klinge haben. Gebogene Klingen
„schmiegen sich mit ihrer konkaven Seite der Zahnoberfläche“
allerdings besser an, sind aber deshalb gefährlich, weil man
leicht damit in die Füllung zu tief einschneidet, sobald der
Krümmungsradius ihrer Biegung kleiner wird als der der be¬
treffenden Zahnoberfläche. Wir finden an den Approximal-
flächen fast immer Partien, die eben sind und an solchen Stellen
ist die konkave Klinge gefährlich. Es kann z. B. leicht ge¬
schehen, dass das hohle Messer den Zahn an einer Stelle sehr
schön tangiert, dabei aber an einer anderen Stelle mit der
Spitze in die Füllung hineinschneidet (Fig. 5).
Schon die ebene Klinge erfordert eine besondere Auf¬
merksamkeit bei der Führung dort, wo die Approximalfläche
konkav ist, wie z. B. regelmässig an der mesialen Fläche
Digitized by v^.ooQle
Zwei neue Instrumente zum Finieren von Füllungen. 38B
oberer Bicuspidaten. Für das Finieren au diesen Stellen muss
man in der Tat konvexe Schneiden verwenden. Ich benütze
eine konvexe Feile oder einen grossen Löffelexkavator.
Theoretisch genommen wäre es daher von diesem Stand¬
punkte aus am richtigsten — wenn man ein Instrument sucht,
das sich überall universell anwenden lässt — die konvexe
Seite eines gebogenen Messers -zu benützen.
Dabei ergeben sich aber einige Nachteile:
1. Ist es viel leichter, bei einem flachen Messer sich in
jedem Moment über die Neigung zum bearbeiteten Teil der
Zahnoberfläche richtig Rechenschaft zu geben;
2. ist die Schneide einer ebenen Klinge viel leichter ge¬
rade und scharf zu erhalten und
3. müsste man einer gebogenen Klinge für die Verwendung
an stark distal gelegenen Approximalflächen eine besonders
starke Neigung gegen den Schaft geben, die ihre Verwend¬
barkeit an anderer Stelle wieder beeinträchtigen würde.
Es ist also besser, die Konkavität des zu ersetzenden
Konturs als einen Ausnahmsfall zu betrachten, bei dem spezielle
Vorsicht und spezielle Instrumente von nöten sind, um so
mehr, als die Konkavitäten an den Axialflächen an ganz
typischen Stellen liegen und keine grosse Breitenausdehnung
haben, so dass es nicht so schwer ist, bei einiger Aufmerk¬
samkeit das Hineinschneiden in den Kontur mit der flachen
Klinge zu vermeiden.
Dies sind also die Gründe, warum ich glaube, dass die
Finiermesser ebene Klingen haben sollen.
Aus ähnlichen Gründen ist die Schneide gerade und nicht
sichelförmig konkav. Es kommt ja natürlich vor allem darauf
an, wie die Schneide, also eine Linie, nicht eine Fläche, die
Zahnoberfläche tangiert. Denn beim Schneiden wird ja die
Klinge immer ein wenig gegen die Oberfläche geneigt und
parallel zu sich selbst, aber nicht genau in ihrer eigenen
Ebene fortbewegt, etwa wie die Klinge eines Hobels, eines
Rasiermessers etc. bei ihrem gewöhnlichen Gebrauch. Wenn
man eine ebene Klinge mit konkaver Schneide gegen die Zahn-
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386
Dr. Hans Pichler, Wien.
Oberfläche geneigt führt, erzielt man natürlich dieselbe ge¬
wölbte Schnittfläche wie mit einer gebogenen Klinge, die man
mit der konkaven Seite flach aufgelegt führt.
Sehr nützliche Finiermesser mit ebenen Klingen sind die
anbei abgebildeten Messer von Black (Fig. 6). Während ich sie
für leichter zugängliche Stellen bevorzuge, schien es mir zweck¬
mässig, ein Paar Messer zu konstruieren, mit welchen auch
die weiter hinten im Munde gelegenen approximalen Flächen
der Zähne bequem zu finieren wären. Zu diesem Zweck habe
ich der Klinge, die in Form und Dimensionen den Blackschen
Messern genau nachgebildet ist, eine derartige 45gradige Neigung
gegen den Schaft gegeben, dass sie eine Mittelstellung ein¬
nimmt zwischen einer Klinge, die um 45° über die Kante und
einer solchen, die um 45° über die Fläche gebogen ist, ähn¬
lich wie sie z. B. die Flächen des Vajnaschen Spatels (Fig. 7)
haben.
Diese Neigung ermöglicht es, die Klinge sowohl in die
Sagittal- wie in die Frontalebene einzustellen, ohne dass dabei
der Schaft des Instrumentes um mehr als 45° von der Sa-
gittalaxe ab weicht. Man kann also alle axialen Flächen auch
der letzten Mahlzähne damit tangieren, wie es zum korrekten
Finieren nötig ist, ohne mit den Wangen in Konflikt zu
kommen oder die Mundwinkel übermässig auszudehnen. Na¬
türlich ist ein Instrumentenpaar (Fig. 8) (je eines rechts und
links) notwendig, die an einem Schaft zu einem doppelendigen
Instrument vereinigt sein können, aber wegen der Gefahr von
Verletzungen durch das ünbenützte Ende wohl besser getrennte
Handgriffe haben.
Ich will jetzt noch auf eine weitere gemeinsame Eigen¬
schaft aller dieser Messer näher eingehen. Es ist das die
Kompensationskrümmung, der Contra-angle, wie es
englisch heisst.
Diese hat den Zweck, den working point des Instruments,
das ist die Stelle, an der der Widerstand beim, Arbeiten an*
greift, ungefähr in die gerade Fortsetzung des Handgriffes zu
verlegen.
Digitized by
Google
Zwei nene Instrumente zum Finieren von Füllungen.
387
Fig. 8.
Das Finiermesserpaar des Autors.
Digitized by
Google
Fig. 7.
Spatel »Protektor*
nach Vajna.
888
Dr. Hans Pichler, Wien.
Fig. 9 stellt ein starres System dar; der längere Arm sei
um seine eigene Axe drehbar festgehalten; auf den kürzeren
Arm wirke eine Kraft in der Papierebene in der Richtung
eines der Pfeile ein. Dann befindet sich das System in labialem
Gleichgewichtszustand: In dem Momente, wo die Kraft im
geringsten schräg gegen die Papierebene wird, wird das kurze
Fig. 9.
Ende umkippen, indem sich das lange um 180° um seine
Axe dreht.
Auf die Praxis übertragen heisst das: Wenn ich mit
einem analog gebauten Instrument arbeite, dreht es sich mir
in der Hand. Das Drehmoment wird grösser mit der Entfernung
des Angriffspunktes der Kraft von der Drehungsaxe, es wird
Fig. 10.
Zwei verschiedene Formen von Eompensationskrümmnng.
gleich Null, wenn diese Entfernung gleich Null wird. Das be¬
deutet, dass ich die Tendenz zum Drehen in der Hand ver¬
schwinden machen kann, wenn ich dem Instrument eine der¬
artige Kompensationskrümmung gebe, dass seine Spitze in die
gerade Fortsetzung des Schaftes zu liegen kommt (Fig. 10).
Ein zweites, weniger vollkommenes Gegenmittel ist das,
die Handgriffe recht dick und kantig zu machen. Das beseitigt
natürlich nicht die Tendenz zum Drehen, gibt aber immerhin
Digitized by v^ooQle
Zwei neue Instrumente zum Finieren von Füllungen. 389
die Möglichkeit, dieser Tendenz durch Festhalten wirksam zu
begegnen.
Das Prinzip der Kompensationskrümmung ist natürlich
uralt und findet seine Anwendung bei allem möglichen Werk¬
zeug; wenn ich nicht irre, begegnet man ihm schon bei den
primitiven Instrumenten der Steinzeit. Ich weiss mich sehr gut
zu erinnern, dass ich schon als Kind die Beobachtung machte,
dass ich mit meinen kleinen Spielzeug-Gartenwerkzeugen viel
ungeschickter arbeitete als mit den grossen, schweren, meinen
Körperkräften viel weniger angemessenen Werkzeugen der
Landleute. Ich wusste mir freilich die Ursache damals nicht
zu erklären. Meine Schaufel sah so aus (Fig. 11), die des
Arbeiters so (Fig. 12). Die Krümmung des Stieles kompensiert
die winkelige Stellung des Schaufelblattes zum Stiel derart,
dass der Angriffspunkt der Last in die Fortsetzung der Ver¬
bindungslinie jener Punkte kommt, an denen die beiden Hände
des Arbeiters den Stiel anfassen.
Ich weiss nicht, wer dieses alte Prinzip zuerst klar
formuliert hat. Ich selbst kenne es aus den Lehren Blacks,
der es stets hervorhebt und bei allen seinen Instrumenten an¬
gewendet hat. Jedenfalls sind sich viele Zahnärzte und Fabri¬
kanten zahnärztlicher Instrumente dessen nicht klar bewusst.
Beweis dafür, dass sehr viele Instrumente in Gebrauch sind
und noch immer gemacht werden, die ganz unnötigerweise
diesem Prinzip nicht Rechnung tragen und daher nur un¬
vollkommen brauchbar sind. Aus diesem Grunde dürfte es
nicht überflüssig gewesen sein, an dieser Stelle wieder einmal
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390
Fig. 13.
Kauflächen-Modellier-
instramente des Autors.
Dr. Hans Pichler, Wien.
darauf hinzuweisen. Man vergleiche, um
nur ein Beispiel zu nennen, die Sicherheit
und Bequemlichkeit des Arbeitens mit dem
S. S. Whiteschen Contra-angle-Handstück
mit der Unhandlichkeit des einfachen Recht¬
winkelstücks. Dieser Vergleich dürfte ge¬
nügen, um jeden von dem Wert der Kom¬
pensationskrümmung im allgemeinen zu
überzeugen. Je grösser die angewendete
Kraft, je grösser die Abweichung des In¬
strumentenendes von der Schaftrichtung und
je dünner der Handgriff, desto notwendiger
ist sie.
Das zweite Instrument (Fig. 13), das
ich hiemit den Kollegen vorlege, habe ich
mir zum Modellieren und Finieren der Kau¬
fläche bei grossen Amalgamfüllungen an¬
gefertigt. Es ist ein Instrumentenpaar,
zweckmässig an einem gemeinsamen Griff
vereinigt und sieht etwa aus wie ein Paar
übergrosser, rechts und links gekrümmter
Löffelexkavatoren Nur ist die Schneide
nicht rund, sondern zeigt in der Mitte
eine rechtwinkelige Ecke. Dieser rechte
Winkel entspricht ungefähr dem Winkel, in
dem die geneigten Flächen der Kauhöcker
in den Kauflächenfurchen aneinanderstossen
(Fig. 14). Der Winkel von 45°, in dem die
Klinge zum Schaft steht, ermöglicht es,
sowohl die Längs- als auch die Querfurchen
bequem aus dem Amalgamüberschuss der
Kaufläche herauszuschneiden. Dabei be¬
kommt man unmittelbar eine Neigung der
schrägen Flächen von 90° gegeneinander.
Steilere als rechtwinkelige Furchen braucht
man niemals nachzuahmen, flachere lassen
sich leicht herstellen, wenn man ab-
Digitized by
Google
Zwei nette Instrumente zum Fioieren von Füllungen.
391
wechselnd nur mit einer der beiden Kanten schneidet Und
das Instrument jedesmal etwas anders neigt. Hat man die
Furchen zur gehörigen Tiefe ausgekratzt, so modelliert man
noch die einzelnen Höcker genauer aus, wobei es zustatten
kommt, dass man immer eine der vier zur Verfügung stehenden
Schneiden bequem in der gewünschten Neigung halten kann.
Zum Schlüsse prüft man mit einer sehr spitzigen Sonde
die Ränder der Füllung; der geringste Füllungsüberschuss ist
daran kenntlich, dass die von der Schmelzoberfläche gegen
den Rand geführte Sonde hängen bleibt. Er wird durch sorg-
Fig. 14.
faltiges Wegschneiden oder -schaben in der angegebenen
Richtung abgetragen. Dabei muss man für konkave Stellen
natürlich ein Instrument mit konvexer Schneide, in der Regel
einen gewöhnlichen Löfifelexkavator zu Hilfe nehmen. Diese
Arbeit lässt sich in dieser Weise schnell und so genau machen,
dass das nachträgliche Polieren mit Bimsstein- und Kreidepulver
nur mehr sehr wenig Mühe macht.
Mit Hilfe meines Instrumentes lässt sich die Kaufläche
wirklich recht rasch in scharf ausgeprägtem Relief modellieren.
Das ist insofeme oft eine Erleichterung, als man so schon,
ohne den Aufbiss zu prüfen, ziemlich leicht die richtige Höhe
der Füllung annähernd herausbringt und dadurch die lang¬
weilige und bei schnellhärtendem Amalgam für die Füllung
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890
Fig. 13.
£ auflächen-Modellier-
instrumente des Autors.
Dr. Hans Pichler, Wien.
darauf hinzuweisen. Man vergleiche, um
nur ein Beispiel zu nennen, die Sicherheit
und Bequemlichkeit des Arbeitens mit dem
S. S. Whiteschen Contra-angle-Handstück
mit der Unhandlichkeit des einfachen Recht¬
winkelstücks. Dieser Vergleich dürfte ge¬
nügen, um jeden von dem Wert der Kom¬
pensationskrümmung im allgemeinen zu
überzeugen. Je grösser die angewendete
Kraft, je grösser die Abweichung des In¬
strumentenendes von der Schaftrichtung und
je dünner der Handgriff, desto notwendiger
ist sie.
Das zweite Instrument (Fig. 13), das
ich hiemit den Kollegen vorlege, habe ich
mir zum Modellieren und Finieren der Kau¬
fläche bei grossen Amalgamfüllungen an¬
gefertigt. Es ist ein Instrumentenpaar,
zweckmässig an einem gemeinsamen Griff
vereinigt und sieht etwa aus wie ein Paar
übergrosser, rechts und links gekrümmter
Löffelexkavatoren Nur ist die Schneide
nicht rund, sondern zeigt in der Mitte
eine rechtwinkelige Ecke. Dieser rechte
Winkel entspricht ungefähr dem Winkel, in
dem die geneigten Flächen der Kauhöcker
in den Kauflächenfurchen aneinanderstossen
(Fig. 14). Der Winkel von 45°, in dem die
Klinge zum Schaft steht, ermöglicht es,
sowohl die Längs- als auch die Querfurchen
bequem aus dem Amalgamüberschuss der
Kaufläche herauszuschneiden. Dabei be¬
kommt man unmittelbar eine Neigung der
schrägen Flächen von 90° gegeneinander.
Steilere als rechtwinkelige Furchen braucht
man niemals nachzuahmen, flachere lassen
sich leicht hersteilen, wenn man ab-
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Zwei nene Instrumente zum Finieren von Füllungen. 391
wechselnd nur mit einer der beiden Kanten schneidet lind
das Instrument jedesmal etwas anders neigt. Hat man die
Furchen zur gehörigen Tiefe ausgekratzt, so modelliert man
noch die einzelnen Höcker genauer aus, wobei es zustatten
kommt, dass man immer eine der vier zur Verfügung stehenden
Schneiden bequem in der gewünschten Neigung halten kann.
Zum Schlüsse prüft man mit einer sehr spitzigen Sonde
die Ränder der Füllung; der geringste Füllungsüberschuss ist
daran kenntlich, dass die von der Schmelzoberfläche gegen
den Rand geführte Sonde hängen bleibt. Er wird durch sorg-
Fig. 14.
fähiges Wegschneiden oder -schaben in der angegebenen
Richtung abgetragen. Dabei muss man für konkave Stellen
natürlich ein Instrument mit konvexer Schneide, in der Regel
einen gewöhnlichen Löfifelexkavator zu Hilfe nehmen. Diese
Arbeit lässt sich in dieser Weise schnell und so genau machen,
dass das nachträgliche Polieren mit Bimsstein- und Kreidepulver
nur mehr sehr wenig Mühe macht.
Mit Hilfe meines Instrumentes lässt sich die Kaufläche
wirklich recht rasch in scharf ausgeprägtem Relief modellieren.
Das ist insofeme oft eine Erleichterung, als man so schon,
ohne den Aufbiss zu prüfen, ziemlich leicht die richtige Höhe
der Füllung annähernd herausbringt und dadurch die lang¬
weilige und bei schnellhärtendem Amalgam für die Füllung
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392
Dr. Hans Pichler, Wien. Zwei neue Instrumente etc.
manchmal gefährliche Arbeit mit dem Artikulationspapier ab¬
kürzt. Im übrigen ist das oft eine blosse Spielerei. Aber es
gibt Fälle genug, bei denen natürlich modellierte Kauflächen
mit scharf ausgeprägten Höckern und Furchen für die Wieder¬
herstellung und die dauernde Erhaltung der Artikulation von
sehr wesentlicher Bedeutung sind. Schliesslich ist auch die
ästhetische Ueberlegenheit einer hübsch modellierten Krone
gegenüber einem formlosen Klumpen nicht ganz ausser acht
zu lassen, ob es sich jetzt um eine grosse Amalgam¬
füllung, eine Amalgamkrone, eine Gold- oder Porzellankrone
handelt.
So wie beim Modellieren des Amalgams, ist mir mein
Instrument nämlich auch eine Erleichterung beim Modellieren
der Kaufläche von Gold- und Porzellankronen. Ich pflege für
Metallkronen die Kaufläche der Artikulation gemäss in Gips
zu modellieren und danach den Deckel zu stanzen. Ebenso
wird der Porzellanteig, wenigstens der schwer schmelzbaren
Massen, weniger mit Spateln als mit dem Messer und mit
diesem Amalgamfinierer geformt.
Ein ähnliches, kleineres und zarteres Instrumentenpaar,
wie das meine, hat zu ähnlichen Zwecken Herr Dr. Zeliska
konstruiert und gelegentlich einer Demonstration im Zentral¬
verband der österreichischen Stomatologen vorgeführt.
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Dr. Erich Baumgartner, Graz. Notizen ans der Praxis.
893
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Nota ans der Frans.
Von Dr. Erich Baumgartner, Zahnarzt in Graz.
Orthodontie.
Ueber Empfehlung meines sehr geehrten Lehrers, des
Herrn Prof. S c h e ff, dem ich dadurch zu grossem Danke ver¬
pflichtet bin, kam am 3. November 1903 ein hochinteressanter
Fall von pathologischer Prognathie, kompliziert durch Stellungs¬
anomalie einzelner Zähne, Fehlen der zweiten Schneidezähne
im Oberkiefer und aller ersten Molaren, in meine Ordination.
Die Abbildung Fig. 1, nach einem Gipsmodell von Prof.
Sch eff, zeigt die Artikulation und Fig. 2 veranschaulicht die
Stellung der Zähne des Oberkiefers.
Die Patientin — ein Fräulein von ungefähr 14 Jahren —
trug eine Richtmaschine von Prof. Scheff angebracht, zur
Regulierung der abnormen Stellung der Eckzähne. Molaren und
Prämolaren waren überkappt, der Biss durch den auf diese
Kappen aufvulkanisierten Kautschuk erhöht Von diesen
Schienen führten beiderseits Metallstäbchen mit Schrauben¬
gewinde zu einer die beiden Schneidezähne einhüllenden Kappe.
Auf den Eckzähnen waren ebenfalls Kappen angebracht mit
Ringen, welche die oben beschriebenen, ungefähr mesio-distal
verlaufenden Schrauben umgriffen und durch Schraubenmuttern
distal geschraubt werden konnten. Nachdem die Canini, soweit
es die Ueberkappung gestattete, den Prämolaren genähert waren
und eine Pause von 14 Tagen verstrichen war, nahm ich den
Regulierungsapparat am 19. März 1904 ab. Nun bot sich mir
das in den Fig. 3, 4 und 5 dargestellte Bild dar. Die grossen
Schneidezähne sind stark vorragend, mit ihren mesialen Flächen
nach vorne gedreht, die Achsen der Zähne nach abwärts stark
divergent. Die Eckzähne sind mit ihren mesialen Kanten palatinal
gedreht, die Längsachsen nach oben konvergent. Die ersten
4
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894
Dr. Erich Baumgartner, Graz.
Prämolaren sind mit ihren oralen Flächen mesial um nahezu
45° rotiert. Die oberen Molaren artikulieren nur mit einer
kleinen distal gelegenen Partie ihrer Kaufläche mit ihren
Fig. 1.
Antagonisten und sonst treffen nur noch die Eckzähne mit den
zweiten Schneidezähnen des Unterkiefers zusammen. Der Gips¬
abdruck wurde 24 Stunden nach Entfernung des Regulierungs-
Fig. 2.
apparates genommen, er zeigt jedoch schon, dass diese kurze
Frist genügte, die Canini mesial von den Prämolaren ab¬
zudrängen. Die Lippen konnten nicht geschlossen werden. So
rasch als möglich wurden nun über den zweiten Prämolaren
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Notizen aus der Praxis.
395
und Molaren aus einem Stücke Gold gestanzte Kappen be¬
festigt, an deren buccaler Seite sich kleine Röhrchen befanden
zur Aufnahme des Bogens B nach Edward H. Angles
Treatment of Malocclusion of the Teeth, Phila-
Fig. 3.
Pig. 4.
Fig. 6.
delphia 1900, pag. 236, Fig. 231. Dieser Bogen ruhte vorne in
einer Rinne, die an den die grossen Schneidezähne einzeln um¬
fassenden Bändern angelötet war. Die Prämolar-Molarkappen
erhöhten den Biss nahezu gar nicht. Auf den Kappen der Eck¬
zähne befanden sich Ringe ungefähr an deren mesialen Kanten
i 4*
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Dr. Erich Baumgartner, Graz.
(vgl. Fig. 5). Um die ersten Prämolaren waren ebenfalls Bänder
gelegt, mit Ringen in der Mitte der oralen Flächen. Die Be*
handlung bestand im Tragen des Angleschen Kopfhetzes und
Fig. «.
der Zugstange. Von den Ringen an den Eckzahnkappen zogen
Ligaturen distal-labial zu den Röhrchen an den Prämolar*Molar*
kappen, um eine Rotation der Eckzähne herbeizuführen. Die
Fig. 7.
Ringe der ersten Prämolaren wurden zunächst mit festen, häufig
gewechselten Ligaturen nach rückwärts zu den Ringen der Prä-
molar-Molarkappen gezogen. Diese Ringe waren so angebracht,
dass die Verbindungslinie zwischen beiden Ringen >rechts und
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Notizen aus der Praxis.
397
links senkrecht auf die Sutura palatina mediana zu stehen kam.
Nach kurzer Zeit wurden elastische Ligaturen anstatt der festen
verwendet, jedoch mit einer Abweichung in der Anbringung.
Von den Ringen der ersten Prämolaren wurden sie nach rück-
Fig. 8.
wärts durch die der Prämolar-Molarkappen gezogen und von
hier mittels Seidenligaturen nach vorne zwischen den Schneide¬
zähnen hindurch an dem Knopfe des Retraktionsbogens be¬
festigt (vgl. Fig. 5, schwarze Linie). Durch diese Vorrichtung
Fig. 9.
wurden die oralen Flächen der ersten Prämolaren in einer
palatinal-distalen Richtung gedreht, ohne die Stellung dieser
Zähne wesentlich zu verändern. Die Anheftung am Bogen unter¬
stützte erfolgreich die Wirkung, welche durch die Zugstange
ausgeöbt wurde, gleichzeitig aber wirkte die Befestigung am
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898
Dr. Erich Baumgartner, Graz.
zweiten Prämolaren, der, wenn auch durch Glühen geminderten,
federnden Kraft des Bogens entgegen und verringerte gleich¬
zeitig die Gaumenbreite. Rechts wurden stärkere Schnüre ver¬
wendet wegen der bestehenden Asymmetrie. Infolge der
grösseren Kraftentfaltung an dieser Stelle hätte hier der Ring
weiter distal gesetzt werden sollen; so aber wurde (siehe Fig. 6)
der Molar rechts oben etwas buccal disloziert.
Am 14. Juli — also nach einer Einwirkung von 3 1 /* Mo¬
naten — wurde der Regulierungsapparat entfernt, da die
Patientin in ihre Heimat reiste und sie dortselbst infolge be¬
sonderer Verhältnisse keine auffallende Maschine tragen konnte.
Ich war also gezwungen, einen leicht abnehmbaren Kautschuk-
Retentionsapparat herzustellen. Die Einbissstellen der Unter¬
kieferzähne waren an demselben abgeschrägt, um den Unter¬
kiefer in toto mesial zu bewegen. Die Behandlung war bis
Mitte Oktober unterbrochen.
Im Herbste wurden wieder Bogen und Kappen verwendet
und zu Weihnachten eine Stellung, wie sie Fig. 7 zeigt, erreicht.
Wegen abermaliger Heimreise der Patientin wurde diese Ma¬
schine abgenommen und musste neuerdings ein abnehmbarer
Retentionsapparat aus Kautschuk konstruiert werden. Ein weiter
Ausschnitt in demselben in der Gegend des rechten Molaren
ermöglichte die Anbringung eines Keiles aus Hickoryholz, um
diesen Zahn palatinal zu drängen. Konstruiert man das
Diagramm, die richtige Stellung der Zähne betreffend, wie es
C. A. Hawley in einem Vortrage am 4. April 1906 zu
New-York beschrieb, so wird man sofort erkennen, dass die
erreichte Zahnstellung unhaltbar war. Im Jahre 1904 aber war
es mir natürlich nicht bekannt und war ich auch einigermassen
enttäuscht, als sich die Stellung änderte. Mitte Jänner 1905
wurde ein Apparat, ähnlich dem von Mc Bride, 1902, zur
Verschiebung desBisses beschriebenen, zur Behandlung
verwendet. Wangenseits war ein mittels Schrauben distal ver¬
engbarer Bogen angebracht, eine Einbissstelle für die unteren
Frontzähne bestimmte die Stellung des Unterkiefers und er¬
möglichte gleichzeitig die Verlängerung der rückwärtigen Zähne.
In der Molarengegend befand sich ein weiter Ausschnitt.
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Notizen ans der Praxis.
399
Das erzielte Resultat zeigen die Fig. 8 und 9. Vergleicht
man die Modelle zu den Fig. 7 und 9, so fällt die richtigere
Stellung der Molaren und Prämolaren des letzteren auf. Durch
Fig. 10.
Anziehen des Bogens wurden die Frontzähne nach rückwärts
geschoben. Die Artikulation war durch entsprechende Stellung
der Molaren und Prämolaren gesichert. Der erste Prämolar
Fig. 11.
steht einem Eckzahne entsprechend. (Leider fehlt mir ein Ab¬
druck am Ende der Behandlung.) Durch das Vorziehen des
Unterkiefers war der line of harmony (Angle) Rechnung ge¬
tragen. Die freudige Ueberraschung der Angehörigen war Ge-
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400
Dr. Erich Baumgartner, Graz.
währ genug, dass die Regulierung zur Verschönerung des Ge¬
sichtes bedeutend beigetragen hatte. Eine Retentionsmaschine
nach Sachs befestigte die Stellung der Zähne.
Die Dauer der ganzen Behandlung, die Unterbrechungen
abgerechnet, betrug zirka 1 Jahr.
Ein zweiter Regulierungsfall sei hier wegen der Kürze der
Zeit, die benötigt wurde, und dem verhältnismässig hohen
Alter der behandelten Person, 28 Jahre, noch mitgeteilt. Die
beiden grossen Schneidezähne (Fig. 10) standen in grösserer
Distanz, als einer derselben breit war. Zweite Schneidezähne
waren nicht vorhanden. Da Aufbiss vorhanden war, konnten
die Zähne innerhalb zweier Monate durch einfache Ligaturen
einander vollkommen genähert werden (Fig. 11). Ein Ersatz¬
stück war gleichzeitig der Retentionsapparat.
Brücken und Kronen.
Angeregt durch Kronfelds Referat über G. Robins
Arbeit „Sollen gesunde Zähne, welche als Brücken¬
pfeiler dienen, devitalisiert werden?“ (in der vor¬
letzten Nummer dieser Zeitschrift), entschloss ich mich zur
Veröffentlichung folgenden Falles, da mir der von Robin
aufgestellten Satz: „Bei abnehmbaren Brücken müssen die
Pfeiler devitalisiert werden etc.“ durchaus nicht so unbedingt
giltig erscheint.
Fig. 12 zeigt den Gipsabguss eines Oberkiefers. Die beiden
rechten oberen Molaren haben keine Antagonisten. Links war
die Wurzel des |8 vorhanden. Der nächste Zahn dieser Kiefer¬
hälfte und eigentlicher Stützpunkt der Artikulation war If. Im
Unterkiefer waren vorhanden |8 7 . . 4. Der |7 hatte öfters
periostale Reizungen verursacht. Rechts waren vor Jahren die
Radices von 4f und 6| und die vordere Wurzel von 6| über¬
kappt worden (siehe Fig. 13), jedoch waren die Kappen so
niedrig gehalten, dass zwischen ihnen und ihren Antagonisten
bei geschlossenem Bisse ein Zwischenraum von nahezu 2 Mm.
vorhanden war.
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Notizen ans der Praxis.
401
Um besser kauen zu können, wünschte der Patient einen
Zahnersatz, doch ohne einen Zahn opfern zu wollen. Nach
Behandlung von |8 und |7 wurde für die Wurzel des j§ eine
Vollkrone ausgeführt; desgleichen für den ersten Prämolaren,
Fig. 12.
dessen Pulpa lebte, nach entsprechender Präparierung
des Zahnes.
Da der Prämolar infolge Ueberbelastung stark mesial
geneigt war, anderseits die Krone auf dem Weisheitszahne nur
Fig. 13.
distal, wenn auch in geringem Masse geneigt, aufgeschoben
werden konnte, lag die einzige Möglichkeit zur Anfertigung
einer Brücke in einem aufschraubbaren Brückenstücke. Die
schematische Zeichnung (Fig. 14) veranschaulicht diese Ver¬
hältnisse. An die Kronen wurden Röhren aus starkem Gold-
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402
Dr. Erich Baumgartner, Graz.
blech mit Schraubengewinde gelötet. Das Brückenstück, welches
peinlich genau gearbeitet werden musste, besass an den ent¬
sprechenden Stellen Bohrlöcher, durch welche die Schrauben
in die Schraubengewinde eingefügt werden konnten. Der Prä¬
molar wurde n i c h t devitalisiert. Die Möglichkeit, den Brücken¬
bogen abschrauben zu können, war in Anbetracht des Um¬
standes, dass der |7 sich bisher rebellisch gezeigt hatte, für den
Wiederholungsfall von Bedeutung, da durch Entfernung des
Brückenstückes der Zahn ausser Artikulation gesetzt werden
konnte. In die Krone, die diesem Zahne aufgesetzt worden war,
wurde eine Röhre mit Schraubengewinde versenkt. Das Röhrchen
war mit einem dünnen Goldplättchen abgeschlossen. Vom
lebenden ]i reichte ein Brückenbogen bis ungefähr in die
Mitte der Krone des j7, in eine leichte Vertiefung derselben
Fig. 14.
passend. Für eine allenfalls notwendige Wiederbehandlung bot
das Schraubengewinde den Zugang zu den Wurzelkanälen.
Die beiden Brücken, die allein den ganzen Kaudruck aus-
halten, haben sich bisher 1 */ 4 Jahre tadellos bewährt.
Um der Unannehmlichkeit, eine Brücke nach Zerstörung
der Stützkrone behufs Reparatur eines geborstenen Porzellan¬
zahnes auszuweichen, verwende ich mit Vorliebe abschraubbare
Brücken.
Fig. 15 zeigt den Gipsabdruck von einem Oberkiefer,
dessen Frontzähne durch einen Hufschlag verloren gegangen
waren. ]3 und wurden devitalisiert, auf die Wurzeistümpfe
Kappen mit in die ausgebohrten Pulpakanäle hineinragenden
Röhrchen mit Schraubengewinde aufzementiert und das Brücken¬
stück, aus 7 Zähnen bestehend, aufgeschraubt. Während der
Patient früher mit seinem Kautschuk-Ersatzstück nie zufrieden
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Notizen ans der Praxis.
403
war, weder gut beissen noch reden konnte — infolge der De¬
formierung des Oberkiefers und der dadurch bedingten Form
des Ersatzstückes — wurden nach Anbringung der Brücke beide
Fig. 15.
Funktionen zur Zufriedenheit ausgeführt. Sogenannte Kaiser¬
semmeln und auch härteres Obst können gebissen werden.
Nach einem Jahre musste ein Zahn erneuert werden. Seit¬
dem wird die Brücke schon das fünfte Jahr anstandslos ge-
Fig. 16.
tragen. Wie Patient mir mitteilt, hat er keinerlei Empfindung
eines Fremdkörpers im Munde. Die Wurzeln sind fest.
Eine andere, in gleicher Weise ausgeführte Brücke, vom
l| bis J8 reichend, wird nun auch schon das fünfte Jahr ge¬
tragen. In der ganzen Zeit mussten zweimal die Schrauben in
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404 Dr. Erich Baumgartner, Graz. Notizen aus der Praxis.
l| und 8| angezogen werden, einmal wurde eine Schraube er¬
neuert.
Statt Zähnen verwende ich, wie aus Fig. 16 ersichtlich,
besonders bei Kronen für Prämolaren, die zugleich als Stütz¬
punkt für Brücken benützt werden, Porzellanfüllungen. Eis wird
eine Vollkrone ausgeführt und mit Gips ausgegossen, dann
schneidet man buccal ein zahnförmiges Stück aus der Krone
aus und entfernt auch aus dem Gipsausgusse ein Stück von
der Dicke eines Porzellanzahnes. Ein dem Grunde der so ent¬
standenen Höhle entsprechendes gestanztes Goldplättchen wird
zur Erzielung eines allseits dichten Abschlusses in die Krone
eingelötet. In diese „Goldkavität“ wird eine lege artis be¬
reitete Porzellanplombe einzementiert. Sollte durch unberechen¬
bares Missgeschick diese Füllung verloren gehen, ist die Re¬
paratur bei Belassung der Krone im Munde jederzeit leicht
ausführbar.
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Dr. J. Lartschneider, Linz. Bericht über eine Anzahl von Silikatfüllungen. 405
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Bericht Iber eine grössere Anzahl von Sililatföllipn.
Von Dr. Josef Lartschneider , gewesener Assistent am k. k. ana¬
tomischen Institute in Wien und gewesener Operateur an der
ersten chirurgischen Klinik in Wien, Zahnarzt in Linz a. d. Donau.
Die dankenswerten Ausführungen des Prof. Sachs über
„Silikatzement“ („Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde“,
März 1907) haben mich veranlasst, mit meinen diesbezüglichen
Erfahrungen nicht länger zurückzuhalten, obwohl ich deren
Veröffentlichung für eine spätere Zeit bestimmt hatte. Die
Tatsache, dass ich mich auf eine Beobachtungszeit von immer¬
hin nahezu 2 Jahren berufen kann und dass meine mit diesen
Füllungen gemachten Erfahrungen mit denen Sachs’ sich
nahezu decken, Hessen mir diesen Schritt weniger voreilig er¬
scheinen. Es ist zwar kein Mangel an Veröffentlichungen über
Silikatzemente. Aufsatz über Aufsatz erscheint in den reichs-
deutschen Fachblättern — in unserem heimischen Blätter¬
walde ist es auffallend ruhig geblieben. Ich brauche nicht
näher auf alle die Berichte einzugehen. Prof. Sachs hat sich
der Mühe unterzogen, über die ganze diesbezügliche Literatur
im Auszuge zu berichten. Ich will nur bemerken, dass die
betreffenden Publikationen mit wenigen Ausnahmen geradezu
trostlos lauten. Es gibt kaum einen Nachteil, der den Silikaten
nicht schon nachgesagt worden wäre. Die haarsträubendsten
Dinge wurden da mitunter berichtet. Es gehört wirklich ein
hohes Mass von Selbstvertrauen dazu, um in dieser Frage
nicht irre zu werden. Es war die höchste Zeit, dass endlich
von berufenster Seite in dieser Angelegenheit das Wort er¬
griffen wurde. Die Untersuchungen Morgensterns,* welche
— wie auch Sachs betont — gewiss auf wissenschaftliche
Bedeutung Anspruch machen können, beschränken sich ledig-
i Oesterr. -Ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1905, Heft IV.
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406
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
lieh auf Laboratoriumsversuche und mussten alle jene, welche
im Sinne hatten, mit Silikatzementen Versuche zu machen, eher
abschrecken als ermuntern. Seine Angaben, dass Aschers
künstlicher Zahnschmelz II in 0-5 prozentiger Milchsäure nach
40 tägiger Einwirkung 64*4 Prozent seines Gewichtes verliert,
hat mich nicht wenig bestürzt. Ich konnte mich durch eigene
Versuche bald von der Richtigkeit dieser Angabe überzeugen.
Allein das sind Versuche, die für die Praxis wenig. Be¬
deutung haben, deren Ergebnisse auf die im Munde in Be¬
tracht kommenden Verhältnisse kaum übertragbar sind. Im
Munde sind die Silikatplomben dem Mundspeichel ausgesetzt,
einer schwach alkalischen, wässerigen Flüssigkeit, und da ist
vor allem die Frage wichtig, wie verhalten sich die Silikat¬
plomben in alkalischen Lösungen? Ich habe vor 11 Monaten
eine Ascher- und eine Silicinkugel, nachdem sie 7 S Stunde
in gewöhnlicher Zimmertemperatur getrocknet waren, in ver¬
dünnte Kalilauge (*/» °/o) gelegt und verkorkt darin belassen.
Die Kugeln zeigen heute keine Spur irgendeiner Veränderung
ihrer Härte oder ihrer Oberfläche, noch zeigt sich irgendein
Niederschlag in der klaren Flüssigkeit. Man kann wohl an¬
nehmen, dass Ascher und Silicin in verdünnten Alkalien, also
auch im Speichel, absolut nicht angegriffen werden. Diese Tat¬
sache betont übrigens auch Morgenstern.
Säuren, welche auf ihrem Wege in den Magen die Mund¬
höhle passieren, sind ja von Haus aus schon sehr verdünnt, so
dass an der Mundschleimhaut, der Zunge und den Zähnen haften
gebliebene Säuremengen vom Speichel sofort verdünnt und
neutralisiert werden. Und je schärfer (konzentrierter) die in
den Mund gelangte Säure ist, desto stürmischer ist die Speichel¬
sekretion, desto häufiger und heftiger sind die Reflexe, welche
Schluckbewegungen etc. auslösen, so dass in jedem Falle in
kürzester Zeit die physiologische Beschaffenheit des Mund¬
speichels wieder hergestellt sein wird. Ich verweise übrigens auf
die Tatsache, dass unter normalen Verhältnissen im Munde eines
Erwachsenen innerhalb 24 Stunden nach den Versuchen von
Bidder, Schmidt und Tuczek 1500 Gr., i. e. 1 */* Liter
Speichel abgesondert werden.
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Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfftllungen. 407
Die Säuren, welche sozusagen unter normalen Ver¬
hältnissen in den Mund gelangen und somit auf eventuell
vorhandene Silikatplomben einwirken könnten, gehören haupt¬
sächlich zur Gruppe der organischen Säuren. Es sind: Die
Essigsäure, die grosse Gruppe der Fruchtsäuren und die Milch¬
säure.
Die Essigsäure kommt in 3- bis 6 prozentiger wässeriger
Lösung als „Essig“ sehr häufig und in reichlicher Menge in
den Mund, könnte daher für Plomben am ehesten gefährlich
werden. Ich habe vor 11 Monaten eine Ascher- und eine
Silicinkugel, nachdem sie 7. Stunde in gewöhnlicher Zimmer¬
temperatur trocknen konnten, in 6prozentige Essigsäure ge¬
legt und sie darin seither in verkorkter Eprouvette liegen ge¬
lassen. Ich konnte bis heute irgendeine chemische Einwirkung
der 6 prozentigen Essigsäure auf die Kugeln nicht beobachten.
Die Essigsäure in der hier in Betracht kommenden Konzentra¬
tion kann den Ascher- und Silicinfüllungen absolut nicht ge¬
fährlich sein. Und dies darf ohneweiters von allen Fruchtsäuren
angenommen werden, die ja ohne Ausnahme chemisch viel
schwächer sind als die Essigsäure und kaum jemals in so hoher
Konzentration wie die Essigsäure in den Mund kommen. Ich
betone dies deshalb, weil jemand angeblich beobachtet hat,
dass die gegenwärtig so beliebten „Zitronenkuren“ eine Auf¬
lösung und Zerstörung der Silikatplomben zur Folge haben.
Was die Milchsäure anbelangt, so ist dieselbe den
Silikatzementen — wie Laboratoriumsversuche zeigen — aller¬
dings sehr gefährlich. Die Anwesenheit von Milchsäure im
Munde in solcher Menge und Konzentration, dass von einer
Gefahr überhaupt gesprochen werden kann, ist unter normalen
Mundverhältnissen kaum anzunehmen. Meistens ist die im Munde
auftretende Milchsäure ein Produkt bakterieller Einwirkung
(Bacillus acidi lactici) auf Speisereste, die zwischen den Zähnen
und in kariösen Zähnen angesammelt sind. Obwohl die An¬
wesenheit grösserer Mengen von Milchsäure gewiss eine vorüber¬
gehende neutrale oder sogar leicht saure Reaktion des Speichels
bedingen kann, so handelt es sich doch jedenfalls in der Regel
nur um geringe und sich allmählich abspaltende Mengen von
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408
Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
Milchsäure, die sofort sozusagen in statu nascendi vom Speichel
verdünnt und neutralisiert werden, so dass es kaum zu einer
ernstlichen Gefährdung eventuell vorhandener Silikatplomben
kommen dürfte. Gerade an approximalen Silikatfüllungen
müssten sich am ehesten solche von Milchsäureeinwirkungen
herrührende Schäden bemerkbar machen, denn trotz aller
Vorsicht sind gerade die Zwischenräume zwischen den appro¬
ximalen Füllungen häufig Prädilektionsstellen für die. An¬
sammlung von Speiseresten. Allein ich konnte an den von
mir ausgeführten approximalen Silicinfüllungen niemals irgend¬
ein Zeichen einer Destruktion — bis heute wenigstens — ent¬
decken.
Allerdings können sich bei Erkrankungen, welche mit
länger andauernder Somnolenz und Bewusstseinsstörungen ver¬
bunden sind (Typhus, Apoplexie, Psychosen), grössere Mengen
von Milchsäure im Munde bilden, so dass selbst grosse Speichel¬
mengen nicht mehr das Auftreten einer saueren Reaktion ver¬
hindern können. Solche Kranke schlucken in den Mund ein¬
geführte Speisen oft nur teilweise oder überhaupt nicht, so
dass der Zungengrund, die Backentaschen etc. tagelang mit
gärenden und faulenden Speisen belegt und erfüllt sind. Da
ist es eben Sache der Umgebung des Kranken, eine entsprechende
Mundpflege zu veranlassen.
Bei Pseudohyperacidität des Mageninhaltes, wie sie bei
Magenerweiterung, Pylorusstenosen etc. öfters vorkommt, können
ebenfalls vorübergehend grössere Mengen von Milchsäure in den
Mund kommen.
Desgleichen ist bekannt, dass bei länger andauernden
fieberhaften Zuständen und bei organischen Erkrankungen
(Diabetes, Karzinom) der Speichel öfters eine neutrale oder
schwach sauere Reaktion aufweist. Daher möchte ich die
Beobachtung Zanders, dass eine Anzahl grösserer und
kleinerer Ascherfüllungen nach 2 bis 3 Monaten „grösstenteils
geschwunden wären“ bei einem Herrn, der „starkem Alkohol¬
genuss huldigt und besonders unheimlich viel Kognak trinkt“,
nicht auf eine direkte Einwirkung des Kognaks auf die Plomben,
sondern vielmehr auf eine infolge einer Alkoholkachexie ein-
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Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllungen.
409
getretene Veränderung der chemischen Beschaffenheit des
Speichels und vielleicht auch des Zahnbeins zurückführen. Ich
habe übrigens vor 7 Monaten eine Silicin- und eine Ascher¬
kugel in Kognak gelegt und sie wohlverkorkt darin verwahrt
— konnte aber bis heute nicht die geringste Veränderung an
den Kugeln beobachten.
Von anorganischen Säuren, die gelegentlich in den Mund
kommen können, wäre hauptsächlich die Salzsäure zu erwähnen.
Sie wird als Heilmittel bei verschiedenen Magenerkrankungen
und manchmal bei Gicht verordnet in 10 prozentiger wässeriger
Verdünnung („Acidum hydrochloricum dilutum“ offizinell). Da¬
von werden gewöhnlich mehrmals täglich 3 bis 6 Tropfen in
einem halben Glas Wasser genommen, kommt also in kaum
l %0 wässeriger Lösung in den Mund und kann für eventuell
vorhandene Silikatplomben kaum gefährlich werden.
Die Schwefelsäure kommt für uns nicht mehr in Betracht,
seitdem die Essigsäure aus allen möglichen Substanzen auf
die billigste Weise gewonnen werden kann und sich daher
die Fälschung des „Essigs“ durch Schwefelsäure nicht mehr
rentiert. Hie und da wird sie in minimalen Quantitäten bei
der Herstellung von Mixturen verwendet, um eine vollständige
Auflösung des betreffenden Mittels (z. B. Chininum sulfuricum)
zu ermöglichen.
Das gleiche gilt von der Phosphorsäure, welche als
„Acidum phosphoricum dilutum“ hie und da als durststillendes
Mittel bei Fieberzuständen den Getränken (z. B. Himbeer-
aufguss) beigefügt wird.
Absolut unlöslich sind nach meinen Versuchen Ascher und
Silicin auch in 12 prozentigem Wasserstoffsuperoxyd (auch die
Farbe wird nicht alteriert), ferner in 5 prozentigem Chlorkali. Wohl
aber bildet sich im Levicowasser (starke Quelle) nach Einlage einer
Silicin- oder Ascherkugel ein starker, weisser, flockiger Nieder¬
schlag, der nach einigen Wochen eine grüngelbe Farbe annimmt
(Gehalt an Eisen). Der Niederschlag besteht aus Aluminium
und kleinen Mengen von glashellen Kieselsäureblättchen. Nach
vier Wochen ist die Oberfläche der eingelegten Kugel nicht
mehr glatt, sondern rauh und lässt sich mit dem Fingernagel
5
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
als sandige Schichte abkratzen. In geringerem Grade ist dies
auch bei der Guberquelle und der Franzensbader Franzensquelle
der Fall. Bei der Häufigkeit und der grossen Menge, in welcher
solche Wässer genommen werden, sind jedenfalls gewisse
Vorsichtsmassregeln während der Trinkkur (ausgiebige Mund¬
spülungen, Anwendung der Glasröhre etc) angezeigt.
In Tinctura Fowleri (20 Tropfen in einem Löffel Wasser)
eingelegte Silicinkugeln zeigen auch nach vielen Wuchen nicht
die geringste Veränderung.
Natürlich gehören jene Fälle, in denen entweder absichtlich
oder durch einen unglücklichen Zufall stark konzentrierte Säuren
in den Mund gelangen, nicht hieher. Daher sind auch alle
diesbezüglichen Laboratoriumsversuche mit stark konzentrierten
Säuren praktisch vollständig wertlos. Hat man doch versucht,
aus der Tatsache, dass Ascherkugeln einem Auskochen in
konzentrierter Salzsäure nicht standhalten, eine geringe Halt¬
barkeit der Ascherfüllungen abzuleiten. Mit Recht hat Ascher
daraufhin erwidert, dass nicht nur die Plombe allein, sondern
auch der Zahn selbst durch Auskochen in konzentrierter Salz¬
säure vollständig zerstört wird.
Unter allen den Anklagen, die gegen die AscherfBUungen
seither erhoben wurden, war eine ganz besonders geeignet,
die Einführung dieser Plomben in die Zahnheilkunde vqn vome-
herein in Frage zu stellen. Es kamen und kommen nämlich
noch immer von vielen Seiten Klagen über Pulpareizungen und
Pulpatod an Zähnen, welche mit „Ascher“ plombiert wurden.
Wenn auch die Nachrichten vielfach unbestimmt lauten und
den Stempel der Uebertreibung an sich tragen (berichtet doch
z. B. ein Autor, dass in mehreren Fällen trotz Zement- und
Guttapercha-Unterlagen die Pulpa unter Ascher abgestorben
wäre) und wenn auch gewiss Sorglosigkeit oder sonst nicht
ganz einwandfreies Vorgehen die Ursache mancher gemeldeter
Misserfolge sein dürfte, so habe ich doch in meiner Praxis
einige Fälle beobachtet, in denen eine Einwirkung auf die
Pulpa nicht ohneweiters von der Hand gewiesen werden kann.
Ich möchte erwähnen, dass ich von Anbeginn bei der Vor¬
bereitung der für die Aufnahme der Silikatplomben bestimmten
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Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllungen 411
Kavitäten vorsichtig, jedoch nicht überängstlich war. In zweifel¬
haften Fällen habe ich Fletcherunterlagen gemacht, anscheinend
ungünstige Fälle wurden früher einer Nervbehandlung unter¬
zogen. Immerhin habe ich verhältnismässig selten Fletcher¬
unterlagen gemacht.
Auf welche Momente sind diese unangenehmen Zwischen¬
fälle zurückzuführen?
Dass Ascher II oder Silicin arsenhältig wären, wie viel¬
fach heute noch behauptet wird, kann kaum angenommen
werden. Denn es ist einerseits kein Grund vorhanden, den
ganz bestimmten Erklärungen der betreffenden Fabrikanten zu
misstrauen und anderseits sind diese Präparate wiederholt von
verschiedenen Chemikern untersucht worden und niemals konnte
die Anwesenheit auch nur einer Spur von Arsen oder arseniger
Säure konstatiert werden.
Sachs führt diese unangenehmen Zwischenfälle auf die
noch in der Mischung belassene freie Säure (es ist wohl die
Zementflüssigkeit darunter zu verstehen) zurück. „Es sollte
deshalb ganz besonders darauf geachtet werden, dass Pulver
und Flüssigkeit innig miteinander vermengt werden, so dass
keine freie Säure in der Mischung bleibt.“ Diese Ansicht hat
manches für sich, denn es wäre wohl möglich, dass die in der
Zementflüssigkeit vorhandenen Spuren von Ortophosphorsäure
— die übrigens an und für sich schon sehr wenig ätzt und
um so weniger jedenfalls in der starken Verdünnung, wie sie in
der Silicinflüssigkeit vorkommt, als Aetzmittel angesehen werden
kann — die Pulpa irgendwie reizen könnte. Um dieser Frage
näher zu kommen, habe ich in mehreren Fällen, in denen ich
sonst eine Arseneinlage gemacht hätte, in die Kavität ein
kleines in Silicinflüssigkeit getauchtes W attebäuschchen gelegt
und mit Fletcher verschlossen. In diesen Fällen traten hie und
da Schmerzen auf, die aber nach einigen Stunden längstens
aufhörten. In den meisten Fällen traten überhaupt keine
Schmerzen auf und in keinem Falle konnte ich Pulpatod,
eitrigen Zerfall der Pulpa oder periostitische Symptome beob¬
achten, obwohl ich z. B. in einem Fall diese „Säureeinlage“
9 Wochen unter Fletcherverschluss liegen liess. Dass es sich
6 *
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
bei allen diesen unangenehmen Zwischenfällen um Reizungen
und Mortifikation der Pulpa durch chemische Verätzung
handelt, kann nach diesen Versuchen kaum mehr angenommen
werden. Auch meine statistischen Notizen sprechen nicht für
diese Annahme.
Ich unterscheide zwischen Pulpareizung und Pulpatod.
Unter Pulpareizung fasse ich alle jene Fälle zusammen, in
welchen nach Anlegung einer Ascher- oder Silicinfullung am
betreffenden plombierten Zahn Schmerzen auftreten, die
meistens sehr bald vorübergehen, hie und da aber einige
Stunden dauern. Kleine, kurze Zeit anhaltende Pulpareizungen
konnte ich bei Ascher- und Silicinfüllungen öfters, meiner
Schätzung nach in mindestens 6 bis 8 Prozent der Fälle, be¬
obachten. Solche Reizungen waren oft ganz unabhängig
von der Tiefe der betreffenden Kavität; gerade in Fällen, in
denen, ich sie nie erwartet hätte, wo das Ausbohren voll¬
ständig schmerzlos war und die Pulpa nichts weniger als nahe
schien, traten manchmal solche Reizungen auf. Wohl aber
konnte ich konstatieren, dass jugendliche, schwächliche und
besonders anämische Patienten am öftesten unter diesen Fällen
vertreten sind. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Angabe einer
schwächlichen, sehr anämischen Lehrerin, der ich vor l 3 / 4 Jahren
einige Ascherplomben gemacht habe. Während des Verlaufes
der Behandlung antwortete sie mir eines Tages, als ich sie
fragte, wie es ihr gehe: „Danke, gut. Habe zwar gestern bis
abends (vormittags hatte ich ihr am 6| eine Ascherplombe
ohne Unterlage gemacht) Zahnschmerzen gehabt. Das hat mich
aber nicht beunruhigt, denn das weiss ich jetzt schon, diese
Plomben sind schön, aber am ersten Tage tun sie immer weh“,
Den schwersten, aber auch in seiner Art einzigen Fall von Pulpa*
reizung nach Silikatfüllungen, den ich erlebt habe, möchte ich
des Interesses halber erwähnen. Er betraf eine 38jährige, auf¬
fallend blasse, aber wohlgenährte, kinderlose Beamtens-
gattin. Die Untersuchung ergab ein prachtvolles Gebiss, das
Zahnfleisch war beinahe blutleer, wachsartig. Die
Anamnese ergab, dass Patientin infolge Uterusmyomen an
kolossalen Blutverlusten leide, sich aber nicht zur Operation
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Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllnugen.
413
entschliessen könne. Ich konnte an den Zähnen nichts finden,
habe aber die Patientin auf einen beginnenden, dreieckigen
Defekt am Zahnhals des 6| und £ aufmerksam gemacht. Da
Patientin von auswärts kam und im Sinne hatte, sich doch
einmal operieren zu lassen, daher gar nicht wusste, ob sie in
absehbarer Zeit wieder kommen könne, habe ich ihrem Er¬
suchen nachgegeben und beide Defekte sofort plombiert.
Die kaum stecknadelkopfgrossen Kavitäten an den beiden
Zahnhälsen wurden mit Silicin (weiss) gefüllt. Nach zwei
Wochen kam Patientin wieder und klagte furchtbar darüber,
dass sie fortwährend Zahnschmerzen habe, seitdem ich ihr die
Zähne plombiert habe. Die Untersuchung ergab gar keine
Anhaltspunkte für irgendeine Erkrankung des <jl und 4|, ich habe
solatii causa mit Jod gepinselt und die Patientin entlassen.
Bald darauf kam sie wieder, klagte furchtbar über schlaflose
Nächte infolge Zahnschmerz, heiss und kalt verursache ihr an
den letzthin plombierten Zähnen derartige Schmerzen, dass sie
sich kaum noch zu essen oder zu trinken getraue. Obwohl
die neuerdings vorgenommene Untersuchung absolut nichts
ergab, habe ich ihr doch die beiden kleinen Silicinplomben
entfernt und die Kavitäten mit Fletcher gefüllt. Patientin kam
wieder und beklagte sich in eindringlichster Weise über ihre
schmerzhaften Zähne und schliesslich musste ich mich, 8 Wochen
nachdem ich ihr die beiden Füllungen gemacht habe, entschliessen,
unter Aethylchlorid-Spray die beiden kleinen Zahnhalskavitäten
genügend zu vertiefen, um Arseneinlagen zu machen und eine
Nervbehandlung einzuleiten. Die Pulpen waren nicht eitrig
zerfallen. Dieser Fall hat mir viele Mühen verursacht, oft habe
ich dabei an Hysterie gedacht. Da aber nach der Mortifikation
der Pulpen die Schmerzen aufliörten, muss wohl ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen den wenn auch nur hirsekorngrossen
Plomben und den Schmerzen angenommen werden!
Pulpatod nach Ascher- und Silicinfüllungen habe ich in
den von mir beobachteten Fällen sechsmal beobachtet Zwei
dieser Fälle sind allerdings nicht ganz einwandfrei. Es handelte
sich dabei um vor Jahren plombierte Prämolaren, welche am
Rande der Füllungen (in einem Falle war es eine mittelgrosse
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
mesiale Amalgamplombe, in dem andern eine ebensolche Gold¬
plombe) gegen den Zahnhals hin eine sekundäre Karies auf¬
wiesen. Ich habe den Defekt nach genauer Untersuchung und
Präparation mit Silicin gefüllt, allerdings ohne dass ich die
alte Plombe entfernt hätte. Ich gebe gern zu, das dies vielleicht
hätte geschehen sollen. Immerhin bleiben noch vier Fälle (unter
776 Ascherfüllungen einer und unter 3900 Silicinfüllungen
drei), in denen nach einer Silikatplombe Pulpatod auftrat.
Alle diese vier Fälle betrafen obere Schneidezähne. In zwei
Fällen wurde 1 Woche, in einem Falle 4 Monate und in einem
Falle 5 1 /* Monate nach Anfertigung der Füllung der betreffende
Zahn plötzlich, nachdem er sich bisher in keiner Weise be¬
merkbar gemacht hatte, auf heiss sehr empfindlich. In ganz
kurzer Zeit traten dann schon periostale Erscheinungen auf. In
jedem Falle konnte nach vorgenommener Trepanation jauchiger
Zerfall der Pulpa konstatiert werden. Diese vier Fälle betrafen
wieder durchwegs jugendliche Patienten: einen schwächlichen,
blutarmen Gymnasialschüler und drei Mädchen mit deutlichen
Anzeichen von Chlorose. Auch in diesen Fällen war die Kavität
gewiss nicht besonders tief oder nahe an den Nerv heran¬
reichend, sonst hätte ich jedenfalls eine Fletcherunterlage
gemacht.
Nicht unwichtig scheint mir die auffallende Tatsache,
dass sämtliche von mir nach Silikatplomben beobachteten
Fälle von Pulpareizung und Pulpatod jugendliche, anämische
Individuen betrafen. Es liegt die Vermutung nahe, dass die
bestehende Anämie in irgendeinem Zusammenhänge steht mit
diesen Zwischenfällen, welche vielleicht auch z B. nach Amalgam¬
plomben aufgetreten wären. Vielleicht bedingt sie eine Verände¬
rung der Struktur der Zähne (Erweiterung der Dentinröhrchen
auf Kosten des Dentins, grösserer Gehalt der Zähne an Gewebs-
säften, Schwankungen im Blutdruck, Tänzers interdentärer
Blutdruck) oder trophoneurotische Störungen etc.? Jedenfalls
wären in dieser Hinsicht noch Untersuchungen anzustellen.
Vorläufig mögen uns diese Beobachtungen eine Mahnung
sein, bei anämischen Patienten an diese Eventualitäten zu
denken!
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Google
Bericht Uber eine grössere Anzahl von Silikatfttllungen. 415
Jedenfalls sind diese Zwischenfälle glücklicherweise äusserst
selten, wenn auch deshalb nicht minder bedauerlich. Seit
5 Monaten wische ich bei lebender Pulpa natürlich jede Ka¬
vität, welche für die Aufnahme einer Silikatplombe bestimmt
ist, vorher mit einem in „Varnish“ getauchten Schwämmchen
aus und warte mit dem Plombieren, bis der „Varnish“ ge¬
trocknet ist. Die Kavität ist jetzt mit einer dünnen Lackschichte
ausgekleidet. Dieses Verfahren, das mir Dozent Dr. Weiser
(Wien) mitgeteilt hat, scheint genügenden Schutz zu bieten
gegen üble Folgen, denn ich habe — bis heute wenigstens
— keinen derartigen Zwischenfall mehr erlebt, seitdem ich die
Kavitäten „lackiere“.
Weiser befreit nach dem Eintrocknen des Lackes die
Kavitätenränder mit einem Finierer von der Lackschichte, damit
an diesen für den Dauererfolg der Füllungen wichtigsten Partien
das Silikatzement mit den Wandungen der Kavität direkt
in Berührung kommt.
Es wird natürlich die Frage interessieren: Welches von
den vielen, oft in überschwänglicher Weise angepriesenen
Silikaten ist das beste oder sind sie alle gleich gut? Der Markt
wird jetzt auf einmal geradezu überschwemmt mit Silikaten!
Ich kann nur raten, bei der Auswahl des Präparates mit
grösster Vorsicht vorzugehen; ich habe in dieser Hinsicht die
traurigsten Erfahrungen gemacht. Am Beginne meiner Versuche
mit Silikaten liess ich mich, ängstlich gemacht durch die fort¬
währenden Nachrichten über Pulpatod etc. nach Ascherfüllungen,
verleiten, ein anderes Präparat — Smaltid — zu verarbeiten,
trotzdem ich eigentlich keine Ursache gehabt hätte. Dasselbe
wurde damals von einer reichsdeutschen Firma auf den Markt
gebracht und wärmstens empfohlen. Ich habe 270 Smaltid-
plomben gemacht und die haben alle in ganz kurzer Zeit ein
schauerliches Ende genommen! Ich habe viele Verdriesslichkeiten
gehabt wegen dieser Smaltidplomben, musste mir manche wenig
schmeichelhafte Beurteilung gefallen lassen und habe überdies
verschiedene Patienten auf Nimmerwiedersehen verloren! So¬
fort war mir die äusserst trockene Konsistenz der angerührten
Smaltidmasse aufgefallen. Bei der Verarbeitung hat sich dieser
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Dr. Josef Lartechneider, Linz a. d. Donau.
Umstand sehr unangenehm bemerkbar gemacht. Ich habe
übrigens diese trockene Konsistenz bei mehreren anderen
Silikaten (Nomina sunt odiosa), die ich zu Versuchszwecken
zugeschickt bekommen habe, beobachtet!
Zu jener Zeit war es auch, wo ich mit „Silicin* zu
arbeiten begonnen habe. „Silicin“ lässt sich von Ascher II
äusserlich absolut nicht unterscheiden; beide haben genau die
gleiche Konsistenz, genau die gleichen Farben. Silicinfüllungen
sehen auch genau so aus wie Ascherfüllungen. Ich habe mich
bald so an Silicin gewöhnt, dass ich seit l'/ 4 Jahren überhaupt
nur mehr Silicin verarbeite, wenn ich Silikatplomben mache
— obwohl ich, wie schon erwähnt, eigentlich keine Ursache
gehabt hätte, dem Ascher II untreu zu werden — ich bin mit
beiden Präparaten in gleicher Weise ausserordentlich zufrieden.
Was die Verarbeitung dieser beiden Präparate betrifft,
so wird jedem bald auffallen, dass die Flüssigkeit viel mehr
Pulver aufnimmt, als dies bei Phosphatzementen der Fall ist
und trotzdem haben die Silikatzemente im allgemeinen ein viel
geringeres spezifisches Gewicht als die Phosphatzemente. Das Ver¬
mengen des Pulvers mit der Flüssigkeit geschieht am besten mit
dem Beinspatel, da vernickelte Eisenspatel schwarz abfärben, falls
die Vernickelung nicht ganz tadellos ist. Ich lasse immer der Flüssig¬
keit so lange Pulver beimengen, bis die ganze Masse die Konsistenz
von Kitt oder Schweizerkäse hat und sich gut schneiden lässt.
Ascher und Silicin sind in dieser Konsistenz ungemein
plastisch, fühlen sich leicht fettig an und picken am Glas¬
würfel, an den Instrumenten und den Wänden der Kavität,
ohne zu schmieren. Am besten scheint mir das Mischungs¬
verhältnis getroffen, wenn während des Stopfens jedesmal
beim Abheben des Instrumentes von der Füllungsmasse in¬
folge der Klebekraft derselben ein kleines, schnalzendes Ge¬
räusch entsteht. Trotzdem soll man sich bei der Präparation
der betreffenden Kavität nicht auf die Adhäsionskraft ver¬
lassen, sondern dabei so Vorgehen, als ob es sich um eine
Amalgamfüllung handeln würde. Nach Vollendung der Füllung
muss durch mindestens 10 Minuten der Speichel von derselben
abgehalten werden. In den Fällen, wo Kofferdam angelegt
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Bericht Aber eine grössere Anzahl von SilikatfUllnngen. 417
wurde, ist dies leicht zu erreichen. Es gibt aber viele Fälle,
besonders im Oberkiefer, wo ich mir die Anlegung der Gummi¬
platte ersparen kann und da muss der Patient mit offenem
Munde, Klammern, Watteeinlagen u. dgl. sitzen bleiben. Ich
betupfe die Füllungen sofort nach ihrer Vollendung mit Mastix
und halte dies für genügend. Ueberdies bietet ja das Vaselin,
mit welchem man die Füllungsmasse am Schlüsse zusammen¬
drückt und formt, auch einen Schutz gegen Feuchtigkeit.
Sehr wichtig ist bei der Verarbeitung des Ascher und
des Silicin, dass der Zeitpunkt des „ Hartwerdens“ nicht ver¬
passt wird. Ascher und Silicin werden früher hart als Phosphat¬
zemente, und zwar geschieht dies ganz plötzlich. Die Füllung
muss unbedingt fix und fertig sein, ehe noch die Erstarrung
einsetzt. Sie bildet jetzt plötzlich einen zähen, halbstarren
Klumpen, welcher sich von den Wänden der Kavität abhebt,
wenn man jetzt noch an ihr herumdrückt und herummodelliert.
Die vielfachen Klagen über schlechten Randschluss sind meiner
Meinung nach grösstenteils auf solche Vorkommnisse zurück¬
zuführen. Kollegen, welche mit Assistenz arbeiten, werden
sich leichter in die Verarbeitung von Silikatplomben hinein¬
finden.
Mit dem Abschleifen und Polieren der Füllungen warte
ich noch weitere 5 Minuten, also im ganzen 15 Minuten. Da
die Füllungen in kurzer Zeit ungemein hart werden, ist es gut,
sich schon vorher über die Artikulation zu orientieren, damit
man mit dem Abschleifen nicht zu viel Zeit verliert. Die
Artikulation ist genau zu beachten und muss in jedem Falle
mit dem Blaupapier kontrolliert werden. Denn während bei
Amalgamfüllungen sich der gegenüberstehende Zahn mit seinen
Kauhöckern in das Amalgam einwühlen und sich so die
Artikulation selbst regulieren kann, ist dies bei Silikatplomben
ganz unmöglich. Sie sind schon bald nach ihrer Vollendung
steinhart. Ein Aufbiss auf sie wird vom Patienten sehr un¬
angenehm empfunden und hat beinahe immer die Absprengung
eines Plombenstückes zur Folge. Ich möchte die grösste Acht¬
samkeit beim Abschleifen und ein verständnisvolles Regulieren
des Bisses zu den Hauptbedingungen für die Haltbarkeit dieser
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Dr. Josef Lartschneider, Linz a. d. Donau.
Plomben hinstellen. Die Klagen über Abbröckeln und Absplittem
und über die geringe Widerstandsfähigkeit gegen den Kau¬
druck sind meiner Ueberzeugung nach wohl beinahe immer
auf irgendwelche, bei der Anfertigung der Plomben unter¬
laufene Fehler oder auf eine mangelhafte Kontrolle des Bisses
zurückzuführen. Jeder, der ein paar Dutzend solcher Plomben
gemacht hat, wird allmählich zur Ueberzeugung gelangen, dass
mancher Fehler, den man früher dem Füllungsmaterial zuge¬
schoben hat, ganz anderswo zu suchen ist. Die Anfertigung
dieser Plomben muss eben auch gelernt und geübt werden.
Wenn ich erwähne, dass ich in den letzten 2 Jahren
772 Ascher- und 3900 Silicinfüllungen gemacht habe, so
brauche ich wohl nicht besonders hervorzuheben, dass ich mit
diesen beiden Präparaten zufrieden bin. Ich verwende die er¬
wähnten Präparate sowohl an Frontzähnen als auch an Prä¬
molaren und Molaren, an Kauflächen der Molaren, baue mit
ihnen Ecken und Konturen, mache mit ihnen, ähnlich wie
Witzei mit Amalgam, „Silicinkronen“ mit möglichst dicken, in
die Wurzeln verankerten Stielen — aber Achtung auf die
Artikulation!
Ich möchte noch die Verwendung von Silikatplomben bei
Brückenarbeiten erwähnen. Ich habe vor l 1 /* Jahren in einem
Falle, wo an einer nicht abnehmbaren Brücke eine Porzellanfacette
ausgesprungen war, eine Silicinfacette gemacht, die sich vor¬
züglich bewährt hat. Auch Garlsson, Bruck und Misch
betonen die vorzügliche Verwendbarkeit der Silikate zu Fa¬
cetten bei Brückenarbeiten. Zweimal habe ich bei Brücken
Zähne, die mir infolge des Bisses besonders gefährdet schienen,
in der Weise ersetzt, dass ich ihnen entsprechend Goldkronen
angefertigt habe. Die labiale Wand der Goldkrone wurde aus¬
geschnitten nach Art der gefensterten Kronen und dann habe
ich das Innere der Krone mit Silicin ausgefüllt und eine ent¬
sprechende labiale Facette modelliert. Solche Zähne sehen
vielleicht nicht so elegant aus wie Porzellanfacetten — aber ich
kann den Patienten ruhig entlassen, ohne befürchten zu müssen,
dass er mir bald mit ausgebissener Facette wiederkehrt. Müller-
Wädensweil beschreibt übrigens in seinem schönen Atlas
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Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllungen. 419
sogar Stiftzähne mit Silikatzementfacetten. Ich glaube, es werden
sich noch mancherlei Gelegenheiten und Situationen ergeben,
in denen wir dieses neue Füllungsmaterial gut brauchen können.
Ich möchte zu Versuchen ermuntern und bin überzeugt,
die übergrosse Aengstlichkeit, die uns heute vielfach bannt,
wird sich bald verlieren.
Angesichts des Misstrauens, das heute noch der dankens¬
werten Erfindung Aschers entgegengebracht wird, ist mir
der Enthusiasmus unverständlich, mit welchem seinerzeit die
Porzellanplomben aufgenommen wurden. Die Ascher- und die
Silicinplombe braucht vor der Jenkinsplombe nicht zurückzu¬
stehen. Wenn ich auf den Biss nicht achte, werden die Jenkins-
plomben ebenso zugrunde gehen wie die Ascherplomben, und
die Patienten, die in der Provinz leider nicht durchwegs den
oberen Zehntausend angehören, werden uns nur danken, wenn
wir möglichst wenige Porzellanplomben machen. Meiner Er¬
fahrung nach gefallen übrigens den Leuten die Ascherplomben
viel besser als die Porzellanplomben.
Was die Königin der Plomben, die Goldplombe, betrifft,
so bin ich überzeugt, auch sie wird langsam ziemlich ver¬
drängt werden. Wir haben es übrigens im Interesse unserer
Gesundheit nicht zu bedauern, wenn wir zukünftig nicht mehr
so oft in die Lage kommen, Goldplomben machen zu müssen.
Ich habe beobachtet, dass die Leute sich das Plombieren der
Frontzähne mit Gold nicht mehr gefallen lassen wollen — ihr
ästhetisches Empfinden ist seit der Einführung der Porzellan-
plomben entschieden geschärft worden.
Wir können und dürfen uns derartigen Regungen nicht
verschliessen. Wer einmal die ästhetischen Vorzüge dieser
neuen Plomben kennen gelernt hat, kann sich nicht mehr
von ihnen lossagen und es wird ihm eines Tages der Gleich¬
mut unbegreiflich sein, mit welchem er früher so manchen
Mund an allen Ecken und Enden, ohne Wahl und Qual,
mit Amalgamplomben ausgestattet hat! Dass niemand mehr
Frontzähne mit Amalgam plombiert, sollte eigentlich selbst¬
verständlich sein. Die Unmasse von schlechten Amalgam-
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420 Dr. J. Lartscbneider, Linz. Bericht über eine Anzahl von Silikatfüllungen.
plomben, die gewiss jedem Praktiker im Laufe der Jahre
zu Gesichte kommen, soll übrigens eine dringende Mahnung
sein für jeden, nur die besten und teuersten Amalgame zu
verarbeiten. Nur dann wird man an seinen Amalgamplomben
Freude erleben.
Ganz unverständlich ist mir aber, dass man immer noch so-
viele Phosphatzementplomben macht. Seit einem Menschenalter
weiss man doch schon, dass Zementplomben meistens in ganz
kurzer Zeit sich „auswaschen“. Patienten, die viele Zement¬
plomben im Munde haben, kommen vom Zahnarzte überhaupt
nicht mehr los. Noch einen Uebelstand haben die Phosphat¬
zemente, mit dem man sich meines Erachtens viel zu leicht
abfindet — nämlich sie gehen im Munde faulige Zersetzungen
ein! Alle alten Zementplomben toter Zähne stinken faulig!
Ebenso fault Zement unter Brücken und Kronen und häufig
auch unter Porzellanplomben, und wären sie noch so sorg¬
fältig und kunstvoll gearbeitet. Daher möchte ich einen kleinen
Zusatz von Trikresol-Formalin nochmals empfehlen, es schadet
der Klebekraft und Dauerhaftigkeit des Zements absolut nicht.
Es wäre an der Zeit, die Phosphatzemente als Füllungsmaterial
möglichst ganz auszuschalten und sie nur mehr zum Auf-
mauem bei Kronen und Brücken zu benützen.
Meiner Ueberzeugung nach gehört die Zukunft den Sili¬
katen! Wir haben alle Ursache, Ascher für seine geniale Er¬
findung dankbar zu sein.
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Dr. Gnido Fischer, Greifswald. Die Retention etc.
421
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet
Von Dr. Guido Fischer in Greifswald.
Im Heft 1 der vorliegenden Zeitschrift, pag. 120—122,
referierte Herr Kollege Frey über meine Arbeit: „Eine neue
Verankerungsmethode für gebrannte Porzellan¬
füllungen“' und sah sich am Schlüsse des kurzen Referates
gleichzeitig veranlasst, die neue Methode auf Grund eines miss¬
glückten Vorversuches für unbrauchbar zu erklären. An
und für sich ist das Unternehmen, eine Neuerung auf Grund
eines Vorversuches sowie nach theoretischen Erwägungen,
die der tatsächlichen Begründung entbehren, abzulehnen und
auf diese Weise Nachprüfungen von anderer Seite förmlich zu
inhibieren, nicht Gepflogenheit eines gerechten Kritikers und
ich muss meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, dass
der Referent unter solchen Umständen die Verantwortung für
seine verurteilende Kritik übernommen hat. Wenn zwar die
Methode dem Geübten als „einfach zu handhaben“ erscheinen
wird, so müssen doch eine Anzahl sorgfältiger und exakter
Manipulationen zu einem geschlossenen Ganzen zusammen¬
treten, um einen Erfolg zu erzielen und es wäre darum doch
besser gewesen, ich hätte in meiner Arbeit' die besondere
Aufmerksamkeit etwas mehr auf die einzelnen technischen
Schwierigkeiten gelenkt. Denn auch bei Ausführung dieser
Methode soll in bezug auf Exaktheit und Gewissen¬
haftigkeit das gleiche geleistet werden, wie in
den anderen Zweigen unserer feinen Präzisions¬
arbeiten. Die vom Referenten erhobenen Bedenken dürfen
bei sachgemässer Ausübung der Methode nach meinen
jetzt anderthalbjährigen Erfahrungen für dieselbe bedeutungslos
sein. Es sei mir daher gestattet, auf die technischen Einzel¬
heiten des Verfahrens hier etwas näher einzugehen.
1 Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1906, pag. 461—484.
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422
Dr. Gaido Fischer, Greifswald.
Der Kernpunkt desselben gipfelt darin, „einen be¬
stimmten Bezirk auf der Füllungsrückseite, und
zwar zentral auf dem Bo den derselben an zur auh en,
während der Füllungsrand mindestens bis zur
halben Tiefe der Kavität genau anschliessenmuss.
Hier soll die Porzellanmasse unmittelbar auf der
Folie angeschmolzen werden. In dem zentralen
rauhen Bezirk wirkt die dickere Zementschicht
polsterartig als Unterlage und als kräftiges Re¬
tentionsmittel, am fcG“>de dagegen füllt sie nur
den Zwischenraum d*eF' von der Einlage abge¬
lösten Folie aus. Das Zementpolster, welches am
getrockneten, gesunden Dentin gleich einer
Zementfüllung fest zu haften vermag, nimmt
dann die Porzellanfüllung mit ihren Kanälen,
Ausbuchtungen und Stiften in sich auf“. 1
Nachdem man die zur Porzellanfüllung bestimmte Höhle
kunstgerecht vorbereitet hat, wird ein genügend grosses
Plättchen Herbstscher Platingoldfolie Nr. 30 über die Kavität
gelegt und vom cervicalen Rand aus mit einem weichen
Stückchen Feuerschwamm vorsichtig in dieselbe gepresst. Ist
diese schliesslich durch stückweises Nachstopfen vom Schwamm-
pelets mit denselben angefüllt so drückt man die aus der Zahn¬
höhle hervorragende Folie wiederum mit Hilfe eines Stückchens
Schwamm ringsum scharf über den Schmelzrand hinweg an
diesen an. Darauf entfernt man vorsichtig, am besten
einzeln, die eingelegten Schwammstückchen und kontrolliert
zunächst, ob die Folie auch allseitig den Rand scharf überdeckt.
Des weiteren wird eine weiche Kugel aus unvulkanisiertem Kaut¬
schuk (roter Pariser Kautschuck), die etwas grösser als die
Höhlung sein muss, langsam und mit grossem Druck in die
Folienkavität eingepresst, bis die gummiartige Kautschukmasse
sich hart über den Rand umgelegt hat. Auch diese Abdruck¬
form wird wieder vorsichtig entfernt und schliesslich eine etwas
erwärmte Kugel rosa Modellierwachs in die Folie so lange
* Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1906, pag. 461—484.
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Die Retention gebrannter Porzellanftlllungen.
423
gedrückt, bis auch das Wachs ringsum am Rande überquillt.
Nach völligem Erhärten dieser Einlage kann man durch Ein¬
stich in das Wachs den Abdruck aus der Zahnhöhle entfernen,
ohne befürchten zu müssen, dass irgend eine Verzerrung der
Folie beim Herausnehmen eintritt. Diese wird nun in einem
Gemisch von Gips*/» und Kieselgur (feinstes geschlämmtes
Pulver') '/, Volumprozent eingebettet, indem man die Pulver-
mischung mit Wasser zu einem sahneartigen Brei verrührt.
Das Pulvergemisch muss aber (wie sich nachträglich heraus-
gesteHt bat), um Verfärbungen 1 Porzellaneinlagen durch
organische Bestandteile sowie diä^; Verunreinigungen im Pulver
zu vermeiden, vor dem Gebrauch im Tontiegel intensiv durch¬
geglüht werden. Nach völliger Erhärtung der Einbettungsmasse
(je nach Grösse des Gipsblockes 15 — 45 Minuten) geht man
daran, auf dem Boden der Folienkavität einen Gipskieselgur¬
kern zur sicheren Retentionsfähigkeit der Porzellaneinlage an¬
zubringen und verwendet hiezu das gleiche geglühte Gips¬
kieselgurgemisch wie oben.
Auf den Boden der Höhle bringt man mit einem feinen
Pinsel soviel von dem sahneartig mit Aqua dest. angerührten
Kieselgurgemisches, dass der innere Folienrand ringsum in einer
Breite von zirka 1 Mm. unberührt erhalten bleibt (Fig. 1, 2, 3).
Dass der Kieselgurkern auch nach oben hin nur eine geringe
Ausdehnung annehmen darf, sei beiläufig erwähnt. D i e s e E i n-
lage im Innern der Folie kann nunmehr jeder be¬
liebigen Modellierung unterworfen werden, am
besten indem man mit einer Sonde Einstiche und Kanäle auf
ihr ausführt, in welche die später darüber aufzutragende
Porzellanmasse sich einlagern soll. Am zweckmässigsten erreiche
ich diese Ausgestaltung des Kernes auf folgende Weise: Vom
Bande ausgehend führt man radiär zum Zentrum
gerichtete kurze Blindkanäle ringsum in den nahe
vor dem Erhärten befindlichen Kern, dessen Ober¬
fläche ausserdem noch durch Einstiche in den ver-
’ Nur allein erhältlich bei: Vereinigte deutsche Kieselgurwerke
Hannover, 1 Prinzenstrasse la.
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424
Dr. Guido Fischer, Greifswald.
schiedensten Richtungen siebartig durchlöchert
wird (Fig. 1 Durchschnitt, Fig. 2 Aufsicht).
Hat man grössere Kavitäten, wie in Fig. 3 beziehungs¬
weise Fig. 4, so ist es durchaus zweckmässig, in die Kieselgur¬
einlage ausserdem noch einen feinen Platinstift zu ver¬
senken, und zwar solange die Mischung noch die
Konsistenz dicker Sahne besitzt. Man rührt die
Mischung am besten in dieser Form an und bringt sofort
nach Applikation des Gipskernes den Stift in demselben an Ort
und Stelle. Ich benütze Platinstiftchen von 0*4 Mm. Stärke,
die in drei Grössen 1*5, 2 Mm. mit einer kleinen Kuppe,
2*5 Mm. mit Kuppen an beiden Enden zu verwenden sind.
Die Stiftachse ist ausserdem durch Zusammendrücken gezackter
Flachzangenbranchen angerauht. Die Stiftchen kann man sich
sehr leicht selbst herstell en.
Dieses Stiftchen oder bei ausgedehnten Defekten deren
mehrere werden nun in der Folie so aufgestellt, dass sie zur
Hälfte in der Einlage verankert sind, zur Hälfte frei in die
Kavität hineinragen (Fig. 3). Den so vorbereiteten Gipskiesel¬
gurkern muss man nunmehr bei Zimmertemperatur
gründlich trocknen lassen (zirka 1 Stunde), bevor die erste
Schicht der Porzellanmischung aufgetragen wird. Diese mische
ich jetzt mit reichlich Alcohol absolutus (98'/* Prozent)
und trage eine äusserst dünne Mischung davon zur
Formierung oder richtiger zur Einlagerung der ersten
Brennschicht wiederholt auf, und zwar bei kleinen
Kavitäten Ober die ganze Höhle gleichmässig verteilt, bei
mittleren und grösseren dagegen zunächst immer erst
ringsum am Rande auf der Folie. Bei kleinen Kavitäten nimmt
diese erste zum Brennen fertige Schicht etwa drei Viertel des
gesamten Höhlenraumes ein, bei grösseren dagegen erscheint nur
die Folie ringsum dicht besät, während die Ober fläche des
Kieselgurkernes unberührt geblieben sein muss. Von
der Peripherie aus wird derselbe von der Pulverschicht
wie mit einem Wall umgeben und nur die kleinen Radiär¬
kanäle (Fig. 2), die wie Gräben in eine Mauer vorgeschoben
sind, werden von der Porzellanmasse ausgefüllt Auch diese
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Die Retention gebrannter PorzellaufiUluugen.
425
erste Schicht muss ganz gründlich ausgetrocknet
sein, ehe man den Brennakt selbst beginnen kann.
Hierbei nun kommt es besonders auf peinliche Sorgfalt und
Genauigkeit an, da eine zu schnelle Hitzewirkung bei
Beginn des Brennprozesses Veranlassung zur Blasen¬
bildung der Porzellanmasse gibt, die noch durch Anwesenheit
von ungenügend getrockneter Gipsmasse erhöht werden
kann. Indes lässt sich dieser schädigende Einfluss verhüten,
wenn man den Brennakt mit einer ganz langsamen Er¬
wärmung beginnt und ganz allmählich die Glut mit
Hilfe einer feinen Stichflamme bis zum Scbmelzeffekt des
Porzellanpulvers steigert. Diese ganz allmählich verstärkte Hitze¬
intensität kann man nach meinen Erfahrungen in ganz hervor¬
ragender Weise durch den Jenkinsschen Gasofen erreichen,
während der elektrische Brennapparat trotz Regulierung der
Stromstärke durch einen Rheostaten sich nicht so zuver¬
lässig zu erweisen pflegt. Es empfiehlt sich, wie schon gesagt,
die e r s t e n Schmelzschichten nur mit Hilfe der feinenStich-
flamme herzustellen, während man bei den 1 etzten Brenn¬
serien diegrosseBrauseflammein Anwendung zu bringen
hat, die besonders bei Aufbau von Konturen notwendig
ist, um möglichst schnell den höchsten Grad der
Schmelzhitze zu erreichen.
Die gebrannte Porzellanschicht hat sich nach dem ersten
Schmelzakt gewöhnlich vom Rande nach der Mitte der Kavität
zusammengezogen, so dass bei kleinen Kavitäten der Gipskern
gleichmässig überdeckt wird, während die Goldfolie am Rande
wieder völlig entblösst erscheint. Auch bei grösseren Kavitäten
macht sich dieses Bestreben des geschmolzenen Porzellans, sich
kugelig abzurunden, insoferne bemerkbar, als die erste Schmelz-
raauer zwischen Folienrand und Gipskern eingelagert ist. Wir
müssen also auch noch bei der zweiten Brennschicht die
dünnste Pulvermischung auftragen, eventuell auch noch nach
dem dritten Brennen so lange, bis die Schmelzmasse
überall derGoldfolie anliegt. Erst dann kann die
Verwendung eines dickenPorzellanbreies erfolgen
und die Füllung beendet werden.
6
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426
Dr. Guido Fischer, Greifswald.
Ist der Abdruck nach dem ersten Schmelzprozess völlig
abgekühlt, so trägt man die zweite Schicht des Porzellan¬
pulvers auf, und zwar wieder in der gleichen, sehr dünnen
Konsistenz wie beim erstenmal. Denn, „um der Porzellan¬
rückseite die erwünschte Beschaffenheit zu sichern, müssen
wir in Anbetracht der vorliegenden zierlichen Ver¬
hältnisse mit grösster Exaktheit die (über demGips-
kem) erste Schicht des Porzellanpulvers aufbauen.
Eine besonders dünne Mischung (desPulvers in Ale. absol.)
ist deshalb unumgänglich nötig, weil der an und für
sich poröse Gipskern, an dessen Oberfläche eine Anzahl sieb¬
artig angelegter Kanäle zur Aufnahme von Porzellanmasse
vorhanden sind, infolge seiner hygroskopischen Eigenschaft
den Alkohol der Mischung als Flüssigkeit rapid aufsaugt,
während dieser ausserdem noch einer schnellen Verdunstung
unterliegt. Die im Alkohol suspendierten Porzeilan-
körnchen sind aber darauf angewiesen, durch die
Flüssigkeitsbewegung in die Tiefe zu gelangen.
Von dort aus. basal also, muss die sedimentäre Tätig¬
keit der Alkoholflüssigkeit gleichmässig fort¬
schreiten, was nur dann möglich ist, wenn die Mischung
stets genügend alkoholische Flüssigkeit enthält,
um einen durch dauernde Verdunstung entstehenden Mangel
derselben zu verhüten.“
Wird auf diese Erscheinungen keine Rücksicht genommen
oder erfolgt der Schmelzprozess von Beginn an zu rasch,
dann muss die Folge davon Blasenbildung und Poro¬
sität der Porzellaneinlage sein. Ich bin daher genötigt, den
Misserfolg Freys der Nichtbeachtung eines der zahlreichen
Faktoren zur Erzielung eines vollen Erfolges zuzuschreiben.
Was das Abheben der gebrannten Porzellanmasse von
der Gipsunterlage anlangt, so muss hierzu bemerkt werden,
dass dieser Uebelstand nur auf u ngenügende Austrock¬
nung des Gipskernes oder auf zu schnelle Glut¬
entwicklung zurückzuführen ist und vermieden wird, wenn
das Verfahren genau in der geschilderten Weise unter Be¬
obachtung sämtlicher Finessen verläuft. Bei einiger
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Die Retention gebrannter Porzellanfüllungen.
427
Uebung wird dann die Methode mit ihren technischen Fein¬
heiten leicht ausgeführt, zumal wenn man aus einem Miss¬
erfolg ihre Schwierigkeiten überwinden gelernt hat. Die
fertige Porzellaneinlage wird auf ihrer Rückseite das negative
Bild der Präparation des Folienkernes aufweisen, indem die
divergent geführten Einstiche und die Radiärkanäle sich markant
als zierliche, nach verschiedenen Richtungen sich erstreckende
Emporwölbungen charakterisieren. Bei genauer Lupenbetrach¬
tung kann man dementsprechend zahlreiche unter sich gehende
und die Retention vermittelnde Hohlräume entdecken. Die
Oberfläche der Porzellanmasse selbst ist warzenartig und wellig
gestaltet und gewinnt dadurch den Habitus einer rauhen Fläche,
wenn auch nicht geleugnet werden soll, dass in ihrer feinsten
Ausdehnung die Wandungen doch eine gewisse Glätte, die
allen glasartigen Schmelzmasseneigenist, besitzen. Diese
ist aber für unsere Zwecke keineswegs von Bedeutung, sondern
die Retention soll einzig und allein durch das unter
sich gehende komplizierte Röhren- und Hohl¬
raumsystem auf der Füllungsrückseite bewirkt
werden, und das können wir mit Hilfe meiner Methode zweifel¬
los erreichen. Das habe ich auch nur versprochen, wenn ich
in meiner Arbeit, pag. 476, sagte: „Die Porzellanrück¬
seite zeigt jetzt die gewünschten Hervorragungen
und Vertiefungen, welche den anfänglich im Gips¬
kern modellierten Einkerbungen und Erhaben¬
heiten entsprechen. AmRande dagegenweist die
Porzellaneinlage überall eine scharfe undglatte
Konturierung auf, weil sie ja unmittelbar auf
der glatten Goldfolie aufgeschmolzen wurde.“
Es kommt nicht so sehr darauf an, ob die Rückfläche
mehr oder weniger matt gerauht ist, sondern wie die Ka¬
näle geformt sind, um dem Zement möglichst viele
wirksame Haft- und Verankerungspunkte zu
schaffen. Darin stimmt auch De Terra 1 mit mir über-
1 De Terra: Die Verwendung der Moldine bei Porzellaneinlagen.
Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk., 1906, pag. 690.
6 *
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428
Dr. Guido Fischer, Greifswald.
ein. „Nach längerem Verweilen in Wasser kann die Füllung
mit leichter Mühe aus dem Folienn aniel herausgeschält
werden. Der darin formierte Gipskern ist durch die erlittene
Hitzewirkung morsch und sandig geworden und lässt sich
mit einer feinen Bürste und einem kräftigen Wasserstrahl bis
auf das letzte Stäubchen entfernen.
DieLäsion derFolie innerhalb desAbdruckes
wurde übrigens bisher beim Aufträgen von Porzellanmasse im
allgemeinen wenig od-r gar nicht in Berücksichtigung gezogen,
als man oben in solchen Fällen die Pulvermischung keines¬
wegs besonders verdünnte, in der Absicht, die Porzellan¬
körnchen der rauhen Obei fläche des Gipses unmittelbar
auflagern zu lassen, sondern man verfuhr ebenso, als ob man
eine geschlossene Goldunterlage vor sich hatte und berück¬
sichtigte nicht die energische Beteiligung der po¬
rösen Gipsmasse bei der Flüssigkeitsentziehung
aus dem alkoholischen Porzellanpulverbrei. Bevor
derselbe überhaupt die Gipsoberfläche gleichmässig zu be¬
decken vermag, hat er eben durch den Flüssigkeitsverlust, von
der ersten Berührung mit dem Gipsgemisch ab, an Beweglich¬
keit eingebüsst und verfestigt sich bereits mehr oder weniger
weit über der tiefsten Gipsschicht, dazwischen lufthaltige Räume
bildend. Dieser Zustand kann beim Schmelzprozess noch oben¬
drein durch das Bestreben der Porzellanmasse, sich beim
Schmelzfluss kugelig zusammen zu ballen, erhöht
werden und begünstigt somit eine ausgedehnte Blasenbildung.
Deshalb habe ich auch in meiner Arbeit auf die Fälle be¬
sonders hingewiesen, in denen die Folie im Bereiche des
Kavitäteninnern lädiert ist, und dadurch eine Kommunikation
mit dem Gipsblock unter der Folie besteht. „Bringen wir eine
Gipsmischung zur Formierung des Gipskernes in eine solche
Kavität, so würde der hygroskopischen Wirkung des erhärteten
porösen Einbettungsgemisches unter der Folie zufolge der weiche
Gipsbrei ungemein rasch, fast momentan erhärten
und besonders die eventuelle Verankerung eines Stiftes ver¬
eiteln. Ich lasse in solchen Fällen Wasser in den unter der
Folie erhärt« ten Gipsblock bis zur Sättigung eindringen, worauf
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Die Retention gebrannter Porzellanfüllungen.
429
die Präparation der Folienkavität in der beschriebenen Weise
ohne Störung ausgeführt werden kann.“
Dass die von mir angeregte Idee, in der Porzellanrück¬
seite eine wirksame Retentionsschicht anzubringen, auch schon
von anderer Seite aus unabhängig von mir in die Praxis
Aufnahme gefunden hat, beweist vielmehr, dass durch die
Methode doch eine Verbesserung erzielt werden kann. So er¬
gibt sich aus der Arbeit De Terras, dass sich auch bei
ihm dieses Prinzip meines Verfahrens schon seit Jahren
bestens bewährt hat.
„Mein System unterscheidet sich“, sagt De Terra in
seiner Arbeit, „im Grunde genommen von dem Fischers
nur durch das zur Unterlage dienende Material, wozu ich
nämlich Mold ine verwende. Es genügt eben nicht
nur, dass eine grosse Fläche rauh sei, sondern
zwischen Füllungsrück fläche und Kavität muss
ein Hohlraum zur Aufnahme des Zementes exi¬
stieren. Darin wird jeder erfahrene Porzellan¬
füller Fischer beistimmen und seine darauf
basierende Methode als willkommene Verbesserung
begrüsssen.
Man nimmt eine kleine Portion Moldine, die schon
einige Tage der Zimmerluft ausgesetzt war, und trocknet sie,
indem man sie zwischen Seidenpapier hin- und herrollt, bis
das Papier nicht mehr fettig wird. Dann formt man sie in der
jeweilen passenden Form und legt sie mit sanftem Druck auf
den Boden der Abdruckfolie, die bereits abgekühlt sein muss.
Alsdann wird die erste Lage Porzellanbrei aufgetragen, der
sehr flüssig sein soll (ich verwende Alkohol) und wobei
man darauf zu achten hat, dass der auftragende Pinsel den
Ton nicht berührt, da dieser eventuell an ihm hängen bliebe.
Man lässt den flüssigen Brei erst um die Moldine herum-
fliessen und füllt so die Rinne zwischen ihr und dem Rand
des Abdruckes, dann überschwemmt man die Moldine und
trägt etwas dickere Masse auf. Jetzt folgt der schwierigste Teil
der Arbeit, die, wenn man nicht mit Geduld und Vor¬
sicht ans Werk geht, misslingen kann.
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480
Dr. Gnido Fischer, Greifswald.
Das Erwärmen der Muffel muss langsam ge¬
schehen. Ich benütze den Christensenschen Ofen und
hüte mich, die Muffel gleich in den Ofen bei brausender
Gasflamme zu bringen; in diesem Falle würde nämlich die
noch Testierende Feuchtigkeit in der Moldine zur Blasenbildung
führen und die Porzellanmasse abgeworfen werden. Das wäre
an und für sich kein Unglück, aber dieselbe Moldine eignet
sich dann nicht mehr zur Unterlage, da sie krümelig geworden
ist. Ich lasse daher erst den Alkohol verbrennen und schiebe
allmählich die Muffel in den Ofen und brenne die erste
Lage bei offener Ofentüre. Das geschmolzene Porzellan bildet
nun über der Moldine ein Deckelchen und das weitere Brennen
kann ungestört vor sich gehen. Man hat also darauf zu achten,
dass die Moldine trocken, die Folie abgekühlt sei und
die Erhitzung allmählich geschehe. Ferner darf man
auch nicht zuviel von dem Ton unterlegen. Wenn man diese
Punkte beachtet und auch sonst rationell arbeitet, wird man
nur Erfolge haben. Die Moldine kann aus der gebrannten
Füllung mit einem spitzen Exkavator entfernt werden und es
entstehen dadurch in der Porzellanmasse Höhlen mit Unter¬
schnitten, entsprechend der Bearbeitung der Moldine.
Bei einer seichten Füllung hat man sich darauf zu
beschränken, ihre Rückfläche rauh zu gestalten, was man
folgen dermassen erreicht: Man dreht eine Anzahl winzig kleiner
Moldinekügelchen und bringt soviel als möglich davon auf den
Boden der Folie; soviel, dass immerhin nur noch ein genügend
breiter Rand des Abdruckes frei bleibt. Hier muss das Auf¬
trägen des Porzellanbreies besonders vorsichtig ausgeführt
werden, damit die Kügelchen am Platze liegen bleiben. Nach
dem Brennen weist die Rückfläche der Füllung an den Stellen,
wo die Kügelchen eingebettet sind, braune Flecken auf, die
man mit einem Exkavator aufzukratzen hat, um so kleine
Näpfchen frei zu legen. Nun sprengt man auch die zwischen
den Löchern liegenden Porzellanbrücken ab, wodurch man
ein Gewirr von Kanälchen erhält.“
Soweit die Darlegungen De Terras, die in allen
Punkten bis ins genaueste das Prinzip der von
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Die Ketention gebrannter Porzellanfüllungen.
431
mir oben geschilderten Methode erkennen lassen
und selbst bei Angabe technischer Feinheiten
eine auffällige Uebereinstimmung mit den von
mir gestellten Postulaten erkennen lassen. Ich
habe die De Terrasche Methode nachgeprüft und kann die
vom Verfasser angegebenen Erfolge bestätigen, muss aber
trotzdem konstatieren, dass die Verwendung von Moldine eine
nicht geringere Sorgfalt undExaktheit der Arbeit
erheischt als mein Gipskieselgurverfahren. Ich glaube sogar,
dass die Verankerungsfläche bei der variablen Gipskernfläche
dem jeweiligen Fall entsprechend geeigneter vorgenommen
werden kann als bei Moldine.
Zum Schluss verweise ich noch auf Nr. 38 1 der „Deutschen
Zahnärztlichen Wochenschrift“, 1906, sowie Nr. 11 und 12
der „Odontologischen Blätter“, 1906/07, wo meine oben
geschilderte Retentionsmethode sich einer günstigeren Kritik
erfreuen durfte, als in vorliegender Zeitschrift von seiten des
Herrn Kollegen Frey. Auch Herr Kollege Mamlok (Berlin),
der gewiss eine reiche Erfahrung auf dem Gebiet der Porzellan¬
füllung aufzuweisen hat, hat kürzlich in Hamburg (Zentral¬
verein deutscher Zahnärzte) an der Methode eine günstige
Kritik geübt.
Durch diese meine Darlegungen glaube ich die Bedenken,
welche gegen das Verfahren geltend gemacht wurden, zer¬
streut zu haben und darf hoffen, dass dasselbe trotz
einer abfälligen Kritik die bisher fraglos recht
unsichere Haftkonstruktion bei gebrannten Por¬
zellaneinlagen zu verbessern geeignet ist!
* *
*
1 Zahnärztlicher Verein für Niedersachsen. Diskussion nach dem Vortrag
Dr. Guido Fischer: Eine neue Verankerungsmethode für gebrannte Porzellan-
füllungen.
*0. K referiert über Dr. Guido Fischer: Eine neue Verankerungs¬
methode für gebrannte Porzellanfüllungen, pag. 169—171.
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Oe Fischer: Porzellanfiillungeii. Heft ID 1907
Goldfolie -
Einbcttungs-
Gips Kieselgurb/ock
aeitt. Ttadiäreinschmä.
Haoitäle/irand Radiärkanäle. Einbettungsblock
Einstiche auf « \
dem Kern. /! Goldfolie
Tbrzellanfüllung
4
_ . Cementpolster
di oergierende Einstiche
Gipskieselgurkera •
ffatin dtoerg.
jUftrhm -Einsticht
Goldfolie.
- finbettungsblocl: \
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Dr. V. Frey, Wien. Erwiderung auf Dr. Fischers Artikel: Die Retention etc. 433
Tafelerklärung.
Fig. 1. Durchschnittsbild des in der Folie modellierten Gipskieselgur¬
kernes (kleine Kavität).
Fig. 2. Aufsiohtsbild desselben.
Fig. 3. Durchschnittsbild des für eine grössere Konturfüllung vor¬
bereiteten Gipskieselgurkernes mit Stiftchen.
Fig. 4. Die Konturfüllung in der Zahnhöhle einzementiert.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Emtemii anf Dr. Guido Fischern Artel: Die Beteitioo
gebrauter FoizellaDliligei . 1
Von Dr. Viktor Frey , Zahnarzt in Wien.
Um das Verhalten der Jenkinsmasse zum Gipskieselgur¬
gemisch deutlicher beurteilen zu können, habe ich folgende
Versuchsreihe neuerdings angestellt. Das Ergebnis dieser Ver¬
suche war mir schon zur Zeit, als ich das Referat schrieb, be¬
kannt und darauf beziehen sich die von mir angeführten
„theoretischen Erwägungen“.
Man bringt die Einbettungsmasse in drei Einbettungs¬
schälchen, glättet die Oberfläche und lässt das Gemisch
trocknen.
Schälchen Nr. 1 bleibt einstweilen unberührt; bei Nr. 2
wird, wenn der Gipskieselgurbrei im Erhärten begriffen ist, mit
einem eingefetteten Instrument (Wurzelkanalstopfer oder Spatel)
eine Sternfigur eingeritzt; bei Nr. 3 wird der Kopf eines ein¬
gefetteten Kugelstopfers in die Masse eingedrückt, so dass ein
halbkugelförmiger Hohlraum entsteht. Die Instrumente wurden
eingefettet, um glatte Wände zu erzielen. Ist dann die Masse
vollkommen erhärtet, wird Jenkinsmasse dünn angerührt und
i Vgl. die dazu gehörigen Artikel in der „Deutschen Monatsschrift
für Zabnheilkunde“, September 1906, pag. 461—484, und in der „Oesterr.-
ungar. Vierteljahrsschriffc für Zabnheilkunde“, Jänner 1907, pag. 120—122.
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484 Dr. V. Frey, Wien. Erwiderung auf Dr. Fischers Artikel: Die Retention etc.
direkt auf das Gemisch aufgetragen und nach Verflüchtigung
des Alkohols gebrannt. (Elektrischer Ofen. Ueberhitzen der
Masse wurde selbstverständlich vermieden.)
Die Basalflächen (das sind die dem Gipskieselgurgemisch
zugewendeten Flächen) des Porzellanscherbchens sind im Ver¬
gleich zur hochglänzenden Oberfläche von etwas matterem Aus¬
sehen (etwa samtartig), aber immerhin nicht glanzlos; sie
sind der Form nach im ersten Falle so ziemlich eben; im
zweiten tritt die Sternfigur hervor, deren Leisten aber nicht
so hoch sind, als die in das Gemisch eingegrabenen Rinnen
tief waren. Die Leisten sind teilweise unterbrochen und zeigen
unter der Lupe glänzende Höckerchen. Nr. 3 liefert kein voll¬
ständig halbkugeliges, sondern ein annähernd ähnliches Ge¬
bilde, das, mit der Lupe betrachtet, mit einzelnen glänzenden
Höckern versehen ist. Diese Versuche habe ich zu wiederholten
Malen angestellt und stets dieselben Resultate erzielt. Ferner
habe ich eine ganze Serie von Porzellanfullungen nach
Dr. Fischers Methode hergestellt (Phantomarbeit) und stets
das nämliche Resultat, wie ich es in meinem Referat („Oesterr.-
ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde“, XXIII. Jahrg.,
I. Heft, pag. 120—122) mitgeteilt habe, erzielt. Ich habe damals
geschrieben: „Daher ist auch ein genaues Negativ des
modellierten Gipskieselgurkernes nicht zu erwarten“ — denn
gerade das genaueNegativ ist für meinen Standpunkt das
punctum saliens — und füge nun auf Grund meiner zahl¬
reichen Versuche hinzu, ein genaues Negativ erhielt
ich auch.in keinem Falle.
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Dr. Arp&d R. v. Dobrzyniecki, Wieu. Stomatika.
435
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
*
Stoiatita.
Von Dr. Ärpdd Ritter v. Dobrzyniecki, k. u. k. Regimentsarzt
in Wien.
Die vielen Organe der Mundhöhle sind sowohl einer
natürlichen Abnützung, als auch ständigen, äusserlich ein¬
wirkenden Schädigungen ausgesetzt. Diesen entgegenzukommen,
ist die Aufgabe der Mundhygiene. Zahllos sind die Präparate,
welche, diesem Zwecke dienend, im öffentlichen Handel er¬
hältlich sind, deren Zusammensetzung jedoch gewöhnlich gerade
so unbekannt ist wie die Namen der Erzeuger, die diese kom¬
poniert haben. Die Zusammenstellung solcher Präparate gehört
in das Kapitel der ärztlichen Rezepturwissenschaft, somit auch
zur Stomatologie.
„Stomatika* werden richtig zusammengestellt sein,
wenn als Grundlage genommen wird: erstens die Kenntnis des
gesunden und kranken Mundes, dann die entsprechende Aus¬
wahl von Arzneikörpern, welche zu diesem Zwecke angewendet
werden sollen. Diese Arzneikörper bilden in ihrer Gesamtheit
die Gruppe der „Stomatika*, gerade so wie in der Medizin
Gruppen von Arzneikörpem vorhanden sind, wie: Stomachika,
Kardiaka etc. Durch die Bezeichnung „Stomatikum“ wird
der unrichtige Gebrauch eines „Totum pro parte“ vermieden.
Die Erkenntnis der Wichtigkeit der Mundpflege hat es
mit sich gebracht, dass heutzutage die meisten Menschen recht¬
zeitig dafür sorgen, um schädliche Einwirkungen von den Mund¬
organen fernzuhalten; man findet daher in jedem Hause irgend
ein „Mundwasser“, das man sich nach eigenem Gutdünken
im Handel verschafft hat. Der günstige Einfluss der Prophylaxis
ist aus der Tatsache wahrnehmbar, dass selbst in den minderen
Volksschichten schwerere Zahnerkrankungen, wie solche mit
Phlegmone, Abszessen, fieberhaften Drüsenkomplikationen früher
sehr häufig in Behandlung kamen, derzeit in geringerer Zahl
Vorkommen. Man kann dies beobachten in Ambulatorien,
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436
Dr. Arp&d R. y. Dobrzyniecki, Wien.
Spifälern, dann bei den Soldaten. Bei letzteren ist der Einfluss
der Reinlichkeit auffallend, da bei solchen Abteilungen, wo den
Leuten das Reinigen mittels Börste und Seife empfohlen wird,
die oben erwähnten Zahnkrankheiten seltener auftreten.
Stomatika richtig zusammenzustellen, bedingt die Be¬
rücksichtigung folgender Faktoren:
1. Gewebe, Organe;
2. Art der Infektion, Verunreinigung der¬
selben;
3. Wirkungsweise der als Stomatika dienenden
Arzneikörper.
Ad 1. Die Gewebe und Organe sind: Gingiva, Schleimhaut
der ganzen Mundhöhle, Zahnbein, Tonsillen, Glandulae mucosae,
Zunge, Glandula submaxillaris, Glandula sublingualis, Parotis.
Ad 2 . Die Art der Infektion, Verunreinigung kommt vom
klinischen Standpunkte in Betracht und ist gerade so wie
Ad 3 . Die Wirkungsweise der Arzneikörper, deren Kenntnis
aus der Pharmakodynamie bekannt ist — einer weiteren Er¬
örterung entzogen.
Bei den Arzneikörpern kommen vom praktischen Stand¬
punkte folgen«!e Gruppen in Betracht: resorbierbare, nicht
resorbierbare, antiseptische, adstringierende,
sekretionsbefördernde, desodorierende, schmerz¬
lindernde.
Man kann beobachten, dass es Personen gibt, die sich
fast nie den Mund reinigen und dennoch einen sehr reinen
Mund haben, bei diesen ist die Schleimhaut von normaler,
elastischer Konsistenz, rosafärbig; bei anderen hingegen finden
wir, dass die Mundschleimhaut von Haus aus erschlafft und
gelockert ist, zahllose Falten besitzt, in denen die Speisereste
versteckt sind. Ist hiezu noch eine starke Desquamation der
Mundepithelien vorhanden, so sind die Bedingungen zu einem
Foetor ex ore geschaffen. Jugendliche Individuen haben ge¬
wöhnlich einen reineren Mund als erwachsene Personen.
Es ist zu beobachten, dass bei Kindern der Mund nach
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Stumatika.
437
einer Mahlzeit in kurzer Zeit ohne Gebrauch eines Mund¬
wassers rein wird, die Speisereste verschwinden, bei Er¬
wachsenen hingegen bleiben die Speisereste noch stunden¬
lang in den Schleimhautfalten und Zahnzwischenräumen zurück.
Diese konträren Umstände beruhen auf physiologischer Grund¬
lage. Wir haben bereits oben unter den Mundgeweben und
Organen die vielen Drüsen erwähnt, welche alle insgesamt
eine grosse Menge Sekretionsflüssigkeit, den Speichel, erzeugen.
Nun werden gerade diese vielen Drüsen sowohl durch den
Geschmacksreiz der Nahrungsmittel, als auch durch die Muskel¬
bewegung beim Kauakte zu einer starken Sekretion gezwungen.
Die in Strömung kommenden Speichelmassen schwemmen die
zurückgebliebenen Speisereste alsbald hinweg; bei jugendlichen
Personen ist die Speichelsekrelion eine bedeutend grössere,
man könnte fast sagen überschüssige, daher die Chancen der
Wegschwemmung von Speiseresten von Natur aus viel
günstigere sind, als bei Erwachsenen, bei welchen der Speichel¬
fluss bedeutend geringer und viel kürzer nachwirkend ist, so dass
nach Beendigung der Mahlzeit, richtiger gesagt mit dem Ver¬
schlucken des letzten Bissens, auch die Speichelsekretion auf¬
hört und die zurückbleibenden Speisereste leichter an den
trockenen Mundorganen haften bleiben und zur Wegspülung
infolge des Mangels an Speichel einer Nachhilfe durch Auf¬
nahme externer Flüssigkeit bedürfen. Beobachtet man den
Mund nach einer Mahlzeit, so sieht man, dass nach dem
üblichen Reinigen des Mundes mit Zahnstocher und Mund¬
wasser am Zahnfleischrand und Zahnhals herum ein faden¬
förmiger weisser Speisebrei zurückbleibt. Besonders sind es
alleinstehende Zähne, die einen derartigen Belag aufweisen.
Diese Speisereste können am besten entfernt werden, wenn
man den Zahn mit einem weichen, auch nassen Tuch abwischt.
Aber nicht nur die Speisen allein verunreinigen den
Mund. Infolge des normalen physiologischen Stoffwechsels der
Mundhöhle allein entsteht eine Verunreinigung des Mundes.
Der eintrocknende Speichel, die sich ablösenden Mundepithelien
haften besonders bei einem speichelärmeren Munde an den
Geweben und geraten in sehr kurzer Zeit in Zersetzung. Es
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438
Dr. Arpäd R. v. Dobrzyareeki, Wien.
ist auch zu beobachten, dass Personen, die infolge sehlechter
Gewohnheit oder Nasenfehler den Mund offen halten, einen
unangenehmen Mundgeruch haben, auch nur deshalb, weil
die normalen Stoffwechselprodukte durch den Speichel, welcher
bei solchen Personen spärlicher ist, nicht weggeschwemmt
werden. Aus dem ganzen physiologischen Prozess ist ersichtlich,
dass das Reinigen des Mundes nach der Mahlzeit allein den
hygienischen Bedürfnissen nicht entspricht, sondern es not¬
wendig ist, die normalen Stoflfwechselprodukte während der
übrigen Zeit stets nach Massgabe der individuellen Mund-
beschaflfenheit zu entfernen. Es wird daher notwendig sein,
den Mund ausser der mechanischen Reinigung während des
Tages wiederholt auszuspülen.
Sind schon bei normalem, gesunden Zustande derartige
Bedürfnisse zur wiederholten Benützung von Stomaticis vor¬
handen, so werden sie es um so mehr sein, bei weniger ge¬
pflegten oder krankhaften Mundverhältnissen.
Eine verbreitete Verwendung der Stomatika sehen wir
bei Behandlung entzündlicher infektiöser Prozesse der Weich¬
teile der Mundhöhle. Es sind hier zu erwähnen die Stomatitis
simplex, Stomatitis catarrhalis, Pharyngitis, Tonsillitis, ferner
die Entzündungen der grossen Speicheldrüsen.
Die Parotitis ist eine Krankheit, die besonders bei
andauernden kalten Winden auftritt. Dieselbe hat zwei Haupt¬
formen; die schwerere ist als Mumps bekannt und dürfte
hauptsächlich infolge von Infektion entstehen; ihre Behandlung
gehört zur internen oder auch chirurgischen Medizin; die
leichtere, welche wahrscheinlich auf die nachteilige Einwirkung
der Kälte zurückzuführen ist, gibt oft Anlass zu einer stomato¬
logischen Behandlung. Diese ist mitunter mit einer
Periodontitis acuta diffusa zu verwechsein. Es be¬
stehen Schmerzen in der betreffenden Gesichtshälfte, ebenso
ist der Oberkiefer schmerzhaft, die Zähne zeigen auf Druck
Empfindlichkeit, es besteht Schmerz in den Ohren und im
Kiefergelenk, die Wangenschleimhaut zeigt einen kronenstück¬
grossen dunkelroten Fleck, in dessen Mitte die stark geschwollene
Mündung des Ductus Stenonianus sichtbar ist. Diese ent-
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Stomatika.
439
zündlicheRötung zieht sichüber dieUebergangs-
falte gegen dieZahnwurzeinzu, reicht aber nicht
bis zum Zahnhals.
Bei Periodontitis erstreckt sich die Rötung
überdas ganze Zahnfleisch. Nimmt man diese Wangen¬
partie zwischen zwei Finger, so wird man bei zartem Druck
die Parotis als einen härteren Gegenstand fühlen. Drückt
man etwas stärker, so entleert der Ductus Stenonianus eine
trübe, milchige Flüssigkeit, es besteht ein starker Speichelfluss,
welcher den Patienten sehr lästig ist. Aeusserlich ist am
Gesichte eine kaum wahrnehmbare Schwellung sichtbar. Die
bestehenden Schmerzen werden von den Patienten gewöhnlich
als Zahnschmerz verkannt und es gelingt oft kaum, die Kranken
von ihrem Irrtum zu überzeugen. Bei der Therapie dieser
Parotitis ist nebst äusserlichen kalten Umschlägen
derGebrauch eines speichelbefördernden Stoma-
tikums notwendig. Die Anwendung eines Adstringens ist
direkt kontraindiziert, da der Ductus Stenonianus dadurch
verengert würde; es ist sogar die Abspülung der Mündung
desselben mit einer leichten Alkohollösung notwendig, damit
der Speichelabfluss nicht gestört ist.
Bei den früher erwähnten Entzündungen der Weichteile
wird die Anwendung eines Stomatikums um so notwendiger
sein, als selbst einfache Rachenkatarrhe bei längerem Bestände
den Patienten bis zur Unerträglichkeit belästigen.
Bei Raucherkatarrhen wird der Rachen durch den an¬
haftenden zähen Schleim so stark irritiert, dass Erbrechen er¬
folgt. Wird ein entsprechendes Stomatikum angewendet, so
sind diese Erscheinungen oft in ein paar Stunden beseitigt.
Viele für Mundwässer geeignete Arzneikörper wirken heilend
bei Beinhautentzündungen und gegen Gingivitis, dieselben
wirken auch schmerzstillend. Bei Atrophia alveolaris werden
durch den Gebrauch dieser Mittel die lockeren Zähne oft derart
fest, dass dieselben noch lange Zeit hindurch die Kaufähigkeit
erhalten; es scheint sogar, dass der atrophische Prozess durch
das systematische Einpinseln und Einreiben mit geeigneten
Arzneien verlangsamt wird.
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440
Dr. Arpad R. v. Dobrzyniecki, Wien.
Als ein besonders konservierendes Mittel
für das Zahnbein erweist sich Jod. Bestreicht man
die /ahnreihe mit Jodtinktur und lässt nachher mit Wasser
ausspülen, so wird das reine Zahnbein in der eigenen Farbe
erscheinen, dort wo Belag ist oder erweichtes Dentin vor¬
handen ist, werden die jodverfärbten Flecke sichtbar sein.
Es ist das Bepinseln der Zähne mit Jod also
auch ein diagnostisches Hilfsmittel zur leichteren
Auffindung der Zahnkaries.
DieErfahrungzeigtferner, dassdasBepinseln
des Zahnhalses mit Jodtinktur die Entstehung
des Zahnsteines verhindert.
Das Reinhalten des Mundes wird in erster
Linie durch das fortwährende Wegschwemmen
der Fremdkörper durch den Speichel besorgt; die
Anzahl der speichelerzeugenden Organe ist auch eine recht
grosse. Da dieser günstige Umstand schon von Natur aus
vorhanden ist, so wird die Aufgabe bei der Mundreinigung
den Zweck haben, diese Sekretionsfähigkeit durch entsprechende
Stomatika zu erhöhen. Es soll daher ein Mundwasser,
das die Eigenschaft besitzt, die Sp eichelsekreti on
zu befördern, zum normalen Gebrauch angewendet
werden. Wird eine kleine Menge von solch einem Mund¬
wasser zum Spülen genommen, so ist zu beobachten, dass
zuerst ein glasiges, zähes Sekret sich entfernt, erst nach wieder¬
holtem Spülen wird wasserklarer, reiner Speichel abfliessen.
Damit ein Mundwasser nach Möglichkeit sämtliche Flächen
der Mundhöhle bespült, muss es einen angenehmen Geschmack
besitzen. Mundwässer, die einen widerlichen Geschmack be¬
sitzen, werden erfolglos angewendet, da bei deren Gebrauch
ganz unwillkürlich durch Verkleinerung der Mundhöhle, durch
Anlegen der Zunge an den harten Gaumen und durch
Muskelkontraktion die Berührung des Mundwassers mit der
Mundhöhle auf ein Minimum beschränkt wird, es bleiben so¬
mit der ganze Rachen und ein grosser Teil der Wangen- und
Lippenschleimhaut unbespült. Ein brauchbares Mundwasser
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Stomatika.
441
muss daher angenehmen Geschmack und Geruch besitzen, so
dass das Verbleiben im Munde ein Wohlgefühl hervorruft.
Diesen Bedingungen kann nur ein aus gewissen Stomaticis
zusammengesetztes Mundwasser entsprechen. Hiezu sind be¬
sonders geeignet die Stearopten-Präparate, welchen gleich¬
zeitig süsse und bittere Mittel beigegeben sind, da der süsslich-
bittere Geschmack auf die Dauer am längsten vertragen wird.
Den angenehmen Geruch bewirkt der Zusatz von ätherischen
Oelen. Eine aus derartigen Mitteln zusammengesetzte Kom¬
position hat die Eigenschaft, mit Wasser verdünnt im Ver¬
hältnisse 1:100 als Mundwasser angewendet werden zu können.
Einen Mund aseptisch machen zu wollen wird wohl niemand
versuchen, da es ja bekannt ist, dass selbst nach Spülungen
mit Sublimatlösung, nach Ablauf von 20 bis 30 Minuten der
Mund wieder Bakterien enthält.
Personen, die eine sitzende Lebensweise führen, leiden
öfter an Mundgeruch als solche, die sich im Freien bewegen.
Die Ursache dürfte darin zu suchen sein, dass die im ge¬
schlossenen Raum sich Aufhaltenden dem Bedürfnisse, den
durch Staub und Rauch verdickten Speichel auszuspucken, nicht
nachkommen können, der sich bald zersetzt, hingegen Personen,
die sich im Freien bewegen, das Ausspucken ganz unbewusst
besorgen.
Es besteht auch bei vielen Leuten das Vorurteil gegen
Mundwässer, dass sie das Zahnbein beschädigen. Am meisten
wird die Furcht gegen Säuren ausgesprochen. Angenommen,
dass selbst irgend ein Mundwasser existiert, welches säurehältig
ist, müsste die Säure enorm verdünnt angewendet werden, um
es als Mundspülmittel anwenden zu können, da ja schon der Ge¬
schmack selbst unangenehm ist; ausserdem würde dieser minimale
Säuregehalt durch den alkalischen Speichel gleich paralysiert
werden. Ein säurehältiges Mundwasser, welches das Zahnbein
anzugreifen imstande ist, müsste ja schon die Schleimhaut be¬
schädigen, was sich mindestens in Hyperämie, Ekzem, Auf¬
lockerung usw. sichtbar machen würde. Die Karies der Zähne
entsteht nicht durch Säureeinwirkung, diese Theorie ist durch
einschlägige Untersuchungen auf bakteriologischer Basis wider-
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442
Dr. Arpäd R. v. Dobrzyniecki, Wien.
legt; die Karies verursachenden Mikroorganismen sind alkalisch
reagierend; dieser Umstand ist auch im vollen Einklang mit dem
Wesen der Fäulnis, die ebenfalls ein alkalischer Prozess ist.
Durch Benützung der Stomatika allein eine Karies auf¬
halten zu wollen, wird natürlich niemandem einfallen. Das
einzige Mitte), welches als solches in Betracht kommt, ist das
rechtzeitige Tuschieren mit Lapis; dies Mittel ist aber auch kein
Heilmittel ^egen die Karies, sondern verzögert nur das raschere
Fortschreiten derselben. Ein richtig komponiertes Mundwasser
wird keine reizende, schädliche Wirkung auf die Mundhöhle
entfalten. Nimmt man zum Vergleich die chemischen, an¬
haltenden Wirkungen, welche bei einer länger dauernden Mahl¬
zeit zur Geltung kommen, und zwar verschiedene sauere Speisen,
sauere Getränke, Rauchen etc. und entsteht von diesen kein
Ekzem der Mundhaut, so wird es klar sein, dass die Wirkung
des Mundwassers, im Vergleich mit der Zeitdauer des Auf¬
enthaltes im Munde, gegen die oben geschilderten Umstände
in gar kein Verhältnis gebracht werden kann und so wird von
einer chemisch reizenden Wirkung wohl kaum die Rede sein
können. Dass die Mundreinigung deshalb nicht wieder ins
extremste übergreifen darf, ist selbstredend.
Eine wohltuende Wirkung verschaffen kohlensäure-
hältige Mineralwässer. Diese beseitigen die im Munde
durch den oben geschilderten physiologischen Prozess ent¬
standenen Abfallsprodukte äusserst rasch. Zum gewöhnlichen
Gebrauch bei der Mundpflege dürfte deren Verwendung wohl
zu kostspielig sein, wo aber dieser Umstand keine Rolle spielt
oder bei fiebernden Kranken dürften sie wohl das idealste
Mundwasser sein. Das Gleichenberger Wasser scheint unter
den Mineralwässern eines der wirksamsten zu sein; eine zahn¬
steinlösende Wirkung wird dem Preblauer und Karlsbader
Wasser zugeschrieben. In der letzten Zeit werden als Antiseptika
verschiedene oxydierendeSubstanzen zur Mundreinigung
angewendet, speziell sind es Mercks Präparate. Diese wirken
durch Abspalten ihres Oxygens, sobald er mit organischen
Stoffen in Berührung kommt. Das Prinzip ist also im über¬
tragenen Sinne ein Verbrennungsprozess.
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Stomatika.
443
Kaliumjodatum, innerlich genommen, wirkt sehr günstig
bei Zähnen, welche wiederholt Periodontitis überstanden haben.
Die vorhandene Empfindlichkeit, welche bei Berührung und
beim Kauen solcher Zähne besteht, schwindet oft gänzlich. Es
sei hier ausdrücklich betont, dass Jodkali nur auf die
Beinhaut wirkt, da eine andere Wirkung, z. B. in dem
Wurzelkanal ohne lebender Pulpa, ganz unmöglich ist, aus
allgemein bekannten physiologischen Gründen.
Bei solchen mit chronischer Periodontitis, Granulationen
behafteten Zähnen ist der günstige Einfluss eines fortwährenden
Stoffwechsels auch darin zu erkennen, dass sie in der heissen
Sommerzeit unempfindlich sind; erfolgt ein rascher, kühler
Temperaturwechsel, so sind selbe gewöhnlich sofort empfindlich.
Die Erklärung ist sehr einfach, da durch die Kälte die Zirkulation
erschwert wird, Abfallsprodukte länger Zurückbleiben und somit
die Beinhaut bei solchen Zähnen mehr irritiert wird.
Die in flüssiger Form angewendeten Stomatika allein
genügen nicht zum Reinhalten des Mundes, speziell der Zähne,
es müssen daher auch zweckmässige Präparate in harter Form
als Zahnpulver benützt werden, um mechanische Reinigung
zu bewirken. Bei diesen muss beachtet werden, dass sie das
Zahnbein nicht lädieren.
Nach dem Gesagten ist es ersichtlich, dass die Mund¬
pflege Mühe und materielle Opfer kostet, dafür aber viel
Schmerzen und der Verlust von Organen erspart bleiben.
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444
Dr. Paul Preiswerk, Basel.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Beiträge zur Kasuistik ui Therapie der Kitticke.
Von Dr. Paul Preiswerk in Basel.
Es ist eine bekannte Tatsache, dass Kieferbrüche an be¬
stimmten Stellen keiner Therapie bedürfen, sondern bei der
enormen Heilungstendenz der Kieferknochen möglichst rasch
nach einer eingetretenen Fraktur in guter Stellung konsolidieren,
welchen Umstand sich ja Part sch zunutze gemacht hat, um
sich durch Lostrennen der Processus alveolares und palatini
Zugang zu Geschwülsten im Innern der Nase zu verschaffen.
Es betrifft dies namentlich Brüche in der Medianlinie des Unter¬
kiefers, sowie solche des oberen oder des unteren Processus
alveolaris und die isolierten des Processus coronoideus. •
Ist in diesen Fällen eine Fixation durch die Naht oder
durch die Schiene nicht notwendig, so ist sie jedenfalls sehr
angezeigt, um nicht später, nach erfolgter Kallusbildung, beim
Prüfen der Artikulation die unangenehme Entdeckung zu machen,
dass dieselbe gelitten hat und man nun gezwungen ist, durch
komplizierte Apparate den normalen Zustand wieder zu er¬
reichen zu suchen, dessen Zustandekommen durch eine früh¬
zeitig und richtig angelegte Schiene garantiert gewesen wäre.
Ich möchte nun im folgenden auf drei Fälle von Unter¬
kieferfrakturen, die in die chirurgische Abteilung des hiesigen
Bürgerspitals eingeliefert und mir vom damaligen Vorsteher,
Herrn Prof. E. En der len, zur Behandlung überwiesen worden
waren, näher eingehen und ich erachte es für zweckmässig,
einige allgemeine Gesichtspunkte über Unterkieferbrüche voraus¬
zuschicken.
Der Unterkiefer, wie übrigens alle Knochen des Schädels,
wird im Verhältnis zu den übrigen, das Skelett zusammen¬
setzenden, sehr selten frakturiert. Nach Röse sollen von
hundert Knochenbrüchen zwei bis drei den Unterkiefer be¬
treffen.
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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrüche. 445
Der Lage nach lassen sie sich einteilen in solche, die
das Mittelslück, den horizontalen oder den aufsteigenden Ast,
den Alveolarfortsatz oder den Processus coronoideus und con-
dyloideus betreffen. Der Häufigkeit des Vorkommens nach
stehen die erstgenannten obenan, während sie, je mehr sich
die Brüche rückwärts verschieben, seltener werden, so dass
die am wenigsten häufig zu Gesicht kommende isolierte Fraktur
diejenige des Processus coronoideus sein dürfte. Für das Zu¬
standekommen dieser Kontinuitätstrennungen gelten im
allgemeinen die für die übrigen Knochenbrüche in Betracht
kommenden Entstehungsursachen, also Stoss, Schlag, Sturz,
Schuss etc., während wenigstens in früherer Zeit für die Fraktur
des Processus alveolaris die rohe Anwendung des rohen Zahn¬
schlüssels von ursächlicher Bedeutung war.
Während die meisten dieser Brüche direkte sind, so gilt
das nicht immer für das Mittelstück des Unterkiefers, .das durch
seine beträchtliche Dicke (Protuberantia mentalis und Spina
mentalis interna) äusseren Gewalten doch einen kräftigen Wider¬
st and entgegenzusetzen imstande ist. In gleichem Sinne bieten
die Verstärkungszüge der Linea obliqua und der Linea mjio-
hyoidea dem horizontalen Ast eine kräftige Stütze. Eine das
Mittelstück oder die Nähe des Kieferwinkels treffende Gewalt
wird also oft nicht am Orte ihrer Einwirkung eine Fraktur
hervorrufen, sondern dieselbe wird häufig da zu finden sein,
wo von Natur ein Locus minoris resistentiae geboten ist, wie
z. B. im Uebergang des Mittelstückes in den horizontalen Ast
oder etwa im Collum des Processus condyloideus.
Die Symptome der Unterkieferbrüche sind je nach
ihrem Sitz verschieden. Vor allem sind es die Schmerzen,
welche die Patienten quälen und die namentlich bei Quetschung
oder Zerrung des Nervus mandibularis heftig sein können.
Ausser diesen spontanen Schmerzen löst jeder Kau- oder Schluck¬
versuch oft einen Anfall aus, was besonders deshalb unangenehm
empfunden wird, weil die Salivation eine stärkere geworden
and mithin das Bedürfnis des Schluckens gesteigert worden
ist. Die Patienten nehmen einen, man könnte sagen, typischen
Gesichtsausdruck an; die mimische Gesichtsmuskulatur und die
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Dr. Paul Preiswerk, Basel.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Beiträge znr Kasuistik eeä Therapie her Kieferhräehe.
Von Dr. Paul Preiswerk in Basel.
Es ist eine bekannte Tatsache, dass Kieferbrüche an be¬
stimmten Stellen keiner Therapie bedürfen, sondern bei der
enormen Heilungstendenz der Kieferknochen möglichst rasch
nach einer eingetretenen Fraktur in guter Stellung konsolidieren,
welchen Umstand sich ja Part sch zunutze gemacht hat, um
sich durch Lostrennen der Processus alveolares und palatini
Zugang zu Geschwülsten im Innern der Nase zu verschaffen.
Es betrifft dies namentlich Brüche in der Medianlinie des Unter¬
kiefers, sowie solche des oberen oder des unteren Processus
alveolaris und die isolierten des Processus coronoideus. •
Ist in diesen Fällen eine Fixation durch die Naht oder
durch die Schiene nicht notwendig, so ist sie jedenfalls sehr
angezeigt, um nicht später, nach erfolgter Kallusbildung, beim
Prüfen der Artikulation die unangenehme Entdeckung zu machen,
dass dieselbe gelitten hat und man nun gezwungen ist, durch
komplizierte Apparate den normalen Zustand wieder zu er¬
reichen zu suchen, dessen Zustandekommen durch eine früh¬
zeitig und richtig angelegte Schiene garantiert gewesen wäre.
Ich möchte nun im folgenden auf drei Fälle von Unter¬
kieferfrakturen, die in die chirurgische Abteilung des hiesigen
Bürgerspitals eingeliefert und mir vom damaligen Vorsteher,
Herrn Prof. E. En der len, zur Behandlung überwiesen worden
waren, näher eingehen und ich erachte es für zweckmässig,
einige allgemeine Gesichtspunkte über Unterkieferbrüche voraus¬
zuschicken.
Der Unterkiefer, wie übrigens alle Knochen des Schädels,
wird im Verhältnis zu den übrigen, das Skelett zusammen¬
setzenden, sehr selten frakturiert. Nach Röse sollen von
hundert Knochenbrüchen zwei bis drei den Unterkiefer be¬
treffen.
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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrttche.
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Der Lage nach lassen sie sich einteilen in solche, die
das Mittelstück, den horizontalen oder den aufsteigenden Ast,
den Alveolarfortsatz oder den Processus coronoideus und con-
dyloideus betreffen. Der Häufigkeit des Vorkommens nach
stehen die erstgenannten obenan, während sie, je mehr sich
die Brüche rückwärts verschieben, seltener werden, so dass
die am wenigsten häufig zu Gesicht kommende isolierte Fraktur
diejenige des Processus coronoideus sein dürfte. Für das Zu¬
standekommen dieser Kontinuitätstrennungen gelten im
allgemeinen die für die übrigen Knochenbrüche in Betracht
kommenden Entstehungsursachen, also Stoss, Schlag, Sturz,
Schuss etc., während wenigstens in früherer Zeit für die Fraktur
des Processus alveolaris die rohe Anwendung des rohen Zahn¬
schlüssels von ursächlicher Bedeutung war.
Während die meisten dieser Brüche direkte sind, so gilt
das nicht immer für das Mittelstück des Unterkiefers, das durch
seine beträchtliche Dicke (Protuberantia mentalis und Spina
mentalis interna) äusseren Gewalten doch einen kräftigen Wider¬
stand entgegenzusetzen imstande ist. ln gleichem Sinne bieten
die Verstärkungszüge der Linea obliqua und der Linea mylo-
hyoidea dem horizontalen Ast eine kräftige Stütze. Eine das
Mittelstück oder die Nähe des Kieferwinkels treffende Gewalt
wird also oft nicht am Orte ihrer Einwirkung eine Fraktur
hervorrufen, sondern dieselbe wird häufig da zu finden sein,
wo von Natur ein Locus minoris resistentiae geboten ist, wie
z. B. im Uebergang des Mittelstückes in den horizontalen Ast
oder etwa im Collum des Processus condyloideus.
Die Symptome der Unterkieferbrüche sind je nach
ihrem Sitz verschieden. Vor allem sind es die Schmerzen,
welche die Patienten quälen und die namentlich bei Quetschung
oder Zerrung des Nervus mandibularis heftig sein können.
Ausser diesen spontanen Schmerzen löst jeder Kau- oder Schluck¬
versuch oft einen Anfall aus, was besonders deshalb unangenehm
empfunden wird, weil die Salivation eine stärkere geworden
und mithin das Bedürfnis des Schluckens gesteigert worden
ist. Die Patienten nehmen einen, man könnte sagen, typischen
Gesichtsausdruck an; die mimische Gesichtsmuskulatur und die
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Dr. Paul Preiswerk, Basel.
Kaumuskeln ruhen vollständig und aus den Winkeln des halb¬
geöffneten Mundes träufelt der Speichel.
Zur Feststellung eines Unterkieferbruches bedarf es aber
mehr als bloss dieser Symptome und da wäre vor allem an
die Merkmale der Knochenbrüche allgemeiner Art zu denken,
nämlich an die Schwellung, an die Krepitation, sowie an die
abnorme Beweglichkeit, mit welcher gewöhnlich eine Dis¬
lokation der Bruchstücke verbunden ist, und an die Functio
laesa. Bei den seltenen Brüchen in der Medianlinie ist eine
Dislokation auszuschliessen, weil beiderseits der Zug nach oben
Und nach unten ein gleicher ist, während sie bei den am
häufigsten vorkommenden Frakturen zwischen Eckzahn und
erstem Prämolaren, eventuell zwischen lateralem Schneidezahn
und Eckzahn immer zu treffen ist, so zwar, dass das längere
Bruchstück infolge seines grösseren Eigengewichtes und dem
der daran hängenden Muskeln nach abwärts gezogen wird.
Bei Frakturen im aufsteigenden Aste lässt sich in bezug auf
die Dislokation keine bestimmte Regel aufstellen. Bei Frakturen
des Processus condyloideus und coronoideus stösst man beim
Untersuchen der abnormen Beweglichkeit oft auf nicht uner¬
hebliche Schwierigkeiten, was einesteils durch die aktive Im¬
mobilisierung durch die Kaumuskulatur, andemteils durch die
anatomische Lage der Fortsätze bedingt ist. Der gegen die
vordere Wand des äusseren Gehörganges der verdächtigen Seite
eingeführte Finger wird indes beim Oeffnen und Schliessen
des Mundes über den Zustand des Gelenkfortsatzes Aufschluss
erhalten.
Krankengeschichte I.
E. M., 4jähriger Knabe. Eintritt: 5. April 1905. Krank¬
heit: Fractura mandibulae dextr. Behandlung: Schiene. Aus¬
tritt: 27. April 1905. Wiedereintritt: 4. Mai 1905. Wieder¬
austritt: 12. Mai 1905.
Anamnese: Der Knabe wurde am Abend vor der Ein¬
lieferung in das Bürgerspital von einem Wagen überfahren.
Status praesens: Allgemeinstatus: O. B. Kopf: Die
ganze rechte Gesichtshälfte ist geschwollen. In der rechten
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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrttche.
447
Ohrmuschel findet sich eingetrocknetes Blut. Im äusseren
Gehörgang steckt ein blutdurchtränkter Wattebausch. Soweit
man ohne Trichter sehen kann, ist der Gehörgang intakt. Vor
dem rechten Ohr eine zirka 4 Cm. lange, 1'/* Cm. breite, ober¬
flächliche Schürfung. Der Mund wird beständig halb geöffnet
gehalten; es fliesst von Zeit zu Zeit blutiger Speichel aus. Am
Kieferrande ist wegen Schwellung und Schmerzhaftigkeit die
Palpation des Knochens unsicher. Es zeigt hingegen die Zahn¬
reihe auf der rechten Seite eine deutliche Verschiebung; sie
liegt zwischen Caninus und erstem Milchmolar; das hintere
Bruchstück erscheint gegen die Zunge hin eingedrückt. An der
Frakturstelle ist die Gingiva verletzt. Bei den Abwehrbewegungen
fühlt man am Kiefer eine deutliche Krepitation und wird ge¬
wahr, wie sich die Bruchstücke gegeneinander verschieben.
Eintritt: 5. April: Mundspülungen, schwierig auszu¬
führen.
7. April: Abnahme von Gebissabdrücken in Chloroform¬
narkose.
8. April: Einlegen der Fixationsschiene, die mit Draht¬
schlingen an den Zähnen befestigt wird. Die Manipulationen
sind wegen der kleinen Mundverhältnisse schwierig und sehr
mühsam. Es sitzt jedoch die Schiene tadellos und hält gut.
10. April: Schiene unverändert. Aufstehen. Aus dem Ohr
keine Blutung mehr. Temperatur normal.
24. April: Deutliche Kallusbildung. Schiene hält gut. Gule
Stellung.
27. April: Austritt. Status: In Heilung.
Wiedereintritt: 4. Mai 1905: Die rechte Wange und
die Unterkiefergegend ist ziemlich stark geschwollen. Haut ge¬
spannt, glänzend, besonders unter dem Kieferrande. Die
Schwellung ist derb, prall-elastisch.
Mundhöhle: Schiene und Zähne mit stinkendem,
schmierigen Belag. Rechts entleert sich in der Nähe des ersten
Molaren' auf Druck stinkender Eiter. Der Kiefer ist fest. Dis¬
lokationsversuche nicht schmerzhaft.
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Dr. Paul Preiswerk, Basel.
8. Mai: Entfernen der Schiene. Inzision des Abszesses
vom Munde aus. Entfernen eines kleinen Sequesters. Tam¬
ponade der Wunde. Es besteht noch etwas abnorme Beweg¬
lichkeit, keine Dislokation.
10. Mai: An der Frakturstelle immer noch starke Ver¬
dickung; die übrige Schwellung hat abgenommen.
12. Mai: Austritt. Status: Frakturstelle konsolidiert.
Schwellung zurückgegangen.
Was nun die Therapie im allgemeinen anbelangt, so soll
an dieser Stelle von der Vereinigung der Bruchenden durch
die Knochennaht und von der grossen Anzahl der unblutigen
Fig. 1.
Repositions- und Fixationsmethoden abgesehen werden. Es
handelt sich hier lediglich darum, an Hand von konkreten'
Fällen die jeweils angewandten Verbände zu besprechen, nicht
als ob etwa andere Methoden nicht zu demselben Erfolg ge¬
führt hätten.
In diesem ersten Fall war nun die Therapie folgende: In
Narkose wurde dem Kinde ein Abdruck (Stentskomposition)
des Oberkiefers und ein solcher des dislozierten Unter¬
kiefers genommen, eine Manipulation, die bei den kleinen
und dazu stark geschwollenen Mundverhältnissen keineswegs
leicht zu bewerkstelligen war. Das erhaltene Negativ wurde
hierauf mit Gipsbrei ausgegossen, wodurch ein positives Modell
der beiden Kiefer erhalten wurde (Fig. 1). Es handelte sich nun
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Beiträge zur Kasuistik uud Therapie der Kieferbrüche.
449
darum, nach dem Bogen des Oberkiefers den Unterkiefer so um¬
zuformen, dass er seine ursprüngliche Gestalt wieder bekam.
Und da boten ja die Zähne des Oberkiefers einen willkommenen
Anhaltspunkt, nachdem man mit Hilfe der Artikulation mit
denen des Unterkiefers weiter arbeiten konnte. Zu diesem
Zwecke wurde das Modell des letzteren an der Stelle der
Fraktur durchsägt und in diesem mobilisierten Zustande re-
poniert, wobei die Oberkieferzähne zur Richtschnur dienten,
und die Reposition wurde fixiert (Fig. 2).
Um die Zähne des Unterkiefers wurde nun ein halbrunder
Golddraht in der Weise gebogen, dass er denselben möglichst
gut passend anlag; speziell wurde darauf Rücksicht genommen.
Fig. 2.
dass er gegen das interdentale Dreieck hineinragte, welche
Massnahme bei der Befestigung der Schiene sehr zustatten
kam. Nachdem der Draht auf der lingualen und buccalen Seite
genau angepasst war, wurde an den Berührungsstellen der
beiden Enden verlötet. Diese Schiene wurde nun dem Patienten
in Narkose eingelegt, nachdem die Bruchstücke reponiert worden
waren. Zur Befestigung derselben an den Zähnen wurde
Aluminiumbronzedraht verwendet, da er zu seiner Zähigkeit
noch den Vorzug der leichten Biegbarkeit besass, welche Eigen¬
schaften vielen Drahtsorten aus anderen Metallen abgehen.
Bei dem Anbinden muss man sich, um ein späteres Abgleiten
der Schiene zu verhüten, an eine bestimmte Regel halten, die
darin besteht, dass zuerst, auf der buccalen Seite beginnend,
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Dr. Paul Preiswerk, Basel.
der Draht unter der Schiene durch das interdentale Dreieck
gestossen wird, auf der lingualen Seite über derselben hervor¬
gezogen und auf dem Rückweg genau entgegengesetzt geführt
wird, also lingual unter, buccalüber der Schiene. An dieser
letzteren Stelle werden dann die Drahtenden mit einer flachen
Zange gefasst und mit vorsichtigen Drehbewegungen die Schiene
an den Zahn fixiert. Das zusammengedrehte Ende wurde nun
abgezwickt und, um eine Verletzung der Wangenschleimhaut
zu vermeiden, zahnwärts umgebogen. In dieser Weise wurde
Zahn für Zahn an die Schiene gebunden und nur diejenigen
wurden nicht hiefür verwendet, welche bei der Fraktur wacklig
geworden waren; für diese dagegen diente die Schiene nach
gelungener Reposition zur Fixation in normaler Stellung.
Die Mundreinigung gestaltete sich im Verlaufe der
Krankheit ziemlich schwierig, weil das Kind derselben energischen
Widerstand entgegensetzte; ebenso war mit Spülungen bei
dem jugendlichen Alter auch nicht viel zu erreichen. Trotzdem
hatte sich der Zustand so gebessert, dass der Patient am 27.,
also 19 Tage nach Einlegen der Schiene, konnte entlassen
werden. Zu Hause scheint aber die Reinigung des Mundes
überhaupt nicht versucht worden zu sein, denn schon nach
Ablauf einer Woche wurde das Kind mit einer beträchtlichen
Schwellung der rechten Wange wieder eingeliefert. Die Unter¬
suchung ergab einen subgingivalen Abszess, von der Fraktur¬
stelle ausgehend. Die Inzision förderte ausser einer reichlichen
Menge übelriechenden Eiters noch einen kleinen Sequester
zutage. Da erwartet werden konnte, dass sich schon eine ge¬
nügende Konsolidierung in der Zeit von vier Wochen ein¬
gestellt haben werde, wurde nun zugleich die Schiene ent¬
fernt und der Patient konnte 8 Tage später geheilt entlassen
werden.
War es im ersten Falle ein ziemlich vollständig bezahnter
Ober- und Unterkiefer, so handelte es sich in dem zweiten zu
beschreibenden um ein älteres Individuum, in dessen Ober¬
kiefer gar keine Zähne mehr vorhanden waren, während im
Unterkiefer nur noch eine' beschränkte Anzahl steckte.
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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrttche.
451
Krankengeschichte II.
A. S., 48jähriger Mann. Eintritt: 23. April 19C6. Krank¬
heit : Fraktur des Unter- und Oberkiefers und des Gaumens.
Behandlung: Spülung. Kappenprothese zur Fixation der Frag¬
mente. Austritt: 1. Mai 1906.
Anamnese: Am 13. April fiel Patient durch eine Lücke
der Tenne herunter, die Beine voran und schlug mit dem
Kinn auf einen Jaucheständer auf. Er war eine Stunde lang
bewusstlos. Starke Blutung aus Nase und Mund, die sich in
den nächsten Tagen noch mehrmals wiederholte. Seither be¬
stand eine Deformation des Mundes; Unmöglichkeit zu beissen.
da die linken Kiefer nicht mehr einander gegenüberstehen und
der untere zudem nachgibt. Schmerzen in der Gegend des
Hyoids. Schluckbeschwerden. Beim Geniessen von Flüssigkeit
dringt ein Teil wieder durch die Nase aus. Sprache undeutlich,
näselnd.
Status praesens: Kräftig gebauter, magerer Mann;
Allgemeinstatus: 0. B. Kopf: Die rechte Kinnhälfte springt
stärker vor als die linke. Der linke Unterkiefer steht vorne
etwas zurückgeschoben und tiefer als der rechte. Der Mund
etwas links verzogen; kann gut geöffnet und geschlossen
werden. Beim Oeffnen des Mundes finden sich unten vier
schräge, schmale Schneidezähne, rechts der erste Molar. Die
beiden linken Schneidezähne sind nach innen und unten ver¬
schoben. Die Krümmung des Unterkieferbogens erfährt in der
Mitte eine Abknickung. Versucht man, die beiden Unterkiefer¬
hälften gegeneinander zu bewegen, so gelingt dies sehr leicht
und nach jeder Richtung. Die Frakturstelle verläuft vertikal
zwischen den mittleren Incisiven. Hier ist die Gingiva ein¬
gerissen ; es quillt etwas Eiter vor. Deutliche Krepitation nach¬
weisbar. Schmerzhaftigkeit. Mundboden intakt. Die normale
Stellung ist gut zu reponieren. Oberkiefer: Vorderer Bogen
intakt. Ueber den Gaumen verläuft ein Schleimhautriss, vorne
median beginnend, nach hinten seitwärts absteigend. Im hintern
Dritteil ein tiefes Loch, durch welches man mit der Sonde
in die Nase gelangt. Schleimhaut des Processus alveolaris
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Dr. Paul Preiswerk, Basel.
intakt. Trotzdem der linke Oberkiefer nicht disloziert erscheint,
lässt sich eine abnorme Beweglichkeit und Krepitation in
geringem Masse nachweisen.
24. April: Gingiva etwas gerötet, um die Zähne herum
etwas belegt. Spülung. Patient kann Fleisch und Brot nur
auf der rechten Seite kauen. Milch dringt durch die Nase aus.
26. April: Abdruck ohne Narkose.
1, Mai: Anlegen einer Kappenprothese mit zwei Schienen
über die noch stehenden Incisiven. Unterkiefer gut fixiert.
Fraktur nicht völlig reponiert. Der linke Kieferteil steht etwas tiefer.
Unter Rücksichtnahme auf die Bezahnung musste bei
der Therapie von einer Schiene, wie sie im ersten Falle be¬
schrieben wurde, Umgang genommen werden.
Fig. 3.
Zunächst wurde in genau derselben Weise der Abdruck
der Kiefer gewonnen, diesmal aber nicht in Narkose, da bei
einigermassen einsichtsvollen Patienten dieselbe in Wegfall
kommen kann. Um einer allzustarken Dislokation beim Abdruck¬
nehmen vorzubeugen, wurde der Unterkiefer von aussen durch
ein untergeschobenes Buch in horizontaler Lage fixiert. Die
spärlich vorhandenen und zum Teil wackligen Zähne bedingten
nun eine andere Fixationsmethode als die gebräuchlichen.
Es wurden daher die vier die Bruchstelle umgebenden Zähne
mit Kronen versehen und in reponiertem Zustand ein Abdruck
genommen. Das ausgegossene Modell zeigte aber, dass die
Reposition von aussen nicht genügend fixiert werden konnte;
die Lage der Bruchstücke war nämlich nicht eine horizontale.
Dieser Umstand war jedoch mit Rücksicht auf den zahnlosen
Oberkiefer nicht von Belang, da es im Grunde ohne Bedeutung
war, ob der Unterkiefer mit einer Dislokation von wenigen
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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrüche. 453
Millimetern konsolidierte, besonders da ja dem Patienten
später eine Zahnprothese für den Oberkiefer sollte hergestellt
werden, deren Zähne leichter nach denen des Unterkiefers zu
artikulieren waren als umgekehrt. Vorläufig handelte es sich
jedoch bloss um eine Immobilisierung des Unterkiefers (Fig. 3).
An diese oben beschriebenen Kronen wurde nun aut
der buccalen und auf der lingualen Seite ein dieselben ver¬
bindender Draht aufgelötet und dieser Fixationsapparat, nachdem
die Zähne, die in Betracht kamen, sorgfältig getrocknet worden
waren, mit Phosphatzement auf denselben befestigt. Sowie
der Zement erstarrt war, war auch der Unterkiefer immobilisiert,
wodurch — abgesehen von der Fixation — dem Patienten
wesentliche Erleichterung verschafft wurde in bezug auf
Schlucken, Kauen und Sprechen.
Nach 4 Wochen durfte man annehmen, dass die Kon¬
solidierung soweit vorgeschritten sei, dass ohne Schaden die
Kronen konnten abgenommen werden. Der Erfolg entsprach
denn auch wirklich den Erwartungen; als der Patient aus
meiner Behandlung entlassen werden konnte, war der Status
folgender: Bruchstelle mit soliden Kallusmassen umgeben;
Unterkiefer zeigt nirgends abnorme Beweglichkeit; Kauen,
Sprechen und Schlucken kann unbehindert vor sich gehen;
keine Schmerzen; keine Druckempfindlichkeit; leichte Dislo¬
kation in horizontalem Sinne vorhanden.
Der dritte Fall unterscheidet sich in Verschiedenem
wesentlich von den zwei vorhergehenden. Einmal handelte es
sich um eine doppelseitige Fraktur; die linke Frakturstelle lag
hinter dem noch stehenden ersten Prämolaren und die rechte
weit hinten am horizontalen Ast, etwa zwei Querfinger vor dem
Kieferwinkel. Das zwischen den Frakturstellen gelegene Mittel¬
stück stand tiefer als normal. Dann konnte die Fraktur erst
nach 2*/* Wochen behandelt werden, weil sich die Bruchstelle
infiziert hatte und der entstandene grosse Abszess Mani¬
pulationen in der Mundhöhle unmöglich machte. Der Unter¬
kiefer war aber nach Ablauf dieser Zeit in schlechter Stellung
ziemlich konsolidiert, so dass von einem gewöhnlichen Fixations¬
verband musste Umgang genommen werden.
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Dr. Paul Preiswerk, Basel.
Krankengeschichte III.
W. F., 44 Jahre alt. Eintritt: 14. Oktober 1906. Krankheit:
Doppelseitige komplizierte Unterkieferfraktur ipit starker Dislo¬
kation. Behandlung: Primäre Weichteilnaht. Prothese mit
schiefer Ebene. Austritt: 9. November. Wiedereintritt: 14. No¬
vember. Wiederaustritt: 20. November 1906.
Anamnese: Patient soll in einem Schwindelanfall
plötzlich vornüber mit dem Kinn aufs Trottoir gefallen sein.
Lokalstatus: Patient hat über dem Kinn eine zirka
3 Cm. lange, klaffende Quetschwunde, etwa in der Mitte quer¬
verlaufend, unregelmässige Wundränder. Der Unterkiefer steht
schief, der linke Mundwinkel etwas heruntergezogen. Deutliche
Diflformität; das Mittelstück des Unterkiefers steht tiefer. Bei
der Palpation beobachtet man links eine Kontinuitätstrennung
im Unterkiefer mit Schleimhautdurchtrennung hinter dem ersten
Prämolaren. Hier in der Tiefe liegt die Fraktur. Rechts liegt
dieselbe vor dem Kieferwinkel und ist vom Munde aus in der
Höhe des zweiten Molaren zu fühlen. Hier keine Kontinuitäts¬
trennung der Schleimhaut.
Diagnose: Quetschwunde am Kinn; doppelte Unter¬
kieferfraktur.
Therapie und Verlauf: 14. Oktober: Reinigung,
Exzision der Quetschwunde am Kinn und Naht derselben;
Verband.
15. Oktober: Patient kann wegen Schmerzen nicht gut
schlucken. Unterkiefer und Unterlippe stark angeschwollen.
16. Oktober: Spülungen. Leichte Temperatursteigerung.
17. Oktober: Verbandwechsel. Wunde heilt gut.
20. Oktober: Schwellung zurückgegangen. Breiig-flüssige
Kost. Temperatur über 38°.
21. Oktober: Abends Temperaturanstieg auf 39*4°. Die
Gegend des rechten Kieferwinkels ist stärker geschwollen.
Schmerzhaft. Feuchter Verband.
22. Oktober: Schwellung hat noch zugenommen. Vom
Munde aus Fluktuation fühlbar.
23. Oktober: Verlegung in den septischen Saal.
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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrüche.
455
24. Oktober: Faustgrosse fluktuierende Schwellung am
rechten Kieferwinkel. Operation: Inzision, Drainage. 2 Cm.
lange Inzision parallel dem unteren Kieferrand. Es entleeren
sich 3 Esslöffel voll dicken, stinkenden Eiters. Drain; Verband.
Im Eiter verschiedenartige Kokken; Stäbchen, lange Faden¬
bazillen.
25. Oktober: Temperaturabfall. Schwellung stark zurück¬
gegangen.
1. November: Schwellung ganz zurück. Aus der Fistel
geringe Sekretion. Kieferschiene mit schiefer Ebene, da die
Fraktur in schlechter Stellung ziemlich konsolidiert ist.
9. November: Fistel geschlossen. Schiene sitzt gut. Austritt.
14. November: Wiedereintritt. Sequesterabszess links am
Kinn. Seit 3 Tagen Schwellung. Fistelöffnung an der Naht¬
stelle. Die Sonde dringt hier auf ein bewegliches Knochen¬
stückchen.
15. November: Sequestrotomie. Aetherrausch. Spaltung
der Fistel. Freilegen und Extraktion eines grossen zackigen
Sequesters. Meche. Drei Drahtnähte.
17. November: Meche entfernt.
19. November: Drähte weg. Keine Sekretion mehr.
20. November: Wiederaustritt. Status: Fistel geschlossen,
Kiefer in guter Stellung; konsolidiert. Trägt den Apparat noch.
Bei der Behandlung dieses Falles stiess man auf allerlei
Schwierigkeiten. Der Unterkiefer war doppelt frakturiert, und
zwar an zwei atypischen Stellen. Die mesialen Frakturenden
hatten sich verschoben und eine Fixation in reponierter
Stellung war, wie oben erwähnt, ausgeschlossen wegen der
enormen Schwellung. Es konnte also erst nach Spaltung
des Abszesses und nach Abschwellung der Weichteile an eine
Behandlung der Frakturen herangegangen werden, die sich
dadurch äusserst kompliziert gestaltete, dass sich die Bruch¬
enden nach Ablauf dieser Zeit schon ziemlich konsolidiert
hatten.
Ein in dieser Stellung angelegter Fixationsverband wäre
aber direkt von Nachteil gewesen, weil hiedurch die Heilung
in schlechter Stellung ruhig ihren Fortgang hätte nehmen
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456
Dr. Paul Preis werk, Basel.
können. Es musste im Gegenteil der Versuch gemacht werden,
die dislozierten Stucke langsam wieder an ihren normalen
Platz zu bringen und da gibt uns ja die bei gewissen Stellungs¬
anomalien der Zähne angewandte schiefe Ebene ein zuver¬
lässiges Mittel in die Hand, um zum Ziele zu gelangen.
Da nun das mesiale Bruchende der rechten Unterkiefer¬
hälfte die Tendenz gezeigt hatte, nach innen zu dislozieren,
das mesiale der linken Kieferhälfte aber sich wangenwärts
verschoben hatte, das zusammenhängende Bruchstück also in
einer Horizontalebene mit seiner Sagittalachse nach links aus-
Fig. 4.
gewichen war, so mussten die schiefen Ebenen so angebracht
werden, dass beim Schliessen des Mundes ein Druck zustande
kam, der auf den dislozierten Unterkiefer von links nach rechts
einwirkte.
Nun besass aber der Unterkiefer nur noch zwei Weisheits¬
zähne, die zu weit nach hinten standen, als dass sie für die
schiefe Ebene in Betracht hätten kommen können. Daher
wurde der ganze Oberkiefer mit einer Gaumenplatte versehen
und die fehlenden Zähne durch einen Saum von hartem
Kautschuk ersetzt.
Im Unterkiefer gestalteten sich die Verhältnisse folgender-
massen: Es standen ausser den sechs Frontzähnen rechts nur
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Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Kieferbrüche. 467
noch der Weisheitszahn, links der erste Prämolar. Die Front¬
zähne und der letztgenannte wurden nun mit einer Kautschuk¬
schiene versehen und überkappt mit Ausnahme des linken
Prämolaren, der sich durch eine beträchtliche Länge aus¬
zeichnete und für den deshalb in der Schiene ein Loch aus¬
gefräst wurde (Fig. 4). Nach hinten reichte die Schiene beider¬
seits bis über die Frakturstellen; zungenwärts griff sie auf der
rechten Seite dem Alveolarrande nach bis auf den Mundboden
Fig. 5.
und links buccal bis auf die Umschlagsfalte, damit, wenn die
schiefen Ebenen in Aktion treten sollten, nicht bloss die Zähne
in ihrer Stellung eine Aenderung erleiden mussten, sondern
der Angriff auf die dislozierten Kiefer direkt stattfinden
konnte.
Die schiefen Ebenen wurden nun so angebracht, dass
ein 2 Mm. dickes Metallstück von 2 Gm. Breite und 3 Cm.
Länge in das rechte hintere Ende der Unterkieferschiene und
ein ebensolches in den Alveolarsaum der Oberkieferplatte
hinten links ein vulkanisiert wurde (Fig. 5). Dieselben wurden
nun so eingefügt, dass das untere mit dem Unterkiefer einen
s
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468 Dr. Paul Preiswerk, Basel. Beiträge zur Kasuistik und Therapie etc.
Winkel von 70° bildete, das obere den gleichen mit dem
Alveolarsaum der Oberkieferplatte.
Die so armierten Kautschukplatten wurden nun eingelegt
und dreimal täglich vom Patienten zur Reinigung heraus¬
genommen. Nach vier Wochen war der Erfolg ein überraschender:
Das Mittelstück des Unterkiefers mit den Bruchstücken des hori¬
zontalen Astes hatte sich um seine Sagittalachse in horizontalem
Sinne gedreht und war an seiner ursprünglichen Stelle in guter
Stellung konsolidiert. Der Apparat hatte also in vollem Umfange
das geleistet, was von ihm erwartet wurde.
Wenn ich nun diese drei Fälle aus der mir zur Verfügung
stehenden Zahl herausgriff, so geschah dies wohl hauptsächlich
wegen der Verschiedenartigkeit derselben. Im ersten Falle
handelte es sich um einen sehr einfachen Bruch an typischer
Stelle, der dadurch sich interessant gestaltete, dass er ein
jugendliches Individuum mit Milchzahngebiss betraf. Das Ab¬
drucknehmen sowie die Applikation der Schiene stiessen auf
enorme Schwierigkeiten, was im zweiten Falle gar nicht zutraf,
indem es sich hier um einen indolenten Patienten mit nur vier
Frontzähnen handelte. Der dritte Fall endlich unterscheidet
sich dadurch von den zwei vorhergehenden, dass der doppel¬
seitige Bruch erst in Behandlung konnte genommen werden,
nachdem die Bruchstücke in schlechter Stellung schon ziemlich
konsolidiert waren.
Zum Schlüsse möchte ich nicht ermangeln, Herrn Prof.
Dr. E. Enderlen, sowie Herrn Dr. 6. Preiswerk-Maggi
für die gütige Ueberlassung der Krankengeschichten und des
übrigen Materials den gebührenden Dank auszusprechen.
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Dr. F. Tänzer, Triest. Zur Behandlung der Wurzelhautentzündung. 459
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet
Zur Behandln der WimlbaMiidii.
Von Dr. Ferdinand Tanger, Zahnarzt in Triest.
In der zahnärztlichen Praxis gibt es kaum etwas Un¬
angenehmeres und Peinlicheres als die Behandlung der Wurzel¬
hautentzündung.
Patient kommt mit meist unerträglichen Schmerzen und
wünscht sofortige Beseitigung derselben. Noch schlimmer für
uns, wenn die Pericementitis als Zwischenfall nach Behand¬
lung einer Pulpitis — auch das kann ja Vorkommen — ein-
tritt Den im Wurzelkanal angesammelten putriden Stoffen
soll Abfluss geschaffen werden. Selbst bei grösster Erfahrung
und Geschicklichkeit geht das leider nicht schmerzlos ab. Dem
ungeduldigen Patienten, der sofortige Beseitigung des quälenden
Schmerzes erhofft, wird von uns vielleicht noch neuer Schmerz
bereitet. Wenn dann nur auch schnelle Besserung einträte!
Leider wird die Geduld des Patienten oft noch längere Zeit
auf eine harte Probe gestellt, trotz neuer und neuester Therapie.
„Es handelt sich zunächst nicht nur um Bekämpfung des
Krankheitsprozesses, sondern in erster Linie um Beseitigung
der Schmerzen; die Erhaltung und Behandlung des Zahnes ist
meist eine sekundäre Frage, für die der Patient vorläufig nicht
viel Interesse hat, er will in erster Linie seine Schmerzen los
sein.“ (W. D. Miller: Lehrbuch der konservierenden Zahn¬
heilkunde.)
Vorläufig hat Patient, besonders wenn es sich nicht um
einen vorderen Zahn handelt, meistens wenig Interesse an der
Erhaltung des Zahnes und quält uns oft nicht wenig mit seinem
Verlangen nach Extraktion, dem der gewissenhafte und moderne
Zahnarzt nur in den seltensten Fällen nachgeben wird.
Was verursacht denn dem Kranken die meisten Schmerzen?
Nebst den bekannten primären, durch die Entzündung selbst
ausgelösten Schmerzen ist es das Schliessen des Mundes, wo¬
bei Patient auf seinen meist „verlängerten“ schmerzhaften Zahn
s*
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460
Dr. Ferdinand Tänzer, Triest.
beisst. Wohl wird in allen Lehrbüchern angeraten, Guttapercha
auf der Kaufläche eines Nachbarzahnes aufzubauen, damit der
kranke Zahn beim Kieferschluss mit seinem Antagonisten nicht
zusammentrifft. Doch habe ich gefunden, dass diese nach meiner
Ansicht im Anfänge wichtigste Massnahme bei der Behandlung
der Wurzelhautentzündung nur in den seltensten Fällen aus¬
geübt wird oder zu spät, nachdem Patient Tage und Nächte lang
unerträgliche Schmerzen gelitten hat. Es ist doch selbstverständ¬
lich, dass jedes erkrankte Organ, wenn möglich, ausser Tätigkeit
gesetzt werden muss, der periostal erkrankte Zahn wie eine
luxierte oder frakturierte Extremität.
Das Zusammentreffen des verlängerten Zahnes mit dem
Antagonisten — vom einfachen Schliessen des Mundes bis zum
kräftigen Kauakte — verursacht aber nicht nur Schmerzen,
sondern verschlimmert in erheblichem Grade das Leiden selbst.
Es wirkt wie ein Trauma, und man kann sich vorstellen, wie
die geschwellte und entzündete Wurzelhaut in 24 Stunden
nach einer langen Reihe solch kleinerer und grösserer trauma¬
tischer Insulte aussehen mag. Dann kommt ein zweiter, wich¬
tiger Umstand hinzu, „indem beim Essen ein Druck auf den
Inhalt des Kanals ausgeübt wird, wovon dann sehr leicht
etwas durch das Foramen hindurchgepresst werden kann 44 . Ich
zitiere hier wieder unseren Meister 1 Miller. Also verursacht
jeder normale Kieferschluss nicht nur erhebliche Schmerzen,
sondern direkt eine bedeutende Verschlimmerung der Wurzel¬
hautentzündung. Die erste und wichtigste Massnahme
bei Behandlung der Pericementitis ist also die
Ausschaltung des erkrankten Zahnes aus der Ar¬
tikulation.
Ich verwende hierzu nicht Guttapercha. Wenn auch der
betreffende Nachbarzahn vorher gut getrocknet und mit etwas
Kopaläther bestrichen wird, so hält sie doch nicht fest, kann
auch vom Patienten selbst abgenommen werden. Ich nehme
über den dazu ausgewählten Zahn einen Abdruck und ver¬
fertige eine Kappe aus Metall (gewöhnlich Viktoria-Metall),
welche auf den Zahn aufzementiert wird. Diese Arbeit ist in
kaum einer halben Stunde gemacht. Man kann auch einige
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Zur Behandlung der Wurzelhautentzündung.
461
Kappen vorrätig halten, die durch Biegen und Feilen passend
gemacht werden. Man suche sich einen Zahn aus, 1 der nicht
zu lang oder zu kurz ist, so dass nach Anlegen der Kappe
beim Kieferschluss die Kiefer sich ziemlich nähern, ohne sich
zu. treffen. Dadurch wird der Kauakt nicht zu sehr erschwert.
Ob der Zahn für die Kappe von derselben oder der andern
Seite des erkrankten Zahnes oder auch vom andern Kiefer
gewählt: wird, ist nach meiner Ansicht gleichgiltig.
Ich ziehe einen Molar vor, in manchen Fällen muss man
einen Bicuspis nehmen. Erleichtert wird die Arbeit, wenn man
einen isolierten Zahn zur Verfügung hat.
Man sagt dem Patienten vorher, dass es mit dem Kauen
einige Zeit schwer gehen wird und dass er für eine passende
Kost sorgen müsse. Die Patienten erfragen diese Unbequemlich¬
keit mit grosser Geduld, besonders diejenigen, die den durch
das Kauen verursachten, manchmal rasenden Schmerz kennen
gelernt haben.
Den Patienten weist man selbstverständlich an, nur auf
der gesunden Kieferseite zu kauen.
Es war geradezu überraschend für mich, zu sehen, welch
glatten Verlauf in den meisten Fällen nach Anlegen der Kappe
und bei weiterer sachgemässer Behandlung die so gefürchtete
Wurzelhautentzündung nimmt.
Vor allem wird Patient geduldiger und ruhiger, da er
nicht mehr bei jedem Kieferschluss aufgeschreckt wird. Ich fand
es vorteilhaft, die Kappe nicht nur während der ganzen Be¬
handlung, sondern auch noch ein bis zwei Tage nach der
Füllung des Zahnes tragen zu lassen; die Wurzelhaut hat sich
„erholt“, man ist sicherer, dass der Prozess wirklich ganz ab¬
gelaufen ist.
Das Abnebmen der Kappe gelingt meist sehr leicht durch
Loshebeln der Ränder mittels eines passenden Instrumentes,
eventuell mittels leichter Hammerschläge; selten ist die Kronen¬
schere erforderlich.
Die weitere Behandlung führe ich in der Weise aus,
dass ich nach Ausräumung der oberflächlichen gangränösen
Massen Thymolkristalle einlege. Wir müssen Dr. Adolf Müller
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462
Dr. Leopold Mräcek, Kremsier.
(Wien) dankbar sein, dass er uns auf diese früher geübte
Thymolbehandlung wieder aufmerksam gemacht hat.
Es ist ja allgemein bekannt, dass man mit der gründ¬
lichen Ausräumung der Wurzelkanäle im Anfänge recht vor¬
sichtig sein muss, um ja nicht kleine Mengen der zersetzten
Pulpa durch das Foramen apicale durchzutreiben.
Die weitere Behandlung und den Abschluss vollführe ich
mit Trikresol-Formalin, das sich, wie es scheint, allgemein den
ersten Platz erobert hat.
Das Wesentliche in obiger Ausführung der Behandlung
der Wurzelhautentzündung besteht also kurz wiederholt in:
1. Sofortigem Anlegen einer auf einen ge¬
sunden Zahn aufzuzementierenden Metallkappe,
um den erkrankten Zahn ausser Artikulation zu
setzen.
2. Liegenlassen der Kappe während der ganzen
Behandlung, in den meisten Fällen sogar noch
einige Tage nach Einlegen der Füllung.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Eil lener, sehr leicht ausfahrbarer iid Miliar Ersaß flr
abiespripe Zälne aa festsitzeaiea Brücken.
. Von Dr. Leopold MrdSek, Zahnarzt in Kremsier (Mähren).
Jeder Kollege kennt die Schwierigkeiten, die aus dem
Herabnehmen einer festsitzenden Brückenarbeit oder durch das.
Bohren der Löcher in die Schutzplatten und nachträgliches Zu¬
schleifen und Anpassen des Ersatzes für die abgesprungenen
Zahnfacetten erwachsen.
Um diesem Uebelstande nach Möglichkeit abzuhelfen,
empfehle ich eine neue, bedeutend leichtere und für den
Patienten angenehmere Methode der Brückenreparaturen. Die
Methode beruht auf zweierlei Vorgängen, die, je nachdem wie
der Zahn gesprungen ist, zur Anwendung kommen.
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Ein neuer Ersatz für abgesprungene Zähne etc.
463
Bricht der Zahn vollständig entzwei, derart, dass nur die
Crampons in der Schutzpiatte stecken bleiben, was gewöhnlich
der Fall ist, so lege ich die Stelle an der sich die Crampons
befinden, trocken, bedecke dieselben mit einem Stückchen er¬
weichter Stentsmasse, mit Zement, das ich erhärten lasse, oder
mit hartem Wachs, bilde diese Masse zu einer sphäroidalen
Form und nehme einen Gips- oder Stentsabdruck.
An dem Positive brenne ich hierauf in dem elektrischen
Ofen aus Jenkins-Porzellanmasse die neue Zahnfacette. Der die
Crampons bedeckenden Masse zufolge hat sich in dem neu¬
gebrannten Zahne ein Hohlraum gebildet, der mit Unter¬
schnitten versehen wird, worauf die Facette mittels Zement
an die Crampons befestigt wird.
Im anderen Falle, wo der Zahn derart gebrochen ist, dass
seine Facette intakt geblieben ist, also der Längsachse nach
in frontaler Ebene, und die Crampons in der Schutzplatte ge¬
blieben sind, gehe ich folgendermassen vor:
An diejenigen Stellen, wo die Crampons sassen — diese
sind durch ihre Glätte leicht erkennbar — lege ich Platin¬
röhrchen , etwas weiter als die ursprünglichen Crampons
waren, die der Höhe der Crampons entsprechen und gebe
ihnen durch Aufdrücken auf eine Ebene, eine breitere Basis
oder befestige dieselben mit in Chloroform aufgelöstem Kaut¬
schuk, oder mit in Spiritus aufgelöstem Schellack. Wenn diese
Röhrchen parallel stehen und der Lage der in der Schutzplatte
stecken gebliebenen Crampons entsprechen, nehme ich Jenkins-
Porzellanmasse, etwas dicker und mit Wasser befeuchtet (nicht
mit Spiritus), und trage sie auf die gebrochene Zahnfläche und um
die Platinröhrchen herum auf. Das erste Aufträgen der Jenkins-
masse bezweckt die Befestigung der Platinröhrchen und wenn
diese durch den ersten Brand befestigt sind, kann man Por¬
zellanmasse in der Stärke des ursprünglichen Zahnes auftragen.
Ist diese Arbeit beendet, so habe ich einen Zahn vor mir, der
zwei Löcher aufweist, vermöge welcher der Zahn auf die
Crampons aufgesteckt und mit Zement befestigt wird.
Die Herstellung der Platinröhrchen selbst ist so einfach
und leicht wie das ganze Verfahren. Der Vorgang ist folgender:
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464
Associazione stomatologica Triestina.
Man nimmt eine Platinfolie (Abfälle von Abdrücken für Porzellan¬
plomben), legt sie auf eine der Stärke der Crampons ent¬
sprechende, respektive stärkere Nadel oder Sonde, rollt sie
einfach mit den Fingern auf dieser Sonde ein und das Röhrchen
ist fertig. Dann kann man es derart zuschneiden, dass es die
mit den Crampons korrespondierende Länge erhält.
Berichte ans Instituten nnd Vereinen.
Die Monatsversammlung vom 9. Mai gestaltete
sich besonders erfreulich durch die Anwesenheit zweier Wiener
Gäste: der Herren Dr. Trauner, Präsidenten des Zentral¬
verbandes österreichischer Stomatologen, und Universitäts¬
dozenten Dr. v. Wunschheim.
Dr. Trauner sprach über die Chancen der im neuen
Parlament einzubringenden Gesetze betreffs der Regelung der
zahnärztlichen Praxis und andere die Kollegen interessierende
Standesangelegenheiten.
Ausserordentlich interessant war der Vortrag des Do¬
zenten Dr. v. Wunschheim über das moderne Thema
„Zahnregulierung“, illustriert durch über 40 Modelle.
Dr. Trauner sprach über die Paraffinbehandlung der
Wurzelkanäle zur grossen Befriedigung der Anwesenden, die
den liebwerten Gästen ihren wärmsten Dank ausdrückten.
Ausser den Triester Kollegen waren auch die Görzer Mit¬
glieder erschienen.
Das allgemeine Thema der Juni - Monatssitzung
— der letzten vor den Sommerferien — war: Unsere
Lieblingsinstrumente. Die Kollegen demonstrierten ihre
mitgebrachten Instrumente, woran sich eine lebhafte Diskussion
über fast alle Gebiete der Zahnheilkunde anschloss. —.—
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79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.
465
79. Vmamnliiii! äentscta Natorforscher and Aerzte.
Dresden, 15. bis 21. September 1907.
Von der Haupt- und Residenzstadt Dresden herzlich ein¬
geladen, wird die Gesellschaft deutscher Naturforscher und
Aerzte ihre Tagung in diesem Jahre hier abhalten, Denen,
die der letzten Naturforscherversammlung in Dresden vor
39 Jahren beigewohnt haben, wird sie in schönster Erinnerung
sein, da sich alles: Natur und Kunst, wissenschaftliches Leben,
die Gastfreundschaft der Dresdner vereinigte, um jene Tagung
anmutig und erfolgreich zu gestalten.
Jetzt rüstet man sich — wie nachfolgender Plan zeigt —
zahlreiche Teilnehmer gastfreundlich zu empfangen und ihnen
wissenschaftliche Anregungen, sowie gesellige Annehmlichkeiten
zu bieten. In der Zuversicht, dass sich der Aufenthalt in unserer
schönen Stadt für die Gäste so wirksam und angenehm wie
möglich gestalten wird, laden wir die Naturforscher und Aerzte
von nah und fern zum Besuche der diesjährigen Versamm¬
lung ein.
Dresden, Ende Juni 1907.
Die Geschäftsführer:
E. v. Meyer. G. Leopold.
*
Programm der 26. Abteilung: Zahnheilkunde.
1. Brandt (Berlin): a) Ueber die Beziehungen zwischen
Zahn, Oberkiefer und Nasenscheide; b ) In wie weit ent¬
spricht die Behandlung der Blutung nach Zahnextraktionen
den Anforderungen der heutigen Chirurgie.
2. Bruhn (Düsseldorf): a) Zur Frage der Devitalisation
der Zähne vor ihrer Ueberkappung; b ) Eine Demonstration
von Vorrichtungen zur Befestigung loser Zähne.
3. Fenchel (Hamburg): o) Elektromotorische Kraft von
Strömen im Munde; b) Kontrollmethoden für zahnärztliche
Amalgame.
4. Hasse (Coblenz): Ueber Kristallgestalt und Lösungs¬
druck als Ursachen der Formveränderungen unserer Amalgame.
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466
79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.
5. Herbst (Bremen): Zahnärztliche Orthopädie im
Dienste der Chirurgie.
6. Kronfeld (Wien): Schwere Folgezustände nach Er¬
krankung von Milchzähnen.
7. Kühnast (Dresden): Die Rechtslage in der zahnärzt¬
lichen Behandlung für Krankenkassen.
8. Kulka (Wien): Ueber die wichtigsten mechanischen
und einige chemische Eigenschaften der Silikat- und Zink¬
phosphatzemente.
9. Kunert (Breslau): Demonstration der Ollendoifschen
Gussmethode.
10. Kunstmann (Dresden): Wurzelspitzenresektionen
mit Demonstrationen.
11. Luniatschek (Breslau): a) Welchen Wert hat die
interne Medikation für die Entwicklung der harten Zahnsubstanz;
£>) Demonstration: Auf welche Weise kann man einzelstehende
Eckzähne als Stützpunkte für Brückenarbeiten verwenden.
12. Meyer ("Dresden): Ueber mehljährige Erfahrungen
der Behandlung irregulärer Zahn- und Kieferregulierungen nach
Pfaffscher Methode
13. Metz (Meran in Tirol): Pflege des Kindergebisses.
14. Pf aff (Dresden): a ) Zwölfjährige Erfahrungen über
Kronen- und Brückenarbeiten mit Demonstrationen; b ) Regu¬
lierungsmethoden in ihrer geschichtlichen Entwicklung mit be¬
sonderer Berücksichtigung ihrer Vor- und Nachteile.
15. Polscher (Dresden): Einfluss des künstlichen Zahn¬
ersatzes auf Kauen und Kiefergelenk.
16. Reich (Marburg): a) Einiges über irreguläres Dentin;
b) Demonstration des irregulären Dentins an mikroskopischen
Präparaten.
17. Röse (Dresden): o) Ueber den Durchbruch der
bleibenden Zähne des menschlichen Gebisses; b) Ueber Kupfer¬
amalgam mit Demonstrationen.
18. Schachtel (Breslau): Der Zahnarzt und die Hygiene.
19. St ehr (Roermond): a) Beiträge zur Ernährungsfrage;
Demonstration von drei für die Zahn- Und Kieferregulierung
ungeeigneten Fällen.
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79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.
467
20. Win dm ü 11 er (Hamburg): Ueber chirurgische In-
strumente des Altertums mit Demonstrationen und Lichtbildern.
21. Ziegel (Görlitz): o) Herstellung schwer fliessender
Emailblöcke mit dem Trottnerschen Ofen; 6) Demonstration
des Ollendorfschen Giessverfahrens zur Anfertigung von Brücken*
und Plattenprothesen mit dem Trottnerschen Ofen.
Einftthrende:
Zahnarzt Falk, Hofrat Pfaff, Hofzahnarzt Dr. Röse.
Schriftführer:
Zahnarzt Dr. Kunstmann, Zahnarzt Polscher.
Die Abteilung ladet ein:
Die Abteilung 20 (Kinderheilkunde) zu den Vorträgen
Kronfeld (6), Metz (13); die Abteilung 16 (Innere Medizin)
zu den Vorträgen Luniatschek(lOa), Röse (17a); die Ab¬
teilung 18 (Chirurgie) zu den Vortfägen Brandt (1), Herbst (5)
Windmüller (20).
Die Abteilung ist eingeladen:
Von der Abteilung 16 (Innere Medizin) zu dem Vortrage
Röse (Dresden): Zur Pathologie und Therapie der Kalkarmut;
von der Abteilung 18 (Innere Medizin) zu dem Vortrage
Kuhn (Cassel): Operation des Wolfsrachens mittels peroraler
Tubage;
von der Abteilung 23 (Hals- und Nasenkrankheiten) zu
dem Vortrage Gutzmann (Berlin): Zur Diagnose und Therapie
der Stigmatismen;
von der Abteilung 27 (Militärsanitätswesen) zu dem Vor-
trage Sicking er (Brünn): Bisherige Erfolge der zahnärzt¬
lichen Behandlung in Armee und Schule mit weiteren Vor¬
schlägen.
Sitzungsraum: Zentralstelle für Zahnhygiene, Waisenhausstr. 9, II.
Verpflegungsstätte: Viktoriahaus.
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468
Referate und Journalschau.
Referate und Journalsehau.
Lehrbuch der zahnärztlichen Technik. Von Prof. Dr. med.
Karl Jung , Berlin. (Franz Deuticke, Leipzig und Wien)
Wenn der junge Praktiker es vermeiden will, zu viele
Misserfolge auf dem Gebiete der Zahnersatzkunde zu erleben,
so sei ihm das Studium des Jungschen Lehrbuches der zahn¬
ärztlichen Technik aufs wärmste in seinem Interesse, sowie in
dem seiner Klientel empfohlen. Jung verstand es vorzüglich,
den ganzen Werdegang der Prothetik, wie er auf Grund der
langjährigen Erfahrung sein soll, dem Leser seines Werkes
ab ovo und gradatim so vor Augen zu führen, dass manch
junger Zahnarzt in vielen Fällen nach der Lektüre des genannten
Werkes einsehen wird, warum er. in dem oder jenem Falle
nicht das befriedigende Resultat erreicht hat, das ihm vor¬
geschwebt hat.
Damit sind die Vorzüge des Jungschen Lehrbuches
schon deutlich charakterisiert; doch kann auch der ältere
Praktiker manches daraus gewinnen, um so mehr, als ja das
Werk eine bedeutende Umarbeitung und Erweiterung dadurch
erfahren hat, dass auch die modernen Methoden (die ganze
Emailtechnik, das grosse Gebiet der Brückenarbeiten, die Her¬
stellung der gegossenen Stücke etc.) eingehende Würdigung
erfahren. Recht interessant sind die Kapitel über Einrichtung
des technischen Laboratoriums und die praktischen Winke,
Dr. A. Neumann-Kneucker, Wien, IX.
lieber postoperative Parotitis. Von Dr. G. A. Wagner.
(Wiener klinische Wochenschrift, Nr. 52, 1906.)
Die postoperative Parotitis tritt im Anschluss an Opera¬
tionen auf, ohne dass sonst irgendwie ein Eiterherd im Körper
zu konstatieren ist. Das ist dabei das Auffallende. Sie beginnt
meist am fünften bis siebenten Tage nach der Operation unter
plötzlichem Fieberanstieg, wenn auch bisher völlig normale
Temperaturen vorhanden waren. Die Mortalität beträgt bei den
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Referate and JoumaUchan.
469
reinen postoperativen Fällen (ohne Eiterung an der Operations¬
wunde) 30 Prozent. An der Hand von fünf im Zeiträume
von 2'/, Jahren in der v. Eiselsbergschen Klinik beob¬
achteten derartigen Fällen (2 Magen-, 2 Darmoperationen und
1 Cholecystektomie, 3 mit tödlichem Ausgange) bespricht Autor
eingehend die Aetiologie der Erkrankung. In allen fünf tödlich
verlaufenen Fällen hatte sich zu der Parotitis eitrige Bronchitis
mit Lobulärpneumonie, respektive verjauchender Pneumonie
hinzugesellt, während das Bauchfell frei von Entzündungs¬
erscheinungen war.
Es kommt die Parotitis postoperativa zweifellos durch
Infektion vom Mund aus zustande. Wesentlich dabei ist die
Sistierung der Speichelabsonderung während der Laparotomie,
die Pawlow in seinen ausgezeichneten Versuchen nach¬
gewiesen hat Dieselbe hält auch nach Verschluss der Bauch¬
höhle an, selten kehrt sie dann schon zur Norm zurück. Hinzu
kommt die Wirkung der Chloroformnarkose auf die Speichel¬
drüse (direkte Lähmung nach Berth) oder der Aethernarkose
(Stillstand der Sekretion nach vorangegangener Hypersekretion
R.ÜHermann). Zu diesen Momenten tritt dann nach Verfasser
wohl auch in manchen Fällen eine traumatische Schädigung,
bedingt durch das Verhallen der Kiefer an den Kieferwinkeln
-während der Narkose durch den beständigen Druck der Finger
des Narkotiseurs.
Prophylaktisch ist es daher von Bedeutung, vor der Opera¬
tion den Mund gründlich antiseptisch zu behandeln.
Dr. A. Neumann-Kneucker , Wien, IX.
Ueber künstliche Gebisse in der Speiseröhre und ihre
Entfernung. Von Dr. Blecher. (Deutsche militärärztliche Zeit¬
schrift, 1905, Heft 3.)
Nach Besprechung der chirurgischen Behandlung ver¬
schluckter Gebisse schildert Autor einen von ihm operierten
Fall. In diesem sass das mit scharfen spitzen Klammern an
beiden Seiten versehene Gebiss 20 Cm. von der Zahnreihe
unbeweglich in der Speiseröhre. Da Extraktionsversuche er¬
folglos waren und Patient bereits fieberte, wurde der Speise-
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470
Referate und Joumalschan.
röhrenschnitt ausgeführt, durch denselben eine Zange ein¬
geführt und das Gebiss, da der Schnitt in der Speiseröhre zu
klein war, durch die Zange in den Rachen geschoben. Sodann
wurde es vom Munde aus mit dem Finger hervorgeholt. Ab¬
gesehen von einer vorübergehenden linksseitigen Rekurrens¬
lähmung verlief der Fall durchaus günstig.
Patient wurde wieder vollständig hergestellt, so dass er
wieder Militärdienst leisten konnte.
Dr. A. Neumann -Kneucker, Wien, IX.
Ein Fall von schwerer narbiger Kieferklemme. Von
Dr. Schüler. (Inaug.-Diss., Kiel 1904.)
Durch Noma nach Typhus wurde in dem Falle, den Autor
beschreibt, hochgradigste narbige Kieferklemme hervorgerufen.
Um diese zu beheben, wurde die Ablösung der Narben
von beiden Seiten des Kiefers in der Kieler chirurgischen Klinik
vorgenommen. Da die Kieferklemme zu rezidivieren drohte,
trotz Dehnung der Narben durch aktive und passive Bewegungen,
wurde ein trapezförmiges Stück nahe dem Unterkieferwinkel
aus dem horizontalen Aste reseziert und in die entstandene
Lücke Bindegewebe und der hintere Zipfel der Submaxillar-
drüse eingelagert. Obgleich die Pseudartbrose später wieder
fast unbeweglich wurde, besserte sich nunmehr die Kiefer¬
beweglichkeit dadurch, dass die Narben fortgesetzt gedehnt
wurden. Dr. A. Neumann -Kneucker, Wien, IX.
Kontinuitätsresektionen des Unterkiefers und deren prothe-
tische Behandlung. Von Dr. Ham Pichler. (Demonstration in
der Sitzung vom 11. Mai 1906 in der Gesellschaft der Aerzte
in Wien. Bericht der Wiener klinischen Rundschau.)
Fall I. Epitheliom des Mundhöhlenbodens, das auf die
linke Unterkieferseite übergegriffen hat. Entfernung des Tumors
nach Ausräumung der submazillaren Lymphdrüsen. Dabei
gingen die Sägeschnitte rechts durch die Alveole des Eck-
zabnes, links durch die des zweiten Mahlzahnes.
Nach beendeter Blutstillung wurde die nach der Methode
von Fritzsche vorbereitete Immediatprothese eingesetzt, die
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Referat« und Jonraalschau
471
zur Operation vorbereitet war. Ein Stück Zinn, das nach dem
Modell eines Leichenunterkiefers von passender Form und Grösse
in der Ausdehnung des voraussichtlich zu resezierenden Kiefer¬
stückes gegossen worden war, ohne Alveolarfortsatz, trägt an
beiden Enden durchlöcherte Blechschienen, die unter sorgfältiger
Beachtung der Artikulation der verbleibenden Zähne mit denen
des Oberkiefers an den Knochenstümpfen mit Draht festgenäht
wurden. Diese Schienen sind nicht untrennbar mit dem Zinn¬
körper verbunden, sondern nur durch einen Falz und ein¬
gesteckte Stifte, so dass es nötigenfalls zur genaueren Inspektion
der Wunde möglich gewesen wäre, die Zinnprothese temporär
zu entfernen. Dazu bot aber der Verlauf der Heilung in diesen
Fällen keine Veranlassung. Diese Immediatprothese hat den
Vorteil, dass im Falle einer ausgedehnteren Resektion, als
vorausgesehen wurde, die Schienen während der Operation
gegen längere ausgetauscht werden können. 4 Wochen nach
der Operation wurde die geschilderte Prothese entfernt und
ein Ersatz aus Hartgummi mit fünf Vorderzähnen und zwei
Goldklammern angesetzt, ein Ersatz, den der Patient anstands¬
los trägt.
Kinn und Wange behielten ihre normale Form. Die Ent¬
stellung beschränkt sich auf die Hautnarben und eine leichte
Facialislähmung. Auch die Funktionen des Sprechens, Kauens
und Schluckens sind befriedigend.
Fall II. Exulzeriertes Riesenzellensarkom der linken Unter¬
kieferseite, operiert von Eiseisberg. Bilaterale, submaxillare
Drüsenmetastasen. Exartikulation der erkrankten Kieferhälfte
bis zum linken Eckzahn. In’diesem Falle konnte die Immediat¬
prothese nur an einer Seite an den Stumpf angenäht werden.
Das andere Ende, der künstliche Processus condyloideus wurde
in die Gelenkspfanne eingelegt.
Dr. A. Neumann-Kneucker, Wien, IX.
Goldinlays. Von Olarence H. Wright, Chicago. (The Dental
Digest, Februar 1907.)
Autor hält Goldinlays für alle Kavitäten distal von der
mesialen Fläche des Bicuspis in der grossen Mehrzahl der
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Referate und Journalschau.
Fälle für die beste Füllungsmethode und führt dafür die be¬
kannten Argumente an, die ja zum grössten Teil zweifellos
stichhältig sind. Er hat nach zehnjähriger Erfahrung keinen
einzigen Fall von Kariesrezidive am Rande eines Goldinlays
zu verzeichnen.
Es gibt zahlreiche Methoden der Herstellung; seine ge¬
wöhnliche ist die folgende: Präparation der Höhle ohne Unter¬
schnitte, aber mit flacher Basis und ausgeprägten Flächen¬
winkeln; insbesondere soll die gingivale Wand approximaler
Kavitäten horizontal oder sogar (im Bereich des Dentins) ein
klein wenig nach innen geneigt sein. Die Kaufurchen werden
bei solchen Höhlen breit ausgeschnitten und schwalbenschwanz¬
förmig gestaltet.
Die Schmelzränder sollen stark abgeschrägt, aber nicht
abgerundet werden.
Die Matrix wird aus 24 gauge Feingold auf einem Metall¬
modell vorgeformt und derart beschnitten und befeilt, dass die
Ränder möglichst genau nur die Kavität selbst decken.
Diese unvollkommene Matrix wird in einer zweiten Sitzung
im Mund genau anpoliert. Zeigt sich dabei, dass sie irgendwo
den Rand nicht ganz deckt, so lässt sich das relativ dicke
Gold leicht durch Druck mit dem Polierstahl an dieser Stelle
soweit strecken, dass es nun bis zum Rand reicht. Schliesslich
wird das Gold noch unter möglichst grossem Druck mit Hilfe
von unvulkanisiertem Kautschuk der Höhle gut angepresst, vor¬
sichtig entfernt, eingebettet und mit Watts crystal gold and
platinum bis zum gewünschten Kontur ausgestopft, ohne dass
aber dieses dabei fest kondensiert wird. Wenn man dieses
Kristall-Platingold mit einem flüssigen Lötmittel bestreicht und
22 kar. Goldlot daraufschmilzt, so saugt es dieses vollkommen
auf* ohne seine Form zu verändern. Die Höhe des Kontos,
insbesondere auch des Kontaktpunktes, muss an einem kleinen
Artikulationsmodell, das der Gipsabguss eines. Stents-„Bisses u
ist, kontrolliert werden. Man kann das auch so machen, dass
man das Kristall-Platingold direkt in der Kavität des Gips¬
modells in gewünschter Höhe aufbaut, aus dem Modell ent-
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Referate and Joarnalschan.
473
femt, in die eingebettete Matrix legt, den Rändern derselben
beiläufig adaptiert und dann mit Lot überschwemmt.
Nun wird die Aussenseite des Inlays verfeilt und un¬
gefähr poliert und in die innere Oberfläche werden zum besseren
Haften des Zements Rinnen geschliffen; dabei ist zu beachten,
dass der beim Einschleifen entstehende Grat vor dem Einsetzen
beseitigt werden muss.
Das Elinsetzen geschieht mit Zement unter Anwendung
eines kräftigen Drucks. Dabei braucht die Höhle nur eine so
kurze Zeit vollkommen trocken zu sein, dass Wright in den
meisten Fällen die Anwendung der Gummiplatte für über¬
flüssig hält. Dr. Hans Pichler.
Die Behandlung der Bicuspidaten. Von W. M. Hirschfdd,
Paris. (The Dental Review, 1907, III.)
Eines der schwierigsten Kapitel unserer Kunst ist die Be¬
handlung der Bicuspidaten. Sie erfordert mehr Geschicklichkeit,
richtigeres Urteil, grössere Gewissenhaftigkeit als die meisten
anderen Arbeiten. Grosse Schwierigkeiten bietet die gedrängte
Stellung dieser Zähne, ihre Neigung zu sekundärer Karies am
Zahnhalse, ihre anatomische Form, welche eine ausgiebige
Verankerung des Füllungsmateriales häufig unmöglich macht,
schliesslich die Wahl dieses Materiales im einzelnen Falle.
Blacks Prinzip der Extension for prevention sollte hier im
weitesten Umfange angewendet werden. Leider geschieht dies
gewöhnlich nicht. Die Geldfrage, die Schwierigkeit der Arbeit,
die störende Sichtbarkeit einer grossen Goldfüllung, die Em¬
pfindlichkeit des Patienten sind nur zu häufig bei der Wahl
des Füllungsmateriales die ausschlaggebenden Faktoren. Man
sollte sich stets folgende Fragen vorlegen: Hat die Zerstörung
den Zahnfleischrand erreicht? Sind beide Approximalflächen
erkrankt? Ist die Kaufläche dazwischen gesund? Ist die Pulpa
noch vorhanden? Erlaubt es unsere Geschicklichkeit, an eine
grosse Konturfüllung mit Aussicht auf Erfolg zu gehen? Zu¬
nächst haben wir natürlich an Gold zu denken. Man sieht auch
gewöhnlich an den Bicuspidaten Goldfüllungen, aber wie sehen
diese aus! Die herrlichsten Konturfüllungen zeigen am cervicalen
9
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Referate und Journalschau.
Rande Fehler. Man vergesse nie nach dem Rate Abbotts,
den Halsteil der Kavität mit Zinn oder Zinngold zu füllen und
hüte sich, worauf zuerst Sachs hingewiesen hat, diese ohne¬
dies schwache Partie des Zahnes durch Haftpunkte oder Unter¬
schnitte noch mehr zu schwächen. Ebenso darf man niemals
kohäsives Gold mit dem Zahnbein in direkte Berührung bringen,
weil es an diesem nicht haftet, sondern muss zunächst alle
Wände mit weichem Gold auskleiden und darf erst dann daran¬
gehen, aus kohäsivem Golde die Kontur aufzubauen. Jede
grössere Goldfüllung stellt an die Ausdauer des Patienten hohe
Anforderungen. Der amerikanische Zahnarzt hat mit einer in
der Welt einzig dastehenden Klasse von Patienten zu tun. Sein
Patient kommt zu ihm mit der entschiedenen Forderung, seine
Zähne dauerhaft zu behandeln, ohne Rücksicht darauf, wie
lange, wie schmerzhaft die Operation ist. Bei uns (Hirsch¬
feld spricht von Romanen, speziell Franzosen) ist es gerade
umgekehrt: Die Patienten lassen ihre Zähne behandeln nicht
in der Weise, wie es für sie am besten, sondern wie es am
wenigsten schmerzhaft ist. Wir sind daher in Europa oft ge¬
zwungen, von der Goldfüllung abzusehen und zu Zement
Amalgam oder Porzellan zu greifen.
Zement besitzt, abgesehen von allen anderen, denselben
Fehler wie Gold; es hält keine gute Freundschaft mit dem
cervicalen Rande der Kavität. Deshalb muss dieser mit Gutta¬
percha oder Amalgam bedeckt werden. Eine solche Kombination
eignet sich für weiche Zähne. Amalgam verwendet Hirsch¬
feld nur mit dünner Zementunterlage, um die Verfärbung und
Schrumpfung zu verhindern. Dies ist dann ein Amalgaminlay
mit Zement befestigt. Weit geeigneter für.Bicuspidaten ist Por¬
zellan,* das uns gerade bei diesen Zähnen die besten Dienste
leistet. Aber das Porzellan ist ein gar strenger Herr, welcher
nicht das kleinste Versehen seines Dieners verzeiht. Auch hier
beginnt und endet aller Erfolg mit der richtigen Präparation
der cervicalen Ränder. Trägt man alle schwachen Zahnränder
ab und schützt das Porzellan um Haaresbreite vor dem Bisse,
so ist Zahn und Inlay in Sicherheit. Hirschfeld schliesst
seinen interessanten Artikel mit einem Ausspruche Bogues,
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Referate und Journalschau.
476
■eines Veteranen der Goldfällung: „Der beste Zahnarzt ist nicht
jener, welcher wundervolle Goldfüllungen legt, sondern der,
dessen Patienten, wenn sie mit ihm alt werden, noch ihre
Bicuspidaten im Munde haben.“ Dr. B. Krotifeld.
Silikatzemente. Von W. Bruck, Breslau. (Deutsche Monats¬
schrift für Zahnheilkunde, 1907, 11.)
Wenn auch die Einführung des „Porcelain Enamel“ von
J e n k i n s für die Zahnheilkunde eine wertvolle Bereicherung
bedeutete, so blieb doch der Wunsch der Zahnärzte unerfüllt,
ein Material zu besitzen, welches in alle Kavitäten ohne grössere
Separation und ohne Abtragung grösserer Mengen gesunder
Zahnsubstanz eingeführt werden kann und dabei genügende
Haltbarkeit und ein naturgetreues Aussehen besitzt. Es ist das
grosse Verdienst Aschers, aus Berylliumnitrat und Natrium¬
silikat ein solches Präparat hergestellt zu haben. Bruck ver¬
wendet dieses Material seit 2'/* Jahren in zirka 1300 Fällen.
Ueber seine Haltbarkeit lässt sich in dieser kurzen Zeit kein
abschliessendes Urteil fällen. Anwendung fand es besonders an
den Vorderzähnen, wofern nicht Ecken oder grössere Konturen
aufzubauen waren. Sehr geeignet ist es ferner zur Reparatur
von Richmondkronen und Brücken, bei denen eine Porzellan¬
fläche zerbrochen ist. Vorsicht erfordert bei lebenden Zähnen
die Pulpa. Um eine Schädigung derselben durch die Phosphor¬
säure (vielleicht auch durch minimale Spuren von Arsen ?) zu
verhüten, überzieht Bruck in jedem Falle den Boden der
Kavität mittels einer mit Menthol oder Eugenol angerührten
Unterlage von Zement und hat dank dieser Vorsichtsmassregel
niemals ein Absterben der Pulpa konstatieren können.
Dr. R. Kronfeld.
Rhinolith infolge Retention des Caninus. ln der Sitzung
■vom 12. April iy07 der k. k. Gesellschaft der Aerzte in
Wien demonstrierte Glas (Klinik Chiari) folgenden inter¬
essanten Fall. Ein 19jähriger Patient leidet seit Juni 1906
an übelriechendem Aufstossen und wiederholtem Brechen von
fötiden Massen. Die interne Untersuchung ergab keinen positiven
9 *
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Referate und Joumalsehau.
Anhaltspunkt. Da die Vermutung geäussert wurde, dass es sich
eventuell um verschlucktes Sputum handeln könne, wurde die-
rhinoskopische Untersuchung vorgenommen, obwohl Patient
niemals nasale Beschwerden gehabt hat. Hiebei fand man unter
der unteren Nasenmuschel jauchig zersetzte, übelriechende,,
bröcklige Massen. Nach deren Entfernung trat eine starke
Blutung auf und die Sonde stiess in der Tiefe auf einen rauhe»
festen Körper. Schliesslich wurde ein Rhinolith entfernt,
welcher sich nach längerer Reinigung als Eck zahn erwies.
Die Untersuchung des Gebisses ergab tatsächlich Fehlen des
linken Eckzahnes, ohne dass eine Lücke in der Zahnreihe vor¬
handen war. Nach Entfernung des Nasenzahnes verschwand
das monatelange stinkende Aufstossen und Erbrechen momentan.
Dr. R. Kronfeld .
Die Aufklappung der Schleimhautbedeckung der Kiefer.
Von < 7 . Partsch , Breslau. (Deutsche Monatsschrift für Zahnheil¬
kunde, XXIII, 10.)
Bei Fällen, welche trotz anscheinend klarer Diagnose eine*
auffällig langwierige Behandlung erfordern, sowie bei gewissen
Zuständen, deren Diagnose Schwierigkeiten macht, ist dio
Aufklappung der Schleimhaut notwendig. Sie bezweckt
die Freilegung des Knochens durch breite Umschneidung und
Ablösung der Schleimhautdecke, vor allem bei jenen auf dem
Boden der chronischen Periodontitis sich entwickelnden Fistel¬
gängen, ’die oftmals jeder Behandlung trotzen, da es sich hie¬
bei zumeist um granulierende Ostitis handelt. Hier ist die Frei¬
legung des Granulationsherdes das einzige sichere Mittel. Ob*
damit die Wurzelresektion verbunden werden muss, entscheidet
erst der Operationsbefund. Die breite Blosslegung des Knochens,
erfordert eine ausgiebige Lappenbildung aus der Schleimhaut.
Einfache gerade Schnitte, auch die von Weiser angegebene»
Türflügelschnitte erscheinen Partsch nicht ausreichend. Der
Bogenschnitt trennt einen grossen Lappen ab, dessen Basis
im Vestibulum oris liegt und der das ganze Zahnfleisch bis
nahe an den Zahnfleischrand in sich fasst. Die breite Basis
sichert auf die Dauer eine gute Ernährung des Lappens..
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Referate und Journalschau.
477
1 bis 2 Ccm. einer '/»prozentigen Kokainlösung mit 3 Tropfen
Davis’scher Adrenalinsolution reichen vollkommen aus, um das
glanze Operationsfeld gefühllos und in vielen Fällen auch blutleer
zu machen. Wie leicht sich das Periost vom Knochen ablösen
lässt, richtet sich nach der Stelle der Ablösung und der Art
der Erkrankung. Am schwersten gelingt die Ablösung am
Mittelstück des Unterkiefers und bei alten narbigen Prozessen,
ist aber stets mit grösster Sorgfalt vorzunehmen (langgriffiges,
kurzschneidiges, schmales Messer und Elevatorium mit nicht zu
stumpfer Spitze), weil bei einem zerfetzten Lappen die Aus¬
heilung erst nach Abstossung der zerrissenen Partien, also erst
nach längerer Zeit erfolgen kann. Partsch tamponiert
nicht und macht auch keine Mosetigplomben; der
Lappen wird einfach direkt auf den Knochen gelegt und ein
mässiger Druck, ausgeführt mit einem aussen aufgelegten Watte¬
tampon und dem Finger, genügt, um durch 2 bis 3 Stunden
jede ßlutung hintanzuhalten und den Lappen so an seine Unter¬
lage festkleben zu lassen, dass er auch nach Entfernung des
Tampons genügend festhaftet. Bei diesem Verfahren hat der
Patient vom dritten Tage ab kaum mehr eine Empfindung von der
überstandenen Operation; leichte Schmerzen und Schwellungen
weichen rasch trockenen warmen Umschlägen. Zum Schlüsse
•erwähnt Partsch noch die Wichtigkeit ausgiebiger Beleuchtung
des Operationsfeldes (Stirnlampe) und geschulter Assistenz.
Dr. R. Kronfeld.
DnclfeliMericlilipii
In dem im Aprilhefte d. J. enthaltenen Aufsatze: „Studien
über die pathologische Anatomie und Therapie der Wurzel¬
erkrankungen . . . .“ von Dr. Lartschneider, Linz, hat sich
ein sinnstörender Druckfehler eingeschlichen. Auf Seite 188,
Zeile 23 soll es statt „Anhänger“ richtig Anfänger heissen.
Der Sinn des betreffenden Satzes wäre demnach der, „dass
Anfänger vom Koflferdam möglichst ausgiebigen Gebrauch
machen sollen!“
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478
Varia.
Varia.
BERLIN. Todesfall. Am 14. Juli d. J. ist Professor Hans
Al brecht einem Herzschlage erlegen. Der Verstorbene war
im Jahre 1868 zu Grevismühlen geboren, erlangte im Jahre 1889*
in Berlin die zahnärztliche Approbation, war dann bei Sauer
und Hahl Assistent und wurde im Jahre 1898 zur Leitung
des zahnärztlichen Universitäts-Institutes nach Marburg^ be¬
rufen. Im Jahre 1903 kehrte er als Lehrer für Zahnersatzkunde
an das Institut nach Berlin zurück und erhielt gleichzeitig den
Professortitel. Diese Stellung hatte Albrecht bis vor wenige»
Monaten inne. Er hat zahlreiche literarische Arbeiten ver¬
öffentlicht, die zum grössten Teile das Gebiet der Mund¬
chirurgie und Prothese betrafen. Die „Odontologischen Blätter“
hat Albrecht im Jahre 1897 begründet und bis zu seinem
Ableben redigiert. —.—
*
PARIS. Ehrenmitgliedschaft. Die Societe odontologique de
France hat in ihrer Asseinblee generale vom Februar d. J.
Prof. Dr. Julius Sch eff in Wien in Anerkennung seiner, der
zahnärztlichen Wissenschaft geleisteten hervorragenden Dienste
zum Ehrenmitglied gewählt. —.—
Deutsche Patente nnd Gebranchsmnster-Eintragongen.
(Mitgeteilt von Ing. V. Monath, Patentanwalt, Wien*
L. Jasomirgottstrasse 4.)
Gefässverschluss zur Aufnahme und Abgabe dosierter
Flüssigkeitsmengen. Joh. Fäll er, Pharmazeut in Krems a. d. D.
Verfahren zur Herstellung einer anästhesierend und
dauernd antiseptisch wirkenden Zahnwurzelfüll-, Zahnpulpadeck-
und Unterkapselungsmasse. J. D. Riedel, A.-G., Berlin.
Verfahren zur Herstellung eines aus Kalziumsuperoxyd
und Kalziumkarbonat bestehenden Zahn- und MundpflegemitieJs.
Ludwig Lensburg, München.
Zahnpille. Ernst Hugo Schaefer, Hannover.
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479
Empfangene Bücher und Broschüren.
(Mit Vorbehalt weiterer Besprechung.)
„Deutsche Chirurgie“, herausgegeben von P. v. Bruns.
Lieferung 33: Die Verletzungen und Krankheiten der Kiefer.
Von Prof. Dr. G. Perthes, Direktor des chirurgisch-poli¬
klinischen Instituts der Universität Leipzig. Mit 10 Röntgen¬
bildern und 168 Abbildungen im Text. Verlag von Ferdi¬
nand Enke, Stuttgart 1907.
Separator und Matrize. Von Prof. Sachs. Sonder-Abdruck
aus der „Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde*,
XXV. Jahrg., Juli 1907.
Pfaff oder Angle? Eine kritische Studie von Alfred Körbitz,
Berlin. Sonder-Abdruck ans der „Deutschen Monatsschrift
für Zahnheilkunde“, XXV. Jahrg., Mai 1907.
Ueber Zwillingszähne. Von Oberarzt Dr. F. G. Ri ha, gewesener
Assistent an der zahnärztlichen Universitätsklinik in Inns¬
bruck. Sonder-Abdruck aus der „Deutschen Monatsschrift
für Zahnheilkunde“, XXV. Jahrg., Mai 190 L
Ueber Plecavol, ein neues Pulpaüberkappungs- und Zahnwurzel¬
füllmaterial. Von Dr. S. Knopf, Holleschau. Sonder-Ab¬
druck aus der „Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde“,
XXV. Jahrg., Juni 1907.
E. Mercks Bericht über Neuerungen auf den Gebieten der
Pharmakotherapie und Pharmazie. XX. Jahrg. 1906. Darm¬
stadt. Jänner 1907.
Föderation Dentaire Internationale. Proceedings of the meeting
at Geneva Aug. * th and 9 th 1906. Published by Paul
Guye, Assistant-Secretary, Geneva 1906.
NB. Bei Zusendung von Rezensionsexemplaren, Tausch¬
exemplaren von Zeitungen etc. wolle man sich nur meiner
Adresse bedienen.
Julius Weiss
Wien, I. Petersplatz Nr. 7.
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Empfangene Zeitschriften.
Amerika:
Dental Era. Western Dental Journal. Items of Interest.
Dental Cosmos. Dental Review. Dental Brief.
Dental Digest. Dental Summary. Dental Hints.
Dominion Dental Journal. Pacific Dent. Gazette. Dent. Office and Laborat
Dentists Magazine.
Australien:
Australian Journal of Dentistry.
Belgien:
Bulletin de la Soci6t6 Beige de Stomatologie.
Dänemark, Schweden nnd Norwegen:
Odontologisk Tidskrift. I Tandlägebladet.
Nordisk. Tandläk. Tidskrift. |
Deutschland:
Korrespondenzblatt für Zahnärzte. Zahntechnische Reform.
Zahnärztliche Rundschau. Archiv für Zahnheilkunde.
Deutsche zahnärztl. Wochenschrift. Deutsche zahnärztliche Zeitung.
Odontologische Blätter. Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk.
Zeitschrift für zahnärztl. Orthopädie. Di« Gesundheitswarte der Schule.
Zahntechnische Wochenschrift. Zahnärztliches Zentralblatt.
England:
British Joum. of Dental Science. Quarterly Circular.
Joum. of the Brit. Dent. Assoc. Elliots Quarterly.
Dental Record.
Frankreich:
I/Odontologie. Le Monde dentaire.
Le Progr&s dentaire. Le mois m6dico-chirurgial.
La Revue de Stomatologie. Revue internat. de Prothese dentaire.
Le Laboratoire. Revue de Chirurgie dentaire.
Revue odontologique. Revue g6n6ral de l’Art dentaire.
Holland:
Tijdschrift voor Tandheelkunde.
Italien:
Giornale di Correspond, pei Dentisti. | La Rassegna dentistica.
La Stomatologia. |
Japan:
Shikwa-gakuho.
Oesterreich-Ungarn:
Wiener klinische Wochenschrift. Mavryar Fogorvosok Lapja.
Wiener medizinische Blätter. A Magyar Fogtechnikus.
österr. ärztliche Vereins-Zeitung. Zubni 16karstvi.
Osterr. Zeitschrift für Stomatologie. Rocznik lekarski.
Zeitschrift für Zahntechnik. Zentralblatt für das Gesamtgebiet
Ash’s Wiener Vierteljahrs-Fachblatt. der Medizin und ihrer Hilfs-
Stomatologiai Közlöny. Wissenschaften.
Russland:
Zubowratschebni wjestnik. | Odontologitscheskoje Obosrenije.
Kroniki dentisticni. |
Schweiz:
Schweizerische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde.
Spanien:
La Odontologia.
, Wir bestätigen den Empfang von Tauschexemplaren der genannten Zeit¬
schriften und bitten um deren fernere Zusendung unter der Adresse:
JULIUS WEISS, Wien, I. Peterspiatz 7.
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481
B ewerber um Assistenten- und Technikerstellen werden
ersucht, ihren Offerten stets Zeugnisabschriften und
Photographie beizulegen. Die Stellensuchenden werden
dringend ersucht, uns sofort zu verständigen, wenn sie
— gleichgiltig, ob durch oder ohne unsere Vermittlung —
Stellung gefunden haben.
Weiss & Schwarz.
Folgende Stellen sind zu besetzen:
Techniker:
Zum Eintritt per 1. Oktober a. c.:
Nr. 685. Erstklassige' Kraft in Metall und Kautschuk für Wien.
. 686. Tüchtiger, selbständiger Arbeiter für Deutschböhmen.
„ 687. Erfahrener Metall- und Kautschukarbeiter für Brünn.
Zum Eintritt per 1. September a. c.:
Nr. 688. Erstklassiger Metall- und Kautschukarbeiter für Brünn.
„ 689. Tüchtige, selbständige Kraft für Pilsen.
„ 690. „ „ „ „ Deutschböhmen.
„ 691. Erfahrener Metall-und Kautschukarbeiter für Troppau.
Zum sofortigen Eintritt:
Nr. 692. Tüchtige, selbständige Kraft für Deutschböhmen.
„ 693. Tüchtiger, erfahrener Kautschukarbeiter für Tirol.
„ 694. Tüchtiger, selbständiger Arbeiter für Bosnien.
» n » » Brünn.
„ 696. Erstklassiger Metall-u. Kautschukarbeiter für Slawonien.
„ 697. Tüchtige, selbständige Kraft für Tirol.
„ 698. „ „ „ „ Sarajewo.
„ 699. „ „ „ „ Deutschböhmen.
„ 700. „ „ , Mähren.
„ 701. „ „ n » Niederösterreich.
„ 702. Erstklassiger Metall- u. Kautschukarbeiter für Budapest.
» 703. „ n 7 t n » Fiume.
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482
.. Zahnarzt —
36 Jahre alt, Christ, wünscht die Leitung eines Ateliers gegen
Fixum zu übernehmen.
Offerte unter „Dr. G. A. S.“ befördern die Herren Weiss
& Schwarz, Wien, 1. Petersplatz 7.
^ Zahnarzt
in Grossstadt Oesterreichs wünscht seine erstklassige, stets
steigende Praxis an tüchtigen Kollegen unter günstigen Be¬
dingungen abzugeben. Langjähriger, bewährter Techniker bleibt
der Praxis erhalten.
Offerte unter „I. 50.000 Diskretion" an Rudolf
Mosse, Wien, I. Seilerstätte 2.
Günstige Kauf gelegenbeit!
In einer der Hauptstrassen Prags ist ein neues, palais¬
artiges Haus sehr günstig käuflich zu erwerben. In demselben
wird seit mehreren Jahren eine ausgedehnte zahnärztliche
Praxis (drei Hilfskräfte) betrieben, welche eventuell mit über¬
nommen werden kann. Einführung, eventuell gründliche Aus¬
bildung in allen zahnärztlichen und technischen Arbeiten ge¬
sichert.
Nötiges Kapital zirka 40.000 bis 50.000 fl., die sich mit
mehr als 6 Prozent verzinsen.
Gefällige Anträge unter „Günstige Kaufgelegenheit 5"
befördern die Herren Weiss & Schwarz, Wien, I. Peters¬
platz 7.
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XXIII. Jahrgang.
Oktober 1907.
Heft IV.
Oesterreichisch-ungarische
Vierteyabrsschrift für ZaMeilkonde.
Herausgegeben von
JULIUS WEISS, Wien, L Petersplat* 7
unter ständiger Mitwirkung der Herren:
Prol Dr. J. v. Arkövy, Budapest -Dr.S. Bauer, Budapest — Prof Dr. H. Bönneeken, Prag —
Dr. W. Bruck, Breslau — Dr. R. Bum, Wien — Do*. Dr. L. Hattyaay, Budapest — Prot Dr.
C. Jung, Berlin — Dr. T. Kaas, Krems — Dr. M. Karolyi, Wien - Dr. R. Kronfeld, Wien —
Dr. J. L&rtSchneider, Linz — Dos. Dr. R. Loos, Wien — Prof. Dr. B. Mayrhofer. Innsbruck
— Dr. JL Oppenheim, Brünn — Dr. 6. Preiswerk, Basel — Prof. Dr. 6 Port, Heidelberg —
Dos. Dr. G. Rösa, Dresden — Dos. Dr. ▲. Rothmann, Budapest — Prof. Dr. W. Sachs, Berlin
— Prof. Dr. J. Schaff, Wien — Dr. P. Schrak, Wien — Dr. E. Smreker, Wien — Dr. B. Spitser,
Wien — Dos. Dr. J. Ssabö, Budapest — Dr. F. Tänzer, Triest — Prof. Dr. F. Trauner, Graz
— Dos. Dr. W. Vajna. Budapest — Prof. Dr. 0 . Walkhoff, München — Dr. W. Waliiseh, Wien
— Dos. Dr. R. Weiser, Wien — Dos. Dr. G. v. Wunschheim, Wien.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Stomatitis synpathica.
Von Professor Dr. C. Jung in Berlin.
Einen ganz eigenartigen Fall von Veränderung der Mund¬
schleimhaut habe ich zurzeit unter meiner Kontrolle. Patient,
Herr Regierungsassessor H., 32 Jahre alt, seit vielen Jahren
bei mir in zahnärztlicher Behandlung, machte mich gelegentlich
einer Revision der Zähne im Frühjahr d. J. auf eine wunde
Stelle am Gaumendach aufmerksam, für die er keine Erklärung
geben konnte. Sie hatte etwa das Aussehen einer Verbrühung durch
zu heisse Suppe mit ihren Folgen^ Patient selbst dachte an eine
luetische Infektion durch ein unreines Gefäss etc., eine Be¬
fürchtung, die sich aber als durchaus unbegründet erwies.
Unter Gebrauch eines Spülwassers heilte die Stelle in einigen
Tagen glatt ab.
Nach Rückkehr von seiner Somroerreise sah ich den
Patienten wieder. Er berichtete mir, dass die gleiche Affektion
inzwischen periodisch in stärkerer Form wiedergekehrt sei,
und zwar synchronisch mit hämorrhoidalen Be¬
schwerden, an welchen er seit Februar dieses Jahres etwa
1
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Prof. Dr. C. Jung, Berlin.
alle 4 bis 6 Wochen leide. Zur Ausbildung von Hämorrhoidal¬
knoten war es bisher nicht gekommen, auch nicht zu
Blutungen aus dem Anup; der Hausarzt konnte lediglich eine
Anlage zu dämorrhoiden konstatieren.
Ich habe den Patienten dann gebeten, sieb bei Eintritt
der nächsten Periode zu mir fcü bemühen, um ein objektives
Bild von der Sachlage zu bekommen. Seine jetzigen Besuche
ergeben folgenden Status und Verlauf.
23. September. Patient berichtet, dass die analen
Beschwerden (Jucken, Stuhldrang) am gestrigen Nachmittag
eingesetzt hätten. Durch sofortige Applikation von Anesol-
zäpfchen seien sie diesmal erträglich und er wolle diese Be¬
schwerden überhaupt gerne ertragen, während er jene im
Munde sehr unangenehm empfinde. Es zeigt sich bei der In¬
spektion der Mundhöhle, dass der Ueberzug des harten Gaumens
an einigen Stellen, so hauptsächlich über der Mitte des
knöchernen Gaumendaches blasenartig vorgewölbt ist,
ähnlich einer Brandblase, aber ohne entzündliche
Rötung des abgehobenen Schleimhautabschnittes oder der
Umgebung. Patient kann den Blaseninhalt mit der Zunge hin-
und herbewegen und klagt über taubes Empfinden des ganzen
Gaumens. Aus früherer Erfahrung ist er selbstverständlich be¬
züglich der Aufnahme konsistenter Nahrung vorsichtig ge¬
worden, nimmt aber an, dass es trotzdem auch diesmal zu
Erosionen und damit zur Bildung äusserst schmerzhafter
Stellen kommen werde.
Gleichzeitig ist an den Lippen ein herpesartiger Aus¬
schlag in Form rundlicher JTlecken bis zur Pfenniggrösse
bemerkbar. Dieser ist bei den früheren Anfällen in ähnlicher
Form aufgetreten, jedoch ist es zu einem Aufbrechen der ge¬
blähten Partien dabei nicht gekommen; sie sind vielmehr nach
2 bis 3 Tagen wieder eingetrocknet.
Im übrigen ergibt die Anamnese keine Anhaltspunkte
für die Klassifikation des Leidens, insbesondere ist Lues, auch
in der hereditären Form, positiv ausgeschlossen. Patient war
vor zwei Jahren stark überarbeitet, jedoch hat ihn eine halb¬
jährige Erholungsreise damals sichtlich gekräftigt und unter
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Stomatitis sympatbica.
4?1
anderem auch zur wesentlichen Besserung einer an ^jnigei)
Zähnen bestehenden Pyorrhoe ajveolaris beigetragen. Als,
Kuriosum sei aber erwähnt, das$ er im Laufe der Jahre an,den ^
verschiedensten Körperstellen Lipome bekommen hat und noch
bekommt; es entwickelten sich solche an der Vorderseite der
Oberschenkel bis zur Gänseeigrösse, die operativ entfernt
wurden, während zurzeit eine Geschwulst auf der rechten
Hinterbacke in Bildung begriffen ist. Der verstorbene Vater
hat ähnliche Geschwulstbildungen gehabt; die lebende Mutter
ist durchaus gesund.
26. September. Was der Patient befürchtet hat, ist
eingetreten. Bei der heutigen Untersuchung zeigt sich am
Gaumendach eine stark arrodierte Stelle von etwa Taler¬
grösse, die bei jeder Berührung mit der Zunge etc. ausser¬
ordentlich schmerzhaft ist. Die Schleimhaut sieht aus wie eine
granulierende Wundfläche, die dick mit einem gelben,
pappigen Belag bedeckt ist. Aehnliche kleinere Stellen finden
sich am äusseren Alveolarteil des Ober- wie Unterkiefers,
sowie auf dem Zungenrücken, der in toto „belegt“ ist, so
wie wir dies bei Fiebernden etc. zu sehen gewohnt sind. Die
nicht arrodierten Stellen der Gaumen- und Mundschleimhaut
sind wie mit geronnener Milch überzogen. Der Herpes an der
rechten Oberlippe ist aufgebrochen und geht in Krusten¬
bildung über. Weiterhin lassen sich serumunterlaufene Stellen
an einigen Fingern, im Augenwinkel etc. nach weisen, die aber
nach Aussage des Patienten seit gestern schon im Schwinden
sind; ebenso bestehen leichte Reizungen im Rachenraum, die
aber auch als konkomittierende Entzündung, verursacht
durch die in der Mundhöhle angesammelten Infektionsstoffe,
aufgefasst werden können. Die analen Beschwerden sind gering.
Es liegt also jetzt eine ausgeprägte Stomatitis
schweren Grades vor, mit etwa demselben Bilde, wie es
Fälle von Mundfäule (Stomatitis epidemica) bieten. Rück¬
sichtlich der Ausdehnung der arrodierten Flächen muss von
der Anwendung des Lapisstiftes a priori Abstand genommen
werden; es beschränkt sich die angewendete Therapie auf die
Verordnung von Spülungen mit warmem Kamillentee und
1*
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492
Prof. Dr. C. Jung, Berlin. Stomatitis sympathica.
vorsichtige Anwendung des Zungenschabers, um die ange¬
sammelten Beläge wegzubringen, soweit dies ohne grosse
Schmerzen möglich ist. Als Desinfiziens Formaminttabletten.
27. September. Der Kulminationspunkt der Affektion
ist seit gestern überschritten und eine wenn auch nur
schwache Besserung zu konstatieren. Nach seiner Aussage hat
der Patient vorgestern und gestern noch sehr heftige Schmerzen
gehabt und sich mit der Nahrungsaufnahme mittags auf
Spinat, abends auf Rührei beschränken müssen Heute denkt
er zu etwas konsistenterer Nahrung übergehen zu dürfen.
Objektiv zeigen die wunden Stellen ein etwas dunkleres,-
härteres Aussehen mit geringerem Belag; sie sehen etwa aus,
wie roher Schinken, der anfängt einzutrocknen und dabei eine
bräunliche Farbennuance annimmt. Nur zwei Partien der
Wangenschleimhaut, über den Spitzen des linken oberen Eck¬
zahnes und linken oberen ersten Molaren sind noch frisch
gerötet und mit einer dicken speckigen Auflagerung bedeckt;
hier haben sich wohl die affizierten Partien der Schleimhaut
wundgerieben. Die Lippen sind an mehreren Stellen mit
rissigen Borken bedeckt (abheilender Herpes).
Patient will morgen eine 14 tägige Erholungsreise nach
der Schweiz antreten, was zur Aufbesserung des Allgemein¬
befindens nur angezeigt erscheinen dürfte. Seiner Schätzung
nach wird der Prozess in 3 bis 4 Tagen zum Stillstand
kommen. Verordnung für die Reise: H 2 0* als Spülwasser bei
der Reinigung, Formamintpastillen tagsüber, Zinksalbe für die
aufgesprungenen Lippen.
Nach Lage der Dinge müssen wir die Erscheinungen
wohl als örtliche Aeusserung einer allgemeinen (tropho-neu-
rotischen) Dyskrasie ansprechen und aus dieser Annahme
heraus mit dem im Titel benutzten Namen belegen. Aus der
Literatur sind mir analoge Fälle nicht bekannt, obschon sie
vielleicht nicht einmal zu den Seltenheiten gehören dürften.
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Dr. Bertold Spitzer, Wien. Beiträge zur Beeektionsprothese. 498
Nachdruck nur mit ganauar Quellenangabe gaatattat.
Beiträie zur Bmltioisprota.
(Aus dem k. k. zahnärztlichen Universitätsinstitut
[Prof. Scheff] in Wien.)
Von Dr. Bertold Spitzer , Assistenten daselbst.
Im Anschluss an die in der k. k. Gesellschaft der Aerzte
in Wien im März 1906 abgehaltene Demonstration will ich
in extenso über die folgenden Fälle berichten.
Frau O. W., 28 Jahre alt, wurde an der Abteilung Hof¬
rat ▼. Mosetigs wegen Carcinoma mandibulae operiert.
Nach erfolgter Resektion, die sich vom ersten Prämolar links
bis gegen den Unterkieferwinkel rechts erstreckte, legte ich
einen Resektionsverband an, der für den Anfang in bezug
auf die umliegenden Gebilde wie eine Immediatprothese wirken
sollte. Derselbe bestand aus einem starken, an beiden Enden
breitgeschlagenen Golddraht, der im unteren Drittel der
Testierenden Stümpfe durch kleine Schrauben fixiert wurde
und schon vorher der Krümmung des Unterkieferkörpers ent¬
sprechend gebogen war.
Ausser diesem Golddraht, über dem die Schleimhaut
vernäht wurde, legte ich zur besseren Fixierung der Knochen¬
enden in normaler Stellung und als Stütze der Lippe im
oberen Drittel nach vorausgegangener Durchbohrung des
Knochens eine Silberspange mittels Silberdraht an. Während
so die Spange frei im Munde lag, war der Golddraht an
Stelle des Knochens zwischen Schleimhaut und äusserer Haut
versenkt.
Krankengeschichte vom 21. September 1905:
Vor zwei Jahren wurde Patientin 0. W. wegen einer
Zahnzyste am rechten Unterkiefer operiert. 1'/* Jahre nach¬
her bemerkte sie an derselben Stelle eine nach aussen auf¬
liegende, zirka linsengrosse Auftreibung des Unterkiefers,
welche sich langsam vergrössertc. Seit zwei Monaten ent-
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494 Dr. Bertold Spitzer, Wien.
wickelte sich auch am inneren Kieferrande, eine harte Vor¬
wölbung, die sich gleichfalls vergrösserte. Gleichzeitig magerte
Patientin etwas ab. '
Die Untersuchung ergab am äusseren Rande des unteren
rechten Kieferastes zwischen ersten und dritten Molar einen
derben, zirka taubeneigrossen Tumor, der von seiner Unterlage
unverschieblich und bei Druck nicht schmerzhaft war. Die Schleim¬
haut darüber ist normal gefärbt. Die Haut über dem Tumor
weder verändert noch verdickt. Am inneren Knochenrande
jedoch, und zwar vom ersten linken Schneidezahn bis zum
ersten Molar lässt sich eine Verdickung konstatieren, die etwas
Fig. 1.
schmerzhaft ist und sich bis auf den Mundhöhlenboden er¬
streckt.
Operation am 2. Oktober 1905: Bogenschnitt am unteren
Rande der mandibula, Durchtrennung der Unterkieferweich¬
teile in der Medianebene und Zurückschieben des Periostes.
Nach einem Versuch, die einzelnen mit Neoplasma gefüllten
Knochenhöhlen zü evidieren, wird der Unterkiefer vom ersten
Prämolar links bis hinter den zweiten Molar rechts reseziert,
worauf die Befestigung der Immediatprothesen an den Kiefer¬
stümpfen erfolgt (Fig. 1).
Die Knochenenden sehen bloss durch eine Lücke in der
Uebergangsfalte hervor, durch welche die Silberspange tritt.
Die histologische Untersuchung ergab den Befund :
Gystocarcinoma adamantinum.
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Beiträge zur Resektionsprdthese.
496
Der Wundverlauf war ganz reaktionslos. Die Silber¬
spange wurde kurz vot der Entlassung aus dem Spitale, die
am 23. Oktober erfolgte, entfernt Die beiden Kieferreste
wurden gleichmässig bewegt, die Kinnbildung war normal
erhalten.
Nach Ablauf von 3 Wochen trat eine Schwellung in der
Gegend des rechten Kieferstumpfes auf und Patientin klagte
über heftige Schmerzen. Unsere Vermutung, dass die Be¬
festigungsmittel des Golddrahtes einseitig die reaktiven Er¬
scheinungen veranlassten, wurde durch die Röntgenunter¬
suchung nicht bestätigt. Entsprechend der Fluktuation wurde
inzidiert, es entleerte sich Eiter und in wenigen Tagen konnte
Patientin aus der Behandlung entlassen werden. Sie erhielt
nun eine aus Kautschuk verfertigte provisorische Prothese,
welche der den Golddraht deckenden Schleimhaut leicht auf¬
lag. Dieselbe war mittels zweier breiter Ringklammem, die mit
einer schiefen Ebene in Verbindung standen, an den im linken
Kieferstumpfe vorhandenen, mit Vollkronen versehenen zwei
Molaren befestigt.
Nach 4 Monaten beobachtete ich an der seinerzeitigen
Inzisionsstelle, dem unteren Rande des horizontalen Kiefer¬
restes entsprechend, eine Eiter sezernierende Fistel, die in der
Folge trotz angewandter Therapie fortbestand. Auch diesmal
ergab das Röntgenbild nichts Bestimmtes, doch es war ein¬
leuchtend, dass die oben erwähnten Schrauben als Ursache
des ganzen Prozesses anzunehmen seien. Da die Kinngegend
normale Konfiguration zeigte und die Palpation ergab, dass
sich um die Spange ein festes Gewebe gebildet haben dürfte,
beschlossen der Abteilungsassistent Dr. Silber mark und ich,
die Spange in leichter Narkose zu entfernen, was auch ohne
Mühe gelang. Patientin erhielt einen Verband und konnte das
Spital verlassen. Der weitere Verlauf war ein normaler.
Seit dieser Zeit — es sind bisher 16 Monate ohne jed¬
wede Rezidiverscheinung verstrichen — vermag die Patientin
schmerzlos und ohne jede kosmetische Störung die beiden
Kieferstümpfe funktionstüchtig zu gebrauchen, wozu auch die
definitive Prothese beiträgt, die links an den mit Goldkappen
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496
Dr. Bertold Spitzer, Wien.
versehenen letzten zwei Molaren befestigt ist, während das
rechte Ende mit einer leicht federnden, einvulkanisierten Spange
dem Kieferstumpf innen anliegt Die schiefe Ebene bewirkt die
normale Artikulation der beiden unteren Molaren mit den
Antagonisten und verhindert jedwede Verschiebung (Fig. 2).
Eis war mir von vorneherein mit Rücksicht auf das
jugendliche Alter der Patientin besonders darum zu tun, einer
Fig. 2.
Photographische Aufnahme 4 Monate nach erfolgter Operation.
Entstellung, wie sie bei einer Resektion in diesem Umfang zu
erwarten war, vorzubeugen. Ein Resektionsverband ausser¬
halb der Mundhöhle, wie er auch von uns in einigen Fällen
verwendet wurde, hätte wohl eine Verlagerung der Stümpfe,
aber kaum eine Schrumpfung der Weicbgebilde und die da¬
durch bedingte Entstellung des Gesichtes verhindern können.
Eine Immediatprothese, das heisst der sofortige Ersatz des
resezierten Knocbenstückes durch einen prothetischen Apparat
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Beiträge tur Kesektionspruthese.
497
von gleichem Umfang erschien mir mit Berücksichtigung der
vor der Operation gestellten Diagnose und der ungünstigen
Befestigungsmöglichkeit als unzweckmässig. 1
Der Erfolg war sehr günstig, insbesondere gegenüber
anderen Fällen, die ich zu sehen Gelegenheit hatte, wie die
Patientin Fig. 3, die vor 13 Jahren wegen Necrosis mandibulae
post cariem dentis et periostitidem operiert wurde und bei der
Fig. 3.
eine auffallende Entstellung zurückblieb. Die Ursache der
letzteren war höchst wahrscheinlich darin gelegen, dass nicht
schon während der Operation entsprechende Massnahmen ge¬
troffen worden sind, wodurch sowohl einer Verlagerung der
Testierenden Kieferstümpfe, als auch einer grösseren kos¬
metischen Störung vorgebeugt worden wäre.
• Witiel-Hofmann wiesen seinerseit darauf hin, dass es
möglich sei, Knochendefekte in entsprechender Weise mittels Draht an decken.
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££98 BtfrBerteid Spitze*, Wien.
i/ gölten'die Fälle, über die Leriche uhä
TTö’ir'geiF berichteten, bei denen ohne prothetische Nach¬
behandlung keine oder nur eine unbedeutende Verschiebung
def ‘(erhaltenen Kieferteile zu beobachten war. Nach Perthes 1
ist die'Erklärung dafür mit Wahrscheinlichkeit darin zu suchen,
dass hier eitie vollkommene Vereinigung der Schleimhaut-
Wündränder im Munde möglich war und eine Heilung per
primam erfolgte, während doch gewöhnlich die zurückbleibende
Wundfläche unter Bildung starker Narben ausheilt. .:
Fall 11. Der Patient A. Z., 48 Jahre alt, wurde an der
chirurgischen Abteilung (Schnitzler) wegen Epithelioma
mucosae oris operiert und 4 Wochen nach Enukleation der
linken Kieferhälfte dem zahnärztlichen Institute überwiesen. Die
Funktionsstörung des restlichen Kieferteiles war eine ganz be¬
deutende, der Narbenzug noch nachgiebig, so dass die Hoffnung
vorhanden war, durch eine entsprechende Dehnung der Narbe
den Kieferrest funktionstüchtig zu machen.
Krankengeschichte. 26. Dezember 1905. Vor öJahren
bemerkte Patient zum erstenmale an der linken Wangenschleim¬
haut eine etwa erbsengrosse Geschwulst, welcher er durch
Saugen Blut entziehen konnte. Dieser kleine Tumor, welcher
ihm keinerlei Beschwerden brachte, wurde immer grösser und
härter. Seit etwa 5 Monaten bestehen auch Schmerzen in
demselben, die sich langsam aber stetig steigern.
Patient.von grosser Gestalt zeigt normalen Knochenbau
und ist unterernährt. Schleimhaut blass. Die Gesichtsfarbe hat
ein charakteristisches fahlgelbes Kolorit. Auf der Schleimhaut
der linken, Wange ist eine graue Infiltration, welche von harter
^o»n|i?tenz und durch einen scharfen Rand von der Umgebung
abgegrenzt ist. Die Geschwulst greift auf die Schleimhaut des
Unterkiefers über, reicht nach vorne bis zu cten Backenzähnen
und schliesst mit der Zahnreihe nach hinten ab. Die Schleim-
-v 'T. iÜ* t'i \ -j .' 1 „ ...
haut ist an die Unterlage fixiert. Submaxillar tastet man ein
s«;i) Perthes-Die Verletzungen and Krankheiten der'Kiefer. Deutsche
Chirurgie j 1ÖW‘ ’’ - • •
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Beiträge zur Resektionsprothese.
499
kleines hartes Knötchen, welches mit der Innenseite des Kiefers
fest verwachsen erscheint oder von ihm ausgeht.
12. Jänner. Exstirpation einiger vergrösserter Lymph-
drüsen und Exzision der linken Kieferhälfte bis zum Caninus
sin. samt einem grossen Stuck Wangenschleimhaut, besonders
des Tumors, der im Gesunden Umschnitten wird. Nach einer
Reihe von Schleimhautnähten wird die Wundhöhle vom Cavum
getrennt, das Mundcavum durch sterile Gaze tamponiert.
Die histologische Untersuchung ergibt: Papillar aus
einem atrophischen Alveolus aus wachsender
Plattenepithelkrebs mit oberfächlicher Arrosion
des Knochens.
Fig. 4.
Der Patient besass im Oberkiefer mit Ausnahme der beiden
Prämolaren und des ersten Molaren links sämtliche Zähne, im
rechten Unterkieferteile waren sechs Zähne vorhanden und
diese in einer ganz abnormen Stellung zu den Antagonisten
(Fig. 4). Die restliche Hälfte war durch den Narben- und
Muskelzug derart gegen die operierte Seite hin verzogen, dass
der erste rechte untere Molar hinter den beiden rechten oberen
Prämolaren und der Inc. I. inf. d. hinter dem Inc. II. sup.
sin. zu liegen kamen. Die grösste Distanz der labialen Fläche
der unteren Zähne von der palatinalen der Antagonisten be-:
trug l 1 /. Cm. ,.’I - f . /
Nicht nur, dass Patient äusserlich entstellt war, hat auch
sein Sprachvermögen sichtlich gelitten.
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600
Dr. Bertold Spitier, Wien.
Der Umstand, dass der von mir 1905 beschriebene Fall *
nach den seinerzeit eingeleiteten Massnahmen den besten Erfolg’
brachte, veranlasste mich auch diesmal, in ähnlicher Weise vor¬
zugehen. Während ich damals- mittels -dünnen - S ilberdr a ht es
die Narbendehnung vorgenommen habe, liess ich bei diesem
Patienten die Schraube wirken (Fig. ö).
Fig. 6.
Der Patient litt während des ganzen Verfahrens, das
14 Tage währte, keine Schmerzen und konnte leicht durch
den durch die vorhergegangene Operation geschaffenen freien
Raum flüssige und breiige Nahrung, an die er sich seit dem
Tage des Eingriffes gewöhnen musste, zu sich nehmen.
‘ Oesterr.-nngar. Vierte]} ahn schritt Ar Zahnheilkunde, 1906, Heft 9.
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Beiträge stur Resektionsprothese.
601
Nachdem durch den allmählich kräftiger gewordenen Zug
der Schrauben$pindel die Zähne einander gegenüberstanden,
wurde der Apparat nach 14 Tagen abgenommen und der
Patient war leicht imstande, den Unterkieferstumpf in richtiger
Weise gegen den Oberkiefer zu führen (Fig. 6).
Zur Verhinderung der sich in solchen Fällen stets er¬
gebenden geringen Abweichung bei der Schlussbewegung, liess
ich ein partielles Ersatzstück herstellen, das entsprechend dem
zahnlosen Alveolarteile künstliche Zähne und zwischen zweitem
Prämolar und erstem Molar eine schiefe Ebene trug. Der Pa¬
tient konnte schon nach einigen Tagen ohne jedwede An-
Fig. 6.
strengung die unteren Zähne in Artikulation mit ihren Ant¬
agonisten bringen, wodurch die Funktionsstörung behoben war.
Der nachfolgende Fall erscheint mir darum von beson¬
derem Interesse, da die von mir und Dr. Silbermark eingeleitete
Therapie von der gewöhnlichen Korrektur einer Prognathie
abweicht.
Die moderne Orthopädie in der Zahnheilkunde erzielt
bekanntermassen durch bestimmte, mit konstantem Druck und
Zug wirkende Apparate sehr schöne Resultate, so dass ein
operatives Verfahren nur ganz selten in Betracht zu kommen hat.
Vallas und CI. Martin resezierten aus dem Oberkiefer
ein keilförmiges Stück, um bei einer sekundär nach Schuss¬
fraktur entstandenen hochgradigen Prognathie das dem Zwischen¬
kiefer entsprechende, stark prominierende Stück zurückzubringen.
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Dr. Bertold Spitzer, Wien.
503 ‘
F r i t z s c h e 1 ist es gelungen, Fälle von hochgradiger
Prognathie dadurch zu korrigieren, dass die einzelnen Zähne
unter Erzeugung von leichten Infraktionen des Alveolarfort¬
satzes durch Zangendruck nacheinander verlagert wurden.
Die Patientin, die unsere Klinik aufsuchte, hatte eine stark
entwickelte alveolare Prognathie und wat durch diese, sowie
durch die konsekutive Elephantiasis der Ober- und Unterlippe
so entstellt, dass sie in ihrem Streben nach Erwerb behindert
war. Da eine orthopädische Behandlung schon ob des Alters
aussichtslos war, eine gründliche Korrektur in kosmetischer
Fig. 7.
Hinsicht notwendig erschien, versuchten wir auf operativem
Wege einen Erfolg zu erzielen.
Patientin J. T., 34 Jahre alt, ist im Alter von 5 Jahren
gestürzt, wobei alle Frontzähne ausgebrochen wurden. Der
Kiefer selbst war angeblich stark verletzt und verheilte in
der Weise, in der er zur Zeit erscheint. Seit dem Sturze
leidet Patientin an Kopfschmerzen, Atemnot und Schwäche -
zuständen. Beim Beissen empfindet sie Schmerzen,
25. Februar 1907. Die Oberlippe ist in Rüsselform durch
den die Frontzähne tragenden Oberkieferteil vorgestülpt. Die
Vorwölbung setzt ziemlich scharf vom Caninus sin. bis zum
Ganinus dexter ein, so dass der Zwischenkiefer wie ein Vor-
1 Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1907.
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Beiträge sur Resektion 8prGthe*e.
5«h
dach aus der Fläche des sonst normal gewölbten Oberkiefers ;
vorspringt. Dementsprechend finden sich die^Orucktaarfcea‘dejT>
Schneideflächen der' Inc. inf. etwa 1 Cm. hinter dem Alveolar¬
rand des Zwischenkiefers deutlich ausgeprägt; der Unterkiefer
nprmal gebaut, die vorhandenen Zähne etwas verlängert und •
in normaler Stellung (Fig. 7). 1
27. Februar 1907. Durchschneidung der Lingula. Extrak¬
tion der beiden Canini und der vier Incisivi, die an den
Schneiden tief kariös sind. Medianschnitt bis auf den Knochen
durch die Gingiva, desgleichen am Alveolarrand. Türflügel-
Fig. 8.
förmiges Zurückklappen der Gingiva samt Periost an der Vorder¬
seite des Oberkiefers. Bogenförmiges Abmeisseln des Zwischen¬
kiefers etwa l 1 /» Cm. vom Alveolarrand entfernt. Ablösen des
mobilisierten Knochenstückes von der Schleimhaut des harten
Gaumens, Herstellung eines scharfen Wundschnittrandes mittels
Schere, Vereinigung der vorderen und hinteren Schleimhaut¬
platte durch Catgutnaht.
Am 10. März wurde der Patientin, nachdem die Schleim¬
haut verheilt war und die Schwellung der Lippen, frei des
früheren kontinuierlichen mechanischen Einflusses, geringer war,
eine Prothese eingepasst, die alsdann nicht nur die Physio¬
gnomie der Patientin günstig beeinflusste, sondern auch den
Kaueffekt erhöhte und zugleich die Schleimhaut des Ober¬
kiefers deckend vor Decubitalgeschwüren schützte. Die beiden
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604
Dr. V. Wiessner, Freiwaldau.
ersten Prämolaren wurden mit Vollkronen überzogen und an
diesen das Ersatzstück befestigt (Fig. 8).
Nach Ablauf von 4 Wochen sah ich die Patientin wieder
und konnte schon mit dem äusseren Erfolg zufrieden sein.
Die früher vorhandene Elephantiasis labiorum war aüf ein
Minimum reduziert, die Stellung der künstlichen Frontzähne zu
ihren Antagonisten normal.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Die litleidncbafl der Hei- eed ZaMstaez tei
Von Dr. V. Wiessner^ Zahnarzt in Freiwaldau.
Eigentlich selbstverständlich müsste es genannt werden,
dass man bei irgend einer Betrachtung der Entwicklungs- oder
Ernährungsstörungen im Zahnsystem fortwährend dep sach¬
lich und ursächlich gegebenen Zusammenhang mit dem
allgemeinen Knochensystem betont. Indes ist es nicht zu ver¬
wundern, dass es nicht geschah; der Gedanke, da»s es in
dem Zahnbeine selb st auch Ernährungsstörungen
und ihre Ausheilung geben könne, ist noch selten in
präziser Form ausgesprochen worden. Aber wenn er ein¬
mal ausgesprochen ist, so wird er zu einer Fundgrube neuer
Erkenntnis. Es ist mir auch nicht bekannt geworden, dass
irgend jemand einen Einwand dagegen erhoben hätte.
Jeder Einwand dagegen Hesse sich auch leicht widerlegen.
Schon die blosse Erkenntnis, dass es einen Stoffwechsel in
den Zähnen gibt und dass dieser Stoffwechsel von zwei Seiten
her unterhalten wird, von der Pulpa und von der Beinhaut
her, ergibt ohneweiters, dass von diesen beiden Seiten her
Störungen in der Ernährung stattfinden können, wenn die
entsprechenden Bedingungen gegeben sind. Und es ergibt sich
ebenso als etwas Selbstverständliches, dass das klinische Bild
je nach der grösseren Beteiügung der einen oder anderen
Seite ein verschiedenes sein muss.
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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstanz etc.
505
Ohne genaues Untersuchen der physiologischen Be¬
dingungen der Zahnernährung gibt es keine sichere Erkenntnis
der Ursachen und des Mechanismus der Ernährungsstörungen.
Hält man sich dabei immer genau vor Augen, dass die Zähne
gar nichts anderes sind als ein detachierter Teil des Knochen¬
systems, dass diese Situation Aehnlichkeiten mit der Situation
der Fingernägel, ja auch der Haare hat, so ist von vorne-
herein eine grosse Fülle von Hinweisen gegeben, die man nur
auf ihre grössere oder geringere Stichhältigkeit zu prüfen hat.
Im folgenden sollen nun in schematischer Kürze einige jener
bekannten Tatsachen angeführt werden, und zwar sollen sie
in einer solchen Anordnung vorgeführt werden, dass man zu
einiger Uebersicht, vielleicht auch zu einem zusammenfassenden
Urteil gelangen kann.
Es ist dabei von vomeherein eine Einteilung durch
den Ablauf des menschlichen Lebens gegeben. Hier
ist eine Periode des Aufbaues, eine Periode der Höhe und
eine Periode des Niederganges in bezug auf die einzelnen
Gewebe des Organismus als primitiv empirische Einteilung
ganz zweckmässig zu unterscheiden. Die Störungen in der
normalen Ernährung werden sicher andere Erscheinungen aus-
lösen müssen, wenn sie den einen oder anderen Lebens¬
abschnitt betreffen. Wir werden also gut tun, zwischen
Erkrankungen im Kindes- und Jünglingsalter auf der einen,
Erkrankungen des Vollreifen Alters auf der anderen und end¬
lich Erkrankungen des (vor- oder rechtzeitigen) Greisenalters
auf der dritten Seite zu unterscheiden. Wir werden aber auch
jedenfalls zu berücksichtigen haben, dass Krankheilen akuter
oder chronischer Natur, die, wie etwa die Infektionskrank¬
heiten, jedes Lebensalter befallen können, ohne Rückwirkung
auf die Ernährung der Knochensubstanz und des dazu¬
gehörigen Zahnbeines nicht möglich sind. In zweiter Linie ist
dann erst festzustellen, ob solche Ernährungsstörungen manifeste
Erscheinungen machen oder nicht.
Und da sagt wieder die einfache Ueberlegung: Der
Ernährungsprozess der Knochensubstanz und des Zahnbeines
ist ein sehr langsamer, so dass der Stoffwechsel durch kurz
2
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506
Dr. V. VViessner, Freiwaldau.
verlaufende Krankheiten nur wenig gestört wird.
Beschwerden nach Art der Unlustempfindungen, Schmerzen,
sind sehr möglich, werden bei diesen auch meist angegeben,
wurden aber bisher nur als ein Symptom gedeutet, mit dem
man nicht viel machen konnte. Es liegt aber sehr nahe, die
Prodromalschmerzen in den Knochen bei manchen Infektions¬
krankheiten auf direkte Mitleidenschaft der Knochen zurück¬
zuführen.
Dagegen ist es bei chronischen Krankheiten, die
die Gesamternährung des Organismus herabsetzen, ganz und
gar ausgeschlossen, dass die Ernährung der
Knochen-und Zahnsubstanz unbeeinflusst bliebe.
Wir hätten daher auch hier nicht zu untersuchen, ob eine
Einwirkung, eine Schädigung stattfindet, sondern wir haben
festzustellen, in welcher Weise sie erfolgt. So sehr ein¬
fach liegt die Sache. Darauf wollen wir indes zum Schlüsse
zurückkommen, zunächst wollen wir die bei der Bildung des
Knochen- und Zahnbeines möglichen Störungen betrachten.
A. Das Wachstum des Menschen.
Gewöhnlich wird in solchen Fällen von der Rachitis
gesprochen. Dass es eine ganz parallele Affektion in dem
Zeitalter der Entwicklung (Adolescenz) gibt, scheint noch gar
nicht ganz zum Bewusstsein der ärztlichen Wissenschaft ge¬
kommen zu sein. Und doch gibt es eine ganze Menge auf¬
fallender Symptome, die darauf hinweisen.
Gehen wir von der Rachitis aus, so ist für uns hier
wichtig, festzustellen, dass diese Krankheit eine Störung im
Ablaufe des Stoffwechsels bedeutet, die mit Störungen der
Ernährung des Knochen- und Zahnbeines verknüpft ist. Wie
der Zusammenhang ist, was man eigentlich als das Primäre
auffassen soll, das weiss niemand ganz bestimmt. Und wenn
der eine einen Kalkmangel, der andere einen Phosphormangel
in der Nahrung, der Dritte unzweckmässige Nahrung über¬
haupt, der Vierte die Unfähigkeit der Rezeptionsorgane, der
Fünfte das und jenes als Ursache hinstellt, so mag jeder in
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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstanz etc.
507
etwas Recht haben. Aber wie bei allen Stoffwechselkrank¬
heiten wissen wir auch hier über das tatsächliche Nach¬
einander nichts.
Die Empirie hat uns indes auf eine Reihe von Schäd¬
lichkeiten aufmerksam gemacht, die das Entstehen dieser
Krankheit begünstigen und ihren Ablauf erschweren. Nach
allen Berichten hat diese Entwicklungsstörung heutzutage eine
ungeheure Verbreitung erlangt und man muss sich jenen an-
schliessen, welche die Ursache dieser so ungemein bedauerns¬
werten Zunahme in einer Verschlechterung der hygienischen
und zumal der Ernährungsverhältnisse sehen. Zweifellos hat
es auch früher schon Rachitiker gegeben, bevor das Krank¬
heitsbild als solches erkannt und als besondere Krankheit be¬
schrieben wurde. Das geschah bekanntlich in der ersten
Hälfte des XVII. Jahrhunderts in England durch Glisson.
Daher stammt auch der Name „Englische Krankheit“.
Aber sicher ist die Zunahme in den letzten Jahrzehnten, in
der Zeit des Anwachsens der Grossstädte, in der Zeit der
Industrialisierung der Kulturstaaten. Es ist auch sehr wahr¬
scheinlich, dass in den Gegenden des bäuerlichen Ackerbaues die
Rachitis geringer ist als in den Grossstädten. Einerseits be¬
schuldigt man unhygienische VVohnungsverhältnisse, anderseits
sprechen aber manche Anzeichen dafür, als ob man mit der
Zeit dazu kommen sollte, ganz bestimmte Veränderungen in
der allgemeinen Ernährungsweise als Ursache der zunehmenden
Verbreitung zu beschuldigen. Schon im Jahre 1904 habe ich
in einer Arbeit über die Zunahme der Zahnkaries im Frei¬
waldauer Bezirke („Oesterreichische Zeitschrift für Stoma¬
tologie“ 1904, 4. Heft) darauf hingewiesen, dass sich hier der
gleichzeitige Uebergang von der einfachen ländlichen Kost
(Milch und Milchprodukte, Korn- und Haferbrot im altbackenen
Zustande, in welchem vielleicht die Vitalität der Gärungs¬
erreger geringer war, bei möglichst geringem Verbrauche von
Zucker, Weissbrot, chemischen Gewürzen, Kaffee usw.) zu der
recht unzweckmässigen sogenannten städtischen Kost eine Zu¬
nahme der Rachitis und eine Verschlechterung der Zahn¬
substanz feststellen lasse.
2 *
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508
Dr. V. Wiessner, Freiwaldau.
In dieser Hinsicht ist auch auf die Arbeiten von Prof.
C. Röse hinzuweisen. Zwar gehen die Ansichten in mancher
Beziehung noch auseinander, aber es scheint sich schon jetzt
herauszustellen, dass der Wechsel der Ernährungsweise viele
Schädlichkeiten im Gefolge hatte.
Ueber die genauen Vorgänge der Assimilation von
Nahrungsstoffen, besonders über die Unterscheidung von
günstigen und ungünstigen Verdauungsfermenten 1 sind wir, wie
* Der Gedanke ist hierbei, dass sich im Verdauungstrakte ähnliche
biochemische Vorgänge ab spielen dürften, wie sie die heutige Wissenschaft
für die Nahrungsaufnahme der Pflanzen aus dem Boden ableitet. Wie hier
die saprophilen Bakterien aus den hochzusammengesetzten organischen Ver¬
bindungen einfachere für die Aufnahme durch die höheren Pflanzen geeignete
machen, so dürfte eine Mitwirkung ähnlicher Bakterien in einzelnen Teilen
des menschlichen Verdauungstraktes anzunehmen sein. Damit aber das Wechsel¬
verhältnis zwischen den Bakterien und höheren Pflanzen ein gedeihliches sei,
muss der Humus geeignet und die Entwicklung der geeigneten Bodenbakterien
gesichert sein. Ist letzteres nicht der Fall, so entwickeln sich die Kladosporium-
pilze und ihre Verwandten, die den Boden für die meisten Pflanzen weniger
geeignet machen, indem sie ihnen die günstigen Stoffe zum Teil vorentbalten.
Nimmt man an, dass sich bei der Zersetzung der Nahrungsstoffe im mensch¬
lichen Verdauungsapparate ähnliche Vorgänge abspieleu können, dass hier
auch die günstigen Bakterien durch ungünstige abgelöst weiden können, so
kann man sich leicht ableiten, dass in dem einen Falle die gleichen Nahrungs¬
werte zur reichlichen Ernährung ausreichen, im anderen Falle aber nicht.
Man würde auch ganz leicht herausfinden, dass die gleichen chemischen
Nahrungswerte in der einen Form die uns günstigen Verdauungsbakterien
gedeihen liessen und so uns Zusagen würden, dass sie aber in der anderen
Form ein besserer Nährboden für uns nicht günstige Fermente sind, so dass
durch die Form der gleichen chemischen Werte unsere Ernährung beeinflusst
werden kann. Die Vorgänge können nicht ganz einfach sein, weil sich das
Zusammenspiel zwischen den chemischen Verbindungen der Nahrungsstoffe,
ihrer Spaltung durch die guten oder bösen Bakterien und die Aufnahme der
Zersetzungsprodukte durch die Darmzotten (den Pflanzenwurzeln vergleichbar)
während der Bewegung des Verdauungstraktes und seines Inhaltes abspielt,
also noch schwieriger zu erforschen und zu verstehen ist, als die Biochemie
des Bodens und der Pflanzen. Aber man kann nicht wissen, ob nicht eine
solche ansprechende Hypothese zum Verständnis des Ern ähr angs Vorganges
und seiner Störungen etwas beitragen kann. Für die Erklärung der Rachitis
nicht nur, sondern auch einer grossen Zahl anderer Stoffwechselstörungen
würde sie vollständig ausreichen, wenn sie — ihre Bestätigung finden würde.
Sie gäbe uns auch die genauere Wertung der Funktion des Magens als vor-
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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstanz etc.
509
gesagt, ohne Kenntnis. Wir haben ja heute schon eine Reihe
paradoxer Erscheinungen kennen gelernt, wie etwa die Be¬
kämpfung der Fettsucht durch reichliche Feltzufuhr und der¬
gleichen. Es scheint aber, dass jede Einseitigkeit der
Ernährungsweise dem Menschen schadet.
Anderseits dürfte es auch für den Verdauungsprozess
nicht einmal gleichgiltig sein, welche Getreidesorten und in
welchem Zustande man sie zu sich nimnu (Mais-Pellagra), ob
als frisches oder altes Gebäck, ob gegoren oder nicht. Jeden¬
falls verdient diese Frage noch ein sorgfältiges Studium.
Wichtig ist für unseren Zweck die Rachitis deswegen, weil
sie jene Ernährungsstörung ist, bei welcher auch bisher schon
die Mitleidenschaft des knöchernen Skelettes erkannt worden
ist, bei der man auch die Mitbeteiligung der Zähne nicht
übersehen konnte. Die Veränderungen sind hier allerdings so
grob in die Augen fallend, dass sie bemerkt werden mussten.
Wir wissen daher schon, dass die periostalen und epiphysären
Teile der Knochen breite, gefässreiche Wucherungsschichten
aufweisen, die gegen den schon fertigen knöchernen Teil un¬
verhältnismässig gross sind und dass die weitere Verkalkung
unregelmässig und inselförmig auftritt. Da diese Störung in
der Zeit stattfindet, in welcher sich die Milchzähne entwickeln
sollen, so ist es selbstverständlich, dass auch die Ausbildung
dieser leidet. In der weiteren Folge erstreckt sich die Schädigung
auch auf die Anbildung der zweiten Zähne.
Es ist bekannt, dass die Rachitis zugleich eine Dis¬
position zu Durchfällen und überhaupt zu Verdauungsstörungen
schafft. So kommt es zu einer Gleichzeitigkeit mit dem
erschwerten Zahndurchbruche. Der Volksmund hat auch von
alters her eine Kausalität bestehen lassen. Bei rachitischen
Kindern ist nun ein Zusammenhang in dem Sinne, dass beide
bereitenden Organes, sie gäbe uns die Aufklärung über so viele Misserfolge
der medikamentösen Therapie. Anderseits gäbe sie uns aber die Möglichkeit,
die biochemischen Verhältnisse des Magen-Darmkanals in wirklich wirksamer
Weise zu beeinflussen in derselben praktischen Weise, wie dies ein rationeller
Landwirt mit seinem Grundstücke tut.
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510
Dr. V. Wiessner, Freiwaldau.
Störungen auf der gemeinsamen Basis der Allgemeinerkrankung*
beruhen, nicht zu leugnen. Der praktische Arzt wird diesem
Umstand des öfteren Rechnung tragen müssen. Bei nicht¬
rachitischen Kindern scheint dagegen ein Zusammenhang nicht
zu bestehen. Aber wieder sagt der Praktiker, dass sich eine
Disposition, ja ein leichter Anfall von Rachitis nicht immer
mit nur einiger Sicherheit feststellen oder ausschliessen lasse.
Daraus dürfte sich der scheinbare Widerspruch erklären lassen*
dass die allgemeine Beobachtung von einem Zusammentreffen
beider Störungen berichtet, während die Wissenschaft einen
ursächlichen Zusammenhang gerne generaliter leugnet. (Siehe
z. B. Dr. Parreidt in Leipzig: „Der Einfluss des Durch¬
bruches der Milchzähne auf den Organismus des Kindes“ in der
„Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde“ 1906, September¬
heft.) Man kann hierbei auch noch weiteres anführen. Man
weiss ja, dass der Druck auf die erkrankten Knochen bei
rachitischen Kindern Schmerzgefühle auslöst. Das kann auch
schon der Muskelzug bewirken. Nun können die Extremitäten
allerdings ruhig gehalten werden, der Kiefer aber schon aus
Gründen der Nahrungsaufnahme nicht; auch ist im Ruhe¬
zustände der Muskelzug auf den Kiefer ein aktiver. Denkt man
sich nun in dem kranken Kiefer noch die Wachstumsreize der
Zähne tätig, so dürfte es doch keine Simulation sein, wenn
solche Kinder Zeichen von Mundirritation geben. Man muss
sich wieder vor Augen halten, dass für uns die geringeren
Grade der Rachitis nicht diagnostizierbar sind.
Es ist selbstverständlich und bekannt, dass durch die
rachitische Erkrankung der Kiefer Formveränderungen dieser
Knochen bedingt werden, welche nicht nur für die Stellung
der Milchzähne, sondern auch für die Wachstumsrichtung der
bleibenden Zähne, für den zukünftigen Biss, massgebend sind.
Es ist denkbar, dass solche Veränderungen unbeachtet auch
dort eintreten können, wo sonstige manifeste Erscheinungen
oder Ueberbleibsel der Rachitis fehlen. Fleischmann
studierte zuerst eingehend diese Veränderungen und führte sie
auf den Zug der Muskulatur, auf den krankhaft biegsamen
Knochen zurück.
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Die Mitleidenschaft der Kuochen- und Zahnsubstanz etc.
511
Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass die
Rachitis die erste Dentition bis in das dritte Lebensjahr ver¬
schieben kann, dass die Zähne unregelmässig, verspätet, an
falschen Stellen durchbrechen können und endlich, dass sie
gerne frühzeitig kariös und wackelig werden. Es wird bei
dieser Krankheit wohl kaum bestritten werden, dass es die
abnorme Weichheit des Dentins bei schlechter Schmelzver¬
teilung ist, die das Fortschreiten der Karies begünstigt.
Nach Eichhorst („Handbuch der spez. Pathologie und
Therapie“, 4. Bd, S. 171) dürfte Kalkarmut der Nahrung für
die meisten Fälle am wenigsten in Betracht kommen, denn
Frauen- wie Tiermilch enthält genügend grosse Mengen von
Kalksalzen zur Knochenbildung. Anderseits liegen Angaben
über den experimentellen Beweis vor, dass man bei Tieren
durch absichtliche Entziehung von Kalksalzen rachitische
Knochenveränderungen erzeugt habe. Das ist aber nicht
ohne Widerspruch geblieben. Indes liegt es nahe, einer zu
geringen Kalkzufuhr den Wert einer sehr bedeutsamen Be¬
günstigung der Rachitis zuzuschreiben.
Bis die ganze Angelegenheit geklärt ist, muss sich wohl
der Praktiker damit begnügen, dass die Rachitis die Substanz
der Knochen und Zähne schädigt und dass als hervorstechende
Erscheinung die Ablagerung einer normalen Menge von Kalk¬
salzen nicht erreicht wird. Am wahrscheinlichsten erscheint es
wohl, dass dies nicht das einzige für uns wichtige Merkmal
ist, sondern dass im allgemeinen alle festen Bestandteile ver¬
mindert, die weichen und flüssigen vermehrt sind, so dass eine
meist unregelmässige Lockerung des Gefüges das Ergebnis ist,
dass also die Inseln das Normale, die dazwischen liegenden
Teile das Abnormale sind.
Nun bleibt der Skelettknochen als dauernder Teil des
Organismus an der weiteren Besserung der Ernährung mit¬
beteiligt und er kann ganz gewiss eine Art Ausheilung in dem
Sinne erfahren, dass sein Gewebe allmählich dichter wird und
zur normalen Festigkeit gelangt. So einfach liegen die Ver¬
hältnisse bei den Zähnen nicht. Denn die Milchzähne sind
zur Ausstossung bestimmt, die bleibenden Zähne treten an ihre
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512
Dr. V. Wiessner, Freiwaldau.
Stelle und sie haben einen Teil, den Schmelz, der nach dem
Durchbruche der Zähne ein Weit er Wachstum nicht mehr
erfährt. Damit soll aber die Frage, ob der vorhandene Schmelz
später nicht auch noch an Festigkeit zunehmen kann, keines¬
wegs kurzerhand verneint werden. Es soll nur gesagt werden,
dass das Fehlen des Schmelzes an einzelnen Stellen vom
Organismus nicht mehr ausgebessert wird. Dagegen sind die
Zahnwurzeln und das gesamte Dentin der bleibenden Zähne
ganz wohl in der Lage, eine spätere Korrektur in bezug auf
Festigkeit und Grösse zu erfahren. Darauf deutet es hin, dass
wir sehr oft bei der Extraktion rachitischer Zähne mit
elender Krone schöne, kräftige Wurzeln vorfinden.
Indes kommen wir bei der Besprechung dieses Vor¬
kommnisses schon in jenen Abschnitt des Wachstums, den
man als adoleszentes Lebensalter bezeichnen kann.
Als spezifische Krankheit dieses Alters bei Mädchen wird die
Chlorose bezeichnet. Es hat auch nicht an Stimmen gefehlt,
die diese Krankheit keineswegs auf das weibliche Geschlecht
beschränken wollen, die vielmehr auch männliche Individuen
„von weiblichem Körperbau und oft auch mit weiblicher Be¬
schäftigung, z. B Schneider“ daran partizipieren lassen.
Soweit es die Beteiligung des knöchernen Skelettes,
wobei immer die Zähne mitzurechnen sind, betrifft, ist es
wohl sicher, dass in diesen Lebensjahren eine Schädigung der
Ernährung bei beiden Geschlechtern in gleicher Weise möglich
ist, dass sie aber bei Knaben weniger in den Vordergrund
tritt und dann einfach als Anämie registriert wird. Der
Name tut auch hier wirklich nicht viel zur Sache.
Ueber die Beteiligung der Knochen an den Ernährungs¬
störungen dieser Entwicklungsperiode wissen wir nicht viel.
Natürlich müssen die Weich teile des menschlichen Körpers
bei allgemeinen Ernährungsstörungen zuerst benachteiligt
werden, weil ihr Stoffwechsel ein lebhafterer ist. Aber bei
einiger Dauer einer solchen Störung muss auch die Ernährung
der Knochen leiden und es ist nicht richtig, die Ermüdungs¬
erscheinungen, die rheumatoiden Erscheinungen in den Beinen,
der Wirbelsäule usw. lediglich auf Schmerzen in den Muskeln
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Die Mitleidenschaft der Kuochen- und ZahuSubstanz etc.
51B
zurückzufahren. Da das Periost eigene Empfindungsnerven
führt, so ist die Möglichkeit gegeben, dass von hier aus
Unlustempfindungen weitergeleitet werden. Man könnte sogar
vermuten, dass die Muskeln weniger in der Lage sind,
Schmerzempfindungen zu produzieren und weiterzugeben als
das Periost.
Anatomische Befunde darüber, wie weit das Knochen¬
system bei länger dauernden Ernährungsstörungen leidet,
scheinen nicht sehr in den Vordergrund getreten zu sein und
man muss sich mehr auf die klinischen Erscheinungen be¬
schränken. In Heft 3 der „Oesterreichischen Zeitschrift für
Stomatologie“ 1907 habe ich auf den notwendigen Zusammen¬
hang hingewiesen. 1 Bei der Chlorose deuten insbesondere die
Erscheinungen der raschen Ermüdung bei geringen An¬
strengungen, die Schmerzen in den Beinen und der Wirbel¬
säule darauf hin. Am Zahnbeine habe ich bis jetzt in einer
ganzen Reihe von Fällen eine abnorme Weichheit und eine
Neigung zu raschem Fortschreiten der Karies feststellen können,
seit ich der Angelegenheit meine Aufmerksamkeit zugewendet
habe. Eichhorst führt allerdings (ibid. S. 39) die Unlust
zu körperlicher Arbeit und ähnliche Beschwerden auf die
dürftige Ernährung der Muskeln allein zurück. Aber nur eine
Mitbeteiligung ist anzunehmen.
Wenn wir demnach vom klinischen Standpunkt aus eine
Beteiligung oder Mitleidenschaft des Knochensystems an den
subjektiven Beschwerden postulieren müssen, so ist das gewiss
nicht ungerechtfertigt. Aber auch irreguläre Zahnstellungen
können zum Teile dadurch bedingt sein. Sie können aller¬
dings auch auf einer früheren rachitischen Erkrankung des
Kiefers und der in Anbildung begriffenen Zähne beruhen
Aber auch dort, wo Zeichen der früheren Erkrankung fehlen,
können im adoleszenten Alter Erscheinungen einer ungewöhn¬
lichen Weichheit des Knochens zu Unregelmässigkeiten der
Zahnstellung führen. Wenn Fleischmann z. B. recht hat,
1 Ueber Beziehungen zwischen allgemeiner Unterernährung und der
Festigkeit des Dentins.
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5J4
Dr. V. Wiessner, Freiwaldau.
dass der Muskelzug am weichen Unterkiefer bei Rachitis
eine unvollkommene Inversion des Alveolarfortsatzes nach
innen bewirkt, so ist das gleiche in verringertem Massstabe
auch für spätere Störungen am Unterkiefer anzunehmen, was
genügen kann, um die bekannte Dreieckstellung der Prä¬
molaren mit dem Caninus zu erzeugen. Ueberhaupt wäre ein
solches Durcheinander der Alveolenrichtungen, wie man es
mitunter sieht, nicht recht denkbar, wenn man nicht die
Möglichkeit einer Verschiebung und Verengerung des Raumes
während des Wachstum es annimmt. Man kann den Kiefer
hierbei nicht als etwas Gegebenes, Starres annehmen, in
welchem die Zähne allein den beweglichen und nachgiebigen
Teil vorstellen,
In Wirklichkeit wächst der Kiefer, dehnt sich und gibt
nach während der ganzen Zeit, während die Ausbildung der
bleibenden Zähne geschieht. Ist von früher schon eine
Deformation vorhanden, so ist eine weitere Störung natürlich
um so leichter.
Die Parallele dazu finden wir in demselben Alter an
anderen Teilen des Skelettes. Man braucht sich nur an die
Ausbildung der X-Beine, der Plattfüsse, der Wirbelsäulen¬
verkrümmungen, der schiefen Schultern und dergleichen mehr
erinnern.
Man wird sich auch nicht mehr verwundern dürfen,
dass gerade im adoleszenten Alter die Zahnkaries oft so
furchtbar schnelle Fortschritte macht. Aeussere Bedingungen
können darauf hemmend oder fördernd einwirken, aber es ist
wohl sicher, dass ein weiches, nicht genügend ernährtes, ein
lockeres Zahnbein 1 allen Schädigungen leichter unterliegt
als ein festes.
1 Während des Druckes las ich in einer Abhandlung Dr. Lart-
schneiders „Bericht über eine grössere Anzahl von Silikatfüllungen“
(Oesterr.-uugar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1907, III, S. 414) über
die Anämie: „Vielleicht bedingt sie eine Veränderung der Struktur der Zähne
(Erweiterung der Dentinröhrchen auf Kosten des Dentin«, grösserer Gehalt
der Zähne an Gewebssäften, Schwankungen im Blutdruck, Tänzers iuterdentärer
Blutdruck) oder trophoneurotische Störungen etc.?“ Das ist eine sehr weit-
volle Bestätigung meiner Ansichten in dem oben zitierten Aufsatze.
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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstauz etc.
515
Es ist nicht notwendig, dass man diese Ernährungs¬
störungen der Knochensubstanz und des Zahnbeines im Ent¬
wicklungsalter als eine Krankheit sui generis auffasst, aber es
ist notwendig, dass sich die allgemeine Aufmerksamkeit diesen
Erscheinungen zuwende. Hier kann eine fortgesetzte Auf¬
merksamkeit für die Zukunft des Gebisses entscheidend werden.
B. Das mittlere Lebensalter (Vollreife).
Von den länger dauernden Krankheiten, die uns hier
interessieren, kommen zunächst zwei ganz besonders in Be¬
tracht, das ist die Osteomalacie und der Skorbut. Weiterhin
sind noch Leukämie, Anämie, Fettsucht, Gicht und Diabetes zu
berücksichtigen. Mit den akuten und chronischen Erkrankungen,
welche sonst noch Stoffwechselstörungen im Knochensysteme
hervoreurufen imstande sind, wollen wir uns erst zum Schlüsse
beschäftigen.
Der Skorbut und die Osteomalacie geben uns
eine schöne Illustration für die Begrenzung unseres Wissens.
Die erstere Krankheit ist uns in ihren Ursachen recht wohl
bekannt, wir wissen aber nicht allzuviel von dem Zustande
der Knochensubstanz, die letztere hat schon reichlich zu
anatomischen und chemischen Untersuchungen des Skelettes
geführt, über ihre eigentlichen Ursachen wissen wir fast nichts.
Und bei beiden Krankheiten haben wir kaum eine Angabe
darüber, ob das Zahnbein verändert wird oder nicht. Unsere
Aufgabe ist demnach hier insoweit beschränkt, dass wir aus
dem vorhandenen Wissen notdürftige Schlüsse ziehen können.
Schlechte hygienische und Ernährungsverhältnisse sind
hier ebenso die allgemeinen Ursachen, wie sie es bei den die
Knochensubstanz affizierenden Krankheiten des Wachstums¬
alters waren. Die Osteomalacie ist zumeist auf Frauen
zur Zeit der Schwangerschaft oder des Wochenbettes be¬
schränkt, seltener befällt sie Frauen zu anderen Zeiten, noch
seltener Männer. Im Gegensätze zur Rachitis handelt es sich
hier um ein Weich werden des schon fest ausgebildeten
Knochens. Die puerperale Form beginnt bezeichnenderweise
zuerst an den Knochen des Beckens. Ihre Häufigkeit ist im
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516
Dr. V. WiessDer, Freiwaldau.
allgemeinen wohl sehr unterschätzt worden. Ich habe im
Laufe einer wenige Jahre dauernden Tätigkeit als praktischer
Arzt in der hiesigen Gegend drei Fälle zu behandeln gehabt.
Es ist schwer, aus den verschiedenen Angaben eine
eigene Ansicht über die Veränderung der Knochenstruktur zu
gewinnen. Die einen (Rindfleisch) schreiben der Kohlen¬
säure des Blutes, irgend vorhandener Milchsäure einen kalk-
auflösenden Einfluss zu, andere (Langendorff und
Mommsen) halten die osteomalacischen Prozesse für kom¬
plizierter, sie fanden in der Grundsubstanz des Knochens eine
unvollständige Ausbildung von Lamellensystemen, Längs¬
streifung und fibrilläre Bildungen und an solchen Stellen oft
Sharpeysche Fasern. Cohn he im basierte darauf die Ansicht,
dass die kalklosen Stellen eine Apposition krankhaften Knochen¬
gewebes seien. (Eichhorst, Bd. IV, S. 175 u. f.) Lossen
(Hueter-Lossen, „Chirurgie“, Bd. I, S. 203)hält aber Cohn¬
heims Meinung für falsch und den Vorgang für eine förm¬
liche Entkalkung des Knochengewebes. Fs ist aber merk¬
würdig, dass Angaben über histologische Untersuchungen der
Zähne fehlen. Eich hör st führt wohl (ibid. S. 174) an:
„Stets bleiben die Zähne frei, obschon sie kariös werden und
ausfallen können.“ Das scheint aber in sich einen Widerspruch
zu enthalten, denn jedenfalls soll es nicht besagen, dass die
Osteomalacie keinen Schutz gegen Zahnkaries bietet, sondern
eher, dass sie der Karies Vorschub leistet. Hier an den
Zähnen wäre die Möglichkeit gegeben, nach zufälligen Ex¬
traktionen solcher Zähne, die bei lebender Pulpa einen guten
Stoffwechsel wenigstens in den Wurzeln darbieten, in vita den
Krankheitsprozess zu verfolgen. Denn dass sich hier wirklich
nichts zeigen sollte, das ist nicht zu erwarten.
Die rheumatoiden Schmelzen in den Knochen, sei es
Becken oder Wirbelsäule, sind beweisend für das, was wir
bei der Rachitis sagten. Denn wenn der abnorm weiche
Knochen, beziehungsweise sein Periost den Erwachsenen
schmerzt, warum soll es beim Kinde anders sein?
Bezeichnend ist es, dass auch bei Osteomalacie Heilung
möglich ist und dass man im Verlaufe des Leidens öfter
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Die Mitleidenschaft der Kuochen- und Zahnsubstanz etc.
517
Remissionen und Exazerbationen gesehen hat. Das ist wieder
zustimmend zu der Meinung, die Verfasser früher in dem
Aufsatze „Ueber die Beziehungen zwischen allgemeiner Unter¬
ernährung und der Beschaffenheit des Dentins“ {l c.) nieder¬
legte. Dort wurde als wahrscheinlich hingestellt, dass im Zahn¬
beine solche Erweichungen und späteres Festerwerden möglich
sei. Hier haben wir den Nachweis gegeben, dass im bereits
ausgebildeten, festen Knochengewebe ebensolches möglich ist.
Und von einem zum andern ist nicht einmal ein Schritt.
Ueber das weitere, die Verletzungen, das schlechtere
Heilen, die Deformation der Skeletteile ist hier nur soweit zu
sprechen, als es unter Umständen als Hinweis für das Ver¬
halten der Zähne dienen kann.
Bei dem Skorbut gehören die Veränderungen am
Zahnfleisch zu den bekanntesten und meist auch ersten Er¬
scheinungen, sie können aber auch mitunter fehlen. Eich¬
horst gibt an (ibid. S. 69), dass die Erkrankung meist an
der Vorderfläche der Schneidezähne beginnt und sich dann
nach innen und auch seitlich gegen die Backenzähne aus¬
breitet. Fehlen Zähne, so bleiben an diesen Stellen Ver¬
änderungen aus, doch kriechen sie an Wurzelstümpfen weiter.
Bei zahnlosen Greisen und Kindern vermisst man die Zahn¬
fleischentzündung. Wo sie vorhanden ist, werden die Ver¬
änderungen gegen die freie Schleimhaut zu immer geringer.
Lippen- und Wangenschleimhaut bleiben frei.
Die Steigerung der Zahnfleischerkrankung geht dahin,
dass „die Zähne in ihren Alveolen locker werden und unver¬
sehrt oder kariös ausfallen“. Parallel dazu steht die Nekro¬
tisierung und der Zerfall einzelner Zahnfleischpartien.
Die Unversehrtheit des zahnlosen Kiefers lässt vermuten,
dass die Beteiligung des Zahnfleisches und Periostes doch
nicht bloss auf traumatische Einflüsse zurückzuführen ist, wie
man anzunehmen geneigt ist. Wenn man andere Organe in
Betracht zieht, die beim Skorbut in ähnlicher Weise erkranken,
so kommen andere Möglichkeiten in den Gesichtskreis. So sieht
man, dass Hautblutungen sehr häufig ihren Ausgangspunkt um
die Haarfollikel nehmen (Blutversorgung derselben), weiterhin,
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518
Dr. V. Wiesaaer, Frei waldau.
dass ähnliche Veränderungen wie am Kiefer an anderen End¬
organen eintreten, z. B. an und um die Nägel (Onychia et
Paronychia scorbutica) und man kann sich dann schwer
des Gedankens entschlagen, dass eben die Art der Vaskulari¬
sation einen wesentlichen Einfluss haben mag. Dazu kommen
noch die allerdings selteneren Beobachtungen von sub¬
periostalen Blutungen an verschiedenen Knochen, am häufigsten
an der vorderen Fläche der Tibia, aber auch an Scapula,
Unterkiefer und hartem Gaumen. Häufig mögen aber solche
Blutungen, zumal an den tiefer in den Weichteilen verborgenen
Knochen, der Beobachtung entgangen sein. Eichhorst er¬
wähnt (ibid. S. 74), dass unter subperiostalen Blutungen die
oberflächlichen Knochenschichten mitunter gerötet und selbst
nekrotisch erscheinen. „In manchen Fällen will man Erweichung
eines vorhandenen Kallus oder bei frischer Knochenfraktur das
Ausbleiben einer soliden Kallusbildung gefunden haben. Am
Knochenmark hat Usko w lymphoide Umwandlung beschrieben.“
Diese Angaben sind für den Stomatologen von ganz be¬
sonderer Wichtigkeit, weil sie direkt darauf hinweisen, dass
einerseits das Periost unmittelbar mitleidet und dass auch Er¬
nährungsstörungen des Knochens eintreten können. Das lässt
die Vermutung gerechtfertigt erscheinen, dass die Lockerung
der Zähne und ihr Ausfällen ebenso auf einer direkten Be¬
teiligung des Periostes, auf einer Zirkulationsstörung in dem¬
selben beruhe.
Demjenigen, der sich für die Aetiologie der Pyorrhoea
alveolaris interessiert, mag insoferne eine Aehnlichkeit
zwischen dieser und der skorbutischen Krankheit sichtliche
scheinen, als ob die letztere eine mehr foudroyante, die Pyor¬
rhoea non traumatica eine mehr chronische Form vorstellen
könnte. Wie dann der Skorbut auf Ernährungsstörungen be¬
ruhend akute Pyorrhoe erzeugt, so müssten andere, mehr
chronische,, allgemeine Stoffwechselstörungen die chronische
Pyorrhoe bewirken können. Es sei besonders hervorgehoben,
dass wir bei den verschiedensten Stoffwechselstörungen,
z. B. Gicht, Diabetes, die Fehlerquelle nicht kennen. Wir kennen
nicht den Kausalnexus zwischen Gicht und Harnsäure-
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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstanz etc.
519
ausscheidung, zwischen Diabetes und Zuckerausscheidung. Das
Auftreten dieser Stoffe in vermehrler und freier Form kann
das Symptom einer latenten, vielleicht noch schwereren Läsion
des Stoffwechsels sein, es kann auch der Stoffwechsel bloss
in bezug auf die Versorgung der diese Stoffe bildenden Ma¬
terialien versagen. Sicheres wissen wir nicht. Ein gewisser
Nihilismus ist da wohl am Platze.
Selbstverständlich soll auch beim Skorbut die Mitwirkung
traumatischer Einflüsse nicht geleugnet werden. Aber es unter¬
liegt keinem Zweifel, dass die Endorgane, bei welchen die
Blutversorgung, mit dieser der Stoffwechsel, am leichtesten
gestört werden kann, auch am öftersten beteiligt sind. Und
dazu gehört jedenfalls das Periost an Knochen und Zähnen.
Uskow und später Swiderski beschrieben ja auch an den
Kapillaren und kleinen Arterien des Zahnfleisches Quellung
der Endothelien, so dass es zur Berührung gegenüberliegender
Zellen, zu Verschluss der Gefässe und Hervorbuckelung nach
aussen gekommen war.
Auch die anderen Allgemeinerkrankungen,
welche den Stoffwechsel auf längere Zeit beeinträchtigen,
bleiben nicht ohne Einfluss auf die Ernährung des Knochen¬
gerüstes samt der Bezahnung. Jedoch ist bei der Erörterung
immer vorweg zu betonen, dass der Stoffwechsel in den Zähnen
wahrscheinlich ein langsamerer ist als in den anderen Knochen,
so dass eine manifeste Beeinträchtigung der ersteren meist
später eintreten dürfte. Immerhin sei auf die frühere Arbeit
des Verfassers „Ueber die Beziehungen zwischen allgemeiner
Unterernährung und der Festigkeit des Dentins“ (1. c.) ver¬
wiesen, wo einige Fälle darauf hinzuweisen scheinen* Seither
sind wieder zwei Fälle zugewachsen, bei denen ein früher
festeres Zahnbein unter dem Einflüsse der Unterernährung zu
einem weicheren, weniger widerstandsfähigen geworden ist.
Es ist wohl zu bedauern, dass über die Herabsetzung
der Ernährung in den Knochen und im Zahnbeine keine
anatomischen Befunde vorliegen. Man muss sich dann eben
auf die klinischen Erscheinungen beschränken.
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520
Dr. V. Wiessner, Freiwaldau.
Das gilt aber nicht für solche Krankheiten, bei denen das
Knochenmark Veränderungen aufvveist, wie bei der Leukämie
(Virchow) oder Leukocythämie (Bennet). Hier sagt uns
der anatomische Befund (Eichhörst, Bd. IV, S. 15), dass
die Knochensubstanz rarefiziert erscheint. In einem Falle beob¬
achtete Heuck allerdings Osteosklerose. Bockedahl und
Landwehr bestimmten in 20 Gramm Knochensubstanz^
0.131 Peptone. Untersuchungen der Zahnsubstanz aber fehlen.
Man kann auch wohl die Funktionen der Zahnpulpa nur wenig
mit jener des Knochenmarkes vergleichen. Aber ausgeschlossen
sind destruktive Veränderungen des Zahnbeines deswegen
nicht. (Dem Stomatologen ist diese Krankheit schon wegen des
Umstandes interessant, dass die Neigung zu Blutungen bei
Leukämischen schon zu Todesfällen nach Zahnextraktionen
geführt hat [Ghapelle]. Spontane heftige Blutungen am
Zahnfleische kennt man bei der Werlhofischen Blut¬
fleckenkrankheit.)
Die progressive perniziöse Anämie scheint das
Knochensystem direkt in Mitleidenschaft zu ziehen, obwohl die
häufigen Veränderungen im Knochenmarke (Eichhorst, ibid.
S. 33 u. f.) als sekundär und anämischer Natur gedeutet werden.
Betrachtet man aber die klinischen Erscheinungen, so ist es
doch auffallend, dass sich manchmal einzelne Knochen druck¬
empfindlich zeigen. Angaben über Sternalschmerzen (Müller)
und Tibialschmerzen (Finny) liegen vor. Dass diese von der
Fortleitung des Druckes auf das Knocheninnere herrühren
sollten, klänge unwahrscheinlich. Von Untersuchungen der
Knochensubstanz liegen keine Berichte vor. Dass das gleiche
auch für das Zahnbein gilt, ist bei der Jugend der stomato¬
logischen Wissenschaft nicht verwunderlich. Die allgemeine
Unterernährung infolge der Veränderungen des Blutes kann aber
bei der Dauer der Krankheit gewiss nicht ohne nachteiligen Ein¬
fluss auf die Ernährung des Knochensystems samt der Be¬
zahnung bleiben. Für diese Annahme ist ja wohl die Tatsache
des Stoffwechsels in diesem Systeme eine vollwertige Begründung.
Wir sind überhaupt genötigt, aus den klinischen Bildern
der Stoffwechselkrankheiten uns jene Züge herauszusuchen,
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Die Mitleidenschaft der Knochen* nnd Zahnsubstanc etc. 6S1
welche auf die Beteiligung oder Nichtbeteiligung des Knochen-
systems hindeuten. Man findet da leicht die eine oder andere
bisher kaum beachtete Beziehung. Direkte Untersuchungen zu
stomatologischen Zwecken fehlen ganz und doch scheint das
eine sehr notwendige und dankenswerte Aufgabe zu sein.
Wenn man bei der Fettsucht (Polysarcia) an¬
gegeben findet, dass eine Neigung zu arteriosklerotischen Ver¬
änderungen bestehe, so ist es wohl möglich, dass Periost und
Periodontium darunter leiden. Ist aber die Vaskularisation
geschwächt, so ist es denkbar, dass schon die normale In¬
anspruchnahme der Zähne einen traumatischen Effekt auf das
Periodontium bedeuten und so für die Alveolarpyorrhoe be¬
günstigend sein kann.
In dem Abschnitte über Arthritis urica fällt uns von
rorneherein auf, dass man die eine Form direkt als Knochen¬
gicht bezeichnet. Subperiostale Gichtknoten kommen nicht so
selten vor, auch im Knochenmark sind gichtische Ablagerungen
beschrieben worden. V i r c h o w beschrieb isolierte Uratein-
tagerungen in der Spongiosa der Phalangen, wie sie auch schon
früher beobachtet worden waren. Garrod erwähnt an den
Knochen Verfettung, d. h. Neigung der Knochen zur Brüchigkeit
infolge der Bildung von mit Fettmassen erfüllten Hohlräumen.
Marchand und Lehmann untersuchten auch die
chemische Beschaffenheit der Knochensubstanz. Sie fanden
keine Harnsäure, aber Armut an erdigen Substanzen und Fett.
Ueber die Beschaffenheit des Zahnbeines fehlen auch hier
vollständig alle Angaben. Mir selbst ist aber mehrfach auf¬
gefallen und ich kann die betreffenden Patienten namentlich
aufführen, dass bei solchen Leuten, die wegen Gicht in Pistyan,
Trentschin, Baden, Römerbad waren oder sonst über gichtische
Erscheinungen klagten, die Zahnhälse gerne blosslagen, be¬
sonders an den Molaren oft bis zur Gabelung der Wurzeln,
dass die Zähne aber trotzdem in den Kiefern fast ankylotisch
festsassen und dass sie infolge geringer Elastizität gerne firak-
turierten. Solche Beobachtungen lassen einem die Möglichkeit
ursächlicher Beziehungen nicht von der Hand weisen. Der
Verdacht auf Begünstigung der Pyorrhoea alveolaris liegt nahe,
s
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622 Dr. V. Wiessner, Freiwaldau., ■ f,
darüber aber Angaben halbwegs sicherer Art zu machen, ,bin
ich noch nicht in der Lage. , i
Gehen wir auf den Diabetes mellitus über, so finden
wir hierbei eine vermehrte Ausfuhr von Kalk und Alkalien.
Die in stomatologischer Hinsicht interessante saure Reaktion
der Mundflüssigkeit wird bei dieser Krankheit auf die vermehrte
Bildung von Milchsäure (Zuckerzersetzung) zurückgeführt. Da
ist es auch nicht verwunderlich, dass solche Patienten über
eine rapide Karies der Zähne zu klagen haben. Bezöge man
den letzteren Umstand lediglich auf die Milchsäure im Speichel,
so würde er nicht viel mehr zu bedeuten haben, als die rapide
Karies bei Zuckerbäckern. Da finden wir aber noch die Klagen
über eine spontane Lockerung, ja über das Ausfallen der Zähne.
Das lässt sich wohl nicht bloss auf eine wie immer geartete
Veränderung des Mundspejchels zurückführen, sondern es deutet
zwingend auf eine Störung in der Ernährung der Zahnhaut,
des Periodontiums. Damit steht im Einklänge, dass Diabetiker
auch an anderen Organen Störungen in der Gewebsernährung
aufweisen können, so an den Haarfollikeln (Furunkulose), den
Endphalangen der Zehen und den ganzen Zehen (Spontan¬
gangrän), Abstossung der Nägel, Brand der Haut u. dgl. m. Auch
das häufige Defluvium capillitii dürfte hierher zu rechnen sein.
Ganz auffallend ist hier die Aehnlichkeit der Erscheinungen
mit jenen beim Skorbut. Während diese aber in einer mehr
akuten Weise verlaufen, gehen die diabetischen Prozesse lang¬
samer, man möchte fast sagen chronisch einher. Es lässt sich
hier wie dort ganz wohl die Vermutung aussprechen, dass die
Funktion der kleinsten Gefässe besonders an den disponierten
Stellen durch die veränderte Beschaffenheit des Blutes leicht
beeinträchtigt werden kann.
Dass auch der Stoffwechsel im Zahnbeine (natürlich auch
in der allgemeinen Knochensubstanz) leiden muss, ist wohl
selbstverständlich. Indes liegt hier eine andere Möglichkeit vor,
die angedeutet werden muss, das ist die Möglichkeit, dass es
im Zahnbeine zu einer zeitweiligen oder dauernden Sistierung
des ( Stoffwechsels einer Art von Devitalisation des Zahnes
kommen könnte. In diesem Falle träte dann keine Minder-
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Die Mitleidenschaft der Knochen- und Zahnsubstanz etc.
683
ernährung des Zahnbeines ein, sondern ein Stille« teil en
in dem jeweiligen Ernährungszustände. Ob in dem Einzfclfalle
diese oder die andere Art der Störung statthat, müsste dann
immer erst festgestellt werden. Das will aber nicht mehr sein
als eine vage Vermutung, die sich aus dem Ueberblicke übei 1
das klinische Gesamtbild ergibt.
Nun wissen wir gerade über den Diabetes mellitus, dass
die Zuckerausscheidung erst bei einer gewissen Grösse der
Stoffwechselstörung einsetzt. Ein Marienbader Arzt .veröffent¬
lichte z. B. vor einigen Jahren eine sehr interessante, mir der¬
zeit nicht vorliegende Publikation, in welcher er nachwies, dass
bei manchen Patienten der - Eintritt der Zuckerausscheidung
von dem Erreichen eines gewissen Körpergewichtes abhängig ist
und mit dem Herabgehen unter dieses Gewicht wieder aufhört.
Wir wissen aber auch, dass es viele Stoffwechselstörungen
gibt, die weder durch die manifeste Produktion von Zucker
in den Kreis des Diabetes, noch etwa durch die Produktion
von Harnsäure in den Kreis der Gicht notwendig einzureihen
sind, die auch sonst keinen Anhaltspunkt geben, sie gerade
in ein bestimmtes Krankheitsbild einzureihen. Vielleicht erreichen
sie nicht die notwendige Höhe in der Stoffwechselstörung. Es
liegt aber auf der Hand, dass auch bei ihnen eine Lockerung
der Zähne, eine Schädigung des Periodonts, eine echte Pyorrhoe
möglich ist. Und es ist gewiss nicht zu weit ausgegriffen,
wenn man denkt, dass spätere Stomatologen jeden Pyorrhoiker
dem Internisten zur Behebung der Krankheitsursachen zusenden
würden, während sie selbst die symptomatische Behandlung
im Munde durchführten.
Wollte man auf jedes Krankheitsbild näher eingehen, so
würde man eine ganze Menge interessanter Beziehungen und
Ausblicke gewinnen. Wir wollen uns aber nicht zu sehr in
die Details verlieren, daher auch von einem genauen Eingehen
in die anatomischen Befunde absehen, obwohl sie, wie z. B.
die hyaline Degeneration in den Henleschen Schleifen An¬
regungen geben können. Wir haben aber heute bloss die Auf¬
gabe, eine allgemeine Uebersicht über jene Störungen des ge
samten Stoffwechsels zu bieten, bei denen eine Mitbeteiligung
3 *
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624
Dr. V. Wiessner, Freiwaldau.
des Knochensystems samt Zähnen zu erwarten ist Auf der
einen Seite bezwecken wir damit, die Aufmerk*
samkeit der Internisten und Pathologen auf die
Frage dieser bi sh er viel zu gering angeschlagenen
Hitbeteiligung zu lenken, auf der andern Seite
wollen wir den innigen und vielseitigen Zu-
saromenhang der Stomatologie mit der Gesamt¬
medizin plastisch und eindringlich vorzeigen.
Denn noch immer gibt es eine Menge Leute, welche eingehende
medizinische Kenntnisse bei der Zahnbehandlung ebenso für
überflüssig halten, wie bei der sogenannten Naturheilkunde.
Der Effekt i&t‘auch der gleiche. 'Wie letztere weder natürlich
ist, noch mit der Heilkunde ernstlich etwas zu tun hat (damit
sind selbstverständlich nicht die physikalischen Behandlungs¬
methoden, sondern die Kurpfuschereien gemeint), so sehen wir
auch bei der Zahnbehandlung eine Menge ganz Unkundiger
mit ganz verdrehten Anschauungen am Werke. Das ist aber
nicht unsere Schuld.
Wenn wir das Heer der Infektionskrankheiten
übersehen, so ist für uns in erster Linie die Dauer der Krank¬
heit massgebend. Eine Läsion des Knochensystems findet ganz
bestimmt auch bei heftig einsetzenden akuten Fieberkrankheiten
statt; es geht nicht-an, die Schmerzen in den Gliedern, be¬
sonders den Beinen, nur auf die Weichteile zu beziehen. Denn
das Nachlassen der Schmerzen im Zustande der Bettruhe ist
oft ganz auffallend. Die Liegestellung aber entlastet in erster
Linie die Träger des Körpers, das knöcherne Skelett. Aber
zwischen einer kurzen Beeinträchtigung, die nur wegen ihrer
Heftigkeit und Schmerzhaftigkeit zur Wahrnehmung gelangt,
und zwischen einer anhaltenden, weiter keine Empfindung ver¬
ursachenden Ernährungsstörung, welche eine dauernde Schädi¬
gung des Gewebes in den Knochen hervorbringt, ist ein grosser
Unterschied. Eines Beweises bedarf es wohl nicht, dass der
Zeitfaktor hier die bedeutendste Rolle spielt
Allerdings kann die stürmische akute Läsion eine nekro¬
tisierende Wirkung auf die Vaskularisierung eines disponierten
Bezirkes in einem Knochen mit den Folgeerscheinungen einer
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Die Mitleidenschaft der Knochen* und Zahnsnbstanz etc.
625
Osteomyelitis bewirken, also auch dauernden Schaden setzen,
aber der das gesamte System schädigende Prozess braucht
Zeit. Am meisten Zeit scheint notwendig zu sein, um das Zahn¬
bein in seiner Festigkeit herabzusetzen, was durch die grössere
Langsamkeit des Stoffwechsels begründet ist.
Wir finden daher bei fieberhaften akuten Prozessen, wie
Scharlach, Rubeola, Flecktyphus (fuligo), Erysipel
(Zahnrose), Varizellen, Variolen (nekrotische Vorgänge),
Typhus (fuligo bis Abszessbildungen, hier auch anderwärts,
meist an der Tibia, Periostitiden) eine verschieden intensive
Beteiligung der Weichteile des Mundes, aber Verände¬
rungen in der Beschaffenheit des Zahnbeines sind wohl
nur dann möglich, wenn lang dauernde Nachkrankheiten und
Schwächezustände eine anhaltende Herabsetzung der gesamten
Ernährung bedingen. Dasselbe gilt natürlich auch von der
Anämie nach anderen Krankheiten, wie nach der Malaria.
Hierher möchten wir auch die Schädigung des Zahnbeines
durch die Schwangerschaft rechnen, die wir keineswegs
als eine blosse Entkalkung auffassen können.
Dass bei chronischer Tuberkulose, sofeme sie eine
Minderernährung des Körpers herbeiiührt, ebenfalls Knochen-
und Zahnsubstanz leiden müssen, ergibt sich nach dem Ge¬
sagten von selbst. Allerdings scheint man bisher angenommen
zu haben, dass die Herabsetzung des Körpergewichtes
bloss einseitig auf das Konto der Weichteile zu setzen sei.
Aber bei genauerem Hinsehen fehlt die Begründung bis auf
den Umstand, dass eine Umfangsabnahme hier nicht leicht
ersichtlich ist, während sie bei den Weichteilen direkt in die
Augen fällt. Man müsste hier doch erst einmal das spezifische
Gewicht etwa desselben Knochens von gleichen Dimensionen
bei einem an Entkräftung zugrunde gegangenen und bei einem
in voller Kraft etwa durch einen Unglücksfall getöteten Menschen
vergleichen.
Die chronischen Krankheiten der Respira-
tions- und Zirkulationsorgane, aller Teile des Ver-
dauungs- und Harnapparates, derNerven und.des
Gehirnes, soweit sie die Ernährung des Gesamtorganismus
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526
Dr. V. Wiessner, Freiwald&n.
beeinflussen, beeinträchtigen gewiss auch die Ernährung des
Knochensystems. Kn gleiches gilt von Störungen, die durch
Parasiten oder Neubildungen hervorgerufen werden.
Man kann von diesem Kapitel nicht einfach Abschied
nehmen, ohne von der Myositis ossificans zu sprechen r
bei welcher eine Knochenneubildung in den Muskeln statt¬
findet. Hier ist die Entstehung von Periost und von Ernährungs¬
kanälen für Blutgefässe nachgewiesen worden. Dass dies eine
einfache Trophoneurose sei, wie Nikol ad oni meinte, wird
von anderer Seile (Eichhorst, Bd. III, S. 553) bestritten.
Ueber Veränderungen in der Knochensubstanz, die uns hier
am meisten interessieren, fehlen positive und negative Angaben.
Von den Osteomen wissen wir, dass sie in ihrer Struktur
zwischen dem spongiösen Knochen und dem Elfenbein wechseln
und dass sie von verkalktem Bindegewebe, welches sich fern
von der Matrix das Periostes bildet, zu unterscheiden sind.
Sie sind übrigens hier ohne weiteren Belang.
C. Die Periode des Niederganges, das Alter.
Senectus ipse est morbus. Wenn man die Beschaffenheit
der Körpergewebe bei senilen Individuen und bei vollkräftigen
Personen vergleicht, so scheint man geneigt, dem alten Spruche
recht zu geben. Offenkundige und altbekannte Erscheinungen
am Knochensysteme, wie auch — was ausdrücklich betont
werden soll — an der Bezahnung besagen uns, dass sich der
Zustand zu einem solchen gestaltet, welcher einiger Ruhe und
Schonung bedarf. Da ist zumal die bekannte Sprödigkeit der
Knochen, die leicht zu einem Bruche derselben führt. Es ist
aber auch häufig eine Sprödigkeit der Zähne und des Kiefers,
die der praktische Zahnarzt bei der Extraktion oft unliebsam
bemerkt. Später schliessen sich die Erscheinungen des spon¬
tanen Ausfallens auch gesunder Zähne an.
Bevor wir indes zu dieser Erscheinung kommen, müssen
wir jener Veränderungen gedenken, die sich an der Knochen¬
substanz vollziehen und die als Tdil der gesamten Alters¬
veränderungen einen physiologischen Vorgang darstellen. Die
Verlangsamung des gesamten* Blutkreislaufes und die Dis-
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Die Mitleidenschaft der Knochen* und Zahnsubstanz etc.
587
Position zu Arteriosklerose bedingen eine minder gute Er¬
nährung aller Organe, eine leichte Hemmung in ihren Funk¬
tionen, die z. B. beim Gehirn leicht vorteilhaft sein kann, in¬
dem sie Ueberstörzungen verhindert. Im Muskel schwindet da¬
gegen langsam die Kontraktilität, der Knochen wird brüchiger.
Das beruht auf einem Mangel an Elastizität und Festigkeit,
b e dingt durch den al lmähli chen Schwund der Spongiosa-
bälkchen und derjenigen Schichten der Corticalis, welche der
Markhöhle zunächst liegen. Vergrösserung der kleinen und
grossen Markräume und ihre Ausfüllung mit gelbem, fettreichen
Marke kennzeichnen makroskopisch diese sogenannte rare-
fizierende Ostitis, die Lipomasie des Knochens. Das ist der Alters¬
schwund des Knochens. Dass die Ernährung eine schlechtere ist,
bezeugen mehrere klinische Erscheinungen:
Lossen (Hueter-Lossen, „Chirurgie“, 1,183) sagt, dass
selbst das hohe Greisenalter dem kindlichen nur in der Schnellig¬
keit der Kallusbildung nachsteht und dass sich alle Fälle
absoluter Insuffizienz auf allgemeine Ernährungs¬
störungen beziehen. Davon wird für das Greisenalter die
allgemeine Karzinose namhaft gemacht. Akute Infek-
tionsfieber sind für alle Lebensalter ungünstige Vorkomm¬
nisse bei der Kallusbildung, besonders aber für das Greisen¬
alter. Es ist schon das eine wesentliche Beeinträchtigung des
Heilungsvorganges, wenn er langsamer abläuft. Man kann dies
als einen augenscheinlichen Beweis für die Verschlechterung
des Verhältnisses gegenüber dem Mannesalter bezeichnen.
Dafür sprechen noch eine Menge anderer Anzeichen.
Greifen wir nur die Alterskyphose heraus. In Hueter-Lossen
(„Chirurgie“, II, 158) findet man allerdings wieder den Einfluss
der Muskelatrophie, wodurch das Mass aktiver Streckung der
Wirbelsäule vermindert wird, als Ursache sehr betont. Nach
dieser Auffassung würde die aktive Tendenz zur Streckung der
die Wirbelsäule krümmenden Schwerkraft entgegen wirken und
ihre Verringerung sofort zur Beugung führen. Indes wird dabei
angegeben, dass die zusammensinkenden Wirbel, deren Spon¬
giosa geschwunden ist, weniger widerstehen, als in der Jugend
und im Mannesalter. Das bedeutet aber wieder nicht mehr
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598
Pr. V. Wiessner, Freiwald««.
und nicht weniger als eine geringere Leistungsfähigkeit der
Knochen, die wir gerne als weit wichtiger und einflussreicher
einschätzen, als es gewöhnlich geschieht.
Man muss nun bedenken, dass es einen Marasmus praecox
gibt, der die Altersbeschwerden und damit die Beeinträchtigung
der Knochen und Zähne schon früher eintreten lässt. Etwas
analoges ist wohl auch die Osteopsathyrosis tabica
und paralytica, die bei den geringfügigsten Anlässen
zu ziemlich schmerzlosen Brüchen der Knochen (z. B. Zu-
sammenbeissen zum Bruche des Unterkiefers) führen kann.
Nun kommt dazu, dass im höheren Lebensalter häufig
die Funktionen der Verdauungs-, Zirkulations- usw. Organe ge¬
stört sein können, ohne dass man direkt von einer speziellen
Erkrankung sprechen kann. Es ist wohl selbstverständlich, dass
in diesen Fällen die Gesamtemährung und damit auch die
Ernährung des Knochensystems bedeutend leiden muss.
Zwischen den Störungen an den Zähnen muss man in-
soferne eine Unterscheidung treffen, als dieselben sowohl das
Periost als die Pulpa angehen können. Die Störungen der
ersten Art sind die Ursache des Ausfallens der Zähne, sie ver¬
laufen in einer klinischen Form, die der eigentlichen Alveolar¬
pyorrhoe sehr ähnlich ist. Es ist auch gar nicht ausgeschlossen,
dass die eigentliche Basis die gleiche, nämlich die Störung in
der Vaskularisation ist. Die Veränderungen an der Pulpa gehen
auf eine Atrophie derselben hinaus. Ein bemerkenswerter
Unterschied der Pulpahöhlen gegenüber den Markhöhlen der
Knochen besteht darin, dass die ersteren allmählich mehr und
mehr verengt werden, während die Markhöhlen eine Erweite¬
rung erfahren. Daneben finden sich in den Pulpen häufig Ver¬
fettungen und Verkalkungen. Selbstverständlich muss mit der
senilen Atrophia pulpae reticularis eine Beeinträchtigung des
Stoffwechsels im Zahnbeine verbunden sein, die zusammen mit
der senilen Alveolarerkrankung den Ausfall der Zähne be¬
günstigt. Doch ist häufig das Periodontium schon zerstört, der
Alveolarfortsatz sehr geschwunden, der Zahn weit freiliegend
und doch findet noch eine bescheidene Blutversorgung der
Pulpa statt.
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Die Mitleidenschaft der Knochen- nod Zahnsnbstans etc. 689
Umgekehrt scheint es bei manchen Störungen in der Blut¬
versorgung der Pulpen frühzeitig zu einer latent verlaufenden
Degeneration und Resorption der .Pulpa zu kommen, so dass
die Pulpahöhlen ganz leer erscheinen.
Jedenfalls hat das Nachlassen der Ernährung des Zahn¬
beines von beiden Seiten her den Effekt des Austrocknens
des Zahnbeines, wodurch dasselbe spröder wird. Angaben über
einen Vergleich des spezifischen Gewichtes solcher atrophischer
Zähne und vollemährter Zähne stehen mir leider nicht zur
Verfügung. Es ist auch ohne grosse Bedeutung, da dieser Auf¬
satz unmöglich den Ehrgeiz haben kann, einen vollständigen
Nachweis für alle angeführten Einzelheiten zu bringen. Er hat
nur den einen sehr bedeutsamen Zweck zu verfolgen, die
Parallelstellung, wenn nicht Gleichstellung der
Knochen und der Zähne in bezug auf die Mit¬
leidenschaft bei allen chronischen Ernährungs¬
störungen als wahrscheinlich hinzustellen und
diese Möglichkeit als ein wertvolles heuristisches
Prinzip in die Stomatologie einzuführen.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Die Bachitis ui Ur Eitliss auf das Hilchpbiu.
(Aus dem k. k. pathologisch-anatomischen Uni¬
versitäts-Institut in Graz.)
Von Dr. Eduard Urbantschüsch, Assistent am k. k. zahnärzt¬
lichen Universitäts-Institut.
Bekanntermassen sind sowohl der Ober- als auch der
Unterkiefer Belegknochen, das heisst sie sind nicht knorpelig
vorgebildet, sondern Bindegewebsknochen.
Sappey stellt für den Oberkiefer fünf, für den Unter¬
kiefer zwei Ossifikationspunkte auf.
Die erste Spur der Zahnanlage zeigt sich nach Z uck erkan dl
bei einem 14*5 Mm. langen Embryo.
Aus dem ektodermalen Ueberzuge der Kieferränder bildet
sich ein epitheliales Organ und dadurch ist der Anfang der
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680
Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz,
Zahnanlage gegeben, und zwar in Form einer Verdickung des
Zylinderepithels am Kieferrände, welche gegen das Mesoderm
der Kieferschleimhaut ein wenig eingebogen ist.
Die Zahnkeime erscheinen nicht alle gleichzeitig. Zuerst
entwickeln sich die Papillen der Schneidezähne, dann die der
übrigen. Meckel gibt folgende Reihenfolge an: mittlerer, unterer
Schneidezahn, derselbe oben, seitlicher Schneidezahn; in derselben
Reihenfolge erster Milchmolar, Eckzahn, zweiter Milchmahlzahn.
Im 7. Embryonalmonat sind alle Milchzähne in Ossifikation
begriffen und es gilt im allgemeinen der Ausspruch, dass der
Zahnkeim, der zuerst auftriit, auch vor den anderen verknöchert
und durchbricht. Die vorderen Zähne brechen aus diesem Grunde
früher durch als die hinteren, ferner die unteren vor den oberen
und die Wechselzähne vor den bleibenden.
Die Säckchen der bleibenden Zähne beginnen gegen den
5. Fötalmonat aufzutreten.
Zuerst erscheint das Säckchen des ersten bleibenden
Molaris, hierauf im 8. Monat die Säckchen der Schneidezähne
und der Eckzähne, am Ende des 2. Lebensjahres die Säckchen
der vorderen Backenzähne, einige Monate später die der
zweiten Mahlzähne, bald darauf die der hinteren Backenzähne
und endlich im 5. Jahre die Säckchen der Weisheitszähne.
Die Ossifikation der Zahnkeime des bleibenden Gebisses
setzt vor der Geburt mit der Verknöcherung des ersten Mahl¬
zahnes ein und geht im 1., 2. und 3. Jahr auf die Schneide-,
Eck- und Backenzähne über. Die Ossifikation des zweiten und
dritten Mahlzahnes beginnt erst im 3., respektive im 8. bis
9. Lebensjahre.
Der Durchbruch der Zähne erfolgt nicht immer zur selben
Zeit und es kommen viele Abweichungen vor.
Nach J. Tom es und R. Baume ist die Reihenfolge
für den Durchbruch der Milchzähne folgendermassen:
die zentralen Milchschneidezähne . . 6. bis 8. Lebensmonat,
seitliche Schneidezähne . . ... 8. Ä 12. „
vordere Milchmolaren . . . . . V 12. J 16. a
Milcheckzähne . ..... . . 15. ^ 20. „
hintere ; Milchmolareh V . , . . . 20. „ 30. „
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Die Rachitis und ihr Einfluss aut das Milchgebiss.
58 !
Wenn wir die Ober- und Unterkiefer eines Neugeborenen
oder die eines Kindes bis zum 6. oder 7. Lebensmonat betrachten,
so finden wir statt der Zähne am Kiefer eine einige Millimeter hohe
Schleimhautwulst, welche mit breiter Basis am Alveolarfortsatz
aufsitzt, stellenweise gerifft ist und sich ziemlich hart anfühlt.
Nach vorsichtiger Abpräparation derselben und Eröffnung
der Alveole» sehen wir die Milchzähne, respektive die Zahn¬
säckchen in ihren Alveolen liegen.
Im ganzen sind in jedem Kiefer fünf Zahnfächer vor¬
handen, deren Scheidewände bis an den freien Alveolarrand
heranreichen. In jedem Fache liegt das betreffende Zahn¬
säckchen, nur in der Alveole des zweiten Milchmahlzahnes sehen
wir ausserdem noch das Säckchen des ersten bleibenden Molaris.
Die Zähne, respektive deren Säckchen nehmen keineswegs
jene Stellung ein, welche die Milchzähne nach erfolgtem Durch¬
bruch behaupten, sondern bei den Frontzähnen kann man,
wie das an den Präparaten aus den verschiedenen Lebens¬
monaten verfolgt werden kann, eine eigentümliche Drehung
speziell der Incisiven um ihre Längsachse beobachten.
Bezüglich der Drehung der Schneidezähne besteht ein
grosser Unterschied zwischen jenen des Ober- und jenen des
Unterkiefers. Während nämlich der untere Zentralschneidezahn
sich um gut 45° drehen muss, um zu seiner endgiltigen Durch¬
bruchsstellung zu gelangen, verharrt der obere Zentralschneide¬
zahn fast genau in seiner Richtung, das heisst bis zu seinem
vollendeten Durchbruch macht er fast keine Drehung durch.
Die Präparate veranschaulichen diesen Vorgang.
Im ganzen standen mir zwölf Schädel von Kindern, welche
teils anDebilitas vitae, Pneumonie oder Enteritis, also an keiner
Knochenerkrankung verschieden waren, zur Verfügung.
Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Professors
M. Holl, Vorstandes des k. k. anatomischen Universitäts-
Institutes, dem ich hiemit meinen Dank erstatte, war ich in der
Lage, die reichhaltige Sammlung von Kinderschädeln im ob¬
genannten Institute durchsehen zu können, und was mir für
mein Studium an frischen 'Präparaten mangelte, konnte ich
durch mazerierte Schädel aus dieser Sammlung ersetzen.
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539
Dr. Eduard Urbantschitsch, Oraz.
Ich lasse hier nur kurz die Beschreibung der einzelnen
Präparate folgen, von welchen ich sechs zur Abbildung bringe.
I.
Kiefer eines neugeborenen Mädchens (Oebilitas vitae).
Körperlänge 42 Cm.
a) Unterkiefer (Fig. 1).
Die Schneidezähne sind zur Sagittallinie m einem Winkel
von 45® gestellt, und zwar ist die Krone des Zentralschneide¬
zahnes in seiner Alveole quer gestellt, so dass sie von der
linguo-mesialen zur disto-labialen Ecke reicht. Die Stellung des
seitlichen Schneidezahnes bildet einen Gegensatz zu der des
zentralen, indem die Krone nicht parallel mit der des zentralen
Schneidezahnes steht, sondern mit ihr direkt einen rechten
lingualwärts offenen Winkel bildet. Incisivus centralis und
lateralis sind an den Kronen verkalkt. Am Eckzahn ist nur
der Spitzenteil verknöchert. Am ersten Molaris ist beinahe die
ganze Krone, am zweiten Molaris hingegen sind bloss die
Kauflächen verkalkt. Beim bleibenden Molaris ist die Kau¬
fläche des Keimes mit einzelnen Scherbchen besetzt.
b) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 2).
Der grosse Schneidezahn steht fast frontal, während der
kleine zirka 80° um seine Längsachse so gedreht ist, dass
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Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss.
583
seine labiale Fläche lateralwärts gewendet ist. Beide Zähne
schliessen einen stumpfen Winkel ein. Ihre Kronen sind total,
die des Eckzahnes und des ersten Milchmolaren an den Spitzen
beinahe ganz verkalkt. Der zweite Milchmolar zeigt an den
Kauhöckern teilweise Verkalkung.
P' itÄYi?
hbti
ii.
Kiefer eines 16 Tage alten Knaben (Enteritis).
Körperlänge 49 Cm.
o) Unterkiefer (Fig. 3).
Beide Schneidezähne sind mehr nach auswärts gedreht,
so dass ihre Kronen zueinander nicht mehr einen rechten,
sondern einen stumpfen Winkel einschliessen. Sonst ist sowohl
in der Stellung als auch Verknöcherung der einzelnen Zähne
ma ]r r ngir/\pis«»h kein Unterschied, von I. a) be m e rkb ar.
6) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 4).
Der grosse Schneidezahn hat seine Stellung beibehalten.
Eine gewaltige Aenderung hat die Stellung des kleinen
Schneidezahnes erfahren, denn derselbe hat sich um seine
Längsachse so stark gedreht, dass er fast parallel mit dem
grossen Schneidezahn steht.
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«34
Dr, Eduard Urbantschitsch, Graz.
111 .
Kiefer eines 26 Tage alten Knaben (Pneumonie).
Körperlänge 51 Gm.
Im Ober- und Unterkiefer ist in der Stellung der Zähne
Jeein nennenswerter Unterschied gegenüber Präparat If.
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Die Rachitis und ihr Emflosa auf das Milchgebiss.
585
IV.
Kiefer eines 37* Monate alten Mädchens (Debilitas vitae).
Körperlänge 51 Gm.
ä) Unterkiefer (Fig. 5).
Der mittlere Schneidezahn fast frontal gestellt. Der seit¬
liche Schneidezahn noch etwas nach aussen gedreht.
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536
Dr. Eduard Urb&ntechitscb, Graz.
b) Oberkiefer (Fig. 6).
Der kleine Schneidezahn erscheint mehr labial vorgerückt.
An der Stellung des grossen Schneidezahnes keine
Aenderung.
V.
Kiefer eines 4 Monate alten Knaben (Bronehitis).
Die Drehung des seitlichen Schneidezahnes im Unterkiefer
ist etwas stärker ausgeprägt als im vorigen Präparate ; sonst
weder im Ober- noch im Unterkiefer in der Stellung der
Zähne eine bemerkenswerte Differenz gegenüber den früheren
Präparaten.
* *
Leider konnte ich nicht mehr frisches Material, das heisst
von Kindern in höherem Alter erlangen, doch nach den
mazerierten Schädeln am anatomischen Universitäts-Institut
ersah ich genau, dass in den folgenden Lebensmonaten die
Drehung der Zähne sukzessive fortschreitet, bis sie zu der
Stellung gelangen, mit der sie durchbrechen.
Allerdings brechen sie nicht immer in dieser Stellung
durch, wie man es bei normalen Milchgebissen sieht und kommt
es öfter auch zu einer — sit venia verbo — extragingivalen
Drehung, sei es, dass der Zahn (ich spreche hier speziell von
den Schneidezähnen) nicht ganz normal im Cavum oris ge¬
stellt ist, sich später dann normal stellt oder der Zahn ist
normal gestellt und wird dann später erst abnormal durch
irgendwelche abnormalen, höchst wahrscheinlich mechanischen
Kräfte gestellt. Ich erinnere da nur zum Beispiel an das
sogenannte „Daumenlutschen* der Kinder, und sowohl der
Pädiater als auch der Odontologe wird den deletären Einfluss
dieser Gewohnheit auf die Normalstellung der Zähne oft und
oft zu beobachten Gelegenheit gehabt haben.
Doch nicht nur Kräfte, welche gleichennassen von aussen
wirken, haben Einfluss auf die Stellung der Zähne, sondern
wir kennen auch manche Krankheiten, die sowohl auf die
Stellung als auch auf die ganze Entwicklung und Ausgestaltung
der Zähne, respektive der Kiefer einwirken.
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Die Rachitis tmd ihr Einfluss auf das Milchgebiss.
537
In erster Linie nun steht unstreitig die Rachitis.
Im Jahre 1650 hat Glisson eine umfassende 11 onographie
dieser seiner Ansicht nach erst im Anfänge des XVII. Jahr¬
hunderts in England aufgetretenen Krankheit verfasst und von
ihm ist auch der Name Rachitis (von pö.% t>c = Wirbelsäule)
eingefuhrt worden. Die eigentliche Entstehungsursache dieser
Krankheit ist aber, trotzdem die klinischen und anatomischen
Eigentümlichkeiten der Krankheit seit jener Zeit ausserordentlich
häufig und genau untersucht sind, bis jetzt noch so viel wie
unbekannt.
Man weiss nur, dass alle ungünstigen äusseren Verhält¬
nisse, welche auf die Ernährung und das Gedeihen der Kinder
schädlich einwirken, auch die Entwicklung der Rachitis be¬
günstigen können.
Pathologisch-anatomisch besteht die Rachitis in einer eigen¬
artigen Störung der Vorgänge beim Knochenwachstum. Infolge
einer gesteigerten Einschmelzung des bereits gebildeten Knochen¬
gewebes und vor allem infolge einer ungenügenden oder fast
ganz mangelhaften Ablagerung der Kalksalze im neu an¬
zubildenden Knochen an den Wachstumsgrenzen werden, respek¬
tive bleiben iin floriden Verlaufe der Rachitis die Knochen
dann biegsam und weich, so dass man sie mit dem Messer
leicht schneiden kann.
Das Knochenmark ist stark hyperämisch und .gerötet,
ebenso das Periost.
Die innerste Osteoblastenschichte des Periostes ist auch
verdickt. Das neugebildete Gewebe verkalkt aber nicht oder
nur unvollständig, es bleibt zum grossen Teil weich und
schwammig (osteoide Gewebe). Endlich findet auch im Innern
der Knochen eine gesteigerte Knochenresorption statt. Die
Knochenblättchen schwinden und die Knochenrindenschichte
wird oft bedeutend verschmälert.
Aus allen diesen Verhältnissen erklären sich unmittelbar
die grossen Formveränderungen, welche die rachitischen
Knochen darbieten.
Die krankhaften Vorgänge an den Wachstumsgrenzen be¬
dingen die starken Auftreibungen an den Epiphysen der Röhren-
4
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638
Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz.
knochen und die Verdickung der platten Schädelknochen.
Die abnorme Weichheit der Knochen ist eine Folge der ge¬
steigerten Knocheneinschmelzung und ungenügenden Verkalkung
des neu zu bildenden Knochens.
Die pathologische Veränderung am Thorax und an den
Röhrenknochen hat für unser Spezialfach selbstverständlich
weniger Interesse, wie die durch Rachitis hervorgerufenen
Veränderungen am Schädel und speziell an den Kiefer¬
knochen.
Die hauptsächlichste Veränderung an den Kieferknochen
besteht nach Wedl, Schmid und anderen darin, dass der
Unterkiefer gegenüber dem normalen verkürzt und in seinen
beiden seitlichen Aesten mehr minder erheblich verdickt ist,
wodurch auch der vom Kiefer umschriebene Bogen eine ver¬
änderte Form erhält.
Am Oberkiefer führt der Prozess gerade umgekehrt zu
einer Verlängerung der medialen Achse und in den exzessiven
Fällen zu einer dem Hinterrand des Os incessivum ent¬
sprechenden Einsattlung. Nebst dem weisen die Knochen-
lamellen, welche die Alveolarräume umgrenzen, mehr minder
erhebliche Verdickungen auf.
Die an der Klinik Gussenbauer von Schmid an-
gestellten Studien ergaben folgendes:
„Aftr allem fällt auf, dass der infolge von Rachitis deformierte Unter¬
kiefer seine normale parabolische Gestalt verloren und eine polygonale an¬
genommen hat, welche ungefähr der Hälfte eines nicht ganz regelmässigen
Hexagons entspricht.
Diese Form Veränderung kommt durch die Abflachung der Krümmung
des Kiefermittelstückes zustande.
Hand in Hand geht die Verkleinerung der medialen Achse und der
transversalen Entfernung aller korrespondierenden Punkte der Unterkiefer¬
seitenteile.
Letzteres ist die Folge der bedeutenden Einwärtsneigung der die
Backen- und Mahlzähne tragenden Alveolarfortsätze.
Diese führt zu einer messbaren Annäherung der Seitenäste des Unter¬
kiefers, die in einem unserer Fälle so bedeutend ist, dass die Distanz
zwischen der Spitze des vorderen äusseren Hügels des ersten Mahlzahnes
rechts und am gleichen Punkte links anstatt 4*5 Cm. Mittel nur 3*6 Cm. beträgt.
Betrachten wir nnn die Flächen und Ränder an den aufsteigenden
Aesten eines verwachsenen rachitischen Unteikiefers, so fällt uns eine gewisse
Digitized by
Google
Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss.
639
Massenzunabme der letzteren und eine stärkere Unebenheit der ersteren auf.
Dies rtihit davon her, dass die den Muskelinsertionen entsprechenden Rauhig¬
keiten der äusseren und inneren Fläche des Unterkiefers weit stärker ent¬
wickelt sind als normal.
Vorzüglich ist es die Spina mentalis interna, die Linea obliqua interna
und die äussere Fläche des aufs teigenden Astes, die diese Verdickung und
Auflagerung zeigt.
Diese Verdickung bleibt aber in hochgradigen Fällen keineswegs auf
diese Teile beschränkt, sie geht auch auf den unteren Rand des Unter¬
kiefers und auf dessen Gelenkfortsatz über. Letzterer erscheint auffallend
gedrungea, kurz und plump.
Dass diese Formveränderung des Kiefers von Einfluss auf die Zahn¬
stellung sein wird, ist schon von vorneherein einleuchtend, weil sie in be¬
sonders starkem Masse den Alveolarteil betrifft, der den zur Aufnahme der
Zähne nötigen Teil darbieten soll.
Indem die rachitische Erkrankung des Unterkiefers gerade zu einer
Verkleinerung des Alveolarteiles führt, finden die nach wachsenden Zähne
wegen der Raumbeschränkung so wenig Platz und es muss sich deshalb
notwendig eine abnorme Zahnstellung herausbilden.
Diese äussert sich gleich an den Schneidezähnen. In dem rachitischen
Kiefer müssen die vier Schneidezähne Platz finden entlaug einer Linie, welche
nnr die Sehne des normalen Bogens ist Um auf diesem Raum Platz zu
finden, schieben sich die Schneidezähne mit ihren Seitenflächen vielfach vor-
oder hintereinander und es entstehen dadurch Abnormitäten der Zahnstellung
mannigfacher Alt, ja sie bilden oft einen nach vorne konkaven Bogen.“
Sch eff schreibt im „Handbuch der Zahnheilkunde“ über
Rachitis folgendes:
„Dass diese allgemeine Krankheit des wachsenden Skelettes auch Ein¬
fluss auf die Zähne übt, war bereits den alten medizinischen Schriftstellern
bekannt Wir finden schon bei Ritter, Bohn, Woronichin und vielen
anderen angegeben, dass sie den Zahnprozess verzögert und die Schmelz¬
bildung beeinträchtigt. Einige sind sogar der Ansicht, dass durch sie das
Ausbleiben einzelner Zabngruppen veranlasst werde.
Die Rachitis stellt bekanntlich eine Krankheit dar, die durch un¬
genügende und unzweckmässige Nahrung bedingt ist
Nach Fleischmann handelt es sich bei ihr nicht um eineDyskrasie,
sondern um eine Dystrophie.
Es kommt nicht selten vor, dass gesunde Mütter rachitische Kinder zur
Welt bringen, ja dass von Zwillingen der eine gesund, der andere rachitisch
geboren wird. Die Ansichten über die besonderen Vorgänge dabei sind noch
nicht vollständig geklärt; eines ist jedoch sicher, dass nicht das elterliche Blut
beschuldigt werden kann, sondern zweifelsohne eine fehlerhafte Ernährung.
Das Kind kann entweder vollkommen rachitisch zur Welt kommen
oder kann nach der Geburt die rachitische Disposition zeigen. In dem einen
4 *
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540
Dr. Eduard Urbautschitsch, Graz.
Falle können wir von einer fötalen, in dem anderen von einer kongenitalen
Rachitis sprechen.
Diese beiden Formen werden an Häufigkeit von der sogenannten er¬
worbenen Rachitis übertroffen.
Da, wie oben erwähnt, Ernährungsstörungen die Hauptsache zur Ent¬
wicklung der Rachitis beitragen, so wird dieselbe in verschiedenen Zeiträumen
auch verschiedene Abarten zeigen und entweder schon auf die ersten Zähne oder
auf die späteren Ersatzzähne hinsichtlich ihres Aufbaues und namentlich anf
die Beschaffenheit des Schmelzes von nicht zu unterschätzendem Einflüsse sein."
Die Rachitis übt also ihren Einfluss sowohl
1. auf die Kiefer, als auch
2. auf die Zähne aus.
Ad 1: Der Oberkiefer ist in der Richtung von hinten
nach vorne verlängert; der Unterkiefer verkürzt.
Ad 2: Verspätetes Erscheinen der Zähne, Stellungs¬
anomalien, Schmelzdefekte.
Meine Messungen an rachitischen Schädeln im patho¬
logisch - anatomischen Universitäts - Institute und Kontroll-
messungen an normalen Schädeln im anatomischen Universitäts-
Institute bestätigen vollkommen die Richtigkeit der oben an¬
geführten Punkte.
Die Messungen des Oberkiefers bieten nicht beträchtliche
Schwierigkeiten, denn das Palatum durum grenzt sich in den
meisten Fällen ziemlich scharf von den Alveolarfortsätzen ab.
Beim Unterkiefer bediente ich mich der Wed Ischen Me¬
thode, auf die ich später noch zurückkommen werde. Anfangs
wollte ich das BonwilIsche Messungsergebnis zur Grundlage
meiner Messungen machen, respektive modifiziert benützen, doch
konnte ich dieses auf Kinderschädel nicht in Anwendung bringen.
Dr. W. G. Bon will (Philadelphia) hat nämlich nach¬
gewiesen, dass die gegenseitige Entfernung der beiden Mittel¬
punkte der Gelenksköpfe des Unterkiefers in jedem einzelnen
Falle gleich ist der Entfernung der Gelenksköpfe von diesem
selben Mittelpunkte bis zur Mittellinie da, wo die Schneide¬
kanten der beiden unteren und mittleren Schneidezähne ein¬
ander berühren, und ebenso ist die Distanz der beiden Mittel¬
punkte der Gelenkspfannen an der Schädelbasis gleich der
Distanz von diesem Gelenkspfannenmittelpunkte bis nach der
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Die Rachitis und ibr Einfluss auf das Milchgebiss. 541
Mittellinie da, wo die Schneidekanten der beiden oberen
mittleren Schneidezäbne einander berühren; also kurz gesagt:
Der Kiefergelenksmittelpunkt und der Berührungspunkt der
Schneidekanten der mittleren Schneidezähne bildet normaler¬
weise ein gleichseitiges Dreieck.
Der schweizerische Zahnarzt Alfred Gysi hat äusserst
geistreich durch einen sehr komplizierten Beweis mit Zuhilfe¬
nahme der Regel vom goldenen Schnitt die Richtigkeit dieser
Tatsache durch die geometrische Konstruktion eines normal
bleibenden Gebisses des Oberkiefers bewiesen. Auf Kiefer in
der Periode des Wachstums lässt sich dieser selbstverständlich
nicht an wenden.
Ich habe zirka 40 rachitische und 50 normale Schädel
von Kindern bis gegen zwei Jahre gemessen und es sei mir
gestattet, die gefundenen Durchschnittszahlen bekannt zu geben.
Oberkiefer.
u
A 1 t
Normale
’S
"0
s
3
Rachitische Schädel (
i
s
e r sagittaler
frontaler
sagittaler
frontaler
0
Durchmesser in Cm.
Durchmesser in Cm.
1
37, Monate 2-5
2*5
2*5
25
2
5
• 2-5
25
2-7
26
3
6
» 2-5
2-7
28-3*2
2*4-27
4
;7
n 28
3
2*8
27
5
8
„ 26-28
27-3
26-3
26-2-8
6
9
„ 2-9
3
2-8
26
7
10
n 29
3
26
25
8
11
n
—
2*6
25
9
12
„ 2-8
3
2 2. 2 5, 3
1-8, 2-3 2 7
10
13
n
—
2*7, 2*8
1*2, 2-5
11
14
v
—
2*7
2-2
12
15
» 3-1
3*2
23
2*3
13
18
.
3*1
2*8
2
14
19
.
—
2-4
2
15
20
» ' 1! S'2
3
25
2-2
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642
Dr. Eduard Urbautschitsch, Gras.
Diese Messungen ergeben durchwegs ein Ueberwiegen des
frontalen Durchmessers über den sagittalen bei normalen, um¬
gekehrt ein Ueberwiegen des sagittalen über den frontalen bei
rachitischen Kinderschadein.
Mithin ist ein neuer Beweis für die Richtigkeit des Satzes:
„Der Oberkiefer ist in der Richtung von hinten nach vorne ver¬
längert“, erbracht.
Für die Unterkiefer benützte ich die Messungsmethode
Wedls, welcher eine Reihe von Messungen an 45 Kinder¬
schädeln in betreff des Längewachstums des Unterkiefers zum
Teile auch in der Absicht angestellt hat, die individuellen Ver¬
schiebungen kennen zu lernen und hat er sich hiebei eines
dünnen, genau anzulegenden, befeuchteten Papierstreifens be¬
dient und damit die periphere Begrenzung gemessen.
Wedl schreibt: ..Messungen mittels eines Zirkels geben,
an einem gekrümmten Gegenstände vorgenommen, selbst¬
verständlich den Sektor an und es kann letzterer bei variablen
Krümmungen derselbe bleiben. Als fixer Punkt für Messungen
am vorderen Abschnitt des Unterkiefers wird das Foramen
mentale angenommen, wobei jedoch erinnert werden muss,
dass die Stelle dieses Loches keine konstante ist. Der Vorder¬
rand des Loches fällt am Unterkiefer von Erwachsenen bald
zwischen die beiden Backenzähne, bald gerade unter den
ersten, bald unter den zweiten Backenzahn, ja selbst in eine
Ebene mit der hinteren Kronenfläche des zweiten Backen¬
zahnes. '
Diese bei einer kleinen Reihe von Unterkiefern vor¬
kommenden Variationen geben schon eine Fehlerquelle von
3 bis 4 Mm.
Wir wollen von dieser absehen und die periphere Ent¬
fernung von der Vereinigungsstelle der beiden Unterkieferhälften,
welche leicht mit Bleistift zu markieren ist, bis zum Vorder¬
rande des Foramen mentale im Auge behalten.
Beim 5 monatlichen Embryo ergibt sich eine Distanz von
10 Mm., beim neugeborenen Kinde eine solche von 12 bis 13 Mm n
bei 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 10 monatlichen Kindern solche von
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Die Rachitis and ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 543
15 bis 18 Mm., bei 1, 2, 3, 4, 5 und 6 jährigen Kindern
bleiben sich die Distanzen ziemlich gleich: 18 bis 19 Mm. Bei
7, 8, 9, 10, 11 und 12jährigen Kindern schwankt sie zwischen
22 und 24 Mm., bei vergleichenden Messungen von Unter¬
kiefern Erwachsener zwischen 23, 25 bis 29 Mm.
•
Sehen wir von extremen Fällen ab, so treffen wir aller¬
dings das bedeutendste Wachstum dieser Unterkieferpartie in
den ersten Lebensmonaten und einen Stillstand nach dem
Durchbruche der Milchzähne, hingegen während des Zahn¬
wechsels eine Zunahme, welche gering gerechnet 3 Mm.
beträgt.
Um dem Vorwurf zu begegnen, als wäre keine Rücksicht
auf die Dicke der Facialwand genommen worden, wurden auch
einzelne Messungen nach Wegnahme der Facialwand angestellt;
es zeigten sich jedoch, wie vorauszusehen war, keine erheb¬
lichen Differenzen “
Meine Messungen an normalen Schädeln ergaben, mit
denen Wedls verglichen, ein fast genau übereinstimmendes
Resultat.
Bei den rachitischen Schädeln waren die Masse dieser
betreffenden Kieferpartie, nämlich der peripheren Entfernung
der mittleren Verbindungslinie beider Unterkieferhälften zum
vorderen Rande des Foramen mentale, vollständig schwankend
und ergaben höchst divergierende Resultate.
So betrug diese Distanz:
1*5 Cm. bei einem 7 und einem 12 Monate alten Kinde;
1*6 „ bei einem 3'/t und einem 9 Monate alten Kinde;
1*7 „ bei einem 6 und zwei 12 Monate alten Kindern;
1*8 „ bei einem 5 und drei 12, einem 14 und einem 18 Mo¬
nate alten Kinde;
1*9 „ bei einem 8 Monate alten Kinde;
2 „ bei einem 6, 8, 10, 15 und 30 Monate alten Kinde;
21 „ bei einem 13 Monate alten Kinde;
2*2 „ bei einem 13 Monate alten Kinde.
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544
Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz.
Ferner betrug diese Distanz bei dem Schädel eines
13 Monate alten Kindes sogar nur 1-3 Cm. Man sieht daraus,
dass das Ausmass dieser Kieferpaitie bei Rachitis ausser¬
ordentlich variabel ist, worüber man sich nicht wundern kann,
wenn man sich vor Augen hält, dass, um bindende Schlüsse
aus vorliegenden Messungen zu ziehen, bekannt sein müsste,
wann die Rachitis aufgetreten ist und den vorhandenen
rachitischen Veränderungen abzulesen wäre, in welchem Stadium
der Rachitis sich die betreffenden Kinder befanden, denen die
untersuchten Schädel entstammten.
Ferner wurden Messungen nach Wedl auf gleiche Weise ».mittels
eines Papierstreifens an der Facialseite des Unterkiefers seiner ganzen Länge
nach vorgenommen, und zwar von der markierten Vereinigungsstelle seiner
Hälften bis an den am meisten promenierenden Teil des Gelenkköpfchens,
was so lange angeht, als letzteres noch nicht erheblich über das Niveau
des Alveolarrandes emporragt.
Diese periphere Begrenzung einer Unterkieferhälfte beträgt bei einem
5 monatlichen Embryo 40 Mm., bei einem 7 monatlichen 43 Mm., bei Neu¬
geborenen 45 bis 52 Mm.; sie steigt bis zum 4. Monat auf 62 Mm., bis zum
1. Jahr auf 65 Mm., bis Ende des 2. Lebensjahres nach Durchbruch der ersten
Mahlzähne auf 77 Mm., im 4., 5. und 6. Lebensjahre mit vollständigem Milch¬
gebisse auf 78 bis 85 Mm.; bei einem 7jährigen Kinde mit durchgebrocheneu
ersten Mahlzähnen auf 100 Mm. Ueber dieses Alter lassen sich solche Messungen
nicht mehr vornehmen.
Nach Abzug der Vordermasse von der Mittellinie der beiden Unter-
kieferbälften bis zum Vorderraude des Foramen mentale erhält man die
Reihenfolge der Hintermasse vom letztgenannten Rande bis zum vor¬
springenden Teile des Gelenkkopfes und es ergibt sich aus dieser Reihe
eine Steigerung von 30 auf 77 Mm., während wir für die Vordermasse eine
Steigerung von 10 auf 23 Mm. verzeichnet haben. Die Quotienten verhalten
sich daher wie 2 59: 2*3. Die Differenz derselben kommt auf Rechnung des
erheblichen Wachttumes in dem hinteren Abschnitt des Kiefers.
J. T o m e s hat auch die Tuberkel für die Anheftung der Musculi
genioglcssi und geniohyoides an der Lingualfläche des Unterkiefers als Aus¬
gangspunkt für Messungen benützt.
Es sind aber beim Fötus und selbst beim Neugeborenen die Tuberkel
oft so wenig ausgeprägt, bei Kindern und vollends bei Erwachsenen so ver¬
schieden von Gestalt, Stärke und Höhe, dass der Wert solcher Messungen
zweifelhaft erscheint, um so mehr, als es sich hier um kleine Masse
handelt. “
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Die Rachitis und ihr Einfluss anf das Milchgebiss. 545
Meine gleichgearteten, an normalen Unterkiefern vorge¬
nommenen Messungen stimmten mit den Angaben Wedls
vollständig überein.
Bei den rachitischen Schädeln der 3 5 und 6 Monate
alten Kinder zeigten diese Distanzen vom Vorderrande des
Foramen mentale bis zum vorspringenden Teile des Gelenks¬
köpfchens gegenüber denen an den normalen Schädeln in den
gleichen Lebensmonaten keine merkliche Differenz. Nach dem
7. Lebensmonate jedoch machte sich ein Zurückbleiben dieses
Teiles des Unterkiefers gegenüber dem normalen bemerkbar.
Vom 3. bis zum 7. Monat waren die Masse bei normalen und
rachitischen Schädeln dieselben, nämlich von 4-3 Cm. bis
4*7 Cm. Vom 8. bis 20. Monat stiegen bei normalen Schädeln
diese Distanzen von 5 6 auf 6 3 Cm., bei rachitischen Schädeln
überstiegen sie jedoch nie 5*6 Cm., und zwar betrug diese
Distanz:
4- 7 Cm. bei einem 12 und 14 Monate alten Kinde;
4*8 „ bei einem 9 Monate alten Kinde;
p „ bei drei 12 Monate alten Kindern;
5*1 „ bei einem 8, 12 und 14 Monate alten Kinde;
5- 2 „ bei einem 18 Monate alten Kinde;
5*3 „ bei einem 8 und einem 10 Monate alten Kinde;
5*4 „ bei einem 12 Monate alten Kinde;
5*5 „ bei einem 13 Monate alten Kinde;
5'6 „ bei einem 13 Monate alten Kinde.
Aus diesen Massen ersehen wir ausserdem die Ver¬
schiedenheit der Einwirkung der Rachitis auf die Proportion
des Wachstumes des Unterkiefers.
Um mich von der Verkürzung, respektive Abflachung des
Bogens des durch Rachitis veränderten Unterkiefers zu über¬
zeugen, mass ich mir den Abstand der Innenseite der Capitula
und ferner den Abstand von diesen Punkten bis zum Zu¬
sammentreten der zwei Spinae mentales, dann konstruierte
ich mir das Dreieck und die Höhe desselben gab das ge¬
wünschte Mass.
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546
Dr. Eduard Urbantschitscb, Graz.
Diese waren wie folgt:
>4
©
a
a
Alter
Unterkiefer
Durchschnitts¬
zahl bei
Normalen
&
Zentimeter
Zentimeter
i
3',
Monate.
3*7
3*7
2
5
n .
3-7
3-7
8
6
n .
3*7—4*2
4*2
4
7
» .
41
4*4
5
8
n .
4—4*2
44
6
9
» .
3*8
45
7
10
ji .
j
42
3*5, 3*8, 39,
5
8
12
• . I
4*1, 4-4, 4-8
1 5
9
13
n .
4-4*5
—•
10
14
» .
1
cb
5*3
11
15
» .
4
—
12
18
n .
3-8
5*5
13
30
n .
5
57
Diese Endergebnisse bestätigen wohl zur Genüge, dass
die Abflachung des rachitischen Unterkiefers beträchtlicher ist
als die des normalen.
Bis zum 7. Lebensmonate sind die Masse so ziemlich
gleich, wahrscheinlich weil der Grad der Rachitis ein geringer
ist oder die Rachitis im Beginne ist. Darüber hinaus, wo man
annehmen kann, dass die Rachitis länger dauert oder höher-
gradig ist, macht sich eine gewisse Differenz bemerkbar, welche
in einem Falle sogar bis zu 17 Mm. steigt.
Daher kommt es auch, dass bei den normalen Kiefern
ein gleichmässiges Ansteigen mit zunehmendem Alter beobachtet
werden kann, während bei dem rachitisch veränderten Unter¬
kiefer das Alter keine Rolle spielt, denn wir sehen zum Bei¬
spiel die gleichen Masse bei einem 9 und 18, bei einem 8 und
15 Monate alten Kinde und andere mehr. Wie variabel diese
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Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss.
647
Zahl ist, zeigen deutlich die Messungen bei den 12 monatlichen
Kindern. Die Differenz der einzelnen Masse beträgt hier bis zu
13 Mm.
Dass die Rachitis ihren Einfluss auch auf den Schmelz der
Zähne übt, ist eine längst bekannte Tatsache, so dass man bei
erwachsenen Menschen oft und oft aus den Zähnen erkennen
kann, dass der betreffende in seiner Jugend die englische
Krankheit überstanden habe.
W e d 1 schreibt:
„Die Form der Schmelzmissbildung ist hiebei sehr charakteristisch.
Die sonst glatte Oberfläche ist oft wie ein Fingerhat mit zahllosen
warzigen Grübchen versehen, von denen einzelne bis in das Zahnbein ein-
dringen, bald ist sie von quer durchlaufenden Forchen mit entsprechenden
Wulstungen des Schmelzes dnrchzogen.
Nahe der Schneidekante gelegene Grübchen können zn einer Perforation
führen, so dass man eine Lücke sehen kann. In solchen Fällen ist die
Schneidekante sehr brüchig.
Wenn auch die äusseren Lagen des Schmelzes von zahlreichen Grübchen
durchsetzt sind, werden die inneren, gegen das Zahnbein gekehrten stets
glatt angetroffen. Die Verdickungen des Schmelzes betreffen die vorne ab¬
geschnürte Schneide der Schneidezähne, an welcher fensterförmige, bis zum
Zahnbein reichende Oeffnungen im Schmelze sich vorftnden. Solche Zähne
haben ein quer gerilltes Ansehen. Der siebförmiv: durchlöcherte Schmelz an
den Kronen der mehrwurzeligen Zähne beschränkt sich gewöhnlich auf die
Kaufläche. Eben daselbst sitze** auch die war zenförmigen Schmelzauflagerungen.
In nicht seltenen Fällen entbehrt die Hälfte der Krone des Schmelzes ganz
und nur die dem Zahnhalse zunächst gelegene Partie der Krone ist emailliert. M
Schon Bourdet (de l'art du dentiste) macht diese
„Erosionen*, wie er sie nennt, von „Rachitis, Skorbut, bös¬
artigem Fieber, Rötel, Blattern und jenen Krankheiten, wo die
Qualität der Säfte fehlerhaft ist“, abhängig.
Diese Art der Schmelzdefekte wurde mit den ver¬
schiedensten Namen belegt: Erosion, Atrophie des Schmelzes,
Honeycombed Teeth, Welliger Schmelz, Hutchinson-Zahn
(speziell für durch „Syphilis“ veränderte Zähne), Geriflfte Zähne
und andere mehr.
Alle diese Ausdrücke sind mehr oder weniger unzweck¬
mässig.
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548
Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz.
Den einzigen richtigen Ausdruck für diese Schmelzdefekte
hat Zsigmondy gebracht, den ich aus „Transactions of the
Worlds“, Columbian Dental Congress, Chicago 1894, entnahm.
Am Ende seines Vortrages sagte er: „Zum Schlüsse kann
ich nicht umhin, noch einige Worte über die Bezeichnungen
einzuschalten, welche dem besprochenen Schmelzdefekte bei¬
gelegt wurden. Benennungen, welche für eine grosse Anzahl
derselben passen würden, wie ,Welliger Schmelz 4 , ,Geriflfte
Zähne 4 und ähnliche, sind nicht in allen Fällen zutreffend.
Dass der Name ,Atrophie 4 nicht korrekt ist, wurde schon oft
hervorgehoben. Dieser würde eine Rückbildung normal an¬
gelegter und gut ausgebildeter Teile bedeuten, aber nicht eine
ursprünglich mangelhafte Bildung, um die es sich hier handelt.
Ebenso verwerflich ist der Name ,Erosion 4 , welcher sich einer
so grossen Beliebtheit in der Literatur erfreut und dessen sich
nach dem Vorgang der Franzosen die Majorität der neuen
Autoren bedient.
Erosion würde ,Ausnagung 4 bedeuten. Von einer solchen
kann natürlich nicht die Rede sein
Der Ausdruck ,Erosion 4 für die mangelhafte Bildung des
Schmelzes ist ebensowenig am Platze, als wir korrekterweise
die keilförmigen Usuren an den Zahnhälsen, welche durch den
Gebrauch zu scharfen Zahnpulvers etc. entstehen, mit demselben
Namen belegt finden.
Ich möchte mir erlauben, in dieser Beziehung einen Vor¬
schlag zu machen: Die pathologische Anatomie bezeichnet den
Zustand, wenn einzelne Organe oder Organleile aus äusserer
oder innerer Ursache mangelhaft gebildet und infolgedessen
klein und kümmerlich sind, als eine Hypoplasie.
Wir werden demnach hier, wo diese Verhältnisse zutreffen,
von einer Hypoplasie des Schmelzes zu reden haben.“
Durch diesen Namen „Hypoplasie“, den Zsigmondy
in unsere Disziplin eingelührt hat, wurden unbedingt auf das
beste derartige Schmelzdefekte bezeichnet.
Hauptsächlich bei den Schneide- und Eckzähnen, wie
auch im ersten bleibenden Molar zeigt sich infolge schlechter
Entwicklung der Schmelzkappe eine Art verstümmelter Kontur
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Die Racbitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss.
649
und unebener Oberfläche als Einfluss gewisser überstandener
Krankheiten.
Nach Busch sind 2 Prozent sämtlicher Menschen mit
derartigen Schmelzdefekten behaftet
Wenn wir einen derartigen Zahn betrachten, so fällt uns
vor allem die ungleichförmige Teilung des Schmelzes an der
Oberfläche der Krone auf. Entsprechend den Grübchen und
Furchen an der Krone ist das Zahnbein entweder gar nicht
oder nur mit einer dünnen Schmelzlage bedeckt. Im Gegen*
satze dazu finden an den Spitzen der Zähne manche starke
Schmelzablagerungen statt in Gestalt abgeschnürter Tropfen.
Nun handelt es sich um die Frage: „Kommt diese durch
Rachitis bedingte Hypoplasie des Schmelzes auch bei Milch¬
zähnen vor oder nicht?“
W e.d 1 drückt sich sehr vorsichtig aus, indem er in seinem
Kapitel über Hypoplasie des Schmelzes schreibt: „Hauptsäch¬
lich sind die bleibenden, selten die Milchzähne ergriffen.“
Von den Krankheiten, welche diese Hypoplasie bei Milch¬
zähnen bewirken, kennt er nur die Syphilis, und sagt:
„Auf die syphilitischen Zähne hat zuerst Hutchinson
aufmerksam gemacht. Jedoch glaubte dieser Autor nur das
bleibende Gebiss von der Syphilis ergriffen.
P'arrot lieferte jedoch den Beweis, dass die Milchzähne
ebenso, jedoch seltener wie die zweiten Zähne, von der
Syphilis ergriffen werden können oder, besser gesagt, die
Zeichen der hereditären Syphilis aufweisen.
Auf einen Fall, in welchem die Zähne der ersten Zahnungs¬
periode ergriffen sind, kommen nach Fournier fünfzehn, in
denen die Zähne der zweiten Zahnungsperiode betroffen sind,
aber er meint, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass dieses
Verhältnis wesentlich modifiziert werden würde, wenn man
bei allen Autopsien von Kindern aus den frühesten Lebens¬
perioden die Alveolen öffnen würde, um die Zahnkeime zu
untersuchen.
Parrot hat, indem er in dieser Weise vorging, sehr
häufig Läsionen der Milchzähne entdeckt.“
Digitized by
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550
Dr. Eduard Urbantscbitsch, Graz.
Die Syphilis ist demnach also die einzige Krankheit, die
bewiesenermassen imstande ist, Schmelz-Hypoplasien an den
Milchzähnen zu verursachen. In der ganzen Literatur, soweit
ich sie wenigstens durcharbeitete, finde ich kein einzigesmal
erwähnt, dass auch die Rachitis derartige Veränderungen an
Milchzähnen hervorrufen könne.
Ich bin jedoch in der Lage, beweisen zu können, dass
die Rachitis auch imstande ist, Hypoplasie am Schmelz der
Milchzähne zu erzeugen.
Allerdings kommt dies nicht zu häufig vor und ist da¬
durch zu erklären, dass die Rachitis meistens in einem solchen
Alter auttritt, wo die Milchzähne bereits im Keime entwickelt
oder durchgebrochen sind.
Aus der reichhaltigen Sammlung des pathologisch-ana¬
tomischen Institutes konnte ich nur bei vier rachitischen
Schädeln Hypoplasie des Schmelzes nachweisen.
Um vollkommen einwandfrei diese meine Wahrnehmung
zu machen, liess ich zur Reproduktion derselben die Zähne
nicht abzeichnen, sondern, um jeglichen Vorwurf der Beein-
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Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss.
Digitized by L^ooQLe
Dr. Eduard Urbantscbitscb, Graz.
ing zu widerlegen, photographieren und wurden sie in
ächer “Vergrößerung abgebildet. Eine Künstelei ist also
ier Reproduktion derselben ausgeschlossen.
Dass es sich tatsächlich um durch Rachitis hervorgerufene
>plasie handelt, das heisst, dass jene Kinder mit Rachitis
ftet gestorben sind, beweist der Museumkatalog und sei
lir gestattet, Wort für Wort aus dem Katalog zu zitieren.
1. Katalog-Nr. 3397 (Fig. 7).
Cranium hydrocephalicum rachiticum von
(i ü Monate alten, an Lungenatelektase verstorbenen
hen:
Der Schädel fast von der Grösse eines 3 jährigen Kindes,
viereckiger Gestalt mit weit offenen Fontanellen, mit weit
.»breiteten, aber nicht sehr ansehnlichen dicken, rachitischen
gerungen an den Schädelknochen sowohl als auch an
Gesichtsknochen.
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Die Rachitis nnd ihr Einfluss auf das Milchgebiss. 588
2. Katalog-Nr. 1166 (Fig. 8 und 9).
Der Schädel eines 1 Jahr alten, rachitischen, im Kinder-
spitale verstorbenen Mädchens ist porös, mit Stirnnaht versehen.
Die Gelenkstöcke des Hinterhauptes bereits knöchern verbunden.
3. Katalog-Nr. 2448 (Fig. 10).
Schädel eines 1 jährigen Mädchens. Rachitische Knochen¬
wucherungen an der äusseren Schädelfläche. Grosse vordere
Fontanelle, zwei Schaltknochen in der hinteren Interökzipital-
fuge aboliert.
4. Katalog-Nr. 2363 (Fig. 11).
Schädel eines 2*/ 4 jährigen Mädchens. Rachitische Neu¬
bildungen an dem Stirn- und Scheitelbein, dicke Unterkiefer,
die rechte Warzennaht an einer sehr kleinen Stelle aboliert,
'intere Schneidezähne noch nicht durchgebrochen.
Ad 1. Nr. 3397 (Fig. 7).
Am linken oberen grossen Schneidezahn Hypoplasie des
Schmelzes am deutlichsten sichtbar, welche in Form einer Auf¬
lagerung quer über den Zahn zieht.
6
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664
Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz.
Ad 2. Nr. 1166 (Fig. 8 und 9).
Bei Fig. 8 zeigt der Eckzahn, der grosse und kleine
Schneidezahn in Gestalt zweier, respektive eines Grübchens
diese rachitischen Veränderungen. Fig. 9 zeigt ] \ einen Schmelz-
defekt, doch dürfte es sich hier nach meiner Meinung nicht
um Hypoplasie des Schmelzes, sondern um eine Karies handeln.
Ad 3. Nr. 2443 (Fig. 10).
i Beide 8chneidezähne und Eckzähne des Oberkiefers be¬
merkenswert. Beide zeigen Grübchen am Schmelz. Was den
rechten grossen Schneidezahn betrifft, so möchte ich diese Ver¬
änderung nicht sofort für rachitisch erklären, da bekannter-
massen die Rachitis nicht an einem Zahn allein, sondern an
allen Zähnen, welche gleichzeitig zur Entwicklung gelangen, ihr
Stigma setzt. Da nun keineswegs der rechte grosse Schneide¬
zahn vor oder nach dem linken zur Entwicklung kommt, son¬
dern beide Keime gleichzeitig auftreten, so möchte ich die Ver¬
änderung des Schmelzes am grossen Schneidezahn rechts nicht
brevi manu für rachitisch erklären.
Ad 4. Nr. 2363 (Fig. 11).
Am Eckzahn des Oberkiefers Schmelzhypoplasie in Gestalt
von welligen Linien, welche unzweifelhaft durch Rachitis be¬
dingt sind.
* *
*
Was nun den verspäteten Durchbruch und die Stellungs¬
anomalien der Zähne betrifft, so ist in den diversen Lehrbüchern
der Zahnheilkunde viel darüber geschrieben worden, doch handelt
es sich immer nur um bleibende Zähne.
Von Stellungsanomalien der Milchzähne kann man erst
dann sprechen, wenn das ganze Milchgebiss oder zum mindesten
eine grössere Anzahl von Zähnen durchgebrochen ist.
Aus der Stellung der Zähne subgingival nach Eröffnung
der Alveolen lässt sich zwar bei rachitischen Kiefern mit Wahr¬
scheinlichkeit, aber nicht mit apodiktischer Gewissheit an¬
nehmen, dass die Zähne im Munde nach vollendetem Durch-
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Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss.
665
bruch abnormal gestellt sein werden. Wie speziell diese ab¬
normale Stellung beschaffen sein wird, kann man natürlich nie
Vorhersagen. W edl schreibt über Stellungsanomalien der Milch¬
zähne im allgemeinen:
„Stellengen der Milcbzähne ausser der Reihe kommen äusserst selten
vor und nur bei solchen Individuen, bei welchen alle Milchzähne sehr gross
sind, wo daher wegen Mangel an .Raum die Schneidezähne übereinander ver¬
schoben erscheinen.
Die oberen Schneidezähne sind manchmal mit ihren scharfen Rändern
sehr stark lingualwärts geneigt, die Eckzähne ungemein lang und spitz,
parallelwärts getrennt.
Bei hochgradig rachitischen Individuen begegnet man abnormaler
Stellung der Milchzähne öfters.“
Dieser letztere Satz gilt wohl nur bei Kindern über 3,
respektive 4 Jahren, denn das ist ja die früheste Zeit, in welcher
sie in unsere Behandlung kommen.
Ob nun Stellungsanomalien auch bei Kindern in früherer
Zeit Vorkommen, konnte ich nur aus der Sammlung mazerierter
Schädel im pathologisch-anatomischen Museum entnehmen.
Da bekanntermassen der Durchbruch der Zähne, worauf
ich übrigens später noch zu sprechen komme, bei Rachitis ein
verzögerter ist, so kann es nicht wundernehmen, dass ich, ab¬
gesehen von diversen Schiefstellungen und Drehungen der
Zähne um ihre Längsachse, nur in einem einzigen Falle bei
einem 18 Monate alten Kinde einen sogenannten Kreuzbiss
beobachten konnte. Folgende Zähne waren durchgebrochen :
IV II I | I II
II I j I
Der linke grosse Schneidezahn deckt normal „dachziegel¬
förmig“ den linken unteren Zentralschneidezahn. Der rechte
grosse und kleine Schneidezahn im Oberkiefer berührte mit
seiner labialen Fläche jedoch die linguale des zentralen,
respektive des lateralen Incisiven des Unterkiefers.
Wie das Verhältnis der übrigen Zähne, welche an diesem
mazerierten Schädel in ihren Alveolen sichtbar waren, sich in
Zukunft zueinander gestaltet hätte, kann ich selbstverständlich
nicht angeben.
5 *
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556 Dr. Eduard Urban techitseh, Graz.
Dass der Durchbruch der Milchzähne, wie oben erwähnt,
durch Rachitis verzögert wird, ist bekannt und kann ich das,
was vor mir andere sagten, nur bestätigen.
Aus meinen präparierten und aus den mazerierten Schädeln
entnahm ich bezüglich des Durchbruches folgendes.
Zuerst möchte ich aber vorausschicken, dass man sich
bei mazerierten Schädeln sehr leicht dem Irrtum hingeben
kann, es sei ein Zahn durchgebrochen, respektive im Durch¬
bruche begriffen.
An meinen Präparaten machte ich die Wahrnehmung,
dass ein Zahn wohl teilweise aus seiner knöchernen Alveole
herausragen kann, ohne jedoch durch die Gingiva durchgebrochen
zu sein. Wenn man nicht gleich a priori dies berücksichtigt,
könnte man des öfteren bei mazerierten Schädeln die Annahme
des Durchbruches des betreffenden Zahnes machen, ohne dass
dies in vivo tatsächlich der Fall gewesen wäre.
Wie hoch nun in den einzelnen Fällen die Weichgebilde
vor der Mazerierung gewesen sind, lässt sich nicht sagen.
Man kann also beim mazerierten Schädel nur von durch¬
getretenen, nicht von in Durchbruch begriffenen
Zähnen sprechen.
Als typisches Beispiel, wie leicht man sich in dieser Be¬
ziehung irren könne, möchte ich den Schädel eines 12 Monate
alten Knaben (Fig. 10, Nr. 2448) anführen, wo die unteren
Schneidezähne zu 3 /o respektive >/, und Vs aus der ver¬
knöcherten Alveole hervorragten. Eine feine eingetrocknete
Haut, zweifellos das Periost, bedeckte sämtliche vier Zähne.
In vivo war sicherlich kein einziger Zahn über der Gingiva
sichtbar, während es doch den Anschein hat, als ob die zwei
Zentralschneidezähne fast vollkommen und die lateralen halb
entwickelt, respektive im Durchtritte begriffen wären. Bekannter¬
massen brechen beim normalen Kinde im 6. bis 8. Lebensmonate
die unteren mittleren Schneidezähne durch, dann folgen die
seitlichen Eckzähne, dann Molar I, Molar II, so dass gewöhnlich
mit Ende des zweiten Lebensjahres alle Milchzähne, wenn auch
nicht ganz durchgebrochen, so doch wenigstens (speziell bei
Molar II) im Durchtreten begriffen sind. Nach dem 30. Lebens-
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Die Rachitis und ihr Einlass auf das Milchgebiss. 6S7
monate, also nach 2'/, Jahren, ist normaliter das Milchgebiss
komplett.
Unter den rachitischen Kinderschädeln im pathologisch¬
anatomischen Museum waren erst bei einem 8 Monate alten
Kinde die Kronen der unteren mittleren Schneidezähne zu */„
die Kronen der vier oberen Schneidezähne einige Millimeter
über den Alveolarrand hervorragend.
Bei einem anderen 8 Monate alten Kinde waren nur
die zwei unteren Zentralschneidezähne einige Millimeter über
ihren Alveolarrand erhaben.
Bei einem 10 Monate alten Kinde war nur der erste
untere Schneidezahn zu »/» durcbgebrochen.
Bei einem 11 Monate alten Kinde war dagegen noch
kein einziger Zahn über der Alveole sichtbar.
Bei dem 12 Monate alten Kinde war bei drei Schädeln
noch kein Zahn,
bei einem Schädel
II I | I II
II I | I
bei zwei Schädeln
II I | I II
II I | I II
und in einem Falle
1 I 1
I
vollständig, respektive teilweise entwickelt.
Bei dem 13 Monate alten Kinde war in einem Falle
_II I | I II
IV II 11 I II
und im anderen Falle
I|l
I I I
durchgetreten.
Bei dem 14 und 16 Monate alten Kinde waren
I I I
•. ■ I | I" • : i ■ •
entwickelt. . .< . ....
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666
Dr. Eduard Urba&tsehitsch, Gras.
Bei einem 18 Monate alten Kinde
IV II I | I II I V
IV I | I II IV
Bei einem 19 Monate alten Kinde
IV I 1 I IV
II I | I II
Bei einem 20 Monate alten Kinde ragten nur
I I ,
111
etwas über die Alveole.
Bei einem 2 3 / 4 Jahre alten Kinde waren
II I I I II III
vollständig,
V III I IV V
und
III III
etwas über die Alveole hervorragend,
TV 1 _
V IV II I I I II IV V
lagen noch unterhalb der Kieferoberfläche.
Bei dem frischen Materiale (Rachitis), welches ich zu
untersuchen Gelegenheit hatte, kann ich natürlich mit vollster
Bestimmtheit angeben, welche von den Zähnen durch¬
gebrochen sind.
Der Einfachheit halber gebe ich die Beschreibung der
einzelnen Präparate.
' . nn». •• i . . j
Kiefer eines neugeborenen Kindes.
a) Unterkiefer (Fig. 12).
Die Zahnstellung ist nicht genau dieselbe wie am Prä¬
parat I a (siehe Fig. 1).
Der mittlere Schneidezahn ist nicht so schräg gestellt,
sondern mehr frontal, während der seitliche mehr sagfttal ge*
stellt ist.
Der Schneidezahn zeigt Verkalkung, während der Eck¬
zahn und beide Milchmolaren sich ganz weich anfühlen. Beim
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4
Die Rachitis und ihr Einfluss auf das Milchgebiss.
669
ersten Milchmolar finden wir an den Kronenhöckern einzelne
harte Stellen.
ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 13).
Beide Schneidezähne fast frontal gestellt. Beide Schneide¬
zahnkronen nnd die des ersten Milchmolatffc zeigen Verknöche¬
rung, während der Eckzahn und der zweite Milchmolar kaum
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Google
wo,
Br. Edn&rd Urbantecbitscb, Graz.
am Spitzenteil, respektive am Eronenhöcker sich hart an-
fühlen.
Sowohl am Unter- als auch Oberkiefer liegen die Zahn¬
keime sehr tief unter der Gingiva.
1 II.
Kiefer eines 4 monatlichen Mädchens.
Klinische Diagnose: Debilitas vitae; Rachitis.
a) Unterkiefer,. (Fig. 14).
. Die Schneidezähne stehen zueinander direkt in einem
rechten Winkel. ■ Ihre Kronen, die Spitze des Eckzahnes und
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Die Rachiti« und ihr Einfluss auf das Milchgebiss.
661
die KauhAcker des ersten Molaris sind verknöchert. Der
zweite Milchmolar und der Keim des ersten bleibenden
Molaren liegen noch zusammen in einer Alveole und zeigen-
fast keine Verknöcherung.
ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 15).
Der grosse Schneidezahn steht vollkommen frontal in
seiner Alveole, der kleine Schneidezahn fast sagittal Die zwei
Schneidezähne und die Krone des ersten Milchzahnes zeigen
Verknöcherung, während der Eckzahn und zweite Milchmolar
sich selbst an den Spitzen, respektive Kauhöckern ganz weich
anfühlen.
III.
Kiefer eines 8 Monate alten Knaben.
Klinische Diagnose: Pneumonie kalarihalis; Rachitis.
Körperlänge 60 Cm.
a) Unterkiefer (Fig. 16).
Noch kein Zahn durchgebrochen oder im Durchtritte be¬
griffen. Der Zentralschneidezahn stebt frontal, der laterale
Schneidezahn ist in einem Winkel von ungefähr 4ö° zu
ihm gestellt und so nahe zugeschoben, dass seine linguale
Seite den distalen Kronenanteil des mittleren Schneidezahnes
vollständig deckt. Der Eckzahn steht ebenfalls um seine Längs¬
achse gedreht und wendet seine linguale Fläche der fast sagittal
gestellten Fläche des seitlichen Schneidezahnes zu.
Der Schneidezahn, der Eckzalm und der erste Milchmolar
im Kronen teile fast ganz ossifiziert.
Der zweite Milchmolar und der erste bleibende Molar
liegen in gesonderten Alveolen und zeigen an den Kauhöckem
keine, respektive sehr .geringe Verknöcherung.
ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 17).
Kein einziger Zahn im Durchtritte begriffen; die Zähne
liegen sogar sehr tief unter der Gingiva.
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Google
669 Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz.
Eigentümlich ist die Stellung der Schneidezähne: Der
grosse Schneidezahn -steht nicht vollständig frontal, der kleine
steht zu ihm in einem rechten Winkel, und zwar ist seine
labiale Fläche der distalen des grossen Schneidezahnes zugekehrt.
Die Alveole des Eckzahnes ist vorhanden, jedoch ist der
Eickzahn selbst nicht zu finden.
Auch eine Röntgenaufnahme gab darüher keinen Auf¬
schluss. Der Scbneidezahu und der erste Mahlzahn sind im
Kronenantteil verknöchert, der zweite Mahlzahn nur an den
Kauhöckern. * ' •••*" 1 ’’
, Google
Die Rachitis und ihr Eiuflnss auf «las - Milchgebiss. 468
IT.
Kiefer eines 12 Monate alten Mädchens.
Klinische Diagnose: Pneumonie katarrhalis; Rachitis
florida; rachitische Frakturen; Pseudartbrosis.
Körperlänge 58 Gm.
o) Unterkiefer.^|gK,JL8).
Noch kein Zahn durchgebrocheitfhDaiumittlere Sohneide¬
zahn vollständig frontal, der seitliche in einem Winkel von
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664
Dr. Eduard Urbantschitsch, Graz.
ungefähr 45° zu ihm gestellt. Die Schneidezähne und der
Eckzahn stehen zueinander ziemlich gedrängt. An den Kronen
zeigen die Schneidezähne, Eckzähne und ersten Molaren Ver¬
kalkung.
ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 19).
Noch kein Zahn durchgebrochen. Der grosse Schneide¬
zahn ist fast frontal, während der kleine mehr sagittal gestellt
ist. Sie sind ziemlich dicht aneinandergestellt, so dass sie
sich fast berühren, sämtliche Kronen zeigen Verknöcherung.
V.
Kiefer eines 13 7, Menate alten Mädchens.
Klinische Diagnose: Meningitis cerebro spinalis; Rachitis.
Körperlänge: 64 Cm.
a) Unterkiefej^(Fig. 20).
Zähne noch nicht durchgebrochen; der mittlere Schneide¬
zahn steht frontal, während der seitliche so gestellt ist, dass
seine Krone mit der dee> zentralen .einen Winkel von . 120°
bildet. „ ** •.
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Die Rachitis und ibr Einfluss auf dag Milcligebisa. 565
ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 21).
Grosser Schneidezahn total, kleiner fast frontal gestellt.
Sämtliche Kronen.zeigen .Verknöcherung.
VI.
Kiefer eines 2 »/< Jahre alten Knaben.
Klinische Diagnose: Rachitis gravissima; Pneumonie.
Körperlänge: 80 Gm.
a) Unterkiefer (Fig. 22).
Nur die mittleren Schneidezähne sind fast ganz durch¬
getreten, alle anderen liegen noch subgingival. Nach Er¬
öffnung der Alveolen sieht man den seitlichen Schneidezahn
ungefähr in derselben frontalen Ebene stehen wie den mittleren.
Die Kronen (zweiter Milchmolar nur an den Kronenhöckern)
total verknöchert.
ß) Oberkiefer desselben Kindes (Fig. 23).
Die vier Schneidezähne noch nicht vollständig durch¬
gebrochen, alle übrigen noch subgingival. Die grossen Schneide¬
zähne mesial halbmondförmig ausgehöhlt, der Schmelz an
dieser Stelle total zerstört, bieten das typische Bild einer
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Der grosse Schneidezahn frontal, der kleine Schneidezahn
45° um seine Achse gedreht. Alle Zähne verkalkt mit
Ausnahme des ersten bleibenden Molaris, welcher nur an den
Kauhöckern Verkalkung zeigt.
5H6 f Dr. Eduard Urbautscliitsch, Gr««*>
Karies. (Der Ausdruck „Karies“ ist selbstverständlich, als Fach¬
ausdruck vom odontologischen Standpunkt und nicht patho¬
logisch-anatomisch gemeint.)
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Die fiachitis und ibr Einfluss auf das Milchgebiss. 667
Wir sehen also, dass die Zähne bei rachitischen Kindern
immer verspätet zum Durchbruche kommen und in einem
Falle, wo normaliter 10 bis 12 Zähne sich im Munde des
Kindes vorfinden sollten, überhaupt noch kein Zahn durch-
gebröchen ist, wie dies mein Präparat V a, ß (siehe Fig. 20, 21)
beweist; im anderen Falle nur zwei Zähne im Unterkiefer
vollständig und vier im Oberkiefer im Durchschnitt begriffen
sind, wo bei einem normalen Kinde das Milchgebiss voll¬
ständig ist.
Die Behauptungen, welche die diversen Autoren für die
durch Rachitis bedingten Veränderungen beim bleibenden Ge¬
bisse aufstellten, finden also auch beim Milchgebisse mit
vollstem Rechte ihre Anwendung, denn sowohl den ver¬
späteten Durchbruch als auch Stellungsano¬
malien und Schmelzdefekte finden wir infolge
dieser Krankheit an den Milchzähnen.
ln vorliegender Mitteilung sind bloss die makroskopischen
Verhältnisse der Milchzähne berücksichtigt und an der Hand
eines grösseren Materials dargcstellt worden. Die ebenso inter¬
essanten und wichtigen mikroskopischen Details sollen in einer
folgenden Arbeit verwertet werden.
Literatur.
B o n w i 11: Americaen Syst, of Deut. Surg. Vol. ii. *pag. 487.
Gysi Alfred, D. D. S.: Geometrische Konstruktion eines menschlichen
bleibenden Gebisses mittlerer Grösse. (Schweizerische Vierteljahrsschrift
für Zahnheilkunde, Bd V, Nr. 1, Jahrgang 1895.)
Zsigmondy: Beiträge zur Kenntnis der Entstehung der hjpoplastisehen
Schmelzdefekte. (Aus „Transactiou of the Worlds“ 1 , Chicago 1894.)
Sch eff: Handbuch der Zahnheilkunde, Bd. I, Bd. II.
Wedl; Pathologie der Zähne. 1901, Bd I, Bd. II.
Strümpei: Spezielle Pathologie und Therapie, Bd. II
Schaffer: Die Verknöcherung des Unterkiefers und die Metaplasiefrage.
J. Tomes: Ein System der Zahnheilkunde. A. d. engl. v. Adolf Nedden.
Leipzig 1861.
Ziegler: Spezielle pathologische Anatomie, Bd. II.
Busch: Verhandlungen d. deutschen odontolog. Gesellschaft, Bd. I, Heft 1.
Kollmann: Die Formen des Ober- und Unterkiefers bei den Europäern.
(Schweiz. Vierteljabrsschrift für Zahnheilkunde, Bd. II, Nr. 2, Juni 1892.)
Baume: Lehrbuch der Zahnheilkunde, 1885.
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568
Dr. Max Kulki, Teschen.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Deier die: wkliptM lechailscbei lod eiiiis MHe
Eiieinfeaiten der Silltat- Md ZMptaptalraeite. 1 *
Von Dr. Max Kulka, Zahnarzt in Teschen.
äuf der 77. Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzte in Meran besprach Zahnarzt M. Morgenstern (Strass¬
burg) die Ergebnisse seiner Untersuchungen über die physi¬
kalischen und ehemischen Eigenschaften der Silikat- und Zink¬
phosphatzemente. *
Die Resultate dieser überaus mühevollen und sorgfältigen
Arbeit Morgensterns, die wohl, wie auch Prof Sachs
in seinem bei der 10 jährigen Stiftungsfeier des Vereines
schlesischer Zahnärzte gehaltenen Vortrag „Silikatzemente“ 3
hervorhob, auf wissenschaftliche Bedeutung berechtigten An¬
spruch erheben darf, haben für uns Zahnärzte leider nur einen
relativen Wert, da sich aus ihnen in bezug auf das Verhalten
der Zemente in der Mundhöhle absolut keine sicheren Schlüsse
ziehen lassen; ja viel mehr, sie widersprechen im hohen Grade
den im Munde der Patienten gerade mit den von Morgen¬
stern untersuchten Zementen gemachten praktischen Er¬
fahrungen, aus welchem Grunde man auf eine dabei vor¬
liegende Ausserachtlassung eines für die Bewertung der Zemente
unbedingt wichtigen Umstandes schliessen muss.
Der Fehler ist darin zu suchen, dass die zahnärztlichen
Zemente Stoffe sind, welche behufs Prüfung auf keinen Fall
in trockener Umgebung - in welcher Morgenstern seine
Proben beliess — sondern in Nachahmung des Zweckes, denen
sie als Füllmaterialien dienen, eine Zeitlang unter ständiger
1 Vortrag, gehalten auf der 79. Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte in Dresden und auf der Jahresversammlung des Landesverbandes
ungarischer Stomatologen in Budapest (September 1907).
3 Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1905, Heft IV.
• Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1907, Heft HI.
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphatzemente. 569
Einwirkung von Speichel, d. h. von Wasser und gewissen
Lösungen bei Bluttemperatur sich befinden sollen, ehe sie
einer Qualitätsprüfung unterzogen werden.
. Von welchem Einfluss ein solches Belassen im flüssigen
Medium auf die Entwicklung der physikalischen Eigenschaften
und das chemische Verhalten der Zemente sein kann, erhellt
aus folgendem:
Fast jeder Stoff hat einen gewissen, oft allerdings un¬
messbaren Grad von Löslichkeit im Wasser, mithin selbst¬
redend auch im Speichel, als einer wässerigen Flüssigkeit.
Diese, wenn auch mitunter sehr geringe Löslichkeit ver¬
mag sehr wohl — denkt man an die verschiedenen Grade
partieller Löslichkeit der einzelnen Bestandteile in einem er¬
härteten Zement — durch Auflockerung des ganzen Gefüges
einen beträchtlichen Einfluss auf die Struktur und damit auch
auf die Festigkeitsverhältnisse auszuüben.
Dazu kommt noch der Umstand, dass die Erhärtung
eines Zementes naturgemäss mit dem Verlauf einer chemischen
Reaktion verbunden ist, die aber nicht momentan beendigt ist.
Die Reaktionsgeschwindigkeit, die anfangs allerdings eine
stürmische sein kann, nimmt vielmehr, nachdem der grösste
Teil der wirksamen Komponenten gebunden wurde, nach dem
Massenwirkungsgesetze stetig und allmählich ab, weiterhin ver¬
zögert auch die durch das Uebergehen in den festen Zustand
erfolgende Erhöhung der inneren Reibung den Reaktionsverlauf
ganz erheblich, so dass erst lange nachher, nachdem wir
eine Füllung bereits dem Speichel aussetzen, beziehungsweise
bereits aussetzen müssen, das völlige Abbinden des Zementes
zu erwarten ist.
Das Eingreifen des Speichels aber vor diesem völligen
Abbinden beeinflusst zweifelsohne die Entwicklung der mecha¬
nischen Eigenschaften der Zemente im hohen Grade, da er
die Erhärtungsreaktion stören, eventuell sogar auf heben
kann.
Deshalb war es nötig, die Prüfung der physikalischen
Eigenschaften der Zemente vorzunehmen, nachdem die Probe-
6
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570
Dr. Max Kulka, Taschen.
stücke einige Zeit unter Speichel, respektive unter Wasser bei
Bluttemperatur gelegen hatten und können die von Morgen¬
stern gefundenen Werte keinen sicheren Massstab für das
physikalische Verhalten der Zemente im Munde abgeben, um
so mehr, da er z. B. für einen Zement, der die Einwirkung
von Speichel oder Wasser kaum einige Stunden, ich Will nicht
sagen Minuten verträgt, ohne beinahe pulverig zu zerfallen und
über den infolgedessen die Praxis schon seit langem das Todes¬
urteil gefällt hat, hohe und höchste Werte fand.
Von diesen Erwägungen ausgehend, und weil ja an¬
genommen werden darf, dass die Fabrikanten seither nicht
stehen blieben, sondern stetig an der Verbesserung ihrer Prä¬
parate arbeiten, demnach die von Morgenstern vor 2 Jahren
gefundenen Zahlen heute schon an und für sich nicht mehr
richtig sein können, überdies weil doch seither auch wieder
neue Präparate auf den Markt gebracht wurden, schritt ich
an die Anstellung erneuerter Untersuchungen.
Selbstredend habe ich mich bemüht, die betreffenden
Eigenschaften der Zemente erst dann zu bestimmen, nachdem
sich die zu prüfenden Probestücke unter ähnlichen Verhältnissen
befunden hatten, wie sie im Munde vorliegen.
Zur Untersuchung wählte ich folgende Zemente:
Silikatzemente:
1. Aschers verbesserten künstlichen Zahnschmelz,
2. Astral (Ravitzers),
3. Harvardid Improved III, 1
4. Harvardid Improved IV, 2
5. Hoffmanns verbesserten Porzellanersatz,
6. Schäfers Plastic-Porzellan,
7. Dr. Schönbecks Silikatzement,
1 Als Harvardid Improved III bezeichne ich das von der Harvard Dental
Mfg. Co. im März 1S07 in den Handel gebrachte verbesserte und
* als Harvardid Improved IV das von der Harvard Dental Mfg. Co.
im Juli 1907 in den Handel gebrachte, neuerlich verbesserte und mir zur
Untersuchung zugegangene Präparat.
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphataemeute. 571
8. Silicin,
9. Smaltid,
10. Dr. Speiers neuen. Silikatzement,
11. Dr. Wolfsons verbesserte plastische Porzellanfüllung.
Zinkphosphatzemente:
12. Harvardzement,
13. Loves Achat,
14. de Treys Impervious-Zement und
15. Lynton.
Ich nehme gleich hier Gelegenheit, allen jenen Fabrikanten
von Zementen, welche mir in liebenswürdiger Weise einerseits
ihre Präparate für meine Untersuchungen zur Verfügung gestellt
haben, anderseits mir mit Winken und Ratschlägen an die Hand
gingen, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.
Zu allererst übte ich eine Zeitlang die Verarbeitung der
einzelnen Zemente, um mich mit den verschiedenen Eigen¬
schaften eines jeden Präparates vorher genau vertraut zu machen.
Meine dabei gemachten Erfahrungen decken sich so ziemlich
mit denen Morgensterns und erübrigt es nur, die von ihm an¬
gegebenen spezifischen Gewichte der inzwischen verbesserten
Zemente richtigzustellen, beziehungsweise zu ergänzen.
Tabelle I.
Spezifische Gewichte im arithmetischen Mittel.
Silikatzemente:
Aschers künstlicher Zahnschmelz.2'16
Ravitzers Astral.2-26
Harvardid Improved III.2*24
Harvardid Improved IV.2*39
Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz .... 2-20
Dr. Schönbecks Silikatzement.2-208
Silicin.2-17
Smaltid.2-208
Dr. Speiers neuer Silikatzement.3-59
Dr. Wolfsons verbesserte plastische Porzellanfüllung 2-406
6 *
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Dr. Max Kulka, Taschen.
672
Zinkphosphatzemente:
Harvard-Zement.3-41
Loves Achat . . . . . . 3*52
de Tr^y.$ Impervious-Zement ..... . . . . . 3*31
Lynton... 2*87
Auch aus dieser Tabelle ist zu ersehen, dass die Silikat¬
zemente im allgemeinen ein geringeres spezifisches Gewicht auf¬
weisen, als die Zinkphosphatzemente und macht nur Dr. Speiers
Silikatzement eine bemerkenswerte Ausnahme, da sein spezi¬
fisches Gewicht ein grösseres ist, als das bei den Zinkphosphat¬
zementen überhaupt ermittelte.
Dadurch, dass ich über die Art des Verarbeitens (An¬
rührens) einer jeden Probe, aus welchem Zemente immer, genaue
Notizen anlegte und mit dem Resultate der später angestellten
Prüfung verglich, habe ich Gelegenheit gehabt, mich davon zu
überzeugen, dass die jeder Packung beigeschlossene Gebrauchs¬
anweisung genauestens befolgt werden muss, um, soweit es
natürlich bei einzelnen Zementen überhaupt möglich ist, gute
Resultate zu erzielen, und habe ich durch lange Versuchs¬
reihen mich bemüht, die richtigen Mischungsverhältnisse von
Pulver und Flüssigkeit zu ermitteln, die ich in arithmetischen
Mittelwerten auf folgender Tabelle verzeichne.
Tabelle II.
Mischungsverhältnisse Pulver Flüssigkeit
Aschers künstlicher Zahnschmelz . . . .100 59*49
Astral (Ravitzers). 100 202*72
Harvardid lmproved 111 . 100 50 32
Harvardid lmproved IV . 100 53*84
Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz . . 100 45*46
Dr. Schönbecks Silikatzement. 100 73*32
Silicin. 100 59*34
Smaltid. 100 73*32
Dr. Speiers neuer Silikatzement . . . .100 56*62
Dr. Wolfsons verb. plast. Zahnfüllung . . . 100 74*84
Harvard-Zement.J00 48*75
de Treys Zement. 100 40 01
Lynton. 100 81*05
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphatzemente. S7S
Am schwierigsten verarbeiten sich meiner Erfahrung nach
unter den Silikatzementen Ravitzers Astral, unter den Zink¬
phosphatzementen Lynton und de Treys Zement, da sie viel
zu rasch erhärten.
Ich gehe nun an die Erledigung meines
eigentlichen Themas.
Die unnütze Mühe, Stoffe zu prüfen, die als Füllmaterialien
gar nicht in Betracht kommen können, vermied ich, indem
ich erst untersuchte, ob alle zur Untersuchung gewählten Ze¬
mente unter Speichel oder Wasser überhaupt beständig sind.
Zu diesem Zwecke rührte ich von jedem Zement je drei
Proben sorgfältig an und füllte sie in konische polierte Durch¬
bohrungen einer Ebonitplatte, die auf einer zweiten völlig
glatten mit Stiften festgesteckt war (Fig. A und B).
Die Dimensionen der kegelförmigen Bohrungen waren:
Oberer Durchmesser 4 Mm., unterer 3 Mm.,' Höhe 4 Mm.
Diese Bohrungen wurden vor dem Füllen mit einem ganz
schwächen Hauch reinster Vaseline versehen, um jede Adhäsion
zu vermeiden.
Nach dem Erhärten wurden die Proben herausgestossen
und nach 30 Minuten unter als normal befundenen Speichel,
dem Wasser zugesetzt war, und zwar im Verhältnis von 1:3,
in kleiden Standgefässen im Thermostaten bei 36° C. Unter¬
gebrächt.
In dieser Flüssigkeit, die täglich zweimal erneuert und
abends' durch pures Wasser ersetzt wurde, verblieben die
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574
Dr. Max Ktüka, Teschen.
Proben 7 Tage, wurden dann herausgenommen, abgetrocknet*
eine Zeitlang an der Luft belassen und hierauf geprüft.
Es ergab sich:
Proben nach 30 Minuten unter Speichel gebracht:
Völlig unverändert: Ascher,
Silicin.
Schwach angegriffen: Astral, Harvardid Improved IV,
Harvard-Zement,
Lynton,
Loves Achat,
Dr. Speiers neuer Silikatzement,
Dr. Wolfsons verb. plast. Porzellanfüllung*
de Treys Impervious-Zement.
Stärker angegriffen: Harvardid Improved 111,
Hoflfmanns verbesserter Porzellanersatz*
Dr. Schönbecks Silikatzement,
Smaltid,
Zerstört: Schäfers Plastic-Porzellan.
Als völlig unverändert erwiesen sich nur Aschers
künstlicher Zahnschmelz und das Silicin. Die Ober¬
fläche beider Zemente repräsentierte sich, unter der Lupe be¬
trachtet, sowohl im feuchten, als auch im trockenen Zustande
als völlig glatt und hochglänzend, wie poliert.
Schwach angegriffen waren Astral, Harvardid
Improved IV, Harvard-Zement, Lynton, Loves
Achat, Speier, Wolfson und de Treys Zement.
Die Astralproben zeigten im allgemeinen einen matten
asbestartigen Glanz, bei einigen flel, unter der Lupe betrachtet*
eine feinmaschige, netzförmige Zeichnung der Mantelfläche auf.
Harvardid Improved IV war glanzlos, hie und da
sah man mit der Lupe einen feinen Haarriss, ebenso war auch
Speiers Silikatzement völlig glanzlos, sonst aber wenig
verändert. Wolfsons plastische Porzellanfüllung
war glanzlos und zeigte an seiner Oberfläche vereinzelte weisse
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Deber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphatzemente. 575
matte Flecke, als ob die Proben gesprenkelt wären. Die Zink-
phosphatzemente Harvard-Zement, Lynton, de Treys
Zement repräsentierten sich selbstredend als glanzlose, kreidig
aussehende Stoffe, an deren Oberfläche mittels der Lupe ver¬
einzelt punktförmige Arrosionen sichtbar waren, bei Loves
Achat war dasselbe zu konstatieren, daneben sah man hie
und da auch einen feinen Haarriss.
Als stärker angegriffen erwiesen sich bei der
Untersuchung: Hoffmanns verbesserter Porzellan¬
ersatz, Dr. Schönbecks Silikatzement, Smaltid
und Harvardid Improved III.
Im feuchten Zustande wohl glänzend und transparent,
verschwanden während des Trocknens diese Eigenschaften und
man konnte bei allen diesen Zementen beobachten, dass eine
feinmaschige netzförmige Zeichnung der trocknenden Ober¬
fläche immer deutlicher sichtbar wurde.
Die trockenen Proben von Hoffmanns Porzellan¬
ersatz, Dr. Schönbecks Silikatzement und Smaltid
sahen aus, als wären sie mit Mehltau oder einem feinen weissen
Pulver bestreut worden und es Hess sich tatsächlich mit dem
Fingernagel ein feiner weisser Staub leicht abkratzen.
Die Oberflächen waren infolgedessen sehr matt und rauh.
Liess man aus einer Pipette einen Tropfen Wasser, auf die
Proben fallen, so verschwand dieser rasch wie im Zucker, bei
stärkerem Befeuchten wurden die Proben wieder transparent.
Als vollkommen zerstört erwies sich bereits nach
kurzem Liegen im Speichel und Wasser Schäfers Plastic-
Porzellan. Die Proben waren glanzlos und zeigten tiefe
klaffende Risse und Sprünge. Die getrocknete Probe zerfiel
bei der Untersuchung, den Rissen und Sprüngen entsprechend,
wie trockener Mörtel. Wegen dieses Befundes.schloss ich dieses
letzte Zement, das selbst nach dem Versuch 3- und 24 ständigen
vorherigen Trocknens in kurzer Zeit unter Feuchtigkeit prompt
wieder barst, als völlig wertlos von der weiteren Unter¬
suchung aus.
Ich gehe nun zur Bestimmung der mechanischen
Eigenschaften über.
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576 • Dr. Max Kulka, Teschen.
Um ein stets gleichmräsäiges Anrühren und sicheres Ver¬
arbeiten zu erzielen, nahm ich nach Möglichkeit die Menge
für eine jede Probe niemals grösser, als sie zu jeder mittleren
Füllung im allgemeinen erforderlich ist und rührte die Proben
sehr sorgfältig und genau nach der Gebrauchsanweisung an.
Die für unsere Zwecke in Betracht kommenden me¬
chanischen Eigenschaften bei Füllungen sind:
1. Festigkeit,
2. Härte, beziehungsweise Widerstand gegen
Abnützung,
3. Undurchlässigkeit, beziehungsweise Porosi¬
tät und
4. Adhäsionsfähigkeit, beziehungsweise Wand¬
anschluss.
Die Eigenschaften der Festigkeit: Zug-, Druck- und Bruch¬
festigkeit, stehen zueinander im mathematischen Verhältnisse,
so dass die Bestimmung der Zugfestigkeit allein genügen könnte.
Gleichwohl bestimmte ich, um meinen Resultaten grössere
Sicherheit zu geben, die Zug-, Bruch- und Druckfestigkeit ge¬
sondert, zumal uns die beiden letzten Festigkeitsarten ganz
besonders interessieren, da doch die Füllmaterialien auf diese
hauptsächlich in Anspruch genommen werden.
Die dazu nötigen Proben stellte ich — ich bemerke, dass
ich hier, wie bei jedem folgenden Versuch, stets drei Proben
eines jeden Zementes zur Prüfung nahm, die Prüfungen der
Kontrolle halber öfters wiederholte und als erhaltenen Wert
den Mittelwert ^ller gefundenen anführe — ähnlich wie vor¬
her mittels zweier Ebonitplatten her,, deren eine mit grösseren,
7 Mm. langen Bohrungen versehen war (Fig. 2).
In diese Bohrungen kamen haarscharf passende runde
Einsätze (sogenannte Futter), ebenfalls aus Ebonit bestehend,
und zwar Hess ich mir zweierlei derartiger Einsätze anfertigen $
eine Art zur Herstellung von Proben für Zug- und Bruch¬
festigkeit, die andere Art zur Herstellung von Proben für die
Druckfestigkeit und andere Prüfungen.
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphospbatzemente. 677
Beide Arten von Einsätzen zeigen im Zentrum eine
Bohrung und bestehen aus zwei gleich grossen Hälften mit
haarscharf aneinander passenden Berührungsflächen.
Die Einsätze zur Herstellung der Druckfestigkeitsproben
zeigen eine einfache zylindrische, 3 Mm. weite und 7 Mm.
tiefe Bohrung (Fig. 7 und 7 a), die Bohrung der Einsätze zur
Herstellung der Zug- und Bruchfestigkeitsproben ist ebenfalls
7 Mm. tief, jedoch in den oberen 3 Mm. konisch und in den
unteren 4 Mm. zylindrisch gestaltet Die Basis des kegelförmigen
Teiles der Bohrung hat einen Durchmesser von 5 Mm., der
zylindrische Teil einen solchen von 4 Mm. Die in diesen Ein¬
sätzen geformten fertigen Proben haben demnach die Form
eines 4 Mm. dicken und-4 Mm. hohen Zylinders, dem oben
ein abgestutzter Kegel mit seiner kleineren Basis aufsitzt
(Fig. 2 a und 26).
Auch hier wurden die Bohrungen vor dem Füllen mit
einem schwachen Ueberzug reinster Vaseline versehen, nach
dem Erhärten der Zemente die Einsätze herausgestossen, die
beiden Hälften auseinandergenommen, die nun losen Proben
mittels Alkohols von etwa anhaftender Vaseline befreit und
nun mit Rücksicht auf die etwas angreifbaren Zemente erst
nach' 3 Stunden, und zwar mit einem Varnish überzogen,
der aber nach 24 Stunden wieder sorgfältig entfernt wurde,
unter Speichel und Wasser in den Thermostaten gebracht,
um dann in gleicher Weise wie die früheren Proben be¬
handelt, nach durchschnittlich drei bis vier Wochen der
Prüfung zugeführt zu werden.
Zu den nun folgenden Festigkeitsprüfungen liess ich mir
eine Art „Materialprüfungsmaschine“ anfertigen, in
welcher die Proben mittels verschiedener Einspann- und
anderer Vorrichtungen auf ihre Zug-, Druck- und Bruch¬
festigkeit, Schleiffähigkeit usw. in Anspruch genommen werden,
die also derart eingerichtet ist, dass man mit ihrer Hilfe
durch Auswechslung einzelner Teile die verschiedenen Arten
von Festigkeitsprüfungen der Zemente vornehmen kann.
Es braucht wohl nicht betont zu werden, dass diese
Materialprüfungsmaschine nicht in einem Guss entstanden
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üeber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkpbospbatzemente. 679
ist, sondern Hand in Hand mit dem im Anfänge oftmaligen
Misslingen meiner Versuche und den infolgedessen sieb
notwendig erweisenden Aenderungen meines Untersuchungs¬
planes ebenfalls geändert werden musste, bis sie eben .die
jetzige Gestalt und Einrichtung erhalten hat.
Der Apparat besteht, wie die Fig. C deutlich zeigt, aus
einer massiven gusseisernen, rechteckigen Ständerplatte A , auf
welcher sich an der einen Schmalseite ein runder, oben in
Form eines Galgens recht winkelig abgebogener starker Stahl¬
arm B erhebt
Das kurze Ende dieses Armes -trägt einen im Scharnier
nach unten beweglichen und in der Horizontalen durch einen
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580 Dr.-Max Külka, Tescheu. -
Schlüssel S fixierbaren kurzen Ansatz Ci der an seinem Ende
zylindrisch ausgehöhlt ist und an seiner äusseren Fläche ein
Schraubengewinde samt Schraubenmutter D besitzt.
In die Bohrung dieses kurzen Ansatzes kommen die zür
Bestimmung der Zug- und Biegungsfestigkeit, weiters die zur
Bestimmung des Adhäsionsgrades dienenden Einsätze und
werden in ihr durch Anziehen der Schraubenmutter fixiert.
An dem senkrechten Teile des Stahlarmes ist ein mittels
eines Kugelgelenkes nach oben und unten verschiebbarer, in
der Horizontalen drehbarer und mittels eines Schrauben¬
schlüssels in jeder Lage und Stellung fixierbarer 30 Cm.
langer und 7 Mm. dicker Stahlhebel E angebracht (Fig. 8 und 9,
S. 587). Dieser Hebel ist auf der einen Seite in 15 Teile, auf
der anderen in 10 Teile vom Drehpunkt an geteilt und zeigt
dieser Teilung entsprechende Teilstriche samt den diesbezüg¬
lichen Zahlen, weiters trägt er beiderseits je eine rinnenartige
Vertiefung, in welcher eine Einspannvorrichtung nach Art eines
Laufgewichtes verschoben und mittels einer Schraube in jedem
beliebigen Teilstrich fixiert werden kann.
Die weitere Einrichtung des Apparates und die dazu
gehörigen Teile will ich, um nicht durch eine detaillierte Be¬
schreibung zu langweilen, erst bei den verschiedenen Festig¬
keitsprüfungen an der Hand der Skizzen in Kürze erläutern
und übergehe sofort zu der ersten der von mir angestellten
Prüfungen der
Zugfestigkeitsprüfung.
In dem kurzen Ansatz der Maschine wurde ein runder,
kräfliger, stählerner Zapfen, der an seinem freien Ende eine
Vertiefung (Hängelager) zeigt, durch Anziehen der Schrauben¬
mutter fixiert. In diesem Hängelager reitet ein unten haken¬
förmig nach vorn abgebogener Hängebügel (Fig* 1).
Nun wurde die Zugfestigkeitsprobe düreh den mit je
einem runden seitlichen Ansatz versehenen* 1 konisch gebohrten
Ring (Fig. 3) derart diirchgesteckt, dass nur der zylindrisch^
Teil der Probe aussen sichtbar war. ? >
Die Dimensionen der Bohrung des Ringes entsprechen
nämlich denen des Kopfes der Probe, also oberer Durchmesser
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- u. Zinkphosphatzemente. 681
5 Um., unterer 4 Mm., infolgedessen passt der Kopf genau
hinein und war in den Ring gewissermassen versenkt.
Das ausserhalb des Ringes sich befindliche 4 Mm. dicke
und 4 Mm. lange Stück der Probe wurde an seinem Ende bis
auf 2 Mm. in eine 4 Mm, weite federnde Zwinge, welche sich
in dem hohlen Haken H befindet, hineingeschoben und durch
Anziehen der Schraubenmutter, die in das in der Aussenfläche
des Hakens eingeschnittene Schraubengewinde eingreift, ein¬
gespannt (Fig. 4).
Die derart eingespannte Probe wurde nun vermittels der
seitlichen Ansätze des zur Aufnahme des Kopfes der Probe
dienenden Ringes in die hakenförmig abgebogenen Enden des
Hängebügels eingehängt [gelagert] (Fig. 4).
Nun wurde der Haken der Zwinge mit einem in der Fuss-
platte fixierten Viererfiaschenzug F verbunden und an dem
freien Ende des Seiles, das über Rollen läult, ein hohles Metall-
gefäss E angehängt (Fig. C).
Ich verwende den in der Fussplatte fixierten Flaschen¬
zug, um jede eventuelle seitliche Belastung und dadurch leicht
eintretende Knickungen der Probe zu verhindern und wird im
vorliegenden Falle die Probe durch den stets nach unten
wirkenden Zug rein nur auf Zugfestigkeit in Anspruch genommen.
Um überdies jederlei Erschütterung der Probe, wie sie
durch Zulegen, beziehungsweise Austausch der Gewichte leicht
zustande kommt und die Resultate trüben kann, möglichst zu ver¬
meiden, verwendete ich ein hohles Metallgefäss als Wägegefäss.
In dieses wurde mittels eines trompetenförmigen Trichters so.
lange Bleischrot einlaufen gelassen, bis die Probe riss. Ich erzielte
dadurch eine stetig und gleichmässig fortschreitende Belastung.
Das Endgewicht wurde dadurch ermittelt, dass man das
Wägegefäss nach dem erfolgten Bruch der Probe auf einer
gewöhnlichen Wage wog und das so gefundene Gewicht vier¬
fach nahm.
Da alle meine Messungen unter gleichen Verhältnissen —
gleiche Form, gleicher Querschnitt und gleiche Länge der
Proben — vorgenommen wurden, stehen die letzten Belastungen,
in dem Verhältnis der Zugfestigkeitswerte.
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582
Dr. Max Kulka, Teschen.
Es ergaben sich die Werte, wie sie auf Tabelle III ver-
zeichnet sind.
Tabelle III.
Zugfestigkeitswerte in arithmetischen Mittelwerten.
Modell Fig. 2 b. Durchmesser 4 Mm.
Aschers künstlicher Zahnschmelz.18*312 Kg.
Silicin. 18*309 „
Dr. Speiers neuer Silikatzement. 17*385 „
Harvard-Zement.15*136 „
Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz . . 12*833 „
Dr. Schönbecks Silikatzement. 10*825 „
Smaltid. 10*820 „
Loves Achat . *. 10*460 „
Harvardid Improved IV.10*123 „
Dr.Wolfsons verbesserteplast. Porzellanfüllung 9*938* ,
Harvardid Improved III. 9*675 „
Ravitzers Astral. 7*625 „
de Treys Impervious-Zement. 7*557 „
Lynton. 6*200 „
Die Berechnung des Bruchkoeffizienten auf Zugfestigkeit
zylindrischer Zementstäbchen von 1 Cm. Durchmesser ergibt
folgende Werte:
Tabelle lila.
Aschers künstlicher Zahnschmelz .... 114*441 Kg.
Silicin. 114*425 „
Speier. 108*656 „
Harvard-Zement. 94*600 „
Hoffmanns Porzellanoid. 80*206 „
Schönbeck. 67*656 „
Smaltid. 67*651 „
Lovös Achat. 65*375 n
Harvardid Improved IV . 63*268 „
Wolfson. 62*115 „
Harvardid Improved III. 60*470 „
Astral. 47*658 „
de Treys Zement. 47*231 „
Lynton. 38*750 „
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphatzemente. 683
Die Berechnung des Bruchkoeffizienten auf Zugfestigkeit
bei einem Querschnitt von 1 DCm. ergibt folgende Werte:
Tabelle 1116.
Aschers künstlicher Zahnschmelz .... 145*727 Kg.
Silicin. 145*685 „
Speier. 138*350 „
Harvard-Zement. 120*454 „
Hoffmanns Porzellanoid. 102*125 „
Schönbeck. 86*145 „
Smaltid. 86*140 „
Lovös Achat. 83*331 „
Harvardid Improved IV. 80*559 „
Wolfson. 79*090 „
Harvardid Improved III. 76*995 „
Astral. 60*682 „
de Treys Zement. 60*138 „
Lynton. 49*340 „
Ich übergehe non zur Bestimmung der
Bruchfestigkeit
Zur Bestimmung der Bruch-, bzw. Biegungsfestigkeit ver¬
wendete ich gleichgeformte Probestücke wie für die Zugfestig¬
keit (Fig. 25).
Die Proben wurden, wie Fig. 5, zeigt, diesmal horizontal
eingespannt, und zwar derart, dass sie in eine am unteren
Ende konisch gestaltete Muffe versenkt wurden. Die Muffe
samt der darin befindlichen Probe kam in den kurzen An¬
satz C des Apparates und wurde durch Anziehen der
Schraube D filiert. Eine auf dem Kopfe der Probe in der
Muffe aufruhende Spiralfeder presst den zylindrischen Teil der
Probe nach aussen. *
Nun wurde am Ende des zylindrischen Teiles der Probe
im ersten Millimeter eine mit einer 4 Mm. im Durchmesser be-
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584
Dr. ; Max Eulka, Teschen.
tragenden Oeffnung versehene, 1 Mm, dicke Metallscheibe S
(Fig. 5 und ha) aufgesetzt und der Haken der Scheibe genau
wie vorher mit dem Viererflaschenzug verbunden. Durch kon¬
tinuierliches Zugiessen von Bleischrot in das Wägegefiiss wurden
die Proben so lange auf Biegung beansprucht, bis die Zylinder
abbrachen.
Da auch hier überall die gleichen Bedingungen Vorlagen
und der Hebelarm konstant 3 V* Mm. blieb, stehen die so er¬
mittelten Gewichte im Verhältnisse der Bruchfestigkeiten.
In gleicher Weise wie vorher berechnet, fand ich:
Tabelle IV.
Bruchfestigkeitswerte im arithmetischen Mittel.
Modell Fig. 2b. Durchmesser 4 Mm.
Aschers künstlicher Zahnschmelz.
Silicin..
Dr. Speiers neuer Silikatzement. 4
Harvard-Zement ..
Harvardid Improved IV . ... . . . .
Dr. Wolfsons verbesserte plast. Porzellanfüllung
Loves Achat ..
Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz . .
Dr. Schönbecks Silikatzement..
Smaltid.
Harvardid Improved III . . . . . . .
Astral (Ravitzer).. .
de Treys Impervious-Zement.
Lynton ..... .
13*211 Kg.
13*208 „
12*444 „
10*240 „
8*185 „
8*016 „
7-804 „
7-576 „
7-367 „
7-360 ,
6-893 „
5-444 „
4-389 „
4-207 „
Da die Biegungsfestigkeit sich experimentell am sichersten
und sehr genau feststellen lässt, sind die für die Bruchfestigkeit
gefundenen Werte als die entscheidenden anzusprechen und
wurden demnach zur Berechnung des absoluten Festigkeits¬
koeffizienten der Zemente benützt.
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- u. Zinkphosphatzemente. 685
Tabelle IVa.
Absoluter Festigkeitskoeffizient der Zomonte
7
(ermittelt dnrch Ualtiplikation der gefundenen Werte mit ^).
Aschers künstlicher Zahnschmelz. .
Pro IQ Mm.
13-211 — 7-359 Kg.
Silicin.
13-208 — 7-357 „
Speier.
12-444 — 6-932 „
Harvard-Zement.
10-240 — 5-704 „
Harvardid Improved IV ....
8-185 — 4-561 „
Wolfson.
8-016 — 4-465 ,
Lovös Achat.
7-804 — 4-347 „
Hoffmanns Porzellanoid ....
7-576 — 4-220 „
Schönbeck.
7 367 — 4-103 „
Smaltid.
7-360 — 4-099 „
Harvardid Improved III ....
6-893 — 3-840 „
Astral.
5-444 — 3-033 „
de Trey .
4-389 — 2-445 „
Lynton.
4-207 — 2-344 „
Druckfestigkeit.
Zur Bestimmung der Druckfestigkeit benützte ich zylin¬
drische Proben von 3 Mm. Dicke und 7 Mm. Länge (Fig. 7 a).
Diese kamen, wie Fig. 8 zeigt, unter einen 2 Cm. vom
Drehpunkt entfernten, am unteren Rande des Hebels befindlichen
Ausschnitt und ruhten auf einem kleinen Stahlamboss G , der in
die entsprechende Vertiefung der Fussplatte eingesetzt erscheint.
Auf dem freien hakenförmigen Ende des Hebels wurde
das Wägegefäss aufgehängt und so lange kontinuierlich Blei¬
schrot zugeschüttet, bis mit dem stetig wachsenden Druck die
Stäbchen in Stücke zerfielen, beziehungsweise zerquetscht
wurden.
Das Gewicht des Hebels beträgt, auf den Drehpunkt
reduziert, 900 Gr. Dieses Gewicht plus der Endbelastung, die
mit der Zahl 16 multipliziert wurde, ergab den Enddruck, bei
welchem die Zerstörung erfolgt und gilt als Mass für die Druck¬
festigkeit des geprüften Materials.
7
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586
Pr. Mas Kulka, Teschen. .
Da nun auch hier überall dfe gleichen Bedingungen ge¬
wahrt blieben, stehen die ermittelten Endbelastungen im Ver¬
hältnisse der Druckfestigkeitskoeffizienten.
Tabelle V.
, . Druckfestigkeit
Da eine Bestimmung des gepressten Querschnittes unmög¬
lich war (de facto wurde ja nur eine Linie gepresst), wurde der
kleinste bei dieser Prüfung erhaltene Wert (Lynton = 42-8 Kg)
als Einheit = 100 gesetzt und ich erhielt demnach durch
Multiplikation der für die anderen Zemente ermittelten Werte
mit folgendes Verhältnis der Druckfestigkeiten;
f
Aschers künstlicher Zahnschmelz . . . 158 6 Kg. = 371
Silicin ... 1 ...... . 158-5 , —370
Astral .... ... . . . . 132-9 „ = 311
Wolfeon , ... ..... . . 128-6 „ = 301
Harvard-Zement . . . ... . . 124-6 „ = 291
Harvardid improved IV .... . 109-3 „ =255
Schönbeck.103-3 „ = 241
Smaltid . . . . . . . ... .103-3 „ = 241
Speier . . 101-3 „ = 237
Harvardid Improved III.90-1 „ =211
de Treys Zement ........ 89-3 „ — 209
Loves Achat.. ... 79-2 „ =185
Hoffmanns Porzellanoid ..... 65-5 „ = 153
Lynton.. . 42-8 „ = 100
Härtebestimmung.
Zur Bestimmung der Härte der Zemente verfuhr ich
folgendermassen:
ln den konischen Bohrungen der Ebonitplatte (Fig. 2 d und b)
hergestellte abgestutzte Kegel wurden 3 Stunden an der Luft
und hierauf zirka 3 bis 4 W ochen unter Speichel plus Wasser
belassen, gesäubert, getrocknet und durch Ritzungsversuche in
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n, Zinkphosphatzemente. 587
die Mohssche Skala eingerfeiht. Proben, die an gleicher' Stelle
rangierten, wurden noch gegeneinander geprüft und es zeigte
sich, dass Aschers künstlicher Zahnschmelz und das Siiicin eine
Spur härter als Härtegrad 4 sind, die übrigen mit Ausnahme
von Hoffmanns verbesserten Porzellanersatz und Achat, die
weicher als Fluorit befunden wurden, haben den Härtegrad 4.
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588
Dr. Max Kulka, Teschfen.
Es ergab sich folgende Reihenfolge der Härtegrade:
{ 1. Aschers künstlicher Zahnschmelz,
2. Silicin;
3. Astral,
4. Schönbeck,
5. Smaltid,
6. Wolfson,
I 7. Speier,
^ 8. Harvard,
9. de Trey,
10. Lynton,
11. Harvardid rmproved IV,
12. Harvardid Improved III;
{ 13. Porzellanoid,
14. Achat.
Bestimmung des Widerstandes gegen Abnützung.
Zur Bestimmung des Widerstandes gegen Abnützung ver¬
wendete ich wie zu den Druckprüfungen hergestellte Zement¬
stäbchen von 3 Mm. Dicke und 7 Mm. Länge (Fig. 7 a). Diese
wurden, nachdem sie sich ebenfalls zirka 3 bis 4 Wochen
unter Speichel plus Wasser befunden hatten, an dem zur
Messung der Druckfestigkeit benützten Hebel mittels einer nach
Art eines Laufgewichtes in den rinnenartigen Vertiefungen ver¬
schiebbaren Einspannvorrichtung 3 Cm. vom Drehpunkte ent¬
fernt fixiert und mit 1 Eg. belastet auf ein Schleifrad aus
Karborundum aufgesetzt (Fig. 9).
Die Antriebsscheibe der auf der Fussplatte der Material¬
prüfungsmaschine befindlichen Schleifvorrichtung (Fig. 9) wurde
mittels der Bohrmaschinenschnur mit der Bohrmaschine ver¬
bunden und in Betrieb gesetzt. Nach zehnmaligem gleich-
mässig ruhigen Treten der Bohrmaschine, wobei das Schleif¬
rad, das vor jedem Versuche mit einer Bürste gesäubert wurde,
55 Umdrehungen machte, mithin einen Weg von 6*9 Meter
zurückgelegt hatte, bestimmte ich mittels eines Nonius, beziehungs-
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat* n. Zinkpbospbatzemente. 689
weise der Mikrometerschraube die erlittene Verkürzung der
Stäbe.
Der Volumverlust gilt als Mass für die Widerstands*
fähigkeit gegen Abnützung.
Ich fand folgende
Tabelle VI der
Abnützungsffthigkeil
Aschers künstlicher Zahnschmelz.0*10 Mm.
Silicin ..0-10 „
Speier.0’16 „
Harvard-Zement.. . 0'21 „
Loväs Achat.0'26 „
Astral.0*28 „
Harvardid lmproved IV.0*40 „
Wolfsons Porzellanfüllung.0-44 „
Schönbecks Silikatzement. 046 „
Smaltid.0'46 „
Lynton ...0-50 „
H offmanns Porzellanersatz.0*ö3 „
Harvardid III. 054 „
de Treys Zement.. . . . 0*56 „
Es muss auffallen, dass die Reihenfolge dieser Tabelle
nicht mit der der Härtegrade korrespondiert. Die Erklärung
dafür ist die, dass die meisten Zemente durch das längere
Liegen im Speichel in mehr oder weniger tiefer Schicht er¬
weichen und nur ein härterer Kern zurückbleibt. Beim Versuch
des Einreihens in die Härteskala ist es aber absolut unmöglich,
sofort mit dem ersten Strich den Härtegrad richtig zu be¬
stimmen, so dass durch das oftmalige Herumprobieren und
Prüfen die oberflächlich erweichten Schichten sukzessive ab-,
beziehungweise durchgerieben wurden und nur die Härte des
Kernes bestimmt werden konnte.
Bei der Prüfung auf Abnützung hingegen erscheint auch
die aussen erweichte Schicht der Zemente in die angegebenen
Zahlen einbezogen.
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690 Dr. Max Kulka, Teschen.
Porosität.
Die Porosität stellte ich folgendermassen fest:
* i
Kegelförmige, wie früher hergestellte, etwa 2 Tage an
der Luft belassene Blöcke wurden mittels der analytischen
Wage gewogen und hierauf in einem Rezipienten auf den Rand
eines in der Wandung desselben befindlichen stufenförmigen
Absatzes gelegt. Auf dem Boden des Rezipienten befand sich
eine zirka 3 Cm. hohe Schicht destillierten Wassers.
Nachdem die Luft aus dem Rezipienten vermittels einer
Wasserluftpumpe evakuiert war — leider war es mir nur
möglich, ein Vakuum von 65 Cm. zu erzielen, da der Wasser¬
leitungsdruck bei uns kein grösserer ist — wurden die Blöcke
durch Schütteln ins Wasser geworfen.
Nach zirka V* Stunde herausgenommen und abgetrocknet,
wurden .sie nochmals gewogen; die Differenz dieser Gewichte
und der vor dem Evakuieren ermittelten gibt den Unterschied
des Gewichtes des in die Poren eingedrungenen Wassers und
der früher darin befindlichen Luft.
Ich erhielt nach der Reihenfolge der Gewichtszunahme
folgende
Tabelle der Porosität.
Ascher.0*0014 Gr.
jSilicin .. 0 0014 „
» de Treys Impervious-Zement ...... 0*0016 „
Harvardid Improved IV. 0 0018 „
Dr. Wolfsons plastische Porzellanfüllung . . 0*0019 „
Astral. .. 0*0024 „
Dr. Schönbecks Silikatzement. 0 0029 „
Smaltid .. 0*0029 „
. Harvard-Zement .. 0*0032 „
Harvardid Improved III. 0*0033 „
Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz . . 0*4)034 „
Lynton . 0*0038 „
Lovös Achat. 0*0040 „
Dr. Speiers neuer Silikatzement ..... 0 0046 „
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n.' Zinkphosphatzemente. 591
Sodann brachte ich diese Blöcke in eine 0 a 5prozentige
wässerige Methylenblaulösung zur Bestimmung des Grades der;
Durchlässigkeit,
beziehungsweise wie tief eventuell Bakterien eindringen können.
Nach 24 Stunden wurden die Proben inspiziert und da,
fiel es mir vor allem auf, dass die verschiedenen Zemente,:
trotzdem bei der Herstellung aller Proben die Farbe Nr. 1,
also weiss, beziehungsweise gelblichweiss benutzt worden war,
verschieden gefärbt waren. Die Abstufung sehen Sie auf der
Tabelle links. Die, Intensität der Färbung ist natürlich in
erster Linie abhängig , von der Tiefe, bis zu welcher der Farb¬
stoff bereits eingedrungen war.
Dies trifft aber nicht bei allen Zementen zu und glaube
ich, dass für die dünklere Verfärbung der Oberfläche mancher
Zemente, trotzdem für alle ein und dasselbe Färbemittel ver¬
wendet wurde, der Grund darin zu suchen ist, dass durch
das 24 ständige Liegen in der färbenden Flüssigkeit die Ober¬
fläche bereits erweicht, beziehungsweise "teilweise aufgelöst und
arrodiert war, infolgedessen sie wie eine rauhe Wand oder ein
rauhes Papier von dem Farbstoff intensiver tingiert wurde.
Möglicherweise ‘ wurden die nach Grün spielenden
Variationen mancher Zemente durch den gelben Grundton
verursacht und ist es auch nicht ausgeschlossen, dass auf
eventuelle Reaktionen noch vorhandener Phosphorsäure im
freien Zustande die dunklen Farbtöne mancher Zemente zurück¬
zuführen sind, zumal es mir im Verlaufe meiner Versuche des
öfteren gelang, bei einigen Zementen noch nach Tagen freie,
also ungebundene Säure nachzuweisen, z. B. bei Hoffmanns
verbessertem Porzellanersatz in einem Falle noch am 21. Tage.
Am intensivsten gefärbt erwiesen sich Harvardid
Improved III, Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz, Doktor
Schönbecks Silikatzement und Smaltid, den schwächsten Farben¬
ton zeigten die Oberflächen der Proben aus Aschers künst¬
lichem Zahnschmelz und Silicin und hatte man bei diesen,
den Eindruck, als ob der Farbstoff nicht so recht haften
bleiben könne.
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tm
Dr. Max Kulka, Teschen.
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n Zinkphosphatzemente. 693
Nach siebentägigem Liegen in der Methylenblaulösung
wurden die Blöcke der Höhe nach gespalten, um zu sehen,
wie tief der Farbstoff bei den einzelnen Zementen eingedrungen
war. Wie Sie aus den Schnitten auf der Tabelle ersehen
können, erwiesen sich auch bei dieser Untersuchung die
Ascher* und Silicinproben als die besten, da der Farbstoff
absolut nicht eingedrungen war. Am tiefsten war er in Speiers
Zement, Lotös Achat und Lynton eingedrungen, einige Proben
des letztgenannten Zementes waren durch und durch blau
gefärbt. Harvard-Zement, Dr. Schönbecks Silikatzement, Smaltid,
Harvardid Improved III und Hoffmanns verbesserter Porzellan-
ersalz zeigten einen mehr oder weniger breit gefärbten Rand,
die beiden letztgenannten Zemente in einigen Fällen bis
1V* Mm., bei deTreys Impervious-Zement, Harvardid Improved IV,
Dr. Wolfsons plastischer Porzellanfüllung und Astral konnte
man deutlich Risse erkennen, die sich als blaue, mehr oder
weniger breite, von der Oberfläche gegen den Kern zu ver¬
laufende Striche repräsentierten und in einigen Fällen eine
Länge von 2 Mm. aufwiesen. Sonst konnte man unter diesen
letztgenannten Zementen nur bei Wolfsons Porzellanfüllung
einen deutlich gefärbten Rand erkennen.
Bestimmung der Adhäsion.
Als letzte der mechanischen Eigenschaften versuchte ich
die Adhäsion der einzelnen Zemente zu bestimmen, und zwar
folgendermassen:
Kleine, an einem Ende mit einer Fussplatte, am anderen
im ersten Drittel mit einem Schraubengewinde versehene, zur
Sicherheit vergoldete Metallstifte stellte ich auf den Boden
konischer, 5 Mm. tiefer und 4'/,, beziehungsweise 4 Mm. im
Durchmesser betragender Einbohrungen von Elfenbeinklötzchen
und kittete sie mit den betreffenden Zementen ein.
Nachdem ich nach einer Stunde Trocknens die Klötzchen
sechs Tage unter Speichelwasser gelassen hatte, wurde an die
Schraube eine mit einer entsprechenden Schraubenmutter ver¬
sehene Oese angeschraubt. Die Elfenbeinklötzchen mit der
Oese nach unten wurden in die entsprechende schaufei-
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504
Dr. Max Kulka, Teschen.
förmige Einspannvorrichtung Fig. 6 a eingeschoben und das
Ganze in dem kurzen Ansatz der Prüfungsmaschine befestigt
(Fig. 6), um dann wie früher mit dem Flaschenzug verbunden
und belastet zu werden. Zu meiner Ueberraschung wurden die
eingekitteten Stifte samt dem sie umgebenden Zementblock bei
fast allen Zementen durch eine ganz minimale und nicht
nennenswerte Belastung herausgerissen. Bei den nächsten
Kontrollprüfungen liess ich die Klötzchen vorerst zirka
•/* bis 1 Stunde trocknen, ehe ich an die Wiederholung der
Prüfung ging und siehe da, meine Gewichte reichten nicht
aus, um die Stifte herauszureissen.
Die Erklärung für diese Erscheinung dürfte folgende sein:
Das Elfenbein ist, wie ich aus mehreren Versuchen feststellte,
stark hygroskopisch. Durch die Wasseraufnahme quillt es auf
und ändert sein Volumen. Infolgedessen reissen die Wände
der Bohrungen sich von den eingefüllten Proben ab und
konnte ich letztere, wenn die Blöcke noch feucht waren, leicht
herausstossen.
Dass die Proben aber, wenn die Klötzchen völlig trocken
wurden, äusserst schwer herauszuziehen waren, ist ein Beweis,
zwar nicht für die Adhäsion, die ja bereits gestört war, so
doch für den ziemlich dichten Wandanschluss fast aller unter¬
suchten Zemente.
Um für diesen Wandanschluss einigermassen Zahlen auf¬
zufinden, schied ich Proben, die auch im feuchten Zustande
fester hafteten, also die Quellung des Elfenbeins mit-
gemacht hatten, aus und liess die übrigen nicht völlig
trocknen, sondern prüfte sie nach etwa 5 bis 10 Minuten,
nachdem sie aus dem Wasser genommen waren. Ich erhielt
folgende Werte:
Tabelle.
Speiers neuer Silikatzement ...... 27*333 Kg.
Harvard-Zement. 27*239 „
Lynton. 17*940 „
Achat. 16*740 „
. de Treys Impervious-Zement. 11*800 „
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkphosphatzemente. 696
Hoffmanns verbesserter Porzellanersatz . . 11-100 Kg.
Aschers künstlicher Zahnschmelz , . . . 10-487 „
Silicin.. . .. 10-380 „
Astral... 8-668 „
Schönbecks Silikatzement . 5-938 „
Smaltid ..; . , . 5 792 -
ff
Wolfsons plastische Porzellanfüllung . . . 3*800 „
Harvardid Improved IV . .... . . 3*680. „
Diese Zahlen, die allerdings nach den ausgeführten' Um¬
ständen nicht Anspruch auf zwingende Exaktheit machen
dürfen, geben also ein ungefähres Mass für den mehr .oder
weniger dichten Wandanschluss der einzelnen Zemente,
womit auch etwas gewonnen ist.
Ich halte überhaupt dafür, dass die Bestimmung des
Wandanschlusses, respektive der Festigkeit der Verankerung
der Zemente mit den Rauhigkeiten der Kavitätsflächen das
Entscheidende ist. Eine eigentliche Adhäsion, ein richtiges
Kleben der Zemente betrachte ich, in Hinsicht auf vielerlei
anderweitige Versuche, als ziemlich ausgeschlossen.
Adhäsions- oder klebfähig sind nur Kolloide oder Ge¬
menge, welche solche, wie Leim, Gelatine, Gummi arabicum,
Stärke in Lösung, also Kleister etc. enthalten. Doch müssten
wir jedes Zement, das etwa derartige fäulnisfähige Stoffe ent¬
hält, aus unserem Materialiensohatz kurzerhand entfernen.
Mithin bleibt für die Zemente nur die Möglichkeit eines
innigen Wandanschlusses und einer mechanischen oder stoff¬
lichen Verankerung mit dem Dentin übrig. Wie eine solche
stoffliche Verankerung denkbar ist, zeigt folgendes Beispiel.
Ein Nagel, in Holz oder in die Wand eingeschlagen, lässt
sich nach Jahren vier sch wieriger entfernen, ebenso löst sich
eine fest angezogene Schraube nach längerer Zeit viel schwerer:
Man sagt, der Nagel, die Schraube ist eingerostet.
Die miteinander durch längere Zeit verbundenen Körper
gehen an der Berührungsstelle durch Neubildung einer Zwischen¬
schicht, die als Kitt wirkt, ineinander über, in dem angeführten
Beispiele durch Bildung von. Rost. ■ ■ _ •
Digitized by
Google
Dr. Max Ktüka, Tescben.
m
Es liegt nun die Annahme nahe, dass es auch bei den
Zementfüllungen zur Neubildung einer Zwischenschicht, eines
Kittes, zwischen Zement und Wandung der Zahnkavität kommt,
durch Austausch chemischer Bestandteile oder auch dadurch,
dass die Zemente von der noch nicht gebundenen Säure etwas
an die umgebende Zahnwandung abgeben, wodurch diese
entkalkt wird und sich infolgedessen ein neuer Zwischenkörper
bildet, der als solcher natürlich schwer oder gar nicht kon¬
statierbar, nichtsdestoweniger aber vorhanden sein dürfte und
als Kitt wirkt.
Je inniger sich nun der Zement der Kavitätenwandung
anschmiegt, d. h. einen je besseren Wandanschluss er nach
vorliegender Tabelle zeigt, desto leichter dürfte es zur Bildung
dieser supponierten Zwischenschicht kommen, desto besser
haftet der Zement.
Die Werte der Tabelle geben uns also ein ungefähres
Mass für den möglichen Wandanschluss und damit indirekt
für die Haftfähigkeit der einzelnen Zemente. Weitere, anders
angeordnete Versuche, mit denen ich zurzeit beschäftigt bin
und bei denen ich die Hygroskopizität des Elfenbeins — denn
Elfenbein muss ich benutzen, um dem Dentin nahe zu kommen
— unschädlich zu machen hoffe, werden mich in die Lage
versetzen, nach einiger Zeit exakte Werte über die Haftfähig¬
keit und vielleicht vorhandene Adhäsionskraft der Zemente zu
veröffentlichen. Ebenso gedenke ich dann, eine sorgfältige
Darstellung der Strukturverhältnisse der geprüften Zemente der
Fachwelt mitteilen zu können und desgleichen Prüfungen über
die eventuellen Volumänderungen derselben beim und nach
dem Erhärten.
Chemischer Teil.
Ich übergehe nun zum zweiten Teile meines Vortrages
und will die^ Ergebnisse meiner Untersuchungen, die Löslichkeit
der Zemente in Säuren betreffend, besprechen.
Ueber die Wertung der Zemente durch Löslichkeitsversuche
in Säuren ist viel geschrieben und auch viel gestritten worden.
So wie bei diesen Versuchen wirken die Säuren im
Munde unter keinen Umständen, da sonst nichts von den
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Ueber die wichtigsten Eigenschaften der 8ilikat- u. Zinkphosphatzemente. 697
Z&hnen auch nur nach einem Jahre übrig bleiben könnte, wie
ich nachzuweisen in der Lage bin.
Man muss sich immer vor Augen halten, dass durch den
Reiz einer jeden in den Mund eingeführten Speise, besonders
aber der säurehältigen Speisen die Speichelsekretion mächtig
angeregt wird, so dass die Säuren durch den reichlich zu-
fliessenden alkalischen Speichel fast momentan neutralisiert
und verdünnt, weiters durch die gleichzeitig reflektorisch sich
einstellenden unwillkürlichen Schluckbewegungen aus der Mund¬
höhle rasch entfernt und infolgedessen unschädlich gemacht
werden; dazu kommt noch der Umstand, dass nachgewiesener-
massen im Munde eines Erwachsenen normaliter innerhalb
24 Stunden zirka 1*/, Liter Speichel sezerniert werden.
Nichtsdestoweniger bestimmte ich des Vergleiches halber
und um ein Mass zu finden die Löslichkeit der von mir ge¬
wählten Zemente in Milch- und Essigsäure, als die am meisten
in Betracht kommenden Säuren.
Zu diesem Zwecke hängte ich Proben, die vorher 16 Tage
unter Speichel und Wasser gelegen waren, nach genauer Be¬
stimmung ihres Gewichtes in Seidenbeutelchen suspendiert in
O'öprozentige Lösungen von Milch- und Essigsäure ein.
Ich wählte diese Form des Einhängens, um in der Nähe
der Proben eine Sättigung an gelösten Substanzen zu vermeiden.
Wird nämlich in der Nähe eines auf seinen Lösungsgrad
zu untersuchenden Körpers die Lösungsflüssigkeit mit gelöster
Substanz gesättigt, so kann die ungesättigte Flüssigkeit selbst¬
redend nicht früher angreifen, sie bleibt inaktiv, insolange nicht
die gelösten Substanzen weggeschwemmt werden.
Ersteres vermied ich, beziehungsweise letzteres erreichte
ich automatisch durch dieses Einhängen der Proben. Die in
der Umgebung der Proben gelösten Substanzen sinken, weil
spezifisch schwerer als die Lösungsfähigkeit, zu Boden und die
ungesättigte Flüssigkeit kann wieder weiter angreifen. Es ent¬
steht gewissermassen eine Flüssigkeitsströmung, ähnlich wie
beim Lösen von Zucker oder Salz im Wasser, wo sie mitunter
mit freiem Auge sichtbar ist.
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508 Dr. Max Kulka, Tescheü.
Nach 24 Stuüden nahm ich die Proben heraus — durch
dieses gewissermasse Aufrühren entstand bei manchen Zement¬
proben, momentan eine wolkige Trübung der Flüssigkeit —
bürstete sie mit einer reinen, mit Wasser angefeuchteten Zahn¬
bürste ab, Kess sie eine Zeitlang trocknen und bestimmte ihr
Gewicht aufs neue.
Nach den Gewichtsverlusten geordnet, ergab sich:
Verluste in 0*5 prozentiger Milchsäurelösung.
Absol. Gewichts¬
verlust in Mgr.
Verlust in
Prozenten
Aschers künstlicher Zahnschmelz
. . 7-7
7*1
Silicin . . ; . . . . . .
. . 7-8
7-2
Astral ... . . . . . .
. . 8-7 '
80
Harvardid IV . . ... . .
.. 8-8
8-3
Schönbeck . . . . . . . .
. . 10-3
28-6
Smaltid . ... . . . . .
. . 10-3
28-5
Achat.
. . 211
11-6
Harvard-Zement . . ... .
. . 21*1
12-5
de Trey ........
. . 21-7
11*7 ;
Speier..
. . 22*5
12-3
Hoff mann ...
. . 23-7
22-7
Harvardid III ...... .
. . 23-9
21-3
Lynton.
. . 244
16-3
Wolfson.
. . 34-8
29-7
Natürlicher Zahnschmelz zum Vergleich 21*0
28-5
Verluste in 0*5 prozentiger Essigsäurelösung.
Absol. Gewichts¬
verlust in Mgr.
Verlust in
Prozenten
Aschers künstlicher Zahnschmelz.
. 0*1
0-09
Silicin.. . .
. 01
0*09
Astral ..........
. 0-2
0-18
Schönbeck.
1-4
1-22
Smaltid . ... . . . . .
P4
1-22
Wolfson . . ■..
. 3-1
2-64
Harvardid IV . . . . . .
. 4-0
4-31
Speier ..........
. 6-8
3-57
Harvardid HI.
. 7-0
6-17
Digitized by e
Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- u. Zinkphospliatzemente. 699
Lynton .......
Absol. Gewichts*
verlost in Mgr.
• • 7 -1
Verlust in
Prozenten
4-70 ,,
Hoffmann.. . .
... 7-2
6*78 „
Harvard-Zement.
... 8-6
5-04 ,
Achat .
. . . . 11-6
6-38
de Treys Zement . . . ,
. . . . 12-8
719
Natürlicher Zahnschmelz zum
Vergleich 7-7
12-38
Es interessierte mich nun, vergleichsweise zu erfahren,
wie sich wohl der natürliche Zahnschmelz in Säuren von
diesem Konzentrationsgrade verhalten mag, ob und inwieweit
er auch attakiert wird.
Zu diesem Zweck verwendete ich vollkommen intakte
Eckzähne, kniff die Kronen an der Wurzel hart an der
Zementgrenze ab, spaltete sie frontal und bohrte mit einem
Rosenbohrer alles Dentin sorgfältig aus, so dass nur die dünne
Schmelzhülle übrigblieb.
Einzelne Teile dieser Schmelzhülle wurden genau ge¬
wogen und wie früher in 0‘5 prozentige Milch-, beziehungs¬
weise Essigsäure eingehängt.
Nach 24 Stunden herausgenommen und ebenso be¬
handelt wie die untersuchten Zemente, ergab sich das höchst
interessante Resultat, dass der natürliche Zahnschmelz
in der Milchsäure einen absoluten Gewichtsverlust
von 21 Mgr., das ist in Prozenten ausgedrückt 28*5 Pro¬
zent und in Essigsäure einen absoluten Gewichts¬
verlust von 7-7, das ist 12*38 Prozent erlitten hatte.
Der natürliche Zahnschmelz kommt also in beiden
Fällen beinahe schlechter weg, als der schlech¬
teste Zement und ist wohl durch dieses Untersuchungs¬
ergebnis der sicherste Beweis erbracht, dass mit der bisher
üblichen Wertung der Zemente durch Prüfung ihrer Säure¬
beständigkeit nicht der richtige Weg eingeschlagen wurde.
Es lag also für mich die Beantwortung der Frage vor, wieso,
es doch kommt, dass so viele, ja man kann nach den bisherigen
praktischen Erfahrungen ruhig behaupten, die meisten Zemente
nach mehr oder minder kurzer Zeit sich im Munde auflösen und
schwinden, während der natürliche Zahnschmelz- intakt bleibt?
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600
Dr. Max Kulka, Teschen.
Die Säuren können nach dem vorherigen Prüfungs¬
resultat nicht unbedingt verantwortlich gemacht werden und
auch von den Alkalien wissen wir aus den bisherigen un¬
zähligen Versuchen, dass sie in schwacher Konzentration
absolut gar keinen oder auf manche Zemente nur einen
geringen lösenden Einfluss ausüben.
Man sah eben bei den bisherigen Versuchen
den Wald vor lauter Bäumen nicht!
Wie bereits erwähnt, sezemieren die Speicheldrüsen im
Munde eines gesunden erwachsenen Menschen ungefähr
1*1 2 Liter Speichel. Das ist doch ein Faktor, mit dem ge¬
rechnet werden muss, der also nicht unbeachtet und ungeprüft
gelassen werden durfte.
Der Speichel aber ist der Hauptsache nach eine
wässerige Flüssigkeit und vom Wasser wissen wir, dass es
unter allen Lösungsmitteln mitunter weitaus das beste sein kann.
Meine Aufgabe war es daher, zu untersuchen, welchen
Einfluss wohl der Speichel als solcher, das heisst als flüssiges,
wässeriges Medium auf die Zemente ausübt, um die mir
gestellte Frage zu lösen.
Zu diesem Zwecke holte ich mir vor allem ein früher
erhaltenes und wohl notiertes Prüfungsresultat hervor, das mir
bisher nicht ganz klar gewesen war.
Ich hatte nämlich im Verlaufe meiner Versuche, auf¬
richtig gesagt nur aus Spielerei, mehrere Proben nach drei
Stunden langem Trocknen genau gewogen und dann, ohne
zu evakuieren, unter Speichel und Wasser gebracht, um zu
kontrollieren, ob und wann die Zemente genau soviel Flüssig¬
keit aufnehmen werden, als die bei den Porositätsprüfungen
für jeden Zement gefundenen Werte angaben.
Nach ungefähr 16 Tagen nahm ich die Proben heraus und
wog sie genau. Da nun aber die wenigsten eine Gewichtszunahme
zeigten, die meisten vielmehr einen Gewichtsverlust aufwiesen,
wusste ich mit diesem Ergebnis nichts Rechtes anzufangen.
Jetzt aber verstand ich die Zahlensprache, zog von den
notierten Werten bei jedem Zement den für das Porositäts¬
verhältnis gefundenen Wert ab und es ergab sich, dass bei-
Digitized by Google
Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Silikat- n. Zinkpliosphatnemente. 601
nahe alle Zemente im Speichel und Wasser Gewichtsverluste
erlitten hatten.
Um nun die durch diese Subtraktion empirisch gefundenen
Werte durch das Experiment zu überprüfen, stellte ich mir
wiederum von jedem Zement je drei gleich grosse Proben her.
Diese wurden nach 3 Stunden langem Trocknen in dünnen
Röhrchen mit einer Spur von Wasser bedeckt und so 48 Stunden
belassen, um dem Erhärtungsprozess Zeit zur Vollendung zu
geben, dann wurden sie nach 3 Stunden langem Trocknen genau
gewogen, hierauf ähnlich wie bei den Säureprüfungen in Seiden¬
beutelchen suspendiert, diesmal aber in pures Wasser ein¬
gehängt und die Lösungsgefässe in den Thermostaten gestellt.
Das Wasser wurde täglich zweimal erneuert und gleichzeitig
die Proben bei dem jedesmaligen Wasserwechsel durch einen
kräftigen Wasserstrahl von etwa bereits gelöster, aber noch
anhaftender Substanz gesäubert.
Nach zirka 4 Wochen wurden die Proben heraus¬
genommen, abgebürstet, eine Zeitlang an der Luft getrocknet
und schliesslich wieder genau gewogen.
Nach den sich dabei ergebenden Gewichtsverlusten ge¬
ordnet, erhielt ich folgende Tabelle:
Gewichtsverluste der Zemente im Wasser:
Absol. Gewichts- Verlust in
verlast in Mgr. Prozenten
Aschers künstlicher Zahnschmelz
. . -
—
Astral.
. . —
—
Silicin.
. . —
—
de Treys Impervious-Zement . .
. . 1-7
1*1
Harvard-Zement.
. . 2-2
1-4
Schönbeck .
. . 2-5
2-4
Smaltid.
. . 2.5
2-4
Harvardid Improved IV . . .
. . 2-6
2-8
Achat.
. . 2-8
1-8
Speier.
. . 4-0
2-4
Wolfson.
. . 4-2
4-1
Lynton.
. . 5-5
4-9
Harvardid III.
. . 6-4
6-7
Porzellanoid.
. . 101
11-7
8
Digitized by v^ooQle
602 Dr. Max Kulka, T es eben. Ueler die wichtigsten Eigenschaften etc*
Diese letzte Prüfung und die dabei gefundenen, Zahlen,
besagen meiner Ansicht nach viel mehr und sind viel [ sicherer
für die Weitung der Zemente in bezug auf ihre Löslichkeit,
als alle Säureprüfung.
Indem ich mich darauf beschränke, die von mir aus¬
gestellten Tabellen für sich selbst reden zu lassen, will ich
zum Schlüsse nur mit kurzen Worten das Gesamtergebnis
streifen. .
Ein Ueb erblick über das gefundene Zahnmaterial lehrt:
Abgesehen von ihren vielfach gerühmten ästhetischen
Eigenschaften sind die bekannten Silikatzemente in
chemischer'Hinsicht, in ihrer Widerstandsfähigkeit gegen
lösende Agentien, wie Wasser und Säuren, den Zinkphosphat-
zementen entschieden und zuweilen beträchtlich
überlegen; in ihren mechanischen Eigenschaften, von denen
sich leider die Haftfähigkeit der exakten Prüfung entzog, er¬
gaben sie häufig, das bekannteste Silikatzement, Aschers
künstlicher Zahnschmelz und das in Oesterreich und Ungarn
seit jüngster Zeit sehr beliebte Silicin, durchwegs einen
ganz erheblichen Fortschritt.
Diese Resultate stimmen auch vollkommen mit den in
der Praxis sowohl mit den Silikat- als auch mit den Zink¬
phosphatzementen gemachten Erfahiungen überein und habe
ich demnach den vollständigen Beweis erbracht, dass es ganz
wohl möglich ist, durch exakte Laboratoriumsprüfungen, wenn
diese nur den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend ange¬
ordnet werden, sich von der Brauchbarkeit eines Zementes in
kurzer Zeit zu überzeugen.
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Zahnarzt G. Haase, Coblenz. Ueber $ie Beziehungen etc.
603
Nmcbdrock nur mit genauer Quellenangabe gestattet
Heber die Btziekojp zwiscta der Kristalltestalt and dei
Fomreräedrap der Z airo maipn'
f Von G. Hasse , Zahnarzt in Coblenz.
f
Es mögen 70 Jahre vergangen sein, seitdem Charles
Tomes sich bereits mit der Struktur unserer Amalgapne
beschäftigte. Zu welchen Ergebnissen er bei der damaligen
Unvollkommenheit der optischen Instrumente gelangte, ist nicht
bekannt geworden, da Aufzeichnungen über die Art der Kristalle
und über den Weg, sie dem Auge sichtbar zu machen, fehlen.
Wenn ich nun heute an dieser Stelle auf denselben, lapge
vergessenen Gegenstand zurückkomme, so geschieht es nicht
allein, um eine Lücke auszufüllen, sondern weit mehr in der
Absicht, Sie, geehrte Kollegen, anzuregen, den exakten Natur¬
wissenschaften eine grössere Aufmerksamkeit zu schenken,
damit unser wichtiges Spezialfach, welches in seinem an¬
gewandten Teile fast ganz auf technische Hilfsmittel angewiesen
ist, auf der Höhe der Zeit bleibe. Wir gebrauchten reichlich
25 Jahre, um die Ursache der Formveränderungen in groben
Zügen aufzudecken, ohne zu wissen, dass dieses Problem,
soweit es auf physikalischem Gebiete liegt, von deutschen
Kristallographen längst in aller Gründlichkeit gelöst war.
Bei der Bereitung des plastischen Amalgams hatte die
Erfahrung schon früh gelehrt, dass alte abgelagerte Späne
wesentlich andere Eigenschaften als neue besitzen. Sie erfordern
weniger Hg zur Auflösung, verlängern die Dauer der Plastizität
und vermindern auch die Veränderlichkeit. Aber erst G. V. Black
erkannte den molekularen Ursprung, nachdem es ihm zu Ende
des vergangenen Jahrhunderts gelungen war, frische Späne
-durch kürzeres oder längeres Erwärmen im Wasserbade bei
» Voitrag, gehalten auf der 79. Versammlung deutscher Naturforscher
du l Aerzte in Dresden (September 1907).
8 *
Digitized by v^ooQle
604
Zahnarzt G. Hasse, Coblenz.
bestimmten Temperaturen in den alten Zustand überzuführen.
Hieran anknöpfend stellte er die Schwankungen des Volumens
an einer Reihe bekannter Amalgame durch exakte Messungen
kleiner Zylinder, welche teils aus frischen, teils aus erwärmten
Spänen hefgestellt waren, ziffernmässig fest und wies durch
Vergleich der Resultate nach, dass das Mischungsverhältnis für
unsere Amalgame kein beliebiges sei, sondern sich nach be¬
stimmten Proportionen regeln müsse. Seitdem hat dieses
wichtige Füllungsmittel eine wesentliche Verbesserung erfahren,
aber ein geringer Grad von Veränderlichkeit ist aller Be¬
rechnung zum Trotz bestehen geblieben. Black selbst gibt für
die reine J^-Sto-Legierung, bestehend aus 65% Ag -f 35% Sw,
eine Kontraktion von 25/* und für die modifizierten Legierungen,
welche neben der Stammlegierung von 61*75% Ag + 33*25% Sn
noch 5°/o eines anderen Metalles enthalten, eine solche von
12*5 /* für Om, von 15/* für Bi , von 17*5 /* für Au und von
25/* für Fb an. Cd und Zn bewirken eine Expansion von
12*5 und 22*5/*.
Neuere Versuche, die Ruhelage auf Grund der angeführten
Werte durch zweckmässige Kombination der Zusätze zu ge-
gewinnen, sind, wie nicht anders zu erwarten war, gleichfalls
ergebnislos verlaufen. Denn die letzte Bewegung entfliesst aus¬
schliesslich der chemischen Verwandtschaft und bedingt wegen
der gegenseitigen Beeinflussung während des Lösungsvorganges
eine ungleiche Dissoziation mit der natürlichen Folge der Volum-
schwänkungen. Dass sie jedoch vermieden werden können,
geht aus den Messungen Blacks an den reinen Ag-Sn-Le -
gierungen hervor. Sie liefern den unanfechtbaren Beweis, dass
vollständige Unveränderlichkeit aus physikalischen Gründen bei
gewöhnlicher Temperatur allerdings nur in einem einzigen
Falle möglich ist.
Folgende Legierungen
40 Ag -f- 60 Sn haben 22*5/* Kontraktion und 7*5/* Expansion
45 Ag 55 Sn „ 27-5/z „ „ 2-5 p „
50 -Ag + 50 Sn „ 42-5/z „ „ 2‘5/z „
55 Ag + 45 Sw „ 45 jx „ „ — „
Digitized by v^ooQle
Ueber die Beziehungen zwitcben der Kristallgestalt etc. 605
60 Ag + 40 Sn haben 42'5 p Kontraktion und — Expansion
65^ + 355» „25 p „ „ - • „
70^ + 30Sn „ 17-5/1 „ „ -
75 4, +25 ä. „ - „ „ 15/.
Bei einem Vergleiche dieser Ziffern findet man, dass die
Zu- und Abnahme des Volumens mit der gleichmässig fort¬
schreitenden Aendei;ung der Zusammensetzung nicht gleichen
Schritt hält, sondern kürzere oder längere Sprünge macht, die zu
den Atomgewichten in einem bestimmten Verhältnis stehen. In
den leicht ableitbaren Formeln für die Grösse der Schwankungen
sind die Divisoren umgekehrt den Quotienten proportional,
aber es lassen sich die innern Beziehungen zwischen Divisoren
und Atomgewicht nicht genau erkennen, weil die Abstufungen
in den Gewichtsverhältnissen leider nicht wissenschaftlich ge¬
wählt sind. Mit der Zunahme das Ag findet gleichzeitig eine
ebenso grosse Abnahme des Sn statt, so dass der Einfluss
des einen Metalles auf das andere nie genau eingeschätzt
werden kann. Immerhin genügen für unsere Zwecke die vor¬
handenen Angaben. Bringt man den Sachverhalt graphisch
zur Darstellung, indem man das Mischungsverhältnis auf die
Abszisse eines Koordinatennetzes einträgt und danach den Ver¬
lauf der Ag- und &»-Linie bestimmt, so erhält man durch
Lotung für eine jede Legierung den höchsten Punkt der Kon¬
traktion und Expansion von der Ordinate als Gleichgewichts¬
linie gedacht. Verbunden geben die Punkte den Gang der
Schwankungen als Kurven an. In den drei ersten Legierungen
mit einem Gehalt von 40 bis 50*/ o Ag tritt über der Kon¬
traktionskurve noch eine kleinere für die Expansion auf, welche
sich mit der ersteren durch Zeichnung nicht in Verbindung
bringen lässt, weil sie die entgegengesetzt wirkende Kraft an¬
zeigt. Aber gerade durch das Fehlen eines Verbandes und durch
die Grösse ihrer Abstände weisen sie auf hohe Spannungen und
auf die stärkere Zuneigung des Sn zum Ag als zum Hg hin,
was besonders auffallend bei der Gleichheit der Mengen zur
Geltung kommt. Das Ag muss von einer Hülle Zinnatome um¬
geben und so gegen die erste Einwirkung des Hg geschützt
sein. Unmittelbar nach der Beendigung der Kontraktion setzt
Digitized by v^ooQle
Ueber die Beziehungen zwischen der Kristallgestalt etc.
607
in ihren Höhenpunkten entgegengesetzt wirkend die Expansion
ein und bezeichnet damit den Durchbruch der Hölle, sowie
den neuen Einfluss des Ag. Bei einem Gehalt von 55 bis 75%, Ag
verschwindet die zweite Kurve ganz und die Bewegung schreitet
in bestimmten Abständen nur in e i n e r Richtung zur Ordinate
ansteigend und darüber hinaus fort. Daraus geht hervor, dass
mit der Zunahme des Ag der hemmende Einfluss des Sn auf
die Dissoziation schwindet. Die Hölle ist lückenhaft geworden
und lässt das Hg von vornherein gleichzeitig auf beide Metalle
einwirken. Nach weiterer Verminderung des Sn wird endlich
im Schnittpunkt der Ordinate bei 7jJ*75 °/„ Ag nicht nur das
molekulare, sondern auch das räumliche Gleichgewicht erreicht,
womit selbstverständlich jede Bewegung aufhört. Alle anderen
Legierungen. müssen, man darf die Sache drehen und wenden
wie man will, immer Kontraktion oder Expansion besitzen.
Der Uebertritt der Kurve ins Expansionsgebiet selbst
führt zu einer sehr charakteristischen Erscheinung. Aus mathe¬
matischen und physikalischen Gründen erfolgt an dieser Stelle
eine , horizontale und vertikale Achsendrehung der Moleküle
um 180° und so beobachten wir an unseren Amalgamen,
welöhe etwas über der Ordinate liegen, eine Reihe paralleler
Verwachsungen der Kristalle.
: Wie verhält sich nun die Wirklichkeit zu dieser theoretischen
Betrachtung? Es gibt zwei Wege, welche einen Einblick in den
verwickelten Zusammenhang der Dinge gestatten. Der erste liegt
auf dem Gebiete der Lösungen und wurde zuerst von Adolf
Witzei in den Tauchversuchen flüchtig betreten. Die Chemie
bedient sich heute der Lösungen in verdünnter Form mit Er¬
folg und ist durch sie bereits zu wertvollen Entdeckungen des
selbständigen .Auftretens und der Verkettung der Atome in
den Legierungen, sowie einiger chemischer Verbindungen in
ihnen gelangt. Hier wird uns in Zukunft nur die Arbeit des
Sichtens für 1 unsere Zwecke übrig bleiben. Der zweite Weg,
gangbar gemacht durch das Mikroskop und die photographische
Platte, liegtauf dem Gebiete der Kristalle. Sie zu finden schien
mir wichtig, um zu ermitteln, in welcher Weise sie an den
Formveränderuhgen Anteil nehmen.
Digitized by v^ooQle
608
Zahnarzt G. Hasse, Coblenz.
Unsere Amalgame sind bekanntlich Lösungen kristal¬
linischer Legierungen in Eg und unterstehen, gleichviel ob
plastisch oder fest, nach den Untersuchungen van’t Hoffs
der Wirkung des osmotischen Druckes. Die Löslichkeit der
Legierungen ist ungleich und hängt ihrer Zusammensetzung nach
von den chemischen und physikalischen Eigenschaften, sowie
von der Temperatur ab. Da sich jedoch die Eigenschaften der
Körper in den Kristallen widerspiegeln, so muss bei der Auf¬
lösung auch die Gestalt in Gewicht fallen, und zwar nicht bloss
bei vorhandener Ungleichartigkeit, sondern auch wenn De¬
formationen in grösserem Umfange vorliegen. Darum ist die
Kenntnis der morphologischen Verhältnisse der Füllungs¬
legierungen und der Wirkung des Zerkleinerungsaktes für die
Beurteilung des Lösungsvorgangs und der sich daran knüpfenden
Folgeerscheinungen unbedingt erforderlich.
Die Untersuchung kann wegen der Undurchsichtigkeit der
Materie nur auf die Oberfläche der Gussblöcke und auf plane,
fast strichfreie Schliffe ausgedehnt werden. Dünnschliffe von
0*01 Mm. Dicke hellen sich bei durchfallendem Lichte zwar auf,
lassen die Grenzlinien der Kristalle aber nicht mit der Klarheit
erscheinen, wie es bei auffallendem Licht der Fall ist. Auch
Röntgenstrahlen, von Heycock und Neville für Au-Na-
Legierungen mit Erfolg angewandt, eignen sich für unsere
Legierungen wegen der gleichmässig schwarzen Färbung des
Bildes nicht. Das gleiche gilt für Radiumemanation.
Als Objekte dienten die reinen und modifizier I enLegierungen
Blacks, sowie ähnliche, denen Cr in minimaler Menge bei¬
gefügt war, um die schnelle Erstarrung aufzuhalten. Die Guss¬
blöcke zeigen teils dem blossen Auge, teils bei zehnfacher
Lupenvergrösserung die Ansätze zur KristallisatiQn, aber selten
so rein, dass man daraus die einzelnen Formen ohne weiteres
erkennen könnte. Prismatische Anlagen verursachen Bi, Cd und
JZn, deutliche Würfel das Cr. Wie nirgend sonst tritt in der
-4$r-0-Legierung ein Netzwerk erhabener, 1 bis l 1 /» Mm. langer
paarig gefiederter Linien hervor, welche zu mehreren von einem
Scheitelpunkte auslaufen und deren Nebenlinien stets in einem
Winkel von 45 • auf sie stossen. Sie setzen sich alle aus perl-
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Ueber die Beziehung« zwischen der Kristallgestalt etc. 609
schnurartig, diagonal aneinander gereihten kleinsten Würfeln
zusammen und zeigen so den an vielen Punkten beginnenden
Gang der Kristallisation an. Die Bildung erinnert ganz an echte
Bronzen. Leider ist der Legierung eine Zähigkeit eigen, welche
der Zerkleinerung den grössten Widerstand entgegensetzt
Die Kristalle sind an ihren Umrissen bei hundertfacher
Vergrösserung unter der Okularlupe an schräg gestellten Schliffen
oder noch besser in der horizontalen Ebene mittels Vertikal¬
illuminators erkennbar. Sie ruhen einzeln oder als Aggregate
ein- bis zweifachen Grades regellos verteilt in einer homogenen
Grundmasse. Letztere kann in grösserer Menge, aber auch
äusserst spärlich vorhanden sein, so dass sie den Anschein
gröberer oder feinerer Gewebsmaschen erweckt. Ueber ihre
Zusammensetzung ist nichts bekannt, wahrscheinlich besteht
auch sie aus allerkleinsten engverbundenen Kriställchen. Die
Aggregation führt zu unregelmässig gestalteten Gebilden, die
hie und da der Kristallform der eigenen Individuen sehr nahe
kommen. Die Deutung der Kristalle erfordert grosse Uebung
und zuweilen starke Vergrösserungen, wobei kunstgerecht polierte
und geätzte Schliffe als Grundlage dienen.
Die reinen -d^-Sn-Legierungen enthalten Rhomboeder,
hexagonale Prismen und Würfel, von denen die eine oder
die andere Form nach der jeweiligen Zusammensetzung das
Uebergewicht oder die Alleinherrschaft hat. In der Legierung
von 40 Ag -(- 60 Sn finden wir in reichlicher Grundsubstanz
sowohl das hexagonale als auch das reguläre System vertreten.
Unverkennbar ist die Beeinflussung der Stammlegierung durch
Z usätze.
Bi, hexagonal kristallisierend, verdrängt den Würfel ganz.
Es erzeugt in allen Schichten des Gusses grosse, doppelt ge¬
gliederte Aggregate bis zu 90 //, welche gepresst aneinander
liegen und nur wenig Platz für isolierte Rhomboeder und
Grundsubstanz lassen. Au in Verbindung mit Cr ruft Oktaeder-
und vielleicht auch Rhombendodekaederbildung hervor. In den
unteren Schichten sind die Kristalle zum grössten Teile isoliert,
in den oberen und mittleren lagern Aggregate ein- bis zwei-
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610
Zahnarzt G. Hasse, Cobletoz
fachen Grades mit einem Durchmesser bis 80 //. Die Grund¬
substanz fällt etwas reichlicher als bei Bi aus.
Cd erzeugt Rhomboeder von- etwa - 30 g Durchmesser.
Einzelheiten sind wegen hohen Glaüzes und gleichmässiger
Färbung unsichtbar.
Das hexagonale Zn ruft äusserst kleine Prismen gleichen
Gharakters bis zu 18 // Lange in ein* bis zweigliedrigen Aggre¬
gaten hervor. Die einzelnen Haufen sind stark verzogen und
von mässiger Grundsubstanz eingehüllt.
Cu und Cr bewirken reguläre Würfelbildung mit geringer
Grundsubstanz. Die Aggregate sind einfach gegliedert und bei
Cr sehr gross. Die Kristalle haben hier etwa 7 g und bei Cu
10 bis 12// Durchmesser.
Nächst der Grösse ist die chemische Konstitution von
Bedeutung. Ag und Sn sind in allen Verhältnissen mischbar,
aber sie sind es nicht in dem Sinne wie Ag und Au , jeder¬
zeit isomorphe Mischungen bildend. Freilich, unter gewissen
Bedingungen der Zusammensetzung werden auch sie als solche
angesprochen werden müssen, wenn sich nämlich die Ver¬
mutung Behrens, dass Ag< Sn und Ag B Sn chemische Ver¬
bindungen sind, bestätigen sollte. Ich erwähne diesen Fall hier
nur, um auf die Verwandtschaft beider Metalle hinzuweisen.
Gewöhnlich sind ihre Beziehungen lockerer Natur, indem sie
entweder als reguläre Würfel oder hexagonale Rhomboeder
auftreten. Dass aber auch hier bereits eine Umstellung der
Moleküle untereinander stattgefunden haben muss, unterliegt
keinem Zweifel und ist aus der. eigepartigen Natur des Sn
leicht zu erklären. Obschon im Prinzip rhombisch veranlagt,
zeigt es in seiner ganzen Entwicklung eine so starke Anlehnung
an den regulären Würfel und das hexagonale Prisma,< dass die
direkte Ueberleitung zu dieser Form viel mehr Berechtigung
als zum eigenen tetragonalen Prisma hat, zu dem jede Brücke
fehlt. Von welcher Art der Zusammensetzung die Legierungen
auch sein mögen, alle sind inhomogen und besitzen eine jede
für sich einen bestimmten konstant bleibenden Erstarrungspunkt.
Es sind nach chemischem Sprachgebrauch eutektische Gemische.
Vollkommen unentschieden ist gegenwärtig noch die Ein-
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Uebtr die Beziehungen zwischen der Eristallgestalt etc. 611
Wirkung der Zusätze auf die Stammlegierung. Ob sie als dritte
oder vierte Komponente in die vereinigten -4</-iS»-Moleküle
cinrücken oder ob sie neue getrennte Molekülgattungen mit
Ag und Sn bilden, wird die nächste Zeit lehren. Stark kann
üie Verkettung jedenfalls nicht sein, da sie bereits durch die
A malgamierung geschieden werden.
Von den Kristallen, welche an der Bildung unserer
Füllungslegierungen wesentlichen Anteil nehmen, sind die
chemischen Formeln für das hexagonale Rhomboeder von
Ag t Sn und für den regulären Würfel von Ag , Sn durch
Behrens bekannt geworden, nachdem er diese Legierungen
rein dargestellt hatte. Abgestufte Messungen von entsprechenden
Amalgamen sind nur für Ag + Sn vorhanden. Um nun zu
ermitteln, in welchem Verhältnis das Atomgewicht, hier ver¬
körpert durch den Würfel, zum Mischungsgewicht steht, rechnete
ich die chemischen Formeln auf letzteres um. Dabei ergab sich,
dass Ag t Sn auf 323*79 Ag 119 Sn enthält, während das Amalgam
für die Ruhelage 121*027 Sn beansprucht. Demzufolge ist das
Atomgewicht um 2*027 kleiner als das Mischungsgewicht. Der
Ursprung dieser Differenz wird sich unfehlbar ermitteln lassen,
sowie erst systematische Messungen für die .A<jr-Sn-Legierungen
vorliegen, dafür bürgt die Bewegungskurve. Der tiefste Punkt
der Kontraktion liegt nicht senkrecht unter dem Schnittpunkt
der Ag- und Sn-Linie, wie man erwarten sollte, sondern ist
etwas seitwärts zur Zinnlinie, gerückt und in dieser Verschiebung
liegt einstweilen noch das Geheimnis.
Die Deformationen, welche die Füllungslegierungen : durch
die Zerkleinerung erleiden, sind dreierlei Art. Nach dem Grade
der Fertigkeit und der Art der geschichteten Anordnung der
Moleküle, müssen Bruch (*= Schnitt), Spaltung und Gleitung
nebeneinander mannigfaltig abwechseln. Gerade die letzte Eigen¬
schaft erscheint mir für die Erklärung der ersten- Formver-;
änderungen, welche B1 ack als molekulare bezeichnet, besonders
wertvoll. Die Gleitung kommt durch mechanischen Druck in der
Weise zustande* dass zwischen einer grossen Zahl paralleler
Ebenen die Verschiebung der Moleküle in bestimmter Richtung
sich leicht vollzieht,: wodurch der Kristall in zwei und mehr
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Zahnarzt G. Hasse, Coblenz.
Lagen auseinander gezogen werden kann. Aber sie gestattet
auch andererseits in vielen Fällen eine Drehung um die senk¬
recht zur Gleitfläche stehende Achse und führt, da diese häufig
mit der Zwillingsebene zusammenfällt, direkt zur Zwillings¬
bildung. Reu sch beobachtete die Gleitung zuerst an dünnen
Lamellen des Kalkspats durch Pressung. Er fand, dass eine
kleine künstlich hervorgerufene Verschiebung bis zu einer
gewissen Grenze allmählich von selbst, schneller noch durch
Erwärmen rückläufig gemacht werden kann. Der Kristall zeigt
nun alle seine früheren Eigenschaften wieder. War die Grenze
indessen überschritten, so folgte ganz ohne Antrieb eine weitere
Verschiebung, bis die Zwillingsstellung erreicht war. Bei der
Fortsetzung der Schiebung wiederholten sich die einzelnen Vor¬
gänge in derselben Reihenfolge, so dass hier eine elastische
Nachwirkung stattfinden muss.
Baumhauer setzte die Versuche am Kalkspat weiter
fort und brachte von irgend einem Punkte der stumpfen Kante
ausgehend, durch den senkrechten Druck einer Messerklinge auf
die lange Diagonale direkte Zwillingsstellung an beliebig grossen
Stücken des Rhomboeders hervor. Bald darauf ermittelte Vogt
im Wege der Rechnung unter Zugrundelegung der Elastizitäts¬
konstanten, dass die Moleküle bei der Gleitung ausser der
Vorwärtsbewegung noch eine Achsendrehung machen und stellte
die Grösse durch Zahlen fest. Hiermit war die Ursache der
elastischen Nachwirkung gefunden. Mügge wies dann feine
Zwillingslamellen an Sb und Bi nach und erzeugte sie an dem
letzten Metall durch einfachen Schlag auf die Polkanten.
Neueren Untersuchungen zufolge führt ein grosser Teil der
Metalle — und dazu gehören Au, Ag und Sn — bei der
mechanischen Bearbeitung durch Walzendruck, Feilen, Fraisen,
Ziehen gleitende Bewegungen aus, die in bezug auf die gerade
Richtung zuweilen bedeutende Dimensionen annebmen. Die
Kristalle des Fe können z. B. zu langen Fäden ausgereckt
werden, welche den ursprünglichen Durchmesser um das Hundert-
bis Zweihundertfache übertreffen. Eine derartige Deformation
ist natürlich nicht wieder rückgängig zu machen. Dagegen ver¬
tauschen die Oktaeder der Ober- und Unterschicht der Gold-
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Ueber die Beziehoogen zwischen der Kriataligestalt etc. 61 S
bleche ihre erworbene Zwillingsstellung in der Rotglut gegen
die regul&re Form wieder. Es ist ganz selbstverständlich, dass
auch unsere F&llungslegierungen, deren Zerkleinerung aus¬
schliesslich auf der Wirkung des Keiles beruht, in dieser
'Beziehung den anderen Metallen gleichstehen. Die rohe Ver¬
schiebung der Kristalle gegeneinander gibt sich an den Spänen
bereits dem blossen Auge an der Rauhigkeit der Konkavseite,
welche vor der Abtrennung noch spiegelglatt war, zu erkennen,
die Gleitung hingegen mikroskopisch an der Strichelung der
feinsten Splitter des frischen Amalgamstaubes, welche nicht
amalgamiert wurden. Im ganzen ist ihre Wirkung, soweit sie in
gerader Richtung geschieht, infolge der vorgeschrittenen feinen
mechanischen Aufteilung mit einer Spandicke von fast OOl Mm.
(true dentalloy) abgeschwächt. Von Bedeutung bleiben aber
noch immer diejenigen zahlreichen kleinsten Kriställchen, welche
ganz oder teilweise in Zwillingsstellung geraten und der Zer¬
störung entgangen waren.
Es ist bekannt, dass die Auflösung in einem Auflösungs¬
mittel der symmetrischen Anlage der Kristalle folgt, welche
die Kohäsion in der Richtung anzeigt. Sie ist deshalb nicht
bloss für die verschiedenen Körper, sondern auch für ein und
denselben ungleich, indem sie in der Kohäsionsrichtung schneller
als nach anderen fortschreiten muss. In dieser Beziehung ist
der Versuch Lavizarris lehrreich, welcher eine Kalkspat¬
kugel in konzentrierte Salpetersäure zur Lösung tauchte. Die
Kugel nahm nicht gleichmässig an Umfang ab, sondern brachte
schwindend eine Doppelpyramide zur Erscheinung, woraus
hervorgeht, dass hier die Auflösung in der optischen Achse
am stärksten ist. Unsere Metalle besitzen als richtige Leiter
des Lichtes keine optische Achse und können nur der Kohäsion
folgen. Mithin wird die Auflösung bei ihnen auf Widerstand
stossen müssen, sowie die ursprüngliche Richtung durch Gleitung
verlegt wurde. Der Widerstand ist proportional der aufgewandten
Kraft zur Erzeugung der Zwilligsstellung. Diese Kraft bleibt in
ihnen latent und ist die Ursache, weswegen frische Späne
mehr Hg als alte oder erwärmte bedürfen und erklärt ferner
die plötzlichen, unregelmässigen kleinen Ausschläge des Mikro-
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614
Zahnarzt G. Hasse, Coblenz.
meters nadh der + und Seite während der Expansion oder
Kontraktion des frischen Amalgams. Der erste Teil der Form-
verändemng ist daher ein rein physikalischer, welcher seine
Ursache in der Kohäsionsrichtung der Kristalle hat.
Die Annahme, dass die vollständige Auflösung der ab*
gelagerten Späne bereits während des Anreibens eintrete, ist
durchaus irrig. Auch die besten Füllungslegierungen gehen nur
zum geringen Teil in Lösung über, der grösste bleibt un¬
gelöst zurück. «
Bringt man ein kleines Stückchen plastischen, gebrauchst
fertiget Amalgams vorsichtig auf eine etwas grössere Queckr
silberkugel, so bleibt es auf der Oberfläche schwimmen. (Für
diesen Versuch eignet sich das True dentalloy sehr gut.) Etwa
40 Minuten später steigen aus. der Tiefe in Intervallen die
Gerippe der zukünftigen Kristalle in Quadratform empor und
gliedern sich allmählich an Zahl zunehmend der oberflächlichen
Schlacke an. Hierin offenbart sich in sichtbarer Weise die
Inhomogenität, während die Homogenität ein völlig abweichendes
Bild gewährt. Das Amalgam wird mit grösster Begierde V(r-
schluckt, 25 Minuten später teilt sich die Quecksilberkugel
plötzlich in einer sehr charakteristischen Form maulbeerartig
und nach weiteren 20 Minuten wird sie blitzaitig von einem
Netz geradliniger Linien durchschossen. Aber der erste Versuch
lehrt auch, dass das Wachstum der Kristalle an den Kanten
beginnt und langsam nach innen fortschreitet. Das Mikroskop
vervollständigt das Bild insoweit, als es uns die einzelnen
Kristalle mehrere Tage hindurch im Innern flüssig und das
ganze Amalgam noch fünf volle Wochen durch Interferenzfarben
feucht erscheinen lässt. Aber die Bewegung war, wie ich an
vielen Objekten gesehen habe, auch damit noch nicht ab¬
geschlossen. Ich bin daher geneigt, zu glauben, dass dem ganzen
Auflösungsprozess drei Phasen zugrunde liegen. In der. ersten
wird nur ein sehr geringer Teil der Metalle gelöst. Die Lösung
setzt infolge der Tendenz, bei gewöhnlicher Temperatur schnell
auszukristallisieren, die Kristallkanten ab. Das Amalgam ist
nach unseren Begriffen erstarrt. In der zweiten Phase. findet
die weitere und umfangreichste Auflösung und Verteilung der
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Ueber die Beziehungen zwischen der Kristallgestalt etc. 615
Atome der ungelösten Metalle in einem weichen Amalgame
dadurch leicht statt, dass das Innere und die Flächen der
Neukristalle nicht völlig erstarrt sind. Als Beweis gelten die
Interferenzfarben. In der dritten Phase vollzieht sich die
Diffusion in völliger Starre und ist unsichtbar. Sie erstreckt
sich gewiss nur auf geringe Mengen, währt aber am längsten.
Eine. Abkürzung erfährt sie stets bei stark saurer Speichel¬
reaktion.
Als ich die mikroskopische Untersuchung unserer Amalgame
begann, versuchte ich zuerst die Kristalle aus Durchschnitten
zu deuten. Die Herstellung der Schliffe erfordert aber ausser¬
ordentlich viel Zeit und gelingt bei einigen Amalgamen ihrer
Weichheit wegen höchst unvollkommen, so dass das Gesamt¬
bild nur unvollständig werden konnte. Dazu kam die Ver¬
wachsung der Kristalle und die Bildung von Kombinationen,
welche die Deutung der Form geradezu zur Unmöglichkeit
machen. Ich habe deshalb diesen Weg ganz aufgegeben und
bringe die Kristalle heute in ihrer natürlichen Lage leicht zur
Anschauung, indem ich eine planparallele, durchlochle Glas¬
platte von etwa 2 Mm. Dicke auf der einen Seite mit einem
Deckglas verkitte und von der anderen Seite das Amalgam
einführe. Die Kristalle liegen dann teils in der Bildebene, teils
etwas schräg dazu und geben ein wirkungsvolles perspektivisches
Bild. Bei dieser Art der Darstellung, welche sich übrigens vor¬
züglich zum Studium der Kristallbildung eignet, springt zunächst
die langsame Entwicklung der Kristalle in die Augen und
widerlegt die Ansicht Adolf Witz eis, dass die Gestalten in¬
folge des Stopfens stark verkümmert sein müssten. Weit
wichtiger aber ist der Gegensatz zwischen dem Schmelzfluss
und der Auflösung in Hg , welche hier zutage tritt. Wenn der
erstere die Vereinigung inhomogener Atome und Moleküle be¬
günstigte, so räumt die letztere gründlichsl damit auf. Die
Aggregate werden bis auf die Atome aufgelöst und das Hg
vereinigt sich mit ihnen nach den Elementen getrennt zu
besonderen Amalgamen. Mit Fug und Recht bezeichnen wir
sie deshalb als zusammengesetzte, treffender vielleicht noch als
gemischte. Aber die Metalle sind Egoisten. Sie reissen soviel
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616 Zahnarzt G. Hasse, Coblenz. Ueber die Beziehungen etc.
Hg an sich, als sie zu ihrer zweckmässigen Entwicklung nach
dem Stande der Temperatur bedürfen und überlassen es dem $»,
welches von ihnen nicht als gleichberechtigt angesehen wird, sich
mit dem Reste abzufinden. So kommt es, dass die Metalle sämtlich
nur in ihrer Hauptform oder in einer Modifikation davon Vor¬
kommen, das Sn dagegen einer grossen Wandlung unterworfen
ist. Es tritt als tetragonales Prisma und tetragonale ungleiche
Doppelpyramide, als hexagonales und rhombisches Prisma voll¬
flächig und in Hemiedrien auf, aber es erscheint auch aggregiert,
den Würfel und das rhombische Prisma mit den drei Pinakoiden
nachahmend auf, indem sich vier oder neun, oder auch vier bis
acht hexagonale Prismen balkenartig neben- und auf-
einanderlegen, wobei ein bis drei Balken nach einer freien Seite
ausgelassen werden können, so dass treppenartige Ausschnitte
entstehen. Besonders schön sind derartige Bildungen an den
Goldamalgamen zu beobachten, wenn man sie vorher gründlich
in absolutem Alkohol auswäscht, um den störenden Amalgam¬
staub zu entfernen. — Bei allen Kristallen gesellen sich zu
den typischen Formen noch parallele Verwachsungen, sowie
die Gleichgewichtslinie passiert war. Die Zusätze haben auf die
Kristallform keine Einwirkung. Als Beweis dient aber nur das
Amalgam Witzeis, bei dem es mir gelungen ist, die Kupfer¬
kristalle blauschwarz zu färben, so dass sie sich scharf von ihrer
Umgebung abheben. Sie kristallisieren in Pentagondodekandern.
Die reinen ^t#-S»-Amalgame verkleinern ihre Formen mit
der Zunahme des Ag. Sie bilden dann Aggregate ohne Gliederung
und lassen in der Gleichgewichtslinie überhaupt keine andere
Form als den Würfel erkennen. Aber der Würfel des Sn ist
hier keineswegs als regulärer aufzufassen, sondern als Rhombo¬
eder mit 90° Polkantenwinkel.
Kurz zusammen gefasst, ist das Resultat meiner Beob¬
achtungen :
1. dass die Form Veränderungen unserer Amalgame eine
doppelte Ursache haben,
a) eine rein physikalische, hervorgerufen durch die Ko¬
häsion und ausgedrückt durch die Gleitung der Kristalle,
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Prof. Matti Äyrftpää Helsingfors. Ueber prothetische Behandlung etc. 617
6) eine chemisch-physikalische, welche sich in der Kristall¬
form ausspricht;
2. dass die Füllungslegierungen durch die Lösung in Hg
in die Amalgame ihrer Komponenten zerlegt werden, und
3. dass die Veränderungen des Volumens sich ausschliess¬
lich an der Gestalt des Sn abspielen.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Duhr pnthetiKke BMIniig ta tadefgrsilaten.
Von Professor Matti Äyräpää in Helsingfors (Finnland).
Einleitung.
Durch die Lehre von den Prothesen hat sich die Odon¬
tologie zu einem praktischen Zweige der Chirurgie entwickelt,
zu einem Nothelfer in solchen Fällen, in denen die chirurgische
Plastik auf unüberwindliche Hindernisse stösst. Auf gewissen
Grenzgebieten, welche eigentlich nicht zu der Odontologie
gehören, sondern eher der reinen Chirurgie zuzuzählen sind,
kann der Odontologe mit denselben Hilfsmitteln, die er bei
seinen zahntechnischen Arbeiten benützt, dem Chirurgen zu
Hilfe kommen, wenn Hautlappen- und Knochenplastik diesen,
wie geschickt er auch sein mag, im Stiche lassen.
Solche Grenzgebiete, wo der Chirurg und der Odontologe
sich begegnen, wo sie Hand in Hand gehen und sich gegen¬
seitig unterstützen müssen, finden wir vor allem in der bucco-
facialen Region. Nur durch gemeinsame Arbeit können wir
gewisse Defekte ersetzen und gewisse Deformitäten am Ober¬
und Unterkiefer, am Pharynx und Larynx, an der Nase, dem
Ohr usw. stützen oder richten.
Der Zahnarzt Dr. Claude Martin, welcher durch mehr
als drei Jahrzehnte an den Krankenhäusern der Stadt Lyon
als Zahnarzt tätig war, hatte den seltenen Vorzug, während
seines langen Lebens gemeinsam mit den ersten Chirurgen
Frankreichs, wie Olli er u. a., arbeiten zu können. Daher ist
es kein Wunder, dass er, so intelligent und scharfblickend
9
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618
Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnlaud).
wie er ist, die Lehre von den Prothesen in Frankreich gehoben
und neue Anwendungen und neue Gebiete für die Prothese
gefunden hat. Ich werde daher in der nachfolgenden Ab¬
handlung des öfteren Gelegenheit haben, seine Arbeiten und
Schriften hervorzuheben.
Ueber die Fähigkeit der Gewebe, Prothesen zu tragen.
Wenn von Prothesen die Rede ist, so bietet sich uns
die wichtigste aller Fragen, um welche sich die ganze Prothesen¬
lehre* dreht, dar, nämlich die Frage, wie die Gewebe einen
Fremdkörper ertragen können.
Um diese Frage zu beleuchten, müssen wir die Prothesen
in vier verschiedene Gruppen einteilen. Wir unterscheiden:
а) Apparate, welche nur Haut und Schleimhäute in ge¬
sundem oder narbigem Zustande berühren; äussere Pro¬
thesen;
б) Apparate, welche gesunde, durch Trauma oder Operation
entstandene Wundflächen berühren, aber an ihrer äusseren
Seite wenigstens zum Teil frei sind: unmittelbare Pro¬
thesen;
c) Apparate, welche die Innenwände der Nase berühren
und den Zweck haben, Form und Konturen der Nase all¬
mählich zu heben oder zu verändern: orthopädische
Prothesen;
d) Apparate, welche in den Geweben ganz und gar ein¬
gebettet sind, ohne irgend welche Gemeinschaft mit der
Aussenluft zu haben: innere Prothesen.
Was die Epidermis- und Epithelschichten der Haut und
Schleimhaut anbetriffi, so ertragen sie den Druck der Apparate
verhältnismässig gut. Erst dann entstehen Schwierigkeiten,
wenn die Gewebe narbig verwandelt worden sind. Das Narben¬
gewebe ist, wie bekannt, empfindlicher, schlechter genährt und
daher weniger lebenskräftig als das physiologische Gewebe;
es entstehen hier leichter Wunden durch den Druck der Pro¬
thesen. Was speziell die Schleimhäute anbelangt, welche
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Ueber protbetigche Behandlung der Nasendeformitäten. 610
Feuchtigkeiten absondern, so können die Prothesen die Ab¬
sonderung vermehren, die Entfernung der Feuchtigkeiten ver¬
hindern und dadurch einen Zustand herbeiführen, welcher zu
einer Sekretstauung mit allen Gefahren der Infektion Anlass
geben kann. Die Gefahren werden um so grösser sein, wenn
die Schleimhaut schon vorher nicht normal, sondern entzündet,
ulzerös oder vernarbt gewesen ist. Anderseits können die
abgesonderten Sekrete schädlich auf die Prothese selbst ein¬
wirken, indem sie dieselbe chemisch angreifen, sie rauh und
uneben machen oder die Lötungsstellen lösen und so die
Prothese unbrauchbar machen. Deshalb ist auch die Wahl des
Materials von grosser Bedeutung.
Was die zweite Kategorie, die unmittelbaren Prothesen,
anbetrifft, bei welcher der Apparat zum Teil auf einer gesunden
Wundfläche ruht und zum Teil mit der Luft in Berührung
steht, so sind die Gewebe hier, wenigstens anfangs, vollkommen
schutzlos. Die mechanische Reizung, welche die Apparate und
die an der Oberfläche des Apparates sich ansammelnden Sekrete
ausüben, ist eine ebenso grosse Gefahr wie die Infektion selbst
und diese droht nicht nur im Beginne, sondern so lange, bis
alle Wunden geheilt sind; denn das Exsudat, welches diese
absondern, ist für von aussen kommende Bakterien der ge¬
eigneteste Kulturboden. Deshalb muss man genau darauf
achten, dass Apparat und Wunden rein gehalten werden und
das kann auch verhältnismässig leicht geschehen, da der Apparat
wenigstens teilweise frei zugänglich ist.
Die orthopädischen Apparate ruhen fast ausschliesslich
der Schleimhaut im Inneren der Nase auf und nur ausnahms¬
weise und nur zu einem unbedeutenden Teile an einer Wund¬
fläche. Man muss hier besonders darauf achten, dass sich der
Druck auf viele Punkte gleichmässig verteilt, damit Decubitus-
wunden vermieden werden.
Was endlich die vierte Art oder die inneren Prothesen,
welche ganz und gar in den Geweben eingeschlossen sind, an¬
betrifft, so wird durch sie die Fähigkeit der Gewebe, einen
Fremdkörper (Corpus alienum) zu vertragen, so viel wie irgend
möglich in Anspruch genommen, während zugleich die Ein-
9*
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620 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
führung eines solchen Apparates die vollständigste Asepsis er¬
fordert Ist es aber einmal gelungen, diese Prothesen vollkommen
aseptisch auf ihren Platz zu bringen und sie dort sicher zu
deponieren, so können die Gewebe, wie die Erfahrung gezeigt
hat, dieselben ziemlich gut vertragen, gleichgiltig, ob sie aus
Paraffin bestehen oder aus Platin, welches Martin mit gutem
Erfolg bei seinem Versuch an Hunden angewendet hat.
Ueber die verschiedenen Arten der Behandlung von
Nasendeformitäten.
Wir brauchen bei dieser Gelegenheit nicht hervorzuheben,
eine wie grosse Entstellung in ästhetischer Hinsicht der Verlust
der Nase für den Menschen ausmacht, eine Entstellung, die
von einigen Patienten als ein so schweres Unglück betrachtet
worden ist, dass sie durch Selbstmord ihrem Leben ein Ende
gemacht haben.
Der Verlust der Nase ist keineswegs ein so ganz seltenes
Ereignis. Die Ursache davon ist häufig in Kriegsverletzungen
oder schweren traumatischen Unfällen oder in zehrenden Krank¬
heiten, wie Lupus, Lues u. a., zu suchen. In früheren Zeiten
war das Abschneiden der Nase als Strafe für entehrende Ver¬
brechen gebräuchlich und es ist daher kein Wunder, dass man
es schon in den ältesten Zeiten versucht hat, diesen Verlust zu
ersetzen. Die rhinoplastischen Operationsmethoden gehören
darum zu den ältesten, die in der Geschichte der Medizin be¬
schrieben worden sind.
Ist die Nase einmal verloren gegangen oder verunstaltet
worden, so gibt es folgende Verfahren, den Schaden zu heilen:
a) Autoplastische Operation (Rhinoplastik);
b) autoplastische Operation auf Stützen von Metall oder
anderem Material;
c) orthopädische Behandlung mit Prothesen aus Metall
oder Kautschuk;
d) innere Prothesen (Paraffininjektionen);
e) äussere Prothesen.
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Ueber prothetische Behandlung der Nasendeformit&ten. 631
I. lieber Rhinoplastik und autoplastische Operationen auf Stotzen
von Metall oder anderem Material.
Die Klippe, an welcher alle Operateure, wenn von der
Wiederherstellung einer Nase die Rede gewesen, gestrandet
sind, ist die Schwierigkeit, eine feste und sichere Stütze für
den Nasenrücken zu erhalten. Um diese Frage hauptsächlich
bewegen sich alle rhinoplastischen Operationsmethoden und
hier kommt die Lehre von den Prothesen der Chirurgie durch
die Verwendung der von Martin vorgeschlagenen Nasenstütze
zur Hilfe, welche, unbeweglich und fest, den Giebel der rhino-
Fig. l.
plastisch gebauten Nase bildet und aus einem */• Cm. breiten,
gewölbten Platindraht besteht, der in einem Bogen von den
Ossa nasalia bis zur Spina nasalis verläuft. Schon vor Martin
haben viele versucht, sich zu diesem Zwecke einer Stütze von
Metall oder einem anderen Material (Dieffenbach, Gale-
zorsky, Leisink und Mikulicz) zu bedienen, doch haben
alle" diese Prothesen denselben Fehler gehabt, sie waren nicht
unbeweglich.
Schon 1877 machte Martin zum erstenmal aus Platin
ein Gerüst für die autoplastisch gebildete Nase und noch heutigen
Tages ist dieses Metallgerüst beinahe unverändert im Gebrauche.
Es besteht, wie gesagt, aus zwei 5 Mm. breiten, etwas gewölbten
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Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
Platindrähten (Fig. 1), die kreuzweise aneinander gelötet sind
und beide in scharfe Spitzen enden. Der eine Draht hat
den Nasenrücken zu tragen und erhält die Biegung, welche
man der neuen Nase zu geben wünscht, der zweite hat die
Seiten wände zu stützen und wird in passender Weise gebogen.
Die etwa 1 Cm. langen Spitzen werden in der Umgebung der
Apertura pyriformis, wo man ihnen mit einem feinenj Bohrer
Fig. 2.
passende Löcher macht, eingesenkt. Die obere Spitze des in
der Mittellinie verlaufenden Drahts wird an der Grenze zwischen
Stirn- und Nasenknochen, die untere an der Spina nasalis
versenkt; die Spitzen des :qu#r.gehenden Drahtes werden an
den Seitenrändern der Apertur befestigt.
Ueber diesem Gerüst wird die autoplastische Operation
gemacht Die Hauptsache ist nur, dass der Lappen gross genng
ist, damit er, wenn er schrumpft und vernarbt, nicht allzu
stramm über dem Metallgerüst liegt. ’
Digitized by
Google
Ueber prothetUche Behandlung der Nasendeformitäten. 628
Man muss ferner immer darauf achten, dass die Grund¬
krankheit, nehmen wir z. B. Lues als solche an, welche die
Deformation der Nase verursacht hat, schon geheilt ist, so dass
der pathologische Prozess nicht fortschreiten und das Operations¬
resultat zerstören kann. Endlich hat man darauf zu sehen, dass
das Septum cutaneum gross genug ist, da beim Schwunde des-
Fig. 3.
selben die neue Nase längs des Metallgerüstes, welches dann
sichtbar würde, nach oben gleiten könnte.
Wenn man auch im allgemeinen sich jeder beliebigen
Operationsmethode bedienen kann, falls es gilt, eine neue Nase
über einem künstlichen Gerüst autoplastisch aufzubauen, so hat
Martin dennoch, besonders in Hinblick auf die gelungene
Form der Nasenlöcher und Nasenflügel, eine von Olli er vor¬
geschlagene und von C h a p u t modifizierte Operationsmethode
Digitized by v^ooQle
624 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
empfohlen, wobei die ganze Umgebung der Apertura pyriformis
zu einem Lappen benützt wird, wie dies aus Fig. 2 hervorgeht.
Dieser Lappen wird nach unten gezogen, seine oberste Spitze
umgeschlagen und am Platze des Septum cutaneum festgenäht
(Fig. 3).
Dann wird über diesen Lappen ein auf gewöhnliche Art
der Stirn entnommener, genügend grosser Lappen gelegt, wie
aus Fig. 4 zu ersehen ist.
M ar tin 1 hat vor wenigen Jahren eine andere rhinoplastische
Operationsmethode vorgeschlagen, die von Dr. Gongolphe in
Lyon mit gutem Erfolg angewandt worden ist und die ich, weil
sie in den gewöhnlichen Handbüchern nicht aufgenommen ist,
hier beschreiben will:
1 Claude Martin: Rhinoplastie k lambeau frontal modifi6 et k
support osteocartilagineaux empruntä k la cloison. Soei6t6 de Chirurgie de
Lyon 19 mai 1904.
Digitized by v^ooQle
Ueber prothetische Behandlung der Nasendeformi täten. 626
1. Martin benutzt, ebenso wie Ollier und später
N ela ton, die Ränder der Apertura pyriformis zur Bildung und
Stützung der Nasenlöcher.
2. Zur Stütze des Nasenrückens verwendet er einen Teil
der Nasenscheidewand, der er mit dem Messer die Form ver¬
leiht, welche der Nasenrücken erhalten soll. Diesen umgeformten
Fig. 6.
Teil der Scheidewand zieht oder rückt er bis zur Höhe des
künftigen Nasenrückens vorwärts. Bardenheuer hat schon
seit 1895 die Nasenscheidewand zu demselben Zwecke gebraucht.
3. Den Nasenlappen selbst nimmt er aus der Mitte der
Stirn und aus der Gegend oberhalb der Augenbrauen, löst ihn
bis zu den Rändern der Apertura pyriformis ab und zieht ihn
nach unten.
* Google
626 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
Die Operationsmethode an und für sich ist folgende:
a) Der Lappen bildet auf der Stirn ein grosses Dreieck,
an dem drei kleinere Dreiecke unterschieden werden können,
zwei oberhalb der Augenbrauen mit der Spitze nach aussen
gerichtet und das dritte mit der Spitze nach oben. An den
Fig. tfc
inneren Augenwinkeln vorüber und möglichst knapp an diese
heranreichend setzt sich der Schnitt zu beiden Seiten der
Nasenwurzel fort, damit der Lappen nach unteii und aussen
eine genügende Breite erhält; er endigt schliesslich dort, wo
eine vom Mundwinkel beiderseits vertikal nach 1 oben gezogene
Linie eine in der Höhe des Septuih cutaneufn horizontal'-ver^
laufende Linie trifft (Fig. 5).
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Ueber prothetische Behandlung der Naeendefortnit&ten. 627
b) Der Stirnlappen wird bis zur Nasenwurzel abgelöst,
aber so, dass er im unteren Teile noch an den Nasenbeinen
fixiert bleibt; dann wird er von oben nach unten umgeschlagen
(Fig. 6).
c) Der untere Teil der Nasenbeine wird mit einer Säge
quer durchtrennt, so dass er mit dem Lappen in Zusammen-
Fig. 7.
hang bleibt; in gleicher Weise trennt man auch die Knochen¬
ränder der Apertura pyriformis mit Hilfe einer Schere los. Beim
Absägen muss das Septum sorgfältig geschont werden, damit
es seinen Zusammenhang mit den Nasenbeinen nicht verliere,
d) Das Septum wird auf folgende Weise gelöst:
. Mit einer kleinen, aber scharfen Knochenschere wird: es
in wagrechter Richtung von der Stelle aus, wo die Nasenbeine
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628 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
abgesägt wurden, so weit wie möglich gespalten; dann durch¬
trennt man es, zirka 1 Cm. hinter dem Septum cutaneum be¬
ginnend, mit einer gebogenen Schere in schiefer Richtung
nach aufwärts und rückwärts längs dem Vorderrande des Vomer,
bis man das hintere Ende des wagrechten Schnittes erreicht.
So erhalten wir vom Septum einen Lappen, der sowohl
Knochen als Knorpel enthält und in der Gegend des Septum
cutaneum seine Verbindung beibehält.
Fig. 8.
e) Diesen Lappen ergreift man nun mit einer breiten
Zange und zieht ihn vorwärts, so dass sein früher wagrechter
oberer Rand nach vorne gekehrt wird und die Stütze des neuen
Nasenrückens bildet, während sein hinterer Rand an den zu¬
rückgebliebenen Stümpfen der Nasenbeine befestigt wird. Dieser
Zug führt dazu, dass am Befestigungspunkte des Lappens hinter
dem Septum cutaneum oder der Spina nasalis eine kleinere
Fraktur entsteht. Wenn der Scheidewandlappen nach vorne
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Ueber protbetische Behandlung der NasendeformitSten.
689
gezogen wird, so wird natürlich der ganze Nasenlappen, der
durch die abgesägten Nasenbeinspitzen mit dem Scheidewand¬
lappen in Verbindung steht, so weit nach unten verlegt, dass
die an den Knochenresten befindliche Haut in der Nähe der
Spina nasalis angenäht werden kann, so dass die Nasenlöcher
Fig. 9.
von den Rändern der Apertura pyriformis gebildet werden
(Fig. 7).
. f) Der Scheidewandlappen wird in seiner neuen Lage
dadurch festgehalten, dass man in die Stümpfe der Nasenknochen
eine Vertiefung macht, in welche die Scheidewand einsinken
kann, oder man fixiert sie an diese Stelle mit einem Metall¬
stifte.
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630
Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
g) Die Nähte werden so angelegt, dass die Lappen aus
der Region über den Augenbrauen die Nasenflügel zu bilden
haben, während der mittlere Lappen zum Aufbau des Nasen¬
rückens (Fig. 8) dient.
Da nun die Stirnhaut sehr nachgiebig ist, wird sie so
zusammengenäht, dass nur zwei Reihen Nähte entstehen, wo¬
von die eine sich wagrecht über den Augenbrauen an der ganzen
Stirn entlang hinzieht, während die andere in der Mittellinie
von oben nach unten verläuft. Auf diese Weise können alle
Fig. 10.
Wunden vernäht werden und alle Stellen per primam intentionem
verheilen.
Diese von Martin vorgeschlagene Operationsmethode
hat zwei grosse Vorteile:
a) Man erhält dadurch eine feste Rückenstütze für die
neue Nase und
b) man kann alle Wundränder miteinander vernähen und
daher eine Heilung per primam erhoffen.
Hat der pathologische Prozess, durch den die Nase de¬
formiert worden ist, auch die Nasenscheidewand zerstört, so
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Ueber prothetische Behandlung der Nasendefonnit&ten.
681
kann ein 5 Mm. breites Platinband, dessen obere Spitze an
der Nasenwurzel und dessen untere Spitze in der Gegend der
Spina nasalis befestigt wird, dem Nasenrücken als Stütze
dienen (Fig. 9).
Dieser Stütze bediente sich Martin kürzlich bei einem
von Dr. Gongolphe in Lyon operierten Patienten mit
gutem Erfolge.
Was den der Scheidewand entnommenen Lappen an¬
betrifft, so kann er auch auf eine andere Art, als die oben
Fig. 11.
beschriebene, geschnitten werden. Statt dessen, dass der Lappen
in seinem unteren Teile mit gesunden Partien in Zusammen¬
hang steht, kann diese Verbindung oder Brücke auch in der
Region der Nasenwurzel gewonnen werden, wie Fig. 10 und 11
dieses darstellt.
In diesem Falle würde also die Vorderseite der Scheide¬
wand die neue Stütze des Nasenrückens bilden.
Wie gesagt, hat Dr. Gongolphe sich mit Erfolg dieser
Martinschen Operationsmethode in einem Falle, wo das
Septum fehlte, bedient. Deshalb musste der Nasenrücken eine
besondere Metallstütze (Fig. 1) erhalten.
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632 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
In Fällen, in denen die eigene Nasenhaut des Patienten
hinreichte und es also nur galt, den äuf chirurgischem Wege
gehobenen Nasenrücken in seiner neuen Lage zu erhalten, hat
Martin die Metallstütze ein wenig modifiziert. An den oberen
Enden der Stütze sind zwei gebogene Stifte (Fig. 12 und 13)
festgelötet, welche die Pars perpendicularis ossis
aethmoidei umfassen.
Der obere Teil des Apparates endigt nicht in einer
scharfen Spitze, sondern soll längs der oberen Fläche der
Ossa nasalia gleiten, ebenso wie die beiden Stifte längs
Fig. 12.
Fig. 18.
der unteren Fläche desselben Knochens zu beiden Seiten der
Pars perpendicularis. Der untere Teil (Fig. 13), welcher
durch ein Gelenk mit dem oberen in Verbindung steht, endigt
in einer Gabel, welche die Spina nasalis umfasst und sich
mit einem besonderen Fortsatz auf den Boden der Nasen*
höhle stützt Durch die Gabel wird der Apparat daran ver¬
hindert, sich seitlich zu verschieben und sein hinterer Fortsatz
hindert ihn daran, in die Nasenhöhle hinabzugleiten (Fig. 13).
Durch das Gelenk kann der Apparat zusammengefaltet und
leicht durch das eine Nasenloch in die Nasenhöhle hinein-
gebracht oder aus ihr entfernt werden.
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Ueber protbetische Behandlung der Nasendeformltäten.
Fall 1. Fig. 14 zeigt einen Fall, bei welchem der Appa
von Martin (Fig. 12) nach vorausgegangener Plastik aus i
Haut der Oberlippe und Nase zur Anwendung kam. Info
eines Trauma wurde die Stütze beweglich und musste e
fernt werden. Da die Patientin sich keiner neuen Operati
unterziehen wollte, modifizierte Martin seinen Apparat
zu der Form, welche Fig. 13 darstellt. Dieser Apparat wui
nun durch das eine Nasenloch auf seinen Platz gebrac
Fig. 15 zeigt uns, wie die Patientin drei Jahre nach <
Operation aussah.
Fall 2. Ich selbst habe kürzlich auf dieselbe Art eir
Fall behandelt, der aber bedeutend grössere Veränderung
als der obige aufwies. Er betraf ein Mädchen von 18 Jahr
welches vor ungefähr 8 Jahren, wahrscheinlich auf Grund eil
hereditär-luetischen Belastung, eine Rhinitis bekam, die )
einer totalen Zerstörung des ganzen Nasenskelettes endete,
dass alle Hautteile der Nase in die Nasenhöhle hineinsanli
und die nasale Atmung gänzlich aufhoben. Das entstel
Aussehen des jungen Mädchens ist aus Fig. 16 und 17 zu erseh
io
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4 Prof. Matti Äyräpäft, Helsingfors (Finnland).
Die Patientin wurde in die chirurgische Klinik aufgenommen
ld am 22. Oktober 1905 von Dr. Faltin operiert.
Von der Schleimhautfalte zwischen Oberlippe und Kiefer-
lochen ausgehend, löste Faltin mit einem stumpfen In-
rument die weichen Nasenteile von den Rändern der Aper-
ira pyriforrais los und tamponierte den eingesunkenen
id verkümmerten Nasenrücken mit Jodoformgaze aus. Sobald
)er die Jodoformtampons entfernt wurden, sank die dünne
Fig. 16. Fig 17.
rophische Nasenhaut sofort wieder in die Nasenhöhle
nein. Darum wurde ich zu Rate gezogen, um, wenn möglich,
it prothetischen Mitteln auszuhelfen.
Zuerst wurde der Gaumen perforiert, so dass ein dünner
iift^vom Munde aus in die Nasenhöhle geführt werden konnte
id darauf eine Gaumenplatte hergestellt, an welche der Stift
stvulkanisiert wurde. Ich nahm dann mit Stents und Gutta-
jrcha durch beide Nasenlöcher Abdrücke vom Inneren der
ase. Nachdem diese Abdrücke mehreremal probiert und
irrigiert worden waren, wurden aus Kautschuk zwei Apparate
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Ueber prothetische Behandlung: der Nasendeformit&ten. 685
(Fig. 18 und: 19) verfertigt und durch die, Nasenlöcher in die
Nasenhöhle hineingebracht.
Der Apparat für das rechte Nasenloch (Fig. 18) ist der
grössere und hat an seiner unteren Fläche eine trichterförmige
Fig. 20.
ertiefung a, in welche der Stift der Gaumenplatte eindringt,
dieser Stift trägt den Apparat, verhindert ihn daran, vor- oder
,-ückwärts zu gleiten und verteilt den Druck auf Partien, die
ihn besser vertragen können als das Naseninnere, nämlich auf
io*
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636 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
den Gaumen und die Zähne. Ausserdem befindet sieh auf der
der Mittellinie zugekehrten Fläche ein viereckiges Loch 6, in
welches ein Vorsprung vom anderen linken Apparate (Fig. 19, c)
eindringt. Dieser (Fig. 19) ist viel kleiner und hat ausser dem
eben genannten Vorsprung einen Arm d, der den rechten
Apparat von der Oberseite umfängt, wie auf Fig. 20, die uns
den ganzen Apparat zeigt, zu sehen ist
Aus den Abbildungen geht hervor, dass die Apparate
hohl sind und der Luft freien Durchtritt durch die Nase geben,
Fig. 21. Fig. 22.
deren Funktion also in bezug auf die nasale Atmung wieder¬
hergestellt worden ist.
Das kosmetische Resultat zeigen die Fig. 21 und 22.
Der Fall war von Anfang an als ein äusserst undankbarer
zu betrachten, einen glänzenden Erfolg konnte man nicht er¬
warten. Die Gewebe waren narbig verwandelt, die gesunden
Teile dünn und atrophisch. Wenn man die Fig. 16, 17 und
21, 22 miteinander vergleicht, so muss man zugeben, dass
die Verbesserung eine doch relativ bedeutende ist.
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Ueber proihetiscbe Behandlung der Nasendeformitäten.
637
II. Ueber orthopädische Behandlung der Nase.
Wenn die Nase platt wird oder einsinkt, so hat man die
Ursache davon in einer Missgestaltung des Nasenskelettes oder
in einer Zerstörung desselben zu suchen, die entweder total
oder partiell sein kann und auf eine äussere Gewalt oder Krank¬
heit, wie Syphilis oder Lupus, zurückzufahren ist.
Die Nase kann auf zweierlei Art gehoben werden, ent¬
weder auf einmal oder allmählich. Erstere Art ist natürlich eine
ausschliesslich chirurgische Operation und die Prothese hat
hierbei nur den Zweck, das gewonnene Resultat zu erhalten.
Die allmähliche Hebung des Nasenrückens ist dagegen eine aus¬
schliesslich prothetische Behandlungsmethode, welche darin be¬
steht, dass man durch einen während einer längeren Zeit und
Fig. 2?.
allmählich wirkenden Druck die eingesunkenen Teile hebt oder
ihnen eine bessere Form gibt und sie späterhin in der ver¬
besserten Lage erhält.
Wenn traumatische Ursachen, wie Unfälle auf der Schlitt¬
schubbahn, beim Ballspiel oder bei einer Rauferei, die Nasen¬
deformationen veranlasst haben, so muss man sofort die
frakturierten Knochen und Knorpeln, so gut es sich machen
lässt, reponieren. Hiebei bedient man sich des kleinen Fingers,
einer festen Sonde oder eines anderen stumpfen Instruments.
Die reponierten Teile sucht man dadurch an ihrem Platze fest¬
zuhalten, dass man die Nasenkavität mit Guttapercha, Jodoform¬
gaze oder Watte tamponiert; man hat zu diesem Zwecke auch
Laminaria-Stifte vorgeschlagen, welche dadurch, dass sie in
der Nase anschwellen, die Nasenlöcher und die Nasenhöhle aus¬
füllen. Martin hat behufsReponierung der gebrochenen Nasen¬
scheidewand eine besondere Zange konstruiert (Fig. 23), die er
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638 Prof. Matti Äyräpää, Helsiogfors (Finnland).
als geeignetes Mittel sowohl in akuten Fällen, als auch dann,
wenn bereits eine narbige Zusammenwachsung entstanden ist,
besonders warm empfiehlt.
Die allmähliche Hebung des Nasenrückens ist, wie schon
gesagt, eine ausschliesslich prothetische Methode, wenn auch
Martin sie als kombinierte Methode aufgefasst wissen will,
weil ich vor ihrer Anwendung gelegentlich einige Adhäsionen
löse, die die Behandlung unnötigerweise verlängern und in
hohem Grade erschweren würden. Hierher gehören die meisten
in meiner Arbeit „Satulanenän orthopedisesta parantamisesta“
(Orthopädische Behandlung der Sattelnase, 1891/92) veröffent¬
lichten Fälle.
Fig. 24.
Ich will hier nicht auf eine Auseinandersetzung aller meiner
Fälle und Apparate eingehen, da sie schon in obenerwähnter
Arbeit beschrieben worden sind; des Vergleiches halber werde
ich aber später doch einige typische Beobachtungen beschreiben.
Dagegen will ich mich mit den Apparaten, die Martin
mit Vorliebe zu benützen pflegt und mit denen er nach eigener
Aussage günstige Resultate erreicht, ausführlich beschäftigen.
Doch sei gleich erwähnt, dass meine Erfahrungen mit den
Martin sehen Apparaten nicht besonders ermutigend ge¬
wesen sind.
Martin gebraucht bei der Hebung des Nasenrückens mit
Vorliebe einen Apparat, der aus zwei Paar dünnen Kautschuk¬
platten, die durch eine U-förmige Feder gegeneinander ge¬
drückt werden, besteht (Fig. 24).
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Ueber prothetische Behandlung der Nasendeformitäten.
639
In beide Nasenlöcher kommt je ein Paar von diesen
Platten und die Feder druckt sie gegen die Scheidewand. Die
im selben Nasenloch befindlichen Platten bewegen sich mit
Hilfe einer anderen Feder wie die Schenkel einer Schere auf-
und abwärts und heben dabei den Nasenrücken. Der Apparat
hat also zwei Funktionen : er biegt die Nasenscheidewand, wenn
sie missgestaltet ist, wieder gerade und hebt zugleich das
Nasenprofil.
In Fig. 25 sehen wir einen anderen Apparat Martins.
Hier haben wir eine besondere Platte, welche den Nasenboden
Fig. 25. Fig. 26.
bedeckt und gegen diese Platte stützt sich der erhöhende
Apparat. Wenn man an der nach vorn gerichteten Schraube
schraubt, so hebt sich der obere Teil des Apparates allmählich
empor und mit ihm auch der Nasenrücken. Die Grösse des
Druckes kann man auf diese Weise regulieren. In dieser Pro¬
these ist der Hebeapparat durch ein Gelenk, ähnlich wie das
eines gewöhnlichen Zirkels, an der stützenden Bodenplatte be¬
festigt.
In Fig. 26 sehen wir einen anderen Apparat, bei dem
Martin dieses Gelenk entfernt hat, so dass der hebende Teil
jetzt gleichmässiger gegen den Nasenrücken drückt oder mit
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640
Prof. Matti Äyräpää, Helsingforg (Finnland).
anderen Worten: die drückende Kraft verteilt ihre Wirkung
gleichförmiger auf den oberen und unteren Teil des Nasen¬
rückens.
Damit der Apparat nicht zu tief in die Nasenhöhle hinein¬
sinke, hat Martin eine Vorrichtung von der Form einer Leier
konstruiert, die um die Nase herum liegen soll und an welcher
der stützende Apparat befestigt wird (Fig. 27). An den runden
Löchern, die sich am oberen Teil der Leier befinden, werden
zwei Bänder befestigt und ein paarmal um den Kopf gelegt,
Fig. 27.
wodurch der Apparat an seinem Platze festgehalten wird
(Fig. 27). Er muss natürlich für jeden Patienten nach einem
Gipsabdrucke, der von dem betreffenden Gesicht genommen
ist, verfertigt werden.
Ausser den obengenannten Apparaten bedient sich Martin
noch einiger anderer, die ich der Vollständigkeit halber gleich¬
falls abbilden will (Fig. 28 bis 32).
Drei Fehler oder Nachteile haften diesen orthopädischen
Nasenapparaten von Martin an:
1. Der dem Nasenrücken zugekehrte Teil drückt nicht
gleichförmig gegen die Innenfläche des Nasenrückens, weil der
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Ueber prothetische Behandlung der Näsendeformitaten.
641
Apparat sozusagen aufs Geratewohl verfertigt worden ist. Die
innere Fläche des Nasenrückens ist selten eben, am wenigsten
diejenige einer deformierten Nase. Man findet hier oft Ver¬
dickungen und Verwachsungen und ein glatter Apparat, der
einen solchen Nasenrücken heben soll, drückt natürlich haupt¬
sächlich auf die vorstehenden narbigen und empfindlichen
Gewebspartien und am wenigsten auf die zwischen diesen
Narbenzügen liegenden gesünderen und stärkeren Gewebe.
Fig. 28. Fig. 29. Fig. 30. •
Fig. 31.
Fig. 32.
Meiner Ansicht nach muss die Einwirkung des Druckes um¬
gekehrt angeordnet werden. Die hervorragenden Narben müssen
geschont und der Hauptdruck muss zwischen dieselben .verlegt
werden. Dann kann man gleich mit einer verhältnismässig
grösseren Kraft beginnen.
Deshalb nehme ich vom Inneren der Nase, und insbesondere
von der Innenfläche des Nasenrückens, einen genauen Abdruck
mit Guttapercha und verfertige danach den Teil des hebenden
Apparates, der'gegen die innere Wand des Nasenrückens drückt.
Um den Druck gegen die dort vorhandenen empfindlichen
Narbenzüge zu vermindern und zugleich den Druck auf die
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642 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
gesünderen Partien zu vermehren, radiere ich die Impressions¬
stellen für diese empfindlichen Teile etwas tiefer.
2. Der Apparat ist sichtbar und' daher in der Praxis, aus¬
genommen während der Nachtzeiii, schwer zu verwenden, und
doch sollte die hebende Prothese nur behufs Reinigung her¬
ausgenommen werden.
3. Die orthopädischen Apparate Martins stützen sich
gegen den Boden der Nasenhöhle, dessen Schleimhaut nur
einen schwachen und ziemlich begrenzten Druck verträgt.
Deshalb muss der Apparat während einer sehr langen Zeit ge¬
tragen werden, ehe die Wirkung effektiv wird; forciert man aber,
so entstehen Decubituswunden und die Behandlung muss für
längere Zeit unterbrochen werden. Das einzige Organ, welches
während einer längeren Zeit einen stärkeren Druck verträgt,
sind die Zähne. Deshalb lasse ich meine orthopädischen Apparate
auf einer Platte ruhen, welche den Gaumen bedeckt and die
Zähne umschliesst. Ich perforiere den harten Gaumen 1 mit
einem Bohrer von einigen Millimeter Dicke und führe durch
die Perforationsöfifhung einen Stift, dessen unteres Ende an
der Gaumenplatte befestigt ist und dessen oberes festes Ende,
ohne sichtbar zu sein, den Apparat trägt, in die Nasenhöhle ein.
Die Methode, welcher ich mich bediene, wenn ich das
Nasenprofil allmählich heben will*, gestaltet sich je nach der
Beschaffenheit der Fälle verschieden.
Darnach unterscheide ich Fälle, in denen
1. eine pathologische Kommunikation zwischen der Nasen-
und Mundhöhle vorhanden ist;
2. eine Perforation nicht existiert, aber auf chirurgischem
Wege • hervorgebracht wird;
3. eine Perforation nicht vorhanden ist und auch nicht
gemacht wird. Ferner
4. Prothesen zu einem prophylaktischen Zweck;
5. Prothesen bei Nasenfrakturen und
6. Prothesen bei einer Verengerung der Nasenlöcher.
* Falls eine pathologische Perforation nicht schon vorhanden ist.
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üeber prothetische Behandlung der Nasendeformitäten.
643
1. Es besteht eine pathologische Kommunikation zwischen Hund»
und Nasenhöhle.
Die Behandlungsmethoden werden durch die Beschreibung
einiger Fälle am klarsten hervorgehen.
Fall 1. Ein Mann von etwa 25 Jahren hat durch Lues
die Knochen- und Knorpelteile des Nasenskelettes sowie einen
Teil des harten Gaumens verloren, so dass eine 2 1 /* Cm.
grosse längliche Oeffnung zwischen der Mund- und Nasenhöhle
existiert (Fig. 33). Es wird eine Kautschukplatte verfertigt.
Fig. 33.
welche den Gaumen bedeckt und durch die Oeffnung ungefähr
1 Cm. weit in die Nasenhöhle eindringt (Fig. 34). In den Teil,
der in die Oeffnung eindringt, wird eine fast 1 Cm. breite und
etwas längere viereckige Vertiefung (Fig. 34) gemacht, in welche
eine Platte aus Wachs oder Stents so eingepresst wird, dass
sie fest auf der Kautschukplatte steht und so hoch ist, dass
sie den Nasenrücken erreicht, wenn man die Gaumenplatte in
den Mund eingepasst hat Man kontrolliert durch die Nasen¬
löcher, dass die Wachsplatte in der Mittellinie liegt und wirklich
den Nasenrücken erreicht, um so ein Septum nasi zu bilden.
Nach diesem aus Wachs oder Stents gemachten Septum wird
später ein ähnliches aus Kautschuk vulkanisiert und auf die
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«44 Prof. Matti ÄyräpäS, Helsingfors (Finnland).
Gaumenplatte montiert. Nun ist der Apparat, mit dem die
Nase gehoben werden soll, fertig (Fig. 35).
Die Hebung geht auf folgende Weise vor sich: Auf der
oberen Fläche der künstlichen Scheidewand wird eine Schicht
erweichter Guttapercha aufgetragen und der Apparat eingeführt.
Am folgenden Tage wird er wieder entfernt; dann schneidet
man jene Partien der Guttapercha, die gegen die Seiten ge¬
presst worden sind, mit einem heissen Messer weg und trägt
eine neue Guttaperchaschichte über den oberen Rand, welcher
natürlich zuvor gereinigt und getrocknet werden muss, auf.
Fig. 34.
wonach der Apparat für einige Tage wieder auf seinen Platz
gelegt wird. Auf diese Art hebt sich die Scheidewand täglich
um einige Millimeter, während zugleich auch das Nasenprofil
in demselben Masse emporsteigt. Will sich die Guttapercha
nicht mehr auf ihrem Platze halten, so wird das Septum von
der Gaumenplatte entfernt, eingegipst und ein neues Septum
aus Kautschuk angefertigt, das nun um so viel höher sein wird,
als der Nasenrücken während der Behandlung emporgestiegen
ist. Während die neue Scheidewand vulkanisiert wird, muss
der Patient die alte tragen, damit der Nasenrücken nicht unter¬
dessen wieder einsinke. Mit der neuen, zweiten Scheidewand
verfährt man ebenso wie mit der ersten, man erhöht sie Tag
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Ueber protlietische Behandlung der Nasendeformitftten. 045
für Tag mit erweichter Guttapercha, bis das Nasenprofil die
gewünschte Form angenommen hat Sollte eine harte Narben*
Schwiele oder Verwachsung einen allzu grossen Widerstand
verursachen, so soll man sie mit einem stumpfen Instrument
lösen und neue Guttapercha über die entsprechende Stelle des
Septum auftragen.
Auf Fig. 35 zeigt der Teil o, 6, e, um wie viel das
Septum allmählich erhöht worden ist, bis das Nasenprofil die
gewünschte Höhe erhielt. Während der ganzen Behandlung
muss man natürlich genau darauf achten, dass an der Innen¬
seite des Nasenrückens keine Wunden entstehen. Sollte das
eintrefifen, so muss die entsprechende Stelle am Septum ein
wenig gesenkt werden, indem man die Guttapercha hier er¬
weicht, so dass sie bei einer erneuten Einführung in die Nasen¬
höhle etwas zur Seite gedrückt wird.
Ist nun die Nase genug gehoben worden und merkt man,
dass der Patient seinen Apparat gut verträgt, so wird das
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■646 Prof. Uatti Äyräpää, Eelsingfors (Finnland).
endgiltige, aus hartem Kautschuk verfertigte Septum an die
Gaumenplatte montiert und der definitive ■ Apparat ist fertig.
Der Patient muss ihn Tag und Nacht tragen und ihn selbst¬
verständlich reinigen, genau so wie man falsche Zähne reinigt.
Fig. 36 und 37 zeigen uns den Patienten vor und nach der
Behandlung.
Fall 2 ist dem vorhergehenden ziemlich ähnlich. Die
Perforation im Gaumen ist jedoch kleiner (Fig. 38), so dass
das Septum schmäler gemacht werden muss.
Fig. 39 zeigt uns die Gaumenplatte, Fig. 40 die Gaumen¬
platte nebst Septum, d. h. den ganzen Apparat, und Fig. 41
und 42 den Patienten vor und nach der Behandlung.
Ich will noch einen dritten Fall erwähnen ::
Fair 3. Ein 12jähriges Mädchen. Während der anti-
tue tischen B e h a n d l ung nekrotisieren das Septum narium und
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Ueber prothetische Behandlung der Naaendeformitäten.
647
ein Teil des barten Gaumens und die Nase des Kindes fängt
an, einzusinken. Es wird ein gleicher Apparat wie in den
Fig. 41. Fig. 42.
Fig. 43.
Fig. 44. Fig. 45.
vorhergehenden Fällen hergestellt und der Nasenrücken hebt
sich allmählich und sicher bis zu dem gewünschten Grade.
Fig. 43 zeigt uns die künstliche Scheidewand in, vier
verschiedenen Perioden. Wir sehen daraus, dass die Innenseite
Digitized by L^ooQLe
648 Prof. Uatti Äyritpää, Helsingfors (Finnland).
des Nasenr&ckens keineswegs eine glatte, sondern im Gegen¬
teil eine aus Vertiefungen und Querbalken bestehende, un-
gleichmässige Oberfläche besitzt. Hätten wir hier den Martin-
schen Apparat benützt, so würde sein aufs Geratewohl ge¬
machter Oberteil durch den hauptsächlichen Druck auf die
empfindlichen Querbalken gewiss Wunden verursacht haben.
Fig. 44 und 45 zeigen uns die Patientin vor und nach
der Behandlung.
Fig. 46.
2. Eine Perforation ist nieht vorhanden, wird aber auf
chirurgischem Wege hervorgebraeht.
Fall 1. Eine 30jährige Frau. Das Septum narium ist
zerstört. Vom Septum cutaneum ist nur mehr ein Strang, der
die Nasenspitze mit der Oberlippe verbindet, vorhanden. Die
Nasenflügel sind nach der Mittellinie hin eingesunken, die
Nasenspitze hängt herunter und berührt fast die Oberlippe
(Fig. 46).
Die Patientin kann nicht durch die Nase atmen. Der
obere linke zentrale Schneidezahn fehlt und der Knochen ist
an dieser Stelle durch Resorption verdünnt. Der Gaumen wird
ohne Bohrer, nur mit dem Troicart perforiert. Durch die Oeffnung
wird ein Platinstift in die Nasenhöhle hineingesteckt, so dass
er die Nasenspitze berührt, dann wird der Stift so abgeschnitten,
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Ueber prothetisehe Behandlung der Nasendeformitäten.
64»
dass er ungefähr •/* Gm. in die Mundhöhle hinausreicht. Nun
wird ein Abdruck vom Gaumen genommen, in welchem der
Stift in seiner Lage fixiert ist. Der Abdruck wird eingegipst
und eine Kautschukplatte verfertigt, in welcher das untere Ende
des Platinstiftes festvulkanisiert ist (Fig. 47).
Das Heben selbst geschieht folgendermassen:
Durch das eine Nasenloch wird in die Nasenspitze ein
Stück erweichter Guttapercha oder Stentsmasse eingeführt, das
mit Hilfe einer Pinzette an seinem Platz festgehalten wird; nun
Fig. 47.
wird die Gaumenplatte mit dem Nasenstift an Ort und Stelle
gebracht, wobei der Stift in die Nase dringt und zum Teil in
die Guttapercha einsinkt. Nachdem die Guttapercha vollkommen
hart geworden ist, wird zuerst die Gaumenplatte mit dem Stift
durch die Mundöffnung und darauf die Guttaperchamasse durch
das Nasenloch entfernt; die obere Fläche des Guttapercha¬
klümpchens hat sich nach dem Inneren der Nasenspitze ge¬
formt, während die untere Fläche eine Vertiefung vom Stift
aufweist. In diese Vertiefung wird nun ein kurzer Metalldraht
von der Dicke des Nasenstiftes gesteckt, worauf das kleine
Ding eingegipst und ein ebensolches aus hartem oder weichem
Kautschuk verfertigt wird. Anfangs ist es vielleicht besser,
li
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650
Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
weichen Kautschuk zu gebrauchen, aber nach einigen Jahren,
wenn der Patient sich an den Apparat gewöhnt und es sich
gezeigt hat, dass die Gewebe den Druck gut vertragen, macht
man die Prothese lieber aus hartem Kautschuk, der keinen
Veränderungen unterworfen ist.
Indem man allmählich etwas Guttapercha auf die obere
Fläche dieses kleinen Klotzes *aufträgt und im selben Ver¬
hältnisse seinen Umfang an der Unterseite vermindert, um
ihn immer wieder durch das Nasenloch entfernen zu können,
wird die Nasenspitze nach und nach bis zu der gewünschten
Höhe gehoben.
Fig. 48.
Fig. 47 zeigt uns den ganzen Apparat und Fig. 48 die
Patientin nach der Behandlung. Durch etwa 18 Jahre hat sie
den Apparat ohne Beschwerden getragen, der ihr Aussehen
in hohem Grade verbessert, die Funktion der Nase wieder
hergestellt und es der Patientin möglich gemacht hat, ihre
gesellschaftliche Stellung zu behalten.
Fall 2. Ein Mann von etwa 20 Jahren. Die Nase ist ab¬
geplattet und das ganze Septum, sogar das Septum cutaneum
zerstört (Fig. 49).
Der Gaumen wird perforiert und es wird wie im vorher¬
gehenden Falle eine Gaumenplatte verfertigt welche den in die
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Ueber prothetische Behandlung der N&sendeformitäten.
661
Nase hineinragenden Stift zu tragen hat. Da auch das Haut-
septum fehlt, wird ein solches durch eine einfache autoplastische
Operation hergestellt.
Aus der Mitte der Oberlippe wird, ihre ganze Dicke
umfassend, ein 1 Cm. breiter Lappen geschnitten, nach oben
gebogen und an der Nasenspitze so festgenäht, dass die Haut
nach innen und die Schleimhaut nach aussen gerichtet ist.
Die Seitenteile der Lippe werden durch zwei wagrechte Schnitte
so weit gelöst, dass sie in der Mitte zusammengenfiht werden
Fig. 49.
können. Alles heilt per primam. Nach den Literaturangaben
soll die Schleimhaut mit der Zeit ihr Aussehen verändern und
der äusseren Haut ähnlich werden. Das ist aber hier nicht
der Fall; denn noch ein halbes Jahr später ist die Schleim¬
haut rot, wie eine Beere vorgewölbt und entstellt das Aus¬
sehen in hohem Grade; darum wird ein grösserer Teil der¬
selben abgeschnitten, wonach das Septum eine natürliche Farbe
und Form annimmt.
Nachdem diese Vorarbeiten besorgt sind, gilt es, den
Nasenrücken zu heben. Es wird nun in zwei Teilen durch
die Nasenlöcher ein Abdruck von dem Inneren der Nase ge¬
il*
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652 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
nommen und nach diesem Abdruck ein inneres Gerüst (Fig. 51)
verfertigt, dessen mittlerer Teil und vor allem trichterförmige
Vertiefung, in welche der Stift einsinkt, aus hartem Kautschuk
ausgeführt werden. Die Nasenflügel bestehen aus weichem
Kautschuk, damit der Apparat zusammengedrückt und durch
das eine Nasenloch in die Nase hineingesteckt werden kann.
Die Hebung des Nasenrückens kann nun auf zweierlei
Art geschehen: entweder durch Verlängerung des Stiftes oder
durch Erhöhung des Gerüstes mit erweichter Guttapercha. Der
Stift wird dadurch verlängert, dass man die Spitze desselben
Fig. 50.
mit Schraubengängen versieht und mit einer dünnen, ebenfalls
mit Schraubengängen versehenen Hülse umgibt, die auf die
Spitze geschraubt und längs derselben gehoben und gesenkt
werden kann. Gewöhnlich bediene ich mich indessen nach¬
folgender Methode, obwohl sie ein wenig mühsamer ist: Ueber
die Oberfläche des Gerüstes wird mit einem heissen Messer
etwas erweichte Guttapercha gebreitet, worauf das zusammen¬
gerollte Gerüst wieder durch das eine Nasenloch in die Nase
gesteckt wird. Dann wird die Gaumenplatte nebst Stift auf
ihren Platz gelegt und gleichzeitig hebt sich der Nasenrücken
ein wenig. Am folgenden Tage schneidet man mit einem
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Ueber protbetUche Behandlung der Naseudeformi täten.
653
heissen Messer denjenigen Teil der Guttapeicha, der auf die
Seite geschoben worden ist, ab und trägt auf die Mitte eine
neue Schicht auf. So tut man Tag für Tag, bis der Nasen¬
rücken die gewünschte Höhe erreicht hat.
Anfangs kann man etwas mehr Guttapercha auftragen
und sie sogar etwas hart werden lassen. Wird das Gerüst so
gross, dass es schwer an seinen Platz zu bringen ist, so muss
ein neues hergestellt werden, an welchem alle überflüssigen Teile
entfernt werden. Fig. 49 und 50 zeigen uns den Patienten vor und
nach der Behandlung. Fig. 51 stellt den ganzen Apparat dar.
Fig. 51. Fig. 52.
Fall 3. 24jähriger Arbeiter. Die Nase eingesunken, das
Septum verschwunden, die Nasenflügel gegen die Mittellinie
zusammengeschnürt, so dass die Nase von vorne wie ein Klee¬
blatt aussieht (Fig. 58). Durch die Nase zu atmen ist un¬
möglich. Der mittlere Teil der Oberlippe ist zerstört.
Zuerst löse ich mit der Spitze des kleinen Fingers unter
geringer Gewaltanwendung einige zarte Adhäsionen und nehme
dann einen Abdruck des Naseninneren, indem ich zwei mit
Glyzerin oder Vaselin beschickte Rollen erweichter Gutta¬
percha, jede durch ein Nasenloch, in die Nasenhöhle hinein¬
presse und durch Fingerdruck gegen die Mittellinie drücke.
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654 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
Nach dem Hartwerden der Guttapercha werden beide Rollen
herausgenommen, wieder zusammengefugt und mit einem heissen
Messer von den überflüssigen Teilen befreit. Nach diesem Ab¬
druck wird aus weichem Gummi ein dünnes Gerüst an¬
gefertigt und zusammengerollt durch das eine Nasenloch an
seinen Platz gebracht.
Der Gaumen wird perforiert; dann wird ein Stift in die
Nasenhöhle und in das Nasengerüst eingeführt, der die Aufgabe
Fig. 53.
hat, das Gerüst an der Stelle, wo der Nasenrücken einer Stütze
am meisten bedürftig ist, zu stützen. Der untere Teil des Stiftes
wird an eine Gaumenplatte festvulkanisiert, die also das Ganze
zu tragen hat (Fig. 52).
Durch die Bekleidung des Gummiskelettes mit erweichter
Guttapercha, vor allem an jenen Stellen, die man zu heben
wünscht, wird schliesslich eine Nasenform erhalten, die den
ästhetischen Forderungen entspricht. Zugleich wird die nasale
Atmung völlig wieder hergestellt.
Ein endgiltiges Resultat wird jedoch nie mit einem einzigen
Gerüst gewonnen, es müssen vielmehr die Gerüste erneuert
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Ueber prothetische Behandlung der Nasendeformitäten. 656
werden, je nachdem sich die Nase während der Behandlung
verändert.
In dem endgiitigen Gerüst muss die Stelle, gegen welche
der Stift sich stützt, aus hartem Kautschuk und etwas trichter¬
förmig angefertigt werden. So gelangt der Stift leicht an seinen
Platz und kann das Gerüst nicht perforieren.
Fig. 53 und 54 zeigen uns den Patienten vor und nach
der Behandlung.
Fig. 64.
Fall 4. 22jährige Frau. Hier handelte es sich darum,
das Resultat einer partiellen rhinoplastischen Operation zu
verbessern. Einige Zeit nach der Operation wurde der Nasen¬
rücken wieder platt und die Folge davon war, dass die
Patientin nun schlechter daran war als vor der Operation,
besonders wegen der vollständigen Behinderung der Nasen¬
atmung.
Auch hier wird der Gaumen perforiert und eine Gaumen¬
platte mit Nasenstift verfertigt. Am Ende dieses Stiftes wird eine
mit Schraubengängen versehene Röhre aufgesetzt, welche durch
Schrauben gehoben und gesenkt werden kann. Diese Röhre
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656
Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
endet oben in einen etwa 1 Cm. langen Ansatz, welcher sich
gegen den Stift winkelig abbiegen lässt (Fig. 55). Wenn man an
dem mit einem Knoten versehenen Faden zieht, stellt sich das
Glied parallel zum Stift und kann dann in die Nase hinein¬
geführt und wieder von dort herausgenommen werden. Zieht
man am anderen Faden, so wird das Glied in rechtwinkeliger
Stellung abgebogen und dient dann zur Stütze des. Nasen¬
rückens. Durch die Schraube lässt sich dieses Glied heben und
dient so als orthopädischer Apparat Die Schraubengänge sind
so eng, dass das Glied sich mit einer Umdrehung nur um
Fig. 55.
V, Mm. hebt, mit drei Drehungen um 1 Mm., das heisst der
Druck lässt sich auf das genaueste modifizieren.
Um das Einsinken der Nasenlöcher zu verhindern, wurde
nach demselben Prinzip wie im vorhergehenden Falle ein
Apparat aus Weichgummi verfertigt, der zwei Gummiröhren
ähnlich sah (Fig. 55).
Auch in diesem Falle wurde das Resultat ein be¬
friedigendes Doch erkrankte die Patientin an einer Psychose,
weshalb der Apparat entfernt werden musste.
3. Eine Perforation ist nicht vorhanden und wird nicht gemacht.
Bei diesen Fällen, die gewöhnlich die erfolglosesten sind,
kann man sich der von Martin vorgeschlagenen Apparate
(Fig. 24 bis 32) bedienen.
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Ueber prothetische Behandlung der Naaendeformi täten. 657
Seitdem ich im Jahre 1890 mit Martins preisgekrönter,
ausgezeichneter Arbeit „De la Prothese immediate etc.“,
Paris 1889, Bekanntschaft machte, habe ich mich zwar oft seiner
Apparate bedient, muss aber gleich hervorheben, dass man
nach meiner Erfahrung mit Apparaten, die sich nur auf die
Schleimhaut der Nase stützen, keine guten Resultate gewinnt.
Wohl kann die Atmung durch die Nase wiederhergestellt und
der Nasenrücken etwas erhöht werden, doch pflegt die Nase
fast in derselben Proportion auch an Breite zuzunehmen, so
dass der ästhetische Eindruck ein wenig befriedigender wird.
Fig. 67. Fig. 68.
Fall 1. 31 jähriger Mann. Hier waren die Knorpel- und
Knochenteile der Scheidewand zerstört und resorbiert. Die
Scheidewand bestand nur aus einer strammen Bindegewebs-
wand, die seitwärts gebogen und gegen den Boden der Nasen¬
kavität hinabgedrückt werden konnte. Die Nase eingesunken,
die Atmung behindert, besonders dann, wenn der Patient den
geringsten Katarrh hatte, dann war die Nase immer gänzlich
verstopft.
Von jedem Nasenloch wird einzeln ein Abdruck auf
folgende Art genommen: Ein zirka 3 Cm. langes Stück eines
Nelaton-Katheters aus Weichgummi, so dünn, dass es die
Nasenflügel nicht ausbuchtet, wird, mit erweichter Guttapercha
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658 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
umgeben, durch die Nasenlöcher eingeführt. Während die
Guttapercha hart wird, zwingt man die durch die Guttapercha
vorgewölbten Flügel durch Fingerdruck eine möglichst natür¬
liche Form anzunehmen. Nachdem die Abdrücke hart geworden,
werden sie entfernt und nach ihnen aus Weichgummi hohle
Prothesen vulkanisiert, die, gleich den Guttaperchaklötzen, die
Nasenflügel etwas erweitern, den Nasenrücken erhöhen und
die Luft frei durch die Nase passieren lassen.
Fig. 56 zeigt uns die Apparate; Fig. 57 und 58 den Pa¬
tienten vor und nach der Behandlung. Doch will ich hinzu¬
fügen, dass die Nase von vorne gesehen nicht so schön ist,
Fig. 59. Fig. 60.
wie sie auf dem Profilbilde (Fig. 58) aussieht. Die Nase ist
platt und hässlicher als man nach dieser Zeichnung annehmen
sollte.
Fall 2. 24jähriger Mann. Die Knorpelteile des Septum
zerstört, die Nasenspitze eingesunken, die Nasenflügel nach
der Mitte hin eingeschnürt (Fig. 59 und 60). Nur mit Mühe
kann etwas Luft durch die Nase gepresst werden. Der Patient
ist blass, fast cyanotisch, schläft schlecht, erwacht häufig in¬
folge von Erstickungsanfällen, hat immer „schweren Kopf“, ist
trüb gestimmt und zur Arbeit unfähig.
Der Apparat ist derselbe wie im vorigen Falle, nur be¬
deutend kürzer. Das Resultat in ästhetischer Hinsicht nicht be¬
sonders glänzend (Fig. 61 und 62), doch in physiologischer und
therapeutischer Beziehung staunenswert. Patient kann un-
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Ueber prothetische Behandlung der Naeendeformitftten.
«69
behindert atmen, hat keine cyanotische Farbe, schläft gut, ist
arbeitsfähig und lebenslustig.
Diese beiden Fälle hätten, mit Paraffinprothesen be¬
handelt, in kosmetischer Beziehung sicher bessere Resultate er¬
geben, besonders wenn beide Methoden kombiniert worden
wären. Leider kannte man aber zu jener Zeit (1886) die An¬
wendung des Paraffins zu solchen Zwecken noch nicht.
4. Orthopädische Apparate zu prophylaktischen Zwecken.
Es kommt zuweilen vor, dass sich Patienten zur Be¬
handlung einfinden, bevor eine Einsenkung des Nasenrückens
eingetreten ist, bei denen man aber voraussehen kann, dass
Fig. 61.
Fig. 62.
dieselbe im Laufe einiger Wochen mit aller Gewissheit statt¬
finden muss. In solchen Fällen ist es am besten, so früh
wie möglich einzuschreiten, bevor Narbenkontrakturen, Ad¬
häsionen, Schrumpfung und Atrophie der Gewebe die Be¬
handlung erschweren.
In diesen Fällen kann man sich je nach deren Be¬
schaffenheit einer der oben erwähnten Methoden bedienen. Bei
der prophylaktischen Behandlung gibt es also keine neue
Methode und ich habe diese Rubrik nur deshalb aufgenommen,
um die Notwendigkeit einer solchen Behandlung besser betonen
zu können.
Fall 1. Ein 12jähriger Knabe hatte von einem Kapell¬
meister in einer Provinzstadt mit dem Taktstock einen Schlag
gegen die Nase bekommen. Die Nasenscheidewand wurde zer-
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660 Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
stört und es entstand im harten Gaumen eine Perforation, die
sich jedoch nach Abstossung des Knochens wieder schloss.
Noch war der Nasenrücken nicht eingesunken, da aber sowohl
Knorpel- als Knochenteile der Scheidewand verschwunden
waren, konnte die Nasenspitze in die Nasenhöhle hineingedrückt
werden, so dass sie fast ganz in der Tiefe verschwand. Man
konnte daher mit voller Gewissheit voraussehen, dass die Nase
mit der Zeit deformiert werden und vielleicht ebenso tief ein-
Fig. 63.
sinken würde, wie wir es in früheren Fällen, z. B. Fig. 16 und 17,
gesehen haben.
Durch Eröffnung einer Perforationsstelle im Gaumen
wurde ein Gang geschaffen, durch den ein stützender Stift ein-
geführt und mit seinem unteren Ende an einer Gaumenplatte
festvulkanisiert wurde. Am oberen Ende des Stiftes wurde ein
ganz kleines Kissen aus weichem Gummi befestigt, das durch
die etwas erweiterte Perforationsöffnung im Gaumen in die
Nasenhöhle hineingesteckt werden konnte, um den Nasenrücken
zu stützen.
Nun musste aber der Patient nach einigen Tagen die
Stadt verlassen, um nach einem entlegenen Ort zu reisen und
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Ueber prothetiache Behandlung der Nasendeformitäten. 661
hatte nicht Gelegenheit, wieder zurückzukehren. Deshalb ent¬
schloss ich mich dazu, den Apparat in solcher Weise zu modi¬
fizieren, dass der Patient selbst, wenn er älter und grösser
würde, die Prothese erhöhen und dadurch den Nasenrücken
zwingen könnte, sich in Uebereinstimmung mit der sonstigen
Entwicklung des Gesichtes zu heben. Daher versah ich den Hebe¬
apparat mit einer Mechanik, welche es dem Patienten selbst
ermöglichte, mit einem kleinen Schraubenschlüssel vom Munde
aus die Nasenstütze nach Bedarf zu erhöhen (Fig. 63). Ich
fürchtete allerdings, dass der Patient, der noch sehr un¬
entwickelt und kindisch war, nicht verstehen oder nicht dazu
kommen würde, seinen Apparat handzuhaben, besonders da
ich ihn nicht melir überwachen konnte.
Ein halbes Jahr darauf begegnete mir zufällig der Knabe,
der-jetzt eine Anstellung in Helsingfors erhalten hatte und
während dieser Zeit bedeutend gewachsen war. Ich nahm ihn
mit mir nach Hause, nahm einen Abdruck von seinem Gesicht
und sah zu meiner Freude, dass seine Nase ihre Form voll¬
kommen beibehalten hatte, wie das auch aus Fig. 64 und 65
hervorgeht. Erstere Abbildung zeigt uns nämlich den Patienten
bei seinem ersten Besuche, letztere wie er aussah, nachdem
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662
Prof. Matti Äyräpää, Helsingfors (Finnland).
er die Prothese 6 Monate getragen hatte. Patient erzählte, er
habe den Apparat Tag .und Nacht getragen und ihn nur
behufs Reinigung entfernt; einige Male habe er die Stutze un¬
bedeutend erhöht.
Hieraus sehen wir, dass die orthopädischen Apparate auch
zu prophylaktischem Zwecke benützt werden können.
5. Orthopädische Behandlung bei Nasenfrakturen.
Zu dem schon auf Seite 637 Gesagten will ich noch
einige Worte hinzufügen.
Fig. 66.
Martin verwendet bei Frakturen, ob sie nun frische
oder älteren Datums und in unrichtiger Stellung geheilt sind,
dieselben Apparate, die schon erwähnt worden sind (Fig. 24
bis 28), nachdem er mit der Zange (Fig. 23) die Knochen zur
normalen Stellung gezwungen hat.
Nach Reponierung der frakturierten Teile wird die Nase
mit Guttapercha tamponiert, deren Wirkung noch durch einen
Stahldraht vermehrt wird, den man mit einer gestärkten Binde
um den Kopf befestigt und so biegt, dass seine Enden gegen
die Seiten der Nase drücken (Fig. 66). Damit die Drahtenden die
Haut nicht reiben, biege ich sie um und überziehe sie mit einem
Stück Gummiröhre, wie auf derselben Abbildung zu sehen ist.
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Ueber protbetische Behandlung* der N&sendeforarit&ten.
663
Damit der Patient, auch während er die Tampons trägt,
durch die Nase atmen kann, verfahre ich in folgender Weise:
Von einem Nelaton-Katheter von passender Dicke schneide
ich zwei 2 Cm. lange Stücke ab, umgebe sie mit erweichter
Guttapercha und stecke sie in die Nasenlöcher.
6. Orthopädische Apparate bei Verengerung der Nasenlöcher.
Sind Nasengänge und Nasenlöcher aus der einen oder
anderen Ursache — angeboren oder erworben — eng und
erschweren sie in höherem oder geringerem Grade die nasale
Fig. 67.
Atmung, so können kleine erweiternde Prothesen von ziemlich
grossem Nutzen sein. Zu diesem Zwecke nimmt man, wie in
den vorhergehenden Fällen, mit Stents oder Guttapercha einen
Abdruck vom Inneren der Nase. Will man einen etwas
grösseren Druck auf einen bestimmten Teil des Naseninneren
hervorbringen, so braucht man nur etwas mehr erweichte
Guttapercha auf die entsprechende Stelle des Abdruckes zu
breiten und diesen, mit ein wenig Vaselin oder Glyzerin be¬
strichen, wieder in die Nase einzulegen. Nach diesen Ab¬
drücken werden später aus hartem Kautschuk äusserst dünne
röhrenförmige Prothesen gemacht, welche, in die Nasenlöcher
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664 Prof. M. Äyräpää, Helsingfors. Ueber prothetische Behandlung etc.
eingebracht, das Lumen derselben erweitern und die Atmung
erleichtern.
In Fig. 67 sind einige solche Prothesen zu sehen.
ich habe in vielen Fällen einen sehr grossen Nutzen von
diesen einfachen Apparaten gehabt, z. B. bei chronischem
Schnupfen, bei Deviationen der Nasenscheidewand und bei
aus verschiedenen Gründen erschwerter Nasenatmung. Ich
erinnere mich besonders eines Predigers, an dessen Nase
nichts Abnormes zu finden war, der sich aber darüber be¬
klagte, dass seine Nase, wenn er in der kalten Kirche predige,
immer verstopft sei, was ihn sehr belästige. Jetzt kann er bei
Ausübung seines Amtes ohne Apparate gar nicht zurecht¬
kommen, trägt sie bisweilen auch in der Nacht und schläft
dann ruhiger.
Von diesen kleinen Apparaten, die natürlich für die
rechte und linke Seite verschieden sind, pflege ich stets einige
Paare von verschiedener Grösse auf Lager zu haben. Dadurch,
dass man ein Paar von ungefähr passender Weite, mit etwas
erweichter Guttapercha bekleidet, in die Nase einführt, kann
man oft sehr rasch einen guten Abdruck zur Verfertigung ge¬
eigneter Prothesen gewinnen, ja es kommt sogar vor, dass
die Apparate so wie sie sind passen. 1
i Trotzdem ich schon 1886 diese kleinen Nasenprothesen gemacht
und sie 1890 in meinem Vortrage am Internationalen Kongresse in Berlin
erwähnt und sie in verschiedenen Publikationen sogar abgebildet habe, ist
später auf die Verfertigung solcher Prothesen ein deutsches Patent ge¬
nommen worden.
(Schluss folgt.)
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K. k. sahnärmtl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 665
Berichte ans Instituten and Vereinen.
Baicht d» LLzahiintlickei Mutes 1er DnlTeratät ii fiel
(Prel Dr. J. Scheff).
Erstattet von Dr. Bruno Klein, I. Demonstrator daselbst.
(Fortsetiong and Schloss.)
In den Jahren 1905 und 1906 kamen Anomalien ganzer
Zahnreihen, wie auch einzelner Zähne zur Beobachtung. Von
sämtlichen Abnormitäten wurden Abdrücke genommen und
der Modellsammlung des Institutes einverleibt. Unter diesen
sind besonders hervorzuheben: Stellungsanomalien' ganzer Zahn¬
reihen sowie einzelner Zähne, Ueber- und Unterzahl, Ab¬
weichungen von der normalen Form und abnormale Artiku¬
lationsverhältnisse.
Nur in wenigen Fällen konnten wir genaue anamnestische
Angaben über die Zeit und Reihenfolge des Zahndurchbruchs,
über das Milchgebiss, über eine eventuelle erbliche Veran¬
lagung und über abgelaufene Krankheiten von den betreffenden
Patienten erlangen. Die Aetiologie hat zweifellos eine nicht zu
unterschätzende Bedeutung, denn sie lehrt uns, wie schon
Sternfeld bei den „Anomalien der Zähne“ (Schelfs Hand¬
buch der Zahnheilkunde, I. Bd.) bemerkt, auf welche Weise
letztere zustande kommen und wie bei schon fertigem Gebiss
noch eine Besserung erzielt werden kann. Von diesem Stand¬
punkte aus ist die Sammlung im hiesigen zahnärztlichen Institute
angelegt, und da die Angaben mancher Patienten recht mangel¬
haft sind, so kann nur der Vergleich mit ätiologisch bekannten
ähnlichen Fällen zu einer teilweise verlässlichen Diagnose hin¬
sichtlich des Zustandekommens gewisser Anomalien führen.
Auch bei den nun zur Beschreibung gelangenden Fällen
entspricht die Anamnese trotz eingehendster Erkundigung
nicht allen Anforderungen. Erschwerend wirkte der Umstand
12
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666 K. k. zahnärztl* Institut (Prof. Schefl) der Universität in Wien.
dass es meistens Patienten betraf, die auf einer niedrigen
Bildungsstufe standen und die erst dann das Institut auf-
suchten, wenn sich bereits Beschwerden von seiten ihres
Hg. l.
Gebisses bemerkbar machten oder in denen durch ihre Um¬
gebung das ästhetische Moment geweckt wurde.
Der 24jährige Alois K. suchte das Institut wegen hef¬
tiger 'Schmerzen im Oberkiefer auf. Patient zeigte ausge-
Fig. 2.
sprochene Zeichen einer überstandenen Rachitis, doch widmete
er seinem Gebisse und den bei demselben vorgekommenen
Veränderungen weder in der Jugend noch im späteren Alter-
jene Aufmerksamkeit, die ihn befähigt hätte, Aufschluss über
Veränderungen im Durchbruch der Zähne, über frühzeitigen
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& k. zabnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 667
Verlust seiner Mhbaähne und über die Zahnverhältnisse seiner
Verwandten geben re können. Mit Bestimmtheit konnte er
bloss angeben, dass an ihm niemals eine Extraktion vor¬
genommen worden sei.
Bei der Inspektion seiner Mundhöhle ergibt sich folgender
interessanter Befund (siehe Fig. 1 und 2): lm Oberkiefer
befinden sich zwei tief zerstörte Wurzeln, die, den grossen
Schneidezähnen angehörend, unausgesetzt periostitische
Schmerzen verursachen und sich mit den Eckzähnen zu einem
äusseren Zahnbogen ergänzten, während die palatinal durch¬
gebrochenen kleinen Schneidezähne mit dem ersten Prämolar
linkerseits einen inneren Zahnbogen darstellen. Der erste
Molar rechts oben ist bis auf die noch im Kiefer steckenden
Wurzeln durch Karies zerstört. Der Oberkiefer, dessen Gaumen
hoch und dessen Alveolarteil verdickt erscheint, fällt gegen¬
über dem grossen Unterkiefer durch seine Kleinheit auf. Im
letzteren ist links nur ein Schneidezahn vorhanden. Die
Lücke bis zum Eckzahn rechterseits soll nach Angabe des
Patienten seit jeher bestanden haben. Der zweite Prämolar
links, sowie der erste Molar auf beiden Seiten sind bis auf
die Wurzeln geschwunden. Die Zahnformel lautet demnach:
7 6r 5 4 8 | 2 3 4 Br 6r 7
Die vorgenommene radiologische Untersuchung ergab
das Fehlen jeder Anlage der mangelnden Zähne, so dass im
Unterkiefer eine wirkliche Unterzahl derselben angenommen
werden musste. Die Artikulation erfolgt in der Weise, dass
jederseits die zweiten Molaren sich nur in einem einzigen
Punkte berühren, weshalb die Kaubewegungen, je nach der
Zerkleinerung der Speisen linker- oder rechterseits, mit der
entsprechenden Neigung des Kopfes nach diesen beiden
Richtungen verbunden sind. * Im vorliegenden Falle hat jeden-
i Ein ähnlicher Fall wurde von Spitzer veröffentlicht. (Bericht
des k. k. zahnärztlichen Institutes. Oesterr.-ungar. Vierteljabrsschrift für
Zahnheilkunde, XXL Jabrg. 1905, Heft 2 und 3.)
12 *
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668 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Schelf) der Universität iu Wien.
falls bei der Entstehung der Stellungsanomalie im Oberkiefer
sowie bei der Retention der drei Zähne im Unterkiefer die
Rachitis als veranlassendes Moment die Hauptrolle gespielt,
wiewohl an den Zähnen selbst die als typisch bekannten
Merkmale rachitischer Erkrankung nicht vorhanden waren.
Folgende von Sch eff in seinem „Handbuch der Zahnheil¬
kunde“, II. Bd., 2. Aufl., S. 528, über die Rachitis geäusserte
Ansicht, die ich im Wortlaute anführe, deckt sich mit dem
vorliegenden Falle in geradezu auffallender Aehnlichkeit:
„ Gleichwie der Durchbruch der Zähne zurückgehalten werden
kann, findet in der Reihenfolge des Durchbruches der ein-
F«g. 3.
zelnen Zahnsorten durch rachitische Veranlagung oder durch
eine sich erst später entwickelnde Rachitis eine Abweichung
statt, so dass auf die grossen Schneidezähne nicht die kleinen,
sondern eventuell als nächste Gruppe die Backenzähne und
schliesslich die kleinen Schneidezähne zum Durchbruch ge¬
langen, die dann nicht im Zahnbogen, sondern innerhalb oder
ausserhalb desselben erscheinen.“ Dass der erste Prämolar
links oben palatinal durchgebrochen ist, dürfte damit zu er¬
klären sein, dass er nach dem Caninus zum Vorscheine ge¬
kommen und daher wegen Platzmangel nicht in die Reihe
eintreten konnte oder dass er beim Durchbruch des Eck¬
zahnes verdrängt wurde. Rechts schliesst der erste Prämolar
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K. k. xahn&rztl. Institut (Prof. Sebeff) der Universität in Wien. 669
an den Eckzahn an, doch fehlt auch auf derselben Seite der
erste Mahlzahn.
Einen anderen Fall von TTnterzahl der Zähne stellt
Fig. 3 und 4 dar. Die Reproduktionen wurden nach dem Gebiss*
abdrucke eines 16jährigen Knaben hergestellt, der, kränklich
und anämisch aussehend, nach Angabe der Mutter Masern und
Scharlach durchgemacht hat und auch jetzt häufig an Augen¬
entzündungen und Drüsenanschwellungen leidet. Aeusserlich
bestehen Lidrandkatarrh und chronisches Nasenekzem, Be¬
hinderung der freien Nasenatmung, sowie derbe Drüsenpakete
in der Regio submaxillaris. Die Milchzähne sind frühzeitig
i
Fig. 4 .
schlecht geworden und ausgefallen. Der Durchbruch der jetzt
vorhandenen Zähne habe sich sehr langsam und erst in den
letzten vier Jahren vollzogen. Die Mutter des Patienten trägt
einen totalen oberen Ersatz, die Geschwister des Patienten
sollen gesund sein und normal geformte Zähne besitzen
Das Gebiss setzt sich folgendennassen zusammen: Im
Oberkiefer sind nur die beiden mittleren Schneidezähne, links
der kleine Schneide- und Eckzahn sowie der erste Molar,
rechts der erste und zweite Mahlzahn zum Durchbruch ge¬
langt Im Unterkiefer stehen nur fünf Zähne, und zwar rechts
der mittlere Schneidezahn, der Eck- und der erste Mahlzahn,
Digitized by v^ooQle
670 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Schelf) der Universität in Wien.
links der mittlere Schneide- und Eckzahn. Die Zahnformel
lautet demnach:
7 6 1 | 1 2 3 6
6 3 1 j L 3
Es artikulieren nur die Schneidezähne miteinander. Der
radiologische Befund ergibt, dass die fehlenden Zähne im
Keime nicht vorhanden sind, und zwar fehlen die Prämolaren
vollständig; sonst sind im Oberkiefer rechts der Eck- und kleine
Schneidezahn, links der zweite Molar, im Unterkiefer rechts
der zweite Schneide- und Mahlzahn, links die beiden Mahl-
Fig. 5.
zähne nicht zur Entwicklung gelangt. Der Gaumen ist flach,
an Stelle der fehlenden Zähne sind dünne Knochenleisten zu
fühlen.
Auch in diesem Falle wäre die Ursache der Reduktion
in einer konstitutionellen Krankheit, und zwar der Skrophulose
zu suchen. Dem Patienten wurde der Rat erteilt, sich eine
Prothese anfertigen zu lassen, die bei seinem krankhaften Zu¬
stande zu einer besseren Ernährung beitragen würde.
Fig. 5 stellt den Oberkiefer eines 25 jährigen Mannes dar,
welcher angibt, stets gesund gewesen zu sein und von ge¬
sunden Eltern zu stammen. Sein Milchgebiss sei vollständig
gewesen, eine Extraktion von Zähnen sei niemals bei ihm vor¬
genommen worden. Im Oberkiefer, dessen Alveolarteil verdickt
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K. k. s&hnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien. 671
erscheint, fehlen rechts der grosse und kleine Schneidezahn,
links der grosse Schneide- und Eckzahn, während der kleine
Schneidezahn sich im Zustande der Halbretention befindet und
an diesen anschliessend ein zapfenförmiger Zahn. Das Gebiss
im Unterkiefer ist vollständig. Die radiologische Unter¬
suchung liefert in diesem Fall den sicheren Nachweis der Re¬
tention der fehlenden Zähne. Bei Kieferschluss treten nur die
letzten Molarenpaare miteinander in Artikulation, vorne besteht
ein offener Biss.
Der Vater des jungen Mannes zeigt an seinem Gebiss
folgenden Befund: Im Oberkiefer sind nur die vier Front¬
zähne erhalten. Rechterseits haben grosser und kleiner Schneide¬
zahn miteinander den Platz gewechselt, links fehlt der grosse
Schneidezahn, der niemals vorhanden gewesen sein soll, dann
folgen der kleine Schneide- und der Eckzahn.
Der Mann weiss sich genau zu erinnern, dass er zur Zeit
seines vollständigen Gebisses die Zähne vorne niemals schliessen
konnte.
Sind also bei den beiden erstbeschriebenen Fällen kon¬
stitutionelle Erkrankungen als Hauptursache für das Fehlen
einer Anzahl von Zähnen anzusehen, so ist in dem letzten
Falle die Annahme einer erblichen Veranlagung nicht voll¬
ständig von der Hand zu weisen.
Dependorf in Jena hält den angeborenen Mangel von
Zähnen, und zwar die Nichtentwicklung aller oder einzelner
Zahnanlagen für selten und führt folgende Ursachen für die
Entstehungsformen der Zahnreduktion an: 1
1. Ursachen in Form lokaler Wirkungen im direkten Be¬
reich der Kiefer:
a) Zerstörung des Zahnkeimes durch äussere mechanische
Eingriffe, Operationen, Extraktionen, durch Trauma, Verletzungen
aller Art;
b) Dystrophien infolge chronischer Entzündungen der
Kiefer.
t Oesterr. -Ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Jänner 1907,
Heft I.
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672 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Schelf) der Universität in Wien,
2. Ursachen in Form konstitutioneller Erkrankungen:
a) Allgemeine Störungen in der Entwicklung und Er¬
nährung des gesamten Organismus;
b) spezielle Störungen in der Knochen- und Zahnent-
wicklung.
3. Ursachen in Form trophoneurotischer Erkrankungen.
Fig. 6 stellt einen Fall von Ueberzahl der Zähne dar.
Das Modell stammt von einem 19jährigen Manne, der angibt
dass der Zahn (Fig. 6 und 6a) in seinem 17. Lebensjahre zum
Vorschein gekommen sei. Obwohl er ihm keinerlei Beschwerde
verursachte, Hess er ihn wegen seiner eigentümlichen und auf¬
fallenden Form extrahieren. Nach 1'/* Jahren sei ein ebenso
Fig. 6«.
gestalteter Zahn an derselben Stelle, und zwar zwischen grossem
Schneidezahn links und kleinem Schneidezahn rechts erschienen,
der ebenfalls entfernt wurde. Seit einem halben Jahre kommt
nun noch ein dritter Zahn zum Durchbruch. Bei der Unter¬
suchung des sonst sehr gut entwickelten Gebisses bemerkt
man, dass in dieselbe Stelle, wo früher die beiden extrahierten
Zähne erschienen waren, ein dritter Zahn hereinragt, der hoch
oben durch den Alveolarfortsatz getreten, um 90° gedreht ist
und mit Ausnahme einer abnormen Einsenkung, die dem
kleinen Schneidezahn rechts zugewendet ist, die Gestalt des
im Gebisse nicht vorhandenen grossen rechten Schneidezahnes
besitzt. Die extrahierten Zähne besitzen eine höckerige Krone
mit dütenförmiger Einsenkung und eine konische drehrunde
Wurzel.
Fig. 6.
m ä
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E. k. eahnärztl. Institut (Prot Scheff) der Universität in Wien. 673
In der Sammlung des Institutes finden sich überzählige
Zähne von genau derselben Form, doch waren sie entweder
zwischen den beiden grossen Schneidezähnen oder aber
palatinal, dicht hinter den letzteren durchgebrochen. Der vor¬
liegende Fall dagegen ist deswegen von besonderem Interesse,
weil der Durchbruch des grossen Schneidezahnes durch die
beiden überzähligen Zähne gehindert war und erst deren
Extraktion den Beweis lieferte, dass es sich tatsächlich um
eine Ueberproduktion und nicht um einen abnorm gestalteten
normalen Zahn handelte. Der grosse Schneidezahn erscheint
Kg. 7.
gegenwärtig oberhalb der normalen Durchbruchsstelle und dieser
Umstand dürfte seinen Grund in der dichten Narbe haben,
die dort zur Bildung kam, wo seinerzett die extrahierten,
abnorm gebildeten Zähne gestanden waren.
Zwei in bezug auf die Krone ähnlich gestaltete überzählige
Zähne gehören dem in Fig. 7 und 7 a dargestellten Oberkiefer
an. Beide Zähne waren bei einem 17 jährigen Mädchen durch¬
gebrochen, nachdem schon lange Zeit vorher dicht hinter den
grossen Schneidezähnen eine deutliche Vorwölbung bestanden
hatte. Die Wurzel des einen dütenförmigen Zahnes ist ziemlich
scharf abgeknickt, wodurch der ganze Zahn ein mehr schuh¬
förmiges Aussehen erhält, während die Wurzel des anderen
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674 K. k. zahnärztl. Institut (Prof. Scheff) der Universität in Wien.
seitlich zusammen gedruckt ist. Die Ursache dieser Knickung
und Abplattung ist wohl auch bei diesen überzähligen Zähnen
auf mangelhafte Raumverhältnisse und die bedeutenden Wider¬
stände beim Durchbruch zurückzuführen.
Zum Schluss sei noch einer Zwillingsbildung Erwähnung
getan, die in Fig. 8 dargestellt ist. Es handelt sich in diesem
Falle um die Vereinigung des grossen rechten Schneidezahnes
mit einem gleichgeformten überzähligen Nachbarzahn. Die
Kronen beider Zähne sind partiell in ihrer oberen Hälfte
durch einen Schmelztropfen vereinigt, die untere Hälfte ist
frei, ebenso sind, wie die radiologische Untersuchung ergibt,
zwei vollständig separierte Wurzeln vorhanden.
Dieser Fall ist wohl zweifellos den Zwillingsbildungen zuzu-
Fig. 8.
rechnen, da er sich mit den meisten Definitionen über diese
Anomalie in Einklang bringen lässt.
Scheff äussert sich in seiner Arbeit „Fälle aus der
Praxis“ über Zwillingsbildung folgendermassen: 1
„Jedenfalls handelt es sich bei der Bildung von
Zwillingszähnen, sowohl im vorderen wie im rückwärtigen
Abschnitt, um eine Vermehrung von Zahnkeimen, von welchen
zwei dicht nebeneinander liegende vor ihrer Ossifikation derart
in Berührung kamen, dass sie miteinander verwachsen
mussten. Bei der Zwillingsbildung handelt es sich immer nur
um die Kronen, welche an ihrer Verbindungsstelle eine entweder
oberflächliche oder tiefer eindringende Linie zeigen als jene
Stelle, wo die beiden Kronen miteinander verwachsen sind.“
1 Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, IX. Jahrg.
1893, 4. Heft.
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Zentralverb&nd der Österreichischen Stomatalagen.
676
Sternfeld, Wedl und Baume pflichten derselben
Ansicht bei.
Ersterer stellt folgenden Satz auf: 1
„Zwillingsbildungen setzen eine Ueberzähl von Zähnen,
respektive Zabnkeimen voraus; anstatt eines Zahnkeimes
haben sich innerhalb eines Zahnsäckchens zwei Zahnkeime
gebildet, die dann miteinander partiell oder total ver¬
schmolzen sind. 11
Riha macht in seiner ausführlichen Arbeit „Ueber
Zwillingszähne“ * den Vorschlag der Einteilung in äquale und
inäquale Zwfllingszähne. Unter den ersteren sind jene
Zwillingsbildungen verstanden, die durch die Vereinigung eines
normalen Zahnes mit einem überzähligen Zahn von gleichem
Typus zustande kommen, unter den letzteren die, welche aus
der Verwachsung eines normalen Zahnes mit einem über¬
zähligen Nachbarzahn vom Typus „Zapfen- oder Höckerzahn“
hervorgegangen sind.
Mit Rücksicht auf diese Einteilung wäre der oben be¬
schriebene Fall als ein äqualer Zwillingszahn anzusehen.
ZeotralTortaid der öMckukei Stonatelopi io Viel
Die vierte ausserordentliche wissenschaftliche Versammlung
des Zentralverbandes der österreichischen Stomatologen findet
Samstag den 9. November, 7*6 Uhr, in der zahnärztlichen
Abteilung der allgemeinen Poliklinik, IX. Höfergasse 1, mit
folgendem Programm statt:
Herr Zahnarzt Alfred Körbitz, Leiter der Berliner zahn¬
ärztlichen Poliklinik: Die Hilfsmittel der modernen Ortho-
dontie, und
Herr Dr. Rudolf Sa fron, Wien, vorläufige Mitteilung:
1. Ueber die Behandlung von Wurzelkanälen bei putrider Pulpa;
2. Eine Adjuvans zur Nervextraktion.
* Handbuch der Zahnheilknnde von Dr. Schelf, I. Bd., S. 644.)
* Deutsche Monatsschrift fttr Zahnheilkunde, XXV. Jahrg., 6. Heft, 1907.
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676
Zentralverband der österreichischen Stomatologen.
Fünfte Jahresversammlung (ordentliche Verbandsversammlung)
Samstag den 7. und Sonntag den 8. Dezember 1907.
Die Geschäftssitzung wird am Samstag den 7. De¬
zember, um V*6 Uhr nachmittags, im Sitzungssaale der Wiener
Aerztekammer, I. Börsegasse 1, abgehalten werden.
Tagesordnung:
1. Begrüssung durch den Präsidenten.
2. Jahresbericht durch den ersten Schriftführer.
3. Kassabericht durch den Säckelwart.
4. Mitteilungen des Schriftleiters der „Oesterreichischen
Zeitschrift für Stomatologie“.
5. Neuwahlen.
6. Bestimmung des Jahresbeitrages.
7. Bestimmung des Ortes und der Zeit der nächsten
Jahresversammlung.
8. Allfällige Anträge.
Anträge sind schriftlich bis längstens 1. Dezember an das
Präsidium, IX. Ferstelgasse 5, zu richten.
Samstag und Sonntag vormittags finden
wissenschaftliche Sitzungen
in den Räumen des k. k. zahnärztlichen Universitäts-Institutes
des Herrn Regierungsrates Professor Dr. J. Sch eff, IX. Türken¬
strasse 9, und in der zahnärztlichen Abteilung der Allgemeinen
Poliklinik des Herrn Doz. Dr. v. Wunsch heim statt. Das
ausführliche Programm der Vorträge und Demonstrationen
wird demnächst bekannt gegeben werden.
Für den Ausschuss des Zentralverbandes
der österreichischen Stomatologen:
Dr. Bum, Schriftführer Prof. Dr. Trauner, Präsident
I. Goldschmidgasse 10. IX. Ferstelgasse 5.
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Bericht Aber Dr. S&ndbloms Kurs in Berlin.
677
finkt iktr Dr. Saiiblois Kurs ii Berlin.
Mitte August d. J. hielt Dr. Sandbiom, Leiter des nor¬
wegischen zahnärztlichen Universitäts-Institutes in Christiania,
in der Berliner zahnärztlichen Poliklinik des Herrn Körbitz
einen 14 tägigen Fortbildungskurs.
Dr. Sandblom arbeitete 20 Jahre in den Vereinigten
Staaten und war Lehrer an der Northwestern University unter
Professor Black in Chicago.
Sandblom überrascht durch ein ganz eminentes Lehr¬
talent. In wenigen Worten weiss er die kompliziertesten Arbeiten
einfach und klar zu erläutern und durch seine ausserordent¬
liche Technik glänzend zu unterstützen. Er hielt seine Vor¬
träge in englischer Sprache, die vom Kollegen Rümpler ver¬
dolmetscht wurden; doch ist er in der Lage, sich auch in
deutscher Sprache ganz verständlich auszudrücken.
Moderne Kavitätpräparationen nach Professor Black
für Gold-, Porzellan- und Amalgamfüllungen umfassten den
ersten und schwierigsten Teil seiner Demonstrationen. Es
wird hauptsächlich nur „Handarbeit" geleistet, mit Chisels,
Hoes, Hatchets (Meissei, Hacke, Beil) und Trimmers gearbeitet.
Der Gebrauch dieser uns teilweise schon bekannten Instrumente
wird genau begrenzt, ihre Grössenverhältnisse genau angegeben.
Professor Black bedient sich 104 dieser Instrumente,
Sandblom begnügt sich mit einem Satze von BO Stück. Erst
zum Schlüsse arbeitet er mit der Bohrmaschine, und zwar
meist mit den kleinsten, umgekehrt kegelförmigen Bohrern. Das
Wesen dieser Kavitätenbildung besteht in Herstellung von
Gegendruck (Resistenz) und Retentionsform mit Stufen und
schwalbenschwanzförmigem Abschluss.
Es ist einleuchtend, dass diese Formation der Kavität
für die Füllung die grösstdenkbarste Sicherheit gibt, ebenso,
dass die „Handarbeit" nur mit stets messerscharf gehaltenen
Instrumenten für den Patienten die schonendste ist. Natürlich
darf der Arkansasstein vom Bracket nicht verschwinden.
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678
Bericht Aber Dr. Sandbloms Kurs in Berlin.
Diese Präparation scheint auf den ersten Blick recht
kompliziert zu sein, doch wurde sie, dank den präzisen Aus¬
führungen des Vortragenden, in wenigen Tagen von allen
Kursteilnehmern verstanden.
Dr. Sandblom behauptet, mit seiner „Handarbeit“ in
mindestens derselben Zeit fertig zu werden, wie ein geübter
Operateur mit der Maschine.
Die Kursteilnehmer übten die Präparation an selbst aus
Gips geschnitzten Zähnen. Die Notwendigkeit dieser Vorarbeit
— Zahnschnitzereien aus Gips nach Sandbloms einfachen
Anweisungen — sah man nach den Demonstrationen der
Kavitätenbildung, der Extension for prevention und des Kon-
taktpunktprinzipes recht gut ein. Dann kamen Demonstrationen
über Kronen- und Brückenarbeiten mit besonderer Berück¬
sichtigung des Kontaktpunktes an die Reihe: Gold* und Por¬
zellankronen, Goldeinlagen, Einlagekronen, endlich Richmond-
kronen und solche mit abnehmbaren Porzellanfacetten. Die
Continuous-Gum-Arbeit konnte aus Mangel an Zeit nur noch
gestreift werden.
Es war in der Tat ein Vergnügen, Dr. Sandblom bei
der Arbeit zu sehen. Es gab da lauter kleine Ueberraschungen
bei seinen oft höchst originellen Handgriffen — speziell wurde
die elegante und unfehlbar sichere Art seines Lötens all¬
gemein bewundert.
Sicherlich war den Kursteilnehmern, Kollegen aus Russland,
Schweiz, Deutschland, Dänemark und Oesterreich (Dr. Bastyf
aus Prag und Referent), die meist schon in längerer Praxis
stehen, nicht alles ganz neu. Aber Dr. Sandblom brachte
für jeden eine Unzahl grösserer und kleinerer Neuheiten und
Details, was wohl alle Kursteilnehmer dieses und eines vor¬
hergegangenen Kurses dankbarst anerkennen.
Dr. Ferd. Tanger , Triest.
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I. französischer Stomatologenkongress.
679
liiiricte vci 1 frauixisckei Stwatsltpbaira nit be-
»ltar BerlcbicbtiiEiiiE 4er zabnärztUchea Agsstellnu.
L bis 5. August 1907.
Von Dr. Julius Haas , Zahnarzt in Bielitz.
Von einem ungeteilten Gesamteindruck über den I. franzö¬
sischen Stomatologenkongress zu Paris kann keinesfalls die
Rede sein, weil Theorie und Praxis einander nicht ergänzten,
vielmehr getrennt marschierten. Wir meinen damit: Es war
unmöglich, diesen beiden gleichzeitig zu folgen, da Sektionen
verschiedener Themen, sei es manueller, sei es gedanklicher
Art, an verschiedenen Orten zu derselben Stunde tagten,
ein Hergang, der zum Nachteile der Betroffenen an den meisten
Wissenschaftsversammlungen zu beobachten ist. Die Franzosen
bewährten sich als gewandte Sprecher, so dass diese be¬
neidenswerte Kunst einen grossen Raum der Kongresszeit in
Anspruch nahm. Ueber die subtilsten Thesen wurde mit lobens¬
werter Gründlichkeit verhandelt, wobei recht waghalsige Be¬
hauptungen verteidigt wurden, wie z. B. der Zusammenhang
der Alopecia mit der Zahnkaries.
Man beschäftigte sich viel mit den „incrustations d’or et
de porcelain“, den gegossenen Gold- und Porzellaneinlagen,
deren Herstellung mit mehr oder minder gutem Erfolge demon¬
striert wurde. Das unbegrenzte Gebiet der Alveolarpyorrhoe
fand seine Interpreten, das azurblaue Licht als Anästhetikum,
die Hutchinsonschen Zähne, losgelöst von jeder Einwirkung
hereditärer Syphilis, und organisatorische wie terminologische
Fragen wurden zur Diskussion gestellt.
Fern jeder Hast, vermochte man mit desto intensiverer
Aufmerksamkeit die „Exposition“ zu betrachten. Diese hatte
sich in den Wandelgängen der Facultö de mödecin nieder¬
gelassen. Sie repräsentierte die Zahnheilkunde in den alten und
den neuen Tagen und konnte von drei Gesichtspunkten aus
das Interesse des Besuchers fesseln. Vom rein artistischen,
vom kommerziellen und vom eigentlich zahnärztlichen.
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680
L französischer Stomatologenkongress.
Die erstgenannte Abteilung wies Kupferstiche, Aquarelle
mehr oder minder bekannter .Darstellung alter Meister auf —
einige Reproduktionen waren seinerzeit in diesen Blättern
bereits erschienen — die die Stomatologie im Bilde mit Humor
beleuchteten. Sie bot dieserart eine Retrospektive der noch
nicht ganz erloschenen Auffassung des zahnärztlichen Berufes
früherer Zeit, in welcher Kurpfuschertum und Charlatanerie im
harmlosen und üblen Sinne lustige Blüten trieben. Als Spezial¬
galerie bildete sie stilvoll die Introduktion für alles Sehens¬
werte. Obzwar weniger gewürdigt und gewiss mehr eingeschätzt
vom Auge des pinselkundigen Fachmannes, zeugte sie doch
deutlich von dem löblichen Eifer des Kongresskomitees und
seines emsigen Generalsekretärs, Herrn Dr. Chompret, die
bemüht waren, ein volles Ganzes vor den Blicken der Be¬
schauer zu entfalten, was auch vollständig gelungen.
Das Hauptaugenmerk zog natürlich die eigentliche Fach¬
ausstellung auf sich. Diese, präsentierte sich in solchem Aus¬
masse, dass die fünf Versammlungstage nifftt im entferntesten
ausreichten, um das ganze Material mit richtiger Müsse stu¬
dieren zu können. Immerhin drängte sich dem Auge so viel
Sehenswertes auf, dass der Eindruck stets ein reichhaltiger
bleiben wird. Neben Zeichnungen mikroskopischer Längs- und
Querschnitte von normalen und pathologischen Zähnen, stellten
Tableaux und Photographien die Erkrankungen der harten
und weichen Mund-, beziehungsweise Gesichtsgebilde dar.
Profi Fqurnier und Dr. Gas ton, der Chef des Labora¬
toriums am Hospital St. Louis, zeigten auf lehrreichen Tafeln
die verschiedenen Stadien der Leukoplakie, des Lichen, des
Zungen- und Lippenepithelioms; ferner Erscheinungen der
Lues, Lepra, Aktinomykose, Tuberkulose usw. in den genannten
Bezirken. Doch am anschaulichsten wirkten die plastischen
Objekte, die in grossen Glaskasten — zehn an der Zahl —
in der langen Seitenhalle der Facultä de mädecin ein Obdach
gefunden hatten. Ein mächtiges Stück Arbeit war da kon¬
zentriert, nicht nur von französischen, sondern auch von aus¬
ländischen Kollegen. Ehrwürdige Erbstücke pathologischer und
kulturhistorischer Kuriositäten charakterisierten den Sammel-
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I. französischer Stom&tologenkongress.
681
fleiss ihrer Besitzer. Glänzende Namen, deren Träger längst
nicht mehr unter den Lebenden weilen, wie Dupytren, Päan,
stellten sich anregend neben den noch wirkenden Epigonen.
Die Grösse Dupytrens imponierte in erster Reihe
durch seinen Nachlass, der in dem Schrank „Musäe Dupytren“
zur Besichtigung einlud: Eine stattliche Zahl Wachsnachbildungen
von Lippen-, Zungen- und Wangenneoplasmen mannigfachster
Sorte, Spiritus- und Trockenpräparate, von denen eines wohl
am groteskesten die Verheerungen der Syphilis aufzeigte. Es
war ein Trockenpräparat eines Schädels, das der alte Meister
wegen seiner überaus instruktiven Beiehrsamkeit auch in die
lebendigeren Formen einer Wachsmoulage hatte giessen lassen.
Die rechte Gesichtshälfte war der gänzlichen Zerstörung an¬
heimgefallen, die Skeletteile mit inbegriffen. Es fehlten die be¬
treffende Ober- und Unterkieferhälfte, das Auge samt Orbital¬
gerüst, der Sinus frontalis gähnte weit offen und das Cerebrum
lag frei zutage; Erscheinungen luetischer Tertiärformen, wie sie
heute wohl nicht m beobachtet werden. Ein anderes augen¬
fälliges Andenken hinterliess derselbe Chirurg in einem Schädel¬
skelett, dessen beide Gesichtshälften von ausgedehnten Exo¬
stosen kugelig deformiert waren. Ein Porträt in Gestalt eines
altmodischen Farbendruckes demonstrierte ein Sarkom, das
die Mundhöhle allseits verengte, während die tiefen Zer¬
störungen an dem daneben liegenden Trockenpräparat zu
sehen waren. Diesem hochinteressanten Sammelschrank gegen¬
über hatte das „Musee de Tficole Veterinaire d'Alfort“ seine
Raritäten angeordnet. Da nahm man die Schädel- und Ge¬
bissformationen der Haustiere gewahr, die des Löwen, Bären
und Nilpferdes. Aber auch der Anomalien war gedacht. Die
Karies in den Pferdezähnen, der Zahnausfall beim alternden
Tiere im Anschlüsse an die Abrasio dentium, die Prognathie;
Zahnirrigularitäten, Unterkieferfrakturen, Exostosen, Aktino-
mykose, Ostitis, Doppelzunge beim Rinde usw. Nur zu sehr
fühlte man die Lücke im fachmännischen Wissensschatze ver¬
gleichender Stomatologie vor diesen Objekten, die desto mehr
anzogen. Es wäre gewiss wünschenswert, wenn
der Zahnarzt in seinem Bildungsgänge auch in
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682
I. französischer Stomatologenkongress.
diesem Zweige der Erkenntnis eine tiefereWeihe
und dadurch verständnisvolleren Einblick in die
Werkstätte der Entwicklungsgeschichte erhielte.
Das „Musäe de THospital St. Louis“ wies unter An¬
führung der Namen Pean, Leiller, Du Castel, Vidal und
Fournier zahlreiche Lippen- und Zungenmoulagen auf, die
an Variationen nur mit den unzähligen Gipsmodellen von
Gaumenmissbildungen und Zahnunregelmässigkeiten wett -
eiferten, welche als Gegenstück einen geräumigen Kasten be¬
zogen hatten. Unfern davon war die Vitrine für Zahn¬
kuriositäten — wir glauben den Namen Dr. Michaels ge¬
lesen zu haben — postiert. Hier gab es Zähne mit unglaub¬
lichem Zahnsteinansatz, eine Antrumkanüle, die von Kon¬
krementen vollständig eingehüllt war, Schmelzperlen an Kronen
und Wurzeln, die seltsamsten Verkrümmungen und Ver¬
hakungen der Wurzeln, Verwachsungen dieser untereinander
oder mit deren Nachbarn, Konkremente der Pulpa oder gänz¬
liche Versteinerung derselben.
Eine Unzahl bizarrer Kariesformen. Von besonderer An¬
ziehungskraft zeigten sich die Tierzähne als Schmuckgegenstand,
darunter wertvolle Stücke, wie Halsbänder der Neger etc.
Claude Martin bot mit seinem Sohne Francois sein
Bestes in Gesichtsprothetik: Künstliche Nasen aus Porzellan-
masse von täuschender Imitation, Zungen- und Kehlkopfersatz.
Bruchschienen, Obturatoren, wie Ersatzteile des Oberkiefer¬
gerüstes. Seine bereits in der „Zeitschrift für zahnärztliche
Orthopädie“ beschriebene Methode zur „Verlängerung“ der
Zähne dargestellten Apparate standen auch hier zur Ansicht
hinter Glas und Riegel. Sie mögen als Frucht eines findigen
Kopfes erwähnt sein, wenn auch ihr praktischer Wert von
untergeordneter Bedeutung ist.
Oesterreich-Ungarn war durch Zsigmondy und v. Arkövy
vertreten: Schulschemen von grossen Zahnmodellen, welche
die Pathologie der Pulpa in allen Graden aufzeigten, und Prä¬
parate einzig in ihrer Art: Die Entwicklung der Kieferknochen
samt Zähnen beiläufig vom zweiten oder dritten Embryonal¬
monat an. Vornehmlich diese letzteren Objekte verdienten
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I. französischer Stomatologenkongress.
683
eingehendes Studium und zur deutlicheren Hervorhebung ein
gesondertes Placement.
Auch die Instrumentarien alter und ältester Perioden
waren in der Masse des Ausstellungsmateriales gleichsam ver¬
borgen und hatten oftmals solche abenteuerliche Formen an¬
genommen, dass deren Anwendbarkeit unseren jetzigen Begriffen
völlig fremd geworden ist.
Die erste Herstellung der künstlichen Zähne, allem Anscheine
nach aus Tonerde gewöhnlichster Sorte, liess den gewaltigen
Fortschritt unserer Zeit auf diesem Gebiet augenfällig hervor¬
treten und das erste Werkchen technischen Inhaltes
von Dubois Duchemant erläuterte deren Fabrikation.
Dieser ursprünglichen Herstellung trat die lebendige wetteifernde
Gegenwart in der letzten Abteilung kontrastlich gegenüber,
die unter dem Schutze Merkurs ihre Zelte gleich in der Eingangs¬
halle aufgeschlagen hatte: Mikroskope und Mikrotome, elek¬
trische Bohrmaschinen differenter Ausstattung, elektrische Oefen
zum Brennen von Porzellaninlays, Stühle mit aufzuklappenden
Rückenlehnen als Sitz für Kinder, Instrumentenschränke nach
den Anforderungen der Hygiene, künstliche Zähne (Daviskronen)
und reichhaltige Instrumentarien begrüssten den Eintretenden.
Mit wenigen Abweichungen z. B. eines Narkoseapparates nach
Decolland, von dem es in der beigegebenen Broschüre
hiess, er sei einwandfrei gefahrlos — Anaesthesie absolument
«ans danger — boten die Depots nichts sonderlich Unbekanntes.
So wurde fast jedem Gebiete auf dem I. französischen
Stomatologenkongress in unserer weitausgreifenden Disziplin
Rechnung getragen; nur schien es, dass die Technik, sei es
vom Standpunkte der Prothetik, sei es in Hinsicht auf die
Orthodontie, zu geringe Betonung gefunden. Der Engländer
Hose stillte einigermassen durch seine glänzenden Demonstra¬
tionen diese Sehnsucht, indem er Porzellan-Kautschukarbeiten
und die Herstellung von Goldeinlagen in wohlgelungener Weise ge¬
läufig aufzeigte. Es entwickelte sich daher die Auffassung, dass
die Stomatologen Frankreichs in erster Linie Medici und weniger
Mechaniker sein wollten. — In unserem Berufe aber besteht
•eine unausschaltbare Wechselbeziehung zwischen beiden Fächern.
13 *
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684
Referate und Journalschau.
Referate und Journalsehau.
lieber Druckanästhesie des Zahnbeines. Von W. I). MiUer,
Berlin. (Archiv für Zahnheilkunde, November 1906.)
So vorzüglich auch das Verfahren der Injektion in vielen
Fällen ist, so besitzen wir darin doch kein Mittel, welches sich
für allgemeine Anwendung bei Behandlung des empfindlichen
Zahnbeins eignet. Unter allen Umständen würde man einem
Verfahren den Vorzug geben, bei welchem die Injektion von
differenten Stoffen in die Weichteile nicht erforderlich ist. Alle
sind darin einig, dass man durch gründliche Austrocknung und
Verwendung scharfer Instrumente die Empfindlichkeit bedeutend
herabsetzen kann. Auf verschiedene andere physikalische Mittel t
wie Kälte, Wärme, Elektrizität, sowie auch auf die grosse Zahl
chemischer Mittel, die versucht und empfohlen worden sind*
geht Autor nicht näher ein. Er hebt nur hervor, dass er mit
einem Gemisch von Chloroform und Zinkchlorid mit Zusatz
von Kokain, für einige Zeit in die Zahnhöhle mit Fletcher ver¬
schlossen, gute Resultate erzielt habe.
Autor betont sodann, dass die Wirkung unserer chemischen
Mittel in hohem Grade auf der Schnelligkeit und Tiefe des
Eindringens beruhe und seine Versuche richteten sich vorerst
darauf, festzustellen, unter welchen Umständen die tiefste
Penetration erzielt wurde. Auffallenderweise fand er, dass das
Austrocknen durch absoluten Alkohol sehr wenig Einfluss auf
die Penetration hatte und dass Farbstoflflösungen ebenso rasch
in feuchtes, wie in vorher ausgetrocknetes Zahnbein eindrangen.
In der Praxis jedoch, meint er, würde das Austrocknen wesent¬
liche Vorteile bringen, weil dadurch allein die Leitungsfähigkeit
der Zahnfibrillen und somit auch die Empfindlichkeit auf¬
gehoben wird.
In einer zweiten Versuchsreihe verglich Miller die
Penetration verschiedener Lösungen, z. B. in Wasser, Alkohol,
Glyzerin, Wasserstoffsuperoxyd, Formalin usw., und kam nach
vielen Versuchen zu dem Schluss, dass es wenig Unterschied
macht, in welchen Mitteln wir unsere Anästhetika auflösen. Sie
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Referate und Journalschau.
685
dringen alle mit fast der gleichen Schnelligkeit in die Tiefe.
Zwischen Glyzerin, welches vielfach als Lösungsmittel für unsere
Anästhetika empfohlen wird, und Wasser fand er eine geringe
Differenz zugunsten des Wassers.
Es wurde ferner die Wirkung der Massage auf die Pene¬
tration untersucht; es wurde eine kariöse Höhle mit einer Farb¬
stofflösung gefüllt und auf die eine Hälfte wiederholt mit einem
Polierer gedrückt, wie beim Kondensieren von Amalgam. Man
erhielt auf dieser Hälfte eine tiefere Penetration als auf der
anderen.
Eine Behandlungsmethode des empfindlichen Zahnbeines
besteht in der Injektion oder, besser gesagt, in dem Durch¬
drücken von anästhetischen Lösungen durch das Zahnbein
mittels einer Hochdruckspritze. Unter diesen erwähnt Miller
vor allem die Jewett-Wilcox-Spritze, durch welche man im¬
stande sein soll, einen Druck von 3000 Pfund pro Quadratzoll
auszuüben. Die Anwendung geschieht in der Weise, dass man
ein kleines Loch am Halse herstellt und die Spitze der Spritzen¬
kanüle fest hineindrückt. Es wird dann ein starker Druck durch
Anziehen der Hebel ausgeübt und die Lösung in das Zahnbein
hinein gedrückt. Innerhalb 1 Minute wird durch Anwendung
einer öprozentigen Kokainlösung vollkommene Anästhesie er¬
zielt. Ob die Pulpa durch diese Prozedur jedoch nicht Schaden
nimmt, kann man bis jetzt noch nicht entscheiden. Miller
fand aber, dass ein so hoher Druck durchaus nicht notwendig
ist, um eine Anästhesie zu erzielen. Er konnte vielmehr fest¬
stellen, dass ein Druck von 5 Atmosphären vollkommen aus¬
reicht, um Farbstofflösungen durch dicke Zahnbeinschichten
hindurchzutreiben, und erreichte schliesslich dasselbe Resultat
mit einem Drucke von 1, ja sogar */< Atmosphäre. Schliesslich
konnte er diese Penetration bewirken, wenn er ein Stück
Gummiröhre über die Krone des Zahnes zog, dasselbe am
Zahnhals unterband, einige Tropfen einer Farbstofflösung in
die Röhre einführte und nach Zukneifen des offenen Endes
einen leichten Druck mit den Fingern ausübte. Es ist daher
klar, dass ein ganz gelinder Druck genügt, um Lösungen von
Anästhetizis in oder durch das Zahnbein zu pressen.
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Referate und Journalschau.
Wir stossen jedoch bei Anwendung dieses Druckes in der
Praxis auf grosse Schwierigkeiten.
Bei den wiederholt gemachten und empfohlenen Versuchen,,
ein mit Kokain getränktes Wattebäuschchen in die Kavität zu
bringen und durch einen mit Kautschuk darauf ausgeübten Druck
Anästhesie zu erzielen, macht man die eben unvermeidliche
schlechte Erfahrung, durch den Druck das Anästhetikum aus
der Kavität herauszupressen und damit gleichzeitig das eigentlich
wirksame Prinzip auszuschalten. Man erzielt damit manchmal
weniger Penetration, als wenn man gar keinen Druck angewendet
hätte, was Miller auch an Präparaten demonstriert.
Miller macht schliesslich den Vorschlag, in folgender
Art, die ihm gute Erfolge brachte, vorzugehen: Die Höhle wird
oberflächlich exkaviert und davon ein Abdruck mit Stentsmasse
genommen. In die Höhle wird ein Wattebäuschchen mit 5- bis
10prozentiger Kokainlösung gebracht, ein Stück Kofferdam auf
dieselbe gelegt und der inzwischen hart gewordene Stents¬
abdruck daraufgedrückt. Wir erzielen hiedurch einen Abschluss
der Höhlenränder, so dass die Flüssigkeit nicht so leicht ent¬
weichen kann.
Autor wollte nur das Eine feststellen, dass wir durch sehr
gelinden Druck imstande sind, Flüssigkeiten in das Zahnbein
hineinzudrücken. Sekundäres Zahnbein, transparentes Zahnbein
und ausgeheiltes Zahnbein sind für Flüssigkeiten sehr undurch¬
lässig, ebenso dicke Lagen von knorpelig erweichtem Zahnbein,
ganz besonders wenn die obersten Schichten schmierig und
fettig sind. In solchen Fällen erzielt man eine tiefere Pene¬
tration durch vorherige Behandlung mit Alkohol oder Chloro¬
form, wodurch das Fett entfernt wird. Dr. Opph.
Konstruktive Erkrankung der Zahnpulpa. (Constructive
Diseases of Dental Pulp.) Von Charles Kniese, Cambridge.
(Dental Summary, January 1906.)
Als konstruktive Erkrankungen der Pulpa werden die mit
Bildung und Ablagerung von Kalksalzen einhergehenden be¬
zeichnet. Diese letzteren sind das Produkt langandauernder
Reize auf die peripheren Pulpazellen, wie sich solche durch
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Referate und Joumalscbau.
687.
Karies, grosse Metallfüllungen, Goldkronen auf lebenden Zähnen,
mechanische Abrasion oder durch alle Ursachen ergeben, welche
das Dentin seiner natürlichen schützenden Hülle berauben.
Wir finden dann entweder Kalzifikation der Tubuli,
sekundäre Dentinbildung, Pulpnoduli oder kalkige Degeneration.
Alle diese sekundären Gebilde unterscheiden sich vom normalen
Dentin durch ihre Transparenz und Farbe, welche mehr
bräunlich ist.
Bekannt sind ja die durch diese Ablagerungen hervor¬
gerufenen Neuralgien und der schliessliche Pulpentod. Ebenso
bekannt ist die durch die Affektion eines Zahnes oft hervor¬
gerufene Hyperästhesie aller anderen. Letztere Erscheinungen
finden sich häufiger bei der „Noduli“-Bildung, als bei den
anderen Formen der Kalkablagerung.
Die Noduli kommen selten einzeln, sondern meist in
Massen vor und ist ihr vornehmlicher Sitz im Kronenteil der
Pulpa, obwohl sie auch oft tiefer in der Wurzel sitzen, dann
aber meist eingebettet in sekundäres Dentin; bei letzterer Lage
sind sie die Ursache der heftigsten Schmerzen infolge des
Druckes auf die Nerven und Blutgefässe. Doch kann man
anderseits oft Zähne finden, die trotz einer Menge Noduli nie
Beschwerden verursachten.
Oft enthalten anscheinend ganz gesunde Zähne diese
Noduli und sind dann äusserst empfindlich gegen sonst gering¬
fügige Reize, namentlich Kälte. Ist kein direkter Reiz vor¬
handen, so bestehen oft gar keine direkten Symptome einer
Zahnaffektion, doch eine dauernde Neuralgie kann an einem
entfernteren Punkte, teils permanent, teils in Anfällen wieder¬
kehrend, sich etablieren, so dass man z. B. bei dauernden oder
anfallsweise auftretenden Ohrenschmerzen auf Noduli schliessen
kann. Ebenso lässt sich die Diagnose auf Pulpensteine nur
per exclusionem stellen und ist die Bestätigung für dieselbe
erst durch den wirklichen Nachweis der Steinchen gegeben.
Die Devitalisation der mit Noduli behafteten Zähne ist sowohl
bei Arsen als durch die Druckanästhesie sehr schwierig, da
das affizierte Pulpengewebe sowohl das Arsen wie das Kokain
sehr schwer aufnimmt.
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. 688
Referate and Journalschau.
Eine weitere Form der Kalkablagerung ist die Kalk¬
degeneration. Kalziumkarbonate und -phosphate sind gewöhn¬
lich die infiltrierenden Salze, bei harnsaurer Diathese zuweilen
die Harnsäure.
Sekundäre Dentinbildung, Noduli, überhaupt alle Zu¬
stände, die eine chronische venöse Hyperämie verursachen,
geben eine Ursache für die Kalkdegeneration ab. Im Gegensätze
zu den durch Noduli affizierten Pulpen ist hier die Entfernung
derselben als Ganzes sehr leicht, infolge des Fehlens der innigen
Verbindung zwischen Odontoblasten und Dentin.
Bei der Diagnosenstellung kann die Röntgenuntersuchung
oft sehr wertvolle Dienste leisten. Dr. Opph.
Existiert eine Stomatitis, hervorgerufen durch Kautschuk¬
prothesen? (Existe-t-il une stomatite provoquöe
par les dentiers en caoutchouc.) Von G. MaM. (Revue
Internationale de Prothese Dentaire, März-April 1906.)
Die von Eilertsen und anderen Autoren durch Labora¬
toriumsversuche festgestellte Tatsache, dass Zinnober durch
Einwirkung des Saccharomyus Cerevisiae zersetzt wird und
Quecksilberalbuminat ausscheidet, trifft bei vielen Leuten, die
Kautschukstücke tragen und bei denen man Rötung, Schwellung
und Aufgedunsensein der Schleimhäute unter der Piece findet,
zu. Viel trägt natürlich dazu der hygienische Zustand des
Mundes bei, ob unter der Piece Wurzeln liegen oder nicht.
Doch auch sonst findet eine dauernde, wenn auch minimale
Ausscheidung von Quecksilberalbuminat aus dem Zinnober des
Kautschuks statt. Die einzige Möglichkeit, dieser Zersetzung
und der dadurch entstehenden Reizung der Schleimhäute ent¬
gegenzuwirken, bestände in der Anfertigung von Kautschuk¬
platten, die aus zwei Lagen von Kautschuk bestehen; eine
Lage natürlichen, schwarzen Kautschuk an der Gaumenseite
und darüber der gefärbte, rote. Dr. Opph .
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Referate und Journalschau.
689
Zur Frage nach Wirkung und Nebenwirkung des Stromes
bei Elektrosterilisation putrider Wurzeln. Von F. E. Zierler.
(Odontologische Blätter, März 1906.)
Nach eingehender theoretischer Erläuterung der Wirkungs¬
weise des konstanten Stromes auf Nähragar, Salze, Säuren,
Basen und einfache homogene elektrolytische Flüssigkeiten
(Kochsalz) überträgt Autor seine durch Laboratoriumsversuche
gewonnenen Erfahrungen auf die Mund Verhältnisse und kommt
zu dem Schlüsse, dass man durch die Elektrosterilisation einen
direkten bakteriziden Effekt nur in der unmittelbaren Elektroden¬
nähe, nicht aber in der interpolaren Strombahn erzielen kann.
Wenn man bei der Elektrosterilisation putrider Wurzeln von
einer gewissen Tiefenwirkung spricht, so ist selbe auf die
Diffusion des an der Anode ausgeschiedenen Chlor (respek¬
tive Salzsäure) zurückzuführem oder vielleicht auch nur durch
die günstige Beeinflussung des lebenden Gewebes an der
Wurzelspitze durch den konstanten Strom.
Viel beachtenswerter erscheint Autor bei dem Vorgang
der Elektrosterilisation der mechanische Transport auch elek¬
trisch inaktiver Substanzen durch den Strom, die sogenannte
Kataphorese. Dr. Opph
Sieben Eigentümlichkeiten der linken Mundhälfte. Von
L. P. Haskell, Chicago. (Dental Review, XIX, 6.)
Vor 25 Jahren machte Haskell darauf aufmerksam, dass
die linke Mundseite gewisse Eigenheiten zeigt und sucht bis
heute vergebens nach einer Erklärung der letzteren.
1. In 95 Prozent zahnloser Oberkiefer besteht, dem linken
Eckzahn entsprechend, eine Depression des Kiefers, so dass an
dieser Stelle der Kautschuk dicker wird als rechterseits.
2. Sehr häufig ist der Alveolarfortsatz links niedriger
als rechts.
3. In 98 Prozent ist der Tuber, max. links bedeutend
höher als rechts.
4. Sehr oft wird die Lippe beim Sprechen und Lachen
links stärker gehoben als rechts, so dass die Zähne auf der
linken Seite anscheinend zu lang sind.
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Referate und Joumalschau.
5. Im linken Unterkiefer sind die Zähne häufig höher und
stärker vorspringend als rechts.
6. Gleichfalls im Unterkiefer ist die Entfernung des
Alveolarfortsatzes von der Mittellinie links grösser als rechts.
7. Oft atrophiert die linke Kieferhälfte mehr als die rechte.
Haskell weiss auch heute noch keine Erklärung für
diese merkwürdigen Differenzen und trägt, ob ihm jemand
dieses Rätsel lösen könne. Dr. R. Kronfeld.
Neuralgie. Von J. H. Carter. (British Dent. Journ.,
XXVI, 10.)
Ein 50 jähriger, kräftiger, anscheinend gesunder Mann
wünschte Entfernung des Zahnsteines und Reinigung seiner
Zähne, da ihn die Rauhigkeiten an der Zunge irritierten.
Kurze Zeit nach Vornahme dieser Operation kam er wieder
und klagte über „etwas Rauhes hinter den unteren Schneide¬
zähnen“. Obgleich nichts derartiges zu sehen war, reinigte und
polierte Carter die Zähne nochmals. Zu seiner Ueberraschung
kam der Mann schon nach einer Woche mit derselben Klage
wieder. Carter suchte den Mund mit grösster Sorgfalt ab
konnte nichts Rauhes finden, reinigte aber gleichwohl auf aus¬
drücklichen Wunsch des Patienten die Zähne in der denkbar
gründlichsten Weise, wonach dieser eine entschiedene Besserung
zu spüren angab. Nach einem Monat wiederholte sich die Sache,
Patient fühlte sich durch die angeblich vorhandene Rauhigkeit
derart gequält, dass er die Extraktion der beiden mittleren
unteren Schneidezähne verlangte. Diese wurde nicht vor¬
genommen, doch versuchte Carter, die Zahninterstitien durch
schmale Bandstreifen, sowie durch Guttapercha auszufüllen —
die Klagen hörten nicht auf. Ein anderer Zahnarzt ging die
Sache nunmehr radikaler an, er feilte die Zähne derartig zu,
dass sie alle Kanten verloren und drehrunde Säulen aus ihnen
wurden. Da auch das nichts nützte, wurden die lingualen
Flächen der sechs unteren Frontzähne mit einer Goldplatte
bedeckt, was dem Patienten für kurze Zeit Ruhe schaffte. Bald
aber trat wieder das quälende Rauhigkeitsgefühl auf. Jetzt
wurden die zwei mittleren Schneidezähne mit festsitzenden
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Referate und Journalschaa.
69t
glatten Goldkappen versehen, abermals ohne Erfolg Trotz
dieser und anderer Prozeduren schwand das peinigende Gefühl
nicht und brachte Patienten und Arzt immer mehr zur Ver¬
zweiflung. Endlich erfuhr letzterer von dem Hausarzte des
Patienten, dass er seit 2 bis 3 Jahren infolge von hochgradiger
beruflicher Ueberanstrengung an Neurasthenie leide, wiederholt
Neuralgien gehabt habe, unter anderem auch eine Zungen¬
neuralgie. So zeigte sich, dass dieser anfangs ganz harmlos
erscheinende Fall von vorneherein dem Neurologen hätte zu¬
gewiesen werden sollen. Dr. R. Kronfeld.
Schwierige PorzellanfQllungen. Von T. H. Miller, Black¬
pool. (British Dent. Journ., XXVI, 8.)
An einem oberen mittleren Schneidezahn fehlte ein Drittel
der Schneidekante und die ganze distale Wand, ausserdem
hatte der Zahn eine grosse Halskavität. Der Patient bestand
gleichwohl auf Füllung des Zahnrestes. Miller füllte die Hals¬
kavität zunächst mit Zement und setzte dann ein Inlay ein,
welches mit Hilfe eines Mell ershs Kernes die distale Partie,
die Ecke und Schneidekante des Zahnes ersetzte. In der
nächsten Sitzung wurde das Zement aus der oberen Kavität
entfernt und auch für diese ein Inlay hergestellt.
In einem Falle, wo ein Schneidezahn eine von der labialen
bis auf die linguale Seite reichende grosse Höhle hatte und
keine Zeit war, die Zähne zur Erlangung eines tadellosen Ab¬
druckes genügend zu separieren, füllte Miller die ganze Ka¬
vität mit einem rasch härtenden Zement, setzte in diesem
facial ein Inlay ein, entfernte am Nachmittag desselben Tages
das Zement von der lingualen Seite und füllte diese mit
doubliertem Amalgam.
Ein Platincrampon mit knopfförmigem Ende ist ein guter
Stift zur Verankerung grosser Inlays. Man macht den Abdruck
wie gewöhnlich mit Folie, bohrt durch diese ein Loch in den
Zahn, steckt den Crampon hinein, füllt die Folie mit Hart¬
wachs und entfernt Folie, Wachs und Stift zugleich.
Dr. R. Kronfeld.
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«92
Referate und Journalschau.
Beiträge zur Injektionsanästhesie. Von L. Rosenberg , Berlin.
(Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, XX11I, 10.)
Im Laufe des letzten Jahres wurden wiedeiholt die Fragen
aufgeworfen: Wie wirkt die Injektion auf den Gesamtorganismus ?
Wie wirkt sie auf die Vitalität der Zahnpulpen? Bei Verwendung
von •/♦ prozentigern Kokain mit Zusatz von minimalen Adrenalin¬
mengen konnte Rosenberg niemals unangenehme Neben¬
wirkungen von seiten des Gesamtorganismus konstatieren. Auch
fand er bei über 2500 Injektionen niemals einen Fall von
Pulpentod. Das Absterben der Pulpa nach der Injektion kommt
zustande durch eine allzulange wirkende Zirkulationsstörung.
Dies lässt sich durch einige Vorsicht bei der Injektion ver¬
meiden. Rosenberg geht mit der Spritze noch über den
Bereich des Foramen apicale hinaus, hiedurch werden Gefäss-
anastomosen in der Spongiosa des Alveolarfortsatzes erhalten,
die Ernährung der Pulpa also nicht unterbrochen. Rosenberg
verlangt zur Erzielung tadelloser Erfolge: das beste Injektions¬
material, die dünnste Spritzenkanüle, die schwächste Adrenalin-
Kokainmenge und von dieser unter genauester Anpassung an
die jeweiligen Verhältnisse das geringste Quantum.
Dr. R. Kronjdd .
Quecksilbervergiftung nach einer Zahnfüllung. Von A. Mar -
tinet (Ref. nach British Dent. Journ., XXVI, 21.)
Verfasser wurde des Nachts zu einer Dame gerufen,
welche plötzlich an einer schweren Mundaffektion erkrankt war
und über heftige Atembeschwerden klagte. Er fand eine inten¬
sive Glossostomatitis. Lippen und Zahnfleisch waren geschwollen,
die Zunge gleichfalls in solchem Grade, dass der Mund nicht
geschlossen werden konnte, es bestand starke Salivation und
fötider Geruch aus dem Munde. Die erschwerte Respiration
sprach für Glottisödem. Die Diagnose auf Quecksilberstomatitis
war um so leichter zu stellen, als die Patientin über dem
Hypogastrium ein skarlatiniformes Erythem hatte und aus der
Anamnese ein vor 5 Monaten nach Kalomeldarreichung (0 a 3 Gr.)
aufgetretener ähnlicher Anfall konstatiert werden konnte. 2 Tage
vor dem jetzigen Anfall wurde der Patientin ein Zahn mit
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Referate and Jonrnalschaa.
69»
einer grossen Amalgamfüllung versehen, sie hatte schon am
nächsten Tage leichte Beschwerden, welche sich nach 30 Stunden
zu der beschriebenen Heftigkeit steigerten. Der weitere Verlauf
war typisch, die Erscheinungen im Munde gingen rasch zurück,
das Erythem schwand langsamer, die Desquamation der affi-
zierten Hautstellen dauerte 14 Tage. Am 10. Krankheitstage traten
Diarrhöen und Koliken auf, welche 3 Tage anhielten. Tem¬
peratur und Puls waren annähernd normal, Urin reichlich mit
leichter, bald vorübergehender Eiweissabsonderung.
Dr. R. Kronfdd.
Betrachtungen aber die Fortschritte der Porzellanarbeit.
1 Von N. S. Jenkins , Dresden. (Dental Review, XIX, 5)
ln den letzten Jahren hat die Porzellanarbeit in über¬
raschender Weise an Ausdehnung zugenommen. Die ältesten
Goldfüller können sich dieser neuen Methode nicht ganz ver-
schliessen. Die Hauptsache beim Füllen mit Porzellan ist
die Präparation der Kavität. Hiefür gibt es nur eine einzige
Regel: die Kavität muss so geformt sein, dass der Abdruck
anstandslos entfernt werden kann. Zum Abdruck verwendet
Jenkins Goldfolie Nr. 30 und Polierer zum Andrücken der
Goldfolie und bettet diese sodann in Asbest ein. Amerika
scheint keinen guten Asbest für diesen Zweck zu liefern.
Im Ofen werden viele Füllungen durch Ueberhitzen porös.
Grobe Fehler werden auch beim Einzementieren begangen.
Der eine schneidet mit dem Diamantrad so tiefe und so viele
Furchen in das Inlay, dass fast nichts zurückbleibt, der
andere nimmt das Zement so dünn, dass es gar keine Binde¬
kraft besitzt, oder so dick, dass der Ueberschuss sich nicht
durch Druck entfernen lässt. Jenkins meint, dass man mit
Unrecht die Zemente tadelt, die Schuld an dem Herausfallen
vieler Inlays liege nicht an der Unvollkommenheit des Zements,
sondern an der unrichtigen Manipulation.
Dr. R. Kronfdd.
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694
Referate und Journalschau..
Gold-Inlays. „The Dental Review“ bringt im dritten Hefte
seines XXI. Jahrganges einige Artikel über dieses Thema.
Knowies (Chicago) hebt als Vorteile der Goldeinlagearbeit
folgende hervor:
1. Absolut sicherer Randschluss, wie er mit keiner anderen
Metallfüllung, welche stets nach einiger Zeit Kontraktion oder
Expansion zeigt, erzielt werden kann.
2. Das Zement stützt schwache Zahnwände, welche unter
oiner gehämmerten Goldfüllung sicherlich einbrechen würden.
3. Konturen und Kontaktpunkte können exakter her¬
gestellt werden, da der Aufbau und das Polieren der Füllung
ausserhalb des Mundes und ohne Rücksicht auf die Ungeduld
und Nervosität des Patienten bewerkstelligt wird.
4. Aus dem gleichen Grunde kann die Kaufläche mit
ihren Höckern und Fissuren, mithin auch die Artikulation
naturgetreuer nachgebildet werden.
5. Die Operation ist für den Zahn schonender, da einer¬
seits Unterschnitte im sensiblen Dentin unnötig sind, anderseits
das Hämmern ganz wegfällt.
6. Die Zementschichte dient als schlechter Wärmeleiter
und schützt die Pulpa vor thermischen Einflüssen.
7. Der Patient wird in Bezug auf Zeit und Unannehm¬
lichkeit wesentlich geschont, da gerade die langwierigsten und
peinlichsten Prozeduren — das Anbringen von Haftpunkten
und Unterschnitten, das lange Hämmern, das mühsame Schleifen
und Polieren — wegfallen.
8. Die Methode lässt sich noch in Fällen anwenden, wo
jede andere Füllungsmethode versagt und man zur Kronen¬
arbeit zu greifen gezwungen ist. —
Die Cavität muss derart geformt werden, dass man leicht
einen Abdruck von ihr nehmen kann. Sie muss also möglichst
breit eröffnet werden, was wieder einen Vorteil in sich birgt,
da man um so sicherer alles Kranke entdecken und entfernen
»kann, je breiter der Zugang zur Höhle ist. — Knowies
arbeitet am liebsten mit kleinen runden Karborundsteinen.
Abdruck und Biss nimmt er mit Perfektion-A hdruckmasse,
stellt sich danach ein Modell aus Zement her, nimmt auf
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Referate and JonrnaUchau.
695
diesem mit Platinfolie neuerdings Abdruck und schmilzt in
diesem das Gold.
Moore (Chicago) sieht im Gold-Inlay das beste Mittel
zur Konservierung der Zähne. Pulpa und Periodontium werden
bei dieser Methode in keiner Weise geschädigt. Der wichtigste
Punkt ist die Präparation der Kavität. Diese muss so geformt
werden, dass das Gold durch den Kaudruck in sie hinein¬
gedrängt, nicht aber aus ihr herausgesprengt wird. Die Theorie
des Extension for prevention findet hier weitestgehende An¬
wendung. Unterschnitte und senkrechte Wände sind zu vermeiden,
die Höhlenränder sorgfältig mit Arkansasstein und feinen
Scheiben zu glätten. Moore nimmt den Abdruck direkt mit
Goldfolie, empfiehlt aber jedem Operateur, bei jener Methode
zu bleiben, welche in seinen Händen die besten Resultate gibt.
Den Einwand, dass das Zement ausgewaschen wird, hält er
nicht für stichhältig. Das Auswaschen einer Zementfüllung
erfolgt um so rascher, je breiter ihre freiliegende Fläche ist.
Bei der Einlagearbeit kann man die Zementlinie durch exakte
Arbeit auf ein Minimum reduzieren, ja man kann sie bei der Gold¬
einlagearbeit dadurch, dass die Goldränder an die Emailränder
energisch anpoliert werden, ganz eliminieren. —
Dr. R. Kronfeld.
Frommes österr. Medizinal-Kalender mit Rezepttaschenbuoh
für das Jahr 1908, 63. Jahrg. Herausgegeben von Dr. Richard
Eder. (Verlag von Karl Fromme, Wien.)
Dieses Taschenbuch bietet in kompendiöser Form ausser
dem Kalendarium, Notizblättern und anderen gebräuchlichen
Behelfen, klinische Heilformeln, Indikationen, Verzeichnis der
wichtigeren Arzneimittel, Dosierung und Anwendung, Angabe
der Inkubationsdauer der Infektionskrankheiten, Gifte und
Antidota, Namensregister der in Wien wohnhaften Aerzte und
Apotheker etc.
Das Taschenbuch enthält ausserdem einen lesenswerten
Aufsatz über „Schwimmende Sanatorien“ von Dr. Karl Diem.
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696
Willoughby Dayton Miller f.
Willonghtiy Dayton Miller f.’
Am 27. Juli 1907 ist Geheimrat Professor med. et phil.
Dr. W. D. Miller trotz einer — wahrscheinlich zu spät erfolgten
— Operation in seinem Geburtsorte Alexandria, wo er auf
seiner von Verwandten bewirtschafteten Farm weilte, den
Folgen einer akuten Appendicitis erlegen.
Für die Wissenschaft ein vielleicht unersetzlicher Verlust,
für den zahnärztlichen Stand eine Katastrophe.
W enige Sterbliche wird es geben, von welchen man buch¬
stäblich sagen könnte, von Helsingfors bis Manila, von Tokio
bis Havanna, von den Metropolen der Kulturländer bis in das
letzte Kolonialstädtchen rings auf dem weiten Erdenrunde gibt
es wohl keinen Fachgenossen, der nicht aufblickend von seiner
schweren, aber schönen Berufsarbeit Tag für Tag sich erbaut
hätte bei dem Gedanken an unseren Leitstern Miller, wohl
keinen Fachgelehrten, der Millers fundamentalen Entdeckungen
seine Anerkennung versagen könnte.
Glaubt man an Vorausbestimmungen durch das Schicksal,
müsste man sagen, Miller sei, — so paradox es für den
ersten Anschein klingt — prädestiniert gewesen zu einem der
gewaltigsten Förderer der Zahnheilkunde.
Seine ausgesprochene Vorliebe für Naturwissenschaften
überhaupt, die Uebung manueller Fertigkeiten in frühester
Jugend, die Vertiefung in chemisch-physikalische und mechanische
Probleme späterhin, sein auf medizinischem Gebiete betätigter
Feuereifer und die hohe Befriedigung, welche er in der An¬
wendung ärztlichen Wissens und Könnens empfand, der Umstand,
dass er in dem einen der beiden Länder, welche in den letzten
Dezennien in der Ausbildung der Zahnheilkunde besonders
wetteiferten, geboren war, in dem anderen seine höheren
akademischen Weihen empfangen hat, präformierten in seiner
1 Der Verein österreichischer Zahnärzte in Wien veranstaltete am
8. Oktober d. J. für sein verstorbenes Ehrenmitglied eine Gedenkfeier, bei
welcher Doz. Dr. Rudolf Weiser vorstehenden Nekrolog zur Verlesung
brachte.
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Willoughby Dayton Miller f.
697
Gestalt förmlich einen Bahnbrecher für die wissenschaftliche,
einen Messias für die soziale Seite dieses durch seine vielfachen
einschneidenden Beziehungen zu mechanischen Fertigkeiten
charakterisierte Spezialfach der Medizin.
In den folgenden Ausführungen soll hierauf noch zurück¬
gekommen werden.
Wenn wir den Angaben eines seiner bestinformierten
Schüler, Professor Jungs 1 , folgen, erfahren wir, dass Miller
am 1. August 1853 auf einer Farm nahe Alexandria in der
Grafschaft Licking im Staate Ohio geboren wurde, im
12. Lebensjahre (1865) mit seinen Eltern von dort nach Newark
(Ohio) übersiedelte und daselbst die Mittelschule (nach der
amerikanischen Bezeichnung High-School) 1871 absolvierte.
Hierauf studierte er an der Universität Ann-Arbor (Michigan)
Philosophie und wurde 1875 an derselben zum Baccalaureus
artium promoviert. Als 22jähriger Mann begab sich Miller,
um sich weiter zum Minen-Ingenieur auszubilden, an die
Universitäten zu Edinburgh und Berlin.
Im Frühjahre 1877 zwangen ihn die Folgen geistiger
Ueberarbeitung zu einer Unterbrechung der Studien. Ueber den
weiteren „Werdegang“ Millers entnehmen wir der oben
zitierten überaus anziehend geschriebenen biographischen Studie
Jungs und dem würdevoll gehaltenen Nekrologe* seines
Nachfolgers im Lehramte, Professor Diecks, dass der Dahin¬
geschiedene während seiner Rekonvaleszenz viel im Hause
seines nachmaligen Schwiegervaters, Dr. F. P. Abbot, eines
hervorragenden und zu jener Zeit das Haupt der amerikanischen
Kolonie in Berlin repräsentierenden Zahnarztes, verkehrte und
mutmasslich angeregt durch Untersuchungen über die Ein¬
wirkung von Gold und Zinn aufeinander, zu welchen Abbot
seinen zu wissenschaftlichen Arbeiten so sehr geneigten Schützling
veranlasste, sich bald darauf auf das Studium der Zahnheilkunde
verlegte. In raschem Zuge, der für Millers Wissensdrang,
• Prof. Dr. Jang: W. D. Miller f. Deutsche zahnärztliche Zeitung,
Manchen, 10. August 1907.
* Deutsche zahnärztliche Wochenschrift, 3. Oktober 1907.
14
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698
Willonghby Dayton Miller f.
seinen Fleiss, seine Energie und seine fachliche Begabung das
glänzendste Zeugnis erbringt, sehen wir ihn 1879 am „Penn¬
sylvania Dental College“ zu Philadelphia den Grad eines
„Doctor of Dental Surgery“ erwerben. Während er gleich
darauf an der Seite seines Schwiegervaters zahnärztliche Praxis
ausübte, oblag er unter Kochs Leitung mit glühendem Eifer
bakteriologischen Studien. Hiemit war der Grund gelegt für
seine späteren epochemachenden Publikationen über die chemisch¬
parasitäre Natur der Zahnkaries, über die Bakterien der Mund¬
höhle, die Mundbeläge usw.
Fünf Jahre später wird er als Lehrer an das neugegründete
zahnärztliche Institut der königlichen Universität in Berlin be¬
rufen, worauf ihm alsbald das Prädikat Professor verliehen
wurde. Damit gab sich Miller noch nicht zufrieden, sondern
studierte nebenher noch Medizin, um im Jahre 1887 sich durch
seine Dissertation über „Pathogene Mundpilze“ den Doktorgrad
der medizinischen Fakultät in Berlin zu erringen. 1894 erfolgte
seine Ernennung zum ausserordentlichen Professor der medi¬
zinischen Fakultät und bei der Niederlegung seines Lehramtes
am zahnärztlichen Institute wurde Miller durch die Ernennung
zum Geheimen Medizinalrat ausgezeichnet.
Dies in wenig Strichen die äussere akademische Karriere
des grossen Gelehrten. Wieviel mehr des Bewunderungs¬
würdigen bietet uns erst die Betrachtung des unermüdlichen
Forschers, des hingebungsvollen Lehrers bei seiner Arbeit im
Laboratorium und in der Füllabteilung des Universitätsinstitutes!
Miller besass eine titanenhafte Arbeitskraft. Die frühen
Morgenstunden waren schon wissenschaftlichen Experimenten
geweiht, — die späteren Vormittagsstunden — entsprechend
einem exquisit vornehmen Patientenkreise — der Privat¬
ordination gewidmet, der Nachmittag aber gehörte ganz dem
Institute. Als wär’s gestern gewesen, so deutlich erinnere ich
mich noch der leider nur allzu kurzen Zeit meiner Frequentation
des Berliner zahnärztlichen Institutes im dritten Jahre seines
Bestandes. Immer die gleiche göttliche Ruhe, den herz¬
gewinnenden, wohlwollenden, freundlichen Ausdruck in den
von einer ernsten Gelehrtenstime überragten edlen Gesichts-
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Willoughby Dayton Miller f.
699
zögen — durchschritt Miller gewissenhaft die bis auf den
letzten Winkel mit Operationsstühlen, Bohrmaschinen, Patienten
und Studenten angefüllten niederen Füllsäle mit elender
Ventilation — hier einen ängstlichen Zweifel lösend, dort eine
misslungene Füllung noch rettend, in einem dritten Falle durch
Lob ermunternd, stets äusserste Rücksichtnahme und Humanität
gegenüber den Patienten predigend. Und wenn längst schon
den einen Hörer die Privatsiunden, von deren kargem Ertrag
er seinen Unterhalt bestreiten musste, den anderen Pflichten
der Couleur gegenüber oder andere Gründe veranlassten, aus
dem Füllsaal zu verschwinden, da stand der pflichttreue, un¬
ermüdliche Lehrer noch im Kreise besonders eifriger Schüler,
häufig Aerzte aus aller Herren Länder, manch interessanten
Fall erörternd, bis in einer entfernten Ecke des Saales eine
oder die andere nicht mehr verwendete Lampe verlöschte
und der Uebereifrige dadurch veranlasst wurde, auf seine Uhr
zu sehen; und nun ging es spät abends nicht etwa schon
nach Hause, sondern noch in dieses oder jenes medizinische
Privatissimum oder ins bakteriologische Institut! Die Sorge
um einen mühsam gezüchteten Stamm einer Reinkultur trieb
ihn wohl fort. Den auf der Farm verlebten Jahren der Kindheit
schreiben manche es zu, dass Millers Konstitution solch
enormer Anspannung seiner Kräfte gewachsen war.
In den letzten 10 von den 22 Jahren seiner Lehrtätigkeit
am Berliner zahnärztlichen Institute freilich wurde manches
anders. Miller, der durch sein hervorragendes pädagogisches
Talent, sein leuchtendes Beispiel in ganz besonderem Masse
befähigt war, Schule zu machen, hatte im Laufe der Jahre
sich stets mit ausserordentlich tüchtigen Hilfskräften zu um¬
geben vermocht, so dass er sich selbst mehr die Direktive
des Unterrichtes und die persönliche Unterweisung eines
ongeren Kreises von Vorgerückten wahren und so seine Zeit
mehr und mehr für rein wissenschaftliche Forschung verwerten
konnte. Insbesondere nachdem die kolossale Inanspruchnahme
seiner Kräfte seinem Organismus endlich doch arg zugesetzt
und die Natur neuerlich ihre Rechte gefordert hatte, war der
orkrankte Gelehrte auch ein gelehriger folgsamer Patient geworden.
14 *
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700
Willoughby Dayton Miller +.
Nach wunderbarer Wiederherstellung seiner Gesundheit zog er
sich nach und nach vollständig aus der Privatpraxis zurück,
trieb, soweit es zur rationellen Körperpflege notwendig war,
Golf, — alles nur, um seiner Berufsarbeit desto erfolgreicher
nachkommen zu können.
Aber selbst bis zum Schlüsse seiner Tätigkeit am Berliner
Institute konnte man sich nicht genug verwundern, dass man
über den kleinen Hof eines alten, niedrigen Gebäudes über
eine Hintertreppe hinauf in einem selbst für eine Person
sehr kleinen einfenstrigen Raume, von dem noch für einen
Diener ein kleiner Verschlag abgespart worden war, Professor
Miller, den Gelehrten von Weltruf, umgeben von hunderten
Fläschchen mit Reagentien, Farbstoffen, Medikamenten, mitten
unter Retorten, Brutöfen, Mikroskopen, Eprouvetten und Prä¬
paraten suchen musste.
Und aus solchem Milieu heraus erstanden — entfacht
durch seinen Forschergeist — Millers die ganze Fachwelt
in Atem haltenden Schöpfungen: Seine Arbeiten über das
Wesen der Zahnkaries, „Die Mikroorganismen der Mundhöhle“,
sein klassisches „Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde“,
seine Studie über die Mundbeläge, seine Mitteilungen „Ueber
die Ursachen der Erosion und chemischen Abrasion der
Zähne“ — nach seiner eigenen Aeusserung für sich allein das
Ergebnis von 1000 Arbeitsstunden — und eine überaus statt¬
liche Reihe in den Fachblättern der ganzen Welt zerstreuter
Publikationen, welche nach beiläufiger Schätzung die Zahl 100
überschreiten dürften.
Allen Werken Millers gemeinsam ist die klare, knappe
Diktion, die Macht der Ueberzeugung, die ihnen entströmt;
die Wissenschaft tritt von allem Mystizismus entkleidet in er¬
habener Reinheit an uns heran; als nackte Grundwahrheiten
werden positive Tatsachen Stein auf Stein aufeinandergetragen
und nun streng logisch die Konsequenzen gezogen. Da gibt
es keine Gedankensprünge, keine gewagten Hypothesen.
Und so wie als Autor, so war Miller auch als
Lehrer eigenartig. Seine Methode war ein liebevolles zu sich
Heraufheben, nicht ein kaltes Instaunenversetzen; eine ihm
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Willonghby Dayton Hitler f.
701
nur mit wenigen Grossen des Geistes gemeinsame Gabe. Er
war ein Grosser des Geistes nicht nur, auch Seelengrösse war
ihm eigen.
Sichtlich unangenehm war es dem persönlich überaus
anspruchslosen Gelehrten, wenn ihm jemand wegen seiner
Aufopferung für den wissenschaftlichen Beruf Elogen machte;
in seiner Bescheidenheit, Offenheit und fast an puritanische
Strenge gemahnenden Selbstkritik pflegte er mit den Worten
abzuwinken: „Da ist weiter kein Verdienst dabei; ich tu das,
weil es mir Vergnügen macht; so wie ein anderer Musik oder
Sport treibt“.
In weitesten Kreisen bekannt war Millers Selbstlosigkeit,
seine Opferfreudigkeit für Freunde, für Hilfsbedürftige oder
gar Notleidende. Der Vorstand der Unterstützungskasse für
deutsche Zahnärzte zitiert die erhebenden Worte, mit welchen
Miller in der Abschiedssitzung für seine Ernennung zum
Ehrenmitgliede dieses Institutes dankte: „Nicht die Kollegen
haben mir zu danken, sondern ich den Kollegen; denn es
ist das höchste Glück, das einem Menschen zuteil werden
kann, wenn ihm Gelegenheit geboten wird, anderen Wohltaten
zu erweisen“.
Millers edler Charakter dokumentiert sich auch durch
seine strenge Sachlichkeit, seinen vornehmen, würdevollen
Ton in der Polemik.
War Miller schon stets mit Freuden bereit, die Er¬
gebnisse seiner rastlosen Forschung in den Dienst der Kollegen¬
schaft und der leidenden Menschheit zu stellen, so war er
mit seinen organisatorischen Talenten zur Führerrolle dem
zahnärztlichen Stande und den Regierungen der Kulturstaaten
gegenüber nicht minder freigebig. Wahrlich ein hochherziger
Zug, der ihm ein nicht minder ruhmvolles Blatt in der Ge¬
schichte der Zahnheilkunde sichert.
Zum Glück für seine wissenschaftliche Tätigkeit relativ
spät erst, für die Regelung der schwierigen Standesangelegen¬
heiten beklagenswert kurze Zeit nur war Miller durch seine
Wahl zum Präsidenten des Zentralvereines deutscher Zahn¬
ärzte 1900, zum Präsidenten der Föderation Dentaire Inter-
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702
Willoughby Dayton Miller +.
nationale 1904, in die Lage gekommen, auf dem Gebiete der
Standesangelegenheiten eine grosszügige Aktion zu inaugurieren.
Millers anerkannter Weltruf als Gelehrter, die Be¬
geisterung für seine Lehren, das rückhaltslose Vertrauen in
seinen tadellosen hochherzigen Charakter, die dankbare Liebe,
welche Scharen von über den Erdball zerstreuten Schülern
und mit ihnen fortgerissen wohl die überwiegende Majorität
der deutschen, französischen, englischen Zahnärzte an dieses
leuchtende Vorbild fesselte, der Stolz, mit dem die amerika¬
nischen Fachgenossen zu ihm herüberblickten, all diese Momente
boten an sich ein mächtiges Unterpfand für ein erfolgreiches
Wirken auf dem Gebiete der Standesorganisation.
Dazu kamen noch sein liebenswürdiges, schon durch
seine Bescheidenheit alle Herzen gewinnendes Entgegenkommen,
seine vornehme Erscheinung, seine mondänen Umgangsformen,
sein feines Taktgefühl und die Redegewandtheit des Amerikaners,
welche sich noch dazu bei ihm auf die englische, deutsche
und die französische Sprache erstreckte.
In musterhafter, fast ängstlicher Pflichttreue hat Miller
während seiner 22jährigen Amtstätigkeit in erster Linie die
Interessen der deutschen Zahnärzte vertreten, ohne dabei die
natürlichen Bande und freundschaftlichen Beziehungen zu seinen
Landsleuten im mindesten zu verletzen; seine Hochachtung
und Verehrung für die Medizin waren bei seinen unablässigen
Bemühungen um die Hebung der beruflichen Leistungsfähigkeit
und der sozialen Stellung der deutschen Zahnärzte, seinem
Eintreten für Forderung der Maturitas und Verlängerung der
Studienzeit sicherlich das Leitmotiv, sie boten die sicherste
Gewähr, dass die aufrichtig freundschaftlichen Beziehungen
zwischen den deutschen und österreichischen Zahnärzten sich
in Zukunft nur noch festigen würden, wenn es ihm auch seine
persönliche feste Ueberzeugung aus rein praktischen Gründen
verbot, die in Oesterreich und in Ungarn bestehende, von den
französischen Stomatologen neuerlich angestrebte Studien¬
ordnung voll und ganz zu befürworten.
Ausgestattet mit solchen, wohl kaum wieder in einer
Person vereinigten Vorzügen war Miller der Berufenste, um
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Willoughby Dayton Miller f.
703
bei solch schwierigen und verantwortungsvollen Verhandlungen,
wie sie in grossen Vereinsversammlungen, auf internationalen
zahnärztlichen Kongressen mitunter, in den Meetings der
Federation Dentaire Internationale in der Regel stattfanden,
präsidieren und sie zu einem gedeihlichen Ergebnisse führen
zu können. Wenn auch Miller in seiner Bescheidenheit
niemals das treffende Dichterwort: „. . . ich bin gewohnt,
dass das Meer aufhorcht, wenn ich rede“, für sich in Anspruch
genommen, ja nicht einmal sich selbst eingestanden hätte, wie
gross sein Einfluss auf Gang und Ausfall der Verhandlungen
war, wir andern, die wir im Plenum, beziehungsweise im
Ausschüsse sassen, wussten und beobachteten es, wie kleinliches
Gezänke und hadernde Gehässigkeit in dem Momente verstummen
mussten, wenn Miller in seiner strengen Sachlichkeit und bis
zur Leidenschaftslosigkeit gediehenen Selbstzucht seine Stimme
erhob und sein Gewicht für oder gegen eine strittige Sache in
die Wagschale legte.
Unter dem niederschmetternden Eindrücke, ihren glänzen¬
den Präsidenten verloren zu haben, tagte eine Woche nach
Millers so ganz unerwartetem Tode die Föderation Dentaire
Internationale heuer in Amsterdam. Verwaist, ihres glückver-
heissenden Leitsternes, des Ehrenpräsidenten Miller beraubt,
musste das vorbereitende Komitee des Internationalen zahnärzt¬
lichen Kongresses in Berlin 1909 seine zuerst unter den
günstigsten Auspizien begonnenen Vorbereitungen fortsetzen.
Eine imposante Reihe von wissenschaftlichen, Standes-
und humanitären Vereinen des In- und Auslandes, so auch
der Verein österreichischer Zahnärzte beklagt den Verlust
eines illustren Ehrenmitgliedes. In rüstigem Mannesalter noch,
zu einem Zeitpunkte, da er den Zenith seines Ruhmes vielleicht
noch nicht einmal erreicht hatte, sicherlich aber noch inmitten
vollster Schaffensfreude, zu einem Zeitpunkte, da er unter den
glänzendsten äusseren Bedingungen in der Heimat, im „Lande
der unbegrenzten Möglichkeiten“, als Direktor des zahnärztlichen
Institutes der Universität Ann Arbor seine erfolgreiche wissen¬
schaftliche Tätigkeit fortsetzen, seinen grosszügigen Ideen auf
dem Gebiete der Organisation zum Durchbruch zu verhelfen
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704
V a r i a.
hoffen durfte, hat das unerbittliche Schicksal den grossen
Fachgelehrten hinweggerafft.
Das Haupt schüttelnd ob der Unfassbarkeit des tragischen
Ereignisses mit seinen noch unabsehbaren Folgen, richten
Tausende tieferschüttert den geistigen Blick hinüber nach einem
kaum erst ergrünenden Grabeshügel. Vor ihnen aber, ganz
nah am Rande der Stätte des ewigen Friedens, steht die edle
Gestalt einer schmerzgebeugten Frau, der Witwe Geheimrat
Dr. Millers, ihr zur Seite Dr. med. John Miller, ihr Sohn,
und die in Amerika verheiratete Tochter.
Was der Edle seinen Lieben, das Ideal eines Mannes, ge¬
wesen, wir können es nur ahnen, ermessen können wir es
nicht. An Worten des Trostes für sie gebricht es uns.
Und doch gibt es einen Trost für die erhabene Frau,
die am schwersten Getroffene. Einem Briefe ihres Bruders,
Dr. Charles H. Abbotts, entnehme ich die erbauliche Stelle:
„Meine Schwester trägt ihr Leid mit wunderbarer Charakter¬
stärke und im festen Glauben, dass er jetzt glücklicher ist als
auf Erden und dass sie ihn Wiedersehen wird.“
Uns bleibt ein versöhnlicher Gedanke, dass Millers
Schöpfungen unsterbliche sind! Lassen Sie uns das von ihm
übernommene Erbe heilig halten und dafür sorgen, dass reich¬
lich Früchte trage, was er gesäet.
V a r i a.
WIEN. K. k. zahnärztliches Universitäts-Institut (Prof. Scheff).
Nachricht. Der seit einigen Jahren daselbst als Demonstrator
wirkende Dr. Bruno Klein wurde zum zweiten Instituts-Assi-
stenten ernannt. —.—
— Zahnärztliche Abteilung der allgemeinen Poliklinik (Doz.
Dr. G. v. Wunschheim). Nachricht. Dozent Dr. Rudolf Weiser
hat die Semestralvorlesungen über Zahnersatzkunde ständig
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Varia.
705
übernommen. Die rege Beteiligung, deren sich seine Vor¬
lesungen schon jetzt erfreuen, lassen hoffen, dass diese Neue¬
rung zu einem weiteren Aufblühen der zahnärztlichen Abteilung
führen wird.
Infolge der stetig zunehmenden Frequenz der Abteilung
und Vergrösserung derselben wurde auch die Stelle eines
zweiten Assistenten geschaffen und dieselbe an Dr. Nikolaus
Schwarz verliehen. —.—
GRAZ. Professur. Ueber Vorschlag des medizinischen Pro-
fessoren-Kollegiums wurde Dr. Franz Trauner, Zahnarzt in
Wien, vom Kaiser zum ausserordentlichen Professor der Zahn¬
heilkunde ernannt und übernimmt an Stelle des verstorbenen
Professors Bleichsteiner die Leitung des zahnärztlichen
Universitäts-Institutes in Graz.
Prof. Trauner ist im Jahre 1867 in Linz a. d. D. ge¬
boren, wo er das Gymnasium absolvierte, studierte in Graz
Medizin und wurde ebenda 1892 zum M. U. Doktor promoviert.
Von 1893 bis 1896 betätigte er sich an der unter Leitung des
Primarius Dr. Brenner stehenden chirurgischen Abteilung
des Allgemeinen Krankenhauses in Linz und war dann als
Bahnarzt, praktischer Arzt und Hausarzt des Isabellen-Kinder-
spitals in Linz und nach erfolgreicher Ablegung der Physikats-
prüfung, als Armenarzt und Obduzent für sanitätspolizeiliche
Obduktionen tätig.
Im Jahre 1898 wendete er sich ausschliesslich der Zahn¬
heilkunde zu, wobei ihm seine gründliche chirurgische Vor¬
bildung während der Studien in Breslau bei Prof. Part sch
und Prof. Sachs besonders zustatten kam. Von 1900 bis 1904
war er als Assistent bei seinem Schwiegervater Dr. Johann
Pichler in Wien tätig.
Seit November 1906 steht Prof. Trauner als Präsident
des Zentral-Verbandes an der Spitze der österreichischen Zahn-
Ärzteschaft und widmet einen grossen Teil seiner Zeit und
Kraft der Lösung von wichtigen Standesfragen, sowie der
Redaktion der „Oesterreichischen Zeitschrift für Stomato -
logie“.
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706
Varia.
Eine erhebliche Anzahl grösserer und kleinerer Publika¬
tionen dokumentiert seine Betätigung auf wissenschaftlichem
Gebiete. 1
In Prof. Trauner gewinnt die Grazer Universität eine
spezialärztlich und chirurgisch ausgezeichnete, noch unver¬
brauchte Kraft, von der für den Unterricht und die wissen¬
schaftliche Forschung auf dem Gebiete der Zahnheilkunde er-
spriessliche Leistungen zu erwarten sind. —w—
BERLIN. Auszeichnung. Prof. Dr. Ludwig Brandt ist
der Roie Adler-Orden verliehen worden.
JENA. Dozentur. Dr. med. Hesse hat sich als Privat¬
dozent für Zahnheilkunde habilitiert.
ROSTOCK. Dozentur. Zahnarzt Dr. med. Reinmöller
ist zum Lektor für Zahnheilkunde ernannt worden.
HEIDELBERG. Dozentur. Dr. Hermann Euler hat sich
als Privatdozent für Zahnheilkunde habilitiert.
DRESDEN. Uebersiedlung. Hofrat N. S. Jenkins, der
seine Praxis schon vor längerer Zeit an seinen Mitarbeiter
Hofrat M c B r i d e übergeben hat, ist nach Paris übersiedelt.
LEIPZIG. Auszeichnung. Dem Assistenten am zahnärztlichen
Institute Dr. Paul Schwarze ist der Verdienst-Orden II. Hasse
verliehen worden.
1 Beitrag zur Vervollkommnung unserer Zahnregulierungsmethoden.
Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilhunde, Jänner 1901.
Wurzelfüllung von Zähnen, deren Wurzel Wachstum nicht abgeschlossen
ist. Oesterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, April 1902.
Elektrische, schmerzhafte Phänomene beim Füllen der Zähne mit
kohäsivem Golde und deren Vermeidung. Wiener zahnärztliche Monats¬
schrift, 1903.
Ueber Dermoide des Ovariums mit besonderer Berücksichtigung der
Zähne in denselben. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, November 1903.
Resorption an Zähnen von Ovarialdermoiden. Oesterr.-ungar. Vierteljahrs¬
schrift für Zahnheilkunde, Oktober. 1904.
Verhinderung der 'Bildung von Zahnstein an den Zähnen. Oester-
Teichische Zeitschrift für Stomatologie, 1904, 4. Heft.
Wurzelspitzenresektion an unteren Mahlzähnen. Oesterr.-ungar. Viertel¬
jahrsschrift für Zahnheilkunde, Jänner 19Q6.
Die Elektrizität in der Zahnheilkunde. Oesterreichische Zeitschrift
für Stomatologie, 1907, 1. Heft.
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707
Patente nnd Gebranchsfflnster-Emtragnngen.
(Mitgeteilt von Ing. lf. Monath, Patentanwalt, Wien,
I. Jasomirgottstrasse 4.)
Vorrichtung zum Ziehen von Zähnen. Dr. Ottokar
Cholinsky, Prag.
Behälter zur Abnahme der septischen Watte von der
Pinzette mit einer Anzahl nacheinander zugänglicher Abstreich¬
öffnungen. Theodor Bernhard Freih. v. B e u s t, Dresden.
Aseptische Drehbärste zum Reinigen der zahnärztlichen
Bohrer, welche vermittels ihres Verschlusszapfens in einer auf
der Bohrmaschinenwelle sitzenden Hülse eine gepolsterte
Lagerung erhält. Dr. J. Ei eff er, Strassburg.
Schaftstück für zahnärztliche Instrumente u. dgl. mit ballig
verlaufender Versenkung der Einsatzstelle. J. Beutelrock
& Sohn, München.
Nervkanalbohrer mit gebauchter teilweise schneidiger
Spitze. J. Beutelrock & Sohn, München.
Auswechselbare Greifbackenbefestigung an den Hand¬
schenkeln von Zangen zum Ziehen von Zähnen. Karl Kocher,
Remscheid.
Vorrichtung zur Herstellung nahtloser Zahnkappen aus
einem von einem Gehäuse getragenen Stempelpaar. Otto
Sch wahn, Rixdorf.
Presse zur Herstellung nahtloser Zahnkappen mit zentrisch
einspannbaren, auswechselbaren Stempeln. Otto Sch wahn,
Rixdorf.
Vorderzähne aus Porzellan ohne Crampons. Otto Nicolai,
Boppard.
Ein Vorderzahn ans Porzellan, ohne. Crampons^- welcher
mittels eines Blechstreifens mit der Gebissplatte verankert ist.
Otto Nicolai, Boppard.
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708
Empfangene Bücher und Broschüren.
(Mit Vorbehalt weiterer Besprechung.)
Deutsche Zahnheilkunde in Vorträgen. Von Prof. Dr. med. Julius
Witzei. Heft 1: lieber die pathologischen Erscheinungen
beim Durchbruch der unteren Weisheitszähne. Verlag von
Georg Thieme, Leipzig 1907.
Treatment of Malocclusion of the Teeth. By Edward H. Angle,
M.D., D.D.S. 7 th Edition, Philadelphia 1907. S. S. White
Dental Mfg. Co.
Ueber die artifizielle Deformierung des Unterkiefers. Von Dr. Ber-
thold Spitzer und Dr. Robert Werndorff. Sonder¬
abdruck aus der „Zeitschrift für orthopädische Chirurgie 8 ,
XIX. Bd.
Zahn- und Mundpflege. Von Dr. med. C. Röse, Leiter der
Zentralstelle für Zahnhygiene in Dresden. Herausgegeben
vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose. Berlin 1907.
Der Zahnarzt Ein Vademekum. Aus den hinterlassenen Papieren
eines alten Praktikers zusammengestellt und ergänzt. Verlag
von Hermann Meusser, Berlin 1907.
Beleuchtung der Frage des Aerztetums der Zahnärzte, rekte
Stomatologen. Referat, vorgelegt der Association Stoma-
tologique Internationale von Prof. Dr. Josef: v. Arkövy.
Sonderabdruck a. d. „Stomatologiai Közlöny“, Nr. 5, 1907.
Bericht über die 46. Jahresversammlung. des Zentralvereines
deutscher Zahnärzte vom 9. bis 12. Mai 1907 in Hamburg.
Von F. J. Robert Hoever, Zahnarzt in Stolberg. Sonder¬
abdruck aus der „Oesterr. Zeitschrift für Stomatologie 8 ,
5, 6, 1907.
Weitere Mitteilungen über J. P. Buckleys Trikresol-Formalin-
behandlung der Gangraena pulpae. Von Dr. Arthur Sch eu er
in Teplitz. Sonderabdruck aus der „Oesterr. Zeitschrift für
Stomatologie 8 , 6, 1907.
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709
Oie Benützung schwerfliessender Porzellanmassen, speziell für
Jacket-Crowns (Dr. Capon, Or. Land) als auch für frei
modellierte Porzellanvollkronen, Porzellanbrflcken und Con-
tinuous-gum-Arbeit, Von Hofzahnarzt Eugen Wünsche,
D.D. S., Berlin. Sonderabdruck aus der „Berliner zahn¬
ärztlichen Halbmonatsschrift“, 1907, Nr. 14.
Erwiderung auf die Antwort des Herrn Dr. E. Herbst auf meine
„Kritischen Bemerkungen“. Von Hofrat W. P fa ff, Dresden.
Sonderabdruck aus der „Deutschen zahnärztlichen Wochen¬
schrift“, X. Jahrg., Nr. 19 und 20.
Kontra Körbitz, Berlin. Von Hpfrat W. Pfaff, Dresden. Sonder¬
abdruck aus der „Deutschen Monatsschrift für Zahnheil¬
kunde“, XXV. Jahrg., August 1907.
Kritische Bemerkungen zu den Arbeiten E. Herbsts auf dem
Gebiete der Orthodontie. Von Hofrat W. Pfaff, Dresden.
Sonderabdruck aus der „Deutschen zahnärztlichen Wochen¬
schrift“, X. Jahrg., Nr. 10.
Ueber Trikresol-Formalinbehandlung. Von Zahnarzt Müller-
Stade, Berlin. Sonderabdruck aus „Odontologische Blätter“,
XD. Jahrg., Nr. 9—10.
Frommes Oesterreichischer Medizinal-Kalender und Rezept-
taschenbuch för 1908. Wien. Verlag von Karl Fromme.
NB. Bei Zusendung von Rezensionsexemplaren, Tausch¬
exemplaren von Zeitungen etc. wolle man sich nur meiner
Adresse bedienen. .
Julius Weiss
Wien, I. Petersplatz Nr. 7.
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Empfangene Zeitschriften.
Dental Era.
Dental Oosmos.
Dental Digest.
Dominion Dental Journal.
Dentists Magazine.
Amerika:
Western Dental Journal.
Dental Review.
Dental Summary.
Pacific Dent. Gazette.
Items of Interest.
Dental Brief.
Dental Hints.
Dent. Office and Laborat.
Australien:
Australian Journal of Dentistry.
Belgien:
Bulletin de la Societ6 Beige de Stomatologie.
Dänemark, Schweden und Norwegen:
Odontologisk Tidskrift. | Tandlägebladet.
Nordisk. Tandläk. Tidskrift.
Berliner zahnärztl. Halbmonatsscbr.
Deutsche zahnärztl. Wochenschrift.
Deutsche zahnärztliche Zeitung.
Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk.
Korrespondenzblatt für Zahnärzte.
Odontologische Blätter.
Deutschland:
British Joum. of Dental Science
Joum. of the Brit. Dent. Assoc.
Dental Record.
England:
Zahnärztliche Rundschau.
Archiv für Zahnheilkunde.
Zeitschrift für zahnärztl. Orthopädie.
Zahntechnische Wochenschrift.
Zahntechnische Reform.
Die Gesundheitswarte der Schule.
Quarterly Circular.
Elliots Quarterly.
L’Odontologie.
Le Progres dentaire.
La Revue de Stomatologie.
Le Laboratoire.
Revue odontologique.
Frankreich:
Le Monde dentaire.
Le mois m&lico-chirurgial.
Revue internat. de Prothese dentaire.
Revue de Chirurgie dentaire.
Revue g6n6ral de l’Art dentaire.
Holland:
Tjjdschrift voor Tandheelkunde.
Italien:
Giornale di Correspond, pei Dentisti. | La Rassegna dentistica.
La Stomatologia. j
Japan:
Shikwa-gakuho.
Oesterreich-Ungarn
A Magyar Fogtechnikns.
Zubni iekafstvi
Rocznik lekarski.
Zentralblatt für dae Gesamtgebiet
der Medizin und ihrer Hilfs¬
wissenschaften.
Wiener klinische Wochenschrift
Wiener medizinische Blätter.
Osterr. ärztliche Vereins-Zeitung.
Osterr. Zeitschrift für Stomatologie.
Zeitschrift für Zahntechnik.
Ash’s WienerVierteljahrs-Fachblatt.
Stomatologiai Közlöny.
Russland:
Zubowratschebni wjestnik. | Odontologitscheskoje Obosrenije.
Kromki dentistiöni. j
Schweiz:
Schweizerische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde.
Spanien:
La Odontologia.
heatätlgen den Empfang von Tatuohexemplaren der genannten Zeit-
eonrmen und bitten um deren fernere Zusendung unter der Adresse:
JULIUS WEISS, Vien, I. Patarsfilatz 7.
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711
B ewerber um Assistenten- und Technikerstellen werden
ersucht, ihren Offerten stets Zeugnisabschriften und
Photographie beizulegen. Die Stellensuchenden werden
dringend ersucht, uns sofort zu verständigen, wenn sie
— gleichgiltig, ob durch oder ohne unsere Vermittlung —
Stellung gefunden haben.
Weiss & Schwarz.
Folgende Stellen sind zu besetzen:
Nr. 704.
» 705 .
„ 706.
„ 707. Erstklassige, in Kautschuk- u. Goldarbeiten vollkommen
versierte Kraft für eine grosse südösterreichische Stadt.
„ 708. Tüchtiger Gold- und Kautschuktechniker für ober¬
ungarische Stadt.
„ 709. Tüchtiger Gold- und Kautschuktechniker für west¬
ungarische Stadt.
„ 710. Tüchtiger Arbeiter für eine Stadt in Südtirol.
„ 711. Tüchtiger Techniker für eine Stadt in Schlesien.
n 712. Tüchtiger Techniker für eine Stadt in Südböhmen.
Erstklassige, selbständige Kraft in jeder Art von
Kautschuk- und Goldarbeit, Regulierungsarbeiten,
Brennen von Emailfflllungen erfahren, für Budapest.
FQr die einfacheren Arbeiten ist ein zweiter Tech¬
niker im Atelier angestellt.
Erstklassige, selbständige Kraft in Kautschuk, Gold,
Email etc. vollkommen versiert, ffir Lemberg.
Erstklassige, selbständige Kraft in Kautschuk, Gold,
Email etc. vollkommen versiert, für Brünn.
Der ganzen Auflage des vorliegenden
Heftes liegt ein Prospekt der Firma
J. D. Riedel, Aktiengesellschaft in
Berlin, über das neue Wurzelfüllungs- und Pulpaüber-
kappungsmittel „Plecavol“ bei.
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712
Zahnärztlicher Unterricht
an den
Universitäten in Oesterreich u. Ungarn.
--
a) Oesterreiclx.
Wien. K, k. zahnärztl. Universitäts-Institut, ix. TMenstmse 9.
Vorstand: Reg.-Rat Prof. Dr. Julius Sc he ff.
Assistenten: I. Dr. Berth. Spitzer, II. Dr. Bruno Klein.
Demonstratoren: I. Cand. med. Leop. Sofer, II. Cand. med. Paul
Goldberger.
I. Semestralvorlesungen aber operative und konservierende Zahnheilkunde
fünfmal wöchentlich von 4 bis 6 Uhr abends. Dieselben umfassen die gesamte
Theorie in Verbindung mit Uebungen am Phantom und dauern als solche bis
zu den Weihnachtsferien. Nach letzteren beginnen die praktischen Uebungen
an Patienten bis zum Semesterschluss.
II. Semestralvorlesungen für Mediziner zweimal wöchentlich.
III. Semestralvorlesungen über Zahnersatzkunde; Herstellung von Ersatz¬
stücken an Patienten, fünfmal wöchentlich von 8 bis 10 Uhr vormittags. Von
10 bis 12 Uhr praktische Uebungen in den Arbeitsräumen für Zahnersatzkunde.
IV. Doz. Dr. Rudolf Loos liest ein zweistündiges Kolleg „über aus¬
gewählte Kapitel der Zahnheilkunde“. Samstag von 7 bis 10 Uhr früh.
V. Ferialkurs:
Instituts - Assistent Dr. B. Spitzer hält einen theoretischen und
praktischen Ferialkurs über operative und konservierende Zahnheilkunde und
Zahnersatzkunde mit Uebungen am Patienten ab.
Beginn: Ende November.
Dauer: 6 bis 7 Wochen.
Zeit: Täglich von 8 bis 11 Uhr vormittags: Zahnersatzkunde.
„ „ 4 „ 7 „ nachmittags: Zahnheilkunde.
Honorar: Zahnheilkunde 100 K , Zahnersatzkunde 100 K.
Anfragen: IX. Türkenstrasse 9, Universitäts-Institut.
Vien. Zahnärztl. Abteilung d. allg. Poliklinik, ix. Höfergasse 1.
Vorstand: Doz. Dr. v. Wunschheim.
Assistenten: Dr. 0. v. An der Lan und Dr. Nik. Schwarz.
I. Semestralvorlesungen Uber Zahnhellkunde für Mediziner, zweistündig,
Dienstag, Donnerstag von 8 bis 7 Uhr abends, K 4 20.
Ö. Praktische Uebungen in konservierender Zahnheilkunde an Patienten
fürVorgesohritteue. zehnstündig, fünfmal wöchentlich von 5 bis 7 Uhr abends, 502T.
III. Doz. Dr. Rudolf Weiser. Semesftralvorlesung über Zahnersatz¬
kunde, Dienstag, Dounerstag, Samstag von 7 bis 8 Uhr früh in Verbindung
mit praktischen Uebungen am Patienten, fünfmal wöchentlich von 8 bis 10 Uhr
vormittags. Beginn 1. November. Honorar 100 K. (Anmeldungen und An¬
fragen — nur schriftlich — sind zu richten an Dr. R. W e i s e r, IX. Frankgasse 2).
IV. Ferialkurse:
DieAbteilung^-Assistenten Dr.0. v. An der Lan und Dr.Nik. Schwarz
halten in den Weihnachtsferien, zu Ostern und im September praktische
Kurse über konservierende Zahnheilkunde und Zahnersatzkunde mit Uebungen
am Patienten ab.
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713
Graz. K. I. zahnärztl. UniYersitäts-Institat
Vorstand: Prof. Dr. Franz Trauner.
Assistent: Dr. Ed. Urbantschitsch.
Sechswöchentlicher obligater Kure über Zabnhelikunde : Montag von
5 bis 6 Uhr abends, Mittwoch nnd Freitag von 5 bis 7 Uhr abends als
3stündiges Kollegium.
Praktische Uebungen an Patienten für Vorgeschrittene: Dienstag,
Donnerstag und Samstag von 5 bis 7 Uhr abends als 10 stündiges Kollegium.
Zahnersatzkunde: Dienstag. Donnerstag und Samstag von 8 bis 10 Uhr,
verbunden mit Arbeiten im Laboratorium für Ersatzkunde von 10 bis 12 Uhr
als 20stündige8 Kollegium.
Der Assistent Dr. Urbantschitsch liest Ferialkurse.
Innsbruck. K. I. zahnärztl. Universitäts-Institut, innichstr. 24 .
Vorstand: Prof. Dr. B. Mayrhofer.
Assistenten: Dr. 0. Jeschke und Dr. Leonhard.
I. Zahnärztlicher Kurs für Mediziner mit Demonstrationen und prak¬
tischen Uebungen im Extrahieren, secbswöchentlich, fünfstündig; Stunde
wird später bekannt gegeben.
II. Zahnärztliche Pathologie, Therapie und Klinik, einschliesslich Zahn¬
ersatzkunde, fünfstündig; Montag bis Freitag von 5 bis 6 Uhr abends.
UI. Praktische Uebungen am Patienten, einschliesslich Zahnersatzkunde,
für Anfänger und Vorgeschrittene. Montag bis Freitag von 2 bis 5 Uhr abends.
IV. Zahnchirurgi8che Operationslehre (theoretisch-praktisch) und
chirurgische Prothetik, zweistündig; Samstag von 10 bis 12 Uhr vormittags.
Prag. K. I. deutsche Universitäts-Poliklinik.
Vorstand: Prof. Dr. H. Bönnecken.
Assistent: Dr. A. Kerber.
Theoretische und praktische Zahnheilkunde mit Demonstrationen und
Uebungen au Zahnkranken, Montag, Mittwoch und Freitag von 6 bis 7 Uhr abends.
Zahnärztliche Operationen mit besonderer Berücksichtigung der Er¬
haltung erkrankter Zähne durch die Füllung, täglich von 5 bis 6 Uhr abends.
Prag. K. L böhmisches Universitäts-Ambnlatorinm.
Vorstand: Prof. Dr. E. Nessel.
Assistent: Dr. Tereba. Zwei Demonstratoren.
Zahnhwllkuwd«. Theoretische Vorträge mit Uebungen am Phantom,
Demonstrationen im Plombieren der Zähne für Anfänger.
Klinik der Zahnkrankheiten mit Uebungen im Extrahieren und Plom¬
bieren der Zähne für Vorgeschrittene.
Privatkurse für ausserordentliche Hörer und MU.-Doktoren nach vor¬
heriger Anmeldung und Verabredung mit dem Vorstand des Institutes.
Ferialkurse (Weihnachten, Ostern, Ferien) liest Dr. Tereba.
Das Ambulatorium wird vom Oktober 1906 an im eigenen Gebäude,
Prag, II. Vinicnä ulice (das Gebäude des früheren böhmischen Kinderspitals)
untergebracht werden. — Tägliche Ordination, mit Ausnahme der Sonn- und
Feiertage, von 4 bis 6 Uhr abends.
15
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714
Krakau. K. k. zahnärztl. üniversitäts-Ämbalatorium.
Vorstand: Prof. Dr. W. Lepkowski.
Assistent: Dr. Raczka.
Sechswöchentlicher Kurs, von 8 bis 9 Uhr früh, fünfmal wöchentlich.
Uebungen im Plombieren und Extraktion der Zähne, 3 Stunden
wöchentlich von 9 bis 10 Uhr früh.
Zahnersatzkunde, 3 Stunden wöchentlich von 8 bis 9 Uhr früh (Privat).
Lemberg. K. k. Universität
Doz. Dr. Theodor Bohosiewicz.
Kurse: Die Krankheiten der Zähne und ihre operative Behandlung,
2 Stunden wöchentlich.
Praktische Uebungen in der Zahntechnik, 2 Stunden wöchentlich (Privat).
Doz. Dr. A. Gonka.
--
To) "CTngarn.
Budapest. Stomatolog.Klinik d. kgl. Universität, v111.0110erstr.26.
Vorstand: Prof. Dr. J. v. Arkövy.
Assistenten: Dr. H. Salamon und Dr. J. Sturm.
Demonstrator: Dr. G. Massanek.
I. Semestralvorlesungen, zweimal wöchentlich von 5 bis >/,7 Uhr abends,
über spezielle Pathologie und Therapie der Zahnkrankheiten und einmal
wöchentlich Operationslehre.
II. Zahnersatzkunde unter Leitung des Doz. Dr. L. Hattyasy, dreimal
wöchentlich.
III. Zahnärztliche Operationslehre, einmal wöchentlich von 5 bis 7 Uhr
abends, Samstag, Doz. Dr. J. Szabö.
Die Klinik ist von 8 bis 12 Uhr geöffnet. Vormittags arbeiten die Vor¬
geschrittenen, abends die Anfänger.
Privatkurse werden von den Assistenten abgehalten.
IV. Dozent Dr. A. Rothmann, Leiter der zahnärztlichen Ordination
an der Allgemeinen Poliklinik.
V. Dozent Dr. J. A n t a 1, Leiter der zahnärztlichen Ordination im Spital
der PP. Barmherzigen Brüder.
Klausenbnrg. Königl. Universität
Kurse: Doz. Dr. K. Hoencz: Mund- und Zahnkrankheiten verbunden
mit Extraktions- und Füllungs-Exerzitien.
Doz. Dr. G. Rudas: Histologie und Pathologie der Zähne.
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latatätitt. TolMmk
Beile Alllancestr. 88. Berlin SW Belle Alllancestr. 88.
Institut ffir Fortbildungskurse in der operativen Zahn¬
heilkunde und in der zahnfirztlichen Technik.
CnUVial U«i*#a ln Kronen- und BrQckenarbeiten und Be-
vv handlung unregelmässiger Gebisse.-
I
Q Die Kurse sind nicht für Anfänger, setzen q
III vielmehr die elementare Kenntnis des Gebietes 111
voraus. Kursisten ohne spezialistische Vor¬
bildung müssten beim Assistenten der Ab¬
teilung ein Privatissimum nachsuchen.
Das Institut ist fast das ganze Jahr geöffnet.
Vorherige Anmeldung liegt im Interesse der Kursisten.
—- — Prospekte und alle Auskünfte bereitwilligst.
Alfred Körbitz.
Laboratorium für Zahnprothese
G. m. b. H.
Technische Leitung: Prof. Dr. JUNG
Berlin W. 50, TauenzienstraSse 17.
Technische Spezialkurse.
Anfertigung aller technischen Arbeiten
in Kautschuk, Metall und Email.
Kostenfreie und unverbindliche Beratung über Regulierungsfälle,
□ Brückenarbeiten etc. an Hand eingesandter Modelle. □
- Prospekte auf Anfrage. —— —.
IX
Zabnär3tUcbe8 XTecbnihum Zürich
□ □ Fortbiidungsinstitut für Studierende und Zahnärzte □ □
□ □ speziell in moderner zahnärztlicher Aetaiitechnik- □ □
Das „Zahnärztliche Technikum Zürich“ ist ein Institut, an
welchem Praktikanten der Zahnheilkunde sich in kurzen Ferienkursen
mit der modernen zahnärztlichen Metalltechnik vertraut machen können.
Die Kurse sind eingeteilt in:
A. Praktische Kurse: | B. Demonstrationskurse:
Dauer: 3 Wochen.
Datum: Vom 1. bis 20. jedes
Monats.
Kurstaxe: 300 Frks. pro Teil¬
nehmer. I nehmer.
Dauer: 8 Tage.
Datum: Jeweilen die letzte
Woche jedes Monats.
Kurstaxe: 125 Frks. pro Teil-
Ueber Monats-, Quartals-, Semester- und Jahreskurse siehe Institutsprospekt.
Bei den praktischen Kursen arbeitet jeder Teilnehmer selbst, während
bei den Demonstrationskursen nur der Demonstrierende praktisch tätig ist und
die Kursisten nnr Hörer und Zuschauer sind.
Der Eintritt kann für beide Knrsarten monatlich erfolgen. Die Anmeldungen
erfolgen vorteilhaft recht frühzeitig, weil dieselben ihrer Reihenfolge nach be¬
rücksichtigt werden. Als definitiv angemeldet werden nnr solche betrachtet, welche
mit der Anmeldung die Hälfte der Kurstaxe einsenden. Die zweite Hälfte ist bei
Beginn des Kurses zu entrichten.
Institutsprospekt bei den Herren Weiss & Schwarz in Wien, I. Fetersplatz 7 t
erhältlich.
Weitere Auskünfte erteilt
Dr. Eug. Müller-Wädensweil
Direktor des Zahnärztlichen Technikums
Zürich, Alfred Escher-Platz 2.
Die gefertigten Fabrikanten der von Dr. Eugen Müller-
Wädensweil in Zürich angegebenen
Apparate und Instrumente für moderne
zahnärztliche Cechnilt
haben deren ausschliesslichen Verkauf für Oesterreich-Ungarn
den Herren
Wien, I. Bezirk, Petersplatz Nr. 7
übertragen, von denen auf Wunsch Spezial-Preisliste zuge¬
sendet wird.
P. A. Koelllker & Co., Zürich.
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Zentralblatt für das Gesamtgebiet der Medizin
-- und Ihrer Hilfswissenschaften
Medice -Technologisches Jeurnal
bringt Berichte aus dem Gebiete der medizinischen und chirurgischen
Instrumenten- und Apparatenkunde, Mikroskopie, Bakteriologie, Photo¬
graphie, Radioloie, Hygiene, Krankenpflege, physikalischen Heil¬
methoden, Pharmazie und Pharmakotherapie.
:zi^izz3 Wirkungsvollstes Insertionsorgan. • —
Probenummern auf Wunsch gratis und franko.
Redaktionu. Administration: Wien, IX Mariannengasse 10.
Wiener chemisch-mikroslopiscbes Laboratorium
Dr> P. Urban O J. Hellmann
Laboratorium für medizinisch-klinische Diagnostik
T»i»ph«n »r. 13 . 288 . Wien, IX/» Mariannengasse I. Telephon «r 13.28«.
Vollständige Untersuchung der menschlichen Sekrete und Exkrete,
sowie Ausführung aller Untersuchungen zu diagnostisch-medizinischen
Zwecken: Harn, Sputum, Magensaft, Faeces, Milch, Blut, Eiter,
Punktionsflüssigkeiten, Gewebe, Serumreaktionen, Kryoskopie, Mem¬
branen des Nasen- und Rachenraumes etc.
Iftermarin /Ißeuseer
Berlin W. 35/106, Steglitzerstrasse 58
Jg' Einzige Spezialbachhandlnug Für TgT
mp ist bestrebt, durch solide, kulante und
schnelle Bedienung ihren Kundenkreis
zu erweitern. Zur Erleichterung der
Anschaffung werden monatliche Teil- Hj
v Zahlungen in der Höhe des zehnten
Teiles des Kaufpreises eingeräumt.
Bei grösseren Aufträgen Ermässigung der Monatsrate auf
den zwanzigsten Teil.
Vollständiges Lager, — Allerneueste Auflagen.
Fachkatalog gratis. Portofreie Sendung.
XI
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Soll die foa.lt, welche Sie beslUeu und
xo.lt dex Sie lüx wextoolle Jlcbett haus-
kalte« solle«, au dexa Seih clucx fuss-
^ohxmaschlue uexschweudet wexdeut
Wird es nicht vorteilhaft sein, diese ermüdende
Arbeit an eine Kraft abzugeben, die weder eine
Wirbelsäule noch Nerven hat, die verbraucht werden
können ? Für ein paar Heller (weniger als 25 Heller)
täglich leistet die
= _ Elektrische
Columbia-Bohrmaschine
alle Ihre Bohrarbeit ohne Mühe, Lärm oder Miss¬
lingen und wird mehr zuwege bringen als Sie
könnten oder wollten.
Nützen Sie sich doch nicht vor der Zeit ab!
Wenn Sie Gleichstrom oder Wechselstrom haben,
oder keinen von beiden, wir wollen Ihnen erklären,
wie Sie Ihre Arbeit durch eine elektrische Columbia-
Bohrmaschine bei sehr geringer Ausgabe treulich
besorgt bekommen können.
Schreiben Sie uns. Wir wollen Ihren Fall
persönlich behandeln.
L The Ritter Dental Manufacturing Co.
: Rochester, N.-Y- — ■ 1
__S
— XII —
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Grosse Preisernrässigung
in
„RwelatioiT-Bobrern.
oz==o
Es ist von jeher unser Prinzip gewesen, den Preis eines jeden
Artikels sofort zu ermässigen, sobald sich die Fabrikation durch
vereinfachte und vervollkommnete Methoden, durch Herstellung im
grossen Massstabe und Einarbeitung des technischen Personals billiger
gestaltete.
Dies ist jetzt infolge des gewaltig gestiegenen Verbrauchs mit
unseren Revelation-Bohrern der Fall und wir sind daher in der
angenehmen Lage, unseren werten Geschäftsfreunden eine ganz
bedeutende Preisermftssignng dieses unentbehrlichen Verbrauchs¬
artikels anzeigen zu können. Die Revelation-Bohrer kosten von jetzt
ab bis Stangenslärke nur
K 5.— per Dutzend, was einem Preis von
K 41.— per 100 entspricht.
Es bedarf keiner Versicherung, dass diese bedeutende Preis¬
reduktion in keiner Weise irgend einen Einfluss auf die ausgezeichnete
Qualität unserer Bohrer ausübt. Sie sind in der ganzen Welt bekannt
als die besten, welche es gibt und es existiert kein Fabrikat, welches
sich mit dem unsrigen messen kann.
Der bisherige etwas höhere Preis war vielleicht der Grund,
der manchen abhielt, sich unserer Bohrer zu bedienen. Dieser Grund
ist jetzt fortgefallen. Quälen Sie sich daher nicht mit schlechten
Bohrern ab, die nach ein- oder zweimaligem Gebrauch stumpf sind
und Ihren Patienten Qualen bereiten. Unsere Bohrer sind scharf
und bleiben scharf. Verlangen Sie einen Probebohrer gratis und
überzeugen Sie sich davon, dass unsere Bohrer in der Qualität die
besten und — die längere Dauer in Betracht gezogen — die
billigsten sind, die es gibt.
THE S. S. WHITE DENTAL MFG. CO., G. m. b. H.
Berlin SW., Lindenstrasse 37.
XIII
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Ermässigie Preise ~~
für
■Revelation“ - Kavitätenbohrer.
Rosenbohrer.
Radform.
19 20 21 22
Per Dtz. .K 5.- Dtz. K 7.50 Per Dtz. . • • K n.- Dtz l 7.5
Einzelnpr. St. „ —.50 Stück „ -.75 Einzeln per stuck „ -.50 Stuck „ -.7;
Verkehrt-kegelförmig. Knospenform.
88 V» 34 35 86 87 38 39 40 41 42 48 44
Per Dtz. IC 5.— Dtz. IC 7.50
Einzeln per Stück „ —.50 Stück „ —.75
Fissurenform, stumpf.
44 V» 45 46 47 48 49 50 51
Per Dtz. K 5 —
Einzeln per Stück „ —.50
Fissurenform, spitz.
|JI Nr. 557,-62 u. Nr. 667,-73
if % P re ' s P er Dt z • -ST 6.25
11 » * Stück „ —.60
55V» 56 57 68 59 60 61 62
6 V, 67 68
70 71 72 73
Die vorstehend abgebildeten Formen und angegebenen Preise gelten so wohl für dil
geraden Handstücke Nr. 4, 7 und 8 als auch für unser Winkeihandstück Nr. 2. o
THE S. S. WHITE DENTAL MFG. CO., G. m. b. H.
Berlin SW., Lindenstrasse 37.
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„Revelation“-Kavitätenbohpep
Birnenform. Fortsetzung. Ovale Form.
Pw Drz. . . . K n— Dtz. K 7.50 Per Dtz. . . K 5—
Einzeln per Stück „ —.50 Stück „ —.75 Einzeln per Stück „ — 50
<^> „Revelation“-Schmelzbohpep mit Ouephieb.
Diese Bohrer sind bestimmt, den harten Schmelz der natürlichen Zähne zu schneiden,
wohingegen die auf der vorhergehenden Seite abgebildeten Bohrer nur bestimmt sind, die
Zahnbeinmasse selbst zu bearbeiten.
Bund
508 504 50 6 506 507
Dtz. K 6.25
Einzeln pr. St
K —.60
Fissurenbohrer, stumpf Fissurenbohrer, spitz Birnenform
657 558 559 560 561 562 568 569 570 571 572 573
Per Dtz. K 7.50
Einzeln pr. St.
K —.76
Per Dtz. K 7.50
Einzeln pr. St.
K —.75
579 580 581 582 583 584
Per Dtz. K 6 25
Einzeln pr. St.
K —.60
W* Dia vorstehend abgebildeten Formen und angegebenen Preise gelten sowohl für die
jeraden Handstücke Nr. 4,7 u. 8, als auch für unser Wlnkelhandstüek Nr. 2.
Preise der <^>„Revelation“-Bohrer H«jÄk
s>.
V,
bis inkl.
Nr.
7 1
„
11%
n
18
II
83 V*
n
401 Einzeln pr. St.
h —.60
n
44 V.
71
71
51 ( Per Dtz. . .
n 6.25
„
77 V.
71
71
n
84
„
88V,
fl
71
71
96J
n
56 V,
71
71
62l Einzeln pr. St.
A' —.75
n
86V,
ff
n
71
73/ Per Dtz. . .
n 7.50
Nr. 8 bis inkl. Nr. 11\
19
n
221
Einzeln pr. St. K
-.80
41
44/
Per Dtz. . . „
8.75
85
881
502
5071
Einzeln pr. St. K
-.76
579
584»
Per Dtz. . . „
7.50
557
v
5621
Einzeln pr. St. K
-.80
568
T)
rt
n
573/
Per Dtz. . . „
8.75
THE S. S. WHITE DENTAL MFG. C0. 9 G m. b. H.
Berlin SW., Lindenstrasse 37 .
xv
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= Preisermässigung =
für S. S. Whites Zähne
vom 2. September 1907 an.
--
Zähne mit oder ohne Zahnfleisch
(mit Platinstift oder Platin-Knopfcrampons).
Einzeln unter 100 bei 100 bei 500 bei 1000 Stück
per Stuck K 1.10 K 98.— K 96.- K 94.-
per 100 Stück
Logan-Kronen mit einem Platinstift.
Einzeln _ bei 50 _bei 200 Stück
K 3.25 K 3.— KlLTb
per Stück
Diatorische Zähne (ohne Platinstift).
(Preise unverändert.)
Einzeln _ bei 100 _ bei 500 _ bei 1000 Stück _
X —.30 K 20.60 K 17.65 K 16.50
per 100 Stück
Kombinationsgebisse
in Sätzen ä 28 (obere und untere) oder ä 14 (obere)
bestehend ans 12 Platin-Knopf- oder Platin-Stiftcrampon-Zähnen
(6 obere und 6 untere) und aus 16 diatorischen Zähnen (8 obere und
8 untere Bicuspidaten und Alolaren).
Dieselben werden zu den entsprechenden Preisen der Platinstift- und dia¬
torischen Zähne berechnet; bei Quantitäten jede Sorte für sich.
Neu! Abnehmbare Kronen. Neu!
_ Einzeln _ bei 100 bei 200 Stück_
Ohne Stift K 1.— K —.94 K —.88i per Stück
Stifte hierfür „ —.60 „ 57.70 „ 55.60
per 100 Stück
WG* Per Kasse gewähren wir folgenden Skonto:
Bei Beträgen von K 23.50 an 5°/ 0
» - . »470.- „ 10«/o
Die Qiiantitätspreise haben auch dann Giltigkeit, wenn “in grösserer Posten
Zähne (diatorische ausgeschlossen) in verschiedenen Sorten genommen wird.
Berlin, 2. September 1907.
Lindenstr&sse 37.
S. S. White Dental Mfg. Co. ß. m. n. b.
— xvi —
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===== Aschers =
verbesserter künstlicher
« Zahnschmelz.
(Improved Artificial Enamel.)
Patentiert in den meisten Kulturstaaten. =■ - - ■
-><-
Aschers künstlicher Zahnschmelz ■■
in seiner Terbesserten Form ist das vollendetste aller plastischen
Füllmittel;
das zahnähnlichste aller Füllmaterialien.
Aschers künstlicher Zahnschmelz —
verarbeitet sich spielend leicht:
besitzt eine ausserordentliche Klebfähigkeit, so dass es sich innig
mit den Zahnwandungen und Rändern verbindet;
erhärtet hinreichend langsam;
ist das bruchfesteste aller Füllmittel;
besitzt uu vergleich liehe Transparenz;
hat eine dichte, gleich massige, durch keine Risse und Sprünge zer¬
störte Struktur:
kontrahiert sich nicht, ist nicht spröde und im Munde absolut
unlöslich;
steht ästhetisch und in der Gesamtheit seiner Eigenschaften an
der Spitze aller Füllmaterialien; es ist in allen Fällen, also
auch bei grossen Konturen und Kauflächen mit sicherem Er¬
folg verwendbar.
- — Preise: —
Halbe Portion . . . K 7.20 Doppelportion . ... K 26.40
Ganze „ . . . „ 13.20 ,, Pulver allein „ 21.60
Pulver allein . . „ 10.80 „ Säure r 5.40
Säure „ . . . „ 3.—
Sortimente:
A, enthaltend 4 Farben in halben Portionen. K 27.60
B, ., 6 „ „ ganzen „ „ 75.60
C, „ 6 „ „ Doppelportionen.„ 151.60
D, „ 10 „ „ halben Portionen.„ 68.40
E, * 10 „ „ ganzen „ „ 126.-
Zu beziehen durch die meisten grossen Dental-Depots; wo nicht er¬
hältlich, auch direkt gegen Nachnahme durch die Unterzeichnete.
General Dental Mannfaeturing Company m.b.H.
Berlin W. 8.
XVII
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Wir Qbernehmen jede Garantie, dass Aschers künstlicher Zahnschmelz frei von allen schädlichen Beimengungen ist.
- Verbesserte ==
T ransparentf ullung
HARVARDID
(Patentiert in den meisten Kulturstaaten D. R. P.)
übertrifft in Transparenz
und schmelzartigem Aus¬
sehen alle transparenten
Füllmassen.
Spielend leichte
Verarbeitung.
Ueberraschende Härte.
Unlöslichkeit
Natürlicher Glanz,
kein Nachpolieren nötig.
10 Farben:
Weisslich
1.
Weissblau
la.
Weissgelb
2 .
Hellgelb
3.
Gell
4.
HellpeHgrau
5.
Perlgras
6 .
Gras
7.
Brass
8 .
Rosa
fürZahnfleisck-
Imitaiion
9 .
Kleine Portion K 5.10.
Grosse Portion K 12.—.
Sortiment vierfärbig K 14.40.
Freiwillige Urteile aus verschiedenen Weltteilen:
Herr Prof. Dr. med. Brandt:
Ich bin mit Ihrem Harvardid
sehr zufrieden und kann daher
dieses Präparat allen Kollegen
angelegentlichst empfehlen.
Berlin. _
Herr Zahnarzt Döring:
Seit längerer Zeit ge¬
brauche ich Ihren Harvardid*
Zahnschmelz und teile Ihnen
hierdurch mit, dass ich da¬
durch nur gute Resultate erzielt
habe, auch meinen Patientenkreis
vergrösserte. Ihr Harvardid-Zahn-
schmelz macht das Brennen von
Porzellanplomben überflüssig. Habe
deshalb das Brennen von Porzellan¬
plomben vollständig aufgegeben und
verarbeite nur noch Ihr Harvardid*
Zahnschmelz.
Lodz (Russ.-Polen).
Herr Zahnarzt Weissensee, Leib¬
zahnarzt der Frau Prinzess.
Reuss:
Betreffs meiner Versuche
kann ich Ihnen mitteilen, dass
Harvardid von a'.len transluzen en
Zementen der transluzenteste ist.
Die Verarbeitung ist gut.
ZUIlichau.
Herr Zahnarzt Meinke:
Tatsache ist, dass das Har¬
vardid genau wie Ihr Harvard-
Zement einfach grossartig ist.
Diesen Moment erst hat mir
mein Assistent zwei Harvard-
Zement - Füllungen heraus¬
bohren müssen und dafür Har¬
vardid - Füllungen eingelegt.
Charlottenburg.
Herr Dr. H. Spaulding:
Ich habe häufig Gelegenheit
gehabt, Ihr Harvardid zu ver¬
arbeiten und muss ich sagen,
dass es mir mehr und mehr ge¬
fällt. Es sieht sicher besser aus in
dem Munde als sogar eine Porzellan-
Einlage. - PaHs-
Herr Dr Miguel A. Prado:
Ich habe die Anzeige von
Ihrem Harvardid gelesen und
wäre es mir angenehm, es in
meiner Praxis zu gebrauchen,
da ich von anderen Seiten sehr
Gutes darüber gehört habe.
Caracas (Venezuela).
Herr Dr. Albadeira Bastos:
Die Erfahrung, welche ich
mit Ihrem Harvardid gemacht
habe, war ausgezeichnet.
Rio de Janeiro (Brasilien).
Herr L. Mueck, Ehrenvorsitzender des Vereines der Zahnkünstler im Deutschen Reiche, schreibt uns:
Vor etwa einem Jahre habe ich zum erstenmal Ihre Harvardid-Piombe verwendet und,
wie natürlich, diesem Fabrikat ein grosses Misstrauen entgegengebracht, denn zementartige
Füllungen, welche wirklich zahnfarben und transparent sein und dabei auch speichelbeständig sein
sollten, hatten wir lange ersehnt aber nie besessen. Seit einem halben Jahre habe ich so¬
wohl wie mein Schwiegersohn und Mitarbeiter Ihre Harvardid-Piombe recht oft angewandt
und haben damit Erfolge erzielt, die wir vorher nicht zu hoffen gewagt hätten. Wer würde heute
die Behauptung aufzustellen wagen, etwas Vorhandenes könne nicht verbessert werden?
Zur Zeit aber erscheint mir Ihre Harvardid Füllung als vollkommen und jedem Wunsche ge¬
recht werdend, wenn man sich nur die Mühe nimmt, die Farben jedem Fall entsprechend
zu mischen. Die Farben 2 und 3 gemischt, geben mit geringem Zusatz einer anderen Farbe
oft geradezu glänzende Resu l tate. __
Zu beziehen durch alle grösseren Dental-Depots.
— XVIII —
Digitized by LjOoq le
Utrsuebtit Sit dit Präparate aus
Zabttar3t Scbmibts * *
♦ Xaboratorium (©ibestoe).
Nickel-Kupfer,
©in vorzügliches Amalgam, seit acht Jahren
bewährt, wissenschaftlich zusammengesetzt
und geprüft auf Kontraktion, Expansion und Farbe. Nickel-
Kupfer hält sich sehr gut im Munde, bleibt hell, verfärbt den
Zahn nicht, ist kantenfest und schrumpft nicht. Portion K 4.40,
grosse Portion K 14.40.
Nickel - Platin - Goldamalgam
wegen seiner hellen Farbe speziell für Frontzähne eignet.
1 Unze K 18.—.
Pulpanalgen.
Dient zum Ueberkappen des Nerven, als
Wurzelfüllung, als Füllung der Pulpakammer
nach Amputation, als Dentin-Anästhetikum. Pulpanalgen enthält
keine Gifte oder Aetzstoffe, wird angerührt wie Zement, ist also
jedesmal frisch bereitet zu verwenden, ein grosser Vorteil vor
fertigen Pasten, die leicht durch längeres Lagern wertlos werden.
Portion K 8.-.
Frnnpnlpniprnnn ein g rossart >g er Ersatz für Goid zur
Hl Uliuliluyiui Uliy, Herstellung von Stiftzähnen, Kronen
und Brücken, ist leicht zu verarbeiten wie Zinn, hält sich aus¬
gezeichnet im Munde und ist sehr hart und widerstandsfähig.
Künstliches Dentin,
Grosse Portion K 3.60.
eine gute provisorische Füllung
zum Fixieren von Einlagen etc.
Separier- und Schleifscheiben
schneiden beim Entkronen. Unentbehrlich bei Approximalfüllungen
der Frontzähne. Keine Separierfeilen mehr. 1 Schachtel (1 Dtz.)
K 2.20, hierzu Karborundpaste, Tube K 1.—.
Winlrpkflirlr D * B * G * M 256806 Oesterreich 88607 Ungarn 20081
■WUIäuIoIUuA Frankreich 22060 England 469782 Amerika pr. P. 271660
mit Bohrerbefestigung durch Stift und Hebel, keine Schrauben
und Federn. Preis für Handstflck Nr. 4 und 7 K 24—, für
SUpjoint Nr. 2 K 38.40.
Zu beziehen durch:
Weiss A Schwarz, Wien, I. Petersplatz 7.
— XIX —
Digitized by
Google
Neuheiten der Harvard Dental Mfg. Co.
BERLIN W., Victoria-Strasse 23.
Harvard-Warmluftbläser mit nicht warme leitender Schutzhülle.
Kein Verbrennen der Schleimhäute des Patienten!
Kein Yerbrenuen der Finger des Operateurs!-
_ z Desinfektor der Kavitfit. ‘ ~
Inlallen Teilen zerlegbar. Prospekte durch die Depots. Leicht zu sterilisieren.
Man halte die Platinspitze *des Warmluftbläsers in eine Holzfreist- oder Metbyl-
alkoholflamme und sauge durch allmähliches Aufgeben des Druckes die Flamme in den Gummi¬
ball hinein. Durch langsamen Druck auf den Ball entströmt diesem nun Formaldeh d-Warmuft,
womit die Kavitäten und Wnrzolkanäle nicht nur schnell ausgetrocknet, sondern auch zugleich
desinfiziert werden können. Die nicht leitende Schutzhülle verhindert das Verbrennen der
Schleimhäute des Mnndes und der Finger des Operateurs. Die Schutzhülle und das Blase¬
rohr lassen sich durch Aufschrauben der Mutter abnehmen und sterilisieren. — K 9.—.
Unübertroffen sind die Harvard- Guttapercha -Präparate.
Für permanenten Verschluss (hell, grau, gelb, dunkelgelb), würfelförmig . . Schachtel K 3.60
Für provisorischen Verschluss (rosa, weiss, grau, gelb), Stangenform .... „ „ 1.80
Harvard-Dentin, das Beste zum Ueberkappen der Pulpa.„ 2.40
Gesetzl. geschützt. Harvard ~ Löt ~ Schmelzlampe. Gesetzl. geschützt.
Für leichtschmelzbares Porzellan. — Für Lötzwecke bei Kronen- und Brückenarbeiten.
I \
Diese kleine, handliche Lampe ermöglicht infolge ihrer praktischen Konstruktion
einen doppelten Gebrauch. Durch Aufsetzen des Gebläses auf das obere Luftzufuhrrohr
und leichtes Treten auf den Ball erhält man eine vorzügliche Stichflamme für kleinere
Lötarbeiten, durch Auswechseln des Gebläses nach dem unteren Röhrchen eine intensive
Flamme zum Schmelzen für Porzellanfüllungen.
Lampe mit Tretgeblöse K 9 60. Lampe ohne Gebläse K 4.20. Gebläse für Hand- und Fussbetrieb K 5.40.
Zu beziehen durch die grösseren Dental-Depots.
— xx —
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Der Umstand, dass Sie an einen
Operationsstuhi gewöhnt sind,
ist noch nicht der Beweis, dass
er das ist, was Sie benötigen.
Er kann durch seine Unvollkommenheit Ihre Kräfte
die Ihnen so nötig sind, erschöpfen.
Er mag Ihren Augen eine unangenehme Anstrengung
aufbürden, durch den Mangel an geeigneten Einstellungs¬
möglichkeiten.
Er kann für die Patienten unbequem sein.
Durch ihn kann Ihr Operationszimmer den Eindruck
bekommen, dass es rückständig ist, bei Leuten, die ge¬
wöhnt sind, überall moderne Stühle zu sehen.
Verkaufen Sie Ihren alten Stuhl und beschaffen Sie
sich einen
Imperial Columbia Chair.
Er wird Ihnen gestatten, alle Ihre Kräfte zu schonen;
er wird durch seine Adaptionsfähigkeit Ihre Augen unter¬
stützen; er wird den Patienten bequem sein und wird
Ihrem Operationszimmer den Eindruck geben, dass es
„up to date a ist und dass Sie fortschrittlich sind.
Verlangen Sie den illustrierten Katalog, der den
Stuhl im Detail beschreibt.
The Ritter Dental Manufacturing Co.
~ Roch oster, N.-Y. r
k.-/
XXI
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WEISS & SCHWARZ, Wien, I. Petersplatz 7.
Spezialitäten
der Firma
Gebrüder Lozze vorm. Grass & Worff
chemisch-technisches Laboratorium
Berlin SW. 68, Markgrafenstrasse 16.
Alleinige Fabrikanten der Prof. Dr. 0. Walkhoffschen Präparate.
Lieferanten des königlichen zahnärztlichen Instituts München.
Engros. — Export.
Prof. Dr. Walkhoffs Chlorphenol und
* * ♦ Jodofonn-Chlorphenol-Pasta
sind seit Jahrzehnten durch ihre enorme Desinfektionskraft die
schätzenswertesten Präparate aller zurzeit angepriesenen Mittel
für die Behandlung pulpakranker Zähne. %
Ausführliche Literatur gratis.
In Portionen zu K 1.80, 3.— und 6.— erhältlich.
Herr Prof. Pr. Walkhoff schreibt:
Infolge der vielseitigen Anwendbarkeit des Chlorphenols ist
mein zahnärztlicher Medikamenten - Schatz sehr zusammen-
geschrumpft und ich sehne mich nicht mehr nach den vielen
neu auftauchenden Mitteln, welche nur zu oft wie die Ein¬
tagsfliegen kommen und verschwinden. Die Einfachheit wie
die Erfolge des Chlorphenols von Gebr. Lozze werden jeden
Kollegen befriedigen and ich kann Ihnen dasselbe anf Grnnd
meiner langjährigen Erfahrungen auf das wärmste empfehlen.
Causticum mit phenolsaurem Kali, Marke G. u. W.,
Portion K 3.60.
Diese Nervpasta wirkt ungemein schnell und schmerzlos und
hat vor allen anderen Causticis den Vorzug, dass sie Periostitis
nicht verursacht. Gebrauchsanweisung liegt jeder Portion bei.
Schwarze Chlorzink - Lösung (Prof. W i t z e 1). Portion
IT 1.20 und 1.80.
Chlorzink-Phenol-Lösung, Portion K 1.20 und 1.80.
Chlorphenol-Kreosot. Portion -KT 1.80 und 3.—.
Chlorphenol-Thymol-Pasta mit Novocain. Portion 2T 3.—.
Zement - Lacke : Antiseptischer Pulpa- Lack, Kopal-Aether,
Kopal-Varnish, Mastix-Lösung konzentr., Sandarac Varnish
konzentr., ä K 1.20.
Thymol-Chlorphenol, konzentr., Portion K 1.80 und 3.—
99 99 -Pasta, „ „ 3.—.
— XXII —
Digitized by v^ooQle
WEISS & SCHWARZ, Wien, I. Petersplatz 7.
Universal ■ Ulinkelstflck
* * „rtfoottarcb" * *
Fig. 1.
Dieses patentierte Winkel¬
stück hat eine ingeniöse Vor¬
richtung, die es ermöglicht,
den das Bohrinstrument hal¬
tenden Winkelkopf im Kreis um
seine Achse zu drehen und in acht
Stellungen fixieren zu können. Der
Ring a wird mit Zeigefinger und
Daumen nach abwärts, d. h. gegen
den Hartgummikörper gezogen und
festgehalten, worauf der Winkelkopf
gedreht werden kann; durch Aus¬
lassen und Zurückschnellen des Ringes
stellt sich .der Winkelkopf fest ein.
Fig. 1 zeigt. das Instrument in .der
Normalsteilung (wie bei dem Contra¬
angle), Fig. 2 den Kopf um 180 °
gedreht. Diese..Stellung ist beispiels¬
weise zu Arbeiten an den lingualen
Flächen der unteren Frontzähne be¬
sonders geeignet.
Die für das Winkelstück Nr. 2
bestimmten Bohrer (Fig. 3) sind
auch für das Universal-Winkelstück
„Monarch“ passend.
PREISE:
Fig. 2.
Fig. 8.
Für das Handstück Nr. 7. K 45.—
„ die Gleitgelenksverbindung (Slip-joint) Nr. 2 „ 54.—
— xxiii —
Digitized by Google
WEISS 4k SCHWARZ, Wien, I. Petersplatz 7.
S tern - flmalqam.
Kleiene figmehaften mm ein
gut« Jjmajflam besitze» ? - » ■
l. Es soll mit Quecksilber vermengt, eine zarte plastische
Masse bilden, sich leicht verarbeiten lassen and bald
fest werden (erstarren). - - -.
Die Herstellung eines plastischen Amalgams erfordert die
Verwendung absolut chemisch reiner Metalle, deren sorg¬
fältigste Mischung während des Schmelzens (Legierens) und
die Einhaltung bestimmterTemperatnren bei diesem Vorgange.
Fig. X» i
. Die feinste Verteilung der Legierung ist eine der wichtig¬
sten Bedingungen, um eine innige Vermischung mit Queck¬
silber zu erlangen. (Siehe G. V. Black’s „Untersuchungen“.)
1 Das Starn-Amalgam wird nicht mit Feilen oder Fraisen
zerkleinert, da diese nur ein Korn liefern können, welches
den hpch§ten Ansprüchen an. Feinheit nicht genügt und die
Feilung mit Eisenteilchen verunreinigen, die nicht mehr
vollständig entfernt werden können.. . • .*
— xxiv —
Digitized by v^ooQle
WEISS & SCHWARZ, Wien, L Petersplatz 7.
wird nach einem neuen Verfahren
in dfinne Späne gehobelt, wie sie die Abbildung Fig. 1 in
natürlicher Grösse zeigt. Diese Späne sind so zart, dass sie
von einem Hauch weggeblasen werden können; schon durch
Schütteln mit Quecksilber in einer Eprouvette gehen sie
eine innige Amalgamierung ein.
Fig, 2 zeigt ein Quantum Stern-Amalgam, welches als
Feilung nur den Boden des Schüsselchens bedecken würde.
Fig. 2.
2. Es soll seht Volumen weder vermehren (Expansion)
noch verringern (Kontraktion). ---------
Einige Metalle expandieren, andere kontrahieren sich, wenn
sie mit Quecksilber vermengt, zur Erhärtung gelangen. Es
muss also bei Herstellung eines, sein Volumen nicht ver¬
ändernden Amalgams, die Quantität der Metalle in ein
y solches Verhältnis gebracht werden, dass Expansion und
Kontraktion einander auf heben.
3. Es* soll seine Farbe nicht verlndern^ndidenZabn
nicht verfärben.
Das Stora-Amalgam ist vollkommen frei von Kupfer
welches vielen Amalgamen beigemischt wird, weil diese Bei¬
gabe ein bequemes Härtungsmittel ist; schon der geringste
Beisatz von Kupfer bedingt aber
die Verfärbung (Schwärzung) der
Füllung und des Zahnes.
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kann einzeln herausgenommen und in jeder
gewünschten Stellung gebraucht werden, ein Vor¬
teil, den keine andere Musterkarte bietet.
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weit Form, Stärke und natürliche Mischung der
Farben in Betracht kommen, ist durch die ganze
Welt zu wohl bekannt, um weiterer Erwähnung
zu bedürfen.
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endlos, von der hellsten bis zur dunkelsten in
allen Schattierungen. Die vierundzwanzig in dem
Halter befindlichen Farben werden, unserer Er¬
fahrung gemäss, für die meisten Fälle genügen,
doch sind wir in der Lage, weitere Farben auf
Verlangen zu liefern.
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machen.
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zu erzielen, müssen bei dessen Verarbeitung die folgenden Vorschriften
genau befolgt werden:
1. Man verwende zum Anrühren des „Silicin w -Pulvers mit der
beigegebenen Säure nur Knochen- oder Acbatspateln, niemals aber
Metallinstrumente.
2. Man verreibe die Mischung gründlich unter sukzessivem
Pulverzusatz zu einer konsistenten Paste und führe diese mit r ei nen
glatten Stahl- oder noch besser Achatinstrumenten unter kräftigem
Druck in die Kavität ein, welche mit unter sich gehenden Wänden
oder Haftrinnen versehen sein muss.
3. Man lasse die Füllung ein wenig aus der Kavität heraus¬
ragen und benütze mit Vaselin eingefettete Stahl- oder Achat¬
instrumente zur Formung der Kontur.
4. Nachdem die Füllung — in 15 bis 20 Minuten — erhärtet
ist, behandle man sie mit feinen Papierscheiben oder Strips, die mit
Vaseline eingefettet sein müssen, wodurch die dem Material eigen¬
tümliche Transparenz zum Vorschein kommt.
—: Preis pro Portion K 12.—.
Ein Pulver allein K 9.30.
Eine Säure allein K 2.70.
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'. — zugesendet. -
XXXI
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Consolidated-
Porzellanzahne.
2624° I.
wurde als Schmelzpunkt der Consolidated-Zähne fest¬
gestellt bei Prüfungen mittels Pyrometer, welchen die
Porzellanprodukte einer Anzahl von Fabrikanten unter¬
zogen wurden.
Die hochschmelzbare Qualität ist die wichtige Grund¬
lage, auf welche sich der Erfolg der Consolidated-Zähne
und-unserer anderen PorzeUanpradukte auf baut.
Der Porzellanarbeiter weiss, was es bedeutet, Stunden
intensiver Arbeit auf Zähne zu verwenden, die schliesslich
aus dem Ofen formlos und ohne Farbe herauskommen
— ein herzbrechendes Missgeschick!
Man unterwerfe die Consolidated-Zähne einer be¬
liebigen Feuerprobe und beobachte das glückliche Resultat,
ihre vollkommene Kontur ist erhalten worden, ohne Grüb¬
chen, Blasen oder Porosität und ihre Farben — so fein
abgetönt — sind nicht verändert.
Das Leben ist kurz. Wozu die Zeit mit Experimenten
verschwenden ? Consolidated-Zähne haben einen dauernden
Rekord von Erfolg bereits hinter sich.
Zu beziehen von allen besseren Dental-Depots.
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Probe- „ a 1 „ ' , „ 7.20 „ 7.55
Literatur:
Herr Prof. Dr. W. Sachs in Nr. 12 der „Deutschen zahnärzt¬
lichen Wochenschrift“, 1904.
Herr Zahnarzt E. A. Glogau, Frankfurt a. M., im Oktober-
Heft der „Deutschen Monatsschrift für Zahn heilkunde“, 1904.
Herr Dr. med. Hugo Trebitseh, Wien, „Oesterreichische Zeit¬
schrift für Stomatologie“, Jänner 1905, I. Heft.
Herr Dr. M. Ch. J. Fleisehmann, Chirurgien-Dentiste, Lyon,
„L’obturation des dents“, 1905. (Verlag A. Rey, Lyon.)
Herr Prof. Dr. med. B. v. Dzierzawski in der Zeitschrift
„Przegl^d Dentystyczny“, 1905, Nr. 5, Warschau.
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Der ,.Cyk op * hat den Zweck, ohne Verwendung von Hoiznoüie die
Arbeit des Vorwftrmens und des Lötens der Zahnersatzstücke in ein und dem¬
selben Apparate zu bewerkstelligen. Der Apparat besteht aus dem stabilen Fusa-
gestell mit abnehmbarem Spezialbrenner, der Unterlagsplatte für die Arbeits¬
schale, der Arbeitsschale nebst Deokkappe und dem Kugelgelenk.
Das vortvarmen der Arbeitsstücke geschieht in demselben Apparate
dnroh den Spezialbrenner unter dem Schutze der Deckkappe, die das Stück vor
äusseren Ei flüssen bewahrt und die Hitze gleichmäßig auf dasselbe konzentriert.
Während des Lötproze ses selbst kann die Kappe entfernt werden, sie wird aber
nach Beendigung desselben wieder aufgesetzt, um vom Vorwärmen nooh durch¬
glüht, e ne lang ame Abkühlung des gelöteten Stückes zu ermöglichen. Diese
gleiobmässige Erwärmung und langsame Abkühlung «ragen wesentlich dazu bei,
die Zähne vor dem Zerspringen zu schützen.
Arbei'osohale und Deckkipp« bestehen aus Oolomi*. einer unverbrenn-
liohen, leicht erhitzbaren, hitzebest&ndigen, kohlehaltigen Masse, die Asbest oder
Holzkohle vollkommen ersetzt und die dieselben Eigenschaften besitzt wie letztere.
Duoio des Apparates in bester Ausführung mit Deckkappe,
rrCIo Z wei Culomit-Arbeitsschalen und Spezialbrenner . . K 30.—
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Ohne Rücksicht auf die Stellung der Zähne und aller unter sich
gehenden Stellen, kann man mit diesem Löffel (ftnen korrekten Abdruck
mit Gips oder einem anderen Material nehmen, nach dessen Erhärtung
der Abdruck bequem aus dem Munde entfernt werden kann.
Der Löffel besteht aus zwei Teilen, die durch eine Handhabe
zus&mmengehalten werden. Wenn das Abdruckmaterial hart geworden
ist, entfernt man den Griff und spaltet die beiden Löffelteile mit der
Abdruckmasse auseinander, so dass die beiden Abdruckhälften von
den vorderen und rückwärtigen Flächen der Zähne mit Leichtigkeit
abgenommen werden können. Man fügt beide Teile wieder zusammen,
fixiert sie mit der Handhabe und kann das Modell ausgiessen.
Dieser Löffel kann für den Ober- oder Unterkiefer frontal oder
bttccal verwendet werden.
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„TRILBI“
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täten Europas und Amerikas als beste
und verlässlichste» Abdruckmasse der
Welt anerkannt.
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Abgesehen von dem naturgetreuen Abdruck, den man erhält, kann
mit „Trilbi M -Abdruckmasse fast kalt Abdruck genommen werden, was
jeder Fachmann gewiss mit Freuden begrüssen wird.
„Trilbi u -jAbdruckmasse kann nach vorheriger Desinfektion zu wieder¬
holten Malen gebraucht werden, ohne an Vorzüglichkeit Einbusse
zu erleiden.,
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schukplatten).
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drucknehmen.
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faltigkeit in Farbe ||
sind Eigenschaften, die unsere Lochzähne in hervor¬
ragendem Masse besitzen. Natürlichen Zähnen
nachgebildet, ergeben damit hergestellte Gebisse
die glücklichsten Resultate, zumal die Farben von
ungewöhnlicher Zartheit sind. Die Transparenz
der Zähne ist perfekt, ihre Stärke von keinem
anderen Fabrikat übertroffen, ihre Vollendung in
jeder Weise künstlerisch.
Die Art und Weise ihrer Befestigung macht
es unmöglich, dass sich die Zähne vom Kautschuk
loslösen. Die Sicherung wird dadurch erreicht,
dass jeder Zahn mit einem vertikal und einem
horizontal laufenden Loche versehen ist; der in
beide eindringende Kautschuk bildet eine kreuz¬
förmige Verankerung, die ein Ausbrechen des
Zahnes ausschliesst.
In Bezug auf Qualität etc. sind die Loch¬
zähne unseren wohlbekannten Stiftzähnen voll¬
kommen ebenbürtig.
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The Dental Manufacturing Co., Ltd.
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Zahnärztliches Kontobuch.
Dieses Kontobuch ist ausserordentlich praktisch ein¬
gerichtet. Jede Seite zeigt die beiden Zahnreihen zweimal
(frontal, buccal und lingual, resp. palatinal). Die Füllungen
werden durch fortlaufende Zahlen bezeichnet, welche genau
an jene Stelle gesetzt werden, wo sie am Zahne gelegt wurden
(frontal, distal, mesial, cervical etc.); derselben Zahl im Konto
wird nur das verwendete Material (Gold, Amalgam etc.) bei¬
gefugt. Ebenso verfährt man bei Kronen und Kunstzähnen etc.
Die untenstehende Reproduktion gilt als Beispiel und zeigt die
halbe natürliche Grösse.
cName:
Monat
Tag I Nr.
Behandlung
$oll
/'!
1? z,
♦
**Wf
V
Jo
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renin etc., sowie alle erprobten, lür die zahnärzt¬
liche Praxis bezughabenden Präparate und Speziali¬
täten, wie: Adrenalin a 10*0 und 30*0 Pasten,
Wurzelffillungen, alle Arten Anästhetika etc.
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ärztlicher Seite zu stellenden Anforderungen in voll¬
kommenster Weise.
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ist vSllig ungiftig und unschädlich,
greift die Zähne nicht an, n .
wirkt stark desinfizierend, □ □ □
sowie in hohem Grade desodorierend.
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enUvickelung ermöglicht eine durch keine andere Mass¬
nahme zu erreichende gründliche mechanische Reinigung
der Mundhöhle.
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