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Full text of "Paulus und Jesus"

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Paulus unb 

JefUB £29 £29 

Von Prof. D. flbolf 
]ÜHcl)er' (Darburg 



1 . - 1 0. Caufenö 




l^eligionsgefdjidjtUdje Volhs« 

-/ büdjer für Öie Öeutfd)e d)riftlid)e 
Gegenwart. I. Reil)e, 14. f5eft ss os 
sa sa f5erQUsgegeben von Ctc. tl)eol. 
JrieÖrid) (TDid)ael Sd)iele- Tübingen 



Tübingen 1907 Verlag von J. C. B, ODoljr (Paul Siebech) 



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Seite 
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3ur €infül}rung 

I. f^apitel. Die f^luft 3wifd)en Paulus nriö ]efus ... 13 

II. I^apitel. Die Übereinftimmung 3wifd)en Paulus unb 

Jefus 35 

III. ßapitel. Die Crklarung für Übereinftimmung xxnb Un« 

terfd}ieb 52 

Sd)lugergebnts 68 




Published June i, 1907. 
Privilege of Copyright in the United States reserved ander the Act 
approved March 3, 1905 by J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübmgen. 



Rlle Redete, einfdjliefelid) bes Ueberfe*;ungsred)ts, vorbeljalten. 



Drud« von ß. Ca upp {r in Tübingen. 



5ur £infQI}rung. 

flla Boujfet unb Wrebe ee unternal)men, für öle 
religionsgefd^idjtlid^en VoIhsbüd)er, t>er eine .Jefus", her 
anöere .Paulus" 3u (d)reiben, wuröe mir ber Auftrag 
3U t;eil, bas CI)ema .lefus unb paulus' 3U beljanbeln. 
Sd)on daraus ergibt fid}, bog id) nicbt parolielbiograp))ien 
von }efus unb von Paulus entwerfen folite : eine bloge 
€infOgung bes von Bouffet unb Wrebe beart>eiteten 
Stoffes in einen gemeinfamen Raljmen l)ätte (id) nidjt 
verlol>nt. Die flufgabe war anbers gemeint. £s liefi 
fid] vorousfe))en , bog jene Darftellungen bes Cebens* 
werhes ]e(u unb (eines grofeen flpo(tels beim Cefer ben 
einöru* l)interlaf[en konnten, als wenn ber 3ufammen< 
l}Qng 3wi(d)en ben beiben ein red)t |d}wad}er wäre. Dann 
er>>ob (id} ble Srage: Oe>>ört Paulus aud) wirhlid} 3U 
7e[us, i)at er bas Cvangetium }e(u, (oweit er als nad}* 
geborener ba3U überl^aupt f8))ig war, verftanben unb 
fid) angeeignet, unb nid)t ein von it)m ausgebadjtes 
evangelium an bie Stelle bes edjten gefd)oben? 

Die Srage i(t von ungel^eurer Qebeutung für (eben, 
ber (id) für bie Oefd)id)te bes C))riftentums inteTe((iert. 
Sie exiftiert nid)t, folange bas Dogma von ber einl)eit= 
Iid)keit aller bibli(d}en Offenbarur^, b. t). bas Dogma 
von ber bud)(täblid)en ,In[piration ber 1)1. Sd)rift auf- 
red)t (tel>t. Seitdem biee Dogmo gefallen ift, \)at man 
einen (tarken Rbftanb 3wi(d)en bem Cl)ri(tentum bes 
Paulus unb bem ber brei älteren Cvangellen empfunben; 
ja bie Wud)t bie[er £mpfinbung l)at viK(entlid) ben Sturs 
jenes Dogmas t)erbeigefül)rt. Aber wenn Paulus eine 



anbere form bes Cl}riftentums vertritt als ]efu5, wenn 
nod) il)m bos ßeti anbers QU9ftel)t unb auf onberem 
Wege suftonbe kommt als nod) ]efu9, unb wenn es 
ntd)t möglid) tft, ben einen bequem 3U bem onberen \)\n* 
3U3uffigen, fonbem wenn gewallt werben mufe, wem 
foilen wir ben Vor3ug geben? falls es uns bo von 
voml)erein nQl)eUegt, uns für ]efus 3U entfd)eiben, fo 
verlangt man bod) nod) einer Crhlörung bofOr, bog bie 
ßird)e 3weifellos in ber i5auptfad)e umgehel)rt entfd)ieben 
l)at: all bie großen Glaubenshämpfe im Rltertum unb 
in ber 3eit ber Reformation, ja bis l)eute brel)en fid) 
um Beftanbteile bes paulinif d)en Evangeliums ; bas £van« 
gelium Jefu ift von il)nen nal)e3U unberührt geblieben. 

So wäre bie 6efd)id)te ber d)riftlid)en ^ird)e eigent« 
lid) bie 6efd)id)te ber flbwenbung von ]efus, eines flb* 
falls von i^m, ber fid) l)inter ben Sormeln gren3enlofer 
ei)rerbietung verbarg ? Unb wir mOfeten bem Rufe folgen, 
ber feit einem (Denfd)enalter erfdjallt: 3urüA 3U Jefus, 
los von Paulus? ~ Der Wiffenfd)aft ftel)t es nid)t 3U, 
auf biefe frage, bie im legten Grunbe mit ber frage 3U* 
fammenfällt : Religion ober t:i)eologie unb Rirdje ?, einen 
Befd)eib 3U erteilen; fie hann nur bem ein3elnen ein 
wenig l)elfen, bafe er bie frage vor feinem eigenen 6e* 
wiffen löft, inbem fie bas Wie unb bas Warum ins Cid)t 
rückt, vor leibenfd)aftlid)en Uebertreibungen warnt, bie 
Punkte, auf benen bas Verbleiben bei Paulus uns bas 
3U ]efus ßingelangen erfd)wert, von benen unterfdjeibet, 
wo ein Cos von Paulus 3ugleid) ein Cos von ^efus be« 
beuten würbe. Sold) eine gefd)id)tlid)e Berid)terftattung 
über bas Verhältnis von Paulus 3U Jefus, über bas CDafe 
von f ortfd)ritt ober Umwanblung bei Paulus gegenüber 
ben Urfprüngen bei ]efus, über ben Sinn, in weld)em 
Daulus als flpoftel Jefu gelten kann, 1)^^^ mir vorge« 
d)webt, el)e id) bie im Berbft 1905 erfd)ienenen Volks* 
>üd)er von Bouffet unb Wrebe las. 

l\)x erfd)einen l)at mir bie Dotwenbigkeit einer Cr* 
gän3ung in ber eben befd)riebenen Rid)tung burd)aus 
beftätigt. Bouffet l)atte nur feiten flnlafe, bei Jefus auf 
Paulus voraus3Uverweifen ; wo er es tut, \)<xt man 3war 
nid)t ben Cinbrud^, als fel)e er in Paulus ben kommenben 



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Verftörer; aber bafe eine Verftörung gehommen ift unb 
3war red)t frül), öas mufe fid) bod) jeber fagen, ber ben 
]efus Bouffets neben ben Cl)riftus ftellt, ben ble Rird)e 
auf Grunb bes Heuen Ceftaments uns vor3eid)net. 
Wrebe aber l)at bas Bllb bes Paulus fo ge3eid)net ~ 
nid)t etwa abfid)tlid} Ins Sd)war3e, viel el}er ins erl}aben 
Berbe, aber mit Sarben, bie wir in ber Habe bes Bilbes 
Jefu als unerträglid)en Rontraft empfinben. Bier erfal)ren 
wir, wer bie rein perfönlid)e unb fd)lid)t«menfd)lid)e Sröm« 
migheit Jefu unterbrücht l)at, um fie burd) eine hird)lid}e 
unb an Dogmen gebunbene Gläubigheit 3U erfefeen : es ift 
Paulus. Wal)rl)aftig, wie Wrebe aUe3eit war, fd}eut er bie 
fdjärfften flusbrüAe nid)t, um ben hlaffenben Gegenfa^, 
ben er 3wifd)en Paulus unb feinem „Berrn" ]efus wal)r« 
nimmt, 3U feinem Red)t 3U bringen. Paulus ift im Ver* 
gleid) mit jefus eine im wefentlid}en neue Crfdjeinung, 
er l)at bas Werh Jefu weniger fortgefefet als geftört. 
Von bem, was für Paulus bas ein unb alles war, weife 
]efus nid)ts. Dagegen \)a\ Paulus ben Größeren, bem 
er nur 3U bienen meinte, in ben Bintergrunb gebrängt; 
er Ift ein 3weiter Stifter ber d)riftlid)en Religion, unb 
3war ber, ber gegenüber bem erften Stifter, Jefus, Im 
gan3en ben ftärheren, nld)t ben befferen Cinflufe geübt l)at. 
Wrebes Volhsbud) „Paulus" Ift nid)t blofe ein Be« 
henntnis, es ift aud) eine wlffenfdjaftlic^e Cat. Cs ift 
reid) an neuen, bisher 3urüAgeftellten ober gan3 ver* 
nad)läffigten Gefld)tspunhten im Verftänbnis bes Paulus; 
bie Shi33e feiner menfd)lid)«fittHd)en Inbivibualltät Ift, 
gerabe weil fie nid)t auf Golbgrunb gemalt wirb, ein 
CDeifterftüA geworben; unb in bem Bauptabfd)nitt Ober 
ble Cbeologle bes Paulus kann man bie Originalität 
wie bie Straffl)eit bes flufbaus bei Wrebe nur bewun* 
bem. Rber auf bas Rapitel über bie tl)eologie bes 
Paulus folgt heins über feine Srömmigheit ober feine 
Religion, nur nod) ein ÜberbliA über bie Stellung bes 
Paulus in ber Qefd)ld)te bes entftel)enben Cl)riftentums; 
allerbings, wenn bei Paulus nur von feiner Perfönlld}« 
heit, feinem CDIffionswerh unb feiner CI)eologie beridjtet 
3U werben braud)t, fo finb wir auf bas Cnburteil ge* 
f afet : bei Paulus muffen wir für bie warme unb lebenblq^e. 



Srömmigheit 7efu öie halten Siguren feiner t^beologie 
eintQufd)en. 

Die £infeitigheit biefer Cinfd)ö^ung öes Paulus em« 
pfanb id) als boppelt geföl)rlid), weil fie mit ber verein* 
ten (T)ad)t von 6ewiffensQber3eugung unb wiffenfd)aft« 
lld)er ßlarl)eit auftritt: mannl)after, als es l)ier Wreöe 
getan, konnte gar nid)t mit öer Pbrafe, öer Schönfärberei 
falfdjer Rüchfi^ten unö b^lber Vermittelung gebrochen 
werben, ßeifet es nid)t 3U biefen Sel)!em fid) wieber 3urQch* 
fd)!eid)en, wenn man bas Bauptergebnis fold) meifter* 
l)after Sorfd)ung, bie CI)eorie von ber 3erftorung bes 
Evangeliums ]efu burd) Paulus beftreitet ober bod) gan3 
wefentlid) einfd)ränht? 

Die Cefer biefer Volhsbüdjer wollen gottlob nid)t 
auf ben Hamen eines (Deifters fd)wören, unb fie mQffen 
fid) an bie Catfad)e gewönnen, bafe bie gefd}id)tlid)e 
Wiffenfd)aft nid)t mit unfel)lbaren Offenbarungen auf3u« 
warten vermag, fonbern nur Verfudje bietet, bas Dunhel 
ferner Vergangenl)eiten 3U erl)ellen. So war id) ent« 
fdjloffen, meine von Wrebe abweidjenbe Auffaffung von 
ber Stellung bes Paulus 3U ber vorangel)enben Cnt» 
wid^lung bes Cl)riftentums, in ftiller Auseinanberfe^ung 
jefet vor allem mit il)m, eben feinen Cefem vor3utragen, 
unb nur äufeere Binbemiffe l)aben bie RusfQI)rung meines 
Vorhabens wieber unb wieber ver3ögert. 

Im vorigen Jal)re erfdjien nun von einem unferer 
angefel)enften CI)eologen, bem Berliner Dogmatiher Julius 
Raftan „Jefus unb Paulus, eine freunbfd)aftlid)e Streit« 
fd)rift gegen bie religionsgefd)id)tlid)en VolhsbQd)er von 
D. Bouffet unb D. Wrebe". Das Büd)lein fd)ien mir 
meine Arbeit in erwOnfd)ter Weife ab3unel)men. Denn 
Raftan bleibt auf bem Boben freunbfd)aftlid)er Ausein« 
anberfefeung mit feinen Gegnern; in ausbrü*lic^em Oegen« 
fa^ 3U beliebten Vorurteilen ber «glöubigen Gemeinbe" 
verwahrt er fid) gegen ben Verbad)t, bafe, wo er ftarhe 
Irrtümer 3U behämpfen finbet, aud) Abfall vom Glauben 
vorliege; unb bas 3iel Bouffets wie Wrebes unb biefer 
„Volhsbüd)er** überhaupt, nämlid) bas gefd)id)tlid)e Ver* 
ftänbnis von Bibel unb Dogma 3U förbern, erhennt er 
als fein eignes 3iel unb als eine ber wid)tigften tl)eo* 



logifd)en Aufgaben ber Gegenwart an. 

Raftan \)a\ auf einen Bauptfel)ler in Wrebes Bud) 
ben Singer gelegt: er seigt, bafe Wrebe über bemU)eo« 
logen in Paulus ben (Dann mit einem warmen Bersen 
unb 3arten Gewiffen unbillig vergeffen l)at; aud) an 
Bouffet mad)t er einige begrünbete flusftellungen. In 
ber Cat, ber Jefus, ber feine (Deffianität lebenslang* 
lid) nur als eine Caft getragen l)aben foll, ift eine mo* 
berne Crfinbung; unb bem erft red)t mobemen Crieb, 
bas entl)ufiaftifd)e bei Jefus in 3ufammenl)ang mit hranh» 
l)aften erfd)einungen feines Dervenlebens 3U bringen, 
werben wir l)offentlid) balb fo grünblid) ben flbfd)ieb 
geben wie ber Heigung Srenffens, ben Bewu6tfeinsini)alt 
bes Siegesgewiffeften unter allen (Denfd)en mit einer Un* 
3al)l von Srageseidjen unb in ber (Ditte abgebrod)enen 
Rusrufen 5U befd)reiben. Id) will aud) bas nod) bem 
Streiter Raftan einräumen, bafe Bouffet unb Wrebe in 
\\)xe Gefd)id)tsbilber etwas 3U ftarh \\)xe eigne Stimmung, 
vielleid)t fogar ibre perfönlid)e Srömmigheit mit eintragen, 
freilid) in entgegengefefeter form, Bouffet fo, bafe er bei 
Jefus am liebften unb liebevollften bie 3üge l)erausl)ebt, 
bie il)m fYmpatl)ifd) finb - Raftan nennt bas „Jefus 
nid}t wie er war, fonbern wie er fein barf" -, hur3 bafe 
er fid) in Jefus l)ineinfiel)t, Wrebe fo, bafe er aus Paulus 
alles entfernt, was \\)m fYmpatl)ifd} fein müfete, bafe er 
feinem Gefamturteil über bie Rluft 3wifd)en Paulus unb 
]efus 3uliebe bie vielen ein3ell)eiten, in benen flbl)ängig^ 
heit bes Paulus von Jefus ober innere Verwanbtfdjaft 
mit ber Art Jefu fid) 3eigt, 3urü*fd)iebt ober unterbrüAt. 
Völlig entgangen i]t fold)er Gefahr 3war nod) niemanb, 
ber aus bürftiger Überlieferung bas Gan3e einer PerfSn* 
lid)heit wieber berftellen follte: feine Ruf gäbe ift ja 3um 
Zeil bie bes Rünftlers, ber von feiner eignen Seele etwas 
einl)aud)en mufe in feinen Stoff, flud) Raftan würbe \\)v 
nid)t entgegen, wenn er ben Rritiher mit bem Gefd)id)ts* 
fd)reiber vertaufd)te. Der überaus fid)ere Con, mit bem 
er über bie unfid)erften fragen in ber Gefd)id)te bes 
Urd)riftentums entfd)eibet, läfet fogar Sd)limmeres fürd)ten. 
Wie wenig unabhängig er felber von feinen Glaubens* 
über3eugungen ift, lel)rt er 3ur Genüge, wenn er (einew. 



Proteft gegen unbefugte einmifdjung von fragen ber 
Weltanfd)auung, öle auf gefd)id)tlld)em Wege nid)t ent* 
fd)ieben werben können, ben Safe betgibt: »Jefu Auf* 
erwechung von ben toten ift unter allen Umftänben eine 
gewaltige Catfad)e ber 6efd}ld)te", - als ob nid)t blofe 
feine Weltanfdjauung es entfd)ulbigte, bafe er l)ier bie 
Auf erweckung nennt, wo er „auf rein gefd)id)tlid}em Weg" 
nur ben Glauben ber Jünger an Jefu fluferweckung l)ätte 
nennen bürfen. 

Allein id) beabfid)tige nid)t eine freunbfd)aftUd)e 
Streitfd)rift weber für Bouffet unb Wrebe gegen ßaftan, 
nod) mit Raftan gegen Bouffet unb Wrebe 3U rid)ten, 
fonbern meine urfprüngHd)e Aufgabe aus3ufül)ren. Dur 
um nad)l)er jebe fluseinanberfefeung mit Raftan unter* 
laffen 3U bürfen, nenne id) l)ier kurs bie GrOnbe, bie 
mir bie Ausführung aud) nad) Raftans bankenswertem 
Auftreten im Streit rätlid), ja einem teile unferer Cefer 
gegenüber als pflid)t erfd)einen laffen. 

Raftan gefäl)rbet ben Crfolg feiner Streitfd)rift aud) 
in bem, wo id) \\)x Erfolg wünfd)en mufe; unb 3war ba» 
burd), bafe er \\)x fo unverl)ol)len ben Cl)arakter einer 
Streitfd)rift gegen bie moberne Weltanfd)auung gibt. Cr 
red)net fid) 3U benen, bie bie moberne Weltanfd)auung 
ablehnen ; unb verftel)t unter bem flbgelel)nten ben Vor« 
fa^ bie 6efd)id)te nad) bem Sorfd)ungsprin3ip ber 
naturwiffenfd)aft 3U erkennen. Die fllleinl)errfd)aft 
ber Dogmen ber Aufklärung, bie nivellierungsfud)t bes 
xiufgeklärten Verftanbes ifts, gegen bie er fid) glaubt auf« 
lel)nen 3U muffen, benn fie entl)üllt fid) il)m in einem ber 
für bie religionsgefd)id)tlid)en Volksbüd)er von \\)xem Ber« 
ausgeber, Sr. Sd)iele proklamierten Grunbfäfee als Seinb 
alles Sortfd)ritts unb aller Wal)tl)eit. Id) laffe es 
unerSrtert, ob in bem von Raftan verabfd)euten Sa^, 
wonad) für uns alle „bas Gefefe ber Unverbrüd)lid)keit 
ber wiffen|d)aftlid)en (Wetbobe" gültig ift, bas Wort 
„(Detbobe nid)t beffer burd) ein anberes erfe^ werben 
könnte; id) möd)te aber bas Bekenntnis ausfpred)en, bafe 
id) mid) mit bem, was Sd)iele meint, nur einverftanben 
erklären unb in ber gef<iid)tlid)en Sorfd)ung mid) auf 
keinen anbern Boben ftellen kann unb will als Bouffet 

9 



unb Wrebe. Id) weife in Weltanfdjauungsfragen nid)t 
Befd)eib, teile mit Raftan einige Bebenhen gegen bie 
„moberne" religionsgefd)id)tlid)e (Detl)obe, unb werbe mid), 
bei meinem je^igen Cl)ema wie fonft, immer wieber bar» 
auf befinnen, bafe id) bie wirhUd)e 6efd)id)te 3U 3eigen 
l)abe, unb bafe bas etwas anberes ift, als barsulegen, 
wie „ein moberner Cl)tift 3U biefen Dingen Stellung 
nehmen hann unb foH". 

Aber barin hann id) Raftan heinenfalls Red)t geben, 
ba^ bie Weltanfd)auung Bouffets unb Wrebes an ben 
(Dängeln il)rer Bud)er fd)ulb fei unb bafe man - - bie 
Weltanfd)auung Raftans befit3en mOffe, um bie wirhHd)e 
6efd)id)te, wie wir alle es wollen, 3U förbern unb 
fie 3U verftel)en. Die Segler, bie Bouffet unb Wrebe 
etwa begangen l)aben, finb heine Segler il)rer (Detl)obe 
unb \\)xex Grunbfä^e, fonbern fie l)ängen an ben Per- 
fonen. Sie l)aben Cid)t unb Sd)atten ungleid), vielleid)t 
einmal ungered)t verteilt; aber es l)anbelt fid) um ein3elne 
Irrtümer unb CDifegriffe ein3elner Gelehrter. Von ben 
Irrtümern Raftans läfet fid) bas 6leid)e nid)t behaupten. 
Cr verfügt 3. B., es hönne in Wal)rl)eit auf bem Beben 
gefd)id)tlid)er Betrad)tung keinem 3weifel unterliegen, bafe 
bas Cragenbe unb Bebingenbe in ]efu Ceben bas (Deffias* 
bewufetfein war, bafe er fid) fd)on vor feinem offentlid)en 
Auftreten als ber (Deffias gewußt l)at. Das ift nid)t 6e* 
fd)id)te, fonbern ein Stü* von Raftans Glaubenslehre; ge* 
rabe bas Gegenteil ergibt fid) aus ben Quellen, in benen 
überhaupt von bem Selbftbewufetfein ]efu nur in fel)r be* 
fd)eibenem Umfang bie Rebe ift Aber auf biefe Weife 
überbrüht Raftan bequem ben Gegenfa^ 3wifd)en Jefus, 
ber ben Vater unb bas Reid) Gottes prebigt, unb Pau» 
lus, ber nid)t3 weiter wiffen will als Cl)riftus, ben ge* 
hreu3igten. Dafe für Crlofung im Sinn bes fpäteren 
Dogmas, für Verföl)nung, für Red)tfertigung im Cvange* 
lium ]efu hein piaft ift, bafe erft Paulus all biefe Cel)ren 
ausgebilbet l)at, ift eine Catfad)e, bie aud) Raftan 
nid)t 3u leugnen vermag. Aber er brid)t \\)x bie Spi^e 
ab unb verl)inbert ben gutwilligen Cefer fid) bie Wichtig* 
heit biefer entwi*lung hlar 3U mad)en, inbem er il)m 
3uruft: Wir finb nur in bemfelben CDa% CVsx.\5^'^x^> 



als wir bie pQulinifd)e Predigt von öem gehreu* 
3igten unö ouferftanöenen Cl)riftus uns aneig« 
nen. Rls ob öos 3ur Debatte ftönbe, in weld)em ODag; 
wir Cl)riften finb, unö nid)t vielmehr, - gerade nad) Loftan, 
ber fo rein auf bas gefd)id)tlid)e Verftänönis aus ift - ob 
jene poulinifd)e Predigt öenn mit öer Predigt Jefu l)ar« 
moniert, ob öenn aud) Jefus ben Glauben an feinen 
Rreusestob unb feine fluferftel)ung befeffen, anberen mit« 
geteilt, als Bebingung bes i5eils gefordert l)at! Wrebe 
fiel)t eine tiefe Rluft 3wifd}en ]efus unb Paulus, Rafton 
eine gerabe Cinie von ]efus über Paulus 3u Johannes 
f ül)renb — eine gerabe Cinie, bie f id) ba vor unfern 
erftaunten flugen 3ugleid) als „gefd)loffener Ring* 
offenbart. Sollte l)ier nid)t bie nivellierungsfud)t bes 
altmobifd)en Dogmas ftärher wirhfam fein, bie keine we« 
fentlid)en Unterfd)iebe innerl)alb ber „neuteftamentlidjen 
Offenbarung* 3ugeftel)en will, als bie nivellierungsfud)t 
ber flufhlärung bei Wrebe, ber bod) gerabe bie Diveau* 
unterfd}iebe im Heuen Ceftament, insbefonbere 3wi* 
fd)en Jefus unb Paulus, lieber 3U grog; barfteltt als bog 
er fie l)eimlid) verwifd)te! 

Reinem Cefer hann entgegen, bafe ber Unterfd)ieb 
3wifd)en Raftan \)\ex unb Bouffet unb Wrebe bort 
nid}t blofe in abweid}enber Beurteilung ein3elner ZaU 
fad)en unb Perfönlid)heiten ber d}riftlid)en Urgefd)id)te 
begrünbet ift, fonbem ba^ er tiefer liegt. Unb ba ift 
benn 3U befürd)ten, bafe alle, bie Wrebes „Weltanfdjau* 
ung* teilen unb in ber religiöfen Stimmung fid) \\)m ver* 
wanbt fül)len, nun bie £inwenbungen Raftans gegen 
Wrebes Paulus mi6ad)ten werben unb fie allefamt als 3U 
Raftans „altmobifd^er* Weltanfdjauung gel)örig beifeite 
fd)ieben. Die anberen wieber werben, weil il)nen einiges 
in ber von Raftan an Wrebe geübten Rritih einleud)tet, 
nun aud) feine eigene red)t mangell)aft begrünbete Po« 
fition für gefid)ert annehmen unb es il)m glauben, bafe 
man bie billige 6efd)id)te auf bem Boben ber mobernen 
Weltanfd)auung nid)t verfielen könne. 

Damit ber b^illofe Rampf um Weltanfd}auungen uns 
ben Sortfd)ritt im gefd)id)tlid)en Verftänbnis, ber troft 
allebem erreidjbar ift, nid)t vernid)te, l)offe id) bei Be* 

W 



l)Qnblung bes Z\)emas: Jefus unb Paulus 3U 3eigen, 
öafe man bie Segler in Wrebes Darlegung unö Beurtei* 
lung bes Poulus^Problems vermeiben kann« ol)ne eine 
anbete Weltanfd)auung 3U i5ilfe 3U l>olen, unb bag eine 
befriebigenbe unb gegen Jefus wie Paulus in gleid)em 
(Dafe gered)te Crhlärung gerabe ben Ver3id)t auf bie 
von Raftan an bie gefd)id)tlid)e Arbeit mitgebrad)ten 
Vorausfe^ungen erforbert. 

nur ein Red)t bel)alte id) mir babei vor, auf bas 
l^aftan im Intereffe ber Unbefangenbeit glaubt ver3id)ten 
3U follen, bas Hed}t namtid), bas eigene Urteil über bie 
6efd)id)te 3ur Geltung 3U bringen, ßaftan versweifelt 
an jebem Erfolg unferer Arbeit, fo lange wir in bie 6e* 
fd)id)te „einmifd)en, wie wir bies ober jenes unwillhürlid) 
beurteilen. Cebiglid) bas Urteil berer, von benen wir 
reben, l)aben wir ins fluge 3U faffen*. Wenn biefer 
Grunbfa^ beobad)tet würbe, fo könnten wir uns bie flb* 
l)anblung über Jefus unb Paulus fparen. Das Urteil 
bes Paulus über fein Verhältnis 3U Jefus - unb nur bas 
feinige kann ja l)ier in frage kommen! - lautete felbft* 
verftänblid) auf fd)led)tl)inige Rbi)ängigheit bes Rpoftels 
vom i5errn; nad) feinem Bewugtfein war »bie alles be« 
berrfdjenbe Bauptfadje", bafe er genau bas in ber weiten 
Welt verhfinbe, was lefus Cl}riftus als Cvangelium ver> 
hfinbet wiffen wollte. Dun, bog \\)n fein Bewugtfein ba 
bod) ein wenig getaufd)t \)aU wirb felbft Loftan nid)t be« 
ftreiten. Aber Raftan l)at fid) biefen Grunbfa^ überhaupt 
blog als Kampfmittel gegen Bouffet 3ured)t gemad}t. Cs 
liegt auf ber fSanb, bog wir am fd)werften von allem in 
ber 6efd)id)te unb am feltenften mit wirhlid^er Oewifeb^it 
bas feftftellen, was bie großen Perfönlid}heiten in ber 
6efd)id)te geurteilt, 3umal wie fie fid) felber beurteilt 
baben. Cs ift eine red)t hfil)ne i5offnung, wiffen 3U hön* 
nen, was nad) Jefu Bewu^fein bie alles bel)errfd)enbe 
ßauptfad)e in feinem Wirken war; nid)t minber hül)n bei 
Paulus. j[ft benn nid)t fd)on bie „eine alles bel)errfd)enbe 
Bauptfad)e*' eine Illufion? Seben bie (Donner, bie im 
Streit fteben, nid)t immer gerabe bas, um was fie im 
flugenbliA kämpfen, als bie Bauptfad)e an? 3. B. Cutl)er 
auf bem Religionsgefpräd) bas Wöttl^vw ^>5^* \xcs.^^\ 



Das ift mein Ceib; unb welcher Qltmo5ifcl}e Cutl)eraner 
würbe beute bies Urteil Cutters nod) anerkennen? Selbft 
Wrebe arbeitet 3uviel mit bem Begriff von Orunbge« 
banhen unb blogen Kampfmitteln in ber paulinifd)en 
n)eologie; in feinem Bewugtfein l)Cit Paulus bie Red)t« 
fertigung ober bie Sreil)eit vom Oefe^e um nid)ts nieö« 
riger eingefd)ä^ als bie £rlöfung unb ben 6ottesfol)n« 
(Deffias. Ueber bas, was am Wirken eines (T)enfd)en 
bas Wid)tigfte wor, kann er felber nod) weniger wie 
über bas Verhältnis feines Werks 3U bem eines Vor« 
gängers abfd)liegenb urteilen: bas kann immer nur bie 
nad)welt, bie ben bauernben £rfolg in bie Rechnung mit 
einbe3iel)t, unb bie aus ber Entfernung bas Kleine über« 
l)aupt nid)t me\)x fiel)t, baffir um fo leid)ter bas Cwige, 
bas Wefentlid)e von bem 3ufalligen unb 3eitlid) Bebing* 
ten fd)eibet. natürlid) ift keiner von uns allein bie nad)« 
weit; jeber urteilt, wie fid) \\)m bie Dinge barf teilen; 
neiblos follte aber aud) jebes 6efd)led)t ben fpäteren 
bie Berichtigung feiner Wertbeftimmungen vorbehalten. 

Dem tiefen £inbrud^, ben Wrebes Paulus auf mid) 
gemad)t l)at, unb ber Hötigung, Wjm gegenüber eine 
anbersartige fluffaffung burd)3ufül)ren, trage id) baburd) 
Red)nung, bog id) ben urfprfinglid) geplanten T^itel: Jefus 
unb Paulus umwanble in »Paulus unb Jefus". Den 
Inhalt ber beiben Volksbüd)er von Bouffet unb Wrebe 
fe^e id) als im wefentlid)en meinen Cefern bekannt vor* 
aus, unb ba id) bie Sd)ilberung bes Evangeliums Jefu, 
bie Bouffet gibt unb Wrebe ftillfd)weigenb anerkennt, 
aud) meinerfeits nid)t erft 3U verbeffem braud)e, fo er* 
gibt fid) als Ausgangspunkt von felbft Paulus. Unb 
3war Paulus, infofern er eine gegenüber ]efus neue, 
frembartige erfd)einung ift. 

Wir befpred)en im erften Kapitel bie Cegenfä^e in 
ber paulinifd)en Prebigt gegen bas alte Evangelium in 
ber Weife, bafe wir möglid)ft neben bem t;atfäd)lid)en fo* 
gleid) bas Verftänbnis für bie (Dafee unb ben 6rab ber 
flbweid)ungen befd)affen. Im 3weiten flbfd)nitt geben wir 
ben Spuren innerer Verwanbtfd)aft 3wifcben Paulus unb 
]efus nad) unb fud)en wieberum Umfang unb Bebeutung 
bes ben beiben Öemeinfamen 3U erfaffen, insbefonbere 

12 



beffen, was fie beibe von ben übrigen Srommen \\)xex 
3eit trennt. Crft an öritter Stelle barf bie Crhlärung für 
biefen Doppeleinbruck von Barmonie unb Wiberfprud) in 
bem Cefamtbilb unternommen werben. Unb 3um Sd)lu6 
mag bas Ergebnis unferer Shi33e eingehleibet fein in 
eine Beantwortung ber frage, wer benn ber eigentlicl)e 
Stifter bes Cl)riftentums gewefen ift, ob Paulus ober 
]efus, ober ob wir uns entfc^liefeen muffen, 3wei Stifter 
für eine Crofee an3ufe^en, unb woburd) benn bie neue 
d)riftlicl)e Religion geftiftet worben ift, mit anberen Wor« 
ten ber frage, ob bie Öeburtsftunbe ber neuen Religion 
in bas Ceben Jefu fällt ober binter feinen Zob. 

Das vierte Evangelium bleibt bei biefer Unterfud)ung 
unberüchficl)tigt, weil es anerhanntermafeen ftarh von pau« 
linifd)en Öebanhen beeinflußt ift, alfo niemals ein fid)erer 
3euge für eine vorpaulinifcl)e Stufe bes Cl)riftentums 
fein hann. Innerhalb ber brei vorpaulinifd)en Evangelien 
braud)en wir l)ier aber nicl)t fo forgfältig, wie es Bouffet 
in feinem „Jefus" tat, ältere unb jüngere Beftanbteile, 
urfprünglicl)e Jefusworte unb 3utaten bes 6emeinbeglau= 
bens 3U unterfd)eiben. Denn bie gefamte Crabition ber 
Synoptiker gel)t bod) auf bie „Urgemeinbe** 3urück unb 
gebort in biefem Sinne mit ]efus 3ufammen. Der ]efus, 
ben bie jerufalemifcl)e Cemeinbe erlebt l)at, fpiegelt fid), 
wenn fd)on mit ungleid)er Deutlid)heit in ben brei erften 
Evangelien wieber. Il)m ftellt Wrebe ben im Ropf bes 
Pbarifäers Paulus hünftlid) geftalteten Cl)riftus ber Sd)ule 
gegenüber. Unb baran haftet unfer Intereffe: Ift bie 
Rluft 3wifd)en bem Cl)riftus bes flpoftels unb jenem 
]efus ber Evongelien fo tief, bafe ber eine ben anbern 
verbrängen mufete? 

I. Kapitel. Die Rluft 3wifcl)en Paulus unb Jejus. 

Der Vorwurf gegen Paulus, bafe er als Evangelium 
von Jefus Cl)riftus etwas verhünbigt, was er fid) aus» 
gebad)t l)abe, ift uralt. Wir braud)en nid)t auf ben Bafe 
3U verweifen, mit bem jubaiftifd)e Sektierer Jal)rl)un* 
berte lang ben „(Dagier** Paulus als Er3he^er verfolgt 
baben, wir befi^en bas eigene 3eugnis bes Apoftels im 



Oolaterbrief. In l)eftigem 3om verflud)t er 5a 1,6-9 ein 
anberes Cvangelium, bas man ben von Paulus be« 
hel)tten Galatem ansupreifen verftanben l)cit; beutlid) ift 
aus feiner Selbftverteibigung bie Anklage ber Gegner 
I)eraus3ul)ören, bag Paulus fein Evangelium von ODen« 
fd)en l)abe (1, 11). Cr wenbet bas fo, als ob man feinen 
d)riftlid)en Cebrmeiftem bie Autorität abfpräd)e, unb leug» 
net barum für fid) jeben menfd)lid)en Cebrmeifter ab : — er 
verbanht feinen Cvangeliumsbefi^ ausfcblieglid) ber Offen« 
barung ]efu Cl)rifti. Aber fie meinten es anbers. Sie bciben 
wal)rfd)einlid) biefe Offenbarung Cbrifti an il)n burd)« 
aus nid)t beftritten, bagegen bebauptet, ba^ eine fold)e 
Offenbarung nid)t ausreiche, um ben langen Verheer mit 
Jefus, ben bie Urapoftel genoffen Ratten, 3u erfe^en, unb 
bag fomit, wo Paulus bem wiberfpräd)e, was in }eru* 
falem als Evangelium verhQnbigt würbe, bas Vorred)t 
nid)t 3weifell)aft fei; ba l)abe eben Paulus feinen eignen 
Gebanhen 3uliebe bas ed)te urfprünglid)e Evangelium um« 
gewanbelt. riad) Gal. 2, 2 \)Qt Paulus auf bem berül)m* 
ten „flpoftelhonvent** in jferufalem ben bortigen I5auptem 
bas Evangelium, bas er unter ben ßeiben verhünbigte, 
vorgelegt; felbftverftänbUd), um von il)nen ein Urteil über 
bie Ed)tl)eit feines Evangeliums 3U erlangen. Cr kann 
aber nid)t melben, i>Q^ bie ßäupter ber Urgemeinbe feine 
Verhünbigung als mit ber irrigen in allem übereinftim« 
menb befunben bStten, fonbem nur, bafe fie il)n als flr» 
beits« unb Bunbesgenoffen aufgenommen b^tben, weil fie 
in feinen Erfolgen Gottes Rraft anerkennen mugten* 
Gan3 abgefeben von ber Streitfsene in flntiocl)ien Gal. 
2, 1 1 ff. hann fid) bei Gal. 2, 1-10 niemanb bem Ein« 
bru* ent3iel)en, bafe bie „Säulen** in Jerufalem, bie boch 
aud) von ben Verleumbern bes Paulus, ben „Salfcbbrübem 
keinen aus ber Gemeinbe ausftiegen, über bas, was 
Paulus „unfre Sreil)eit** ober »bie Wal)rbeit bes Evan« 
geliums** nannte, etwas anbers gebad)t b^^ben als er. 
Sie bQt>6n weber über ben angeklagten Paulus nod) 
über bie Ankläger ein Urteil gefällt; fie bciben bei beiben 
guten Glauben unb bie Ciebe 3U Cbriftus wabrgenommen 
unb finb verf obren nad) Jefu Grunbfa^ (Dk. 9, 40: Wer 
nid)t wiber uns ift, ber ift für uns - äbnlid) wie Paulus 



felber fpäter p\)\l 1, 18, wenu^leid) in gereisterer Stirn« 
mung, verfabren ift. 

Was war es nun, bas in bem paulinifcl)en Cvan« 
gelium als neu, als menfcl)lid)e 3utat 3U bem Cvange« 
lium Jefu empfunben würbe? Scl)werlicl) bie Darbie* 
tung bes Cvangeliums an I5eiben an unb für fid). Sie 
mocl)te ein Heues fein gegenüber ber T^ätigheit Jefu. 
Verbote wie (Dt. 1 0, 5, bafe ein Jünger in eine Samariter» 
ftabt eintrete ober gar als (Diffionar auf eine Beiben« 
ftrage abbiege, Programme wie (Dt. 10,6 unb 15,24, 
wonad) feine unb ber Seinigen Arbeit nad) Gottes Ver« 
fügung befcl)ränht fei auf bie verlorenen Sd)afe vom ßaufe 
Israel, mögen biefe fcl)roffe form erft innerhalb ber mit 
bem Problem: Volhs« ober Weltreligion ringenben 6e« 
meinbe empfangen l)aben: tatfad)lid) eingeleitet }f)atte 
Jefus bie I5eilsarbeit unter ben ßeiben aber heinenfalls. 
Paulus ftellt fid) bie Aufgabe: allein 3U ben I5eiben. 
Das empfanben vielleid)t felbft fold)e Claubensgenoffen, 
bie aud) auf einige £tfolge Vjxer prebigt unter Profe« 
lyten unb Beiben ftol3 waren, als Untreue gegen il)r Volk 
Denn bem Jubenvoihe galt nad) \\)xer (Deinung, wie alle 
Offenbarungen Gottes, fo bie le^e unb l)od)fte in Jefus 
Cbriftus bod) fid)erlid) in erfter Cinie - felbft Paulus 
ift nie gan3 von biefem israelitifd)en Selbftgefül)l losge« 
hommen (vgl. Rom. 11, 11 f.). Wenn Paulus nun an ben 
}uben vorbei 3U ben ßeiben ging, wenn er ibren Cin« 
prüd)en b^^ciusforbemb entgegnete: »Cs ift hein Unter* 
d)ieb 3wifd)en Juben unb 6ried)en, fowenig wie 3wifd)en 
?ned)t unb freiem, 3wifd)en (Dann unb Weib ober: 
„Ift etwa 6ott nur 6ott ber Juben, nid)t aud) ber ßeiben ?** 
fo verlebe bas ibren Patriotismus, unb, bei ber faft un« 
löslid)en Verknüpfung von Patriotismus unb Religion bei 
ben Israeliten, 3ugleid) ibre Srömmigheit. 

Immerbin b^^^ Jefus biefer I5altung feines Apoftels 
burd) Worte bes Cobes für b^il^begierige ßeiben unb 
fd)ärfften Cabels für bas unbelebrbare Israel, burd) Cin« 
be3iebung ber gan3en Erbe in fein Werk (3. B. (Dt. 1 0, 34) 
unb vor3Üglid) burd) ben wabrbcift überiübifd)en 3ug in 
all feinem (Dabnen unb Sorbem fo grünblid) vorgearbeitet, 
bog eine Partei, weld)e ben I5eiben bas ßeil verfagte, 



einflufereid) in feiner Cemeinbe nid)t werben honnte. (Dan 
ffil)lte, bafe eine gerabe Cinie von ]efu9 3U bem ßeiben^ 
opoftel Paulus führte; ja 3U ber Erweiterung bes flr* 
beitsfelbes bis an bie 6ren3en ber £rbe muffte es, aud) 
wenn Paulus nici)t aufgetreten wäre, unter ben Jüngern 
hommen. Die befte Rechtfertigung für biefe Heuerung 
bes Paulus liefert (Dattbaus, wenn er 28, 19 ben Auf« 
erftanbenen gebieten läfet: 6el)et \)\n unb lehret alle 
ßeiben. 

Bebenhlid)er war aber, bafe Paulus mit feinem 
Örunbfafe ber völligen 6leicl)beit von Jube unb ßeibe 
vor 6ott fo weit Crnft machte, ba^ er ben Beiben ben 
Umweg über bas Jubentum 3u Cl)riftus verbot. Wieber* 
um nid)t honfequent, benn Rom. 11,17 befcl)reibt er bie 
Errettung ber gläubigen ßeiben als \\)xe £inpfropfung 
in bie für bas Beil beftimmte „fette Wur3er bes Ölbaums 
Israel; bafe bas Israel, bem Gottes Ver^eifeungen ver* 
liefen finb, gar nid)ts gemein 3U l)aben braucht mit ber 
»Israel* genannten nacl)hommenfd)aft bes Patriarchen 
Ifaah*Israel, ift eine Ibee, beren Bocl)f lug er Rom. 9, 6 ff. 
nur auf eine hur3e Weile feftljält; ber Cebanhe, bafe ber 
Jube als fold)er aud) nid)t um ein Baar mel)r Beilsaus« 
fiepten befi^en follte als irgenb ein Beibe, ift bem Paulus 
3ule^t bod) nod) wiber bie Flatur. Aber bie prahtifd)e 
Solgerung aus feinem Crunbfafe l)at Paulus frül) ge3ogen 
unb niemals aufgegeben, bog ber Beibe, um feiig 3U 
werben, nid)ts 3U übernehmen brauche vom Jubentum. 
Reine Befd)neibung, heine Reinigheitsübung, ja über« 
baupt nichts von bem 3wang bes (Dofegefe^es. Paulus 
verlangte nicl)t, bafe ein Jube um Cl)rifti willen bas 6e« 
fe^ verleugne; er möchte es bem Cewiffen bes ein3elnen 
Cbriften überlaffen, in wie weit er von ber Sreil)eit 6e- 
braud) mad)en wolle. Aber bafe mit bem Cvangelium 
bie Sreil)eit vom jübifcl)en 6efe^ ol)ne jebe einfd)rän* 
hung gekommen fei, bafe in x\)t ein Bauptgut bes Cvan« 
geliums beftel)t, lyot er nicl)t blofe auf bem flpoftelhon« 
vent 6al. 2 verfochten, fonbern burd) alle feine Briefe \)Ql\i 
es wieber: Das 6efe^ ift für uns aufgehoben, es ift un« 
gültig für alle, bie burd) \\)xen Glauben ben Öeift, b. 1). bie 
Rraft, Gottes Willen 3u tun, empfangen l)aben. Dafe Pau* 

}6 



lus ben (Dut 3U fold) gewaltigem Brud) mit bem Rem bes 
Jubentums wenigftens 3um Zeil aus ber hlugen Über» 
legung gefd)öpft l)abe, unter ben Beiben feien ol)ne Preis* 
gäbe bes Cefe^es grofee (Diffionserfolge nun einmal 
nid)t 3U er3ielen, fcl)eint mir einer ber unglücklid)ften 6e* 
banhen Wrebes. Ob uns fein Rampf gegen bas 6efe^ 
fYmpatl)ifd) ift ober nid)t, barf unfer Urteil fo wenig be» 
einfluffen wie bie frage, ob bie Spifefinbigheit uns im= 
poniert, mit ber er auf bas 6efe^ bie l)öcl)ften Präbihate 
(l)eilig, geiftig, gut) l)äuft unb il)m bod) nur eine Sorbe* 
rung ber SQnbe nad)fagt; jebenfalls l)at Paulus biefen 
Rampf um bas Cefefe 3U allererft in fid) burd)gehämpft 
unb um feines Glaubens willen, el)e er anberen feinen 
Sieg mitteilte: eine paulinifd)e ßeilsverhünbigung ol)ne 
6efefeesfreil)eit b^t es nie gegeben. 

Unb für biefe Heuerung konnte fid) Paulus nid)t 
auf ]efum berufen; er b^t es niemals getan. Dem Gin* 
wanb, bafe Jefus felber eben bies Cefefe treu erfüllt b^be, 
bas fein flpoftel im Hamen Cbrifti verwerfe, bSlt er 
bas bereitwillige 3ugeftanbnis entgegen 6al. 4, 4, ba^ 
ber Sobn Gottes, wie er von einem Weibe geboren war, 
fo im Ceborfam gegen bas Cefefe gelebt b^be, ~ aber 
um uns aus ber Gefe^esfhlaverei los3uhaufen! 6e* 
rabe baburd), bafe Jefus 3unäd)ft alle flnfprüd)e bes 6e* 
fe^es in feiner Perfon erfüllt bot, erwäd)ft ibm bas Red)t, 
nunmebr eine anbere Orbnung an bie Stelle jener obn* 
mäd)tigen 3U fe^en: bie Aufbebung bes Cefe^es batiert 
erft von bem Mugenbli* an, wo ber ein3ige Sünblofe im 
Hamen bes Cefe^es 3um Rreu3estobe verurteilt worben 
ift. Paulus Anfd)auung leibet an keiner inneren Sd)wie* 
righeit. Jefus bätte eine feltfame Cefe^estreue bewiefen, 
wenn er bei Ceb3eiten Sturm gegen bas 6efe% gelautet 
bätte; aber fein Zoi> ift bie tatfäd)lid)e Auf bebung bes 
Cefe^es (Rol. 2, 1 4) ; in bie neue 3eit, bie mit feinem Zob 
anbebt, pafet nid)ts binein, was wie bas Cefefe auf 
Shlaven 3ugefd)nitten ift. 

Den W7iberfad)ern bes Paulus wirb bas Vorbilb, 
bas ibnen Jefus mit pietätvoller Beobad)tung ber Vor» 
fd)riften bes Cefefees b^^^terlaffen batte, mebr wert ge* 
wefen fein als bie hübnen unb für bie fittlid)e er^iel:\ux\Qk> 

1 ü U d) e r , Paulus un5 leluft. 



3umQl venwal)tlofter Beiöen, bireht be5enhlici)en Solge* 
rungen, bie Paulus aus bem Zoöe bes ODeffias als ber 
6ren3fd)eibe 3wifd)en alter unb neuer Welt 30g. Il)r Groll 
tönt nad) in Worten wie (Dt. 5, 1 7 - 1 9 : Wer aud) nur 
eins von biefen hIeinen Geboten aufgebt unb anbere 
ba3u anl)alt, ber wirb ber RIeinfte feigen im ßimmel« 
reid). Allein bie „Säulen" in Jerufalem l)aben bem ein» 
ftigen Verfolger tro% aliebem bie Gemeinfd)aft nid)t auf« 
gehfinbigt; fie füllten, bafe in feiner „Gefeöesfeinbfd)aft* 
etwas wirkte, was bem Geifte Jefu nid)t fo unäl)nlid) 
fal). Batte er fie mit feinem erhabenen: »Id) aber fage 
eud)" gegenüber ben Grunbgeboten bes COofegefe^es 
„Du follft nid)t töten, nid)t el)ebred)en, nid)t falfd) fd)wo« 
ren* ((Dt. 5, 21 ff.) nid)t aud) fd)on über bie hneci)tifd)e 
flngft vor bem Bud)ftaben 3U einer freien, aus bem Ge« 
wiffen geborenen Erfüllung bes wahren Willens Gottes 
l)inausgeleitet ? Batte er il)nen nid)t (Dh. 7 ben Unter* 
fd)ieb 3wifd)en äufeerer Reinl)eit unb ber Reinheit von 
Ber3 unb Cippen, auf bie es Gott ankommt, fo ausge* 
legt, bog baburd) bie Bälfte ber Sa^ungen im 3. Bud) 
(Dofe gleid)gültig geworben waren? Unb ftammte nid)t 
von il)m bas Wort (Dh. 1 0, 5 : Das Gebot über ben Sd)eibe« 
brief l)at (Dofe nur als ein 3ugeftänbnis an eure Ber« 
3ensl)ärtigheit gegeben; was Gott in ber ei)e 3ufammen« 
gefügt l)at, foll überhaupt hein (Denfd) fd)eiben? ~ 
Wenn fie fid) fo im Verheer mit Jefus ben blinben 
Glauben an bie Unverbefferlid)heit unb Unentbel)rlid)heit 
bes „Gefe^es" l)atten abgewöhnen muffen, war es bann 
ein Verrat am Geifte Jefu, bafe Paulus bas Gefe% über« 
baupt abtat unb bie £rfüllung, bie bisher ja bod) nie 
gelungen war, b. I). ein Ceben nad) Gottes Willen fid) 
von bem Geifte Cl)rifti verfprad), von einer neuen gren« 
3enlofen Ciebe unb Rraft 3um Guten in ben erlöften 
Rinbern Gottes? 

Id) frage: Wenn berartige Gebanhen bem Petrus unb 
]ol)annes hamen, als Paulus il)nen feine Ce\)xe von ber 
Gefefeesfreil)eit entwi*elte, werben wir ftrenger fein bürfen 
unb auf Abfall unb 3erftörung erkennen, wo Paulus 
nur in bie Sorm eines tl)eoretifd)en Cefefa^es hleibet, was 
Jefus prahtifd) burd)gefül)rt l)at: ein Ceben im Dienfte 

18 



Gottes ol)ne Surd)t vor bem Öefefe, bie Crfüllung öer 
l)öcl){ten pflichten nidyt well es fo gefd)rieben ftel)t, fon* 
bern weil man n!d)t anbers hann als 6ott unb ben 
näd)ften lieben ? Jebenfalls ftebt ber Paulus, ber Rom. 
1 3, 8 - 1 feine Brüber 3ur näd)ftenUebe als ber Crf ül« 
lung bes Cefefees aufrief, ~ tro^ aller rabihalen Aufee« 
rungen über bas Cefefe - näl)er an Jefus als ber Ver* 
faffer bes ]ahobusbriefs, ber, be3eid)nenb für bie ganse 
pätere Rird)e, bie klangvollen Worte vom höniglicl)en 6e^ 
efe unb bem Cefefe ber Sreil)eit im (Dunbe ffil)rt, aber 
bod) nur, um ben ein3 einen Geboten, »nid)t töten**, 
„nid)t el)ebred)en**, „nid)t flnfeben ber Perfon üben**, 
il)r altes Vorred)t 3urOch3ugeben (2, 8 ff.)! Wie fagt bod) 
ener Cvangelift, ber, wal)rl)aftig nid)t in ben Spuren bes 
Daulus, bie Bergänge beim Weltgerid)t fd)ilbert? Der 
^onig wirb am jüngften Zag alle Völker um fid) verfammeln, 
unb fie in 3wei Raufen fd)eiben, bie Sd)afe 3ur Red)ten, 
bie ßöd^e 3ur Cinhen. Dann labt er bie Cefegneten 
feines Vaters ein, bas Reid) in Befife 3U nehmen, weil 
er ewige Seligheit ober ewige Pein nad) biefem ein» 
3igen (Dafeftab verteilt: „Was Il)r getan l)abt einem 
meiner geringften Brüber, bas i)abt l\)x mir getan** 
((Dt. 25,31-46). nun, bie alfo Belobnten l)aben, wie 
eben il)r Staunen beweift, fid) bas Cob bod) nid)t in Cr* 
füllung eines Gefe^es verbient! Ift biefe Stimme aus ber 
Urgemeinbe bann bem Paulus günftiger ober ber fpäteren 
Rird)e, bie fid) für bie flbfd)affung bes Jubengefefees 
wenigftens burd) bie etablierung eines „neuen Cefefees**, 
bamit nur ja nid)t bie Sreil)eit ausarte, entfd)äbigt l)at? 
Sprid)t aber nid)t eben biefe Stimme ein hlares Ver» 
werfungsurteil aus über bie paulinifd)e flntitl)efe: nid)t 
aus Werben, fonbern aus Glauben allein ? (Dan braud)t 
fie ja nur in Verbinbung 3u bringen mit jenem flbfd)nitt 
im jahobusbrief, ber ein fid)eres 3eugnis von unwilliger 
Rritih an Paulus feitens alter Glaubensgenoffen enthalt: 
Jah. 2, 14-26. Dort ftel)t eine bringlid)e Warnung vor 
verheertem Vertrauen auf ben Glauben allein. Glauben 
obne Werhe ift nid)tig, ift tot; ber Verfaffer 3iebt 2, 21 
ausbrü*lid) bas Beifpiel Äbrabams b^ran, ber nid)t aus 
Glauben allein, fonbern aus Werben (nämlid) weil et 



feinen Sol)n Ifaah als Opfer auf ben Altar legte), öie 
6ereci)tigheit 5ugefprod)en erbielt. ßier hann bie Spi^e 
nur gegen Paulus gerichtet fein, benn er liebt es fa fo 
befonbers, ben flbral)am als ben Bürgen einer Oered)* 
tigheit aus Glauben ollein 3U feiern; bis auf ben Wort* 
laut (vgl. 6al. 3, 6 unb Rom. 4, 3. 9 mit ]ah. 2,21 - 23) al)mt 
biefer }ahobus ben Paulus nad). Die Cel)re bes Apoftels, 
wonad) ber (Denfd) von 6ott gereci)tgefprod)en, ober viel» 
mel)r gerecht gemacht wirb aus Glauben allein unb ol)ne 
Werhe, gehört mit feiner Cel)re von ber Aufhebung bes 
Gefe^es burd) ben Zöb Cl)tifti 3U einer Qn^eit 3ufam« 
men; was bas Gefe^ vor Cl)riftus benen, bie es 
galten würben, in Musfid)t ftellte, 6ered)tigheit, bie 
vor bem gered)ten Gott gilt unb von Vjm gebübrenb ge« 
lol)nt wirb, bas leiftet feit Cl)riftus ber Glaube. 
In Cl)rifti ßeilstob bringt Gottes Gnabe, verbfinbet mit 
feiner Qered)tigheit, fold) granbiofes Wunberwerh fertig. 
Der Glaube ift bie banhbare Aneignung bes von Gott 
uns in Cl)riftus gefd)enMen I5eils, bas Ver3id)ten auf 
eigenes Rönnen, bas Sid) allein auf Gottes Gnabe 
verlaffen: wer ben nid)t aufbringt, bem ift nid)t 3U 
belfen; wer \\)n aber aufbringt, bem ift geholfen — 
ein für allemal, benn für Paulus gibt es hein 3urüd^, hein 
Probieren, vor allem hein Balb unb Balb, hein SowoljU 
fllsaud). Wie Gottes Gnabe nur entweber Alles fd)enht 
ober nid)ts, fo ift aud) burd) ben Glauben, bie Bebingung, 
an bie fie \\)xe Gefd)enhe hnüpft, Alles gewäl)rleiftet. 

Paulus hennt aus ber etl)ih feiner Gefe^esreligion 
heraus heine anberen Werhe als Werhe bes Gefefees; 
hommen mit bem Gefe^ biefe felber in Sortfall unb bamit 
bie flD5glid)heit, fid) bas ewige Ceben 3U verbienen, 
fo bleibt überhaupt nid)ts anberes auf bem plan, was 
Gott an uns gefallen honnte, als unfer Glaube, ber bas 
]a 3u bem Angebot feiner Gnabe fagt. 

Aud) biefe Cel)re \)at fid) Paulus nid)t erft als eine 
Waffe im Kampfe gegen bas Jubentum gefd)af fen ; fie ift 
für il)n felber bas Sunbament feiner Beilsgewifeb^it. 
Sie ift bem ODifebraud) unb bem (Difeverftänbnis vom erften 
Zage an ausgefegt gewefen ; man barf faft fagen, fie for» 
bert fold)e (Dife^anblung heraus. Wenn ber Glaube etwas 

20 



ift, was felbft bie Dämonen, bes t;eufels 6el)ilfen, l)aben 
(Jah. 2, 1 9), ein flht bes Verftanbes, ein Wiffen um Jefu 
(Deffianität unb was ba3U gebort, unb wenn bas in ber 
neuen Religion an bie Stelle ber mül)fam bem Sleifd) 
abgerungenen T^ugenb unb Selbftverleugnung gerficht 
erfd)eint, fo bot fid) bie neue Religion ja als Sd^ufeberrin 
ber Ceid)tfertigheit unb fittlid)en 6leid)gultigheit aufge* 
worf en. Darf man nicl)t in il)rem Sinne rufen : Cafet uns 
funbigen, bamit Gottes Gnabe Gelegenheit finbet, fid) 
boppelt freigebig an uns 3U erweifen ? (Rom. 3, 8). 

Inbes, wer nid)t gar ben Verbad)t l)egt, bafe Pau* 
lus aud) biefe Celyre vom red)tfertigenben Glauben nur 
ausgeklügelt l)ätte, um ben ßeiben ben 3utritt 3U ber 
neuen Religion möglid)ft bequem 3U mad)en, wirb ber* 
artige Vorwurfe nid)t mel)r ernft nehmen. Die Warnung 
1. Ror. 13,2 vor einem Glauben ol)ne Ciebe, ßinweife 
auf bie ODöglid)heit aus bem Glauben 3U fallen wie Rom. 
11,20-22 3eigen, bafe er nid)t einmal \)\eT rüAfid)tslos 
Alles auf eine Rarte fe^. Dafe ib"^ Glauben me\)X ift 
als ber «Glaube an ein Dogma" (Wrebe S. 94), offenbart 
fid) u. a. in Rom. 14, wo er Glaubensftarhe unb Glau« 
bensfd)wad)e unterfd)eibet, nämlid) fold)e, benen x\)t Glaube 
Alles 3U effen geftattet, unb fold)e, bie fid) mit gewiffen 
Speifen 3U verunreinigen ffird)ten. Da fd)lie|(t er eine 
weisbeitsvoUe Rebe mit bem Sa% V. 23: wer etwas ißit, 
was ibm fein Glaube 3U effen verbietet, ber ift verbammt; 
benn Alles, was nid)t aus Glauben gefd)iebt, ift Sunbe. 
So hann nur fpred)en, wem Glauben eine tiätigheit bes 
Gewiffens ift; in ber tat, es ift bei Paulus blofe eine 
flbhur3ung für: mit Cbriftus verbunben fein, ein neuer 
(Denfd) geworben fein, burd) ben Befi^ bes Geiftes bie 
Begierben bes Sleifd)es Qberwunben b^ben; Gl&ubige 
unb Beilige finb bei ibm Wed)felbegriffe. 

Derartige Reflexionen liegen nun freilid) gan3 abfeits 
von ber fd)lid)ten unb nud)temen Srömmigheit Jefu. Pau* 
lus betet ben Glauben an unb verleibt ibm bireht g6ttlid)e 
eigenfd)aften, weil e r bem Glauben Alles verbanht, burd) 
ibn ein neuer (Denfd) - foweit fein Bewufetfein reid)t - ge» 
worben ift. Jefus ift nie aus bem Unglauben 3um Glauben 
übergetreten, bot aud) bei flnbern fo vollftänbig umwäl* 



3enbe Wirkung bes Glaubens nld)t beobachtet: er l)at 
erfahren« bag fid) bes Glaubens aud) bie ßeud)elei be* 
mäd)tigt, unb hommt fd)on barum nid)t in Verfud)ung, 
alle menfd)licl)e Ceiftung, bie vor Gott gilt, in bem einen 
flht bes Glaubens 3ufammen3ufaffen. Wol)l feiert er 
bie Allgewalt bes Glaubens ODh. 9,23, 11,22; »Dein 
Glaube bot bir Rettung gebrad)t", fagt er wieberl)olt 3U 
Ceuten, bie in I)er3lid)em Vertrauen feine Bilfe in il)ter 
not erbeten l)aben; mit bem Ruf: ^ZvA Bufee unb glaubet 
an bas Cvangelium" t)Qt er nad) ODh. 1,15 feine öffent* 
lid)e Wirhfamheit begonnen. Aber bafe biefer Glaube, 
ben er 3U weAen wünfd)t, feinem Befifeer obne weiteres 
bie Gered)tigheit fid)ere, \)Qt Jefus fo wenig behauptet, 
wie er unter Glauben etwas verftebt, was einem »Dog* 
ma* über feine Perfon äbnlid) fiebt. Die Sünben werben 
vergeben bem, ber Gott barum bittet, unb ba jeber 
neue Zag neue Verfud)ung bringt, immer aufs neue ver* 
geben ; bie VoUhommenbeit, bie Gered)tigheit finb Ibeale, 
benen wir nad))agen follen, bie man, wenn es fein mufe, 
mit bem Verluft von Gut unb Ceben nid)t 3U teuer er» 
kauft. Auf bie frage eines Reid)en: Was mufe id) tun, 
bamit id) bas ewige Ceben erwerbe, antwortet Jefus nid)t 
mit einem: Flur glauben!, fonbem er nennt Opfer, bie 
gebrad)t werben muffen, für eine Red)tfertigungslebre 
nad) ber Art bes Paulus ift in ber Religion Jefu hein 
piafe frei; bie „Sd)afe" in ber Weltgerid)tsparabel (Dt. 25 
(f. o. S. 19) werben ins Bimmelreid) eingefübrt nid)t auf 
Grunb einer früber an ibnen voll3ogenen Gered)tfpre» 
d)ung, fonbem weil ber Rid)ter ibnen ibre freiwillig ge« 
übte näd)ftenliebe als böd)ften- Cobnes wert anred)net. 
In ber Anerkennung eines gewaltigen Unterfd)iebes 
3wifd)en ber einfd)ä^ung bes Glaubens bei Jefus unb 
bei Paulus finb wir gan3 mit Wrebe einverftanben; 
wir können ibm aber nid)t mebr folgen, wenn er ben 
Unterfd)ieb als ausfd)lie6enben Gegenfafe bebanbelt. 
„Rein menfd)lid)'fittlid)e (Dafeftabe 3ur Beur* 
teilung ber Srömmigkeit (?), wie fie Jefus b^^^ö' 
babt, kann es für Paulus gar nid)t geben**. „Bei Pau* 
lus ift bie erfte frage, ob ber ODenfd) Glieb ber Rird)e 
ift. Alle menfd)lid)e Vortrefflid)keit kann ibm 

22 



heinen Wert verleiben, wenn er nid)t biefe ßebingung 
erfüllt ober an ben gehreu3igten unb auferwechten 6ot* 
tesfobn glaubt. Diefer Glaube hennt 3war hefne Scl)ranhe 
ber nationalität, aber er wirb felbft 3U einer Sd)ranhe, 
bie 3wei Rlaffen von (Denfcben fd)eibet." 

Id) meine, bie 3wei Rlaffen von (Denfd)en, 6ute unb 
Bofe, Gerechte unb Ungerechte, gibt es für Jefus aud); 
es ift blog 3ufall, bog er nid)t aud) von Gläubigen unb 
Ungläubigen fprid)t. Die Sd)eibung 3wifd)en ben beiben 
Klaffen wirb für fein Cmpfinben gerabe fo fd)arf vor* 
gelegen beiben wie für Paulus, benn er erbebt wabtlid) 
nid)t geringere flnfprüd)e als biefer. Sreilid) ftellt Jefus 
nid)t bie ßebingung, bog jemanb Glieb ber Rird)e fei. 
Aber b^t Paulus fie mutwillig aufgeftellt? Unb baben 
biefe Bebingung nicbt alle, bie in ber Weife von Jahobus 2 
an feiner Glaubenslebre Rritih üben, mit gleid)er Cner* 
gie wie Paulus geftellt? I5aben etwa ODarhus ober 
(Dattbäus, wenn fie vom „Glauben** an bas Cvange* 
lium, an Jefus u. bgl. reben, gemeint, man honne natür* 
lid) aud) Gott woblgefallen unb menfd)lid)e Vortrefflid)* 
heit befifeen obne biefen Glauben? War nid)t feit bem 
Zage^ ber jeben vor bie Wabl ftellte 3wifd)en bem Glau* 
ben an ben gehreu3igten unb auferweAten (Deffias ober 
ber Verwerfung Jefu als eines gefäbrlid)en Harren, bie 
I5erauffd)raubung bes Glaubens 3ur „erften frage** eine 
Hotwenbigheit ? Dafe ein (Denfcb obne „Glauben** ein» 
3elnes Gute tun honne, bie Sebnfud)t nad) bem Gott« 
lid)en nid)t 3U verlieren braud)e, bat aud) ber Paulus 
von Rom. 2, 14- 16 unb Rom. 7, 15-25 nid)t beftritten; 
bafe aber ein (Denfd) bas 3iel erreid)en, ins Bimmel« 
reid) eingeben honne, obne fid) um ben von Gott ge« 
*anbten Bringer bes Bimmelreid)s 3U behümmern, bot 
d)on in ber Urgemeinbe niemanb für moglid) gebalten. 
Den Glauben „an ein Dogma** bot alfo heinenfalls erft 
Paulus 3U ber Grunbbebingung für ben Beilserwerb er» 
boben; bagegen b^t er bas Seinige getan, um fold)en 
Glauben vor bem, vielleid)t gan3 ftumpffinnigen. Gelten* 
laffen gewiffer gefd)id)tlid)er t;atfad)en unb ibrer bog* 
matifd)en Deutung 3U bewabren unb ibn tief unten 3U 
grünben im innerften religiofen erleben. 



c 



i 



Inbem er bie Recl)tfertigung öes Sünbers als un- 
mittelbare folge feines Cläubigwerbens erfaßte, unb 
wieber als folge ber Rechtfertigung bie (Ditteilung aller 
Qbrigen Cnabengüter Gottes als felbftverftänblid) annal)m 
- benn wie honnte 6ott einem (Denfcl)en, ber genau fo 
befd)affen ift wie 6ott il)n b^ben will, etwas vorent* 
l)alten? -, l)at Paulus einen unfehlbaren 3ufammem 
l)ang 3wifd)en menfcl)lid)em Glauben unb göttlid)er Cnabe 
gefd)affen. Das ift in feiner Spracl)e bie form von Beils* 
gewifeb^it» öie bei jfefus ben Ausbruch: Bittet, fo wirb 
eud) gegeben, bekommt. Unb bem Dünhel ber eig« 
nen Verbienfte, ber bie pl)arifäifc})e Religion fo I)ä6* 
lid) verunsiert, war burd) bie Rec})tfertigungstl)eorie bes 
Daulus ber Boben abgegraben. So l)at Paulus bxxxd) 
eine wenn aucJ) nod) fo hünftlicl)e Ronftruhtion 3wei ber 
ür bas Wirhen Jefu bebeutungsvollften Befi^ümer einer 
neuen Religion vor bem Verlorengeben gerettet. 

Gegen bie Hicbtgläubigen ftellt bie Red)tfertigungs« 
ibee bes Paulus vielleicbt eine bobenlofe Ungerecbtigheit 
bar; benn bie Sä^e: „aufeerbalb ber Rircbe hein Beil* 
unb »bie t^ugenben ber Beiben finb nur glän3enbe Cafter", 
finb Scblufefolgerungen aus ibr. Aber von ber Rircbe, 
bie um ibre exiften3, bie für ibren Beilanb hämpft, hann 
man bie volle Unbefangenbeit bes Urteils über bie Seinbe 
nicbt wobl verlangen; unb Paulus bot weber bie Rircbe 
gegrünbet nocb ben Rampf ent3Ünbet, er bot beibes fd)on 
vorgefunben. Es war genug, wenn er eine form fd)uf, 
um innerbalb ber neuen Rircbe bie Cleicbwertigheit ber 
fittlicben Intereffen mit ben religiöfen burcb3ufefeen, b. b« 
ben Safe in Geltung 3U erbalten: Du hannft nicbt fromm 
fein obne gut 3U fein, nicbt gut obne Gottes Önabe. 
Dafe ibm bas mit feiner Recbtfertigungslebre nid)t auf 
bie Dauer gelang, lag baran, bag fein Glaubensbegriff 
viel 3U bocb gefpannt war für ben Glauben ber grofeen 
(Daffe: fenhte ficb nun bie eine Scbale ber Wage, ber 
Glaube, fo mufete aucb bie anbre, bie Recbtfertigung, eine 
Entwertung erleiben, fie würbe 3U einer flnwartfcbaft auf 
Gerecbtigheit, ober man fügte bem Gleicbgewid)t 3ulieb 
auf ber erften Scbale nocb gute Werhe bin3u. Unb in 
beiben Sällen b^t ber jübifcbe Geift feine Beimatsrecbte 

24 



3urücherobert in 5er wi5erjübifd)en Religionsgemeinbe. 
Denn nun begann bas flbred)nen mit Gott von neuem, 
bie Vergleid)ung ber eignen Ceiftungen unb Col)nanfprüd)e 
mit benen bes Brubers; bas war eine ebenfo fd)were 
flbfage an ]efus wie an Paulus. 

Aber wir fteben hiermit nod) nid)t einmal in ber 
(Ditte ber Cinie, auf weld)er Paulus fid) gän3licl) in einer 
bem gefd)icl)tlid)en ]efus entgegengefefeten Rid)tung 3u be* 
wegen fd)eint. Die Entfernung hann nirgenbs weiter fein, 
als in feiner Cl)riftus* unb Crlöfungslebre. Paulus bat 
felber als bas fl unb O feines Cvangeliums bas Wort 
vom Rreu3 be3eid)net; ber Zob Cl)rifti ift für il)n bie ßeils« 
tat obne gleicl)en, natürlid) fein Zob nur als Vorausfefeung 
für feine fluferftel)ung. Die am britten Zage erfolgte 
fluferftel)ung ]efu 1)^^^ ^ö^ öen, ber burd) ben Glauben 
\\)xex gewife geworben ift, bie Wirkung, jenen Verbrecl)er* 
tob als ben Zob eines Unfd)ulbigen 3U erweifen. ]ebod) 
nid)t blofe eines Unfd)ulbigen im gewöl)nlicl)en Sinn ; 6ott 
l)ätte einen fold)en nid)t fterben laffen, wenn fein Zob nicl)t 
eine Dotwenbigheit, eine unentbel)rlid)e Sörberung ber 
Plane Gottes bebeutete. Paulus l)at bie Cofung burd) 
ein Weiterfpinnen bes Sabens nad) vom unb rüAwörts 
gefunben: Es war ber (Deffias, ber am Rreu3 geftorben 
ift, einft ein l)immlifd)es Wefen, ber Sol)n Gottes. Diefer 
bat fid), einem Befehl Gottes gel)ord)enb, auf bie Erbe 
berabbegeben, l)at als ein (Denfd) wie wir unfer Wefen, 
bas feit flbams Sali Sünbenfleifd) ift, angenommen. Hur 
gewann über il)n bie Sünbe heine Gewalt; er braud)te 
alfo von Red)ts wegen nid)t 3U fterben, weil ber Zob 
blofe Strafe für bie Sünbe ift. Gleid)woi)l l)Qt man x\)n 
ans Rreu3 gefd)lagen; eine gren3enlofe Sd)ulb, bie bie 
Sünbe bamit auf fid) labt, unb bie Gott bas Red)t gibt, 
nun aud) an ber Sünbe unb \\)xen Spieggefellen bas 
t;obesurteil 3U vollftre*en. Weit wid)tiger inbes als 
biefe Vorbereitung ber legten Rad)e an ben bofen Ge* 
walten, bie in unfrer irbifd)en Welt feit flbam fid) wie 
Berren im Baufe geberben, ift bie l)eilfame Wirkung bes 
t;obes Cbrifti für einen Zeil ber flDenfd)en. Da nun 3um 
erftenmal ein (Denfd) gered)t unb rein geblieben ift bis 
ans £nbe, ift ber Rriegs3uftanb, ber bis bal)in 3wifd)en 



6ott unb ber flDenfcl)l)eit beftanb, aufgehoben; 6ott barf 
wieber Sreube an feinen 6efd)öpfen l)Qben; burd) bas 
unfd)ulbig vergojfene Blut C\)x\\\\ finb alle Sorberungen 
feines gered)ten 3orne6 erfüllt - was Cl)riftus geleiftet 
l)Qt, red)net 6ott ausbrüchUd) ber (Denfd)l)eit im gansen 
an als von \\)x getragene Strafe: feitbem ift für uns 
(Denfcl)en bie Dotwenbigheit 3U fterben befeitigt. Der 
Sol)n Gottes wirb aus bem Grabe in ben Bimmel 3U- 
rückverfe^; es ftel)t nid)ts im Wege, bafe wir anbern 
il)m bortl)in folgen. Wenn 6ott uns nod) eine Weile 
l)ienieben warten läfet, fo tut er es, um bie nötige 3eit 
für (Ditteilung ber f5eilsbotfd)aft an alle Völher 3U ge* 
winnen. Denn \\)xe von Sünbe unb Cob erlofenbe Wir- 
kung hann bas Sterben unb fluferftel)en Cl)rifti nur bei 
benen üben, bie burd) ben Glauben fid) mit \\)m ver» 
einigen, gleid)fam mit \\)m 3U einer Perfon 3ufammen= 
wad)fen, fobafe fein Wefen, feine taten unb Ceiben, feine 
Berrlid)heit auf fie übergeben : fie alle Gottes Söl)ne, fie 
alle gehreu3igt, fie alle auferftanben, fie alle lebenb im 
Geift, unb ber £nblid)heit ber bisherigen Welt entl)oben 
- grunbfäfelid) fd)on beut, aber, wie gefagt, foll um ber 
Ausbreitung bes Evangeliums willen bie Vollenbung nod) 
etwas l)inausgefd)oben werben. Die naturbafte Vereini- 
gung bes Gläubigen mit bem auferftanbenen Cl)riftus 
wirb burd) fahramentale Banblungen wie Caufe unb 
flbenbmal)l verfiegelt ober erneuert unb gefteigert: jeben= 
falls füllen wir Glaubigen uns tro^ aller Ceibesnot, in 
ber wir fd)weben mögen, als neue <Denfd)en, als Bürger 
ber oberen Welt, losgelöft aus bem entfefelid)en 3u* 
fammenl)ange mit bem (Dann bes Slud)es, flbam, ftatt 
beffen mit Cl)riftus nod) viel inniger verbunben als es 
ebebem je ein (Denfd) mit flbam war, wefenseins mit 
bem Sobne Gottes. 

Wenn wir fo bie 3erftreuten Gebanhen bes Paulus 
über feinen Cbriftus unb beffen Werh in ein Bünbel 3U- 
fammenfd)nüren, leud)tet bie Unmöglid)heit, fie aus bem 
Evangelium ]efu absuleiten ober aud) blofe in freunbfd)aft* 
lid)e Be3iebung 3U ibm 3U fefeen, obne weiteres ein. Wrebe 
benht fid) ben Gegenfa^ 3wifcben ]efus unb Paulus fo* 
gar nod) gröfeer. Cr betont bie vormenfd)lid)e Periobe 

26 



im Ceben bes 6ottesfol)nes ftärker, er besiegt felbft 
Worte wie 2. Ror. 5, 21 „ber von Sünbe nid)ts gewußt 
bat", auf ben vorirbifd)en Cljriftuö, will \\)n von ber all* 
gemeinen Sfinbt)aftigheit, von bem Slud) bes Gefe^es 
nid)t ausnehmen, weil er bod) in „Sünbenfleifd)" ge* 
kommen feu Sleifd) unb Ceiblid)keit fe^ Wrebe bei Paulus 
gleid), obgleid) bas burd) Rom. 8, 8 unbebingt ausge« 
fd)loffen ift ; unb um bie V o 1 1 e n b u n g ber Welterlöfung 
burd) Cljrifti Cob unb fluferfteljen unb bie flusfd) liefe* 
u n g jeber (Mitwirkung bes einseinen flOenfdjen an feinem 
Beil, wie fie Paulus im öegenfa^ 3U ]efus leljre, in 
einer einf ad)en Sormel 3uf ammensuf äff en , legt er \\)m 
fogar ben gefäl)rlid)en Sa^ in ben flOunb: Was Cbri« 
ftus gefd)el)en ift, ift allen fl[)enfd)en gefd)el)en. 
flls gäbe es gar keinen Unterfd)ieb 3wifd)en Gläubigen 
unb Ungläubigen! Rls t)ätte Paulus jene 3wei Klaffen 
von fl[)enfd)en (oben S. 23) vollftänbig vergeffen ober 
liefee blofe bie 3eit - vor ober nad) Cbriftus, ftatt ölau* 
bens ober Unglaubens — 3wifd)en iljnen bie Sd)ranke 
bilben! flls braud)te man blo§ nad) Cljrifti Z6Ö als 
(Denfd) geboren 3U werben, um ber Erlöfung fid)er 3U 
fein! flls wäre es nid)t „allein ber Glaube", ber 
auf geheimnisvolle Weife Säben von bem erl)öl)ten Bei* 
lanb 3U feinen irbifd)en Brübern hinauf* unb herunter* 
fpinnt, um eine Einheit bes Bewufetfeins, ber Seele, 3U* 
le^ fogar bes Ceibes 3wifd)en uns unb bem 6ottesfol)n 
l)ervor3U3aubern ! 

Aber felbft wenn wir ftillfd)weigenb einige ftarke 
Übertreibungen von Wrebe ausfd)alten, erfd)eint bie 
„Cl)riftusmYtl)ologie" bes Paulus wie eine rü*fid)tslofe 
Vergewaltigung bes in feiner einfad)l)eit fo großen ]efus* 
bilbes, bas wir aus ben Evangelien gewonnen Ijaben. 
]efus felber l)at nie von feiner vorirbifd)en e;ciften3 ge* 
fprod)en, nie von einer Rned)tsgeftalt , bie er tragen 
muffe, nie von einer ftellvertretenben Wirkfamkeit, bie 
er mit feinem Opfertob üben wolle. Die Vergebung ber 
SOnben verseifet er von Sali 3U Sali, unb kein öebanke 
liegt \\)m ferner als ber, bafe es vor feinem Auftreten 
überhaupt keinen 6ered)ten, bes Beils fid)eren (T)enfd)en 
gegeben Ijabe. fllfo von ]efus rüljrt nid)t ein einsiges 



6Ueb QU9 Mefer wunberfamen Rette ber pauUnifdjen 
CI)riftu9tl)eologte \)ex. l\)x Urfprung im Ropf bes Paulus 
ift über jeben 3weifel ergaben. Ift fte ober besbalb ben 
Cbriften ber Urgemeinbe, tnsbefonbere benjenigen in il)rer 
flOitte, bie ben Berm nod) mit il)ren Augen gefd)Qut 
botten, aud) fo abfd)reAenb frembartig erfcl)ienen? Wir 
erfal)ren nid)ts von einem Proteft onberer Cl)riften gegen 
bas paulinifd)e C I) r i ft u s b i l b. RUenf alls könnte 2. Ron 
5, 16 fo gebeutet werben: „Wir kennen niemanb mel)r 
bcm Sleifd)e nad). Selbft von Cl)riftu9 gilt bas: wenn 
wir H)n einft bem Sleifd)e nad) gekannt l)aben, fo kennen 
wir ii)n bod) je^ nid)t meljr fo". Aber ber 3ufammen* 
l)ang ergibt, bog Paulus bort feine Ruffaffung von ber 
neuen « Erkenntnis Cljrifti" als allgemein 3ugeftanben an* 
nimmt; er beruft fid) auf bies 3ugeft5nbnis, um bie Sol* 
gerung burd)3ufe^en , bog aud) unter ben Olaubigen 
äl)nlid)es Vergeffen von all bem, was fie vorder waren, 
aller Unterfd)iebe bes Ranges, bes Stanbes, ber Ver« 
bienfte, ber Beliebtijeit , l)errfd)en muffe: gegen ben 
Vorwurf, er mafee fid) an über Cl)riftus 3U reben, ob« 
gleid) er \\)n nie kennen gelernt l)abe, braud)t er fid) 
nid)t 3U verteibigen. Dafe felbft bie „Salfd)brfiber*, bie 
ben Paulus aus anbern Grünben l)a^en, nid)t wagten, 
fein aus einer Offenbarung ]efu Cl)rifti (6al. 1,12) ftam« 
menbes Wiffen von Cl)riftus als minberwertig gegenüber 
bem ber Urapoftel i)in3ufteUen, bog voUenbs bie Urapoftel 
felber rü*l)altlos (6al. 2, 7) fid) biefer für fie bod) gan3 
unkontrollierbaren „Offenbarung" unterwarfen, ift ebenfo 
fid)er wie für bie Srömmigkeit jener 3eit be3eid)nenb. 
Cöfen wir aber bie Cl)riftuslel)re bes Paulus in il)re 
ein3elnen Beftanbteile auf, fo wirb uns bie entweber 
freubig 3uftimmenbe ober bod) nid)t abwel)renbe ioaltung 
ber Urgemeinbe 3U biefer neuen Cl)riftustbeologie kaum 
nod) überrafd)en. (Dan barf babei allerbings nid)t wie 
Wrebe bas an bie Spi^e ftellen, was in einem 3ufammen« 
faffenben Überbli* über bie von Paulus konftruierte 6e« 
fd)id)te bes 6ottesfol)nes an bie Spi^e gehört, fonbem 
bas, was für Paulus ben Rusgangspunkt feiner Cl)riftus« 
fpekulation gebilbet l)at. Diefer Rusgangspunkt war ber 
auferftanbene (Dann von Golgatha. Wir erfahren nidjt 

2S 



näl)er, was Paulus in ber entfcl)eibenben Vifion bei Da^ 
maskus gehört unb gefeljen Y)at Seft ftel)t aber, bafe 
il)m bamals nid)t ein Vortrag über bie Epocljen im Ceben 
bes 6ottesfol)nes unb iljre Bebeutung für unfer Beil ge« 
Ijalten worben ift, fonbem bafe burd) bie Erfdjeinung b a s 
eine \\)m 3ur unerfd)ütterlid) fid)eren Uberseugung ge* 
worben ift: ber ]efus, ben bu als gekreusigten Betrüger 
verfolgt Ijaft, lebt; benn Gott \)at \\)n auf erweckt, in ben 
ioimmel erl)51)t, ja il)n 3um Berrn eingefe^t über alle, bie 
im Bimmel unb auf Erben unb unter ber Erbe finb 
(Pbil. 2, 10 f.), 3um machtvollen 6ottesfol)n (Rom. 1,4)! 
Wenn biefer Jefus, ben bu als l)immUfcl)en Berrn gefd)aut 
l)aft, fid) feinen Jüngern als Cljriftus * (Deffias geoffen« 
bart l)atte, fo ift bas nun burd) feine Verl)errlid)ung 
als Wal)rl)eit erwiefen: ber Berr ]efus Cljriftus 
ift eine Wirklid)keit. nid)ts im gansen Ceben bes Paulus 
l)at fo tiefen Einbruch auf \\)n gemad)t, wie jene Stunbe : 
fie l)at \\)n verwanbelt, aus einem Seinbe bes öekreusig« 
ten in ben^ ber keinen \)o\)exen Ruljm bannte, als 
„Cljrifti Sklave" 3U Ijeifeen. Paulus würbe kein (Denfd) 
feiner 3eit gewefen fein, wenn er nun in kritifd)em Ver- 
faljren bie Uebereinftimmung 3wifd)en bem Cl)riftus, ber 
ibm erfd)ienen war, unb bem ]efus, von bem bie flpoftel 
er3äl)lten, l)ätte Ijerftellen wollen: für \\)n war ber Berr 
Cljriftus bas Sunbament feiner Religion, bas Oewiffefte 
in ber Welt, was er kannte. 

nun, ]efus f eiber Ijatte feinerseit ben Berrn wenig 
herausgekehrt; bie Jünger, bie er in feine nad)folge 
berief, Ijatten nid)t feine, fonbern aller Ceute Diener fein 
follen ((bk, 10, 44); er batte nid)t fid) bie Sunktionen bes 
Weltrid)ters 3ugefprocl)en, fonbern es ausbrücklid) (ODk. 
10, 37. 40) abgelehnt, bie ei)renpläöe im Bimmelreid), »in 
feiner Berrlid)keit , aus eigner (bacl)t 3U verteilen. Selbft 
bie 6ren3en feines Wiffens l)atte er ODk. 1 3, 32 nicl)t ver» 
leugnet, bie Be3eicl)nung „gut" als allein Gott gebül)renb 
CDk. 10, 18 für fic^ abgelebnt. Aber ]efu Jünger nad) 
feinem Cobe? Was \)aiie fie bamals wieber aufgerichtet, 
was anbers fie tro^ ber Hieberlage fo ftark unb freubig 
gemad)t als bie 3uverfid)t, bafe ibr flOeifter burd) ben 
Zob in bie verbiente Berrlid)keit eingegangen fei, um 



öort bie Vorbereitungen für ble Cnbvollenbung 3U treffen ? 
Wem anbers als ii)nen verbanhte bie Pbontafie bes 
Paulus bie Stoffe, aus benen in feiner Seele bie Riefen« 
geftalt bes F5immelsmenfcl)en erwad)fen honnte? Wir be* 
fiften ja einen unverbäd)tigen 3eugen für bas Cljriftus* 
bilb ber bem Paulus el)er abgeneigten Urgemeinbe, bas 
OOattbausevangelium. Wenn bort (Dt. 28, 18 ber Auf* 
erftanbene von feinen Jüngern flbfd)ieb nimmt mit bem 
Wort: „(Dir ift gegeben alle Gewalt im Bimmel unb 
auf erben", nacl)bem er fd)on (Dt. 3, 17 als Gottes ge« 
liebter Sol)n verhünbet worben war unb mitten 5wifd}en 
ber Caufe unb ber le^en flnfprad)e an bie Seinigen 
il)nen (Dt. 11,27 anvertraut b^tte, bafe il)m fein Vater 
alles übergeben l)abe - was ift bas anbers als bas 
Bekenntnis bes Paulus 3U bem allmad)tigen Gottesfoi)n ? 
In ber Verteibigung ber (Deffiaswürbe, ber Davibs* 
fol)nfci)aft, ber Sel)llofigheit ]efu waren bie Jerufalemiten 
mit Paulus ol)nel)in einig. Den Beweis bafür führten 
fie lieber mit Erinnerungen aus feinem Ceben, mit Cr* 
3äl)lungen von feinen 3eid)en unb Wunbem, von feiner 
(Dad)t Sünben 3U vergeben, Dämonen 3U vertreiben unb 
ßranhe 3U l)eilen, von ben hlaren Weisfagungen, in 
benen er feine, wie ber Welt enbfci)iAfale vorausgefagt, 
wäljrenb Paulus, ber aus ]efu irbifd)em Ceben nid)ts als 
flugen3euge wufete, ben Hadjweis bevor3ugte, bafe in 
]efus Cbriftus bas meffianifd)e Bilb ber Propheten le* 
benbig geworben fei unb bog fein Werk allein einen 
wabrbaft göttlid)en Beilsplan entijülle. Aber wo wir el)er 
ben Wiberfprud) empfinben, empfanben bamals fd)on 
Viele willkommene Ergänsung. flud) Paulus l)at bas 
irbifd)e Ceben ]efu nid)t für fo gleid)gültig wie bas eines 
beliebigen anbern (Denfd)en erad)tet; es ift il)m bas 
Ceben bes verl)ei6enen Davibsfoljnes, bas Ceben eines 
Sünblofen mitten in ber von ber Sünbe bel)errfd)ten 
Welt, ein für uns Alle in jebem StüA vorbilblid)es Ceben; 
unb bie Befugnis, als Berr feinen Dienern unb GI5u* 
bigen unbebingt verpflid)tenbe Befeljle 3U erteilen, \)at 
aud) il)m ]efus fd)on vor Cob unb fluferftel)ung befeffen 
(1. Ror. 11, 23 ff.). Das Ceben ]efu auf Crben ift ibm ein 
gerabe fo unentbel)rlid)es Stück ber Beilsgefd)id)te wie 

30 



fein Ceben in voller Berrlid)heit : ben öeljorfam bes 
Sobnes Oottes, ber fein gefamtes Crbenbafein umfaßt, 
fcl)ränht Wrebe gans willhürlid) immer blofe auf bie - bod) 
weit auseinanber Uegenben - flhte ber fl[)enfcl)werbung 
unb ber Selbftbingabe am Rreu3 ein. Wenn bie Pa« 
rallele 3wifd)en bem erften flbam unb bem jweiten 
(R5m. 5, 1 2 ff.) nid)t blofee Spiegelfechterei fein foll, fo 
bat Paulus bem „flOenfcben jefus** gerabe fo 3eit unb 
öelegenbeit 3uerkannt, fid) frei für Gut ober Böfe, für 
„Sollen ober öerecbtfein** ju entfcbeiben, wie flbam fie 
gebabt b^*« i" öem Rabmen von Rom. 5, 15. 18. 19 läfet 
er pia^ frei für ben gefamten Inbalt ber Cvangelien* 
gefd)icbte. Denn: allerbings b^* Paulus weiter 3urüA* 
gebacbt, als es in ben brei Evangelien gefcbiebt. Ibm 
war bie Vorftellung, bafe ber Sobn Gottes erft irgenb ein* 
mal in ber 3eit entftanben fein follte, unerträglid) ; fein 
in altteftamentUcber Ersiebung allem Beroenkultus tief ab* 
geneigtes Empfinben konnte fid) nid)t mit einem vergött* 
lid)ten Davibiben als Crlöfer unb Berrn berubigen: bie 
Ibee ber Präe^ciftens Cbrifti (am beutlid)ften Pb». 2, 5 ff. 
ausgefprod)en) bätte fid) bei ibm einftellen muffen, aud) 
wenn er nid)t fd)on als ]ube von einem vorirbifd)en Da* 
fein bes (Deffias geträumt i)&tte. 

nun, auf biefe flusgeftaltung ber Cbriftuslebre b^tte 
]efus feine Jünger gang gewife am wenigften vorbereitet, 
aber flnftofe nabmen fie beswegen nid)t etwa an ibr. 
Alles was ba3u beitrug, bie öröfee bes Berrn 3U fteigem, 
batte nad) ibrem Gefübl ein Dafeinsred)t in ber öemeinbe. 
Srieblid) vertrugen fid) bie verfd)iebenften Verfud)e, bie 
Verbinbung bes 6öttlid)en mit bem fl[)enfd)en in ]efus 3u 
erklären: nad) ben Einen b^tte fid) bei ber Caufe ]efu ber 
öeift aus ber Böbe auf ibn gefenkt unb ibn bamit 3um 
(Deffias auserkoren; flnbere 3ogen vor, burd) eine wunber* 
bare Oeburt ibm vom erften Cebenstage an übermenfd)* 
lid)e Würbe 3U fid)ern. Der Cvangelift, ber ]efus ausrufen 
läfet : niemanb kennt ben Sobn als ber Vater unb wieber* 
um kennt niemanb ben Vater als ber Sobn ((T)t. 11, 27; 
vgl. Ck. 10, 22), fe^t bei ibm bod) aud) ein aus einer an* 
bern Welt unb 3eit ftammenbes Bewufetfein voraus. Unb 
wenn uns bie paulinifd)e Vorftellung eines öottesfobnes, 

•VN. 



5er nad) einem reid)en vieltaufen5)äl)ttgen Wirken bei 
ber Weltfd)5pfung unb bei ber f3eilser3tei)ung bes Volkes 
Israel nun plö^lid) als gewöi)nlid)er (Denfd) geboren wirb, 
„mYtbifd)" anmutet, fo bürfen wir nid)t vergeffen, bafe bie im 
Altertum weit verbreitete Cebre von ber Seelenwanbe* 
rung jener Ibee bes Paulus ftarhen Vorfd)ub leiftete: 
wenn id) fd)on un3äl)lige CDale (Denfd) gewefen bin 
obne mid) baran erinnern 3U können, warum foll nid)t 
]efus ]al)rl)unberte lang als öottesfobn im ßimmel ge* 
lebt boben, ol)ne bafe baburd) in fein menfd)lid)es Be* 
wufetfein frembartige 3üge gelangten? 

Die Bebeutung ber vormenfd)lid)en C^ciftensweife 
Cbrifti für bie i5eilslei)re bes Paulus ift keine wefent« 
lic^e. Paulus ift fid) barüber vollkommen klar gewefen 
- verfäl)rt aud) genau bemgemöfe -- , bafe erft mit feiner 
fl[)enfd)werbung ber öottesfobn begonnen bat» im befon* 
beren Sinne für unfer Beil 3U arbeiten; als unfer Berr 
verebrt 3U werben b^t er erft von bem Rugenblid^ an 
geforbert, wo er burd) feine Selbftemiebrigung, fein Ster* 
ben unb fluferfteben uns von Sünbe unb Z6Ö loskaufte. 
Unb bas b^tte ibm Petrus nimmermebr beftritten; (Dei* 
nungsverfd)iebenbeiten aber über gelegentlid)es eingreifen 
bes öottesfobns fd)on in bie altteftamentlid)e 6efd)id)te 
(vgl. 3. B. 1 Ror. 1 0, 4) bitten nid)t einmal eine ernfte 
Debatte, gefd)weige eine Trennung b^rbeigefübrt. 

6an3 ebenfo wie in bem Urteil Ober bie Perfon bes 
Beilanbs war bie Urgemeinbe einverftanben mit Paulus 
in ber ein3igartig b^b^^ Bewertung feines Beilswerkes, 
b. b* öc^ Beilsbebeutung feines Cobes. Wenn ber all* 
mäcbtige Gott feinen Sobn, ben (Deffias \)atte fterben 
laffen, um ibn wenige Cage fpäter wieber auf3UweAen, 
fo mufefte biefer Zob eine unentbebrlid)e Pbafe in ber 
6efd)id)te ber göttlid)en Beilsveranftaltung fein, eine 
anbere Crklörung als bie (Dk. 10, 45 gegebene „Cöfegelb 
für Viele** war aber nid)t leid)t 3U finben: baburd) würbe 
bem Berrn bas flnred)t auf ben erlSfernamen, feinen 
Getreuen bie Vergebung ibrer Sünben um feinetwillen 
gewäbrleiftet, unb fiegesgewiffen Ber3ens burften fie ber 
Stunbe entgegenbarren, wo feine Wieberkebr nun aud) 
„bas Reid) Gottes in (T)ad)t** entbüllen würbe. Den Ge» 

32 



nufe biefes Segens von feinem Opfertob foHen natürlid) 
nid)t blofe bie Ijaben, ble bei Ceb3eiten fd)on \\)m an* 
l)ingen, fonbem alle, bie fid) 3U il)m rufen laffen, folange 
es nod) 3eit ift, b. I). alle, bie an il)n, ben für unfre 
Sünbe öeftorbenen, glauben würben: fie alle finb wie 
burd) feinen Zob vor bem Cobe als ber verbienten Strafe 
\\)vex Sünben gefd)ü^t, fo burd) feine fluferftel)ung beffen 
gewife, ba^ er fie aud) in 3uhunft nid)t im Stid) laffen 
wirb, nSielje id) bin bei eud) alle Zage bis an ber 
Welt enbe**, bies Wort, mit bem ber erfte evangelift 
]efus von feinen Jüngern flbfd)ieb nehmen lafet, ift ber 
einfad)fte flusbru* für bie Unaufloslid)keit ber Cebens* 
gemeinfd)aft 3wifd)en bem auferftanbenen öottesfobn unb 
ben auf feinen Hamen getauften (T)enfd)en: bosfelbe 
fagte Paulus, wenn er über unfer „mit Cl)riftus geftorben 
unb auferftanben fein", „in il)m, im öeifte leben** 
jubelte, unb wenn er bie red)tfertigenbe, verfobnenbe, er« 
lofenbe Rraft bes Blutes Cljrifti befd)rieb. Über bie 6e« 
fal)r einer Vermifd)ung von naturl)aftem unb fittlid)em 
Wirken ber Beilstatfad)en bei Paulus unb über bie 6e= 
fal)r einer Verbrängung ber perfönlid)heit ]efu burd) fein 
Ibealbilb von Cl)riftus, bas alle kräftigen 3üge nur aus 
ber pi)antafie be3og, bot man fid) in ben Rreifen ber 
3w5lfe ben Ropf nid)t 3erbrod)en. Wer mit ]efus auf Er« 
ben gewanbelt war, ber l)ätte fo ver3üAte, alle Wirhlid)- 
heit überfteigenbe Wenbungen nie felber aufgebrad)t wie 
bei Paulus (Rom, 7, 4) „Ibr fejb burd) ben Ceib Cl)rifti 
für bas 6efe^ getötet worben** ober (Rom. 6, 5) „Wir 
finb l)i'iö{'i9öwad)fen in feinen Cob** ober (2. Ror. 5, 14) 
„einer ift für fie alle geftorben, alfo finb fie alle geftorben**: 
aber ba man banhbar fein mufete für jebes Bilb unb 
jebe Sormel, bie ba3U \)aliy bas fl[)effiashreu3 aus einem 
Ärgernis in Rraft unb Weisheit 3U verwanbeln, fo liefe 
man fid) gern felbft von bem früheren Verfolger mit bin* 
reiben 3U einem bemütig=ftol3en: „Wer in Cbriftus ift, ber 
ift neue Sd)5pfung** (2. Ror. 5, 17) unb: „Was in mir 
je^t lebt, bas bin nid)t id) felber, fonbem Cbriftus lebt 
in mir** (6al. 2, 20). 

Unb vollenbs, wenn Paulus bas fluge in bie Böbe . 
rid)tete unb fid) anfd)i*te, bie Wege 3U beuten, bie Gott 

J fi 1 i d) e r , Paulus unb Jefus. 



nod) bis 3um Weltenöe wan&eln will, öas Cingeljen 
ber Sülle ber Beiben in bie Gemeinbe, barnad) bie Cr» 
tettung von gan3 Israel unb bann bie Berrlidjkeit , fo 
wärmten fid) bie von ber Hot ber Gegenwart nieberge* 
brfid^ten Brüber voll Sreube in folcl)er Sonnenglut: fie 
fragten nid)t: Warum? unb: Wie kann bas gefd)el)en? 
€\)eT f lüfterte einer : Rebet ber Paulus nid)t aud) wie je« 
manb ber fl[)ad)t b^t unb nid)t wie bie Sd)riftgelel)rten? 
Wir l)aben bie Bauptpunhte ber ü)eologie bes pau« 
lus l)ier burd)gefprod)en unb immer gefragt, wie fid) bie 
Urgemeinbe, bie alten Jünger ]efu 3U ber neuen Cel)re 
ftellten. Den Einwanb, es b^inble fid) ja nid)t um Pau* 
lus unb Petrus, fonbem um Paulus unb ]efus, fürd)te 
id) nid)t; benn wo bie Sxage geftellt ift, ob Paulus bie 
entftebenbe Religion entfd)eibenb umgewanbelt l)at, ba 
wirb man vorfid)tigerweife 3uerft bas Urteil berer l)ören, 
bie aus ber 3eit bes vorpaulinifd)en Cl)riftentum8 
ftammten unb, wie allbekannt, ge3wungen würben, 
fid) mit Paulus auseinanber3ufe^en. War \\)xe Stellung 
3U il)m eine überwiegenb freunblid)e, fo kann er \\)x in 
ber Sd)ule ]efu gebilbetes religiöfes Cmpfinben nid)t grob* 
lid) verlebt b^ben: unb wenn bei unbefangener Verglei» 
d)ung feiner Religionslebre mit ben Cvangelien ]efu fid) 
ftarke Unterfd)iebe in Sülle offenbaren, fo finb biefe bie 
Solge einer gefd)id)tlid)en Wenbung, für bie nid)t Paulus 
verantwortlid) fein kann, ba fie bie Urapoftel bod) fo 
unbebenklid) mitgemad)t l)aben. So ifts in ber Zai: in 
bem Punkte, wo Paulus unb bie Jerufalemiten fid) nid)t 
verftanben, in ber Baltung 3um jübifd)en öefe^ unb in 
ber gro63Ügigen Hieberreifeung aller nationaUjübifd)en 
Sd)ranken l)at Paulus ben 6 e i ft ] e f u für fid), unb bie 
Gegenpartei verbiente wieber einmal bie wehmütige ßlage 
bes flOeifters : So unverftänbig feib aud) \\)x ? (flOk. 7, 1 8). 
Wo aber Paulus gan3 neue Wege einfd)lägt, Wege, bie 
von bem Evangelium ]efu burd) einen breiten Graben 
getrennt finb, wie in ber Genugtuungs«, Crlöfungs« unb 
Cbtiftus'Cebre, ba b^t er bie Urgemeinbe für fid): 
er vertritt barin blofe bas neue grofee Intereffe ber d)riftus« 
gläubigen Gemeinbe gegen bie, bie ]efu Beil stob wie 
feine fluferftel)ung beftritten. Der Z6Ö ]efu b^tte eben 

S4 



neue Aufgaben geftellt, bie mit neuen (Ditteln gelöft fein 
wollten : Paulus b^^t, was bie anbern gegen ben jubifd)en 
Bobn mül)fam verteibigten, 3ur Bauptwaffe im Angriff 
gegen bie Religion ber Seinbe gewählt, unb baburd) be« 
wiefen, bafe er ber Situation gewad)fen war. Im örunbe 
l)at er nur gefunben, was in biefer Situation allein \)eU 
fen konnte, eine einleud)tenb begrünbete Erhebung bes 
(Deffiastobes jum Böbepunkt ber Beilsgefd)id)te, allen 
Glaubensgenoffen von bamals \e\)x 3U Danh! 

Wenn fonad) bie Rluft 3wifd)en Paulus unb bem 
vorpaulinifcl)en C^riftentum fid) aufeerorbentlid) verflad)t 
unb wir teils ]efus, teils bie Urapoftel ibm über ben 
Oraben l)in bie Banb reichen fel)en, fo barf uns bies 
Ergebnis bod) nod) nid)t genügen: benn es ift bisber 
blofe für bie Cebre Pauli eine gewiffe Red)tfertigung ersielt, 
feine Ortboboxie im Sinne ber Urkird)e ift gefd)uöt. flOufe 
Paulus benn überall nur gefd)ü^ unb entfd)ulbigt werben? 

IL Rapitel. Die Übereinftimmung 3wifd)en 

Paulus unb ]efus. 

Wrebe will wobl einen grofeen gemeinfamen Unter» 
grunb für ]efus unb Paulus 3ugeben; auf biefem Untere 
grunbe aber, von beffen öröfee ber Cefer red)t wenig 
hräftige CinbrüAe empfängt, foll burd)aus bas Heue bei 
Paulus überwiegen. „Paulus ftebt von ]efus viel weiter 
ab als ]efus felbft von ben ebelften öeftaltungen jübifd)er 
Srömmigheit*. 

Vergebens b^be id) mid) nad) einer Geftaltung jü« 
bifd)er Frömmigkeit umgefeben, bie bies für Paulus ver» 
nid)tenbe Urteil beftätigen könnte. nid)t vergebens nad) 
ein3elnen betrlid)en Worten unb tiefen öebanken: aber 
nad) einer „Geftaltung" jübifd)er Srömmigkeit, bie 
fo geiftesverwanbt mit ]efus erfd)iene wie bie paulinifd)e. 
Wer nid)t an Paulus fd)on berantritt mit bem beüigen 
3orn über ben bogmatifierenben Verfälfd)er bes Evange« 
liums ]efu, wer es vielmebr fertig bringt, über alle „tbeo* 
logifd)en" flbfd)nitte ober einfd)läge in feinen Briefen 
einmal b^^^^^QS^l^fen, wirb von einem Oegenfa^ ber 

VW *3& 



Srömmighelt 3wifd)en Paulus unb ]efus überbaupt kaum 
etwas wal)mel)men. Cs gilt l)ier ben 6runbfel)ler in 
Wrebes Verfahren 3U erkennen, aud) gerabe um ibm 
wieber nid)t Unred)t 3U tun. Wenn er bie Srömmigheit 
]efu mit ber bes Verfaffers von Jefaia 40 ff, auf ber 
einen, mit ber bes Paulus auf ber anbem Seite ver« 
gleid)t, fo wirb gan3 gewife bei ber flbred)nung bie 
Summe von öebanhen, bie Paulus allein vertritt, bie 
größte fein, um vieles gröfeer als bie Summe beffen, 
was Paulus unb ]efus im Unterfd)ieb von bem Propre* 
ten gemeinfam I)aben. natürlid), benn weber ber Prophet 
nod) ]efus I)atten in \\)xex SrSmmigkeit fid) mit einer be» 
ftimmten gefcl)id)tlid)en Catfad)e ab3ufinben, bie alle Vor* 
ausfe^ungen \\)xex Srömmigheit 3U Sd)anben 3U mad)en 
brol)te, bem Rreu3estob bes flOeff las : wem nun bie (Dittel 
mißfallen, mit benen ber Sd)arffinn bes Paulus feiner 
SrSmmigkeit 3U Bilfe eilt, wem biefe fein ausgebad)ten 
Crklärungen ber fd)rechlid)en Catfad)e aus Gottes F5eils= 
willen Ijeraus bas eigne religiöfe Empfinben verleben - 
fo liegt es nämlid) bei Wrebe - ber barf mit einem ge* 
wiffen Red)t erklären: Paulus ftel)t viel häufiger für fid) 
allein als ber Prophet allein ftel)t gegenüber ]efus 
unb Paulus. Die Energie, mit ber Paulus feine neuen 
Cebren in ben Vorbergrunb fd)iebt, oft von il)nen rebet, 
als fiele für \\)n bas Beil gerabe3U mit biefen Cel)ren 
3ufammen, unterftü^t fold)e Aburteilung. Allein wir bür* 
fen uns nid)t von Paulus vorfd)reiben laffen, was ber 
eigentlid)e Rern feiner Srömmigkeit fei, was „bie alles 
bel)errfd)enbe Bauptfad)e" ; wir 3iel)en 3um Vergleid) 
nur l)eran, was besljalb wirklid) vergleid)bar ift, weil es 
ben brei verglid)enen perfönlid)keiten unter gleid)en Be* 
bingungen erwad)fen ift, alfo bie unwiUkürlid)en Aufee* 
rungen eines gottesfürd)tigen unb gottfeligen Ber3ens 
unb bie fittUd)en örunbfä^e, bie um Gottes willen auf* 
geftellt unb burd)gefod)ten werben. Wenn berartiges 
flOaterial bei Paulus feljlte, fo l)ätte man ja Red)t, 
ben Vergleid) als 3U feinen Ungunften ausgefallen 3U 
erklären. Aber es fel)lt wal)rl)aftig nid)t, unb bann barf 
bie bloge Catfad)e, bog es nid)t allein ba ift, fonbem 
baneben unb bamit verflod)ten frembartiges Heues, uns 

36 



nid)t veronloffen, uns blog um bies fleue 3U hfimmern 
unb bem übrigen keine BeQd)tung 3U fd)enhen. Was 
würbe man fagen ju einem Kritiker, ber über bie beutfcl)e 
VaterlanböUebe von 6oetl)e, Cutter unb Bismarch fd)riel)e 
unb an ben unvergleicl)lid)en Verbienften Bismard^s um 
bas neue beutfd)e l^aifertum bie Rrmfeligheit ber beiben 
flnbern bemeffen wollte, - bie von biefem Raifertum 
eben nod) nid)t5 wiffen! 

eine ai)nlicl)e Ungered)tigheit aber ift es, wenn Wrebe 
S. 93 im kontrabiktorifd)en Verbör ]efus unb Paulus ver» 
nimmt unb fie je vier Sprüd)e fagen läfet, bie „ben Cl)arak« 
ter bes 6an3en 3ur Crfdjeinung " bringen f ollen; barf er 
bas für Paulus Ct)arahteriftifd)e nur aus feiner Dogmatih 
entnehmen? In allen vier fällen wäl)lt er Refle;cionen bes 
flpoftels über ben Beilstob Cl)rifti („ber feines eignen 
Soljnes nid)t verfd)ont bat" unb äl)nlid)es): ein Gegen* 
ftüA 3U ibnen hann bod) ein Vertreter gefd)id)tlid)er 
Rritih innerhalb ber Prebigt ]efu gar nid)t erwarten ! F5ätte 
aber umgekehrt Paulus 3U bem was „]efus fagt" nid)t 
von Ber3en 3uftimmen können? J\)x follt vollkommen fein, 
wie euer binimlifcl)er Vater vollkommen ift**, fagt ]efus. 
Sagt Paulus Rom. 12, 2 nid)t basfelbe: Ibr mügt es 
felber füllen, was Gottes Wille ift, bas Gute, Woljlge* 
fällige unb Vollkommene? 

Paulus bat in bem, was er feinen Gemeinben fpen» 
bete, Elemente von verfd)iebenem Wert felber \)exaus' 
erkannt. 1. Ror. 13, 8 f. 3äl)lt er eine Reibe von bod)* 
gefcbä^en Gnabengaben auf, bie bod) vergänglid) finb, 
weil fie StüAwerk entbalten, barunter in erfter Cinie 
unfer Erkennen unb unfer Weisfagen. „Wenn bas Voll* 
kommene kommt, fo ifts mit bem Stü*werk vorbei,** Id) 
bin weit bavon entfernt 3U meinen, bafe Paulus unter 
fold) StüAwerk bie tbeologifd)e Weisbeit, bie er im Ro* 
mer* unb Galaterbrief fo grünblid) erörtert, bätte einbe* 
3ogen b^iben wollen, ober bafe er fid) bei (Mitteilung 
etwa einer „ Erkenntnis« Weisfagung**, wie er fie Rom. 5, 
12-21 über ben erften unb ben 3weiten flbam gibt, ber 
UnvoUkommenbeit biefes Wiffens bewufet gewefen wäre. 
Wie er feft an bas Gebeimnis glaubte, bas er Rom. 11, 
25 ff. über Israels 3ukünftige Errettung ben römifd)en 

•SV 



Cl)riften anvertraut l)at, fo glaubte er an öie RUemrtd}ttg« 
heit 3. B. feiner öefeftes* unö feiner Cl)riftuslel)re, unb 
gegen bie Unrubeftifter in Galatien, bie bas £vangelium 
von Cl)riftus verkehren, b. I). in biefem Sali ben 3wang 3ur 
Befd)neibung ins Cvangelium l)ineinfci)muggeln wollen, 
fd)leubert er ol)ne Befinnen ben Slud). Ob er wol)l ben 
gleid)en Slud) über bie Cippen gebracht Ijaben würbe 
gegen einen römifd)en Cefer, ber vielleid)t Bebenden 
äußerte gegen bas fonnenfarbene 3uhunftsbilb von 
Rom. 11, ober gegen einen, ber bie wunberUd)e Ibee von 
einer Verbammung ber Sünbe im Sleifd) (R5m. 8, 3) 
fd)led)tl)in ablehnte? Paulus ift fo reid) an neuen, einan« 
ber ausfd)lie6enben ober bod) ftörenben Gebanhen, er 
verfügt über eine fold)e Sülle ber 6efid)te ~ unb liebt es 
fie verfd)wenberifd) um fid) l)er 3U ftreuen - , bafe es an 
Wiberfprüd)en, bie er fd^liefelid) felber bemerkte, nid)t 
fel)len konnte, unb wenn fie \\)m nid)t auffielen, bann 
flnberen. Aber felbft wenn er fo red)tl)aberifd) gewefen 
wäre bas niemals offen 3U3ugeben, fo l)at er grunb* 
fä^lid) burd) 1. Ror. 13, 8 f. auf bie Unfehlbarkeit irgenb 
weld)er Cel)re ver3id)tet. Die volle Wal)rl)eit wirb uns 
erft in ber 3ukünftigen Welt 3uteil, bie Erfa^formen für 
fie, bie wir je^ verwenben, wie Erkenntnis, b. \). Cl)eo* 
logie, finb aisbann verfd)wunben. Dagegen bleibt in 
Ewigkeit breierlei (1. Ror. 13, 13): Glaube, ßoffnung 
unb Ciebe. 

Id) will nid)t erft bie Srage aufwerfen, ob bies Wort 
nid)t eines von vielen Paulusworten ift, bie gerabe fo 
gut aus bem flOunbe ]efu ftammen könnten, fonbem ein* 
fad) ben Paulus beim Wort nehmen unb \\)n Red)en« 
fd)aft ablegen laffen, in wieweit er bas, was er 3U ben 
ewigen Beftanbteilen ber neuen Religion red)net, im 
Sinne ]efu befi^t. Bat Paulus in Glaube, Boffnung unb 
Ciebe ben Größeren, bem er nur bienen wollte, verbrängt ? 

Bei ber „Boffnung" wirb bie Übereinftimmung ber 
beiben am wenigften beftrilten. ]efus trat auf, rief 3ur 
Bufee, „benn bas Bimmelreid) ift nal)e berbeigekommen". 
Paulus rief auf 3um Glauben, weil bas Bimmelreid) nal)e 
fei. Cr rebet viel feltener als ]efus vom Reid) Gottes, 
aber bie Vollenbung, auf bie er mit gleid) glüi)enber 

s$ 



Sel)nfud)t wartet, tft ffir ben einen wie ffir ben andern 
der Ibeal3uftQnb» wo bie gottwibrigen ODäd)te» Ceufel, 
Cob, SOnbe, Sleifd), Dämonen, ßranhbeit unb wie fie 
fonft b^igfen mögen, enbgültig niebergefcl)lagen finb unb 
in ollen Wefen, bie übrig bleiben, nur eine Rroft wirh« 
fom ift, ber Wille Oottes. Unfre Crrettung ift, feit wir 
gläubig geworben, fcl)on viel nät)er gerücht, fcl)arft Paulus 
ein, gons im Sinne von flOh. 1, 15; bie volle Berrlid)keit 
ber Söl)ne Oottes, in bie wir bann eintreten, unb ber 
gegenüber bie Ceiben ber kursen Gegenwart gar nid)ts 
bebeuten, bringt 3ugleid) für bie ganse Sd)5pfung bie 
Befreiung, Befreiung von ber Vergänglid)heit, b. I). bem 
Slud) bes Sterbenmüffens, bem fie burd) ben Sali bes 
Cpenfd)en erft mit unterworfen worben ift (Rom. 8, 1 8 - 25). 
Über bie einjelnen Vorgänge bei ber Wieberhunft Gljrifti 
bat Paulus Vorftellungen, bie vor bem Zobe ]efu fo gar 
nid)t ausgeführt fein konnten; boppelt bemerkenswert ift 
barum, bafe Paulus für bas GriöCy hinter ber Vernichtung 
bes Tobes, bie Übergabe bes Reichs burd) ben fiegreid)en 
öottesfobn an Gott ben Vater in flusfid)t nimmt (1. Ror. 
15,28): „fllsbann wirb ber Sol)n felber fid) bem unter« 
werfen, ber il)m Alles unterworfen \)aüe^ auf bafe Gott 
fei Alles in Allem**. Da barf alfo felbft bei Paulus fein 
Cl)riftus ben Größeren, Gott, wed)em Cl)riftus allein bienen 
wollte, nid)t verbrängen. - Vielleid)t liegt 3war wieber 
barin eine Heuerung bes Paulus, bafe er (freilid) nid)t 
burd)gängig, f. 3. B. 2. Ror. 5, 10, Rom. 2, 6- 10. 16) für 
bas Weltgerid)t bei Cbrifti Wiebergeburt nur nod) 
bie überweltlid)en (T)äd)te übrig läfet; bie fl[)enfd)en finb 
bann fd)on entweber burd) ben Glauben gerettet ober 
in ben ewigen Cob, bas nid)ts, verwebt: ]efus folgt l)ier 
gewöbnlid) ber altbergebrad)ten Vorftellung, wonad) ber 
Weltrid)ter Co\)n unb Strafe gerabe ben fl[)enfd)en3U* 
teilen wirb, ben Einen ewiges Ceben, ben flnberen ewige 
f5öllenpein. Da aber mit biefer Heuerung Paulus auf 
bie fpätere Rird)e nid)t „ben ftärheren Einflufe** geübt 
l)at, tro^bem fie bem Geifte bes Gottesreid)sgebanhens 
beffer gered)t wirb als bie altjübifd)e Ibee ber flufbe* 
wat)rung aud) ber Böfen bis in alle Ewigkeit, fo wirb 
\\)m Wrebe biefe Eigenheit ja ver3eil)en. Ober follte 



bas wiber ben Sinn ]efu fein, wenn Paulus allen 6läu* 
bigen verljeifet, bafe fie im Befi^ ber önabenfOlle unb 
ber Gabe ber 6ered)tigkeit als l^önige l)ö^d)Gn werben 
im ewigen Ceben, wäl)renb ]efus (flOt. 1 9, 28) bie Z\)xone 
im Jenfeits feinen 3 Wolfen vorbebält? 

Hein, über ben Inljalt beffen, was ber Sromme von 
ber legten 3uhunft 3U erl)offen l)at, war Paulus mit 
]efus gewife einig ; bie Seligpreifungen flOt. 5, 3—12 ent* 
l)alten ben aud) für Paulus befriebigenben Ausbruch ber 
l)öd)ften Wünfcl)e: Gott fd)auen, Söl)ne Gottes b^ifeen, 
ben gan3en Croft, bas volle Glüch ber Gottesnäl)e ge* 
niefeen l)ier wie bort. flUerbings 3eigt fid) bei Paulus 
unverkennbar ein Sd)wanhen l)infid)tlid) ber 3eitgren3en. 
Das fSeil ift it)m nid)t lebiglid) 3uhünftig, es ift it)m aud) 
fd)on gegenwärtig, unb ben Anfang ber neuen 3eit, ber 
neuen Welt, ber Welt3eit bes Beils, verlegt er in bie 
Vergangenl)eit : in bie Stunbe ber fluferftel)ung Cbrifti. 
So hommt es 3U fd)einbaren Wiberfprüd)en : „Wir finb 
errettet worben" unb bod): „Wir warten auf unfre Crret* 
tung**. Die göttlid)e F5errUd)heit, bie nad) Rom. 8, 18 über 
uns bemnäd)ft enthüllt werben foll, ift uns nad) Rom. 8, 30 
fd)on ebenfo gewife wie bie Berufung unb bie Gered)* 
tigheit gefd)enhtworben; in ber CDitte 3wifd)en beiben 
flnfd)auungen ftel)t 2. Ror. 3, 18: Wir werben täglid) ver* 
wanbelt von einer Berrlid)heit in bie anbre. Bilbworte 
wie bie vom flngelb ober von ber erftlingsfrud)t bes 
Geiftes, ben wir fd)on l)aben, von Stückwerk unb Voll* 
kommenem, l)elfen basu, jenen Unterfd)ieb als ben Um 
terfd)ieb von Anfang unb flbfd)lu6; eines längerbauern* 
ben Verl)errlid)ungspro3effes 3U erfaffen : gan3 klar wirb 
2. Ror. 5, 1 ff., was Paulus ausfcl)lie6lid) von ber 3ukunft 
erwartet, ben Crfafe bes fterblid)en Ceibes burd) einen 
unfterblid)en; unb aus Rom. 8, 19 ff. wiffen wir, bafe für 
il)n biefe unfre le^te „Crlöfung" 3ufammenfällt mit ber 
Crlöfung ber gansen au6ermenfd)lic!)en Sd)öpfung von 
ber Sklaverei ber Vergänglid)keit. So lange aud) nur 
ein Blatt nod) fterbenb vom Baume fällt, l)at unfre grofee 
Stunbe nid)t gefd)lagen; aber wir jammern nic!)t mel)r, 
wie el)ebem, weil wir wiffen, ba^ bem Tyrannen Zob 
ber Stad)el bereits aus ber Banb geriffen wirb (1. Ror. 

40 



1 5, 55), bafe et fid) nur nod) in einem le^en boffnungs« 
lofen Wfiten gegen fein Sd)ichfal aufbäumt. 

Bei ]efu9 finben wir» meine id), bos gleid)e, auf alt« 
teftamentlid)em Boben bod) unerl)örte Sd)wanhen, 3unäd)f t 
ift il)m, wie jebem anbern frommen, bas Reid) Gottes, 
beffen näl)e er ankünbigt, eine öröfee ber 3uhunft ; unb 
69 bleibt \\)m eine fold)e, benn nod) beim legten (Dal)! 
(Dh. 1 4, 25 tröffet il)n bas im flbfd)ieb, bafe ber tag, 
wo bas Reid) Gottes hommt, nid)t ferne ift. 6leid)wol)l 
rebet er nid)t blofe in feinen F5immelreid)sparabeln, fon* 
öem in gans einfad)en Sprüd)en wie Ch. 17,21 unb 
CDt. 1 2, 28 von einer Gegenwart bes F5immelreid)s : bas 
I)ei6t, aud) er l)arrt nid)t blofe auf eine neue 3eit, fon* 
Sern er erlebt fie fd)on unb beobad)tet in ftiller Sreube, 
wie Altes unb Heues miteinanber ringen (flOk. 2, 21 f.). 

Die Sufeere Weltumwanblung, bie er mit ben Pro« 
pl)eten als ein BauptftüA in ber Offenbarung bes Gottes* 
reid)8 anfielt, läfet immer nod) auf fid) warten; Sreub 
unb Ceib, Geborenwerben unb Sterben, Siegen unb Sollen 
In il)rem bunten Wed)fel füllen nad) wie vor bas Ceben 
ber CDenfd)en aus. Aber in fid) fül)lt ]efus eine anbere 
Art, neue Rräfte, lauter Ceben, nid)ts als Sieg, eitel 
Sreube; unb inbem er etwas von bem verrät, was feine 
Bruft erfüllt, wirb er l)alb unbewußt ber Verhünber eines 
fd)on gekommenen Qottesreid)s. flls Paulus fd)rieb 
(Rom. 14,17): „Das Reid) Gottes ift nid)t Cffen unb 
Trinken, fonbem Gered)tigkeit unb Sriebe unb Sreube 
im beiligen Geift", l)at er keine Beftimmung feftgelegt, 
ob bas „Reid) Gottes** nod) bevorftel)e ober fd)on ge» 
kommen fei, aber er l)at in feinen Cefem ben Cinbru* 
l)ervorgeruf en : wo Gered)tigkeit ift unb Sriebe unb Sreube 
im \)l Geift, ba ift bas Reid) Gottes. 

Bat Paulus l)ier nid)t ben innerften Rem ber Gottes« 
reid)s*Prebigt ]efu getroffen ? Cs bleibt ja tro^bem ein Un« 
terfd)ieb, bafe ]ef us für ben Anfang ber Gottesl)errfd)af t 
auf erben nie einen feften Cermin angegeben l)at, wäl)renb 
ein fold)er für Paulus vorl)anben ift, unb mit ben Beils* 
tatfad)en, Zob unb fluferwe*ung ]efu, 3ufammenfällt, 
alfo an einer Stelle liegt, wol)in ibn bas Bewufetfein 
Jefu fd)led)terbings nid)t verlegen konnte. Unb fo mag 



man fogen: bei Jefus ift öas Berüberöringen ber 3U* 
künftigen f5errlid)heit in feine Gegenwart nur begreifiid) 
ois hül)ne Infpirotion, ois Rusbruch großartigen» felbft« 
gewiffen inneren €riebens; bei Paulus I)an5eit es fid) 
eigentlid) me\)x um eine rid)tige Sd)iugfolgerung aus feinem 
Dogma vom Crlofungswerk Ct)rifti: finb Zob unb flu!* 
erftet)ung beffen Bauptakte, fo muß fid) öie Wirkung fo* 
fort einftellen ; bas Wefentlid)e am Beilsgenug m\x^ fd)on 
je^t ben Gläubigen 5ugöngiid) fein. SQr mid) gibt es 
gleid)wol)i nid)ts Gewifferes, als bag^ ber Paulus» ber 
bas Ceib unb bie Cuft eines l)offenben Genieg^ens Rom. 8 
unb 2. Ror. 3-5 fingt , uns nid)t bie €rgebniffe feines 
folgerid)tigen Denkens vorfe^t, fonbern ben Sd)iag feines 
Ber3ens t)ören läfet. Id) verftet)e kaum, wie Wrebe, ber 
l)ier bei Paulus aud) warmes Sül)len, wirklid) €rlebtes, 
ben €inbrud^ von Gottes perfönlid)er Ciebe auf bas Ge« 
müt bes flpoftels anerkennt, fid) fofort wieber barauf 
verfteifen kann, biefe Gefüt)le „bilben ben Reflex ber 
Cet)re". Sold) leibenfd)aftlic^e Innigkeit bas Cnieugnis 
eines kalten, unperf5nlid)en Dogmas? Das „Dogma* 
ift «Bud)ftabe*, wie es bas Gefe^ nad) Paulus ift, als 
Bud)ftabe tot, kraftlos; es kann nie ein Seuer ent3Ünben, 
nur bas fd)on brennenbe näl)ren unb regulieren: ver« 
bankt nun gerabe blog; Paulus all fein wahres Ceben 
bem fonft toten Stoff? (Dufe bie ungünftigfte Deutung, 
aud) wenn fie bie unwal)rfd)einlid)fte ift, gerabe bei Pau* 
lus 3U Red)t hefteten? 

In bem, was Paulus unter bem Glauben verftel)t, 
ba wo er \\)n neben Boffnung unb Ciebe ftellt, b. 1). in 
ber Eigenart ber Srommigkeit, bem religiöfen Cmpfinben, 
fd)eint es mir nod) unmöglid)er als bei feinem Boffen bie 
Ubereinftimmung 3wifd)en Jefus unb Paulus blog auf bie 
von if)nen beiben aus bem Jubentum beibehaltenen 3üge 
3U befd)ränken. In ber Vorftellung von Gott, bie Paulus 
bel)errfd)t, fpielt ber Begriff ber Gered)tigkeit eine grofeere 
Rolle als bei ]efus, er betont häufiger Gottes Weisheit 
unb bie Unergrünblid)keit feiner Wege. Aber Gottes Güte 
unb erbarmen t)aben nie einen begeifterteren Berolb als 
Paulus gefunben; unb ber Geift Gottes, ben wir alle ins 
Ber3 gefenkt bekommen l)aben, forgt baffir, ba^ ber 

42 



Verhebt 3Wtfd}en Gott unb uns ein iebenbiger bleibt: 
felbft wenn wir nid)t einmal mei)r beten können, tritt biefer 
Öeift für uns beim Vater ein mit unausfpred)lid)en Seuf« 
3ern, unb ber Bersenskünbiger verftel)t gern biefe ftille 
Sprache (Rom. 8, 26 f.). Der Oeift unb Ct)riftus (vergl. 
(Dattl). 28, 20) teilen fid} laut Rom. 8, 34 in bies for* 
genbe Sürbitten; bod) nid)t als ob bei 6ott fonff 
immer ein Rusbrud) neuen Sornes brol)te, fonbem weil 
Gott \\)nen bie feiige Aufgabe, if)ren Geliebten bei3U« 
ftel)en, übertragen l)at. Der CDann, ber jubelt, „Wenn 
Gott für uns ift, wer kann wiber uns fein**, unb „nid)ts 
im f5immel unb auf Crben kann uns trennen von ber 
Ciebe Gottes**, t)at fid) burd) feinen Gottesfot)n*CI)riftus 
nid)t von Gott abbrängen laffen: er ift vielmehr burd) 
Cl)riftus feinem Gott nähergekommen. Die Stufenleiter 
1. Ror.3, 22 f. «Alles ift euer. If)r aber feib Cbrifti. Cf)riftu3 
ift Gottes* wäre natOrlid) im (Dunbe Jefu unbenkbar; 
Jefus l)ätte fid) nid)t felber als bas Sunbament be3eid)« 
net, auf bem wir alle weiter bauen, bas aber nie- 
manb erfd)üttem kann (1. Ror. 3, 11), - von übertrei* 
benben Wenbungen wie 1. Ror. 2, 2: „Id) weife von 
nid)ts als von bem gekreusigten ]efus Ct)riftus** 3u ge* 
fd)weigen. Rber bie Seligkeit, gan3 unb allein abhängig 
von Gott 3U fein, t)at ]efus nid)t ergreifenber fd)ilbern 
können als es Paulus tut. Den €l)rennamen bes „€rft^ 
geborenen unter vielen Brübern** Rom. 8, 29 t)ätte ]efus 
nid)t abgelehnt; unb id) empfinbe es als einen Criumpl), 
^en ber (Denfd) ]efus bei Paulus über ben Ct)riftus bes 
Dogmas bavonträgt, wenn Paulus (1. Ror. 10, 31) bie 
Rorintl)er bittet, bod) alles 3U tun Gott 3U ei)ren unb 
aller (T)enfd)l)eit 3um Srommen, freubig bereit, fid) wie 
\\)x flpoftel für bie Crrettung ber flnberen felbft auf3U« 
opfern, unb bann fd)lie6t: Werbet meine nad)al)mer, 
wie id) Cl)rifti nad)al)mer bin. 

Wrebe belehrt uns, bie flnfd)auung Jefu von bem 
Vatergott, ber über Allen mit unerfd)öpf lid)er Gute fürforg^« 
lid) waltet, bie Baare auf bem Baupte 3äl)lt, finbe famt 
ber it)r entfpred)enben eigenen Stimmung bes Gottver* 
trauens bei Paulus kaum einen nad)l)all. flun, fie kommt 
nid)t fo ungebrod)en, fo fonnig wie bei ]efus 3um flus* 



bruch, weil Paulus öle Crinnerung an bie 3eit ber Gott» 
verlaffenbeit, 5er Sünbenkned}tfd)aft nid)t los wirb; bas 
Seufsen, bas aufgeregte fragen: Bfiter, ift bie nad)t 
fd)ier l)in? ift nid}t ber Con, auf ben Jefu Gebete ge» 
ftimmt finb; aber bie Wärme unb bie Seftigheit bes 
Oottvertrauens in R5m. 8, 28-39: »Wir wiffen, bafe 
benen bie 6ott lieben, alle Dinge 3um Outen bienen*, 
braud}en keinen Vergleid) 3U fd}euen - was aud} Wrebe 
3ugäbe, wenn \\)n nid)t bas bai)interftel)enbe »ba fie 
ja nad) Gottes Vorfa^ berufen finb" ärgerte. Da liegt 
wieber kird)Ud)e Befd)ränhung vor! Hun frage id): 
Würbe ]efus biefe alles 3um Outen wenbenbe Sürforge 
Oottes wirhlid) bem erften Beften, aud) benen, bie 3ur 
Bolle fahren, 3ugefagt baben? Paulus ift fo unerfd)Ot* 
terlid) in feinem Oottvertrauen, weil er fid) 3U benen 
3äl)lt, bie feit Cwigkeit von Oott 3U Brübem feines 
Sohnes vorl)erbeftimmt finb unb burd) Oottes Gnabe 
Sd)ritt um Sd)ritt bem glorreid)en Cnbe 3ugefüf)rt wer« 
ben. Diefe „garten Gebanhen von Gottes Präbeftination 
unb allmäd)tiger Willkür - er begnabet, wen er will unb 
verl)ärtet, wen er will** - foll nad) Wrebe Paulus wieber 
aus bem pi)arifäismus mitgebrad)t l)aben. Aber t)at er 
fie beibehalten, weil er fid) an it)rer Barte erlebe ober 
nid)t vielmehr in bem gan3 aus ]efu Oeift geborenen 
Oefül)l, i>a^ etwas fo Grofees wie mein ewiges Beil 
nid)t 3ufällig, fonbern blofe aus Gottes Gnabe, unb bann 
natürlid) aus einer feit Cwigkeit it)res Siels bewufeiten 
Gnabe, erwad)fen fein kann? Dem flpoftel, ber ent3Ü*t 
nieberkniet vor ber Wunberkunft Gottes, fic^ Aller 3U er* 
barmen (Rom. 11,32), bem leiftete fein Präbeftinations« 
bogma keinen weiteren Dienft als ben, \\)m für bie fieg« 
l)afte Beilsgewifebeit feines Glaubens eine nad)träglid)e 
Begrünbung 3U befd)affen. Unb ]efus \)ai 3war nid)t ge* 
nau biefelben Worte gebraud)t, aber im Grunbe überall, 
nid}t blofe CDk. 4,11 unb (Dt. 20,23 ober (Dt. 7, 17 f., 
11, 25 f. bie gleid}e Stimmung verraten; er t)at an feine 
eigene Beftimmung 3um Beilanb geglaubt - bei Gott 
aber finb Beftimmung unb Vorl)erbeftimmung nie ausein« 
anber3ul)alten. Gleid)gültigkeit gegen bie (Del)r3al)l ber 
(Denfd}en ober gar abfid)tlid}e (Difeb^^ölung ber nid}t* 

44 



QusenvSI)lten wirb \oo\)l Paulus feinem Gott nid)t 3uge' 
traut l)ai>en. Cr bat nie 3U einem (Denfd)en gefagt: öu 
bift ja bod} verfto*t, alfo 3um Unglauben, 3um Unter« 
gang beftimmt, an bid) verfd)wenbe id) heine (Düt)e um 
bid) 3U über3eugen, verfd}wenbe an bid) erft red)t keine 
Ciebe. Unb wenn er fid) gefd)ämt i)ätte, berartiges aud) 
nur 3U benken, fo l)at er erft red)t Gott fold) graufames 
Verhalten nid)t aus Srömmigkeit 3ugemutet; ber ver* 
ftod^enbe 6ott ift eine Siktion, bie er in ber Debatte 
braud)t, ein flotausgang für feine Ratlofigkeit, wo er bie 
t:atfad)e bes l)eillofen Dal)infterbens von (Dillionen in ber 
göttlid}en Weltorbnung unterbringen foU: für feine prak» 
tifd)e Frömmigkeit ftel)en beibe Sä^e gleid) feft: an all 
meinen Sünben bin id) feiber fd)uib, a l i mein Gutes \)ai 
Gottes Gnabe mir gefd)enkt. Wie ]efus ben Unver» 
beffedid)en 3uruft: l\)x babt nid)t gewollt (ODt. 23, 37) 
unb feinen Cieblingen bas Bekenntnis in ben (Dunb legt : 
Wir finb wertlofe Rned}te (Ck. 17, 10), bem 3öllner (Ck. 
18, 13) ein leifes: Gott fei mir Sünber gnäbig, fo gilt es 
aud) für Paulus, brüben von Allen ol}ne Unterfd}ieb: 
Sie finb ungel)orfam gewefen (3. B. R5m. 1 1 , 30 f.), I)üben : 
Durd) Gottes Gnabe bin id), was id) bin (1. Ror. 15, 10). 
Die gleid)e (Difd)ung von Stol3 unb Demut kenn3eid)net 
bas Verbältnis ]efu 3U feinem Vater : es ift nur ber flus» 
brud^ ber verfd)iebenen entwi*lung il)res religiofen Ce» 
bens, bafe ]efus bie Gnabe Gottes mel)r als unverbiente 
Ciebe, Paulus me\)x als wiber Verbienft gefd)enkte em* 
pfinbet. 

Unb bie Cntwürbigung bes (T)enfd)en 3U einem 
blogen Gefäg, in bas Gottes Willkür einfüllt, was \\)r 
beliebt, liegt aller Ronfequen3 bes Dogmas 3um Cro^ 
bem Paulus fo ferne wie ]efu. Auf Gottes (T)ad)t, ber 
(Denfd)en Ber3en 3um Guten um3uwanbeln, verweift 
troftenb Paulus Rom. 11, 23 wie ]efus (Dk. 10, 27; aber 
fie bel)anbeln bie (T)enfd)en, gute wie böfe, gläubige wie 
ungläubige, als ob alles allein von bem Wollen ber 
(T)enfd)en unb von ber treuen Arbeit ber Boten Gottes 
an ben (T)enfd)en abginge: es ift eine Kleinigkeit, aber 
l)5d)ft be3eid)nenb, bafe Paulus Rom. 8, 28 nid)t fd)reibt: 
»Denen, bie Gott lieb t)at, muffen alle Dinge 3um Beften 



öienen", fonbern: „Denen, bie Gott lieben". Paulus 
bräd)te es tro^ Rom. 9, 13 nid)t über bie Ctppen: «Denen 
aber, bie 6ott \)Q^U alles 3um Unl)eir. 

Die „borten* Worte über Gott, bie bei Paulus ftel)en, 
ftammen alle aus bem Alten Ceftoment; bas ift kein 
3ufall. Paulus ift el)er um eine Huance weid)er als 
Jefus. So furd)tbare Strafbrol)ungen wie im €vangelium 
finben wir bei it)m nid)t; er kennt keine unvergebbare 
Sünbe wie bie von 0)t. 1 2, 32. Wäbrenb Jefus ben un« 
frud)tbaren Seigenbaum verflud)t, fobog; augenblicklid} 
ber Zöb eintritt, graut bem flpoftel felbft bei bem Blut* 
fd)änber in Rorintl) (1. Ror. 5) bavor, it)n einfad) bem Ver* 
berben aus3uliefem; er beruhigt fid) bei beffen Übergabe 
an ben Satan mit bem wal)rl)aftig feltfamen Croft, viel« 
leid}t gereid)e \\)m bie Vernid)tung bes Sleifd^es nod) 
3ur Rettung bes Geiftes am jüngften Zag. Glauben wir 
im Crnft, bofe Jefus bie felbft bie f5aare auf bem ßaupt 
3äl)lenbe Vatergüte Gottes „für jeben", alfo aud) für 
bie t)eud}lerifd)en pi)arifäer, für ben genufe* unb gelb« 
füd}tigen Reid)en, „unerfd)öpflid)" befunben l)at? 

Die Ciebe Gottes l)at bei Jefus \\)ve \e\)x beftimmten 
Gren3en. Da wo \\)n felber einem (T)enfd)en gegenüber 
^eiliger 3orn ergreift, ba barf aud) Gott nid)t etwa 
gutmütig weiter lieben. Der gan3e Unterfd)ieb von Paulus 
liegt barin, bog Paulus für bie (Denfd)en, auf benen 
Gottes Ciebe ruf)t, nid)t nur ben einfad)en Hamen Rinber 
eures Vaters im Bimmel (fo Jefus 0)t. 5, 45), fonbem 
aud) eine bogmatifd)e Sormel t)at: bie von Gott feit 
Ewigkeit fluserwäl)lten. Wie Jefus überhaupt keine bog* 
matifd)en Sormeln verwenbet, fo aud) biefe nid)t. Aber als 
er von ben „Coten** fprad), benen ein Jünger bas Be* 
ftatten \\)xex Coten überlaffen folle (ODt. 8, 22), war fein 
Zon kein anbrer als ber t)arte bes Paulus in Rom. 9. 
Unb bafür, bafe ber väterlid)e Gott bei Jefus befd)rieben 
wirb als ber, ber feinen Rinbern nal)rung unb Rleibung 
fd)enkt, ber bie ßaare auf x\)xem Raupte 3äl)lt, bei 
Paulus aber immer blo^ als ber Spenber geiftlid)er 
Gaben, gibt ben Grunb nid)t mangelnbe Innigkeit bei 
Paulus ab, fonbern mangelnbe Haivetät unb Volkstum* 
lid)keit; er nimmt feine Bilber aus bem Gebiete, bas 

46 



fetner Pbontofie foft Qusfd)liegUd} 5ie Stoffe fpenbet: 
jene Ctebesenveifungen Oottes, bie nid}t unmittelbar aufs 
ewige Ceben gelten, intereffieren \\)n 3U wenig. Das ift 
eine Art von Befcbränhtt)eit, fid)erlid); vielleid)t aud) etwas 
Caprice. Paulus will als neuer (Denfd) nid)ts von feinem 
Gott ausfagen, was er fd)on als pi)arifäer gerabefo 
freubig gefagt t)at. flber für fein tägUd)es Brot wirb 
aud) ber glaubige Paulus Oott gebankt, im Seefturm 
Gott um Bilfe angefleht l)aben: wir fet)en eben Paulus 
nid)t im flUtagsgewanb unter ben Sifd^ern fi^en, wir 
boren x\)n immer nur von ber Ransel f)erab prebigen. 
Bei Jefus ftel)ts gerabe umgekehrt. Die Srömmigkeit 
hann bie gleite fein: wenn fie fid) verfd)ieben äußert, fo 
liegt bas größftenteils an ber Verfd}iebenl)eit ber Umftänbe. 
Das will aud) bead)tet fein, wenn wir fd)lieglid) bas 
ftttlid)e Ibeal bes Paulus mit bem feines (T)eifters ver« 
gleid)en. Paulus l)at mit Jefus bas gemein, was fie 
beibe d)arakteriftifd) als neue erfd)einungen felbft gegen* 
Ober ben grofeen Propl)eten bes fllten Ceftaments kenn* 
3eid)net, bas völlige Cinsfein ber religiöfen unb fittlid)en 
Werte unb 3iele. Had) Wrebe t)atte Paulus ber fitt« 
lid)en Güte bes Cl)arakters bod) 3weifellos ben Glauben 
(an ein Dogma!) vorgeorbnet: fo l)at ja fd)on ber ]a« 
hobusbrief geurteilt. Sreilid) wäre Paulus unfähig 3U 
fagen: Id) mug; beine Cl)araktertüd)tigkeit bewunbern, 
obwohl bir ber Glaube mangelt. Bat benn aber Jefus 
gemeint, als er grimmig bie Berr*Berr»Sager 3urü*ftie6;: 
es kommt mir nur auf bie Güte an unb nid)t auf ben 
Glauben? Sür Jefus ift wie für Paulus felbftverftänb» 
Hd)e Vorausfe^ung, bai^ gute Srüci)te nur auf bem Bo« 
ben reifen, ben ed)te Gottesfurd)t beftellt l)at: „Wer meine 
Worte l)öret unb tut fie", bebeutet bei Jefus nid)t: l\)x 
braud)t fie gar nid)t 3U l)ören, wenn lt)r fie nur tut! 
„fln \\)xen Srüd)ten follt \\)x fie erkennen", l)Qt Jefus ben 
Sd)einl)eiligen entgegengerufen; im Romerbrief l^ap. 6 
erkämpft fid) Paulus tro^ feinem Dogma ben gleid)en 
Stanbpunkt. Wie er 1. Ror. 15 verkünbet: Wenn Cbri* 
ftus nid)t auferftanben ift, fo ift euer Glaube eitel, fo fagt er 
ausbrü(klid) Rom. 8,8.9: Wenn \\)x in euren Sünben, 
im Sleifd)e, bleibt, fo ift euer Glaube eitel. Unb wie 



wenig er in Gefahr ift, 5er Recf}tgl8ubigheit 3U Gefallen 
bie fittiid)en SorSerungen nad}3ulaffen, verbürgt feine 
Verwertung öes Begriffs öer f5eiligung. Cs gibt für x\)n 
keinen Glauben oi)ne unmittelbar folgenbe ioeiligung; 
biefe ift eine Überführung alles menfd)lid)en ßanöelns, 
Denkens unb Sül)lens ins Göttlicl}e; fold) ein (Denfd) 
benht nid)t an fid), nid)t an bie Welt, fonbern an Gott: 
er kennt nur ein ein3iges 3iel, nämlid): Gott — unb 
bem Berm Cbriftus (vgl. l.Ror. 7,32) - wobbugef allen. 
Jefus fagt: „Hiemanb kann 3wei Berren bienen. . l\)x 
könnt nid)t Gott bienen unb bem Oammon", aber Pau* 
lus l)at in Rom. 6 eben biefen Gebanken nur nod) viel 
breiter ausgefüt)rt: bafe er bas Wort (Dammon nid)t 
gebraud)t, fonbern ftatt beffen Sleifd}, eures Ceibes Be* 
gierben, ober fd)lankweg bie Sünbe fe^, ift bod} keine 
Verfd)led)terung bes Sinnes! 

Die „Ciebe", bie Paulus 1. Ror. 13 begeiftert feiert, 
bie er nod) \)odf) über Glauben unb Boffnung ergebt, 
unb bie er gewife nur bei „Gläubigen" 3U finben meint, 
lögt es fid) nid)t gefallen, auf bie gemeinfame Ciebe ber 
im Glauben Verbunbenen 3U einanber unb 3U x\)xen l)imm* 
lifd}en Böuptern eingefd)ränkt 3U werben. 3u beutlid) ift 
bie Sprad)e bes flpoftels Rom. 1 3, 8 - 1 : bie Ciebe 
3um näd}ften ift bes Gefet^es Erfüllung. Wrebe weife 
wieberum, bog biefe nöd)ftenliebe bei Paulus im Grunbe 
3urü*tritt t)inter ber Ciebe 3um Rirdjengenoffen, einer 
vielleid)t aus ber jübifd^en Diafpora von Paulus mit* 
gebrad}ten Gemeinbetugenb. Dag Paulus aud) bie 
Bruberliebe in feinen flnfprad)en an Gemeinben ein« 
fd)ärft, wirb man nid}t ableugnen; es gereid)t Vjm 
biefe fld}tfamkeit nur 3ur €\)xe. Aber ber Hödjfte, 
ben id) nad) Rom. 13 lieben foll wie mid) felber, ift 
fo wenig ber Glaubensgenoffe wie Ck. 10, 30 ff. im 
Gleid)nis vom barml)er3igen Samariter; unwillkürlid) er» 
weiterte fid) fd}on Rom. 12, 14 ber Bli*: nid)t blofe mit 
ben Brübern foll man Sreub unb Ceib teilen, fonbern 
mit allen (T)enfd)en, friebfertig gegen alle fein, verföbn* 
lid) unb anfprud}slos ; unb bas grofee Wort, mit bem 
jene (Dal}nrebe Rom. 12, 21 enbet: «Cafe bid) nid}t vom 
Böfen bef legen, fonbern befiege bu bas Böfe burd) Gutes**, 

4$ 



ift öas fl unö O 5er Sittenlebre Jefu. Die Verfe (Dt. 
5, 38-48 lefen fid) wie ein Kommentar 3U Rom. 12, 21: 
Der (Dann, ber bereit gewefen wäre, fein eignes Beil 
in bie Scl}an3e 3u fcf}lagen, wenn er baburd) fein un» 
gläubiges Volk bekel)ren konnte (Rom. 9, 3), ber aber 
erft red)t keine Opfer fd}eut, um bie x\)m ans [5er3 ge* 
legten Beiben für bas Evangelium 3U gewinnen, ber 
foll bie näd}ftenUebe vernad)läffigt t)aben? Genau fo 
gered)t wäre ber Vorwurf gegen ]efus, bafe er mit ver* 
ftänbnislofer Roheit bie Banbe natürlid^er Ciebe unb 
Pietät 3erriffen l)abe, nur ber Religion 3uliebe, benn er 
f)at Ck. 14,26 gefagt: Wer 3u mir kommt unb nid}t 
bafet Vater unb (Dutter unb Weib unb Rinber . . . ber 
kann mein Jünger nid}t fein. 

Sür Paulus ift fd)on baburd) bie 6leid}gültigkeit 
gegen bie nod) unbeket)rten (Denfd}en ausgefd)loffen, 
bafe er ja bie Crrettung aller (Denfd)en vor bem Cnbe 
ber Welt erhofft. Durd) feine etl)ik gel)t ein gerabefo 
3uverfid)tlid) fiegl)after Zon wie wir \\)n von ]efus b^r 
kennen: bie Sünbe ift 3um Untergang beftimmt, er weife, 
bafe fie balb befiegt am ßoben liegen wirb - unb ba 
konnte man fid) 3um Rampf gegen fie von \\)x bie 
Waffen leil)en? Bier l)iWt it)m fein Dogma, bie fittlid^en 
f orberungen an bie (;i)riften \)ö\)ex als je 3U fpannen. 
Wir können uns nid}t me\)x mit unfrer Ol}nmad)t ent* 
fd)ulbigen; benn wir baben ben Öeift Cl)rifti empfan* 
gen, unb bamit bie Rraft, felbft Berge 3U verfemen. ]efus 
brüd^te bas anbers aus: Wem viel vergeben worben 
ift, ber liebt viel. Bei Paulus verlangt es bas Syftem, 
bafe bie aufeer* unb vord)riftlid)e (Denfd)l)eit blofe B5- 
fes hervorbringt, bafür aber aud) bie Öemeinbe ber 
Crlöften blofe Gutes. Weil nun bie Wirklid}keit \\)m bas 
le^e leiber nid}t beftätigt, wirb es \\)m nid)t 3u fd}wer, 
aud) auf ber anberen Seite Sugeftänbniffe 3U mad)en: 
er kennt offenbar Beiben (Rom. 2, 1 4 f.), bie fid) aufrichtig 
um fittlld)e Ibeale bemüt)t baben, er beftätigt es ben 
l)eibnifd)en Staatsbel)orben, bafe fie im Dienfte Gottes 
fteben 3um Guten (Rom. 1 3, 4). So weit ift nid)t ein« 
mal Jefus mit feinem viel nad)gefprod)enen : „Gebet bem 
Raifer, was bes Raifers ift, unb Gott, was Gottes ift" 

} fi l i d) e r , Paulus un5 }«fus. 



(ODh. 12,17) „berWelt" entgegengekommen. Dafür fd}etnt 
Paulus ängftiicf}er 3U fein in ber Beurteilung öes 6e« 
fd)led)tslebens ; man fpürt es in 1. Ror. 7, bafe er am 
liebften öie völlige Cntbaltfamheit bei allen Cl)riften burd)ge« 
fQI)rt i)atte: Jefus l)ingegen l)at bieSd}eibung einer einmal 
eingegangenen et)e fd)roff verurteilt, flber wenn öod) 
aud) ]efus (ODk. 1 2, 25) barauf auf merhf am mad)te» bafe 
es im ßimmel kein Sreien unb kein Sid)freienlaffen gibt, 
fo l)anbelt fein flpoftel nur folgerid)tig, wenn er bas 
Sreien fd)on beut wiberrät, ba bod) bie neue Weltseit 
bereits begonnen t)at: feit wir mit Ct)rlftus geftorben 
finb, finb wir ja fd)on im Öeift, finb wir neue (Denfdjen! 
Weltabgewanbt, »weltfeinblid)** ift bie Sittenlel}re ber bei« 
ben (Dänner felbftverftänblid), bie fid) bes nal)en Unter- 
gangs ber Welt freuten; ein liebevolles eingeben auf 
bie pflid)ten, bie bem Srommen aus feiner (Ditgliebfdjaft 
in ben verfd}iebenen einrid)tungen ber Welt erwad)fen, 
barf man von il)nen Beiben nid)t erwarten, flber wie Jefus 
burd) feine ODal)nungen 3ur treue aud) im (kleinen, 3ur 
Rückfid)tnal)me auf bie Sd}wad}en unb Unfertigen 
bafür forgt, i>a^ fid) bie Welt nid)t über pflid)tverfäum« 
niffe ber Jünger ]efu beklagen kann, unb wie er ben 
Kampf wiber bie Welt nid)t 3U einem Kampf wiber bie Hatur 
ausarten läfet, fo forbert Paulus im pf)ilipperbrief 4, 8: 
nWas irgenb wal)r ift, was würbig, was gered)t, was 
rein, was liebenswürbig, was lobenswert, . . bem Senket 
nad)"! Die Brü*en 3U bem, was bie übrige (T)enfd)l)eit 
ad)tet unb von einem tüd)tigen (T)enfd)en erwartet, finb 
nid)t abgebrod)en: Jefus unb Paulus vertrauen barauf, 
bafe bie (Dad)t bes guten Beifpiels, wie es von il)ren 
Sreunben gegeben wirb, am ftärkften für \\)xe Sad)e wirke. 
Der 3ug 3um Guten ift unter ben (Denfc!)en ~ bie aud) 
Paulus nid)t alle nad) bem Sd)ema Rom. 1, 32 beur- 
teilt - nie gan3 ausgeftorben. Im Gegenteil, Jefus l)at 
il)n bei Buren unb 3öllnern böufiger wal)rgenommen 
als bei pi)arifäern unb Sd)riftgelel)rten. — Die neue (Do« 
ral bes Bimmelreid)S ift für Paulus wie für Jefus nid)t 
fowol)l eine neue moralifd)e einfid)t als bie Erfüllung 
bes feit alters rid)tig als pflid)t unb 3iel Anerkannten. 
„Welt« unb bafeinsmübe* ift ber ed)te Paulus kaum 

50 



me\)x als Jefus, mit beffen Bilb wir ben Oebonhen ber 
CDObigheit überhaupt nid)t 3U verbinben vermögen. Dos 
Wort „bafeinsmübe pafet für bie in l)ocf}ftem Grab tat* 
kräftige Sittenlehre bes Paulus fo fd)led)t wie Peffimis* 
mus für feine Weltanfd}auung. Paulus bat einen faft 
bis ins Rranhl)afte gefteigerten trieb 3um Ceben, 
einen entfe^lid)en Wiberwillen gegen ben Cob: was 
er als »bie Welt** fafet, ift bie CDifegeftalt von CDenfd}* 
beit, bie burd) Rbams Sali b^rausgekommen ift unb 
mit ibrer ]ämmerlid)keit aud) bie übrige Welt ange* 
fteckt \)Qi; ber Cob ift allerwärts nur ein von aufeen 
in Oottes gro^e Scböpfung bineingetragenes Oift. Jefus 
benkt nicbt barüber nad), wie es in ber Welt ein* 
mal, am Anfang, gewefen ift, fonbern nur barüber, wie 
es fein follte unb konnte. Sein praktifd)es Verbalten 
ift aber gan3 bem bes Paulus gleid). Paulus arbeitet 
für eine Wieberber ft eilung bes Ursuftanbes ber 
n)enfd}en, bie ]efu Cob unb fluferwe*ung in bie Wege 
geleitet bat, ]efus für bie [5 erft eilung eines 3u* 
ftanbes ber (Denfd)en, wo 6ott mit ibnen 3ufrieben ift 
unb fie fid) feiig füblen. fllfo bei beiben bie gleid)en 
fittlid}en Ibeale unb bie gleidje Cnergie 3U ibrer Durd}* 
fübrung: es b^nbelt fid) barum, ben (Denfd^en auf eine 
Bobe be^Qwf3ubeben, bafe 6ott fein Cbenbilb in ibm 
wieberf inbet ! 

Von weld}er Seite aus id) bie Ctbik bes Paulus be* 
trad)te, nirgenbs ftofee id) auf einen wefentlid)en Unter* 
fd)ieb von Jefus. Den befonberen moralifd^en Band) ber 
Sprüd}e ]efu, ibre gewaltige majeftätifd)e Art, ibre un* 
nad}abmlid}e kritifd)e Sd}ärfe erkenne id) mit Sreuben 
an; er ift eben ber Größere, bas n)ajeft8tifd)e ift für 
einen Paulus nid)t erreid)bar. Das Urteil aber, bafe bas 
Dringen Jefu auf innere Wab^beit wobl nod) kein 
feiner Cmpfinbenber aus ber Sittenprebigt bes Paulus 
berausgefüblt \)CiU lefe id) bei Wrebe mit immer neuer 
Betrübnis. Cs liegt verfte*t barin ber Vorwurf einer 
gewiffen Unwabrbaftigkeit bei Paulus. Unb Worte wie 
auf S. 20 bei Wrebe, bafe Paulus nid)t eine fpe3ififd) 
etbifd)e Perfonlid)keit fei, Binweife auf Spuren einer ge* 
wiffen Biegfamkeit ober Politik in ben Briefen bes Paulus 



unterftü^en öiefe Deutung. Aber genügen emselne Se\)U 
griffe in 5er fd)weren Praxis eines verantwortungsvollen 
Cebens, in öer Regierung eines weiten ßreifes von Gemein» 
ben, bie bem Sernftel}enben als kluge Rhhommobation 
an bie Veri)öltniffe unb an bas im flugenblich Wirkfame er» 
fdjeinen, um biefem (Danne nun b e n Sinn f Qr bie Wal)r» 
l)eit, für bie Wahrhaftigkeit ab3ufpred)en ? Sobalb id) an 
Rom. 1 4 benke unb an 1 . Ror. 7 unb 8 - 1 0, an bie 3arte 
unb feine Art, wie Paulus 3wifd)en bem Red)t auf Sreil}eit 
unb ber pflidjt 3um Ver3id}ten bie rid)tige CDitte fud)t, an 
bie Sid)ert)eit, mit ber er bem Oewiffen bes Cinselnen 
bie le^e €ntfd}eibung in 3weifelsfällen 3ufprid}t unb für 
Sünbe erklart, was €iner, mag es an unb für fid) nod) 
fo gered)tfertigt fein, wiber fein Öewiffen, blofe frember 
Über3eugung folgenb tut - kann id) mid) nur 3U ben 
unfein Cmpfinbenben ftellen, bie bei Paulus bas nid)t 
vermiffen, was an Jefus bas Größte gewefen ift: ben 
Glauben an fein Gewiffen. 

IIL RapiteL Die €rWärung für Überein* 
ftimmung unb Unterfdjieb. 

Ift es eine gan3 ausfid}tslofe f5offnung, für bie red)t 
verfd)iebenartigen Cinbrücke, bie wir bei Vergleidjung bes 
Paulus mit Jefus empfangen baben, günftige wie un» 
günftige, bod) eine verföbnenbe Erklärung 3U f inben ? Gibt 
es für ben ed}ten Paulus keinen pia^ unter ben Jüngern 
]efu, mufe er Jefus gegenüber ftel)en bleiben, als ber 
flpoftel, ber, wenn aud) unbewußt, feinem (Deifter im 
Wettkampf um ben Cinflufe in ber neuen Gemeinbe ben 
Rang abgelaufen bat? 

fluffallenb feiten b^t fid) Paulus, bas ift nid)t 3U 
leugnen, auf Jefus berufen. Von Jefus, von feinen Worten 
unb Werken erfahren wir in ben Paulusbriefen erfdjreAenb 
wenig, alles ift voll von Gebanken bes Paulus über 
Cbriftus unb feine Crlöfungstat. Durd) weite Stre*en 
\)\n wanbeln wir in ben Gebankenlabyrintben bes Paulus, 
unb verlieren Jefus gan3 aus ben flugen, muffen 3ufrieben 
fein, wenn es gelingt, uns vor3uftellen, wie bie 3w5lfe, 
bie eigentlid}en Sd}üler unb Sreunbe Jefu bie neuen 

52 



piöne bes ungebetenen Oenoffen aufnahmen. Dos 
CDeifte bat il}nen imponiert, mandjes t)Qben fle nid)t 
verftanöen, onberes nid)t kennen gelernt, wirhlid) an* 
ftöfeig ift il)nen blos feine 6efe^estt)eorie gewefen: aber 
von bem Oo^enbienft bes 6efe^esbud)ftabens, wie bie 
Pbarifäer Vjn trieben, l)atte fie Jefus bod) fd)on fo grünb* 
iid) entwöhnt, bafe fie felbft bie rabihalfte Verwerfung bes 
Oefe^es bei Paulus nid)t im Hamen Jefu 3U verbammen 
wagten. - Je me\)x wir bann ben Blich von ben flufeen« 
werhen nad) innen wanbten, auf bie Dinge, bie bie 
religiSfen unb fittlid}en Jbeale, bas Ceben ber neuen 
6emeinfd)aft beftimmt unb bargeftellt t}aben, um fo 
feltener beburften wir einer Umfrage bei ben Urapofteln: 
reid)lid} boten fid) Worte Jefu bar von gleid^em Rlang 
unb Sinn; ja im gansen Heuen Ceftament unb in ber 
alten Rird)e \)ai bie Srömmigheit jfefu keinen fo vollen 
unb warmen Had}i)aU gefunben wie bei Paulus. 

€in3elnes in biefem merkwfirbigen Bilbe mag fid) 
aufklären, wenn wir uns vergegenwärtigen, auf weld)em 
Wege Paulus 3um Oiauben an Jefus gelangte. €r batte 
Jefus nid)t perfönlid) kennen gelernt; er war mit fana« 
tifd)em fSafe über bie Sd}änber bes Jubennamens l)er* 
gefallen, bie in Jerufalem auf bie Wieberkebr bes ans 
Rreu3 gefd}lagenen Harren«(T)effias warteten. Dafe er in 
biefer 3eit, wo er Verfolger war, viel von ben Worten 
Jefu, von feinem Beilanbswirken unb von ber (Dajeftät 
feiner perfon kennen gelernt t)ätte, ift nid)t wal)rfd}einlid), 
nod) weniger aber, bafe er, bem biefer Bafe Ber3ensfad)e 
war, unb ber fd)on bamals erfüllt war von Qfer für 
Gott (Rom. 10,2) unb von Bunger nad) 6ered)tigkeit, 
fid) geweigert l}ätte, irgenbwie Genaueres von bem 
Verbauten 3u boren. Cr bat fid) ersäblen laffen, was 
ibm ba3U bleuen follte, feinen 3orn vor feinem Öewiffen 
3U red)tfertigen. Die Tapferkeit ber verfolgten Jünger 
Jefu wirb ibn, ber bereit war, bie (Denfd)en aus ibren 
Srüd)ten 3U erkennen, 3uerft erfd)üttert b^ben; bie par 
Sd)riftftellen, bie fie als Weisfagung auf Ceiben unb 
Sterben bes CDeffias ibm entgegenbielten, mad)ten ibn 
ftufeig. 3unäd)ft 3war nur für einen Rugenblid^. Aber es 
war ein Stqd)el in feine Seele geworfen, ben er nid)t 



lo5 würbe: in einfornen Stunben quälte x\)n bie frage: 
Unb wenn er's bennod) wäre? Unb einige ftolse Worte 
bes 6ehreu3igten hlangen if)m ins 0\)x: wenn ber (Dann, 
ber bas gefprod)en l}atte, ber CDeffias gewefen war, 
waren biefe Worte bann nid)t wert, Worte Gottes 3U 
beiden ? Cr flehte 6ott an, x\)n von ben Sweifeln 3U be* 
freien. 

Da ift \\)m gan3 unerwartet Cl}riftus erfd)ienen. Cs 
ift hinblid) 3U fragen, woran Paulus Ct)riftum erkannt 
Y)Qt unb was für Worte Vjm bei ber Vifion 3uteil geworben 
finb. Sür fein Denken brad}te biefe erfd)einung bie fortan 
unerfd)ütterlid)e 6ewi6l)eit : ber gehreu3igte Jefus ift ber 
ODeffias gewefen, er ift es nod), er lebt jefet wieber im 
Bimmel, von 6ott ausgeftattet mit göttlid)er (Dad)t; als 
Berr über Cebenbe unb tote, ber wal)re Sobn Gottes. 
Jefus fo als Berrn erkennen, bebeutete aber für Paulus : 
fid) als Jefu Rned}t anerkennen. Rned)t ]efu Cl)rifti, 
me\)x nod), fein flpoftel, benn bie Rolle eines ftill auf 
bas €nbe wartenben Oläubigen war für ben (Dann aus« 
gefd)loffen, ber fd}on im Ba|; gegen Jefus fid) nid)t l)atte 
genug tun können; bie neue Ciebe forberte erft red)t 
bas Qnfefeen feiner gan3en Cebenskraft ; war bas nic^t 
aud) bie flbfid}t Gottes mit biefer Offenbarung feines 
Sot)nes an ben ehemaligen Verfolger gewefen ? Paulus 
war 3um flpoftel berufen worben, unb 3war 3um 
flpoftel in neuem Sinn; benn blofe um bie 3al}l ber 
„Jünger** 3U vergrößern, wäre Cl)riftus bem Verfolger nid)t 
erfd)ienen, fonbern weil ber (Dann aus Carfus Vjm ge« 
eignet bünkte, fein Cvangelium aud) ba 3U verkünbigen, 
wo man bisher von Offenbarungen Gottes nid)ts wugite, 
unter ben Beiben. 

flls fluflöfung ber jübifd)en Religion \)Q\\e Paulus 
ben neuen Glauben verfolgt ; jefet wo er \\)n liebte, l)öt er 
fid) nid)t vorgefpiegelt, baß biefer Olaube in Wai)rl)eit 
bie „väterlid)e Religion* v ollen be ober erfülle, er \d)lo^ 
nur baraus, bog; eben fe^t Gott etwas Böseres an bie 
Stelle ber alten Offenbarung gefegt l)abe unb rüftete 
fid), bies fein Verftänbnis bes Cvangeliums in ber Welt 
burd)3ufe^en. 

Die Perfon Jefu kann x\)m babei nid)t gleid)gültig 

54 



gewefen fein; im Anfang am atlerwentgften. €r wäre 
fofort von Damaskus nad) Jerufalem umgehel}rt; aber 
er wufeite, bafe bie ehemaligen Oenoffen it)n rafd) unfd)ä5* 
lid) mad)en würben, wenn er fid) it)nen auslieferte. So 
wartete er 3 Jal)re lang in ber Verborgenheit Rrabiens. 
Olöubige Brüber, bie aus3urotten er ja ausgesogen war, 
mod}ten feine erfte Heugierbe befriebigen ; als er bann auf 
2 Wod)en l)eimlid) nad) Jerufalem ging, um Petrus hem 
nen 3U lernen (6al. 1, 18), bat er fid)er nid)t fid) von 
biefem etwas wie eine Ordination beforgen wollen, fon« 
bern fid) von bem gewid)tigen 3eugen bes Cebens jefu 
„überliefern" laffen 0. Ror. 15,3; 11,23), was irgenb 
er an 3uverläffigen Überlieferungen braud)en honnte, um 
Seelen für bas €vangelium 3U gewinnen. Dag feine Dar» 
ftellung 6al. 1, 16 f. fo klingt, als t)ätte er keinerlei 
Seugnis von (Denfd)en über ben Berrn nötig gehabt unb 
verbanke all fein Wiffen blofe gottlid)er Offenbarung, barf 
uns nid)t irreleiten, — wo \\)n bod) gegenüber ben galati* 
fd)en Wirren ausfd)lie6;lid) bas Intereffe bel)errfd)t, feine 
Unabhängigkeit von (Denfd)en, feine Beftallung unmitteU 
bar von Gott 3U betonen. Unb ben Vorwurf, gefälfd)t 
3U l)aben, verbient er nid)t. Den „Berrn*, ben vert)errlid)« 
ten, - \)Qhen il)m nid)t bie Urapoftel geseigt, bas l)at 
allein 6ott getan; aber was ber Berr einft auf Crben 
gelehrt, geboten, eingerid)tet l)at, bas konnte aud) Paulus 
nur burd) anbere 0)enfd)en erfaf)ren. Cin flpoftel Jefu 
Cl)riftl aber, ber nid)ts l)ätte wiffen wollen von bem irbi* 
fd)en Ceben bes (Deffias, ber feinem Dogma 3uliebe 
alles, was burd) bie f^ned)tsgeftalt bes Sol)nes Gottes 
offenbar geworben war, geringfd)ä^ig als „Sd)wad)« 
l)eit bes Sleifd)es!" übergangen l)ätte, ift eine Ausgeburt 
mobemer Ronfequen3mad)erei, aber nid)t ber Paulus ber 
Gefd)id)te! Sd)on bas freunbfd)aftlid)e 3 ufammen wirken 
bes Paulus mit anberen Cvangeliften, bie fid)er fold)e wun* 
berlid)e flbfperrung nid)t trieben, 3. B. Barnabas unb (Dar* 
kus, fd)lie^t bie n)öglid)keit aus, bog bie evangelifd)e 
Gefd)id)te bem Paulus im Wefentlid)en unbekannt geblieben 
ift. Aber allerbings reid)te ein 3weiwöd)iger Rustaufd) mit 
Petrus unb bie Sreunbfd)aft mit anbern „flpofteln", bie 
aud) fremben Vermittlem i\)x Wiffen über Jefus verbank« 



ten, nid}t bin, um bem Paulus bos völlig 3U erfe^en, 
was bie älteren Jünger in ber Had)! olge Jefu erlebt l}atten ; 
unb je me\)x er fid) auf fein Sonberredjt unb feinen Son* 
berberuf als Beibenapoftel verfteifte, um fo weniger ge« 
neigt mod)te er fein, derartige Cfichen in feiner d)riftlid)en 
€r3iei)ung nad)träglid} ausfüllen 3U laffen. 6elegenl}eit, 
fie burd) Cehtüre von Cvangelienfdjriften aus3ufüilen, gab 
es für Paulus nod) nid)t. 

Bieraus erklärt fid) ber geringe Umfang von n€rin« 
nerungen** an ]efus in ben paulinifd)en Briefen, hieraus 
aud) bie Ceid)tigheit, mit ber Paulus feinem Cvangelium 
lange 6ebanhenreil)en einverleibt, bie in nid}ts an bas 
Cvangelium^ bes gefd}id)tlid)en ]efus anknüpften. Aber 
eine arge Übertreibung bleibt es bod), bafe bie fogar 
in ber O)eologie, ber Ce\)xe von ben le^en Dingen unb 
ber Sittenlehre nid)t weg3uleugnenben Ubereinftimmungen 
3wifd)en Paulus unb Jefus nur von bem gemeinfamen 
Boben bes bamaligen Jubentums l}errül)ren follen, unb 
ba^ bei ber Bekehrung bes Paulus ber Cinflufe ber Per* 
fon ]efu nid}t in Betrad)t homme. Paulus l}at fid) 3uerft 
unfreiwillig, bann freiwillig unter ben Cinflufe ber Perfon 
]efu geftellt: in bie „Öemeinbe** konnte bamals niemanb 
als Gläubiger, nod) weniger als flpoftel eintreten, ol}ne 
fid) unter biefen Cinflufe 3U ftellen. fln Säl)igkeit, Jefus 3U 
verftel)en, \)ai es \\)m aud) nid)t gefehlt. Cs b^ifet, ben 
einflufe ]efu auf feine alten Jünger furd)tbar niebrig ein* 
fd)ä^en, wenn man bem Petrus 3utraut, bafe er einen 
Paulus als Bruber aufnahm, blo^ weil biefer ben ßreu* 
3estob ]efu als ben bes (Deffias anerkannte, bafe er anbere 
(Dafeftäbe für bie 3ugel)örigkeit 3ur Öemeinbe ]efu nid)t 
verwanbte. Hein, aud) bas Ct)tiftentum bes Paulus 
ift auf bem Boben ber Urgemeinbe 3U Jerufa* 
lem erwad)fen, unb wenn Paulus einmal an ber 
Perfon bes Petrus Rritik geübt bat, an bem Cvangelium 
bes Petrus lyai er fie nie geübt. In aller Sorm erklärt 
er 1. Ror. 15, 11, bafe kein Unterfd)ieb beftebe 3wifd)en 
bem paulinifd)en Cvangelium unb bem ber älteren flpoftel; 
böd)ftens tönt bort aus feinen Worten (V. 8) ein Bebauem 
beraus, bafe jene fo viel früber als er in ben Befi^ ber 
vollkommenen Offenbarung gelangt finb. 

56 



Be>A7ug[t und mit Willen l}Qt demnad) Paulus 
hein StüA von bem Cvangelium ber „Säulen* in Jerufalem 
- unb, wie unfere evangelienbücber ausreicbenb be3eugen, 
bat in beffen CDittelpunkt immer bie öeftalt bes gefd}id}t* 
lid}en Jefus geftanben - verworfen ober aud) nur gering* 
gefd}äöt; bewufet unb mit Willen wirb er \\)m fd}wer* 
lid) neue Beftanbteile 3ugefügt l)aben. Wenn gleid}wol)l 
fein Cvangelium fo gan3 eigentfimlid}e 3fige trägt unb 
bie Cntwid^lung bes Stammes auf ber gemeinfamen 
Wur3el fid) bei Paulus in ber Zat anbers geftaltet wie 
bei ben Urapofteln, fo werben wir bie Urfad}en baffir in 
Dingen 3U \udf)en b^ben, bie vom Willen bes Paulus 
unabhängig waren. Id) glaube, es finb wefentlid) 3wei, 
bie natur bes Paulus unb bie gefd)id)tlid}e Situation, 
bie er bei feiner Bekehrung vorfanb. 

Seine Oatur, feine perfönlid}e Anlage unb Art war 
grunbverfd)ieben von ber Art Jefu, aber aud) bie Aufgabe, 
bie er feinem Glaubenseifer geftellt fanb, war eine gan3 an» 
bere als bie, weld}e Jefus fid) f teilte: barum hann bas £van« 
gelium bes Paulus nid}t bem Cvangelium Jefu gleid}fel)en. 

Den einen Unterfd)ieb, ben ber Oaturen, wirb man 
gewal}r beim erften BUA auf bie Art, wie Paulus fd}reibt, 
wie er feine öebanhen geftaltet. Gin Viertel feiner Briefe 
ift ausgefüllt mit Auslegung von Bibelworten, mit exe* 
getifd}en Runftftü*en. Um feine Ce^re von Glaube unb 
Red)tfertigung plaufibel 3U mad}en, 3iel)t er bie 6efd}id}te 
Abrahams l)eran, aus ber er nad) unb nad) alle Beftanb* 
teile jener Cel)re l)eraus3ubeftillieren vermag (Rom. 4, 6al. 3). 
Die 6efd}id}te von F5agar unb Sara, ben Weibern Abra» 
bams beutet er 6al 4, 21 -31 aus als Vorausbarftellung 
ber neigungen unb Sd}iAfale bes nieberen unb bes oberen 
Jerufalem, bes fhlaven^aften Jubentums unb ber freien 
Cbriftenbeit. Ylod) Ungel)euerlid}eres bietet er Rom. 10. 
Da le\)ü er ein Propbetenwort aus 5. CDofe 30, wo bas 
6efe^ als bie nun allgemein 3ugänglid}e Offenbarung 
bes Willens Gottes gepriefen wirb, verftel)en als eine 
Weisfagung auf bie (T)enfd)werbung bes präexiftenten 
fOeffias, auf feine AuferweÄung von ben toten, 3ugleid} 
auf bie red)tfertigenbe unb erlöfenbe rDad)t bes Glaubens 
an ben auferftanbenen f5errn! 

5X 



Diefe fDetl)o6e, die einselnen Sd}rift>A7orte durd) will« 
hfirUd}e Umdeutung unö durd) ein ßerauspreffen tiefer 
Oebeimniffe aus ben 3ufSlligften RedeAvenöungen 3U einer 
Quelle fieberer Weisbeit 3U mQd)en, bat Paulus aus ber 
rabbinifd)en Sd}ule mitgebrad}t. €x übt fie aber nid}t 
etwa, um feine ßiunft 3U 3eigen, ober um im ßiampf mit 
Juben, wo er obne fold)e Waffen nid}t fiegen honnte, 
alle Cinwänbe fd}lagenb 3U wiberlegen; er übt fie aud) 
vor f5eibend}riften, wie bie öalater unb Römer es waren, 
er bat fie vor allem gegenüber fid) felbft geübt: benn 
nid)t blofe um flnberer willen \)Qt er immer unb immer 
wieber bie Bibel, auf fold)e Beute fabnbenb, burd}fabren. 
£r braud)te gegen verein3elte 3weifel,bie ibm gekommen 
waren, biefe Beweife; ibm geben bie wunberlid)en ßrüd^en 
bas öefObl, bafe er fid}er gebe; es war fein Stols, bafe 
er über fo glänsenbe Beweismittel verfügte. 

In ben evangelien wirb ja aud) einige CDale, befon» 
bers bei fDattbaus, bie b^ü^Qe Sd)rift 3ur Beftätigung 
berange3ogen, gewöbnlid) um ein Stüd^ evangelifd}er 
6efd)id}te wie bie Geburt bes CDeffias in Betblebem 
((Dt. 2, 6), ]efu Cebren in Parabeln ((Dt. 13,35), ben Rauf* 
preis an ben Verrater Jubas ((Dt. 27, 9) als lang voraus 
geweisfagt auf3U3eigen. Wo bagegen Jefus felber mit 
Bibelftellen operiert, b^nbelt es fid) um einfad}e Reminis* 
3en3en, bie jebem frommen Bibellefer kommen, 3. B. 
(Dh. 4, 29; 8, 18; 9, 48. Ober ]efus wäblt für eigne 
Gebanhen einen altteftamentlid}en Busbrud^ wie (Dh. 
11, 17 unb 4, 12; bie einsige uns überlieferte Rebe Jefu, 
bie fid) ftreAenweife wie ein Kommentar 3U Sd)riftweis« 
fagungen lieft, (Dh. 13, ift gerabe in biefen StreAen ibm 
nur irrtümlid) untergelegt worben. Jefus gebt bem Wort 
beiliger Offenbarung, bas er im fllten Ceftament fanb, 
nid)t etwa aus bem Wege; er erinnert an bie 3ebn Ge* 
böte (3. B. (Dh. 10, 19), an bas Doppelgebot ber Ciebe 
((Dh. 12, 29-31), bat vielleid)t aud), als er ben tob vor 
flugen fabi ben immer nod) frobgemuten Jüngern vor« 
gebalten, was ber Propbet Sad)arja über bas Sd)id^fal 
bes f5irten unb ber f5erbe verhünbet batte. Aber feine 
Baltung gegenüber ben Sd)riftworten ift mit ber bes 
Paulus gar nid)t 3U vergleid)en. In ber Bergprebigt 

58 



nimmt er einselne Beftondteile des Oefe^es vor: Du foUft 
nid)t töten, nidjt ebebred)en, nid}t falfd) fd)woren, md}t 
»Buge um fluge, 3al)n um 3al)n* forbern. nicl)t um fid) 
auf biefe Worte 3U ftü^en, fonbem um il)rem gewöhn« 
lid}en Verftanbnis ein tieferes, ewiges entgegensuftellen. 
Ober ifts nidjt birehter Wiberfprud), wenn er CDt. 5, 43 t 
bas alte: «Du follft beinen näd)ften lieben unb beinen 
Seinb bctffen", burd) fein: «Ciebet eureSeinbe* erfe^? Die 
mofaifc^en flnorbnungen Ober ein horrehtes Verfal)ren in 
ei)efd}eibungs'flngelegenl)eiten burd}ftreid}t er mit einem 
3omigen : Was Gott 3ufammengef ügt l)at, foU ber CDenfd) 
nid)t fcbeiben (ODh, 1 0, 4. 9), unb feine flnfci}auungen über 
bas, was allein unrein mad}t (CDh. 7, CDt. 15) bat er, 
wenn aud) nid}t bewußt im Gegenfa^ gegen bas Gefe^ 
fo bod) wal)rl)aftig nid}t aus bem Gefe^ gewonnen: fie 
finb in feinem f5er3en gewad}fen. F5ierin offenbart fid) 
ein f unbamentaler Unterfd}ieb 3 wifd}en ]efus unb Paulus : 
Jefus ift f eiber Gefe^geber; er proklamiert aus eigener 
Gewalt, was Red}tens ift in Religion unb Sitte, Paulus 
fül)lt fid) berufen, mit gelehrten Argumenten bas, was 
burd) Cl)riftus Red)tens geworben ift, 3u red)tfertigen, 3U 
erläutern unb 3U unterftüfeen. Als bie Ceute (Dh. 1, 22 
bewunbernb über ]efus urteilten : ber lel)rt wie einer ber 
Vollmad)t l)at unb nid)t wie Sd)riftgelel)rte , l)aben fie 
ein Wort gebraud)t, bas für uns ben flbftanb bes flpo* 
ftels von bem CDeifter vor3Üglid) henn3eid)net, bort ber 
Souverän, l)ier ber verantwortlid)e (Dinifter, ober aber: 
bort fd)öpferifd)e Rraft, \)\ex nad)bilbenbe Gelel)rfamheit. 
CDan barf biefen Gegenfa^ nid)t mit bem bes (Deffias 
unb bes CDeffiasgläubigen gleid)feöen. Selbft wenn wir 
genauer wü^en, als es ber Sali ift, feit wann Jefus fid) 
als CDeffias gefüllt \)Qt: mit biefem CDeffiasbewufetfein 
ift bie ßobe feines Selbftgefül)ls nid)t erklärt. Gs \)a» 
ben fid) nod) mand)e anbere als CDeffiaffe feiern laffen, 
finb aud) für il)ren CDeffianitätsanfprud) in ben Zob ge* 
gangen, aber von ber frifd)en Rraft ]efu l)aben fie nid)ts 
befeffen. Unb wenn man einwenbet, fie waren eben 
falfd)e CDeffiaffe, er ber allein wahre, fo ift's an ber 3eit, 
bafe wir vor biefem felbft ber Srömmigkeit nur fd)äblid)en 
Irrtum offen warnen. Der CDeffias, ben bas fllteCefta» 



ment erwarten läfet, ift Jefus nid}t gewefen. Stammt alfo 
fein (Dad}tbewu6tfein aus biefer obnebin ja nur im Oa* 
men, aber wal)rbaftig nid)t im lnl)alt feften unb hlaren 
Ibee, fo ftammt es aus einer Cinbilbung. Rein, Jefus l)at 
fid) felber befeffen, e\)e er ben verbältnismäfeig gleid)* 
gültigen titel bes (Deffias erwarb; er l)atte eine neue 
Welt in feinem f5er3en erfd}affen, el)e er einen Oamen 
fanb, ber bas Heue mit bem fllten vermittelte, flls Sol)n 
Gottes, als Propheten, als Bürger, nein Surften in Gottes 
Reid) l)at er fid) gefüllt, unb nie ein Wort verfd}wenbet, 
flnberen, bie fid) nid)t feiig mad)en laffen wollten, feine 
Red)te 3U bemonftrieren : bas ift feine (Da jef tat. Id) fage 
eud}: fo hlingt es allerwdrts im Cvangelium; Paulus 
bringt es, tro^ l)öd)ftgefpannten ei)rgei3es unb eines ftark 
ausgeprägten Bewugtfeins um fein ßönnen, nie 3U bie« 
fem unbefangen grogien: Id); am liebften gibt er fid) mit 
einem „Wir** (felbft Rom. 8, 31 ff. unb 2. Ror. 4. 5) als 
ben Ausleger bes gemeinfamen Bewufetfeins aller Glöu« 
bigen. Durd) ben 3ufa^ „in Cl)riftus*, ben felbft feine 
bringenbften unb perfönlid)ften Crhlärungen tragen, l)ält 
er eine anbere Autorität fd)ü^enb vor bie feine; er fällt 
nie aus ber Rolle bes Dieners. Gan3 unerträglid) wäre 
in ]efu (Dunb ein Wort, wie bas für Paulus fo überaus 
d}arahteriftifd)e 2. Ror. 3, 5 f.: „nid}t als ob wir von uns 
felbft aus bie Säl)igheit befählen, eigene Gebanhen aus- 
3ugeben, fonbern alle unfere Säl)igkeit hommt von Gott, 
ber uns fäl)ig gemad)t bot, 3U bienen am neuen Bunbe**. 
natürlid) l)at in Wirklidjheit Paulus fel)r viele unb 
bebeutfame Gebanhen von fid) aus gefd)affen, wie anbrer« 
feits ]efus von ben Srommen bes alten Bunbes, aud) von 
Vater unb (Dutter, einen grofeen teil feiner religiöfen Vor* 
ftellungen überkommen l)at : wir fpredjen l)ier aber nur von 
ben Grunbfä^en unb bem Bewufetfein. Gans obne Be* 
grünbung lägt aud) Jefus bie Offenbarungen feines neuen 
Geiftes nid)t l)inausgel)en; er beruft fid) für feine Sabbat* 
freibeit auf bas Vorbilb Davibs (Dh. 2, 25, er veranfd)au* 
lid)t bie nu^lofigheit unfers Sorgens mit bem f5inweis 
auf bie Cilien bes Selbes, bie nid}t fpinnen unb fid) nid)t- 
quälen unb von Gott bod) fd)öner gehleibet werben als 
es Salomo war in feiner Prad)t (Dt. 6, 28. Den Wal)n, 



als träfe das UnglQd^ immer nur Sd}ulbige, 3erftört er 
Ck 13,1-5 burd) gefd}iAte f5eran3iel)ung oufregenber 
Rataftropl)en aus jüngfter 3eit, bei benen hein CDenfd) 
an befonbere Sünbigkeit ber armen Opfer bad)te. Unb 
finb feine 6leid)niffe, überhaupt feine Bilbworte nicl)t 
eigentlid) allefamt Verfud)e, bas, was in feiner Seele 
lebt, Gottes alleseit 3ur Vergebung bereite Ciebe, bie 
emften flnfprücbe Gottes an unfere treue, pfUd)terfüllung, 
Opferfreubigkeit , Wacbfamkeit , Verföl)nlicl)keit , Demut 
u. f. w., bie Sid)erl)eit ber Gebetserl)örung , bie Corl)eit 
bes CDammonsbienftes mit 3wingenber Rraft ben Börem 
in ben Sinn 3U prägen? Gewife, aber alles Beweifen bei 
]efus richtet fid) an feine Börer, an bie verftockten pi)a* 
rifäer, bie unwiffenbe (Denge, bie verftänbnislofen Jünger : 
für fid) l}at er niemals bie Stfi^e eines Beweifes beburft. 
Unb er bolt feine Beweife benn aud} aus bem Ceben, aus 
ber Welt, bie alle gleid}ermagen kennen. Wie es bie 
Berren einrid)ten bei großen Seftlidjkeiten, wie ber Canb* 
mann sweAmäfeig feinen Wein aufgebt, wie Rinber mit* 
einanber fpielen, bas l)at er beobad}tet; bas leud}tet bann 
aud) bem einfältigften ein: was fid) im Kleinen bewährt, 
wirb im Grofeen erft redjt nid)t verfagen. Die Spi^finbig» 
keit ber Sd)riftbeweife aber, bie aus ber Gelel)rtenftube 
ftammt, fel)lt bei ]efus voUftänbig. 

Saft nod) wid}tiger ift ein anberes. ]efus empfinbet 
nirgenbs ein Bebfirfnis, 3wifd)en ben einseinen Wal)r« 
l)eiten, bie er verkünbet, 3uerft fd}arf 3u unterfd)eiben 
unb nad)l)er einen 3ufammenl)ang I)er3uftellen. Die 
Srömmigkeit als foldje kennt bies BebOrfnis überijaupt 
nid)t; bas Begriffe« unb SYfteme-(Dad}en ift eine flufee» 
rung wiffenfd)aftlid)er triebe. Bei Paulus finb biefe triebe 
mädjtig entwiAelt. Djm genügt nid)t ein einfad)es: „id) bin 
burc^ Gottes Gnabe frei geworben von Sünbe, Surdjt vor 
Strafe unb bem tob"; er mufe immer bem Warum nad}* 
gel)en, unb ru^t nidjt, bis er in einer tl)eorie ben 3u« 
fammenl)ang von Urfad)e unb Wirkung erfafet unb all« 
feitig mit ben Gebanken ber Sd)rift ausgeglid)en l)at. Qn 
blofees nad)einanber : erft ber Ungel)orfam bes auser* 
wählten Volkes gegen Cl)riftus, bann Glaube ber Beiben, 
bann Errettung von gan3 Israel, erträgt er nidjt ; er weife 



eine innere Verbindung l}er3ufteUen, öie öas eine um öes 
andern willen gefd}el)en fein lägt. Insbefonöere ift er 
beforgt, bie 6runbeigenfci}aften Oottes, feine flUmadjt, 
feine 6ered}tigheit unb feine Güte in bem wunberfamen 
flb unb Auf ber rDenfd)l)eitsgefd}id)te 3um befriebigenben 
Busgleid) 3U bringen : Sineffen, bie ]efus nidjt behümmert 
boben, weil il)m bas alles von voml)erein felfenfeft ftanb. 
So l)at Paulus ber neuen Religion tl)eologifcl)en Ballaft in 
(Denge auferlegt, uns bas freubige Geniegen getrfibt burd) 
bie fortwäl)renbe Reflexion über bas Oeniefeen* Dürfen, 
Die Brt, wie ers getan b^^t mag uns b^ufig fd}weren 
flnftofe bereiten, obwol)l wir nid}t vergeffen wollen, bafe 
er nid}t immer blofe fd)ulmä6;ig arbeitet, fonbern aud) als 
Did}ter unb als Prophet 3U uns rebet, wie Rom. 8 unb 11, 
unb bafe fein Ber3 immer mit beteiligt ift an bem Werk 
feines Verftanbes. Aber bafe ers überhaupt tat, gereid}t 
il)m nid}t 3um Cabel; es war eine Hotwenbigheit, fogar 
ein Sortfd)ritt. Die Religion ]efu konnte gar nidjt in 
ibrer urfprüng lieben einfad}l)eit verbleiben, feit Jefus felber 
nid}t me\)x auf Erben war. Die Scl)wäci}eren, bie il)n 
vertreten wollten, mufeten auf il)re Weife Grfa^ befd}affen 
für ben (Dangel an perfönlicl)er Rraft unb an Autorität; 
fie mußten im ßampf wiber ben Unglauben, im Werben 
um neue Gläubige fid) einlaffen auf bie Cinwenbungen 
ber Gegner: fo kam bie CDannigfaltigkeit unb Unruhe 
in bas Cvangelium b^^ein; es nabm notgebrungen ben 
Cbarakter einer Gefd)id)tspbilofopbie an, weil es fid} 
je^t bie Aufgabe ftellte, mit wiffenfdjaftlidjen CDitteln bie 
Rätfei feiner Gefd}id)te 3U löfen. 

Damit finb wir aud) fd)on an ben le^en entfd)ei« 
benben Punkt gelangt: bie Verfdjiebenbeit ber Situation, 
bie Paulus vorfanb von ber, in weld)er ]efus fein Werk 
aufgenommen b^fte. 

Der Rreu3estob Jefu liegt 3wifd)en ibnen. 3um 
Evangelium Jefu b^tte er nidjt gebort. Sür Paulus war 
er ber gegebene Ausgangs« unb ber bleibenbe CDittel« 
punkt all feiner Prebigt. (Dit biefem einen Wort ift ein 
ungebeurer Unterfd)ieb 3wifd)en ben Beiben gefd)af fen, ber 
ben ibrer Oaturanlage unb Bilbung wobl nod) überwiegt. 
Jefus trat auf mit bem Evangelium: Das F5eil ift nabe. 

ä2 



Das Reid) Gottes ftel)t vor ber Züx; lagt eud) mal)nen, fo 
lange es nod) 3elt ift, auf bog; ll)r bereit finb, Avenn bie 
groge Stunbe f erlogt; forgt, bog eure Sfinben vergeben 
finb, euer f5er3 gereinigt von eitlen Cüften unb erfüllt von 
Ciebe 3U Gott Im tlamen bes Vaters labe id) ein 3U 
ewigem Sreubenmal)lt eud} alle, Jeben, ber hommen >vill, 
>»enn er nur hommt als 6aft, um 6efd)enhe 3U empfangen, 
in reinem Gewanb, unb bal)intenlägt nid)t blog; ben 
(Dammonsbienft unb fleifd}lid)e Begierbe, fonbern aud) 
ben törid}ten Stol3 auf eigne Verbienfte unb eigne Vortreff« 
lid}heit. Auf bie flnhfinbigung folgte bie tat. Jefus fam» 
melte nid}t blog bie f5aufen um fid), bie bem neuen ßönig 
entgegen3iel)en follten, er begann im Stil unb in ber 
Stimmung bes Bimmelreid)s bas Ceben ein3urid)ten : 
mitten in ber alten Welt unb bod) von örunb aus neu; 
er 3 e igte benen, bie fel)en konnten, in feinem gren3en« 
lofen öottvertrauen, feiner öottinnigheit, feiner Barm« 
I)er3igkeit, in ber Bol)eit unb Gefe feiner Berufstreue 
bie Kräfte einer neuen Welt. Sein Ibeal war fein Cvan» 
gelium; er wollte es am liebften allen (Denfd)en mittel* 
len; Streit führte er nur mit benen, bie bies Ibeal ver* 
läfterten, weil es H)xe erbärmlid}en Vorurteile unb In« 
tereffen ftörte. €x verlangte nic^t, bafe man an bas 
evangelium glaube, weil e r ber (Deffias fei ober ber aus 
einer Jungfrau geborene 6ottesfol)n, l)öd}ftens verlangte 
er, bafe man il)m vertraue, weil fein Cvangelium bie 
Wabrbeit fei. nid)t eine neue Rird)e ab3U3weigen von 
ber alten jObifd}en öemeinbe mad}te er fid) 3ur Aufgabe, 
fonbern, foweit feine Stimme reid)te, bie (Denfd^en l)eran« 
unb berauf3urufen 3U bem einen 6ott, ben fie bisher blofe 
bem Damen nad) gebannt b^ben: in beffen Baus follen 
fie nunmehr wie Rinber beim Vater x\)xe Si^e einnebmen. 
- Jefus fanb Beifall unb erbitterten Wiberfprud): bas 
eine bat x\)n nid)t übermutig, bas anbere nid}t irre ge« 
mad)t. Die Srage, wer er benn fei, insbefonbere, wie 
benn fein Auftrag fid) 3U bem bes eben ermorbeten Za\x* 
fers Jobannes verbalte, ift natürlid) balb erboben wor« 
ben. Jefus bat fie unbeantwortet gelaffen, ober beffer: 
fie umgeworfen burd) ben Befd)eib: ber Rleinfte im Bim* 
melreid) ift grof^er als Jobannes, tro^bem es unter ben 



(Denfd}enkinbern nie einen grofeeren als Johannes ge» 
geben l)at. Sragt nid^t, >»er id} bin, fonbem ob l\)x 
l)ineinhommt ins f5immelreid): alles anbere werbet \\)x 
feinenieit erfal)ren. Das ßehenntnis eines Jüngers: Du 
bift ber (Deffias Gottes, l)at er freubig bewegt angenom« 
men, nid}t weil \\)m an bem Z\\e\ lag, fonbern weil es 
x\)m ben Sortfd}ritt in \\)xer f5eils3uverfid}t offenbarte: für 
einen flnberen als (Deffias, ber auf il)n gefolgt wäre wie 
er auf ben Johannes, blieb ja aud) in feiner Religion 
hein pia^ frei; er b^tte auf niemanb aug;er Oott f5off* 
nungen 3U fefeen, fein 6ottesfol)nfd}afts»Bewu6tfein war 
nid}t auf flblöfung burd) einen Böseren eingerid)tet. Darum 
l)at er benn aud), als er ben Zöb über fid} l)ereinbred)en 
fal), nid)t einen flugenbli* gesweifelt, bafe ber Zob \\)n 
nid)t überwältigen werbe; Gott mufete feinen Qo\)n als= 
balb vor ben (Dörbern red}tfertigen, \\)n auferweAen unb 
bie legten Bollwerke, bie ber Satan je^t vor feiner finken« 
ben Stabt auftürmte, serfdjmettern. Wenn jefus je von 
feinem tobe gefprod}en l)at, l)at er aud) vom Wieber* 
fel)en im Reid)e Gottes, von feiner fluferftel)ung gefpro* 
d}en: aber bag er il)n als eine notwenbige Bebingung 
bes Beils wol)l gar von Anfang an verftanben unb feinen 
Jüngern verftänblid) gemad)t l)ätte, ift aus ben Gvan* 
gelien nid)t 3U entnehmen. ]efus bat fid) in fein Sterben 
gefügt wie lange vorder in bie Steinwürfe ber Ceute 
von nasareti) unb in ben Unglauben von Rapernaum 
unb Betbfaiba: fein Z6Ö war bes Vaters Wille, alfo 
\)o\)e Weisheit, aber nid)t ber Rempunkt in bem für 
jebes Rinb fafelidjen evangelium. 

Als Paulus fid) in ben Dienft bes gekreusigten 
Berrn ftellte, war bie Cage vollkommen veränbert. Is- 
rael war gefpalten in eine grofee rDel)rl)eit, bie fid) über 
bie Befeitigung bes vom meffianifd)en Wal)n ergriffenen 
nasareners freuten, unb eine kleine CDinberbeit, bie fort» 
ful)r, ben geliebten Cel)rer tro^ feiner fd}impflid)en Bin» 
rid)tung nid)t blofe als grofeen Propheten, fonbern als 
ben (Deffias 3U verehren. Seine fluferftel)ung, bie il)nen 
glänsenb beglaubigt fd)ien, \)aüe ben (Dakel bes Ver» 
bred)ertobes von il)m genommen; unb fie befa^fen Offen* 
barungen, nad) benen er blofe seitweilig in ben Bimmel 

64 



erboben worben war, um bemnäd)ft 3urfich5uhel)ren unb 
bas meffianifdje Werk nun in göttlid}er Glorie 3U voll« 
enben. Das Bäuflein getreuer Sd)üler Jefu l)atte fid) 
als befonbere Sehte, als eine neue Rird)e, mit bem (T)it« 
telpunhte in Jerufalem, organifiert: was fie von allen 
anberen Juben trennte - benn nur Ober biefen 
Punht gab es 3wifd}en ben übrigen Juben heinen Streit 
- war H)x (Deffiasglaube. l\)xe Cxiftens l)ing baran, 
bafe fie biefen H)xen Glauben an Jefus, an ben gekreusig* 
ten, auferftanbenen unb balb in Berrlid)keit vom Bimmel 
wieberkel)renben (Deffias burcbfefeten. Alle Rraft würbe 
aufgeboten, fold)en Glauben 3U verbreiten, bie fd}weren 
flnftöfee, bie er bem Juben 3umutete, 3U befeitigen: na« 
türlid) auf bem ein3ig erfolgver^eifeenben Wege einer 
CrhlSrung ber rDeffiaskreu3igung aus ben \). Sd}riften 
als einer 3um Beil ber Welt gefd)el)enen Opfertat. Die 
„Gläubigen" unb bie „Ungläubigen* ftritten fid) je^t 
n\d)t mel)r barüber, ob es erlaubt fei am Sabbat Al)ren 
3U raufen, ob Verföl)nlid)keit me\)x vor Gott wert fei als 
Opfer, ob ein Samariter mit warmem Ber3en unb ein 
bemütiger 3öllner gered)ter feien als ein felbftfud)tiger 
unb bocbmütiger pi)arifäer: an Stelle ber religiös* 
fittlid)en Qrunbfä^e unb Stimmungen, bie 3U 
Jefu Ceb3eiten bie CDaffe ber Verlorenen von i^m unb 
ben Seinigen getrennt Ratten, war je^t als entfd}eibenb 
eine frage ber Religionsgef d}id}te, bie 3ugleid} eine 
frage ber gefd)id)tlid} beftimmten Z\)eolog\e war, ge* 
treten, nämlid) bie : Ift ber gekreu3igte Jefus ber CDeffias 
gewefen, unb aus welchem Grunbe konnte Gott über« 
l)aupt ben Zöb feines (Deffias 3ulaffen? Paulus, ber 
felber an fid) bie Wut über ben Wal)nwiö biefes neuen 
Glaubens burd}gekoftet l)atte, mufete, als er feinen Irr« 
tum einfabf naturgemäß einfeitiger als ein anbrer, ber 
als Unparteiifd)er l)erantrat, bas „ Unfinnige" in «Weis« 
l)eit" verwanbeln: bie ungeheure Gröfee ber Catfad}en 
nad)weifen, bie il)n einft mit Verad)tung erfüllt l)atten. 
Das notige Banbwerks3eug brad)te er aus ber Rab* 
binenfd)ule mit: feinem entl)ufiasmus unb ber unerbitt« 
lid}en Cogik, mit ber er bie einmal aufgegriffenen Ge« 
danken bis in bie le^en Vorausfe^ungen 3urüA ver« 

] ü l i d) e r , Paulus und Jefus. 



folgte, gelang bas Werh: ber Rreusestob eines funb» 
lofen CDeffias ift bas Sül)ngelb für alle bie, bie im 6lau* 
ben fid) mit biefem CDeffias 3ur einl)eit 3ufammen* 
fd}lieg;en, ber Rauf preis, ben Gott an Sünbe unb Zoi> 
für fie ge3al)lt l)at; ber CDeffias ift bas öegenbilb von 
flbam, unb 3war 3um Guten wie flbam 3um Böfen, 
Ja wirhlid) ber CDeffias ift aud) ein flbam, er ift ber 
Bimmelsmenfd) , ber ben Sali nid)t mitgemad^t unb 
längft barauf gewartet l)ctt, bie armfeligen nad)hom« 
men bes ungel)orfamen flbam burd) eine Zat grofe* 
artigen 6el)orfams 3U ber wahren CDenfd)l)eit 3urü** 
3ufül)ren. für jübifd}es Denken war burd) fold)e Ron* 
ftruhtionen ber flnftofe an ber f5eilsgefd}id}te , bie 
Paulus nun allerbings red}t umftanblid) ausarbeiten 
mufete, wirhlid) befeitigt — falls überhaupt Bereitwillig* 
keit vorbanben war, fid) ber verfolgten öemeinbe an3U« 
fd}lie6en. Unb ben Beiben imponierte wieber, 3um teil 
burd} feine Wunberlid)keit, biefer Runftbau; bie ßeilsge* 
wig;l)eit wirkte verloAenb, vor allem bafe Paulus bas 
Beil als fertig, in ber jüngften Vergangenheit 3um 
flbfdjlufe gebrad)t anbieten konnte. Die Crlöfung, Ver* 
föl)nung, Red)tfertigung ift ja fd)on ba, fogar bas neue 
Ceben unb bie Berrlid)keit, feit Cl)riftus fid) aus bem 
tobe in ben Bimmel erhoben l)at: wir braud}en uns 
blofe burd) Glauben unb Sakramente bie flufnal)me in 
bie öemeinbe 3U verfd)affen, fo l)aben wir teil an bem 
irbifd}en flbbilb bes verg5ttlid)ten Cl)riftus! 

Wir werben ber jungen öemeinbe, bie um il)re Cxi* 
ften3 kämpfte, es nid)t verbenken, bafe fie von ber Z\)eo* 
logie bes Paulus fid) biefe nad) allen Seiten großen 
erfolg verfpredjenbe Bineinarbeitung bes CDeffiastobes 
in bie gefamte Offenbarungsgefd)id}te gefallen liefe, unb 
wir werben ben Paulus nid}t besl)alb tabeln, bafe er 
eine flrbeit unternahm, bie 3war burd) ]efus (weil eben 
erft mit feinem tobe möglid) geworben) in nid)ts vorbe* 
reitet war, bie aber unbebingt getan werben mufete, 
falls bas Vertrauen 3U il)m, bie Vorausfe^ung für eine 
Wirkfamkeit bes öeiftes jiefu, erl)alten bleiben ober neu 
gewonnen werben follte. Sür neue flufgaben mufe man 
neue Inftrumente anfd^affen. Unb wo biefe neuen In« 

66 



ftrumente — nod} ba3u l)ergel)olt aus einer von Jefus 
nie betretenen Werhftatt, ber bes Rabbinentums unb 
ber Scl)ulgelel)rfamheit - \\)x Werh tun, ba erwarten wir 
r\\d)t mel)r, an Jefus erinnert 3U werben. Das ßlappem 
ber rDafd)inen hann nid)t fo tönen wie ber Schritt bes 
ßönigs in feiner l)ol)en ßalle. Was fd)öner klingt, 
barüber beftel)t nur ein Urteil; aber man hann eine An* 
berung sugleid) bebauern unb fie bod) als notwenbig 
anerkennen. 

einen Zobel würbe Paulus blofe bann verbienen, 
wenn er, wie es in ber fpäteren Rird)e nur 3U viel ge« 
fci}el)en ift, biefe fDafd)inen allein gepflegt unb bas alte 
l)eiUge Crbe Jefu vernad}läffigt ober gar mit Süfeen ge* 
treten bötte. Bei Paulus trifft biefer Vorwurf nidjt 3U. 
Die Z\)eoloQ\e erftickt bei il)m bie Srömmigkeit nid)t; 
fein öemütsleben wirb befto inniger, je fefter feine Dog« 
matik il)m ben Glauben funbamentiert; unb feine fittlid}en 
Ibeale \)a\\ er frei von bem läl)menben Cinflufe ber Sormel. 
Wobl aber bot Paulus eine Verfd)iebung bes Scl}wer* 
punkts im evangelium 3U verantworten, ein 3U Anfang 
nod) nid)t vorl)er3ufel)enbes (Doment in ber 6efd}id)te Jefu, 
fein überrafd)enber Untergang, brobte ben Crfolg feiner 
gefamten Beilsverkünbigung 3U vernid)ten. Oidjt bie 
Treue allein unb bie Ciebe konnten bas evangelium er« 
balten ; es beburfte eines Aufgebots geiftiger Kräfte, um 
ber neuen Religion Vjxen werbenben Sauber 3urü*3U* 
geben. Paulus l)at bie Aufgabe bewältigt, gerabe an 
ber gefäl)rlid)ften Stelle \)Qt er ein neues Sunbament 
für bie Beils3uverfid)t gefunben. Das Beil kommt eben 
aus Jefu tob, lautet fein triumpl)ruf; unb mit biefem 
Wort: „Durd) ben Z6i> bes Sohnes Gottes finb wir 
gerettet worben" meinte er bie Summe bes gansen Cvan» 
geliums 3U umfdjreiben. 

Damit ift nun un3weifell)aft etwas ber Beilsverkünbi* 
gung Jefu Srembes in ben Vorbergrunb getreten. 
Das evangelium erfdjeint jet3t belaftet mit einer CDenge 
von kOnftlid) 3ufammengefd)raubten Vorftellungen, mit 
einer wunberl)aften 6efd)ici)tspl)ilofopl)ie, unb bie erften 
Spuren kird)lid)en 3wanges ftellen fid) ein. Aber 
bie Ciebe 3U Jefus unb bie ei)rfurd)t vor feinem 



Werh l)ctt diefe Wenbung ausgemalten, bie gerabe fie 
veranlagt b^tt^* W^il ^^^ öie erlöfenbe Rraft feines 
6 elftes nid}t preisgeben konnte, \)ai man feine Scl}lck* 
fale in eine Crlöfungs* unb Rircl}engefcl}id)te l)ineinge= 
3immert; man war aber nid}t gewillt, über ber Ce\)xe 
von ber Crlöfung ben Crlöfer f eiber, beffen Bilb man 
nun aud) alsbalb in ben Cvangelien 3U bleibenbem Ge- 
bäd)tnis aufseid^net, 3U vergeffen. In feiner Perfönlid}» 
keit treffen ja bie Z\)eolog\e ber Catfacl}en, beren erfter 
großer Vertreter Paulus ift, unb bie SrSmmigheit bes 
von Gott geläuterten öewiffens, für bie Jefus auf ben 
plan getreten war, frieblid) 3ufammen. Was moberne 
rDenfcl}en als Entartung empfanben, l)^* öJe gefamte alte 
Rird)e als b^ilfame Entwicklung begrübt: infofem mit 
Red)t, als bie CI)riftustl)eologie um Jefu willen erbad)! 
worben ift unb wal)rlid) nidjt um Jefus 3U ftür3en. Gs 
ift ein fd}werer Segler, wenn wir nur auf ben Gegenfa^ 
ad)ten unb nid)t auf bas Vereinenbe, nur auf bie neuen 
Sd)löud)e unb nid}t auf ben alten Wein. 

• 

Sd)lufe[ergebms. 

Wie werben wir nunmehr bie Srage nad) bem 
Stifter bes Cl)riftentums beantworten ? Ift wirklid) Pau* 
lus ber »3 weite Stifter ber d}riftlid)en Religion?* 
eine Religion kann eigentlid) nid)t geftiftet werben, ber 
Busbrud^ pafet fd)on blofe für eine Religionsgemeinfd)aft, 
in biefem Sali bie d)riftlid)e ßiird)e. Run, bie bot Paulus 
keinenfalls geftiftet, benn fie beftanb fd}on eine gute Weile, 
ebe er 3U x\)x übertrat, flllerbings bat aud) Jefus nid}t 
bie Rird)e ftiften wollen: wir werben ja wol)l nid)t mel)r 
fein ßimmelreid) gutgläubig mit unferer ßiird}e gleid)fe^en 
wollen. Die Rird^e im paulinifd)en Sinn — als bie 6e* 
meinbe ber f5eiligen, ber burd) ben Glauben in ben Genufe 
bes Beilswertes von Cl)rifti tob unb fluferftel)ung Ge« 
tretenen - beftel)t feit bem tage, wo es ben erften Gläu* 
bigen blefer Art gab, b. I). feit bem erften Oftertage. 
Dann barf man ini Sinn bes Paulus fagen: Jefus Cl)riftus 
bat bie Rird)e geftiftet burd) feinen tob. Vorfid}tiger 
ausgebrüd^t: ber Stiftungstag ber d)rlftlld)en Rlrd)e ift 

6$ 



der Zag, wo 3um erften fDale von Jefusgläubigen der 
Tob ]efu Cbrifti alsBeilstatfadje begriffen worben ift 

Blies, was Paulus an ^b^ologie gefd}affen bcit, finb 
nur fd)riftgelel)rte Solgerungen, allerbings fel)r weitgrei« 
fenbe, aus biefer Wenbung; \)Qi Jefu Religion fiberl)aupt 
eine entfci}eibenbe Umwanblung erlitten, fo fällt bie Um» 
wanblung in bie 3eit vor Paulus* Behel)rung. Dafe bei Pau« 
lus bas 6egengewid)t ber perfönlidjen Grinnerung an ben 
wirhlid}en Jefus weniger wirkfam war, als 3. B. bei Petrus, 
bem vertrauteften Jünger ]efu, änbert nid}ts an ber tat» 
fad)e, bag[ bie Vorfd)iebung bes Glaubens an bie FSeils«' 
bebeutung bes Rreu3estobes an bie erfte Stelle im Cvan« 
gelium für alle formen bes Cl)riftentums 3utrifft unb 
nid)t ein3ig bem flpoftel Paulus 3ur Caft fällt. 

Ift benn nun aber ber tob ]efu baburd), bafe er 
tatfäcblicf) bie Stiftung einer neuen öemeinbe b^rbeige« 
fübrt bot, aud) als ber entfd}eibenbe Wenbepunkt in ber 
Religionsgefcl)icl)te an3ufül)ren? Gibt es obne biefen 
Zöb keine cl)riftlid}e Religion? Sollen wir uns benen 
anfdjlie^en, bie meinen, Jefus verbanke feine weltge» 
fd)id)tlid)e öröfee eigentlid) nur feinem tobe, gleichviel 
ob fie biefen bann als Gottes Sügung ober als einen 
3ufall betrachten? (Dir erfd)eint bas Urteil gerechter, 
bog Jefus in feinem Ceben bas Samenkorn gelegt 
l)at, bas einsige, aus bem nad) feinem Tobe bas Cbriften* 
tum emporgefproffen ift. Jefus \)Qt 3war keine Rird}e ge« 
grünbet, er bat keine Dogmen proklamiert, er b^* keine 
tbeologie vorgetragen. Aber er bot eine neue Srömmig« 
keit, ein neues Ibeal in bie Welt getragen, flls er ftarb, 
war bie Rraft feiner Religion fd}on fo gewaltig, bafe fie 
bei ben Beften feines Volkes ber furd)tbaren enttäufd)ung 
biefer Dieberlage trogen konnte : ber Glaube an ibn unb 
an bie Wabrbeit feiner Sadje fanb eine form, Jefu 
nieberlage als Sieg 3U beuten. Die fittlicben Ibeale 
beweifen unter uns (Denfcben immer nur auf biefem Wege, 
was fie wert finb. Das Gemeine ftir^t am ODifeerfolg; 
bas Qöttlicbe überwinbet ben tob. Run \)\e^ es: er ift 
geftorben, aber nidjt blofe, um uns bfemnäcbft mit ben 
bimmlifd)en f5eerfcbaren in bie Seligkeit bii^Qufsubolen, 
fonbern: burd) feinen Z6i> gerabe b<^t er es möglid) ge« 



mad)t, bafe wir alle, bie wir il)n 3um f5errn erwählen, 
bie Verbeifeungen feines evangeliums ererben, unfre 
Sünben vergeben unb ewiges Ceben 3uerteilt bekommen. 
Unb in biefer 3uverfid)t fammelte man fid) im öeift 
immer wieber neu um ben geliebten CDeifter, brad) bas 
Brot mit il)m, laufd}te feiner Stimme unb wartete auf 
feine Rüchhel)r; unb als bie geftorben waren, bie von 
H)m er3äl)len konnten, ba las man in ben Büd)ern, bie 
feine Worte unb Werhe befd}rieben. (Dan l)ielt \\)n feft, 
trotfbem er geftorben war: was fie Alle feffelte, bie fo 
feft blieben unb bie fid) täglid) il)nen 3ugefellten, war 
fein öeift. l\)xe neue U)eologie braud)ten fie, um ben 
Kampf für fein unb H)X Redjt 3U fübren ; x\)v ßer3 unb x\)v 
öewiffen würben nad) wie vor befrud)tet von feinen Worten. 
Cs ift müßige Spielerei 3U erwägen, was aus bem 
Cl)riftentum geworben wäre, wenn Jefus in alter Weife 
obne Zob am Rreu3 nod) 30 ober 40 Jal)re b^^öurd) 
bätte wirhen bürfen. Die Rreu3estl)eologie mit allem 
3ubel)or wäre bann ja nid}t erwad)fen; vielleid}t b^tte 
Jefus bie Cosreifeung feiner Religion vom Jubentum felber 
vollsogen, unb ber tlame bes Paulus verfd)wänbe für 
uns unter ber CDenge ber CDänner, bie fid), überwältigt 
von ber inneren Rraft bes Reuen, il)m angeboten bitten 
3ur Ausbreitung feiner Prebigt in aller Welt. Die 
Oefd)id)te ift einen anberen Weg gegangen. Aber fie 
3wingt uns keineswegs 3U bem 3ugeftänbnis, bafe Jefus 
feine weltgefd)id)tlid)e Bebeutung blo^f feinem CDärtyrertobe 
verbanht; wer fid) gleid)wobl 3wingen läfet, ber ftellt aller« 
bings Paulus, ben flpoftel bes Rreu3es, über Jefus unb 
fd)ä^ bie Rraft einer gefd)id)tlid}en Catfad)e, eines Ju* 
fti3morbes, eines Sd)iAfalsfd)lages \)o\)ex ein als bie 
Rraft einer fo grofeen Perfönlid)heit, wie es Jefus ge* 
wefen ift. Aus ber Energie bes Glaubens ber Jünger, 
bie fid) nad) bem furd)tbarften 3ufammenbrud) all U)xex 
f5offnung bod) aufrafften 3U einem nie wieber 3U er* 
|d)ütternben: „Unb er war bennod) Gottes Sol)n**, b^ben 
wir vielmehr auf eine nod) unenblid) ftärhere Cnergie in bem 
(Danne 3U fd)lie6en, von bem biefer Glaube ausging; 
unb ba 3war \e\)x viel Zl)eoloQ\e^ aber aud) nid)t ein 
funbamentaler 3ug in bem religiös«fittlid)en Ibeal, bas 

70 



in ber d)riftUd)en Urhird)e fid) fortgepflanst bot, bem 
evangelium Jefu l)in3ugehommen ift, beftel)t bie Bel)aup* 
tung 3U RecJ}t, baß; bas Cbriftentum , wenn man unter 
biefem vielbeutigen Wort überhaupt etwas Beftimmtes 
verftel)en will, heinen anberen Rnfangspunht l)at als bas 
evangelium ]efu, Daburd), bafe in ]efu lid)tes, fieg« 
I)afte5 evangelium bas Wort von feinem Cob, wenn aud> 
nod) fo febr burd} bie Botfd}aft von feiner flufer« 
ftebung gemilbert, l)ineintrat, würben 3war bie Sarben 
kraffer unb l)arter. nid)t bei jebem, ber bas evangelium 
verhünbigte, in gleid}em CDafe, am bS^eften bei Paulus» 
beffen Oatur ol)nel)in bem Düfteren 3uneigte, ber in 
langen Sd)uljal)ren fid) gewöhnt b^tte, bie einfad}ften 
frommen öebanhen mit feiner Cebrweisbeit 3U umfpinnen, 
unb ber 3ubem gerabe ber Bewältigung bes Rreu3estobes, 
biefem „Stein bes flnftofees**, feine volle Rraft wibmete. 
Aber aud) von feinem Probuht gilt fein Wort Rom. 11, 18: 
nid)t bu trägft bie Wur3el, fonbern bie Wur3el bid). 

Paulus bctt einen neuen Anfang gemad)t, allerbings; 
wie viele nad) il)m, 3. B. aud) Cutter unb Spener unb 
Sd)leiermad)er, einen neuen Anfang gemad)t b^ben. Aber 
bat er Jefus fortgerü*t, um feinen Cbriftus an bie Stelle 
3u fe^en? er bat es nid)t getan, obgleid) burd) fein 
Werh bas Bilb Jefu in öefabr ham, ben Augen Vieler 
entrü*t 3U werben. Der weltgefd)id)tlid)e Beruf bes Pau* 
lus war ber: Jefus ift gekommen unb \)at auf erben 
einen neuen Parabiefesgarten angelegt. Jefus ftarb unb 
binterliefe fein erbe bem Bafe feiner Seinbe. ODit ibren 
Perfonen bed^ten bie alten Getreuen 3unäd)ft bas teure 
Vermäd)tnis. Aber wenn fie nun fielen im ungleid)en 
Streit, wer forgte für erfa^? Da kam Paulus unb fübrte 
um ben Garten ber bie biAen Sd)uöwälle feiner tbeologie 
auf, bie uns beut fo fremb anmuten, bie in ber Zai von ber 
Cieblid)keit bes Gartens nid)ts verraten, er fab aber nid)t 
auf Stilreinbeit, er nabm bie Baufteine, wie er fie ver« 
nu^en konnte, wenn bie (Dauer nur bod) unb feft würbe 
unb bie Aufeentürme gefd)i*t als Ausfallstore für kübnen 
Angriffskrieg. In3wifd)en finb bie (Dauern vielleid)t löd)erig 
geworben, bie Ruinen mögen plump ausfeben, fd)reAen 
wobl gar einen ober ben anbern ab vom eintritt in 

TV 



bas l)eiHge Gebiet: barum bfirfen wir ben Baumeifter 
nid)t fd)elten, aud) nid)t \\)m Unred)t tun butd) falfd)es 
entfd)ulbigen. Un3Öl)lige Cl)riften hönnen biefe Wälle 
nod) l)eut nid)t entbei)ren ; fie würben }efus nid)t f inben, 
wenn fie nid)t an ber ßanb bes Paulus gingen. 

Paulus l)at alfo feine CI)eologie nid)t an bie Stelle 
ber Religion Jefu gefegt, fonbem rings um fie l)er. 
6r l)at nid)t 3ugleid) bie Selsblöche auftürmen unb 
fid) im Garten ftill ergel)en hönnen. Aber er \)a\ über 
bes Cages l)arter Arbeit ben Gefd)mach am flbenb* 
hieben nid)t verloren. Seine Briefe entl)alten genug 
3eugftiffe für beibes. Unb er l)at aud) nid)t etwa un* 
bewußt burd) feinen überragenben Cinflufe Jefus ver« 
bröngt. Sein Cinflufe ift ber ftarhere immer nur bei 
Z\)eo\oQen gewefen, bie, wie er, vor allem beforgt waren 
bie Sd)u^wel)ren für \\)x Cl)riftentum 3U verbeffern. Die 
Gemeinbe l)at bie hünftlid)e Verfd)lungenl)eit feiner Ge* 
banhen nid)t verftanben. Sie vereljrt in \\)m ben flpoftel 
ber auf Cl)rifti Blut gegrünbeten Beilsgewife^eit. 
Was fie fonft befonbers banhbar von \\)m entnal)m» 
war nid)t bas eigentUd) Paulinifd)e, bas waren bie reli* 
giofen Vorftellungen ober bie Weltanfd)äuung }efu, bie 
Paulus burd) bie Bilfe ber Urgemeinbe von Jefus Ober* 
kommen Ijatte. 

Unb barin beftel)t bas größte Glü*, bas wir bem 
jungen Cl)riftentum nad)fagen bürfen, bafe es gleid)3eitig 
einen Paulus unb bie jerufalemifd)en evangelienfd)reiber 
befeffen l)at. Cr warb burd) feine laute prebigt von 
ben neuen Beilstatfad)en Gläubige für Cl)riftus ; fie forg« 
ten bafür, bafe unter ben neugewonnenen bas alte Bilb 
bes f5eildnbs }efus lebenbig erhalten blieb. Von Pau« 
lus allein t)ätte bie Rird)e als Rird)e Jefu nid)t auf bie 
Dauer leben können; ot)ne Paulus 1)0^^ f^^ als Rird)e 
fid) nid)t ber Welt gegenüber unb für bie Welt einge* 
ricf)tet. So verbankt bas Cl)riftentum bem Paulus un* 
enbUd) viel, nur nid)t fein Dafein. Dafür fd)ulbet es ben 
Dank bem Größeren, jefus. 




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